Franz Caspar Und Die Reichsversicherungsordnung Von Prof
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In: Die Sozialgerichtsbarkeit. Wiesbaden : Chmielorz, 22 (1975), Heft 13, S. 522-530 Franz Caspar und die Reichsversicherungsordnung Von Prof. Dr. Florian Tennstedt, Kassel Die Reformdiskussion bewirkte, daß am 30. April 1903 der Reichstag in einer um die SozialversicheSozialversiche vom Zentrum eingebrachten Resolution die Reichsregie rung in Deutschland ist rung ersuchte, "in Erwägungen darüber einzutreten, ob fast so alt wie diese nicht die drei Versicherungsarten zum Zwecke der Ver selbst. Dabei ist es in einfachung und Verbilligung in eine organische Verbin- teressant zu sehen, daß anfänglich vor allem or 1)') Auf die Reformdiskussion selbst kann hier nicht eingegan ganisatorische Fragen gen werden, vgl.vgI. hierzu die etwas ausführlichen Angaben bei Kleeis, Fr.: Die Geschichte der sozialen Versicherung in diskutiert wurdeni).wurden!). Deutschland, Berlin 1928, 164 ff. Die einzelnen Reformvor Schon 1895 wurde auf schläge lassen sich leicht ermitteln mit Hilfe der in meiner Zusammenstellung "Quellen zur Geschichte der Sozialver der "Novemberkonfe sicherung" (Zeitschrift für Sozialreform, 1975, 225 ff.) angege renz" im Reichsamt des benen bibliographischen Literatur. Der vorliegende Aufsatz beansprucht in keiner Weise, eine "Geschichte der Reichsver InnernTnnern über die Zweck sicherungsordnung" zu sein, er hat lediglich die Aufgabe, auf mäßigkeit und Durch einigee~nige heute kaum bekannte und schwer ermittelbare "Hin tergrundaspekte", vor allem in personeller Hinsicht, auf führbarkeit einer orga merksam zu machen. Im Hinblick auf die inflationären Wür• nisatorischen Zusam digungen der "Epigonen" dürftedUrfte es legitim sein, einmal auf die "Väter" zu verweisen. Zur sozialgeschichtlichen Einschät• menlegung der verschie zung vgl. meinen demnächst erscheinenden GrundrißGrundriß:: Sozial denen Zweige der Arbei geschichte der Sozialversicherung, in: Ferber, C. v. u. a. 2 (Hrsg.): Handbuch der Sozialmedizin, Bd. 3, Stuttgart 1976. terversicherung beraten2). Die damals diskutierten Verein 2)') vgl.vgI. Bödiker, T.: Vereinfachung der Arbeiterversicherung, fachungs- und VereinheitlichungspläneVereinheitlichungsplälle wurden aber von Deutsche Revue, 18981398 (November), Rosin, H.: Die Bestrebun der Reichsregierung abgelehnt. Daraufhin erfolgte eine gen zur Vereinfachung der deutschen Arbeiterversicherung, Zeitschrift für die gesamte Versicherungswissenschaft, 1909, ausgedehnte "private" Reformdiskussion, die wohl mit 197. SGb. 13/75 Zur Information 523 dung zu bringen und die bisherigen Arbeiterversiche 1867 Promotion, 1867-1870 Referendar am Stadtgericht Bres lau, 1871-1873 Tätigkeit bei der Regierung in Posen, 1873 rungsgesetze in einem einzigen Gesetze zu vereinigen Landrat Kreis wongrowitz/Bromberg, 1877 Landrat Kreis seien"3). Daraufhin kam die Reformbewegung mehr und Kroeben (Rawitsch)/Posen, 1882-1885 freikonservatives Mit glied des preußischen Abgeordnetenhauses, 1885-1893 Landes mehr in Fluß, sie wurde nicht zuletzt von den Versiche hauptmann der Provinz Posen, Mitglied der evangelischen rungsträgern und ihren Verbänden selbst vorangetrie