Journal Netzwerk Frauen- und Geschlechterforschung NRW

Homosexualität und Förderschule – Homonegativität vorprogrammiert? RUB – Gendersensible Projekte für Schülerinnen und Schüler Gender in der Psychologie – Erkenntnisstand & Implementierung in der Fachkultur Frauen und Informatik? – Befragung von Studierenden „Top or Token?“ – Frauen in Spitzenpositionen Jubiläum: Das Netzwerk ist 25 – Ministerinnen im Dialog Netzwerktagung „Gender & Art“ – Selbstbilder und Selbstkonzepte in den Künsten

Journal des Netzwerks Frauen- und Geschlechterforschung NRW Nr. 29 / 2011

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Journal Netzwerk Frauen- und Geschlechterforschung NRW

Nr. 29

Koordinations- und Forschungsstelle Netzwerk Frauen- und Geschlechterforschung NRW Prof’in Dr. Anne Schlüter Dr. Beate Kortendiek

c/o Universität Duisburg- Bildungswissenschaften Berliner Platz 6–8 45127 Essen Tel.: (0201) 183 6134 Fax: (0201) 183 2118 [email protected]

Redaktion Dr. Beate Kortendiek, Dr. Mechthilde Vahsen

Essen, Dezember 2011 ISSN 1617-2493

Journal Netzwerk Frauen- und Geschlechterforschung NRW Nr. 29/2011 1

Inhalt Editorial 5

NetzwerkprofessorInnen stellen sich vor Prof. Dr. Susanne Kröhnert-Othman – Fliedner Fachhochschule Düsseldorf 6 Marie-Jahoda-Gastprofessur: Dr. Sudeep Dasgupta an der RUB 8 Vertretungsprofessorin Dr. Claudia Lillge – Universität Paderborn 9

Kurznachrichten Das Haus der FrauenGeschichte Bonn 11 Herbstakademie 2011 an der Universität Duisburg-Essen 11 Relaunch der Website Netzwerk Frauen- und Geschlechterforschung NRW 11 Datenbank Kinderbetreuung aktualisiert 12 Untersuchung zu Hochschulleitungen und Geschlecht (2011/2012) 12 Diversity an nordrhein-westfälischen Hochschulen – Kurzbericht erschienen 12

Neue Projekte stellen sich vor Ulrike Schildmann Verhältnisse zwischen Geschlecht, Behinderung undAlter/Lebensabschnitten als intersektionelle Forschungsperspektive 13 Ulrike Schultz Recht und Gender, Portal der FernUniversität in Hagen 15 Gregor Schuhen Forschungsstelle LIMES – Literatur & Men’s Studies – an der Universität Siegen gegründet 16 Cornelia Hippmann, Oktay Aktan Geschlecht, Milieu, Ethnizität: Peer-Kulturen und schulische Anforderungen in intersektionaler Perspektive 17 Forschungsdach des Zentrums fur Geschlechterstudien/Gender Studies der Universität Paderborn „Wirksamkeit von Geschlecht in institutionellen Bildungskontexten“ 19

Beiträge Anne Schlüter „Gender“ als Erkenntnisinteresse, als Forschungs-Kategorie und als Thema 21 Wilhelm de Terra Homosexualität und Förderschule – Homonegativität vorprogrammiert? 24 Doris Mathilde Lucke „Top or Token?“ – Frauen in SpitzenPositionen 32 Anne Schlüter Expertise zur geschlechtergerechten Hochschule – Was ist den Hochschulen Gleichstellung wert? 39 Sigrid Metz-Göckel Differenzierung im tertiären Bereich und geschlechtergerechte Hochschule 39 Edyta Joanna Lukaszuk Fachkultur und Vergeschlechtlichung im Visier 44

Journal Netzwerk Frauen- und Geschlechterforschung NRW Nr. 29/2011 3 Sabrina C. Eimler, Jennifer Klatt & Nicole C. Krämer Frauen und Informatik? – Eine Befragung zur Situation weiblicher und männlicher Studierender des Studiengangs Angewandte Kognitions- und Medienwissenschaften 46 Gisela Steins Gender in der Psychologie – Zur Diskrepanz zwischen Erkenntnisstand und Implementierung in die Fachkultur 50 Magdalena Zomerfeld Mitmachen und Nachmachen! Gendersensible Projekte für Schülerinnen und Schüler an der Ruhr-Universität Bochum 54 Eva Wegrzyn Online-Befragung zum Gender-Portal der Universität Duisburg-Essen 58

