LWL-Museum für Kunst und Kultur Westfälisches Landesmuseum

Das Kunstwerk des Monats März 2018

Zeitschrift „ – Illustriertes Familienblatt“ : Keil [anfangs], erschienen 1853–1937 (als „Die neue Gartenlaube“ bis 1944) Zeitungsdruck H. 32,0 cm, B. 24,0 cm, D. ca. 5,0 cm (Bandmaß) Bibl.-Sign. A 2434 grafischen Themen sowie Aufsätze aus Medizin und Naturwissenschaften sollten gleichzeitig unterrichten und unterhalten. Damit wurde ein Gegengewicht ge- schaffen zu den moralisch-belehrenden Publikationen, den elitären wissenschaftlichen Fachzeitschriften und den reinen Literaturblättern, die bereits um 1850 auf dem Markt waren. Als wesentliches Gestaltungselement der neuen Zeitschrift finden sich durchgängig Illustratio- nen – nicht nur zur Veranschaulichung von Fakten in den wissenschaftlichen, sondern auch zur Gliederung in den literarischen Texten.

Die Aufsätze und Berichte in der Gartenlaube sind ein Abbild der die Zeit bewegenden Fragen. In regelmä- ßig wiederkehrenden Rubriken konnte die Leserschaft Abb. 1: Die Gartenlaube, Jg. 1853, Heft 1 ihre jeweils interessierenden Themen und Inhalte leicht wiederfinden. Der Wissensdurst der damaligen Gesell- „An unsere Freunde und Leser! Grüß Euch Gott, liebe schaft nach Naturwissenschaften und Technik wurde Leute im deutschen Lande! Zu den vielen Geschenken, unter Überschriften wie „Weltverbesserer“ oder „Fort- die Euch der heilige Christ bescheert hat, kommen auch schritte des Gewerbs- und Maschinenwesens“ befrie- wir mit einer Gabe – mit einem neuen Blättchen! Seht’s digt, es gab Rubriken wie „Rechtsfragen des Alltags- Euch an in ruhiger Stunde. […] Ein Blatt soll’s werden lebens“ oder „Bilder aus der deutschen Geschichte“. für’s Haus und für die Familie, ein Buch für Groß und Themengebiete wie „Das gehört sich nicht“, „Des Hau- Klein, für Jeden, dem ein warmes Herz an den Rippen ses Zier“ oder „Mode“ waren wohl eher für die weibliche pocht, der noch Lust hat am Guten und Edlen! […] So Leserschaft gedacht. Im Nachklang der Ideale von 1848 wollen wir Euch unterhalten und unterhaltend beleh- wurde die Gartenlaube zudem zu einem maßgeblichen ren. Ueber das Ganze aber soll der Hauch der Poesie Sprachrohr und Förderer der national-patriotischen schweben wie der Duft auf der blühenden Blume, und Turn-, Gesangs- und Schützenvereine. es soll Euch anheimeln in unsrer Gartenlaube, in der Ihr gut-deutsche Gemüthlichkeit findet, die zu Herzen spricht. So probirt’s denn mit uns und damit Gott be- fohlen!“

