LÄNDERBERICHT Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.

AUSLANDSBÜRO POLEN MAXIMILIAN HEDRICH DR. CHRISTIAN SCHMITZ www.kas.pl „Sieben auf einen Streich“ www.kas.de PREMIERMINISTER TUSK RÜSTET SICH FÜR DIE ZWEITE HÄLFTE SEINER

Dezember 2013 AMTSZEIT

Mit einer großen Kabinettsumbildung ist ungeschickt handelnden Regierungschefs, Polens Premierminister in die der mit allen Mitteln versucht, seine Macht zweite Hälfte der Legislaturperiode ge- über die nächsten zwei Jahre zu retten. startet: Gleich sieben Kabinettsmitglieder Obendrein ist das Verhältnis zwischen den wurden ausgetauscht und durch neue Ge- Koalitionsparteien PO und der Bauernpartei sichter ersetzt. Doch ob daraus frischer PSL ramponiert. Premierminister Donald Wind entsteht, der die Bürgerplattform PO Tusk hatte seinen kleinen Partner mit der aus dem Umfragetief trägt, bleibt noch Entscheidung für eine Kabinettsumbildung abzuwarten. buchstäblich überrollt. Zwar wurde kein Mi- nisterium der PSL angerührt, aber das Al- Zustimmung für die Regierung auf Re- leinhandeln des Regierungschefs hat nun zu kordtief einer Vertrauenskrise der Koalitionspartner geführt. Eine Kabinettsumbildung zur Mitte der Le- gislaturperiode ist in Polen durchaus üblich, Der Grund für Tusks Handeln, so sind sich doch dass auf einen Schlag gleich sieben praktisch alle Beobachter einig, liegt in den Minister ausgetauscht werden, ist auch in miserablen Umfragewerten der regierenden Polen ungewöhnlich. Premierminister Do- konservativ-liberalen Bürgerplattform PO. nald Tusk hatte eine mögliche Umbildung Die Partei verliert seit Jahresbeginn deutlich zur Hälfte der Legislaturperiode schon vor an Boden und liegt derzeit bei ca. 19 Pro- geraumer Zeit in Aussicht gestellt, daher zent und somit deutlich hinter der größten reagierten die Öffentlichkeit sowie die Medi- Oppositionspartei Recht und Gerechtigkeit en wenig überrascht. PiS von Jarosław Kaczyński (ca. 29 Pro- zent). Von der vor Jahresfrist schon tot ge- Donald Tusk selber hatte stets betont, dass sagten sozialdemokratischen Oppositions- ein Ministeramt nicht an der Dauer einer partei SDL trennen die PO laut neuesten Legislaturperiode, sondern an der Leistung Umfragen nur noch 4 Prozentpunkte. der einzelnen Person gemessen werde. Un- vergesslich ist sein Vergleich von Ministern Der Zeitpunkt der Kabinettsumbildung fiel mit Stoßdämpfern, die ausgewechselt wer- mit der weltweit beobachteten Klimakonfe- den müssen, wenn sie beschädigt sind und renz COP-19 zusammen. Die Tatsache, dass das Auto nicht mehr ausreichend schützen auch der Umweltminister könnten. In der Nachbetrachtung kann man von seinem Amt abberufen wurde, stieß in sagen, dass die ausgetauschten Minister diplomatischen Kreisen auf Unverständnis, keine spürbaren Akzente gesetzt haben und da traditionell der Umweltminister des der polnischen Öffentlichkeit so gut wie Gastgeberlandes den Vorsitz des Gipfels be- nicht bekannt waren. Nach ersten Einschät- kleidet. Schon im Vorfeld des Großereignis- zungen ist der erhoffte frische Wind durch ses war Polen für sein Veranstaltungsma- den Neustart jedoch ausgeblieben, stattdes- nagement kritisiert worden. Als beinahe zy- sen verfestigt sich in den Medien und bei nisch empfanden die internationalen Dele- den polnischen Beobachtern das Bild eines gationen den Erhalt einer offiziellen, vorab

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Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. per E-Mail gesendeten Warnung bezüglich künftige Ausrichtung der Bürgerplattform des Eröffnungstages, der mit dem polni- statt, die inzwischen sogar zu Parteiaustrit- AUSLANDSBÜRO POLEN schen Unabhängigkeitstag, dem 11. No- ten von ehemaligen Parteigrößen führten. MAXIMILIAN HEDRICH vember, zusammenfiel. In den zwei vorhe- Der ehemalige Justizminister Jarosław Go- DR. CHRISTIAN SCHMITZ rigen Jahren war es jeweils zu heftigen Aus- win ist das prominenteste Beispiel. Gowin schreitungen zwischen rechtspopulistischen galt zuvor parteiintern als einer der größten www.kas.pl und nationalistischen Gruppen mit der Poli- Kritiker des Premierministers. Höhepunkt www.kas.de zei gekommen. Auch in diesem Jahr ver- des Streits war die Wahl des Parteivorsit- wandelte sich das Zentrum Warschaus in zenden im Herbst des Jahres, bei der Ja- Dezember 2013 einen Gewaltherd. rosław Gowin den Premier in einer Urwahl herausgefordert hatte und beachtliche