Tagungsberichte Susanne Keil 25 Jahre Netzwerk Frauenforschung NRW – Jahrestagung „Gender & Art – Selbstbilder und Selbstkonzepte in den Künsten“ am 11.11.2011, Universität Paderborn 62 Susanne Keil „Ich wünsche mir Solidaritätsaktionen von den Frauen, die in der Wissenschaft erfolgreich sind.“ Anke Brunn und Svenja Schulze im Gespräch 66 Jennifer Jäckel Politische Organisation des wissenschaftlichen Mittelbaus – ein aussichtsloses Unterfangen? 69 Jennifer Hübner Mörderinnen. Verbrechen. Körper. Inszenierung. 72 Katrin Jansen 100 Jahre 2. Nobelpreis Marie Curie – Wie weiblich sind die Naturwissenschaften heute? 74 Mechthilde Vahsen Geschlechtergerechtigkeit an Hochschulen – Erfordernisse und Empfehlungen 77 Regina Heimann Universität der Vielfalt?! Erweiterte Bildungszugänge und neue Professionalisierungswege für Frauen 79 Eva Buchholz Interdisziplinäre Summer School „Aktueller Stand der Forschung zu geschlechtsbezogener Gewalt“ 82 Christina Natlacen Tagung „Das Private wird öffentlich. Techniken der Selbstdarstellung um 1970“ 84

Veröffentlichungen Buchbesprechungen Petra Kersting rezensiert Marion Mayer: „Beratungsarbeit im ‚Zwischen‘. Professionalisierungswege der Weiterbildungsberatung für Frauen“ 88 Edyta Joanna Lukaszuk rezensiert Sigrid Metz-Göckel, Senganata Münst, Dobrochna Kałwa: Migration als Ressource. Zur Pendelmigration polnischer Frauen in Privathaushalte der Bundesrepublik 89 Ute Büchter-Römer rezensiert Margherita von Brentano – Das Politische und das Persönliche. Eine Collage 91 Doris Mathilde Lucke: Rezensionsessay Annette Kuhn: Historia. Frauengeschichte in der Spirale der Zeit 92