Generalsynode des Königreiches Preußen, 1893 staatssekretär des Reichsschatzamtes, Kaiserlicher wirklicher Geheimer Rat, ben. Am 2. März 1905 stellte der Staatssekretär des In 1897-1907 preußischer Staatsminister, Staatssekretär des In nern (in dieser Funktion praktisch auch "Reichsarbeits nern, allg. Stellvertreter des Reichskanzlers. Als Bülow den 4 konservativ-liberalen Block gegen das Zentrum bildete, mit minister") Graf von Posadowsky-Wehner ) im Reichstag dem Posadowsky im Reichstag besonders zusammengearbeitet fest: "Wenn wir heute res integra hätten, würde doch hatte, mußte Posadowsky zurücktreten, er zog sich auf seine kein vernünftiger Mensch, glaube ich, eine besondere Or Domherrenpfünde in Naumhllr~ zuriic!r, 1915 -1927 war er stellventertender Landrat in Elbing, 1912 ließ er sich als Par ganisation der Krankenversicherung, eine besondere Or teiloser in den Reichstag wählen, wo er sich 1916 der Deut ganisation der Unfallversicherung und eine besondere schen Fraktion anschloß. 1919/1920 gehörte er der Weimarer Nationalversammlung als Deutschnationaler an (Fraktions Organisation der Alters- und Invalidenversicherung vorsitzender der DNVP). Nach dem Ende der Inflation ver schaffen. Unfall, Krankheit und Invalidität sind doch trat er in der Aufwertungsfrage die Forderungen der geschä• digten Sparer im Sparerbund für das Deutsche Reich, dessen drei, ich möchte sagen, physiologische Zustände, die mit politisches Instrument, die Reichspartei für Volksrecht und einander in ihren Ursachen und Wirkungen eng zusam Aufwertung (Volksrechtspartei) machte ihn zum Ehrenvor sitzenden und wählte ihn in den preußischen Landtag (1928 menhängen. Das sogenannte System unserer sozialpoli 1932). In seine Amtszeit als Staatssekretär des Innern fallen tischen Gesetzgebung ist lediglich ein Erzeugnis chrono die großen Reformen alTf sozial-, wirtschafts- und handels politischem Gebiet: Novellen zur Kranken-, Unfall- und Inva logischer Entwicklung'(5). lidenverischerung, zum Hilfskassen-Gesetz, zum Gesetz betr. An die von ihm angedeutete "große Reform" wurde aber Beaufsichtigung der privaten Versicherung-Unternehmungen, die Seemannsverordnung, Gesetz betr. Mißbrauch der Kinder doch nicht "mutig herangetreten", wohl vor allem des arbeit, betr. Errichtung billiger Wohnungen für mittlere und halb, weil dann den weitgehend von "umstürzlerischen" Unterbeamten des Reichs, betr. Kaufmannsgerichte, Vertre tung der neuen Handelsbeiträge usw. Posadowsky war, auf Sozialdemokraten "beherrschten" Ortskrankenkassen ei grund der Funktionenfülle des Reichsamt des Innern prak ne dominierende Rolle als "örtlicher Unterbau" hätte tisch der amtliche Träger der Sozial-, Handels- und Wirt 6 schaftspolitik. Seine Hauptbedeutung liegt aber auf dem Ge eingeräumt werden müssen ). Jedenfalls gab der "Loko biet der Sozialpolitik: als er das Reichsamt des Innern üher• motivführer der deutschen Sozialpolitik", Graf von Posa nahm, herrschte in der amtlichen Sozialpolitik eine gewisse Verdrossenheit aufgrund des starken Anwachsens der sozia dowsky-Wehner, ein Signal, das dann durch "eine Reihe listischen Stimmen im Reichstag, die Widerstände aus dem zum Teil etwas geräuschvoller Bremser aufgenommen