ARNE SCHNEIDER Stabfechten
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ARNE SCHNEIDER Stabfechten Das Fechten ist als weit entwickelte Kampfkunst und Sportart allgemein bekannt. Das Fechten mit Stäben erscheint dagegen vergleichsweise urtümlich. Die neu entwickelte Form des Stabfechtens 1 ist jedoch keineswegs primitiv, sondern ein körper- und partnerbezogener Schulungsweg der nonverbalen Kommunikation. Das Kommunikationsmittel ist ein Holzstab von 1,15m Länge. Aufgrund seiner Ein- fachheit bietet er viele Vorteile. Damit verfolgt Stabfechten mit dem Schwerpunkt auf der Persönlichkeitsentwicklung andere Ziele als der Fechtsport. 1 Kulturgeschichtlicher Hintergrund Der Stab weltweit Der Stab oder Stock ist in der Menschheitsgeschichte ab dem Moment zu einer Waffe geworden, in dem ein Mensch sein Leben oder das eines anderen verteidig- te. Egal auf welchem Kontinent wir uns gerade aufhalten, das Kämpfen oder Fech- ten mit dem Stab finden wir überall. Es gibt Völker und Nationen auf verschiedenen Erdteilen, die im Laufe der Geschichte den Stockkampf so weit entwickelt und ver- feinert haben, dass das Beherrschen der Stabführung zu einer „Stockkampfkunst“ wurde und das Führen des Stockes mehr als nur ein Hauen und Stechen ist. So wie z.B. in China: „Gunshu“, Japan: der Langstab „Bo“, auf den Philippinen: „Escri- ma“, „Kali“, „Arnis“. Stockkampf finden wir also weltweit mit unterschiedlichen Stab- längen, in verschiedenen Zeitperioden mit verschiedenen Hintergründen – und dies zum Teil noch heute. Der Stab in Europa Werfen wir einen Blick auf Europa, finden wir den Stab oder Stock als Fecht- und Kampfinstrument in diesen Ländern: Frankreich: „Canne de Combat et Bâton“, Por- tugal: „Jogo do pau“, England: „Quaterstaff“, Irland: „Bataireacht“ oder „Bata“, Deutschland: „Halbe Stangen“. Nach neuen archäologischen Funden (Der Spiegel 24/2011, S.108) können wir an- nehmen, dass die Kelten in der Spätbronzezeit (1300-800 v. Chr.) ihre Speere nicht nur zum Werfen, sondern auch als Hiebwaffen benutzten. Ab dem 16 Jh. finden wir in historischen deutschsprachigen Fechtbüchern von Joachim Meyer und Paulus Hector Mair u.a. den Stab als Übungswaffe – um den Körper locker werden zu lassen und den Menschen an ein fremdes Element, das nicht Teil des Körpers ist, zu gewöhnen. In England schrieb Alfred Hutton, Captain der King‘s Dragoon Guard, in seinem Buch Cold Steel (1889): 1 Anmerkung der Herausgeber: Arne Schneider ist der Entwickler der in diesem Beitrag beschriebenen Fechtkunst Stabfechten. dvs Band 000 © Edition Czwalina 185 „Die Heranführung des Stabes wird in der ital. und franz. Armee vollzogen. Einerseits mit der Absicht, die Männer mit diesem bewundernswerten, hochinteressanten Gymnastiktraining ge- schmeidig und locker werden zu lassen, andererseits sie mit der Kenntnis in der Handhabung der Musketen und Schwertbajonette vertraut zu machen“ (Hutton, 1889, S.145). Der Stab diente also nicht nur zur Verteidigung, sondern wurde als Vorübungswaffe eingesetzt, mit der man das Körper- und Bewegungsverständnis entwickeln kann. Fechtkunst in Europa Ab dem 14. Jahrhundert begannen die Fechtmeister, eigene Bücher zu verfassen, welche die Techniken z.B. des Langschwertfechtens