MCZ SPIXIANA 29 193-197 München, Ol. November 2006 ISSN 0341-835^JBRAR

JAN 1 2 HARVAF Zum 225. Geburtstag des Begründers der ZSM: UNIVERS Spix und der Aufbruch der Zoologie in die Moderne

Thomas Heinzeller

Heinzeller, T. 225"^ (2006): To celebrate the birthday of J. B. Ritter von Spix, founder of the ZSM: his role in the scientific controversies of his time. - Spixiana 29/3: 193-197

225 years ago, Johann Baptist Spix was born in Höchstadt/Aisch. He made rapid advances in zoology, and when he died in , after a life span of only 45 years, he had become no less than one of Europe's leading zoologists. Initially he was deeply influenced by F. W. SchelUng's natural philosophy. Some years later french empiricists like G. Cuvier brought him back down to earth. In a very Short period he compiled several important comprehensive studies, e.g. on the microarchitecture of seastars, sponges, leeches or on the formation of the cranium, he established the Munich Zoological Collections as a modern scientific Institution and, last but not least, he organized an extremely fruitful 3-year expedition to . During this voyage he contracted a chronic tropical disease which permitted him only a few years to elaborate the scientific Output of this travel. The fundamen- tal questions of his age - chronologically Spix worked in the period after C. v. Linne and before Ch. Darwin - were those of a natural System and of species" de- scent. Obviously these were also Spix" themes and it"s safe to say that he would have given meaningful answers to them if he had been allowed to work for a few more years than were begrudged to him.

Prof. Dr. T. Heinzeller, Anatomische Anstalt, Ludwig-Maximilians-Universität; e-mail: [email protected]

Die Vita von Johann Baptist Ritter von Spix (Abb. 1) in diese Unternehmung? Bei allem von Zeitgenossen wurde mehrfach dargestellt und gewürdigt (v.a. gelegentlich gerüffeltem Temperament - eines war Fittkau, u.a. 1981, 1995). In der allgemeinen Wahr- er sicher nicht, ein Abenteurer. Nein, seine Begeis- nehmung steht dabei die Expedition nach Brasilien terung bezog sich auf das Fach, es war Erkenntnis- 1817-1820 im Vordergrund (Tiefenbacher 1983). hunger, denn aus der erwarteten Materialfülle er- Deren reiche Ausbeute gab den Ausschlag dafür, hoffte sich Spix Aufschluß über zentrale Fragen der daß aus der naturkundlichen Sammlung der Aka- Zoologie. Spix war in Jahre gewaltiger Umbrüche demie der Wissenschaften ein weltweit konkurrenz- hinein geboren worden, für die Biologie bedeuteten fähiges Forschungsmuseum wurde. Und so trägt sie einen Aufbruch in die Moderne, um die Richtung das Periodikum der heutigen Zoologischen Staats- dieses Aufbruchs wurde heftig gestritten. sammlung München zu Recht Spix" Namen. Im Damit Spix nicht '"nur"" als Forschungsreisender Jahre 2006 gedenken wir seines 225. Geburtstages gesehen wird (die ungeheure Leistung dieser Expe- und 180. Todestages. dition, die er letztlich mit dem Leben bezahlte, bleibt Als Spix nach Brasilien aufbrach, war er 36 Jah- selbstverständlich sein herausragender Beitrag zur re alt und nach einer steilen Karriere bereits in Amt Zoologie), soll er hier auch einmal als aktiver Teil- und Würden: er war Dr. phil. und Dr. med., ordentli- nehmer an der zoologischen, philosophischen und ches Mitglied der Königlichen Akademie der Wis- gesellschaftlichen Debatte seiner Zeit, speziell der senschaften und Konservator der zoologisch-zooto- ersten beiden Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts, be- mischen Sammlung. Warum nimmt er die voraus- trachtet werden. Ausführlich und mit bester Doku- sehbaren Strapazen auf sich, ja stürzt sich begeistert mentation wurde dieser Aspekt des Zoologen Spix