Die PO erlebt Lagerkämpfe und eine Iden- 20,4% der Stimmen auf sich vereinigen titätskrise konnte. Das Ergebnis spiegelte deutlich die Uneinigkeit innerhalb der Partei wider, die Diese Form von Fehlmanagement fügt sich eine dauerhafte Identitätskrise erlebt. Es nahtlos in die aktuelle Lage der regierenden fehlt der PO an einer klaren politischen Aus- Bürgerplattform ein. Das Jahr 2013 ist für richtung, an gefestigten Parteistrukturen die PO alles andere als positiv verlaufen. So sowie einer starken Parteibasis. musste sich die Partei in einigen lokalen Re- ferenden der Vertrauensfrage durch die Jarosław Gowin will nunmehr eine neue Par- Bürger stellen. Das Referendum über den tei gründen, die ein Zusammenschluss sei- Verbleib der Stadtpräsidentin (Bürgermeis- ner Bewegung mit der Partei PJN des Euro- terin) von Warschau, Hanna Gronkiewicz- paabgeordneten Pawel Kował sein wird, ein Waltz, zog hierbei medial die größte Auf- neuer wirtschaftsliberaler Gegner für die merksamkeit auf sich. Zwar wurde sie im regierende Bürgerplattform. Amt bestätigt, allerdings nur aufgrund des nicht erreichten Quorums. Die Bürger, die Neue und alte Gesichter im Kabinett wählen gingen, stimmten mit über 90% für die Abwahl Gronkiewicz-Waltz. Das Refe- Zu den wichtigsten Neubesetzungen in Do- rendum war von der PiS maßgeblich voran- nald Tusks Kabinett zählt der neue Finanz- getrieben und als eine Art direkte Abstim- minister Dr. , der den bis- mung über die Regierung Tusk hochstilisiert herigen Minister und Vizepremier Jacek worden. Heftig kritisiert wurde der Aufruf Rostowski ablöst. Der international angese- des Premierministers, nicht wählen zu ge- hende Finanzexperte Rostowski hatte die hen, um somit das nötige Quorum nicht zu beiden wichtigen Ämter immerhin ganze erreichen. sechs Jahre lang bekleidet. Nur der Premi- erminister selbst und der Außenminister Weiteren Anlass für Unruhen innerhalb der Radosław Sikorski können auf eine derartig Partei boten die Wahlen zu den regionalen lange Karriere in ihren Ämtern zurückbli- PO-Parteichefs, den sogenannten „Baro- cken. Eine Kursänderung bei der Politik zur nen“. Für großen Wirbel sorgte hierbei die Euro-Einführung ist durch den personellen Wahl in Niederschlesien. Dort setzte sich Austausch, angesichts des massiven Wider- der EU-Abgeordnete Jacek Protasiewicz ge- stands innerhalb der Bevölkerung, jedoch gen den einflussreichen Parteivize Grzegorz nicht vorstellbar. Experten rechnen weiter- Schetyna durch. Das Protasiewicz-Lager hin frühestens für das Jahr 2018 mit der wurde direkt im Anschluss an die Ergebnis- Währungsumstellung. verkündung mit dem Vorwurf des Stimmen- kaufs konfrontiert. Die zuständige Staats- Die dem Kabinett bereits angehörende und anwaltschaft in Legnica hat das Verfahren nun neue Ministerin für Regionalentwick- jedoch inzwischen eingestellt. lung, Transport und Bauwesen im Range der stellvertretenden Premierministerin, Gerade diese Wahl hatte eines der aktuell Elżbieta Bieńkowska, gilt als neuer Stern größten Probleme der PO aufgezeigt. Zu- der PO. Sie wird als „Superministerin“ die nehmend finden Lagerkämpfe über die zu- große Aufgabe haben, die erst kürzlich zu-