darstellen und beschreiben (vgl. Talhoffer, 1467 und Fechtbuch, 1389). Waren zunächst diese Bücher nur für den Eingeweihten zu gebrauchen, richteten sich spätere Werke an den Lernenden und Anfänger (vgl. Capo Ferro, 1610 und Hutton, 1889). Die beachtliche Anzahl von Fechtbüchern der verschiedenen europäischen Fechtmeister gibt uns heute die Möglichkeit, Darstellungen und Beschreibungen einzelner Techniken miteinander zu vergleichen und auf diese Weise eine realistische Vorstellung von ihrer Umset- zung zu bekommen. Man schätzte schon zu Zeiten des Rittertums die persönlichkeitsbildende Eigen- schaft des Kampftrainings. Im Europa des 16. Jh.s war die persönlichkeitsentwi- ckelnde Bildung durch Fechtkunst den Menschen wohl bewusst. So entstanden die ersten Fechtschulen im mitteleuropäischen Raum, in denen die Söhne des höheren Bildungsbürgertums geschickt wurden um Sie nicht nur auf der Fechtbahn tauglich zu machen, sondern auch auf das Leben vorzubereiten (vgl. Rösener, 1589). Das Stabfechten Der Stab oder Stock war in der europäischen historischen Fechtgeschichte eine Vorübungswaffe. Vorübungswaffen, beschrieb man nicht in Fechtbüchern, sondern immer die Blankwaffe, um die es hauptsächlich ging; denn Bücher waren früher sehr teuer. Man kann sich also nur vorstellen, wie es war, wenn die Vorfahren mit dem Stab oder Stock ihre Einweisungen in die jeweilige Fechtkunst bekamen. Stabfechten basiert auf dem europäischen historischen Fechtspektrum. Die Grund- hiebe, der Stich und die Paraden sind der Huttonschen Methodik entnommen (vgl. Hutton, 1889). Die Sonderhiebe sind dem Fechten mit dem Langen Schwert 13.-15. Jh. (vgl. Danzig, 1452; Ringeck u.a., 1452; Fechtbuch, 1389; Meyer, 1600) ent- nommen sowie dem Rapier aus dem 16. Jh. (vgl. Capo Ferro, 1610). Der Stab wird im Angriff einhändig gehalten, die Parade wird in beiden Händen ausgeführt. Die anschaulichen Namen der Hiebe wie „Oberhau“, „Mittelhau“, „Unterhau“, entsprin- gen dem Langen Schwert ( vgl. Ringeck u.a., 1452). Zwei Bücher, die Zeugnis sind, wie die Fechtkunst zu militärischen Zwecken genutzt wurde, aber mit dem heutigen Stabfechten nichts gemein hat, wurden vom deutschen Kriegsministerium heraus- gebracht (vgl. K.B. Kriegsministerium, 1916 und Busch, 1916). In diesen Büchern geht es darum, mit mehreren Schritten zu beschleunigen, einen Ausfall zu machen und die ganze Energie mit dem Stab (1,60m) in einen Stoß auf eine Zielscheibe 186 SCHNEIDER : Stabfechten umzusetzen. Was als sportliche Disziplin und Wettkampf ausgetragen wurde, war Drill und Vorbereitung für die Grabenkämpfe des Ersten Weltkrieges. Abb. 1. Publikationen des K.B. Kriegsministeriums (1918) zum Stabfechten 2 Ziele und Schlaglinien des Stabfechtens Das Ideal besteht darin, die Aufmerksamkeit und Stabführung so einsetzen zu kön- nen, dass zu jedem Zeitpunkt das Richtige getan wird und man sich wie eine rol- lende Kugel durch den Raum fortbewegt. Dazu ist es erforderlich die Ziele zu ken- nen, die Stabführung mit klaren Schlaglinien, Führungslininen, Bewegungsabläufen und entsprechender Intensität zu beherrschen. Entscheidend ist, was ich mit dem Stab mache und wofür ich ihn einsetze. Gerade wenn man sich bewusst mit dem Stab darin auseinandersetzt, lernt