193 I in einer exzellenten Studie von Bartkowski (1998) sterben, und daß es vor Erscheinen des Menschen dargestellt. ("präadamitisch") bereits eine belebte Vorwelt gege- Über Spix' Frühentwicklung ist außer reinen ben hat; bei den Ursachen der Artbildung (der Daten kaum etwas überliefert. Erst nachdem er "Ausarttmg") führt er "Degeneration" an und schließ- bereits das Philosophiestudium an der Universität lich "Clima, ... Nahrung und ... Lebensart". Aber als einer der besten Absolventen verlassen er ahnt, daß diese Einflüsse nicht ausreichen: "daher und 1801 zum Theologiestudium in das fürstbischöfli- dann freylich von gar mancherley Phänomenen der che Klerikalseminar zum Guten Hirten in Würzburg Ausartung keine bestimmte Ursache angegeben eingetreten war, schlägt in diesen bislang so gerad- werden kann". linigen Lebenslauf die Begegnung mit F. W. Schelling Das war zu Spix" Zeiten das kulturelle Haupt- (Abb. 1) wie ein Meteor ein, gibt ihm eine ganz thema Europas und es krempelte binnen hundert andere Richtung, hüllt aber auch auf Jahre hinaus Jahren die wissenschaftliche Welt nicht minder um sein Denken - und das einer ganzen Generation als es in der Physik Kopernikus getan hatte, und es deutscher Wissenschaftler - in die Wolken einer wirkte - wie bei dessen "Wende" geschehen - tief Schelling-spezifischen "Natur"-Philosophie. Vorsicht, in die Gesellschaft hinein. Den ersten Meilenstein Schelling hatte einen ganz eigenen Naturbegriff! setzte Carl von Linne, der mit der Einführung der Während die heutige Biologie unter Natur etwas heute noch gültigen binomialen Nomenklatur ("Spe- zeitabhängig Existierendes versteht, das durch em- cies Plantarum", 1753) den Verwandtschaftsgedan- pirische Untersuchung erfaßbar wird, ist Schellings ken verbindlich etablierte, auch wenn er explizit erst Naturbegriff zeitlos, absolut und nicht selbst-orga- 1764/65 von Michel Adanson formuliert wurde ("Les nisierend (Schlemm 1996). In seinem philosophi- familles des plantes"). Das zweite große Werk, mit schen Gebäude wirci ein Raum erdacht, in den sich dem die Kernfrage, nämlich die nach den Wirkkräf- die Phänomene der Natur einzupassen haben, Schel- ten der Evolution im Prinzip - wenn auch nicht in ling argumentiert uneingeschränkt deduktiv. Sein allen Details - beantwortet wurde, legte Charles Erstling, die "Ideen zu einer Philosophie der Natur" Darwin 1859 vor: "Origin of species". Spix mischt erschien 1797. 1803 wird er nach Würzburg berufen. sich zeitlich und konzeptionell genau in der Mitte Seine partiell pantheistischen Vorstellungen läuten zwischen Linne und Darwin in die Debatte ein. die Romantik ein und faszinieren den gerade gut Angestoßen wurde diese international geführte 20-jährigen Spix, versprechen sie doch eine wissen- Debatte durch die Philosophie der Aufklärung. schaftliche Erfassung der ganzen Welt (Autrum 1983: Aufgeklärte Herrscher wiederum ermöglichten die

". . . Schelling betonte . . . immer wieder, daß das erforderlichen wissenschaftlichen Anstrengungen. totum mundi, die Ganzheit der Welt, in ihren Einzel- Spix selbst kennzeichnet diese Jahre in einer Huldi-