Bergbau und Eisenindustrie dagegen waren stark. Aus kon worden ist" (H. Rosin). Am 11. April 1907 hielt er es für servativer Gesinnung heraus brachte er aber, ähnlich wie an fangs Bismarck, die Sozialpolitik wieder voran, um die Ar sehr falsch, bürokratisch-schematisch große, selbstbe beiterschaft in den Staat zu integrieren: "Ich stehe auf dem wußte Korporationen, große Krankenkassen, Berufsge Standpunkte, wenn die besitzenden Klassen mit Erfolg den Kampf gegen die Sozialdemokratie führen wollen, dann. wer nossenschaften mit eigenem Vermögen in einen Topf zu den sie auch zu manchen Opfern bereit sein und jetzt mehr werfen7). Jede Reform müsse beim Krankenkassenwesen denn je darauf achten müssen, die arbeitenden Klassen ge recht zu behandeln". Von dort erklärt sich seine "antisozial beginnen. Am 16. April 1907 bezeichnete er die Verein demokratische Sozialpolitik", die er als ,.Ringen um die heitlichung als eine Aufgabe, "die, wenn sie überhaupt Seele der Arbeiter" kennzeichnete und die die Emanzipa tionsansprüche des Sozialismus negierte. Im einzelnen zeigte zu lösen ist, in absehbarer Zeit nicht gelöst werden kann sie so vordergründige Diskrepanzen: einerseits eifriger Aus und sprach sich gegen einen großen bureaukratischen bau der Arbeiterversichprlln~ gegen grnßil1dustrielle Wider 8 stände, andererseits verteidigte er geschickt die Zuchthaus Organismus" aus ). vorlage und die Entrechtung der Gewerkschaften und drückte Unmittelbar nach dem Sturz von Posadowsky-Wehner die Lebenshaltun~ dpr Arhpitpl"srhichtel1 rlurch die neue Zoll politik, die er geschickt meisterte, herunter; einerseits orga am 22. Juni 1907 berichtete der bayerische Gesandte in nisierte der den Kampf gegen die verheerende Tuberkulose, Berlin, Hugo Graf von und zu Lerchenfeld-Köfering am andererseits sah er es kühl mit an, wie die zur Mitarbeit bereiten Krankenkassen in Preußen von seinen nachgeordne 1. Juli 1907 an den bayerischen Ministerpräsidenten, ten Behörden wegen der dabeI notwendigen; recht beschei Klemens Freiherr von Podewils-Dürnitz u. a.: "Herr von denen Geldaufwendungen schikaniert wurden; auf die Ta 9 gungen der Berufsgenossenschaften und Landesversicherungs Bethmann ) wird danach im Einverständnis mit dem anstalten sandte er seine Räte, für die Krankenkassenkon Reichskanzler wohl vorsichtiger auf dem Gebiete der gresse hatte er niemals etwas anderes übrig, als das stereo type Ersuchen, ein Tagungsprotokoll einzusehen, da die Räte Sozialpolitik vorgehen. Er findet auf diesem Gebiete ei unabkömmlich seien. 1907 widerrief der "Graf im Barte", daß nen noch unfertigen Entwurf für eine Reform und die er unter der einhelligen Zustimmung des Reichstages 1905 die große, vereinheitlichende Reform der Arbeiterversiche Zusammenfassung der einzelnen Versicherungsgesetze rung als erstrebenswertes Ziel angekündigt hatte. Obwohl vor. Bei dieser wird, wie mir Fürst Bülow gesagt hat, ein scharfmacherisches Gros Posadowskys wegen seiner So das Hauptgewicht auf die Reform der Krankenversiche zialpolitik zu Fall bringen wollte, stürzte er erst über Bülows sublimer Idee von dpr konsenmtiv-liher;'\len Paarung - hier rung zu legen sein in dem Sinne, daß die Krankenkassen war er zu konservativ