Diana Blichmann: Zirkulation und Professionalisierung im Bild. Eine Studie zur Hasse-Ikonologie Schriftenreihe Analecta musicologica. Veröffentlichungen der Musikgeschichtlichen Abteilung des Deutschen Historischen Instituts in Rom Band 52 (2015) Herausgegeben vom Deutschen Historischen Institut Rom

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Diana Blichmann

Zu den zentralen Inhalten des Musici-Projektes gehört die Migration europäischer Musiker nach Italien. Die Beziehung zwischen der im Herkunftsland erlangten Pro- fessionalisierung und der Eingliederung dieser Musiker in den italienischen Musik- markt wie auch ihre berufliche Karriere in Venedig, Rom und Neapel werden grundsätzlich hinterfragt. Anhand eines ikonographischen Vergleichs und einer iko- nologischen Interpretation wird in diesem Beitrag insbesondere der Zusammenhang zwischen dem Grad der Professionalisierung Hasses nach seinem Aufenthalt in den italienischen Opernstädten und nach der Rückkehr in sein Heimatland untersucht. Die Zirkulation beziehungsweise die Phase der Studienreise Hasses zwischen italie­ nischen Opernstädten wie auch seine sozialen und musikalischen Aktivitäten in Italien werden als Fundament für die Professionalisierung Hasses am Dresdner Hof gesehen. Im Folgenden sei daher das Phänomen der Wiedereingliederung des Kom- ponisten in den deutschen Musikmarkt nach seinem zwölfjährigen Italien-Aufent- halt betrachtet. Nach seiner kurzen Begegnung mit Johann Adolf Hasse im Jahre 1772 berichtet Charles Burney von dessen großer und üppiger Gestalt, Spontaneität, Manierlich- keit und Weltgewandtheit. Diese Eigenschaften vermitteln dem Italien-Reisenden den Eindruck, er habe in nicht mehr als einer Viertelstunde mit Hasse verkehrt wie mit einer seit Langem bekannten Person.1

1 Charles Burney, Viaggio musicale in Germania e Paesi Bassi, hrsg. von Enrico Fubini, Turin 1986, S. 105, 119, 133 (englische Originalausgabe: The Present State of Music in , the Netherlands, and United Provinces, London 1773). Die Arbeit an diesem Forschungsbeitrag wurde von verschie- denen Personen unterstützt, denen an dieser Stelle gedankt sei: Marianne Koos (Université de Fri- bourg, Département des Sciences Historiques, Domaine Histoire de l’art et Archéologie), Matteo Sartorio (Archivio del Museo Teatrale alla Scala e Biblioteca Livia Simoni di Milano), Janine Schütz (Historisches Archiv der ), Alfredo Vitolo (Biblioteca della musica di ) und Frau Wobad (Staatliche Kunstsammlungen Dresden). Ein herzlicher Dank gilt nicht zuletzt Anne-Madeleine Goulet, die mich mehrfach dazu ermuntert hat, diesen Artikel zu verfassen. Zu Dank verpflichtet bin ich ferner dem Pôle recherche du Centre de musique de Versailles für die großzügige finanzielle Unterstützung.

Zirkulation und Professionalisierung im Bild 347 Diese Beschreibung wird von überlieferten Bildquellen unterschiedlicher Natur flankiert, die von der Silhouette, der Karikatur, dem Kupferstich und dem Druck bis zum Ölgemälde reichen.2 Der Komponist wird in diesen kunsthistorischen Quellen in verschiedener Manier und Pose häufig gemeinsam mit seiner Gattin Faustina Bordoni als Pendant-Bild oder Doppelporträt dargestellt. Zu ihnen gehören eine um 1739 von Pier Leone Ghezzi angefertigte Skizze, auf der auch Faustina Bordoni abgebildet ist (London, The British Library); ein weder signiertes noch datiertes Miniaturbildnis Hasses in rot-blau-goldener Weste, braunem Samtrock und rotem Mantel, das seit 1763 Felicita Hoffmann Sartori zugeschrieben wird und als Pen- dant-Bild der Faustina zugekehrt ist, wobei beide leicht schräg ins Bild gesetzt, den Kopf en face drehend, aus dem Pastell auf den Betrachter herausblicken (Dresden, Gemäldegalerie)3 sowie ein Porträtstich von Lorenzo Zucchi, der auf einem nicht erhaltenen Entwurf von Pietro Antonio Rotari basiert und dessen Probedruck aus dem Jahre 1731 stammt.4 Auf diesen Stich gehen neun weitere, mehr oder weni- ger Hasse ähnelnde Stiche, Lithografien und Zeichnungen verschiedener Autoren zurück.5 Ferner ist ein Schattenriss des Komponisten, der als Büste der Faustina zugewandt ist, in einer Druckwiedergabe aus dem 18. Jahrhundert erhalten6 wie auch ein 1818 erschienener Druck von Domenico Klemi Bonatti nach einem Bild von Giovanni Antonio Bosio (Privatsammlung). Zu den nicht authentischen Bildquellen gehören ein im Pastellsaal der Ca’ Rezzonico in Venedig aufbewahrtes Ölgemälde eines Herrn in roter Brokatjacke (Ritratto di gentiluomo in rosso) von Rosalba Carriera, das Johann Adolf Hasse im Alter von 40 Jahren abbilden könnte.7 Von einem Bildnis des Balthasar Denner-Schülers

2 Eine Bronzebüste befindet sich zudem vor dem Geburtshaus des Komponisten in Bergedorf bei Hamburg. 3 Vgl. Karoline Czerwenka-Papadopoulos, Typologie des Musikerporträts in der Malerei und Graphik. Das Bildnis des Musikers ab der bis zum Klassizismus, Wien 2007, Bd. 2, Abb. 332 und 332a. Der Autorin zufolge malte die Schülerin Rosalba Carrieras das Pastell zwischen 1735 und 1740 (vgl. ebd., Bd. 1, S. 106). Erna Brand unterlief diesbezüglich ein Zuschreibungsfehler. Bei der Abbildung Nr. 2, auf der ihr zufolge Johann Adolf Hasse abgebildet ist, handelt es sich vielmehr um das von Anton Raphael Mengs gemalte Porträt des Sängers Domenico Annibali. Dagegen stellt die Abbildung Nr. 3 bei Brand nicht den Sänger, sondern Johann Adolf Hasse in der Miniatur Sartoris dar. Vgl. Erna Brand, Sängerbildnisse aus dem 18. Jahrhundert in der Gemäldegalerie Alte Meister, in: Dresdner Kunstblätter 1967, S. 6–10: 7 und 9. 4 Auf dem Stich heißt es »C. F. Rotari pinxit | L. Zucchi Dresda fecit«. Der Kupferstich ist abgebildet in Czerwenka-Papadopoulos, Typologie des Musikerporträts, Bd. 2, Abb. 294. Zur Datierung vgl. auch ebd., Bd. 1, S. 189. Obwohl der hier abgebildete Hasse viel jünger als 53 Jahre ist, datieren Mellace und Mehler den Stich auf nicht vor 1752. Vgl. Raffaele Mellace, Johann Adolf Hasse, Palermo 2004, S. 35, und Ursula Mehler, Rosalba Carriera: considerazioni sulla sua formazione artistica, su un disegno berlinese e sul »Gentiluomo in rosso« di Ca’ Rezzonico, in: Rosalba Carriera 1673–1757, hrsg. von Giuseppe Pavanello, Venedig 2009, S. 171–180: 180. 5 Vgl. http://edocs.ub.uni-frankfurt.de/manskopf/apersonen.htm (Zugriff am 22. Juni 2012). 6 Vgl. Czerwenka-Papadopoulos, Typologie des Musikerporträts (wie Anm. 3), Bd. 2, Abb. 303. 7 Mehler und anderen zufolge ähnelt das Porträt der Hasse-Miniatur Felicita Hoffmann Sartoris. Zur Zuschreibungsfrage vgl. Ursula Mehler, Rosalba Carriera 1673–1757. Die Bildnismalerin des

348 Diana Blichmann Dominicus van der Smissen in der Berliner Staatsbibliothek wie auch von einem im Warschauer Königsschloss aufbewahrten Porträt Antoni Albertrandis kann ebenfalls nicht mit Sicherheit gesagt werden, ob es sich bei diesen Darstellungen um Johann Adolf Hasse handelt.8 Ferner scheint ein von Anton Raphael Mengs angefertigtes Bildnis des Komponisten nicht erhalten.9 Da die beiden einzigen authentischen, zu unterschiedlichen Zeiten entstande- nen Porträt-Gemälde des Komponisten noch nicht in zufriedenstellendem Maße untersucht wurden, sollen in diesem Beitrag die Ikonographie und die ikonologi- sche Relevanz der Personendarstellung erörtert und präzisiert werden: Ein erstes Ölgemälde (51 × 31 cm), das von unbekannter Hand angefertigt wurde, befindet sich im Museum des Teatro alla Scala in Mailand (Abbildung 1). Das zweite Ölgemälde (76,8 × 63,8 cm) aus der Sächsischen Staatsoper in Dresden stammt von Balthasar Denner (Abbildung 2).

Zur Entstehung des Mailänder Gemäldes Während man bei Denners Gemälde sicher davon ausgehen kann, dass es im Jahre 1740 in Hamburg von ihm fertiggestellt wurde (»Adolff Hasse 1740 | In Hamburg | Denner. Pixit«),10 ist das Mailänder Exemplar weder datiert noch signiert. Zur Pro- venienz dieses Hasse-Bildnisses ist nur bekannt, dass es dem Mailänder Museum im Jahre 1914 vom Verein »Amici del Museo del Teatro della Scala« geschenkt wurde. Sein Entstehungsland kann jedoch aus den Details des Gemäldes hergeleitet werden: Der italianisierte Name des Komponisten »Gio: Addolfo Asse | Sassone«,

18. Jahrhunderts, Königstein 2006, Anm. 5 und 140, und die dort angegebene Literatur, wie auch Dies., Rosalba Carriera: considerazioni (wie Anm. 4), S. 176–180. Andreas Henning hat sich allerdings für die Identifikation mit Joseph Anton Gabaleon von Wackerbarth-Salmour ausgesprochen. Vgl. Andreas Henning, Rosalba Carriera e la collezione dei suoi pastelli a Dresda, in: Rosalba Carriera 1673–1757 (wie Anm. 4), S. 273–360: 279. Beide Bildnisse sind abgebildet in: dass., S. 178, Abb. 6 (Carriera, Ritratto di un gentiluomo in rosso, Venedig, Ca’ Rezzonico) und S. 281, Abb. 5 (Dies., Ritratto del conte Wackerbarth-Salmour, Dresden, Gemäldegalerie). 8 Vgl. Krzysztof Lipka, Ein Warschauer Porträt von Johann Adolf Hasse, in: Johann Adolf Hasse und Polen, hrsg. von Irena Poniatowska und Alina Z· órawska-Witkowska, Warschau 1995, S. 185–189. 9 Vgl. Mellace, Johann Adolf Hasse (wie Anm. 4), S. 35. 10 Vgl. Sehnsucht und Wirklichkeit. Malerei für Dresden im 18. Jahrhundert, Katalog zur Ausstellung in der Gemäldegalerie Alte Meister der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, hrsg. von Harald Marx, Dresden 2009, S. 165. Zwischen 1712 und seinem Tod im Jahre 1749 reiste Denner in der Regel zu seinen Auftraggebern. Wie es allerdings möglich war, das Hasse-Porträt in Hamburg ohne die Präsenz Hasses fertigzustellen, ist bislang noch nicht geklärt. Es ist denkbar, dass Denner für das Bildnis keine Porträtsitzungen benötigte, vermochten renommierte Maler doch einem Gesicht den realen Ausdruck zu geben, auch ohne dass der Abgebildete Modell stehen musste. Denner hätte das gültige Bildnis beispielsweise anhand von Zucchis Kupferstich oder auch auf der Basis von einer ihm aus Dresden zugeschickten Vorlage erarbeiten können. Zu dieser Methode vgl. Martin Warnke, Hofkünstler. Zur Vorgeschichte des modernen Künstlers, Köln 21996, S. 276.

