Loving the alien:

Der Verwandlungskünstler des Glamrock und die Dekonstruktion der Gendervorstellungen

von Dirk Frank 1 Udias volese laccus moluptatus, cum dolorat eos nus aut ea et de delibuscit, quosapi endellab invera doluptur? Cabor aut mintore scimiliquos autent aperror ecatemquae dolorerro corro et quibus aspis es et officides et harchil et iscil inctet plab incia cullam inihic tore velite

Der Anfang 2016 gestorbene habe immer genau das Gegenteil versucht.« (zit. David Bowie hat wohl wie kaum ein n. Lachner, David Bowie, S. 166) anderer Künstler die Popmusik Bowie begnügt sich nicht damit, ein einmal etabliertes Image zu bedienen und damit die als Gesamtkunstwerk verstanden und sie Erwartungen seines Publikums zu erfüllen, wie textlich, musikalisch und visuell mit viele seiner Generationsgenossen. Frisur, Klei­ dem Neuen und Fremden­ konfrontiert. dung, Bühnenoutfit, aber auch die Covergestal­ tung, kurzum: Sein komplettes visuelles Image ie unterschiedlichen Farben seiner Augen war ihm wichtig. Der Musiktheoretiker und galten vielen Betrachtern bereits als physi­ Komponist Thomas Krämer schreibt zuspitzend, Dsche Manifestation seiner Andersartigkeit. das sei der eigentliche Kern seiner künstleri­ Dabei hatte diese Besonderheit eine vergleichs­ schen Existenz gewesen – die Musik werde quasi weise banale Ursache: Nach einer Schulhof­ drum herum konstruiert (Krämer, S. 187). prügelei mit seinem Freund George Underwood Der am 8. Januar 1947 im Londoner Arbei­ 1 Der Verwandlungskünstler (der später unter anderem das Cover des Bowie- terstadtteil Brixton geborene David Robert und seine Alben: Auf dem Albums Aladdin Sane entwirft) im Alter von Jones wächst relativ behütet auf, wenngleich in Album »Diamond Dogs« (1974) posiert Bowie als Mensch- 15 Jahren bleibt die Pupille seines linken Auges seiner Familie einige Fälle von psychischen Hund-Zwitter. Die Zeichnung starr und dunkel. »Traumatische Mydriasis« Krankheiten zu verzeichnen sind. Bowies älte­ des Belgischen Künstlers Guy nennt die Medizin dieses Phänomen, das im rer Bruder Terence wird in eine psychiatrische Peellaert zeigte ursprünglich Falle Bowies natürlich nicht wie eine Verlet­ Anstalt eingewiesen und nimmt sich später das auch die Genitalien des Wesens, wurde dann jedoch zung, sondern wie eine willentlich herbeige­ Leben. Der junge David gilt als Außenseiter, übermalt. führte Verkünstlichung wirkte. Bowie gilt in der kann sich aber durchaus in Schlägereien zur Pop- und Rockgeschichte als »Chamäleon«, als Wehr setzen. Die Familie zieht Anfang der Verwandlungskünstler. Den Begriff mochte er 1950er Jahre ins bürgerlichere Bromley, der selber nicht, da er das Tier als eines sah, das sich Junge genießt den bescheidenen Reichtum mit seiner Tarnung versteckt: »Ich glaube, ich einer britischen Mittelklasse-Familie, die sich

