Ganz Sie Selbst
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Magazin der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien Dezember 2014 Ganz sie selbst Angela Denoke Oberstes Gebot scheint für diese Sängerin zu sein, ihre Identität zu bewahren. Womit? Mit sich. Weil Singen ein Seismograph ist, der jede Verletzung der Natur gnadenlos markiert. Angela Denoke, porträtiert von Georg-Albrecht Eckle. Auffällig, dass es bei ihr nicht nur um „Stimme“ geht. Angela Denokes Stimme ist nicht extrem, stupend oder bunt – ihr Gesang ist vor allem natürlich: Sie singt, wie sie ist und addiert ihrer Stimme nicht durch „Kunst“ Ausdrucksmomente, die nicht in ihr gewachsen sind. Was heißt das für die Oper? Denoke geht auf Kongruenz aus, sie ist und bleibt – welche Rolle immer sie anfasst – das blonde, kurzhaarige, irgendwie alterslose norddeutsche Mädchen mit jenem spröden Charme, der sie bei aller Anmut ernst wirken lässt und introvertiert: als trüge sie ihr Geheimnis ganz innen. Gerade daraus erklärt sich ihr enormer Erfolg: durch die Verbindung von Stimme und Personalität. Darauf hat sie konsequent gesetzt nach ihrem Studium in Hamburg, in ihren Erfahrungsjahren in Ulm, die sie durch die Mozart-Frauen hindurch bis zur „Freischütz“-Agathe schickten, bei ihrem Durchbruch im Stuttgarter Engagement zu Ende der neunziger Jahre, wo sie die Chance hatte, ohne Hast Kongruenzen zu finden mit jenen Schickalsfrauen, zu deren Inbegriff Angela Denoke rasch wurde – als hätten diesen Frauen sie gesucht: Tschaikowskijs Lisa in „Pique Dame“, später Tatjana, in Stuttgart aber bereits Marie im „Wozzeck“ und die sogenannten Lyrischeren bei Wagner wie das „Meistersinger“-Evchen. Schicksalsfrauen, Frauenschicksale Ihr Überzeugungsmodell glückte, weil man ihr als Person die Handlung, das Frauenschicksal nahtlos glaubt – eine vielfach vermisste Dimension in der Oper. Wie ein Leuchtturm wirkte ihr Umgang mit Wagners Sieglinde in der „Walküre“, mit der sie wörtlich auf der ganzen Linie siegte, indem sie diese Rolle aus der Geschichte der mittleren Wagner-Schlachtschiffe erlöste: schön, jung, von einer sinnlichen Gewalt, die sich als anderer Wagnerklang offenbarte – nämlich als ein natürlicher. Ähnliches hatte man bisher fast nur bei Anja Silja – und das ebenfalls in Stuttgart an der Seite Wieland Wagners – erlebt: diesen seltenen Fall einer gesanglichen wie darstellerischen Totalität. Der Denoke gelingt diese eigentliche Menschendarstellung immer wieder aus ihr selbst – mit Hilfe von Regie, aber auch ohne oder gar gegen dieselbe, sozusagen auf eine produktive Weise „regieresistent“. Völlig glaubhaft im „Tannhäuser“-Doppel Elisabeth und Venus unter Barenboim in Berlin, auch als Elsa im „Lohengrin“: keine Spinnerin, die von etwas faselt, sondern eine klare junge Frau mit einer Vision – ganz und gar heutig. Wien, vom Norden her Und dann Strauss: Der jungen Sängerin Angela Denoke fiel bei ihrem Stuttgarter Engagement sozusagen die Marschallin in den Schoß, und plötzlich war sie, ganz anders als je zuvor, die junge „alte Frau, die alte Marschallin“ – fernab jedoch von den Legenden dieser Rolle, mutig „nur“ Angela Denoke: jeder Attitüde und Künstlichkeit geradezu „nördlich“ entkleidet – und eben das kam dem Hofmannsthal’schen Wiener Tiefsinn durchaus zugute. Eine Marschallin 1 / 3 Magazin der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien Dezember 2014 gleichsam ent-pompt und aufregend als gebrochene Frau. Ein Erfolg Denokes, der bald um die Welt ging. Später hat sie versucht, als Arabella diese Linie fortzusetzen. Und überzeugte. Selbstbewusstsein und Bescheidenheit in einem. Auch das kann ein Erfolgsrezept sein. Beispielhaft sodann jene Rolle, die Denoke über Nacht in aller Munde brachte: ihre Salzburger Katja Kabanowa des Sommers 1998. Die Festspielwelt feierte sie in Marthalers kurioser Ent- Operung als Muster nahtloser Rollenidentität, was viel Janá¢ek nach sich zog, vielerorts: die Jenufa, natürlich, und 2011 wieder in Salzburg jene irrwitzige Figur Emilia Marty in der „Sache Makropulos“ und wieder in Marthaler Realisation. Basis von Angela Denokes Überzeugungskraft jedoch war einst ihre Marie gewesen in Abbados Salzburger „Wozzeck“ 1997, weil sie eine Marie erschütternd wahr bot, jenseits allen „Theaters“, eine Leistung, mit der sie später in Peter Konwitschnys radikal durchdachter Hamburger „Wozzeck“-Konzeption den zwingenden Kontext fand. Was heißt „darstellen“? Man fragt sich: Was heißt bei dieser Sängerin überhaupt „darstellen“? Sie hat selbst sehr hübsch gesagt, sie durchlebe die anderen Leben ihrer Rollen und sehe darin Ziel und Sinn ihrer Arbeit, sozusagen in der „Selbstaufgabe“. Das könnte missverstanden werden: Das Zwingende an dieser Sängerin ist gerade, dass sie bleibt, was sie ist und nichts von sich