Je Rentre a La Maison (Vou Para Casa)
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Internationales Filmfestival Cannes 2001 – Wettbewerb JE RENTRE A LA MAISON (VOU PARA CASA) Ein Film von Manoel de Oliveira Mit Michel Piccoli, Catherine Deneuve, John Malkovich, Antoine Chappey Frankreich/Portugal 2001 – 86 Min. – Farbe – 35mm – Format 1: 1,66 – Dolby SR Verleih: Xenix Filmdistribution GmbH, Langstr. 64, 8026 Zürich; Tel 01-296 50 40; Fax 01-296 50 45 www.xenixfilm.ch; [email protected] Kinostart: 7. März 2002 Inhalt Gilbert Valence (Michel Piccoli) ist Theaterschauspieler. Dank seines Talents und seiner langen Karriere hat er Rollen gespielt, von denen jeder Schauspieler träumt. Nach einer bejubelten Theateraufführung wird er eines Abends von einem schweren Schicksalsschlag getroffen. Sein Agent und alter Freund George (Antoine Chappey) teilt ihm mit, dass seine Frau, seine Tochter und sein Schwiegersohn bei einem Autounfall getötet wurden. Die Zeit vergeht und das Leben kehrt zum Alltag zurück. Gilbert Valence teilt seine Zeit zwischen seinem Enkel Serge, den er liebt und dem Theater, das er nie aufge- geben hat. Später bietet ihm sein Agent die Hauptrolle in einem Fernsehfilm mit aktuellem Thema an: Drogen, Sex und Gewalt. Gilbert ist wütend: er hat nicht eine solch beeindruckende Karriere gemacht, um ein Rolle anzunehmen, die er verabscheut, nur um viel Geld zu verdienen. Am gleichen Tag schlägt ihm ein amerikanischer Regisseur (John Malkovich) eine Rolle in einer "Ulysses"-Adaption des berühmten Buches von James Joyce an, ein Angebot, das Gilbert mit Freude annimmt. Im Studio stehen Beleuchtung und Dekor bereit und der Regisseur möchte mit Gilbert proben. Doch Gilbert zögert, hat Gedächtnislücken, aber nichts ernstes: sie werden morgen weitermachen. Am nächsten Tag jedoch fühlt Gilbert wie ihm die Welt aus den Händen gleitet und wie ihm die Worte fehlen. Er kann sich nicht mehr an seinen Text erinnern. Ruhig meint er: "Ich geh' nach Hause..." Produktionsnotizen Manoel de Oliveira im Interview von Jacques Parsi Jacques Parsi: In der Art, wie sie Paris gefilmt haben, entstehen zwei Bilder: eines ist das Paris der Lichter, der Cafés, der teuren Geschäfte und das andere ist das Paris der Nacht, dunkel und bedrohlich. Warum haben Sie diese Wahl getroffen? Warum Paris? Manoel de Oliveira: Um Ihre zwei Fragen zu beantworten würde ich sagen, dass das erste Bild eine Skizze des heutigen Stadtlebens ist, wohingegen das zweite Bild das universale Zentrum der westlichen Kultur zeigt, das Paris ja ist. Teil der Globalisierung ist dieses Leuchten, diese Belohnung, aber dann ist da noch die andere Seite der dun- klen, drohenden Nächte, wie Sie sie nennen, mit ihren Drogen, ihren ethnischen, religiösen und politischen Konflikten, die weit verbreitet sind: in Osteuropa, im Mittleren Osten, in Afrika, Indonesien, ohne das zu erwähnen, was in Asien passiert oder mit den Indios in den Amerikas. Parsi: Man bekommt den Eindruck, dass der alte und berühmte Gilbert Valence eine negative Persönlichkeit ist: Er lehnt Sylvia ab, schlägt ein glänzendes Angebot aus... Rührt sein Verhalten aus seiner Erfahrung? Oder seinem Alter? Oder sind es seine moralischen Vorstellungen als er seinem Agenten gegenübersteht? de Oliveira: Ich denke, sein Verhalten ist das Ergebnis seiner Weisheit, die ihm das Alter gegeben hat. Ich glaube auch nicht, dass Moralvorstellungen jemals negativ waren. Aus der kommen Gebote wie "Du darfst nicht töten, steh- len, ausbeuten, diskriminieren, etc..." Das ist die Moral, wie sie auf dem Sockel der Bronzestatue der Place de la République geschrieben steht, die man sieht, wenn man den Rücken betrachtet: "Liberté, Egalité, Fraternité". Parsi: Gilbert möchte in dem Fernsehfilm nicht mitspielen, wegen der 'Sex -und Gewaltszenen'. Jedoch gibt es viele große Werke, die Gewalt enthalten. Und Joyces Roman "Ulysses" war jahrelang aufgrund seiner pornographischen Elemente verboten. Was erklärt Ihrer Meinung nach Gilbert Valences Einstellung zur Welt von heute? de Oliveira: Genau. Er respektiert die Moral, die der Charakter selbst ausdrückt. Egal ob als Schauspieler oder als Mann. Er glaubt wahrscheinlich, dass Ethik fundamental ist für menschliche Beziehungen. Aber ich sehe nicht, wo die großen Werke sein sollen, die sich auf Pornographie beschränken. Sex, diese Quelle jeglicher Pornographie ist ein entsetzliches Ding und dieser Abgrund pervertiert und reizt die tierischen Instinkte des Menschen. "Ulysses" von James Joyce hat Wert aus sich selbst heraus, nicht aufgrund der pornographischen Anspielungen, die nicht notwendig für den Inhalt sind, wie es auch nicht die psychologischen Definitionen sind, die er von einigen seiner Charaktere gibt. In beiden Fällen jedoch sind sie nicht viel mehr als Übungen sexueller Verführung. Im zwei- ten Fall sind sie niemals