Zirkulation und Professionalisierung im Bild 349 Abbildung 1: Anonym, Johann Adolf Hasse Abbildung 2: Balthasar Denner, Johann Adolf Hasse (Mailand, Museo del Teatro alla Scala) (Dresden, Sächsische Staatsoper)

der in der oberen linken Ecke des Gemäldes in goldener Farbe aufgetragen wurde, deutet auf eine Genesis in Italien hin. Die Reduzierung des Nachnamens um den Konsonanten ›H‹, der im Italienischen am Wortbeginn stumm bleibt, verweist ferner auf einen italienischen Maler.11 Der Beiname »Sassone« wäre überdies bei einer Herkunft des Gemäldes oltrealpe nicht notwendig gewesen.12 Bezüglich der Datierung lassen die Notenblätter zunächst hoffen, die Entste- hung des Porträts lasse sich anhand der hier abgebildeten, offenbar von Hasse ver- fassten Komposition datieren: Die Beschriftung des gefalteten Notenblattes bezie- hungsweise -buches in Hasses rechter Hand (»Primo ATTO | SCENA II. | […] | SCENA III.«) weist jedoch lediglich auf die Komposition einer Oper hin.13 Dass

11 Von stilistischen Hypothesen, die eine Identifizierung des Malers erlauben würden, wird hier abgesehen, da sie für den Diskurs nicht relevant sind. 12 Die erste Quelle mit dieser Bezeichnung ist die Partitur zur Serenata Marc’Antonio e Cleopatr­ a (Neapel 1725). Offenbar ist der Beiname ›Sassone‹ in Italien für Komponisten nördlich der Alpen oder deutschen Sprachraums gängig gewesen ist. Der Beiname kann jedenfalls nicht allein auf das Land Sachsen zurückgeführt werden: Hasses Geburtsort war Bergedorf in Niedersachsen. Andere in Italien als ›Sassoni‹ bezeichnete Musiker stammten aus Sachsen-Anhalt (Händel) und Niedersachsen (Conrad Friedrich Hurlebusch). Meines Erachtens ging es bei der Vergabe des italienischen Beinamens von Hasse, Händel und Hurlebusch um viel pragmatischere Dinge: Das ›H‹ am Namensbeginn war für Italiener schlecht aussprechbar. Mit ›Sassone‹ umging man ganz einfach dieses phonetische Problem. 13 Die beiden zwischen »Scena II.« und »Scena III.« geschriebenen (Abkürzungen zweier) Wör­ ter sind nicht entschlüsselbar.

350 Diana Blichmann es sich bei diesem Blatt nicht um ein präzises Werk handelt, wird dank weiterer Indizien bestätigt: Im frühen 18. Jahrhundert wurden Partituren nicht mit einem wie hier durchschimmernden siebenzeiligen, sondern zehnzeiligen Pentagramm rastriert. Bestünden die ersten drei Szenen des ersten Aktes einer Hasse-Oper aus- schließlich aus Rezitativen, ohne jeglichen Arieneinschub, wäre der vorhandene Platz nicht ausreichend. Ähnliches kann für das vor Hasse liegende Notenblatt gel- ten: Obwohl man deutlich Musik erkennt, die auf drei fünflinigen Notensystemen und vermutlich in G-Dur notiert ist, handelt es sich doch wohl um eine imaginäre Partitur. Wegen des auf horizontaler und vertikaler Ebene uneinheitlichen Metrums erhält man schließlich den Eindruck von einem in Musik(theorie) recht unerfahre- nen Maler.14 Versucht sei im Folgenden eine Datierung des Mailänder Gemäldes über zwei andere Wege. Erstens könnte der Name (»Asse«) auf dem oberen linken Rand des Ölgemäldes eine Datierung erlauben. Dieser in seiner italienischen Form erschei- nende Name ziert auch Antonio Salvis Arminio. Das wurde im August 1730 im Teatro Regio Ducale in Mailand mit der Musik Hasses uraufgeführt.15 Vergleicht man zweitens das Mailänder Ölgemälde mit dem Kupferstich von Lorenzo Zucchi, und berücksichtigt man, dass Porträts häufig nach schon beste- henden Kupferstichen angefertigt wurden, fällt eine sehr ähnliche Figuren-Kom- position auf:16 In beiden Fällen sieht man Hasse im Halbporträt, die linke Schulter dem Betrachter zugewandt. Gemeinsam sind beiden Darstellungen insbesondere die Kleidung – abgesehen vom Justaucorps, der im Kupferstich als mantelartiger Umhang auf der linken Seite aus dem Bilderrahmen illusionsartig in Falten her- ausfällt –, die mit schwarzer Doppelschleife zusammengebundene Zopfperücke mit

14 Wenn dies so ist, stellt sich schließlich die Frage, aus welchem Grund Hasse diese Unzuläng- lichkeiten nicht reklamierte. Dafür gäbe es folgende Erklärungen: Dass es sich einerseits bei solchen Makeln um eine gängige Praxis handelt, bestätigt der Blick auf Bildnisse einiger zeitgenössischer Komponisten. In zahlreichen erhaltenen Musikerporträts bildet die niedergeschriebene Musik kei- ne bestimmte Komposition ab. Es gibt Ausnahmen, bei denen der Werktitel deutlich das Notenblatt ziert: z. B. Johann Sebastian Bach, Ölgemälde von Elias Gottlob Haussmann (1746) Canon triplex a 6 voci; Georg Friedrich Händel, Ölgemälde von Thomas Hudson (1756) Messiah (vgl. Czerwenka- Papadopoulos, Typologie des Musikerporträts [wie Anm. 3], Bd. 2, Abb. 239 und 243). Andererseits könnte Hasse weniger auf die Komposition als vielmehr auf seine Darstellung als Opernkomponist Wert gelegt haben. Drittens ist es möglich, dass der Komponist seinem Maler Modell gestanden, das fertige Gemälde jedoch nicht gesehen hat. 15 Zu dieser Assoziation vgl. Mellace, Johann Adolf Hasse (wie Anm. 4), S. 103 f. Die italiani- sierende Schreibweise des Nachnamens »Asse« ist allerdings auch in anderen italienischen Hasse- Quellen überliefert. 16 Bei dem (in: Czerwenka-Papadopoulos, Typologie des Musikerporträts [wie Anm. 3], Bd. 2, Abb. 294 abgebildeten) Kupferstich handelt es sich im Gegensatz zum Gemälde um einen Typus des Porträts mit hochovaler Rahmung und oberem Muschelmotiv mit der Besonderheit, dass der Mantelumhang Hasses auf dem Sockel aufliegt, Notenbuch und -rolle teilweise überdeckend. Vgl. ebd., Bd. 1, S. 98.

Zirkulation und Professionalisierung im Bild 351 nach oben gerollten Locken, die Lichtquelle von links oben und die Blickrichtung Hasses. Sein Gesichtsausdruck ist auf dem Ölgemälde jedoch bei Weitem freund- licher als auf dem Kupferstich: Sein Blick ist direkter und seine Mundwinkel sind leicht nach oben gezogen, sodass ein auffälliges Lächeln unübersehbar ist. Einmal ganz abgesehen von dieser leicht veränderten Mimik ließe sich dank der Ausführung von Augen-, Nasen- und Mundpartie vermuten, dass das Ölgemälde zu einem ähn- lichen Zeitpunkt wie der Probedruck des Kupferstichs von 1731 entstanden ist, mög- licherweise tatsächlich kurz zuvor, anlässlich der Aufführung von Hasses Arminio­.17

Hypothesen zu Auftraggebern der authentischen Ölgemälde Wenn das beschriebene Ölgemälde tatsächlich im Jahre 1730 gemalt wurde und man Mailand als seinen Entstehungsort annimmt, käme als Auftraggeber des Bildnisses insbesondere eine Person infrage: In der damals habsburgischen Stadt wurde Hasses Arminio am 28. August 1730 anlässlich des Geburtstages von Elisabeth Christine, Prinzessin von Braunschweig-Wolfenbüttel und Gemahlin des Kaisers, dargeboten. Das germanische Sujet der Oper stand in enger Verbindung zur Widmungsträge- rin, die in den heldenhaften Taten der weiblichen Hauptrolle Tusnelda (Faustina Bordoni) ein ideales Abbild hatte vorfinden können. Neben dieser ausdrücklichen Huldigung an die Gemahlin des Kaisers wird in der Widmung Arminio (Giovanni Carestini) mit dem Grafen Leopold Joseph von Daun, dem Gouverneur von Mai- land, verglichen. Bedenkt man die engen Beziehungen Hasses zum Hause Habs- burg, die sich für die neapolitanischen Jahre nachweisen lassen,18 und seine enge Beziehung zu Elisabeth Christine, der er mehrere Opern widmete,19 wäre ein Mai- länder Auftrag vonseiten dieser Souveränin denkbar.

17 Mehler vermutet, das Ölgemälde gehe indirekt auf den Kupferstich Zucchis zurück. Ihr zufolge ist die Art und Weise, in der Hasse abgebildet wird, vergleichbar mit den Musikerbildnissen, die Giovanni Battista Martini für seine Porträtsammlung in Auftrag gegeben hat und die häufig anhand bereits existierender Kupferstiche angefertigt wurden. Vgl. Mehler, Rosalba Carriera: conside- razioni (wie Anm. 4), S. 180. Diese Methode trifft allerdings hauptsächlich auf solche Komponisten zu, die noch vor Martinis Porträtsammlungs-Projekt gestorben waren. Vgl. etwa Kupferstich und Bildnis des Adrianus Petit Coclico in: Museo internazionale e biblioteca della musica. Guida al per- corso espositivo, hrsg. von Lorenzo Bianconi und Paolo Isotta, Bologna 2004, S. 35, Abb. 12. In dem von Ferrarini angefertigten handschriftlichen Katalog aus dem Jahre 1850 ist kein Gemälde Hasses verzeichnet. Vgl. Camillo Ferrarini, Iconoteca del Liceo comunale, Bologna 1850, ms. N. 432. Auch Martinis Korrespondenzen, in denen Johann Adolf Hasse in 13 Briefen erwähnt wird, geben bezüglich der Anfertigung eines Gemäldes keine Auskunft. Vgl. http://badigit.comune.bologna.it/ cmbm/tools/index.asp (Zugriff am 3. Juli 2012). 18 Diese wie auch seine Protektion am habsburgischen Hof in Neapel ergeben sich aus einer politischen Sachlage: Außer dem amtierenden Vizekönig war Kaiser Karl VI. Landesherr in Neapel. Seine Gattin, Elisabeth Christine, war Prinzessin von Braunschweig-Wolfenbüttel, also von jenem Hof, an dem Hasse als Hofmusiker angestellt war. 19 Die Libretti dieser Opern – in denen Hasse ausdrücklich als »Kapellmeister« von Braunschweig-

352 Diana Blichmann Balthasar Denner dagegen hat den Auftrag für sein Hasse-Bildnis im Jahre 1740 mit großer Wahrscheinlichkeit von August III., Kurfürst von Sachsen und König von Polen, erhalten. Denner und Hasse waren diesem Souverän wohl vertraut: Hasse stand seit 1734 im Dienst dieses Herrschers. Denner hatte 1730 dessen Vater, König August II., in Dresden porträtiert. Denner und Hasse konnten sich jedoch persön- lich nur 1720 in Braunschweig begegnet sein: Denner wurde in diesem Jahr von der regierenden Herzogin Elisabeth Sophie Marie an den Braunschweiger Hof bestellt, um sie gleich mehrfach zu porträtieren.20 Hasse war seit dem Sommer 1719 und auch im Jahre 1720 als Tenorsänger am Braunschweiger Hoftheater tätig. Demnach hatte Denner das Porträt Hasses in Hamburg, wahrscheinlich aus der Erinnerung oder anhand einer zugeschickten Vorlage,21 zu einer späteren Zeit anfertigt, in der die Position des Komponisten wie auch dessen Prestige als äußerst gesichert galten.

Johann Adolf Hasse im Standes- und Individualporträt Die Gesichtszüge Johann Adolf Hasses, der sich in beiden Gemälden von der jeweils anderen Seite dem Betrachter zuwendet, stimmen in ihren Wesensmerkmalen über- ein: Hasse kennzeichnen mandelförmige Augen, eine volle Unterlippe, eine leicht nach links gebogene Nase, ein Grübchen im Kinn wie auch ein natürliches Lächeln. Davon und von den stilistischen Eigenarten beider Maler abgesehen, weisen das Mailänder und Dresdner Ölgemälde mehr Divergenzen als Konkordanzen auf. Der größte Unterschied liegt ganz offenbar in der Verwendung von musikalischen Attri- buten und in der vestimentären Aufmachung des Komponisten. Die oben bereits beschriebenen Beigaben im Mailänder Gemälde verweisen auf den Stand des Porträtierten. Sie zeichnen Hasse weniger als Kapellmeister mit fest eingerolltem Notenpapier aus, wie dies in Musikerporträts häufig zu beobachten ist,22 sondern als Opernkomponisten. Der Maler setzt starke Akzente auf die Opern- partitur, die Hasse in der rechten Hand hält beziehungsweise vor ihm liegt. Die hier dargestellten Auszüge eines nicht identifizierten Dramma per musica fungieren eindeutig als Motto der Illustration, während sein italienischer Beiname (»Sassone«) wiederum auf seinen Wirkungsbereich in Italien hindeutet. Hasse tritt nicht recht

Wolfenbüttel ausgewiesen wird – wurden nicht zufällig nach Wien gesandt. Vgl. dazu auch Daniel Heartz, Hasse at the Crossroads: ( 1730), Dresden, and Vienna, in: The Quarterly 16/1 (2000), S. 24–33: 25, und Reinhard Wiesend, Bemerkungen zur gesellschaftlichen Posi­ tion Johann Adolf Hasses, in: Johann Adolf Hasse in seiner Epoche und in der Gegenwart. Studien zur Stil- und Quellenproblematik, hrsg. von Szymon Paczkowski und Alina Z· órawska-Witkowska, Warschau 2002, S. 36–38. 20 Vgl. Art. Denner, Balthasar, in: Allgemeine deutsche Biographie: http://www.deutsche-bio- graphie.de (Zugriff am 5. Juli 2012). 21 Vgl. Anm. 10. 22 Vgl. Czerwenka-Papadopoulos, Typologie des Musikerporträts (wie Anm. 3), Bd. 1, S. 90 f.