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Literatur immerhin einen Fernseher leisten kann – eine extraterrestrischen Lebensformen – in den wichtige Inspirationsquelle für den neugierigen 1950er und 1960er Jahren nicht zuletzt wegen 1 Diederich Diederichsen, Über Pop-Musik, Jungen. Auf der Schule gilt David nicht als des Wettrennens der beiden Weltmächte zum Köln 2014. besonders talentiert. Aber prägend für seine Mond ein beliebtes Sujet. ist bereits spätere Karriere ist, wie bei vielen Musikern der sprachlich Stanley Kubricks einflussreichem 2 Thomas Krämer, Androgynie, Alterität und britischen Popmusik, der Besuch einer Art Film Space Odyssey nachgebildet und erzählt Alienität im britischen Glam School: Auf der Bromley Technical High School eine »Weltraumkuriosität«: Der Protagonist Major zwischen 1970–74, hat er neben Musik- auch Kunst- und Design­ Tom gleitet mutterseelenallein durch das Welt­ Münster 2014. unterricht, lernt kennen, mit all, die irritierenden Funksignale der »Ground 3 Harry Lachner, David Bowie, dem er auch zusammen Musik macht. Sein Control« von der Erde, dass der Kontakt abzu­ in: Reclam Rock-Klassiker, ­breites Interesse auch an Theater, Bildender brechen droht, scheinen ihn aber nicht zu inte­ hrsg. von Peter Kemper, Stuttgart 2003, S. 167–187. Kunst und Jazz sorgt dafür, dass seine ersten ressieren, er befindet sich in einem seelischen Band­projekte ihm zu eng erscheinen: Nur Zustand des »Floating«: »Here am I floating 4 Christopher Sandford, David Bowie, die Biographie, Musik zu machen, ist ihm offensichtlich zu round my tin can / Far above the Moon / Planet Höfen 2003. wenig, er beschäftigt sich auch mit Make-up Earth is blue / And there's nothing I can do.« und verpasst seiner Band schon mal eine Lang­ Bowies zweiter kommerzieller Erfolg, die haarfrisur, die alle tragen müssen. Single Starman (1972), knüpft an die Thematik an, erweitert sie jedoch im Hinblick auf die Figur Weltall und Aliens eines Außerirdischen: »There's a starman waiting Bowies Interesse für unterschiedliche Musik- in the sky / He'd like to come and meet us / But und Kunstrichtungen, auch für die die Modkul­ he thinks he'd blow our minds.« Eingebettet ist tur prägende Leidenschaft für modisch-stilisti­ Starman in das Album The rise and fall of Ziggy sche Abgrenzungen, ist eher ein Hindernis auf Stardust, das Bowie eine Weltkarriere beschert. dem Weg zum Erfolg: Seine ersten Platten flop­ Er geht mit seiner Begleitband »The Spiders pen. Der Durchbruch gelingt ihm dann mit dem from Mars« und einer aufwendigen Bühnen­ Song Space Oddity (1969), der den Anfang mar­ show auf Tour. Ziggy Stardust enthält keine kiert einer über mehrere Alben reichenden kohärente Geschichte, aber die Songs des Beschäftigung mit der Thematik von Weltraum, Albums kreisen um den Helden Ziggy, der auf

