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Geschichte der Ortsteile 2

Gemeindewappen

Johann Kemkers

Seit dem Jahre 1991 verfügt die Ge- Das Wiederkreuz wurde wegen der meinde Hoogstede über ein Gemein- vier Kirchen im zentralen Kirch- dewappen. Es wurde von dem spielort HOOGSTEDE gewählt. Heraldiker Theo Lorenz aus Nor- Es drückt sowohl die Eigen- den entworfen und durch das ständigkeit der vier Kirchen Niedersächsische Staatsarchiv (evangelisch-reformiert, ev an- in Osnabrück befürwortet. ge lisch-altreformiert, evangelisch- Das nur in Gold und Rot gestaltete lutherisch, römisch-katholisch) als auch Wappen ist schräglinks geteilt. Im obe- ihre Verbundenheit aus. ren Feld befindet sich ein rotes Wiederkreuz auf goldfarbenem Grund. In das untere rote Feld sind sieben goldene Kugeln entlang der Teilungslinie in Reihe gesetzt. Die Zeichen des Wappens sind so zu ver- stehen: Die aufwärts gerichtete Teilungslinie mit dem Wiederkreuz versinnbildlicht einer- seits das für die Mittelpunktsbildung bedeut- Gold-Rot und die goldenen Kugeln stellen same historische Ereignis der Versetzung der die Verbindung zur Grafschaft Bentheim her Kirche von Arkel zur „hoogen stee“ im Jahre und weisen insbesondere auf die sieben Orte der 1821. Andererseits steht die Grundrichtung Gemeinde hin: Arkel, Bathorn, Berge, Hoog - für eine zukunftsorientierte aufstrebende Ge- stede, Kalle, Scheerhorn, Tinholt. meinde.

Hoogsteder Gemeindewappen von 1991

52 Arkel – ein historischer Ort

Bearbeitet von Gerrit Jan Beuker und Johann Kemkers

Edel 1953 über die späteren Zeiten noch Überreste gefunden hat.) Herrlichkeit Möller meint: Hier befand sich schon früh eine Ludwig Edel schreibt im Jahrbuch 1953 des dem heiligen Antonius geweihte Kapelle. Heimatvereins (S. 34 ff.) über die Herrlichkeit Schließlich verarbeitet das Stokmann zu Emlichheim. Die Gildschaft Scheerhorn und folgendem Sinn: Der Hof zu Arkel sei in der mit ihr alle Ortsteile der heutigen Gemeinde Folgezeit zu einer schlossartig befestigten Hoogstede gehörten immer zu Emlichheim. Burg ausgebaut worden, von welcher nach Für Edel ist es sogar erwiesen, dass der Haupt- Vischs Mitteilung zu seiner Zeit (um 1820) hof der Herrlichkeit nicht bei der Kirche in Em- noch Trümmerreste vorhanden waren. Neuere lichheim lag, sondern in Arkel. Edel schreibt: Schriftsteller wollen sogar dort ein römisches Bürgel (arcellum) vermuten. „Bekanntlich hatte Emlichheim von 1324 bis Dass es der Haupthof der Herrlichkeit war, 1440 eigene Herren in den Herren von Bor- dürfte allerdings nicht zu bezweifeln sein. Was kelo-Gramsbergen. 1440 mußten sie es nicht gehörte aber noch mehr dazu? Nach der Ur- ohne ziemlichen Druck wieder für 2.000 gol- kunde von1324 drei Bauernerben, zwei Kot- dene alt-fränkische Schilde an den Benthei- ten, der sog. Scheerhorner Zehnte und die mer Grafen abtreten. Seit der Zeit gehört es hohe und niedere Gerichtsbarkeit in einem also wieder unbestritten zur Grafschaft Bent- genau beschriebenen Bezirk. heim, wenn auch als selbständiges Reichslehen. Hofnamen aus 1324, 1440 und 1635 Haupthof der Herrlichkeit Stokmann meint, es sei unmöglich, die ein- Zunächst mal ergibt sich aus den Urkunden, dass zelnen Bauernhäuser zu bestimmen. Mit Hilfe der Haupthof der Herrlichkeit nicht bei der Kir- des bentheimischen Lagerbuches und orts- che lag, sondern in dem stromaufwärts gelege- kundiger Mitglieder unseres Heimatvereins nen Arkel. 1324 heißt der Hof to Arkelo, 1440 wollen wir es aber doch versuchen. Da ist zu- der Hoff to Arkelo und 200 Jahre später der nächst dat hues to Wermerink to Honsteden, Schultenhof zu Arkel. Visch schreibt dazu: „In heißt 1440 dat Erve to Werminck, 1635 Wer- de boerschap Arkel is eene Kapel, warin de pre- mer und jetzt wohl Warmer. dikanten van Emmelenkamp, op bepaalde tijden Dat Hues to Anebrocke von 1324 ist 1440 den Godsdienst moeten verigten. In deze boer- dat Erve to Anebroke und 1635 Hannebrok. Dat schap was in vroegere eeuwen eene riderburg, Hues to Herverdink aus der ungenauen Ab- waarvan man in latere tijden nog overblijfsels schrift von 1324 ist 1440 dat Erve to Herwer- gevonden heeft“. (In der Bauerschaft Arkel steht dinck und 1635 Hemmeke. Dat Kreppes Kote eine Kapelle, in der die Pastoren von Emlichheim von 1324 ist ein Koten geheyten Krepeschote zu bestimmten Zeiten den Gottesdienst leiten geworden und später Kroppschott in Kalle. Dat müssen. In dieser Bauerschaft stand in früheren Rutkote ist 1440 ein Koten to Arkelo und wohl Jahrhunderten eine Ritterburg, von der man in später Volcker zu Arckel oder Lütke Arckel.

53 2 GESCHICHTE DER ORTSTEILE

1440 werden aber noch als weitere Zube- folgende Abhandlung. Um welche Zeitung höre genannt: „dat Erve to Brünynk, dat Erve oder Zeitungsbeilage es dabei geht, ist leider to Ruetgerinck, twe Erve to Overinck, dar Ro- unbekannt. Wohl ist ersichtlich, dass es um leff enn Hinrich syn Soene nu ton tyd oppe den 5. Jahrgang dieser Zeitung(sbeilage?) geht. wonet, dat Erve Oesmanninck und Dyderkinck Es heißt dort: in den Dorpe to Empnichem, den Hoff to „Wenn man am Vechteufer in Kalle steht Echtler und den Hoff to Eyckinchorst." und auf Arkel blickt, dann sieht man mehrere Im Pachtregister von 1635 erscheint Brü- Höfe stehen, eingefasst und geschmückt von ningh mit 6 Müdde Roggenpacht, Röttgeringh wuchtigen Eichen und schlanken Pappeln. Ein mit 3 Müdde und 3 Scheffel, Oeveringh mit Weg schlängelt sich an den Häusern vorbei sogar 24 Müdde Roggen. Oesmanink ist viel- und in einer Furt nach Kalle hinüber. Er ist leicht Namink mit 13½ Müdde Roggenpacht, wenig befahren, der Verkehr fließt heute bei Eikinkhorst, jetzt Ekenhorst in Heesterkante Hoogstede über die Brücke. mit 4 Müdde Roggenpacht. Vor mehreren Jahren kam ich als Fremder Nach 1440 sind folgende neue Namen hin- an dieser Siedlung vorüber und fand gar zugekommen: Kampert, Struwe, Zechelhorn, nichts besonderes an ihr. Nur an einer Scheune Lutterman, Meierman und Blomendael, ferner lagen mitten im Bauschutt vergangener Jahre Suwerman mit 7½ Müdde Roggen Pacht und gesprungene Sandsteinstücke. Ich fragte mich: der Schulte zu Scherhorn mit 18 Müdde Pacht. Wie kommen die hier hin? Später las und Der Scherhorner Zehnt ist noch genau be- hörte ich manches von Arkel und konnte vie- kannt: Suwermans Zehend 11 Müdde Roggen, les verstehen, denn dieses Fleckchen Graf- Schulten Zehend 11 M., Hannebrocks Zehend schafter Erde hat Geschichte erlebt. 4½ M., Calmans Zehend 4½ M., Wulffings Es begann in der Römerzeit. Die Söldner Zehend 3½ M. Hierzu schreibt der Rentmei- des „Ewigen Roms" kamen auf einigen klei- ster: ‘Diese Zehenden werden ausgenommen, nen Kriegszügen mit Schiffen flussaufwärts sonsten scheint, daß sie in Vorzeiten für so gefahren und gingen an dieser Furt mit dem viel Roggen den Leuten gelassen und ver- hohen Ufer im Osten an Land. Hier stapelten pachtet gewesen.’ die Krieger ihre Vorräte, befestigten den Platz und drangen im Fußmarsch landeinwärts in Grenzen der Herrlichkeit Emlichheim Richtung Lingen vor. Aus dem ursprünglichen Die Grenzen der Gerichtsbarkeit oder des Go- Lagerplatz aber wurde allmählich ein römi- dinkspiels Emmeninghem erstrecken sich von scher Stützpunkt. den drei Paren oder Palen gegenüber der nie- Seitdem vergingen tausend Jahre. Um derländischen Grenze bei Coevorden - 1000 n. Chr., so erzählen uns alte Urkunden, aufwärts bis zum Scherhorner Kamp. Auf der wohnen auf dem Edelhofe Arkelo die Herren linken Seite des Stroms von der sog. Holthe- eines alten Rittergeschlechts, die sich bis ins mer Schlinge gegenüber der niederländischen späte Mittelalter „Herren von Arkel" nennen. Bauerschaft Holtheme bis zur Hildener Brügge, Sie sitzen wahrscheinlich schon lange hier, wo der Bezirk des Gogerichts beginnt.“ vererben auf den jeweils ältesten Sohn den Vornamen Johann und sorgen durch wackere Arkel, ein römischer Stützpunkt Taten und kluge Verträge dafür, dass Chroni- (14. Januar 1950) Ein Fleckchen ken und Urkunden recht viel von ihnen be- Erde, das Geschichte erlebte richten. (De Vita et Rebus gestis Dominorum 5. Jahrgang, Sonnabend, den 14. Januar 1950 de Arkel). Ein Johann VII. von Arkel wird eine Artikel von 1950 bemerkenswerte Persönlichkeit. Er ist mütter- In einem Zeitungsartikel vom 14. Januar 1950 licherseits ein Enkel des Grafen Balduin von schreibt ein H.-R. S. unter der Überschrift Flandern und heiratet eine Enkelin des Grafen „Arkel, ein römischer Stützpunkt? Ein Fleck- Otto IV. von Bentheim. Nach einem bewegten chen Erde, das Geschichte erlebte“ die nach- Leben und häufigen Fehden stirbt er 1241.

54 ARKEL – EIN HISTORISCHER ORT

Noch höher steigt sein Nachkomme, der im sich einige zersprungene Sandsteinstücke und Jahre 1343 den soeben zum Kardinal ernann- Granitbrocken. Vielleicht rühren sie vom Ab- ten Italiener Nicolaus Capusi auf dem Stuhl bruch der Kapelle her, da sie zum Wiederauf- des Fürstbischofs von Utrecht ablöst. Er nennt bau nicht mehr gebraucht werden konnten. In sich als Kirchenfürst „Johann IV. von Arkel“, einem Namen aber lebt noch das Andenken kauft 1346 aus dem Besitz des Ritters Hermann an eine größere Zeit der kleinen Siedlung fort, von Lage die Herrlichkeit Lage und wird 1364 im Hoogsteder „Kirchspiel Arkel". H.-R. S. Bischof von Lüttich. (Wir konnten leider nicht herausfinden, wer Die Furt durch die Vechte, die gute Lage H.-R. S ist, noch in welcher Zeitung dieser am schiffbaren Fluss und der Herrenhof brach- Beitrag 1950 erschienen ist.) ten es wohl mit sich, dass schon frühzeitig in Arkel eine kleine Kapelle erbaut wurde. Sie Arkel – Archäologische Notgrabung war dem Heiligen Antonius geweiht und blieb Irmgard Maschmeyer (Jahrbuch des Heimat- bis lange nach der Reformation als Tochter- vereins 1996, 285–290). kirche von Emlichheim abhängig. Ein Geistli- Die Frühgeschichte von Arkel ist weitgehend cher aus dem sieben Kilometer entfernten unbekannt. Berücksichtigt man die Lage un- Kirchflecken versah hier den Gottesdienst. mittelbar an der Vechte sowie noch spärlich End lich konnte im September 1819 der erste vorhandene Hinweise auf einen Hügel an die- eigene Prediger für die Kapelle angestellt wer- ser Stelle, so darf man vermuten, dass hier den, und der Gemeindebezirk durfte sich früher eine Turmhügelanlage, eine sogenannte „Kirchspiel Arkel" nennen. Motte, gelegen hat, wie wir sie auch von an- Die Wohnung des Pastors soll damals bei deren Adelssitzen an der Vechte, z.B. Ohne, Jeurinks Haus gestanden haben, einem unge- Brandlecht, Poaskeberg bei kennen. fügen, schmucklosen Bau mit dicken Wänden. Derartige Befestigungen dienten in erster Linie Die Kapelle selbst hatte auf dem Hügel vor der dem Schutz der herrschaftlichen Rechte auf der Scholtenschen Hofanlage ihren Platz. Beim Vechte, an ihren Uferwegen und Furten. zufälligen Graben fand dort ein Bauer Ge- Die Vermutung, in Arkel habe es sich um beinreste, die darauf schließen lassen, dass in eine Ritterburg gehandelt, ist somit wahrschein- der Nähe der Kapelle Gräber waren. Das Got- lich; besser ist die Bezeichnung Herrensitz. teshaus wurde 1821 nach Hoogstede verlegt. Erstmals namentlich erwähnt wird Arkel Heute sind in Arkel kaum noch Dinge vor- 1326, als der Graf von Bentheim neben ande- handen, die an diese Geschehnisse erinnern. ren Höfen auch den Hof te Arkelo an Gott- Am Hügel, auf dem die Kapelle stand, liegt fried von Borculo als Lehen verkauft und ihn noch alter Bauschutt, und dazwischen finden 1346 auch mit dem Gogericht in Emlichheim

Steinmetzzeichen an der Kirche in Hoogstede (Irmgard Maschmeyer)

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belehnt. Die Bezeichnung „Hof to ...“ besagt Friedhof, der um die Kapelle herum lag, fast immer, dass es sich um einen Herrenhof stammten; der Friedhof soll noch bis in das handelte. Die Herrlichkeit Emlichheim gehörte 19. Jahrhundert hinein belegt worden sein. seit 1326 den von Borculo, die sich später Der letzte dort Bestattete war laut mündlicher auch von Gramsbergen nannten. Bemerkens- Überlieferung ein ertrunkener Schiffer. wert ist jedoch, dass der Herrenhof nicht etwa bei der Pfarrkirche in Emlichheim lag, son- Notgrabung 1983 dern in Arkel. Bei Rückkauf der Herrlichkeit Im Sommer 1983 informierte man mich, dass Emlichheim und Arkels durch den Grafen von auf dem Hof Scholten in Arkel eine Scheune Bentheim 1440 ist wiederum vom Hof te Ar- gebaut werde, die genau den Bereich der etwa kelo die Rede; erst etwa 200 Jahre später wird 1820 abgebrochenen Kapelle überdecke. Bei der Schultenhof to Arckelo erwähnt; dabei Aushebung der Fundamentgräben habe man handelt es sich wohl zweifellos um den glei- zahlreiche Skelettteile gefunden; auch fand chen Hof. Herr Scholten das Randfragment eines Kugel- Die Vermutung, dass das in den Nieder- topfes, einer Gebrauchskeramik aus dem 11. landen namhafte Geschlecht der van Arkel bis 13. Jahrhundert. von dem Herrensitz Arkel abstammt, ist er- Unsere Grabungsmöglichkeit war dadurch laubt, aber nicht bewiesen. Jan van Arkel war eingeengt, dass unter der neuen Scheune noch ab 1342 Bischof von Utrecht; er erbaute die große Teile des Vorgängerbaues aus den 30er Burg Arkelstein bei Bathmen 1361. Diese Burg Jahren standen. kann also kaum der namengebende Stamm- Bohrproben ergaben, dass im südlichen sitz der van Arkel sein. und westlichen Teil der neuen Scheune Seit Menschengedenken stand in Arkel offenbar ältere Bodenschichten vorlagen; eine Kapelle, ein stattlicher Bau aus Sand- oberflächennahe fand sich dort außerdem viel steinquadern, deren Alter urkundlich nicht si- Kalkmörtel- und Sandsteinschutt als wahr- cher belegt ist. Nach Bauart und Stil dürfte sie scheinlicher Hinweis auf die ehemalige Kapelle. aus dem 14./15. Jahrhundert stammen und Das Katasteramt , auch sonst somit wohl durch die Herren von Gramsber- immer hilfsbereit, konnte uns glücklicherweise gen erbaut worden sein. Da Arkel aber keine eine, im Urkataster noch als Kircheneigentum Pfarre war, hatten Emlichheimer Geistliche ausgewiesene Parzelle, die jetzt im Bereich der Lage der Kapelle dort zu bestimmten Zeiten Gottesdienst abzu- Scheune lag, nachweisen und einmessen. Dort und Kirchhofparzelle in Arkel (Irmgard halten. Als Arkel 1819 eine selbstständige Kir- müsste die Kapelle gelegen haben. Maschmeyer) chengemeinde wurde, verlegte man die Kirche durch Abbau und Wiederverwendung der alten Steine nach Hoogstede, wo sie allerdings in größerem Format wieder aufgebaut wurde. Noch heute kann man an der Kirche die wie- derverwendeten Formstücke (Wasserschlag, Fenstergewände mit alten Falzen) sehen, von denen viele noch die mittelalterlichen Stein- metzzeichen, die sogenannte »Merks« zeigen. Der Hügel, auf dem die Kapelle in Arkel stand und von dem die Überlieferung berich- tet, wurde nach Abbruch der Kapelle, insbe- sondere aber Anfang des 20. Jahrhunderts vom neuen Eigentümer abgetragen und nach Schätzung um ½ bis ¾ Meter niedriger ge- macht. Dabei wurden Skelettteile gefunden, die von dem ebenfalls bekannten früheren

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Zur weiteren Abklärung zogen wir zu- Skelettfunde in Arkel, Sommer 1983 (Irmgard Maschmeyer) nächst in der Mitte der Längstenne der neuen Scheune einen Suchschnitt, der die mündliche nur mehrfach übereinander, sondern auch Überlieferung vom Abtrag eines früheren Hü- „kreuz und quer“, also nicht in der rituell vor- gels bestätigte. Erste Bestattungen zeigten sich gegebenen Ost-West-Richtung. schon 30 Zentimeter unter der Erdoberfläche, Eine unter dieser graubraunen Sandschicht allerdings in einem Bereich, der den des an- gelegene, mit hohen Anteilen humöser Subs- geblichen Kirchhofes nach mehreren Richtun- tanz schichtweise verfüllte Grube (bei 32 bis gen teilweise um mehrere Meter überschritt. 33 Meter West), die in beiden Wänden des Auf beiden Seiten des Schnittgrabens machte Suchschnittes deutlich sichtbar wurde, dürfte sich das Kirchenfundament durch eine Schutt- somit wohl älter als die Friedhofs-(Begräb- packung bemerkbar, undeutlich bei 18 Meter nis-)Anlage sein, ebenso wie die sehr tief ge- West, recht deutlich bei 31 Meter West. Zwi- legenen Reste alter Erdoberfläche zwischen 9 schen diesen beiden Fundamentspuren, also bis 14 Meter West. Dafür spricht der Fund un- den Außengrenzen der Kapelle, fanden sich gestört gelagerter Scherben, u. a. eines blau- keine Bestattungen und auch fast keine Kno- grauen Gefäßes mit Wellenfuß, das noch in chenreste, sodass davon auszugehen ist, dass der Tradition der Kugeltöpfe steht, sowie eines – wie wir das auch von der vorreformatori- Kannenhalses aus Frühsteinzeug in der Süd- schen Kapelle in Hesepe/Kreis Bentheim wand des Grabens bei 11 bis 12 Meter West. wissen – Bestattungen nur außerhalb des Kir- Die gefundene Keramik stammt aus dem chenraumes vorgenommen worden sind; dies 13./14. Jahrhundert. in deutlichem Gegensatz zu den Pfarrkirchen, Bei den aufgefundenen Schuttpackungen, in denen vor allem Angehörige der Honora- die in etwa der Lage des Kirchenfundaments tiorenschicht und Pfarrer beigesetzt wurden. entsprachen, scheint es sich weniger um die Die Bestattungen fanden sich zumeist in Reste der Fundamente, sondern eher um Ver- einer völlig durchmischten graubraunen Sand- füllungsschutt in den Ausbruchgräben zu schicht mit Anteilen von Schutt. Die im Such- handeln; vielleicht aber auch um Reste einer schnitt von uns gefundenen Skelette (das Holz „Basisstickung“. Aufgrund der erhobenen der Särge war verrottet, die Eisennägel noch Befunde ließen sich denn nach Abbruch des in ursprünglicher Lage) (Foto 4) lagen nicht Vorgängerschuppens weitere derartige Schutt-

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pakete nachweisen. Der Chorabschluss war Etwa 30 Meter nördlich der Fundstelle des wegen einer tiefen Störung durch Güllekanäle Brunnens soll sich nach der Überlieferung frü- etc. nicht mehr ganz zweifelsfrei zu verfolgen. her ein runder Hügel befunden haben. Als Beim Aushub der Baugrube für den Güllekel- daran angrenzend 1960 der neue Stallflügel ler an der Nordseite der Scheune zeigte sich des Hofes Jeurink erbaut wurde, fand man bei eine ältere, trichterförmig verfüllte, zunächst der Fundamentierung in der SW-Ecke eine nur angeschnittene Grube. Sie erwies sich bei tiefe, vermodderte Senke, die besondere Fun- weiterer Grabung als mittelalterlicher Brun- damente erzwang. Auch das könnte für einen nen mit einer noch vollständig erhaltenen umgräfteten Turmhügel sprechen. Der von hölzernen Brunnenstube von etwa 1,5 Meter uns gefundene Brunnen müsste im Vorburg- im Quadrat. In der Verfüllung des Brunnent- bereich gelegen haben, wo in seiner Nähe richters, die also jünger sein muss als die auch das Bauhaus zu vermuten wäre. Brunnenstube, wie auch der bei Anlegung Bleibt noch zu erwähnen, dass einige we- des Brunnens ausgehobenen trichterförmigen sentliche Skelette von Herrn Dr. Caselitz, Grube fanden sich zahlreiche Kugeltopfscher- Hamburg, zur anthropologischen Untersu- ben. Hingegen blieb die Brunnensohle fund- chung übernommen wurden. Beurteilungen leer. Nach dem Befund der Brunnenkammer liegen dazu bisher nicht vor. (Schwemmsand mit aufgelagerter Torfschicht) (Im Jahrbuch 1996 finden sich wesentlich dürfte der Brunnen vor dem Verfüllen längere mehr Zeichnungen und Fotos.) Zeit verschlammt gewesen sein. Die Hölzer der Brunnenstube wurden ge- Wasse Wiggerink und seine Violine borgen und später von uns nach der Zucker- (JB 1950) methode konserviert. Die teils gute Erhaltung, Alte Erzählungen und Sagen halten Erinne- teils fortgeschrittene Zersetzung des Holzes ist rungen wach, die hier oder dort vielleicht ein wohl darauf zurückzuführen, dass seit der Krümelchen Wahrheit im modernen Sinne ent- Vechteregulierung der Grundwasserstand et- halten. Wasse Wiggering und Wottelharm sind liche Dezimeter abgesunken und seither das zwei um 1900 bekannte und berühmte, frei er- Holz trocken gefallen ist. Unter den Seiten- fundene Personen. Der Heimatkalender von bohlen fanden sich einige, die wohl aus einem 1950 berichtet über Wasse Wiggerink: mittelalterlichen Bau, vielleicht einem Stab- bau stammten und hier sekundär verwendet Heimatkalender 1950 Seite 75 worden waren. Zwischen Arkel und Hoogstede stand in alter Zeit eine Burg. Darin wohnte ein reicher Graf, Hindrik Jan Bloemendal mit seiner Mutter auf dem Pferdewagen um 1950 (Scholten) der oft mit seinen Freunden dort frohe Feste feierte. Zu diesen Festen musste auch der Bauer Wasse Wiggerink aus Großringe er- scheinen, der lustige Geschichten erzählte, wundervoll die Geige spielte und sich mit sei- ner Kunst manchen Groschen verdiente. Eines Abends schickte der Graf wieder sei- nen Boten zu Wasse Wiggerink und ließ ihm sagen, er solle sogleich kommen, denn es seien viele und hohe Gäste eingetroffen. Wasse nahm die Violine und trat sogleich den Marsch zur Burg an. Er spielte seine Lieder und Weisen und die Herren und Frauen waren des Lobes voll über ihn und seine Violine. Erst spät in der Nacht machte er sich auf den Heimweg. Um ihn ein Stück abzukürzen,

58 ARKEL – EIN HISTORISCHER ORT

ging er quer über den Esch. Mitten auf der binden, sprang Wasse entschlossen an ihm kahlen, freien Roggenfläche stand plötzlich vorbei und lief, was er laufen konnte. ein großer, schwarzer Mann, ein Ungetüm, vor Schweißtriefend und totenbleich erreichte ihm und sagte: „Wassin, spöll up!“ Dem Bau- er seinen Hof. Er sprach mit niemandem über ern kam die Forderung völlig unsinnig vor. Er das nächtliche Erlebnis, auch nicht mit seiner war auch müde und versuchte, durch einen Frau. Seitensprung an dem Koloss vorbeizukom- Aber er ging am nächsten Abend mit der men. Aber der Schwarze trat ihm in den Weg Violine hinter das Schafschott und zerschlug und knurrte drohend: „Wassin, ick segge di, sie am Schuppfahl, obwohl er die Geige sehr spöll up!“ Was sollte er machen? Der Mann liebte und sie ihm viel Geld und Freuden ein- ihm gegenüber war groß und stark, und es gebracht hatte. Er wollte mit dem Instrument, ging etwas Unheimliches von ihm aus. Er zit- mit dem er dem Teufel aufgespielt hatte – terte wie der Hase in der Wolfsgrube. denn das war der Schwarze im Esch gewesen Endlich holte er die Geige aus dem Kasten – niemandem mehr ein Vergnügen bereiten, und begann zu fideln – mitten im Esch und sich selbst auch nicht. Als der Graf von Arkel das spät in der Nacht. Er hoffte, nach einigen ihn abermals zur Burg bat, ging er nicht hin. Stücken den lästigen Geist loszuwerden, aber Als er ihm eine neue Geige schickte, nahm er sobald er die Geige absetzte, donnerte ihn der sie nicht an. Schwarze an: „Wassin, ick segge di, spöll up!“ Nein, die Geige führe den Bauern in hö- Und so geigte Wasse Stunde um Stunde. Der here Stockwerke hinauf, wo er nicht hinge- Wind heulte in den Wallbäumen und die hörte, meine Wasse! Und schließlich lande er Füchse im Moor bellten. Als der Schwarze sich auf diesem Wege mit der Violine beim Bösen, einmal bückte, um den Schuhriemen festzu- und davor müsse er den Hof behüten.

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Arkel, Kalle und Tinholt

Bearbeitet von Gerrit Jan Beuker

Dr. Ernst Kühle (1890–1975) hat die Ge- aus heutiger Zeit. Später kommt Kühle auch schichte der einzelnen Gemeinden jeweils im bei Scheerhorn-Berge und bei Hoogstede-Bat- „Doppelpack“ ausführlich beschrieben. Kühle horn zur Sprache. Die beiden letzten Beiträge war von 1929 bis 1952 als Studienrat an der habe ich kürzen müssen, weil sie zu umfang- Oberrealschule im Aufbau und am späteren reich waren für diese Chronik und sich in Gymnasium tätig. manchem auch mit dem nachfolgenden Bei- Seine Darstellung soll eine erste Übersicht trag decken. Zwischenüberschriften und Fotos über die Zeit bis 1974 ermöglichen. Sie folgt sind hier und auch in anderen übernomme- hier für Kalle und Tinholt. Danach finden sich nen Texte neu eingefügt worden, um die Les- aktuellere Beiträge von Willy Friedrich und barkeit zu erhöhen

Unbekanntes Ehepaar mit vier Kindern in Trachten, um 1920 aus Familie Hans (Mini Büdden)

60 ARKEL, KALLE UND TINHOLT

Kalle und Tinholt, Münzen, aus denen jedoch wenig über die Vor- Geschichte zweier Landgemeinden geschichte von Kalle und Tinholt geschlossen E. Kühle, ( Der Grafschafter 1974,Nr. 12) werden kann. Auf höher gelegenen Dünen- Die Talsandlandschaft des linken Vechteufers rücken und Bodenwellen, auf denen frühe nördlich von Haftenkamp ist gegenüber der Siedler Fuß fassten, fand man Urnen in Nähe rechten Uferzone in der wirtschaftlichen des Hofes Gröne in Kalle. Der Name Arkel, zu Entwicklung zurückgeblieben. Am rechten Kalle gehörig, wird von Heimatforschern als Vechteufer reihen sich an Veldhausen die Bau- arcellum gedeutet; sie vermuten, dass hier erschaften Esche, Berge, Scheerhorn, Hoog- eine vorgeschichtliche Burg bestanden hat. stede, Großringe, Kleinringe, denen am linken Kalle wird zuerst zusammen mit dem Go- Ufer nur Tinholt und Kalle gegenüberstehen. gericht Emlichheim genannt, das sich 1313 im Die Bodengütekarte zeigt auf beiden Flussufern Besitz des Grafen Johann II. befand, 1324 aber die gleichen, wenig günstigen Gütewerte an. an den Herrn von Borculo gegeben wurde und Die im allgemeinen tiefere Lage der westlichen erst 1440 endgültig an die Grafschaft zurück- Uferzone und der höhere Grundwasserstand fiel. Als 1312 Graf Johann das Gogericht Uelsen haben lange Zeit von einer Besiedlung abge- von Eylard van den Toerne erwarb, vereinbar- schreckt. Der Verkehr von Neuenhaus nach ten beide Vertragspartner, dass das Holzgericht Emlichheim nahm seinen Weg am rechten Ufer im Tinholte dem Geschlecht Toerne verblieb. der Vechte entlang, der höher lag und trocke- Die Holzgerichte kamen aber 1380 in die Hand ner war, und an Orten mit den Namen „Berge" des Grafen, wodurch sich der Einfluss des Lan- und „Hoogstede" vorbeiführte. Mittelalterliche desherrn in den Bauerschaften verstärkte. In Wege waren zumeist Höhenwege, die feuchte der Tinholter Mark hatte der Bischof von Ut- Senken mieden. 1890 gab es die erste feste recht drei hörige Bauernerben, denen erlaubt Straße, 1906 die Eisenbahn auf dem rechten war, die Eichelmast zu nutzen, wenn ein gutes Vechteufer; erst fünfzig Jahre später verband Eicheljahr war. Der Graf bestritt dieses Recht. die Vechtetalstraße Neuenhaus über Tinholt und Kalle mit Emlichheim, obwohl diese Weg- 1324 Hof to Arkelo strecke kürzer ist als die des rechten Ufers … 1324 wird der Hof to Arkelo genannt. Pastor Visch in Wilsum schreibt in seiner Geschichte Deutung der Namen von einer frühen Kapelle in Arkel, in der ein Kalle und Tinholt bildeten einen Markenver- Geistlicher aus Emlichheim Gottesdienst hielt, band mit den Rechtsufergemeinden Berge, sowie von einer Ritterburg, von der man noch Scheerhorn, Hoogstede. Die Grenzen der Mark im 19. Jahrhundert Reste vorfand. Auch Stok- auf dem linken Ufer waren im Norden, Wes - mann berichtet von einer befestigten Burg ten und Süden gerade Linien, die man ohne Arkel, deren Trümmerreste 1820 noch vor- Rücksicht auf Naturgegebenheiten auf der handen waren. Nach Möller gab es ein adliges Karte mit dem Lineal gezogen hat. Der Name Geschlecht, die Herren von Arkel, aus dem Kalle ist eine alte Flurbezeichnung, die Bezug Johan van Arkel hervorging, der als Bischof nimmt auf das Wasser. Abel erklärt in „Orts- von Utrecht 1346 die Burg Lage erwarb. Von namen des Emslandes" Kalle als am Wasser- den Höfen in Kalle wird ein Kotten genannt, arm gelegen. Tinholt gehört zu den häufigen Kreppes Kote, 1324, der später Kroppschott Orten, die den Namen dem Holz entnehmen. hieß. 1440, als das Gogericht Emlichheim zur Das Bestimmungswort ist nach Abel uner- Grafschaft Bentheim zurückkehrte, wird der klärbar. Reurik erklärt es mit ten Holt = zum Hof Rutkote to Arkel verzeichnet, von dem Dr. Holz. Specht legt das Zahlwort „Zehn“ zu- Edel annimmt, dass er später „Lütke Arkel" grunde, nach zehn Gemeinden, die am Tinholt hieß (Von der Herrlichkeit Emlichheim, Jahrb. einst Anteil gehabt haben sollen. Die vorge- 1953). Die Emlichheimer Gerichtsbarkeit reichte schichtliche Vechteschifffahrt hinterließ Über- am linken Vechteufer bis zur Hildener Brügge, bleibsel von Fahrzeugen, Handelsgütern und wo das Gogericht Uelsen begann.

61 2 GESCHICHTE DER ORTSTEILE

Im Lehnregister des Grafen Otto, 1346–64, die Jagd nicht wider alle Usance und Ge- wird Kalle nicht genannt, wohl aber Tinholt. wohnheit extendieren solle". Der Jägermeister Dem Knappen Eylard van den Toerne überließ Borchard Lohoff betreute die privaten Gehege, der Graf zu Dienstmannsrecht die Holzge- leitete die großen Umjagden, traf Maßnahmen richte zu Hilten, Gölenkamp, Uelsen und im für sachgemäße Hege des Wildes, bestimmte Tinholte. Eylard war 1319 Burgmann auf die Schonzeiten und die Menge des von den Bentheim. Gegen Überlassung des Gogerichts Bauerschaften anzuliefernden Hundebrots. Uelsen 1312 erhielt er vom Grafen Johan eine Das Haus Echteler hatte die Koppeljagd in Anzahl von Zehnten aus Bauernerben zu Kalle. Die Fischerei in der Vechte bis zur Mün- Lehen. Der Stammsitz des Geschlechts war das dung der Lee übten die Grafen gemeinsam mit Dorf Uelsen, wo südlich der Kirche vermutlich der Stadt Neuenhaus aus, weiter nördlich nur ihre Burg stand. Eylard war auch Lehnsmann die Grafen allein. Das Bleichen von Flachs in des Bischofs von Utrecht. Das Tinholt gehörte der Vechte war den Bauern in Kalle und Tin- zu den privaten Gehegen des Grafen; hier übte holt verboten. er die Jagd allein aus und ließ durch seine Jäger die Grenzen überwachen. Das Revier 1451 Personentausch war durch seine guten Entenjagden bekannt. 1451 empfing das Kloster im Austausch mit Die Beachtung der landesherrlichen Reservate dem Herrn v. Dedem zu Esche den Johan He- ließ zu wünschen übrig. Mit den holländi- rekinck, der ins Tympenhaus tor Calle kam. schen Jagdherren einigte sich der Graf auf 1562 überließ das Bistum Utrecht dem Kloster dem Bentheimer Landtag über Jagdgerecht- einen Sohn des Passcher in Lage, der auf dem same zwischen Grenze und Vechte. 1656 Tympenhof zu Kalle einheiratete. Man nannte überraschten gräfliche Jäger eine Gramsber- die Einheirat „Auffahrt“ und forderte dafür ger Jagdgesellschaft in einer Tinholter Wirt- eine Gebühr (ungewisses Gefälle). Im Aus- schaft und nahm sie gefangen. Die tausch mit dem Grafen kam Wibbe, eine Toch- Gramsberger kamen mit stärkerem Aufgebot ter Campers aus Laarwald nach Kalle, wo sie wieder und verlangten erweiterte Rechte. Der auf dem Hof einheiratete. Von den Kindern Graf verwarnte die Gramsberger, „daß man auf dem Tympenhof wird berichtet, dass Johann

Bäuerin Lübbers in Alltagskleidung vor ihrem Haus in Kalle, 1934. Heutige Eigentümerin Gunda Meyerink (Jan Jeurink)

62 ARKEL, KALLE UND TINHOLT

tor Calle die Gese van Arkel zur Frau nahm, Auf der Heerstraße zwischen Coevorden und die die Tochter eines dem Grafen hörigen Bau- Neuenhaus plünderten die Spanier die Bauer- ern war. Von ihren Kindern ließ das Kloster schaften an der Vechte aus; sie beraubten den Sohn Johan frei; ein anderer Sohn zog Kalle und Tinholt, zerstörten das feste Haus mit den Wiedertäufern fort, und der Schreiber Esche, töteten die zahlreichen Flüchtlinge, trug in das Wesselbuch ein ... „entlopen na verbrannten in einer Scheune in der Borg 60 Monster". Eine Tochter, Mette, ging mit einem wehrlose Menschen und verursachten ein Landsknecht in die Ferne. Im Lagerbuch zu Massensterben in der Stadt Neuenhaus. „De Bentheim befindet sich eine Verpflichtung des nood en ellende waren zoo groot, dat men ze Hofes Tympe von einem Taler. Die Vogtei über met geene worden uitdrukken kan (Visch, Ge- den Hof Tympe hatte Engelbert von Zalre; er schiedenis). Im schweren Kriegsjahr 1588 tra- hatte an Callmans Erben ein Gut verkauft, ten Graf und Grafschaft zum reformierten Bussches Garde genannt, und an das Kloster Bekenntnis über, um sich den Schutz der sieg- Frenswegen Heemans Haus in der Calle ver- reichen Niederländer zu sichern. äußert. Der Archivar Dr. Döhmann in Burg- steinfurt nimmt an, dass der Hof Kaalmann in 1618–1648 Dreißigjähriger Krieg Hoogstede gemeint ist … Auf deutscher Seite ging der Oorlog in den Dreißigjährigen Krieg, 1618–1648, über. Der 1533 Wiedertäufer nach Münster vom Grafen Arnold Jobst angestrebte Selbst- Das folgende 16. Jahrhundert war von reli- schutz in Verbindung mit Schützenverbänden giösen Unruhen erfüllt. Die Wiedertäufer hat- war nicht ausreichend, den feindlichen Heeren ten 1533 den Bischof von Münster vertrieben den Eintritt in die Grafschaft zu verwehren. und ein Wiedertäuferreich errichtet, das zwei Die Kriegsopfer des „Oorlogs“ wiederholten Jahre später Graf Arnold mit zerschlagen half. sich; hinzu kamen die Kriegssteuern in Gestalt Anschließend ließ der Graf nach geflohenen von Korn-, Vieh- und Personenschatzungen, und versteckten Wiedertäufern in der Graf- auf den Landtagen beschlossen, um die Kon- schaft fahnden. Das wenig zugängliche Tin- tributionen zahlen zu können. Die Selbsthilfe holter Moor bot guten Unterschlupf. Wen die in Kalle und Tinholt beschränkte sich darauf, Häscher fingen, den richtete man als Viehdieb Alarmbereitschaften einzurichten, kleinere hin. 1544 aber trat der Graf mit dem größten Räuberbanden abzuwehren, durch Feuersig - Teil der Grafschaft zum lutherischen Bekennt- nale Nachbargemeinden zu warnen, ihre Hil- nis über. Die Pastoren Kampferbeck in Veld- fe zu erbitten und selbst Hilfe zu bringen. hausen, Krull und Jungius in Neuenhaus, Der Geschichtsschreiber des Krieges, Pastor Hasenhart in Uelsen predigten im Sinne der Holstein aus Schüttorf, der auch in Arkel pre- Augsburgischen (lutherischen) Konfession. digte, beklagte den Verfall der Sitten. Schon Das Bistum Utrecht ging durch die Reforma- 1620 erlagen die Kaller dem Einfluss von Zau- tion ein; seine Güter erbte Kaiser Karl V., der berern, die man um Hilfe bat, wenn Menschen nicht deutsch sprach, aber in den Twenter und Vieh erkrankten. In Tinholt war es nicht Hofrechten die Pflichten und Rechte seiner anders; viele gingen nicht mehr in die Kirche, Hörigen aufschreiben ließ. Sein Nachfolger besuchten während der Kirchzeit die Wirts- Philipp löste durch Härte und Grausamkeit häuser, sangen Hurenlieder und mieden die seiner gegenreformatorischen Maßnahmen Arbeit. Vergeblich wetterte Pastor Holstein den niederländischen Befreiungskrieg von der 1623 von der Kanzel in Arkel und drohte mit spanischen Herrschaft aus. Die von ihren Län- Kirchstrafen. Anstatt der gelobten Exercitien dern mangelhaft versorgten spanischen und gab es in den Schützereien Saufgelage. Erst holländischen Truppen suchten ihren Bedarf mit Kriegsende, als ein Bauernaufgebot zu decken durch räuberische Überfälle in die schwedische Resttruppen aus der Bimolter neutrale Grafschaft; bei etwaigem Widerstand Mark vertreiben musste, kehrte die Ordnung kam es wie in Halle und zu Blutbädern. zurück.

