SWR2 Musikstunde Ein Früher Klassiker - Johann Christian Bach (1) Von Jan Ritterstaedt
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SWR2 Musikstunde Ein früher Klassiker - Johann Christian Bach (1) Von Jan Ritterstaedt Sendung vom: 5. Juli 2021 Redaktion: Dr. Bettina Winkler Produktion: SWR 2021 SWR2 können Sie auch im SWR2 Webradio unter www.SWR2.de und auf Mobilgeräten in der SWR2 App hören – oder als Podcast nachhören: Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Die SWR2 App für Android und iOS Hören Sie das SWR2 Programm, wann und wo Sie wollen. Jederzeit live oder zeitversetzt, online oder offline. Alle Sendung stehen mindestens sieben Tage lang zum Nachhören bereit. Nutzen Sie die neuen Funktionen der SWR2 App: abonnieren, offline hören, stöbern, meistgehört, Themenbereiche, Empfehlungen, Entdeckungen … Kostenlos herunterladen: www.swr2.de/app ... und da dreht sich in dieser Woche alles um Johann Christian Bach. Mein Name ist Jan Ritterstaedt. Herzlich willkommen! Bei den Bachsöhnen gibt es ja eine besondere Tradition: einige Mitglieder dieser mitteldeutschen Musikerfamilie tragen geografische Beinamen, um sie voneinander abgrenzen zu können. Da wäre etwa der „Bückeburger Bach“. Der hieß eigentlich Johann Christoph Friedrich, wirkte aber den Großteil seines Lebens am Hof der Grafen von Schaumburg-Lippe in Bückeburg. Dann gibt es den „Dresdner“ oder „Halleschen“ Bach. Dahinter verbirgt sich Wilhelm Friedemann. Und schließlich kommt noch der „Berliner“ oder „Hamburger“ Bach Carl Philipp Emanuel dazu. Ein Bachsohn aber hat es mit seinen zwei Beinamen sogar geschafft, die Grenzen Deutschlands hinter sich zu lassen. Der „Mailänder“ oder „Londoner“ Bach Johann Christian. Mit seinen Brüdern und Stiefbrüdern hat er eigentlich nur wenig gemein: denselben Vater als Lehrmeister und denselben Geburtsort Leipzig. Darüber hinaus war Johann Christian aber der einzige Bach, der 1. schon zu seinen Lebzeiten weltberühmt gewesen ist, 2. Opern komponiert hat und 3. zum katholischen Glauben übergetreten ist. Eine spannende Persönlichkeit also, dieser Johann Christian Bach. Und so klingt seine Musik: Musik 1-1 Johann Christian Bach: Sinfonie C-Dur op. 3,1 The Hanover Band Leitung: Anthony Halstead cpo 999 268-2, LC 08492 9‘49 Nein, das war kein früher Mozart. Das war tatsächlich eine Komposition von Johann Christian Bach, dem jüngsten Spross dieser berühmten Musikerfamilie. Dabei ähneln seine Themen, die Satztechnik und vor allem der heitere und unbeschwerte Charakter seiner Musik sehr stark an Mozart. Und tatsächlich gibt es Verbindungen zwischen den beiden, wie sie im Laufe dieser Musikstunden-Woche noch erfahren werden. Geboren wird Johann Christian Bach am 5. September 1735 als jüngster Sohn Johann Sebastian und Anna Magdalena Bachs. Im gemeinsamen Werkverzeichnis der beiden Eheleute trägt er die Opuszahl 11, er ist also das elfte Kind aus der zweiten Ehe des Thomaskantors. Seinen ersten Schrei hat er wahrscheinlich in der Kantorenwohnung Bachs im Gebäude der Leipziger Thomasschule von sich gegeben. Und sicher war es schon ein sehr melodischer Laut. Ein „singendes Allegro“ wird man Johann Christians Kompositionen später attestieren. 