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GOETHE16588_Alumni-Anzeige 196 x 143 mm, Forschung Frankfurt_20161110.indd 1 11.11.16 14:37 Kunstwelten die Erde gekommen ist, um den Leuten den Rock ’n’ Roll zu bringen, letztendlich aber ­scheitert und sogar zum »Rock ’n’ Roll Suicide« wird. Ob er wirklich ein Alien ist oder ein Erd­ ling sich dies nur imaginiert, bleibt in der Schwebe. Für letztgenannte Deutung spricht die Tatsache, dass Bowie wohl die reale Geschichte seines Landsmannes Vince Taylors inspiriert hat, der als Rock ’n’ Roll Star wegen Drogensucht ins Abseits geriet. Mit Plastikstiefeln, engen Hosen, durchsich­ tigen Hemden und der roten Stachelfrisur spielt und verkörpert Bowie den Helden Ziggy auf der Bühne, eine androgyne Figur und Projektions­ fläche für alle möglichen Sehnsüchte: »Bowie wollte etwas darstellen – etwas für jeden«, so Christoph Sandford in seiner Bowie-Biografie (Sandford, S. 106). 1973 wird Ziggy Stardust, am Ende einer höchst erfolgreichen Tournee, von Bowie theatralisch »beerdigt«. 1976, als Bowies Begeisterung für das Extraterrestrische eigentlich schon vorüber ist, mimt er in Nicolas Roegs Literaturverfilmung Der Mann, der vom Himmel fiel einen blassen Alien mit roten Haa­ ren, der, von den Menschen unverstanden, an seinen hehren Zielen scheitert. Ähnlich ergeht es Bowies Figur Major Tom, die 1979 im Song Ashes to ashes noch mal auftaucht, allerdings geben sich die Musiker in Abgrenzung von tra­ 2 »The Rise and Fall of Ziggy entzaubert Bowie das Bild des entrückten, zu ditionellen Rockbands, aber auch von akademi­ Stardust and the Spiders from einer höheren Bewusstseinsform gelangten schen Spielarten des Rock ein schrilles (»gla­ Mars« (1972) zeigt auf der Vorderseite einen Abschnitt Raumfahrers. So singt Bowie selbst­referenziell mouröses«) Outfit, bei dem feminine und der Heddon Street unweit der über »a guy that’s been in such an early song«, androgyne Elemente wichtig sind. Bowie »bot bekannten Carnaby Street; das doch nun lautet die nüchterne Diagnose: »We einer Generation, die mit Rockmusikern in Original-Foto wurde jedoch know Major Tom's a junkie.« So sind Bowies schlichten Jeans und höchstens noch dem West­ farblich stark verfremdet. Neben der Abbey Road gehört Fiktionen von außerirdischer Exotik­ immer kurven-Gebrüll eines Fußballstadions großge­ die Heddon Street heute zu auch von irdischen Abgründen durchsetzt. So worden war, einen außer­irdischen Messias an, den beliebtesten Pop-Pilger­ beschreibt der Song Loving the alien (1984) ein der sie erobern wollte«, schreibt Christopher orten in London. apokalyptisches Szenario voller religiöser Ver­ Sandford (S. 106). irrungen, in dem das oder der Fremde seine uto­ Berühmt geworden ist ein Foto, das in seiner pische Verheißung gänzlich eingebüßt hat. Freizügigkeit die Öffentlichkeit gleichermaßen schockiert wie elektrisiert: Bei einem Konzert Glamrock – die sexuelle Mehrdeutigkeit im britischen Dunstable simuliert Bowie in der Popkultur ­voller Ziggy-Montur eine Fellatio an der Gitarre Die stoffliche Tiefe der Alien-Thematik auf seines Mitstreiters Mark Ronson. Fotograf Mick Ziggy Stardust und anderen Alben sollte man Rocks hält den Moment der Performance fest, nicht zu hoch ansetzen. Manche Kritiker der sich dann fest in das Gedächtnis der Rock­ bezeichnen Ziggy Stardust gar als »satirisch geschichte einschreibt. Thomas Krämer sieht die alberne […] Geschichte« (Sandford, S. 109). Provokation und Grenzüberschreitung auch Richtig ist: Bowie greift unter anderem auf darin begründet, dass die Gitarre einerseits Comic- und Science-Fiction-Figuren wie Flash als Phallus-Symbol, andererseits aber auch als Gordon zurück und fügt dem populären Narra­ »weibliche Körpersilhouette« (Krämer, S. 242) tiv von der Begegnung mit dem Weltraum und fungiere; somit sei nicht auszumachen, wer in fremden Lebewesen keine wirklich neue Sinn­ dieser Sex-Simulation den männlichen und wer schicht zu. Jedoch ist seine Begeisterung für Ali­ den weiblichen Part spiele. Es gehe also um ens und andere Humanoide (wie auch auf dem »alien sex« (S. 244), der Geschlechteridentitäten­ Album Diamond Dogs – hier sind es Mensch- nachhaltiger in Frage stelle, als dies die bloße Tier-Fabelwesen) viel mehr: nämlich eine bis Andeutung von Homosexualität suggeriere. dato in der Popkultur unbekannte Ausei­ Die Rezeption Bowies zeigt, dass seine per­ nandersetzung mit Künstleridentitäten und manente Wandlung als Musiker, Sänger und Geschlechterrollen. Im Glam oder Glamrock Performancekünstler oftmals nicht ästhetisch