". heiten erscheint und diese in die Einheit des totwu gungsadresse an den Grafen Montgelas so: . . zu mundi eingeordnet werden müßten"). Spix provoziert einer Zeit, wo Liebe zu den Wissenschaften . . . auf die Relegation vom Priesterseminar und wendet sich dem Throne sizt, die Akademien der Wissenschaften mit stürmischer Begeisterung dem Studium der . . . gegründet hat, und nun auch durch . . . Begüns-

Medizin zu, jenem Fach, das damals die Zoologie ein- tigung der naturgeschichtlichen Kabinette . . . dem schloß. 1806 promoviert er zum Doktor der Medizin. Genius der Naturwissenschaften . . . einen Tempel Freilich gerät Spix schon als Student in die me- erbauet ..." Großes Vorbild vieler Fürsten ist (vor- thodologische Zange zwischen Schellings dedukti- übergehend) Napoleon selbst, der z.B. eine 3 Vz -jäh- vem Vorgehen und der konträren, empirisch-induk- rige Expedition nach West-Australien unter Nicolas tiven Position. 1803 wurde nämlich an der Univer- Baudin anordnete, die 1804 mit reicher Ausbeute sität in Würzburg, damals eine der führenden in (allein 2542 bis dahin unbekannte Tierarten) zurück- Europa, ein weiterer Lehrstuhl neu besetzt, der für kehrte. Das Material wurde überwiegend im Mu- Anatomie und Physiologie, und zwar mit dem seum national d'histoire naturelle in Paris aufgear- kompromißlosen Empiriker Ignaz Döllinger. Ferner beitet, wo neben Jean Baptiste Lamarck vor allem dürfte Spix zoologische und naturgeschichtliche George Cuvier wirkte, und wohin vier Jahre später Vorlesungen "nach Blumenbach" gehört haben Spix zu einem ausgedehnten Forschungsaufenthalt (Bartkowski 1998). Und dieser Johann Friedrich reisen sollte. Blumenbach markiert mit seinen Einsichten und Cuvier (Abb. 1) begründete - nach Vorarbeiten Überlegungen recht genau den Erkenntnisstand, den von Buffon und anderen - die moderne Vergleichen- zumindest ein Teil der Naturforscher zu Beginn des de Anatomie, die später in der Auseinandersetzung 19. Jahrhunderts hatten. Er begründet in "Beyträge um den Evolutionsgedanken so viele Argumente zur Naturgeschichte" (1806), warum Arten verän- liefern würde, er selbst aber hielt die Arten für un- derlich sein müssen, er hält für zwingend erwiesen, veränderlich (im Gegensatz zu anderen, z.B. Blu- daß manche Arten neu entstehen und andere aus- menbach oder Lamarck) und erklärte den Unter-

194 Abb. 1. J. B. Spix (Mitte) im Spannungsfeld zwischen F. W. Schelling (links) und G. v. Cuvier (rechts). Auf dem Titelblatt und in der Vorrede zur "Geschichte und Beurtheilung aller Systeme ..." stellt Spix sich selbst und seine beiden großen Lehrer mit folgenden Worten vor:

"Schelling, welcher . . . die Philoso- "J. B. Spix, der Weltweisheit und Arz- "Cuvier, welcher der Zoologie, ja phie . . . der Natur wieder anheim- neikunde Doktor, der mathematisch- selbst der gesammten, Naturgeschich- gab, und . . . den unvergeßlichen physikalischen Klasse der Königl. te unserer Zeit durch die Bearbeitung Rath ertheilte: mich ... an das offe- Baier. Academie der Wissenschaften der vergleichenden Anatomie eine ne Buch der Natur selbst zu halten, in München Adjunkt und Conservator ganz neue Richtung gab." und so in Allem die Erfahrung zu der zoologisch-zootomischen Samm- meiner Gefährtin zu machen." lungen".