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1637 Dienstgeldliste ter Moor. Aus Uelsen und dem Kirchspiel hat- Aus dem Kriegsjahr 1637 ist eine Dienstgeld- ten sich 348 Haushalte bereit erklärt, den Torf liste des Rentmeisters Kerckerinck erhalten, aus Tinholt zu holen. Wiederholtes Zusam- die Dr. Edel im Jahrbuch 1953 wiedergab. Es mentreffen der Dorfschulten auf dem Rathaus zahlten an Dienstgeld je 4 Taler Röttgeringh, zu Uelsen und Beratung mit Amtleuten und Eikinckhorst, Oeveringh, Meyerman, der Vögten, wie 1845 mit Amtsvogt Brill, verbes- Schulte zu Arkel, je 3 Taler Campen, lütke serten die Anfuhr des Torfs, indem man Ent- Arkel, Blomendael, Calthoff, Struwe, je 3½ wässerung und Wegebau vervollkommnete. Taler Brüningh, Suwerman, Hembke, Wermer, Schulte Vos aus Tinholt und der Schulte zu je 1 Taler Kroppschotte, Klinckhamer, Böker, Arkel unterzeichneten ein Protokoll. Als nach Hessels Lucas, Lüchens Rolff, Schny kert; 3 dem Ersten Weltkrieg das Siedlungsgesetz Ort zahlte Kistemaker. 1919 Land für vertriebene Ostbauern und Der in Tinholt gelegene Platz von Weel Jo- nachgeborene Bauernsöhne aus der Heimat hans Witwe, der wüste war, gab ½ Taler. Im bereitstellte, enteignete man die Torfgruben Eifer um den Wiederaufbau von Hof und Flur und hob die Torfstichgerechtsame auf. nach Friedensschluss blieben Kalle und Tin- holt hinter den Bauerschaften rechts der 1756–1763 Siebenjähriger Krieg Vechte nicht zurück. Vier Jahre nach dem Pfandvertrag brach der Siebenjährige Krieg, 1756 bis 1763, aus, den Kirchenrat Emlichheim 1562–1620 der Graf nutzen wollte, um die Selbständig- Die reformierte Kirchenordnung hatte die keit seiner Grafschaft zurückzugewinnen. An Pflege des kirchlichen Lebens in die Hände der der Spitze eines französischen Regiments zog örtlichen Kirchenräte gelegt. Aus den Bauer- er in den Kampf gegen Hannover, womit er schaften des Kirchspiels Emlichheim wählte den Krieg in sein Land trug. Für die Kaller und man angesehene Männer in den Kirchenrat, Tinholter Bauern nahmen die Lieferungen, die die dafür sorgten, dass das Verhalten der Ge- Kriegsfuhren, die Zahlungen kein Ende. Die meindemitglieder und der Unterricht der Ju- Kriegsherren wechselten, eine Partei jagte der gend im Sinne des Heidelberger Katechismus andern die Beute ab. An wen die Abgaben zu geschah. Dem Kirchenrat gehörten an Gerdt zahlen waren, erfuhren die Kaller durch Kir- Volker zu Arkel in den Jahren 1562, 68, 80, chenabkündigung in Emlichheim. Komman- 83, Gert Schulte zu Arkel 1612. 1620 befasste dos setzten die Dorfschulten gefangen, wenn sich der Oberkirchenrat mit einer Anklage die abzuliefernden Pferde nicht zur Stelle eines Bauern aus Tinholt wegen Hexerei. Der waren, aber es gelang manchem listigen Bauer beschuldigte seinen Nachbarn, dass er Bauern, sein Pferd auf Schleichwegen zu- ihm die Kuh verhext hätte, die gestorben war rückzuholen. Entzog sich der Jungbauer dem (Edel, Ratleute der Kirche zu Emlichheim, Traindienst durch die Flucht, musste der Grafsch. 1958). Es war bald nach Beginn des Haus vater den Dienst tun. Hannover gewann großen Krieges (1618–1648), als Pastor Hol- den Krieg und trat nach Friedensschluss die stein gegen das Zauberunwesen ankämpfte … Pfandschaftsregierung wieder an. Regierungs- rat Funck forderte durch Verordnungen zum 1752 Torfstichrechte im Tinholter Moor Sparen, zur Schädlingsbekämpfung, zur Wald- Die Schuldenlast zwang den Grafen Fried rich pflege, zur Anlage von Telgenkämpen, zur Carl, seine Grafschaft 1752 an das Land Han- Schonung des Wildes, zur Einschränkung im nover zu verpfänden. Die Pfandschaftsregie- Haushalt, zum Maßhalten im Verbrauch auf. rung unter Leitung des Drosten Ompteda Die Bauern in Kalle und Tinholt bedurften versuchte, durch Sparverordnungen Ordnung solcher Ermahnungen nicht; die Armut war in das Finanzwesen zu bringen. Eine Akte auf ihr täglicher Gast. Die Tinholter trugen ihre dem Rathaus zu Uelsen von 1752 enthält dürftigen Kornmengen auf dem Rücken zur einen Vertrag um Torfstichrechte im Tinhol- Mühle Bosmann nach Hardinghausen und

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nahmen gleich ihr Mehl nach Abzug der Nach 1815 Mahlgebühr wieder mit nach Hause. Eine Ver- Nach Abzug der Franzosen übernahm der ordnung 1784 enthielt für Kalle und Tinholt Droste v. Pestel die Pfandschaftsregierung die Concession des Plaggenstechens, bei aufs Neue; er stellte die alte Ordnung wieder Schonung der Forsten und öffentlichen Wege, her, in der von den versprochenen Freiheiten für Tinholt auch die Schonung des Haften- nicht mehr die Rede war. Die Zollschranken kamper Bruchs. Eine Neuvermessung der Mar- senkten sich, drosselten den Handel und kengrenze zwischen Tinholt und Haftenkamp minderten die Zahl der Arbeitsplätze. Das schlichtete alte Streitpunkte. Der Streit um die Kirchspiel Arkel löste sich vom Kirchspiel Em- Jagdberechtigung im Tinholter Feld entfachte lichheim. Die Kleinsiedlung Arkel, aus nur aufs Neue, als 1773 der Herr v. Wassenaer aus vier Bauernhöfen bestehend, erhielt als Sitz Lage den Richter Lüdick in Emlichheim be- eines Kirchspiels überörtliche Bedeutung. auftragte und bevollmächtigte, für ihn die Th. Nyhuis führte als erster Pfarrer in Arkel Jagd im Bezirk Emlichheim auszuüben. Im 1819–58 Tauf-, Trau- und Sterberegister des Tinholter Feld kam es zu Tätlichkeiten der Kirchspiels. Die von den Franzosen eingerich- Lager Jäger mit den Bentheimern, die eine teten Standesämter hatte v. Pestel abgeschafft Koppeljagd im Tinholter Feld nicht zulassen und die Beurkundung durch Kirchenbücher wollten … wieder eingeführt. Pastor Lucassen versah den Kirchendienst 1858–66; dann folgte J. M. Ny- 1795–1815 Franzosenzeit huis, Sohn des ersten Pfarrers; er wirkte als Als dann 1795 die Franzosen als Revolutions- Konsistorialrat und Kreisschulinspektor vor- truppen in Neuenhaus einrückten und den bildlich in seinem Bezirk, trat für den Bau der Freiheitsbaum aufstellten, Gewerbefreiheit Längsbahn ein und hat als Schriftsteller und und Ablösung der bäuerlichen Lasten ver- Herausgeber einer Zeitungsbeilage und der sprachen, sah man sie nicht ungern kommen. Reformierten Monatsschrift zur Erwachsenen- Bald aber konnten die Schulten von Kalle und bildung beigetragen. Tinholt ihren neuen Pflichten kaum noch Eine Zählung, 1821, ergab für Kalle 21 nachkommen, für die Steuer- und Rekruten- Feuerstellen und 152 Einwohner, für Tinholt listen die Unterlagen bereitzustellen. Das 25 Feuerstellen, 26 Höfe, 135 Einwohner. Ar - französische Kataster fand immer neue Steu- mut und Arbeitslage, hoher Grundwasserstand erquellen, wie Fußböden, Fenster, Türflächen, und offene Brunnen, dürftige Haushalts- Obstbäume; die Rekrutenlisten füllten sich mit führung und einseitige Kost waren Ursache Namen von Jungbauern, die man einzog, in unbefriedigender Gesundheitsverhältnisse. fernen Garnisonen ausbildete und in der gro- Zahl reiche Menschen starben im jugendlichen ßen Armee zum Ruhme Frankreichs kämpfen Alter an „Utteeringe“, der Schwindsucht. Stu- ließ. Andere traten in das Bentheimer Batail- dierte Ärzte gab es nur wenig. Bei weiten und lon ein und kämpften gegen Napoleon auf schlechten Wegen kamen sie selten in abgele- belgischen Schlachtfeldern. Eine Verlustliste gene Dörfer. Die Apotheke in Neuenhaus war 1815 nennt Evert Bangeler aus Kalle, gestor- zu weit entfernt. Erst 1830 erhielt auch Em- ben am 1. Juni in Antwerpen. Der Ausbau des lichheim eine Apotheke. Straßennetzes für schnelle Truppenbewegun- gen gehörte zu den vordringlichen Aufgaben; Schankwirtschaften 1828 die Kaller und Tinholter sahen, wie die Fran- Im gleichen Jahr erhielt Vogt Brüna die An- zosen Anstalten trafen, einen kürzeren Weg weisung, die Schenkwirtschaften im Gericht zwischen Neuenhaus und Emlichheim über Emlichheim zu registrieren. Sie hatten durch Kalle und Tinholt als Heerstraße auszubauen. die ständig zunehmende Zahl der Holland- Der Name Franzosendiek blieb in Erinnerung; gänger genügenden Zuspruch. Die Wirtschaft erst 150 Jahre später als Vechtetalstraße mit Bingeler in Kalle bestand erst seit 1828 und Asphaltdecke vollendet. schenkte ½ Anker aus, Schröer in Kalle, seit

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1822 bestehend, verschenkte 1½ Anker. In Tinholt bestanden ebenfalls zwei Schenkwirt- schaften, Hilbrink, seit 1828, und Sentkers, beide mit je 3 Ankern Umsatz. Die Heuerleute Sentker betrieben den Ausschank schon seit längerer Zeit. Bingeler (jetzt Berends) – ver- schenkt ½ Anker, gegründet 1828 …

Aus Bentheimer Heimatkalender 1936 Seite 82 f. Das Eindringen der Franzosen in die Graf- schaft brachte im ersten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts das Ende der Zünfte. Nun- mehr durfte jeder Bürger oder Bauer das ihm angenehme Handwerk ausüben, ja deren zwei, drei und mehr gleichzeitig be- treiben. Kein Beruf erfreute sich damals eines lebhafteren Zuspruchs als der des Schenkwirts. Meist brachte er gute und teils Haus Heckmann etwa 1942, Frau Steiniger mit mühelose Gewinne, der Wirt sah vergnüg- Nichte Gesiene Heckmann. (Dini Wortelen) liche Leute um sich, hörte viel, und das Ge- bauern. 1866 preußisch geworden, gehörte die werbe verhalf nicht selten zu Einfluss in der Grafschaft zum Großkreis Lingen, der bis Gemeinde und im öffentlichen Leben. Um 1885 bestand. Dann löste man den Kreis Graf- eine Übersicht darüber zu haben, wie viel schaft Bentheim mit den Ämtern Bentheim Leute im Bentheimischen das viel begehrte und Neuenhaus vom Großkreis ab; als Kreis- Nass ausschenkten, erging im Jahre 1830 stadt wählte man Bentheim. Es gab seit 1871 eine Anweisung zur Inventarisierung der ein Deutsches Reich mit neuen dekadischen Schenken. Unter Kalle findet man folgende Münzen, Maßen und Gewichten; der Land- Angaben: Bd. Schröör (später Heckmann, briefträger kam in die Dörfer und brachte jetzt Prinsen) – verschenkt 1½ Anker, ge- Briefe und Postkarten mit einer 10- oder 5- gründet 1822 Pfennig-Freimarke versehen. Der Telegraph Da die Schenken unmittelbar an dem Wege vermittelte Telegramme; um die Jahrhundert- von Veldhausen über Tinholt nach Emlich- wende erlaubte der Fernsprecher Orts- und heim belegen sind und dieser Weg von Ferngespräche. Landrat Kriege, 1886–1920, Frachtwagen bei trockener Zeit viel ge- setzte sich für Melioration (Entwässerung), braucht wird, so ist die Fortdauer der Schen- Schul- und Wegebau ein. Die Schulchronik ken nicht unerforderlich. berichtet vom Schulbau 1858; 80 Jahre später, 1938, entstand ein neues zweckmäßigeres Markenteilung 1864 –1881 Schulhaus. Lehrer J. H. Bleumer schrieb einen 1864–81 nahm man die Teilung der Mark vor, humorvollen Bericht ,.Up mien Besseva sien bei der man 1357 ha unter 89 Teiler aufteilte. Hoff": Die tief in der Heimat wurzelnde Cha- Die Mark bestand aus 318 ha Angerland, 621 raktererhaltung der Bewohner, die Mit- und ha Heide, 251 ha Suddenboden und 165 ha Umwelt spiegeln sich darin (siehe Seite 97). Moorboden. Da um diese Zeit auch der Mine- raldünger aufkam, ließen sich die neu gewon- Verkehrsverhältnisse 1870–1930 nenen Flächen in ertragreiches Kulturland Die Not auf dem Lande trieb manchen zur umwandeln. 1859 gab es in Kalle 15 Voller- Auswanderung: aus Kalle H. J. Scholten, aus ben, 2 Halberben, 2 Kötter, 8 Neubauern, in Tinholt Jan Mischkotte, Hermina Kaalmink, Tinholt 15 Vollerben, 4 Halberben, 12 Neu- Gese Becken, Susanne Klostermann. Die Bin-

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Haus von Loeks–Hessels (jetzt Baumann), 1956/57 abgebrochen (Dini Wortelen) dungen an die Heimat blieben erhalten und Emslandplan 1951 wurden gepflegt; mancher Auswanderer kehrte Das Staatsgebiet Kalle–Tinholt mit mehr als 500 nach Jahren gern zum Besuch in das Heimat- Hektar hat nach dem Zweiten Weltkrieg das dorf zurück. 1870 ersetzte eine Holzbrücke Wasserwirtschaftsamt Meppen zur Vechte und den bisherigen Fährverkehr; aber diese Brücke zur Radewijkerbecke entwässert. Als 1951 der entsprach nicht den Erwartungen. Nicht alle Emslandplan anlief, hielt die Technik ihren Ein- Bauern wollten sich an den Kosten beteiligen; zug in die Vechteufergemeinden. Die Moor- der Holzbelag war bald abgenutzt und die administration setzte Großmaschinen ein, Stützen boten bald nicht mehr die nötige Si- Tiefkuhlpflüge, Erdhobel, Scheibeneggen, Erd- cherheit. Der Übergang zum rechten Vechteu- schaufeln und Walzen, von 128 Arbeitskräften fer, dem Verkehrsufer, gewann an Bedeutung, bedient. Die Moorflächen mit Torfschichten bis als 1890 die Heerstraße über Hoogstede be- zu 50 cm Dicke forderten, die Pflüge so einzu- steint wurde und 1906 Haltestellen der Bent- stellen, dass die unterlagernden Sande mit heimer Eisenbahn in Berge und Hoogstede ergriffen werden, um so eine günstige Misch- entstanden. Kalle und Tinholt blieben weiter kulturschicht zu erhalten. Drei Hauptvorfluter in Abseitslage. mit anschließendem Grabennetz dienen der Seit 1903 diente die landwirtschaftliche Entwässerung. Die Gräben, parallel und gradli- Winterschule in Neuenhaus dem bäuerlichen nig mit 200 bis 300 Meter Abstand verlaufend, Nachwuchs als Schulungsstätte. Nach dem sind mit Stauen versehen, die einen günstigen Ersten Weltkrieg sollte das Reichssiedlungs- Grundwasserstand auch in trockenen Perioden gesetz 1919 Raum für vertriebene Bauern sichern. Nachdem die Flächen eingeebnet und schaffen. In der Folge enteignete der Staat Öd- mit Mineraldünger und Kalk versehen waren, landflächen, um sie als Siedlungsstellen vor- nahm man die Einsaat vor, bei geringeren zubereiten. Landrat Böninger, 1920–31, setzte Böden mit Lupinen, bei besseren Böden mit die Kulturarbeit seines Vorgängers Kriege fort, Roggen, Hafer oder Kartoffeln. Auch bei Grün- förderte die Meliorierung der Böden, den Bau landflächen erwies sich eine vorherige Einsaat von Verkehrswegen und verschaffte den Ge- als günstig, um die Bodengare zu fördern. meinden durch Verträge mit der RWE den Ein Netz von Wirtschaftswegen in Abstän- elektrischen Strom als Energiequelle. den von 800 Meter gewährleistet den Zugang

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zu den Kulturflächen; an rechtwinklig abzwei- In beiden Gemeinden besteht ein gutnach- genden Betonwegen liegen die Gehöfte der barliches Zusammengehörigkeitsgefühl. In Tin- Siedler. So wuchs aus einstigem trostlosen Öd- holt werden auf Gesellschaftsabenden geselliges land eine geplante Streusiedlung hervor, bei Leben und Tradition gepflegt. der die Hofstätte vom zugehörenden Kultur- land umgeben ist und so ohne lange Zufahrt Übersicht 1950 erreicht werden kann. 1954 konnten die ersten Im Sammelband Landkreis Grafschaft Bent- acht Vollerben mit je 15 ha Kulturland besetzt heim werden für 1950 folgende Daten gege- werden. Forstflächen und Windschutzstreifen ben: von den 1119 ha Gemeindefläche Kalle schufen eine neue Landschaft, die mit den waren 584 LN (landwirtschaftliche Nutzflä- Schutzgehölzen um das Haus der Flur das Aus- chen) mit einem Einheitswert von 696 Mark sehen einer Kulturparklandschaft geben. je Hektar, in Tinholt von 823 ha Fläche 587 ha LN mit einem Einheitswert von 756 Mark. Straßenbau 1950er Jahre Die Bewohner waren in Kalle mit 81 Prozent, Den Anschluss an das Kreisstraßennetz brachte in Tinholt mit 83 Prozent in der Landwirt- im Jahre 1956 die Querverbindung Wilsum- schaft beschäftigt, in Industrie und Handwerk Hoogstede, deren Bau eine Sandauffuhr bis zu waren in beiden Orten je sieben Prozent, in zwei Metern erforderte. Die nach Norden ver- Handel und Verkehr je vier Prozent beschäf- längerte Vechtetalstraße schuf eine schnelle Ver- tigt. Die LN bestand in Kalle zu 30 Prozent aus bindung nach den zentralen Orten Neuenhaus Ackerland, zu 69 Prozent aus Grünland, in und Emlichheim. Damit nahm der Plan der Tinholt zu 24 Prozent aus Ackerland und zu Franzosen 1813 (Franzosendiek) Gestalt an. Die 75 Prozent aus Grünland. Das Ackerland Nachteile der bisherigen Abseitslage schwan- nutzte man zu 65 Prozent mit Getreideanbau, den. Mit den Straßen kam die Landkraftpost und zumeist Roggen, zu 30 Prozent mit Hack- verbesserte den Nachrichtenverkehr. Beton- früchten. Die ausgedehnten Grünlandflächen brücken ersetzten gefahrvolle Behelfsbrücken. erlauben einen beachtlichen Tierbestand. Die Der Wasserbeschaffungsverband Niedergraf- GVE (Großvieheinheit je 100 ha LN) ist für schaft sorgte für den Anschluss an die Trink- Kalle überdurchschnittlich mit 119 angegeben, wasserleitung. Das Wirtschaftsleben erhielt in für Tinholt mit 110. Beide Gemeinden sind dem bisher an Bodenschätzen armen Gebiet nach ihrer wirtschaftlichen Struktur reine durch Erdöl und Erdgas neuen Auftrieb. Die bäuerliche Gemeinden ohne größere gewerb- erste Bohrung geschah an der Gemeindegrenze liche Betriebe; in ihrem sozialen Gefüge über- Kalle-Tinholt. 1957 wurde das Gasfeld Kalle er- wiegen die Selbstständigen mit ihren mithel- schlossen. Das gewonnene Gas leitete man in fenden Familienmitgliedern … die Gasleitung von Adorf nach Frenswegen; das Erdöl nahm die Sammelstelle Bathorn auf. Quellen Bleumer, Up mien Besseva sien Hoff, Grafschafter 1956 Die Besiedlung verdichtete sich; 1962 gab Bode, Naturschutzgebiet Swartes Venn in Tinholt, es 16 Vollbauernstellen. Jan Jeurink gab eine Grafschafter 1959 Edel, Von der Herrlichkeit Emlichheim, Jahrbuch 1953 bevölkerungspolitische Studie über die Bauer- Emse, Wasserversorgung der Niedergrafschaft, schaft Kalle heraus. Unter den 49 landwirt- Heimatkalender 1951 Friedrich, Torfstichgerechtsame im Kirchspiel Uelsen, schaftlichen Betrieben gibt es zehn Stammfa- Grafschafter. 1959, Folge 75 milien und elf Pachthöfe; die meisten Bauern Friedrich, Porträt einer Landgemeinde, Grafschafter Nachrichten 1960 sind zugzogen. Der Altersaufbau, das Heiratsal- Frommeyer u. Lögters, Erpl u. Erdgas im Emsland, ter, Kinderreichtum, Sterbealter werden in Zah- Jahrbuch 1960 Jeurink, Kalle, Bevölkerungspolitische Studie, len angegeben. In der Gemeinde gab es keine Grafschafter Nachrichten 1941 Landflucht; die Bevölkerung ist vielmehr stark Klasink, Moorkultivierung, Grafschafter 1955, Folge 26 Sager, Die Grafschaft Bentheim in der Geschichte bodenständig geblieben. Dem wirtschaftlichen Specht, Heimatkunde eines Grenzkreises Aufstieg folgte das Anheben der Grundausrüs- Voort, Heberegister von Bentheim, Jahrbuch 1972 Der Landkreis Grafschaft Bentheim tung der Gemeinden. Zeitungsberichte der Grafschafter Nachrichten Weitere Angaben im Text

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Dini Wortelen

Betreiber: 1954 bis 1956 Jan-Hindrik Soer 1956 bis 1964 Arthur Reinhardt 1964 bis 1974 Hermann Smitderk seit 1974 Heinz Hesselink und Altine geb. Nöst

Bis 1976 wohnte Hermine Soer noch in die- sem Gebäude, danach lebte sie bis zu ihrem Tode bei ihrer Tochter Herta in Emlichheim. Um 1978 verkaufte Hermine Soer das gesamte Gebäude an Familie Hesselink. Hesselink haben 1984 zwei Kegelbahnen gebaut und 2002 den Laden geschlossen. Farbige Postkarte Kalle, etwa um 1970 (Dini Wortelen) Gasthaus Hesselink seit 1939 Gaststätte Hesselink in Kalle Herta Schreier geb. Soer aus Emlichheim (2007): Eigentümer: 1939–1978 Jan Hindrik Soer Im Jahre 1939 hat Jan Hindrik Soer mit seiner (gest. 3. 2. 1975) und Frau Hermine Frau Hermine ein kleines Lebensmittelge- (gest.18.11.1982). 1939 wurde ein Laden er- schäft in Kalle aufgemacht. Vorher hatte Soer richtet und ab 1954 gab es hier auch eine Gastwirtschaft Hesselink mit Kegelbahnen, Gaststätte. Kalle 2008 (Dini Wortelen)

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in Veldhausen und Haftenkamp seine Kund- für die Kunden ein Hochgenuss! Auch diese schaft mit Pferd und Wagen aufgesucht. 1939 Zeit hatte etwas Schönes! zog er mit Frau und drei Kindern nach Kalle, wo er im bescheidenen Haus sein Geschäft Unsere Flucht 1944/45 hatte. Es gab nicht viel zu kaufen: Imi, Soda quer durch Deutschland im Stück (zum Wäsche einweichen), Kandis, Von Hedwig Schepers geb. Liedtke Zucker, Hefe (im Stück), Erbsen, vielleicht Der 22. März 1945 war ein wohltuender, an- etwas Kaffee und Buismann zum Bräunen des genehm friedlicher Vorfrühlingstag in Kalle. Kaffees(!), Petroleum – das Fass durfte noch im Für uns, meinem Großvater (79 Jahre), mei- Laden stehen (aber nur für die ersten Jahre). ner Mutter (52 Jahre), meiner Schwester (22 Das Geschäft lief schlecht, die Bauern waren Jahre) und meinem kleinen Bruder (8 Jahre) Selbstversorger. Eingekauft wurde meistens mit und mir (18 Jahre) bedeutete er das Ende der Eiern, die in einem Korb mit Häcksel gebracht Flucht vom östlichsten Zipfel des untergehen- wurden. Öfters blieb etwas Eiergeld über, die- den Dritten Reiches in den äußersten westli- ses wurde dann ausgehändigt. chen Zipfel, die Grafschaft Bentheim. Dann kamen 1940/41 die Lebensmittelmar- Für uns alle bedeutete die Ankunft in Kalle ken. Jeder bekam eine bestimmte Zuteilung an die Ankunft in unserer zukünftigen Heimat Lebensmitteln. Ich erinnere mich noch, dass und ein neues Leben fern der Heimat Ost- einem Raucher 50 g. Tabak im Monat zugeteilt preußen, die wir am 20. Oktober 1944 verlas- wurde! So kam es, dass viele Raucher Tabak sen mussten. angepflanzt haben. Es war zwar verboten Wir waren keine Gutsbesitzer, sondern Tabak zu züchten, doch er wurde versteckt im wohnten als Familie eines Postschaffners in der Kornfeld aufgezogen, bis er geerntet wurde. Kreisstadt Gumbinnen in der Meelbeckstraße Dann wurden die unteren Blätter, die schon 20 zur Miete. Gumbinnen (heute Gusew), eine gelb waren, auf ein Band aufgereiht und ge- Garnisonsstadt, war bis dahin weitestgehend trocknet und dann ganz fein geschnitten. Ob von den Kriegsereignissen verschont geblieben. der geschmeckt hat? Mit dem Heranrücken der feindlichen Armee Samstagabends mussten die Lebensmittel- wurde auch Gumbinnen Ziel von Angriffen. marken sortiert und auf Papier geklebt werden. Da wir kein Papier, aber wohl alte Zeitungen Familienfoto Liedtke vor 1934. Hedwig Schepers geb. hatten, wurden die Marken mit angerührtem Liedtke, Mutter Auguste, Bruder Bruno (gef. 30. Juni 42 in Russland), Vater Karl und Schwester Lieselotte Mehl auf Zeitungen aufgepappt. (Woher den (Hedwig Schepers) Kleber nehmen?). Dann wurde dieses nach Em- lichheim zur Kontrolle gebracht. Oft waren die Marken abgefallen. Es war eine Tortour!! Inzwischen war das vierte Kind geboren. Damit wir alle satt wurden, hat Papa öfters ein paar Fische gefangen, die wurden gebraten und waren lecker! Papas Hobby waren die Bienen. Diese Bie- nenkörbe wurden im Sommer (bei Nacht) zur Heideblüte nach Wilsum gebracht. Im Herbst war dann die Ernte, Scheibenhonig erster Klasse und Vaters ganzer Stolz. Vor allen Din- gen brachte der Honig etwas „Bares“ (Geld)! 1954 wurde eine kleine Kneipe aufgemacht. Bier wurde nur in Flaschen verkauft und wenig getrunken. Dafür schmeckte der Pannenborg sche Fusel um so besser. „Dat kaule Söpie“ war

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August 1944 umquartiert Im Zug – ohne Ziel Diese Bedrohung führte dazu, dass bereits im Am 29. Januar 1945 kam der Bürgermeister August 1944 Frauen mit Kindern und alte von Schönfeld mit dem nächsten Räumungs- Leute umquartiert wurden. Meine Mutter, mein befehl. Wieder waren wir auf dem Bahnhof Opa und mein jüngerer Bruder kamen von und wurden in einen D-Zug verladen, ohne Gumbinnen ins 120 Kilometer westlicher ge- unser Ziel zu kennen. Der Zug fuhr – stand legene Heinrichsdorf am Frischen Haff auf und fuhr für mehr als eine Woche, die Ver- einem Bauernhof unter. pflegung bestand nur aus unserem Reisepro- Ich befand mich in der Ausbildung zur Bü- viant. Wir landeten schließlich in Lüdershagen rokauffrau bei einem Autoreparaturwerk und in Vorpommern. In der Schule des Ortes wur- Vulkanisierbetrieb mit Tankstelle und arbei- den wir mit warmen Essen versorgt und tete somit in einem „kriegswichtigen Betrieb“. schliefen auf Stroh. Nur einige konnten in So blieb ich zunächst allein zurück, jedoch einem richtigen Bett schlafen. Zu Fuß mussten konnten wir uns noch gegenseitig besuchen. wir dann weiter nach Beiershagen. In einem Am Montag, den 16. Oktober 1944, meine Behelfsheim erhielten wir ein Zimmer mit Mutter und mein kleiner Bruder waren zu doppelstöckigen Betten und einer Kochstelle Hause, um einige Sachen abzuholen, gab es auf dem Flur. Bis zum 18. März 1945 durften einen schweren Bombenangriff auf Gumbinnen. wir hier bleiben, dann erreichte uns der vierte Unser Haus wurde an einer Seite getroffen. Es Räumungsbefehl. Wieder waren wir im Zug, gab keinen Strom und kein Gas mehr. Dies und in Güterwaggons, ohne unser Ziel zu kennen. die weitere Bedrohung waren der Anlass dazu, Mit Unterbrechungen wegen Fliegeralarm dass am 20. Oktober 1944 der Räumungsbefehl und Beschuss durch Bordwaffen, kamen wir für die gesamte Bevölkerung Gumbinnens er- am 22. März 1945 ziemlich erschöpft und folgte. Damit begann unsere Flucht. hungrig an die Endstation Hoogstede. Sieben Wochen vor Kriegsende waren wir den Wirren 20. Oktober 1944 Erster Räumungsbefehl des Zweiten Weltkrieges den Umständen ent- Meine Mutter, mein kleiner Bruder und ich sprechend mit Glück und relativer körper- liefen zu Fuß in Richtung Bahnhof und wur- licher Unversehrtheit entronnen. den von einem Militärlaster eingesammelt und zum Bahnhof nach Insterburg mitgenom - Endstation Hoogstede 22. März 1945 men. Aus dem abfahrbereiten Zug riefen In Hoogstede wurden wir mit Essen, Brot mit Insassen uns zu, dass noch Platz sei. In Brauns - Butter und heißer Milch versorgt. Dann soll- berg (Ostpreußen) stiegen wir um in die „Haff- ten wir aufgeteilt werden. Wir wollten gerne uferbahn“ und erreichten noch am selben Tag zusammenbleiben; Mama, Opa, mein Bruder, Frauenburg. Hier verließen wir den Zug, um meine Schwester und ich. So kamen wir am nach neun Kilometern Fußmarsch nach Hein- späten Nachmittag dieses Tages nach fünf richsdorf zu meinem Opa zu kommen. Bis De- Monaten Flucht aus dem ostpreußischen zember 1944 konnten wir hier bleiben. Gum binnen an der Pissa auf den Hof der Fa- Der nächste Räumungsbefehl beorderte milie Schepers in Kalle an der Vechte, mit den uns nach Mühlhausen, von wo aus wir wenigen Habseligkeiten, die man während der mit dem Zug zur Bahnstation Virchow in Hin- letzten fünf Monate über verschiedene Statio- terpommern gelangten. Mit Pferdewagen wur- nen (immer blieb etwas zurück) mit den Hän- den die Flüchtlinge dort auf Bauernhöfen den tragen und retten konnte. verteilt. Wir kamen bei einem Bauern in Schönfeld unter. Auf dem Hof Schepers Weihnachten 1944 und den Jahreswechsel Auf dem Hof Schepers wurde für uns auf dem 1944/1945 konnten wir hier verbringen, Dachboden eine Schlafgelegenheit geschaffen. meine ältere Schwester kam im Januar aus Wir schliefen auf Stroh, das von notdürftig Königsberg zu uns. zusammengenagelten Brettern gehalten wurde,

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unter den nackten Dachziegeln. Lediglich mein Einkaufen, Schule und Kirche Großvater erhielt ein eisernes Bettgestell. Als Es war schon ein großer Unterschied, zwischen Wohn- und Kochgelegenheit diente das Wohn- der Kreisstadt Gumbinnen und der Landge- zimmer der Eheleute Gerhard und Johanna meinde Kalle. In Kalle gab es einen einzigen Schepers (geb. Breukelman). kleinen Laden, das Geschäft „Soer“ (heute Gast- Auf dem Hof Schepers lebten zu der Zeit stätte Hesselink) an der Wegekreuzung Hoog- sechs Personen. Ein russischer Kriegsgefange- stede-Wilsum. Um nach Hoogstede zu kommen, ner arbeitete in der Landwirtschaft mit. Die mussten wir entweder über den kleinen Vech- Kriegsgefangenen, die auf verschiedenen testeg nach Arkel oder über die Holzbrücke in Höfen tagsüber arbeiteten, waren in der alten Tinholt gehen. Es gab keine befestigten Wege Kaller Schule untergebracht. und nur teilweise elektrisches Licht. Auch die Durch Mithilfe bei den Arbeiten auf dem Umgangssprache „plattdeutsch“ war für uns Hof verdienten wir unsere Unterkunft und fremd und führte zu einigen „Verständigungs- Essen. Opa hackte Holz, Mama wusch Milch- schwierigkeiten“. kannen und Wäsche. Meine Schwester half Mein Bruder musste in Kalle zur Schule auch auf dem Hof und in der Küche im Ge- gehen. Lehrer war zu der Zeit ein Herr Koring fangenenlager Bathorn. und seine Tochter Marga war Schulhelferin. Erst nach Kriegsende fiel für ein halbes Jahr Hedwig, Mutter Auguste und Bruder Gerhard Liedtke vor dem Haus Schepers, um 1948. (Schepers) die Schule aus und begann am 28. August 1945 erneut unter der Lehrerin Ilse Hartmann. Frl. Hartmann war wie wir lutherisch. Sonn- tags gingen wir oft gemeinsam zu Fuß zu den Gottesdiensten, die in der reformierten Kirche in Hoogstede für „Lutheraner“ von Pastor Nit- sche gehalten wurden.

Haushalt, Landwirtschaft und Moor Ich selbst arbeitete nach kurzer Zeit als Haus- haltshilfe bei der Familie van Faaßen (Cousin der Familie Schepers) im Kaller Feld (heute Hof Hindrik Speet). Im Kaller Feld gab es kein elektrisches Licht und wie in ganz Kalle gab es nur Sandwege, Heide und Feuchtwiesen. Jeden Tag bin ich zu Fuß dorthin gegangen, mor- gens hin und abends zurück. Neben allgemei- ner Hausarbeit und Feldarbeit wurde im Frühsommer im Bathorner Moor Torf gesto- chen. Mit dem Fahrrad (ab und zu mit Pferd und Wagen) fuhren wir ins Moor. Als Verpfle- gung gab es Pfannkuchen, Eier, Brot und Speck. Der Weg führte über die Holzbrücke von Tinholt nach Hoogstede und dann über Sandwege bis ins Moor bei Bathorn. Langsam normalisierte sich das Leben und wir gewöhnten uns an unsere neue Heimat. Dazu gehörte, dass die provisorische Bleibe ausgebaut wurde und nach und nach Dinge des täglichen Bedarfs angeschafft wurden. Ein großer Verlust war der Tod meines Opas im

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Februar 1947. Ebenfalls 1947 heiratete meine 17. Herr Herbert Fleischmann und Herr Schwester ihren ostpreußischen Verlobten, der Werner Lorenz wohnten erst bei Bauer 1946 aus der Kriegsgefangenschaft zurück- G. J. Groene, danach in der alten Schule kam, in der reformierten Kirche in Hoogstede (Nachfolger von Ehepaar Neumann), und zog dann nach Osnabrück. Meine Mutter 18. Frau Lydia Hegenbarth wohnte bei und mein Bruder wohnten bis 1961 bei der H.-J. Groene, heute Arends Koppeldiek, Familie Schepers. Mein Bruder heiratete 1961 19. Frau Samuleit und Sohn Rudi und zog nach Hoogstede. Er nahm meine Mut- wohnten bei Heckhuis, ter mit, die bis zu ihrem Tod 1962 bei ihm lebte. 10. Frau Schwarz mit 2 Söhnen, danach Ehepaar Derjung mit Sohn, Tochter war 1950er Jahre bei Heckmann, anschließend Frau Vera Bis 1950 war ich bei der Familie van Faaßen Pilz aus Polen (gehörte zu den Jehovas im Haushalt, den ich nach dem Tod der Ehe- Zeugen), wohnten bei Speet, Bahne, frau und Mutter 1947 bis zu seiner erneuten 11. Frau Selma Nickel und Mann mit Sohn Heirat führte. Danach arbeitete ich im Kauf- Erwin und Tochter Erika haus Fühner in Emlichheim als Verkäuferin. Vor Nickel war eine Mutter mit Tochter Im Mai 1954 wurde ich die Ehefrau von Ger- Grete da, (Name ist unbekannt), wohnten rit Jan Schepers, dem jüngsten Sohn der Fa- bei Geers, Bahne (Erwin war lange Zeit milie Schepers, die uns nach der Flucht B-Soldat bei Geers), aufgenommen hatte. Unseren eigenen Haus- 12. Frau Helene Maurieschat und Tochter stand gründeten wir in unserem neuen Haus Maria (kamen 1945), wohnten bei Diet- ebenfalls in Kalle. Seitdem gehöre ich zur alt- rich Plasger. Die Tochter war schon bei reformierten Kirche in Hoogstede und habe ihrer Ankunft schwer an Krebs erkrankt einen festen Platz in meiner neuen Heimat ge- und starb nach sechs Wochen. Sie wurde funden. in Emlichheim beigesetzt. Später zog Helene zu ihren Töchtern ins Ruhrgebiet. Heimatvertriebene in Kalle nach 1945 13. Herr Willi Kesselhut Von Hedwig Schepers, Herbert Ensink wohnte bei Lübbers (heute Meyerink) und Dini Wortelen und war als B-Soldat eingesetzt. Später folgten seine Eltern Karl 1. Ehepaar Neumann aus Ostpreußen und Minna Kesselhut mit Sohn Erich. wohnten in der alten Schule mit Tochter Nach einigen Monaten zogen sie (verheiratet Gnass) mit Mann, Edith und in die Emlichheimer Weusten, Erwin, wo Minna als Haushälterin 2. Ehepaar Lendzian wohnten bei Lobbel bei Familie Koers arbeitete. 2 Söhne Walter und Otto wohnten 13. Familie Hoffmann in der neuen Schule, wohnte bei G.J. Groene, 3. Frau Anna Grotzky und Mann mit Sohn und 2 Söhne (Herbert und Friedel) Günter wohnten zuerst bei Wortelen in wohnten bei Jan-Harm Teunis. Bahne, dann bei Hermann Wortelen, Kalle, 14. Frau Rudat und Sohn (der Mann 4. Frau Hagel mit 3 Söhnen und 1 Tochter war bei der Regierung in Osnabrück wohnten bei Albers, heute Hof Baumann, beschäftigt) wohnten bei G.J. Groene. 5. Frau Anna Marksteiner und Rudolf Sie zogen 1947 nach Osnabrück. Pf(F)eiler wohnten bei Kleine-Lambers, 15. Frau Auguste Liedtke heute Hilberink, mit Sohn Gerhard 6. Frau Bleihöfer und Tochter Magda und 2 Töchter Lieselotte (Tochter – als Aushilfe bei und Hedwig (heute Schepers) Hermann Wortelen) wohnten und Opa Liedtke, bei Lübbers (heute Meyerink), wohnten bei Gerhard Schepers.

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Die Gründung Um 1950 wurde das Ödland kultiviert. Ein der Kaller Siedlung um 1950 Ottomeyer-Pflug pflügte den Boden bis zu Dini Wortelen zwei Meter tief um. Der Pflug wurde zwischen zwei Dampfmaschinen (Lokomotiven) mit Über fast die ganze spätere Kaller Siedlung er- einem Drahtseil von einem Ende des Feldes streckte sich bis 1950 eine öde Landschaft mit zum anderen gezogen. viel Heide und wildem Gras. Das Moor war 1950/51 legte man Wege und Entwässe- einen halben bis einen Meter tief und von ein- rungsgräben an. Ein- bis eineinhalb Meter zelnen gefährlichen Moorkuhlen durchzogen. Moor musste zuerst mit der Schaufel abge- Bis in die 1930er und 1940er Jahre kamen graben und auf Loren abtransportiert werden. Menschen aus den umliegenden Ortschaften Die Gräben wurden teils im Akkord ausgeho- Kalle, Tinholt, Wilsum und Haftenkamp hier- ben. Ein Teilstück wurde morgens abgesteckt; her, um Grassoden (Plaggen) zu stechen. Kin- wenn es fertig war, hatte man seinen Lohn der mussten die Soden umlegen, damit sie verdient. Eine Arbeitswoche zählte 48 Stunden. trockneten. Diese Soden wurden anstelle von Diese Arbeiten führten die Firmen Schneider, Stroh in die Viehställe eingebracht. Von dort Schoemaker und Holzmann aus. aus wanderten sie als Dünger auf den Acker, Es wurde bekannt, dass in Kalle neue Sied- die Esche oder Kämpe. Sie sind durch diese lerstellen errichtet werden sollten. Interessen- Art der Düngung im Laufe der Jahrhunderte ten konnten sich beim Kulturamt in Meppen immer höher geworden. bei einem Dr. Schulte melden und bewerben. In der späteren Kaller Siedlung weideten Der sah sich die „Bewerberhöfe“ an, was sie früher die Schafe der umliegenden Höfe in der an Vieh und Maschinen hatten, und ob sie für Heide unter Aufsicht der Schäfer. Einige Hei- die bereits errichteten Siedlerstellen geeignet deflächen waren das Koffiegat, das Teegat, das wären. Familie Voß erhielt am 22. Mai 1954, Plaggengat, Egbers Venne oder der Fettpott. genau am 50. Hochzeitstag der Eltern, eine Kleine Flächen dieses Gebietes gehörten Zusage. Sie zog am 17. Juni 1954 in ihr neues einzelnen Landwirten, der größte Teil war Haus ein. Markengrund (also allgemeiner Besitz der Ge- meinde) oder später Staatseigentum. Ottomeyerpflug (Aus „Alt-Hoogstede“)

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Der Hof Vos in der Kaller Siedlung um 1955/56 (Dini Wortelen)

1953 war schon eine ganze Reihe von tivierten Flächen waren schon mit Gras, Kar- Siedlerstellen fertig. Breman, Koschnik, Rob- toffeln und Getreide bestellt. Jeder Siedler bert, Roseman, Teunis und Wegert zogen 1953 bekam die gleiche Flächengröße von jeder ein. 1954 folgten sieben weitere Familien: Bag- Frucht zugeteilt. Die Siedler mussten vom Ein- gert (heute Magritz), Büter, Esschendal, Herms, zug an jedes Jahr einen kleinen Betrag an das Rex (heute Wehner), ter Horst und Voß. Kulturamt Meppen entrichten, sodass die 1955 kamen schließlich die Höfe Bergmann, Stelle im Laufe der Zeit Eigentum werden Dünow und van Faassen (heute Arends) und die konnte. Um 1961 wurden die Sandwege in der Kleinsiedlerstelle Wever (heute Germs) dazu. Kaller Siedlung zu Straßen ausgebaut. Wever arbeitete beim Kulturamt Meppen, das In der Kaller Siedlung entspringt der Ra- zu diesem Zeitpunkt eine Nebenstelle auf dem dewijker Bach, der die Siedlung entwässert. Er Hof von Hilse errichtet hatte, damals noch Jan- fließt durch Wilsum, und danach wei- sen. Dr. Schulte hatte hier auch sein Büro. ter durch Radewijk in den Niederlanden. Er Die Landwirte, die eine Zusage hatten, mündet in die Vechte. konnten in fertige Häuser einziehen. Die kul- Hof Büter in Kalle um 1960 mit sieben Getreidemieten (Günter Büter)

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Der Vechtesteg Kalle-Arkel (etwa 1946 bis 1961) Von Dini Wortelen

Früher – kaum jemand war damals motorisiert – ein Steg von Kalle nach Arkel führt; nicht aus Beton, sondern aus dicken Eichenbrettern. Hinüberzugehen glich mehr einem Klettern.

Der Steg bedeutete den Menschen viel, suchten sie am anderen Ufer der Vechte ihr Ziel. Hatte man Glück, gab es ein Fahrrad im Haus, sonst ging man zu Fuß in Klumpen hinaus.

Der Steg war nicht wirklich sehr breit. Man ging hintereinander, nicht zu zweit. Einseitig ’ne Latte – mehr gab es nicht, das reichte den meisten fürs Gleichgewicht. Oben und unten: Vechtesteg Kalle-Arkel, 1956 (Gerrit Ranft) Durch die Vechte verlief die Furt neben dem Steg für Pferdegespanne – ein beschwerlicher Weg. Fröhliche Kinder spielten sommers im Fluss. Heute fährt man kilometerweit mit dem Autobus.

Flussabwärts bei Bahne – von Arkel nicht weit, gab’s noch einen Steg; so sparte man Zeit, den Weg nach Arkel und Ringe zu geh’n. Nur leider war es sehr unbequem.

Vor fünfzig Jahren dann eine richtige Brücke für Kalle – bei Bahne schloss sich viel später die Lücke. Von vielen Radfahrern wird die dort benutzt; aber Autofahrer halten verdutzt. Hier heißt es für sie: Rückwärtsgang rein! Drüberfahren darf nicht sein! Neue Fahrradbrücke bei Bahne, seit 1999 (Jan Hindrik Teunis)

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Straßenbau Von Dini Wortelen

Wasserfreie Straße beantragt in 1931 Eingabe der Einwohner von Arkel „Wir Unterzeichneten haben im Winter über- aus schlechte Wegeverhältnisse. Bei einer geringen Überschwemmung steht unser Haupt- weg unter Wasser, und Arkel ist einer Insel gleich. Hier haben wir zur Zeit sieben schul- pflichtige Kinder, die dann oft wochenlang mit dem Fuhrwerk durchgefahren werden müssen. In Krankheitsfällen kann dann kaum ein Arzt Die Straße nach Arkel steht auch heute ab und zu nach hier kommen. Bei mäßigem Frost, wenn einmal unter Wasser (Johann Kemkers) das Eis nicht hält, und der Weg auch mit Alte Vechtetalstraße 1951/53 Führwerk nicht passiert werden kann, ist es 1951 plante der Kreis eine Straßenverbindung schon vorgekommen, daß Kinder auf dem von Emlichheim über Kalle und Tinholt nach Bahndam zur Taufe getragen wurden. Die El- Haftenkamp und Neuenhaus. Abschnittweise tern mussten sich also nicht nur der Strafe, wurden diese Arbeiten ausgeführt. Etwa zwei sondern auch der Gefahr aussetzen. Sollte in Kilometer wurden von Emlichheim aus über solcher Zeit eine Beerdigung stattfinden müs- Oeveringen ausgebaut. Ein Herr Pikkemaat sen, so wären wir in größter Ver-legenheit. An aus Nordhorn, der die Jagdpacht hatte, lieferte eine Milchlieferung an die Molkerei im Win- das Material, große Sandsteinbrocken, für den ter ist nicht zu denken. Auch hat der Handel Unterboden für die erste Befestigung. Die viel darunter zu leiden, da oft ein Viehtrans- Landwirte aus Kalle haben dieses Material port unmöglich ist und die Händler dann zu- verarbeitet. rück bleiben müssen. Selbst der Schornstein- Man hoffte, dass man mit weiterer Unter- feger hat das vorige Mal nicht fegen können, stützung des Kreises die Straße wenigstens bis weil der Weg nicht passierbar war. Ähnliche zur Ortsmitte von Kalle weiterbauen könne, Fälle könnten wir wohl viele anführen. Frü- um dadurch einen Anschluss an die geplante her konnten wir per Kahn Hoogstede errei- Straße von Wilsum nach Hoogstede zu be- chen, das ist jetzt unmöglich, da die Wiesen kommen. mit Stacheldraht durchzogen sind. Der Straßenbau Emlichheim–Kalle wurde Von seiten der Gemeinde ist schon viel zur erst 1953 wieder in Angriff genommen. Für Linderung der Not geschehen, aber es bleibt etwa zwei Kilometer wurden die erforderli- dieselbe Lage. Da wohl kaum ein Ort der gan- chen Mittel durch Darlehen bereitgestellt, so zen Grafschaft so schlechte Wegeverhältnisse dass die Straße Ende 1953 bis in die Nähe der hat, erlauben wir uns, eine wasserfreie Straße Schule ausgebaut war. 1954 wurde die Ver- zu beantragen. bindung Emlichheim–Kalle–Tinholt–Haften- kamp–Neuenhaus ganz fertig. Arkel, den 21. März 1931 gez. J. Jeurink, J. Scholten, Wilsumer Straße 1952–1957 G.J. Scholten, J.W. Warmer“ Die Straße Wilsum–Hoogstede ist 1952 bis nach Kalle gebaut worden, und zwar bis zur Aus einer „Denkschrift über die Verkehrsverhältnisse im Gaststätte Hesselink, damals Soer. Kreise Grafschaft Bentheim, herausgegeben vom Ausschuß Der weitere Verlauf musste nun erst für Verbesserung und Neuanlegung von Straßen und Wegen in der Grafschaft Bentheim“. beschlossen werden. Die Gemeinde Tinholt Als Manuskript gedruckt, Nordhorn, August 1931. wünschte die Weiterführung durch Tinholt, um in den Genuss einer Straße zu kommen und

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September 1955, vor der Vechtebrücke in Kalle (Willy Friedrich)

von dem kostspieligen Unterhalt der Vechte- Wasserwirtschaftsamtes Meppen, des Kreises brücke befreit zu werden. Bei diesem Plan und der Firma Holzmann, die Arbeiter und ergaben sich aber Schwierigkeiten. Das Kultur- Einwohner von Kalle und Tinholt hatten sich amt Meppen wünschte eine Weiterführung an der neuen Brücke eingefunden. Die Kinder gradlinig über den „Kaller Mäss“ in Richtung der Schulen Hoogstede und Kalle gaben mit Hoogstede, um dort die Verbindung mit der be- Liedern und Gedichten der Stunde einen fei- reits ausgebauten Betonstraße durch das Bour- erlichen Rahmen. tanger Moor zu erhalten. Noch hinderte der Sanddamm den Durch- Schwierigkeiten im Straßenbau ergaben sich gangsverkehr, noch war die Blinklichtanlage in Hoogstede mit der Bentheimer Eisenbahn. nicht fertiggestellt und der Bahnübergang Sie ließ keinen neuen Bahnübergang zu, so- nicht freigegeben; aber für die Gemeinde Kalle lange die Sicherheit nicht gewährleistet sei. Be- bildeten Brücke, Damm und Straße schon eine sichtigungen, Verhandlungen im Kreistag und wesentliche Verbesserung. Die Querverbin- mit der Bentheimer Eisenbahn lösten einander dung nach Hoogstede war geschaffen. Hoch- im Frühjahr 1955 ab. Die Weiterführung von wasser und Schlamm würden den Bewohnern Kalle in Richtung Hoogstede wurde beschlossen. keine Sorgen mehr bereiten wie vorher. Die Firma Holzmann bekam den Zuschlag. Im Frühjahr 1956 wurden die Arbeiten an In wenigen Monaten waren der Fahrdamm teil- der Betonstraße Wilsum–Hoogstede wieder weise bis zu drei oder vier Meter aufgefahren, aufgenommen. Der Sanddamm erhielt eine die Vechte im Bereich der Brücke reguliert Betondecke. Am 05. September 1956 war die sowie Brücke und die Betonstraße fertiggestellt. Straße fertig. Man rechnete mit einer schnel- Nur ein Sanddamm von etwa 800 Meter Länge len Freigabe der Querverbindung. Landkreis war noch nicht gepflastert, da sich der Boden und Kreis bahn wurden sich nicht einig über erst setzen musste. die Über- nahme der Kosten bei möglichen Am 16. Dezember 55 wurde die neue Brücke Verkehrsunfällen und einer eventuellen Be- dem Verkehr übergeben. Regierungspräsident schrankung, falls die Straße einmal eine Bun- N. Friemann zerschnitt das Band. Vertreter des desstraße würde.