Zirkulation und Professionalisierung im Bild 353 aus dem tiefdunklen Hintergrund heraus: Er trägt ein schlichtes rotbraunes, wohl aus Samt gefertigtes, kragenloses und eng ansitzendes Justaucorps, dessen Umrisse sich kaum ausmachen lassen. Auch die seidene Schleife, die den Zopf der Roll­locken- Perücke nach französischem Vorbild zusammenhält, tritt nur dank eines schimmern- den Lichtes auf der rechten Seite in Erscheinung. Von diesen dunklen Partien des Ölgemäldes heben sich die unter dem Rock liegende weiße Knopfweste sowie das hochgeschlossene und an den Ärmeln mit Rüschen besetzte Hemd mit nach hin- ten gebundenem Schalwickel ab, aber insbesondere treten die Notenblätter hervor. Das Porträt Balthasar Denners ist dagegen ein Beispiel für die Suggestionskraft der Kleidung in der Malerei des 18. Jahrhunderts. Denner zeigt Hasse mit 41 Jahren vor verschattetem Hintergrund in halber Figur, nach rechts gedreht, den freund- lichen Blick zum Betrachter wendend. Das Bildnis gibt Hasse in schlichter Hal- tung ohne Beiwerk wieder. Um seine Schultern ist ein brauner, beinahe schwarzer ponchoartiger, vorn weit ausgeschnittener Mantel mit Kragen aus fließendem Stoff gelegt. Es ist ein für Musikerporträts ungewöhnlicher Mantel, der das Augenmerk auf das Antlitz des Komponisten und die darunterliegende kostbare aprikosenrosa, goldbestickte und mit blauen Edelsteinen besetzte Weste lenkt. Unter dem Mantel ist ferner ein hochgeschlossenes Hemd mit nach vorn gebundenem Schalwickel zu sehen. Hasse zeigt sich mit einer grauen Zopfperücke, deren Locken stark redu- ziert sind. Am Hinterkopf sind diese glatt nach unten gekämmt. Das Haar wird von einem Band an der Zopfspitze zusammengehalten. Die Abwandlung der typi- schen Perücke mit Bourse bewirkt eine natürlichere Erscheinung des Komponisten. Während die Sichtbarkeit des Pinselduktus bezüglich der Perücke und des Mantels zurückgenommen ist und ihre farblichen Übergänge fließend verschwommen sind, wurde das Antlitz des Komponisten mit erstaunlicher Genauigkeit im Detail aus- geführt. Es fallen insbesondere die emailleartig fein gemalten Augenbrauen und die genau wiedergegebene Augen- und Mundpartie auf. Ansatzweise schimmern die Barthaare durch. Auch die Brokat- und Edelsteinbesetzung der Weste sind von die- ser detailverliebten Feinmalerei geprägt. Alle Farben sind eher weich modelliert und das Kolorit in Pastelltönen gehalten, die eine idealisierende Tendenz des Rokoko spürbar machen. Wie in den höfischen Bildnissen zeichnet sich der Stil Denners durch die uner- lässliche Porträtähnlichkeit des Kopfes aus.23 Denners beachtliche malerische Erfah- rung geht einher mit einem hohen psychologischen Einfühlungsvermögen. Die aufrechte, selbstbewusste, aber dennoch diskrete Haltung Hasses unterscheidet sich von der des Mailänder Porträts, in der Hasse, der auf seine Oper verweist, geradezu aufdringlich seinem Publikum entgegenblickt. Während das Augenmerk bei Den- ner auf Hasses Antlitz und hochwertiger Gewandung liegt, konzentriert sich der Blick des Betrachters im Mailänder Bildnis auf die dargebotene Komposition.

23 Vgl. Höfische Bildnisse des Spätbarock, Katalog zur Ausstellung vom 15. September bis 30. Ok- tober 1966 im Schloss Charlottenburg, Berlin 1966, S. 54.

354 Diana Blichmann Die beiden Gemälde sind aus diesen Gründen zwei verschiedenen Porträt- Typengruppen zuzurechnen: Beim Mailänder Gemälde handelt es sich um ein repräsentatives Standesporträt mit individuellem Charakter, bei jenem Denners um ein Individualporträt. Der Unterschied beider Porträttypen basiert auf dem Umstand, dass beim Standesporträt durch die Kleidung und / oder durch die hinzugefügten Attribute auf den Stand des Abgebildeten hingewiesen wird. Sind keine entsprechenden musikalischen Attribute vorhanden und richtet der Maler sein Interesse auf die Physiognomie des Porträtierten, werden solche Bildnisse Individualporträts­ genannt.24 Jenes von Denner angefertigte Porträt weist jedoch eine zusätzliche Be­sonderheit auf: Der Betrachter richtet das Augenmerk nicht allein auf den Kopf des Abgebildeten, sondern ebenso auf die von dem, damals nicht unbedingt üblichen, Mantel freigelegte edelsteinbesetzte Weste mit Brokatstickerei. Auf diesem typologischen Unterschied basiert die folgende ikonologische Stu- die, bei der nach Argumenten gefragt wird, die diesen Typus -Wechsel stichhaltig machen. Vermutet wird, dass der ikonographische Gegensatz zwischen dem abge- bildeten Opernkomponisten einerseits – dessen nicht bestimmbares Dramma per musica das Bild dominiert und dessen Name lesbar sein soll – und einer höfischen Persönlichkeit andererseits, die sich ohne Hintergrundwissen nur schwer identifi- zieren lässt, auf den Statuswechsel Johann Adolf Hasses ab dem Jahre 1734 zurück- geführt werden kann.

»Ikonologie« als Methode für die Interpretation der Hasse-Porträts Der kunstwissenschaftliche Begriff der »Ikonologie« wurde hier bewusst im Gegen- satz zur »Ikonographie« gewählt,25 da es in diesem Zusammenhang um eine Inter- pretation der eben beschriebenen Hasse-Bildnisse geht. Im Kontext einer eher musik­ wissenschaftlich-historisch als kunsthistorisch ausgerichteten Publikation sei deswegen vorab klargestellt, was die »Ikonologie« von der »Ikonographie« unterscheidet. Alle Begriffe, die in der Kunstgeschichte mit dem Ausdruck »Ikonologie« in Ver- bindung gebracht werden, gehen auf zwei bedeutende Kunsthistoriker zurück: Aby Warburg (1866–1929) und Erwin Panofsky (1892–1968).26 Da die durch die Ikono- graphie, die sich im 19. Jahrhundert als eigenständiger, wissenschaftlich beschreiben-

24 Zu beiden Typen vgl. Czerwenka-Papadopoulos, Typologie des Musikerporträts (wie Anm. 3), Bd. 1, S. 46. 25 Das Suffix ›-graphie‹ (griech. ›graphein‹= schreiben) verweist auf den beschreibenden Cha- rakter dieser Wissenschaft, wohingegen das Suffix ›-logie‹ (griech. ›logos‹ = Verstand) ihren Inter- pretationscharakter bezeichnet. 26 Ihre Vorstellungen zur Ikonologie wurden wissenschaftlich in zwei Gruppen eingeteilt. Vgl. dazu Anhang 2, in: Ikonographie und Ikonologie. Theorien – Entwicklungen – Probleme, hrsg. von Ekke- hard Kaemmerling, Köln 51991 (Bildende Kunst als Zeichensystem 1), S. 491–494.

Zirkulation und Professionalisierung im Bild 355 der Forschungsbereich entwickelt hatte, erzielten Erkenntnisse als nicht ausreichend beurteilt wurden, etablierten Warburg und Panofsky zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine auf ikonographischen Aussagen aufbauende Wissenschaft. Diese verstand sich als historisch-hermeneutisch argumentierende Forschungsrichtung, die eine kultur- wissenschaftliche Interpretation des Kunstwerks zum Ziel hatte. Werturteile sollten in diese Interpretation nicht einbezogen werden. Ihr wissenschaftlicher Anspruch war insofern höher, da auf alle Wissenschaftsgebiete gleichermaßen zurückgegriffen werden sollte, wollte man anhand des Dargestellten beispielsweise die gesellschaftli- chen oder politischen Vorstellungen einer geschichtlichen Epoche erklären.27 Aby Warburg benutzte 1912 in einem Vortrag zu den Wandgemälden des Palazzo Schifanoja in Ferrara den Begriff der »kritischen Ikonologie« beiläufig. Die Ikonologie gilt seitdem als bedeutendes kunsthistorisches Verfahren und wird als einziges ausgearbeitetes Erkenntnismodell der Kunstgeschichte gesehen. Warburg beabsichtigte, neben der lexikografischen Identifikation, das heißt der Dechiffrie- rung allegorischer und symbolischer Figuren wie auch deren Attribute innerhalb der Mythologie und christlichen Ikonographie, weitere Sinnschichten eines Kunst- werkes, etwa seine Entstehungsgründe, freizulegen, mit dem Ziel, die Kontextbe- dingungen zu rekonstruieren.28 Erwin Panofsky arbeitete in der Folge eine besondere Methodik für die Analyse von Kunstwerken aus, die er bewusst als »Ikonologie« bezeichnete.29 Diese Analyse teilte er in einem zweiten sich dieser Thematik widmenden Beitrag in drei Schich- ten ein,30 und zwar in: (1) eine vorinkonographische Beschreibung, bei der reine Formen und die gegenseitigen Beziehungen dieser Formen als Ereignisse des Dargestellten identi- fiziert, die Anordnung und Stellung der Figuren wie auch das Kolorit untersucht werden, (2) eine ikonographische Analyse,31 ein höheres Stadium der Erkenntnis des Kunstwerks, bei der die Bilder identifiziert werden, da die Bedeutung nicht offen zutage liegt, und

27 Vgl. Ekkehard Kaemmerling, Vorbemerkung, in: dass., S. 7–14: 9. 28 Vgl. Andreas Beyer, Vorwort, in: Die Lesbarkeit der Kunst. Zur Geistesgegenwart der Ikonolo- gie, hrsg. von dems., Berlin 1992, S. 7–9: 7. 29 Dennoch war er nicht der Erste, der den Begriff ausdrücklich verwendete: Bereits im Jahre 1593 erschien Cesare Ripas Iconologia overo Descrittione dell’imagini universali cavate dall’antichità et da altri luoghi, bei der es sich um eine Art ikonographisches Wörterbuch des Barock handelte. Außer der identischen Begriffswahl gibt es zwischen Ripas und Panofskys »Ikonologie« keine Gemeinsamkeiten­. 30 Erstmals widmete sich Panofsky 1932 den Problemen der Ikonologie in seinem Aufsatz Zum Problem der Beschreibung und Inhaltsdeutung von Werken der bildenden Kunst, in: Logos 21 (1932), S. 103–119. Doch erst im Sammelband von 1939 Studies in Iconology formulierte er diese präzise Methode. 31 Die Ikonographie ist laut Panofsky »der Zweig der Kunstgeschichte, der sich mit dem Su- jet (Bildgegenstand) oder der Bedeutung von Kunstwerken im Gegensatz zu ihrer Form beschäf- tigt«. Erwin Panofsky, Ikonographie und Ikonologie, in: Ikonographie und Ikonologie (wie Anm. 26), S. 207–225: 207.

