AKTUELLES BUCH

Amann, Melanie: Angst für Deutschland. Die Wahr- heit über die AfD; wo sie herkommt, wer sie führt, wohin sie steuert. München: Droemer Verlag 2017, 320 Seiten, € 16,99.

/// Was steckt wirklich dahinter? SCHRECKGESPENST AFD

Wenn Journalisten Bücher über Politi- oder gar Prognose gelingen? Dieses ker oder Parteien schreiben, gehen die Buch von Melanie Amann zeigt nicht meisten Wissenschaftler auf Distanz. nur, dass dies gelingen kann, sondern Sicher mögen viele persönliche Eindrü- sie legt ein Werk vor, das die Entwick- cke, enge Kontakte und das Gespür für lungslogik der AfD besser beschreibt als atmosphärische Spannungen von dieser manch politikwissenschaftlicher Text – Berufsgruppe weit besser aufgefangen und das auch noch viel zeitnaher und und beschrieben werden als etwa von kenntnisreicher. Sozialwissenschaftlern. Aber ist da ge- Die promovierte Journalistin beglei- nug Raum für die Analyse? Ist neben tet seit 2013 im Berliner Hauptstadtbüro amüsanten Details Platz für die Darle- des Spiegel intensiv die Entwicklung der gung von Strukturen und Gründen für AfD und deren Protagonisten. Ihr Buch bestimmte Entwicklungen, kann so – das vorläufige Ergebnis mehrjähriger wirklich eine systematische Einordung Arbeit auf diesem Feld – ist bei aller Em-

66 POLITISCHE STUDIEN // 473/2017 pathie weit von jeglichen Ansätzen einer ander Gauland, Identifikationsfigur Hagiographie einerseits oder eines Hass- manch heimatloser Konservativer. Diese pamphlets andererseits entfernt. Sie be- sind auch eine Wurzel der Russophilie: ginnt ihre Analyse mit einer Beschrei- „Diesen Leuten imponiert, mit welcher bung des Einflusses von Thilo Sarrazin, Entschlossenheit ein Wladimir Putin den sie als wichtigsten Vorboten der Par- für die nationale Souveränität seines tei sieht – mit bekannten Protagonisten Landes eintritt […].“ (S. 93) Der Natio- der AfD als (möglicherweise von ihm nalismus, der auch als Grundlage für die ungeliebte) Schüler. Die Gründungspha- Globalisierungskritik dient, hat aber ein se der Partei war alles andere als geradli- großes Problem: In der Mitte kaum an- nig. Die ideologische Zerrissenheit dieser schlussfähig, aber ständig in Gefahr, Zeit war, so Amann, der Grund für die von extremen Rechten gekapert zu wer- spätere Spaltung, wirkt aber nach: „[…] den, wie die Autorin am Beispiel des Pu- bis heute arbeiten in der AfD nicht blizisten Jörg Kubitschek oder der Iden- Gleichgesinnte für ein gemeinsames Ziel, titären Bewegung zeigt. Offiziell grenzt sondern raufen sich natürliche Gegner zu sich die Parteiführung ab, aber ohne Zweckbündnissen zusammen.“ (S. 57) diese Klientel (vor allem deutlich bei der Erneut wird hier belegt, dass die Jugendorganisation der Partei) wären AfD von Anfang an mehr war als eine Wahlkämpfe und Wahlerfolge weit Anti-Euro-Partei. In der Folge be- schwerer zu erreichen gewesen. schreibt die Autorin einige der zentralen Der dritte Abschnitt des Buches be- ideologischen und programmatischen schreibt überzeugend die Radikalisie- Wurzeln der Partei und macht diese an rung der Partei, die Professorenpartei einzelnen Protagonisten fest. Den auf dem Weg nach rechts außen. Euro- (Wirtschafts)Liberalismus einer Beatrix kritische Überzeugungstäter wurden von Storch sieht sie weniger als pro- immer mehr durch Ideologen ersetzt. grammatisch bedeutend, allerdings lie- Allerdings betont die Autorin, dass die ßen sich auf dieser Schiene gute Finan- Führungsriege der Partei von Anfang an zierungsmöglichkeiten erschließen. Ihr und bis heute in Karrieristen und Ideo- Liberalismus war auch kein Hindernis logen zerfalle. In die erste Gruppe passt für Frau von Storch, sich als rechtskon- sicher Björn Höcke, in die zweite Frauke servative Kulturkämpferin etwa gegen Petry, aber es gibt durchaus interessante Genderpolitik oder die angebliche Schnittmengen. Eine kleine Gruppe von Frühsexualisierung der Schüler zu pro- Idealisten spielt heute jedenfalls, so Me- filieren. Dabei scheint sie besonders fle- lanie Amann, keine Rolle mehr. Diese xibel zu sein, unpassende Fakten ent- Lager und die wichtigsten Protagonisten sprechend umzudeuten: „Meinungsfrei- werden noch genauer betrachtet. Björn heit bedeutet für , die Höcke, Fraktionsvorsitzender in Thü- Realität der eigenen Meinung anzupas- ringen, hat schon beim Hinausdrängen sen […]“ (S. 85) – eine Tendenz, die sich von eine Rolle gespielt und auch bei anderen Vertretern der Partei, bedient mit seinen Reden eine Klientel, aber vor allem im randständigen Umfeld die offiziell in der AfD nicht erwünscht rechts außen immer wieder findet. ist. In diesen Szenen ist er eine wichtige Den Nationalismus findet die Auto- Figur und könnte vielleicht auch einmal rin am stärksten verkörpert durch Alex- zum Putsch gegen aufru-