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Einweihung Vechtebrücke Kalle 1955. Links dirigiert Lehrer Schlötel, rechts mit Hut Lehrer Friedrich Wüppen. (Willy Friedrich)

Die Bevölkerung wurde ungeduldig und Betrieb. Niemand erfuhr, warum das plötzlich überlegte schon, Maßnahmen zu ergreifen. möglich war. Ohne „feierliche“ Übergabe Das „heikle“ Problem der Bahnkreuzung löste wurde die Straße freigegeben. In den Monaten sich überraschend: Am 12. Februar 1957 zuvor hatten die Kaller schon die Straße und setzte die Kreisbahn die Blinklichtanlage in den Bahnübergang beim Hof Stroot benutzt.

Abbildung 50 September 1955 beim Bau der Regierungspräsident N. Friemann zerschnitt neuen Brücke in Kalle (Willy Friedrich) das Band. (Willy Friedrich)

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Franzosendiek 1965–1966 Ufer. Gewaltige Wassermassen drangen von Im Sommer 1965 wurde ein Teilstück des Neuenhaus und Esche nordwärts. Am 6. De- Franzosendieks von Emlichheim bis Kalle zember 1960 brachen die Dämme in Tinholt. (Hein Wortelen) bereits fertiggestellt. Im Jahr Unaufhaltsam drängten die Fluten vorwärts. 1966 sind die Mittel für den zweiten Bau- Am 8. Dezember 60 brach auch in Kalle der abschnitt bewilligt und der Firma Kwade, Damm. Die Straße unterhalb der Schule in Groß-Ringe, die Arbeiten übertragen worden. Richtung Emlichheim stand unter Wasser. Nur Schwierigkeiten bot die Kreuzung mit der Be- wenige Kinder kamen morgens zur Schule. Ei- tonstraße Hoogstede–Wilsum. Man dachte zu- nige mussten sofort wieder zurückgeschickt erst an eine Über- oder Unterführung, nahm werden, damit sie nicht durch die Wassermas- davon jedoch wieder Abstand. Es entstand nun sen von zu Hause abgeschnitten würden. Leh- eine „übersichtliche, geräumige Kreuzung“. Bis rer und Kinder beteiligten sich am Aufwerfen zum Jahresende 1966 war die Straße als Pflas- von Dämmen. Vormittags konnte die Flut ge- tersteinstraße fertiggestellt. An der Kreuzung hemmt werden, nachmittags brachen die neuen hat es in den späteren Jahren viele Todesop- Dämme und das Wasser drang weiter vor. Die fer gegeben. Sie war bekannt als „Todeskreu- Häuser lagen wie Inseln im Wasser und muss- zung“. Erst der vor wenigen Jahren gebaute ten einzeln durch Dämme geschützt werden. Kreisverkehr hat hier Abhilfe geschaffen. Zum Glück setzte gutes Wetter ein, sodass die Fluten anschließend rasch wieder abzogen. Hochwasser 1960/61 Mit solch einer Hochwasserkatastrophe hatte Im Dezember 1960 gab es eine allgemeine niemand gerechnet. Kartoffelmieten und Rog- Hochwasserkatastrophe. Nach der großen gendiemen waren in der Nähe der Häuser an Dürre im Sommer 1959 und dem Wasserman- niedrigen Stellen errichtet. Der Schaden war gel im Frühjahr 1960 glaubten viele nicht umso größer. „Doar häw moal weer good mehr an ein Hochwasser. Die letzte Hochwas- Leergäld gewen“, seggt de Buren, „up`t anner serkatastrophe von 1946 war nur noch weni- Joar weet wij wall wär, woor wij unse Mieten gen in Erinnerung. maaken mött!!“ Durch heftige Regenfälle stieg das Grund- wasser schnell, die Vechte erhielt rasch große Wassermengen zugeführt und trat über ihre Hochwasser in Tinholt 1962, Milchkannen- transport (Dini Wortelen)

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Vechteregulierung 1961–1963 Die Arbeiten nahmen den ganzen Herbst Die Kreisverwaltung nahm danach die Vech- in Anspruch. Die Vechtewiesen boten keinen teregulierung in Angriff. Die Hochwasserka- schönen Anblick, Lastwagen und große Sand- tastrophe im Frühjahr 1961 hatte gezeigt, dass haufen bedeckten das Gelände, viele Natur- eine vollständige Regulierung unbedingt erfor - schönheiten verschwanden. Gerade der Raum derlich war. Da im Raume Emlichheim einige Arkel war vorher landschaftlich ein besonders Landwirte Probleme hatten mit der Landabga - ruhiges, anmutiges und vom Wild geliebtes be, wurde der Abschnitt Kalle zuerst reguliert. Fleckchen. Mit dem Brückenbau im Zuge der Beton- Die kleine „Notbrücke“ – eine Verbindung straße nach Wilsum war bereits 1956 ein klei- von Arkel nach Kalle (siehe unter „Arkel“ ner Abschnitt der Vechte an beiden Seiten der „Vechtesteg“, Seite 74) – musste verschwin- neuen Brücke fertiggestellt. Im Juli 1961 lie- den. Als Entschädigung erhielt Arkel eine fen die Arbeiten an. Für Kalle und Arkel be- Straße an der Ostseite der Vechte und damit stand nun die Möglichkeit, die Wege in eine sichere Verbindung zur Betonstraße und Ordnung zu bringen. Pausenlos fuhren die den Ländereien in Kalle. Allerdings wurde die Lastwagen den ausgebaggerten Vechtesand Straße nicht zu einem Damm erhöht, um ein auf die umliegenden Wege und erhöhten sie Überfluten bei Hochwasser zu ermöglichen. teilweise bis zu einem Meter. Vor den Höfen Man befürchtete, das Flussbett könnte bei Groene, Baumann, Ellen (Neerken) und Evers- Hochwasser die Wassermengen nicht fassen. Lichtenborg wurde in Richtung Bahne ein Auch der Winter 1961/1962 war sehr nass. Deich errichtet, so dass das Hochwasser diesen Mehrmals war die Grafschaft von Über- Vechteregulierung Bauern und ganz Kalle nicht mehr gefährlich schwemmungen bedroht. Kalle hatte nichts 1961 (Hilde Neuwinger) werden konnte. mehr zu befürchten. Die neuen Dämme hielten dem Wasser stand, die Höfe waren sicher. Für die betreffenden Bauern gab es erstmals ein Gefühl von Geborgenheit. Nur Tinholt hatte noch einmal unter Hoch- wasser zu leiden. 1962 sollte der Abschnitt von der Gemeindegrenze Tinholt flussabwärts bis zur Betonbrücke in Kalle reguliert werden. Der Straßenbau entlang der Vechte (nach Arkel) verzögerte sich durch das Hochwasser und eine anschließende Frostperiode. Mit dem Beginn des Frühjahrs wurden die Arbeiten rasch in Angriff genommen und die Straße im Laufe des Monats März fertigge- stellt. Die Straße wurde den Arkelern bis ans Haus gelegt. Nun waren sie glücklich und zu- frieden, nun lohnte sich sogar ein PKW. Die Vechteregulierung ging 1962 weiter. Der Bauabschnitt reichte von der neuen Vech- tebrücke in Hoogstede-Kalle bis zur Grenze von Tinholt und Scheerhorn. Das wichtigste Problem war der Raum an der alten Brücke nach Tinholt. Man plante den neuen Verlauf der Vechte in Richtung „Fährmann“ (Meßdag). Das Wohnhaus sollte verschwinden, man wollte Meßdag im Tinholterfeld ansiedeln. Die Verhandlungen führten zu keinem Erfolg.

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Man verbreiterte nun das Flussbett nach der Die Tinholter Brücke in 1963 (Willy Friedrich) Hoogsteder Seite, sodass Landwirt Weuste noch näher an die Vechte kam. Es wurde ihm sperrt, viele Autos steckten im Schnee fest. zugesichert, das Ufer so zu erhöhen und zu Bauunternehmer wurden aufgefordert, mit festigen, dass keine Überschwemmung mehr Raupen die Straßen zu räumen. Das gelang möglich sei. aber nicht überall, da immer neue Schneever- Die alte Vechtebrücke in Tinholt war bau- wehungen einsetzten. „Dit is nen düüren Win- fällig. Im Zuge der Vechteregulierung entstand ter, nen richtigen aulerwetschen Winter,“ eine neue Brücke, deren Bau man noch im hörte man die Leute klagen. Jahre 1962 in Angriff nahm. Sie sollte vom Mit dem frühen Beginn des Winters musste Landkreis unterhalten werden. Darüber freute die Firma Diekel aus Bentheim die Arbeiten sich die Gemeinde Tinholt. einstellen. Sie ruhten bis Mitte März 1963. Die Vechtelandschaft bekam durch die Re- gulierung ein neues Gesicht, da auch gleich- zeitig die Zubringer und Gräben reguliert wurden (Lee und Brennergraben). Die Natur- schönheiten in Arkel und dem „Mäss“ in Kalle-Tinholt verschwanden. Das Gelände wurde abgeholzt. Gerade diese Flecken waren vorher kleine „Oasen“ im Wildgebiet. Der Winter brachte allgemein große Über- raschungen und Schwierigkeiten. Mitte De- zember setzte strenger Frost ein und dauerte bis Anfang März. Während dieser Zeit lag un- unterbrochen Schnee. Es gab ungekannte Schneeverwehungen. Sylvester 1963 waren sämtliche Straßen der Niedergrafschaft ge-

Vor der Regulierung auf dem Kaller Mäss: Hilda Kelder geb. Teunis, Jan-Harm Teunis und Gerda Lambers geb. Teunis (Jan Hindrik Teunis)

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Erdgas in Kalle 1957 Erdgasspeicher in Kalle Aus der Chronik der Schule Etwa 2100 Meter unter der Oberfläche von „Erdölbohrung in Kalle!“ – das war die „Neu- Hoogstede-Kalle liegt eine etwa sechzehn jahrsüberraschung“ zu Beginn des Jahres Meter mächtige, poröse Sandsteinschicht. Die 1957. In der Nähe von Landwirt Bonge er- Poren in dieser Schicht sind mit Salzwasser richtete man den ersten Bohrturm. Anfang gefüllt und eignen sich hervorragend, um Erd- 1958 wurde zwar kein Erdöl, dafür aber Erd- gas zu speichern. gas gefunden. Für Kalle war das ein großes Über Stahlleitungen mit einem Durchmes- Erlebnis. Das Gas wurde zunächst angezün- ser von sechzig Zentimetern wird Erdgas aus det. Eine mächtige Flamme erleuchtete Tag Norwegen bis nach Kalle geleitet. Durch große Bau der Erdgasleitung und Nacht die nähere Umgebung. Im Laufe Kompressoren, mit einer Antriebsleistung von Kalle–Ochtrup, 1978 des Sommers baute man eine Gasleitung von 17.800 PS, wird das Erdgas mit hohem Druck (Willy Friedrich) Kalle zum Bohrturm am Bathorner Diek. in die Sandsteinschicht gepresst. Dadurch wird das Salzwasser aus den Poren verdrängt. 620 Millionen Kubikmeter Erdgas werden so sicher unterirdisch gespeichert. In einer Stunde kann die Anlage 250.000 Kubikmeter Erdgas ein- und 450.000 Kubik- meter ausspeichern. Mehr als eine Million Haushalte und große Industriebetriebe, über- wiegend in Nordrhein Westfalen, werden aus Kalle mit Erdgas versorgt. Der Speicher Kalle ist seit 1978 in Betrieb. Elf Mitarbeiter aus der unmittelbaren Umge- bung haben hier einen sicheren Arbeitsplatz.

Luftbild Erdgasspeicher Kalle, Frühjahr 2007, Blickrich- tung Emlichheim (RWE)

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Bürgermeister 1948/49–1952 Jan Evers der Gemeinde Kalle 1917–1974 *18.01.1901 Kleinringe – Von Dini Wortelen †17.02.1998 Kalle, verheiratet mit Jakoba geb. Trüün Bürgermeister war in 1917 Jan Brünink *28.09.1856 Emlichheim – †20.01.1929 Bürgermeister Jan Evers Bahne und Ehefrau Hillegien geb. Poll. (Dini Wortelen)

1952–1974 Johann Schroven *04.08.1912 Kalle – 07.06.1983 Kalle, verheiratet mit Altien geb. Kemken

1974 erfolgte die Gemeindere- form. Die bis dahin selbstständi- gen Orte Kalle, Tinholt, Berge und Scheerhorn wurden jetzt mit Hoog- Bürgermeister Jan Brünink und Hillegien geb. Poll, stede in der neuen politischen um 1920 (Dini Wortelen) Gemeinde Hoogstede zusammen- Bürgermeister Johann Schroven 1945 Gerd Ensink (genannt Weermann) gefasst. (Dini Wortelen) (Laut Grafschafter Heimatkalender von 1926 war er bereits zu der Zeit als Bürgermeister im Amt tätig) *15.08.1887 Kalle – †02.06.1947 Kalle und Ehefrau Jennegien geb. Hans

Zeichnung Haus Evers (Toomsen) von Rudolf Oppel, Eigentum Familie Toomsen, Kalle (Dini Wortelen) In diesem Haus wohnte zuletzt Familie Lich- tenborg, die ca. 1963 ausgezogen ist. Seitdem steht das Haus leer und wird von Familie Toomsen als Wirtschaftsgebäude genutzt. Bürgermeister Geert Ensink (1887–1947) Der ehemalige Bürgermeister Jan Evers und seine Ehefrau Jennegien, geb. Hans (1989–1976) wohnte seit seiner Hochzeit nebenan in dem (Geert Ensink, Kalle) unten abgebildeten Haus. Er hat es von sei- 1945–1948/49 nem Onkel (ebenfalls ein Jan Evers) geerbt. Es Hermann Wortelen wurde später mehrfach vermietet. *16.01.1901 Bahne – †18.03.1985 Bahne verheiratet mit Gesina geb. Züter

Haus Jan Evers, jetzt Toomsen Kalle, Bürgermeister Hermann um 1925 Wortelen (Dini Wortelen) (Hilde Neuwinger)

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Kaller Gemeinderat 1950/51 beim Bürger- meister Jan Evers Von links: Wilhelm Speet, Heinrich Pikke- maat (Jagdpächter in Kalle), Gerhard Brüning (genannt Büscher), Johann Scholten, Arkel; Heinrich Rakers, Hein Wortelen, Hindrik-Jan Groene, Bernd Schlee (stehend) Jagdaufseher, Kollege von Pikkemaat (Dini Wortelen)

Haus Jan ter Veen Damals galt: Alles was bis zu zehn Qua- Von Dini Wortelen dratmeter Fläche gebaut wurde, brauchte nicht genehmigt zu werden. Später hat ter Fast über Nacht oder jedenfalls ganz kurzfristig Veen den größeren Wirtschaftsteil angebaut. hat Jan ter Veen sich um 1950 ein kleines Hierfür hat er die Dachziegel der alten Kaller Haus von zwei mal fünf Metern auf soge- Schule benutzt. Seine Frau Klasina war eine nanntes „Niemandsland“ (es gehörte dem geborene Heckhuis aus Kalle. Sie lebt seit ei- Staat) im Kaller Feld gebaut. Es stand nahe am nigen Jahren im Altenzentrum in Emlichheim. Haftenkamper Diek, etwa gegenüber von Fa- Der Niederländer Jan ter Veen ist am 25. Ok- milie Groene. tober 1994 in Neuenhaus verstorben. Er hat längere Zeit die Milchkannen der Landwirte mit Trecker und Wagen zur Hoogsteder Molkerei gefahren. Am 13. November 1972 wurde das Dach durch einen gewaltigen Sturm sehr beschä- digt, doch Jan ter Veen war bereits vorher nach Denekamp, direkt hinter der Grenze, ge- zogen. Im März 1973 wurde dieser „Schand- fleck“ in den Grafschafter Nachrichten auf- genommen, doch versehentlich unter Tinholt. Zwei Tage später folgte eine Berichtigung.

Haus von Jan ter Veen, Haftenkamper Diek, (Dini Wortelen)

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Gemeindefahrt und -fest In Kalle werden bereits zig Jahre Gemeinde- fahrten angeboten. Im Anfang waren sie für Jung und Alt bestimmt. Seit 1986/87 gibt es dann für die Jüngeren ein Kaller Gemein- defest in verschiedenen Maschinenhallen der Landwirte. Meistens hilft die umliegende Nachbarschaft beim Säubern, Schmücken und Bedienen beim Fest. Seit 2007 gibt es zusätzlich einen „Alten- nachmittag“ in der ehemaligen Kaller Schule für diejenigen, die nicht mehr an der Fahrt teilnehmen können.

Kaller Gemeindefahrt etwa 1968-70,hinten links: Jan und Kla- sina ter Veen, mitte links: Altien Schro- ven, vorne links: Mina Herms, rechts: Johann Schroven, daneben: Janna und Hindrik-Jan Groene (Dini Wortelen)

Altes Haus von Teunis. Hindrik-Jan Teunis, geboren am 21.07.1824 in Emlichheim, hat etwa 1850 die kleine Hofstelle von Weermann (heute Ensink) erworben. In einer Viehzählung aus dem Jahre 1707 heißt das Haus „Weermanns Schüre“. Von Süden gesehen stand sie direkt vor Weermann. Sie wurde im Jahre 1945 abgebrochen. (Jan Hindrik Teunis)

Wottel Harm vertelld Johann Kemkers in Veldhausen getauft als Kind der „Ackerleute Völkers zu Binnenborg“.) Spätestens ab 1885 Unter der Überschrift „Wottelharm ut Tinholt (Geburt des Kindes Hindrik Jan) wohnte Völ- vertelt“ kursier(t)en in Haftenkamp und Gölen- kers in Haftenkamp. kamp viele Erzählungen von dem Neubauern Völkers zeichnet seinen Erzähler Wottel- Geerd Völkers. Völkers wurde am 29. Au- harm als einfältigen Wichtigtuer, der mit sei- gust8.1850 in Arkel geboren. Nach der Trau- nen hilflosen Bemühungen um hochdeutsche ung mit Gese Assing aus Binnenborg am 24. Sprechweise zur komischen Figur gerät. Die- Mai 1883 zog er wohl zunächst dorthin (Die sen Erzähler nennt Völkers ausdrücklich und Tochter Swenne, geb. 2. August 1883, wurde immer wieder „Wottelharm ut Tinholt“. Das ist

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interessant, weil Völkers als Kaller (Arkeler) keek sik noch eenmal siene generals un feld- Kind sicher genau wusste, dass zu seiner Zeit webels an, door wöörd’t still. See venömmen keine Wottel (Wortel) in Tinholt wohnten, wal, dat de baas noch wat seggen wol en wohl aber in Kalle. Einen Harm Wortel hat es dachden, wat sal d’r nuw kummen? En wat sä hier allerdings nie gegeben. Durchaus mög- Moltke? „Wottelharm“, sä hee tegen mij, lich, dass die Zuordnung nach Tinholt anzu- „Wottelharm, nuw möt’t gebören!“ sehen ist als Ausdruck für Nickligkeiten, die früher gerne zwischen benachbarten Bauern- Wotelharm mak’t te slimm schaften „gepflegt“ wurden. Et was ‘nen heten dag. Undern in de Läägde Heinrich Hensen schreibt im „Bentheimer lag Sedan en wij rund ümto. Wat de Kron- Jahrbuch 1987“, Seite 243: „De meesten Groaf- prinz was, dee kwamp van de andre kante, en schuppers kennt, denk ik, de Geschichten van nuw hadde wij de franzmann in de kniepe. De „Wottelharm ut Tinholt“ wall, de Ludwig Sager Kronprinz kwamp de anrieden en rööp over soa moi vertäilt hef. He hef ja, as men hem de bekke – de Maas was iets breder as de glöwt, in 1870 met de aule Käiser tehoape de Vechte bij Tinholt – he rööp: „Is da volk?“ - Slacht bij Sedan wunnen, en soa Infloot up de „Zu befehl, Herr Kronprinz“, sä ik (de Hogen Geschichte van de Weäreld nömmen.“ mussen altied seggen: „Königliche Hoheit“, „hier ist Wottelharm!“ - „Gut, gut, mein Sohn“, Wottelharm un den Kriegsplan sä hee, „ihr müdt den vijand (ndl. Feind) an Dat was in’t joor söventig bij Sedan, s’mor- de andere kante festhalten“, sä hee, „seid gens froo was’t. Et denkt mij noch soa guud, drauf verdacht!“ - „Jawohl“, sä ik, „ik sweer’s as wan’t vandage of gistern geböörd was. Ik euch, Herr Kronprinz, der vijand kommt – was – joa, wu kwamp’t ok noch? - den dag mak starven, wenn er’s nicht tut – er kommmt ordonanz bij de oule Kaiser. Se höllen net ‘nen vandage tüschen zwei Stühle in die Asche!“ groten road, de Kaiser en wat sienen jungen En wij kregen em tüschen twee stöle. Ik lag was, de Kronprinz, en Moltke en de andern den dag orig wied noa vöörn. Van alle kanten hogen keerls. Ik hadde net ‘nen breef kregen wolln’n se noch weer uutnäjen ut de umzin- van miene Geese uut Tinholt, door höörde ik gelung. Ik schööt, joa, et was gin scheten se proaten. Moltke, wat recht de baas was, dee meer, et was möörden. Mien geweer was glö- sä hoast niks. En ik kun d’r ok gin woord tüs- nig, en rund üm mij to laggen de franzosen chen kriegen. De oule Kaiser höl net sien köp- in ere roaden buksen. Joa se laggen bij höepe. pien koffie in de hand en wörmde sik de Et wöörd mij freeslik vöör de oagen, men wat klammen finger, - joa hee beewde wal lük, hee sul’k – ik schööt alle men verdan, en anlestde was dreeunsöventig west -. Ik sä: „Herr Kai- kun over den barg van doaden nich meer ser“, sä ik, - de hogen sään altied van Majestät overto scheten. Sweet stünd mij up de plätte. – „laß ich Euch noch ein köppien einschen- Duw pakt mij ’ne frömde hand up de schulder. ken, das wörmt von binnen!“ Ik kik mij üm, en wel is’t ? De Kaiser. Vöör „Was meinst du von dem Kriegsplan schrik kun ik niks seggen. De Kaiser nömp heute?“ fröög mij de Kaiser, „Wottelharm, du sien’n sabel, wees up den barg van doaden en bist ja auch nicht unter `ne ule(Eule) ausge- sä tegen mij: „Wottelharm“, sä he, „man brod`t!“ Ik sä: „ Herr Kaiser“, sä ik, „ich sage: kann’s auch te slim maken!“ Duw bin’k uut- Liek uut en recht an! Das sagen se in Tinholt, schäidt, ik hadde ok ginne patronen meer. en da müßt Ihr euch an halten!“ - „Du hast geliek“, sä de Kaiser tegen mij. „Wottelharm, Bi’n Kaiser up Vesite ich muß dir geliek geven: Liek uut en recht Et was lange noa’n krieg. Ik hadde in Berlin te an.“ In’n rikketik hadden se nuw eren kriegs- doon. Door schööt mi’t in’t sin, dat de oule plan kloor. Bismarck gaf Roon de hand: „Auf Kaiser mij fake up vesite nöegt (eingeladen) ihn!“ sä hee. Alle stünnen se nuw van de toa- hadde. Nuw, vesite is völ gesegt, ik wil nich fel up. Moltke, de hoast gin woord segt hadde, legen, ik sul bij gelägenhäit es moal achter de

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döre hen kieken. Soa hadde hee segt. - Soa de Kaiser over de schulder, door stünd de Kai- schöot’t mij dan in de gedachten: Du wis de serin, ’n wit schuut vöör. oule Kaiser moal upsöken. Gedacht – gedoan! „Auguste“, rööp de Kaiser, „Wottelharm Ik kwamp an’t slot. Door stönd `nen posten, aus Tinholt schickt heute bei uns an die Tafel! dee sä: „Halt, wer da?“ - „Nuw“, sä ik, „sachte Schmeiß d’r noch ein Kotlet mehr in die an, kens du Wottelharm nich? Nä? Dan loat’t Panne!“ dij vanoavend van de Kaiser vertellen!“ Door stünd d’r ok al ‘ne ordonanz, ’nen Wottelharm pesserde wat leutnant, de fröög: „Sie wünschen?“ - „Ik sin Dat Kotlet bij Kaisers hadde best smaakt, en Wottelharm aus Tinholt in de Groafschup en wij güngen in’n goren. De Kaiser wol mij wul de Herr Kaiser sprechen“, sä ik, „er hat noch’n paar blöömpies föör miene Geese noa mich schon fake genötigt.“ „Eure Papiere!“ Tinholt metgeven. De wichter van de oule Wisse, miene papiere, dee had ik in ödder, en Kaiser, de prinzessen, kwammen achter uns door mus hee vöör stoan. an. See keken mij alltied van de siede an en Soadöenig wöörd ik meldt bij’n adjutan- glimlachden. Et wassen knappe wichter. ten, et güng van ene kamer in de andere. Ant- Bij’n mooj beet met roade blöömpies bleef lesde smeet hee ’ne grote flögeldöre lös, soa de Kaiser stoan en sä: „Wottelharm“, sä hee, groot as ’ne neendöre bij uns. Den adjutant „hier hast du was für deine Geese in Tinholt!“ möök meldung: „Majestät“, sä hee, „Wottel- Ik bükde mij en plükde ’n paar. Men door harm aus Tinholt zur Stelle“. En tegen mij: melde sik dat kotlet en den pudding en al dat „Majestät läßt bitten!“ fine wark in mien’n buuk, en et pesserde wat. Wat heb ik de oule man pleseer andoan Joa, joa, et pesserde wat, wat menslik is. met mien kummen! Hee kwamp up mij anlo- De Kaiser keek heel stief uut en meende: pen: „Wottelharm“, sä hee, „Wottelharm, daß „Wottelharm“, sä hee, „Wottelharm, das grum- du noch an mich denkst!“ En nuw güng’t an’t melde as die Kanonen bei Sedan!“ Men de froagen: „Weißt du noch von Sedan? Denkt prinzessen, dee schreewden en juuchden’t uut. dich das noch? As ik dich nicht gehabt hätte „Herr Kaiser“, sä ik, „Herr Kaiser, et is pes- – Moltke allein hätt’s auch nicht gekonnt! seert!“ - Men doorbij keek ik jümmer noch de Wottelharm“, sä hee, „wie ist`s in de Groaf- gammelnden wichter an: „Herr Kaiser, wat schup? Blööjt de Kartoffels al? Wie ist’s ins kan’m de kinder met `ne kläinigkäit doch ’ne Venne? Habt ihr den Torf aus die Kuhlen?“ masse pleseer maken!“ All’s woll hee wetten; joa, joa, hee proatde met mij net as’n gewoon mensche. - En up’t Aus „Die Gläserne Kutsche“, Seite 109–111 lesde – wij bäide was’n up’n gang an’t (L.Sager) wa’deln, hee klopde mij een up`t andere moal up de schulder - antlesde fröög hee mij: „Wot- telharm, hast du schon gegessen?“ Ik sä: „Nein, Herr Kaiser, mit all die drokte ist das dabei verbleven!“ - „Was“, sä de oule, gude man, „Wottelharm, du hast noch nicht geges- sen? Dann schick bei uns an!“ - „Herr Kaiser“, sä ik, „ich bin man `nen gewonen buur!“ - „Niks, niks“, sä hee, „bei Sedan warst du auch man ’nen gewonen Soldat, un du hast sicher nicht das minste getan! Du bleibst über Mit- tag bei uns!“ Soa proatde hee met mij, as wij net bij de kökken langs kwammen. De Kaiser smeet de döre lös – et röök door lekker van al de pannen en schöttels, dat seg ’k uw! Ik keek

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Bearbeitet von Harm Grüppe, Reinhard Middendorf, Berend-Jan Harms-Ensink, Heike Meier

Tinholt und Kalle bildeten einst eine geogra- tenhoffs, wo nach alter Überlieferung in frü- phische Einheit. Bereits 1312 überließ der heren Jahren Recht gesprochen wurde. Der Bentheimer Graf Johann das Holzgericht „im Bauernhof ist 1765 erbaut worden und war Tinholte" dem Burgmann Eylard van den zuletzt von der Familie Jüngerink bewohnt. Toer ne aus Uelsen. Tinholt gehört von alters Im Jahre 1956 wurde das 180 Morgen große her zum Kirchspiel Arkel (Hoogstede). Anwesen von der Stadt Nordhorn für 65.000 DM erworben. Im Jahre 1960 wurde einem Tinholt – uralte Vechtegemeinde Umsiedler aus Nordhorn (Familie Pley, Veld- mit Tradition hauser Straße) hier ein neues Gehöft mit 57 Morgen Land zur Verfügung gestellt. Der Nachteile einstiger Abseitslage Umzug erfolgte im Mai 1960. sind dahingeschwunden Auszug aus: Vechte Kurier, Anzeigen- und In- Im Holz an der Vechte formationsblatt der Emlichheimer Werbege- Tinholt zählte zu den zehn Gemeinden im meinschaft e.V., Ausgabe Mai 1978, S.1ff.: Holze, d.h., die zehnte Gemeinde die Anteil hatte, an den umfangreichen Waldungen, wel- Lehnsregister 1346–1364 che einst den Niederungsmooren in diesem Im Lehnregister des Grafen Otto 1346–64 wird Raum einen parkähnlichen Charakter gaben. der Ort Tinholt bereits mit aufgeführt. Es heißt Tinholt wird hier als zehnte „Tien holt" Ge- darin u: a.: „Dem Knappen Eylard van den meinde angenommen und gehört damit zu den Toerne (welcher 1319 Burgmann auf Bent- häufigen Orten, die den Namen dem Holz ent- heim war) überließ der Graf zu Dienstmanns- nehmen. Die Talsandlandschaft des linken recht die Holzgerichte zu Hilten, Gölenkamp, Vechteufers nördlich von Haftenkamp (im Uelsen und im Tinholte." Die 14 ältesten Ge- Raume Tinholt) ist gegenüber der rechten höfte der Gemeinde sind auf die uralten Orts- Uferzone in der wirtschaftlichen Entwicklung teile „Hundehoek“, „Grüppenhoek", „Schott- zunächst zurückgeblieben, weil die allgemeine hoek" und „Haidebölt" verteilt. tiefere Lage der westlichen Uferzone und der höhere Grundwasserstand lange Zeit vor einer Schüttenhof 1765 Besiedlung in diesem Gebiet abgeschreckt An der sich in vielen Windungen und Krüm- haben. Der Verkehr von Neuenhaus nach Em- mungen durch die Landschaft schlängelnden lichheim nahm seinen Weg am rechten Ufer Vechte wurde der Ort Tinholt vor mehreren der Vechta entlang, welches höher lag und Jahrhunderten gegründet. Viele von hohen, damit trockener und besser zu passieren war. alten und knorrigen Eichen umgebene Höfe Auf der Vechte, einstmals eine bedeutsame können auf eine Jahrhunderte alte Existenz Verkehrsader zwischen Nordhorn und den zurückblicken. Das älteste Haus der Gemeinde holländischen Hansestädten Kampen und stand auf dem Gelände des ehemaligen Schüt- Zwolle, fuhren flache Pünten und Schuten, die

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Postkarte der Tinholter Brücke um 1920 (Mini Büdden)

in der vorchristlichen Römerzeit einen regen als Naturreservat nicht wieder zu ersetzende Handel und Wandel auf dem windungsreichen Geländes um. Ein Gebiet mit einer wertvollen Fluss vollzogen. Damals entstanden hier die Flora und Fauna ging damit den Naturfreun- ersten Hofstellen. So hatte der Bischof von den und somit unserer Heimat für immer ver- Utrecht einst drei hörige Bauernerben in der loren. Dem Naturschutz wurden seinerzeit Tinholter Mark. Ihnen war es erlaubt, die Ei- noch zwei kleinere Flächen belassen, deren chelmast zu nutzen, sofern ein gutes Eichel- Größe etwa 9 Hektar (1,6 %) ausmachten. jahr war … Doch bei den in jüngster Zeit durchgeführten Flurbereinigungsmaßnahmen im Tinholter Enteignung 1937 Raum wurden auch diese Flächen erneut we- Das rund 570 Hektar große Tinholter Venn sentlich eingeengt … wurde im Jahre 1937 enteignet. Den alteinge- sessenen Bauern wurde bei dieser Aktion Straßenbau durch den ehemaligen preußischen Staat eine Im Jahre 1890 gab es die erste feste Straße in Abfindung gezahlt, die man wohl landläufig diesem Gebiet und zwar auf dem rechten als „Appel un Eij" bezeichnen möchte. Bis vor Vechteufer (Esche–Hoogstede), 1906 kam die etwa vier Jahrzehnten durften Ackerbürger Bahnstrecke der Bentheimer Eisenbahn von Uelsen und Umgebung, Höcklenkamp, ebenfalls auf dem rechten Vechteufer dazu. Bauerhausen, Gölenkamp, Haftenkamp, Har- Erst ein halbes Jahrhundert später rückte die dingen, Binnenborg, Hilten und Hardinghau- verkehrsmäßige Erschließung des Gebietes sen im Tinholter Venn ihren Torf stechen. Kalle-Tinholt mit dem Bau der Vechtetalstraße Allerdings nur in Form von so genannten von Hilten über Tinholt-Kalle bis nach „Hüllen", da das Moor hier nur eine Mächtig- ein gutes Stück näher. Den Anschluss an das keit von 20 bis 50 cm vorzuweisen hatte. Kreisstraßennetz brachte im Jahre 1956 die Ganze Scharen von „Hüllenstecher" zogen Querstraße von Wilsum nach Hoogstede, deshalb früher ins Tinholter Venn, welches als deren Bau in diesem Gebiet eine Sandauffuhr Markengebiet ausgewiesen war. Anfang der bis zu zwei Meter erforderte und im Raum fünfziger Jahre rückten schwere Ottomeyer- Hoogstede-Bathorn gewaltige Moorauskoffe- Pflüge an und brachen weite Flächen dieses rungen vorangehen ließen. Der Ausbau des

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Haftenkamper Diek als eine superschnelle Ver- Amt war, zeichnete als Initiator für diese fröh- kehrsverbindung zwischen den Orten Neuen- lichen, die Gemeinschaft fördernden Abende haus und Emlichheim nach den einstmals von verantwortlich. Als seinerzeit die Verwaltungs den Franzosen gefassten Plan (Franzosendiek) und Gebietsreform sich anbahnte, feierte man ließ die Nachteile einer bisherigen Abseitslage unter dem Motto: „Will man gemeinsam uns der Gemeinde weiter dahinschwinden. verwalten, der Geist von Tinholt bleibt erhal- ten!" … Vechteregulierung 1962 bis 1964 Im Sommer 1962 bewegte sich die Vechte- Vechte, Fähren und Brücke regulierung im Raum Hoogstede-Tinholt (Lee- Tinholter Arbeitskreis einmündung). Es handelte sich um den fünf- Rettung der Vechte-Brücke Winter 1945 ten Bauabschnitt dieses Millionenprojektes Die alte Holzbrücke über die Vechte in Tinholt von der Betonbrücke im Zuge der Straße Wil- war 1945 durch auftreibende Eisschollen ge- sum–Hoogstede bis zur Einmündung der Lee fährdet. Das Treibeis bildete einen Rückstau bei Scheerhorn. Insgesamt drei Durchstiche in einer Länge von etwa hundert Meter. Das waren in diesem Gebiet erforderlich. Die mu- Wasser staute sich über einen Meter hoch. stergültig ausgebaute Vechte erhielt hier eine Durch den Druck vom Eis drohte die Holz- Sohlenbreite von 17 Metern. Die alte, sehr stark brücke zu zerbrechen. Die Tinholter sahen baufällige Holzbrücke, die 1870 den bisheri- keine Möglichkeit, das Eis zu zerstören. Auf gen Fährverkehr als Übergang von und zum Bitten der Gemeinde kamen einige Besatzungs- Kirchdorf Hoogstede ersetzt hatte, nunmehr soldaten aus Nordhorn und sprengten das Eis. aber keineswegs mehr den Anforderungen des Innerhalb einer Stunde war die Gefahr gebannt. zunehmenden Verkehrsumfanges gewachsen 1946 wurde Tinholt von einem Hochwasser war, wurde im Zuge der Regulierungsarbeiten bedroht. Einige Betriebe an der Vechte wie durch einen modernen Betonübergang ersetzt. z.B. Ensink oder Van Ringe sind evakuiert Mit dem Bau des großen Tinholter Vechte- worden. stauwerkes oberhalb der Leeeinmündung ist Ende August 1964 begonnen worden. Es han- Willy Friedrich über Brücke delt sich um eines von mehreren Stauwerken, und Vechte (GN 12.03.1960) die künftig dazu dienen sollen, das Wasser der Die Vechte war bereits in der Römerzeit ein Vechte zu regulieren, um es besser als bisher wichtiger Transportweg für allerlei Waren. Die der Landwirtschaft und der Industrie dienstbar Vechte wurde lange Zeit bei Kuite in Tinholt zu machen. mit Fähren überquert. Bei Middendorf in Tin- Trotz Vechteregulierung und Flurbereini- holt gab es eine fürstliche Fähre. Sie diente gung bieten sich dem Naturfreund in Tinholt dem Fürsten zum Überqueren der Vechte, da noch eine Fülle landschaftlicher Schönheiten. ihm der Umweg über Hoogstede zu weit war. An tot geglaubten Vechtearmen und Kolken findet man noch ein mannigfaches Dorado Erste Vechtebrücke 1870 seltenen Tier- und Pflanzenlebens … Die erste Vechtebrücke wurde 1870 gebaut. Slikkers, Ensink und Van Ringe lieferten das Gute Nachbarschaften Holz. Nicht alle Bauern wollten sich beteili- Das Miteinander und Füreinander einer gut gen. Die Brücke entsprach nicht den Erwar- florierenden Nachbarschaft in ländlicher tungen. Der Holzbelag nutzte schnell ab und Atmosphäre wird in Tinholt seit Jahren tradi- die Stützen boten bald nicht mehr die nötige tionsgemäß mit einem zünftigen Gemeinde- Sicherheit. Bis zum Zweiten Weltkrieg wurde abend auf dem Hofe Slikkers gefeiert. Bürger- das Brückengeld von Harms Fritz (heute Kuite) meister Jan Harms-Ensink, der dieses Amt kassiert. Das Brückengeld wurde zweimal 1955 von Jan Jonker übernommen hatte und jährlich einkassiert. Ein einfacher Weg kostete bis zur Gemeindereform im Frühjahr 1974 im vierzig Pfennig und Hin- und Rückweg sechzig.

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Tinholter Moor ja nach Feierabend die Torfstecher in großen Zeitung und Anzeigenblatt 1915 Trupps singend in die Ortschaften zurückkehrten, Kreisblatt für den Kreis Grafschaft Bentheim sehen sie die Gegend hier jetzt völlig menschen- (Bearbeitet von Johann Jeurink) leer und verlassen. Die Fläche ist nämlich abge- Tinholt, 22. Januar 1915 Das Tinholter Moor torft, und infolge der besseren Entwässerung ist Im letzten Frühjahr kam ich auf meiner Dienst- das Torfmoos vertrocknet, so daß die Torfbildung reise von Emlichheim nach Uelsen durch eine fast aufgehört hat. Nun hat kein Mensch mehr Nutzen unabsehbare moorige Heidegegend. Beinahe be- von diesem Flecken Erde. Kulturzwecken kann sie ängstigend wirkte diese weite öde Landschaft, nicht dienstbar gemacht werden, weil die alten über welche sich der blaue Himmel wie eine er- nutzlosen Torfstichrechte wie ein Fluch darauf la- habene Kuppel ausspannte. Weit und breit suchte sten, die selbst einer Markenteilung hemmend im das Auge vergeblich nach einem grünen Baum Wege stehen. Wie schwer – wenn überhaupt mög- oder Strauch. Nur einige Kiebitze und Heideler- lich – würde es sein, diese Rechte abzufinden!“ chen schienen hier die einzigen Bewohner zu sein. Dann blieb mein Begleiter stehen und spähte Lange mochte ich sinnend gestanden haben, um in die Ferne. Er bat mich, einen Augen blick zu mich den stillen Reizen der seltenen Umgebung warten und ging etwa 100 Schritte vom Wege ab. hinzugeben, als ich durch ein leises Geräusch hin- Als er zurückkam, wurde er von schreienden Kie- ter mir gestört wurde. bitzen verfolgt. Schmunzelnd zeigte er in seiner Ein schlichter Landmann entbot mir einen Mütze vier bunte Kiebitzeier, die er mir mitgab mit freundlichen Gruß. Ich fing ein Gespräch mit mei- den Worten: „Das ist jetzt der ganze Jahresertrag nem Reisegefährten an und äußerte meine Ver- dieses Landes, das ein Garten Gottes sein könnte!“ wunderung darüber, dass sich bis auf die heutige Oft habe ich an das Paradies im Dornröschen- Zeit noch so weite, vollständig unbebaute Flächen schlaf denken müssen. hätten erhalten können, da nach meiner Ansicht Besonders lebhaft beschäftigt es in letzter Zeit der Boden für Kulturzwecke sehr geeignet er- meine Gedanken, nachdem die Regierung aus dem scheine. von dem Landtag geforderten Kredit von 1½ Mil- Diese Worte lösten dem biederen Alten die liarden einen erheblichen Betrag für die Organi- Zunge. „Diese Fläche“, begann er, „heißt das Tin- sation der Kriegsgefangenenarbeit in Aussicht holter Moor. Mit geringer Arbeit und wenig Ko- genommen hat. Sie war dabei von dem besten sten wäre aus der Gegend ein Paradies zu Wunsche beseelt, große Kulturarbeiten, Flußregu- schaffen, da die Bodenverhältnisse nach Gestalt lierungen (Vechte?) Urbarmachungen und neuen und Beschaffenheit die denkbar günstigsten sind. Anbau von Brotgetreide und Kartoffeln besorgen Tausende würde das Land ernähren und ein gro- zu lassen. ßes Gemeinwesen erblühen können. Aber ein Sollte nicht das Tinholter Moor ein geeignetes Fluch ruht auf dieser weiten Ebene.“ Arbeitsfeld für die nutzbringende Tätigkeit unse- Gerade diese letzten Worte machten mich neu- rer Kriegsgefangenen sein, wo sie Wege anlegen, gierig, und als ich meinen interessanten Begleiter den Boden bearbeiten und mit Früchten bestellen bat, mich hierüber näher aufzuklären, fuhr er fort: könnten? Gewiß recht sehr! Nur muß sich erst ein „Zwar gehört dieser Boden den Gemeinden Tin- Prinz zeigen, der sich für das schlafende Dornrös- holt und Wilsum, aber seit unerdenklichen Zeiten chen interessiert, die Stachelhecke veralteter gewinnen die hier umliegenden Ortschaften, na- Rechte beseitigt und es aus seinem tiefen Schlum- mentlich des Kirchspiels Uelsen, ihren Torf zum mer aufweckt. Wenn dann im Mittelpunkte der Brennen. Brennsoden dürfen, um die Torfbildung Niedergrafschaft diese weite Einöde sich zu einem nicht zu hindern, hier nicht gestochen werden, wir blühenden Gefilde entwickelt hat, in dem sich Bauern haben das Recht, diese ohne weiteres fort- Bauernhof an Bauernhof reiht, dann trägt dieser zuholen. Kulturfortschritt zum Zusammenschluß der zer- Während aber in meiner Jugend zur Zeit des fetzt liegenden Teile der Untergrafschaft bei und Frühjahrs durch die Torfgewinnung vieler Bau- beseitigt die Möglichkeit, in der Entwicklung hin- ernschaften sich hier ein reges Leben entwickelte, ter der Obergrafschaft zurückzubleiben.