Neuerscheinungen 95

4 Journal Netzwerk Frauen- und Geschlechterforschung NRW Nr. 29/2011 Editorial

Liebe LeserInnen, ein ereignisreiches Jahr neigt sich dem Ende zu – 2011 war für unser Netzwerk ein ebenso arbeitsreiches wie spannendes Jahr. Es begann mit der Vorstellung der Ergebnisse des Gender-Reports zu Jahresbeginn und den Aktivitäten zum 100. Jahrestag des Internationalen Frauentages im März. Dem folgte der große Gender-Kongress im September und als Abschluss unsere Jubiläumsfeier „25 Jahre Netzwerk Frauen- forschung NRW“ am 11.11.11 im karnevalsunverdächtigen Paderborn. Viele Aktivitäten, viele Debatten, viele Vernetzungen und ebenso viele wissenschafts- und gleichstellungspolitische Herausforderungen be- stimmen dieses Jahr. Sichtbar und spürbar ist die Lebendigkeit des Netzwerks. 25 Jahre sind eben noch „kein Alter“. Ein Teil der Aktivitäten wird in diesem Journal dokumentiert. So finden Sie sowohl den Tagungsbericht zu „Gender & Art. Selbstkonzepte in den Künsten“ und den generationenübergreifenden Dialog zwischen der amtierenden Wissenschaftsministerin Svenja Schulze und der ehemaligen Wissenschaftsministerin Anke Brunn. Er macht Frauen- und Wissenschaftsgeschichte sichtbar und verdeutlicht, unter welchen Umstän- den Anke Brunn das Netzwerk gegründet hat und mit welchen Herausforderungen Svenja Schulze heute konfrontiert ist. Ebenso enthalten sind Berichte über den Gender-Kongress, den Workshop zu Prekarisie- rungsprozessen im Mittelbau, über die Tagung „Wie weiblich sind Naturwissenschaften heute“ und über erweiterte Bildungszugänge und neue Professionalisierungswege für Frauen. Ein Schwerpunkt des Heftes widmet sich dem Themenfeld „Fachkultur und Vergeschlechtlichung“. Hierzu fand ein interdisziplinärer Workshop am 9.9.2011 an der Universität Duisburg-Essen (Fachgebiet Erwach- senenbildung/Bildungsberatung & Netzwerk Frauen- und Geschlechterforschung NRW) statt. Zwei der Vorträge sind in das aktuelle Journal aufgenommen worden. So beschäftigt sich Gisela Steins mit „Gender in der Psychologie“. Die Wissenschaftlerinnen Sandra E. Eimler, Jennifer Klatt und Nicole C. Krämer geben einen Einblick in die Fachkultur „Frauen in der Informatik“. In der Rubrik „Neue Projekte stellen sich vor“ finden Sie fünf Projektpräsentationen, die vom DFG-Projekt über „Geschlecht, Behinderung, Alter“ an der TU Dortmund bis hin zur Gründung der Forschungsstelle zu „Literatur & Men’s Studies“ an der Universität Siegen reichen. Darüber hinaus hält das Journal ausführliche Beiträge aus Forschungsstudien bereit. Hervorzuheben ist hier der Beitrag von Wilhelm de Terra zu „Homosexualität und Förderschule“, in dem er die Schulwirklichkeit(en) als stark heteronormativ orientierte gesellschaftliche Ordnungen vorstellt und Ergebnisse aus der empi- rischen Studie über die Erfahrungen und Einstellungen von SchülerInnen an Förderschulen gegenüber Homosexualität und Homosexuellen referiert. Magdalena Zomerfeld berichtet über gendersensible Pro- jekte für SchülerInnen an der Ruhr-Universität Bochum. Doris Mathilde Lucke nimmt uns in ihrer gewohnt Gedanken-Wort-erfinderischen Art mit, um anhand zweier Bucherscheinungen über „Frauen in SpitzenPo- sitionen“ auf der Basis biographisch bilanzierender Gedanken hinter die „Schaufassaden“ unbestreitbarer FrauenErfolge und offensichtlicher ErfolgsFrauen zu schauen. Nicht versäumen möchten wir es, die neuen ProfessorInnen im Netzwerk zu begrüßen – den Marie-Jahoda- Gastprofessor Dr. Sudeep Dasgupta, die Vertretungsprofessorin Dr. Claudia Lillge (Universität Paderborn) und die Professorin Dr. Susanne Kröhnert-Othmann, die an der neu gegründeten Flieder Fachhochschule Düsseldorf eine Professur zu Management und Diversity innehat. In gewohnter Weise runden Kurznachrichten, Rezensionen und Neuerscheinungen dieses Heft ab. Vielleicht ist es Ihnen aufgefallen? Das Journal kommt im neuen Gewand daher und auch unser Logo und unsere Website sind aktualisiert worden. Uns war es wichtig, unsere Namenserweiterung von „Netzwerk Frauenforschung NRW“ in „Netzwerk Frauen- und Geschlechterforschung NRW“ optisch sichtbar zu ma- chen und durch die neue Website zukünftig sowohl aktueller berichten als auch mehr Service-Leistungen für Recherchen im Bereich Forschung, Wissenschaft und Gleichstellung gewährleisten zu können. Mit dem Logo, das sich aus vielen Punkten zusammensetzt, wollen wir verdeutlichen, dass viele Netzwerk-Wissen- schaftlerInnen gemeinsam ein Bild ergeben und zugleich etwas ins Rollen bringen können. Wir arbeiten alle am Projekt geschlechtergerechte Wissenschaft und Hochschulen in NRW – jede an ihrer Hochschule und/oder in ihrem Projekt; und gemeinsam prägen wir die nordrhein-westfälische Hochschullandschaft. In diesem Sinne bedanken wir uns sehr für die produktiven Kooperationen in 2011 und wünschen Ihnen alles Gute für den Jahreswechsel.

Ihre Anne Schlüter und Beate Kortendiek Essen, Dezember 2011

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NetzwerkprofessorInnen stellen sich vor Prof. Dr. Susanne Kröhnert-Othman Lehrgebiet Management und Diversity, Fliedner Fachhochschule Düsseldorf

kulturwissenschaftlichen Forschungsinstitut, und Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft. Dane- ben verfügt sie über Erfahrung als Referentin für interkulturelle Kompetenz in der Erwachse- nen- und Lehrerbildung und hat mehrjährige Auslandserfahrung im arabischen Raum.