356 Diana Blichmann (3) eine ikonologische Deutung als höchster Stufe der Beschäftigung mit einem Kunstwerk, die dessen Gehalt mittels der Weltanschauung beziehungsweise der »Grundeinstellung­ einer Nation, einer Epoche, einer Klasse einer religiösen oder philo­sophischen Überzeugung« erfasst. Panofsky bezeichnete diese dritte Schicht nach Ernst Cassirer als Schicht der »symbolischen Werte«.32 Er deklarierte damit die Iko­nologie gewissermaßen zu einer kulturgeschichtlichen Interpretationswis- senschaft. Als solche hat sie nicht an den (themen)beschreibenden Interessen der Ikono- graphie teil. Sie interpretiert vielmehr die Bedeutungsstruktur von Kunstwerken, wobei festgestellt werden muss, dass auch Bildbeschreibung und Inhaltsdeutung nicht einfache Konstatierungen, sondern bereits Interpretationen und somit inte- grale Bestandteile der Ikonologie sind. Laut Panofsky ist die Interpretation »symbo- lischer Werte«, die dem Künstler selbst häufig unbekannt sind, Gegenstand dessen, was man, im Gegensatz zur Ikonographie, »Ikonologie« nennt.33 Der Kunsthistoriker Michael Liebmann grenzte die Erkenntnis Panofskys ein. Nach seiner Auffassung ist die Methode der Ikonologie nur auf einen Teil der Kunstwerke und nicht etwa auf Landschafts- und Genremalerei wie auch Stillleben und Porträts anwendbar. Liebmann ist ferner der Meinung, dass ihr Anwendungsbe- reich auch in chronologischer Hinsicht begrenzt ist und nur von der Spätantike bis zum 17. Jahrhundert reicht, also jener Zeit, in der Symbolen und Allegorien in der bildenden Kunst eine große Bedeutung zukommt.34 Folgendes muss jedoch konstatiert werden: Ein Porträt weist bereits deswegen schon eine ikonographische Bedeutung auf, da mittels der die Person auszeichnen- den Attribute wie Beigaben oder Kleidung,35 durch Mimik und Gestik ein Bedeu- tungsgehalt aufgezeigt werden kann. Geht man ferner davon aus, dass der Ikonologe darlegt, welche Bedeutung der geschichtlichen Entwicklung eines Themas bei- zumessen ist, den Bedeutungswandel eines gleichbleibenden Motivs aufzeigt und nach einer Erklärung für typologische Entwicklungen sucht,36 dann dürfte der hier gestartete Vergleich zweier, im Abstand von nicht mehr als zehn Jahren entstandener Bildnisse ein und derselben Person allein deswegen statthaft sein, da sich durch den Wechsel der dargestellten Attribute, die Gewandung inbegriffen, die Ikonologie des Bildes verändert. Im Folgenden wird deshalb der den beiden Darstellungen zugehörige Zeitkontext erläutert und dargelegt, aus welchen Gründen die oben beschriebenen Hasse-Bildnisse so unterschiedlich ausfielen.

32 Vgl. ebd., S. 211 f. 33 Vgl. ebd., S. 210–214. 34 Vgl. Michael Liebmann, Ikonologie, in: Ikonographie und Ikonologie (wie Anm. 26), S. 301–328: 307 und 325. 35 Neuere Studien zeigen, dass auch Kleidung eine ikonologische Bedeutung hat: Kleidung im Bild: Zur Ikonologie dargestellter Gewandung, hrsg. von Philipp Zitzlsperger, Emsdetten / Berlin 2010 (Textil Studies 1). 36 Vgl. Kaemmerling, Vorbemerkung (wie Anm. 27), S. 9.

Zirkulation und Professionalisierung im Bild 357 Zirkulation und Professionalisierung Das Leben Johann Adolf Hasses ist gekennzeichnet durch eine Lebensphase stetiger Reisen und eine Lebensphase annähernder ›Sesshaftigkeit‹. Beide Umstände können mit den Termini »Zirkulation« und »Professionalisierung« voneinander unterschie- den werden. Der Übergang beider Phasen hat seinen Ursprung in sozialen Faktoren und der gesellschaftlichen Position des Komponisten. Mit dem Terminus »Zirkulation« wird dabei der Zeitraum zwischen 1722 und 1734 in Verbindung gebracht. Er bezeichnet die Phase der Studienreise Hasses zwi- schen den italienischen Opernstädten, die ihm vom Braunschweiger Herzog gebil- ligt wurde und während der er zwar in dessen Dienst stand, aber frei von jeglichen Obliegenheiten war. Im Kurfürstentum Braunschweig-Lüneburg gehörte er seit dem Sommer 1719 zum Personal des Operntheaters.37 Das Libretto zu seiner dort am 11. August 1721 aufgeführten Oper Antioco zeichnet ihn nicht nur als »Virtuoso«38 des Herzogs von Braunschweig-Lüneburg, sondern in der Titelrolle der Interpre- tenliste auch als dessen »Cammer-Musicus« aus. Mit diesen und keinen anderen Titeln reiste er unter anderem nach Neapel, wo er anlässlich der Aufführung der Serenata Marc’Antonio e Cleopatra und der Oper Sesostrate zwar als »Kapellmeister« von Braunschweig beziehungsweise Wolfenbüttel ausgewiesen wird, sich aber nicht in diesem Amt befand.39 Die »Professionalisierung« bezieht sich auf die Jahre zwischen 1734 und 1756, wobei das Jahr 1734 insofern von Interesse ist, da sich in diesem Jahr Hasses gesell- schaftliche Stellung drastisch veränderte.40 Sie bezeichnet seine berufliche Entwick- lung vom »Virtuoso« am Hofe des Herzogs von Braunschweig-Wolfenbüttel zum »Maestro di cappella« am Dresdner Hof des Polenkönigs, August III. Hasses Profes- sionalisierung geht einher mit einem beruflichen Aufstieg: Das Amt nahm er auch wegen seiner neuen Herausforderungen an. Er akzeptierte somit ein hohes Maß an organisatorischer Arbeit wie auch an Gestaltungs- und Entscheidungsfreiheit.

37 Vgl. Mellace, Johann Adolf Hasse (wie Anm. 4), S. 34 f. 38 Es heißt: »La Musica e fatta dal Sign. A. F. [sic] Hasse Virtuoso di S. A. S. il Duca regnante di Braunsuiga-Luneburgo.« 39 Man könnte vermuten, dass die nicht korrekte Bezeichnung des Kapellmeisters deswegen verwendet wurde, weil sie eine größere Wirkung erzielte als die des »Virtuoso« oder »Cammer- Musicus«, zumal die Serenata im exklusiven Rahmen des Landsitzes des königlichen Rates Carlo Carmignano und die Oper im berühmten Teatro di San Bartolomeo dargeboten wurden. Mit der Angabe des in Neapel sonst wohl eher unbekannten Hofes Braunschweig-Wolfenbüttel hatte man im Sinn Hasse insbesondere mit der Habsburger-Dynastie in Verbindung zu bringen (vgl. Anm. 18). 40 Zu den folgenden Ausführungen vgl. die chronologische Abfolge der Opernaufführungen Hasses in Tabelle 1. Sie basiert auf den jeweils ersten Darbietungen der hasseschen Drammi per musica, anhand derer die Zirkulation Hasses ausgemacht werden kann: Dem ungeschriebenen Re- gelwerk der Oper im Settecento zufolge leitete der Komponist (am Clavicembalo) zumindest die erste Darbietung der jeweiligen Aufführungsserie.

358 Diana Blichmann Obgleich Hasse auch in der Zeit seiner Professionalisierung ab 1734, aufgrund eines besonders gut ausgehandelten Vertrags,41 außer den drei Reisen nach Pesaro, Wien und Bayreuth, regelmäßig in seine zweite venezianische Heimat reiste (vgl. Tabelle 1), blieb er zwischen 1734 bis 1756 als Komponist ausschließlich an den säch- sischen Königshof gebunden. Als Kapellmeister war er, im Gegensatz zu vorher, pars corporis regis, »Teil des königlichen Körpers«. Erst mit dem Tod des Königs im Jahre 1763 erlosch auch sein Dienstverhältnis.42

Zirkulation Hasses Reise nach Italien hat vermutlich nach der Aufführung des Antioco stattge- funden. Mit diesem Bühnenwerk auf ein von Barthold Feind bearbeitetes Textbuch Apostolo Zenos und Pietro Pariatis feierte Hasse sein Debüt als Opernkomponist. In der Doppelrolle als Komponist und Sänger war er bis Februar 1722 in seiner Heimat tätig und muss danach Norddeutschland verlassen haben.43 Schon zu diesem Zeit- punkt scheint Hasse klar gewesen zu sein, dass mit einer italienischen Studienreise seine Zukunft zumindest an deutschen Höfen als gesichert gelten konnte. Noch im 18. Jahrhundert bildeten die Künstler, die mit Hofstipendien ihre Studienrei- sen unternahmen, das Hauptkontingent unter den ins Ausland reisenden Künstlern. Nach ihrer Rückkehr in die Heimat wurden sie in der Regel fest angestellt.44 Hasse kann im Jahre 1730 den genauen Verlauf seiner Reise nicht nachvollzie- hen. Er erklärt lediglich, dass er vor seinem Neapel-Aufenthalt etwa drei Jahre damit verbracht habe, zwischen Venedig, Bologna, Florenz und Rom hin und her zu rei- sen. In keiner dieser Städte habe er sich länger als wenige Monate aufgehalten.45 Es muss nicht näher erläutert werden, dass es sich um die Opernzentren par excellence der italienischen Halbinsel handelte, in denen sich Hasse dieses Genre zu eigen machte, bevor er nach seiner Ankunft in der partenopäischen Stadt im Mai 1722 und im Anschluss an seine Ausbildung bei erstmals am Teatro di San Bartolomeo wirkte und am 13. Mai 1726 dort seinen Sesostrate46 aufführte. Die Entscheidung, sich fortan in Neapel aufzuhalten, mag von der künstleri- schen und politischen Situation abhängig gewesen sein: Hasse wurde wahrscheinlich vom Ambiente der musikalischen Konservatorien und von führenden Komponisten

41 Vgl. S. 369 in diesem Beitrag. 42 Vgl. Warnke, Hofkünstler (wie Anm. 10), S. 142. 43 An der Aufführung des Orlando furioso im Februar 1722 nahm er nicht mehr teil. Vgl. Wolfgang Hochstein, Art. Hasse, Johann Adolf, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart, 2., neu bearbeitete Aufl., hrsg. von Ludwig Finscher, Personenteil, Bd. 8, Kassel u. a. 2002, Sp. 785–800: 786. Ob die Italien-Reise auch vom Herzog finanziert wurde, ist bisher nicht bekannt. 44 Vgl. Warnke, Hofkünstler (wie Anm. 10), S. 137. 45 Vgl. dazu die Hochzeitsunterlagen in: Johann Adolf Hasse e Giammaria Ortes. Lettere (1760–1783), hrsg. von Livia Pancino, Turnhout 1998, S. 339. 46 Die Oper ist eine Bearbeitung des Sesostri, re di Egitto von Zeno und Pariati, in dem Hasse sechs Jahre zuvor in Braunschweig eine Gesangspartie erhalten hatte.

Zirkulation und Professionalisierung im Bild 359 Datum Ort Titel Librettist 11. 08. 1721 Braunschweig Antioco* / Pietro Pariati / Feind 13. 05. 1726 Neapel Il Sesostrate* Apostolo Zeno / Pietro Pariati Dezember 1726 Neapel L’Astarto* Apostolo Zeno / Pietro Pariati 19. 11. 1727 Neapel Gerone, tiranno di Siracusa* Aurelio Aureli Mai 1728 Neapel Attalo, re di Bitinia* Francesco Silvani 29. 01. 1729 Neapel L’Ulderica* ? 4. 11. 1729 Neapel Il * Francesco Silvani 11. 02. 1730 Venedig Artaserse* 17. 05. 1730 Venedig Dalisa* Nicolò Minato / Domenico Lalli 28. 08. 1730 Mailand Arminio* Antonio Salvi Herbst 1730 Neapel Ezio* Pietro Metastasio 13. 09. 1731 Dresden * Pietro Metastasio 26. 12. 1731 Turin Catone in Utica* Pietro Metastasio 12. 01. 1732 Rom Caio Fabrizio* Apostolo Zeno 10. 02. 1732 Venedig Il Demetrio* Pietro Metastasio / Giovanni Boldini 21. 05. 1732 Venedig Euristeo* Apostolo Zeno / Domenico Lalli 01. 10. 1732 Neapel Issipile* Pietro Metastasio 02. 05. 1733 Bologna * Pietro Metastasio Januar 1734 Wien Cleonice Pietro Metastasio 08. 07. 1734 Dresden Caio Fabrizio Apostolo Zeno 24. 09. 1735 Pesaro Tito Vespasiano* Pietro Metastasio 28. 01. 1736 Venedig Alessandro nell’Indie Pietro Metastasio / Michelangelo Boccardi

27. 02. 1737 Dresden Senocrita* Stefano Benedetto Pallavicino 26. 07. 1737 Dresden Atalanta* Stefano Benedetto Pallavicino 03. 08. 1737 Dresden Asteria* Stefano Benedetto Pallavicino 15. 01. 1738 Venedig Alessandro nell’Indie Pietro Metastasio / Michelangelo Boccardi 17. 01. 1738 Dresden La clemenza di Tito Pietro Metastasio

08. 02. 1738 Dresden Irene* Stefano Benedetto Pallavicino 11. 05. 1738 Dresden Alfonso* Stefano Benedetto Pallavicino 24. 01. 1739 Venedig Viriate* Pietro Metastasio / Domenico Lalli

360 Diana Blichmann Datum Ort Titel Librettist 08. 02. 1740 Dresden Cleonice Pietro Metastasio 09. 09. 1740 Dresden Artaserse Pietro Metastasio

07. 10. 1741 Numa Pompilio* Stefano Benedetto Pallavicino 18. 01. 1742 Dresden Lucio Papirio* Apostolo Zeno 07. 10. 1742 Hubertusburg Didone abbandonata* Pietro Metastasio / Francesco Algarotti Karneval 1743 Didone abbandonata Pietro Metastasio 08. 01. 1744 Wien * Pietro Metastasio 20. 01. 1744 Dresden Antigono* Pietro Metastasio 27. 12. 1744 Venedig Semiramide riconosciuta* Pietro Metastasio 07. 10. 1745 Dresden Arminio* Giovanni Claudio Pasquini 11. 01. 1747 Dresden Semiramide riconosciuta Pietro Metastasio

14. 06. 1747 Dresden La Spartana generosa* Giovanni Claudio Pasquini 07. 10. 1747 Hubertusburg Leucippo* Giovanni Claudio Pasquini 09. 02. 1748 Dresden Demofoonte* Pietro Metastasio 23. 09. 1748 Bayreuth Ezio Pietro Metastasio 29. 12. 1748 Venedig Demofoonte Pietro Metastasio 14. 05. 1749 Venedig Leucippo Giovanni Claudio Pasquini

12. 01. 1750 Dresden * Pietro Metastasio 07. 01. 1751 Dresden Leucippo Giovanni Claudio Pasquini

20. 01. 1751 Dresden Ciro riconosciuto* Pietro Metastasio 07. 10. 1751 Hubertusburg Ipermestra Pietro Metastasio

17. 01. 1752 Dresden Adriano in Siria* Pietro Metastasio 08. 01. 1753 Dresden Arminio Giovanni Claudio Pasquini

05. 02. 1753 Dresden * Giovanni Ambrogio Migliavacca

07. 10. 1753 Hubertusburg L’eroe cinese* Pietro Metastasio 06. 02. 1754 Dresden Artemisia* Giovanni Ambrogio Migliavacca 20. 01. 1755 Dresden Ezio Pietro Metastasio

07. 10. 1755 Dresden Il re pastore* Pietro Metastasio 16. 02. 1756 Dresden L’Olimpiade* Pietro Metastasio

Tabelle 1: Chronologie der Drammi per musica Johann Adolf Hasses zwischen 1721 und 1756, Normalschrift: Phase der Zirkulation / Auszeichnungsschrift: Phase der Professionalisierung

* = Originalfassung

Zirkulation und Professionalisierung im Bild 361 wie Alessandro Scarlatti nach Neapel gelockt. Auch der Braunschweiger Hof und die mit ihm verbundene Prinzessin Elisabeth Christine, die Gemahlin des habsbur- gischen Kaisers, könnte entscheidend auf seinen Entschluss eingewirkt haben, sich im Vizekönigreich niederzulassen, da sich hier unter anderem auch seine Chancen für eine künftige Anstellung in Wien verbessern ließen. Hasse hielt sich im habsburgischen Neapel bis Dezember 1729 auf.47 In die- sem Zeitraum brachte er hier insgesamt 16 Bühnenwerke zur Aufführung, wobei dem Dramma per musica eine besondere Bedeutung zukam: Neben dem Sesostrate sowie einer Musikkomödie in neapolitanischem Dialekt ließ Hasse folgende wei- tere Opern mit komischen Intermezzi aufführen: Astarto (Dezember 1726), Gerone, tiranno di Siracusa (19. November 1727), Attalo, re di Bitinia (Mai 1728), L’Ulde- rica (29. Ja­nuar 1729) und anlässlich des Namenstags von Kaiser Karl VI. Il Tigrane (4. No­vember 1729). Dieser neapolitanische Lebensabschnitt war entscheidend für den noch jungen Komponisten: Gemeinsam mit den an den Konservatorien ausgebildeten Musikern, allen voran Leonardo Vinci, dominierte er das dortige Musikleben und hatte an den fortschrittlichsten Kompositionstechniken teil. Auch begann er hier seine Zusam- menarbeit mit schon damals bedeutenden Sängerinnen und Sängern wie Marianna Benti Bulgarelli, Vittoria Tesi, Gaetano Berenstadt, Giovanni Carestini und Antonio Bernacchi. In Neapel lernte Hasse, die Ansprüche eines musikalischen Hoflebens zu erfüllen, sich an die adligen Kreise anzupassen und die höfische Repräsentation zu favorisieren. Zudem begann er ein Netz zahlreicher Kontakte zu knüpfen, das ihm beim späteren Umgang mit dem internationalen Hochadel von beruflichem Nutzen sein sollte, vor allem, wenn man bedenkt, dass er später auch vom Preußen- könig Friedrich II. und von Kaiserin Maria Theresia umworben wurde. Von nicht geringem Interesse war bei seinem Neapel-Aufenthalt Pietro Metastasio, der sich in besagten Jahren ebenfalls dort als herausragender Librettist etablierte und dabei auch nach einer Anstellung am habsburgischen Kaiserhof strebte.48 Hasses freundschaftliche und künstlerische Beziehung zu diesem Dichter ergab sich insbesondere aus der Konstellation, dass beide im Jahre 1729 erstmals ein gemeinsames Engagement an dem wohl prunkvollsten aller italienischen Opern- häuser, dem Teatro di San Giovanni Grisostomo in Venedig, erhielten. Metastasio, der als Librettist seit 1727 am römischen Teatro delle Dame tätig war, hatte mit seinen Operntexten bereits mehrfach am eben erwähnten venezianischen Grimani- Theater für Erfolge gesorgt. Im Zuge des allgemeinen Trends, in Neapel ausgebil- dete Komponisten, insbesondere Leonardo Vinci, und Nicola Por-

47 Hasse bestätigt, er habe sechs bis sieben Jahre ohne Unterbrechungen in Neapel gewohnt. Vgl. Johann Adolf Hasse e Giammaria Ortes (wie Anm. 45), S. 339–341. 48 Vgl. Diana Blichmann, Die Macht der Oper – Oper für die Mächtigen. Römische und Ve- nezianische Opernfassungen von Dramen Pietro Metastasios bis 1730, Mainz 2012 (Schriften zur Musikwissenschaft 20), S. 17–31. Metastasio wurde 1730 an den habsburgischen Hof in Wien als poeta cesarea auf Lebenszeit berufen (vgl. ebd., S. 486).

362 Diana Blichmann pora, in die Lagunenstadt zu rufen,49 fiel die Wahl des adligen Theatereigentümers Michele Grimani und seines Impresarios, des Neapolitaners Domenico Lalli, für die Vertonung des Artaserse auf Johann Adolf Hasse. Dieses wegen seines römischen Erfolges zusätzlich in den Spielplan aufgenommene Dramma per musica Metastasios erlebte zwischen dem 11. und 21. Februar 1730 an zehn Abenden deshalb relativ wenige Vorstellungen, weil es sich um die vierte Oper der Winter- und Karnevals- saison handelte. Dennoch hat es aufgrund seiner herausragenden Qualität als eine wesentliche Voraussetzung für Hasses Karriere am Dresdner Hof zu gelten.50 In den Opernhäusern Venedigs ging nicht nur das venezianische Patriziat ein und aus. Mehr noch als die süditalienischen Opernhäuser galten die der Lagunen- stadt als das ›Tor zu Europa‹. Aufgrund des enormen Fremdenverkehrs gestaltete sich der Export italienischer Künstler aus Venedig in die deutschsprachigen Länder im Vergleich zu Neapel oder Rom um vieles leichter: Die venezianische Seerepublik genoss nicht nur eine günstige geografische Lage – zumindest für die von Norden kommenden Reisenden –, sondern bot auch als Stadt zahlreiche Attraktionen, die auf keiner Italienreise und keinem Grand Tour fehlen durften.51 Rom und insbe- sondere Neapel waren dagegen für einen Touristen des 18. Jahrhunderts weitaus weniger gut erreichbar. So maß beispielsweise der sächsische Kurprinz Friedrich August II. während seines Italien-Aufenthaltes in den Jahren 1716 bis 1717 der Stadt Venedig den absoluten Vorrang bei, ließ sich dort kurzeitig nieder und entsandte Johann Georg Pisendel nach Neapel, der für das Engagement der Sänger Francesco Bernardi und Matteo Berselli an den Dresdner Hof sorgen sollte.52 Der Erfolg von Hasses Artaserse im Teatro di San Giovanni Grisostomo war freilich größer als jener der Dalisa am 17. Mai 1730. Dies belegen zahlreiche Wie- deraufführungen, Partiturkopien und der Abdruck einiger Arien bei John Walsh.53

49 Vgl. Reinhard Strohm, The Neapolitans in Venice, in: Dramma per musica. Italian Opera of the Eighteenth Century, hrsg. von dems., New Haven / London 1997, S. 61–80. 50 Dazu vgl. Blichmann, Die Macht der Oper (wie Anm. 48), S. 112 f. Auch Wiesend nimmt an, dass das Künstlerehepaar vor allem wegen seiner venezianischen Erfolge an den sächsischen Hof eingeladen wurde. Vgl. Wiesend, Die Rolle Venedigs für die internationale Karriere des Musikerehepaares Faustina Bordoni und Johann Adolf Hasse, in: Il mito di Venezia. Una città tra realtà e rappresentazione, hrsg. von Peter Schreiner, Rom / Venedig 2006, S. 103–121: 111. 51 Vgl. Blichmann, Die Macht der Oper, S. 55–61. 52 Vgl. Diana Blichmann, Der Venedig-Aufenthalt Pisendels (1716–1717): Erlebnisse im Gefolge des sächsischen Kurprinzen Friedrich August als Auslöser eines Kulturtransfers von Venedig nach Dresden, in: Johann Georg Pisendel – Studien zu Leben und Werk. Bericht über das Internationale Symposium vom 23. bis 25. Mai 2005 in Dresden, hrsg. von Ortrun Landmann und Hans-Günter Ottenberg, Hildesheim u. a. 2010 (Dresdner Beiträge zur Musikforschung 3), S. 1–57: 36. 53 Johann Adolf Hasse, The Favourite Songs in the Opera Call’d Artaxerxes by Sig.r Hasse, London o. J., Nachdruck Bologna 1980. Laut Mancini habe Hasses Artaserse keinen Erfolg gehabt. Vgl. Giambattista Mancini, Riflessioni pratiche sul canto figurato, Mailand 31777, Nachdruck Bologna o. J., S. 234 f. Zur Rezeption von Hasses Oper vgl. auch Mario Armellini, Tra Napoli, Roma e Venezia: note sull’»Artaserse« di Metastasio e i suoi debutti, in: Il canto di Metastasio, hrsg. von Maria Giovanna Miggiani, Bologna 2004, Bd. 1, S. 115–200: 138–145. Die Musik der Dalisa hingegen »hat nicht so viel Beifall erhalten wie man es erhoffte«. Vgl. den Brief von Graf Emilio de Villio an Stefano

Zirkulation und Professionalisierung im Bild 363 Vier Tage nach der letzten Darbietung des Artaserse wird Hasse zudem in einem Brief vom Sondergesandten des Sächsischen Hofes in Venedig, Emilio de Villio, erwähnt: »Non capisco in Me stesso dal piaccere. Questa Matina è venutto da Me il famosissimo: Mastro di Capella Sig:r Giovani sopranominato il Sassone, e M’hà fatto vedere l’offerta clementiss:ma fattelli fare da S. A. R. della piazza di primo Maestro di Capella di S. M.«54 Der Briefauszug belegt, dass der Kurprinz Friedrich August II. wegen der zu besetzenden Oberkapellmeisterstelle in Dresden und in der Absicht, mit ihm die neuesten Entwicklungen der italienischen Musikkultur ins Land zu holen, direkt mit Hasse verhandelte. Dass der am sächsischen Hof sehnlich erwartete Komponist vorerst jedoch nur im Jahre 1731 für einige Konzerte55 und insbesondere für die Opernaufführung der Cleofide am 13. September 1731 in Dresden eintraf, mag an seiner Vermählung mit Faustina Bordoni am 20. Juli 1730, der Geburt ihrer Tochter Maria Gioseffa vermut- lich im Oktober 1730 und an seinem Engagement am venezianischen Teatro di San Giovanni Grisostomo in der Karnevalsaison 1732 (Demetrio) gelegen haben.56 Ob es sich dabei allerdings auch um vorgeschobene Gründe gehandelt haben könnte, ist bisher nicht geklärt. Fest steht, dass in Italien, sowohl an ihn als auch an seine Gattin Faustina Bordoni eine Fülle von Opernaufträgen herangetragen wurde. So reiste Hasse zwischen Sommer und Herbst 1730 – zu einem Zeitpunkt also, als das Paar seine Tochter Maria Gioseffa erwartete – zwar nicht nach Dresden, wohl aber für zwei Opernprojekte nach Mailand und Neapel. Es handelte sich dabei um die Opern Arminio und Ezio, wobei letztere als Hasses vorerst letztes Dramma per musica in Verbindung mit Intermezzi im Teatro di San Bartolomeo gegeben wurde. In Anbetracht des Misserfolgs lohnten sich die Reise nach Neapel und der große künstlerische Aufwand dieser Opernproduktion für Hasse allerdings kaum. Am 30. Dezember 1730 schrieb de Villio erneut an den Dresdner Hofdichter und Sekretär des Kurprinzen Stefano Benedetto Pallavicino:

Devo dirLe in confidenza, che il nostro Sassone è per terra à Napoli [con l’Ezio]; Che è dis- piaciuto infinitamente e che hà perduto tutto il concetto. Qui pure nell’opera della passata

Benedetto Pallavicino vom 19. Mai 1730, Sächsisches Hauptstaatsarchiv Dresden, Loc. 3388, Vol. 1 – zitiert nach: Zenon Mojzysz, 1730: Ein Jahr im Leben Johann Adolf Hasses im Spiegel zei- tgenössischer Korrespondenz, in: Johann Adolf Hasse in seiner Epoche und in der Gegenwart (wie Anm. 19), S. 45–52: 49. 54 Brief von Graf Emilio de Villio an Stefano Benedetto Pallavicino vom 25. Februar 1730, in: Sächsisches Hauptstaatsarchiv Dresden, Loc. 3388, Vol. 1 – zitiert nach: Mojzysz, 1730: Ein Jahr im Leben Johann Adolf Hasses, S. 47, Anm. 6. 55 Zu diesen gehörten ein Konzert vor dem Kurprinzen am 8. Juli 1731, eine Kantatenaufführung anlässlich des Namenstages der Prinzessin Anna von Holstein am 26. Juli 1731, die Beteiligung an der Liturgie am Fest Mariä Himmelfahrt am 15. August 1731 wie auch die Aufführung der Kantate La gloria Sassonia anlässlich des Geburtstags des Kurprinzen am 7. Oktober 1731. 56 Vgl. dazu ausführlich Mojzysz, 1730: Ein Jahr im Leben Johann Adolf Hasses (wie Anm. 53), S. 49 f., und Wiesend, Die Rolle Venedigs (wie Anm. 50), S. 110.

364 Diana Blichmann Assentione [Dalisa] fece un pasticcio, che non ebbe il Minimo aplauso. Io però non voglio framischiarmene, ancor che io sappi, che in ora si penti di non esser subito passato al servitio di S. M. e che abbi delli Maneggi, e della disposizione per tornarvi.57 Hasse sollte für die nächsten zwei Jahre die süditalienische Stadt nicht mehr besu- chen. Er reiste von hier aus nach Turin, wo Faustina im Karneval 1731 gemeinsam mit Carlo Broschi (Farinelli) im Ezio von dessen Bruder Riccardo Broschi sowie im Poro von sang. Beide Gesangsvirtuosen gaben dort an zwei Aben- den ihre Gesangsfertigkeiten vor Karl Emanuel III. Herzog von Savoyen und König von Sardinien-Piemont wie auch bei Privatkonzerten im Salon der Königin zum Besten.58 Zu diesem Zeitpunkt verhandelten die Impresari aus Genua vergebens mit dem Künstlerehepaar für die dort geplanten Opernaufführungen. Vielmehr reisten die Hasses Ende April des Jahres 1731 nun endlich an den sächsischen Hof, wo sie, nach einem weiteren Umweg über Venedig, am 7. Juli ankamen.59 Obgleich während dieses Dresdner Aufenthalts insbesondere die Oper Cleofide mit großem Erfolg vor königlichem Publikum aufgeführt wurde, glich der Auftritt beider Künstler einem colpo di scena, denn Hasse kehrte zunächst einmal nach Turin zurück, und zwar zur Uraufführung seines Catone in Utica am 26. Dezember 1731. Weitere italienische Opernaufträge erhielt er in den Jahren 1732 und 1733 in Rom, Venedig, Neapel und Bologna, wobei vier der sechs Originalfassungen dramatischer Werke für Aufführungen außerhalb Dresdens auf einen Text Pietro Metastasios komponiert wurden (vgl. Tabelle 1). Zu den bedeutendsten dieser Darbietungen zählt der im Bologneser Teatro Malvezzi am 2. Mai 1733 aufgeführte Siroe re di Per- sia.60 Zu Beginn des Jahres 1734 ist Hasse zudem in Wien mit der Aufführung der Cleonice, wahrscheinlich einer zweiten Fassung von Il Demetrio zugegen.61

57 Brief von Graf Emilio de Villio an Stefano Benedetto Pallavicino vom 30. Dezember 1730, Sächsisches Hauptstaatsarchiv Dresden, Loc. 3388, Vol. 1 – zitiert nach: Mojzysz, 1730: Ein Jahr im Leben Johann Adolf Hasses, S. 51, Anm. 24. 58 Vgl. Brief Carlo Broschis an Sicinio Pepoli vom 3. Februar 1731, in: Carlo Broschi Farinelli, La solitudine amica. Lettere al conte Sicinio Pepoli, Palermo 2000, S. 78. 59 »quantunque qui sono l’impresari di Genova per formare una buona compagnia, volendo questi fermare la signora Faustina con suo marito come già ne hanno parlato ai medesimi, ma non hanno potuto accettare l’impegno a causa che devono portarsi agli ultimi d’aprile in Sassonia.« Vgl. ebd. und Tagebucheintrag in: Sächsisches Hauptstaatsarchiv Dresden, Akten des Oberhofmarschallamtes OHMA G, Nr. 32, fol. 29v, 7. Juli 1731 – zitiert nach: Mojzysz, 1730: Ein Jahr im Leben Johann Adolf Hasses (wie Anm. 53), S. 45. 60 Ausführlich zur Darbietung des Siroe in Bologna vgl. Mellace, Johann Adolf Hasse (wie Anm. 4), S. 104–111. Metastasio hatte das Drama im Jahre 1726 für die venezianische Bühne des Teatro di San Giovanni Grisostomo verfasst, wo es mit der Musik von Leonardo Vinci am 2. Februar erfolgreich aufgeführt wurde. Vgl. Blichmann, Pietro Metastasios »Siroe re di Persia« und seine ersten Aufführungen, Magisterarbeit, Hochschule für Musik »Franz Liszt«, Weimar, Fachbereich IV, Musikwissenschaft, Oktober 1999 (maschinenschriftlich). 61 Vgl. Mellace, Johann Adolf Hasse (wie Anm. 4), S. 436.

Zirkulation und Professionalisierung im Bild 365 Professionalisierung Hasses Ankunft am sächsischen Hof am 3. Februar 1734 fällt mitten in einen Win- termonat, in dem eine Reise von Venedig über die Alpen nach Dresden nicht viele Behaglichkeiten versprach.62 Gefragt sei daher nach den Gründen des langen Hinauszögerns der Dresdner Verpflichtungen wie auch nach dem Ankunftsdatum in Dresden. Für das Jahr 1730 mögen die oben genannten Fakten für das Fernbleiben aus Dresden plausibel klingen, obgleich gezeigt wurde, dass der Komponist trotz seiner besonderen familiären Situation für Opernaufträge durch Italien reiste. Hasses lange Abwesenheit vom Dresdner Hof muss nicht unbedingt an den für ihn ungünstigen Konditionen der Dresdner Kapelle gelegen haben, denn diese wurde bereits zwi- schen 1729 bis 1733 verschiedenen Neustrukturierungen unterzogen.63 Vielmehr lässt sich vermuten, dass die späte Ankunft Hasses in Dresden mit dem ausgeprägten Karrierebewusstsein des Komponisten zusammenhing. Seit sei- nen neapolitanischen Jahren schien Hasse bestrebt, in die Dienste eines einflussrei- chen Herrschers zu treten, vorzugsweise in die eines Souveräns mit italienischem Geschmackssinn. Auf der Grundlage von Hasses bereits bestehenden Kontakten zum Adel kamen diesbezüglich insbesondere zwei Regenten infrage: Von Kaiser Karl VI. hatte er bis dato kein konkretes Angebot erhalten. Der Kurprinz Fried- rich August II., der persönlich mit dem Komponisten seit 1730 verhandelte, war bis dahin ›nur‹ Thronanwärter der polnischen Krone. Sein regierender Vater, König August der Starke, bevorzugte jedoch in mehr als 50 Jahren Regierungszeit die fran- zösische Kultur, der Hasse weniger nahestand.64 Es scheint also, als wartete Hasse mit seinem endgültigen Dienstverhältnis ein gewisses Ereignis ab, das mit dem Tod des Königs am 1. Februar 1733 eintrat: Nachdem die Dresdner Hofkapelle vierein- halb Jahre lang ohne amtierenden Oberkapellmeister geblieben war,65 nahm er diese Stelle nur zwei Wochen nach der Krönung Friedrich Augusts II. zum polnischen König August III. (17. Januar 1734), also mit seinem Eintreffen in Dresden, an und wurde für die Organisation der Hofmusik verantwortlich.

62 Auch angesichts der Bewerbungen von Jan Dismas Zelenka um die Kapellmeisterstelle am 24. Oktober und 18. November 1733, die erst am 12. Februar 1734 abschlägig beschieden wurden, konnte bei Hasses Eintreffen am sächsischen Hof noch nicht absehbar sein, ob er für ein Gastspiel oder eine feste Anstellung nach Dresden gekommen war. Vgl. Gerhard Poppe, Kontinuität oder Neu­beginn – Zur Anfangssituation der Ära Hasse in Dresden, in: Johann Adolf Hasse in seiner Zeit (Sym­posium vom 23. bis 26. März 1999, Hamburg), hrsg. von Reinhard Wiesend, Stuttgart 2006 (Schrif­tenreihe der Hasse-Gesellschaft in Hamburg-Bergedorf und München 1), S. 305–315: 309 und 311. 63 Vgl. dazu ausführlich ebd., S. 305–308. 64 Vgl. Janice B. Stockigt, The Court of Saxony-Dresden, in: Music at German Courts, 1715–1760. Changing Artistic Priorities, hrsg. von Samantha Owens, Barbara M. Reul und Janice B. Stockigt, Woodbridge 2011, S. 17–49: 17. 65 Im Jahre 1728 bzw. 1729 starben die beiden Dresdner Kapellmeister Johann Christoph Schmidt und Johann David Heinichen. Danach folgte zwischen 1729 und 1734 eine Interregnum-Phase.

366 Diana Blichmann Der definitive Dienstantritt Hasses am 11. Juni 1734, mit einem rückwirken- den Vertrag für die Zeit ab 1. Dezember 1733, gilt in der Geschichte des Dresdner Hofes als deutliche Zäsur. Erst mit dieser festen Anstellung des Komponisten und seiner Frau Faustina Bordoni, deren beider gleichzeitige Berufung Reinhard Strohm als »kulturpolitischen Geniestreich« bezeichnet hat,66 war die Grundlage für eine dauerhafte Präsenz der italienischen Oper am sächsisch-polnischen Hof gegeben. Die Hauptaufgabe des neuen, zu besonders lukrativen Bedingungen angestellten Kapellmeisters67 bestand zunächst in einer Neuformierung der Hofkapelle, die der kulturellen Ausrichtung des Fürsten entsprechend mit Sängern und Komödianten aus Italien ausgestattet werden musste.68 Das so entstandene neue Orchester unter Johann Adolf Hasse und seinem Konzertmeister Johann Georg Pisendel, der seit dem 1. Oktober 1731 die Nachfolge Jean Baptiste Woulmeyers übernommen hatte, galt in der Folgezeit als das beste in Europa, wie auch Jean-Jacques Rousseau bezeugt.69 Am 8. Juli 1734 führte Hasse in Dresden eine Bearbeitung des 1732 in Rom gegebenen Caio Fabrizio auf. Ab diesem Zeitpunkt, und wie aus Tabelle 1 ersichtlich ist, endet die Phase der stetigen Reisen Hasses zwischen den italienischen Opern- städten Venedig, Rom, Neapel, Mailand, Turin und Bologna zugunsten einer deut- lichen Bevorzugung der sächsischen Kapitale. Zwar sind dennoch Zäsuren im Auf- enthalt am Dresdner Hof zu verzeichnen,70 die sich aber ganz eindeutig auf Venedig konzentrieren.71