schied zwischen fossiler und rezenter Fauna niit In München berief König Max I. Joseph zur Belebung einer - aus heutiger Sicht unhaltbaren - Katastro- seiner Akademie der Wissenschaften Schelling. phentheorie. Dessen Einfluß - und wahrscheinlich auch der des Lamarck, der als Systematiker Großartiges ge- Anatomen und Physiologen Soemmering - bewirk- leistet hat, insbesondere bei der Einteilung der te, daß Spix als wissenschaftlicher Angestellter an Wirbellosen, hatte bereits erkannt, daß es eine Evo- die zoologisch-zootomische Sammlung nach Mün- lution geben muß, hatte sich nur bei der Frage nach chen geholt und - nach eingehender Eignungsprü- ihrer Triebkraft allzu spekulativ festgelegt, bekannt- fung - zur Erweiterung seiner zoologischen Fähig- lich auf die Forderung nach der Vererbung erwor- keiten mit gut dotiertem Stipendium an den Ort der bener Eigenschaften. biologischen Welt-Spitzenforschung, nach Paris Anders als für heutige Biologen, die unter einem geschickt wurde. Dort arbeitet er im Labor von natürlichen System in erster Linie ein phylogeneti- George Cuvier morphologisch und physiologisch sches System verstehen und in der Klassifikation - in einem gewissen Sinn sogar elektrophysiologisch der Rezenten einerseits und in der zeitlichen Abfol- - an Aktinien und Seesternen, die damals auf Grund ge von Arten andererseits nur zwei unterschiedliche ihrer Rotationssymmetrie noch in einer systemati- Projektionen ein und desselben Phänomens sehen, schen Gruppe zusammengefaßt waren, während wir wurden diese beiden Aspekte seinerzeit gerade erst sie heute als zwei weit voneinander getrennte Taxa miteinander in Verbindung gebracht. Deutliches betrachten. 1809 erscheinen diese Untersuchungen Zeichen hierfür ist, daß sich bereits viele um die in den Annales d'histoire naturelle. In Paris hört er Integration fossiler Fakten in das System bemühten. Vorlesungen von Cuvier, Lamarck und Geoffroy Mit seiner ersten großen Buch-Veröffentlichung von Saint Hilaire.

181 1 belegt Spix sein mächtiges Interesse am Aufbau Nach weiteren Forschungsaufenthalten an der eines natürlichen Systems. Darin vergleicht, würdigt Atlantikküste, in Italien und der Schweiz kehrt Spix und kritisiert er alle biologischen Systeme von Aris- nach München zurück und publiziert bald darauf toteles bis in seine Zeit. das erwähnte umfangreiche, sehr detaillierte Kom- Aber zunächst einmal hatte er sich nach Abschluß pendium der systematischen Ordnung der belebten seiner Studien in Bamberg als Arzt niedergelassen. Welt mit dem Titel "Geschichte und Beurteilung