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„Tinholter Brücke“ Gemälde von Polizist A. Leipner, 1965. Original bei Fam. Harms-Ensink, Tinholt (Gerrit Jan Beuker) Da Slikkers, Ensink und van Ringe das Holz ge- mals einige Landwirte, die sich grundsätzlich liefert hatten, entfiel für sie die Brückengebühr. weigerten, die Brücke zu passieren. Sie woll- Die Brücke wurde auch von Kallern und Haf- ten weiterhin mit „ihrer" Fähre ans andere tenkampern genutzt. Um die Brückengebühr Ufer gelangen. zu umgehen, wurde im Sommer zum Vieh- Im Zuge der Vechteregulierung wurde die trieb und mit leichten Wagen eine Furt in der Holzbrücke 1964 durch einen Betonübergang Vechte bei Koelmann vorgezogen. Es gab da- ersetzt.

Moorkultivierung, Elektrifizierung, Gemeindefest Die ersten Bemühungen um die Kultivierung des Tinholter Venns gehen auf die Jahre vor dem Ersten Weltkrieg zurück. Sie konnte aber erst nach dem Zweiten Weltkrieg im Zuge der Ems- landerschließung realisiert werden. Auf den ehemaligen Flachmoorflächen, für die sogar die Bürger aus Uelsen verbriefte Torfstichrechte besaßen, wogt heute Getreide, stehen präch- tige Kartoffeln und weiden große Viehherden.

Kinder auf der Tinholter Brücke 1960. Die Kinder der Familien Sentker und Günnemann überqueren die Tinholter Brücke, unterwegs von der katholischen Volksschule Hoogstede. (Willy Friedrich)

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Grafschafter Nachrichten 07.05.1964, Neue Vechtebrücke in Tinholt

Elektrifiziert wurde die Gemeinde Ende der man sich auf den Dielen verschiedener Höfe. 20er bis Anfang der 30er Jahre. Seit Mitte der In den letzten Jahren findet das Gemeindefest Fünfziger Jahre wird das Tinholter Gemein- in der Werkstatt der Firma Meyerink statt. defest gefeiert. Alljährlich treffen sich 130 bis Auf dem Tinholter Gemeindefest etwa 1965. Hindrik-Jan 150 Tinholter, um in gemütlicher Runde zu Slikkers 1911-1995, Gerhard Staelberg 1883-1983, Jan Harms-Ensink 1907-1998 und Maria Middendorf essen, zu trinken und zu feiern. Anfangs traf geb. Staelberg 1921-2000. (Berend-Jan Harms-Ensink)

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Bürgermeister von Tinholt bis 1925 Johannes Arnold Meyerink 1925 bis 1955 Albert Ensink geb. am 18.11.1885 gest. am 25.03.1955 verh. mit Gesien geb. Hannebrook 1955 bis 1956 Jan Jonker geb. am 17.09.1895 gest. 25.04.1971 verh. mit Gesina geb. Laarmann 1956 bis zur Gemeindegebietsreform 1974 Jan Harms-Ensink geb. am 08.10.1907 gest. 12.10.1998 verh. mit Johanna geb. Jürriens Bürgermeister Jan Harms-Ensink 1956–1974

„Jürries Jan“, Jan Harms-Ensink, Bürgermeister von Tinholt Johann Kemkers Gleich wie viele andere Männer seiner Zeit hat Jan Harms-Ensink als Bürgermeister einer kleinen Landgemeinde sich in jahrzehntelan- ger Amtsausübung um seine Gemeinde ver- dient gemacht. Dass er über die Grenzen der Gemeinde Tinholt hinaus in vielen wichtigen Ehrenämtern Verantwortung übernommen hat, zeichnet ihn besonders aus. Jan Harms-Ensink wurde 1907 auf dem Scholtenhof in Scheerhorn geboren. Seine El- tern waren Jennegien Scholte und Berend-Jan Bürgermeister Albert Ensink 1925–1955 Harms-Ensink, der von dem Hof Harms-En- sink in Bathorn stammte. Jan H.-E. wuchs auf dem elterlichen Hof auf und besuchte die in unmittelbarer Nähe gelegene Volksschule Scheerhorn. Nach der Schulentlassung arbeitete er auf dem elterli- chen Hof. Als er 1935 die einzige Tochter des Hofbesitzers Jürriens in Tinholt heiratete, be- gann seine Geschichte als „Jürries Jan van Tinholt“. Nach vorübergehender kommunalpoliti- scher Tätigkeit in den 40er Jahren wurde er 1955 wieder Ratsmitglied und schon ein Jahr später auch Bürgermeister. Erst als die Ge- meinde Tinholt 1974 ihre kommunale Eigen- ständigkeit verlor, endete seine Tätigkeit als Vorsteher der Gemeinde. In dem Rat der neu Bürgermeister Jan Jonker 1955–1956 gebildeten Gemeinde Hoogstede setzte er

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seine politische Arbeit auf Ortsebene bis 1986 Im Oktober 1985 wurde Jan Harms-Ensink fort, um dann im Alter von 79 Jahren als „Eh- „in Anerkennung der um Volk und Staat er- renratsherr“ in den politischen „Ruhestand“ worbenen besonderen Verdienste“ mit dem zu gehen. Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutsch- Neben seiner Bürgermeistertätigkeit und land ausgezeichnet. Damit wurde er für sein teils in Verbindung damit übte er verschiedene Lebenswerk geehrt, das weit über seine Hei- andere Ämter in der Gemeinde aus, unter an- matgemeinde Tinholt hinausreichte. derem als Vorsitzender des Schulzweckver- Aber in Tinholt hatte nicht nur alles sei- bandes Kalle-Tinholt; als Vorsitzender der nen Anfang genommen, hier fühlte er sich Jagdgenossenschaft Tinholt; als Vorsitzender auch lebenslang fest verwurzelt. Er war einer der Teilnehmergemeinschaft Flurbereinigung von ihnen – so empfanden die Tinholter und Tinholt. so verstand er sich auch selber. Jan Harms- Jan Harms-Ensink wirkte weit über die Ge- Ensink starb am 12. Oktober 1998 in seinem meindegrenzen hinaus: Mit der Gründung der Haus in Tinholt. Samtgemeinde Emlichheim 1974 übernahm er In Erinnerung bleibt ein Mann, der mit fes- auch dort ein Ratsmandat bis 1986. Zwölf ten Zielsetzungen und Sachverstand seine Jahre (1964–1976) gehörte er dem Grafschaf- vielfältigen Aufgaben anging, mit Gelassen- ter Kreistag an und arbeitete in verschiedenen heit auf schwierige Situationen reagierte, der Ausschüssen (Finanzen; Planung, ...). den Menschen mit Wohlwollen begegnete und Über den politischen Bereich hinaus enga- vielen ganz persönlich geholfen hat. Mit sei- gierte sich Harms-Ensink immer auch im so- nem sprichwörtlichen Humor trug er in manch zialen Bereich und wirkte hier vornehmlich in schwieriger Situation zur Entspannung bei der Organisation des VdK. Vom Vorsitz in der und sorgte in geselligen Runden immer für Ortsgruppe Hoogstede (1954) führte sein Weg Unterhaltung und Heiterkeit. über das Amt des stellvertretenden Kreisvor- sitzenden (1960) schließlich zum Vorsitz im „Jürries Jan“ vertellt: Kreisverband Grafschaft Bentheim des VdK Met ses joar mus ok ik noa de Schoole hen. De (1966–1986). In dieser Zeit (1972) wurde ihm Schoole was bij uns net för de döre; doarüm auch das Amt eines ehrenamtlichen Richters wüs ik ok so’n bettien wat mij verwochde. am Sozialgericht in Osnabrück angetragen, Et was fort an ersten dag. De Meijster sä, das er jahrelang ausgeübt hat. wij sullen uns setten. Alle Kinner setden sik häin – man ik bleef stoan. De Meijster keek Jan Harms-Ensink 1907-1998, „Jürries Jan” (Mini Büdden) bettien verwunnert ower siene Brille un froag- de mij, warüm ik nich sitten güng. „Och Meijster“, meende ik, „äinkliks wok mij hier nich so lange uphollen!“

Aus dem Protokoll des Tinholter Gemeinderates 1929 Beschluss über öffentliche Fernsprech- anlage bei dem Landwirt Harm Grüppe und beim Händler Schroven in Tinholt 1933 Der Rat beschließt den Ausbau eines Weges von Gölenkamp, Haftenkamp, Tinholt, Hoogstede, Bathorner Diek, bzw. Wielen, Ratzel, Wilsum, Hoog- stede, Bathorner Diek und überlässt dem Herrn Landrat, welcher Weg ausgebaut werden soll.

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1934 Die Höfe Slikkers, Ensink und van Ringe Erstmalig NSDAP im Gemeindeprotokoll er- waren vom „Buurwarken“ ausgenommen, weil wähnt sie für die Instandhaltung der alten Vechte- 1939 Brücke von 1870 zuständig waren. Erstmalig Hundesteuer festgesetzt Überall in Tinholt waren Sandentnahme- 1942 stellen. Hier wurde Sand für die Instandhal- Beschluss wegen Renovierung der Holzbrücke tung der Wege entnommen. Dafür waren die in Tinholt, Kosten 20.000 RM, Tinholt musste Bauern zuständig, die Gespanne mit zwei Pfer- davon 2.500 RM übernehmen den hatten. Sie mussten den Sand fahren. Bauern 14.12.1945 ohne Gespanne mussten ihren Dienst mit der Im Gemeinderat wird ein Unterkunftsaus- Hand, also mit der Schaufel, ausführen. schuss gewählt. Er war für die Verteilung der Steven Snieders aus Tinholt war für die Flüchtlinge zuständig Einteilung der Hand- und Spanndienste ver- 1953 antwortlich. Auch bei Hochzeiten wurde Pläne für Ausbau der „Buurwarken“ angesetzt. Das Brautpaar wurde Vechtetalstraße (1 km). dann von den Buurwarkern aufgehalten, und 24.05.1957 es wurde Hochprozentiges ausgeschenkt. Erster Antrag für den Bau eines Wohnhauses in der Tinholter Siedlung Dr. jur. Wilhelm H. Huffenreuter 1959 (1777–1855) Anschluss an die Zentralwasserleitung Auf dem reformierten Friedhof in Hoogstede 1962 steht ein besonderer Grabstein. Wer von der Beschluss zum Neubau der Vechte-Brücke und Hauptstraße her den Friedhof betritt und sich der Flutmuldenbrücke gleich nach links wendet, der findet ihn nach 1971 wenigen Metern an der Hecke. Auf dem Sand- Einleitung der Flurbereinigung stein steht: Hier ruht Hand- und Spanndienste W. H. Hüffenreuter „Buurwarken“ geb. 13. Decb. 1777 in Batavia Alle Gemeindemitglieder waren verpflichtet, gest. 8. Febr. 1855 in Tinholt. mit Hand- und Spanndiensten bei der Unter- Die Lingener Akademie, von einem orani- haltung der Gemeindewege und -straßen an- schen Fürsten 1696 gegründet, war durch ihre zupacken. Das nannte man „Buurwarken“. Nähe eine von jungen Grafschaftern gern be- Meistens wurde mit einem Laufzettel über die suchte Bildungsstätte. Im Album der Studie- „Freie Anschlagstelle“ mit Tinholter „Burwar- anstehenden Arbeiten informiert. renden stehen die Namen der Studenten, auch ker“ Zwier Bischop, Manfred Steiner, Geert Heetjans, Jan Harms-En- sink, Steven Snyders, Eg- bert Jonker, Jan-Hindrik Brinkmann, Johannes Meyerink, Lefert Klompa- rens, Georg Jonker, Hin- drikus Hölties, Gerhard Günnemann. Diese Tin- holter haben sich zum „Buurwarken“ zusam- mengefunden. Die „Freie An schlagstelle“ befand sich beim Hof van Ringe in Tinholt. Hier konnte jeder eine Nachricht an- heften, z.B. wenn man etwas gefunden oder verloren hatte. (Geert Ensink)

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solche, die aus Holland und den holländischen derholt war vom Oberkirchenrat (dem Hoog- Kolonien kamen, darunter Johan Niehoff, der klimmer auch angehörte? gjb) die Anstellung in Uelsen geboren war und in Batavia lebte. Er eines Rechnungsführers (Rendanten) ange- beeinflusste 1776 einige Freunde, mit ihm an mahnt worden. Eine qualifizierte Person sollte der Lingener Akademie zu studieren. die Finanzen der Gemeinde regeln und in der Zu ihnen gehörte auch Wilhelm Henricus Zukunft führen. Jedoch konnte der Kirchenrat Hüffenreuter. Ein Hüffenreuter kehrte mit sei- zunächst keine geeignete Person finden und ner Frau, einer Malaiin, auf den Hof in Tinholt regelte intern das Rechnungswesen. Im Jahre zurück (Sager, Grafsch. 1965 und Kühle, Zwi- 1828 wurde der Älteste Harm Grüppe aus Tin- schen Burg und Bohrturm Jg. 1974, S. 14, 3. holt beauftragt, mit dem neuen Gemeinde- Spalte) glied Huffenreuter Kontakt aufzunehmen und Wilhelm Heinrich Huffenreuter wurde am ihn für die Arbeit als Rendant zu gewinnen. 13. Dezember 1777 in Batavia geboren. Bata- Diese Bemühungen waren von Erfolg gekrönt. via war der alte Name für die indonesische Im reformierten Kirchenratsprotokoll vom 26. Hauptstadt Djakarta. (1610 bis 1943/45 war Februar 1829 lesen wir: das heutige Indonesien eine niederländische „Den 26 Februarij wederom buiten gewoon Kolonie.) Dort hatte sein Vater Andreas Chris- Kerkenr. vergaderd met den Heer Huffenreuter topher Huffenreuter als Rittmeister der Land- en toen met hem er over gesproeken, heeft het miliz Dienst getan. Huffenreuter war ein 8 dagen in zijn bedenk genomen, en verzogt dat bekannter Familienclan im damaligen Indo- wij en den Heer Amtman (er)(gemeint ist sein nesien. Um 1810 muss W. H. Huffenreuter in Schwager Hoogklimmer in Neuenhaus) over Bramsche gewohnt haben. Er habe eine Aus- zouden spreken of die het ook goed vond …“ bildung als „Advocat" absolviert und seine Am 27. März 1829 schließt man einen Ver- akademische Ausbildung mit der Promotion trag mit Huffenreuter, mit dem er als Rech- abgeschlossen. In Bramsche wurden ihm von nungsführer eingesetzt wird: seiner Frau Catharina Dorothea Huffenreuter „Den 27 Maart buiten gewoon de Kerkenr. geb. Lampmann vier Söhne geboren. vergaderd absent J.Albers en G.Koops, en toen Ihre Eltern, der Lingener Seminarlehrer is door den Heer Huffenreuter hat contract ge- Georg Ferdinand Lampmann und seine Frau tekend door hem overgeven ... ". Anna Aleida Warming, hatten zeitweise in Damit konnten die Finanzen in geordnete Tinholt gewohnt. Bahnen gelenkt werden. Waren in den Jahren Deren jüngster Sohn Ferdinand Heinrich vor 1830 die Kirchenrechnungen vom Ober- Philipp Cornelius Lampmann (1804–1893) kirchenrat immer wieder beanstandet worden, war jahrzehntelang Pastor in Uelsen. Eine jün- so tritt ab 1830 eine grundsätzliche Wende gere Schwester, Johanne Rheinhardina Ever- ein. Der Oberkirchenrat lobte die gute Rech- hardina Lampmann (1887–1863) war mit dem nungsführung und hob die geordneten finan- Amtsassessor Johann Georg Hoogklimmer ziellen Verhältnisse in der Gemeinde hervor, (1784–1853) in Neuenhaus verheiratet. Eine auch wenn es häufig nur ein Verwalten von weitere Schwester, Anna Aleida Lampman Mangel war. Die Arbeit als Rendant geschah (1793–1860), ist in Tinholt geboren und in zwar im Hintergrund und doch war sie von Veldhausen verstorben. großer Bedeutung für die Konsolidierung der 1823 kam Huffenreuter nach Tinholt. Er reformierten Gemeinde Hoogstede. übernahm dort den heutigen Hof von L. Jür- Am 8. Februar 1855 starb W. H. Huffen- riens am Lägen Diek. Am 22. Mai 1824 wurde reuter im Alter von 78 Jahren. Er war zu hier die einzige Tochter Anna Catharina ge- einem angesehenen Mitglied der Gemeinde boren und drei Jahre später, am 11. Mai 1827 geworden und hatte über Jahre das Bürger- der fünfte Sohn Johann Georg. meisteramt in Tinholt innegehabt. Seine Frau 1829 bekam W.H. Huffenreuter für die überlebte ihn um 22 Jahre. Sie verstarb am 6. reformierte Gemeinde große Bedeutung. Wie- Juni 1877 im Alter von 92 Jahren.

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Jan Harm Bleumer, Tinholt, Up mien Besseva sienen Hof Der aus Tinholt stammende Jan Harm(en) Bleumer erzählt in seinem Buch „Up mien Besseva sienen Hof“ anschauliche Geschichten, in denen die ländliche Welt unserer Gegend am Ende des 19. Jahrhunderts lebendig wird. Bleumer wurde am 20. August 1873 auf einem Bauernhof in Tinholt geboren. Nach dem Besuch des Lehrerseminars unterrichtete er an der Volksschule in Wielen, dann in Grasdorf. 1907 verließ er die Grafschaft, als er nach Papenburg versetzt wurde. Seit 1923 war er bis zu seiner Pensionierung Lehrer in Os- nabrück. Dort starb er am 9. Januar 1943. Das genannte Buch erschien in Papenburg ver- mutlich Anfang der zwanziger Jahre. Es folgt ein Auszug aus aus dem Kapitel über „Groß- vater und seine Nachbarn“:

Wappen der heutigen niederländischen Besseva un siene Noaberlö Familie Huffenreuter (Gerrit Jan Beuker, Internet) „In de annere Wecke kunn wij wall slachten. De Domini möt ditmoal ok wat hebben. Krajen- Der älteste Sohn Heinrich Wilhelm (09.1814 fanger hef dor vörige Wecke all nen Schinken bis 16.12.1879) lebte und arbeitete als Zim- henbracht, de schleppt dor wall soa vull hen. mermann in Kalle. Er starb an der Schwind- Vöriges Joahr heb wij dor ok nicks henbracht“, sucht. meende de Moa. Der zweitälteste Sohn Nicolaus Friedrich De annere Wecke wöt bij uns dat Beest Huffenreuter (04.04.1816–14.07.1873) heira- slacht. Un do det oawends kot schneen wöt, sä tete Anna Marie Louise Wilhelmine Baumann de Moa: „Nuw schnie dor is`n got Broatstück (30.01.1811–und führte den Hof des Vaters of, wenn et ok tien Pund sind.“ „Dat sall ik is fort. Vier Kinder starben nach der Geburt und ditmoal don.“ von der Tochter Catharina Dorothea (geb. am Besseva söchde sik det möiste Stück ut, un 31. Mai 1844) erfahren wir in den Folgejahren den annern Dag süll de Va dor met hen. „Nee“, nichts mehr. (Sie heiratet wohl unter dem sä Besseva, „dor goah ik sülwen met hen. Ik sall Mädchennamen ihrer Mutter als Dorothea et in Düstern dor wall henbrengen.“ Bauman den Friederich Stricker (1842–1874) Oavends göng Besseva lös, Karo met em. in Wilsum. Aus der Ehe wird 1873 Oscar Do he buten unsen Hof was, slög he nen heelen Stricker geboren.) So wie die Familie Huffen- annern Weg in, noa de Feldkante an. He göng reuter 1823 plötzlich in Tinholt erschien, so met sien Fleesk nich noa de Domini. verlieren sich auch 1877 ihre Spuren wieder. „De hef genog“, dachde he, „et is better, Der vierte Sohn Carl Theodor (02.1822 bis ik breng et noa Remmers, de hebt det Hus 05.12.1902) starb 1902 als Rentier in Lage. vull Kinner, de kriegt wall nich vull Fleesk Bei der Eintragung seines Todes im Sterbebuch te sehn.“ vermeldet der Ortspastor als Eltern: „Gutsbe- „Gun`n Oavend, Lö!“ „Gunn`n Oavend – sitzer Wilhelm Friedrich Huffenreuter und Besseva, ij noch in Düstern!“ „Joa, up hellen seine Frau Catharina Dorothea Lampman“. Dach wull ik hier nich hen. Ik heb uw wat metbracht in den Korw, kiekt is to Frau un dot (Nach G. ter Stal, 175 Ev.-ref. Kirche, det dor is ewen ut.“ kursive Abschnitte ergänzt durch Gerrit Jan Beuker)

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De Frau was ok nijschierig genog, keek to Pater Marcellus Töller un slög de Hande tosammen: „Nee, dat hadde Pater Töller ist in Tinholt geboren. Seine El- ij doch nich don mußt, det könne wij joa gar tern sind früh verstorben. Er wurde 1921 zum nich annemmen.“ Priester geweiht. Er war lange in Mainz tätig. „Worüm denn nich? Wij hebt dor genog Pater Töller verbrachte seinen Lebensabend in van un de et eigentlich hebben süll, hef ok St. Vincent in Neuenhaus und wurde in Hoog- genog.“ stede beerdigt. Besseva wull denn weer goahn. „Nee“, sä de Frau, „det geht nich an. Erst kriege ij een Köppien Koffie. Soa söll ij nich weer weg.“ Besseva wull ok nich all te fro weer in Hus kummen, dann föllt det fort up, he blew sitten. He kreeg doar een lecker Köppien Koffie; soa got hadde he et nich völl had. Do he dor een bis twee Ühre kürt hadde, brachde Rem- mers em weer upt Hus an. Do Besseva bijt Für satt, sä he: „Junge, wat wassen de Löe bliede, van Oavend heb ik noch is bliede Gesichter sehn!“ Det kunn de Moa sik nich begriepen, det Dominis sik so bliede anstellt hadden. Se keek dorüm Besseva is an. „Joa, joa“, sä Besseva weer, „du kiekst mij wall an, men so bliede Menschen hebbe ik lange nich mehr sehn.“ Un et schiende, dat wat van disse Blied- Foto zum 50-jährigen Priesterjubiläum, 1971 schup up sien Gesicht lag. (Willy Friedrich)

100 Berge und Scheerhorn Bearbeitet von Harm Kuiper

Dr. Ernst Kühle über samen Mark auf die einzelnen Gemeinden ge- Scheerhorn und Berge schah, wie man in alter Zeit die Feldflur unter Aus: Der Grafschafter 1968–1972, die Berechtigten aufteilte. Jeder erhielt einen S. 887, 892, 900, 910 (Folge 227–230) schmalen Streifen auf jedem Flurstück, wie es Die nachfolgende Beschreibung von Kühle das Rechtsgefühl gebot. So bekamen Scheer- zeigt, wie sich die Umstände und Verhältnisse horn und Berge schmale Streifen mit geraden, in den letzten vierzig Jahren verschoben parallelen Grenzen von nur wenig über einem haben. Sie verdeutlicht etwas von den Hoff- Kilometer Breite und der vierfachen Länge. nungen und Erwartungen jener Zeit. (gjb): Auf dem alten Messtischblatt von 1896 reich- ten Kulturfläche und Besiedlung nur etwa 1,5 Gemeinsame Mark Hoogstede-Bathorn km ostwärts; der übrige Teil der Mark war Die gemeinsame Mark mit Hoogstede und noch als Ödland, östlich des Coevorden-Pic- Bathorn reichte von der Vechte bis weit in das cardie-Kanals mit Torfstichgruben, verzeich- Hochmoor hinein nach Osten, doch nicht, wie net. Das neue Blatt, 1958, zeigt das Moor bei Ringe, bis an die Grenzaa. Die wertvolls - nahezu vollständig in Grünland umgewandelt, ten Flurstücke mit einem Bodengütewert von das durch gerade Gräben und feste Straßen in über 40 waren die Auewiesen an der Vechte. Rechtecksflurblöcke aufgeteilt ist. Nur kleine Auf leichten Bodenwellen in Überschwem- Reste von Heide und Moor blieben zurück. mungsrandlage entstanden in germanischer Südlich der Lee häufen sich Einzeldünen Siedlungszeit Brotfruchtfluren und die Hof- und Dünenketten, die mit Nadelwald aufge- stätten der Altbauern. Weiter nach Osten ging forstet sind. Ehe das geschah, war die „Berger die Gemarkung in das lange Zeit unzugängli- Sahara" ein Quellherd für Sandverwehungen che Hochmoor über. Die Teilung der gemein- benachbarter Kulturflächen. Die höchste Erhe- Die Lee in Scheerhorn, 2008 (Harm Kuiper)

101 2 GESCHICHTE DER ORTSTEILE

bung erreicht in Nähe der Lee 21,5 Meter; tiefs - Der Fettpott in te Senke ist die Leemündung mit 14 Meter. Die Berge, 1959 Berger Tannen haben Bedeutung gewonnen (Willy Friedrich) als Erholungslandschaft und als Sportstätte, auf der Waldläufe um die Kreismeisterschaft ausgetragen werden. Das benachbart Schwimm- bad an der Lee wird selbst von Veldhauser Bürgern gern besucht. Das Scheerhorner Bruch beherbergt eine seltene Pflanzen- und Tier- welt. Professor Brinkmann und heimische Na- Hörn gilt eine Ecke, ein Winkel oder Platz am turfreunde beobachteten und beschrieben das Fluss, wie bei Nordhorn. Abels erklärt „scheer“ Tierleben dieser Naturoase. Ein Moorweiher, mit schier, dürr, wonach Scheerhorn ein dür- Fettpott genannt, ist mit meterhohen Binsen rer Platz gewesen wäre. Wer heute durch die umgrenzt und enthält Inseln mit anspruchs- Landschaft wandert, erhält einen weit günsti- losen Kräutern, die Brutstätten von Sumpf- geren Eindruck. Flachlandbewohner haben die und Wasservögeln sind. Möwenkolonien und Neigung, flache Bodenerhebungen als Berge Trauerseeschwalben beleben den Restsumpf, zu bezeichnen, woraus sich der Name Berge von dem das Jahrbuch 1962 ein Lichtbild erklärt … bringt. Lehrer Naber, Veldhausen, beobachtete Austernfischer und Kampfläufer. Wegraine Bischöfe, Grafen und Herren und Gräben weisen noch immer einen Arten- Der Graf von Bentheim war Hauptgrundherr; reichtum auf, der kaum bei kurzen Besuchen neben ihm gab es geistliche und weltliche ausgeschöpft werden kann. Grundherren mit geringeren Anrechten. Der Der Name Scheerhorn bedeutet nach H. Bischof v. Utrecht hatte seine hörigen Höfe im Specht eine vorspringende Grenzfläche. Als Schattingsregister der Twente 1475 verzeichnet,

Familienfoto um 1900 aus Berge, Familie Bloemendal. Hochzeitspaar ganz rechts: Jan Harm Bloemendal und Ennegien Bloemendal geb. Stroot, Eltern sitzend am Tisch: H. J. Bloemendal geb.15.9.1852 gest. 25.1.1925 und Aaltien Bloemendal geb. Kaalmann geb. 17.2.1856 gest. 9.3.1941, dann von links nach rechts: Hinrikien Bingler geb. Bloemendal mit Sohn und Ehemann Jan Bingler, Hindrika Bloemendal geb. 4.4.1888 gest. 6.3.1952 später verheiratet mit H.J. Zweers in Berge, Jan Bloemendal und Hermannes Bloemendal (Zweers)

102 BERGE UND SCHERHORN

Hof von Kuite in Berge (Willy Friedrich) das uns Archivar Döhmann, Burgsteinfurt, diesem Tag nicht bezahlt war, verdoppelte sich zugänglich machte. Die Herren auf benach- der Betrag. Später, 1683, bekennt Hartgerinck, barten adligen Rittergütern hatten Jagdrechte dass er jährlich im Mai oder zu Martini 1 Rtl, in der Scheerhorn-Berger Mark; die Herren 7 Stüber als Kleindienstgeld geben muss. Hart- von Laar bejagten die Flur zweimal jährlich, gerinck erfüllte aber nicht nur Sachleistungen, einmal bei Gras, einmal bei Stroh. Die Herren sondern auch persönliche Dienste, ebenso von Echteler forderten die Koppeljagd in seine Frau und seine Kinder. Söhne und Töch- Scheerhorn, die Herren auf Ödinghof, Esche, ter konnten mit anderen Grundherren ausge- die Koppeljagd in Berge. Die hohe Jagd übte tauscht werden. Wenn das geschah, wurde es der Graf allein aus. Zu seinen Reservationen im Wechselbuch vermerkt. Das Kloster ver- gehörten u. a. das Scheerhorner- und/Klusen- suchte, die Vogteirechte in seinen Besitz zu feld (Clausterfeld). Der Scheerhorner Ballast bringen; es gelang 1355 bei Hartgerinck. Im und Berger Brill waren Eigenjagdreviere. Beim Austausch mit dem Grafen empfing das Klos - Schulten logierten die Jäger, zu den Mahlzei- ter die Magd Fenne Bruninck, die up Hartge- ten trugen die Bauern bei: Bruninck, Surman, rinck to Scheerhorn kam. 1441 überließ das Hemke, Kolthoff, Hannebroeck, Jorinck, Vol- Kloster dem Herrn Johan v. Laar Hinrieh, Al- ker lieferten je ein Brot. Die Herren auf der merincks Sohn, der zu Silverkinck, Scheer- Schulenburg zu Veldhausen besaßen Land horn, kam. Lubbe Hartgerinck to Scheerhorn und Leute in Scheerhorn; dieser Besitz ging heiratete Robbe ten Suthove; sie bauten ein später auf den Grafen über. Häuschen vor Mellenkamps Boom; ihre Toch- ter Talle wurde frei. Im Austausch mit dem Bi- Kloster hörig schof von Utrecht empfing das Kloster die Das Kloster Wietmarschen entwickelte sich Magd Swenne, Volkers Tochter, die zu Süver- zum reichen Grundbesitzer in der Grafschaft; dinck to Scheerhorn kam, ebenso vom Herrn ihm gehörten 139 Höfe. Zu seinen hörigen J. Bade eine Magd, Swenne, Tinholts Tochter, Bauernerben gehörte Hartgerinck (Hatger) to die einheiratete auf dem Klostererbe ter Kalle Scheerhorn, der als jährliche Pacht 4 Müdde to Scheerhorn. Roggen, 4 Müdde Gerste, 1 Huhn und am Die jährlichen Kornpachten nach dem Ma- Thomastag 1½ Mark gab. Wenn das Geld an nual- und Söllerbuch 1829 betrugen für Hat-

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Hartgerinck 1 Rind, je 1 Schwein: Wermelinck, Brüninck, Hemmike. — Die Tende zu Scheern- horn ist Jahr für Jahr verdinget für 33 Müdde Roggen …

Haager Vergleich 1701 In der Zeit zwischen den beiden Galenschen Kriegen trat Graf Ernst Wilhelm zum katholi- schen Bekenntnis über. Die reformierte Graf- schaft hielt an ihrem Bekenntnis fest und suchte Anlehnung beim reformierten Nach- barstaat. Der Haager Vergleich, 1701, stellte den kirchlichen Zustand vom Jahre 1624 si- cher und gab dem Oberkirchenrat ein ausrei- chendes Maß von Einfluss auf das kirchliche und Schulleben. Der Vergleich regelte Lehre „Zuckerpott“ zwischen 1871 und 1895 von Janna Alferink und Verfassung der reformierten Kirche in der Janna Alferink geb. Groene (27.01.1848–16.03.1910), Grafschaft. Holländische Lehrer und Geistli- heiratet am 29.07.1875 Jan Alferink (Hindrik-Jan Alferink) che kamen in die Niedergrafschaft, in der die holländische Sprache die Kirchensprache ger 16 Scheffel Roggen, 16 Scheffel Gerste, 3 wurde. 1707 traf die Regierung erste Maß- Gulden und ungewisse Gefälle, die der Hof nahmen gegen die Sandverwehungen. In einer 1854 ablöste. Van der Loo nennt das Jahr 1246 Zeit, als es noch keine Windschutzgürtel, aber als Beginn des Hörigkeitsverhältnisses Hatgers. große Schafherden gab, die die Grasnarbe in Im Heberegister der Grafen von Bentheim der Mark zertraten, hatte der Wind im Dü- 1486 sind 14 gräfliche Höfe aus dem Kirch- nenbereich bei zerstörter Grasnarbe beste An- spiel Emlichheim eingetragen, 1553 bereits 192 griffsflächen, um Mulden auszublasen und (Voort, Jahrbuch 1972). Flugsand über die Kulturflächen zu wehen. In Scheerhorn gaben an Roggenpacht (Ro), Durch Einschränken der Schafbestände und Gerstenrente (Ge) in Müdde (6 Scheffel): Schul - Bepflanzen der nackten Sandflächen sollte te v. Scheerhorn 3 Ro, Hemmike 4 Ro, Gozen den Sandstuwen Einhalt geboten werden, und Brüninck 6 Ro, 5 Ge, Anebroick 4 Ro, 2 Ge, die Anlage von Telgenkämper, 1717, sollte Wermelinck 8 Ro, 3 Ge, Kemike (wohl obiger dem Mangel an Pflanzgut abhelfen. Noch 150 Hemmike) 4 Ge. An Rinder- und Zwynepacht Jahre lang dauerte der Kampf gegen die Sand- gaben Almerinck 1 Rind, Kuelman 1 Rind, stuwen fort.

Inschrift „Invidia fortunae comes anno 1689, den 30 Juny“ Übersetzt: „Missgunst ist des Glückes Begleiter“. Alte Inschrift auf dem Hof Hermann Alferink, Scheerhorn. Der alte Stein war eingemauert in einer Scheune über einer Tür. Stammt er möglicherweise von der Burg Arkel? (Harm Kuiper)

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Hof Hermann Alferink, Hauptstraße, Scheerhorn, etwa 1950 (Alferink, Harm Kuiper)

1752 verpfändet an Hannover knechte; entzogen sie sich diesem Dienst Die Bentheimer Subdelegation, eine vom durch Flucht, diente der Vater für den Sohn. Kaiser geregelte Vormundschaftsregierung, Der Forstmeister Aschenbroick meldete Vieh- versuchte, durch Sparverordnungen die finan - schäden durch Wölfe, worauf der Graf eine zielle Notlage des Landes zu bessern. Da es Wolfsjagd, die insbesondere den Scheerhorner nicht gelang, gesunde Verhältnisse zu schaf- Ballast erfasste, anordnete. Jeder Vollbauer fen, sah sich Graf Friedrich Carl genötigt, hatte 2 Treiber, der Halberbe 1 Treiber zu stel- 1752 seine Grafschaft an das Land Hannover len bei 5 Gulden Strafe bei Nichterscheinen. zu verpfänden. Vier Jahre später, im Sieben- Nach Friedensschluss folgten die üblichen jährigen Krieg, versuchte der Graf, an der Verordnungen zum Wiederaufbau von Flur Spitze französischer Truppen, die Freiheit sei- und Wegen, hinzu kamen zahlreiche Vor- nes Landes zurückzugewinnen. Die Franzosen schriften zur persönlichen Sparsamkeit im besetzten das Land und nutzten es als An- Haushalt, im Verbrauch von Holz, zur Schäd- griffsbasis gegen Hannover, das mit England lingsbekämpfung. in Personalunion vereinigt war. Berger und Scheerhorner Bauern lieferten Getreide und Kampf dem Moor Heu und leisteten mit ihren Gespannen Das Land Hannover unternahm Großangriffe Frachtdienste. Jungbauern dienten als Train- auf das Moor; eine Reihe neuer Moorsiedlun-

„Gemeindearbeiten“ = Boerwerken 1920er Jahre in Berge. Berger Landwirte vor dem Hof Mensen auf der Feldstraße (Harm Kuiper)

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gen entstand, darunter die Neue Piccardie und meister und Landrat Stüve in Osnabrück an- Adorf. Trotz geringer Bevölkerungsdichte im geregte hannoversche Ablösungsgesetz, 1831, Lande war bei zu geringem Kulturland ein Be- sowie die Osnabrücker Markenteilungsord- völkerungsüberschuss vorhanden. So nutzten nung galten für die Grafschaft Bentheim erst nachgeborene Söhne aus Berge und Scheer- nach dem Revolutionsjahr 1848 … horn die Möglichkeit, ein Moorkolonat zu er- werben. Die bäuerlichen Lasten waren in der Hollandgänger, Erdhütten, Markenteilung Bentheimer Eigentumsordnung, die sich der Der Mangel an Arbeitsplätzen und die Land- Osnabrücker anpasste, geregelt. Vorausschau- not ließen die Abwanderung in die Nachbar- ende Männer, wie O. v. Münchhausen, hielten staaten ansteigen; 1847 zählte man 2500 das Weiterbestehen der privatrechtlichen Bin- Hollandgänger. Vogt Baake meldete 1869, dungen für zu stark belastend und die freie dass sich in der Scheerhorner Mark acht be- Entwicklung behindernd. Justus Moser be- wohnte Erdhütten befänden. Im bäuerlichen klagte die Härte der ungewissen Gefälle. Betrieb nicht ausgelastete Kötter suchten Ne- benerwerb an Webstühlen, von denen es 1863 Franzosenzeit 16 gab. Die Markenteilung, 1864 bis 1871, bot Als nun die Franzosen wieder ins Land kamen, der Landnot Einhalt; der Bau des Südnord- diesmal als Revolutionstruppen, und Gewer- Kanals nach 1871 senkte den Wasserspiegel befreiheit und Ablösung der bäuerlichen Las- im Moor, und der Mineraldünger ließ die Er- ten versprachen, hörte man das gern, blieb träge auf dem Moorboden ansteigen. Der Kreis- jedoch zweifelnd. Die Selbstständigkeit der tag förderte mit den bescheidenden Mitteln Gemeinden hörte auf; Berge und Scheerhorn des neuen Kreises die Kulturtätigkeit im Moor. wurden mit Nachbargemeinden zu einer Mu- Zu den Mitgliedern des Kreisausschusses ge- nizipalität unter einem Maire zusammenge- hörte Kolon Nyenhus. Die Schule erhielt in fasst. Man erkannte bald, dass sich an den Lehrer Wieferink eine beruflich vorgebildete alten Bindungen nichts änderte und dass es Lehrkraft, die die Lehrerbildungsanstalt des der Fremdregierung auf Steuergelder und Re- Schulrates Fokke in Neuenhaus besucht hatte. kruten ankam. Das französische Kataster fand immer neue Steuerquellen, und die Rekruten- Hindrikien Jeurink geb. Snieders (1875-1961) listen füllten sich mit Namen von Jungbau- mit Wollmütze. Geboren 12.06.1875 in Berge, heiratet am 28.03.1898 Jan Hindrik Jeurink, verst. 19.02.1961 ern, die ausgehoben, auf fremden Garnisonen in Berge. (Harm Kuiper) ausgebildet und auf fernen Kriegsschauplät- zen für Frankreichs Ruhm kämpften. Aber auch gegen Napoleon stritten Berger und Scheerhorner Söhne im Bentheimer Bataillon, wie die Verlustlisten 1814/15 ausweisen. Dirk Sloot starb 1815 in Corbevoye in Frankreich.

Nach 1815 Nachdem die Franzosen vertrieben waren, übernahm Regierungsrat v. Pestel die Pfand- schaftsregierung, hob die französischen Ge- setze auf und ließ die alte Ordnung wieder gelten, doch vielfach ohne die früher geübte Milde. Eine Zählung 1821 ergab für Berge eine Zwerggemeinde mit 83 Einwohnern, 16 Feuer- stellen, 10 Höfen; für Scheerhorn 30 Feuer- stel len, 12 Höfe und 184 Einwohner. Die er- wartete Ablösung blieb aus; das vom Bürger-

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Straße und Eisenbahn 1890/1909 die Straße kreuzt, bot sich der geeignete Platz Die Verkehrslage besserte sich, als der alte für die Haltestelle. Im neuen Jahrhundert Heerweg durch Berge und Scheerhorn 1890 führte Berge einen Prozess gegen Scheerhorn eine feste Straßendecke bekam. Ein halbes um seinen Anteil an 32 Mark Brückengeld. Jahrhundert später stufte man diese wichtige Straße zur L 44 auf. 1909 verlängerte die Bent- Nach dem Ersten Weltkrieg heimer Eisenbahn ihr Gleis nach Norden, von Nach dem Ersten Weltkrieg setzte Landrat Bö- Neuenhaus nach Emlichheim. ninger die Kulturtätigkeit seines Vorgängers Im Kampf um die Linienführung entschied fort. Aufmerksam beobachtete man die Tätig- die größere Siedlungsdichte am östlichen Ufer keit der ersten großen Motorpflüge im Moor, der Vechte. An der Stelle, wo die Eisenbahn die leider den Umbruch infolge unerschwingli-

Abbildung 90 Schlechter Weg in Scheerhorn, 1961 oder früher (Willy Friedrich)

Gemeinden streiten um Sparbuch meinde Scheerhorn und nicht auf beide Namen Zeitung und Anzeigenblatt 1911 Scheerhorn-Berge lautend, eingetragen war, Kreisblatt für den Kreis Grafschaft Bentheim weshalb die Gemeinde Scheerhorn ihr Eigen- Bearbeitet von Johann Jeurink tumsrecht an dem Sparkassenbuche geltend machte. Hierüber war die Gemeinde Berge Scheerhorn-Berge, 18. April 1911 höchst entrüstet und leitete das Klageverfahren Für die Instandhaltung zweier aus Bohlen be- ein. Wichtige Zeugen sind inzwischen verstor- stehender Brücken für den Viehübergang und ben. Einige Aussagen der vernommenen Zeu- den Wagenverkehr über den neuen Kanal um gen widersprechen sich gänz lich, weil der somit zu dem Berger Bruche und dem Scheer- Zeitpunkt, um welchen die Brückengeschichte horner Ballast zu gelangen, hatte der Fürst sich abspielt, in dunkler Erinnerung liegt. Die von Bentheim eine einmalige Zahlung von 32 Angelegenheit beschäftigt nun schon seit einem Mark geleistet. Dieser Betrag wurde 1887 bei Jahre das Gericht und will noch immer kein der Sparkasse belegt, womit es solange sein Ende nehmen, so daß ganz bedeutende Kosten Bewenden hatte, bis die Gemeinde Berge, wel- erwachsen. Die Verhandlungen gestalten sich che inzwischen durch eine politische Grenze äußerst schwierig, wenn auch teils recht inter- von der Gemeinde Scheerhorn getrennt worden essant. In beiden Gemeinden wird mit Span- war, ihren Anteil an dem Sparkassenguthaben nung das Urteil erwartet, das wahrscheinlich forderte. Merkwürdigerweise stellte es sich her- Ende dieses Monats in Osnabrück gefällt wird. aus, daß der Betrag nur auf den Namen der Ge-

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cher Treibstoffpreise während der Inflationszeit marschen und Scheerhorn, verbesserte die Vor- bald einstellen mussten. Mit dem elektrischen flut. 1933 besaß Berge 44 ha Ackerland, 14 ha Strom erhielt der Bauernhof eine neue wich- Wiesen, 28 ha Weiden, 22 landwirtschaftliche tige Energiequelle, mit dem Schlepper einen Betriebe, darunter zwei größere Höfe, 15 klei- Ersatz für den tierischen Helfer. Herdbuchge- nere, ein Neubauer, vier Heuer. Die Einwoh- sellschaften und Kontrollvereine halfen, die Er- nerzahl der Zwerggemeinde wuchs in 100 träge der Viehwirtschaft zu steigern. Gab die Jahren von 83 auf 126 an. Scheerhorn besaß Kuh bisher jährlich durchschnittlich 900 Liter 102 ha Ackerland, 31 ha Wiesen, 38 ha Wei- Milch, so konnte durch Zucht- und Pflege- den, 39 landwirtschaftliche Betriebe, darunter maßnahmen der Milchertrag erheblich verbes- sieben größere, 18 kleinere Höfe, zwei Neu- sert werden. In genossenschaftlicher Selbsthilfe bauern, zwölf Heuer und 217 Einwohner. mehrte sich der Bodenertrag, der Gewinn beim Verkauf der erzielten Produkte bei günstigem Nach dem Zweiten Weltkrieg Bezug von Saatgut und Düngemitteln. Die Nach dem Zweiten Weltkrieg erlebte die Lan- Hektarerträge an Getreide, vor 50 Jahren 4–5 deskultur durch das Vorkommen neuer Bo- Doppelzentner, wuchsen auf das Mehrfache an. denschätze eine unvorhergesehene günstige Der Ausbau der Lee, 1927–33 zwischen Wiet- Entwicklung, an der alle Hofstätten teilnah-

Wegebau im Zuge der Vechteregulierung hinter Mensen, Ölstraße 1961. Berge, ca 1960 (Harm Kuiper) Landstraße mit ein- sam dahinziehenden Pferdefuhrwerk bei Scheerhorn. (Willy Friedrich)

Letzte Holzbrücke über die Lee bei Schraten, 2008 (Harm Kuiper)

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Harm Kuiper (1903-1972) Leestau bei Bernd-Harm Alferink. (Harm Kuiper) auf der Leebrücke bei Schiphouwer in 1948 (Harm Kuiper)

Gefrieranlage Scheerhorn Dezember 1958 men. Es begann 1946 mit dem Einsatz von elf Unbekannt, Johannes Lorenz Jönssen, Gerd Evers, Dieselloks im Siedlungsgebiet Berge-Scheerhorn. Harm Kuite, Hindrik-Jan Keute, Gerd Kemper, Bgm. Johannes Nyenhuis, Unbekannt, Frau Kunze, Als man 1949 das Ölfeld Scheerhorn entdeckte, Steven Nöst (Willy Friedrich) beeinflusste der bergmännische Ausbau auch den kommunalen Aufbau beider Gemeinden. Schneller als anderswo erhielten die Marken feste Straßen, die Gemeinden Wasserleitungen, Gefrieranlage, Wäscherei, Jugendheim, Sport- plätze. Erhöhte Steuereinnahmen erlaubten, die Infrastruktur, die Grund ausrüstung der Dörfer zu verbessern. Technische Werkstätten mit 120 Ar- beitskräften, Verwaltungsgebäude, Pumpaggre- gate u.a. setzten gewerbliche Elemente in die bäuerliche Landschaft. Neusiedlungen entstan- den, Vollerwerbsbetriebe mit zwölf bis 15 ha Kulturland und handwerkliche Nebenerwerbs- siedlungen. Neue Vorfluter und Nebengräben verbesserten den Abfluss; feste Brücken, wie Eißen- und Schratenbrücke, boten sicheren Zu- gang für Schlepper und Landmaschinen. Die Öl- 21.11.1985, Bürgermeister Jan Hindrik Koops firma Deilmann verlegte ihren Sitz nach wird sechzig, v.l. Frieda Koops, Jan Hindrik Koops Scheerhorn; sie half mit an den umfangreichen und Henrika Köster (Willy Friedrich) Kulturmaßnahmen in den Marken.