aufzugeben versucht, eben nichts „er-spielt“: Nicht sie verwandelt sich in eine andere Person, sondern die Rolle nimmt ihre Personalität an. Dass Angela Denoke Rollen meidet, bei denen dieser Prozess fraglich sein könnte – das ist ihre wesentliche ästhetische und geradezu auch moralische Leistung. Und so folgen ihr die Rollen mit Schicksalen dieser Qualität. Die Katerina Ismailowa in Schostakowitschs „Lady Macbeth von Mzensk“ etwa: Denokes Realisation macht erschütternd klar, wie Verzweiflung am unerfüllten Leben umschlagen kann in tragische Grausamkeit. Oder die Tochter in „Cardillac“, die eine ihrer anrührendsten Partien ist: weil sie Hindemiths formbewusste Kunst mit dem Frauenschicksal erschütternd zu kreuzen weiß. Und hier, genau hier, ist auch ihre unpathetische Kundry im „Parsifal“ anzusiedeln: als Geschlagene. Ausdrücklich als Frau – jenseits des Weibsteufels. Im lyrischen Mantel ein heroischer Kern Denokes Umgang mit den Extremen ist bezeichnend: Sie vollzieht auch diese Partien aus sich selbst, gerade wenn die Kluft zur Figur sichtbar wird – sie kann sich nicht verleugnen, weil sie keine doppelten Böden in der Wirkungsweise kennt. Die Kluft überspringt sie, indem sie die musikalische Faktur ihrer Partie ins Instrumentale übersetzt, das ihre stimmlichen Möglichkeiten mit frappanter Sicherheit und Balance erbringen. So vermag sie sich als Person sanft der Darstellung zu entziehen, um die Rolle gleichsam neben ihre Person zu stellen – brillantes Beispiel ist ihre Salome. Ganz im Gegensatz zur Nahtlosigkeit der Rollendeckung, die Wieland Wagner mit der jungen Silja in Stuttgart in den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts gelang, ist Angela Denoke nicht die mythische Figur in ihrer Abgründigkeit, sie spielt sie auch nicht, weil sie’s nicht ist als Person; sondern sie zitiert als Denoke den Mythos. Vielleicht gehört zu diesen Gratwanderungen auch Schönbergs „Erwartung“ in ihrer Interpretation, die sprichwörtlich geworden ist: Trotz aller Verführung, das Extrem zu spielen, bleibt bei Denoke selbst das Extrem natürlich. Und damit ein Moment des Lebens. Dass sie ihre Stimme und Person für das italienische Fach nicht prädestiniert finde, hat sie selbst einmal gesagt – und wenn sie so fühlt, stimmt das auch. Das Grundgefühl ist entscheidend. Viel 2 / 3 Magazin der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien Dezember 2014 diskutiert wurde ihre Absage des Brünnhilden-Angebots für den Bayreuther „Ring“. Sie hat es erwogen und nach Bedenkzeit gesagt, dass sie derzeit Identifikationsprobleme habe. Wohl eine große Weisheit: weil sie Sieglinde ist, der Mensch, die Frau, nicht eine per se Heroische. Das Eigenartige an Denokes Stimme ist, dass in diesem lyrischen Mantel ein verwegener heroischer Kern wohnt, der ergreifende Tiefen birgt, jedoch oben keine Stentortöne. Und die gibt’s vielleicht auch gar nicht im wahren „Frauenleben“. Identität in jedem Fall Für Angela Denoke gibt es nicht nur ein Genre. In jedem aber bleibt sie geradezu provokant sie selbst – über alle Gattungen hinweg: natürlich ist sie wunderbar „klassisch“ als Rosalinde, gibt auch im leichteren Operetten-Genre den Zwischentönen Farbe, und doch: Sie bleibt im Stil. Das hat sie glänzend gezeigt als Marietta in Korngolds „Toter Stadt“, in jenem genialischen Pendeln zwischen Schmelz und Schmalz. Wenn sie in ihren Soloauftritten der letzten Zeit mit eigensinnigen Weill-Programmen Schule macht, wenn sie die Kinowelt der Zwanziger aufleben lässt („Von Babelsberg bis Beverly Hills“), gibt sie nie dem berühmten Affen Zucker; vielmehr verabschiedet sie die Diseusen-Halbwelt der Vergangenheit in ihrer Zeitbedingtheit und versetzt das Genre mit klassischem Anspruch, sprich: Sie führt es zurück auf die Qualität darin versteckter brillanter Musik und – sie offenbart diese Musik in ihrer Qualität als Gesang. Man höre, wie sie sogar Brecht-Moritaten, und sei es der unvermeidliche Mackie Messer, mit einem Augenzwinkern nobel aus dem Polit-Bänkelsang erlöst und wieder objektiv zu „Kunst“ macht. Wenn Angela Denoke nun nach Wien kommt mit einem ihrer klassischen Liederabende, die gar nicht so häufig sind, darf man eine natürliche Bewegung im Liedgesang erwarten. Da und dort dringt einem über den Äther – eingeschlossen das „Netz“ – wundersam „Die Nacht“ von Richard Strauss ans Ohr, gesungen von Angela Denoke: kein Raunen des Verfalls wie bei der legendären Schwarzkopf, kein Auskosten der durchaus vernehmbaren Grenze zum Kitsch. Nein, bei Angela Denoke einfach ein schönes Lied voll diskreten Zaubers, mit dem mehr bedeutet wird als vollzogen … Georg-Albrecht Eckle Georg-Albrecht Eckle lebt in München und ist Autor und Regisseur – mit einem besonderen Akzent auf dem Dialog zwischen Wort und Musik. 3 / 3 Powered by TCPDF (www.tcpdf.org).