66 Reinhard Strohm, Johann Adolf Hasses Oper Cleofideund ihre Vorgeschichte, in: Johann Sebastian Bachs Spätwerk und dessen Umfeld. Perspektiven und Probleme (Bericht über das wissenschaftliche Symposium anlässlich des 61. Bachfestes der Neuen Bachgesellschaft Duisburg, 28.–30. Mai 1986), hrsg. von Christoph Wolff, Kassel u. a. 1988, S. 170–176: 173. 67 Hasses Vertrag lehnt sich an jenen an, den Antonio Lotti und dessen Frau im Jahre 1717 erhielten. Vgl. Poppe, Kontinuität oder Neubeginn (wie Anm. 62), S. 311. Zu seinen Sondererlaubnissen vgl. Reinhard Wiesend, Johann Adolf Hasse als Dresdner Oberkapellmeister (1750–1764), in: Hasse- Studien 5 (2002), S. 19–31: 23. 68 Zum vollständigen Erneuerungsprojekt vgl. Panja Mücke, Johann Adolf Hasses Dresdner Opern im Kontext der Hofkultur, Laaber 2003, S. 30 f. 69 Vgl. Art. Orchestre, in: Jean-Jacques Rousseau, Dictionnaire de musique, Paris 1768, S. 354. Zur Annäherung an die Klangmerkmale des hasseschen Orchesters, etwa der chorischen Besetzung der Holzbläser, der räumlichen Gegenüberstellung von Streichern und Bläsern, der differenzierten Generalbassbesetzung und insbesondere zu den Effekten der Instrumentation vgl. Michael Hochstein, Die Dresdner Kapelle unter Johann Adolf Hasse, in: Der Klang der Sächsischen : Kontinuität und Wandelbarkeit eines Phänomens (Bericht über das Symposium vom 26. bis 27. Oktober 1998 im Rahmen des 450jährigen Jubiläums der Sächsischen Staatskapelle Dresden), hrsg. von Hans-Günter Ottenberg und Eberhard Steindorf, Hildesheim u. a. 2001 (Dresdner Beiträge zur Musikforschung 1), S. 81–94. 70 Die Chronologie in Tabelle 1 reicht bis Ende 1756, da Hasse zu diesem Zeitpunkt Dresden verließ. Allerdings unterbrach er während des Siebenjährigen Krieges seinen Dienst beim König von Polen nicht, sondern war bis 1763 weiterhin für diesen in Warschau tätig. Bei der Rückkehr Hasses und seines Mäzens nach Dresden im Jahre 1763 verstarb August III. eines plötzlichen Todes am 5. Oktober. 71 Bereits am 5. November 1734 begab er sich wieder nach Italien und kehrte erst am 28. Januar 1737 nach Dresden zurück. Vgl. Moritz Fürstenau, Zur Geschichte der Musik und des Theaters am Hofe

Zirkulation und Professionalisierung im Bild 367 Hasses gesellschaftliche Position hatte sich nach dieser positiven Wendung in seiner Karriere durchaus verbessert. Der Weg seiner Professionalisierung lässt sich anhand der von ihm vertonten Opernlibretti belegen, in denen in der Regel – und im Gegensatz zu vielen anderen italienischen Operntextbüchern der Zeit – Hasses Anstellung etikettiert wird: Verzeichnet das Register der Parochialkirche von Berge- dorf Hasse im Mai 1723 noch im Dienst am Braunschweiger Hof mit derzeitigem Aufenthalt in Italien72 und erhielt er 1726 im Libretto seiner ersten in Italien aufge- führten Oper, Sesostrate, sogar den Titel des »Maestro di cappella di S. A. S. il Duca di Brunsvich«, wobei man sein tatsächliches Amt als Kammermusiker ignorierte, trug er im Attalo, re di Bitinia von 1728 nicht mehr diesen Titel und erwarb sich als »Celebre Sig. Giovanni Adolfo Hass [sic] detto il Sassone« auch in L’Ulderica von 1729 eine neue Bezeichnung, die er zumindest in Italien nie mehr ablegte. In den Libretti des Tigrane und Artaserse wird Hasse als »Maestro sopranumerario della Real Cappella di Napoli« betitelt. Diese Stelle hatte er dank der Unterstützung des neapolitanischen Vizekönigs erhalten.73 Das Textbuch der Dalisa von 1730 gibt erst- mals Hasses Anstellung als »Primo Maestro di Capella del Re di Polonia« bekannt, obgleich der Komponist nicht wirklich am Dresdner Hof tätig war. Diesen Titel führte er bis zum Siroe re di Persia vom Mai 1733, in dem er sich, angesichts des Todes von König August dem Starken zu Beginn desselben Jahres, als »Maestro di cappelle dell’elettore di Sassonia«, also des Kurprinzen Friedrich August II. bezeichnete. Ab dem Caio Fabrizio vom 8. Juli 1734 nahm Hasse für drei Jahrzehnte, genauer gesagt von 1734 bis 1763, den Titel »Maestro di cappella del Re di Polonia ed elettore di Sassonia« an. In diesem Amt, das neue Aufgaben mit hohem Prestige mit sich brachte, genoss er eine außerordentliche Anerkennung: Ab 1734 war Hasse am sächsisch- königlichen Hof für repräsentative Aufgaben zuständig, sorgte für die perfekte und klangprächtige Ausgestaltung von Hoffesten wie auch für die Darbietung geistlicher Musik, organisierte die häufig an Venedig orientierte Festkultur und hatte mit sei- nen qualitäts- und glanzvollen Opernaufführungen zu gegebenen Anlässen dem Geschmack des Königs zu entsprechen. Er verbesserte das Niveau des Dresdner Orchesters nachdrücklich, wobei an der Verwirklichung von Hasses Ideen wie auch bei der Orchester- und Aufführungspraxis maßgeblich der Konzertmeister Johann Georg Pisendel beteiligt war.74

zu Dresden, Zweiter Theil, Dresden 1862, S. 218 und 224. Zu seinen Aufenthalten in Venedig und Dresden vgl. Mellace, Johann Adolf Hasse (wie Anm. 4), S. 47 und 75. 72 Vgl. ebd., S. 45. 73 Die sogenannten »sopranumerari« lieferten ihre Kompositionen ohne jegliche Einkünfte solange, bis sie eine feste Stelle besetzen konnten. Vgl. Francesco Degrada, La musica a Napoli du- rante il Viceregno austriaco, in: Settecento napoletano. Sulle ali dell’aquila imperiale 1707–1734, hrsg. von Electa Mondadori, Neapel 1994, S. 123–129: 123. 74 Hiller zufolge schrieb Hasse »keine Oper, wo er nicht vorher, wegen Bezeichnung der Bogenstriche, und anderer zum guten Vortrage nöthiger Nebendinge, sich mit dem Concertmeister besprach, und in diesem Stücke gänzlich auf ihn verließ.« Art. Pisendel (Johann Georg) Königl. Pol-

368 Diana Blichmann Gemeinsam mit seiner Gattin, die zur musikalischen Ausgestaltung des Musikle- bens in Dresden entscheidend beitrug, erhielt er für diese Aufgaben ein jährliches Gehalt von 6.000 Talern zusammen mit weiteren 500 Talern, die ihm als Reisegeld zur Verfügung standen.75 Zudem hatte er mit dem Dresdner Hof die Erlaubnis aus- gehandelt, nach Italien reisen zu dürfen, sobald der König mit seinem Hofstaat nach Warschau ging.76 Die auf diese Weise ermöglichten Opernengagements in Italien garantierten Hasse ein zusätzliches Einkommen. Während seiner Dresdner Amtszeit reiste Hasse außerdem nur an dynastische Höfe Europas, mit denen das sächsische Fürstenhaus in unmittelbarer familiärer Beziehung stand: Wien, Berlin, München, Bayreuth, Paris und Neapel. In der Regel wurde er dort als »Ehrengast« und »Aus- nahmeerscheinung« empfangen.77 Trotz der Anerkennung, die ihm auch von ande- ren Seiten entgegengebracht wurde, komponierte er Opern jedoch ausschließlich für das Fürstenhaus, an dem er angestellt war, es sei denn, er erhielt für die Annahme von Fremdaufträgen die ausdrückliche Erlaubnis78 oder wurde für Opernaufträge von kommerziell organisierten italienischen Opernhäusern engagiert. Aufgrund der Tatsache, dass während der Dresden-Aufenthalte von August III. fast ausschließlich Musik von Hasse erklang und die Werke seiner Kollegen nur dann gespielt wur- den, wenn der König sich vom sächsischen Hof entfernte, kann durchaus behauptet werden, dass der Komponist in Dresden zum künstlerisch-repräsentativen Monopol geworden war.79 Auf die gehobene gesellschaftliche Stellung des Ehepaars Hasse deutet auch ihr Domizil hin: Sie nutzten eine Dienstwohnung, die sich direkt in den landesherrlichen Gebäuden befand.80 Und nicht zuletzt gibt auch die neue Typolo- gie des von Denner angefertigten Hasse-Bildnisses in einem Individual­porträt Aus- kunft über Hasses Stellung am Dresdner Hof.

nischer und Churfürstl. Sächsischer Concertmeister, in: Johann Adam Hiller, Lebensbeschreibungen berühmter Musikgelehrter und Tonkünstler neuerer Zeit, Leipzig 1784, Nachdruck Leipzig 1979, S. 192. 75 Vgl. Mellace, Johann Adolf Hasse (wie Anm. 4), S. 73. 76 Vgl. Anm. 67. 77 Zu seinem Besuch am Wiener Kaiserhof vgl. Tutte le opere di Pietro Metastasio, hrsg. von Bruno Brunelli, 5 Bde., Mailand 1949–1954, Bd. 3, S. 427–436. Am Pariser Hof, wo das Ehepaar Hasse 1750 für ein Vierteljahr weilte, erhielten sie Kost und Unterkunft. Dies galt als Ehre, die Ausländern generell nicht gebührte. Vgl. Carl Mennicke, Hasse und die Gebrüder Graun als Symphoniker. Nebst Biographien und thematischen Katalogen, Leipzig 1906, S. 397. Zu Hasses »Selbstbewusstsein als Ausnahmeerscheinung« vgl. außerdem Wiesend, Bemerkungen zur gesellschaftlichen Position (wie Anm. 19), S. 40, wie auch Ders., Die Rolle Venedigs (wie Anm. 50), S. 112 f. 78 Man denke an die in Neapel aufgeführten Opern der 1750er-Jahre oder die am Kaiserhof auf Metastasio-Libretti vertonten Drammi per musica Alcide al Bivio (1760) und Il trionfo di Clelia (1762). 79 Zu dieser Thematik vgl. Wiesend, Johann Adolf Hasse als Dresdner Oberkapellmeister (wie Anm. 67), S. 23–26. 80 Vgl. Ortrun Landmann, Topographische und aufführungspraktische Anmerkungen zu Hasses Dresd- ner Wirken, in: Johann Adolf Hasse in seiner Zeit (wie Anm. 62), S. 317–342: 317.

Zirkulation und Professionalisierung im Bild 369 Zur Bedeutung von Hasses ›italienischer Identität‹ Wurde im letzten Kapitel erläutert, weshalb Johann Adolf Hasse erst vier Jahre nach dem lukrativen Stellenangebot des Kurfürsten den Dienst am sächsischen Königshof auch tatsächlich annahm, sei nun auch die Frage erlaubt, weshalb der Dresdner Hof vier lange Jahre geduldig auf ihn wartete. Der Komponist hatte aus der Sicht eines Nordeuropäers bereits während sei- nes ersten langjährigen Italien-Aufenthalts seine deutsche Identität immer mehr abgelegt. Nach einer umfangreichen Produktion musikalischer Werke in Italien, insbesondere im Bereich des Dramma per musica, seiner Vermählung mit der vene- zianischen Sängerin Faustina Bordoni, seinen Studien in Neapel, die dafür gesorgt haben, dass Hasse auch heute noch häufig irrtümlich in den Kreis der Komponisten der neapolitanischen Konservatorien eingereiht wird, und nicht zuletzt durch das ihm vom neapolitanischen Vizekönig verliehene Amt des »Maestro sopranumerario della Real Cappella di Napoli«, nahm Hasse Italien als seine Wahlheimat an. In Venedig verbrachte er seinen Lebensabend, und dort verstarb er am 23. Dezember 1783. Sein Grabmal und das seiner Gattin Faustina Bordoni können noch heute in der Kirche San Marcuola besichtigt werden. Hasse, der bereits im Jahre 1725 seinen italienischen Beinamen »il caro Sassone« erhielt, wurde schon zu Lebzeiten nicht als Deutscher, sondern als Italiener wahrgenommen. Seine nationale Identität war nicht nur instabil, sondern tendierte aufgrund der biographischen Fakten mehr in Richtung Italien. Hasses italienische Identität war schließlich auch der Grund dafür, weshalb der Dresdner Hof zwischen 1730 und 1734 vier Jahre lang auf die definitive Zusage des Komponisten wartete. Die dank Kurfürst Friedrich August II. zunehmende italie- nische Geschmacksbildung führte um 1730 zur Neuformierung der Oper und zum Engagement italienischer Künstler. Kein anderer zeitgenössischer Opernkomponist konnte eine dem Curriculum Hasses gleichende Biografie vorlegen: Aus Deutsch- land zwar gebürtig, wurde er doch als Italiener wahrgenommen. In Italien hatte er sich nicht nur den modernen Kompositionsstil angeeignet, sondern auch eine Sonderstellung am neapolitanischen Kaiserhof erlangt und zudem zahlreiche italie­ nische Opernstädte bereist, wo er enge Beziehungen zu Komponisten, Musikern und Sängern pflegte. Er genoss ferner die Reputation, mit den bedeutendsten zeit- genössischen Librettisten und Sängern zusammengearbeitet und die Bühnen der bedeutendsten Opernhäuser Italiens bespielt zu haben. Alles in allem übertraf er an Erfahrung und Bildung viele seiner italienischen Komponisten-Kollegen, wes- halb der sächsische Hof mit ihm geduldiger verhandelte als mit anderen Bewerbern zuvor. Vor allem nach seiner Zeit am neapolitanischen Kaiserhof als »Maestro sop- ranummerario« war eine für Hasse distinguierte Identität Voraussetzung für seine Wiedereingliederung in den deutschen Musikmarkt.