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Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. gesicherten EU-Fördermittel in Höhe von schon jetzt beschädigte Verhältnis zwischen 400 Milliarden PLN (circa 106 Milliarden Eu- der Politik und den Wählern wieder zu stär- AUSLANDSBÜRO POLEN ro) für den Zeitraum 2014-2020 konstruktiv ken und zu verbessern gelänge nur durch MAXIMILIAN HEDRICH zu verwalten, da ihr Ministerium über die das Einhalten von höchsten moralischen DR. CHRISTIAN SCHMITZ Schlüsselressorts für ein zukünftig wirt- Standards. Mit seiner Äußerung spielte der schaftlich starkes Polen verfügt. Polen habe Regierungschef auf die aktuellen Korrupti- www.kas.pl die große Chance, diese Mittel für das Wohl onsvorwürfe gegen Mitglieder seiner eige- www.kas.de der Bürger einzusetzen, so die designierte nen Partei an. Jedes Parteimitglied, das ge- Ministerin Bieńkowska. gen das bestehende Recht handle, müsse Dezember 2013 mit rechtlichen Konsequenzen rechnen und In der Vergangenheit war Polen stark im fände auf Wahllisten der PO keine Berück-

Einsatz von EU-Mitteln, aber schwach im sichtigung mehr, so der Premier. Schaffen von eigenen Ressourcen. So ist die Verkehrsinfrastruktur immer noch in einem Der Parteitag verabschiedete ebenfalls eine beklagenswürdigen Zustand und spürbare lang angekündigte Satzungsänderung, die Besserungen sind nur sehr langsam festzu- von nun an vorschreibt, dass der Parteivor- stellen. Politische Beobachter kritisieren sitzende, aber auch die Regional- und schon seit längerem, dass die Regierung Kreisvorsitzenden, durch eine Direktwahl ihre Politik fast ausschließlich auf die EU- der Parteimitglieder bestimmt werden. Eine Fördermittel stützt, dringend notwendige weitere Neuheit ist der Posten des Parteidis- Reformen, wie zum Beispiel im Bereich der ziplinbeauftragten, den es fortan auch auf Renten, dem Gesundheitswesen oder eben regionaler Ebene geben wird. Eine seiner der Infrastrukturmodernisierung nicht ent- Aufgabe ist die Bekämpfung der Korruption scheidend genug umsetzt. innerhalb der PO.

PO-Partei als Neustart? Der Parteitag der PO hat gezeigt, dass die Wiederherstellung des innerparteilichen Die große „Regierungsrekonstruktion“ (re- Friedens und der verloren gegangenen Sta- konstrukcja rządu) sollte der PO helfen, ih- bilität für Donald Tusk an oberster Stelle ren Sturzflug zu bremsen und die Partei mit steht. Sein Ziel wird sein, zukünftige Skan- Blick auf die anstehenden Europa- und Re- dale schon im Vorfeld zu verhindern. Ein gionalwahlen im nächsten Frühjahr und wichtiger Schritt, um die Vorwürfe gegen Herbst neu zu beleben. Doch die personelle Stimmenkauf und Unregelmäßigkeiten bei Neuaufstellung lieferte in den ersten Wo- der Parteimitgliedschaft zu entkräften, ist chen noch nicht den erhofften Befreiungs- die Änderung der Mitgliedschaftsbeitrags- schlag. Dies konnte auch der direkt folgen- zahlungen. Diese müssen in Zukunft vom de Parteitag der PO unter dem Motto „Wir persönlichen Konto des Mitglieds überwie- haben einen Plan für Polen“ nicht ändern. Es sen werden – eine direkte Reaktion auf die galt, die neuen Ministerinnen und Minister Korruptionsvorwürfe der letzten Wochen. der Öffentlichkeit vorzustellen und die aktu- elle Roadmap der Tusk-Regierung zu prä- Mit Volksnähe zur alten neuen Stärke sentieren. Während des Parteitages erläu- terte Premierminister Tusk außerdem die Trotz aller Initiative, die der Premierminister weiteren politischen Prioritäten der Regie- Donald Tusk in den letzten Wochen zu zei- rung für die zweite Hälfte seiner Amtszeit. gen bemüht war, sind Zweifel angebracht, Als wichtigste Themen benannte er die Ar- ob eine derart drastische Kabinettsumbil- beitsmarktsituation, die Frage nach Min- dung zwei Jahre vor den Wahlen einen posi- destlöhnen, das Demografieproblem bzw. tiven Effekt auf die sehr schlechten Umfra- die Familienpolitik und die überfällige infra- gewerte der Bürgerplattform haben wird. strukturelle Modernisierung der Gemeinden, Zum Jahresende 2013 zeigt sich vielmehr, Ortschaften und Städte. Der Premierminis- dass der Premierminister keine glückliche ter hob hervor, dass all dies nur durch ge- Hand mehr zu haben scheint. Nicht nur sei- genseitiges Vertrauen zwischen den Bürgern ne Partei, die Bürgerplattform, sondern und der Regierung realisierbar sei. Das auch die persönlichen Umfragewerte Donald