Mit diesem Vorwort zur ersten Ausgabe 1853 charakteri- sierten der Leipziger Verleger Ernst Keil (1816–1878) und sein damaliger Redakteur Ferdinand Stolle (1806–1872) das Konzept einer neuen Zeitschrift, die ein einzigarti- ger Erfolg werden sollte. Der Titel Die Gartenlaube stand symbolisch für Zielgruppe und Ausrichtung der Zeit- Abb. 2: Die Gartenlaube, Jg. 1902, Heft 1 schrift. Assoziationen wie „biedermeierlich“ und „gute alte Zeit“ waren gewollt – was Anfang des 20. Jahrhun- Besonders erfolgreich und über Jahrzehnte nahezu in derts und aus heutiger Sicht dazu führte, die Garten- jedem Heft vertreten waren zwei Aufsatzzyklen von Prof. laube eher mit Begriffen wie Kitsch und Sentimentalität Karl Ernst Bock (1809–1874): „Vom Baue des mensch­ zu verbinden. Die Zeitschrift war und ist aber durch ihr lichen Körpers“ und „Gesundheitsregeln“. Die Methode, revue-artiges Konzept und ihren langen Erscheinungs- erst die Organe des Menschen in ihrem Normalzustand­ zeitraum von nahezu hundert Jahren (1853–1944) eine zu beschreiben und dann ihre Erkrankungen und deren literarische und vor allem kulturgeschichtliche Quel- Bekämpfung zu besprechen, war die Grundidee zu le ersten Ranges. Ihr phänomenaler Verbreitungsgrad allen Aufklärungs- und Ratgeberpublikationen, die man besonders in den 1870er Jahren und ihr großer Bekannt- bis heute kennt. Im Bereich Zoologie wurde ein früher heitsgrad bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts machten Mitarbeiter der Zeitschrift berühmt: Alfred Brehm die Gartenlaube gleichsam zum Ausgangspunkt der (1829–1884) schilderte in seinen Beiträgen Reiseerleb- Entwicklung aller deutschen Illustrierten und Boulevard- nisse und Beobachtungen aus der Tierwelt – Vorarbei- blätter bis hin zu Stern oder Bild der Frau und Gala. ten für das große Illustrierte Thierleben, das bis heute mit seinem Namen verbunden ist. Zusammen mit den Das erklärte Ziel des Verlegers war eine Volkszeitschrift in jeder Nummer enthaltenen Abhandlungen über geo- für das breite Publikum mit literarischem, populär- grafische, chemische, physikalische und andere natur- wissenschaftlichem und allgemein-bildendem Inhalt. wissenschaftliche Themen bildete die Gartenlaube an- Beiträge zu historischen, volkskundlichen und ethno- gesichts der Vielseitigkeit ihrer Themen eine Art frühe „Volkshochschule“. Mit dieser Ausrichtung blieb auch Gartenlaube jedoch als eigenständige Zeitschrift heraus genügend Raum für Konkurrenzprojekte anderer Ten- und verbreitete sich sehr schnell. Offensichtlich traf das denz, wie die bewusst als christliche Gegengründung zu Konzept nach den politischen Wirren der Jahre 1848/49 verstehende, seit 1864 im Bielefelder Verlag Velhagen eine gesellschaftliche Stimmung. & Klasing erschienene Daheim oder Westermann’s Mo- natshefte, die zu einem deutlich höheren Preis höheren Zeitschriften für ein Massenpublikum waren eine deut- Leseransprüchen genügen wollten. Viel Raum nahm in sche Übernahme aus dem Ausland. In England war der Gartenlaube immer der literarische Teil ein. Obwohl von der Society for the Diffusion of Useful Knowledge Politik ausdrücklich kein Thema sein sollte, boten No- ab 1832 das Penny-Magazine herausgegeben worden. vellen, Romane, Gedichte und deren Rezensionen dem Dieses setzte sich für die Verbreitung wissenschaftli- Verleger und Chefredakteur Ernst Keil die Möglichkeit, cher und technischer Erkenntnisse ein. Bereits 1833 national-liberales Gedankengut und seine persönlichen wurde das deutsche Pendant Pfennig-Magazin der Ge- politischen Überzeugungen in unterhaltsamer Verklei- sellschaft zur Verbreitung gemeinnütziger Kenntnisse in dung zu veröffentlichen. Leipzig herausgebracht – ab November 1834 übernahm es der Verlag Brockhaus. Wirtschaftlich denkend, ver- wertete Brockhaus die Magazinbeiträge gleich mehr- fach, z. B. in verschiedenen Auflagen seiner bereits seit 1808 erscheinenden Enzyklopädie.