Arbeitsschwerpunkte

Bisherige Arbeitsschwerpunkte von Susanne Kröhnert-Othman sind ethnische und symboli- sche Grenzziehungen und Identitätskonstruktio- nen, religiöse Bewegungen und Organisationen im Kontext von Migration, Islam und Moderne, transkulturelle Geschlechterforschung, inter- kulturelle (Medien-)Kompetenz, internationale Zur Person Schulbuchforschung und Ethnologie des Arabi- schen Nahen Ostens. Susanne Kröhnert-Othman ist seit Oktober Susanne Kröhnert-Othman vertritt einen all- 2011 Professorin im Lehrgebiet Management tagsweltlichen Zugang zum Thema Diversität in und Diversity an der neu gegründeten Fliedner Organisationen. Konzeptionell schließt sie dabei Fachhochschule in Düsseldorf-Kaiserswerth. an Überlegungen zu Dynamiken des symbolic Sie vertritt dort den Schwerpunkt Gender und boundary making an, wie sie bei Zolberg, La- Migration/Kultur vor allem in der Lehre eines mont oder Wimmer zu finden sind. berufsbegleitenden Masterstudiengangs im In ihren Feldstudien zu religiösen Migrantenge- Lehrgebiet. Den Magister Artium erwarb sie in meinden hat sie Prozesse ethnisierter symboli- den Fächern Ethnologie, Soziologie und Islam- scher Grenzbildung im Inneren der Organisatio- wissenschaften an der Universität Münster, wo nen zu äußeren Grenzbildungen im Kontext der sie auch im Jahr 2001 in Fach Soziologie pro- deutschen Einwanderungssituation in Beziehung movierte. gesetzt. Ein besonderer Schwerpunkt lag dabei In den Jahren 1998/99 war Susanne Kröhnert- auf der Analyse des Zusammenspiels zwischen Othman Stipendiatin im DFG-geförderten Gra- Rhetoriken der religiösen Vergemeinschaftung, duiertenkolleg „Geschlechterverhältnis und Organisationsstrukturen und Chancen sozialer sozialer Wandel“ am HDZ der Universität Dort- Mobilität der Mitglieder der untersuchten Ge- mund. meinden. Die Rekonstruktion der symbolischen Zu ihren bisherigen Tätigkeiten gehören Pro- Grenzbildungen in diesem spezifischen Kontext jektarbeit sowie Forschung und Lehre an den von Organisation ermöglichte herauszuarbei- Universitäten Münster, Bochum, zuletzt Bielefeld ten, welche Rolle Aspekte von Diversität wie im Arbeitsbereich Transnationalisierung und Ent- Geschlecht, Ethnizität, Religionszugehörigkeit, wicklung in der Arbeitsgruppe Sozialanthropolo- Religiosität, soziale Schicht, für Differenzie- gie an der Fakultät für Soziologie. Dort führte sie rungs- und Anerkennungsprozesse im Kontext zwischen 2006 und 2009 ein DFG-gefördertes von Migration spielen. Postdoc-Forschungsprojekt zum Thema „Religi- In den Schulbuchstudien, die Susanne Kröhnert- öse Vergemeinschaftung und Inkorporation von Othman in den letzten Jahren am Georg-Eckert- Migrantinnen und Migranten in die deutsche Ein- Institut für internationale Schulbuchforschung wanderungsgesellschaft“ durch. geleitet hat, standen Untersuchungen zu Selbst- Von 2009 bis 2011 war sie Leiterin eines wis- und Fremdbildern und von identifikatorischen senschaftlichen Arbeitsbereichs und Projektlei- Grenzbildungen zwischen Europa und muslimi- terin am Georg-Eckert-Institut für internationale schen Gesellschaften sowie zum Thema Islam in Schulbuchforschung, einem außeruniversitären Europa im Mittelpunkt.