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Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. Tusks belegen, wie ernst die Lage für die Regierung ist. Im Oktober 2013 waren nur AUSLANDSBÜRO POLEN 25 Prozent der polnischen Bevölkerung mit MAXIMILIAN HEDRICH der Arbeit des Premierministers zufrieden. DR. CHRISTIAN SCHMITZ Dabei kann die Regierung in den letzten zwei Jahren durchaus Erfolge vorweisen: www.kas.pl Der deutliche Wahlsieg von 2011, der zum www.kas.de ersten Mal seit 1989 eine Regierung im Amt bestätigte; die Durchsetzung wichtiger Dezember 2013 Schritte der notwendigen Rentenreform; eine oft gelobte EU-Ratspräsidentschaft und

die sehr erfolgreiche Austragung der Fuß- balleuropameisterschaft 2012, mit der erste entscheidende Schritte bei der Infrastruk- turmodernisierung einhergingen. Die Regie- rung vermag es allerdings bis heute nicht, diese Erfolge richtig zu kommunizieren. Vielmehr existiert keinerlei Kommunikation zwischen den Regierenden und der Bevölke- rung, was dazu führt, dass der Premiermi- nister und seine Minister als abgehoben und unnahbar gelten.

Nach erstem Ermessen hat auch die jüngste Kabinettsumbildung hieran nichts geändert. Mit vielleicht einer personellen Ausnahme, die schon jetzt die Oppositionspartei PiS zu- nehmend beunruhigt: Die neue stellvertre- tende Premierministerin Elżbieta Bieńkows- ka wurde schon kurz nach Bekanntgabe der Umstrukturierung heftigst aus PiS-Kreisen kritisiert. Das heißt, man respektiert und fürchtet die Newcomerin. Elżbieta Bieńkowska galt im Kabinett Tusk schon vorher als eine der tüchtigsten und belieb- testen Ministerinnen. Mit ihrer Berufung zur „Superministerin“ und stellvertretenden Premierministerin ist nun eine volksnahe Mutter von zwei Kindern die neue rechte Hand von Donald Tusk. Ihre enorme Popula- rität und sympathische Bodenständigkeit könnten nicht nur auf den Premierminister, sondern vielleicht sogar auf die ganze Bür- gerplattform abfärben. Es bleibt zu hoffen, dass Donald Tusk mit dieser personellen Rochade seine glückliche Hand im Regie- rungsgeschäft wiedergefunden hat.

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Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. Die sieben neuen Gesichter der Tusk- Die sieben ehemaligen Kabinettsmit- Regierung: glieder: AUSLANDSBÜRO POLEN MAXIMILIAN HEDRICH Elżbieta Bieńkowska (Regionalentwick- (Vizepremier und DR. CHRISTIAN SCHMITZ lung) ist im Kabinett von Donald Tusk be- Finanzminister) reits seit November 2007 Ministerin für Re- www.kas.pl gionalentwicklung und ist im Zuge der Kabi- (Sport und Tourismus) www.kas.de nettsumbildung zur stellvertretenden Minis- terpräsidentin aufgerückt. Krystyna Maria Szumilas (Bildung) Dezember 2013

Joanna Kluzik-Rostkowska (Bildung) Marcin Korolec (Umwelt)

hat lange als Journalistin gearbeitet, bevor sie 2007 erstmals als Abgeordnete im Michał Jan Boni (Verwaltung und Digitali- saß. Von August bis November 2007 war sie sierung) außerdem Ministerin für Arbeit und Sozial- politik. (Hochschulbildung und Forschung) Dr. Mateusz Szczurek (Finanzen) ist studierter Wirtschaftswissenschaftler und Sławomir Nowak (Transport, Infrastruktur war vor der Übernahme des Ministeramtes und Fischerei) hauptsächlich in der freien Wirtschaft tätig.

Maciej Grabowski (Umwelt) hat ebenfalls Wirtschaftswissenschaften studiert und war unter anderem als Universitätsdozent tätig, bevor er ab 2008 Staatssekretär im Fi- nanzministerium wurde.

Dr. Rafał Trzaskowski (Verwaltung und Digitalisierung) hat Staatswissenschaften studiert und war bis 2009 Berater der Dele- gation der Bürgerplattform im Europäischen Parlament, danach wurde er selbst Abge- ordneter des Europäischen Parlaments und übte dieses Mandat bis zu seiner Ernennung zum Minister aus.

Andrzej Biernat (Sport) war lange Zeit Grundschullehrer, bevor er 2005 zum ersten Mal Abgeordneter im Sejm war. In seiner dritten Legislaturperiode ist er nun erstmals zum Minister berufen worden.

Prof. Lena Kolarska-Bobińska (Wissen- schaft) war für verschiedene Politiker als Beraterin tätig, bevor sie 2009 als Abgeord- nete ins Europäische Parlament einzog. Sie gilt als Verfechterin eines föderalen Euro- pas.