195 aller Systeme der Zoologie von Aristoteles bis auf Gedankenaustausch mit Schelling. Seine Biographie unsere Zeit". Er beginnt also seine eigene Arbeit mit führte ihn zwar von Würzburg zunächst einmal nach einem gründlichen Literaturstudium, um zu sehen, Göttingen und Jena, wo er u.a. physiologische und was hat die Wissenschaft zu dieser Frage schon naturphilosophische Vorlesungen hielt, und erst 1821 gedacht, wo lagen die Fehler, was hat sich bewährt. nach München. Aber die Verbindung zu Spix bestand Dabei unterscheidet er sehr genau zwischen Ent- wohl während all dieser Jahre. Oken hatte nun in würfen zu "künstlichen Systemen" und dem ange- der Jenenser Antrittsvorlesung seine Wirbeltheorie strebten "natürlichen". Künstlich nennt er (wie an- des Schädels vorgestellt (wir würden statt von Theo- dere vor und mit ihm) jeden Entwvirf, bei dem die rie eher von Hypothese sprechen). Der Gedanke, Vielfalt auf Grund eines einzigen Kriteriums dicho- den Schädel von drei Wirbeln abzuleiten, muß in tom geteilt wird, z.B. in Tiere mit und ohne Blut. der Luft gelegen sein - Goethe sprach ihn schon 1790 Das Ideal, ein in seinem Sinne "natürliches" System aus (und stritt sich dann mit Oken um die Priorität) hingegen bezieht alle (realistischerweise möglichst - aber der Gedanke war noch nicht gründlich mit viele) relevanten Merkmale ein. In der das Buch vergleichend anatomischen Tatsachen konfrontiert abschließencien Sentenz äußert er sich zuversichtlich worden. Diesem Mangel hilft nun Spix ab durch über die Integrierbarkeit fossiler Formen in ein höchst akkurate Untersuchungen an 102 verschie- Rezentensystem: "Allein auch diese Denkinäler der denen Tierschädeln, gezeichnet aus verschiedenen alten Geschichte werden, jemehr die Schichten un- Blickwinkeln, sowohl ganz als auch in Teilen, ja er seres Erdplaneten und ihre gesetzmäßige Aufeinan- bezieht schließlich auch Wirbellose, speziell Arthro- derfolge durch das geologische Studium ausgemit- poden mit ein. Am hohen Wert dieser Materialsamm- telt ist, noch ganz entziffert werden, und sie werden lung und -dokumentation bemißt sich die Wertschät- darthun, daß auch in dem fossilen Vorkommen der zung, die das Buch weithin findet. Sogar Goethe, Thiere vom Zoophyten im ältesten Flötzgebirge an der mit Spix" Schlußfolgerungen nicht einverstanden bis zu Katzen, Hunden, Bären in verschütteten ist, würdigt es als Prachtband. Bei manchen stoßen Höhlen, den Schichten der Erde parallel die nämli- aber ciie inhaltlichen Aussagen der Cephalogenesis che Stuffenfolge herrscht, als diese göttliche archi- auf starke Ablehnung. Insbesondere Soenimering tektonische Kunst der Natur durch vergleichende moniert, daß in der Cephalogenesis "Genesis" weder Anatomie und Zoologie an den noch lebenden Tie- ontogenetische noch phylogenetische Entstehung ren hergestellt werden kann." bedeutet, sondern die jeweils art-spezifische kon- Daß die Schaffung eines natürlichen Systems krete Ausformung einer einheitlichen Idee. Die In- einen umfassenden Einblick in die weltweite Arten- terpretation des Materials erfolgt rein naturphiloso- vielfalt voraussetzt, ist ihm klar. Daß die vorhande- phisch, die realen Befunde werden im Lichte einer nen Bestände der Münchner Sammlung dazu viel vorgegebenen Idee betrachtet. Andererseits zeigt zu lückenhaft sind, ist ihm, nachdem er die Samm- aber Spix" Arbeit eine solch akribische Bemühung lung in Paris kennengelernt hat, erst recht klar. Das um die empirischen Fakten, daß man das Werk auch mag einer der Gründe sein, warum er schon früh so interpretieren kann: eine n-pr/or/-Idee wird als Pläne entwickelt, durch eine eigene große For- heuristisches Prinzip in Dienst gestellt. Freilich be- schungsreise mit exotischem Ziel diesem Münchner hält Spix wesentliche Vorgaben der Schelling-Oken"- Mangel abzuhelfen. schen Philosophie bei und arbeitet sie konsequent