Die Tendenz des Verlegers Ernst Keil, unpolitisch zu veröffentlichen und doch den politischen Zeitgeist zu treffen, hatte großen Anteil am Erfolg der Gartenlau- be. 1876 betrug die Auflagenhöhe der wöchentlichen Ausgabe mehr als 380.000 Exemplare. Die Anzahl der Leser war dabei sicherlich um ein Vielfaches höher. Mit den Mehrpersonenhaushalten der Zeit, den Lesezirkeln sowie den entstehenden Leihbüchereien und öffent­ lichen Lesehallen erreichte die Gartenlaube nach Schät- zungen fünf Millionen Leser. Für ihre Verbreitung bis in die letzten Winkel des neuen Deutschen Reiches sorgte auch die Möglichkeit eines postalischen Abon- nements.

Über ein Vierteljahrhundert, bis zu seinem Tod 1878, war Ernst Keil nicht nur Verleger, sondern auch Chefredak- teur der wie er national-liberal ausgerichteten Garten- laube. Nach 1883 verkaufte Keils Witwe den Verlag an die Gebr. Kröner in . Bewährte Themen blieben im Programm, wurden aber nach der national-konserva- Abb. 3: Die Gartenlaube, Jg. 1902, Heft 1 tiven Gesinnung des neuen Chefredakteurs Adolf Krö- ner (1836–1911) neu ausgerichtet. Um 1900 betrug die Ernst Keil hatte nach einer Buchhandelslehre in , Auflage noch etwa 100.000 Exemplare. 1904 integrierte bei der er als Lehrling noch Goethe (1749–1832) ken- August Scherl (1849–1921) die Gartenlaube in seinen nengelernt hatte, seit den 1830er Jahren an verschie- Berliner Verlagskonzern und vollendete die Umwand- denen Zeitschriftenprojekten mitgewirkt und 1845 in lung vom Familienblatt zur modernen Illustrierten. Der Leipzig einen eigenen Verlag gegründet. Wegen seiner populärwissenschaftliche Teil ging zurück, der Unterhal- zahlreichen, oft satirischen Verlagspublikationen mit so tungsanteil wuchs. Konkurrenzblätter wie Vom Fels zum sprechenden Namen wie Leuchtthurm – ein wichtiges Meer und Die weite Welt wurden mit der Gartenlaube Organ des demokratischen Liberalismus –, Reichsbrem- vereint, um den Abonnementenstamm zu konzentrieren se, Spitzkugeln oder Wespen war er wiederholt mit den und auf veränderte Leserinteressen zu reagieren. Mit Zensurbehörden in Konflikt geraten. So wurde Keil 1852 dem Verkauf des August-Scherl-Verlages 1916 an den wegen eines Zensurvergehens zu einer neunmonatigen Hugenberg-Konzern begann das Ende. Fotoreportagen Gefängnisstrafe verurteilt. Im Gefängnis arbeitete er und simple Ratgeberaufsätze, wenig anspruchsvolle den Plan zu einer neuen, unpolitischen Zeitschrift aus. Fortsetzungsromane sowie ein umfangreicher Beila- Die Gartenlaube erschien zuerst als Beilage zu einer gen- und Werbeteil bestimmten nun die Illustrierte, die gemäßigt humoristisch-politischen Zeitschrift namens in allen Bereichen seit 1933 auch von der nationalso­ Illustrirter Dorfbarbier, die Keil bereits 1851 übernom- zialistischen Propaganda durchsetzt war. 1937 betrug men hatte. Schon mit dem zweiten Wochenheft kam die die Auflage nur noch 80.000 Exemplare. Nach ihrer Umbenennung im selben Jahr in Die neue Gartenlaube erschien sie noch bis 1944.