370 Diana Blichmann Musikalische Attribute und Gewandung als »ikonologische« Schlüssel Die beiden Hasse-Porträts manifestieren unterschiedliche gesellschaftliche Ansprü- che. Beim Versuch ihrer ikonologischen Deutung gilt es die im Kapitel »Johann Adolf Hasse im Standes- und Individualporträt« gemachten ikonographischen Unterschiede zu beachten, von denen ausgehend folgende Interpretation möglich ist: Im Mailänder Porträt deuten die schlichte Kleidung, die musikalischen Attribute wie auch ein weitaus eindringlicher Blick des Porträtierten auf einen eigenständi- gen und von höfischen Pflichten unabhängigen Komponisten hin. Die Wiedergabe Hasses in diesem Bildnis hebt die Tätigkeit des Komponisten hervor, die für ihn um 1730, angesichts seiner Intention, an einem mächtigen europäischen Hof eine lukra- tive Anstellung zu finden, noch lebensnotwendig war. Er ließ sich nicht als Praktiker mit Musikinstrumenten, sondern als Gestaltender abbilden, wobei die Opernparti- tur hervorgehoben wurde, was darauf hindeutet, dass er keine einfache Position als Hofmusiker, sondern eine höher situierte Stellung anstrebte. Denner betont dagegen Hasses natürliches und zurückhaltendes Antlitz wie auch seine Kleidung, speziell die Weste und den Mantel. Bei diesem handelt es sich nicht um den zeitgemäßen Rock mit Knöpfen, der, wie im Mailänder Gemälde, die prunkvolle Weste, die Brokatstickerei und die Edelsteine fast vollständig verdeckt hätte. Denner verzichtet zudem auf musikalische Attribute. Hasse wird hier vorteil- haft höfisch abgebildet. So wird dieses Hasse-Bildnis, dank der beschriebenen den- nerschen Feinmalerei, zur psychologisch eindringlichen Studie, wobei der Kompo- nist als Individuum dargestellt wird, dessen Beruf nicht mehr gekennzeichnet wird.81 Die in beiden Bildnissen jeweils andersartige Kleidung Hasses macht ferner eine unterschiedliche Lesart möglich: Hasse zeigt sich einerseits als Privatperson bezie- hungsweise (reisender) Opernkomponist mit üblicher Kleidung, andererseits als vor- nehmer Hofangestellter mit auffallendem Gewand.82 Die ikonologische Deutung kann deswegen nicht ohne kurze Bemerkungen zur Kleiderkunde der Zeit bleiben.83

81 Salmen zufolge wären dies Merkmale typischer Musikerporträts einerseits des 17. Jahrhunderts (Mailänder Gemälde), andererseits des 18. Jahrhunderts (Denner-Gemälde). Vgl. Walter Salmen, Musiker im Porträt, Bd. 1: Von der Spätantike bis 1600, München 1982, S. 11 f. Dass es sich aber vielmehr um Typologien handelt und dass diese zeitliche Eingrenzung nicht in jedem Fall zutrifft, bestätigen die aus dem 17.–18. Jahrhundert stammenden Musikerporträts ohne jegliches Beiwerk bei Czerwenka-Papadopoulos, Typologie des Musikerporträts (wie Anm. 3), Bd. 2, Abb. 309–345. Ihr zufolge bleibt das Musikerporträt mit Attributen auch im 18. Jahrhundert bestehen. Vgl. ebd., Bd. 1, S. 100. 82 Die Trennung von privatem und öffentlichem Bereich manifestiert sich im Erscheinungsbild des Menschen im Laufe des 18. Jahrhunderts. Vgl. Axel Limpert, Die Kleidung als Hinweis auf den gesellschaftlichen Stand am Beispiel des 18. Jahrhunderts, Studienarbeit, Norderstedt 2005, S. 6. 83 Zur »Kleiderkunde als Methode der Kunstgeschichte« vgl. generell Philipp Zitzlsperger, Dürers Pelz und das Recht im Bilde. Kleiderkunde als Methode der Kunstgeschichte, Berlin 2008, S. 118–155, und Ders., Vorwort, in: Kleidung im Bild (wie Anm. 35), S. 7–10.

Zirkulation und Professionalisierung im Bild 371 Grundsätzlich kann von der Erkenntnis Pierre Bourdieus ausgegangen werden, dass Kleidung und Schmuck wegen ihres hohen Symbolwertes die Funktion haben, das Individuum durch seine ›Mode‹ mit bestimmten gesellschaftlichen Gruppen zu verbinden.84 Dabei fungiert die dargestellte Kleidung als ästhetische Äußerung einer Gesellschaft, zeigt Mechanismen für die gesellschaftliche Inklusion an und wird als Mittel für kulturelle und soziale Differenzierung genutzt.85 Kleidung war auch im 18. Jahrhundert eng mit der Repräsentation und der Sichtbarmachung einer gesellschaftlichen Rolle verbunden. Mode war in aristokratischer Zeit reines Prestige, ja »reine Mode«,86 mit der Möglichkeit einer differenzierten Verortung gesellschaftlicher Kategorien.87 Der zunehmende Einfluss des Zeremoniells erhöhte damals die Komplexität und Signifikanz der Kleidung. Im Settecento entwickelte sich zudem die Disziplin der Zeremonialwissenschaft, die den Gewändern und ihrer Bedeutung als Insignie eine besondere Stellung einräumte.88 Der kleiderbetonte Alltag widerspricht demnach der Vermutung, dass vestimentäre Abbildungen keine symbolische Bedeutung beanspruchten. Wichtig ist folglich die Behauptung, dass die Kleidung als Symbol89 nicht allein dem Ausdruck sozialer Differenzierung, sondern insbesondere auch der Über- mittlung von Bedeutungen dient.90 Häufig waren jedoch die Beschaffenheit der Gewandung und ihre Accessoires komplexere Bedeutungsträger als das Kleidungs- stück selbst. Abschließend sei daher der symbolische Gehalt von Hasses Kleidung in den Bildnissen ermittelt und die beide Porträts beherrschende ikonologische Frage gestellt: Warum trägt Johann Adolf Hasse insbesondere im Porträt Balthasar Denners diese bestimmte Kleidung und keine andere? Es geht hier nicht um die lokale Einordnung von Hasses Gewandung, da zu seiner Zeit regional gebundene Moden ohnehin immer mehr verschwanden und einer allgemeinen europäischen Mode Platz machten.91 Freilich kann auch davon ausgegangen werden, dass Denner, zumal er Hasses Bildnis vermutlich ohne Porträt­

84 Vgl. Pierre Bourdieu, Zur Soziologie der symbolischen Form, Frankfurt am Main, 1970, S. 63–65. 85 Vgl. dazu Birgit Schneider, Textiles Prozessieren. Eine Textiliengeschichte der Lochkartenweberei, Berlin 2007, S. 182–207, und Gabriele Mentges, Europäische Kleidermode (1450–1950), 22. Februar 2011, in: http://www.ieg-ego.eu (Zugriff am 28. Juni 2012). 86 Vgl. Roland Barthes, Die Sprache der Mode, Paris 1967 (frz. Originalausgabe), deutsche Übersetzung Frankfurt am Main 1985, S. 296 f. 87 Vgl. Limpert, Die Kleidung als Hinweis auf den gesellschaftlichen Stand (wie Anm. 82), S. 6. 88 Zur Zeremonialforschung generell vgl. Milos Vec, Zeremonialwissenschaft im Fürstenstaat. Studien zur juristischen und politischen Theorie absolutistischer Herrschaftsrepräsentation, Dissertation, Frankfurt am Main 1998. 89 Zur Polyvalenz des Symbols in der kleiderkundlichen Kunstgeschichte vgl. Zitzlsperger, Dürers Pelz und das Recht im Bilde (wie Anm. 83), S. 145–147. 90 Laut Zitzlsperger sind zahlreiche Quellen überliefert, die bestätigen, dass Auftraggeber und Kritiker der inhaltsgeladenen Geltung von Gewandung im Bild einen hohen symbolischen Stellenwert beimaßen. Vgl. ebd., S. 131. 91 Vgl. Rene König, Macht und Reiz der Mode, Düsseldorf 1971, S. 150.

372 Diana Blichmann sitzungen ausführte, nicht die Kleiderwirklichkeit im Bild wiedergab.92 Der Reiz liegt in diesem Zusammenhang insofern nicht in der Authentizität der Kleider Hasses. Wichtig ist vielmehr, dass der Komponist in dem seinen Zeitgenossen und der Nachwelt übermittelten Bildnis in luxuriöser, ja prachtvoller Kleidung abgebildet ist. Das Tragen kostbarer schmuckbesetzter Stoffe scheint ihm dabei nicht zu genügen. Die raffinierte Zusammenstellung der Pastelltöne wie auch das Selbstbewusstsein, mit dem er sein Gewand trägt, lassen die Zugehörigkeit zu einer fürstlichen Gesellschaft erkennen.93 Mit seinem Porträt vermag Denner das Erscheinungsbild, vielleicht auch die Geltung des Dargestellten im Vergleich zum Mailänder Gemälde zu steigern. Dank seiner Natürlichkeit94 und Diskretion wird Hasse in einer absoluten Selbstverständ- lichkeit gezeigt, wie sie wenige Musikerporträts seiner Zeit auszeichnet.95 Noch drastischer ließe sich dies so formulieren: Hasse legte womöglich auch keinen Wert darauf, als Komponist abgebildet zu werden, da er den gesellschaftlichen Sprung vom »Virtuoso di S. A. S. il Duca regnante di Braunsuiga-Luneburgo« zum »Maes- tro di cappella del Re di Polonia ed elettore di Sassonia«96 bereits vollzogen hatte. Als Kapellmeister des Pracht liebenden Polenkönigs diente Hasse einem Hof, der seit 1733 zu einem der größten diplomatischen Kulturzentren in Europa aufgestie- gen war und dessen Hofkapelle einer stetigen Expansion unterlag.97 Hasse war mit der Ausschmückung der Dresdner Hoffeste und der Originalität seiner Musik zum Garanten dieser höfischen Repräsentation geworden.98 Denners Bildnis des königli- chen Hofkapellmeisters, das sich deswegen vom etwa zehn Jahre zuvor entstandenen Mailänder Gemälde abhebt, weil sich Hasses sozialer Status geändert hatte, ist im Sinne dieser höfischen Würde zu verstehen.

92 Den Auftraggebern und Künstlern ging es zumeist um die Modifikation der Alltagsrealität. Vgl. Zitzlsperger, Dürers Pelz und das Recht im Bilde (wie Anm. 83), S. 149. 93 Vgl. Erika Thiel, Geschichte des Kostüms, Berlin 1980, S. 248 f. 94 Der Sinn für Natürlichkeit entwickelte sich im Zuge der Aufklärung auch in der europäischen Mode. Vgl. Limpert, Die Kleidung als Hinweis auf den gesellschaftlichen Stand (wie Anm. 82), S. 6. 95 Vgl. dazu die Abbildungen in Czerwenka-Papadopoulos, Typologie des Musikerporträts (wie Anm. 3), Bd. 2. 96 Hervorhebungen durch Autorin gekennzeichnet. 97 Vgl. Helen Watanabe O’Kelly, Court Culture in Dresden from Renaissance to Baroque, Basingstoke 2002, S. 237, und Stockigt, The Court of Saxony-Dresden (wie Anm. 64), S. 32. 98 Vgl. Wiesend, Johann Adolf Hasse als Dresdner Oberkapellmeister (wie Anm. 67), S. 26 f.

Zirkulation und Professionalisierung im Bild 373