Vorwort Zu EB 8673
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5 Vorwort Wolfgang Amadeus Mozart hat bereits als Neunjähriger begon- nicht so sehr ornamentale als prosodische Funktion hat. ,Im itali- nen, Arien zu schreiben – und es entstand im Laufe seines Lebens enischen Gesange bildet der Vorschlag den prosodischen Accent, eine nicht unbeträchtliche Zahl von Gesangskompositionen mit fällt stets auf den Anschlag der Taktglieder und auf die lange Silbe Orchester, von denen die Konzert-Arien für Sopran hier erstmalig der weiblichen und männlichen Worte, und kann deshalb kaum und vollständig in einer praxisorientierten Ausgabe für Gesang als Verzierung gelten.‘4 Es handelt sich vor allem um den ganz- und Klavier vorgelegt werden sollen. oder halbtönigen Vorschlag von oben oder unten, je nach dem Es handelt sich, mit wenigen Ausnahmen, um italienische Arien: melodischen Verlauf. … Einige Beispiele für verschiedene Mög- Band I enthält die Werke der frühen Jahre, die Bände II und III lichkeiten der Appoggiatur, die sicher auch der Praxis des 18. Jahr- umfassen die Zeit der Reife und Meisterschaft. „Die weitaus um- hunderts entsprochen haben, seien angeführt: fänglichste Gruppe bilden diejenigen Kompositionen, die Mozart für befreundete Sänger und Sängerinnen schrieb, entweder als Ein- lagen in fremde Opern oder als selbständige Arien bzw. Szenen. Nur die letztgenannten sind im eigentlichen Sinn als Konzert- Arien zu bezeichnen, weil sie ohne Ausnahme von vornherein nicht für die Bühne gedacht sind und ihr dramatischer Gehalt in besonderer Weise durch konzertantes Gefüge eingefangen wird. – Selbstverständlich ist jedoch im Rezitativ die Appoggiatur ein in- tegrierender Bestandteil des Vortrags, ,… aber nicht als Verzierung, Die Texte sind vorwiegend den Dramen Metastasios, somit der sondern als Hebung der Stimme für den Ausdruck des tonischen Seria, entnommen. Es handelt sich dabei meist um ,Szenen‘. Mit Accentes‘. Hinsichtlich des Accompagnato heißt es weiter: ,Die ,Scena‘ bezeichnete man in der Gesangskomposition eine meist Notwendigkeit, den Accent fühlbarer zu machen, läßt folgende durch gesteigerten Affekt und erhöhte dramatische Spannung eng Regel entstehen: Die beiden gleichen Noten, welche in der Regel zusammengehörige Folge von Rezitativ und Arie oder Duett, ein Satzglied endigen, und denen eine Pause folgt, werden stets gleichgültig, ob nun eine oder mehrere Personen beteiligt sind. geändert, und zwar die erste, je nach Empfinden, als aufwärts oder Die Regel ist freilich der pathetische Monolog, der meist als Ac- abwärts steigender Vorschlag behandelt.‘5 compagnato vertont wurde, und sein Abschluss durch die Arie.“1 Demnach ist der Sinn der Appoggiatura die Hervorhebung der betonten Silben bei einer Folge von Tönen gleicher Tonhöhe. Tosi-Agricola führen folgende Möglichkeiten der Schluß-Appog- Zur Aufführungspraxis 6 „... ich hätte lust ein Buch – eine kleine Musicalische kritick mit giatura im Rezitativ an: = Exemplen zu schreiben – aber NB: nicht unter meinem Nam- a mo re a mo re men.