das, was der Autor von seinen Charakteren dachte, oder was er wollte, das wir dächten. Um zum ersten zurückzukehren, so könnte dies das überwältigende Bedürfnis des Erzählers selbst sein, seine Libido zu vertreiben. Hier können wir die Gründe für den persönlichen Drang des Autors finden, aus dem Kontext auszubrechen, Gründe, die ebenso für JE RENTRE A LA MAI- SON gelten wie für "Ulysses" von Joyce. Was wir in der heutigen schnellen und "modernen” Literatur vie- ler opportunistischer Autoren finden, ist Gewalt und Pornographie um ihrer selbst willen, als Stilmittel in einfallslosen Werken zu nutzen. Absicht ist, "modern” zu sein und sich gut zu verkaufen – was nichts mit dem zu tun hat, was Joyce geschrie- ben hat. Bei ihm verschieben sich die öffentlichen Dinge hin zum Privaten und sehr Intimen, ohne dass sie sich vermischen würden. Wohingegen im Fall des Kinos ein respektloser ebenso aggressiver wie genialer Regisseur – ich spreche von Buñuel – niemals den Sexualakt oder pornographische Szenen zeigte. Belange von intimer Natur, die andere, hemmungslosere Regisseure in ihrer Suche nach Publikum öffentlich machten, wie es insbesondere im Fernsehen der Fall ist. Die Gewalt in Buñuels Filmen jedoch ist viel kraftvoller, da Buñuel, so seltsam es auch scheinen mag, im Grunde ein schüchterner Mann war. Und seine Filme deuten mehr an als sie zeigen und diese Andeutungen sind oft, wenn nicht sogar stets, kraftvoller als die Handlung selber, was auch immer sie sein mag. Die Griechen hielten sich in ihren großen Tragödien zurück, Szenen abscheulicher Handlungen zu zeigen. "Töte dieses Kind, aber nicht auf der Bühne", sagten sie. Jedenfalls, das öffentlich zu zeigen, was in der Privatheit getan werden sollte, ist immer Zeichen für einen Mangel von Anstand. Heute jedoch sind die Barrieren heruntergerissen und Anstand gilt als veraltet. Das Publikum ist durch nichts zu schockieren – "anything goes". Parsi: Am Ende bleibt die Kamera nicht bei Gilbert, der verschwindet, sondern bei seinem Enkel, der bis dahin nur eine weniger wichtige Rolle spielte. Warum fokussierten Sie auf einmal auf ihn? de Oliveira: Weil der Enkel bis dahin nebensächlich war. Aber Kinder haben einen sechsten Sinn und sind emp- findsam für das Desaster. Er sieht in seinem Großvater ein Modell, das die große Weisheit und Stabiliät der Vergangenheit symbolisiert, aber vor seinen Augen zusammenbrach; eine Tragödie, die bewußt oder unbewußt, das Kind auf sich selbst überträgt. Es war nicht nur Zuneigung, die ihn dort zum Zeugen des Zusammenbruchs wer- den ließ, sondern die Vorahnung, dass die Verantwortung für das Leben nun auf ihn fallen wird, in der selben Weise, wie sein Großvater das Ende der Leiter erreicht hatte und dort besiegt und geschlagen verschwand. Ist das Leben nicht stets die Weitergabe des Stabs, sei es natürlich oder erlernt, gestohlen oder gewonnen? Manoel de Oliveira über seinen Film JE RENTRE A LA MAISON ist beinahe eine NICHT-Geschichte, so simpel ist das, was der Titel nahelegt. Der Film spielt im "märchenhaften” Paris am Anfang des Jahres 2000. Die Stadt der Lichter, Zentrum unserer komplexen westlichen Zivilisation, wo das Oberflächliche Vorrang über das Wesentliche zu gewinnen scheint. Es ist wie ein Spiel, das unschuldige oder verzogene Kinder spielen, in dessen Folge in der Welt von morgen ein pathetisches und unerwartetes sozioökologisches Werden steht, in der JE RENTRE A LA MAISON seine Bedeutung verloren hat. Aber nein, dies ist nicht die Geschichte. Obwohl die Handlung des Films fast zweigeteilt ist zwischen der Stadt und den Theaterstücken, so sollten wir doch den Film als Ganzes sehen. Es ist gewiss, dass wir es mit einem persönlichen Drama zu tun haben, das ein berühmter alter Schauspieler erlebt, der das unschuldige Opfer eines unerwar- teten Verrates wurde. Die ursprüngliche Idee mag übertrieben oder gar unpassend erscheinen, aber in Wahrheit muss ich zugeben, dass es genau das war, was mich gedrängt hat, solch eine einfache Geschichte zu schrei- ben. Regisseur MANOEL DE OLIVEIRA "Ist es nicht indiskret über Manoel-den-Geheimen-Oliveira zu schreiben? Über sein immenses Werk zu schreiben? Vielleicht ein Buch? Und seine Leben, wie ich sie mir vorstelle? So viele, so brilliant? Geheimnisse, die ich vermute, aber die ich nicht aufdecken würde. Schaut her, eine starke, energische Autorität. Schelmisch zu jeder Zeit. Mit den Augen eines Luchses, dem Schritt eines Athleten. Er weiss, wie man den Engel spielt und der Teufel ist. Gelächter, Scherze: Kräfte von unserer ewigen Kindheit. Ständig auf der Suche, stets ein Genießer. Ernsthaft, wissend, ele- gant, jemand, der Licht und Schatten sein kann. Das Geheimnis und Rätsel Oliveira, ich berühre sie, ich erlebe sie durch seine Anmut. Seelenverwandt. Die Bilder unserer gemeinsamen leidenschaftlichen Arbeit will ich in mir bewahren.