man zu begreifen welche Kraft er hat. Jeder Stabfechter hat darin die Chance zu lernen die eigene Verantwortung zu tragen, und sich der Konsequenzen seines Handelns bewusst zu sein. Der Stab Die Stablänge beträgt 115cm und ist vom Sportsäbel abgeleitet. Die Länge des Stabes gibt die „Bewegungsgrammatik“ vor: die Bewegungsabläufe, die je nach Stablänge ausgeführt werden, um die Ziele, effektiv zu erreichen. Die Ziele sind die Körperteile des Gegners: Kopf, Schultern, Arme, Flanken, Beine, Füße, usw.. Wie ich den Stab halte, um an meine Ziele zu gelangen, hängt von der Stablänge ab. Ist der Stab lang, macht es Sinn ihn mit beiden Händen zu halten. Ist er kurz, wird er einhändig gehalten. Abb.2. Fechtstab im Stabfechten von 1,15m Länge dvs Band 000 © Edition Czwalina 187 Schlaglinien Schläge, auch Hiebe oder Haue genannt, werden im Stabfechten in drei geometri- schen Schlaglinien ausgeführt: die Senkrechte, die Waagerechte und die Diagona- le. Um den Stab auf das Ziel zu führen, braucht der Stabfechter ein Gefühl für die Fechtwaffe. Bei sicherer Stabführung in den Schlaglinien werden die Bewegungen fließend und dynamisch. Die Fechtwaffe wird zur Verlängerung des Armes. Stab und Fechter verschmelzen miteinander. Klare Hieb- und Stichlinien zeichnen sich förmlich mit der Stabspitze in die Luft, die im dreidimensionalen Raum eine Kugel bilden (vgl. Abb. 3). Abb.3. Positionen des Fechtsystems Stabfechten aus Hieb und Stich 188 SCHNEIDER : Stabfechten Führungslinien Es gibt zwölf hauptsächliche Führungslinien, die mit dem Stab ausgeführt werden: Zwei in der Senkrechten, zwei Diagonalen oben, zwei Diagonalen unten, sechs in der Waagerechten (vgl. Abb. 4). Abb.4. Hieb und Stich – Ziele und Schlaglinien der Fechtkunst Stabfechten Positionen Die Positionen sind die einzelnen Bewegungsabläufe der Hiebe und Haltungen der Paraden. Die Aneinanderreihung aller Grundhiebe und anschließend aller dazuge- hörigen Paraden ist ein „Postionendurchlauf“. Ein Positionendurchlauf dient mehre- ren Zwecken: Es dient zur Überprüfung der klaren Ausführung von Hieb, Stich und dvs Band 000 © Edition Czwalina 189 Paraden. Die Bewegungsabläufe werden in das Körpergedächtnis integriert, das Wissen um die Positionen dient der eigenen Sicherheit, es bringt Ruhe und Kon- zentration und ermöglicht Zentrierung. Die Positionendurchläufe werden gekoppelt mit der Beinarbeit, damit ein sicheres Stehen in jeder Position gewährleistet ist. Ein nächster Schritt für einen methodi- schen Aufbau zum Positionendurchlauf wäre, eine Gruppe in zwei Reihen aufzutei- len. Dazu macht die eine Reihe die Angriffe, die gegenüberliegende Reihe die Pa- raden. Die Positiondurchläufe haben eine feste Aneinanderreihung, die dem Auf- bau des Fechtsystems mit seinen Grundhieben, Stichen und Paraden gleich sind. Tab.1. Positionen – Grundhiebe und Stich in fester Reihenfolge 190 SCHNEIDER : Stabfechten Trefferzonen (Blößen) Man unterteilt auch vier verschiedene Zonen: Oben / Unten / Rechts / Links Jede Trefferzone (auch „Blöße“ genannt) kann aus verschiedenen Winkeln bedroht werden. Des Weiteren kann jede Blöße jeweils mit mehreren Aktionen verteidigt werden. Der Stabfechter versucht nicht, die Fechtwaffe zu sehen, sondern ständig