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Eine neue, zweiklassige Schule im Grünen, Bürgermeister der ausgestattet mit Vorgarten, Staudenbeeten, Gemeinde Scheerhorn Lehrgarten, Pausenhof und Gymnastikraum Etwa 1830 B. Scholten, ersetzte den alten, 100-jährigen Schulraum; etwa 1877 Jan Alferink (1835–1915) eine Ehrentafel hält die Erinnerung an die im etwa 1881 bis 1908 Wilm Scholte (Scholten). Kriege Gefallenen wach. 1956 brach die Sonde Hermann Alferink (1880–1932), von Mai 22 aus; die 30 m hohe Ölfontäne konnte nach 1919 bis etwa 1925. einigen Tagen gebändigt werden. 1962 erreichte die Vechteregulierung die Leemündung; ein Vechtewehr mit Stau ent- stand. Damit hörten die verheerenden Über- schwemmungen auf, unter denen besonders Berge noch 1951 zu leiden hatte. An der alten Straße, L 44, die mehrfach begradigt und er- weitert wurde, richtete das Deutsche Rote Kreuz 1970 einen Rettungswachdienst in den Berger Tannen, in der Nähe des Leebades, ein. Ziele landwirtschaftlicher Lehrfahrten sind manche der stattlichen und mit neuzeitlichen Einrichtungen versehenen Höfe, darunter auch der Aussiedlerhof Maathuis, der 21 ha, zur Hälfte Acker- und Grünland, bewirtschaf- tet und mit zweckmäßigen Betriebsanlagen, wie Absaugvorrichtung, ausgestattet ist. Als Beispiel eines Kulturpioniers sei J. Oldekamp genannt, der im Scheerhorner Moor vor 50 Bürgermeister Hermann Alferink (*1880) Jahren einen eigenen bäuerlichen Betrieb mit Frau Janna geb. Slikkers, vier kleinen Kindern und Vater um 1920 (Hindrik-Jan Alferink) aufbaute und durch mühsame Kultivierungs- arbeiten erweiterte. Die Leitung der aufstre- Danach folgte Gerrit Hindrik Hatger benden Gemeinde hatte 1961 J. Nyenhuis, der (1881–1944) von etwa 1925 bis 1931. 1961 bereits 30 Jahre Bürgermeister war, was Johannes Nyenhuis (1881-1975), war von die Kreisverwaltung ihm durch eine Ehrenur- 1931 bis Oktober 1968 fast vierzig Jahre Bür- kunde dankte … germeister der Gemeinde Scheerhorn. Ein Nachruf in den Grafschafter Nachrichten be- schreibt ihn als einen „Grafschafter von ech- Quellen tem Schrot und Korn“. Er machte nicht viele Edel, Die Herrlichkeit Emlichheim, Jahrb. 1953 Worte, sondern stellte immer wieder das All- Der Fettpott, Grafsch. Tageblatt 1950, Nr. 163 Friedrich, Berge, Porträt einer gemeinwohl in den Vordergrund. GN 09.1975 Landgemeinde, Grafschafter Nachrichten 1960 Letzter Bürgermeister in Scheerhorn war Jan Friedrich, Scheerhorn, Porträt einer Landgemeinde, Grafschafter Nachrichten 1960 Hindrik Koops (1925–2003). Vom Oktober Frommeyer u. Lögters, Erdöl und 1968 bis zum Inkrafttreten der Gemeindere- Erdgas im Emsland, Jahrb. 1960 Klopmeyer, Die Besiedlung des Niedergrafschafter form am 01.03.1974 hatte er dieses Amt inne. Hochmoors, Der Grafschafter 1954, Folge 14 Anschließend war er bis 1996 Bürgermeister Ossenbühl, Die Entwicklung der adligen Güter, Jahrb. 1966 Specht, Heimatkunde eines Grenzkreises der Gemeinde Hoogstede und Samtgemeinde- Der Landkreis Grafschaft Bentheim bürgermeister von 1991 bis 1996.

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„Onkel Hans“ = Johannes Nyenhuis Erzählt von Johann Jeurink

Gerne erzählte Jan-Hindrik Koops von seinem Vorgänger Nyenhuis, den er „Onkel Hans“ nannte. Dass Nyenhuis einen Sinn für Gerechtigkeit hatte und nicht vor den Behörden kuschte, erzählte Koops öfter mit einer kleinen Anekdote. Regelmäßig prüfte der Landkreis die Bücher der Landgemeinden. In den 1950er und 60er Jahren führte Herr Woltmann diese Prüfungen durch. Bei Bürgermeister Gerrit Hindrik Hatger (1883-1944), einer solchen Prüfung fand Woltmann im Amt 1925 bis 1931 (Harm Kuiper) eine Rechnung über einen Hut. Er konnte sie nicht einordnen und stornierte den Betrag. Bürgermeister Nyenhuis musste diese Rechnung privat bezahlen. Nyenhuis war ein ehrlicher und kor- rekter Mann. Er begründete die Buchung so: Nach einer Landtagswahl trafen sich die Wahlhelfer im Wahllokal Warmer zur Auszählung der Stimmen. Danach blieb man noch bis spät abends in geselliger Runde zusammen, bevor man den Heim- weg antrat. Nyenhuis musste feststellen, dass jemand wohl versehentlich seinen Hut mitgenommen hatte. Trotz vieler Be- mühungen tauchte der Hut nicht wieder Bürgermeister Johannes Nyenhuis (1881-1975), im Amt 1931 bis 1968 (Harm Kuiper) auf. Der Bürgermeister ließ sich diesen Hut Vorsteherwahl zu Lasten der Gemeinde bezahlen. Er Zeitung und Anzeigenblatt 1919 meinte: Der Verlust des Hutes erfolgte bei Kreisblatt für den Kreis Grafschaft Bentheim der Ausübung kommunaler Tätigkeiten. Ausgesucht von Johann Jeurink Nyenhuis war von kurzen Entschei- Scheerhorn, 3. Mai 1919 dungen geprägt. Er diskutierte nicht „Gemeindevorsteherwahl mit Hindernissen“ lange mit dem Rechnungsprüfer und ak- Unsere Gemeinde hat ein neues Oberhaupt zu zeptierte dessen Entscheidung vorläufig. wählen, doch stößt die Wahl auf unerwartete Bei der nächsten Prüfung aber wies er Schwierigkeiten. Zwei Wahltermine sind be- den Prüfer darauf hin, dass er sich seinen reits abgehalten, und beide waren vergeblich, Hut nach der letzten Prüfung doch von so daß ein dritter Termin angesetzt werden der Gemeinde habe bezahlen lassen. Der muß. Beim ersten Termin am 29. März hatten Prüfer werde bei der aktuellen Prüfung sich von 33 Wahlberechtigten 19 eingefun- den Betrag bestimmt nicht finden. „Dajn den. Die meisten Stimmen vereinigte der Betrag hebb ik deer met unner knooit, Kolon Jan Schiphouwer auf sich, nämlich um dät he mi tosteht.“ von 19 sieben. Damit war eine absolute Mehr- heit nicht erzielt, vom Landratsamt wurde die Bestätigung versagt und Neuwahl anberaumt.

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In derselben Versammlung wurde der Kötter Hindrik Schraten einstimmig zum Beigeord- neten gewählt. Es wurde ein neuer Termin für die Ge- meindevorsteherwahl auf den 16. April ange- setzt. Da die Gemeindevorsteherwahlen noch nach dem früheren Wahlrecht vorgenommen werden sollen, teilte der Vorsteher den er- schienenen Wahlberechtigten mit, wie viel Stimmen nach der Steuerkraft jeder habe. Da aber erhob sich bei denen , die nur eine Stimme hatten, stürmischer Widerspruch. Sie bestan- den auf Vornahme der Wahl nach dem glei- chen, geheimen und allgemeinen Wahlrecht. Sie verließen unter Protest das Wahllokal. Der Landrat hat jetzt den Verweser des Hülfsamts in Neuenhaus, Herrn Middendorf, zum Wahl- kommissar für die Gemeindevorsteherwahl in Scheerhorn ernannt, und unter seiner Leitung dürfte nun in Kürze die endgültige Wahl er- folgen. Scheerhorn, 12. Mai 1919 Die viel umstrittene Gemeindevorsteherwahl ist nun am vorigen Donnerstag erfolgt. Die Wahl leitete der vom Landrat ernannte Kommissar Middendorf. Vor dem Wahlgang Ein kleines Freibad an der Lee, erhoben zwar einige Kötter noch Widerspruch GN 31.05.1965 Bis etwa 1971 genutzt, heute ein „Freibad“ für Schwäne. Im Hintergrund die Lee (Onstee)

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gegen das alte Wahlrecht. Nach den nun ein- In Berge werden 1656 genannt: Albers, De mal aber bestehenden Bestimmungen mußte Coyt (Kuite), De Cuiper, Bols Lambert (Grote die Gemeindevorsteherwahl danach erfolgen. Lambers), De Pranger (Silder, als einziger in Abgegeben wurden insgesamt 62 Stimmen, der Zeit Fürstlicher Hof), Mense in de Berge, wovon 43 auf den Kolonen Hermann Alfe- Engbert Swiers (Arnold Mensen) und elf wei- rink entfielen, der damit gewählt war. Die an- tere Hof- oder Landbesitzer, wobei es sich deren 19 Stimmen waren zersplittert. wahrscheinlich um Kotten und Brinksitzer ge- handelt hat. Die Hof- und Freiflächen vor den Höfe in Berge und Scheerhorn Höfen Mensen, Kuite und Kuiper werden Von Harm Kuiper heute noch als „Brink“ bezeichnet, was wohl In der Gildschaft Scheerhorn wurden im Jahr auf die „Brinksitzer“ zurückzuführen ist. Ver- 1656 siebzig Hofstellen gezählt, davon elf gleicht man diese Familiennamen mit den Erb- und zwei Schultenhöfe, 43 Höfe mit heutigen, kann man erkennen, dass sehr viel Acker und Grünland und 14 Hofstellen nur Wert auf die Tradition der Hof- und Famili- mit Ackerland. Die Größe der Hofstellen be- ennamen gelegt wurde. Das Leben der Fami- trug in der Regel unter 20 Hektar. Nur die bei- lien in Berge spielte sich auf einem sehr den Schultenhöfe in Arkel und Scheerhorn kleinen Raum ab. hatten etwa 25 Hektar. Dieser beschränkte sich auf die heutige Sieben Höfe in der Gildschaft waren dem Ringstraße, an der (bis etwa 1872) auch noch Grafen von Bentheim hörig, einer dem Kloster die Höfe von Engbers (Mensen), jetzt Feld- Wietmarschen. Vier Höfe wurden als „Arve“ straße, und Albers (bis 1888), jetzt Wallstraße, bezeichnet. An der Lage und Namen der Höfe lagen. Dazu kam der Hof von Klein-Lambers hat sich bis heute wenig geändert. (Kohlenberg) an der jetzigen Hauptstraße. In Scheerhorn werden genannt: De Scholt Östlich oder rechts der heutigen Haupt- (Scholten / Smit) Ratering (Bosman), Hartger, straße lagen nur die beiden Höfe von Kuite Hemken (Nyenhuis), Zuerink (Züwerink) Schi- und Kuiper. In diesem ganzen Kreis kann man phouwer, De Vett und Coops. die alte Wegestruktur heute noch gut erken- Übersichtskarte der Höfe in Berge (Harm Kuiper)

113 2 GESCHICHTE DER ORTSTEILE

Heuerhaus von Kuite im Berger Bruch. Familie Berents bis 1896, Familie Klokkers 1896–1926, Familie Jeurink 1926–1954. Dieses Heuerhaus wurde wegen familiärer Umstände im 19. Jh. von Neuringe (Kuite) nach Berge versetzt. Kuite hat es Ende der 1990er Jahre abgerissen. (Willy Friedrich)

„Scheerhorn: Ein überaus altes Heuerhaus bei Scheerhorn. Heuerhäuser waren einst die Un- terkunft der Heuerleute, der ländlichen Arbeitskräfte, die als Pächter ohne eigenen Grundbe- sitz waren. Ihre Zahl betrug um 1880 allein im ehemaligen Amt Neuenhaus 2.760 Personen. Die Abwanderung von den Höfen und die damit verbundene Aufgabe der Heuerhäuser begann in der Grafschaft mit dem Aufbau der Textilindustrie in Schüttorf und Nordhorn und fand ihren Abschluss mit dem Strukturwandel der Landwirtschaft nach 1945. Seither wird das ehe- malige Pachtland zumeist von den Stammhöfen bewirtschaftet. Heute sind viele Heuerhäuser der Niedergrafschaft restauriert und zu schmucken ,Landhäusern’ umgestaltet worden.“ (Auf- nahme von W. Friedrich vom Januar 1961).

nen. Alte Sandwege, heute fast mit Gestrüpp große Sanddünen, die in der Landwirtschaft zugewachsen, sind umrahmt von alten knor- sehr große Schäden anrichteten. Man sprach rigen Eichen an den Kämpen. Die jetzige auch von der „Berger Sahara“. Personen, die Hauptstraße gab es früher so nicht. Dieser diese Sanddünen beschrieben haben, berich- Verlauf stammt aus der Franzosenzeit Anfang teten über die Sandverwehungen als ein un- des 19. Jahrhunderts. vorstellbares Naturschauspiel. Wer einmal längs der Lee spazieren war, sich in der Zeit zurück- versetzt und sich die großen Sandhügel ohne Die „Berger Sahara“ jeglichen Bewuchs vorstellt, kann vielleicht Hinter den Höfen Kuite und Kuiper, genauer die Ausmaße in der damaligen Zeit erahnen. hinter Albers Kamp, gab es Heidelandschaf- Bereits 1707 traf man erste Maßnahmen, ten bis an die Lee. Das ganze Berger- und um die Sanddünen einzudämmen. Doch große Escherfeld war Heide, soweit das Auge reichte. Schafherden der heimischen Bauern vernich- Der Berger Brill wurde nur sehr spärlich teten immer wieder durch Zertretung und bewirtschaftet. Die Berger Tannen gab es zu Verbiss jegliche Aufforstaktionen. Auch der der Zeit noch nicht. Längs der Lee wüteten Plaggenstich wirkte sich negativ aus.

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Immer wieder wurden Versuche gestartet, Pferde und „pakken“ (Troßgepäck) zu haben. angetrieben von der Landesregierung in Han- Die nach Veldhausen „en elders“ zurückwei- nover. Aber die heimischen Verantwortlichen chenden Engländer brachen die Brücke bei Bauern trugen keineswegs zum Gelingen bei. Coevorden ab. Erst 1881 kam in der Gastwirtschaft Kleine In Scheerhorn verbrannten sie die Holz- Lambers ein Zusammenschluss der Scheer- brücke über den „hollandschen Graven“, so hieß horner und Berger Grundbesitzer zu einer früher die Lee. Die Bauern mussten Torf heran - Waldgenossenschaft zustande. 1884 wurden schaffen, um sie in Brand setzen zu können … 100.000 Kiefern gepflanzt. Zehn Jahre später meldete das Amt Neuenhaus, dass keine Sand- Unter französischerHerrschaft (1806–1815) verwehungen mehr vorkommen. Am 4. August 1806 wurde trotz aller Zahlun- Einige Flächen sind von den Grundbesit- gen und Vereinbarungen die Grafschaft Bent- zern in den 1960er und 70er Jahren gerodet heim von Murat, dem Schwager Napoleons – worden und werden jetzt landwirtschaftlich er nannte sich Großherzog von Berg – in Besitz genutzt. Doch der größte Teil des Kiefernwal- genommen. Damit begann die bis 1815 dau- des ist bis heute erhalten geblieben und ein ernde eigentliche „Franzosenzeit“. Unsere Hei- herrliches Erholungs- und Rückzugsgebiet für mat wurde dem Großherzogtum Berg ein- Mensch und Tier geworden. verleibt, aber schon bald zum französischen Gerrit Jan Zager hat im Bentheimer Jahr- Kaiserreich geschlagen. Die Verwaltung wurde buch 2001, S. 170–174 einen Artikel veröffent- jetzt ganz nach französischem Muster auf- licht „Der Kiefernwald in Scheerhorn-Berge“. gebaut und organisiert. Mairien (Bürgermeister Er bezieht sich auf die Akte Rep 350, Nr. 749 ämter) und Munizipalitäten (Bezirksbürgermeis- aus dem Staatsarchiv Osnabrück und auf tereien) wurden eingerichtet. Auch Klein-Ringe einen Beitrag von H. Specht im Heimatkalen- wurde eine „Mairie“ und Hindrik Beerlink „By- der von 1927 „Der Kampf des Grafschafter geordneter der Munizipalität Klein-Ringe und Landwirts mit dem Sande“. Zagers Artikel Delegierter Civil Standesbeamter“. Das von ihm musste aus Platzgründen hier entfallen. auf Veranlassung der Besatzung geführte Ster- beregister für das Jahr 1813 wird ebenfalls im In der Franzosenzeit Hause Bierlink aufbewahrt. Wie viel Elend und Leid die damalige Bevöl- Das System der „Marien“, das die Franzo- kerung erleiden musste, beschreibt der Bauer sen bei uns eingeführt haben, ist bis heute Bernd Bierling aus Klein Ringe in den Jahren mehr oder weniger ähnlich erhalten geblieben. 1759 bis 1836 in seiner Chronik, die er geführt Sinn und Zweck war es, jede Geburt zu erfas- hat. (J.B. = Jahrbuch 1979) So gern von der sen, und die Söhne, auch frühere Jahrgänge, „guten alten Zeit“ gesprochen wurde, an das zum Militärdienst einzuziehen. Von diesen Elend der kriegerischen Ereignisse dieser Zeit Auflistungen der Standesämter haben alle erinnert man sich nicht mehr. späteren Landesherren und Regierungen Ge- brauch gemacht. 1794–1803 1795, 25. Januar: Es herrscht unerträgliches Nr. 5 Geburt von Fenne Brunink Frostwetter. Waal, Maas und Rhein sind zuge- Abschrift der Urkunde (Seite 116): Im Jahre froren. Das ermöglicht den Franzosen den Eintausend achthundert zwölf am ein und Durchbruch nach Holland. Engländer und dreißigsten Jannuar, des Nachmittags drey Wittgensteiner ziehen durch und nehmen Uhr, erschienen vor mir, Heinrich Beerlink, viele Bauernwagen mit. Am 11.2. ziehen die Maire der Municipalität Kleine Ringe, der Ta- Franzosen in die Festung Coevorden ein. In gelöhner Jan Brunink, wohnhaft zu Berge, mit dieser Zeit war es schlimm mit all dem der Anzeige, daß am Donnerstage, den drey- „Kriegsvolk“. In Emlichheim brachen die Sol- zehnten Jannuar des Morgens vier Uhr, ihm daten die Bänke aus der Kirche, um Platz für von seiner Ehegattin ein Kind weiblichen Ge-

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schlechts geboren sey, welchem er den Vorna- men Fenne gegeben habe. Zeugen beij dieser Handlung waren: Der Ackersmann Jan Lambers, fünfundsech- zig jährigen Alters und der Municipal-Rath Geerd Kuiper, zwey und vierzig Jahre alt, beyde zu Berge wohnhaft. Jan Lambers, Geert Kuijpers Nach Verlesung erklärte der Comparent Bru- nink schreibensunfähig zu seyn, die Zeugen unterschrieben vorstehend. gez. Heinrich Beerlink Maire (Bürgermeister) zu Kleine Ringe.

Bürgermeister von Berge 1806-1974 Die damaligen „Maire“ waren praktisch die er- sten Bürgermeister. Der erste Bürgermeister oder Gemeinderat von Berge war meines Er- achtens Geerd Kuiper. Er war bis etwa 1833 Bürgermeister Ihm folgte etwa 1833 Jan Harm Grote Lambers, geb. 1806 in Berge. Um 1853 war Geert Albers geb. Holthuis (aus ) Bür- germeister in Berge, 1880 bis 1902 war es Jan Harm Grote Lambers. Am 31.01.1812 wurde die Geburt von Fenne Brünink vor dem Maire der Municapa- lität Klein Ringe, Heinrich Bierlink beurkun- det, die am 30.01.1812 geboren sei. Zeugen Geburtsurkunde Fenne Brunink 30.01.1812 (Harn Kuiper)

Bürgermeister Harm Kuite 1855–1945 Bürgermeister Hindrik-Jan Keute 1909–2001

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Bürgermeister Gerhard Mensen 1896–1958 Bürgermeister Harm Kuite 1909–1983 (Harm Kuiper) dieser Handlung waren der Ackermann Jan Lambet und Velt. Überwiegend hielten sie Scha- Lambers und der Municipalrath Geerd Kuiper, fe, nämlich 170 Stück. Außerdem wurden 28 beide wohnhaft zu Berge. Geert Kuiper ist Pferde, 45 Kühe, 30 Rinder und zehn 1767 geboren und 20.02.1846 gestorben. Schweine auf den Höfen gehalten. Auf den elf Harm Kuite geb. 06.04.1855, war von 1902 Höfen lebten 1705 32 Erwachsene, 14 Kinder bis zum 15.09.1937 Bürgermeister in Berge. und fünf Knechte/Mägde. 1717 waren es 29 Harm Kuite ist am 16.12.1945 verstorben. Das Erwachsene, acht Kinder und zwei Knechte/ Gemeindebüro befand sich schon zu der Zeit Mägde. auf dem Hof Kuite und blieb dort bis zur Ge- Die Anzahl der Hofstätten hat sich auch im meindereform in 1974. Jahr 1800 noch nicht geändert. 1821 waren es Ab 16.09.1937 war Hindrik-Jan Keute nur noch zehn| Höfe aber mit 83 hatte sich Bürgermeister der Gemeinde Berge bis zu die Zahl der Einwohner fast verdoppelt. seiner Einberufung 1943. Er ist geboren Nach dem Bau des Nord-Süd-Kanals ab 27.03,1909 und verstorben am 30.09.2001. Er 1871 und dem Ausbau und Regulierung der war über viele Jahrzehnte in verschiedenen Lee 1927 bis 1933 siedelten sich mehrere land- Gremien tätig (Gemeinde, Schule und Kirche). wirtschaftliche Betriebe an. 1933 gab es 22 Gerhard Mensen geb. Hannebrook geb. Höfe und 126 Einwohner. 10.03.1896 in Bathorn war Bürgermeister von Einen wahren Bauboom für das kleine 1946 bis zu seinem Tod am 05.02.1958. Berge gab es am Anfang der 1950er Jahre. Nachfolger und letzter Bürgermeister war Bauernsöhne, aus dem Krieg oder der Kriegs- Harm Kuite, der dieses Amt bis zur Gemein- gefangenschaft heimgekehrt, bauten sich in dereform 1974 inne hatte. Geboren wurde er der Gemeinde ein Haus. So wuchs Berge bis am 10.10.1909 und ist am 23.04.1983 gestor- Ende 1959 auf 160 Einwohner in 30 Wohn- ben. Hiermit schloss sich die Akte Bürgermei- häusern an. steramt in Berge. Flüchtlinge des letzten Krieges sind in Berge nicht sesshaft geworden. Dafür war die Volkszählungen 1707 bis 1959 Gemeinde zu klein und hatte auch wirtschaft- 1707 zählt man in Berge elf Höfe. Kuiper, lich zu wenig zu bieten. Die letzten Flücht- Kuite, Grote, Lambers, Huit Derck, Prenger, linge verließen Berge 1960 und so pendelte Huit Albert, Mensen, Engbert, Zweers, Klein sich die Personenzahl zwischen 140 und 150

117 2 GESCHICHTE DER ORTSTEILE

ein. Heute hat Berge ca.123 Einwohner. Auch An die Königliche Cammer Administration an den 30 Wohnhäusern änderte sich in den hier. Actum Neuenhaus Dienstag den 28ten letzten 50 Jahren nichts mehr. Berge war, ist Januar 1823 praesentes Herr Richter Wede- und bleibt eine kleine beschauliche und vor kind und der Actuar Wineke allem überschaubare Landgemeinde. Demnach Königliche Cammer zu genehmigen geruht hat, daß den im ?vergangenen? Som- Hungersnot 1822 in der Gildschaft mer durch Hagelschlag beschädigten Einge- Scheerhorn sessenen der Gildschaft Scheerhorn, acht Last STAOS, Rep 340, Amt Benth. Nr. 645, Ge- 71 Scheffel Roggen zum Brotkorn, von dem treidelieferung auf Kredit an die Gildschaft herrschaftlichen Vorrathe für den jetzigen Scheerhorn zur Abwendung einer infolge Marktpreis überlassen werden, zu dessen Hagelschlags drohenden Hungersnot bis zum ersten September dieses Jahres gefri- Akten via Harm Kuiper, Berge steten Bezahlung aber die theilnehmenden Pr. 21 Decbr. 1822 Communen sich in solidum verpflichten sollen Die Eingesessenen der Gildschaft Scheerhorn – und dann Königliche Regierung zu Bentheim, im Gericht Emlichheim sind im Monate Mai mittelst Rescripts vom 20ten dieses Monats dem d.J. dergestalt mit Hagelschlag heimgesucht Friedensgerichte Emblichheim aufgetragen hat, worden, daß die Mehrsten kaum das benöt- über die von den Eingesessenen der betreffen- higte Saatkorn von ihren Feldern eingeerndtet den Communen der Gildschaft Scheerhorn zu haben, und an Brotkorn würcklich Mangel lei- übernehmende Verpflichtung ein gehöriges den. Da sie sich um selbiges bey dem gegen- Protocoll auf zu nehmen und einzu senden, wärtigen Geldmangel und den außerordentlich damit wegen Ablieferung des Roggens das Wei- niedrigen Preisen aller Landes-Producte selbst tere verfügt werden kann, so erschienen heute: auf Credit nicht anzuschaffen vermögen; so 1. aus der Bauerschaft Scheerhorn die Coloni haben sie sich in dieser drückenden Lage an Schulte, Hemmeke, Ratering, Vette, Egbers, Uns gewandt und um Hülfe nachgesucht. Kamps, Brüning und Haatger, welche er- Wir haben Uns daher veranlasst gesehen, klärten, daß sie in Hinsicht der Bezahlung durch den Friedensrichter Wedekind den würck- der drei Last fünfzig Scheffel, welche sie lichen Bedarf der besagten Eingesessenen an von dem obigen Roggen erhalten würden, Brodkorn untersuchen zu lassen, welche in alle für einen und einer für alle, oder in so- dem hiebey anliegenden Bericht des selben vom lidum haften und folglich jeder für die 18 d. Mts. auf 8 Last 71 Scheffel Roggen dor- ganze Summe ansprechlich seyn wollte. tigem Maaße angegeben wurden. 2. aus der Bauerschaft Hochstädte erschienen Da nun jenen des Brotkorns bedürftigen die Coloni Warmer, Hannebook, Wöste, Saal- Eingesessenen auf keine andere Weise zu hel- ming, Jöring, Kuhlmann, Kalmann, Albers, fen ist, als daß denselben, wie von dem Frie- Kolthoff, Schulte zu Arkel und Völker, welche densrichter Wedekind vorgeschlagenen wor den in Hinsicht der zwei Last sechs und sechzig ist, der ihnen fehlende Roggen von den herr- Scheffel, welche sie von obigem Roggen er- schaftlichen Kornböden, in so fern es der Vor- halten würden, das Nämliche erklärten rat gestattet, auf Credit, etwa bis 1 September 3. aus der Bauerschaft Bathorn erschienen die künftigen Jahres, jedoch unter genugsamer Coloni Quade, Bolle, Brookschnieder, Boer- Sicherheits-Leistung für die Bezahlung des kamp, Blömer, Wiegman, Wigger und Herm jetzt ... gängigen Preises, verabfolgt werde; so Neerken, welche das Nämliche erklärten in geben Wir der Königlichen Cammer – Adminis - Ansehung der einen Last und 53 Scheffel, trationen anheim, bey Königlicher Cammer die welche sie von dem bewilligten Roggen er- dazu erforderliche Autorisation nachzusuchen. halten würden. Bentheim, den 20. December 1822 4. Erschienen die drei Eingesessenen der Bau- Königliche p. Regierung erschaft Berge, nämlich Zweers, Engbers Pestel und Schnieder, welche in Hinsicht der 52

118 BERGE UND SCHERHORN

Eigenhändige Unterschriften von 36 Einwohnern aus 1823, Abschrift Seite 118 (Gerrit Jan Beuker)

119 2 GESCHICHTE DER ORTSTEILE

Scheffel, die sie von obigem Roggen erhal- sondere der Rechtswohlthat der Theilung und ten würden, das Nämliche declarirten. haben dies Protokoll, welches nach zurück be- 5. Endlich erschienen auch die beiden Einge- haltener Abschrift, im Original an Königliche sessenen Schlickert und van Ringe aus Tin- Regierung zu Bentheim eingesandt werden holt, und erklärten eben dasselbe in Hin- soll, darauf nach geschehener Verlesung und sicht der fünfzig Scheffel, die sie von obi- Genehmigung eigenhändig unterschrieben.“ gem Roggen erhalten würden. Sämtliche Comparenten entsagten allen ihnen etwa zustehende könnende Einreden, insbe-

So geschehen Neuenhaus am Tage wie oben G. Wedekind Berent Scholten Harm hemke Gerrit Jan Vette Jan Raterink Geert kamps Jan Egbers Jan harm brunink Jan Hartger Jan wermer Geert han nebrook jan weusten Jan Jeurink Gerrit zaalmink H. Koelmann Rötger Kalman sein Merkzeichen Jan Hindrik Albers welches bescheinige Wineke Harm Kolt hof Geert Scholte hindrik Kwad jan hindrik volkers Egbert brook snijder Albert Bol janherm bleumer Jan Harmberkamp Jan wiggers wasse wiege man Janhindrik Zweers ham neeken Berend Engbers zijn Hindrik Slikkers Merkzeichen, welche bescheinige Wineke Jan van Ringe sein Merk- Geert Sniders zeichen, welches bescheinige Wineke Wineke

Heuerhaus vom Hof Scholte, Scheerhorn, etwa 1955-1960 Hier wohnten Familie Heck- huis, Familie Gerhard Büter, Familie Veldjans, Fam. Hans Rießland, Familie Michalsky. Wohn-Wirtschaftsgebäude in Scheerhorn. Das wohl älteste Haus in der Nieder- grafschaft. Mit Stroh, Schilf, Heideplaggen und „Woagebü- schen“ (Wacholder) gedeckt, ebenfalls die Giebelfront. Die Bewohner fühlen sich darin wohl. Zufriedenheit ist „relativ“. (Willy Friedrich)

120 BERGE UND SCHERHORN

Dokumente Berge 1829 bis 1919 nannte Kauf-Summe bereits völlig ausbezahlt Harm Kuiper habe, so setzen sie denselben in den ruhigen Besitz der ihm verkauften Wiese, und ver- Kaufbrief Ratering an Mensen 1829 sprachen ihm die Gewähr Rechtens, jederzeit „12. Mai 1829 dafür zu halten. (Stempeltaxe 8 Gute Groschen conv. Münze) Nach geschehener Vorlesung und Geneh- Vor dem Amte erschienen die Eheleute Colon migung haben die Verkäufer Eheleute Ratering Jan Ratering und Janna Alfering aus Scheer- vorstehenden Kaufbrief eigenhändig unter- horn: Dieselbe sagten aus und bekannten ver- schrieben und respective mit einem Handmerk möge eines von ihrer Gutsherrschaft der bezeichnet. Fürstlichen Domänen Cammer unterm 31ten Jan Raterink März dieses Jahres erhaltenen Consens ver- kauft zu haben, und hiermit verkauften, ihre ++ Diese Zeichen zog die Ehefrau Ratering ge- ihnen eigenthümlich zubehörende ungefähr ein borne Janna Alfring eigenhändig in meiner Tagwerk haltende Wiese, belegen an Brinks Gegenwart, quod attestor… Mathe und am Escherbrook, an den Colon Urkundlich vorgedruckten Amts-Siegels – ab- Herm Mensen in den Bergen mit Lüsten und schriftlicher Eintragung in das Documenten Lasten, Recht und Gerechtigkeiten für die Protocoll und der gewöhnlichen Unterschrift. Summe von f 400,- geschrieben vier hundert So geschehen, Neuenhaus, den 12ten May Gulden – wobei sie bemerken mussten, daß 1829 aus diesem Grundstücke der Zehnte gehe, Standesherrliches Fürstlich wovon sie ihren Antheil dem Käufer mitver- Bentheimsches Amt kauftt hatten. Da der Käufer nun ihnen die ge- Wessels.“

Anfang und Ende Kaufbrief Ratering an Mensen, 12.05.1829 (Harm Kuiper)

121 2 GESCHICHTE DER ORTSTEILE

Scheerhorner Ballast / Kündigung Sodann wünsche er, daß ??Editalladungen eines Versatz-Verhältnisses 1849 erlassen und durch diese alle etwaigen Gläu- Geschehen Amt Neuenhaus, den 17. Juli 1849 biger, auf welche etwa ein Antheil an dem Fürstlich-Bentheimsche Domänen-Kammer ./. fragl. Kapitale durch Erbschaft r. übergegan- 28 Eingesessene der Gildschaft gen sein möchte, von der jetzt geschehenden Scheerhorn betreffend Kündigung in Kenntnis gesetzt und zur An- Es erscheint Namens der Fürstlich-Benheim- meldung ihrer Ansprüche in einem auf ein schen Domainen-Kammer der Rentmeister halbes Jahr hinaus gesetzten Termin, bei Crameer von hier und trägt vor: Strafe der Präilusion, vorgeladen würden; Der Graf Friedrich Karl Bentheim habe diese Vorladung unter denselben Präjudize laut einer unter dem 20. Sept. 1747 darüber möge auch an die Inhaber der erwähnten Co- aufgenommenen Urkunde die Summe 8.400 lonate geschehen; Sodann bitte er noch das Gl. niederl. von folgenden Personen zum Dar- Präjudiz anzudrehen, daß diejenigen die eine lehen erhalten: des Geldes auf welche im Anwandlungster- Schulze zu Scherhorn, Lambert Ensing, mine keine Anspruch erhoben würde, daher Hinrich Bloemer, Albert Alfering, Berend Sui- unausgezahlt bleibe, auf Gebühr und Kosten vering, Gerd Schiphouer, Hemke, Gerd Weu- der später sich meldenden Gläubiger gericht- ste, Jan Ratering, Gerd Hartger, Coop Mensen, lich deponiert werden solle Hindrich Herms, Geerd Saalming, Lambert Er halte für genügend, wenn die ???Einla- Schulze odere Meijers, Lambert Jöring und dung den Osnabrückschen Anzeigen inserirt Grote Lambers (Hindrich), Gerrit Quade, Bau- und in den Kirchen Veldhausen, Arkel und kamp, Wermer, Gosen, Koelmann, Weuste, Emblichheim publicirt werde. Neerken, Jan Wiegering, Derk Kolthoff, Jan Endlich überreich er zur Kenntnisnahme Saalming, Jan Bruining, Hannebroek und des Amts eine Abschrift des eben erwähnten Kaalmann; Contracts, von welchem er indessen keine Mit- Für jenes Darlehn seij den Darlehngebern, theilung an die Besitzer der genannten Colo- welche in der Urkunde sämmtlich als Scher- nate wünsche. horner Eingesessenen aufgeführt seijen, zum procl. ratif. Theil indessen auch in anderen Bauerschaften a.u.s. (actum ut supra) der Gildschaft Scherhorn wohnen, der zu Kock H. hacke Scherhorn belegene s.g. Scherhorner Ballast, Durch ‘Blama? am 3. August 1849 insinirt?? dem Fürstlichen Haus Bentheim eigenthüm- W. Brill??“ lich gehörig, in antikretischem Versatze gege- ben, und seij stipulirt worden, daß beide Ablösungs-Receß von 1876 Theilen nach Ablauf von 25 Jahren seit dem Zwischen dem Rentmeister Crameer zu Neu- 20 Sept. 1747. eine halbjährige Kündigung enhaus, Namens und im Auftrage der Fürst- des Darlehns, resp. des Versatzverhältnisses lich Bentheimschen Domänen Kammer zu frei stehen solle. Burgsteinfurt und Die Fürstlich-Bentheimsche Domainen- dem Colon Mensen zu Berge ist der nach- Kammer wolle nunmehr den Scherhorner Bal- stehende Ablösungsvertrag abgeschlossen last wieder einziehen, kündige daher hiermit worden. die darauf ruhende Last der antikretischer 1. Aus dem Colonate Mensen zu Berge wer- Versatzung und erkläre sich bereit, binnen den nachfolgende, dem Fürstlichen Hause einem halben Jahre, von Zeit der Kündigung Bentheim zu leistenden Abgaben abgelöst, angerechnet die Schuld 8.400 Gl. den als: ein s.g. Rauchhuhn Berechtigten zurück zu zahlen. Er bitte, 2. Diese Abgaben werden mittelst Kapital- diese Kündigung den jetzigen Inhabern der ge- Zahlung abgelöset und beträgt das Ablöse- nannten Colonate zu insinieren und ihn(en) Kapital dafür auf Grund der nebenstehen- Insinuationsbescheinigung zugehen zu lassen. den Bezeichnung 4 G. 24 gr.

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3. Der getroffenen Vereinbarung zufolge soll das vorgenannte Ablöse–Kapital nebst den bis dahin seit dem letzten Fälligkeitstermine verlaufenen Zinsen zu 4% am 1. Nvbr. d.J. bezahlt werden. 4. Nach Zahlung des Ablöse-Kapitals und der Rente ist das eingangs gedachte Kolonat von den im Art. 1 genannten Abgaben für immer liberirt, so daß Ansprüche darauf nie mehr gemacht werden können. So geschehen Neuenhaus den 1. Mai 1876 gez. Crameer, H. Mensen bitte um Bestätigung und Ausfertigung dieses ... gez. Crameer

Vorstehender Ablösereceß wird damit genehmigt. Burg Steinfurt 19. April 1876 Fürstlich Bentheimische Domänen Kammer unterschrift unterschrift Vorstehende Ablöse Capital ad 4 rt 24 gr nebst Abgabe zu heute einbezahlt Neuenhaus d.en 12. Mai 1876 Anfang Ablösungsvertrag Kglicher Rendant vom 01.05.1876 (Harm Kuiper) Crameer

Familie Vette in Berge um 1920, Johanne und Jennegien Vette mit ihren Eltern Aaltine geb. Brooksnieder und Jan Lukas Vette (Mini Büdden)

123 2 GESCHICHTE DER ORTSTEILE

Friedenseichen in Hoogstede–Berge Friedenseichen Die Friedenseichen in Berge sind 1913 gepflanzt (Gedicht von Heinrich Kuiper, Grasdorf, worden von Schulkindern des Gustav Lam- deutsch von Manfred Kip) mers, einem gebürtigen Bentheimer und Leh- rer in Scheerhorn, Ersatzreservist, gefallen am In Blüte stand das deutsche Kaiserreich, 11. April 1917 bei Bolaute. Friedenseichen das Vaterland. wurden seinerzeit an verschiedenen Orten der Da wurde ich in froher Friedenszeit Grafschaft zur Erinnerung an die napoleoni- gepflanzt von junger Männerhand - schen Befreiungskriege gepflanzt. (Quelle: Ein doch war der Erste Weltkrieg nicht mehr weit. ehemaliger Schüler Foto: Rolf Laing, in: Der Und drohend schaute aus dem schwarzen Wolkenmeer Grafschafter 11/2002, S. 42) die Sonne auf die große Völkerschlacht, die jetzt begann. Der Heimatverein hat im Berger Feld und bei den drei Friedenseichen Ecke Schwarzer Ich selbst war Kind und freute mich an bunten Sommerfarben, Diek/Zur Friedenseiche im Dezember 2007 als unser Land versank in Nacht und Not. Hinweistafeln aufgestellt. Darauf heißt es: Noch klingt das Wort „mobil" mir in den Ohren, „Bei diesen drei Eichen, die früher von und Vater, Mann und Bruder, Sohn – einem Zaun umgeben waren, handelt es sich sie standen an der Front, und in vier fürchterlichen Jahren um ein Denkmal. Die Bäume wurden im Jahre mussten Zigtausend noch ihr junges Leben opfern. 1913 gepflanzt aus Anlass des 25-jährigen Für Kaiser, Volk und Vaterland war es vergebens, Thronjubiläums des Deutschen Kaisers Wil- dass alle diesen schweren Acker pflügten. Die Erde brannte, helm II. und zur Erinnerung an die Befreiung und begraben wurde die Illusion der großen Freiheit aller Völker. von der französischen Fremdherrschaft durch die Völkerschlacht bei Leipzig im Jahre 1813. Doch wenig später, ich war immer noch recht jung, Mögen die Eichen uns mahnen, den Frieden stieg wieder ein Aggressor auf den Thron und sang zu bewahren!“ die alte, wohlbekannte Melodie: Wir werden kämpfen, werden siegen, Die Friedenseiche in Berge vor dem Hof von Grote Lambers ich bin der starke Mann, und wenn wir wollen, sind wir schon bald die Herr'n der ganzen Welt. Den Deutschen und den Siegern hat es nur geschadet, dass aus dem Ganzen niemand etwas lernte. Ich denke an Verdun und Stalingrad, zwei Orte, die Symbol für sinnlos' Sterben sind.

So musste ich zwei lange Kriege bitterlich erleben, und noch vernehme ich den Klang der Waffen. Auf schwachen Füßen nur steht unser Lebensglück, und dieser dunkle Weg der Menschheit ist noch nicht zu Ende. Ich zittere vor Schreck und ziehe bittere Grimassen, wenn ich von Kriegslärm hier auf Gottes Erde höre. Oh Völker, gebt dem Frieden endlich mal ein sicheres Zuhause, dort, wo Liebe nur und Menschlichkeit regieren!