2 Wie dürften wir uns die Umgebung vorstellen, in der Johann Christian aufgewachsen ist? Die Wohnung der Bachs war für heutige Verhältnisse nicht groß. Homeoffice war für Papa Bach unnötig, denn zu seinem Arbeitsplatz waren es nur ein paar Schritte den Flur entlang. Dort vom Probensaal der Thomaner dürfte auch Johann seine ersten musikalischen Eindrücke bekommen haben. Sicher dürfen wir annehmen, dass er wie seine Brüder und Stiefbrüder in einer sehr musikalischen Umgebung aufgewachsen ist. Alle Söhne aus Bachs erster Ehe haben das Haus bereits verlassen: Wilhelm Friedemann ist zum „Dresdner Bach“ mutiert, Carl Philipp Emanuel studiert 1735 noch Rechtswissenschaften in Frankfurt an der Oder und Johann Gottfried Bernhard versucht sich als Organist in Mühlhausen in Thüringen. In der Kantorenwohnung leben noch Johann Christians Stiefschwester Dorothea, dazu der psychisch kranke elfjährige Gottfried Heinrich, die Schwester Elisabeth Juliane Friederike und der dreijährige Johann Christoph Friedrich – das ist der spätere „Bückeburger“ Bach. Kurz vor der Geburt Johann Christians hat der Vater der musikalischen Welt noch einmal eindrucksvoll sein Können demonstriert: im Druck erscheint der zweite Teil der „Clavierübung“ mit dem „Italienischen Konzert“ von Johann Sebastian Bach. Und wer weiß: vielleicht hat Johann Christian sich schon im Bauch der Mutter Anna Magdalena mit diesen südländisch-mitteldeutschen Klängen auseinandergesetzt. Musik 1-2 Johann Sebastian Bach: Allegro aus: Concerto nach italienischen Gusto F-Dur BWV 971 Aapo Häkkinen (Cembalo) Aeolus AE-10057, LC 02232 4‘29‘‘ Über Johann Christian Bachs Jugend ist leider nicht viel bekannt. Man weiß aber – und das verwundert nicht – dass er seinen ersten Unterricht auf dem Cembalo beim Vater bekommen hat. Und wir dürfen davon ausgehen, dass es sich bei ihm genauso abgespielt hat, wie es der Bach-Biograf Johann Nikolaus Forkel geschildert hat. Der hat es immerhin aus erster Hand von den Bachsöhnen Wilhelm Friedemann und Carl Philipp Emanuel. Demnach wird zunächst der richtige Anschlag auf dem Cembalo geübt. Mehrere Monate hindurch darf der Schüler nichts anderes machen als seine Finger trainieren. Erst langsam und je nach Fortschritt früher oder später kommen dann erste kleinere Stücke dazu. Geduld, Ausdauer und Fleiß – darauf legt Johann Sebastian Bach in seinem Unterricht besonderen Wert. Vermutlich ist auch Johann Christian durch diese harte, aber gründliche Schule gegangen. Christian Friedrich Daniel Schubart hat aus seinem Mund immerhin eine kleine Anekdote über den Unterricht beim Vater überliefert. Eines Tages habe Johann Christian frei auf dem Klavier fantasiert. Sein Vater hatte sich derweil aufs Ohr gelegt. Nur so zum Spaß hat der Sohn dann sein Stück auf einer unaufgelösten Sextquart beendet. Daraufhin soll der Papa 3 sofort von seinem Lager aufgesprungen sein, ihm eine Ohrfeige verpasst und das improvisierte Werk regelkonform zu Ende geführt haben. So war das damals. Erste Kompositionen Johann Christian Bachs aus der Lehrzeit beim Vater sind nicht überliefert. Es gibt allerdings eine Eintragung in das Stammbuch eines unbekannten Besitzers – immerhin das früheste bekannte