“ (Brief vom 28.12.1782 an seinen Vater)2 Dieses Buch hat (Diese Kadenz wird jedoch zu Mozarts Zeit gewöhnlich ausge- Mozart nie geschrieben. Was jedoch ins Blickfeld seiner „kritick“ schrieben.) geriet, wird aus zahlreichen Stellen seiner Briefe deutlich. „… weil = sie das Recitativ ganz ohne geist und feuer, so ganz Monoton sa rà sa rà herab singen …“ (Brief vom 27.12.1780 an seinen Vater), „… sie sang mit kunst aber keinen verstand.“ (Brief vom 19.2.1778 an = seinen Vater) und an Aloysia Weber: „Vor allem lege ich Ihnen co me s’ar da co me s’ar da den Ausdruck nahe und empfehle Ihnen, über den Sinn und die Macht der Worte nachzudenken, sich ernsthaft in Andromedas = Zustand und ihre Situation zu versetzen, sich vorzustellen, Sie a un pun to sol a un pun to sol selbst seien diese Person.“(Brief vom30.7.1778). Kurzum: Stimme, Ausdruck, Musikalität, technisches Können sind für Mozart die = Maßstäbe seiner Beurteilung. Über die Aufführungspraxis selbst cor av vol to cor av vol to äußert er sich hingegen weniger detailliert – und so wird sich der = Sänger/die Sängerin an den damaligen Lehrwerken (siehe S. 12) mo ra ta mo ra ta orientieren müssen. Aus der Sicht heutiger Forschung soll erneut auf die Ausführun- Auch der Mordent zwischen zwei Tönen gleicher Tonhöhe inner- gen Stefan Kunzes hingewiesen werden, aus denen im Folgenden halb eines Wortes wird erwähnt: zitiert sei:3 „Für Mozarts frühe Werke dürfte noch ohne wesentliche Ein- statt also so:. schränkung die Praxis Geltung besitzen, wie sie in den zahlreichen mi ri o Ni ce mi ri o Ni ce Anweisungen der Zeit von Tosi-Agricola, C. Ph. E. Bach, J. J. Wie aus zahlreichen zeitgenössischen Ausführungsbeispielen her- Quantz, L. Mozart und J. A. Hiller niedergelegt ist. Erst Mozarts vorgeht, in denen die vom Sänger erwarteten ,Veränderungen‘ der spätere Werke stellen an den Interpreten Anforderungen, die nicht notierten Singstimme demonstriert sind, wurde die Appoggiatur mehr durch die herrschende Gesangstradition erfaßt werden, son- in reichlichem Maße auch in den Arien angewendet. Die Anwen- dern ihre Maßstäbe aus der Musik selbst beziehen. Doch sollte dung der Appoggiatur muß hier jedoch in besonderem Maße man diese Lehrwerke … nicht als Regelsammlung mißverstehen, dem musikalischen Ermessen im einzelnen Fall überlassen blei- sondern sich stets vor Augen halten, daß es sich um notwendig ben. Grundsätzlich steht der Appoggiatur vor allem bei weiblicher uneinheitliche ‚Versuche‘ handelt, das Lehrbare einer lebendigen, Wortendung mit folgender Pause nichts im Wege. Da der Vorhalt sehr vielgestaltigen Praxis aus unmittelbarer, aber auch individu- aber in der Arie ein starkes Mittel des musikalischen Ausdrucks ist, eller Anschauung heraus zu vermitteln. leicht pathetisch und weich wirkt, sollte man ihn mit Vorsicht an- wenden. Nichts wäre falscher, als das musikalische Urteil aus dem Zur Appoggiatur musikalischen Zusammenhang heraus der mechanischen Anwen- Die heutige Praxis ist diesbezüglich häufig unsicher und schwankt dung einer vermeintlichen Regel unterzuordnen. Dies muß vor zwischen völliger Mißachtung und pedantisch-starrer Anwendung allem deshalb betont werden, weil nicht zu erwarten steht, daß die der Appoggiatur. Jedenfalls ist festzuhalten, daß die Appoggiatur Ganzheit damaliger Gesangspraxis, zu der auch die empfindsame 6 ,Veränderung‘ der einfachen Gesangslinie zählt und