Aber vorerst ist eine große Expedition nicht fi- durch. Neben der Wirbelhypothese des Schädels ist nanzierbar. Deshalb bemüht er sich, dem zugängli- das vor allem das so genannte Vervollkommnungs- chen Material das Optimale abzugewinnen. Er prinzip. Schließlich erliegt Spix sogar der Faszination vertieft sich "zootomisch" in die Strukturen des der Zahlenmystik eines dreigliedrigen Typus der Blutegels, er vergleicht die Primaten der Alten Welt Welt / des Körpers / des Schädels, eine Mystik, die mit denen der Neuen und befaßt sich mit den Fos- bei Oken regelrecht religiöse Züge trägt: "Das Wesen silien der Solnhofener Plattenkalke. Schließlich des Alls besteht in der Dreiheit, welche Einheit ist, realisiert er ein Mammutwerk zum Thema der Ce- und in der Einheit, welche Dreiheit ist" (zitiert nach phalisation und deren Erkennbarkeit aus dem Bau Bartkowski S. 303). der Schädel, die "Cephalogenesis" von 1815. Diese 1817 endlich, als Spix schon ein anerkannter Arbeit spiegelt einerseits unverkennbar die Einflüs- Forscher war, der mit den größten Koryphäen seiner se Cuviers wieder, zeigt aber andererseits noch Zeit in Gedankenaustausch stand, bot sich überra- einmal sehr deutlich Spix" Befangenheit in der Na- schend die Gelegenheit zur großen Brasilienreise. turphilosophie Schellings und besonders in der von Bekanntlich bringen Spix und Martins von die- . ser Reise höchst wertvolles zoologisches, botani- Oken war während Spix' Würzburger Jahre sches, ethnologisches und geographisches Material Mitarbeiter von Döllinger und gleichzeitig in regem in bestem Zustand nach München. Allein der unge-

196 heure Umfang des Materials belegt die Arbeitswut seiner Zeit. Die Zoologische Staatssammlung Mün- und Selbstaufopferung der beiden. Spix trägt eine chen kann auf diesen Gründungsvater stolz sein. zehrende fiebrige Tropenkrankheit (E. J. Fittkau Als er am 13. Mai 1826 stirbt, erfüllt sich an ihm vermutet eine Trypanosomiasis, die Chagas-Krank- auf tragische Weise jenes Cicero-Wort, das er seinem heit) in sich, von der er sich nicht mehr erholen wird. großen Werk über den Vergleich aller früheren In stark geschwächtem Zustand verbleiben ihm noch Versuche einer zoologischen Systemfindung zuver- knapp 5 Lebensjahre, um das Material zu versorgen, sichtlich vorangestellt hatte: zu sichten, zu ordnen, zu beschreiben und zu publi- "aggredior non tarn perficiendi spe, zieren, vor allem aber, um jene Informationen her- quam experiendi voluptate" auszudestillieren, die dieses Material zu den Fragen nach dem natürlichen System und zur Herkunft der Ich gehe es an - Artenvielfalt hätte ihm an die Hand geben können. nicht so sehr in der Hoffnung auf Vollendung Ein anderer berühmter Forscher, der ebenfalls als um der Lust an der Erfahrung willen. mit gewaltiger Ausbeute von einer berühmten Rei- se in die Tropen zurückgekehrt war, benötigte 20 Jahre zur Bearbeitung seines Materials und schreibt Literatur darüber: "Nach meiner Rückkehr . . . begann ich mein erstes Notizbuch für Tatsachen in Bezug auf Adanson, M. 1763/64. Les familles de plantes. - Paris. den Ursprung der Arten, worüber ich lange nach- Autrum, H. 1967. Jean Baptiste de Lamarck und Charles gedacht hatte, und hörte während der nächsten 20 Darwin. - In: Der Natur die Zunge lösen - Leben Jahre nicht auf, daran zu arbeiten." Soweit Charles und Leistung großer Forscher. Hrsg. W. Gerlach. - Ehrenwirt 109-121 Darwin (zitiert nach Autrum 1967). Spix, der 18 München: — 1 983. Ritter von Spix, der Münchner Zoologe. Hrsg. Jahre früher vor einem vergleichbaren Materialberg E. Eittkau. - Spixiana, Suppl. 9: 19-21 saß, fehlte die nötige Zeit. Hätte er vielleicht vor J. Bartkowski, B. 1998. Das Tierreich als Organismus bei Darwin die entscheidenden Einsichten gewonnen? Johann Baptist von Spix (1781-1826). Seine Ausein- Wäre er zum Vater der modernen Evolutionsfor- andersetzung mit der Mannigfaltigkeit im Tier- schung geworden? reich: Das "natürliche"" System. - Peter Lang, Eu-