Schriftzeugnis des jüngsten Bachsohnes. Da war er wohl etwa 13 Jahre alt. Dort steht: Mit diesem wenigen wolte sich dem Herrn Besitzer dießes Stammbuchs bestens recommandiren – Johann Christian Bach. Dieses „wenige“ ist nichts weniger als eine Klavierfassung von Johann Sebastian Bachs d- Moll-Polonaise aus dessen zweiter Orchestersuite. Das kurze Stück hat der Cembalist Olivier Baumont auf einem so genannten Lautenklavier auf CD eingespielt. Bei diesem Instrument bestehen die Saiten nicht wie beim Cembalo aus Stahl-, sondern aus Darmsaiten – so wie bei den Streichinstrumenten dieser Zeit. Deshalb klingt das Lautenklavier deutlich weicher als ein Cembalo – ein bisschen wie eine gezupfte Laute eben. Musik 1-3 (WDR 5191 351) Johann Sebastian Bach: Polonaise d-Moll aus: Suite Nr. 2 h-Moll BWV 1067 bearbeitet für Cembalo von Johann Christian Bach Olivier Baumont (Lautenklavier) Harmonia Mundi France LYO54, LC 07045 1‘24‘‘ Im Alter von etwa 13 Jahren, als Johann Christian Bach dieses Stück bearbeitet hat, wird er von seinem Vater immer stärker als eine Art Sekretär herangezogen. Johann Sebastians Sehkraft nahm rapide ab und so erledigt der jüngste Sohn einen Teil von dessen Korrespondenz. Und vielleicht hat er da auch ein bisschen von den musikästhetischen Diskursen seiner Zeit mitbekommen. Schließlich wird sein Vater damals von manchem für seinen vermeintlich allzu gelehrten und zu wenig melodiösen Stil getadelt. Neu ist in dieser Zeit das, was man dann später als „galanten Stil“ bezeichnet hat. Das bedeutet: die Melodie ist die Keimzelle des musikalischen Satzes, nicht die Harmonie oder gar der Kontrapunkt. Vor allem sanglich, leicht und klar sollte diese Melodie klingen. Der Komponist und Musikschriftsteller Adam Hiller hat es damals in seinen „Wöchentlichen Nachrichten und Anmerkungen die Musik betreffend“ so ausgedrückt: Die Melodie ist das, was am meisten reizt, was die Seele rührt, und ihr bisweilen ein Vergnügen verursacht, das sich nicht beschreiben läßt. Sie ist in der Musik das, was die schönen Gedanken in einer wohlgeschriebenen Rede sind, was der Ausdruck in der Mahlerey ist, der jeden Teil mit einem sanften Gefühl belebt; kurz, sie enthält die Schönheiten, welche die Natur verschönern. Ohne die Melodie wäre die Musik rauh und trocken, und ungebauten Feldern, die nur Dornen und Disteln hervorbringen, ähnlich. 4 Zurück zur Natur! – so lautet damals offenbar das Motto die Musik betreffend. Und diesen neuen Stil soll Johann Christian Bach schon bald näher kennenlernen – in der preußischen Residenzstadt Berlin. Dort dominieren um die Mitte des 18. Jahrhunderts die Gebrüder Carl Heinrich und Johann Gottlieb Graun das musikalische Geschehen am Hof Friedrichs des Großen. Vor allem Carl Heinrichs italienische Opern mit ihren sanften und geschmeidigen Melodien entsprechen genau dem Geschmack des Preußenkönigs. Musik 1-4 Carl Heinrich Graun: Arie „Sulle sponde del torbido lete“ aus: Artaserse Nathalie Stutzmann (Alt) The Hanover Band Leitung: Roy Goodman Decca 483 1518, LC 00171 4‘49‘‘ Im November 1750 treffen Wilhelm Friedemann und Johann Christian Bach von Leipzig aus gemeinsam in Berlin bei ihrem Halbbruder Carl Philipp Emanuel ein. Zwei Monate