Der Grafschafter, Oktober 2002

124 BERGE UND SCHERHORN

Friedenseichen in Berge mit Info-Tafel 2008 (Johann Jeurink)

Scheerhorner Hüttenböilt Von Harm Kuiper

De Fredenseeke Baugebiete werden ausgewiesen, erschlossen, Van Heinrich Kuiper verkauft und innerhalb kürzester Zeit stehen schmucke, meist Einfamilienhäuser auf den Bauplätzen. Das ist in der heutigen Zeit der Dat düütsche käiserriek en vaderland ganz normale Ablauf. in blööjssel stün. In fredenstied Bei der Entstehung des Scheerhorner bin ik hier pot´t van junge manlööhand. Hüttenböiltes fanden diese Abläufe so nicht Den eersten Oorlog was nich wied, statt. Woher kommt die Straßenbezeichnung „Hüttenböilt“? as reerend keek ut´t swatte wolkenmeer Der Hüttenböilt war früher ein Tierfried- de sun en wickd´´ne völkerslacht. hof. Noch bis etwa 1948/49 wurden dort tote Ik was noch ´n kind en glimd´in sommerkleer, Kühe, Schweine, Schafe und auch Pferde, die as´t land versackd´in noad en nacht. dort von den hiesigen Bauern mit Ackerwa- gen hingebracht wurden, vergraben. Es war Noch klingt dat woord „mobil“ mi in de oor´n Gemeindegrund und wurde von den Berger en vader, man en bröör en sön und Scheerhorner Bauern gleichermaßen ge- stün´n fechtend an de front en in´n loop van joor´n nutzt. Das Gelände war hügelig, wie die ganze gaff´n völl eer blööj´nde lewen hen. Lee-Südseite mit ihren Sanddünen. Ab1948 bauten die ersten Flüchtlingsfa- Föör käiser, volk en vaterland hebt see milien Behelfsheime. Den Anfang machte Fa- ümtsüns den sworen akker plöögt. milie Schrader mit einer Nissenhütte. Schrader Uns eerde brande, en´n lewen völkerfree war die erste Flüchtlingsfamilie in Hoogstede lag deep begraven. Later in mien jöögd und kam schon vor Kriegsende im Herbst 1944 mit fünf Personen abends am Bahnhof steeg weer´n aggressor up den troon en süng an. Alfred Schrader beschrieb, sie seien in de auld bekäinde melodie: Hoogstede regelrecht „ausgeladen“ worden. Will krieg en sieg, ´nen starken man, dat bin ´k, Die erste Nacht verbrachten sie in der Schule. et heele weltriek, dat höörd mi! Eine andere Familie fuhr weiter nach Emlich- heim. Olga Welt, die Tante, Auguste Schrader Uns land en ok de siegermächt´heft´t schaad, und der jüngste Sohn Helmut (4 Jahre) kamen dat ut geschichte men niks leerd. am folgenden Tag auf den Hof Peters in Berge; Ik däinke an Verdun en Stalingrad, Walter (12 Jahre) erst zu Scheepers und spä- woor sinlos starwen sichtbar wöörd. ter zu Kuiper in Berge. Alfred Schrader wurde zu Familie Hans Bets gebracht, der Heuer- Twee lange Oorlogs mus belewen ik, mann auf dem Hof Korf in war. en noch vernem ik wäpenklang. Später wohnte Schrader bei Familie Jan Al- Up slappe föte steet uns lewensglück. bers in Berge. De mäinschhäid geet döör´n düüstern gang. Schraders kamen aus Litauen und waren Volksdeutsche. 1938 wurden sie nach Inster- Ik beew van schrick en trekt gesichte kruus, burg in Ostpreußen übergesiedelt und kamen höör ik van kriegslarm up Gods eerd. im Herbst 1944 in die Grafschaft. Erst 1948 O völker, schäinkt den free een worm tohuus, fand die Familienzusammenführung statt. Sie woor leewd´en mäinschlikhäid regeert! bauten sich in Scheerhorn eine Nissenhütte

125 2 GESCHICHTE DER ORTSTEILE

Wohnung für fremde Flüchtlinge zur Verfü- gung zu stellen und zu räumen. Keiner wusste wie lange diese Situation anhalten würde. So hatte keiner etwas dagegen, dass sie sich auf dem heutigen Hüttenböilt Behelfsheime aus Holz und Wellbleche aufstellten. Jeder war ge- willt, diese Missstände schnellstens abzu- schaffen beziehungsweise sie zu verbessern. Ein Behelfsheim aus Holz, was mehr Erd- loch als Haus war, baute sich die Familie Rud- weleit 1949 in den Sandhügeln an der Lee. Eiserne Bettgestelle für fünf Personen standen ihnen dort zur Verfügung. Die Rudweleits er- hielten nach dem Krieg kurz ein Quartier bei Bürgermeister Jan Harms-Ensink in Hoog- stede-Bathorn und wurden danach auf dem Hof Kleine Lambers (jetzt Kohlenberg) in Berge einquartiert. Hier wohnten sie in dem Eckraum zur Hauptstraße mit fünf Personen auf dreizehn Quadratmetern. Wenn man be- Olga Welt und Auguste Schrader denkt, was diese Flüchtlingsfamilien seit der vor der Nissenhütte 1948 in Scheerhorn (Harm Kuiper) Vertreibung aus ihrer Heimat alles erlebt (Wellblechhütte), mit Baumaterial von der haben, waren sie erst einmal froh, unterge- englischen Besatzungsmacht und der Ge- kommen zu sein, doch ein Dauerzustand meinde Scheerhorn und Berge. Die Wellbleche konnte dies nicht sein. Hertha Weber geb. kamen von den Engländern und wurden Rudweleit, jetzt wohnhaft in Hagen am Teu- später auch von der Firma Deilmann zur Ver- toburger Wald, berichtet, dass sie zu der Zeit fügung gestellt, die zu der Zeit schon in bereits nach Neuenhaus zur Schule ging und Scheerhorn tätig war. sich vor anderen Schülern richtig schämte, in Die Schraders verdienten sich ihren Le- einer solchen Behausung zu leben. Anfang der bensunterhalt mit „Spinnen“. 1952 bauten die 50er Jahre baute man sich ein neues Haus aus Klinker. Ein Stück Land, das sie vom Schul- Kinder ihrer Mutter ein Haus auf dem „Böilt“, Auguste Schrader erst mit einem Flachdach und 1953 wurde es verband pachteten, hatten sie urbar gemacht. vor ihrem Haus Darauf hielten sie sich ein paar Schweine. Erst in Scheerhorn, heute mit einem Spitzdach versehen. Dieses „weiße Heinrich Mensen Haus“ war das erste auf dem Hüttenböilt. In 1970/71 erwarben sie ihr bescheidenes Anwe- (Harm Kuiper) dem Haus wohnten später die Familien Georg Züwerink, Günter Wolf und heute Heinrich Mensen. Fast alle Familien in Scheerhorn und Berge nahmen nach dem Krieg Flüchtlinge auf ihren Höfen auf. Weil viele Familienväter und auch Söhne noch in Kriegsgefangenschaft, ver- misst, verwundet oder krank waren und auch sehr viele nicht zurückkehrten, fehlte es über- all an Arbeitskräften. Die Mithilfe der Flücht- lingsfamilien wurde sehr gern angenommen. Man gab ihnen dafür ein Dach über den Kopf, oft wurde es aber auch schamlos ausgenutzt. Es waren nicht alle begeistert, einen Teil ihrer

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sen als Erbpacht von der Gemeinde Scheer- horn. 2000 kaufte Familie Guido Meyerink das Haus mit Grundstück. So wie die Flüchtlingsfamilien Rudweleit und Schrader fingen noch mehrere Familien mit Holz und Nissenhütten auf dem Scheer- horner Hüttenböild an. Familie Bläsner, die vorher bei Zweers in Berge wohnte und auch Familie Weinberg. Bis heute sind dort acht Häuser entstanden und es weist fast nichts mehr auf die vorherige Nutzung und sehr schweren Anfänge der Besiedlung in der Eingang Abenteuerspielplatz Scheerhorn-Berge in 2008 Nachkriegszeit hin. (Harm Kuiper) Die Scheerhorner Siedlung entstand erst werden soll. Der Rat beschließt am 15.11.1967, gut 15 Jahre später. Eigentümer der Bebau- die Trägerschaft sowie die künftige Unterhal- ungsflächen war die Schulgemeinde Scheer- tung der Kläranlage zu übernehmen. horn/Berge, neun Bauplätze wurden in der Am 27.10.1969 heißt es: In der neuen Siedlung vergeben. Siedlung soll eine Pflasterstraße gebaut wer- den, wenn die Anlieger ein Viertel der Unkos - Auszüge aus dem Protokollbuch ten übernehmen. Die Gemeinde liefert die der Gemeinde Scheerhorn: Steine und zahlt 20,– DM pro Quadratmeter Dem Bebauungsplan wird am 24.02.1964 zu- für die Pflasterung. Für die Herstellung des gestimmt. Die Gemeinde übernimmt keine Weges bis zur Pflasterung (ausräumen, Sand etwa anstehenden Kosten. Diese müssen ebenso fahren u...) werden 1000,– DM berechnet. Für wie die Wege- und Straßeninstandsetzung die Handlangerdienste pro Kubikmeter wird eine Anlieger tragen (oder Bewerber). Auf das DM berechnet. Den Rest müssen die Anlieger Schreiben der Kreisverwaltung vom 03.11. bar entrichten. 1964 beschließt der Gemeinderat am 18.12. Bei einer 25%igen Beteiligung der Anlieger 1964, das Baugebiet soll nicht durch weitere am Hüttenböld wird auch dort ausgebaut. Ab- Wohnbauflächen, etwa bis Bolks, vergrößert stimmungsergebnisse 4 ja 2 nein.

Neubau der Gaststätte Warmer in Scheerhorn, 1964. Heute sieht man beim Vorbeifahren ein schmuckes Haus der Familien Smit/Batterink, früher war es Treff und Mittelpunkt vieler Generationen in Scheerhorn und Berge, die Gaststätte Warmer in Scheerhorn. Vor dem Neubau 1964 war dort sogar noch eine Viehwaage untergebracht. Sehr lange, über mehrere Generationen führte die Familie Heinrich Warmer die Gastwirtschaft. Von 1978–1983 wurde sie von Eberhard Rasper geführt, und 1983–1988 von Brigitte Smit. (Harm Kuiper)

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Berger Jugend um 1960 aus Anlass einer Zugfahrt in alten Trachten, Evert Lübbers, Albertus Kuite, Aaltina Kohlenberg geb. Kl. Lambers, Jenni Zwiers geb. Kl. Lambers, Jenni Harms-Ensink geb. Kuite, Henni Nacken geb. Kuiper, Albert Jan Kuite (Willy Friedrich)

Erdölfeld Scheerhorn Im folgenden Jahr wurden zehn Bohrungen Gerold ten Brink, Osterwald in mehr oder weniger großem Abstand von der Sche 1 im Auftrag des Viererkonsortiums – Am 19. September 1949 begann mit einer Deil- Deilmann, Elwerath, Preussag und Wintershall mann-Bohranlage etwa 3 km nordwestlich von – abgeteuft. Doch die meisten trafen den Bent- am Coevorden-Piccardie-Kanal heimer Sandstein ganz oder zum Teil verwäs- mit der von Deilmann gebohrten Sonde Scheer- sert an. Lediglich die Sche 8 und die beiden Verwalzen eines horn 1 (Sche 1) der Aufschluss der Erdölla- mehr als einen Kilometer westlich der Sche 1 Bohrturmes gerstätte Scheerhorn… Sche 1 stieß ab 1108 m auf einen gut ver- ölten Bentheimer Sandstein. Am 26. Oktober 1949 stellte man die Bohrung, ohne den Bent- heimer Sandstein ganz zu durchbohren, bei einer Teufe von 1123,5 m ein. Förderteste brachten den Nachweis, dass die Aufschluss- bohrung Scheerhorn 1 fündig war. Der 5. De- zember 1949 war der erste Fördertag und die Bohrung förderte eruptiv durch eine 6-mm- Düse 70m3 Öl je Tag mit einem Stockpunkt von 28 °C. Ein Öl mit so hohem Stockpunkt zu fördern, ergab sogleich technische Pro- bleme, insbesondere im Winter.

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Denkmal „Kleiner Tiefpumpenantrieb“

angesetzten Bohrungen Sche 10 und Sche 16 Insgesamt wurden in Scheerhorn 169 Boh- waren wirtschaftlich fündig. Sie gaben den rungen mit fast 200.000 Bohrmetern abgeteuft. Hinweis, dass sich die Scheerhorner Lagerstätte Nur zwölf Bohrungen waren nicht fündig. in Richtung Westen erstreckt und mit der Sche 1 nur die kleine Ostscholle der Lagerstätte gefun- Verkehrsverhältnisse den worden war. Bis zur Mitte der fünfziger In Scheerhorn gab es 1949 nur unbefestigte Jahre war dann die Lagerstätte im Bentheimer Landwege, die meistens wegen moorigen Un- Sandstein voll erschlossen. Zeitweise setzte man tergrundes und schlechter Entwässerung mit Bernd Jeurink bis zu vier Bohranlagen von Deilmann und der schweren Fahrzeugen zum Transport der beim Abtransport Gewerkschaft Elwerath ein. In den Jahren 1951 Bohrgeräte nicht befahrbar waren. Im Zuge von Ölresten von den Fördersonden bis 1955 wurden 69 Bohrungen abgeteuft… der Bohrtätigkeit und des Ausbaus des Feldes zu einem Erdölförderbetrieb mussten deshalb nicht nur Bohrplätze angelegt, sondern auch Wege zu Straßen ausgebaut und viele neue Straßen gebaut werden. Heute beträgt das von den Konsortialpartnern angelegte Straßennetz im Erdölfeld Scheerhorn rd. 41 km. Der Abtransport des geförderten Erdöls er- folgte im ersten Förderjahr auf dem Wasserweg. Mit dem 100 t fassenden Tankschiff „Glück- auf“ wurde das Erdöl auf dem Coevorden-Pic- cardie-Kanal nach Emlichheim gebracht und dort in Eisenbahnkesselwagen gepumpt. Mit der Bentheimer Eisenbahn und der Bundes- bahn gelangte es dann auf dem Schienenwege

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zu Raffinerien im Ruhrgebiet. Damit das Öl be- und entladen werden konnte, mussten La- gertanks, Tanker und Kesselwagen wegen des hohen Stockpunktes beheizbar sein. Man sprach in Scheerhorn oft davon, dass es bes- ser wäre, das Öl in Säcken zu verladen. Bei der Sonde Sche 1 entstand die Sam- melstelle 1 mit Tanks und einem Dampfkes- sel. Auf Feldbahngleisen fuhr man das Öl in Kleinkesselwagen von den anderen Förder- sonden heran, denn im Anfangsstadium hatte Sammelstelle 1 Tankschiff Glückauf man noch keine Erfahrungen mit dem Lei- tungstransport eines Öles mit einem Stock- punkt von 28 °C. Nachdem im Laufe des Jahres 1950 der drei Kilometer entfernte Erdölförderbetrieb in Osterwald einen Grubenbahnanschluss be- kommen hatte und dort von den Konsortial- partnern die Emsland Erdölleitung GmbH (EEG), eine Gesellschaft für die Ölverladung und Verpumpung zu den Raffinerien, gegrün- det worden war, transportierte man das Scheerhorner Öl vorübergehend mit Straßen- tankwagen nach Osterwald. Doch bald konnte das Öl durch die an der Sammelstelle 1 vor- beiführende Pipeline des Erdölfeldes Rühler- Sammelstelle 2 twist zur EEG verpumpt werden. langsame Verwässerung eingesetzt. Mit der Inbetriebnahme der Sammelstelle 2, die durch Sammelstelle zwei seit 1951 eine Leitung mit der EEG in Osterwald ver- 1951 erfolgt der Aufbau der Sammelstelle 2. bunden war, konnte die Sammelstelle 1 nun Über beheizbare Sammelleitungen geht seit- aufgegeben werden. dem der Erdölfluss zu dieser Sammelstelle, wo das Erdöl entgast und das Lagerstättenwasser Betriebsplatz und Verwaltung 1951/52 abgeschieden wird, denn inzwischen hatte bei Anfang der fünfziger Jahre förderten die Son- einigen Sonden in Randwasserbereich eine den aufgrund des hohen Lagerstättendruckes noch eruptiv. Doch wegen des hohen Stock- Sammelstelle 1 am Kanal punktes des Öles reichte dieser Druck bald nicht mehr aus, um das Öl durch die Leitun- gen zur Sammelstelle zu leiten. Die Sonden mussten deshalb auf Tiefpumpenförderung umgestellt werden. Mit der schnellen Feldentwicklung wurden 1951/52 500 m südwestlich der Sammelstelle 2 ein Betriebsplatz mit Feldwerkstatt, Magazin und Fuhrpark eingerichtet und außerdem ein Verwaltungsgebäude und eine Kaue gebaut. Die Anzahl der Mitarbeiter schnellte von 36 im Jahr 1950 auf 171 im Jahr 1953 hoch und ging dann langsam wieder zurück.

130 BERGE UND SCHERHORN

Gas – Salzwasser – Öl genden Fördersonden durchschlug, musste die Die von Jahr zu Jahr steigende Erdölförderung Gaseinpressung wieder eingestellt werden. verursachte einen stetigen Druckabfall in der Lagerstätte. Dies erforderte es, die Förderung Ausbruch 1956 zu reduzieren, einzelne Sonden mussten wegen Der 6. November 1956 war ein schwarzer Tag zu hohen Gas-Öl-Verhältnisses geschlossen für Scheerhorn. Als die Sche 22 wieder zur werden. Druckerhaltungsmaßnahmen waren Fördersonde umgerüstet werden sollte, kam es erforderlich. 1953 und 1955 wurden je eine zu einem spektakulären Ölausbruch. Hilfsbohrung in der Südflanke abgeteuft. In Nach drei Tagen, als der Eruptionsdruck diese presste man von der zentralen Einpress- nachgelassen hatte, gelang es, durch Montage station des Erdölbetriebes Elwerath in Oster- eines Bohrlochkopfes die Sonde zu schließen. wald aus das mitgeförderte Salzwasser ein. Mehrere 100.000 m3 Erdgas und etwa Hierdurch konnten die mittleren und nördli- 2000 m3 Erdöl waren eruptiert. Das Erdöl er- chen Lagerstättenbereiche nicht beeinflusst starrte zu einer Schichtdicke von ca. 1 m um werden. In diesem Bereich versuchte man, die Sonde und konnte wiedergewonnen wer- durch Einpressen von Erdgas den weiteren den. Der hohe Stockpunkt und die hohe Vis- Druckabfall zu verhindern. Mit dem Einpres- kosität hatten das Versickern des Erdöls sen von Erdgas wurde 1953 in die Sche 22 verhindert. begonnen. Da das Gas schnell zu den umlie-

Ölausbruch Scheerhorn 22 am 06.11.1956

Herausgeworfene Steigrohre Nach der Montagearbeit

131 2 GESCHICHTE DER ORTSTEILE

Schwerer Salzgitter-Tiefpumpenantrieb

Tiefpumpen durch Anwendung von moderner Mess-, Regel- 1958 und 1960 wurden im Mittelfeld und an und Fernwirktechnik erreicht wurden. Im Zu- der Nordflanke je eine Hilfsbohrung abgeteuft, sammenhang mit dieser Modernisierung wurde um auch hier Salzwasser einzupressen. Die in der Messwarte das Fließbild durch rechner- hohe Viskosität des Öles begünstigte bei den unterstützte Bildschirme ersetzt, um so die er- Druckerhaltungsmaßnahmen eine schnelle höhten Sicherheitsanforderungen zu erreichen. Zunahme der Verwässerung. 1960 betrug die Verwässerung bereits 40–50%, und stieg 1965 An sechster Stelle auf über 80% an. 1965 erreichte die Förde- Das Erdölfeld Scheerhorn lag 2008 bei der rung ihr Maximum von fast 290.000 t Reinöl Reinölförderung mit 43.179 t unter den zehn pro Jahr. In den nächsten zwei Jahren fiel die größten deutschen Erdölfeldern an sechster Förderung auf 230.000 t Reinöl ab. Um diesen Stelle. Insgesamt sind bis einschließlich 2008 in Förderabfall zu bremsen, rüstete man die rand- Scheerhorn 8,7 Mio. t Reinöl gefördert worden. wassernahen Sonden mit größeren Tiefpumpen Quellen- und Literaturverzeichnis und stärkeren Tiefpumpenantrieben aus. Dipl.-Berging. Christian von Maltzan, Da 1970 die Verwässerung 87% erreichte, Scheerhorn 40 Jahre Erdölförderung Heinz Boigk, Erdöl und Erdölgas entschloss man sich nun Tauchkreiselpumpen in der Bundesrepublik Deutschland einzusetzen, um so die Fördermenge zu erhö- NLfB Hannover, Erdöl und Erdgas in der Bundesrepublik Deutschland (Jahresförderung 2006) Tauchkreiselpumpe hen. Bis 1983 bleib die Fördermenge konstant, Fotos H. Paulsen und G. ten Brink Scheerhorn 1 nur die Verwässerung stieg auf 97% an und die Reinölmenge fiel auf 148.000 t ab. Neben der Umrüstung der Fördersonden musste auch die Wasserabscheidung auf der Sammelstelle vergrößert werden. Die Feinab- scheidung erfolgte weiterhin im Förderbetrieb Elwerath in Osterwald. Für das anfallende Salzwasser wurden Leitungen zu den einzelnen Einpresssonden verlegt. Stetig steigende Be- triebskosten bei fallender Förderung machten Rationalisierungsmaßnahmen erforderlich, die

132 Hoogstede und Bathorn

Die Entwicklung der politischen neues Zentrum des Kirchspiels Arkel, das bis Gemeinde Hoogstede auf einen kleinen Randbereich identisch war Johann Kemkers mit der Gildschaft Scheerhorn, entwickelte sich Hoogstede nun auch zum wirtschaftli- Gildschaft Scheerhorn – Kirchspiel Arkel chen Kern der Region, begünstigt durch die Unter der Bezeichnung „Gildschaft Scheerhorn“ Mittelpunktslage und die gute überörtliche waren bis weit in das 19. Jahrhundert hinein Verkehrsanbindung nach Neuenhaus und Em- sechs Bauernschaften vereint: Scheerhorn, lichheim. Berge, Bathorn, Hoogstede, Tinholt und Kalle. Das Gefühl gemeindlicher Zusammengehö- Eine herausgehobene Rolle spielte Hoogstede in rigkeit stiftete wesentlich die kirchliche Ver- dieser Gruppe über einen langen Zeitraum nicht. bundenheit. Gemeinsinn bewirkte auch die Das änderte sich mit der Errichtung der re- Notwendigkeit zur Zusammenarbeit bei der Be- formierten Kirche „auf“ Hoogstede (1821). Als wirtschaftung des lange Zeit ungeteilten Mar- kengrunds, der den weitaus größten Teil der Farbige Postkarte um 1900, Gildschaftsfläche ausmachte (s. Karte von „Gruß aus Hoogstede“ (Johann Jeurink) 1855/56). Die politischen und wirtschaftlichen Struk- turen waren aufs Engste mit den kirchlichen verwoben und oft von diesen bestimmt. Diese Abhängigkeit zeigen beispielhaft die Vor- gänge um den Grunderwerb von Hindrik Sloot in der „Scheerhorner Mark“1 (ab 1818; s. Ab- schnitt zur „Familie Sloot“). Als Verkäufer des Markengrundes wird mal die „Gildschaft Scheerhorn“ genannt, mal heißt es die „Bau- ernschaften“ von Bathorn, Hoogstede und Scheerhorn – Nutznießer war aber jedenfalls die „Kirchengemeinde Arkel“, der die Ein- künfte zur „Dotierung“ der neuen Pfarrstelle zustanden.2

1 Mit „Scheerhorner Mark“ wurde vor der Markenteilung (und ge- legentlich auch noch danach) der gesamte Markengrund östlich der Privatflächen der Bauernschaften Bathorn, Hoogstede, Scheerhorn und Berge bezeichnet (s. Karte). 2 Nach dem Verkaufsprotokoll blieben die verkauften Marken- gründe „auf immer ein Eigenthum der Pfarre zu Arkel“. Es war jährlich ein Zinssatz von 4 Prozent der Kaufsumme zu leisten. Erst 1874 zahlte Jan Sloot (Enkel des Kolonisten) die Kaufsumme von 1.000 Gulden an die Kirchengemeinde Arkel. Damit ging das Grundstück endgültig in den Besitz der Familie Sloot über.

133 2 GESCHICHTE DER ORTSTEILE

Scheerhorner Mark 1855/56. Die Karte von 1855/56 zeigt die ungeteilte „Scheerhorner Mark“, die sich vom Rand der Bauernschaften Bathorn, Hoogstede, Scheerhorn und Berge über das Bruch bis ins Moor erstreckte. Am oberen Bildrand rechts ist das Kolonat Sloot erkennbar.

134 HOOGSTEDE UND BATHORN

Obwohl Sloot mit seinem Haus und seinen ein Achtelerbe (Ref. Pfarre Arkel); Ländereien einschließlich der Heuerleute ein- ein Zehntelerbe (Ref. Schule Hoogstede); deutig in der „Scheerhorner Mark“ lag, und acht Neubauern (H. Veld, H. Gosen, als Eingesessener der Gildschaft anzusehen Ww. Müller, J.H. Bleumer, J.H. Rosemann, war, setzten insbesondere die Bathorner und H. Wiegmink, G. Van Wieren, Ref. Küster- Hoogsteder alles daran, „Sloot und seine Heu- stelle Arkel). erleute“ auszugrenzen. Als schließlich nach vielen Querelen verfügt wurde, dass Sloot mit Die Berechtigten in Bathorn waren: seinen sieben Heuerleuten der Gemeinde Neu- fünf Fünfviertelerben (Bleumer, ringe angehöre, bedeutete das die Abtrennung Wiegmink, Koops, Ensink, Gr. Neerken); eines größeren Gebietes von der Gildschaft drei Vollerben (Harms, Kolthoff, Schoemaker); Scheerhorn. Die kirchlichen Bindungen blie- ein Dreiviertelerbe (G.H. Kwade); ben allerdings erhalten: Bis auf den heutigen drei Halberben (Boll, Künnen, Evers); Tag gehört der östliche Teil von Neuringe zum zehn Viertelerben (Wigger, Broekschnieder, Kirchspiel der ref. Kirchengemeinde Hoog- Bloemendal, Hofmeyer, Kl. Neerken, stede (früher Kirchspiel Arkel). Schnieders, Boerkamp, Beerlink, Albers, Ringerbrüggen-Schnieder); Die Teilung der Mark ein Achtelerbe (ter Haar-Pölkink); Wie in anderen Teilen unserer Region wurde zwölf Neubauern (Peters, ter Haar, Lage, in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts auch B.J. Snieders, J.B. Weuste, van Laar; in der „Scheerhorner Mark“ eine sogenannte E Zager, J. Kwade, L. Stroot, H. Jeurink, Generalteilung durchgeführt. Die Zuordnung D. Lübbers, G. Jeurink). zu den einzelnen Bauernschaften wurde aber nicht vollständig vollzogen; denn festgelegt Weitere Berechtigte: wurde nur die Grenzlinie zwischen den Bau- Das Fürstliche Haus zu Bentheim; Vollerbe ernschaften Scheerhorn/Berge einerseits und Tinholt in Tinholt; Alferink in Scheerhorn; Hoogstede/Bathorn andererseits. Stroot-Salmink-Albers in Hoogstede; Wes- Die Markengenossen von Hoogstede und sels/Laarmann in Tinholt; J.H. Sloot in Neu- Bathorn beantragten alsbald eine weitere Ge- ringe; Kath. Schule Hoogstede; Kath. Pfarre neralteilung und die Hoogsteder zudem eine Emlichheim; Kath. Küsterstelle Emlichheim; Spezialteilung ihres Anteils. Die Königliche Ringerbrüggen-Emlichheim. Landdrostei genehmigte 1864 beide Teilungen. Danach beschlossen auch die Bathorner die Die Berechtigten wählten zu Markenbevoll- Spezialteilung. Beide Spezialteilungen konnten mächtigten die Bauern Stroot in Hoogstede nun in einem Verfahren abgewickelt werden. und Neerken in Bathorn. Der Rentmeister Cra- Die Berechtigten hatten schon bei der Ge- mer in Neuenhaus vertrat den Fürsten zu neralteilung ihre Ansprüche angemeldet. Sie Bentheim. Die Interessen der Kirchen und wurden mit Angabe ihrer Erbesqualitäten re- Schulen wurden von den zuständigen Pasto- gistriert. ren wahrgenommen. Fast alle Berechtigten bekamen Markenbo- Die Berechtigten in Hoogstede waren: den in mehreren Güteklassen: Anger, Heide in ein Fünfviertelerbe (Jeuring); den Binnengründen, gewöhnliche Heide und sechs Vollerben (Hannebrook, Stroot-Salmink, Sand. So wurden dem Vollerben Hannebrook Wermer, Weelmann, Kuhlmann, Weuste); z.B. 30 Morgen (Mg) 98 Quadrat-Ruten (QR) ein Dreiviertelerbe (Twentker); Anger, 16 Mg 100 QR Heide in den Binnen- zwei Halberben (Köster, J. Weuste); gründen und 22 Mg 100 QR gewöhnliche Heide acht Viertelerben (Börger, van der Kamp, zugewiesen, dazu Abfindungen im Moor in Brouwer, Schievink/Sloot, Laarmann, der errechneten Größe. Die Neubauern erhiel- Snöink, H. Sloot, Scholten); ten in der eigentlichen Mark nur Heideboden.

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Der Dorfbrunnen aus dem Jahre 2000 steht für den Ort und alle Ortsteile (R. Golde)

Die nicht verteilten Flächen, Sandgruben Hannover beglaubigte den Vertrag am 26. und Depotgründe, blieben Eigentum der Mar- September 1871. kengenossenschaft. Aus den Gruben sollte hauptsächlich Sand für die Verbesserung der Vereinigung von Hoogstede Wege entnommen werden. Die Bauern wur- und Bathorn in 1890 den verpflichtet, ihre Grundstücke abzugren- Der Verzicht auf eine Generalteilung der zen, im Moor durch Gräben und in den Hoogsteder-Bathorner Mark bescherte zwar anderen Teilen der Mark durch Wälle mit Sei- den Berechtigten eine verhältnismäßig schnelle tengräben, im Ackerland genügten Grenz- Inbesitznahme ihrer Anteile, bedeutete aber, steine. Die Kommission gab Anweisungen für dass, wie der Landrat Kriege im April 1889 die Anlage neuer und die Verbreiterung be- feststellte, infolge der Markenteilung die stehender Wege, ebenso für die Entwässerung „Grundstücke der Eingesessenen von Bathorn durch Gräben. Auch für die Pflege und Unter- und Hoogstede in beiden Gemeinden im Ge- haltung der Wege und Wasserzüge erließ sie menge lägen“, sodass eine feste Grenze zwi- verbindliche Vorschriften. schen beiden Gemeinden nicht bestehe. Eine Die Kosten der Teilung wurden auf die In- Feststellung der Grenze sei grundsätzlich er- teressenten umgelegt, der Fürst zu Bentheim forderlich, insbesondere aber nach der Anlage und die Neubauern waren davon befreit. Das des Kanals Piccardie-Coevorden. Das Königli- Rechnungswesen führte wie bei der General- che Katasteramt Bentheim schlug vor, „daß teilung der Scheerhorner Mark der Lehrer die Grenze dahin festgestellt werde, daß die Schievink in Hoogstede. Kanalstrecke von der Grenze der Bathorn- Der Vertrag über die Hoogsteder-Bathorner Hoogsteder Mark gegen Scheerhorn ... bis zum Mark wurde von den Beteiligten anerkannt Twister Deich(Bathorner Diek) der Gemeinde und von ihnen bzw. ihren Bevollmächtigten Hoogstede und die Kanalstrecke von da bis am 21. Januar 1871 in Hoogstede unterschrie- zur Gr. Ringer Grenze ... der Gemeinde Bat- ben. Die Königliche Generalkommission in horn angeschlossen werde“. Die Hoogsteder

136 HOOGSTEDE UND BATHORN

und Bathorner wurden aufgefordert, in einer chen ausführen zu lassen“. Gemeindeversammlung über den Vorschlag Die Hausnummer 1 erhielt der Hof Weuste an des Katasteramtes zu beraten und „über den- der Vechte. selben Beschluß zu fassen“. Besonders schwierig und langwierig ge- Schon am 3. Mai 1889 fand die Gemein- staltete sich die Aufgabe, einen Namen für die deversammlung statt. In seinem Bericht da- neu gebildete Gemeinde zu finden. rüber an den Landrat schreibt der landrätliche Als Vorsteher Kalman im September 1890 Hilfsbeamte, „daß, da eine Einigkeit über dem Landrat als neuen Gemeindenamen einen Grenzlinie zwischen Hoogstede und Hoogstede-Bathorn vorschlug, konnte er für Bathorn nicht zu erzielen, von den Gemein- die Voranstellung von Hoogstede gute Gründe deversammlungen beider Gemeinden schließ- anführen: Hoogstede sei Kirchort für eine re- lich einstimmig beschlossen worden ist, beide formierte und eine katholische Kirchenge- Gemeinden zu einer politischen Gemeinde zu meinde; es gebe eine reformierte Schule, eine vereinigen. Zu diesem günstigen Resultat hat katholische Schule, eine Posthaltungsstelle, nicht unwesentlich der Einfluß des Herrn Pas- Telegrafen, Standesamt, Mühle, Straße, meh- tor Nyhuis mitgewirkt, welcher nur durch Ver- rere Wirts- und Gasthäuser und mehrere Krä- einigung beider Gemeinden eine Lösung des mer und Bäcker; von alldem sei in der Grenzwirrwarrs für möglich erachte“. Gemeinde Bathorn „nichts zu finden“. Nach einigem Hin und Her hinsichtlich des Der Landrat mochte dem Vorschlag von Gültigkeit des Beschlusses bestätigte der Ober- Kalman nicht folgen und ließ im Dezember präsident R. v. Bennigsen (Hannover) am 21. 1890 empfehlen, die neue Gemeinde Bathorn- Juni 1890 die Vereinigung der beiden Ge- Hoogstede zu nennen. Bathorn werde vorher- meinde Bathorn und Hoogstede zu einer poli- gestelt, weil Bathorn im Alphabet zuerst sei. tischen Gemeinde. Die Angelegenheit war offensichtlich so heikel, dass sie über die Instanzen in Osna- Hausnummern und Ortsname brück und Hannover schließlich beim Inne- Der Grundsatzbeschluss zur Vereinigung der minister Herrfurth in Berlin landete. Der wies beiden Gemeinden war schnell und einver- im Februar 1891 die Bezirksregierung in Os- nehmlich getroffen worden. nabrück darauf hin, dass es im Hinblick auf Aber schon bei der Festlegung der neuen frühere allerhöchste Entschließungen ange- Hausnummern gab es Streit; der Gemeinde- zeigt sei, statt des vorgeschlagenen Doppel- vorsteher Kalman von Hoogstede verlangte, namens einen einfachen Namen zu wählen, dass man in Hoogstede mit der Nr.1 beginnen und zwar den Namen derjenigen der vorbe- müsse, damit eine fortlaufende Nummerie- zeichneten Gemeinden, welche bisher die be- rung der neuen Gemeinde gewährleistet sei. deutendere war. Dementsprechend wurde die Vorsteher Harms allerdings hielt dagegen und Bezirksregierung gebeten, sich darüber zu äu- verlangte, dass das Los entscheiden müsse, ßern, ob es Bedenken gebe, der neuen Ge- weil die Bathorner meinten „in dieser Sache meinde den Namen Bathorn beizulegen. so viel Recht zu haben wie Hoogstede“. „Hier- Der nun wieder befragte Landrat konnte auf“, so schreibt Vorsteher Harms an den sich mit dem Vorschlag aus Berlin ganz und Landrat, „äußerte sich der Vorsteher von gar nicht anfreunden. In seinem Schreiben an Hoogstede mit zornigen Worten und auch Ge- den Regierungspräsidenten vom 26. März baarden: Losen thue ich heute mit Bathorn 1891 schrieb er: „..dass die Bewohner der Ge- nicht, und auch nie; ich behalte die Nr.1 auf meinden Bathorn und Hoogstede auf Beibe- Hoogstede“. Am Ende wurde von Amts wegen haltung der Bezeichnung der bisherigen über die Zuordnung der Hausnummern ent- Namen erheblichen Wert legen und daß es schieden und die Gemeinde im April 1891 sich nicht empfiehlt, der neu gebildeten Ge- durch den Landrat an gewiesen, „die Neunum- meinde den Namen derjenigen der bisherigen merierung der Gebäude innerhalb vier Wo- Gemeinden beizulegen, welche von ihnen die

137 2 GESCHICHTE DER ORTSTEILE

bedeutendere war. Es würde bei den Bewoh- Die Freude über das Einvernehmen währte nern der anderen Gemeinde große Niederge- nicht lange; denn bereits im September 1891 schlagenheit und vielleicht auch Entrüstung ließ der Oberpräsident in Hannover wissen, hervorrufen und ich glaube nicht, daß die Ver- dass der Gemeindename Arkel nicht infrage einigung zu einem politischen Verbande im kommen könne, „weil die den Namen Arkel gütlichen Wege zu Stande gekommen wäre, tragende Kolonie in kommunaler Beziehung wenn die Bewohner derselben damals gewusst nicht zu jenen Ortschaften, sondern zur Ge- hätten, daß für eine der beiden Gemeinden die meinde Kalle gehöre“. Die Gemeinde möge Aufgabe ihres bisherigen Namens damit ver- binnen sechs Wochen einen anderen Vor- bunden wäre.“ schlag machen. Der Landrat verwies nochmals auf seinen Wieder wurde eine Gemeindeversammlung alten Vorschlag Bathorn-Hoogstede, weil auch (13. Oktober 1891) einberufen; diesmal stan- sonst Doppelnamen bei Gemeinden im Regie- den die Ortsnamen Hoogstede und Bathorn rungsbezirk öfter vorkämen. Unsicher, ob eine zur Abstimmung. Ergebnis: 27 Stimmberech- Umgehung des Doppelnamenverbots erreich- tigte (mit 81 Stimmen) für Hoogstede. 25 bar sei, empfahl er für den Ablehnungsfall Stimmberechtigte (mit 73 Stimmen) für Bat- „eine Wortschmelzung beider Namen in einem horn. 22 Stimmberechtigte waren nicht er- vorzunehmen, z. B. Hoogthorn oder Bathoog“. schienen. Ein Einspruch von „Kolthoff und Nachdem im Juni 1891 der Innenminister Genossen“ gegen die Gültigkeit der Gemein- in Berlin bekräftigte, dass die Zusammen- deversammlung wegen nicht geladener setzung der Ortsnamen aus zwei Wörtern Stimmberechtigter wurde vom Landrat abge- möglichst zu vermeiden sei, wurden die wiesen, weil selbst bei Hinzurechnung dieser stimm berechtigten Gemeindemitglieder auf- Stimmen die Bathorner in der Minderheit blie- gerufen, ein Votum abzugeben. Bei der Ge- ben; außerdem handle es sich bei dem Ge- meindeversammlung im Laarmannschen meindebeschluss „lediglich um das Aus- Wirtshause am 13. Juli 1891 wurde darüber sprechen eines Wunsches“. abgestimmt, ob der künftige Ortsname Arkel Wohl um den Frieden in der neuen Ge- oder Hoogstede sein solle. Bei namentlicher meinde zu wahren, appellierte der Landrat Abstimmung stimmten 29 Stimmberechtigte noch einmal an den Regierungspräsidenten, (mit 91 Stimmen) für Arkel und 19 Stimmbe- darauf hinzuwirken, „daß ausnahmsweise der rechtigte (mit 53 Stimmen) für Hoogstede. Die neuen Gemeinde der Name Bathorn-Hoog- unterlegenen Gemeindeglieder erklärten sich stede verliehen wird“. anschließend damit einverstanden, dass der vereinigten neu gebildeten Gemeinde der Ortsname Arkel beigelegt würde. Hauptstraße mit reformierter Kirche als Motiv einer Postkarte, ca. 1927 mit Lukas Köster, 1922-1973. (Köster)

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Verzeichnis der Stimmberechtigten der Gemeinde Bathorn-Hoogstede 1891 (Versammlung am 13. Oktober 1891)

Haus- Name Stand Stimmen- Bew. aktuell(2008) Nr. zahl 11 Weuste Altien Colona 5 Weuste a.d. Vechte, Bahnhofstr. 12 Hemke Harm Kötter 2 Udo Vette, Hauptstr. 13 Gosen J.H. Kötter 1 Bielefeld, Bahnhofstr. 14 Kalmann J.H. Kötter 1 Mensen, Bergstraße 15 Koelman Hindr. Colon 4 Koelmann, Bergstraße 16 Weelmans Colonat 7 Haamberg, Bergstraße 17 Bloemendal G.J Kötter 2 Pächter von Stroot, Wilsumer Straße 18 Koster Hindr. Colon 4 k. Wohnplatz mehr; v.d. Kall. Brücke re. 19 Warmer Jan Colon 6 Warmer, Schlättstiege 10 Jeurink A.J. Colon 6 Jeurink, Wilsumer Straße 11 Stroot H. Colon 4 Stroot, Am Pferdekamp 12 Hannebrook Colon 5 Hanebrook, Lindenweg 13 Snöjink Geert Kötter 2 Keute, Kampweg 14 Keen Klaas Zimmermann 1 Keen, Kampweg 15 Rosemann G. J. Kötter 1 Rotmann, Am Neuland 17 Scholten E. Kötter 2 Altes Haus Büdden, Hauptstraße 18 Laarman B.J. Schenkwirt 3 Gastw. Wolters, Hauptstr.; Abriss 1975 19 Brouwer Kötter 2 Lügtenaar, Bahnhofsr. 21 Sommer Fritz Bäcker 1 altes Haus Horstkamp, Hauptstr. 24 Müller Bernh. Mühlenbesitzer 5 später Gastw. Müller, Hauptstr.; j. COMA 27 Sloot Hindr. Bäcker 5 Schoemaker/Neuwinger, Hauptstr. 28 van Wieren Anbauer 1 Barth, Hauptstr. 29 van Laar B. Bierhändler 1 Wolf, früher Engler, Hauptstr. 29 Pfabe(?) Karl Grenzaufseher 3 dto. 30 Hilfers F Krämer 2 Hilfers, Hauptstr. Maasch Ernst Grenzaufseher 3 dto. 31 van der Kamp D Schiffer 1 Jansen, Holunderweg 33 Schoemaker G. Colon 5 Schoemaker, Zur Friedenseiche 34 Vogelsang Stationsarbeiter 1 Naber, Zur Friedenseiche 36 Snieders J. H. Kötter 1 Bloemendal/Reefmann, Zur Friedenseiche 37 Jeurink J. Kötter 3 v. Münster/Hesselink, Schwarzer Diek 40 Sommer Hindr. Anbauer 1 Westhuis, Am Schulfeld 41 Weuste Jan Kötter 3 Warmer, Am Schulfeld 42 Wösten J. B. Schmidt 2 Wösten, Sunnerkampstege 44 Egbers Friedr. Kötter 2 Bolk, Schwarzer Diek 45 Stroot H.J. Landbriefträger 1 Stroot, Schwarzer Diek 46 Wiegmink H. Kötter 1 Hans, Schwarzer Diek 47 Kwade G.J. Zimmermann 2 Boers, Molkereistr. 48 Bielefeld Kötter 1 dto. 49 Lage Jan Kötter 2 Lage/Helweg, Am Neuen Kamp 50 Kwade Janna Colona 4 spät. Wilmink; jetzt Rothe 51 Kolthoff H. Colon 5 Kolthoff Jan, Holunderweg 52 Bloemendal Hermans Kötter 3 hinter Neerken; kein Wohnpl. mehr 53 Neerken K. Colon 7 Neerken, Bathorner Diek

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Haus- Name Stand Stimmen- Bew. aktuell(2008) Nr. zahl 55 kl. Neerken W. Kötter 3 Neerken, Zur Braake 56 Jeurink Hindr. Kötter 1 Höllmann, Drosselweg 57 ter Haar J.G. Kötter 2 ter Haar, Drosselweg 59 Boll A.J. Colon 4 Boll, Bathorner Weg 61 Wigger J. Kötter 3 Hans, Zur Braake 62 Blömer J.H. Colon 6 Bleumer, Bathorner Weg 5 63 Wiegmink H. Colon 7 Wiegmink, Bathorner Weg 64 Koops J. Witwe Colona 6 Koops, Bathorner Weg 65 Ensink A. Colon 6 Ensink, Am Voresch 66 Harms Jan Colon 5 Harms-Ensink, Am Voresch 67 Harms J.H. Kötter 1 Tübbergen, Holunderweg Pöhler F. Pächter 1 68 Brooksnieder Kötter 3 Brooksnieder, Holunderweg 69 Blömer J.H. Kötter 2 Bleumer, Bathorner Weg 11 70 Koelmann Jan Anbauer 1 Koelmann, Ölstraße 71 Bonge G.J. Anbauer 1 Köcklar, Ölstraße 72 Rasfeld Heinr. Grenzaufseher a.D. 3 Egbers, Ölstraße 73 Rott J. Anbauer 1 Doldersum, jetzt Slikkers, Böbbeldiek 74 Warmer H.J. Kötter 2 Keen, Ringer Diek 75 Beerlink J.H. Kötter 1 Kotten, Ringer Diek 76 Snieders H.J. Kötter 2 Snieders, Ringer Diek 77 Warmink A: Anbauer 1 Kortmann, Ringer Diek 78 Snöink J. Anbauer 1 Alter Hof Schnöink, Ölstraße 79 Schroven G.J. Anbauer 1 Nykamp, Böbbeldiek 80 Nyhuis J. Pastor 1 Glüpker, Ölstraße 81 Roelofs H. Kötter 1 Kieft, Bathorner Diek 82 Westhuis K. Anbauer 1 Westhuis, Aulen Diek 90 Kottmann J. Anbauer 1 Nakken, Bathorner Diek 91 Horsink A. Pächter 1 Derks, Bathorner Diek 92 Bonge G. Anbauer 1 Günnemann, Hauptstraße (?)