Das weiß selbstverständlich niemand. Auch rop. Verlag der Wiss., Frankfurt et al. sich die auf, die durch drängt Frage ob ihm Prägung Blumenbach, J. E. 1806. Beyträge zur Naturgeschichte. die Naturphilosophie Schellings den Blickwinkel - Göttingen, bey Heinrich Dieterich nicht doch zu sehr eingeengt hatte. Es gibt gute Darwin, C. R. 1859. On the origin of species by means Hinweise, daß er sich davon freizumachen verstand; of natural selection, ort he proservation of favoured - immerhin definiert er schon 1811 die Aufgaben des races in the struggle for life. London Eittkau, E. ]. 1981. Münchens erster Zoologe, Johann Philosophen und des Naturforschers ganz unter- Baptist Ritter von Spix, 1781-1826. - Jb. Bayer. ". schiedlich: . . (sie) sollen ganz gesondert den Weg Akad. Wiss. München: 57-60 ihrer Forschungen gehen; dieser soll rein und ge- — 1995. Johann Baptist Ritter von Spix. - In: Rundge- wissenhaft beobachten und experimentieren, dann spräche der Kommission für Ökologie, Bd. 10 - die, aus der Menge ähnlicher Fakten aus der Ana- "Tropenforschung"". - München: 29-38 - logie sich ergebenden Schlüsse ziehen; jener aber Linne, C. v. 1753. Species plantarum. - Stockholm soll die Beobachtungen des Naturforschers über das Schlemm, A. 1996. Schelling und der Entwicklungs- Physische und Psychische in Saft und Blut verwan- gedanke. In: Annettes Philosophenstübchen © deln, und indem er die zu Grunde liegenden Geset- 1996/98 - http://www.thur.de/philo/as224.htm 1809. servir ä Lhistoire ze als solche, gleichsam als das Ideal der Natur, Spix, J. B. Memoire pour de Kunst und Wissenschaft, aus der concreten Welt Lasterie rouge, asterias nibens, Linn.; de Lactinie

coriacee, actinia coreacea, Cuv. ; et de Valcyon exos. heraushebt, das Allgemeine (a priori) in dem Beson- - Ann. Mus. Hist. nat. Paris 13: 438-459 deren {a posteriori) nachweisend bekräftigen, und so — 1811. Geschichte und Beurtheilung aller Systeme in die Philosophie selbst als eine blos beschauliche der Zoologie nach ihrer Entwicklungsfolge von Beobachtung der Natur darthun" (Spix 1811). H. Aristoteles bis auf die gegenwärtige Zeit. - Nürn- Autrum, ein profunder Kenner der Zoologie ebenso berg wie der Wissenschaftsgeschichte, nimmt an, "Spix — 1815. Cephalogenesis sive Capitis Ossei Structura,

. . . wäre wohl in der Lage gewesen, beides, Philo- Formatio et Significatio per omnes Animalium - sophie und konkrete Forschung, in ausgewogener Classes . . . derivatae. Typis Erancisci Seraphici Weise zu verbinden" (Autrum 1983). Aber diesem Hübschmanni, Monachii: 11 u. 72 pp. B. stürmischen Wissenschaftlerleben war die Vollen- Tiefenbacher, L. 1983. Die Brasilienexpedition von J. dung nicht vergönnt. Dennoch war Johann Baptist v. Spix und C. F. Ph. v. Martius in den Jahren 1817 bis 1820. Ein Abriß. - Spixiana Suppl. 9: 35-42 Ritter von Spix einer der ganz großen Biologen

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