Garant für den Erfolg der frühen Gartenlaube waren vor allem die Novellen und Fortsetzungsromane. Die Novel- le als junge literarische Gattung ging einher mit der Ent- stehung der Massenpresse. Die Profession „Schriftstel- ler“ entstand durch den großen Bedarf der Zeitungen und Zeitschriften an kurzer Prosa. Beispielhaft für eine solche Erwerbsbiografie ist die von Levin Schücking (1814–1883), einem Freund Annette von Droste-Hüls- hoffs (1797–1848), der für die Gartenlaube als Novel- list tätig war und Literaturrezensionen verfasste. Das LWL-Museum für Kunst und Kultur ist im Besitz seiner Privatbibliothek und privater Archivalien. Als Hauptauf- gabe der Redaktion der Gartenlaube betrachtete Ernst Keil „die für ein deutsches Volks- und Familienblatt ge- botene Auswahl“ unter den Romanen und Novellen. Dankbar war Keil bis an sein Lebensende für den mäch- tigen Aufschwung, den sein Blatt gerade von 1865 an durch die Romane E. Marlitts genommen hatte. Friede- rike Henriette Christiane Eugenie John (1825–1887), die unter dem Pseudonym E. Marlitt publizierte, war eine ehemalige Sängerin und dann langjährige Gesellschaf- terin der Fürstin von Schwarzburg-Sondershausen. Das Happy-End ihrer typischen Erzählungen – meist durch Abb. 4: Die Gartenlaube, Jg. 1912, Heft 36 Heirat zwischen der tugendhaften Bürgerlichen und dem geläuterten hochmütigen Adligen – entsprach dem zeit- genössischen Wunsch nach Überwindung von Klassen- schranken und der optimistischen Zukunftserwartung. Fortsetzungen. Damit schuf sie ein bis heute verwende- Die Charaktere und Handlungsabläufe ihrer Romane, tes Grundkonzept für alle Herz/Schmerz-Romane und vor allem in den antiaristokratischen, antifranzösischen -Fernsehserien – sie war sozusagen die „Rosamunde und antiklerikalen Ausprägungen, spiegelten die zeitge- Pilcher“ des 19. Jahrhunderts. nössischen Tendenzen, wie sie auch allgemein in der Gartenlaube verbreitet wurden. Keil brachte jeweils den Die Popularität der frühen Familienblätter gründete sich Vorabdruck von Marlitts Werken als Fortsetzungen in auch auf den großen Abbildungsteil. Folgerichtig waren seiner Zeitschrift heraus: Goldelse (1866), Das Geheim- die Zeitschriften, die sie in ihrem Erfolg ab den 1890er nis der alten Mamsell (1867), Reichsgräfin Gisela (1869) Jahren ablösen sollten, echte Illustrierte. Als erstes Blatt usw. Die kompletten Romane erschienen in Buchform dieser Gattung gilt die Illustrirte Zeitung aus dem Verlag dann ca. zwei Jahre später in der Romanbibliothek sei- Weber in Leipzig (1843–1944). Jedoch waren die Gat- nes Verlages. E. Marlitt als „Starautorin“ der frühen Gar- tungsgrenzen fließend. Die Bezeichnung „Massen-Illus- tenlaube war die erste Schriftstellerin, deren Werke den trierte“ und würdige Nachfolgerin der Gartenlaube ver- meisten Kriterien noch heutiger Trivialliteratur genügten: diente erst die Berliner Illustrierte Zeitung (1891–1945). Wunschwelt, stereotype Charaktere, mehr oder minder gleiche Handlungsräume und -abläufe, Cliffhanger für Martin Zangl

Literatur

Stöber, Rudolf: Deutsche Pressegeschichte. Von den Anfän- Fotos: LWL-Museum für Kunst und Kultur, Münster / Anne Neier gen bis zur Gegenwart, Konstanz/München 32014 Druck: Druckerei Kettler GmbH, Bönen Wilke, Jürgen: Grundzüge der Medien- und Kommunikations- geschichte, Köln/Weimar/Wien 22008 © 2018 Landschaftsverband Westfalen-Lippe, LWL-Museum für Kunst und Kultur / Westfälisches Landesmuseum, Münster Rosenstrauch, Hazel: Zum Beispiel „Die Gartenlaube“, in: Rucktäschel, Annamaria (Hg): Trivialliteratur, München 1976, S. 169–189

Zimmermann, Magdalene (Hg.): Die Gartenlaube als Dokument ihrer Zeit, München 1967