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Ausgewählte Publikationen - Susanne Kröhnert-Othman und Ruth Klingebiel (2000) Egalitäre Differenz als Vision gelebter - Kröhnert-Othman (im Erscheinen) Expan- Globalisierung. Ein Beitrag der Internationa- ding Boundaries of Recognition and Mobili- len Frauenuniversität ifu 2000 in Hannover zur ty? – Otherworldly Rhetoric and Thisworldly Internationalisierung der deutschen Hochschu- Organisation in an African based Charismatic len, in: „Hochschulreform und Geschlecht – Church in . In: Adogame, Afo & Shoba- Neue Bündnisse und Dialoge“ hrsg. von Sigrid na Shankar (eds.) Religions on the Move. New Metz-Göckel, Christa Schmalzhaf Larsen und Dynamics of Religious Expansion in a Globalizi- Eszter Belinszki. Opladen 2000. ng World. Brill Publishers. - Kröhnert-Othman (im Erscheinen) The Reifica- Mitverantwortete Schulbuchstudien tion of Ethnic Ties in an “Arab” Mosque Com- munity and in Civil Society. In: Dietrich Reetz - (2009) Educational Reform and Textbooks in & Peter Mandaville (eds.) Muslim Traditions in Selected Mena Countries – Images of Self and European Contexts. Brill Publishers. Other in the History Textbooks of Jordan, Egypt, - Kröhnert-Othman (2008) Der etwas andere Lebanon and Oman (hg. durch Georg-Eckert- Tausch – Gender in zwei religiösen Migran- Institut; auffindbar unter http://www.edume- tenorganisationen. Journal Netzwerk Frauen- res.net) forschung NRW, Nr. 23. S. 29–33. http://www. - (2010) Zum aktuellen Stand der Darstellung netzwerk-frauenforschung.de/download/jour- von Islam und Muslimen in Schulbüchern eu- nal23.pdf ropäischer Länder – Geschichts- und Politik- - Kröhnert-Othman, Susanne (2007) Tradition bücher in Deutschland, Österreich, Frankreich, oder Religion? – Religiosität als Bestimmungs- Spanien und England (hg. durch Georg-Eckert- faktor der sozialen Arbeit mit muslimischen Mi- Institut; auffindbar unter http://www.gei.de) grantinnen und Migranten. In: Sozial Extra Nr. 1/2 (2007) S. 47–49. Rezensionen - Kröhnert-Othman, Susanne (2006) Die symbo- lische Ordnung der Moderne, kulturelle Identi- - (im Erscheinen) Rezension zu Umut Erel. Mi- tät und Gender im arabisch-islamischen Raum. grant Women Transforming Citizenship: Life- In: Mae, Michiko und Saal, Britta (Hg.) (2006) Stories from Britain and Germany, Farnham: Transkulturelle Genderforschung – Ein Studien- Ashgate, 2009, in: Aspasia Vol. 6. Berghahn buch. VS-Verlag, . Publishers. - Kröhnert-Othman, Susanne (2003) Lebensfüh- - (2011) Rezension zu Christoph Wulf, Jacques rung und Identitätsbestimmung – Zeit- und Poulain und Fathi Triki (Hrsg.) „Erziehung und Sinnorientierungen palästinensischer Lehrerin- Demokratie: Europäische, muslimische und ara- nen. Reihe Umbrüche der Moderne. Verlag für bische Länder im Dialog“ (2010) in: Zeitschrift Interkulturelle Kommunikation IKO, Frankfurt Concordia – Internationale Zeitschrift für Philo- a. M. sophie – Themenheft Arabisch-islamische Phi- - Susanne Kröhnert-Othman und Ilse Lenz losophie der Gegenwart. (im Erscheinen) (2002) Geschlecht und Ethnizität: Kämpfe um - (2010) Rezension zu Transkulturelles und In- Anerkennung und symbolische Regulation. In: terreligiöses Lernhaus der Frauen – Ein Projekt Kontakt Prof. Dr. Susanne Kröhnert- Bittlingmayer, Uwe H., Kastner, Jens, Radema- macht Schule, hrsg. von Marianne Genenger- Othman cher, Claudia (Hg.) Theorie als Kampf – Zur po- Stricker, Brigitte Hasenjürgen und Angelika Fliedner Fachhochschule litischen Soziologie Pierre Bourdieus. Leske und Schmidt-Koddenberg 2009. In: Journal Netz- Düsseldorf Lehrgebiet Management und Budrich, Opladen 2002. werk Frauenforschung NRW Nr. 26/2010, S. 76. Diversity - Kröhnert-Othman, Susanne (2002) Kultur als - (2007) Rezension zu Katharina Lange: Zurück- Alte Landstraße 179 40489 Düsseldorf Waffe? – Überlegungen zur Gleichzeitigkeit holen, was uns gehört. Indigenisierungstenden- Tel.: (0211) 409 3376 von Gewalt und Dialog. In: Peripherie Heft zen in der arabischen Ethnologie. In: Peripherie kroehnert-othman@fliedner- fachhochschule.de Nr. 88, Kommunikation und Terror, Dezember, Heft Nr. 108, 27. Jahrgang. Münster. S. 505– www.fliedner- Münster S. 414–432. 507. fachchochschule.de

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Marie-Jahoda-Gastprofessur im Wintersemester 2011/12 Medienwissenschaftler Dr. Sudeep Dasgupta zu Gast an der RUB

Den interdisziplinären Raum zwischen medienwissenschaftlicher Fragestellungen mit Philosophie und Media Studies entdecken Bezugnahme auf Jacques Rancières Philosophie und auf postkoloniale Theorien. Die internationale Marie-Jahoda-Gastprofessur Dasgupta bietet im Wintersemester das Seminar für Geschlechterforschung der RUB besetzt „Aesthetic Transformations, Disruptive Politics in diesem Wintersemester der Medienwissen- and Disturbing Identities“ an. Es richtet sich an schaftler Dr. Sudeep Dasgupta von der University Studierende der M.A.-Studiengänge Gender Stu- of Amsterdam (NL). Er forscht und lehrt auf dem dies und Medienwissenschaft und wird auf Eng- Gebiet der Media, Postcolonial und Queer Stu- lisch abgehalten. dies. Aktuelle Forschungsprojekte an der Amster- Über das Programm: Die Marie-Jahoda-Gastpro- dam School of Cultural Analysis (ASCA) sind z. fessur für Internationale Geschlechterforschung B. „Europeanizing Spaces: Cultural Encounters an der Ruhr-Universität Bochum wurde 1994 and Entangled Histories“ und „Migratory Ae- unter dem Vorzeichen eingerichtet, die inter- sthetics“. Sein Interesse gilt insbesondere der nationale Ausrichtung und Kooperation durch Verbindung von Ästhetik und Politik und deren grundlegende Impulse in Forschung und Lehre Bedeutung für die Medienwissenschaften. voranzutreiben. Sudeep Dasgupta studierte in Poona, Indien, und International renommierte WissenschaftlerIn- Pittsburgh, USA, und promovierte an der Ams- nen, die die Theorieentwicklung und empirische terdam School of Communications Research, Forschung in der Frauen- und Geschlechterfor- Kontakt Melanie Trommer Niederlande. Derzeit lehrt und forscht er als As- schung maßgeblich beeinflusst haben, werden Koordination der Marie- sociate Professor für Media Studies an der Uni- für ein Semester auf die Gastprofessur eingela- Jahoda-Gastprofessur für Internationale Geschlechter- versität Amsterdam, Niederlande. In Forschung den. Sie kommen vor allem aus den Sozialwis- forschung und Lehre greift er auf interdisziplinäre Ansät- senschaften, aber auch aus der Geschichte, der Tel.: (0234) 32–22986 [email protected] ze zurück. So gehört zu seinen aktuellen For- Kunstgeschichte, der Medienwissenschaft und www.sowi.rub.de/jahoda schungsschwerpunkten u. a. die Untersuchung der Anthropologie.

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Vertretungsprofessorin Dr. Claudia Lillge Universität Paderborn, Komparatistik/Vergleichende Literatur- und Kulturwissenschaft

Zur Professur

Dr. Claudia Lillge vertritt seit dem Wintersemester 2011/2012 den vakanten Lehrstuhl für Kompara- tistik/ Vergleichende Literatur- und Kulturwissen- schaft an der Universität Paderborn (Nachfolge: Prof. Dr. Gisela Ecker). Dieser Lehrstuhl erfüllt seit seiner Einrichtung institutionell die Aufgaben ei- ner Netzwerkwerkprofessur, d. h. die Förderung des weiblichen wissenschaftlichen Nachwuchses (z. B. durch Betreuung von Stipendiatinnen des Lise-Meitner-Programms u. a. Förderprogramme) sowie die Integration von Themen der Gender Studies in Forschung und Lehre. Im Rahmen des Masterstudiengangs Komparatistik, dem die Pro- fessur angehört, ist der Bereich Gender Studies in ein Schwerpunktmodul eingebunden. hunderts, Transatlantic Studies (GB-USA), literari- sche Anthropologie, Ästhetik neuer Medien sowie Zur Person Themen und Theorien der Kulturwissenschaften und Cultural Studies (insbesondere der Gender Claudia Lillge studierte Anglistik, Amerikanistik Studies: Arbeit und Geschlecht, europäische Sa- und Germanistik an der Georg-August-Universität lonforschung, gender-orientierte Erzähl- und Gat- Göttingen. 2005 promovierte sie ebenda im Fach tungstheorie) Anglistik mit einer komparatistischen Arbeit zum Thema „Die Brontë-Methode. Elizabeth Stoddards Aktuelle Forschungsprojekte transatlantische Genealogie und das viktoriani- sche Imaginäre“. 2005 arbeitete sie als Wissen- - Susan Sontags Theorie der Fotografie schaftliche Mitarbeiterin am Institut für Englische - Große Erzählungen – Fernsehserien nach 2000 Philologie der Universität Göttingen und war dort - Kulturelle Praktiken der Entpflichtung und Ver- Lehrbeauftragte für die Fächer Englische Litera- weigerung turwissenschaft, Geschlechterstudien, Kompa- ratistik, Medienwissenschaft, Euroculture sowie Veröffentlichungen im Lehrverbund der International Max Planck Re- search School. Im gleichen Jahr wechselte sie für Monografie die zweite Qualifikationsphase als Wissenschaft- - Die Brontë-Methode: Elizabeth Stoddards trans- liche Mitarbeiterin an die Universität Paderborn atlantische Genealogie und das viktorianische an den Lehrstuhl von Prof. Dr. Gisela Ecker. Ihr Imaginäre (Heidelberg: Winter, 2009). Habilitationsprojekt trägt den Titel „Britische Ar- beiterkulturen im Medienwandel des 20. und 21. Sammelbände und Zeitschriften Jahrhunderts“. Für den Aufbau einer Nachwuchs- - Kulturen der Arbeit, hrsg. von Gisela Ecker und forschergruppe zum Thema „Kulturphänomen Ar- Claudia Lillge (Paderborn: Fink Verlag, 2011). beit“ wurde Claudia Lillge im Jahr 2009 mit dem - Das komische Bild: Die Fotografie und das La- Forschungspreis der Universität Paderborn ausge- chen, hrsg. von Jörn Glasenapp und Claudia zeichnet. Seit 2008 ist sie Mitglied des Zentrums Lillge, Themenheft der Zeitschrift Fotogeschich- für Gender-Studien der Universität Paderborn. Im te, 119 (2011). Jahr 2010 erhielt sie die Forschungsförderung im - Interkulturelle Mahlzeiten: Kulinarische Begeg- Rahmen des Gleichstellungskonzepts für Habili- nungen und Kommunikation in der Literatur, tandinnen und Juniorprofessorinnen. hrsg. von Claudia Lillge und Anne-Rose Meyer (Bielefeld: transcript, 2008). Forschungsschwerpunkte - Die Filmkomödie der Gegenwart, hrsg. von Jörn Glasenapp und Claudia Lillge (München: UTB Literatur- und Medienkomparatistik, englisch- und im Wilhelm Fink Verlag, 2008). deutschsprachige Literaturen des 19. bis 21. Jahr-

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Aufsätze (in Auswahl) im europäischen Volks- und Kunstmärchen“: in: Schmerzdifferenzen. Physisches Leid und Gen- - „Helden der Arbeit/Helden der Freizeit. Poesien der in kultur- und literaturwissenschaftlicher des Alltags im britischen New Wave-Kino“, in: Perspektive, hrsg. von Iris Hermann und Anne- Kulturen der Arbeit, hrsg. von Gisela Ecker und Rose Meyer (Königstein: Ulrike Helmer Verlag, Claudia Lillge (Paderborn: Fink Verlag, 2011), 2006), S. 191–209. S. 85–115. - „Frauen und Frauenkultur der Moderne: Blau- - „When we rough beasts actually slouch into strümpfe, Backfische, Bohèmiennes“, in: Die Bethlehem“. Postkoloniale Revisionen des Kultur des ersten Jahrzehnts, hrsg. von Werner Western Canon, in: Kanon: Konzepte, Heraus- Faulstich, in ders.: Kulturgeschichte des 20. forderungen, praktische Perspektiven, hrsg. von Jahrhunderts (München: Wilhelm Fink Verlag, