Exkursion Geotechnik/ Spezialtiefbau 2012

Institut für Bergbau und Spezialtiefbau Institut für Geotechnik

Herausgeber: TU Bergakademie Freiberg Institut für Bergbau und Spezialtiefbau Gustav-Zeuner-Str. 1A 09596 Freiberg Tel.: +49 3731 39-2893 Ansprechpartner: Dipl.-Ing. Jörg Weißbach [email protected] Alle in diesem Exkursionsbericht enthaltenen Angaben wurden von den Berichterstattern und Berichterstatterinnen nach bestem Wissen erstellt. Inhaltliche Fehler oder fehlende Kennzeichnung von Zitaten können nicht vollständig ausgeschlossen werden. Deshalb erfolgen die nachstehend getroffenen Angaben und mitgeteilten Daten ohne jegliche Verpflichtung oder Garantie sowohl der Autoren als auch der Exkursionsleitung.

-2- Exkursion Geotechnik/ Spezialtiefbau 2012

01. bis 06.10.2012 Süddeutschland, Österreich und Italien

Leitung: Prof. Dr.-Ing. Wolfram Kudla

Teilnehmer: Studierende 1. Ahner, Erik 5. Bb 2. Arpke, Stephan 7. Stb 3. Auerswald, Kenny 7 Stb 4. Batsaikhan, Batbileg 5. Stb 5. Becker, Anne 7. Gt 6. Beitz, Steffen 6. BMB 7. Bickel, Konrad 6. BMB 8. Fellenstein, Fabian 7. Gt 9. Finke, Felix 9. Stb 10. Lorenz, Tim 9. Stb 11. Luge, Martin 7. Bb 12. Martin, Hendrik 9. Stb 13. Martiny, Stefan 6. BMB 14. Neubert, Natalie 9. Gt 15. Rahmig, Michael 5. Gt 16. Rosenzweig, Tino 11. MWiW 17. Sandhöfer, Felix 11. Stb 18. Schulz, Martin 5. Gt 19. Schumann, Hannes 9. Stb 20. Sonack, Tina 5. Gt 21. Stelzner, Ludwig 5. Gt 22. Tsagaankhuu, Regzedmaa 5. BF 23. Weigand, Julian 6. BMB 24. Werner, Carsten 9. Gt 25. Weßollek, Maria 5. Bb 26. Zander, Jacqueline 7. Gt Mitarbeiter: Prof. Dr.-Ing. Kudla, Wolfram Institut für Bergbau und Dipl.-Ing. Weißbach, Jörg Spezialtiefbau Dipl.-Ing. Wenzel, Andreas Institut für Geotechnik Dipl.-Ing. Abbas, Syed Muntazir

-3- Inhaltsverzeichnis

1 Danksagung ...... 5

2 Verlauf der Exkursion...... 6

3 Talsperre Leibis/ ...... 8

4 ICE Neubaustrecke Ebensfeld-Erfurt, Tunnel Eierberge ...... 21

5 Luise-Kiesselbach-Platz ─ Mittlerer Ring Südwest (München) ..... 32

6 Brennerbasistunnel ...... 47

7 Vajont-Staumauer ...... 57

8 Das Pumpspeicherkraftwerk Reißeck II ...... 66

9 Der Steirische Erzberg ...... 77

10 Die Montanuniversität Leoben ...... 91

-4- 1 Danksagung

Die Studenten und Mitarbeiter der TU Bergakademie Freiberg danken sehr herzlich allen Sponsoren und Unterstützern für die Ermöglichung der Exkursion.

• Thüringer Fernwasserversorgung • DB ProjektBau GmbH, Informationszentrum Goldisthal • Ingenieurgemeinschaft BÜ Tunnel Eierberge • Wayss & Freytag Ingenieurbau AG • Galleria di Base del Brennero Brenner Basistunnel BBT SE • VERBUND AG • Montanuniversiät Leoben, Lehrstuhl für Subsurface Engineering • VA Erzberg GmbH

-5- 2 Verlauf der Exkursion

01.10.12 8:00Uhr Start in Freiberg 11.30 Uhr Talsperre Leibis/Lichte 14.00 Uhr Tunnel Eierberge bei Bad Staffelstein 20.30 Uhr Übernachtung Jugendherberge Ingolstadt

02.10.12 9.00 Uhr Luise-Kiesselbach-Platz München 13.00 Uhr Oktoberfest 20.30 Uhr Übernachtung Jugendherberge Innsbruck

-6- 03.10.12 8.30 Uhr Brenner Basistunnel, BBT-Büro Innsbruck 9.00 Uhr Zwischenangriff Wolf, Deponie Padastertal 15.00 Uhr Infopoint Franzensfeste, Baustelle Mauls 21.00 Uhr Übernachtung im Hotel in Longarone

04.10.12 8.30 Uhr Talsperre und Bergrutsch Vajont 10.00 Uhr Museum Vajont-Katastrophe in Longarone 14.00 Uhr Baustelle PSW Reißeck II 20.00 Uhr Übernachtung Jugendherbere Graz

05.10.12 9.00 Uhr Eisenerztagebau Erzberg 13.00 Uhr Montaguniversität Leoben 18.00 Uhr Übernachtung Jugendherberge Wels

06.10.12 11.00 Uhr Stadtführung Regensburg 16.00 Uhr Ankunft Freiberg

-7- 3 Talsperre Leibis/ Lichte

Von: Tina Sonack Maria Weßollek Michael Rahmig Führung: Sandra Kühn

Die erste Station der Exkursion war die Talsperre Leibis/ Lichte im Thüringer Wald, nahe des Ortes Unterweißbach. Dort wurden wir von einer Mitarbeiterin der Thüringer Fernwasserversorgung empfangen und über die Staumauer geführt. Die Talsperre Leibis/ Lichte wurde nach dem Dorf Leibis, welches im heutigen Stauraum lag, und dem angestauten Fluss Lichte benannt. Die 100 Bewohner wurden in den Ort Neu-Leibis umgesiedelt. Die Sperre hat ein Einzugsgebiet, das Schwarzagebiet, von 72,0 km², in dem verschärfte Wasserschutzmaßnahmen gelten. Man passte den Plan den Rahmenbedingungen an den veränderten Wasserbedarf an, wodurch sich drei wesentliche Aufgaben ergaben, vorrangig die Fernversorgung mit Trinkwasser für Ostthüringen, der Hochwasserschutz und die Energiegewinnung mit circa 900 kWh/ Ta g.

3.1 Grund für den Bau der Talsperre Leibis/ Lichte

Der Bau einer Talsperre war notwendig geworden aufgrund des stetig steigenden Wasserverbrauchs im Raum Mitteldeutschland. Diese Tatsache wurde verschuldet durch den immer höheren Lebensstandard der Menschen, wo zunehmend mehr neue Geräte angeschafft wurden, die einen hohen Wasserbedarf hatten. Zu dieser Zeit war Wasser noch preiswert und das Umweltbewusstsein der Menschen noch wenig geschärft. Im Gegensatz dazu sanken die Quellen an nutzbaren Grundwasservorräten, verschuldet durch die intensive Braunkohleförderung im Raum Leipzig/ Halle. Denn durch die Trockenlegung der Braunkohletagebaue wird der Grundwasserspiegel abgesenkt und damit verschwinden vielerorts die nutzbaren Grundwässer. Davon betroffen waren Sachsen, Sachsen- Anhalt und der östliche Teil von Thüringen. Somit waren Sachsen und Sachsen-Anhalt auf die Zuspeisung von Fernwasser aus Thüringen angewiesen. 1970 begann die erste Planung zum Projekt Talsperre Leibis/ Lichte. Doch ein paar Jahre später kam die Wiedervereinigung Deutschlands und in diesem Zuge wurde ein neues Konzept zur Braunkohleförderung für den Raum Mitteldeutschland beschlossen. Dieses beinhaltet die Einschränkung des Bergbaus in Mitteldeutschland, woraus folgte, dass

-8- nicht ganz so große Probleme mit dem Grundwasser auftraten, wie zuerst angenommen. Zusätzlich sank der Wasserverbrauch in der Region durch den steigenden Wasserpreis, aber auch durch die neueren und sparsameren Technologien, die nun eingesetzt wurden. Somit waren Sachsen und Sachsen- Anhalt nicht mehr auf die Zuspeisung des Fernwassers aus Thüringen angewiesen. Infolge dessen stiegen die zwei Bundesländer im August 1992 aus dem Projekt aus. Doch Ostthüringen war immer noch auf die Zuspeisung von Trinkwasser angewiesen, denn in der Region kann nur 30% der Wasserversorgung durch die Förderung von Grundwasser abgedeckt werden. Das vor Ort bestehende Talsperrensystem Weida/ Zeulenroda, Lössau kann die Versorgung auf lange Sicht auch nicht mehr stabil halten und somit ist das Talsperrensystem zwar noch intakt, sollte aber aufgegeben werden, wegen der zu schlechten Wasserqualität. Diese wird durch die dichte Besiedelung des Gebietes und landwirtschaftliche Nutzung verschuldet. Weitere Aspekte, die die Zuspeisung von Fernwasser notwendig machten, sind die ungünstigen hydrogeologischen Bedingungen, da durchschnittlich nur ca. 620 mm pro Jahr Niederschlag in der Region fallen. Dazu kommt noch, dass die Speicherfähigkeit des Gesteins dort zum Teil sehr niedrig ist. Im nördlichen Teil von Thüringen spielen die anthropogenen Faktoren eine wesentliche Rolle, die das Grundwasser beeinflussen und unbrauchbar machen. Im Süden des Schiefergebirges dagegen sind große grundwasserarme Gebiete zu finden. Zwischen Rudolstadt und Jena befindet sich der Muschelkalk, der sehr starke Schwankungen bei seiner Wasserführung aufweist. Dieses Problem ist beim Bau des Jagdbergtunnels erst wieder vor kurzem deutlich geworden. Im Schiefergebirge selbst versickern Niederschläge meist ohne eine ausreichende Filtration durch den Boden und dadurch dringen hier leicht Schadstoffe ins Grundwasser. Somit lässt sich zusammenfassend sagen, dass diese Region kein Trinkwasser aus dem Grundwasser fördern kann und sie auf die Zuspeisung von Fernwasser angewiesen ist.

3.2 Wahl des Standortes für die Talsperre Leibis/ Lichte

Nun stellte sich die Frage, wo die Talsperre errichtet werden soll. Die Standortwahl unterliegt einigen wichtigen und auch notwendigen Rahmenbedingungen, denn das Trinkwasser muss hohen Ansprüchen gerecht werden und von hervorragender Qualität sein. Somit steht an erster Stelle die Verhinderung von Verunreinigung des Wassers durch Schadstoffe und/ oder Krankheitserreger. Dadurch wird ein nicht bzw. schwach besiedeltes Gebiet gesucht, wo keine industrielle oder auch landwirtschaftliche Nutzung stattfindet, da durch Chemikalien oder auch

-9- Dünger Schadstoffe in den Boden eindringen und zur Kontaminierung des Bodens führen. Aus diesem Grund kann in Bergbauregionen auch keine Trinkwassertalsperre errichtet werden. Der Raum Leipzig/ Halle und ebenfalls Altenburg fällt schon einmal aus der Wahl heraus. Zusätzlich wurde die Gegend um Gera/ Ronneburg durch den Uranabbau stark belastet und ist unbrauchbar. Doch man benötigt nicht nur ein unbelastetes Gebiet für die Errichtung eines Talsperrensystems, sondern auch einen Fluss, der sich zum Anstauen eignet und ein Tal, welches eng genug ist um eine Staumauer zu erbauen, aber auch genug Stauvolumen bringt. Da all diese Faktoren und die geologischen Bedingungen stimmten, fiel die Wahl auf das Schwarzagebiet bzw. auf das Lichtetal mit dem Ort Leibis.

3.3 Zeitlicher Ablauf des Projektes Leibis/ Lichte

Die erste Planung begann 1970, aus den vorher genannten Gründen, mit den Vorplanungen und Standortuntersuchungen. 10 Jahre später wurden diese Vorbereitungen zum Talsperrensystem, zwecks Trinkwasseraufbereitung und Fernwasserleitungen, abgeschlossen. Das Projekt des Talsperrensystems Leibis/ Lichte startete 1981 mit dem Bau der Vorsperre Deesbach, die nach neun Jahren fertiggestellt wurde. Diese kam nun für die vorübergehende Rohwasserentnahmemöglichkeit, der Trinkwasseraufbereitungsanlage Zeigerheim und der Fernwasserleitung Richtung Pößneck, zum Einsatz. In dieser Zeit wurde zudem von 1988 bis 1992 großflächige Waldrodungen vorgenommen und von 1981- 1986, sowie 1983- 1989 fand die Auffahrung des Lichtestollens 1 & 2 statt. Außerdem kam es von 1989 bis 1994 zum Vortrieb des Katzestollens und dem Aufbau des Katzewehrs. Seit 1992 gab man dann das Rohwasser aus der Vorsperre Deesbach zur Trinkwasserversorgung an die Regionen Saalfeld, Rudolstadt, Pößneck ab. Im August desselben Jahres stiegen die Bundesländer Sachsen und Sachsen- Anhalt aus der Fernwasserversorgung aus. Somit wurde der Ausbau und die Nutzung von Überleitungen aus den umliegenden Einzugsgebieten, als auch die Sorbitzeinleitung durch den Lichtestollen eingestellt. Zudem war die Frage, wer den Bau weiterführt und wie das Talsperrensystem weiter genutzt werden soll, offen. Am 1. Juni 1993 übernahm die Thüringer Talsperrenverwaltung das Projekt Leibis/ Lichte mit dem Hintergrund, die Stabilisierung der Fernwasserversorgung von Ostthüringen zu gewährleisten. Die bauvorbereitenden Maßnahmen basierten dabei auf der Genehmigung vor der Wiedervereinigung Deutschlands. Mit der Übernahme des in Bau befindlichen Talsperrensystems wurde am 2. August 1993 ein neuer Antrag zur Planfeststellung gestellt, jedoch wurde noch auf der Grundlage der alten Genehmigungsverfahren fortgefahren. Außerdem beruhte auch die Umsiedlung des Dorfes Leibis 1994 noch auf der alten Genehmigung. Am 4. Oktober 1994 war es dann soweit, die notarielle Übertragung von der Ostthüringer Wasserversorgung und Abwasserbehandlung GmbH auf die Thüringer

-10- Talsperrenverwaltung wurde vollzogen und dazu gehörten auch alle angefangenen Baumaßnahmen. Nun lag das Projekt in den Händen der Thüringer Talsperrenverwaltung, doch die Entscheidung auf Planfeststellung stand noch immer aus. Trotz dieser Probleme und der Ungewissheit wurde ein großflächiger Erkundungsschurf im Bereich der Sperrstellen durchgeführt. Am 29. Mai 1995 wurde ein von der Landesregierung aufgestelltes Gremium aus unabhängigen Sachverständigen beauftragt, eine Entscheidungshilfe zur Begründung der Wasserversorgung in Bezug aus das Talsperrensystem Leibis/ Lichte zu erstellen. Die Abstimmung darüber fand im Thüringer Landtag statt und sie kamen am 15./ 21. Juni 1995 zum Entschluss, dass das Fernwasserversorgungssystem Schwarza weitergeführt werden soll. Jedoch sollte die Thüringer Talsperrenverwaltung ihre Pläne noch einmal überarbeiten und voraussichtlich die Staumauer bzw. -höhe um 5 m kürzen. Noch im Dezember aktualisierte sie die Pläne und gaben erneut einen Antrag ab. Am 30. August 1996 wurde zum dritten Mal eine neue Genehmigungsplanung erstellt. Von Oktober '96 bis Januar '97 legte man die Unterlagen zum Planfeststellungsantrag in 40 Städten und Gemeinden in Thüringen aus. Im August desselben Jahres reichte man die Unterlagen bei der Europäischen Union in Brüssel ein, die sich äußern sollten zu naturschutzrechtlichen Aspekten. Am 15. Dezember erfolgte auf Grund dessen ein Nacherörterungstermin zur Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen. Zudem hatte das Bauunternehmen HOCHTIEF AG Anklage erhoben gegen den Investitionsleistungsvertrag aus dem Jahr 1989 zur Errichtung der Talsperre, jedoch wurde dieser Antrag vom Bundesgerichtshof abgelehnt. Am 3. April 1998 reichte die Thüringer Talsperrenverwaltung einen Eilantrag auf sofortige Vollziehung des Planfeststellungsbeschlusses ein, denn wenn nicht die baldige Zuspeisung von Fernwasser aus dem Schwarzagebiet gewährleistet worden wäre, konnte keine dauerhafte Stabilisierung der Wasserversorgung in Ostthüringen garantiert werden. Dann ging es schnell und am 1. Juli 1998 erließ die Obere Wasserbehörde des Thüringer Landesverwaltungsamtes Weimar den Planfeststellungsbeschluss. Im März des folgenden Jahres fand die europaweite Ausschreibung statt. Unterbrochen wurde das Projekt noch einmal durch eine Klage des Bundes für Umwelt und Naturschutzes Deutschland gegen die Anordnung des Sofortvollzuges. Doch das Verwaltungsgericht lehnte diesen Antrag ab und der BUND verzichtete auf weitere Rechtsmittel. Somit herrschte nun uneingeschränktes Baurecht und es konnte mit dem Bau begonnen werden. Im September 2000 wurde der Auftrag an die Arbeitsgemeinschaft Talsperre Leibis/ Lichte gegeben und das Baufeld ihnen überlassen. Im folgenden Jahr kam es zur ersten Sprengung am linken Hang, Aufbau des Kabelkrans, Inbetriebnahme der Betonmischanlage, Betonarbeiten am Tosbecken und die erste Testfahrt des Kabelkrans 1

-11- mit 20 Tonnen. Am 6. September 2002 fand die Grundsteinlegung für die Staumauer statt. Der Bau der Mauer verlief ohne weitere größere Probleme und so wurde nur 4 Jahre später am 12.Mai 2006 die Talsperre Leibis/ Lichte eingeweiht.

3.4 Erkundung des Bauortes

Auf der Suche nach einer Sperrenstelle erkundete man nach einer geeigneten Talenge, außerdem muss der Felsgrund aufgeschlossen und beurteilt werden, vor allem wegen der lithologischen Verhältnisse, dem Trennflächengefüge, der Lösbarkeit des Gesteins und der Durchlässigkeit des Gebirges, welche von besonderer Relevanz sind. Berücksichtigt werden musste dabei die Schichtung und Schieferung des Gesteins. Des Weiteren musste auf Trennflächen, Störungen sowie auf Verwitterungseinflüsse geachtet werden. Auf eine erste Erkundungsphase folgte eine zweite, während dieser eine ingenieurgeologische Spezialkartierung des Stauraumes sowie eine detaillierte Aufnahme des Sperrmaueruntergrundes vorgenommen wurden. Die Erkundung erfolgte durch Bohrungen einschließlich Wasserdurchlässigkeitstests und Probeinjektionen, Grabenschürfe, bergmännische Auffahrungen, in situ-Großversuche und umfangreiche geophysikalische Messungen. Zusätzlich wurde am linken Hang, welcher geomechanisch am kritischsten eingeschätzt wurde, ein Großschurf angelegt. Dieser bestätigte das Gefügemodell und präzisierte die Erkenntnisse über die geologischen Verhältnisse und die Verfahren, mit dem der Baugrubenaushub erfolgen sollte.

3.5 Bau der Talsperre

Bevor mit der Grundsteinlegung am 6. September 2002 der Bau der Talsperre begonnen werden konnte, bestand die erste eigentliche Herausforderung in der notwendigen Fertigstellung geeigneter Verkehrswege, die die Verbindung der Baustelle mit dem öffentlichen Straßennetz ermöglichten. Des Weiteren musste die Baugrube ausgehoben, Vorleistungen für die Betonage der Gewichtsstaumauer erbracht und die Kabelkran- und Mischanlage errichtet werden. Der Bau selbst wurde in einer aus den Unternehmen Bickhardt Bau, Bilfinger Berger, Max Boegl und Oevermann bestehenden Arbeitsgemeinschaft ausgeführt. Bei der Errichtung der Talsperre kam die Blockbauweise zur Anwendung, wobei die Fugen senkrecht zur Mauerachse eingebaut wurden. Die einzelnen Blöcke wurden innerhalb der Felder versetzt eingebaut, um eine Verzahnung zu erreichen. Die Talsperre besteht aus 35 Feldern, welche jeweils ca. 10m lang sind. Die wichtigsten Bestandteile im Beton sind neben Wasser, dem Bindemittel, den Zusatzmitteln und Zusatzstoffen vor allem die Zuschlagstoffe. Die Herausforderung war nun das in riesigen Mengen benötigte Baumaterial zeitnah bereitzustellen. Der Transport sollte nur über relativ kurze Distanzen erfolgen. Außerdem war es von Nöten, das geeignete Material über den Bauzeitraum in ausreichender Menge vorrätig zu haben.

-12- Zudem musste der Beton auf seine Eignung im neutralen Labor für Baustofftechnik der Bilfinger Berger AG getestet werden. An das Baumaterial wurden höchste Qualitätsansprüche gestellt. Die Dichte musste einen bestimmten Wert aufweisen. Die Wasseraufnahme des Betons durfte nicht über 1% liegen und des Weiteren musste er sehr witterungsbeständig sein. Letztendlich lieferte ein ca. 30 km entferntes Kalkwerk mit Hilfe einer einheimischen Spedition die benötigten Gesteinskörnungen. Insgesamt wurden rund 620.000 Kubikmeter Beton verbaut. Damit es infolge des Abbindens des Zements nicht zu thermischen Spannungen und Rissen kommen konnte, sollte die Betontemperatur zwischen 7°C und 15°C liegen. Deswegen wurden dem Beton insgesamt 30.000 t Flugasche zugegeben. Zusätzlich zu dieser Maßnahme verarbeitete man bis zu 80 kg Scherbeneis je Kubikmeter Beton. Die Firma Bickhardt Bau betrieb dazu zwei Kühlanlagen, beide produzierten täglich 150 t Eis. Für den Einbau waren insgesamt 5 Betonsorten vorgesehen. Allein drei davon sollten mit einem Korngemisch, dessen Größtkorn 125 mm betrug, hergestellt werden. Aufgrund der Ergebnisse der Eignungsprüfungen konnte im Baufortschritt auf eine Betonsorte verzichtet werden, sodass letztendlich nur noch vier verbaut wurden. Der Beton wurde direkt auf der Baustelle gemischt, wozu eine gute Mischanlage von Nöten war, weil aufgrund der kurzen Transportdistanz eine weitere Durchmischung entfiel. Muldenkipper transportierten den Beton von der Mischanlage zur Übergabestelle am Kabelkran ca. 500 m weit. Nach dem Verladen des Materials in Betonkübel wurde es mit Raupen in die Felder eingebaut. Die zuerst im Zweischicht- und später im Dreischichtsystem arbeitende Baustelle musste sich dabei an die vom Auftraggeber geforderten Abläufe halten. Dabei mussten nicht nur die Zeitintervalle für das Betonieren der Blöcke sondern auch konstruktive und ökonomische Aspekte beachtet werden. All diese wurden in einem vernetzten Weg-Zeit- Diagramm erfasst und berücksichtigt. Staumauern sind beim Bau generell Grenzen gesetzt, weshalb eine tiefer reichende vertikale Abdichtung immer als Injektionsschleier ausgeführt wird. Somit wurde nachlaufend zur Betonage der Mauer der felsige Untergrund aus dem untersten Kontrollgang mit einem 30 m tiefen Injektionsschleier abgedichtet.

3.6 Talsperrenkonstruktion/Konzipierung

Die Talsperre Leibis/ Lichte wurde mit einer Staumauer als Absperrbauwerk gebaut. Die Besonderheit bei Staumauern besteht darin, dass sie im Vergleich zu Staudämmen um einiges anfälliger gegenüber größeren Deformationen des Untergrundes sind und auf wenig durchlässigen und standfesten Fels gegründet werden müssen. Von der konstruktiven Gestaltung aus gesehen, handelt es sich um eine Gewichtsstaumauer. Das statische Prinzip beruht darauf, dass die resultierenden Wasserdruckkräfte, durch die Reibung der Staumauer mit dem Untergrund, unmittelbar in die Gründungssohle abgetragen werden. Deshalb ist es bedeutsam, dass der Beton durch eine große Dichte

-13- dem Bauwerk ein notwendiges Eigengewicht gewährt. Die Abtragung der horizontal wirkenden Kräfte ist nur möglich, wenn die Sohle einen ausreichenden Widerstand gegen Scherbelastung besitzt. Die Mauer hat eine gerade Achse und ist auf der Luftseite im Verhältnis 1:0,78 geneigt.

Abbildung 3-1: luftzugewandte Seite der Talsperre wasserzugewandte Seite der Talsperre Die Aufnahmen zeigen sehr gut die typischen Baumerkmale von Talsperren. Während die Wasserseite meist vertikal ausgerichtet ist, wird die Luftseite geneigt.

-14-

Abbildung 3-2: Fugenbänder im Beton Zur Wasserabdichtung verwendet man neben Fugenbändern auch im Beton Stege, welche nach dem Labyrinthprinzip der Fließwegverlängerung dienen. Die Talsperre hat 3 Kontrollgänge und Grundablässe sowie 5 Entnahmeleitungen.

3.7 Talsperrensystem Leibis/ Lichte

Das Rohwassergewinnungssystem Schwarza besteht aus der heutigen Vorsperre Deesbach, dem Lichtestollen, dem Katzestollen, der Talsperre Leibis/ Lichte, sowie anschließend der Trinkwasseraufbereitung Zeigerheim. Die Vorsperre Deesbach wurde seit 1981 erbaut und 1991 in Betrieb genommen. Sie diente von 1992 bis 2005 der Trinkwasserversorgung für rund 100. 000 Einwohner des Landkreises Saalfeld- Rudolstadt und des -Orla-Kreises. Man kann sagen, dass sie die Funktion der Talsperre übernahm, denn sie war seit Beginn an nur vorübergehend zur Rohwasserentnahme geplant. Die Vorsperre ist ein Steinschüttdamm mit Asphaltbetonaußendichtung und zur Hochwasserentlastung dient eine Schussrinne am rechten Hang. Der Damm ist fast 45 m hoch und der Stauraum kann maximal 3,2 Mio. m³ Wasser betragen. Die Rohwasserentnahme erfolgte über einen bauzeitlichen Umleitstollen, an dem ein 40 m langer Schacht angriff, von dem in halber Höhe ein Fensterstollen vorgetrieben wurde. Über eine Schwenkrohreinrichtung mit Entnahmerohren konnte aus dem Schacht in verschiedenen Höhen Rohwasser gewonnen werden. Dieses Wasser gelangte dann über eine 3,5 km lange Stahlrohrleitung, am Stauraum der zukünftigen Talsperre vorbei, über den Lichtestollen, zur Wasseraufbereitungsanlage Zeigerheim. Die Rohwasserbereitstellung geschah aber

-15- leider nicht ohne Probleme. So musste das Tiefenwasser im Sommer 1998 mit Sauerstoff begast werden und Algenbiomasse von der Oberfläche abgeschöpft werden. Ebenfalls kam es zu einem erhöhten Aufbereitungs- und Kontrollaufwand durch zu starke Trübungen. Diese waren die Folge von Hochwasserzuflüssen und wurden durch den geringen Stauraum verursacht. Der Lichtestollen wurde ab 1981 parallel zum Bau der Vorsperre aufgefahren und gehört zusammen mit ihr zur ersten Ausbaustufe. Seine Aufgabe ist und war die Zuleitung des gewonnen Rohwassers zur Trinkwasseraufbereitungsanlage Zeigerheim sicherzustellen. Er ist 10,7 km lang und beginnt unterhalb der Hauptsperre. Er kreuzt in seinem Lauf nach 3,4 km das Sorbitztal und endet dann oberhalb von Bad Blankenburg am Hainbergplateau. Die beiden Teilstrecken wurden jeweils mit einem Gefälle von 0,22 % von beiden Seiten aufgefahren. Somit ergibt sich im Sorbitztal ein Hochpunkt, der ohne Pumpenbetrieb überwunden werden kann. Dazu trägt der Rohwasserentnahmeturm an der Luftseite der Talsperre Leibis/ Lichte bei, der einen genügend großen Wasserdruck liefert, um den Hochpunkt zu überwinden. Würde man das Rohwasser direkt entnehmen, hätte dieser Stollen als Druckstollen gebaut werden müssen. Für seine Auffahrung entwickelte der Schachtbau Nordhausen eigens eine 38m lange Vortriebsmaschine, mit der ein Durchmesser von 2,7 m im Vollschnitt hergestellt wurden konnte. Mit einer Vorschubkraft von 2500 kN erreichte sie eine Vortriebsleistung von 15 m pro Tag. Diese gebirgsschonende Art des Ausbruches führte dazu, dass in den überwiegend ungestörten Bereichen des Tonschiefers eine Spritzbetonauskleidung entfallen konnte.

Abbildung 3-3: Rohwasserentnahmeturm Mit der gleichen Vortriebsmaschine wurde der Katzestollen aufgefahren. Er gehört zur zweiten Ausbaustufe und wurde ab 1989 mit einer Länge von 9,6 km erbaut. Der Katzestollen ist ein Beileitstollen, der das Wasser aus dem Katzetal direkt über freies

-16- Gefälle in den Stauraum bringen sollte. Dafür wurde in der Katze eine Wehranlage errichtet, die zur Regulierung dieser Zuleitung nötig war. Der Katzestollen wurde 1994 fertiggestellt, danach aber stillgelegt, weil er durch die veränderte Wasserverbrauchssituation nur zum Füllen der Talsperre nötig war und heute für ihn keine Notwendigkeit mehr besteht. Die Staumauer selbst ist eine Gewichtsstaumauer mit gerader Achse. Sie steht also durch ihr Eigengewicht und der Querschnitt zeichnet nahezu ein Dreieck. In der Regel gilt bei einer Gewichtsstaumauer das Verhältnis zwischen Sohlbreite zu Staumauerhöhe von circa 2:3. Das Lichtetal zeichnet an der Sperrstelle ein schmales Kerbsolental mit 200 bis 270 m hohen Steilhängen. Die Talsohle ist hier circa 40 m breit. Die geplante Höhe wurde nach der Auswertung des April-Hochwassers von 1994 um 5 m reduziert und somit der Gesamtstauraum von 44,3 Mio. m³ auf 39,2 Mio. m³ abgesenkt. Nach der Reduzierung der Höhe auf 102,5 m ist sie die zweithöchste Staumauer in Deutschland nach der Rappode Talsperre. Das angestaute Rohwasser kann durch fünf Entnahmeleitungen in unterschiedlichen Höhen abgeleitet werden. So kann das Wasser immer mit der besten vorherrschenden Wasserqualität entnommen werden. Neben der Rohwasserableitung in variablen Höhen wird das Grundwasser zur Energiegewinnung über drei Rohrleitungen mit einem Durchmesser von 1200 mm und einem Abführvermögen von je 11 m³/s durch zwei Turbinen geleitet. Das abgeleitete Wasser wird als Rohwasser bezeichnet, weil es für die Trinkwasserversorgung noch einer Aufbereitung unterzogen werden muss. Würde man es unaufbereitet zu Industrie und Landwirtschaft leiten, spräche man von Brauchwasser. Mit der Entnahme gelangen maximal 64.900 m³ Rohwasser pro Tag über den Lichtestollen zur Wasseraufbereitungs- anlage Zeigerheim. Nachdem das Rohwasser den 15 km langen Weg zur Aufbereitungsanlage überwunden hat wird es einer Vielzahl von Prozessen unterzogen. Welche Verfahrensschritte angewendet werden entscheidet dabei die ankommende Wasserqualität. Allgemein spricht man von den Prozessen der Ozonung, Mikrosiebung, Aufhärtung, Flockung, Filtration, pH-Werteinstellung und der Desinfektion. Bei der Ozonung werden organische und anorganische Inhaltsstoffe durch das starke Gas oxidiert, die dann in der folgenden Mikrosiebung so besser entfernt werden können. Hierbei dienen Maschenweiten von 0,01 bis 0,2 mm zur groben physikalischen Trennung und Abfangen fein- bis grobdisperser Stoffe, wie zum Beispiel Plankton. In der Aufhärtungsstufe wird die Korrosivität gemindert, die Pufferkapazität gesteigert und das weiche Talsperrenwasser für die Mischung mit örtlichen Vorkommen aufgehärtet. Durch die Flockung mit den

Metallsalzen AlSO4 und FeCl3 und den Flockungshilfsmitteln der Polyacrylate können Schwebteilchen und gelöste Stoffe entfernt werden. Diese werden durch Mehrschichtfilter, aus Sand, Kies, Anthrazit und Aktivkohle abgeschieden. Natronlauge- und Kalkwasserdosierung dienen zur Einstellung des optimalen pH-Wertes. Nach der Aufbereitung wird die hygienische Fehlerlosigkeit durch die Keimabtötung mit UV- Strahlen, Chlorgas, Chlordioxid oder Natriumhypochloridlösung auf dem Weg zum Endverbraucher sichergestellt. Das aufbereitete Wasser, was nun die Anlage verlässt, wird als Fernwasser bezeichnet, da es nicht sofort zum Endabnehmer gelangt, sondern zu

-17- Großabnehmern, wie Stadtwerken oder Verbänden. In deren Anlagen wird dann noch Grundwasser aus eigener Gewinnung hinzugegeben, wodurch eine ausgeglichene Härte erreicht wird.

3.8 Sicherheitskonzept

Das Sicherheitskonzept während der Bauarbeiten umfasste eine umfangreiche Überwachung und Auswertung jeglicher Prozessabläufe. Das Errichten einer Talsperre ist immer ein anspruchsvolles Vorhaben. Sowohl in den Bauphasen als auch im Betrieb stellt der Schutz der Allgemeinheit stets das Hauptanliegen dar. Ein Talsperrenbauwerk muss über eine vorgesehene Nutzungsdauer von 100 Jahren standsicher, dauerbeständig und funktionstüchtig sein. Die Grundlage des Sicherheitskonzeptes der Talsperre Leibis/ Lichte umfasst viele Maßnahmen. Von ingenieurgeologischen Erkundungen, Standsicherheitsanalysen unter Beachtung der Wechselwirkung von Bauwerk und Untergrund, Untergrundabdichtungen und Drainagen, Mess- und Kontrollsystemen bis hin zum Probestau mit dessen Auswertung und die permanente Begutachtung, Kontrolle und Wartung der Anlagen reichen die Aufgaben der Bauwerksüberwachung. Ebenfalls wurden die Bauausführung und die Bauüberwachung mit ständigen Qualitätskontrollen einer umfassenden Fortschrittsdokumentation unterzogen. Die ingenieurgeologische Erkundung steht als voran eilende Maßnahme an erster Stelle im Bauvorhaben. Ohne die hierbei gewonnenen Eingangsparameter sind keine realitätstreuen Standsicherheitsanalysen möglich, denn sie nehmen Einfluss auf die konstruktive Bildung. Die vielseitige Überwachung beobachtet auch die Verschiebungen, Neigungen und Sohlwasserdrücke im Gründungsbereich, Strömungsvorgänge im Untergrund und im Gebirge, Sickerwasserabflussmengen und zeichnet seismologische und meteorologische Ereignisse auf.

3.9 Hochwasserschutz

In der Talsperre werden dauerhaft 5,6 Mio. m³ für den Hochwasserfall freigehalten. Zur Berechnung eines auftretenden Hochwassers wurde der statistische Wiederkehrwert von 10.000 Jahren (HQ 10.000) benutzt. Die Hochwasserentlastung erfolgt durch Kronenüberfall des Wassers über den Mauerrücken und Hinableitung über eine Schussrinne.

3.10 Gewässerschutz und Ökologie

Das Einzugsgebiet der Talsperre Leibis/ Lichte ist, da es zur Trinkwasserversorgung dient, besonders vor Verunreinigungen zu schützen. Zum Erhalt dieses Wassergutes wurden Wasserschutzgebiete eingerichtet, wobei grundsätzlich im Bereich der Oberflächenwässer das gesamte Einzugsgebiet umfasst wird. Die Schutzzonenverordnung wurde von der

-18- oberen Wasserbehörde Thüringens in Weimar vorbereitet und durchgeführt. Das überwiegend bewaldete Einzugsgebiet der Bäche Lichte, Ascherbach und Schlagebach, wird von etwa 10.000 Einwohnern und landwirtschaftlicher Nutzung auf 15% der Fläche beeinträchtigt. Zwei zentrale Kläranlagen kümmern sich um die korrekte Entsorgung und Aufbereitung der Abwässer aus dem kommunalen Bereich. Die Vorsperre Deesbach übernimmt zudem seit 2006 die Funktion als Sedimentations- und Reaktionsbecken. Sie trägt zur Verminderung der sauerstoffzehrenden Substanzen bei, hält Phosphorverbindungen zurück und verhindert so das Massenwachstum von Algen. Im Stausee beteiligen sich mehrere Prozesse an der biologischen Selbstreinigung. Hierzu gehören die Nährstoffeliminierung durch Plankton und der Abbau von organischer Substanz durch Bakterien, welche durch das große Wasservolumen und die lange Aufenthaltszeit des Wassers in der Sperre gefördert werden. Ebenfalls gibt es Maßnahmen, wie die Beräumung des Stauraumes von Vegetation vor dem Ersteinstau und die fischereiliche Bewirtschaftung, die den Selbstreinigungseffekt steigern. Unaufhörlich wird das Wasser des Stausees und dessen Zuflüsse analysiert und deren Qualität bewertet. Diese kontinuierlichen Tests begünstigen die tiefenvariable Wasserentnahme und signalisieren wenn nötig die Einleitung von Maßnahmen, wie die Sauerstoffbegasung des Tiefenwassers. Im Vorraus wurde auf der Grundlage einer Umweltverträglichkeitsstudie ein landschaftspflegerischer Begleitplan unter Berücksichtigung des sehr zu schützenden Fauna-Flora-Habitat-Gebietes erstellt. Daraus ergaben sich 33 Minimierungs-, Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen. Hierzu zählen zum Beispiel die Renaturierung von Fließgewässern, der Rückbau von Wehranlagen, die Bestandsstützung des Auerwildes durch das Aussetzten von 40 Auerhühnern, die Umgestaltung von 270 ha Wald und die natürliche Gestaltung eines Wildbettes für den Unterlauf aus der Talsperre. Neben den Maßnahmen des Sicherheitskonzeptes griff dazu noch eine ökologische Bauüberwachung. Diese befürchtete zunächst eine Beeinträchtigung auf das benachbarte Vogelschutzgebiet durch den Lärm der Baumaßnahmen. Folglich wurden die Bauarbeiten auf den Zeitraum von 06:00 Uhr bis 20:00 Uhr eingeschränkt. Jedoch führten Lärmpegelmessungen zur Aufhebung dieser stark einschränkenden Bauzeit. Zusammenfassend lässt sich zum Bauwerk der Talsperre Leibs/ Lichte sagen, dass sie die letzte bedeutende Staumauer in Deutschland darstellt und weiterhin zur Versorgung von 400. 000 Einwohner in Ostthüringen dient.

3.11 Quellenverzeichnis

Literatur: [1] Rißler, Peter: Talsperrenpraxis. R.Oldenbourg Verlag GmbH, 1999 [2] Vischer, Daniel; Huber, Andreas: Wasserbau.5.Auflage.Springer- Verlag, 1993

-19- [3] Prinz, Helmut; Strauß, Roland: Ingenieurgeologie 5. Auflage. Spektrum-Verlag, 2011 [4] Harald Roscher; Talsperren und Fernwasserversorgungssysteme in Thüringen - Seit 100 Jahren und auch in Zukunft unverzichtbar für die Trinkwasserversorgung, Ein Beitrag zur Technikgeschichte von Harald Roscher und Mitarbeitern der Thüringer Fernwasserversorgung Internet: [5] Thüringer Allgemeine, Probestau in Talsperre Leibis 09.04.10 unter http://www.thueringer-allgemeine.de/web/zgt/suche/detail/- /specific/Probestau-in-Talsperre-Leibis-2102628487 [Stand: 15.09.2012] [6] Bickhardt Bau, Trinkwasser für Millionen: Talsperre Leibis Lichte unter http://www.bickhardt-bau.de/index.php?id=374 [Stand 14.09.2012] [7] Max Bögl, Talsperre Leibis/Lichte unter http://www.maxboegl.de/boeglnet/web/show.jsp?nodeId=1380&lang=de [Stand 12.09.2012] [8] Thüringer Allgemeine, Talsperre Leibis-Lichte zum ersten Mal vollständig befüllt 08.04.10 unter http://www.thueringer-allgemeine.de/web/zgt/suche/detail/- /specific/Talsperre-Leibis-Lichte-zum-ersten-Mal-vollstaendig-befuellt- 1928321367 [Stand 17.09.2012] [9] Thüringer Fernwasserversorgung, http://www.thueringer-fernwasser.de/ [Stand 15.09.2012]

-20- 4 ICE Neubaustrecke Ebensfeld-Erfurt, Tunnel Eierberge

Von: Felix Sandhöfer Tino Rosenzweig Fabian Fellenstein Führung: Peter Herzog Claudia Dreyer

4.1 Allgemeines

Die Neubaustrecke Ebensfeld – Erfurt ist ein Teil des Verkehrsprojekts Deutsche Einheit (VDE) Nr. 8 von Nürnberg nach Berlin und auch der Realisierung der wichtigsten Nord – Süd Verbindung im Transeuropäischen Verkehrsnetz, der Strecke Berlin – München – Verona – Palermo. Neben dem Ausbau des Eisenbahnnetzes beinhaltet das Verkehrsprojekt Deutsche Einheit den Neubau der Ostseeautobahn, den Ausbau der Autobahn A 2 zwischen Hannover und Berlin, den Ausbau der A 10 östlicher- und südlicher Berliner Ring, den Ausbau der A 9 zwischen Nürnberg und Berlin, den Neubau der A 38 zwischen Göttingen und Halle, den Neubau der A 14 zwischen Magdeburg und Halle, den Neubau der A 44 zwischen Eisenach und Kassel und den Neubau der A 71 zwischen Schweinfurt und Erfurt. Auch ein Wasserweg wurde in das Projekt mit einbezogen. Die Bundeswasserstraßenverbindung Rühen – Magdeburg – Berlin wurde erstellt. Dieses Teilvorhaben beinhaltet den Bau des Wasserstraßenkreuzes Magdeburg, den Ausbau der unteren Havel-Wasserstraße, den Ausbau des Mittellandkanals, den Ausbau des -Havel-Kanals, den Neubau der Schleuse Charlottenburg und den Ausbau des Westhafenkanals. Der Bau und Ausbau des Schienennetzes wurde zu einem großen Teil von der Deutschen Bundesbahn geplant. Das Projekt VDE 8 geht im Süden in die Neu- und Ausbaustrecke Nürnberg – Ingolstadt – München über und ist Teil eines Transeuropäischen Verkehrsnetzes, welches eine Verbindung von Norditalien über Österreich und Deutschland bis Skandinavien herstellen soll. Das Ziel der Neu- und Ausbaustrecken innerhalb Deutschlands ist eine Fahrzeit von etwa 4 Stunden zwischen München und Berlin, was eine Reduzierung der Fahrzeit auf circa die Hälfte bedeutet. In die Bahnstrecke zwischen München und Berlin sind nach dem Beschluss der Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“ insgesamt 13 Milliarden Euro investiert worden. Das Bauvorhaben wurde von der Firma DB ProjektBau GmbH übernommen, welches ein Tochterunternehmen der Deutschen Bahn ist. Ein Grund für die Umsetzung dieses enormen Verkehrsprojektes Deutsche Einheit ist die Tatsache, dass die DDR seit den 70er Jahren nicht mehr in große Infrastrukturprojekte investiert hat und somit die Zustände der Straßen in den neuen Bundesländern bei weitem nicht auf dem Stand der alten Bundesländer waren. So fehlten zum Beispiel auf

-21- den Autobahnen Beschleunigungs- und Verzögerungsstreifen und auch die Eisenbahnstrecken waren in einem sehr schlechten Zustand. In Folge dessen musste nach der Wende teilweise ein vollständiger Neubau durchgeführt werden. Weiterhin haben sich nach der Auflösung der Sowjetunion die Hauptverkehrsströme geändert. Folglich gewannen in Deutschland neben den Nord-Süd-Verbindungen auch die Ost-West- Verbindungen an Bedeutung und mussten dementsprechend ausgebaut werden. Um dies umzusetzen, wurde am 9. April 1991 vom damaligen Verkehrsminister dem Kabinett das VDE-Programm vorgelegt, welches später auch beschloss, dieses Projekt durchzuführen. Bis Ende 2011 wurden in die VDE-Projekte insgesamt 31,8 Mrd. Euro investiert, wovon rund 15,1 Mrd. Euro alleine von den Schienenprojekten verbraucht wurden, wofür insgesamt 20,1 Mrd. Euro eingeplant sind.

Tabelle 4-1: VDE Schienenprojekte Lübeck – Stralsund (geplante Bauzeit 1994–2002; aktuell noch nicht VDE Nr. 1 abgeschlossen) VDE Nr. 2 Hamburg – Berlin (Fertigstellung 1997) VDE Nr. 3 Stendal – Uelzen (teilweise Fertigstellung 1999) VDE Nr. 4 Hannover – Berlin (Fertigstellung 1998) VDE Nr. 5 Helmstedt – Magdeburg – Berlin (Fertigstellung 1995) VDE Nr. 6 Eichenberg – Halle (Fertigstellung 1994) VDE Nr. 7 Bebra – Erfurt (Fertigstellung 1995) VDE Nr. 8 Nürnberg – Berlin (geplante Inbetriebnahme 2017) VDE Nr. 9 Leipzig – Dresden (geplante Fertigstellung 2016)

Die Baumaßnahme wurde in mehrere Abschnitte aufgeteilt, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten in Betrieb genommen wurden bzw. in Betrieb genommen werden. Die Strecke Nürnberg – München wurde in die Ausbaustrecke München – Ingolstadt mit einer Streckenlänge von 82 Kilometern und die Neubaustrecke Ingolstadt – Nürnberg aufgeteilt und wurde im Mai 2006 in Betrieb genommen. Ein weiterer Abschnitt soll mit VDE 8.1 im Jahr 2017 in Betrieb genommen werden. Dieser Teil beinhaltet die Ausbaustrecke Nürnberg – Ebensfeld mit einer Länge von 83 Kilometern, die S- Bahngleise Nürnberg – Forchheim und die 107 Kilometer lange Neubaustrecke Ebensfeld – Erfurt. Auf diesen Abschnitt folgt der Teil VDE 8.2, der die Neubaustrecke Erfurt – Leipzig/Halle beinhaltet, und vollständig im Jahr 2015 befahren werden soll. Der letzte Abschnitt VDE 8.3 verbindet Leipzig/Halle mit Berlin über eine Strecke von 187 Kilometern und wurde 2006 in Betrieb genommen.

-22- Die Investitionen belaufen sich für das VDE Projekt 8.1 insgesamt auf 5,280 Mrd. Euro, von denen bis Ende 2011 bereits 2,204 Mrd. Euro bezahlt wurden und 3,076 Mrd. Euro noch geplante Investitionskosten sind. Das VDE Projekt 8.2 benötigt bis zur Fertigstellung 2,742 Mrd. Euro, wovon 1,882 Mrd. Euro schon verbaut wurden und das Projekt 8.3 ist mit 1,663 Mrd. Euro geplant worden, wovon nur noch 10 Mio. investiert werden müssen. Der komplette Projektumfang des Projektes 8 bezog sich auf den Neu- und Ausbau von 467 Kilometern, worin ein Neubau der zweigleisigen Strecke Erfurt – Ebensfeld mit einer Länge von 107 Kilometern, die Ergänzung der vorhandenen Strecke Nürnberg – Ebensfeld um zwei Gleise auf einer Länge von 83 Kilometern und der Neubau der zweigleisigen Güterzugstrecke Nürnberg – Eltersdorf über 13 Kilometer enthalten waren. Weiterhin waren der Neubau der zweigleisigen Strecke Erfurt – Leipzig auf einer Länge von 114 Kilometern, der Ausbau der Strecke Schkopau – Halle und der Ausbau der Strecke Leipzig – Berlin über 155 Kilometer ein Teil dieses Unterfangens. Die geplanten Reisezeiten wurden von Leipzig nach Berlin von 2 Stunden und 22 Minuten im Jahr 1990 auf eine Zeit auf 1 Stunde und 7 Minuten gesenkt und von Nürnberg nach Berlin brauchte man im Jahr 1990 noch 6 Stunden und 40 Minuten, wofür in Zukunft nur noch 2 Stunden und 58 Minuten eingeplant sind. Um diese Zeitverkürzungen durch das Projekt VDE 8.1 erreichen zu können, sind die Entwurfsgeschwindigkeiten für die Neubaustrecken auf 300 km/h und für die Ausbaustrecken auf 230 km/h angesetzt. So ist es möglich, von Nürnberg aus Erfurt statt in 2 Stunden und 52 Minuten in 1 Stunde und 6 Minuten zu erreichen.

4.2 Verkehrsprojekt Deutsche Einheit 8.1 Neubaustrecke Ebensfeld – Erfurt

Das Verkehrsprojekt Deutsche Einheit (VDE) 8.1 Neubaustrecke (NBS) befindet sich zwischen Ebensfeld und Erfurt. Im Süden schließt sich die Ausbaustrecke VDE 8.1 in Richtung Nürnberg an und im Norden die Neubaustrecke VDE 8.2 in Richtung Leipzig/Halle. Die NBS Ebensfeld – Erfurt verläuft von Ebensfeld aus für etwa 34 Kilometer durch die Mainebene und anschließend östlich an Coburg vorbei. Vom Froschgrundsee (bayerisch- thüringische Landesgrenze) kommend trifft die NBS nordwestlich von Grümpen den Überholbahnhof Theuern. Es folgen die Brücke über das Truckenthaler Wasser und der Bleßbergtunnel. Der Scheitelpunkt der Strecke liegt auf 603 Metern Höhe bei Goldisthal, dem Brücken über tief eingeschnittene Täler und Tunnel folgen. Nördlich der Oelze fällt die Trasse dann wieder ab, wonach der zweitlängste Tunnel des Teilstückes - der Silberbergtunnel - Großbreitenbach und das unter Schutz gestellte Obere Möhrenbachtal unterquert. Anschließend überspannt die Ilmtalbrücke das Tal der Ilm zwischen Langewiesen und Gehren. Bei Traßdorf treffen die Eisenbahn-Neubaustrecke und die Trasse der Autobahn A 71 aufeinander und verlaufen etwa 23 Kilometer parallel. Westlich von Molsdorf und Möbisburg führt die Trasse über Erfurt-Bischleben in Richtung Erfurt. Dabei dient dieser Bogen der Schonung des Wassergewinnungsgebietes

-23- Möbisburg. Zwischen den Erfurter Stadtteilen Bischleben und Hochheim erreicht die Neubautrasse die bestehende Bahnstrecke Bebra – Erfurt (Westeinfahrt in die Landeshauptstadt).

Abbildung 4-1: Streckenverlauf VDE Nr. 8 Nach Inbetriebnahme im Jahr 2017 rollen die Züge über eine regelspurige, zweigleisige, elektrifizierte Eisenbahnstrecke, welche für eine Höchstgeschwindigkeit von 300 km/h ausgelegt ist. Der Oberbau wird dabei als sogenannte 'Feste Fahrbahn' ausgeführt. Die Eisenbahn-Neubaustrecke Ebensfeld – Erfurt (VDE 8.1 NBS) mit seinen 107 Kilometern Länge besitzt zahlreiche Tunnel und Brückenbauwerke. Die Tunnel, 22 an der Zahl, machen dabei mit ihren 41 Kilometern Gesamtlänge mehr als 38 Prozent des Teilstückes aus. Die Brückenbauwerke (29 Stück) besitzen summiert eine Länge von 12,3

-24- Kilometern (11,5 Prozent des Teilstückes VDE 8.1 NBS). Dabei ist der Tunnel Bleßberg mit 8.314 Metern der längste Tunnel und die Ilmtalbrücke mit 1.681 Metern die längste Talbrücke. Tabelle 4-2: Tunnel- und Brückenbauwerke Tunnel Länge Brücken Länge

Eierberge 3.756 m Mainbrücke Wiesen 219 m

Kulch 1.331 m Flutmuldenbrücke Wiesen 88 m

Lichtenholz 931 m Stadelbachbrücke 90 m

Höhnberg 824 m Mühlbachbrücke Untersiemau 175 m

Füllbach 1.113 m Talbrücke Weißenbrunn 614 m

Rennberg 1.072 m Füllbachtalbrücke 1.012 m

Feuerfelsen 1.043 m Kiengrundbrücke 108 m

Reitersberg 2.975 m Itztalbrücke 868 m

Müß 745 m Fornbachbrücke 150 m

Baumleite 1.317 m Talbrücke Pöpelholz 306 m

Bleßberg 8.314 m Talbrücke Froschgrundsee 798 m

Goldberg 1.163 m Grümpentalbrücke 1.104 m

Rehberg 602 m Truckenthalbrücke 425 m

Masserberg 1.051 m Grubentalbrücke 215 m

Fleckberg 1.490 m Dunkeltalbrücke 291 m

Silberberg 7.391 m Rehtalbrücke 203 m

Brandkopf 1.493 m Massetalbrücke 385 m

Lohmeberg 688 m Oelzetalbrücke 370 m

Tragberg 500 m Wohlrosetalbrücke 150 m

Sandberg 1.320 m Schobsetalbrücke 87 m

Behringen 463 m Ilmtalbrücke 1.681 m

Augustaburg 1.404 m Wümbachtalbrücke 570 m

40.986 m Röstalbrücke 120 m

Humbachtalbrücke 290 m

Wipfratalbrücke 172 m

Geratalbrücke Ichtershausen 1.121 m

Brücke über BAB A4 89 m

Apfelstädttalbrücke 256 m

Geratalbrücke Bischleben 322 m

12.279 m

-25- 4.3 Tunnel Eierberge

Der Tunnel Eierberge, welcher das Ziel unserer Exkursion am Nachmittag des 01.10.2012 war, befindet sich am südlichen Ende der Neubaustrecke Ebensfeld – Erfurt. Mit seiner Länge von 3.756 Metern ist er der drittlängste Tunnel des Teilstückes VDE 8.1 Neubaustrecke. Tabelle 4-3: Tunnel Eierberge – Zahlen und Fakten Zahlen und Fakten zum Tunnel Eierberge Länge 3 756 m lichte Höhe 8,88 m lichte Breite 13,70 m maximale Längsneigung 9,25 ‰ minimale Überdeckung 5 m maximale Überdeckung 70 m Schächte 2 Notausgänge 3 begehbare Stollen 190 m befahrbare Stollen 381,5 m Ausbruchsquerschnitt 170 m² Querschnitt nach Einbau der Innenschale über SOK 101 m² Tunnelausbruchsmassen 960 000 m³

Die Geologie beim Tunnel Eierberge sieht wie folgt aus: In diesem Abschnitt wird der Nordostrand der Süddeutschen Großscholle, die im Deckgebirge aus mesozoischem Sediment besteht, gequert. Diese lagern flach oder sind leicht gewellt und fallen generell nach Süden und Südosten ein. Der Tunnel Eierberge inklusive der Notausgänge durchörtert die Ton-, Mergel- und Kalksteine des Unteren Jura (Lias) sowie Deckschichten des Quartär. Dabei unterfährt der Tunnel das flach ansteigende Relief der Eierberge. Im Bereich beider Portale ist das Gelände flach gewellt und wird ackerbaulich oder als Weide genutzt. Im Bereich des Lias ε Kalkstein/Mergelstein und des Lias δ Tonstein/Mergelstein wurden quellfähige Ton- und Schluffsteine nachgewiesen, wobei nur im Lias δ Tonstein/Mergelstein bautechnisch relevante Quellerscheinungen möglich sind. Der Tunnel Eierberge befindet sich fast ausschließlich unter dem Grundwasserspiegel, mit einer maximalen Grundwasserdruckhöhe von 54 Metern über Schienenoberkante. Das Grundwasser ist dabei prinzipiell ungespannt, mit gespanntem Grundwasser muss jedoch in Teilen gerechnet werden. Die Tunnelausbruchsmassen werden in einem Landschaftsbauwerk (Deponie) in unmittelbarer Nähe zu den Tunnelangriffen angelegt, sodass der größte Teil der Ausbruchsmassen auf kurzen Wegen abtransportiert werden kann.

-26- 4.4 Vortrieb

Der 3.756 Meter lange Tunnel Eierberge wird nach den Grundsätzen der Neuen österreichischen Tunnelbauweise errichtet und verfügt, infolge des geplanten Sicherheitskonzeptes, über drei Notausgänge, welche durch ein System von Stollen und Schächten verbunden sind. Eine schematische Übersicht über das System ist Abbildung 4-2 zu entnehmen.

Abbildung 4-2: Sicherheitskonzept Der Tunnel Eierberge wurde zum größten Teil in geschlossener Bauweise durch einen kombinierten Bagger- und Sprengvortrieb aufgefahren, wobei ein 137 Meter langer Abschnitt, welcher in offener Bauweise hergestellt wurde, als Zwischenangriff diente. Ausgehend vom Zwischenangriff erfolgten die Vortriebe in südlicher als auch nördlicher Richtung, sowie ein dritter Vortrieb ausgehend vom Nordportal gegen Süden. In Abbildung 4-3 ist eine grafische Abbildung des Vortriebsgeschehens dargestellt.

-27-

Abbildung 4-3: Vortriebsgeschehen

Die Vortriebsarbeiten in dem bis zu 190 Quadratmeter großen Tunnelquerschnitt wurden in einen Kalotten-, Strossen und anschließenden Sohlvortrieb unterteilt. Für den Kalottenvortrieb wurde in Anbetracht des anstehenden Gebirges die Vortriebsklasse 6 gewählt, welche sowohl eine unmittelbar nach Ausbruch einzubringende Sicherung als auch eine vorauseilende Sicherung beinhaltet. Der kombinierte Bagger- und Sprengvortrieb gliedert sich in folgende, immer wiederkehrende Arbeitsschritte: das Abbohren der Sprenglöcher nach einem vorgegebenen und an das tatsächlich anstehende Gebirge angepassten Sprengbild sowie das Besetzen der Sprenglöcher und das anschließende Sprengen des Abschlages.

-28-

Abbildung 4-4: Impression von der Sprengung am Beispiel des Tunnels Silberberg der NBS

Die Abschlagslänge im Tunnel Eierberge betrug 1,3 Meter. Nach erfolgter Sprengung wird nach Einhaltung einer gewissen Bewetterungszeit das entstandene Haufwerk beim sogenannten Schuttern beräumt. Radlader und Muldenkipper fördern die Tunnelausbruchsmassen auf die nahegelegene übertägige Deponie, während ein spezieller Tunnelbagger die Ortsbrust und Tunnellaibung nachprofiliert. Ein Team von Geologen und Markscheidern kartieren anschließend den neuen Abschlag. Die Sicherung des Tunnelquerschnitts wird durch eine bewehrte Spritzbetonschale und durch Gebirgsanker bewerkstelligt. Die vorauseilende Sicherung erfolgt durch einen Spießschirm entlang der Tunnelfirste, welche sich auf die Gitterträger der vorangegangenen Abschläge abstützen. Neben dieser Funktion dienen die Gitterträger der Profileinhaltung und der Einmessung des Tunnelquerschnitts in die vorgegebene Achse des Tunnels. Für das Einmessen der Gitterträger, den täglichen Konvergenzmessungen und der Lagekontrolle des Tunnels werden in bestimmten Abständen Messquerschnitte in die Spritzbetonschale eingebaut. Nach erfolgtem Einbau der Sicherungen erfolgt das erneute Abbohren der Sprenglöcher und somit ein neuer Abschlagszyklus. Um den Kalottenvortrieb nicht zu behindern, wurde die Strosse nacheilend halbseitig aufgefahren. Dies bedeutet, dass parallel zum laufenden Kalottenvortrieb jeweils eine Hälfte der Strosse aufgefahren wurde, zeitgleich aber, über eine aufgeschüttete Rampe auf der anderen Hälfte, das Erreichen des Kalottenniveaus gesichert war. In statisch

-29- begründeten Abständen wurde die Rampe dann auf die andere Tunnelseite verlegt und die restliche Strosse nachgezogen. Der endgültige Ringschluss der Tunnelschale wurde durch den Ausbruch der Sohle erreicht. Nach den Richtlinien der Deutschen Bahn AG wird der Tunnel Eierberge als druckwasserhaltender, zweigleisiger Eisenbahntunnel für die Entwurfsgeschwindigkeit von 300 km/h ausgeführt. In Abbildung 4-5 sind die Abmessungen für das geforderte Regellichtraumprofil gegeben.

Abbildung 4-5: Tunnelquerschnitt Der Ausbau der Tunnelröhre erfolgt vom Nordportal aus Richtung Süden. Die druckwasserhaltende Funktion wird durch eine Rundumabdichtung mit einer Kunststoffdichtungsbahn bewerkstelligt. Zusätzlich zu der blockweisen Abschottung der Kunststoffdichtungsbahn durch außenliegende Fugenbänder wurde ein Injektionssystem integriert, um bei möglichen Fehlstellen den kompletten Block zu hinterpressen. Das Sohlgewölbe wurde mittels eines mit einer Schreiteinrichtung ausgestatteten Schalwagens, der eine Konstruktionslänge von rund 50 Metern aufweist, vorauseilend betoniert. Das Gewölbe wurde anschließend mit einer Regelblocklänge von 12,5 Metern nachgezogen. Die Innenschale wurde mit einer Dicke von bis zu 80 Zentimetern ausgeführt. Da der fertige Tunnel als druckwasserhaltend ausgeführt wird, muss die im Bauzustand benötigte Sohlentwässerung wieder verpresst werden. Dazu werden während des Einbaus des Sohlgewölbes in regelmäßigen Abständen Brunnentöpfe installiert, welche eine

-30- Verbindung zu der unter dem Spritzbeton liegenden Drainageleitung und der Innenschale herstellen. Nachdem die gesamte Innenschale hergestellt wurde, wird die Drainageleitung sukzessiv zwischen den jeweiligen Brunnentöpfen verpresst. Damit der Brunnentopf selbst nicht als Undichtigkeitsstelle im späteren System auftritt, wird dieser druckwasserdicht verschlossen und ausbetoniert. Entgegen der in Abbildung 4-5 dargestellten Sohlauffüllung aus Füllbeton haben sich der Auftragnehmer und die Deutsche Bahn für eine kostengünstigere Auffüllung, bestehend aus einer HGT und einer Betondeckschicht, entschieden. Auf die fertige Innenschale werden anschließend noch die Bankette mit integrierten Kabelziehrohrtrassen betoniert. Neben dem Einbau einer Trockenlöschwasserleitung und der Integration von Ankerschienen in der Firste der Innenschale ist die ausführende Tunnelbaufirma nicht weiter am Innenausbau und der technischen Einrichtung beteiligt. Gleisbau und technische Einrichtung werden separat durch die Deutsche Bahn vergeben.

4.5 Quellen

[1] http://de.wikipedia.org/wiki/Verkehrsprojekt_Deutsche_Einheit [2] http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/087/1708700.pdf [3] http://www.bmvbs.de [4] http://www.vde8.de [5] http://www.hinteregger.co.at/index.php/projekte/untertagebau/tunnel- eierberge

-31- 5 Luise-Kiesselbach-Platz ─ Mittlerer Ring Südwest (München)

Von: Hannes Schumann Hendrik Martin Felix Finke Tim Lorenz Führung: Dipl.-Ing. Tomas Amrein

5.1 Hinführung

Bezogen auf Europa stellt die Bundesstraße 2 – Mittlerer Ring München – eine der meistbefahrenen Straßen dar und ist zugleich die Hauptverkehrsader in der bayerischen Landeshauptstadt. Mit ungefähr 30 Kilometern Länge war der Mittlere Ring zum ersten Mal 1972 zur Olympiade durchgängig befahrbar. Bereits 1987 wurde der Auftrag zur Entwurfsplanung für drei Tunnel, die den Ausbau des Mittleren Ringes maßgeblich charakterisieren, erteilt. Allerdings beendete die neue Stadtratsmehrheit 1990 vorerst die Planungen [1]. Erst am 23. Juni 1996 fand der erste Münchner Bürgerentscheid, tituliert „Drei Tunnel braucht der Mittlere Ring“, statt. Im Zuge dessen votierte die wahlberechtigte Bevölkerung mit knapper Mehrheit für einen weiteren Ausbau des Mittleren Rings. Dem Petuel-, Effner- und Richard-Strauß-Tunnel folgend, wird auch am Luise-Kiesselbach-Platz und in den angrenzenden Trassen Heckenstaller- sowie Garmischer Straße der Verkehr unter die Erde verlegt – für etwa 398,5 Millionen Euro Baukosten. Seit August 2009 herrscht an einem der essentiellsten Verkehrsknotenpunkte der Landeshauptstadt Ausnahmezustand – selbiger wird auch noch drei Jahre andauern. „Tunnelbaumaßnahme am mittleren Ring Südwest“ nennt sich der dritte und vorläufig letzte Bauabschnitts des Ausbaus. [2] Bauherr ist die Landeshauptstadt München, repräsentiert durch das Baureferat. Die ausführende Arbeitsgemeinschaft nennt sich „Tunnel Luise-Kiesselbach-Platz“ und besteht aus der Wayss & Freytag Ingenieurbau AG (München), die als Hauptunternehmen fungiert, der Berger Bau GmbH (Passau) sowie der Bauer Spezialtiefbau GmbH (Schrobenhausen). [3] Die hauptsächlichen Problemstellungen während der Bauausführung manifestieren sich in der Gewährleistung der permanenten Befahrbarkeit sämtlicher Fahrspuren der Bestandsstrecke wie zeitgleich der Umlegung vieler vorhandener Versorgungsleitungen [4]. Insofern stellt das Projekt eine logistische Meisterleistung dar, die ein fortwährendes Passieren von mehr als 120 000 Fahrzeugen täglich ermöglicht.

-32-

Abbildung 5-1: Der Mittlere Ring im großräumigen Verkehrsnetz (Grafik: Baureferat München)

5.2 Infrastrukturelle Bedeutsamkeit

Aufgrund von außerordentlich beengten Platzverhältnissen und zur Generierung eines stadtaufwertenden Naherholungsgebietes hat die bayerische Landeshauptstadt für eine Verlagerung eines Großteils des Verkehrs in den Untergrund plädiert. [4] Das Verkehrsaufkommen in der Garmischen Straße liegt derzeit bei circa 100 000 Fahrzeugen pro Tag. Hier wird sich der Verkehr zwischen Preßburger Straße/ Hinterbärenbadstraße und Waidfriedhofstraße/ Albert-Roßhaupter-Straße in Zukunft um 95 Prozent auf ungefähr 5 000 Fahrzeuge täglich reduzieren. Der Luise-Kiesselbach-Platz wird derzeit von 120 000 Fahrzeugen pro Tag befahren. Nach Fertigstellung des Tunnels wird diese Belastung an der Oberfläche auf etwa 40 000 Fahrzeuge pro Tag zurückgehen. In der auf Tunnelniveau offen geführten Heckenstallerstraße fahren gemäß Berechnungen von Verkehrsexperten künftig 107 000 Fahrzeuge pro Tag. Die Tunneloberfläche zwischen Friedrich-Hebbel-Straße/ Höglwörther Straße und Passauerstraße wird nach Fertigstellung komplett verkehrsfrei sein. [5] Derzeit beschreiben die Planungen des Baureferats die Neugestaltung des Platzes folgendermaßen: Zunächst werden die Fahrbahnen reduziert und ein breiter Fahrbahnteiler, der letztlich mit Bäumen versehen wird, entsteht. Vor dem Altenheim St. Josef wird eine große zusammenhängende Freifläche geschaffen, deren konkrete Gestaltung mittels Wettbewerb noch aussteht. [2]

-33- 5.3 Projektübersicht

Weil infolge umwelttechnischer Gesichtspunkte nicht die Möglichkeit zuteil wurde, eine komplette äußere Ringumfahrung von München herzustellen, muss sämtlicher Süd-West- Verkehr über den Mittleren Ring abgewickelt werden. Dabei bildet die Baustelle Luise- Kiesselbach-Platz genau die Anschlussstelle West. Hier muss der Verkehr Richtung Salzburg und Garmisch-Patenkirchen in Süd-Ost- und Süd-West-Richtung sowie in Richtung Nord gebündelt werden. Da bereits vor Beginn der Baumaßnahme eine beidseitige dreispurige Straße vorhanden war, wurde deren Erhaltung auch während des Baus gefordert und durchgeführt.

Abbildung 5-2: Das Tunnelsystem mitsamt den Rampen im Überblick (Grafik: Baureferat München) Die Gesamtlänge der Baustelle beträgt 2,8 Kilometer, wobei das eigentliche Tunnelprojekt in sogenannter Deckelbauweise ausgeführt wird. Das Baufeld wurde in drei hauptsächliche Lose unterteilt. [4]

-34- Analog der Abbildung 5-2 korrespondieren die Bausegmente A und B mit dem Baulos 1, der Bereich C mit Baulos 2 und D und E entsprechen dem dritten Baulos.

5.4 Zeitplan

Bereits im Oktober 2007 begannen sogenannte Vorwegmaßnahmen mit den Kanal- und Spartenverlegungen. Noch vor dem Beginn der Vogelbrut wurden Anfang 2009 die Baumfällungen entlang des Mittleren Rings durchgeführt und anschließend mit der Verlegung weiterer Versorgungsleitungen begonnen. Im August 2009 wurden die Tunnelrohbauarbeiten aufgenommen. In den darauf folgenden dreieinhalb Jahren entstehen nunmehr die Bohrpfahlwände und die Tunneldecken, wobei simultan der Erdaushub und der Innenausbau des Tunnels erfolgen. Voraussichtlich Ende 2013 sind diese Rohbauarbeiten abgeschlossen. Bereits ab 2013 beginnt abschnittsweise der technische Innenausbau, welcher 2014 beendet sein soll. Für das Jahr 2015, nach gut 8 Jahren Gesamtbauzeit, ist die Verkehrsfreigabe der Tunnel avisiert. Weitere zweieinhalb Jahre werden im Anschluss die Wiederherstellung der Oberfläche sowie die gestalterische Umsetzung des Heckenstallerparks beanspruchen. [6]

Abbildung 5-3: Zeitliche Rahmenplanung (Grafik: Baureferat München)

5.5 Geologische Verhältnisse

Glücklicherweise erweist sich der Baugrund am Luise-Kiesselbach-Platz als einer der besten im gesamten Stadtgebiet der bayerischen Landeshauptstadt. Von der Geländeoberkante steht bis maximal 10 Meter Tiefe Auffüllmaterial an. Ungefähr 10 Meter mächtige, gut tragfähige Kiese der Münchener Schotterebene folgen darunter. Unterhalb dieser Kiese werden tertiäre, teils mergelige Tone vorgefunden, deren Mächtigkeit partiell bis in Tiefen von 1000 Meter reicht. Ein entscheidender nützlicher Umstand ist das Faktum, dass Grundwasser erst in Tiefen von circa 16 Meter angetroffen

-35- wird. Folglich kann der Großteil des Bauvorhabens in grundwasserfreien Arealen realisiert werden.