innerhalb Dynamik derer auch die häufige Anwendung der Appoggiatur tragbar war, Zur Frage der dynamischen Ausgestaltung des Soloparts sei hier heute wieder aufgenommen werden kann. Der starken auffüh- auf einen Umstand hingewiesen, dem heute vielfach mit Unsi- rungs-stilistischen Unterscheidung entsprechend, die man damals cherheit begegnet wird. Sie folgt daraus, daß Mozart in der Regel zwischen Theater-, Kammer- und Kirchenstil machte, insbeson- die Singstimme nicht dynamisch bezeichnet. Daraus ist jedoch dere auch im Vortrag des Rezitativs7, ist etwa eine dramatische, keineswegs die unbesehene Übertragung der Dynamik des Or- pathetische Szene aus der Seria [z. B. KV 505] anders zu behan- chesters abzuleiten. Denn meistens resultiert die dynamische Be- deln als ein Secco oder auch ein Accompagnato aus der Buffa. zeichnung im Orchester aus seiner Begleitrolle. So ist etwa ein Ähnliches gilt für die Arie. So empfiehlt sich etwa bei der Buffa- im Orchester von der Singstimme nicht mitzumachen. Aber auch Arie KV 217 besondere Zurückhaltung in der Anwendung der die Dynamik des Orchesters, die fast nur aus piano und forte, in Appoggiatur. den früheren Werken Mozarts selten oder , besteht, läßt Man unterschied allgemein die ,veränderlichen‘ (d. h. langen) und verschiedene Grade der dynamischen Schattierung zu. ,Das bei- die ,unveränderlichen‘ (d. h. unveränderlich kurzen) Vorschläge, gefügte forte und piano bestimmt den Ausdruck nur so ungefähr die jedoch in der Notierung oft nicht differenziert wurden.8 Es und im Ganzen …‘13 kam immer auf den musikalischen Zusammenhang an. So ließ die Grundregel für den veränderlichen Vorschlag, nach dem die Kadenzen Vorschlagsnote die Hälfte der Geltung der Hauptnote bean- Als unschätzbare Vorbilder, falls man eigene Lösungen versucht, sprucht bzw. 2/3 der Geltung, falls die Hauptnote punktiert ist, können die Kadenzen KV 293e dienen, die Mozart im Jahr 1778 vielerlei Modifikationen zu. Nur ein Fall für viele möge hier ste- zu den Arien ,Cara la dolce fiamma‘ (Adriano in Siria), ,O nel sen hen. Gewöhnlich nimmt der Vorschlag, steht er vor einer Note di qualche stella‘ (Catone in Utica) und ,Quel caro amabil volto‘ mit nachfolgender Pause, den Wert der Hauptnote, diese dagegen von J. Chr. Bach schrieb. den Wert der Pause ein: J. A. Hiller kommt in seiner Anweisung zu folgenden Grundre- geln: ,Die Cadenzen müssen nicht zu häufig vorkommen, auch = (L. Mozart) nicht zu lang seyn‘, diese ,müssen sich allemal auf den in der Arie liegenden Charakter und Haupteffekt beziehen‘, und schließlich ,Es gehöret aber entweder die Einsicht in die Komposition oder ,muß jede Cadenz, folglich auch eine bereits vorher entworfene eine gesunde Beurtheilungskraft dazu‘, um den Vorschlag richtig und aufgeschriebene oder auswendig gelernte, so vorgetragen wer- den, als wäre es eine Fantasie, die nur erst während der Aus- anzubringen. Je nach dem kompositorischen Zusammenhang ist 14 nämlich auch folgende Ausführung möglich:9 führung selbst erfunden würde.‘“ (J. A. Hiller). Zu den Arien ,Es bleibt immer etwas willkührliches dabey übrig, welches von „Vorrei spiegarvi, oh Dio!“ KV 418 dem Geschmack und der Empfindung des Tonsetzers, oder Aus- Mozart schrieb die beiden