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fen. (S. 151) Eindrucksvoll die Schilde- Mobilisierung. Hinzu kommen offenbar rung des Essener Parteitags am 4./5. Juli auch finanziell interessante Helfer, die 2015, der zur Spaltung und zum Aus- schon bisher für eine Unterstützung der tritt des Lucke-Flügels führte. Wer das Wahlkämpfe gesorgt haben und dies liest, wird jeglichen Glauben an Reste wohl auch weiter tun werden. von bürgerlichem Anstand in der AfD Wie soll man also mit der AfD um- verlieren. gehen? Die Autorin rät klar für eine Aus- Der Parteitag legt auch die Grundla- einandersetzung mit der Partei: Nicht ge für den Aufstieg der „Chefin“ Frauke wegducken, sondern sich mit ihr und Petry. Spannend und kenntnisreich ihren Repräsentanten auseinanderset- wird ihr privater und beruflicher Hin- zen. Dazu sei aber fundiertes Wissen tergrund dargelegt, ihre Trennung von nötig. „Die AfD gewinnt Debatten häu- Mann und vier Kindern und ihre neue fig nur, weil ihre Gegner zu faul sind, Liaison mit Marcus Pretzell, der eben- deren Positionen zu studieren“. (S. 266) falls vier Kinder hat und von dem sie ein Die Bruchlinien innerhalb der Partei, fünftes bekommt. Mit ihm als Landes- von denen es genügend gibt, müssten vorsitzenden in Nordrhein-Westfalen immer wieder klar aufgezeigt werden. bildet sie das „Power-Paar“ der AfD. Sie Es sollte durchaus emotional argumen- ist die starke Frau der AfD, auch wenn tiert werden und die eigene Identität, die sie offiziell mit Bernd Meuthen, dem deutsche Leitkultur definiert werden. Fraktionsvorsitzenden in Baden-Würt- Schließlich sollte man nicht die Nerven temberg, eine Doppelspitze bildet. „[…] verlieren. Die Mitgliederzahl der AfD ist die 13-köpfige Parteiführung führt die noch sehr gering, und die der randstän- Partei nicht. Autorität hat nicht der Vor- digen Gruppen oft minimal. Die ande- stand, sondern haben nur einzelne Mit- ren Parteien sollen „am Ball bleiben“. glieder bei ihren Anhängern“. (S. 213) (S. 282ff.) Allerdings dürften die kriti- Offensichtlich gibt es viel Gegnerschaft schen Einwände zur Strategie der CSU gegen Frauke Petry, aber noch sitzt sie nicht überall geteilt werden. Konsequen- fest im Sattel. So lange noch Wahlerfol- ter ist der Rat an alle Parteien, Schritt zu ge zu erwarten sind, will niemand eine halten mit der Kommunikation über die neue Spaltung. neuen elektronischen Medien. Die Radikalisierung scheint ein un- Als Fazit die nüchternen, abschlie- ausweichliches Schicksal zu sein. An- ßenden Thesen: Die Autorin sieht einen ders als bei bürgerlichen Protestparteien Erfolg der AfD bei den Landtagswahlen in den 90ern (der „Bund Freier Bürger“ und der Bundestagswahl 2017 voraus wird als passendes Beispiel herangezo- und erwartet keinen Rückgang, so lange gen) gibt es rechts der Union heute Ent- die herkömmlichen AfD-Themen viru- faltungsraum. Auch journalistische Kri- lent bleiben. Frauke Petry sieht sie auch tik (die, wie die Autorin einräumt, künftig als Führungsfigur, der nur ihr durchaus überempfindlich auftritt) hat neuer Partner gefährlich werden könne. hier nicht mehr die Wirkung wie früher, Die AfD wird sich nicht mehr sehr stark da sich neue Kommunikationsformen weiter radikalisieren, wenn sie erst ein- herausgebildet haben. Dort findet auch mal in allen Parlamenten verankert ist jede Zügellosigkeit ihre Klientel, breitet und größere Mitarbeiterstäbe zur Verfü- sich ungehindert aus und sorgt so für gung hat. Es besteht aber auch die Ge-

68 POLITISCHE STUDIEN // 473/2017 fahr für die Partei, dass radikale Kräfte zu sehr in den Vordergrund treten und dass sie durch ihre verbale Radikalität Hoffnungen bei ihrer Klientel erweckt hat, die sie in den Parlamenten nicht ein- lösen kann. Daher könnten sich offen antidemokratische Akteure in und au- ßerhalb der Partei erst recht angespro- chen fühlen – mit unklarem Ausgang für die AfD wie die Demokratie in Deutschland. Man muss der Autorin für ihr Buch dankbar sein nicht nur wegen der vielen gut recherchierten Informationen, son- dern auch dafür, dass sie deutlich macht, wie wichtig eine sachkundige, fundierte Auseinandersetzung mit ei- nem solchen Phänomen ist – auch für die Politik und die politische Bildung. Dem sollten sich Wissenschaftler und Autoren auch außerhalb des Journalis- mus stellen.

DR. GERHARD HIRSCHER, HANNS-SEIDEL-STIFTUNG, MÜNCHEN

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