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len, womit er das sichtbar macht, was im Main­ stream-Pop unsichtbar gehalten wurde: Der Kostümzwang, ob im braven Einheitslook der frühen Beatles, in der ledernen Härte des Hard­ rocks oder in der bunten Flippigkeit der Hippie- Kultur, wird auf die Spitze getrieben und als exhibitionistisches Mittel eingesetzt, das provo­ ziert, aber insgesamt mehr verhüllt als offenbart. Der Pop-Theoretiker Diederich Diederich­ sen hat das Zusammenspiel aus Nähe und Dis­ tanz folgendermaßen beschrieben: »Unmittel­ barkeit ist das Versprechen der Pop-Musik, aber (diese) Unmittelbarkeit ist Ergebnis eines Mit­ tels, ein Medieneffekt.« (Diederichsen, S. XXVI) Signifikant und Signifikat, das Image des Pop­ stars und sein Inhalt, stehen in einem instabi­ len Verhältnis zueinander. Dass sich bei der Dekonstruktion von ­Gendervorstellungen und Pop-Konventionen durchaus ein Gewöhnungs­ effekt einstellen kann, hat Bowies Glamrock- Kollege Bryan Ferry (Roxy Music) vorgeführt: Er spielt zwar auch mit androgynen Elemen­ ten, nutzt dies aber relativ risikolos für die Imagebildung eines Pop-Dandys und Verfüh­ rers. Bowie hingegen hat sich früh- bezie­ hungsweise rechtzeitig von seinem Glamrock- Image musikalisch wie auch visuell gelöst. Ab Mitte der 1970er Jahre verzichtet Bowie auf den Glamour und die Opulenz der Ziggy-­ Bühnenperformance, antizipiert stattdessen mit der Figur des »Thin White Duke« bereits die Kühle und Leere von Punk und New Wave. Es wird aber nicht der letzte Rollen- und Image­ wechsel seiner Karriere bleiben. 

3 »Heroes«, 1977 im verstanden, sondern stattdessen »naturalisiert« Berliner Hansa-Studio wird: Sein Image wird also mit der realen Person aufgenommen und von Bowie gleichgesetzt. Einiges spricht aber Tony Visconti produziert, scheint hinsichtlich Sound und gegen eine biografisch-psychologisierende Deu­ Image bereits Lichtjahre von tung seines Werkes: Seine Homo- beziehungs­ Bowies Glamzeit entfernt. weise Bisexualität, die Anlass gab für viele Das Titelstück, an dem unter ­Spekulationen, auch hinsichtlich Affären mit anderem Brian Eno und Robert Fripp mitwirkten, gilt anderen Rockstars (unter anderem mit Lou vielen Kritikern als Bowies Reed oder Mick Jagger), wurde von Bowie Der Autor wichtigste Komposition. Jahre nach seiner Zeit als Aushängeschild des Dr. Dirk Frank, Jahrgang 1966, ist Pressereferent Glamrocks als bewusste Inszenierung entlarvt. an der Goethe-Universität. Seine Lieblingsplatte Allerdings konzediert Bowie durchaus das Ver­ von Bowie stammt aus dessen Nach-Glamrock- schmelzen von Rolle und Person: »Ich bin sogar Zeit: »Low« (1977) ist eine sehr »deutsche« selber auf Ziggy hereingefallen. Ich wurde Ziggy.« Produktion, die Bowie in Berlin aufnahm und (zit. n. Lachner, S. 174, Hervorhebung im Origi­ auf der er Einflüsse von deutschen Bands wie nal) Auch sein vermeintlicher Liebespartner »Kraftwerk« und »Neu!« verarbeitete. Lou Reed experimentiert in den späten 1960er [email protected] und frühen 1970er Jahren mit Geschlechterrol­

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