Postkarte von etwa 1910/1920 mit u.a. dem alten reformiertem Pastorat

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Der Regierungspräsident sah immer noch die Wahl des neuen Gemeindevorstandes statt. keine Gründe für eine Ausnahme (11. Novem- Zum Gemeindevorsteher wurde der „Colon“ ber 1891) und stellte dem Landrat „ergebenst Gert Schoemaker (31 Jahre) gewählt, zum Bei- anheim, einen anderen Vorschlag zu machen, geordneten Gert Hannebrook (32 Jahre). Schoe- vielleicht durch Bildung eines Namens ver- maker leistete am 4. März 1891 in Neuenhaus mittelst Versetzung oder Anhängung einer seinen Diensteid. Silbe an den Namen Arkel“. Wenige Monate später war die Angelegenheit dann doch end- Zur Einheitsgemeinde lich entschieden. Am 14. März 1892 gab das Hoogstede 1968–1974 Landratsamt an die „Bentheimer“ und „Neu- Als der Rat der Gemeinde Hoogstede am 23. enhauser Zeitung“ folgende Bekanntma- Juni 1966 beschloss, bei dem früheren Ge- chung: „Der aus beiden Gemeinden Bathorn meindenamen Hoogstede-Bathorn zu bleiben, und Hoogstede neu gebildeten Gemeinde ist waren nahezu 75 Jahre vergangen, seitdem von dem Herrn Oberpräsidenten mit Geneh- dieser Name der damals neu gebildeten Ge- migung des Herrn Ministers des Inneren der meinde verliehen wurde. Nachdem in den 60er Name Hoogstede-Bathorn beigelegt.“ Jahren die Zentralisierung im Schulwesen kontinuierlich voranschritt, wurde zunehmend Gemeindevorsteher 1891 auch über kommunale Gebietsreformen nach- Die Wahl des ersten Gemeindevorstehers (Bür- gedacht, mit dem Ziel, größere Gemeinden germeister) verlief teils parallel zu den oben zu schaffen. So formulierte der Hoogsteder dargestellten Vorgängen und auch nicht ganz Rat bereits im Februar 1968 die Ansicht, „daß ohne Schwierigkeiten. Ein erster Anlauf en- sich die Gemeinden Scheerhorn, Berge, dete am 29. Dezember 1890 damit, dass in der Tinholt, Kalle und Hoogstede zu einer (Samt) einberufenen Gemeindeversammlung die Mit- Gemeinde zusammenschließen sollten“. Wohl glieder aus Hoogstede „mit großer Majorität“ in Erwartung einer entsprechenden Entwick- gegen diese Wahl protestierten, weil die jeweils lung beschloss der Rat am 9. Dezember 1968, gültigen Stimmordnungen der beiden betei- den Gemeindenamen zu ändern; der amtliche ligten Gemeinden auf verschiedenen Stimm- Gemeindename war ab diesem Zeitpunkt rechtsklassen beruhten. „Hoogstede“. Am 14. Februar 1891 fand dann in einer Im Laufe der Diskussion über eine umfas- weiteren Gemeindeversammlung unter „Zu- sende Gemeindereform wurden viele Ideen grundelegung eines einheitlichen Stimmrechts“ eingebracht und zahlreiche Pläne entwickelt.

Links: Bürgermeister Geert Schoemaker und Frau. Erster Gemeinde- vorsteher der neuen Gemeinde Hoogstede- Bathorn, 1891-1921

Rechts: Hermann Hannebrook, Gemeindevorsteher Hoogstede-Bathorn, 1923-1945

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Bürgermeister Jan Harms-Ensink im Bürgermeisterzimmer (Willy Friedrich)

Als klar wurde, dass um die größeren Orte Die ganze Unsicherheit und Verwirrung in Emlichheim, Neuenhaus und Uelsen herum der damaligen Situation zeigt sich in Vorgän- Samtgemeinden gebildet werden sollten, ver- gen, die sich im Hoogsteder Umfeld abspiel- breitete sich im Raum Hoogstede große Unsi- ten. Da immer wieder eine Mindestgröße von cherheit über die Zuordnung. 400 Einwohnern als unterste Grenze für den In dieser Situation starteten die Bürger- Fortbestand von Gemeinden genannt wurde, meister Koops (Scheerhorn), Harms-Ensink beschloss Scheerhorn am 30. Juli 1971 einen (Hoogstede), Harms-Ensink (Tinholt) und der Anschluss an Hoogstede. Keine zwei Wochen Ratsherr Hoppen (Osterwald) mit Unterstüt- später, am 12. August 1971, trafen die Räte von zung des Oberkreisdirektors Dr. Terwey eine Tinholt und Berge in einer gemeinschaftlichen ernsthafte Initiative zur Bildung einer ländli- Sitzung für ihre Gemeinden auch einen Verei- chen Samtgemeinde Hoogstede/Osterwald mit nigungsbeschluss. Wirkliche Bedeutung erlang- Sitz in Osterwald/Ölbahnhof. ten die Beschlüsse in der weiteren Entwick- Als mögliche Mitgliedsgemeinden wurden lung der Kommunalreform allerdings nicht. im Hoogsteder Ratsprotokoll vom 14. August Die entscheidende Wende im Ablauf des 1971 genannt: Bimolten, Hohenkörben N. Geschehens kam Anfang Januar 1973, als sich und S., Georgsdorf, Alte Piccardie, Osterwald, die Gemeinden Alte-Piccardie, Esche, Georgs- Esche, Berge, Scheerhorn, Tinholt und even- dorf, Höhenkörben-V., Lage und Osterwald tuell Neuringe und Kalle. Aber es gab von eindeutig für die Bildung einer Samtgemeinde Anfang an Zweifel an der Durchsetzung des Neuenhaus aussprachen. Damit war der Plan Vorhabens; denn im gleichen Protokoll heißt einer ländlichen Samtgemeinde Hoogstede/ es: „Bei nicht Zustandekommen wählt die Osterwald vom Tisch. Gemeinde Hoogstede mit Rücksicht auf die Nun fiel auch im Raum Hoogstede schnell Gemeinden Scheerhorn/Berge den Nahbereich die Entscheidung: In einer in der Gaststätte Neuenhaus.“ Engler veranstalteten gemeinsamen Sitzung

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Bürgermeister Koops wurde am 11. Januar 1974 als Interimsbürgermeister einstimmig gewählt. Die erste Interimsratssitzung der neuen Gemeinde Hoogstede fand am 7. März 1974 statt. Mit den Kommunalwahlen am 10. Juni 1974 kam die Gebietsreform zum Abschluss. Zum ersten Bürgermeister wählte der Rat der neuen Gemeinde Hoogstede Jan Hindrik Koops aus Scheerhorn.

Ortseingang der Gemeindevertretungen aus Hoogstede, Bürgermeister Hoogstede von Kalle, Tinholt, Berge, und Scheerhorn am 15. (Gemeindevorsteher; Scholten) Scheerhorn aus, etwa 1960/65 Januar 1973 wurde beschlossen, eine Gemein de Hoogstede (Willy Friedrich) Hoogstede zu bilden und sie der Samtge- Jöhring, J. um 1830 meinde Emlichheim anzuschließen. Mit einem Hannebrook um 1843 förmlichen „Gebietsänderungsvertrag“ am 11. Stroot, H. um 1850 Mai 1973 besiegelten die oben genannten Ge- Kalman bis 1891 meinden den Zusammenschluss zur neuen Ge- meinde Hoogstede. Die Unterzeichner waren für Bathorn Berge Kuite (Bürgermeister); Blömer, J. H. um 1830 Keute (Ratsherr) Schoemaker um 1843 Hoogstede Harms-Ensink (Bgm); Kwade um 1850 Schöppner (Rh) Harms, Jan bis 1891 Kalle Schroven (Bgm) Wortel (Rh) Hoogstede-Bathorn Scheerhorn Koops (Bgm) (ab 1891; ab 1968 Hoogstede) Scholte (Rh) Schoemaker, Gert 1891–1921 Tinholt Harms-Ensink (Bgm) Köster, Hindrik 1921–1923 Jonker (Rh) Hannebrook, Hermann 1923–1944 Kolthoff, Harm 1944–1945 Jan Hindrik Koops, Bürgermeister von Hoogstede 1974-1996 (Johann Kemkers) Köster, Hindrik 1945–1946 (von Militärregierung eingesetzt) Harms-Ensink, Jan 1946–1973 (erste freie Wahl nach dem Krieg) Schöppner, Dietrich 1974–1974

Hoogstede (Einheitsgemeinde ab 1974) Koops, Jan Hindrik 1974–1996 Ensink, Jan 1996–

Quellen: Staatsarchiv Osnabrück; Rep 450 Nr. 102; Rep 450 Bent II Nr. 352 Zager Gerrit Jan; Der Grafschafter, Beilage der Grafschafter Nachrichten GN 25.02.2002 Santel, Gregor; Neuringe – Die Entstehung einer Moorgemeinde, Bentheimer Jahrbuch 1991 S.197 f. Protokollbücher der Gemeinden Hoogstede, Scheerhorn, Tinholt

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Unglücksfall: Jan Harms-Ensink †, Jan Harms-Ensink lebt nicht mehr. „Seine“ 27 Jahre Bürgermeister Gemeinde, für die in schlechten und guten Willy Friedrich, GN 22. Dezember 1973 Zeiten immer ein ehrlicher und aufrichtiger „Im Alter von 74 Jahren ist der Bürgermeister Sachwalter war, wird sein Andenken in Ehren Jan Harms-Ensink an den Folgen eines tragi- halten. W. F. schen Verkehrsunfalls gestorben. Auf dem Heimweg von einer dienstlichen Besprechung Drei Kommunalpolitiker wurde er mit seinem Fahrrad auf der glatten fast 100 Jahre im Amt Fahrbahn von einem ins Rutschen gekommene Willy Friedrich in den GN, 28. Juli 1980 Fahrzeug erfaßt und zu Boden geschleudert. „Die früheren Bürgermeister, Jan Harms-En- Mit der Familie Harms-Ensink trauert die sink (Tinholt), Hindrik-Jan Keute (Berge) und Gemeinde Hoogstede um ihren „ersten Bür- Johann Schroven (Kalle), haben sich um ihre ger“. 27 Jahre war der Verstorbene Bürger- Gemeinden verdient gemacht. Das war der meister. In schwerer Zeit, unmittelbar nach Tenor einer schlichten Feierstunde, die am dem Zweiten Weltkrieg, wurde er auf diesen Frei tagabend im Gemeindebüro von Hoog- Posten berufen. Die Hauptsorge galt in jenen stede stattfand. Bürgermeister Jan Hindrik Tagen den vielen Vertriebenen, die in dem Koops würdigte das erfolgreiche Wirken der ehemaligen Gefangenenlager Bathorn und auf drei Kommunalpolitiker, die insgesamt fast den Bauernhöfen in Hoogstede untergebracht 100(!) Jahre ehrenamtlich für ihre Gemeinden waren. Mit Umsicht und Tatkraft ging Jan tätig sind. Im Zuge der Gemeindereform nah- Harms-Ensink, gestützt von den übrigen Mit- men sie 1974 Abschied von ihren Bürgermei- gliedern des Gemeinderates, ans Werk. sterämtern. Seither arbeiten sie tatkräftig im Langsam normalisierten sich die Verhält- Gemeinderat von Hoogstede beziehungsweise nisse. Das Schulwesen mußte ausgebaut wer- in der Samtgemeinde mit. den. Überdies hatten immer mehr Bauwillige In seiner Laudatio ging Bürgermeister den Wunsch, sich in Hoogstede seßhaft zu Koops auf die Arbeit der geehrten Kommu- machen. Die Evangelische Volksschule wurde nalpolitiker ein. Seine Rückschau wurde zu erweitert, für die Katholische Schule entstand einem Stück Zeitgeschichte: Hindrik-Jan ein Neubau. Auch in den Folgejahren stand Keute aus Berge war bereits in den Jahren von die Entwicklung nicht still. Das Wegenetz be- 1937 bis 1943 Bürgermeister. Nach seiner Ent- fand sich in einem katastrophalen Zustand, lassung aus der Kriegsgefangenschaft kehrte die Trinkwasserversorgung war unzulänglich. er 1950 in den Gemeinderat zurück. 1951 Gründlicher Wandel wurde geschaffen. wurde er Schulverbandsvorsteher für Scheer- Heute hat Hoogstede ein modernes Schul- horn-Berge. Als 1974 die Gemeindereform zentrum und eine neue Turnhalle. Große Bau- kam, mußte er sein Bürgermeisteramt abge- gebiete wurden ausgewiesen. Im Augenblick ben. Fortan arbeitete er im Gemeinderat von beschäftigte Jan Harms-Ensink sich intensiv Hoogstede mit. mit einem weiteren Bebauungsplan für das Wie in Berge, so ging auch in Tinholt – mit Gebiet Wolters. Die Ortsdurchfahrt hat durch der Gemeindereform – die kommunale Eigen- die Schaffung eines Rad- und Gehweges und ständigkeit verloren. Jan Harms-Ensink gehört die Montage einer Straßenbeleuchtung ein dem Gemeinderat von Tinholt seit 1942 an. Bis neues Gesicht bekommen. 1949 ging seine erste Amtsperiode. Dann wurde 27 Jahre Kommunalarbeit an verantwor- er 1954 erneut in den Gemeinderat gewählt. Er tungsvoller Stelle bedeutet für einen Land- übernahm das Amt des Bürgermeisters, das er bürgermeister ein großes Opfer an Arbeitskraft bis 1974 verwaltete. Seit 1974 ist Harms-En- und persönlicher Freizeit. Der Verstorbene hat sink Mitglied des Gemeinderates in Hoogstede dieses Opfer immer gern gebracht, wenn seine und des Samtgemeinderates Emlichheim. eigene Landwirtschaft – vor allem in früheren Johann Schroven wurde 1952 Mitglied des Jahren – auch einmal darunter leiden mußte. Gemeinderates und Bürgermeister der Ge-

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meinde Kalle. Auch er verwaltete sein Amt Als ehemaliger Bürgermeister einer kleinen bis 1974, um dann in den Rat der Gemeinde Landgemeinde, die seit eh und je eine in sich Hoogstede und der Samtgemeinde gewählt zu geschlossene „kleine Welt“ sei, gebe man sei- werden. nen „Besitzstand“ naturgemäß nicht gerne auf. Wie Bürgermeister Koops sagte, zeichnen Aus diesem Blickwinkel betrachtet erscheine es die drei Geehrten sich durch Bescheidenheit, besonders erfreulich, daß auch innerhalb des Fleiß und Pflichterfüllung aus. Sie seien – Zusammenschlusses mit Hoogstede nach wie nach der Gemeindereform – nicht „mit flie- vor ein intaktes Eigenleben in den ehemals genden Fahnen“ nach Hoogstede gegangen. selbständigen Ortsteilen bestehe. Das werde Wenn es trotzdem zu einer konstruktiven auch weiterhin so bleiben. Zusammenarbeit der Altgemeinden Berge, Bleibt noch zu sagen, daß die Kommunal- Scheerhorn, Kalle und Tinholt in der jetzigen jubilare über ihre Gemeindearbeit hinaus nach Gemeinde Hoogstede gekommen sei, dann sei wie vor mehrere Aufgaben im öffentlichen das nicht zuletzt der Weitsicht dieser „Män- Leben wahrnehmen.“ ner der ersten Stunde“ zu verdanken. Jan Harms-Ensink, Hindrik Jan Keute und Bürgermeister Jan Hindrik Koops seit Johann Schroven schlossen sich im gleichen 25 Jahren Gemeinderatsvorsitzender Sinne an und bedankten sich. Sie wiesen auf Friedrich Gerlach in den GN die Probleme hin, mit denen die kleinen Ge- 8. November 1993 meinden einst zu kämpfen hatten. Die innere „Viel Lob, Glückwünsche und Geschenke gab Verkehrslage sei miserabel gewesen. Sehr viel es am vergangenen Freitag in Emlichheim für habe man für die Schulen tun müssen und Hoogstedes langjährigen Bürgermeister Jan unter großen Opfern getan. Weiter machten sie Hindrik Koops. Vertreter der Gemeinde, der auf die umfangreichen wasserwirtschaftlichen Samtgemeinde Emlichheim, des Kreises, des und landeskulturellen Maßnahmen aufmerk- Städte- und Gemeindebundes sowie der sam, die zur allgemeinen Strukturverbesserung Hoogsteder Vereine ehrten den 68jährigen für beitrugen. seine 25-jährige Tätigkeit als Ratsvorsitzen- Zufrieden äußerten die drei sich überein- der und würdigten sei kommunalpolitisches stimmend mit der jetzigen Kommunalarbeit. In- Engagement, in dessen Mittelpunkt stets der nerhalb der neuen Gemeinde Hoogstede mit Mensch gestanden habe. ihren gut 2500 Einwohnern herrsche ein bei- Erster Gratulant während der Feierstunde spielhaftes Zusammengehörigkeitsgefühl. Damit anläßlich des Jubiläums im Emlichheimer seien die Voraussetzungen für ein konstruktives Hotel Hermann war für den Hoogsteder Ge- Miteinander gegeben. Daß diese Zusammenar- meinderat der stellvertretende Bürgermeister, Bürgermeister Koops, H. J. Keute, beit darüber hinaus harmonisch verlaufe, sei in Dieter Schowe. Er ließ zunächst den kommu- J. Schroven und starkem Maße der integrierenden Kraft des Bür- nalpolitischen Werdegang von Jan Hindrik J. Harms-Ensink (GN 27.07.80) germeisters Koops zu verdanken. Koops Revue passieren, der 1961 Mitglied des Rates der damals noch selbständigen Ge- meinde Scheerhorn und 7 Jahre später (1968) zu ihrem Bürgermeister gewählt wurde. Nach- dem im Zuge der Gemeindereform die Ge- meinden Hoogstede, Kalle, Tinholt, Berge und Scheerhorn zusammen gefaßt worden waren, stand Koops ab 1974 auch an der Spitze des Rates der neuen Gemeinde Hoogstede. Zuvor war er bereits in den Emlichheimer Samtge- meinderat und 1972 für die CDU auch in den Grafschafter Kreistag berufen worden. 1981 trat er zudem als Nachfolger von Hermann

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Wieferink das Amt de Emlichheimer Samtge- terjubiläum. Er zeichnete ihn zudem im Na - meindebürgermeisters an. Koops ist ferner seit men des Gemeindebundes mit einer silbernen Anfang der 80er Jahre Vorsteher des Zweck- Ehrennadel und einer Urkunde des Gemein- verbandes der Musikschule Niedergrafschaft. debundes aus. Im Namen der Hoogsteder Bürger sprach An Koops` enge Verbundenheit mit der Dieter Schowe dem Jubilar Dank für seine „oft Hoogsteder Schule erinnerte ihr Leiter Johann schwere und mühevolle Arbeit“ zum Wohl der Kemkers in seinem Grußwort. „Der Mensch ist Gemeinde und ihrer Einwohner aus. Als ver- die Hauptsache“ sei stets Leitgedanke der Ar- antwortungsbewußter Politiker habe Koops beit von Jan Hindrik Koops gewesen, und dafür das Gemeinwohl stets als Richtschnur seines seien ihm viele dankbar. Handelns betrachtet. Der Bürger habe sich Für die Hoogsteder Vereine kam der Sport- dabei immer auf ihn verlassen können. vereinsvorsitzende Heinrich Keen zu Wort. Ob Auch Landrat Nonno de Vries, der Koops Schützenvereine, Rotes Kreuz, Feuerwehr, Feu- für den Kreis eine Urkunde überreichte, an- erwehr, Landjugend oder Sportverein – für alle erkannte den „großartigen Einsatz“ des Bür- Hoogsteder Vereine sei Koops ein stets „treu- germeisters für das Gemeinwesen in den ver- sorgender Vater“ gewesen, meinte Keen. Das gangenen Jahrzehnten. Koops sei immer bewiesen auch die zahlreichen Vereinseinrich- wieder bereit gewesen, sich in den Dienst der tungen in Hoogstede, die mit Unterstützung der Allgemeinheit zu stellen und immer wieder Gemeinde und ihres Bürgermeisters in den ver- hätten ihm die Bürger „außerordentliches Ver- gangenen Jahren und Jahrzehnten geschaffen trauen“ entgegengebracht. werden konnten. Auf das breite soziale Enga- Der Emlichheimer Samtgemeindedirektor, gement des Jubilars, der damit auch einen Horst Kammel, nannte den Hoogsteder Bür- Dienst am Frieden geleistet habe, machte germeister unter anderem einen „Mann, der für schließlich für den Reichsbund Jakobus Hessels alle Zeit hat“. Vielen Menschen habe Koops aufmerksam. Und Regierungsdirektor Wolfgang während seiner Amtstätigkeit helfen können, Persike vom Mep pener Amt für Agrarstruktur sein Engagement gründe nicht zuletzt in der wies auf die vielfältigen Verbindungen hin, die tiefen Verwurzelung im christlichen Glauben. bei der erfolgreichen Zusammenarbeit in Flur- Für den Kreisverband des Städte- und Ge- bereinigungsverfahren oder bei der Dorfer- meindebundes gratulierte Koops` Osterwalder neuerung zwischen Gemeinde Hoogstede und Amtskollege Sinus Hoppen zum Bürgermeis - der Behörde entstanden seien. „

Gemeinderat Hoogstede, 2008

Vorne: Gisela Scholten-Meilink, Hannegret Scholten, Jan Ensink, Fritz Berends, Gisela Glüpker, hinten: Jan Harms-Ensink, Helmut Sleefenboom, Günter Meyerink, Rudi Jahnke, Reinhard Middendorf, Johann Wortelen, Berend Hübel und Dieter Schowe (Fritz Berends)

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Dr. Ernst Kühle, werden So entstanden am Bahnhof Niederlas- Über Bathorn – Hoogstede sungen und verarbeitende Betriebe, insgesamt Aus „Der Grafschafter“ September 1969, ein beachtliches Handels- und Gewerbezentrum. S. 646–647 (Folge 198-200) Die angegliederte Gemeinde, auf erhöhtem Landrücken ins Moor vorspringend, was im Mittelpunktslage Namen Bathorn, bessere Spitze, zum Aus- Hoogstede ist Anlieger des rechten Vechteu- druck kommt, greift nach Osten ins Moor ein, fers auf ein wenig mehr als zwei Kilometer das hier abgetorft, entwässert, umgebrochen Luftlinie. Ackerlandplatten mit Eschfluren tre- und besiedelt wurde. Die gemeinsame Mark ten dicht an die Vechte heran, so daß der Kern umfaßte zugleich auch die von Kalle, Tinholt, der Siedlung nahe am Fluß gelegen ist. Die Scheerhorn und Berge ... Vechte verlegte ihren Lauf von Westen nach Osten wie tote Flußschlingen am linken Ufer, durch Flußsande abgeschnürt, bestätigen. Hoog stede überholte die Nachbargemeinden, die sich wie eine Kette von Veldhausen bis Emlichheim mit durchschnittlicher Ortsentfer- nung von nur 2 km aneinander reihen, in Größe und Bedeutung. Das hat seinen Grund in der topographischen und Mittelpunktslage. Die mittelalterlichen Handelsplätze lagen etwa 20 km voneinander, weil diese Strecke von Pferdegespannen im Laufe eines Tages zu- rückzulegen war. Die Heerstraße zwischen Ortseinfahrt Hoogstede von Scheerhorn aus. Emlichheim und Neuenhaus nahm nicht den Links Haus Vette, etwa um 1925, Jan Vette und Lehrer Fritz Voltmer (Harm Kuiper) kürzeren, aber tiefer gelegenen Weg am lin- ken Ufer, der den Vechtebogen hätte ab- 1885 Kreis Grafschaft Bentheim schneiden können, sondern, um der besseren 1885 entstand aus dem Großkreis Lingen der Höhenlage willen über Hoogstede. Diese Hö- Kreis Grafschaft Bentheim mit einem Hilfsamt henlage, dazu die besseren Böden die neben in Neuenhaus. 1886–1920 sorgte Landrat Kriege Viehhaltung auch Brotfruchtbau erlauben, be- für den Fortgang der Melorierungsmaßnah- wirken eine größere Siedlungsdichte. Mit der men und des Straßenbaus. 1890 erhielt der Ortsdichte stieg die Verkehrsdichte. Heerweg über Hoogstede eine feste Stein- 1890 erhielt der Ostuferweg eine feste decke. Die 1896 angelegte Teilstrecke der Straßendecke, später stufte man ihn zur L 44 Bentheimer Eisenbahn erfuhr 10 Jahre später auf. Der Straße folgte die Eisenbahn; 1908 er- eine Verlängerung über Hoogstede nach Em- hielt Hoogstede einen Bahnhof. Der Weg zum lichheim. Hoogstede erhielt einen Bahnhof, Kaufmann und zum Handwerker in der Stadt der bald in Personen- und Güterverkehr Bedeu- war weit. Dem Bedürfnis, notwendige Be- tung gewann. Die geförderten Raseneisenerze darfsgüter im Ort herzustellen, gaben die Be- verlud man meist in Hoogstede. Die Technik hörden nach. fand Eingang in den bäuerlichen Betrieb. Besonders in der Franzosenzeit siedelten Im neuen Jahrhundert stellte sich die land- sich Gewerbebetriebe an. Von den sieben Ge- wirtschaftliche Winterschule Neuenhaus 1903 meinden von Esche bis Kleinringe besitzt nur in den Dienst der Berufsausbildung des bäu- Hoogstede Kirchen, und zwar je eine der vier erlichen Nachwuchses. Das Krankenhaus in Bekenntnisse. Mit der Eisenbahn kamen der Neuenhaus übernahm den Gesundheitsschutz Mineraldünger, das Baumaterial und andere der Niedergrafschaft. Nach dem Weltkriege Bedarfsgüter in den Ort, und die im Bereich setzte Landrat Böninger, 1920–31, die Kultur- erzeugten Produkte konnten weiterbefördert maßnahmen seines Vorgängers fort. Die Elek-

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trizitätsversorgung des Kreises versah die schäftigte Vertrieben von denen etwa 500 im bäuerlichen Betriebe mit einer neuen Energie- Lager Bathorn untergebracht waren. Zunächst quelle. Herdbuchgesellschaften, Versuchs- waren nur drei Dieselloks verfügbar; ab 1947 ringe, Bezugs- und Absatzgenossenschaften, jedoch, als man die Arbeiten in größerem Maße Tierzuchtverbände halfen, die Erträge zu wieder aufnahm, waren 140 Arbeitskräfte als steigern. Das Kreiswiesenbauamt bemühte Stammpersonal eingesetzt, die mit Unterneh- sich um Strukturverbesserung des Grünlandes. mern und Fachkräften das Straßen- und In Hoogstede stellte sich die Spar und Dar- Grabennetz erweiterten, die Moordecke um- lehnskasse 1923 in den Dienst Geldverkehrs; brachen und die Bodenstruktur verbesserten. die Posthilfsstelle 1933 diente dem Nachrich- tenverkehr. 1933 besaßen Hoogstede und Bat- Einheitsgemeinde Hoogstede 1968 horn 262 ha Ankerland, 108 ha Wiesen und Hoogstede gewann nach 1945 Bedeutung als 180 ha Weiden; es gab 91 landwirtschaftliche Nebenkern mit Standort für mehrere Kirchen, Betriebe, darunter 9 größere, 57 kleinere Höfe, Mittelpunktschule, Berufsschule, landwirt- 12 Neubauern. 14 Heuer, insgesamt 710 Ein- schaftliche Genossenschaften und mehrere wohner. 25 gewerbliche Betriebe hatten sich Gewerbe- und Handelsbetriebe. Der Ausbau in Hoogstede angesiedelt; sie behaupteten sich der Feuerwehr erlaubt, Nachbargemeinden zwischen Veldhausen mit 47 und Emlichheim Brandschutz zu bieten. Ein Polizeiposten dient mit 65 Handwerksbetrieben. einer Gruppe von acht benachbarten Orten. Die Bildung einer Einheitsgemeinde beschlos- Kulturmaßnahmen 1937 sen 1968 die Gemeinden Hoogstede, Bathorn, Als beispielhaft können die Kulturmaßnah- Scheerhorn, Berge, Kalle, Tinholt und Neu- men im Raum Hoogstede-Bathorn gelten, über ringe. Eine leistungsfähige Privatmolkerei die W. Friedrich in den Grafschafter Nach- richtete 1960 eine fliegende Milchabnahme richten unterrichtete. Das Wasserwirtschafts- ein, deren Tankwagen die Kannen auf den amt Osnabrück richtete 1937 eine Nebenstelle Höfen entleeren und sie mit Magermilch wie- die Kulturbauleitung Hoogstede ein. Eine Ba- der auffüllen. Der Milchversorgung dient der rackenunterkunft, 1938, enthielt 2 Büroräume Kontrollring Hoogstede. Die Infrastruktur, die und Wohnung für 14 Arbeitskräfte. Bald gab Grundausrüstung der Gemeinde, gewann es 13 Dieselloks und 20 km Feldbahn, die 90 durch Einrichtung einer Waschanlage, durch Stammarbeitern und weiteren Arbeitskräften Gemeinderäume der kirchlichen Gemeinden, des Reichsarbeitsdienstes dienten. durch Mitwirkung von geselligen Vereinen, 1939 übernahm die Justizverwaltung das Laienspielschar, Dorf- und Theaterabende und Lager Bathorn und setzte Strafgefangene zur Gemeindebücherei. Beträgt die Einwohnerzahl Arbeit ein, die unter anderem den Bathorner heute etwa 1100, so rechnen die Raumplaner Diek befestigten. Nach Ausbruch des Krieges mit einer Zunahme bis 1985 auf 2000 und beschäftigte man auch Kriegsgefangene. Nun einem weiterem Hinzukommen zentraler Ein- übernahm die Wehrmacht das Lager und richtungen, wodurch Hoogstede Aufgaben führte die Arbeiten bis zur Schleuse weiter eines kleinen zentralen Ortes für einen be- und darüber hinaus bis zum Lager Alexisdorf grenzten Nachbarbezirk erfüllen kann. und Neuringe. Der Arbeitsdienst hatte bereits 900 ha entwässert als die Kriegsjahre eine Einschränkung der Arbeiten im Moor erfor- Quellen derten. Ab 1940 konnte man nur noch klei- Edel, Von der Herrlichkeit Emlichheim, Jahrb. 1953. Emse, Wasserversorgung der Niedergrafschaft, nere Abteilungen beschäftigen. Heimatkalender 1951. 1941 übernahm das Wasserwirtschaftsamt Friedrich, Hoogstede, Grafschafter Nachrichten 1962. Sager, Geschichte der Grafschaft Bentheim Meppen die nunmehr nach Bathorn verlegte Specht, Heimatkunde eines Grenzkreises. Leitung. Nach dem Kriege begann man 1946 Dr. Specht, Jungpaläolithischer Lagerplatz am Lamberg. Jahrbuch 1968. aufs neue mit den Kulturarbeiten und be- Der Landkreis Grafschaft Bentheim.

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Postkarte Hoogstede um 1925 (Johann Jeurink)

Kriegerverein 1919, Denkmal 1921 züge und spielte bei Festen zum Tanz auf. und Musikverein von 1928 Der Kriegerverein plante und vollendete auch Mini Büdden den Bau des Kriegerdenkmals zur Erinnerung an die Opfer des Ersten Weltkrieges. 1921 Die Veteranen des Krieges 1870/71 entschlos- konnte das durch Spenden finanzierte Denkmal sen sich zur Gründung eines Kriegervereins. eingeweiht werden. Seinen Platz hatte es in der Schon im Jahr 1906 fand vermutlich in der Dorfmitte an der Ecke Bergstraße/Hauptstraße. Gaststätte Warmer in Scheerhorn eine Ver- Etwa 1974/75 wurde es verkehrsbedingt abge- sammlung mit der Wahl eines Präsidenten brochen und befindet sich seitdem im Privat- statt. Gewählt wurde der vormalige Lehrer besitz. Angedacht ist, beim Ausbau des Fried- Bernhard Heinrich Stönnebrink. Nach dem hofs das Denkmal neu einzubeziehen. Ersten Weltkrieg wurde Stönnebrink erneut erster Vorsitzender, Lehrer Voltmer wurde Kriegerdenkmal zweiter Vorsitzender, Schriftführer der Schmied Zeitung und Anzeigenblatt 1921 Bernhard Haubrich und Kassenführer der Kreisblatt für den Kreis Grafschaft Bentheim Landwirt Koops. Der Kriegerverein veranstal- Bearbeitet von Johann Jeurink tete jedes Jahr mehrere Feste, die mit Umzü- Arkel, 6. März 1919 In der letzten Versamm- gen durch das Dorf bis zur Gaststätte Warmer lung des Kriegervereins wurde festgestellt, dass verbunden waren. Ausgangspunkt dieser Ver- 30 Vereinsmitglieder am Kriege teilgenommen anstaltungen war der Platz der „drei Eichen“ haben, 6 auf dem Felde der Ehre gefallen oder am heutigen Schwarzen Diek. Eine vom Hei- infolge Verwundung gestorben sind und sich matverein aufgestellte Hinweistafel erinnert zur Zeit noch ein Mitglied in Gefangenschaft heute an diesen Platz. befindet. Außerdem haben aus dem Kirchspiel Die Mitglieder trugen bei solchen Umzü- Arkel noch 26 Krieger ihr Leben für das Vater- gen eine einheitliche Kopfbedeckung (Käp- land dahingeben müssen, harren noch 12 Krie- pies), eine Fahne und brennende Fackeln. Die ger in der Gefangenschaft ihrer Rückkehr und vereinseigene Musikkapelle begleitete die Um- gelten noch 5 Krieger als vermißt.

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Entlassungs-Urkunde nach dem Ersten Weltkrieg für Johann Heet, 17.02.1920 (Mini Büdden)

Hoogstede, 9. April 1921 Die am 1. April im Hoogstede, 15. Juni 1921 Unser Kriegerdenk- Lokale des Herrn Warmer stattgefundene Ver- mal – Ein gewaltiges Ehrenmal ist es, das das sammlung des Kriegervereins Arkel erfreute Kirchspiel Arkel seinen im Kriege gefallenen sich einer regen Beteiligung. Bevor zur eigent- Helden widmen wird. Die Wahl ist jetzt ge- lichen Tagesordnung übergegangen wurde, troffen worden, und wir sind heute in der teilte Herr Stönnebrink mit, dass die Samm- Lage, darüber folgende Einzelheiten mitzutei- lung für die Anlage eines Kriegerdenkmals len. Der Hauptblock, der auf einem schweren bereits einen guten Erfolg gehabt habe, je- Sockel ruht, ist aus echtem Granit nach der doch noch nicht beendigt sei. Er hoffe Natur gemeißelt. Der mächtige Block, der an jedoch durch den Opfersinn der noch ausste- 2,10 m hoch und 1,15 m breit ist, wird aus henden Gemeinden, das in Aussicht genom- einem riesigen Stein gearbeitet und hat das mene Denkmal in Auftrag geben zu können. stattliche Gewicht von 60 Zentnern. Oben ist Die Arbeiten sind dem Bildhauer H. Wiese das Denkmal gekrönt von dem typischen in Nordhorn übertragen, welcher einfache, Stahlhelm, der – umkränzt von Lorbeerranken künstlerische Entwürfe angefertigt hatte und – direkt aus dem Block gemeißelt ist. diese der Versammlung vorlegte. Herr Wiese, Die Namen der gefallenen Helden werden der anwesend war, erklärte dann die Grund- auf einer Tafel aus Odenwald-Granit einge- gedanken und Einzelheiten der Ausführung. hauen. Die Anlage wird einen schönen Platz Hierauf kam man einstimmig zu dem Ent- finden direkt an der Landstraße bei der Stön- schluß, einen Gedenkstein zu nehmen, der nebrinkschen Besitzung, unmittelbar am dem Andenken, der dem Vaterlande geopferten Friedhof. Die Denkmals-Anlage wird geschaf- Söhne würdig und dem Gelände angepasst ist. fen von der Firma „Werkstätte für Krieger- – Dann wurde noch beschlossen am 20. April und Grabmalkunst Gebr. Wiese, Bocholt“, ein Frühjahrsfest zu feiern, sowie am Him- deren Vertreter Herr H. Wiese, Nordhorn den melfahrtstage einen Ausflug nach Lage zu ma- Auftrag entgegennahm. Die Einweihung des chen. Denkmals wird im Herbst d. Js. erfolgen.

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Das Kriegerdenkmal um 1930, Gedenktafel Gefallene des Ersten Weltkrieges in der katholi- Ausschnitt aus einer Postkarte (Mini Büdden) schen Kirche (Mini Büdden)

Hoogstede, 17. Oktober 1924 Saalbau. Nach- Hoogsteder Musikverein 1948–1952 dem der Warmer`sche Saal in Scheerhorn Johann Jeurink und Heinrich Warmer nicht mehr vorhanden ist, macht sich der Musikverein im August 1928, Mangel einer größeren Räumlichkeit bei Ver- Gleich nach der Währungsreform am 20. Juni gleichzeitig Kapelle sammlungen, Festen und Vorträgen sehr emp- 1948 gründeten einige Hoogsteder einen Mu- vom „Kriegerverein“. Von links: findlich bemerkbar. Kalle, Tinholt, Hoogstede, sikverein, dem überwiegend Bläser angehör- Lukas Schroven, Scheerhorn usw. haben deshalb den Wunsch, ten. Beteiligt waren Bertus Brooksnieder, Jan Heinrich Müller, Heinrich Rott, wieder einen Saal zu bekommen. Deshalb hat und Wasse Hannebrook, Heinrich Haubrich, Hindrik Jan Keen, ein hiesiger Wirt den Plan erwogen, im nächs- Herbert Hermann (Emlichheim), Heinrich und Heinrich Haubrich, Hindrik Jan Snieders, ten Jahre den Bau eines Saales vorzunehmen. Jan Jeurink, Alfred Leipner (Polizist in Hoog- an der Trommel Besonders der Kriegerverein steht diesem Plan stede von 1945 bis 1963, Johann Schroven, Johann Sommer (Mini Büdden) freundlich gegenüber. Egbert Stroot sowie Heinrich und Hindrik-Jan Warmer. Sie spielten Trompete, Tenorhorn, Flügelhorn, Tuba, Trommel und Schlagzeug. Leiter und Dirigent war Hermann Gröbe. Der 1879 in Sachsen geborene Gröbe war vier- zig Jahre lang Stabsmusikkapellmeister Dres- den gewesen. Er leitete in dieser Funktion eine Musikgruppe von Österreichern hoch zu Ross. Nach seiner Flucht war er bei seinen Verwand- ten Gosen Hoogstede untergekommen. Die Familie Gröbe war lange Zeit lang im Obergeschoss des Hauses des Schuhmachers Heinrich Warmer untergebracht, am heutigen Feldweg. Nach dem Tode seiner Frau lebte er mit Frau Trenzinger zusammen. Später wohn-

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ten sie im Hause der Familie Gosen im Berg, an der heutigen Bergstraße. Die letzten Jahre verbrachte Hermann Gröbe bei seiner Tochter in Hamburg. Dort verstarb er 1970. Er wurde in Hoogstede beerdigt. Hermann Gröbe war für die junge Musik- gruppe ein „Juwel”. Er verstand es, mit Diszi- plin aber auch mit Humor seine Truppe zu begeistern. Die Übungsstunden fanden wöchentlich in der katholischen Volksschule statt. In den Wintermonaten mussten die Teilnehmer ab- wechselnd für Brennmaterial zum Heizen Sorge tragen. Später übte man auch in der Gaststätte Wolters. Nach einem halben Jahr schon wagte der Musikverein seinen ersten öffentlichen Auf- Hermann Gröbe (1879–1970) hoch zu Ross in Österreich (Christa Gosen) tritt. Er spielte überwiegend flotte Blasmusik, Musikverein mit Hermann Gröbe um 1950. Von links: unter anderem auch Märsche. Er spielte auf Jan Hannebrook, Heinrich Jeurink, H.J. Warmer, Wasse Silbernen und Goldenen Hochzeiten und auf Hannebrook, vorne: Hermann Gröbe, weiter Egbert Stroot, Heinrich Haubrich, Bertus Brooksnieder, Heinrich Warmer. verschiedenen Schülertreffen. (Johann Jeurink)

Die Beteiligten hatten zwischen 1949 und Hoogstede geworden war, brachte der Verein 1952 noch keine eigenen Autos. Deshalb bei ihm zu Hause ein Ständchen. Viele Em- mussten von den eingenommenen „Gagen“ lichheimer waren überrascht, dass Hoogstede zuerst die Fahrtkosten bestritten werden. Das schon wieder eine Blaskapelle hatte. restliche Geld – Geld war in dieser Zeit noch Noch heute erinnern sich einige der Betei- sehr knapp – wurde in Musikinstrumente und ligten gerne an diese schöne Zeit. Sie berich- Noten investiert. Es gibt einzelne Zeitungs- ten, dass man bei den Auftritten auch immer meldungen über Auftritte der Gruppe. selber kräftig mitgefeiert habe und manches Der Musikverein erweckte im Mai 1952 in Mal erst in den frühen Morgenstunden wie- Emlichheim großes Aufsehen: Als Herbert der zu Hause eingetroffen sei. Hermann, der in Emlichheim wohnte und im Nachdem einige der jüngeren Mitglieder Musikverein mitspielte, Schützenkönig von geheiratet und eine eigene Existenz aufgebaut

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Verlobung von Bertus Brooksnieder und Wilhemina Züwerink am 06.06.1949. Von links: stehend Herbert Hermann, Alfred Leipner, Wilhelmine Züwerink, Bertus Brooksnieder, Heinrich Taubken, davor v.l. Jan Hanne- brook, Wasse Hannebroek, Johann Stroot, Jan Jeurink, Heinrich Jeurink und Johann Schroven. (Mini Büdden) Hermann Gröbe, 1879-1970 (Mini Büdden)

Der Hof Westhuis seit 1867 1867 hat Familie Westhuis ihren Hof erworben, 1989 gibt Bernhard Westhuis (1902–1990) einen kurzen Rückblick. Bilder und Text ste- hen beispielhaft für viele andere Neusiedlun- gen des 19. Jahrhunderts. (gjb)

Kinderwagen Westhuis, um 1940, Anfang der Kriegsjahre (Westhuis)

Kath. Pastor, Bernhard hatten, stellte man die Aktivitäten 1952 wie- Westhuis,1902–1990, der ein. Sechs Jahre später, am 14. Februar Gerhard Beerlink, 1886–1941 (Westhuis) 1958, wurde der Posaunenchor der evange- lisch-reformierten Gemeinde gegründet. Unter anderem hatten auch sechs Beteiligte vom auf- gelösten Musikverein die Idee und den Wunsch, einen Posaunenchor ins Leben zu rufen. Sie hatten sich zuvor an Pastor Ringena von der evangelisch-reformierten Kirchenge- meinde gewandt. Chorleiter wurde Herr Alfred Leipner. Mit als Gründungsmitglieder dabei waren unter anderem auch sechs ehemalige Spieler des Musikvereins, und zwar Bertus Brooksnieder, Jan und Wasse Hannebrook Jan Jeurink und Heinrich und Hindrik-Jan Warmer.

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Rückblick von Bernhard Westhuis, Hoogstede 1989 Aufgeschrieben von Bernhard Westhuis, 1902-1990 Im Jahre 1867 kauften die Eheleute Carl West- huis und Frau Anna Margarethe geb. Holtel (Brüning), Scheerhorn, das erste Grundstück von Hermann Börger (Mensen) aus Hoogstede für 950 Gulden. Es war etwa 13 Morgen groß. Bör- ger musste das Geld zehn Jahre stehen lassen. Nach drei Jahren war Börger kaputt und musste das Grundstück wieder verkaufen. 1870 kaufte mein Großvater es dann für 1.000 Reichstaler. Der Bauer Frans Kennepohl, Tinholt, gab das Geld für die erste Hypothek. Carl Westhuis musste es mit vier Prozent verzinsen. Im Jahre 1880 kaufte er von Klein Neerken vier Morgen für 150 Mark. Es war eine arme Zeit. Das Geld musste im Webstuhl verdient werden. Die Löhne waren niedrig. Nach einem alten Büch- lein arbeitete er bei Harms in Bathorn als Bei Westhuis in der Heuernte, um 1940. Torfstecher, Grasmäher, Roggenmäher für Hinten links Maria Westhuis geb. Eling 1909-2003, Bernhard Westhuis 1902-1990, Franzose, zwei Mark pro Tag, Mistladen für 80 Pfennig vorne links unbekannte Frau eines Offiziers, und so weiter. Gesina Westhuis 1898-1972/3), Margaretha und Bernhard Westhuis (Westhuis)

Mit Pferd und Auto 1930/1934 bei Westhuis vor der Diele Von rechts: Bernhard Westhuis 1902-1990, Gesina Westhuis 1898-1972/3, mit ihrer Nichte Anne Oude Wesselink aus Esche 1921-1997 (Westhuis)

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Am Bathorner Diek erlebt Sargträger Hermann Kronemeyer Eine Begebenheit etwa aus den 1920ger Jah- ren gibt ein Bild von den damaligen Weg- Twistdiek verhältnissen. Bei einem Sterbefall in der Der Bathorner Diek hieß ehemals Twistdiek. Siedlung Bathorner Diek musste der Sarg etwa Es ist ein sich sehr lang über Kilometer hin- drei Kilometer weit bis zum Kanal getragen ziehender Weg. Von der heutigen Hauptstraße, werden. Von dort haben Gerhard Brooksnieder abzweigend an der Molkerei, in Hoogstede und Bernhard Westhuis Pferde und Wagen ge- verlief der Bathorner Diek etwa mittig durch stellt und den Sarg am Kanal entlang und die Bathorner Flur mit ihrer wechselhaften über den Aulen Diek zum Friedhof gefahren. Struktur von Eschböden, durch tief gelegene Bruchwiesen, gefolgt von ausgedehnten Hoch- Winter und Frühling moorflächen. Somit war der Zustand des Dieks, Bei Frost war der Weg relativ gut passierbar. je nach Jahreszeit, vorgegeben. Obwohl bei Schnee und Schneeverwehungen Anwohner des Dieks und insbesondere sich dann die Erschwernis von einer anderen deren Kinder erfuhren tagtäglich die Er- Seite zeigte. Bei kaltem, schneidendem Ostwind schwernis, die der Diek für sie brachte. Den waren uns schon mal Ohren oder Wangen an- Bathorner Diek erfahren sollten auch Tau- gefroren. Weder Busch noch Baum boten auf sende Menschen aus allen Kontinenten und dem Langen Diek Schutz. Wildgänse, die sich aus allen Staaten Europas. Mit der Einschu- in jedem Winter in den Wiesen rechts und links lung im Jahre 1933 sollte ich in den folgenden des Weges niederließen, litten dann Hunger und Jahren über den Bathorner Diek laufen und konnten sich kaum zum Flug erheben. die unterschiedlichen Eindrücke sammeln. Angenehm wurde es im Frühjahr, wenn In Holzschuhen legten wir die Wegstrecke unzählige Kiebitze am Wege spielten, Lerchen bei jedem Wetter zurück, im Sommer wie im aufstiegen und große und kleine Brachvögel, Winter. Einigermaßen erträglich zeigte sich Schnepfen und Wildenten über die grünen der Weg nur im Sommer, auch wenn der Fuß- Wiesen strichen. Mit dem Frühjahr kamen weg durch Weidevieh, das morgens zur Weide auch einige Holländer, die versuchten, mit getrieben und abends wieder zum Stall geholt Fallen Maulwürfe zu fangen, um damit etwas wurde, zertreten und mit Kuhfladen ver- Geld zu verdienen. Gelegentlich passierten schmutzt war. auch Schmuggler unbemerkt den Diek.

Sommer und Herbst Schmuggler Bei sommerlicher Hitze und staubigem Weg Fast jede Nacht hielten sich Zöllner an unse- suchten wir schon mal die Wasserpumpe bei rem Haus oder in der Scheune auf, um die Ka- einem Anlieger auf, um eine Schöpfkelle Was- nalbrücke zu beobachten. Eines Nachts ser zu trinken. In der Heuernte herrschte dann stellten sie einen Schmuggler, der die Brücke reger Betrieb. Ab und zu musste auch ein passieren wollte. Beim Zugriff ließ der Mann Heufuder auf dem Weg neu geladen werden, aus Tinholt sein Schmuggelgut fallen und weil ein Teil der Fuhre sich infolge ausgefah- stürmte in unseren seitlichen Hauseingang rener Senken im Wege gelöst hatte, sehr zum durch die Küche, das elterliche Schlafzimmer Verdruss und Ärger der Betroffenen. und durchs Fenster wieder hinaus. So ist er Zum Herbst legte sich der Betrieb auf dem entkommen. Die Haustüren blieben damals Weg und herbstliches Wetter ließ wieder meist unverschlossen. größere Wasserlachen und matschige Weg- strecken entstehen, sodass man sich den bes- Torfholen ten Weg rechts oder links vom Weg suchte. Eine jährlich wiederkehrende Betriebsamkeit Nasse Füße waren oft die Folge. auf dem Diek stellte sich im Mai ein und setzte

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sich dann, zur Erntezeit abflauend, bis in den Arbeitsdienstlager 1933/35 Herbst hinein fort. Bewohner der näheren und In den folgenden Jahren sollten die Baumaß- weiteren Umgebung zogen im Mai ins Moor, nahmen kein Ende nehmen, im Gegenteil. Zu- um sich mit dem erforderlichen Jahresbedarf nächst wurde ein Arbeitsdienstlager nördlich an Heiztorf zu versorgen. Nach dem Torfste- vom Hof Koops gebaut. In der Folgezeit mar- chen und trocknen zogen im Spätsommer ver- schierten Männer in Arbeitsuniform und mit mehrt ein- und zweispännige Pferdefuhrwerke blankem Spaten singend zu ihren Arbeitsstel- ins Torfstichgebiet, um den trockenen Torf len am Diek. Das war ein ungewohntes Bild. nach Hause zu holen. Auffällig war das klein- Entwässerungsgräben wurden gezogen bzw. ste Fuhrwerk. Mit einem einspännigen Hun- ausgebaut und vertieft. Dabei wurde ein Ein- dewagen brachte diese Familie ihren Torf über baum ausgegraben, zu dem wir Schulkinder holperige und lose Sandwege nach Haften- geführt wurden. Dieser Einbaum sollte in ein kamp. Eine nicht leichte Arbeit für Mensch Museum verbracht werden. Feldbahngleise und Hund. wurden verlegt. Darauf fuhren Schienenfahr- zeuge verschiedenster Art. Auf die konnten Begradigungen wir gelegentlich aufspringen und brauchten Kurz vor meiner Einschulung gab es schon unseren Weg nicht zu Fuß zurückzulegen. Be- Verbesserungen am Twistdiek. Der sogenannte hinderungen gab es fortwährend durch die Lines (Linesch) war ausgegraben worden, so- Verlegung von Durchlassrohren, was sich über dass man nicht mehr um Brooksnieder he- Tage hinzog. Zur Überquerung brauchten wir rumfahren musste. Für die Fußgänger führte Kinder die Hilfe der Arbeitsmänner und auch, bis dahin ein Pfad über den Esch. wenn es durch frisch aufgefüllten lockeren Vom Hof Koops war der Diek um einige Sand ging. Meter westlich zurückverlegt worden. Am Hof Neerken war der Esch abgegraben worden. Fremde und Strafgefangene Hier verlief der Diek nun nicht mehr am Immer mehr Fremde waren anzutreffen. Fremd Hause über den Hof von Neerken. Weiter ver- war jeder, der nicht plattdeutsch sprach. Ver- lief der alte Diek zwischen dem Hause Kwade, messungsleute aus Österreich und Deutsch- heute Boers, und der dazugehörigen Scheune, land, Arbeiter aus der Grafschaft und den an- später mit kleiner Wohnung, hindurch. Auch grenzenden Kreisen. Auf dem Twistdiek und hier wurde der alte Diek westlich verlegt, darüber hinaus entwickelte sich eine Groß- somit verlief der Diek gradlinig durch den baustelle. Unser Schulweg hatte sich inzwi- Lines zur Hauptstraße an der Molkerei. schen um einiges verlängert. Unterricht wurde Lok und Loren auf einem Feld- bahn-Damm, Sandauffahren (Gerold Meppelink)

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jetzt in der katholischen Schule gegeben. Dort Eines Tages begegneten uns Brigadewa- spielte sich eines Tages eine merkwürdige Szene genzüge voll mit Arbeitsmännern auf dem ab. Zwei Lastzüge mit Anhängern und Planen Weg zum Bahnhof. Die Arbeitsabteilungen überspannt hielten am Schulzaun während wurden an die Westgrenze verlegt. Auf dem einer Pause. Drei Männer in Uniform mit Ka- Bathorner Diek setzten die Strafgefangenen rabiner stiegen aus und fragten den Lehrer ihrer Arbeit fort unter der Aufsicht von Ar- nach dem Weg zum Lager Bathorn. Während- beitsanweisern und bewaffneten Posten in dessen steckte ein Mann seinen Kopf durch blauer Uniform, die „Blauen“ genannt. Als die Plane. Ein Uniformierter sah es, sprang Schul-„Diekläufer“ morgens hin und mittags schnell zu, schwang sein Karabiner und zurück, nutzten wir natürlich die jeweils beste schlug dem Mann mit dem Kolben ins Gesicht. Strecke. Mal gingen wir links, mal rechts auf Dann lief Wasser an der Stelle vom Wagen. dem Diek oder auch direkt am Graben ent- Beide Lastzüge waren voller Männer. Vermut- lang. Zeitweise erwiesen sich die Gleise als lich die erste Einlieferung von Gefangenen in guter Weg. Dort konnte man später auch gut das Strafgefangenenlager Bathorn. Vereinzelt, mit dem Fahrrad fahren, sei es mit rhythmi- in zunehmenden Maße, befuhren nun auch schem „Hopsen“ über den Schwellen. Unser leichte Motorräder, „Bückies“ und Kübelwa- Schulweg hatte sich mittlerweile bis zum gen aus den neuen Arbeitsdienstlagern am Bahnhof verlängert. Seitdem fuhren wir mit Kanal den Diek. Immer mehr Uniformierte dem Fahrrad. Posten, Strafgefangene und Ar- und Arbeitsmänner erschienen. Ein alteinge- beitsanweiser waren für uns bekannte Bilder sessener Hoogsteder meinte dazu: „Mäin- geworden. schen, Mäinschen, ick wüß ja gar nich dat et soavöll Volk up de Wärld gaff.“ Viele trugen Kriegsausbruch eine Einheitskleidung anderer Art: blaugraue Doch eines Morgens kam unser Vater gegen Kittel und Hosen mit breiten gelben Streifen seine Gewohnheit aufgeregt zu uns ans Bett. beidseitig an den Beinen, vergleichbar einer Er weckte uns zum Frühstück und für die Generalsuniform. Deshalb nannte man sie Schule und sagte nur: „Der Krieg ist heute auch spöttisch „Generalstäbler“ oder „Bambu- morgen angefangen.“ An diesem Morgen führte sen“. Es waren Strafgefangene aus den Zucht- unser Weg erst einmal zur Gastwirtschaft häusern, die nun den Diek bearbeiteten. Müller. Dort im Saal lag seit einiger Zeit ein Systematisch wurde ein Bodenaustausch vor- Zug Grenzschutzsoldaten, darunter mein genommen. Dazu wurden Erdgruben in erfor- Schwa ger. Es war früh, einige lagen noch im derlicher Breite aber unterschiedlicher Tiefe Stroh. Keiner wusste etwas. Auf unsere Nach- ausgehoben und mit tragfähigem Boden auf- richt vom Krieg waren bald alle auf den gefüllt. Eine gewisse Alltäglichkeit, ja Ge- Beinen. Die Baustelle auf dem Diek ruhte an wohnheit, stellte sich ein. Auf einem von diesem Tage. Arbeitsmännern eingerichteten Sportplatz Die Strafgefangenen mussten hinter dem auf einer Wiese vor dem Lines, übten sich Stacheldrahtzaun bleiben. Bald waren sie wie- ab und zu Arbeitsmänner im Frühsport oder der auf dem Diek tätig, bis sie unbemerkt end- Fußball. gültig verzogen.

Luftschutz „Zur Kur nach Oranienburg“ In der Schule wurde immer öfter über Luft- Unbemerkt aus dem alljährlich zur Sommer- schutz und Ähnliches gesprochen. Die Wir- zeit wiederkehrenden Erscheinungsbild ver- kung von Brandbomben wurde uns in einem schwand auch ein gebeugter alter Mann mit Wasserbehälter vorgeführt. Ja wir mussten Krückstock. Als Bewohner des Hoogsteder Ar- direkt erfahren, wie in einem geschlossenen menhauses führte er zeitweise seine einzige Raum Tränengas ohne den Schutz einer Gas- Kuh an einem Strick zum Fressen in die Seiten- maske auf die Augen einwirkt. räume des Dieks. Wie es hieß, sei er zur „Kur

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nach Oranienburg“ geschickt worden. Gese- fangen genommen habe. Die übrigen Polen, hen wurde er nie mehr. (Siehe Seite 182) Er ist die Wachmänner und Anweiser sagten nichts im Konzentrationslager umgekommen. dazu. War das nahezu Unmögliche ein Trug- schluss? Bald danach ging alles wieder seinen Polnische Kriegsgefangene gewohnten Gang. Fremde Gruppen in nie gesehener Aufma- chung nahmen nach geraumer Zeit die Arbeit Kavallerie einquartiert auf dem Diek wieder auf. Fremd war ihre un- Dann gab es wieder etwas Nie-Dagewesenes: verständliche Sprache. Fremd waren ihre Angehörige einer Kavallerieeinheit wurden braunen Uniformen und Mützen, teilweise mit mit ihren Reitpferden im Dorf einquartiert. Vierkantdeckel. Fortan hallten über Dorf und Diek gelegent- Anstelle des bewaffneten Bewachungsper- lich Maschinengewehrsalven und Gewehr- sonals in blauer Uniform hatten jetzt Männer schüsse aus dem Schießstand im Stapenberg. in feldgrauer Uniform die Aufsicht. Bei den Auf dem Diek wurden die Arbeiten fortge- Arbeitsanweisern hatte sich nichts geändert. führt. Ein Ende der Erdarbeiten war in Sicht. Nur die Sprache der Neuen verstanden sie nicht mehr. So konnte man anfangs immer Flugzeuge wieder beobachten, dass Arbeitsanweiser zur Zu erahnen war in dieser Zeit etwas Unheim- praktischen Vorführung am Gleis hantierten liches und Unbekanntes. Es lag etwas in der oder an der Schüppe in der Grube standen. Sie Luft. Das zeigte sich am 10. Mai 1940. Mor- hatten es jetzt mit polnischen Kriegsgefange- gens früh zogen deutsche Flugzeuge in meh- reren Staffeln auf dem Rückflug aus Holland über den Bathorner Diek zu ihren Standorten. Auf dem Diek selbst regte sich noch nichts. Die Arbeitsgruppen rückten wie üblich erst später an. Doch auf der Dorfstraße begegneten uns endlose Trossfahrzeuge. Sie folgten ihren Kampftruppen in Richtung Holland. Neben den Trossfahrern vom Bock schlafende und dösende Soldaten unterm Stahlhelm. Ein Trosspferd fiel durch ein eingebranntes Eiser- nes Kreuz ins Auge. Es sollte sicherlich eine Auszeichnung aus dem Polenkrieg sein. Die Aus „Der Grafschafter“: im Dorf einquartierte Kavallerieeinheit hatte Kriegsgefangene 1942, Bahnhof Hoogstede sich am Abend schon in Marsch gesetzt. Nach nen zu tun. Diese stellten sich in Einzelfällen einigen Tagen legte sich der Trubel wieder. zum Verdruss der Anweiser, schon einmal Das Geschehen spielte sich weit entfernt ab. dumm an. Langsam aber sicher nahm der Dessen ungeachtet nahmen die Arbeiten auf neue Diek seine Form an. dem Diek ihren Fortgang. Etwas Merkwürdiges, ja Unglaubwürdiges spielte sich vor dem Hof Neerken ab. Polni- Kriegsgefangene sche Männer schachteten in einer Grube für Ein erneuter Wechsel der Arbeitskolonnen den Bodenaustausch. Zufällig kam in unserem folgte bald danach. Polen wurden nun nicht Beisein ein Hoogsteder Teilnehmer am Polen- mehr gesehen. Vom Bahnhof aus liefen in der krieg, der jetzt auf Heimaturlaub war, in Ka- Folgezeit Tausende Kriegsgefangene über den vallerieuniform an die Grube und suchte aus Bathorner Diek und zum Teil auch über den den etwa 15 bis 20 polnischen Männern drei Aulen Diek zum Lager Bathorn. Einige fuhren heraus. Er ließ sie aus der Grube steigen und auch per Lok und Brigadewagen: Franzosen, behauptete, sie zu erkennen, weil er sie ge- Belgier, Luxemburger, Engländer, später Tsche-

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choslowaken, Griechen sowie Russen und an- geweint wurden. Froh gestimmt waren dage- dere. Nach ein paar Jahren folgten Italiener gen Männer, die mit dem Zug in Urlaub als letzte Kriegsgefangene. Sie alle waren auf kamen und dabei auch schon mal, von Heim- irgendeine Weise am Ausbau des Bathorner weh geplagt, im Sprung über den Diek zu den Dieks beteiligt, vorwiegend aber die Franzosen. ersehnten Angehörigen liefen. Als Straßenkörper baute man eine Setzpack- Auf dem Diek waren die Kriegsgefangenen lage ein. Dafür nutzte man eine Dampfwalze. weiterhin mit dem Einbau der Setzpacklage Monate war der Diek für Radfahrer nicht und Abzwicken beschäftigt und bauten fort- passierbar, man musste über den Aulen Diek laufend die wassergebundene Straßendecke ausweichen. Die gelegentliche Nutzung des auf. Nach der Fertigstellung war dann eine Seitenstreifens am Bathorner Diek als Radweg feste Straße von Hoogstede bis zum Kanal sollte durch Fußangeln verhindert werden. Sie vorhanden. Für unbestimmte Zeit verließ auch waren gekennzeichnet mit einem kleinen ich nun bald Haus, Diek und Dorf. Schild: Vorsicht Fußangel. Bewaffnete Posten In einem kleinen Militärlastkraftwagen und Kriegsgefangene in Uniformen unter- vom Lager Bathorn fuhr ich nochmals über schiedlicher Farbe von khakibraun, dunkel- den Diek über Nordhorn nach Lingen. braun oder grau bis zum Rot einiger Fran- Viel später, bei unserer Rückkehr aus der zosen gehörten zum Alltag auf dem Diek. Kriegsgefangenschaft, waren wir zu zweit, noch in feldgrauer Uniform, unterwegs nach Hause. Zum Wehrdienst eingezogen Dabei begegneten wir mitten auf dem Batho- und Heimkehr ner Diek zwei ehemaligen serbischen Kriegs- Eines Morgens, auf dem Weg zum Zug, be- gefangenen in brauner Uniform. In einer gleiteten wir ein Stück weit drei feldgraue kurzen Unterhaltung ließen sie uns gegenüber Soldaten zu Fuß. Zwei von ihnen trugen einen ihre Überlegenheit und Geringschätzung deut- Karabiner. Der Soldat in der Mitte war unbe- lich merken. Die jahrelange Dominanz deut- waffnet und ohne Koppelzeug, ein Arrestant. scher Soldaten auf dem Diek hatte sich ins Das war für uns sehr fremd. Zum Wehrdienst Gegenteil gekehrt. wurden immer mehr jüngere und ältere Män- ner eingezogen. Auf dem Bathorner Diek un- Fortgespült terwegs zum Zug sah man ab und zu betrübte, Mehr als ein halbes Jahrhundert ist inzwi- stille Personen. Es waren Menschen, die ihre schen darüber vergangen. Fast vergessen ist Angehörigen, Vater, Mann oder Sohn, für den das gesamte Geschehen am Bathorner Diek, Wehrdienst zum Zug brachten. Stumm flos- sozusagen fortgespült. Dafür mag eine Bege- sen auch die Tränen, die dabei gelegentlich benheit auf dem Diek stehen, die sich unmit-

Arbeiten am Bathorner Diek, um 1952. Baustelle nördlich vom Kanal auf dem Bathorner Diek mit Dampfloks, Wasserturm und Baubüro wird besich- tigt von Frau G. Krone- meyer mit Kind Hilde, Sina und Hilda Kronemeyer und Swanette Glüpker (Aus „Alt-Hoogstede“)

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telbar nach dem Krieg zutrug. Die Weiden zu beiden Seiten waren hoch überflutet. Das Wasser spülte kniehoch auf etwa fünfhundert Meter über die Straße. Weit vor mir durchfuhr wie ich ein alter Mann das Wasser mit dem Fahrrad. Plötzlich war er nicht mehr zu sehen. Das Wasser hatte ihn samt seinem Rad umge- rissen und fortgespült und er trieb im Wasser. Ohne Hilfe wäre er verloren gewesen. Wegen der Überflutung wurde der Wege- und Stra- ßenkörper nochmals mit Schotter kräftig erhöht. Aus dem anfänglich schlecht passier- baren Twistdiek ist heute der viel befahrene wichtige Bathorner Diek geworden.

Ingebrauchnahme Bathorner Diek 1953, mit Bogen, 1951–1953 (Aus „Alt-Hoogstede“)

So was et froger Se wüssen nich anners, et muss men so ween, Von Willi Evers van de Stinköllilampe kunn´ se ok wall wat seen. Ower`t Drinkwater, doar will ik nich ower proaten, Heel bowen in`t Venn, doar stöind ´n ault Huus, et liekde wat bruun, un doar wijwt men bi loaten. doar was mine Böbbe un Besse in Huus. Üm Bräjnt wann de Mäinschen in`t Venn nich verlegen, De Müren met Fakwerk, dat Dak was van Stroa, wen`t kault wööt, dann kunn`se de ok noch wall tegen. se han doar gin Riekdum, men ok ginne Noat. Moi was`t in`t Venn in de Hochsommertied, Hier wöden domoals söm Kinner geboren, wenn de Häide moi blöjd, un de Bookwäide riepd. de bragden völl Wark un ok allerläi Sorgen, Ik höörde er noit klagen, se han gin Verdreet, Wenn de Kukuk weer röp, dann was et meest Mäi, er Lewen was Arbäit, was`t kault of was`t heet. un de Häidelerche söink in de Lüfte so frej. In`t Föörjoar, dann kunn man däin Kurrhaan hören, Wo ault of dat Huus was, wüss sicher kineene, wenn de Kiewitten röpen, un sik alles röörde. et was heel van Fakwerk un bröcklige Steene. Men trök ieter Joar weer de Wijnter in`t Land, Wemm` drin woll in`t Hüssien, dann muss man sik bükken, Dann verstummde hoast alles in`t Häideland. de Dööre was versackt, et was toot bedrükken. Hier lööp noch `nen Hasen, en doar noch`n Knien, De Kökken, doar bleew man verwunnert in stoan, en off en to keek ok de Voss moal verbij. de floar was versackt, man kunn de hoast nich up goan. Men schoane dat was´t doar, doar köje met rekken, Woll man de Mäinschen in`t Wijnter besöken, man kunn van de Floare wall Pannkoken etten. was`t better dat ij uw de Steewel antröcken. De Fietze, de bleew up däin Achterdiek stoan, De Kamern wann kläin, un men dree in`t Getall, dat leste Stück muss man tefoote dann goan. ik weet nich wo`t kun, men se slöpen ok all. Men alles vergeet, un niks bliw bestoan, Völl Wark han de Mäinschen met Grössgrund un Land. blos de Erinnerungen van froager, de bliewt doch bestoan. Se han ok gin Peerd, un döön als met de Hand. De Rogge, dat Höj un dat heele Verbau, muss all up de Koare, wat was`t ´n Gesau. Elektrik, doar bruke wij nich ower proaten, dat Huus stöint in´t Venn, un nich an de Stroate.

„Bathorner Diek 1951–1953“ hinter Koops an der ersten Lee (Aus „Alt-Hoogstede“)

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Teilung des Hofes Ensink in 1650 genannt. Die standesamtlichen Eintragungen Hermann Ensink weisen jedoch den Namen Harms-Ensink aus. Die Hofstelle am Holunderweg (jetzt van In der Gemeinde Hoogstede gibt es zahlreiche Tübbergen) ist das ehemalige Heuerhaus von Beispiele für Hofteilungen, auch wenn die Zu- Harms-Ensink. Der Hof Harms-Ensink, Tinholt, sammenhänge durch verschiedene Namens- erhielt seinen Namen über den Hof Scholte, wechsel heute nicht mehr auf den ersten Blick Scheerhorn (jetzt Smit), der zeitweilig durch zu erkennen sind. Die meisten Hofteilungen sind Einheirat auch Harms-Ensink hieß. Der ungleiche Teilungen, indem z. B. ein „Hüür- bekannte Kaller Lehrer Berend Jan Harms- mansspill“ (Heuerhaus) oder noch nicht kulti- Ensink war ein Bruder des ehemaligen Bürger- vierte Flächen einem nachrangigen Erben meisters Jan Harms-Ensink. Der weitere Bruder vermacht wurden. Wilhelm (Wilm) gründete in Alexisdorf eine ei- Ein Hofteilungsprotokoll1 vom 9. Mai 1650 gene Existenz. beschreibt die Teilung des „Goets Ensinck“ in Die Eheleute Albert Ensink (*1818) und Ge- niederländischer Sprache. Warum sich die Brü- zina Rolofs (*1820) aus Kalle (jetzt der Hof der Herman und Derik den Hof zu gleichen Tei- Toomsen) trugen wesentlich zur Namensver- len ohne erkennbaren Einfluss der Eltern breitung in der Gemeinde Hoogstede bei.2,3 Drei aufteilten, ist in den Aufzeichnungen nicht be- der acht Kinder heirateten in Kalle und Tinholt. schrieben. Wer von den beiden Brüdern der Äl- Jan Hindrik Ensink (*1847) heiratete Hille tere war ist ebenfalls nicht bekannt. Weermann, Kalle, jetzt der Hof Geert Ensink, Im Protokoll ist von einem alten und neuen Vechtetalstraße 19. Haus die Rede. Deriks Frau zog das Los und Fredrik Ensink (*1855) heiratete die Schwä- bekam das alte Haus, zu dem auch die „Woh- gerin seines Bruders, Johanna Krans aus Tin- nung“ der Eltern gehörte. Das alte Haus ist holt, jetzt der Hof von Grietje Krans und ihrem heute der Hof Ensink, Am Voresch 1. Herman Sohn Albert, Lägen Diek 3. Die älteren Kinder erhielt das neue Haus, den jetzigen Hof Harms- bekamen hier den Namen Krans. Durch eine Ge- Ensink, Am Voresch 2. setzesänderung musste der jüngste Sohn, Be- Die Brüder losten die Grundstücke unterein- rend, mit dem Namen Ensink eingeschrieben ander aus. Die großen Flächen wurden in zwei werden. Er errichtete die Hofstelle am Koppel- gleich große Teile geteilt. Als Beispiel: „Dat Lant diek 3, die jetzt von seinem Neffen, Jan Krans op den Sunderkamp zal langes over gedeijlet aus Kalle, bewirtschaftet wird. woerden en is Derik et noert deel gevallen“ (Das Gerrit Hindrik Ensink *1857, war Lehrer in Land auf dem Sunnerkamp soll längs geteilt Kalle und heiratete Ennegien Tinholt aus Tin- werden, der nördliche Teil ist an Derik gefallen). holt, jetzt Hof Albert Ensink, Grüntalstr. 4. Kleinere Grundstücke wurden als Ganzes ver- Geschirr zur Hochzeit von G. Kranz und H. J. Ensink, lost. Zum Schluss des Protokolls bekunden die 12.01.1877 (Jan Ensink) Brüder, dass sie wegen der Teilung des Hofes niemals vor Gericht ziehen werden. Die Grundstücke von Harms-Ensink und En- sink lagen so, wie im Protokoll von 1650 be- schrieben, zum großen Teil bis zum freiwilligen Landtausch im Jahre 1980 direkt nebeneinander. Der Familienname Harms-Ensink dürfte sei- nen Ursprung in Bathorn haben. Im allgemei- nen Sprachgebrauch und in vielen späteren Aufzeichnungen wird der Hof oft nur „Harms“

1 Original Hofteilungsprotokoll, erstellt am 12. Juli 1656, aufbewahrt auf dem Hof Ensink, Am Voresch 1 2 Bemerkenswert sind Aufzeichnungen nachdem der Brautwagen mit vier Pferden über die bereits Anfang Dezember 1844 zugefrorene Vechte von Kalle nach Bathorn fahren konnte. (Aufzeichnungen in einem alten Psalmbuch, aufbewahrt auf dem Hof Ensink, Am Voresch 1) 3 Wie zu der Zeit üblich gibt es einen ausführlichen Maakmoalsbreef, nachzulesen in Jeurink, Jan (1986). Materialien zur Volkskultur nordwestliches Niedersachsen. Die Trachten in der Niedergrafschaft Bentheim 1875-1950. Cloppenburg: Museumsdorf. Seite 168 ff. (ISBN 3-923 675-10-0) 161 2 GESCHICHTE DER ORTSTEILE

Siedlerhöfe am Rande stede innerhalb weniger Jahre neue Bauern- des Hochmoores höfe; sie wurden teils von Neusiedlern, teils Johann Kemkers von Aussiedlern übernommen. Die Höfe reihen sich entlang dem Coevor- Im Rahmen des Emslandplanes entstanden den-Piccardie-Kanal von West nach Ost über nach der Kultivierung von Hochmoorflächen den gesamten Hoogsteder Gemeindebereich auch im Bereich der jetzigen Gemeinde Hoog- von der Ringer bis zur Osterwalder Grenze:

Name Siedlungsjahr Bemerkungen Bathorn Hessels, Ernst 1958 Jahnke, Hans 1958 Bloemendal,Hermannes 1961 2008 Neerken, Lambertus Hessels, Jakobus 1965 Scheerhorn Maathuis, Geert 1964 Wiggerink, Gesine 1962 1970 Averes, Hermann Berge Wolts, Gerrit 1964 1965 Evers, Hindrik; Ranter, Bernd Voslambers, Heinrich 1962 2006 Osterfeld , Harry Evers, Egbert 1948 bis 1954 Pachtstelle, danach Siedlerstelle

Von Vorwald nach Scheerhorn – Teilflächen, die bis zu 15 Kilometer vom Hof ein Hof zieht um entfernt lagen. Geert Mathuis In Scheerhorn bot sich die Möglichkeit, auf einem arrondierten Betrieb mit 21 Hektar neu Im Rahmen der Flurbereinigung im Raum anzufangen. Zu der Zeit wurden diese Flächen Vorwald, Eschebrügge und Volzel wurden ins- von der staatlichen Moorverwaltung bewirt- besondere für Straßen, Gräben und Wind- schaftet. Dem Weitblick meines Großvaters, schutzstreifen erhebliche zusätzliche Flächen der damals mit 72 Jahren diese Entscheidung benötigt. Aus diesem Grund ist unser Betrieb getroffen hat, ist es zu verdanken, dass die 1964/65 aus Vorwald nach Scheerhorn aus- Weichen für den Betrieb Maathuis in die Zu- gesiedelt. In Vorwald bewirtschafteten wir kunft gestellt wurden. etwa 20 Hektar auf zwölf verstreut liegenden

Der alte Hof Maathuis in Vorwald (Maathuis, Scheerhorn)

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gebracht. Beim Transport der Milchkühe, des Jungviehs sowie der Sauen und Ferkel half unser damaliger Viehhändler mit dem LKW. Die alten und neuen Nachbarn, Bekannte und Verwandte unterstützten uns während der Bauphase und beim Umzug. Meine Eltern und mein Bruder kamen im Dezember 1964 nach Scheerhorn, mein Groß- vater und die Tante im Februar 1965. Als letz- Der neue Hof in Scheerhorn ter kam ich, nachdem das 5. Schuljahr in (Grafschafter Tagesspiegel, 09.06.1966) Vorwald abgeschlossen war. In der Zwischen- zeit hatte ich bei Verwandten in Volzel ge- Nachdem die Formalitäten mit der Nieder- wohnt. sächsischen Landgesellschaft abgeschlossen Im Jahre 1968 konnte die Bewirtschaf- waren, konnte 1963 mit dem Bau der Hofan- tungsfläche um neun Hektar vergrößert wer- lage begonnen werden. Der neue Hof war klar den, nachdem angrenzende Hochmoorflächen gegliedert in Wohnhaus, Stallungen und Wirt- mit einer Dampflok und einem Tiefpflug der schaftsgebäude und wurde nach neuesten Er- Firma Ottomeyer tiefgepflügt worden waren. kenntnissen eingerichtet. Die Bauzeit betrug etwa ein Jahr. In dem Jahr mussten sowohl die Flächen in Vorwald als auch hier in Scheerhorn bearbeitet werden. Das waren lange Fahrstrecken von etwa zwanzig Kilo- metern. Mit dem Schlepper war man gut eine Stunde unterwegs. Da landwirtschaftliche Betriebe eher selten umziehen, war dies eine große Herausforde- rung für die ganze Familie. Der Umzug zog sich über Monate hin. Nach und nach wurden alle Vorräte und Maschinen nach Scheerhorn Ottomeyer-Pflug mit Dampflokomotive am Feldende

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Aus Zeitung und Anzeigenblatt Hoogstede, 1. Oktober 1912 1885–1922 Gestern ereignete sich hier ein trauriger Un- Kreisblatt für den Kreis Grafschaft Bentheim glücksfall. Der Dienstknecht Schroven aus Ausgewählt von Johann Jeurink Tinholt wollte ein Fuder Torf holen. Ein Rad des Wagens lief aus. Die Folge davon war, Ein Luftschiff landet 1909 in Hoogstede dass die Pferde durchgingen. Schr. geriet unter Neuenhaus, 12. Februar 1909. den Wagen und wurde eine Strecke mit fort- Auch unsere abseits liegende Grafschaft wird gezogen. Dabei zog er sich derartige Verlet- mehr und mehr dem modernen Verkehr er- zungen zu, dass er auf dem Transport zum schlossen. Selbst die allermodernsten Ver- Krankenhause starb. kehrsfahrzeuge, die Luftschiffe, verirren sich in die hiesige Gegend. (Bereits vor einigen Mo- Tinholt, 9.April 1914 naten konnten wir von einem Luftschiff be- Tödlicher Unglücksfall beim Richtfest. Am richten, das hier nahe der holländischen Grenze gestrigen Dienstag wurde der 21-jährige niedergegangen war. Am vorigen Dienstag Dienstknecht Jeurink das Opfer eines trauri- (09.02.1909) morgens gegen ½6. Uhr landete gen Unglücksfalles. Beim Richten eines Hau- im benachbarten Hoogstede in unmittelbarer ses fiel ein Gebinde herab und traf den J., der Nähe der durch das Hochwasser enorm gestie- Hülfe beim Richten leistete. Er stürzte be- genen Vechte das Luftschiff „Essen-Ruhr“, wel- wusstlos nieder und starb nach wenigen Stun- ches mit zwei Herren, Herrn Direktor Heymann den an den Folgen innerer Verletzungen. aus Bochum und Herrn Giersberg aus Wesel, besetzt war. Die Landung ging glatt vonstatten, Bathorn, 31. März 1916 das Luftschiff wurde entleert und per Wagen Der J. H. Albers, gegenwärtig zu Bathorn, zum hiesigen Bahnhof gebracht, um wieder in macht hiermit bekannt, dass er in etwa 4 Wo- seine Heimat zurückbefördert zu werden. Auch chen seine Rückreise nach Nord-Amerika die Insassen des Ballons traten von hier nach- (Staat Michigan, via Newyork) antreten werde mittags ihre Heimreise an, nachdem sie uns und zur Übernahme von Bestellungen dahin zuvor ihre Fahrt geschildert und sich im Hotel bereit ist. Albersmeier von den Strapazen ihrer Nacht- fahrt etwas erholt hatten. – Die Herren waren Hoogstede-Bathorn, 20. November 1917 des Nachts um ½1 Uhr mit dem – etwa 900 Ku- Zu einem ungelegenen Augenblick kam der bikmeter fassenden Ballon in Essen an der – Wachtmeister Backhaus auf den Hof einer Ruhr aufgestiegen, Ihre eigentliche Absicht, Witwe. Eine Sau fraß aus einem Eimer. Als die westwärts – nach Belgien zu fahren, konntten Frau den Wachtmeister kommen sah, riß sie sie nicht ausführen, da - der herrschende Wind dem Tier den Eimer fort, lief damit in den den Ballon nach Norden trieb. Die - Luftschiffer Kuhstall, schüttete den Inhalt in den Dünger, ziehen es vor, des Nachts in möglichst geringer trat ihn mit den Füßen hinein und rührte ihn Höhe zu fahren, und so fuhr auch dieser Ballon auch noch mit der Hand durch den Dünger. teilweise nur in der Höhe von fünf Metern. Der Wachtmeister konnte aber noch feststel- Nicht wissend, welch breiter Strom unter len, dass das Futter im Eimer Roggenschrot ihnen dahinfloss, ließen die Insassen den Bal- und Kartoffeln enthalten hatte. Das Schöffen- lon an der Vechte bei Hoogstede nieder. gericht verurteilte die Frau zu 50 Mk. Strafe. Die Herren gehören dem Niederrheinischen Auf die Berufung des Amtsanwalts, dem die Verein für Luftschifffahrt an, einem der größten Strafe zu gering erschien, erhöhte die Straf- derartigen Vereine in Deutschland. Im vergan- kammer die Strafe auf 100 Mk. genen Jahre hat dieser Verein, der im Besitze von zehn Ballons ist, mehr als 200 Fahrten, das Hoogstede, 9. Februar 1921 heißt ein Fünftel der gesamten Luftschifffahrten Turnen, Spiel und Sport. Wie in den anderen in ganz Deutschland unternommen. Orten der Grafschaft hat sich auch hier vor ei-

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nigen Wochen ein Spiel- und Sportverein ge- ner „Flora“, siebzehn Stunden nach der Tat! gründet. Am Sonntag, 6. d. Mts. weilte eine Das famose Tier nahm an Ort und Stelle Wit- Mannschaft des Sportverein Veldhausen zu terung auf und verfolgte die Spur fünfhundert einem Gesellschaftsspiel zu Gaste. Das Spiel Meter weit, lief dann in das Haus des Kolonen machte einen interessanten Eindruck und Warmer in Hoogstede, eilte wieder hinaus und schloß unter einwandfreier Leitung des un- rannte auf den Acker. Hier sprang der Hund auf parteiischen Schiedsrichters. Da Hoogstede einen Wagen, auf dem der Dienstknecht Jan nur mit 8 Spielern antrat, verlief das Spiel mit Hindrik E. saß. Zweimal wiederholte er seinen 7:2 zu Gunsten Veldhausens. Trotz des kurzen Ansprung gegen diesen. E. wurde daraufhin in Bestehens des Hoogsteder Vereins war schon ein Kreuzverhör genommen und gestand nach ein gutes Zusammenspiel festzustellen. anfänglichem Leugnen seine Tat ein. Als Grund gab er an, mit einem gewissen H. in Hoogstede Hoogstede, 18. Oktober 1921 Krach gehabt zu haben. Um diesen fälschli- Von Glück im Unglück konnte heute der cherweise bezichtigen zu können, will er die Pächter H. Bielefeld, Tinholt sprechen. Er Körbe auf den Schienen befestigt haben. Der wollte mit seiner Schwägerin im Kleedwagen Streich wird ihm sicher teuer zu stehen kom- zu Besuch nach Ringe. Auf der Straße beim men, da er sich demnächst vor Gericht wegen Vorsteher Köster Hoogstede lief ihm ein Vor- Eisenbahntransportgefährdung zu verantwor- derrad vom Wagen ab, und der Wagen kippte. ten haben wird. Wenn es aber gelungen ist, die Das Pferd wurde scheu und ging durch, die Tat so schnell restlos aufzuklären, so muss das zerbrochene Wagendeichsel hinter sich her lediglich der glänzenden Arbeit des Nordhorner schleifend. Im rasenden Galopp lief es über Polizeihundes zugeschrieben werden. den Schulplatz, durch den Garten des Lehrers Voltmer, kaum ein Meter weit an dem hier Hoogstede, 12. Dezember 1923 spielenden etwa 1½ jährigen Töchterchen des Ein genussreicher Abend steht uns bevor. Am Lehrers vorbei und sprang über einen 1 ½ Dienstag, 18. Dezember, wird Herr Carl van der Meter hohen Drahtzaun. Hier konnte das Linde, der als plattdeutscher Dichter schon Pferd hinter der Lehrerwohnung wieder ein- große Erfolge aufzuweisen hat, in der Hoog- gefangen werden. Die beiden Wageninsassen steder Schule neue Gedichte und Vertellsels kamen mit den Schrecken davon. Da es kurz vortragen. Um 7 Uhr abends wird die Schule vor 12 Uhr war, waren die Kinder zum Glück geöffnet, und um 7 ½ Uhr beginnen die Vor- in der Schule. Das Pferd blieb unbeschädigt. träge. Jeder Besucher hat einige Pfund Roggen Man hört in letzter Zeit verschiedentlich, dass oder aber sonstige Lebensmittel mitzubringen, der „Boß“ von halbwüchsigen Jungen heraus- doch wird auch deutsches oder holländisches gezogen wird. Sehe ein jeder deshalb vor der Geld nicht zurückgewiesen werden. Wegfahrt zu, ob sein Wagen in Ordnung ist. Hoogstede, 9. Mai 1924 Hoogstede, 23. September 1922 Auf Anregung des Präsidenten des hiesigen Eisenbahntransportgefährdung – Glänzende Kriegervereins wurde dem Ehepaar W. Scholte Arbeit d. Polizeihündin „Flora“. Am Abend des in Scheerhorn, welches am 16. April das Mittwoch waren von unbekannter Hand meh- seltene Fest der goldenen Hochzeit begehen rere Kartoffelkörbe so auf die Schienen der konnte, nachträglich vom Reichspräsidenten Kreisbahn gelegt, dass der Abendzug 22 und ein Glückwunschschreiben und eine Ehren- der Morgenzug 11 dadurch gefährdet wurden. gabe von 30 Mark übersandt. W. Scholte ist Um den Urheber dieser mehr als leichtsinnigen Kriegsteilnehmer von 1870/71. Tat zu ermitteln, beschloß man, einen Polizei- hund zu Hülfe zu nehmen. Donnerstag nach- Hoogstede, 24. Mai 1924 mittag 3 Uhr erschien Herr Polizei Betr. Herr Rechtsanwalt Arends, der den Landwirt Assistent Schwanengel aus Nordhorn mit sei- W. vor dem Schöffengericht verteidigte, …

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führte darüber hinausgehend an, dass nach Hoogstede, 22. März 1926 dem Gesetzblatt vom 6. Mai 1924 die Verfüt- Der hiesige landw. Ortsverein, Zweigverein terungsvorschriften aufgehoben seien. Der Be- des Emsländischen Bauernvereins, hat sich klagte könne also gar nicht mehr bestraft mit Schluß des Jahres 1925 aufgelöst, da den werden, da das Verfüttern von Brotgetreide Mitgliedern durchweg die Beiträge als zu hoch nicht mehr strafbar sei. Das Gericht schloß sich erschienen. dieser Auffassung an und kam zum kostenlosen Freispruch. – Die Aufhebung des Fütterungs- Hoogstede, 18. Januar 1921 verbotes von Brotgetreide lässt den letzten Wegen Jagdvergehens wurde der Haussohn S. Zipfel der Brotgetreidezwangswirtschaft fallen, vom Schöffengericht Neuenhaus zu 50 Mk. und die Landwirte können mit ihren Erzeug- Geldstrafe und zur Einziehung seines bei der nissen wieder frei schalten und walten, unge- unberechtigten Jagdausübung benutzten Ge- hemmt von lästigen und hemmenden Vor- wehres verurteilt. Es wurde ihm weiter zur schriften, deren Beseitigung unter den gegen- Last gelegt, durch leichtsinniges Umgehen mit wärtigen Umständen längst angebracht schien. Feuer im Torfmoor einen großen Moorbrand

Bentheim, 10. Januar 1901 Vorläufige Übersicht über das Ergebnis der Volkszählung am 1. Dezember 1900 Gemeinde Wohnhäuser Haushalt. Bevölkerung ev.ref. röm.kath. luth. altref. bewohnt unbew. m. w. Berge 17 0 17 45 48 81 10 2 0 Hoogstede-Bath. 97 0 95 263 253 373 88 6 49 Kalle 40 0 40 110 107 134 35 0 48 Scheerhorn 50 1 51 138 116 213 41 0 0 Tinholt 37 2 37 104 95 112 62 0 35

Bentheim, den 5. Januar 1903 Übersicht über das Ergebnis der Viehzählung am 1. Dezember 1902 Namen der Zahl der Gehöfte Zahl der nicht- Pferde Rindvieh Schafe Schweine Gemeinden Überhaupt/mit Vieh besitzenden bestand Haushaltungen Berge 17 17 17 29 98 1 111 Kalle 40 40 40 37 241 173 221 Hoogstede/Bathorn 96 86 86 74 402 316 550 Scheerhorn 45 42 42 46 198 161 224 Tinholt 37 36 36 42 192 7 306

Die Ergebnisse der Volkszählung vom 16. Juni 1925 für den Kreis Grafschaft Bentheim 1925 1919 1910 Berge 129 124 112 Die Gesamteinwohnerzahl der Graf- Hoogstede-Bathorn 627 557 520 schaft Bentheim beträgt 50.192. Seit Kalle 269 266 229 der letzten Zählung am 3. Oktober Scheerhorn 219 230 227 1919 ist die Zahl von 44.345 um 5.847 Tinholt 253 241 205 auf 50.192 gestiegen.

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hervorgerufen zu haben. Dafür war aber ein Hoogstede, 2. Oktober 1922 Beweis nicht zu erbringen, und so wurde S. Das Fischen mit gifthaltigen Stoffen wird lei- von dieser Anklage freigesprochen. der ab und zu in der Grafschaft ausgeübt. Mit Recht wird scharf Obacht auf diese Gemein- Hoogstede, 9. September 1922 heit gegeben, die unserm ohnehin schon arg Wegen Jagdvergehen hatte sich der Landwirt zusammengeschmolzenem Fischbestande zum H. von hier vor dem Schöffengericht Neuen- Verderben gereicht. Vor einiger Zeit wurde haus zu verantworten. Wir hatten den Vor- hier ein gewisser L. dabei ertappt. Ein Straf- gang bereits gemeldet. H. gab zu, in der befehl war die Folge. Schonzeit sechs oder sieben Hasen erlegt und verkauft zu haben. Das Urteil lautete auf 800 Mk. Geldstrafe, Einziehung des beschlag- nahmten Gewehrs und des Jagdgeräts. Die Geldstrafe blieb in dieser Grenze, weil H. in ärmlichen Verhältnissen lebt.

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