5.6 Deckelbauweise

In westlicher Richtung werden Bohrpfahlwände errichtet, der Aushub entnommen und von unten mittels Traggerüstbauweise der Tunnel in offener Bauweise erstellt. Im restlichen Baustellenbereich, der auf 90 Prozent beziffert werden kann, wird der Tunnel unter Anwendung der sogenannten Deckelbauweise aufgefahren. Im rechten Baufeld wurde mit der Bauausführung begonnen. Zunächst wurde das Tunnelbaufeld eingerichtet. Dazu gehörte das Verlegen von Versorgungsleitungen wie Strom, Wasser, Gas und Telemedien, die Herstellung provisorischer Fahrbahnen sowie Geh-/ Radwegen wie auch das Setzen des Verbaus für die Baugrube. Dabei wurde eine Trägerbohlwand im Berliner Verbau errichtet. Dies wurde vor allem aufgrund des nicht anstehenden Grundwassers ermöglicht. Überdies wurde der Verbau kombiniert mit zweifacher Rückverankerung ausgeführt. In den Fällen, bei denen eine Rückverankerung nicht realisierbar war, wurde die Baugrube mithilfe einer Ortbetonwand und Aussteifung hergestellt. Resümierend betrachtet wurden dafür 15 000 Quadratmeter Holzausfachung eingebaut. Nachdem das Erdreich bis zur Unterkante der Tunneldecke ausgehoben war, rückte das Bohrgerät und erstellte Bohrpfahl für Bohrpfahl der Tunnelaußenwand (siehe Abbildung 5-4). Dabei kamen zwei Pfahlbohrgeräte zum Einsatz: Das BG 28 mit einer Bohrtiefe bis 25 Meter, einem Gewicht von 95 Tonnen und einem maximalen Bohrdurchmesser von 1,50 Meter sowie das BG 40 mit einer Bohrtiefe bis 35 Meter, einem Gewicht von 135 Tonnen und einem maximalen Bohrdurchmesser von 2,50 Meter [1]. Während dieses Vorganges kam die sogenannte überschnittene Bohrpfahlwand zur Anwendung. Nachdem eine Bohrschablone für die Bohrpfahlwand erstellt wurde, wurde die Rohrtour für die Primärpfähle gerammt. Unter Verwendung eines Schneckenbohrers wurde das Lockergestein im Standrohr ausgebohrt. Anschließend füllte man das Standrohr im Kontraktorverfahren mit Beton aus und zog es nach dem Erhärten. Somit konnten darauf folgend die bewehrten Sekundärpfähle hergestellt werden. Die Primärpfähle wurden überbohrt, das Bohrloch freigeräumt und der Bewehrungskorb eingestellt. Um ein biegesteifes Rahmeneck zwischen Bohrpfahlwand und anschließender Tunneldecke zu gewährleisten, betrug die Bewehrungsstärke hierbei 32 mm. Der Sekundärpfahl wurde ebenso im Kontraktorverfahren mit Beton aufgefüllt. Nachdem das Erhärten abgeschlossen war, war die Bohrpfahlwand fertiggestellt. Überdies geschah die Bewerkstelligung der Bohrpfahlwände vollautomatisch, wobei die Bohrpunkte GPS- gesteuert anvisiert wurden und eine Überwachung des Bohrverfahrens durch den Operator zugrunde lag. [4]

-36-

Abbildung 5-4: Pfahlbohrarbeiten an der westlichen Außenwand [1] Anschließend wurde blockweise die Tunneldecke betoniert. Hierbei wurde das Erdreich als untere Schalung genutzt. Die bis zu 13,5 Meter langen Blöcke wurden über Anschlussfugenbänder miteinander verbunden, um Wasserundurchlässigkeit herbeizuführen. Die Oberfläche des Deckels erhielt überdies eine bituminöse Abdichtung, worauf eine zusätzliche, mit Baustahlmatten bewehrte Betonschutzschicht aufgebracht wurde. Nun konnte der mittlere Bauabschnitt begonnen werden. Abschnittsweise wurde die bereits fertig gestellte Tunneldecke überschüttet, um die provisorischen Fahrspuren über selbige zu führen. Außerdem wurde so ein ausreichendes Platzangebot für die Ausführung des mittleren Baufeldes geschaffen. In diesem Segment wird die Tunneldecke von in Bohrpfählen eingebundenen Stahlstützen getragen.

Abbildung 5-5: Herstellung des mittleren Deckelabschnittes [1]

-37- Nachdem der mittlere Bereich ebenfalls fertiggestellt wurde, erfolgten zunächst eine Überschüttung der mittleren Tunneldecke sowie die anschließende erneute Verlegung der Fahrspuren. Demnach wird eine bauliche Zugänglichkeit des linken Baufeldes erreicht, welches analog des rechten Tunnelabschnittes erbaut wird.

Abbildung 5-6: Herstellung östlicher Deckelabschnitt [1] Erst wenn in großen Abschnitten dieses Rohgerüst des Tunnels aus Außenwänden, Mittelstützen und Tunneldecke hergestellt ist, kann mit dem Aushub des Erdreichs von den künftigen Tunnelzufahrten aus begonnen werden.

Abbildung 5-7: Wiederverfüllung und Aushub unter dem Deckel [1]

-38- Nach dem abschließenden Einbau der Tunnelsohlen, der Entwässerungseinrichtungen, der Mittelwand wie auch der technischen Ausstattung wird der Tunnel in Betrieb genommen. Danach erfolgt lediglich noch die Oberflächengestaltung. [1, 4, 7]

Abbildung 5-8: Nach abgeschlossener Oberflächengestaltung [1]

-39- 5.7 Bautätigkeiten bis Herbst 2010

1a Angebunden wurde der neue Tunnel mit einer Brücke über die A96 direkt an die Autobahn München-Lindau. Die Verbau- und Betonarbeiten für die Brücke begannen im Frühjahr 2010. 1b Im September 2009 wurde zur Vorbereitung der Verlegung von Versorgungsleitungen und für die Tunnelrohbauarbeiten die Böschung abgetragen und mit Verbauarbeiten begonnen. Die Betriebstation an der Preßburger Straße wurde in Deckelbauweise hergestellt. 1c Hier entstand bis Frühjahr 2010 ein neuer Kanal. Im Anschluss erfolgte der Straßenbau für die Verlegung der Fahrbahnen auf die Ostseite. 1e,f Der Kanalneubau Richtung Süden wurde fortgeführt. 1g Die Betriebsstation an der Bernrieder Straße entstand in offener Bauweise. 2a Ebenfalls in offener Bauweise wurde die Betriebsstation am Luise-Kiesselbach-Platz hergestellt. Mitte September 2009 wurde mit dem Einbringen der Bohrpfähle, die eine Länge von etwa 30 Meter haben, begonnen. 2c Ab Frühjahr 2010 wurden die Sparten aus dem Baufeld des Seitentunnels heraus verlegt und danach die Fahrbahnen des Mittleren Ringen nach Osten verschwenkt. Somit entstand ein zusammenhängendes, großes Baufeld für den anspruchsvollen, zweistöckigen Tunnelabschnitt. 3a Die Brücke am Grabbeweg wurde abgebrochen. Dafür wurde der Mittlere Ring an einem Wochenende 36 Stunden lang gesperrt. 3c Hier entstand die Betriebsstation Heckenstallerstraße. Bis Ende 2010 waren die Bohrpfähle und Decken des südlichen Tunnelabschnitts größtenteils bereits hergestellt. 3d Seit Frühjahr 2010 wurden hier die Rampenwände der künftigen Ausfahrt aus dem Heckenstallertunnel zur Passauerstraße hergestellt.

Abbildung 5-9: Übersicht selektierter Bauausführungen bis einschließlich Herbst 2010 [7]

-40- 5.8 Bautätigkeiten bis Anfang 2012

1 Im Jahr 2010 wurde der Rohbau der neuen Brücke über die Autobahn A96 im Wesentlichen fertiggestellt. Die Brücke soll parallel zur Eröffnung des Tunnels freigegeben werden. 2 Bis einschließlich Sommerbeginn 2012 wurden hier die westlichen Rampenwände sowie weiter Deckenabschnitte nördlich der Betriebsstation betoniert. Anschließend wurden die Fahrspuren Richtung Norden nach Westen umgelegt. Zuletzt entstanden nördlich der Hinterbärenbadstraße die Tunnelwände und –decken sowie die Rampenstützmauern der Ausfahrtsportale des Tunnels. 3 Um ein Baufeld zwischen den Richtungsfahrbahnen zu schaffen, welches Platz für das Setzen der Stützen für die Tunnelmittelwand liefert, wurden die Fahrspuren in Richtung Süden auf die Westseite der Garmischer Straße verlegt. So konnte auch das mittlere Drittel des Deckels ergänzt werden. 4 Hier werden die Außenwände des Tunnels in der offenen Baugrube eingeschalt und betoniert. Nördlich und Südlich des U-Bahnbereiches wurden im Frühjahr 2011 die westlichen Tunneldecken fertiggestellt. Im Sommer 2011 erfolgte anschließend die Umverlegung der Fahrbahnen, damit das Baufeld für die Herstellung der Mittelstützen und der mittleren Deckenabschnitte zur Verfügung steht. 6b Künftig unterquert dieser Einfahrtstunnel den Haupttunnel in einer Tiefe von 14 Metern. Dafür musste das Erdreich auf circa neun Meter Tiefe ausgehoben werden. 9 Im Frühjahr 2011 wurden sowohl die südliche Rampenwand der künftigen Ausfahrt aus dem Heckenstallertunnel zur Passauerstraße als auch die Betriebsstation fertiggestellt. Dann wurde der Verkehr abschnittsweise nach Süden verschwenkt.

Abbildung 5-10: Übersicht selektierter Bauausführungen bis Anfang 2012 [8]

-41- 5.9 Problemstellungen im Zuge der Bauausführung

Da, wie bereits mehrfach betont, insgesamt nur ein begrenztes Platzangebot für die Bauarbeiten zur Verfügung steht, wird der Tunnel in der sogenannten Deckelbauweise hergestellt. Der Vorteil gegenüber einer offenen Bauweise ist die bedeutend höhere Umweltverträglichkeit sowie eine Reduzierung von Lärm und Schmutz. In Anbetracht der Tatsache, dass sich die Baustelle in einem innerstädtischen, bewohnten Bereich befindet, müssen ferner sowohl aktive als auch passive Schutzmaßnahmen ergriffen werden: Im Bereich der Zufahrt zur Autobahn A96 München-Lindau schützt eine bis zu fünf Meter hohe Lärmschutzwand die Anwohner. Ebenso wird in der Heckenstallerstraße durch die Tieferlegung des Mittleren Rings auf Tunnelniveau sowie beidseitige Lärmschutzwände zur Verbesserung der Lärmsituation beigetragen. Überall dort, wo die Grenzwerte der Verkehrslärmschutzverordnung (16. BlmSchV) überschritten werden, sind passive Schutzmaßnahmen wie der Einbau von Schallschutzfenstern vorgesehen. Überdies wird der Verkehrslärm an allen Tunnelein- und ausfahrten durch absorbierende Lärmschutzverkleidungen gedämpft. Ein weiteres kritisches Attribut dieses Großprojektes war die Forderung, dass 80 Prozent der Verkehrskapazität auch während des Baus erhalten bleiben müssen. Demnach wurde der Baulogistik ein erhöhtes Anforderungspotential zuteil. Dabei ist die Koordinierung der Verkehrsführung, der jeweiligen Verschwenkungen und Absenkungen ein kleines Meisterwerk der Logistik. Während an einer Stelle noch gegraben wird, richten die Bauarbeiter daneben bereits eine provisorische Führung für die anstehende Verschwenkung ein. Insgesamt wird der Verkehr auf der kompletten Strecke in mehreren Abschnitten viermal umgelegt [9]. Ferner musste eine Fußgängerbrücke abgebrochen werden, um Platz für die Bohrgeräte zu schaffen. Um dies realisieren zu können, wurde eine Vollsperrung im Bereich der Brücke vollzogen, die 36 Stunden andauerte. In diesem Intervall mussten die Abrissbaustelle eingerichtet, die Brücke abgerissen und die Baustelle nachträglich wieder beräumt werden. Dabei wurde die Fahrbahn überschüttet, um Beschädigungen möglichst zu vermeiden. Lediglich 3 Stunden nahm der eigentliche Brückenabbruch in Anspruch, wobei die restliche Zeit zum Abtransport der Abbruchmassen und Beräumung der Baustelle benötigt wurde [4]. Um die Anbindung der Anschlussstelle Garmisch-Patenkirchen in Richtung München zu ermöglichen, musste diese infolge des unzureichenden Platzangebots in einer zweiten Ebene unter dem Ringtunnel erstellt werden. Der Anbindungstunnel stellt den tiefsten Punkt der gesamten Trasse dar. Er liegt ungefähr fünf Meter im Grundwasser, weswegen auf einen wasserdichten Verbau sowie eine Wasserhaltung zu achten war. In dieser zweiten Ebene war außerdem die Ausführung in Brandschutzbeton verlangt. Dieser beinhaltet Polypropylenfasern, die bei Brandeinwirkung schmelzen und ihren Porenraum freigeben, in den der aufgebaute Wasserduck abgegeben werden kann. Dadurch wird die Entstehung eines Dampfüberdrucks wie bei herkömmlichem Beton vermieden und Betonabplatzungen werden wirksam behindert. Bemerkenswert ist, dass die Standsicherheit des Tunnels im Falle eines Brandes weiterhin gewährleistet ist. Dies liegt

-42- in dem Aspekt begründet, dass die Bewehrung infolge der Hitzeeinwirkung nicht freigelegt und angegriffen wird. [4]

5.10 Bauüberwachung

Auf der Baustelle Luise-Kiesselbach-Platz in München wird die Bauüberwachung kontinuierlich durchgeführt. Einerseits existieren dafür wöchentliche Baubegehungen, andererseits wird die komplette Baustelle einmal im Monat mit einer Drohne überflogen. Diese Drohne fliegt Festpunkte mittels GPS an, sodass der Baufortschritt fortwährend von denselben Positionen begutachtet werden kann [4]. Die örtliche Bauüberwachung wird für das Los 1 und 2 durch die ARGE Bauüberwachung Mittlerer Ring Südwest, die sich aus der Obermeyer Planen und Beraten GmbH sowie des Ingenieurbüros Vössing GmbH zusammensetzt, ausgeführt. Baulos 3 übernimmt das Baureferat – HA Ingenieurbau, Abteilung Planung und Bau [3].

-43-

Abbildung 5-11: Dokumentation des Baufortschritts von Oktober 2010 bis August 2012 [1]

-44- 5.11 Mengen- und Massenermittlung

Im Zuge des gesamten Bauvorhabens werden folgende Mengen und Massen an Materialien, Betriebsmitteln und Ähnlichem für die Durchführung benötigt: Tabelle 5-1: „Die Baustelle in Zahlen“, aus [1] entsprechend der Präsentation Wayss und Freytag, München vom 02.10.2012 Position Quantität Aushubmenge 650 000 m³ Beton 260 000 m³ Bewehrung 30 000 t Bewehrungsanschlüsse 150 000 Stück Kabelschutzrohr 300 000 m Ortbetonkanäle 2 400 m Bohrpfähle (Durchmesser 88 bis 150 cm) 102 000 m Berliner Verbau mit gerüttelten Trägern 24 000 m² Rückverankerung 8 000 m Primärstützen 800 Stück Diesel 1 500 000 l Stromverbrauch 1 100 000 €

5.12 Quellen

[1] ARGE LKP Luise-Kiesselbach-Platz, Präsentation Wayss und Freytag, München vom 02.10.2012 [2] Wikipedia-Eintrag Luise-Kiesselbach-Platz: http://de.wikipedia.org/wiki/Luise- Kiesselbach-Platz [3] Landeshauptstadt München Baureferat (Hrsg.): Projektdaten (Stand: 23.02.2012) [4] Exkursionsbericht der Exkursion Geotechnik/ Spezialtiefbau 2010: Luise- Kiesselbach-Platz – Mittlerer Ring in München [5] Website Merkur-Online: Kiesselbach-Platz – Halbzeit auf der Mega-Baustelle, Eintrag vom 08.03.2011 http://www.merkur-online.de/lokales/muenchen- sued/kiesselbach-platz-halbzeit-mega-baustelle-mm-1151786.html

-45- [6] Landeshauptstadt München Baureferat (Hrsg.): Mittlerer Ring Südwest, Planung 2008 [7] Landeshauptstadt München Baureferat (Hrsg.): Baustelleninformation Mittlerer Ring Südwest, Anfang 2010 bis Herbst 2010 [8] Landeshauptstadt München Baureferat (Hrsg.): Baustelleninformation Mittlerer Ring Südwest, Anfang 2011 bis Anfang 2012 [9] Website Münchner Abendzeitung: Luise-Kiesselbach-Platz – Münchens größte Baustelle!, Eintrag vom 02.11.2011 http://www.abendzeitung- muenchen.de/inhalt.luise-kiesselbach-platz-muenchens-groesste- baustelle.99c5ee16-86bc-4172-b273-d7e542bf5c06.html

-46- 6 Brennerbasistunnel

Von: Steffen Beitz Konrad Bickel Stefan Martiny Julian Weigand Führung: Dr.-Ing. Chris Reinhold Dr. Martin Ausserdorfer

6.1 Aktuelle Situation des Eisenbahnverkehrs über die Alpen

Die aktuelle Bahntrasse über den Brennerpass wurde bereits im 19. Jahrhundert geplant und gebaut. Die Strecke weist ungünstige extreme Steigungen von bis zu 2,5 % Neigung und Kurven mit einem minimalen Radius von 264 Meter auf. Jeder Zug muss für den Brennertransit mindestens von zwei Lokomotiven gezogen werden. Auf österreichischer Seite ist zusätzlich noch eine Schublokomotive notwendig. Ein weiteres Hindernis für den Bahnverkehr stellt dar, dass die Lokomotiven auf dem Brennerpass gewechselt werden müssen. Auf italienischer und österreichischer Seite liegen unterschiedliche Stromnetze vor. Auf der österreichischen Seite wird ein Stromsystem mit 15 kV und 16,7 Hz Wechselstrom genutzt, auf italienischer Seite ein Netz mit 3 kV Gleichstrom. Das Umspannen ist aufwendig, teuer und kostet viel Zeit. Im Jahre 2010 haben im Durchschnitt täglich 242 Züge den Pass überquert. Damit wurde die Kapazitätsgrenze der Strecke fast erreicht. Trotz zahlreicher Ausbauten auf italienischer und österreichischer Seite konnten die Kapazität kaum erhöht werden. Die Strecke wurde durch weitere Tunnel und anderen Erweiterung zwar sicherer, aber die Steigung konnte nicht entschärft werden.

6.2 Gründe für den Bau des Tunnels – Das Gesamtprojekt Eisenbahnachse Berlin-Palermo

Der Brenner-Basistunnel ist ein wichtiger Abschnitt des TEN-1-Projektes. Dieses von der europäischen Union geförderte Projekt beinhaltet eine 2200 km lange Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen Deutschland und Italien. Durch die Strecke soll die Geschwindigkeit und Frachtkapazität des Bahnverkehrs erhöht werden und dadurch ein Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung des europäischen Wirtschaftsraums geleistet werden.

-47-

Abbildung 6-1: Lage des Brenner Basistunnels in der TEN-Achse 1 Berlin-Palermo Für die Realisierung werden bestehende Hochgeschwindigkeitsstrecken durch den Bau neuer Abschnitte miteinander verbunden. Ziel ist die Fahrzeit auf der Strecke Berlin- Nürnberg-München-Innsbruck-Verona-Florenz-Rom-Neapel und weiter über die Straße von Messina zu reduzieren. Sizilien soll mit dem italienischen Festland über eine neue Straßen-/Eisenbahnbrücke verbunden werden. Nach Fertigstellung des BBT wird es auf der Trasse nur noch Steigungen von maximal 4-6 Promille geben. Damit kann jede Lokomotive doppelt so viel Last ziehen, Züge können damit mit einer deutlich höheren Gesamtmasse die Strecke befahren. Dadurch wird die Kapazität erhöht. Außerdem wird durch den Neubau das aufwendige Umspannen der Lokomotiven eingespart. Man konnte sich auf italienischer und österreichischer Seite auf ein gemeinsames Netz einigen. Das neue Stromsystem wird mit 25 kV und 50 Hz Wechselstrom betrieben.

-48- Da nicht nur Güterzüge, sondern auch Personenzüge den Tunnel nutzen, wird die Umwelt stark entlastet. Insgesamt sollen täglich bis zu 400 Züge durch den Tunnel rollen. Durch die Verlagerung des Verkehrs auf die Schiene kommt es zu einer deutlichen Reduzierung von Emissionen und Lärm. Dies war eine Grundvoraussetzung für den Tunnel, da die Alpen ein sehr empfindliches Ökologiesystem haben.

6.3 Streckenführung und Aufbau des BBT

Abbildung 6-2: Streckenverlauf BBT Der BBT verbindet Innsbruck mit dem italienischen Fortezza. Der in der Abbildung gelb eingezeichnete Abschnitt zwischen Franzenfeste und Innsbruck hat eine Länge von 55km. In der Nähe von Innsbruck zweigt die Strecke ab und führt an Tulfes vorbei ins Inntal. Damit ordnet sich der Tunnel als längste unterirdische Eisenbahnverbindung noch vor dem 57 km langen Gotthard-Basistunnel ein.

Abbildung 6-3: Querschnitt durch den Tunnel

-49- Der BBT besteht aus zwei Tunnelröhren und einen parallel dazu verlaufenden Erkundungsstollen. Dieser ist eine Besonderheit des Brennerprojektes. Er wird genutzt, um Aufschluss über das Gebirge zu bekommen und damit sowohl Bauzeit als auch Kosten einschätzen zu können und letztendlich zu minimieren. Der Erkundungsstollen ist mit 5 bis 6 Metern Durchmesser kleiner als die beiden Hauptröhren. Er liegt 12 m unter den Röhren für den Bahnverkehr und kann somit als Entwässerungsstollen genutzt werden. Der Durchmesser der Haupttunnelröhren beträgt 8,1 m. Um die Sicherheit im Tunnel zu gewährleisten, werden die Röhren eingleisig befahren und alle 333 m wird ein Querschlag zur Verbindung der Tunnelröhren aufgefahren. Alle 2 km werden Anlagen zur technischen Überwachung eingebaut. Im Abstand von 6 km ist ein Vorratsbehälter für Löschwasser (Füllmenge 108 m³) für den Notfall vorgesehen. Des Weiteren entstehen drei Multifunktionsstellen, welche außerdem ein Überholgleis besitzen. Im Tunnel ist eine Steigung von lediglich 0,67% auf der Nordseite und 0,4 % auf der Südseite zu überwinden. Der Scheitelpunkt liegt etwa unter der Staatsgrenze zwischen Österreich und Italien auf einer Höhe von 790 müNN. Die Brennerautobahn erreicht eine Höhe von 1371m.

Abbildung 6-4: Schematische Übersicht der Tunnel und Stollen Um den Tunnel von mehreren Seiten zu beginnen, wurden die Anschlusspunkte Ampass, Ahrental und Wolf auf österreichischer Seite, sowie Mauls in Italien errichtet. Von diesen Stellen werden nun die Erkundungsstollen aufgefahren. Heute wird an allen Anschlusspunkten gearbeitet. Dies ist nötig, um möglichst schnell bei den Arbeiten voran zu kommen. Auf der Exkursion konnten wir die Zufahrt Mauls besichtigen. Von hier in Richtung Norden muss die Periadriatische Störungszone durchquert werden. Es muss damit

-50- gerechnet werden, dass die Bauarbeiten deutlich langsamer voran gehen, denn der übliche Vortrieb mit der Tunnelbohrmaschine ist nicht ohne weiteres möglich. Wir konnten zwar in den Tunnel einfahren, hatten aber wegen Sprengarbeiten nicht die Möglichkeit uns die zukünftige Multifunktionsstelle genauer anzusehen. Da von Wolf in Richtung Norden bis zur nächsten Anschlussstelle ein sehr langer Abschnitt aufgefahren werden muss, wurde Mauls als erstes Baulos vergeben. Zu diesem Bauabschnitt gehören die Tunnel Wolf, der Padastertunnel und der Saxentunnel, welche zusammen eine Länge von knapp 2 km haben. Über den Padastertunnel gelangt das gesamte Ausbruchsmaterial unterirdisch zur Deponie, während der Saxentunnel als direkte Zufahrt von der Brennerautobahn auf die Baustellenfläche dient. Dadurch wird die Belastung durch den Baustellenverkehr in den umliegenden Dörfern eingedämmt.

6.4 Geologische und hydrologische Verhältnisse

Voraussetzung für den für den Bau eines Tunnels ist eine umfassende Kenntnis der geologischen, hydrologischen und geomechanischen Beschaffenheit des Gebirges. Die geologischen Informationen zum BBT beruhen auf Untersuchungen, die bereits seit Jahrzehnten laufen.

Abbildung 6-5: Schematischer Schnitt mit wesentlichen geologischen Strukturen

-51- Bisher wurden 200 Erkundungsbohrungen, bei denen mehr als 27.000 m Gestein aus dem Berg geholt wurden, durchgeführt, um das Gestein entlang der geplanten Tunneltrasse zu erforschen. Einer ganzheitlichen Analyse der Brennertrasse steht jedoch die schiere Unmöglichkeit von Bohrungen in hochalpinen Bereichen entgegen. Zusätzliche Erkenntnisse zu den Gebirgseigenschaften, dem Gebirgsverhalten und der Hydrogeologie ergeben sich aus dem Vortrieb des Erkundungsstollen, der seit Anfang 2008 parallel zum Verlauf zu den beiden Hauptröhren vorgetrieben wird. Von Nord nach Süd verlaufend vereinfachend folgende Gesteinsstrukturen: Phyllit: ein metamorphes schieferartiges Gestein, das vorwiegend aus Quarz und Glimmer besteht (im Bereich Innsbruck–Ahrental); Schiefer: ein mittel- bis grobkörniges Gestein mit ausgezeichnetem planarem und linearem Gefüge (in Bereichen nördlich und südlich des Brenners); Gneis: ein metamorphes Gestein mit hohem Umwandlungsgrad. Es besteht hauptsächlich aus den Mineralien Feldspat, Quarz sowie Hell- und Dunkelglimmer (im Bereich Brenner); Granite: massige, relativ grobkristalline, magmatische Tiefengesteine. Sie sind reich an Quarz und Feldspaten, enthalten aber auch dunkle Mineralien wie Glimmer (im Bereich Mauls). Das technisch schwierigste Baulos des gesamten Brenner Basistunnels stellt die Durchquerung der periadriatischen Naht - der größten Störungszone der Alpen - dar. In der periadriatischen Naht überlagern sich die europäische und afrikanische Kontinentalplatte - sie trennt das Südalpin, zu dem die Dolomiten gehören, vom Ostalpin, zu welchem die Ötztaler und die Zillertaler Alpen zählen. Die periadriatische Naht setzt sich aus mehreren geringmächtigen Störungen zusammen, welche Einschaltungen aus jüngerem magmatischem Gestein aufweist. Somit wechseln sich Bereiche mit bautechnisch guten Gebirgseigenschaften und solche mit komplexen Bedingungen ab. Der Brennerbasistunnel trifft in Mauls, voraussichtlich auf einer Länge von 1000 Metern, auf diese Störungszone. Seit Ende 2011 wird zur Erkundung der Periadriatischen Naht ein etwa 2 km langer Stollen vorgetrieben. Die Tunnelröhren werden im Sprengvortrieb gebaut. Vorab wird der Felsen im nicht immer festen Gestein Meter für Meter stabilisiert und gesichert, erst dann erfolgt der Ausbruch. Hohe Aufmerksamkeit wird beim Bau auch dem Thema Wasser gewidmet. Mit Hilfe von spezifischen Vorsondierungen wird jeder Bauabschnitt erkundet. Gleichzeitig werden im Berg zwei große Kavernen gebaut, in denen zukünftig die Tunnelbohrmaschinen für den Hauptvortrieb montiert werden. Des Weiteren werden Verbindungen zwischen den Haupttunnelröhren und dem Erkundungsstollen gebaut. Diese sind ebenfalls in der Hauptbauphase wichtig, damit das gesamte Ausbruchmaterial

-52- über Förderbänder durch den Erkundungsstollen nach Aicha abtransportiert werden kann. Seit Mai 2012 laufen die Vortriebsarbeiten am seitlichen Zufahrtstunnel Ampass. Auf den ersten 300 Metern durchquert er Lockergestein und festere Gesteinsformationen, sodass sich Bagger- und Sprengvortrieb mehrere Wochen lang abwechseln. Danach, ab einer Tiefe von ca. 300 Metern, beginnt der Fels aus Innsbrucker Quarzphyllit, sodass ausschließlich mittels Sprengungen weiter gearbeitet werden kann. Der Zufahrtstunnel Ahrental wird zyklisch im Teilausbruch vorgetrieben, also zuerst die Kalotte, dann die Strosse und die Sohle. Der Beginn des Vortriebs lag im Juli 2010. Durch die Nähe des Zufahrtstunnels Ahrental zur Wipptalstörung ist das Gebirge in diesem Tunnel durchweg deutlich zerlegt. Die Wipptalstörung trennt die Gesteine der Ötztaler und Stubaier Alpen von der großen Quarzphyllitmasse. Bis Tunnelmeter 30 standen eiszeitliche Schotterablagerungen im oberen Teil des Tunnelquerschnitts an. Lockergesteine sowie die Unterquerung der Autobahn machten daher den Schutz des Vortriebs mittels eines Rohrschirms (2 x 18 m) erforderlich. Aufgrund der geologischen Situation waren beim Vortrieb bislang nur kurze Abschlagslängen bis maximal 1,3 m möglich. Seit Dezember 2009 wird in der Sillschlucht der Erkundungsstollen Innsbruck–Ahrental vorgetrieben. Gebaut wird der Tunnel im Sprengvortrieb. Täglich werden vier bis fünf Sprengungen durchgeführt. Damit wächst der Tunnel im Schnitt 8 bis 10 m pro Tag. Die Abschlagslängen variieren zwischen 1,1 m und 2,2 m. Die Vortriebsarbeiten des Erkundungsstollens Innsbruck in Richtung Brenner wurden mit Erreichen des Kreuzungspunktes mit dem Zufahrtstunnel Ahrental vorerst beendet. Der Vortrieb im Erkundungstollen Richtung Süden wird erst dann fortgesetzt, wenn der Zufahrtstunnel Ahrental mit dem Erkundungsstollen zusammentrifft. Mit dem Vortriebsbeginn des ca. 700 m langen Erkundungstollen von der Baustelle Sillschlucht Richtung Innsbruck, direkt zur Sill, ist im November 2011 begonnen worden Seit April 2011 sind die Arbeiten für den Brenner Basistunnel im Ortsgebiet Wolf bei Steinach am Brenner im Gang. Zu Beginn liefen dort gleich mehrere Sprengvortriebe parallel: am seitlichen Zufahrtstunnel Wolf, am Padastertunnel und am Saxenertunnel. Die beiden letzteren dienen einzig dem Baustellenverkehr. Über den 700 m langen Padastertunnel gelangt das gesamte Ausbruchsmaterial unterirdisch zur Deponie, während der Saxentunnel als direkte Zufahrt von der Autobahn A13 auf die Baustellenfläche dient. Die Ausbrucharbeiten am Padastertunnel und die ersten 200 m des Zufahrtstunnels in Wolf wurden Anfang Oktober 2011 abgeschlossen. Der Durchschlag des Saxenertunnels erfolgte im Februar 2012. Zu Beginn der Bauarbeiten wurde das Ausbruchsmaterial auf dem Baustellengelände zwischengelagert. Nun wird es über den Padastertunnel zur Deponie ins Padastertal transportiert. Am Talanfang wurde der Padasterbach umgeleitet, um ein

-53- Geschieberückhaltebecken zu bauen. Die bautechnischen Arbeiten sind großteils abgeschlossen und zurzeit wird das gesamte Areal begrünt und wieder bepflanzt.

6.5 Hydrologie

Die Hydrogeologie stellt einen besonderen Schwerpunkt in der Planung und im Bau des Brennerbasistunnels dar. Die geplante Trasse des Tunnels durchquert die Einzugsgebiete zahlreicher Wasserquellen. Aufgrund des Vorprojekts von 2002 wurde befürchtet, dass durch die Bohrungen mehrere Quellen versiegen oder vermindert Wasser liefern könnten. In Österreich gehört zu den möglicherweise gefährdeten Quellen jene von Vals, welche rund 60% der ansässigen Bevölkerung versorgen. Um den Wasserhaushalt zu untersuchen, werden seit über sechs Jahren Quellen, Brunnen und Gewässer im gesamten Projektgebiet periodisch gemessen; derzeit sind ca. 1.000 Messorte vorhanden. Alle vier Wochen wird im Zuge der wasserwirtschaftlichen Beweissicherung die Wassermenge, die Wassertemperatur und die Leitfähigkeit des Wassers untersucht. Monatlich werden bis zu 1.350 Wassermessstellen im Projektgebiet geprüft. Mit Hilfe der Bohrlöcher konnte die Wasserdurchlässigkeit der Gesteine auch auf Tunnelniveau ermittelt werden. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen werden als Hinweis gewertet, dass die geologischen Verhältnisse speziell in den schwierigen Zonen günstiger seien, als im Vorprojekt angenommen. Das gesamte Monitoring Programm über den Wasserhaushalt soll über die gesamte Bauzeit weiter fortgeführt werden. Die Entwässerungsanlagen im Brennerbasistunnel selbst sind so geplant, dass durch sie weder Italien noch Österreich einen Wasserverlust hinnehmen müssen.

6.6 Öffentlichkeitsarbeit und Deponieproblematik

Ein solches Großprojekt wie der Brenner-Basistunnel zieht natürlich viele Kritiken mit sich, welche sowohl makro- als auch mikroökonomischen sowie naturschutzbedingten Ursprungs sind. Im größeren Kontext kam oft die Frage auf, ob nicht etwa eventuelle Probleme wie die Periadriatische Naht zu Kostenexplosionen führen oder der Lastkraftverkehr möglicherweise gar nicht ernsthaft reduziert wird. Neben diesen potenziellen Komplikationen kamen sogleich Bürgerinitiativen gegen den Bau auf, deren Anliegen sehr vielfältig waren. Schnell wurde erkannt, dass man möglichst transparent agieren muss und so ist eine eigene Abteilung für die Öffentlichkeitsarbeit entstanden. Diese kümmert sich vor allem aktiv um die direkte Bürgerbetreuung. Zu Beginn stieß das Projekt vor allem bei den Anwohnern und Bauern auf Unverständnis. Die Gründe hierfür sind vielschichtig. Zum einen gilt das Recht, dass ein Grundstück auf österreichischem Grund und Boden bis zum Erdmittelpunkt geht, d.h. dass alle Grundstücksbesitzer oberhalb des Tunnels entschädigt werden müssen. Zum anderen

-54- bestand vor allem die Gefahr des Versiegens von Trinkwasserquellen. Allein hierfür wurde speziell ein komplexes Monitoring-System mit 1.350 Messstellen eingerichtet. Bereits weit vor Baubeginn wurde begonnen, weitere Daten (Lärmbelastung, Luftqualität, etc.) zu sammeln. Des Weiteren müssen für die notwendigen Deponien größere Eingriffe in das natürliche Relief vorgenommen werden. Die Deponieflächen selbst sind im Riggertal, in Genauen, im Padastertal, bei der Europabrücke, im Ahrental und beim Ampass vorgesehen. Im Riggertal wurde bereits heute eine Zone ausgewiesen, wo Material abgebaut wird. Diese Zone wird mit nicht verwendbarem Ausbruchsmaterial aufgefüllt. Die Auffüllhöhe ist noch Gegenstand der Planung. Das gesamt bereitgehaltene Deponievolumen beträgt 17 Mio. m³ was dem Volumen eines Würfels mit einer Seitenlänge von 257 m entspricht. Die Auflockerungsfaktoren für das Deponievolumen wurden mit 1,35 für das Ausbruchsmaterial aus maschinellem Vortrieb und mit 1,45 für den konventionellen Vortrieb berechnet. Um so viel Material wie möglich weiter zu verarbeiten und so wenig wie möglich zu deponieren, wird das Ausbruchsmaterial laufend klassifiziert und prinzipiell zwischen der Eignung für Beton bzw. als Schüttmaterial für Dämme und Hinterfüllungen bewertet. Weiterhin verweist die BBT-SE in diesem Zusammenhang auf laufende Untersuchungen, um das derzeit nicht verwertbare Abraummaterial noch verwenden zu können. Österreich und Italien haben die Umweltverträglichkeit des Projektes unabhängig voneinander und auf Grundlage der jeweils geltenden Gesetze geprüft. Es wird versucht, Eingriffe in die Natur und die Auswirkungen auf die Umwelt so gering wie möglich zu halten. So wird schon beim Anlegen der Deponien die dortige Humusschicht abgetragen und separat gelagert, um sie später wieder zu nutzen. Des Weiteren sind und werden die Tunnelportale behutsam in die Landschaft eingebettet und Deponien in der Nähe der seitlichen Zufahrtstunnels angesiedelt. Dies verringert den Schwerlasttransport über etwaige Straßen. Es werden auch Förderbänder direkt aus den Stollen eingerichtet um die Lärmbelastung gering zu halten für die Anwohner. Die Deponien erhalten aber auch teilweise positiven Zuspruch von den dortigen Bauern, da das Auffüllen von Tälern den Boden leichter nutzbar macht. Um Vertrauen unter den Bürgern zu schaffen, wurden diese von Anfang an eingebunden und es wurde versucht, alle Informationen der Bevölkerung möglichst einfach zugänglich zu machen. So ist die Internetpräsenz immer auf einem aktuellen Stand und es wurden sogenannte Infopoints eingerichtet. Diese befinden sich etwa in Innsbruck und Franzensfeste und bieten sowohl Ansprechpartner als auch reichlich Informationsmaterial. Die Öffentlichkeitsarbeit geht jedoch noch einen Schritt weiter um Bürgernähe herzustellen. So wurden anfangs kleine Diskussionsrunden in den umliegenden Gemeinden ins Leben gerufen, an denen sich jeder beteiligen konnte. Außerdem gibt es regelmäßig Termine für Besucher oder z.B. einen „Tag des offenen Tunnels“. Die Bürgernähe ist oberste Maxime, eine enge Abstimmung mit Behörden und Gemeinden findet statt.

-55- Regelmäßige Umfragen ergaben, dass all diese Maßnahmen sehr erfolgreich waren. Anfangs lag die Zustimmung in der Bevölkerung für den Bau des Brenner-Basistunnels bei weit unter 50%; heutzutage liegen sie deutlich darüber.

6.7 Quellen:

[1] http://www.bbtinfo.eu/de/bbt/basistunnel/erkundungsstollen.html [2] http://www.bbtinfo.eu/de/bbt/basistunnel/erkundungsstollen/erkundungsstollen -stand-der-arbeiten.html [3] http://www.bbtinfo.eu/de/bbt/basistunnel/technische- daten/deponieflaechen.html [4] http://www.bbt-se.com/projekt/fragen-antworten/ [5] weiteres Infomaterial der BBT-SE in Form von Prospekten und Flyern [6] http://www.tunnel-online.info/de/artikel/artikel_1433801.html [7] http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/1/1d/TEN-1_Berlin- Palermo.gif [8] http://de.wikipedia.org/wiki/Brennerbasistunnel

-56- 7 Vajont-Staumauer

von: Batbileg Batsaikhan Regzedmaa Tsagaankhuu Stephan Arpke Führung: Prof. Dr.-Ing. Wolfram Kudla

7.1 Einleitung

Das Vajont-Tal befindet sich im Nordosten Italiens, in der Region Veneto mit der Hauptstadt Venedig, die etwa 100 km südlich liegt. Die Flanken im Norden und Süden des Tals sind die Ausläufer der Alpen. Im Westen grenzt der Piave- Fluss und das gleichnamige Tal an, in dem sich Longarone befindet. Seitlich des Vajont-Tals erhebt sich der Monte Toc, der für die Region eine tragische Rolle einnehmen sollte. Die Staumauer, die nach dem Vajont-Tal benannt ist und dieses vom Piave-Tal abgrenzt, kam zu ihrer Bekanntheit durch die größte italienische Katastrophe nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges.

Abbildung 7-1: Ansicht der Staumauer mit dahinterliegenden Rutschmassen [2]

-57- 7.2 Staumauer

Abbildung 7-2: Blick auf die Staumauer von oberstrom Die Vajont-Talsperre ist eine doppelt gekrümmte Bogenstaumauer. Diese Art von Staumauern werden vorwiegend in engen, schmalen Tälern wie dem Vajonttal erbaut, da sich die auftretenden Kräfte vorrangig in den Talflanken ableiten lassen. Die Firma SADE (Società Adriatica di Elettricità) entwickelte dieses Projekt um die Gleichwinkelstaumauer und den dadurch entstehenden Stausee als Wasserspeicher zu nutzen. Dieser riesige Wasserspeicher sollte zur Stromerzeugung mit Hilfe eines Wasserkraftwerks für die Stadt Venedig dienen, um auch im Winter und Sommer, in denen die Flüsse wenig Wasser führen, eine ausreichende Stromversorgung zu garantieren. Sie ist jedoch nicht aufgrund ihrer Stromerzeugung berühmt geworden, sondern wegen einer furchtbaren Tragödie. Die 265 m hohe und 190 m lange, sehr schlanke Staumauer hat auf Höhe der Krone eine Breite von 3,4 m und 22,7 m an der Gründungssohle. Trotz der schlanken Form besitzt die Talsperre ein Bauwerksvolumen von 360.000 m³. Sie war die höchste Talsperre der Welt bis zur Erbauung der Grande Dixence-Staumauer in der Schweiz im Jahre 1965. Aber auch heute noch zählt sie zu einer der höchsten Staumauern. Anfänglich war nur eine Staumauerhöhe von 202 m geplant, welche ein Stauraumvolumen von ca. 58 Millionen m³ ergeben hätte. Das später höher geplante Bauwerk brachte nun ein Stauraumvolumen von etwa 152 Millionen m³ und somit das Dreifache der früheren Planung mit sich. Die Vajont-Talsperre wurde 463 m über dem Meeres Spiegel gegründet und ist durch ihre enorme Größe aus dem Piave-Tal gut sichtbar. Der Bauingenieur Carlo Semenza und der Geologe Giorgio Dal Piaz waren zwei der führenden Persönlichkeiten des Großprojekts im Vajont-Tal. Die ersten Begehungen für dieses Projekt fanden schon 1929 statt. Im Laufe des Zweiten Weltkrieges kam es zur Zustimmung ohne das Vorhandensein der benötigten Anwesenden in den zuständigen Organen. Im Jahre 1940 wurden dann erste projektvorbereitende Maßnahmen

-58- getroffen, so dass 1949 detaillierte geologische Erkundungen erfolgen konnten. Obwohl es in den angrenzenden Talgemeinden Erto und Casso zu Protesten kam und das zuständige Ministerium keine endgültige Zustimmung gab, wurde die Großbaustelle in den 50er Jahren durch Enteignungen und andere Maßnahmen vorbereitet, damit 1956 der Bau beginnen konnte. Kurz vor und während der Bauarbeiten kam es immer wieder zu kleineren Bergstürzen und Erdbeben, die die SADE dazu bewog, weitere geologische Untersuchungen durchzuführen. Diese zeigten, dass sich im Paläolithikum bereits ein Bergsturz ereignet haben musste. Die Gefahr des Abrutschens dieser Gesteinsmassen bei einem Wasseranstieg wurde aber nicht weiter beachtet. Das Bauwerk wurde 1959 fertig gestellt und es wurde begonnen das nun vorhandene Staubecken zu füllen.

7.3 Geologie

Abbildung 7-3: Einfallwinkel der geologischen Schichten Im Bereich der Bogensperre befindet sich eine ca. 250 m mächtige , nach Oberwasser einfallende Bank aus Doggerkalken. Darauf folgt bis auf eine Höhe von ca. 1500 m die Schicht aus Malm, die durch schertektonische Einflüsse gleitbrettartig ausgebildet wurden. Über dem Malm lagern durch glaziale Ablagerungen überdeckte und geklüftete Kalksteine. Die Schichten fallen an der Südseite hangparallel mit 30°-50° zum Tal ein. Seit 1956 wurde durch Kernbohrungen, andere geologische Untersuchungen und vor allem nach einer Rutschung von 700.000 m³ Gesteinsmaterial in den schon teilweise eingestauten See, die keine größeren Schäden verursachte, eine mögliche Rutschung von einigen Millionen Kubikmetern abgeschätzt. Jedoch wurde durch Simulationen eines solchen Bergsturzes die Situation weiterhin als sicher betrachtet. Die Katastrophe begann schon mit dem Einstau: die unteren stützenden Böden gerieten unter Auftrieb und verloren somit einen großen Teil ihrer stützenden Wirkung. Hinzu kam, dass kapillar aufsteigendes Wasser sich in den Tonschichten sammelte, die daraufhin ihre Scherfestigkeit verminderten.

-59-

Abbildung 7-4: Schema zur Schichtung des Untergrunds vor dem Unglück

Abbildung 7-5: Schema zur Schichtung des Untergrunds nach dem Unglück

7.4 Katastrophe

Während des ersten Einstaus des Speichers im Jahre 1960 wurden unerwartete Kriechbewegungen in einer großen Zone am südlichen Talsperrenufer in Mauernähe, mit einem Gleitvolumen von 700.000 m³ beobachtet. Entlang eines W-förmigen Risses begann eine Felsmasse von 2000 m Länge und 1200 m Breite mit einer Spitzengeschwindigkeit von 4 cm pro Tag zu kriechen. Aufgrund dieser Beobachtungen wurde der Speicherspiegel langsam abgesenkt, wodurch die Kriechbewegungen einige Wochen danach zur Ruhe kamen. Diese Kriechbewegungen lassen sich dadurch erklären, dass die Ton- und Tonsteinschichten am Fuß der südlichen Talflanke quollen

-60- und somit einen Teil der Scherfestigkeit verloren. Hinzu kam der Reibungsverlust, der durch den entstehenden Auftrieb bei Wassersättigung entsteht. 1961 wurde der See erneut eingestaut. Die Hangbewegungen traten wie im Vorjahr erneut auf, worauf man den Wasserspiegel wieder senkte um einen Gleichgewichtszustand zu erreichen, denn durch mehrmaliges Einstauen kann man sich leicht bewegende Hänge zum Setzen und somit zu einem standsicheren Zustand bringen. Als 1962 bei einem erneuten Einstau keine Verbesserung der Verhältnisse zu erkennen waren, fuhr man einen Drainagestollen im Bereich der Gleitfläche auf, um der Rutschung entgegen zu wirken. Die tägliche Bewegung von etwa 1,5 cm pro Tag kam nach 4 Monaten zum Erliegen. Beim letztmaligen Auffüllen des Stausees im Jahr 1963 wurde der Wasserspiegel um 50 m mehr angehoben als im Jahr zuvor. Als die Kriechbewegungen wieder Größen von 2 cm pro Tag erreichten, beschleunigten diese sich zusehends. Als der Stauspiegel die Marke von 15 m unter der Mauerkrone erreichte, rutschten die Gesteinsmassen schon mit einer Geschwindigkeit von bis zu 10 cm am Tag. Eine geringfügige Absenkung des Speicherspiegels vermochte nicht, die Gleitgeschwindigkeit zu verringern. Sie stieg vielmehr auf 20 cm je Tag am letzten Tag vor der eigentlichen Katastrophe. Um etwa 22:30 am 9. Oktober 1963 nahm die Gleitgeschwindigkeit innerhalb weniger Minute dramatisch zu und erreichte somit über 100 km/h. Schließlich glitten 270 Millionen m³ Gesteinsmasse in das Vajont-Tal. Dieses Volumen könnte durch einen Würfel mit der Kantenlänge von 650m dargestellt werden. Somit rutschten Gesteinsmassen von fast doppeltem Volumen des Stausees in diesen hinein. Der größte Teil des Volumens kam aus dem Bereich der horizontalen Lagerung, der kleinere Teil vom steilen Hang des Monte Toc. Der Hangrutsch bewegte sich über eine horizontale Entfernung von 400 m. Er verdrängte ca. 40 Mio. m³ Wasser, woraufhin die entstandene Flutwelle zur nördlichen Talflanke hinüber rollte und sich dort bis zu 90 m auftürmte, aber gerade nicht Casso, den neben dem Stausee liegenden Ort, erreichte. Die Flutwelle setzte sich zur Staumauer fort. Das Wasser überwand dieses Hindernis mit einer Höhe von etwa 30 m und schlug mit großer Gewalt ins Piave-Tal nieder, in dem die Flutwelle enormen Schaden anrichtete und vielen Menschen das Leben kostete.

Abbildung 7-6: Schema des heutigen Vajontsees und der abgegangenen Gesteinsmassen

-61- Eine Untersuchung von 1985 kommt zu dem Schluss, dass starke Regenfälle und das gleichzeitige Absenken des Stauvolumens für das Versagen im Talflankenfuß zuständig waren. Das Regenwasser könnte sich in vertikalen, durch die Rutschbewegung geöffnete, Klüfte eingedrungen sein, aus denen es aber nicht mehr schnell genug abfließen konnte, weil die Durchlässigkeit des Gesteins zu gering war. Es wird davon ausgegangen, dass die entstandenen Risse mehrere Meter tief aber nur einige Millimeter bis zu wenigen Zentimetern breit waren. Da jedoch der hydrostatische Druck, bei dem nicht das Volumen des angestauten Wassers, sondern nur die Höhe der Wassersäule eine Rolle spielt, eine enorme Spannung hervorbrachte, wurden die Gesteinsmassen nicht nur durch die Schwerkraft ins Tal „gezogen“, sondern auch „geschoben“. Gleichzeitig konnte das in den Poren und Klüften vorhandene Wasser nicht schnell genug aus dem Hang entweichen. Das Absenken des Stausees ging somit schneller von statten als die Entwässerung des Hangs. Daraus folgte, dass die Sickerlinie oberhalb des Wasserspiegels lag und dadurch zusätzlich in etwa hangparallele Strömungskräfte auftraten, die zusammen mit dem Eigengewicht und dem hydrostatischen Druck auf den Rissen die entgegengesetzten Reibungskräfte in der Gleitfuge überschritten und somit zu einer schnellen Hangabwärtsbewegung führten. Leopold Müller, einer der Gutachter nach der Katastrophe, sah noch einen anderen Grund im Versagen der Gleitfuge: durch das visko-plastische Fließen des Hanges entstand in der Gleitfuge Reibungswärme. Diese erwärmte das Porenwasser, was zur Folge hatte, dass der Druck stieg. Die errechnete Temperatur des Felsgesteins und somit auch des Porenwassers zu diesem Zeitpunkt betrug etwa 3 °C. Diese erreichte aber infolge der Erwärmung durch Reibungswärme in kürzester Zeit36 °C. So konnte ein gewisses Druckpolster in der dünnen Scherzone der Tonschichten entstehen, das die Festigkeit der Schicht abminderte und die Kriechbewegungen möglich machte. Es wird sogar davon ausgegangen, dass der Druckanstieg ein „Anheben“ des gesamten Gesteinspaketes möglich machte, was zur Folge hätte, dass die Reibung gänzlich verloren gegangen war. Weiterhin kann auch ein thixotropes Verhalten des Materials in der Gleitschicht angenommen werden, welches dazu führt, dass bei anhaltender mechanischer Belastung die Viskosität abnimmt und somit die Scherfestigkeit beziehungsweise die Reibungskräfte verringert werden.

-62-

Abbildung 7-7: Blick in das Vajonttal und auf die Rutschung(rechts)

7.5 Nachbetrachtung

Durch die Überflutung der Mauerkrone wurden weder die Vajont-Staumauer an sich, noch ihre Widerlager wesentlich beschädigt. Allerdings zerstörte die Überflutung den Ort Longarone fast vollständig und es gab 1.910 Todesopfer zu beklagen, von denen etwa 1000 niemals gefunden wurden. Dies ist durch die enorme Reichweite der Überflutung von ca. 100 km zu begründen. Der Katastrophe folgte ein Gerichtsprozess der im Jahr 1968 stattfand und woraufhin alle Angeklagten zu 21 Jahren Haftstrafe verurteilt wurden. Einer der Beteiligten, Bauingenieur Pancini, beging kurz vor dem Prozess Selbstmord. Später wurden die Haftstrafen aber verringert und einige der Beteiligten wurden aufgrund fehlender Beweise wieder frei gesprochen. Montedison, die Firma die SADE gekauft hatte, wurde später zu einer Schadensersatzzahlung verurteilt. Die letzten Gelder dieser Entschädigung flossen erst vor wenigen Jahren.

-63-

Abbildung 7-8: Kapelle, errichten zum Gedenken an die Opfer[2]

7.6 Gedenken

Am 23. Mai 2009 wurde das neue Museum im Cultural Center of Vajont Longarone eröffnet. In 9 Abteilungen ist der Museumsweg nach einer chronologischen Reihenfolge geordnet. Dargestellt wurden das Gemeinschaftsleben von Longarone vor dem 9. Oktober 1963 in der ersten Abteilung, die Herstellung der Staumauer in Abteilung 2, die Raumplanung sowie die wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen in den 50er Jahren in Abteilung 3. Die Demonstrationen der Missbilligung des Volkes werden in den Abteilungen 4 und 5 gezeigt. Der Wiederaufbau des neuen Dorfes Longarone kann in Abteilungen 6 und 7 betrachtet werden. Die Abteilungen sind voneinander durch die 1.910 Schleier, die durch ihre Krümmung auf das Leiden verweisen sollen, abgetrennt. Das Modell des Staudammes im Eingangsbereich des Museums macht deutlich, welch gigantisches Projekt damals geplant wurde. Das alphabetische Namen-Verzeichnis der Todesopfer trifft die Besucher im Gegenzug dazu sehr stark und zeigt die ganze Tragik des Unglücks auf. An der nördlichen Talflanke wurde eine kleine Kapelle errichtet, die auch dem Gedenken dienen soll. Dort gibt es auch kleine Schautafeln, die über die Ereignisse informieren.

-64- 7.7 Zusammenfassung

Der Bergrutsch von Vajont hatte mehrere auslösende Faktoren. Zunächst war da die Errichtung des Staubeckens mit den Wasserspiegelschwankungen, ohne die dergleichen wahrscheinlich nicht vorgekommen wäre. Sowohl die vorhandene Gleitfläche entlang der Tonlage als auch die Existenz eines alten Bergsturzes und die Seismizität des Gebiets, die die Geologen schon festgestellt hatten, können als ursächlich angesehen werden. In diesem Zusammenhang wird auch darauf hingewiesen, dass aus dem Berufsbild des Ingenieurs sich zwangsläufig nicht nur eine selbstverständliche fachbezogene Verantwortung, sondern in großem Maße auch eine ethische Verantwortung der Gesellschaft gegenüber ergibt. Das Resultat ist das Bauwerk, aber der Weg dorthin ist gekennzeichnet von einer Vielzahl von Randbedingungen und Überlegungen, die alle in die Planung, den Entwurf, die Tragwerksberechnungen und schließlich in den Bau mit einfließen müssen.

7.8 Quellen

[1] -Buch „Talsperrenpraxis“ von Peter Rißler [2] http://www.sagen.at/forum/showthread.php?t=2036 [3] http://www.gfbv.it/3dossier/h2o/vajont-de.html [4] http://de.wikipedia.org/wiki/Vajont-Staumauer [5] http://prolocolongarone.it/introduzione.html

-65- 8 Das Pumpspeicherkraftwerk Reißeck II

Von: Ludwig Stelzner Martin Schulz Erik Ahner Führung: Dipl.-Ing. Manfred Freitag

8.1 Einleitung

Das im Bau befindliche Pumpspeicherkraftwerk liegt im österreichischen Kärnten über dem Mölltal und ist eine Erweiterung der bestehenden Kraftwerksgruppen Malta und Reißeck/Kreuzeck. Es befindet sich auf einer Höhe von 1585 m in der Westflanke eines Seitentals des Mölltals, was sich besonders für den Bau und die spätere Nutzung eignet. Den größten Wasserspeicher stellt der Große Mühldorfer See mit einem Nutzinhalt von 7,8 Mio. m3 in einer Höhe von 2319 m dar. Dabei liegt die höchste Gefällestufe bei 1600 m Fallhöhe. Die Besonderheit bei dem Bau von Reißeck II ist die Tatsache, dass das komplette Kraftwerk mit Druckschächten, –stollen und Maschinenkaverne im Berg, also untertage, liegen wird. Die Planung allerdings ist kein völlig neues Konzept. Es existierten bereits Pläne aus den 1980er Jahren, welche sich mit dem Bau des Pumpspeicherkraftwerks befassten. Zur damaligen Zeit und dem Stand der Technik wurde eine Verwirklichung des Projekts jedoch als unwirtschaftlich und unrentabel angesehen und verworfen. Im Jahr 2007 wurde die Idee nochmals aufgegriffen, ökonomisch und technisch geprüft und aufgrund der wirtschaftlichen Lage als sinnvoll erachtet. Somit konnte der Bau 2010 beginnen. Die Gesamtinvestitionen belaufen sich auf 385 Mio. Euro. Dabei werden die Kosten zu 45% von der KELAG und zu 10% von der Energie AG Oberösterreich getragen. Eigentümer ist die VERBUND Hydro Power AG (VHP).

Abbildung 8-1: Kurzes Projektinformationsvideo der VERBUND-Gruppe

-66- Durch den Bau des Pumpspeicherkraftwerks Reißeck II sollen folgende Ziele verwirklicht werden: • saubere und krisensichere Nutzung lokaler Wasserkraftressourcen • Ausgleich zu Windkraft- und Solarenergie • Erhöhung der Versorgungssicherheit • Impulse für den Arbeitsmarkt (Wertschöpfung der Region, Sicherung von Arbeitsplätzen) • minimaler Eingriff in die Natur (Nutzung vorhandener Stauseen, Kraftwerk untertage) • Reißeck II soll geplant im Jahr 2014 fertiggestellt werden und ans Netz gehen.

8.2 Geologie

Das Gebiet der Baustelle um Reißeck II befindet sich auf dem sogenannten Alpinen Zentralgneis, der sich aus Augengneis und Granit zusammensetzt. Dieses Gestein gehört zum Tauernfenster, einem Teilbereich des Penninikum, einer der geologischen Haupteinheiten der Alpen. Die Felsformation wurde bei der Zusammendrift der Eurasischen und Afrikanischen Platte stark zusammengefaltet. Somit bildet dieses Gestein eine massive Felseinheit. Diese optimale Struktur wird jedoch durch Klüfte durchsetzt, die bis zu 35 cm Breite aufweisen können.

Abbildung 8-2: Übersicht der Geologie in Kärnten – Roter Kreisausschnitt ist der betreffende Ausschnitt des Penninikum

-67- 8.3 Bestehende Anlagen

Das Pumpspeicherkraftwerk Reißeck II ist, wie schon erwähnt, eine Ergänzung zu den bestehenden Kraftwerksanlagen Malta und Reißeck/Kreuzeck. Künftig sollen das benachbarte System Malta und der Hauptspeicher Kölnbrein verbunden werden. Dies wird erreicht, indem Reißeck II eine Verbindung zwischen der Druckrohrleitung Malta- Rottau und dem Großen Mühldorfer See herstellt, sodass es bald möglich sein wird, Wasser aus dem System Malta in das Winterspeicherwerk Reißeck zu pumpen.

Abbildung 8-3: Großer Mühldorfer See (Foto:http://www.verbund.com/pp/de/speicherkraftwerk/reisseck- jahresspeicher) Der Reißeck-Jahresspeicher wurde bereits im Jahre 1962 in Betrieb genommen. Er verfügt über eine Leistung von 68 MW und einer Jahreserzeugung von 73.000 MWh. Das Jahresspeicherkraftwerk Reißeck setzt sich aus den 6 Speicherseen in der Reißeck- Gruppe (Großer und Kleiner Mühldorfer See, Radl-, Kessele-, Quarz- und Hochalmsee) und dem Krafthaus in Kolbnitz zusammen. In 2237 m Höhe liegt die Bergstation der Reißeckbahn und der Beginn des Druckstollens, welcher über einen Höhenunterschied von 1772 m zum Krafthaus in Kolbnitz führt. Zum Zeitpunkt der Fertigstellung war Reißeck das Kraftwerk mit der höchsten Rohfallhöhe der Welt. Der größte Speichersee auf dem Reißeck-Plateau ist der Große Mühldorfer See mit 7,8 Mio. m³ Nutzinhalt, dessen Speicherinhalt erst durch die 46,5 m hohe Sperre Großer Mühldorfer See erzielt werden kann. Er hat mit 2319 m das niedrigste Stauziel der Gruppe. Danach folgen der Speicher Kleiner Mühldorfer See mit 2,8 Mio. m³ Nutzinhalt, der Jahresspeicher Hochalmsee mit 4,1 Mio. m³ Nutzinhalt und der Radlsee mit 2,5 Mio. m³ Nutzinhalt. Kessele- und Quarzsee sind natürliche Karseen und wurden nicht durch Sperren oder Dämme bezogen auf den Speicherinhalt vergrößert.

-68- Die Pumpspeicherkraftwerke Malta-Hauptstufe und Malta-Oberstufe wurden beide im Jahre 1979 in Betrieb genommen. Sie besitzen zusammen eine Leistung von 850 MW und eine Jahreserzeugung von 655.800 MWh.

8.4 Ingenieurtechnisches Vorhaben und Umsetzung

Ziel des Projektes Reißeck II ist der hydraulische Zusammenschluss der Kraftwerksgruppen Malta und Reißeck/Kreuzeck, sowie eine Leistungssteigerung des Verbundkraftwerkes um circa 40 % im Turbinenbetrieb und über 100% im Pumpbetrieb. Derzeitige Leistung: Zukünftige Leistung: Turbinenleistung: 890 MW 1320 MW Pumpleistung: 406 MW 836 MW Die wesentlichen Baumaßnahmen lassen sich in 2 Kategorien unterteilen: 1. Hydraulische Anlagen Die Erweiterung der Kraftwerksanlage wird größtenteils nur durch den Bau neuer unterirdischer Anlagen realisiert. Dazu gehört ein 3349 m langer Stollen vom Großen Mühldorfer See (2255 m Seehöhe) bis zum Wasserschloss Schoberboden II (ca. 2200 m Höhe). Dieser besteht aus einem Druckstollen, sowie einem Seeanstichstollen. Der Vortrieb erfolgte im ersten Halbjahr 2012 mit einer TBM. Das Anschlussstück zum Großen Mühldorfer See kann erst nach dessen Entleerung aufgefahren werden. In diesem Zuge wird dann auch ein Einlaufbauwerk am Ende des Stollens errichtet. Um die mittlere Rohfallhöhe von 595m zwischen dem Großen Mühldorfer See und dem Speicher Gößkar und Galgenbichl zu erreichen, wird zwischen dem Wasserschloss Schoberboden II und der Maschinenkaverne ein 817m langer Druckschacht mit einem Durchmesser von 3,6 m bergmännisch aufgefahren. Aufgrund der großen Steigung von circa 42 Grad ist die Herstellung des Druckschachtes sehr aufwendig. Nachdem eine mögliche Auffahrung des Schachtes mittels Raise-Bohrverfahrens aufgrund von sehr klüftigen Fels nicht die gewünschte Genauigkeit erreichen konnte, entschied man sich für einen bergmännischen Vortrieb. Um die sehr geringen Vortriebsleistungen von 2 Metern pro Tag zu erhöhen, wurde ein Zwischenangriff auf halber Höhe zwischen dem Wasserschloss Schoberboden II und der Maschinenkaverne errichtet. Am 18.10.2012 soll der Vortrieb des Druckschachtes abgeschlossen sein. Anschließend erfolgt der Ausbau des Schachtes mit Stahlrohren und deren Hinterfüllung mit Beton. Diese werden von oben in den Schacht abgelassen und miteinander verschweißt. Dazu wurde am oberen Schachtende ein Hebewerk montiert.

-69-

Abbildung 8-4: Übersichtsskizze Reißeck II (http://www.tvfa.tuwien.ac.at/Aktuelles/ReisseckII_Projektgrafik_final_ Bild.jpg) Herzstück des Projektes ist die 58 m lange, 25 m breite und 39 m hohe Maschinenkaverne mit angeschlossener Trafokaverne. Nach der Auffahrung der Kavernen zwischen Anfang 2011 und Anfang 2012 mittels Bohren und Sprengen erfolgt zurzeit deren Ausbau. Installiert werden 2 Turbinen mit einer Leistung von je 215 MW im Pump- und Turbinenbetrieb, dazu je ein Generator und ein Transformator. Um die hydraulische Verbindung der Kraftwerkssysteme zu erreichen, wird ein 300 m langer Anschlussstollen zwischen Maschinenkaverne Burgstall und dem bestehenden Triebwasserweg der Maltastufe errichtet. Des Weiteren erfolgt die Auffahrung von mehreren Wartungs- und Reparaturstollen.

-70-

Abbildung 8-5: Maschinenkaverne (Foto: Jörg Weißbach) 2. Infrastruktur Vor Beginn der Baumaßnahmen musste eine sichere und schwerlasttaugliche Zufahrtstraße vom Mölltal zum circa 2550 m hohen Baustelleneinrichtungsplatz und von dort weiter bis zum Schoberboden II gebaut werden. Hierzu wurde ein vorhandener Forstweg zwischen dem Mölltal und den Angriffspunkten für den Kavernenbau ausgebaut. Aufgrund der schlechten Verwendbarkeit des Ausbruchsmaterials aus dem Stollen und Kavernenvortrieb als Zuschlagsstoff für Beton muss der gesamte Abraum vom Berg ins Tal gebracht werden. Gleichzeitig müssen sämtliche Baustoffe, darunter größtenteils Zuschlagsstoffe für den Beton, über diese Zufahrtsstraße transportiert werden. Insgesamt ist diese Straße 20 km lang und muss ganzjährig sicher befahrbar sein. Diese Aufschließungsstraße ist die einzige Zufahrt zur Baustelle und stellt damit eine große Herausforderung an die Logistik dar. Auch die größten und schwersten Teile des Bauprojektes werden über diese Straße zur Baustelle gebracht.

-71- Im August 2012 wurden die größten Einzelkomponenten, die zwei Einlaufspiralen für das Kraftwerk mit einem Durchmesser von 6,5 m, über die „passähnliche“ Straße zur Baustelle transportiert. Um einen reibungslosen Ablauf der Anlieferung der 220 Tonnen schweren Transformatoren zu ermöglichen, wurde im Voraus ein Schablonentest durchgeführt. Dazu wurde eine Holzschablone mit den Abmessungen der Trafos auf einen speziellen Hänger mit 17 einzellenkbaren Achsen gebaut und mit Krangewichten beschwert. Nun wurde versucht diesen mittels einer Gesamtantriebsleistung von 2600 PS über die Zufahrtsstraße auf 2550 m Höhe zur Kaverne zu fahren. Nach erfolgreichem Abschluss dieses Testes steht nun der Anlieferung der echten Transformatoren nichts mehr im Wege.

Abbildung 8-6: Baustelleneinrichtungsplatz ( Foto: Ludwig Stelzner) Eine weitere Herausforderung bei diesem Projekt, ist die Energieab- und zuleitung des Pumpspeicherkraftwerks Reißeck II. Diese erfolgt unterirdisch mittels eines circa 3,5 km langen 220 kV Erdkabels. Dieses besitzt einen Litzenquerschnitt von 1200 mm² und ist auch für den Betrieb mit 380 kV ausgelegt. Zur Verbindung der Transformatorenkaverne mit dem Umspannwerk Malta wird unter anderem ein 840m langer Energieableitungs- stollen errichtet. Der restliche Teil der Trasse wird entlang der Zufahrtsstraße und der Druckrohrleitung der Kraftstation Rottau bis zur Freiluftschaltanlage der Malta Hauptstufe verlegt. Der Bau einer unterirdischen Höchstspannungstrasse ist sehr teuer. Im Gegensatz zu einer Oberleitungstrasse sind die Baukosten etwa 600 % höher. Auch die Reparaturzeiten liegen nicht in vergleichbaren Zeiträumen wie bei Freiluftleitungen. Allerdings wurde eine

-72- unterirdische Verlegung der Stromtrasse von der Bevölkerung des Mölltals und den Grundeigentümern gefordert.

8.5 Öffentlichkeitsarbeit, Sicherheitskonzept und Ökologie

8.5.1 Öffentlichkeitsarbeit

Um das Projekt Reißeck II zu realisieren, wird wie bei jedem anderem Großprojekt eine umfangreiche Öffentlichkeitsarbeit benötigt, um die Bevölkerung zu informieren. So wurden zum Beispiel Baumaßnahmen und deren Umsetzung der Bevölkerung ausgiebig erläutert. Die Anwohner der umliegenden Ortschaften nahmen das Projekt jedoch ohne Widerstand an. Der Grund hierfür liegt in der Vergangenheit der Region. Ursprünglich war Nordwestkärnten eine eher ländliche, wirtschaftsschwache Region, die fast ausschließlich von der Landwirtschaft, Tierhaltung und Tourismus lebte. Nun befinden sich seit den 60er Jahren die Kraftwerkssysteme Malta und Reißeck/Kreuzeck mit den Kraftstationen Kolbnitz und Rottau in dieser Region. Dieser energiebezogene Wirtschaftszweig brachte der Region sichere Arbeitsplätze. Dies ist einer der Hauptgründe für die positive Resonanz der Anrainer hinsichtlich der Durchführung des Projektes Reißeck II und der damit erhofften steigenden Wirtschaftsleistung der Region. Ein weiterer Grund für den geringen Widerstand der Bevölkerung gegen das Projekt ist der vollständig unterirdische Bau des Kraftwerks in Form eines Kavernenausbaus. Es gab lediglich Einwände beim Verlegen des Versorgungskabels. Ursprünglich war der Bau der Energieab- und zuleitung als Freileitung geplant. Doch forderten die Bewohner des Mölltals ein erdverlegtes Kabel, um die natürliche alpine Landschaft zu erhalten. Aufgrund der genannten und weiteren Gründe schaffte man es, die Planungsphase auf ein Minimum zu reduzieren, um schnellstmöglich mit dem Bau zu beginnen.

8.5.2 Sicherheitskonzept

Sicherheit wird in der heutigen Baubranche groß geschrieben. Die Sicherheit jedes Einzelnen auf und neben der Baustelle muss zu jeder Zeit gewährleistet werden. Durch Sprengungen beim Tunnelvortrieb kann es zum Abrutschen von Muränen und Erdmassen kommen. Wenn die Sicherung des Hangs nicht ausreichend durchgeführt wird, können die Geröllmassen die Zugänge der Stollen und der Kaverne verschütten und eine Gefahr für darin arbeitende Menschen darstellen. Ähnlich stellen im Winter Lawinen ein Sicherheitsrisiko dar. Das Abrutschen einer Lawine ist nur schwer abzuschätzen, da zum Beispiel schon kleine Temperaturänderungen oder Schwingungen im Gebirge zum Abgleiten führen können. Die Beobachtung und Messung des Umfeldes ist dabei wichtig, um ein eventuelles Abrutschen vorherzusagen.

-73- Ein Lawinenposten wird beim ersten Schneefall gestellt. Er dient der Überwachung von potentiellen Lawinengefahren und dem Warnen der auf der Baustelle befindlichen Menschen. Das Auffahren von mehreren Fensterstollen ist hier von großem Vorteil. Im Falle einer Lawinenrutschung, die einen Stolleneingang verschüttet, stehen genügend Fluchtwege zur Verfügung. Somit ist ein Entkommen aus dem Berg mit hoher Wahrscheinlichkeit gewährleistet.

Abbildung 8-7: Lawinenposten(Foto: Jörg Weißbach) Eine weitere Sicherheitsgefährdung sind Steinschläge. Geröll kann sich am Hang lösen und auf die Baustelle stürzen. Fangzäune, die aus vielen Stahlringen geflochten sind, fangen und bremsen die Rutschmassen und vermeiden direkte Einschläge auf den Arbeitsplätzen. Trotz der Sicherheitsmaßnahmen kam es am 02.12.2010 zu einem Unfall: Ein Radlader fing in einem der Fensterstollen Feuer und führte zu einer raschen Rauchentwicklung. Um die Gefahr zu bannen, versuchte der Fahrer das havarierte Baufahrzeug aus dem Stollen zu fahren. Noch vor dem Stollenausgang war der Radlader jedoch nicht mehr fahrtüchtig, sodass der Rauch sich im Stollen weiter ausbreiten konnte und 5 Mitarbeiter mit einer Rauchgasvergiftung in Krankenhäuser eingeliefert werden mussten. Die Feuerwehr, die zügig vor Ort war, konnte durch Löschen der Brandursache weitere Schäden vermeiden.

-74- 8.6 Ökologie

Auch wenn der Großteil des Bauprojekts unter Tage abgewickelt wird, ist der Schutz der Umwelt an der Oberfläche dennoch zu beachten. Der Naturschutz fordert einen möglichst geringen Eingriff. Dies ist durch den Bau nicht immer zu realisieren. Verschieden Maßnahmen wurden somit ausgearbeitet, die bestimmte Baustellenbereiche ökologisch aufwerten oder den Eingriff in die örtliche Natur reduzieren. Man siedelte zum Beispiel Murmeltiere in ein anderes Gebiet um oder setzte sogar Ameisenhaufen um. Eine Auswahl an Maßnahmen findet man hier[14]: • Gestaltung des Anlandungsbereiches im Ausgleichsbecken Rottau zur nachhaltigen Vermeidung von Fischfallen • Schaffung eines Stillgewässers und Gestaltung des Mündungsbereiches des Weinitzgraben „Fischereischule“ • Herstellung der Fischpassierbarkeit der Wehranlage Rottau • Schaffung von Lebensräumen und Einständen im Sachsenwegkanal • Erhöhung der ökologischen Wertigkeit • Schaffung von Ausstiegsmöglichkeiten für Wild • Touristische Erschließung durch Themenweg „Wasserkraft-Natur-Fischerei“ • Einrichten von Amphibienzäunen • Errichtung von Ersatzlaichgewässern Der Staat regelt und überprüft diese Maßnahmen. Somit ist dieses Projekt laut Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz (UVP-G 2000) prüfungspflichtig. Im Rahmen des Projektes wurde die Umweltverträglichkeit geprüft und in 17 Fachbeiträgen eine landschaftspflegerische Begleitplanung erarbeitet. Auf diese Beiträge beziehen sich nun die Maßnahmen. Der Ökologieaspekt ist in der Hinsicht ein Parameter, der nicht unterschätzt werden darf, da er die Bauvorhaben stark einschränken kann, wenn das Umweltverträglichkeits- prüfungsgesetz nicht eingehalten wird.

8.7 Ausblick

Kärntens derzeit größtes Bauprojekt wird voraussichtlich ab September 2014 in Vollbetrieb gehen können.

-75- Ein großer Dank geht an den Projektleiter Manfred Freitag, der uns mit Begeisterung und Engagement in knapper Zeit dieses Projekt verdeutlichte und uns unseren erhofften Einblick in den Kavernenbau zeigen konnte!

8.8 Quellen

[1] http://www.verbund.com/pp/de/pumpspeicherkraftwerk/reisseck-2 (24.10.2012) [2] http://www.verbund.com/pp/de/speicherkraftwerk/reisseck-jahresspeicher (24.10.2012) [3] http://www.verbund.com/pp/de/pumpspeicherkraftwerk/malta-oberstufe (24.10.2012) [4] http://www.verbund.com/pp/de/pumpspeicherkraftwerk/malta-hauptstufe (24.10.2012) [5] http://www.tvfa.tuwien.ac.at/Aktuelles/ReisseckII_Projektgrafik_final_Bild.jpg [6] http://www.keil- erdbau.at/index.php?option=com_content&view=article&id=25&Itemid=27 [7] http://www.verbund.com/pp/de/pumpspeicherkraftwerk/reisseck-2 [8] http://www.eib.org/attachments/pipeline/20110368_nts_de.pdf [9] http://www.kleinezeitung.at/kaernten/kaerntnerdestages/2508548/mann-fuers- grosse.story [10] http://www.kleinezeitung.at/kaernten/spittal/reisseck/2580481/brand-bei- pumpspeicher-kraftwerk-reisseck.story [11] http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Datei:Alpengeologie01.png&filetim estamp=20071203201720 [12] http://www.geologie.ac.at/filestore/download/KC0525_001_A.pdf [13] http://de.wikipedia.org/wiki/K%C3%A4rnten [14] Pumpspeicherkraftwerk Reißeck II, Allgemeine Projektinformation; VERBUND AG; Freitag, Larcher; Januar 2011 [15] Pumpspeicherkraftwerk Reißeck II, Kurzbeschreibung des Vorhabens, September 2008, Verbund Austrian Hydro Power

-76- 9 Der Steirische Erzberg

Von: Carsten Werner Martin Luge Natalie Neubert Führung: Dipl.-Ing. Armin Kogelbauer

9.1 Einleitung

Der Steirische Erzberg liegt ca. 20 km nördlich der Stadt Leoben in der Steiermark, einem Bundesland von Österreich. Als größte Sideritlagerstätte weltweit werden dort seit über 1300 Jahren karbonatische Eisenerze gewonnen. Seit 1870 existiert der heutige pyramidenförmige Tagebau, der das Bild des Erzberges prägt (Abbildung 9-1). Betreiber dieses Bergwerkes ist die VA Erzberg GmbH mit Sitz in Eisenerz. Am Erzberg werden jährlich ca. 3,1 Mio. t Roherz in sehr unterschiedlichen Qualitäten gewonnen. Nach Aufbereitung vor Ort wird das Erzkonzentrat (derzeit ca. 2,2 Mio t/a) in den Hüttenwerken Linz und Donawitz der VÖST-Alpine AG weiterverarbeitet. Die VA Erzberg beschäftigt rund 220 Mitarbeiter und ist somit ein wichtiger Arbeitgeber in der Region.

Abbildung 9-1: Steirischer Erzberg (Foto: Robert Kluge)

-77- 9.2 Geschichte

Um die Auffindung des Erzberges ranken sich verschiedene Sagen. Die bekannteste ist die Wassermannsage: Mit einer List fingen Leute, die in der Nähe des heutigen Eisenerz wohnten, einen Wassermann. Im Gegenzug zu seiner Freiheit versprach er den Leuten große Schätze: „Nun wählet schnell auf dieser Stell'! Ein gold'ner Fuß bald schwinden muß. Ein silbernes Herz, die Zeit verzehrt's. Ein Eiserner Hut, hält lang und gut. Erwägt es klug, dann habt genug!" [5]. Die Leute wählten das letzte und so zeigte der Wassermann auf einen nahe gelegenen Berg. Nachdem an dem Berg Eisenerze gefunden wurden, ließ man den Wassermann wieder frei und er verschwand unter tosendem Gelächter in seinem Tümpel. Seit ungefähr 400 Jahren wird für die Auffindung des Erzberges das Jahr 712 nach Christus genannt. Somit soll der Erzberg seit 1300 Jahren ununterbrochen in Verhieb stehen. Dass diese Jahreszahl stimmt, ist leider in Zweifel zu ziehen. Aktuelle Forschungen gehen davon aus, dass die Jahreszahl durch die Fehldeutung einer Inschrift zustande kam. Andere behaupten es sei schlicht eine „Gelehrtenerfindung“, wofür es auch einige Hinweise gibt. Wann der Bergbau am Steirischen Erzberg nun genau begann, kann nicht mehr belegt werden. Durch etymologische Forschungen und archäologische Funde kann aber davon ausgegangen werden, dass der Bergbau mit der Zeit der slawischen Besiedlung im 7. und 8. Jahrhundert anfing. Somit ist die 1300-jährige Geschichte des Erzberges nicht völlig aus der Luft gegriffen (Abbildung 9-2).

Abbildung 9-2: Sonderbriefmarke 1300 Jahre Erzabbau am Steirischen Erzberg (Foto: Natalie Neubert)

-78- Begonnen hat der Bergbau wahrscheinlich auf Vordernberger Flur. Ausschlaggebend waren vermutlich die roten Wände des Polster, welche die Aufmerksamkeit von Bergbaukundigen erweckten. In Schürfen und kleinen Tagebauen wurde im sogenannten Pingenbau das verwitterte Eisenerz, der Blaueisenstein, abgebaut. Härtere, unverwitterte Erzpartien konnten zu dieser Zeit nicht verhüttet werden und wurden deswegen entweder nicht in Verhieb genommen oder auf Halde gekippt. Das gewonnene Blauerz wurde anfangs vor Ort getrennt und in offenen Feuern verhüttet. Im 13. Jahrhundert begann man das Erz auch mit Schlägel und Eisen in kleinen, tagesnahen Stollen zu gewinnen. Das Erz wurde vom tauben Gestein vor Ort getrennt und mit Pferdefuhrwerken, Hunten oder mit Muskelkraft zu den nahe gelegenen Schmelzöfen transportiert. 1564 löste die sogenannte Sackzugförderung den Transport des Erzes mit Pferdefuhrwerken ab. Ein solcher Sackzug (Abbildung 9-3) bestand aus einem kleinen, lenkbaren Karren mit Schleifbaum, auf dem erzgefüllte Ledersäcke befestigt und dann ins Tal gezogen wurden. Vorteil dieser Methode war die Einsatzmöglichkeit auch in sehr steilen Gebieten des Erzberges.

Abbildung 9-3: Sackzugförderung (Bild: www.vaerzberg.at) Zu dieser Zeit war der Erzberg in zwei Abbaugebiete geteilt: den Vordernberg der oberhalb der sogenannten Ebenhöhe bei 1186 m.ü.d.M. lag und dem Innerberg der unterhalb dieser Grenzebene lag. Die Erzvorräte wurden bis ins 16. Jahrhundert hinein vorwiegend im Tiefbau gewonnen. Abgebaut wurde das Blauerz mit Schlägel und Eisen, die härteren, unverwitterten Spateisensteine auch mittels Feuersetzten. Eine Verhüttung dieser Erze konnte aber erst nach Verwitterung des Materials auf der Halde erfolgen. Später wurden für diesen Prozess Röstöfen verwendet. 1625 wurde die Innerberger Hauptgewerkschaft gegründet, denn die vielen, kleinen Gruben ließen die Preise des Erzberger Roherzes in die Höhe schießen. Durch den Zusammenschluss wurde das Ausbringen erhöht und die damalige Krise im dortigen Eisengewerbe konnte abgewendet werden.

-79- Am Vordernberg ging dieser Vorgang langsamer voran. Erst im 19. Jahrhundert wurden die einzelnen Gruben in vier Reviere aufgeteilt. Im 18. Jahrhundert wurde die Gewinnung mittels Bohren und Sprengen am Erzberg eingeführt. Die zunächst noch händisch gebohrten Löcher und die Befüllung mit Schwarzpulver ermöglichten es, bald auch einen effektiven Tagebau zu betreiben. Die Böschungshöhe betrug bis zu 40 m und das Erz wurde dann über Sturzschächte auf tiefere Grubenhorizonte gebracht. Von dort aus gelangten sie zentral mittels Sackzugförderung zu den Schmelzöfen in den nahegelegenen Tälern. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelte sich der Abbau am Erzberg immer mehr zu einem Großbetrieb. 1899 stellte man vorerst den Tiefbau aus Kostengründen ein. In diesem Jahr wurden ebenfalls die ersten Dampflokomotiven zum Erztransport eingesetzt. Anfang des 20. Jahrhunderts schlossen sich die innerösterreichischen Eisenwerke zur Österreichisch Alpine-Montangesellschaft (ÖAMG) zusammen. Der Bergbaubetrieb wurde in dieser Zeit grundlegend modernisiert. Der Tagebau wurde in einen Etagenbau übergeführt, neue Fördersysteme wurden eingeführt und die Halden wurden außerhalb des Tagebaus angelegt. 1906 wurden erstmals pressluftbetriebene Bohrhämmer verwendet. Die Sprengungen erfolgten immer häufiger mit Dynamit. 1907 erhielt der Erzberg seine Pyramidenform durch das Erreichen der Bergspitze und der Einführung der einheitlichen Etagenhöhe von 12 m. 1910 wurden drei Dampfbagger mit einem Schaufelinhalt von ca. 2 m3 angeschafft, welche die Verladung des Materials mit der Hand ablösten. Es wurde ebenfalls auf größere Fördergefäße und stärkere Dampflokomotiven umgestellt. Die Erneuerungen verdoppelten die Erzproduktion in den Folgejahren auf rund 2,2 Mio. t. 1925 wurde der Gipfel des Erzberges gesprengt. Die Etagenhöhe wurde 1928 auf 24 m erhöht, in dem jede zweite Etage aufgelassen wurde. Es wurden Elektrobagger im Tagebau eingeführt und 1932 wurde der untertägige Bergbau wieder aufgenommen. Die angewendete Abbauform im Tiefbau war der Firstenschrägbau. Später ging man zum Kammerbau über. Nach dem Zweiten Weltkrieg, während dem die Gesamtförderung auf bis zu 2,8 Mio. t Roherz jährlich angestiegen war, begann wieder ein Modernisierungsschub. Es wurden moderne Bohranlagen angeschafft, mit denen die Etagen in einem Zug abgebohrt werden konnten. Die gleisgebundene Förderung wurde sowohl im Tage- wie Tiefbau allmählich abgeschafft und durch Löffelbagger, Radlader und SLKWs ersetzt. Der Fusion des Erzberges 1973 mit den Stahlwerken in Donawitz (Ortsteil von Leoben) und Linz folgten weitere Modernisierungen im Abbaubetrieb. Die Erzaufbereitung wurde erneuert und größere Maschinen wurden angeschafft. Der Tiefbau wurde 1986 eingestellt, da der Abschnitt ausgeerzt war. Einige Grubenbaue wurden als Erlebnisbergwerk einer neuen Verwendung zugeführt. Der Fokus konnte nun ausschließlich auf den Tagebaubetrieb gelegt werden, der flexibler gestaltet werden sollte. Für die Abraumbewältigung wurden Löffelbagger und für den Erzabbau Radlader

-80- eingesetzt. Außerdem wurden SLKW (Schwerlastkraftwagen) mit 67 t bis 77 t Nutzlast angeschafft. Die tägliche Transportleistung stieg somit auf 100.000 t Material (Abraum und Erze). Auch in der Sprengtechnik gab es Erneuerungen. Der Bohrlochdurchmesser wurde auf 152 mm vergrößert, ein neues Mischfahrzeug zur Befüllung wurde angeschafft und moderne Emulsions-Slurry-Sprengstoffe kamen nun zum Einsatz, die vor allem im wasserführenden Gebirge bessere Sprengergebnisse lieferten. 1989 wurde der Erzberg der Österreichischen Bergbauholding AG unterstellt. Die Erzproduktion musste weltmarktbedingt um 40 % gesenkt werden. Im Gegenzug sollten aber die Kosten verringert werden, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Die Elektrobagger wurden abgeschafft und durch Radlader (Abbildung 9-4) ersetzt. SLKW mit 110 t Nutzlast wurden angeschafft und auch in der Bohr- und Sprengarbeit wurden immer neue Techniken und Technologien eingesetzt. Auch die Abbauführung wurde überarbeitet. Die komplette Auserzung der Lagerstätte stand nicht mehr im Vordergrund, sondern langfristige Perspektiven, wie z.B. eine gleichbleibende Erzqualität oder das Abraum- Rohstoff-Verhältnis. Durch diese Maßnahmen und die Reduzierung der Belegschaft auf ca. 200 Mann konnte die Stilllegung des Bergbaubetriebs verhindert werden.

Abbildung 9-4: Laden und Transport des Erzes (Foto: Natalie Neubert) 2004 wurde der Erzberg in die VA Erzberg übergeführt. Die VA Erzberg ist eine Tochter der Erzberg Privatstiftung.

-81- Die Verhaumenge beträgt pro Jahr ca. 8,5 Mio. t und besteht aus 3,1 Mio. t Roherz und 5,4 Mio. t Abraum. Die Erzkonzentratmenge nach der Aufbereitung beträgt 2,15 Mio. t pro Jahr. Das Konzentrat wird in den Hüttenwerken in Linz und Donawitz zur Roheisenerzeugung genutzt. Der Anteil des heimischen Erzes vom Erzberg beträgt dabei ca. 20 %. Der Restbedarf wird aus Importen gedeckt. Das Eisenerz wird am Erzberg nur kostendeckend gewonnen und zu günstigen Preisen an die Stahlwerke geliefert. Anders könnte sich der Bergbau dort nicht mehr im Weltmarkt behaupten. Die Erzvorräte reichen noch für 50 weitere Jahre Bergbau am Erzberg. Wenn der Bergbau ausgeklungen ist, geht der Steirische Erzberg in den Besitz des Landes Steiermark über. Für die weiteren Jahre und die Nachbergbauphase sind schon einige Projekte in Planung. So soll das „Zentrum am Berg“ weiter ausgebaut werden. Es dient der Aus- und Weiterbildung von Bergleuten z.B. in sicherheitsrelevanten Themen und zur Realisierung von Forschungsvorhaben in Zusammenarbeit mit der Montanuniversität Leoben. Somit wird die 1300-jährige Geschichte des Erzberges mit dem Erliegen des aktiven Bergbaus noch nicht zu Ende sein.

9.3 Geologie

Der Steirische Erzberg ist die größte Sideritlagerstätte der Welt und der größte Erztagebau Mitteleuropas. In der Lagerstätte ist der Siderit (karbonatische Eisenerz) in stark schwankender Intensität mit dem Ankerit (Eisen-Magnesium-Karbonat) verwachsen. Die Lagerstätte kann in drei geologische Haupteinheiten unterteilt werden: 1. Porphyroid im Liegenden 2. Erzführende Formation (eigentlicher Lagerstättenbereich) 3. Werfener Brekzie und Werfener Schiefer (Werfener Schichten) im Hangenden In Abbildung 9-5 sind die geologischen Haupteinheiten, sowie die tektonischen Störungszonen dargestellt. Weiterhin sind die Abbaustände von 1941 und 1995 zu erkennen.

-82-

Abbildung 9-5: Seigerschnitt durch den Steirischen Erzberg (Quelle: Herr Kogelbauer)

9.3.1 Porphyroid

Porphyroid ist ein vulkanisches Ergussgestein, welches im Bereich der Lagerstätte eine maximale Mächtigkeit von etwa 400 m erreicht. Der Übergang zur erzführenden Formation ist fließend, dieser so genannte Übergangsporphyroid ist durch das langsame Enden der vulkanischen Aktivitäten entstanden. Er besteht aus einer Wechsellagerung von Kalken und Porphyroid. Unterhalb des Porphyroid stehen Ton, Kies, Graphit- und Kalkschiefer an.

9.3.2 Erzführende Formation

Die Erzführende Formation besteht aus zwei tektonischen Einheiten, einer Hangend- und einer Liegend-Scholle. Zur Liegend-Scholle zählen die Gesteinsschichten oberhalb des Porphyroid, der Zwischenschiefer (Eisenerzer Schichten) eingeschlossen. Daran schließt sich die Hangend-Scholle an, welche auf einer Bewegungsbahn über die Liegend-Scholle geschoben wurde. Die erzführende Formation besteht aus einer Abfolge verschiedener Kalke, in die sich Ankerite und Siderite großräumig, weithin lagerförmig eingeschaltet haben. Die maximale Mächtigkeit beträgt etwa 270 m bis 300 m. Die Verwachsungen zwischen Ankeriten und Sideriten treten in stark schwankender Intensität auf. Dabei sind Bereiche mit hohem Siderit-Anteil (auch Reicherzkörper genannt) oft von ärmeren Verwachsungen, teilweise auch von reinem Ankerit umhüllt.

-83- 9.3.3 Werfener Schichten

Die Lagerstätte wird von den Werfener Schichten überlagert. Diese beginnen meist mit einer ca. 40 m mächtigen Basisbrekzie, welche vorwiegend aus Sauberger Kalken besteht. Diese Kalke sind am Ostrand der Erzbergmulde bis zum Porphyroid aberodiert, daher treten lokal auch Porphyroidkomponenten in der Basisbrekzie auf. An die Werfener Basisbrekzie schließen sich die Werfener Schiefer an, welcher das Dach der Lagerstätte und die Basis der nördlichen Kalkalpen bildet.

9.3.4 Beschreibung der Gesteine

Im Nachfolgenden werden die markanten Eigenschaften der genannten Gesteine kurz beschrieben: • Porphyroid: submarines, vulkanisches Ergussgestein; stark vergrünt; Mineralbestand: Quarz, Feldspat Glimmer, Chlorid • Ankerit: kalzium-, magnesium- und eisenhaltiges Karbonat mit bis zu ca. 15 % Eisenanteil • Siderit (Eisenspat): Eisenkarbonat mit 38 – 41 % Eisenanteil • Sauberger Kalk: grauer, rötlich geflammter Flaserkalk • Werfener Basisbrekzie: meist Kalk, seltener Ankerit, Siderit und Porphyroidkomponenten in schiefrig sandiger Matrix • Werfener Schiefer: violetter, seltener grüner Tonschiefer

9.3.5 Tektonik

Die Gebirgsbildung im Bereich der Lagerstätte kann in zwei Hauptzyklen unterteilt werden. In der älteren variszischen Orogenese haben sich zwei ursprünglich nebeneinander liegende Karbonatschollen überschoben. Der Tonschiefer, welcher heute den Zwischenschiefer bildet, funktionierte dafür als Gleitbahn. Während der jüngeren alpidischen Gebirgsbildung ist die gesamte Schichtenfolge muldenartig um eine 15 – 30 ° nach Nord-Nordost abtauchende Achse verformt worden, wodurch eine Vielzahl von Störungen entstanden ist. Die bedeutendste Störung ist dabei der Nord-Süd streichende Christof Hauptverwurf, welcher nach Osten einfällt (s. Abbildung 9-5). Der Muldenteil, der östlich dieser Störung liegt, ist um ca. 350 m gegen Osten abgesenkt. Daraus resultiert der untertägige Abbau dieses Lagerstättenteils, da dieser Bereich nur grubenbaumäßig wirtschaftlich gewonnen werden konnte.

-84- Annähernd parallel zum Christof Hauptverwurf treten kleinräumige Versetzungen im Meterbereich entlang von staffelförmigen Kluftsystemen auf. In manchen Bereichen ist die Kontaktzone zwischen Werfener Schichten und erzführender Formation stark gestört und gefaltet.

9.3.6 Genese der Lagerstätte

Die Entstehung der Lagerstätte ist zum heutigen Stand der Wissenschaft nicht eindeutig geklärt. Es werden vor allem zwei unterschiedliche Theorien vertreten. Die klassische Theorie geht von einer hydrothermalen Metasomatose aus. Diese besagt, dass Lösungen, welche reich an Eisen-, Mangan- und Magnesiumionen waren, durch das Kluftsystem bis in die Kalke des heutigen Erzberges transportiert wurden. Die Kalke und Metallionen reagierten miteinander, wodurch Siderit und Ankerit gebildet wurden. In der etwa 12 km westlich des Steirischen Erzberges gelegenen Sideritlagerstätte Radmer-Buchegg wurden feinkörnige, gebänderte Siderite gefunden. Dort treten eine Wechsellagerung von drei chemisch unterscheidbaren Sideriten, sowie eine gebänderte Struktur auf. Daraus resultiert die Theorie, dass die Lagerstätten überwiegend sedimentär gebildet wurden, obwohl am Erzberg solche Reliktstrukturen nicht gefunden wurden. Mineralogische Untersuchungen haben ergeben, dass das Sideritgestein des Steirischen Erzbergs einen einheitlichen Chemismus aufweist. Das Ankeritgestein jedoch weist einige Unterschiede auf, so dass es weiter unterteilt werden kann. Das Ankeritgestein 1 ist feinkörnig, eisenarm und inhomogen. Die Ankeritgesteine 2 und 3 sind eisenreicher und homogen, wobei das Ankeritgestein 3 grobkörniger und spatig ist. Da für die Bildung der eisenreichen Gesteine andere Temperaturen und Drücke erforderlich sind, als bei den eisenarmen Gesteinen, wird heute folgende Deutung der Lagerstättengenese angenommen: Das Ausklingen der vulkanischen Aktivitäten fand gleichzeitig mit einer Ablagerung von kalkigen Schlämmen statt. Es wird vermutet, dass die Bildung von Siderit und Ankeritgestein 1 (eisenarm) synchron zur Sedimentation stattfand. Nach einer Trockenlegungsphase änderten sich die Sedimentationsbedingungen schlagartig, so dass der spätere Zwischenschiefer (Tonschiefer), eventuell nach erneuten vulkanischen Aktivitäten, abgelagert wurde. Bei der variszischen Gebirgsbildung traten Temperaturen von etwa 400 °C auf, wodurch das eisenreichere Ankeritgestein 2 gebildet wurde. Es kam zur Erosion, so dass einige Teile der kalkigen Abfolge bis zum Porphyroid erodierten. Nach einer erneuten Überflutung verkitteten tonig-sandige Sedimente die Erosionsprodukte zu Brekzien und Konglomeraten. In der alpidischen Gebirgsbildung kam es schließlich durch die Reaktion von Siderit mit Ankeritgestein 2 zur Bildung des Ankeritgestein 3.

-85- Die Temperaturerhöhungen auf über 300 °C in den unterschiedlichen Gebirgsbildungsphasen bewirkten weiterhin noch eine leichte Metamorphose und metasomatische Erscheinungen.

9.3.7 Erzbeschreibung

Großräumige Verwachsungen zwischen Ankerit und Siderit sind langförmig, kleinräumige Verwachsungen sind meist wolkenartig. Die Erzlager erreichen im Streichen Längen bis zu 600 m, bei einem allgemeinen Streichen von ca. 60 ° Nord-Nordost. Die Erzlager fallen mit 60 – 70 ° relativ steil ein. Die Eisengehalte liegen beim Siderit bei 38 – 41 % Eisen, der eisenarme Ankerit enthält bis zu 10 % und der eisenreiche Ankerit kann bis zu 17 % enthalten. Bei einer Oxidation der Siderite zu Braun- und Blauerz können die Eisengehalte bis zu 50 % betragen. Die Oxidationszone ist bis auf kleine Teile heute bereits abgebaut. Erz mit mehr als 30 % Eisenanteil, was einem Sideritanteil von 55 % entspricht, wird als Fertigerz bezeichnet. Diese Erz wird auf < 8 mm zerkleinert und gelangt direkt in den Versand. Das Zwischengut mit Eisengehalten von 22 – 30 % wird in einer Schwertrübeaufbereitung auf 34 % angereichert.

9.4 Abbauverfahren

Derzeit wird das Erz nur noch im Tagebau mit dem Verfahren des Strossenbaus diskontinuierlich gewonnen. Das Bild des Erzberges ähnelt dadurch sehr stark einer Pyramide. Auf unterschiedlichen Etagen erfolgt die Sprengung des Erzes. Die Strossenhöhe liegt im Bereich zwischen 12 m bis 24 m. Über ein Rampensystem sind alle Strossen miteinander verbunden. Die Erstellung der Bohrlöcher erfolgt mit 2 Imlochhammer-Bohrmaschinen. Sie haben „eine Netto-Bohrleistung von bis zu 50 m/h“ [2] und werden mit einem Druck von 25 bar betrieben. Das Abbohren der Bohrlöcher erfolgt in einem quadratischen Bohrraster von 6 m x 6 m. Danach werden diese mit Emulsionssprengstoffen befüllt. Die Zündung wird über elektronische Zünder reihenweise nach einer Verzögerungszeit von 20 Millisekunden durchgeführt. Die Firma MAXAM bietet bis zu 6 unterschiedliche Sprengstoffsorten an. Je nach der Art des vorhandenen Materials wird der Sprengstoff ausgewählt. Bei einer Sprengung werden zwischen 40.000 t bis 60.000 t Material gelöst. Die Sprengung erfolgt täglich um 9:53 Uhr (Abbildung 9-6).

-86-

Abbildung 9-6: Sprengung (Foto: Martin Luge) Versuche das Erz mittels Schrämarbeit wirtschaftlich hereinzugewinnen waren nicht zielführend. Nach der Sprengung wird das Haufwerk mittels Radlader auf SLKW`s (Schwerlastkraftwagen) geladen. Die im Einsatz befindlichen Radlader haben ein Schaufelvolumen von 11 m3 und eine Motorleistung von 1000 PS. Voll beladen befördern die SLKW`s im mobilen Betrieb das Haufwerk über das angelegte Rampensystem zum Steilkegelbrecher. Ein SLKW hat ein Gesamtgewicht von 200 t und ist auf eine Nutzlast von 120 t ausgelegt. Die Leistung beträgt 1064 PS (782 kW). Insgesamt stehen zur Förderung 10 SLKW`s zur Verfügung.

9.5 Aufbereitung

Nach dem Transport zum Steilkegelbrecher erfolgt die Zerkleinerung des Erzes, indem sich die exzentrisch gelagerte Kegelachse kreiselförmig bewegt. (Abbildung 9-7).

-87-

Abbildung 9-7: Zerkleinerung des Erzes mit dem Steilkegelbrecher (Foto: Martin Luge) Der Durchsatz beläuft sich auf bis zu 2000 t/h. Die unter dem Brecher befindliche Bandanlage befördert das zerkleinerte Korn in zwei Bunker. „Das sogenannte „Fertigerz“, das wegen eines hinreichend hohen Eisengehaltes keiner Fe-anreichernden Schwertrübescheidung bedarf, wird nach der Vorzerkleinerung in einem Grobkegelbrecher lediglich durch Nasssiebung von ballast- und schadstoffbehaftetetem Feingut entlastet, dann auf Sinterfeinheit nachzerkleinert und zusammen mit den nachzerkleinerten Erzkonzentraten in vergleichsmäßigen Längslagen in die Erzmischhalden eingespeichert.“ [6] Die restlichen Erzbestandteile, das sogenannte „Zwischengut“, werden zu Eisenkonzentrat aufbereitet. Aus dem zerkleinerten Material erfolgt zuerst die Aussiebung der Korngrößenklassen 120/30 mm und 30/8 mm. Danac werden diese dem Schwertrübeverfahren unterzogen. In dem Verfahren kann mittels einer Suspension (Mischung aus Wasser und Ferrosilizium) und Dichteeigenschaften eine Trennung von eisenreichen und eisenärmeren Material erfolgen. Die überwiegende Menge der Schwertrübe wird über Abtropfsieben zurückgewonnen. Zurückgebliebene Schwerstoffe werden mittels Magnetscheidung für die Wiederverwendung aufbereitet. Nach der Nasssiebung teilen Schraubenklassierer das abgesiebte Feinkorn in zwei unterschiedliche Kornklassen. Die Korngröße von 0,15 bis 120 mm wird mittels SLKW zur Sturzhalde transportiert, während die Korngröße ≤ 0,15 mm in Form eines eingedickten Schlammes zum Schlammteich gepumpt wird. Durch die Verwendung von Rundeindickern kann gleichzeitig ein Großteil der Betriebswässer für die Aufbereitung zurückgewonnen werden. In einer Nachbrech- und Siebanlage erfolgt die Zerkleinerung von groben Körnern auf Sinterfeinheit. Das erneut gebrochene Erz wird im schichtenartigen Mischlager zwischengespeichert. Je nach Gebrauch erfolgt anschließend die Verladung in Wagons. Die Züge transportieren das Erz zu den

-88- Hüttenwerken nach Donawitz und Linz. Dies geschieht täglich „just in time“ und es handelt sich dabei um ca. 6000 t Erz pro Tag. In Sinteranlagen wird das Erz dort mit Importerzen stückig gemacht. Die Mischung kann anschließend im Hochofen u.a. zu Stahlträgern verarbeitet werden. Für einen verbesserten Einsatz des Erzes auf den Sinteranlagen wird ab diesem Jahr ein Feinerzlager gebaut. „Der gezielte Aufbau von Mischlagern mit entsprechend hoher Schichtenanzahl über ein verfahrbares Abwurfband und die Mischgutaufnahme mit einem Brückenschaufelradrückladegerät sollen die bisherige Aufhaldung mittels SLKW und die Aufnahme mittels Radlader ablösen“ [4].

9.6 Kooperation zwischen der Universität Leoben und der VA-Erzberg GmbH

Die Universität Leoben und die VA-Erzberg GmbH planen in naher Zukunft ein einzigartiges Forschungs- und Schulungszentrum im Erzberg. Mit diesem Projekt soll es möglich sein, Tunnelbrände unter realen Bedingungen zu simulieren. Dafür stehen u.a. kilometerlange Stollen im Berg zur Verfügung. Diese resultieren aus dem ehemaligen Abbau des Erzes im Tiefbau. Bei dem Erzberg handelt es sich um den größten Bergbaubetrieb Österreichs. Er hat in den vergangenen 1300 Jahren eine prägende wirtschaftliche, soziale und kulturelle Bedeutung eingenommen und bietet auch in Zukunft noch jede Menge Entwicklungspotenzial.

9.7 Quellen

[1] http://www.austria-lexikon.at/af/Heimatlexikon/Erzberg [2] http://www.vaerzberg.at/erzproduktion/tagbau.html [3] http://www.vaerzberg.at/erzproduktion/geschichte.html [4] http://www.vaerzberg.at/erzproduktion/geologie.html [5] http://www.abenteuer-erzberg.at/abenteuer- erzberg/schaubergwerk/wassermannsage [6] http://www.kleinezeitung.at/steiermark/leoben/3114619/steirischer-erzberg- soll-zum-jubilaeum-forschungszentrum-bekommen.story [7] Herr Kogelbauer :VA Erzberg GmbH, persönliche Mitteilungen vom 05.10.12 und 08.10.12 [8] Salzer, Erich: 1300 Jahre Erzabbau am Steirischen Erzberg. In: bergbau Zeitschrift für Rohstoffgewinnung, Energie, Umwelt; 08/12, 63. Jahrgang; S 356-360

-89- [9] Der Steirische Erzberg- Seine wirtschaftliche, soziale und kulturelle Bedeutung; res montanarum Fachzeitschrift des Montanhistorischen Vereins Österreich, Sonderband 2012. Leoben: Universal Druckerei Leoben, 2012 – ISSN 1727- 1797

-90- 10 Die Montanuniversität Leoben

Von: Kenny Auerswald Anne Becker Jacqueline Zander Führung: Dipl.-Ing. Martin Entacher Dipl.-Ing. Wolfgang Hohl Dipl.-Ing. Dr. mont. Gerhardt Pettino

10.1 Die Stadt Leoben

Leoben liegt in der österreichischen Steiermark und ist mit ihren circa 24.600 Einwohnern die zweitgrößte Stadt in diesem Bundesland. Die Landeshauptstadt des Landes Steiermark ist Graz, die zweitgrößte Stadt Österreichs. Die Stadt Leoben ist bekannt für ihre lange Tradition im Berg-und Hüttenwesen und liegt an dem Fluss Mur. Dieser fließt nicht nur durch Österreich, sondern auch durch Slowenien, Kroatien und Ungarn. Die Mur entspringt in den Niederen Tauern im Salzburger Lungau und fließt auch durch die Landeshauptstadt Graz.

Abbildung 10-1: Lage der Stadt Leoben innerhalb Österreichs und innerhalb der Steiermark (gelb dargestellt), Quelle: www.google.de Die Stadt Leoben ist nicht nur Sitz der gleichnamigen Montanuniversität. Viele, mehr oder weniger bekannte, Werke und Unternehmen sind in Leoben ansässig. Mit einem Werk der voestalpine AG im Stadtteil Donawitz ist sie beispielsweise einer der bedeutendsten Standorte der österreichischen Eisen- und Stahlindustrie. Der Hauptsitz dieses international agierenden, österreichischen Unternehmens ist jedoch die oberösterreichische Stadt Linz. Weltweit beschäftigt das Unternehmen 46.500 Mitarbeiter. Die Existenz dieses Werkes, wie letztlich auch die der Montanuniversität Leoben, ist dem nahegelegenen Erzberg in der steirischen Stadt Eisenerz mit zu verdanken. Hier wird mindestens seit dem 11. Jahrhundert das gleichnamige Erz abgebaut. Ein weiteres

-91- bekanntes Unternehmen der Stadt Leoben ist zum Beispiel die Brauerei Göss. Ihr bekanntestes Produkt ist unter dem Namen „Gösser“ bekannt. Jährlich produziert der Konzern, der zur Brauunion Österreich AG gehört, mehr als 1 Mio. Hektoliter Bier.

10.2 Die Montanuniversität

10.2.1 Die Geschichte

Am 04. November 1840 wurde die Universität gegründet. Der damalige Name allerdings lautete „Steiermärkisch-Ständige Montanlehranstalt“. Als Gründer gilt Erzherzog Johann von Österreich. Dieser ist in der Steiermark als Förderer und Modernisierer von Industrie, Landwirtschaft und Eisenbahnwesen, sowie von Kultur und Bildung, bekannt. Sein Wirken in diesem Bereich vollzog er dabei reinweg als Privatmann und in keiner öffentlichen Funktion. Die Lehranstalt wurde allerdings nicht in Leoben, sondern im circa 15 km entfernten Vordernberg, gegründet. Die Gemeinde hat etwa 1.000 Einwohner. Umgesiedelt in die Bezirksstadt Leoben wurde die heutige Montanuniversität erst neun Jahre später, am 01. November 1849. Dieser Schritt wurde durch den ersten Rektor, Peter Tunner, durchgesetzt. Außerdem kam es in diesem Zuge auch zur staatlichen Übernahme der Schule. Peter Tunner war Bergbaufachmann und den Anfangsjahren der Lehranstalt ihr einziger Lehrender. Bis 1955 wurden nur die Studienrichtungen Bergwesen und Hüttenwesen angeboten. Weitere Studienangebote kamen erst in den Folgejahren hinzu. Der Name „Montanuniversität Leoben“ existiert erst seit dem Jahr 1975. Die Umbenennung erfolgte auf der Grundlage des österreichischen Universitätsorganisationsgesetzes. Auch heute noch orientieren sich Forschung und Lehre in Leoben hauptsächlich an der Wertschöpfungskette von Rohstoffen. Ergänzt werden diese Themengebiete durch naturwissenschaftliche Grundlagenfächer, Umwelttechnik und Betriebs- und Wirtschaftswissenschaften. Mit 3.521 offiziellen Hörern verzeichnet die Montanuniversität Leoben für das Studienjahr 2012/13 einen historischen Höchststand an Studierenden.

10.2.2 Das Lehrangebot an der Montanuniversität

Die Montanuniversität Leoben ist eine in erster Linie technisch-naturwissenschaftlich orientierte Universität. Die einzelnen Fachbereiche sind in so genannten Departments oder teilweise in Instituten organisiert. Währenddessen die Departments weiter in einzelne Lehrstühle untergliedert sind, stehen die Institute weitgehend für sich. Derzeit bestehen insgesamt zehn Departments, wie zum Beispiel das Department Mineral Ressources and Petroleum Engineering mit sieben verschiedenen Lehrstühlen, und sechs Institute, wie zum Beispiel das Institut für Mechanik oder das Institut für Elektrotechnik. Aus dieser Gesamtheit an Fachgruppen werden zehn Studiengänge, darunter Rohstoffingenieurwesen, Petroleum Engineering oder Montanmaschinenbau, angeboten. Aufbauend auf die sehr internationale Ausrichtung der Universität werden die Studiengänge ausschließlich im Bachelor- und Mastersystem angeboten und es gibt keine

-92- speziellen Aufnahmebedingungen. Ähnlich wie in Deutschland ist das Erlangen der Hochschulreife die Voraussetzung für die meisten Studiengänge, oder Studien, wie die Österreicher sagen.

10.2.3 Das Wappen der Universität

Das Wappen der Montanuniversität Leoben zeigt die grundlegenden Elemente dieser Einrichtung. Im linken oberen Bildbereich ist das Symbol des Bergbaus, Schlegel und Eisen, zu sehen. Dieses ist über einem Buch abgebildet, welches die Lehre, also die Lehranstalt im weiteren Sinn, repräsentieren soll. Rechts daneben ist der so genannte eisenfressende Strauß zu sehen. Das ist das Wappen der Stadt Leoben. Im rechten unteren Viertel ist der steirische Erzberg angedeutet. Auch daran wird die Bedeutung dieses Tagebaus für die Lehranstalt deutlich. Schließlich vervollständigt der steirische Panther das Symbol. Das silberne, flammenspeiende Tier mit roten Hörnern ist das Wappen der Steiermark. Der Schriftzug „Alma Mater“ ist im deutschen Sprachraum heute eine Bezeichnung für Universitäten. Wörtlich heißt dieser lateinische Ausspruch etwa „gütige Mutter“. Der Begriff „Leobiensis“ ist natürlich eine lateinische Deutung das Wortes Leoben.

Abbildung 10-2: Das Wappen der Montanuniversität Leoben, Quelle: www.wikipedia.org

-93- 10.2.4 Der Lehrstuhl für Subsurface Engineering

Abbildung 10-3: Eingang zum Institut Mineral Resources and Petroleum Engineering (Foto: A. Becker) In einem 25 minütigen Vortrag von Herrn Dipl.-Ing. Martin Entacher wurde uns der Lehrstuhl für Subsurface Engineering vorgestellt. Der Leitgedanken des Lehrstuhls ist, dass die Forschungsinhalte grundsätzlich aus Problemstellungen der Praxis hergeleitet werden sollten. Dabei liefern Tunnelbaustellen und Bergwerke als "Großlabors" wirklichkeitsnahe Ergebnisse, aus denen theoretische abgeleitet werden können. Außerdem sollen Lehre und Forschung aus den Erfahrungen von Baustellen wesentliche Impulse erhalten. Forschungsthemen des Lehrstuhls sind unter anderem: • Materialverhalten von Geomaterialien • Materialverhalten von Beton und Spritzbeton • Entwicklungen von Versuchseinrichtungen in der Geotechnik • Numerische Simulation von Injektionen • Berechnungsansätze und innovative Weiterentwicklungen für TVM- und Rohrvortriebe • Weiterentwicklung der Stützmittel und Gebirgsverbesserung im Hohlraumbau • Bemessungsansätze für untertägige Hohlraumbauwerke • Bemessungsansätze für Standsicherheitsuntersuchungen von Böschungen • Prüfung von Einzelkomponenten für Steinschlagschutzsysteme.

-94- Bei der Untersuchung von Materialverhalten geht es vor allem um das Langzeitverhalten, das in der universitätseigene Klimakammer untersucht werden kann. Für die Langzeitstabilität von komplexen Untertagebauwerken werden unter anderem Gipslagerstätten untersucht. Dabei werden zum Beispiel Laugungsversuche oder Untersuchungen bezüglich der plastischen Verformungen im Labor durchgeführt. Das „ALPINE MODEL“ wurde bzw. wird weiterentwickelt, um Leistungsprognosen von Tunnelbohrmaschinen zu erleichtern. Dabei wird zum Beispiel die Frage geklärt, wann und wie oft das Werkzeug gewechselt werden sollte. Durch großmaßstäbliche Schneidversuche wird der Zusammenhang zwischen Schneidkraft und Penetration untersucht. Spannungsanalysen bei verschiedenen Disken werden mit Druckmessfolien in situ an der Tunnelbohrmaschine durchgeführt. Da zur Ausstattung des Lehrstuhles ein eigenes Materialprüflabor (Innovationszentrum für Rohstoffe) gehört, können bodenphysikalische und bodenmechanische Parameter als Dienstleistungen, die mit Problemstellungen auf dem Gebiet der Geomechanik, des Tunnelbaus und des konstruktiven Tiefbaus für die Industrie und Forschung bestimmt werden. Außerdem ermöglicht die Palette der durchgeführten Simulationen, die von einfachen Ausbruchssimulationen über zeitabhängige Berechnungen (Spritzbeton) und Ausbauanalysen bis zu rheologischen Simulationen im Salzgestein reicht, eine Vielzahl von Dienstleistungen.

Abbildung 10-4: Flugbahn des Wurfkörpers bei Aufprall auf ein Steinschlagschutzsystem (Plakat im Institut) Außerdem wurde uns das Projekt Research@ZaB - Zentrum am Berg - kurz vorgestellt. Dabei sollen alte aufgelassene Stollen am Erzberg für Forschungszwecke umgebaut

-95- werden, um unter realen Bedingungen Tests auf Fluchtmöglichkeiten aus Straßen- und Eisenbahntunneln durchführen zu können.

10.2.5 Der Lehrstuhl für Bergbaukunde, Bergtechnik und Bergwirtschaft

Den zweiten Vortrag an diesem Tag hielt Herr Dipl.-Ing Wolfgang Hohl. Er ist am Lehrstuhl für Bergbaukunde, Bergtechnik und Bergwirtschaft, abgekürzt auch unter dem Begriff BBK zu finden, der Montanuniversität Leoben tätig. Dort ist er einer von derzeit 28 Mitarbeitern. Die Professur hat im Wesentlichen die folgenden drei großen Forschungsschwerpunkte: • Rock Engineering

o Gebirgsmechanik unter und über Tage o Tagebau- und Steinbruchtechnik o Abbauverfahren Untertage o Gebirgscharakterisierung und Klassifizierung o Versatz im Abbau • Excavation Engineering

o Zerkleinerung durch Sprengtechnik o Mechanische Zerkleinerung ( Teilschnittmaschine) o Abbau- und Vortriebstechnik • Systems Engineering & Sustainable Mineral Supplik

o Markscheide- und Vermessungswesen o Hydrographie o Bergbau und Umwelt o Mineralrohstoffpolitik o Messtechnik und Messausrüstung Der Lehrstuhl für BBK ist aktuell das führende Forschungsinstitut auf dem Gebiet der Mineralrohstoffgewinnung. Nach seinem Vortrag führte Herr Hohl die Exkursionsgruppe noch in das Labor des Departments Mineral Ressources and Petroleum Engineering. Vom Laborleiter, Herrn Dipl.-Ing. Dr.mont. Gerhardt Pettino, bekamen die Studenten und ihre Betreuer unter anderem die Diamanttechnik zum Schneiden und Bohren, das Triaxialgrät sowie ein einaxiales Zug- und Druckgerät gezeigt und erklärt. Außerdem konnte die Klimakammer für Langzeitversuche mit Gesteinen besichtigt werden. Darüber hinaus besitzt die

-96- Montanuniversität in ihrem Labor einen angedeuteten Schacht, der für Versuche im Bergbau dienen soll. Er wird in Zukunft noch mit entsprechender Instrumentierung versehen werden. Der Schachtsumpf ist dabei der am tiefsten liegende Punkt der Stadt Leoben.

Abbildung 10-5: Der Schacht am Lehrstuhl für Bergbaukunde, Bergtechnik und Bergwirtschaft (Foto: J.Weißbach)

10.3 Quellen

[1] www.wikipedia.org [2] www.leoben.at [3] www.unileoben.ac.at [4] Eigene Aufzeichnungen der Autoren

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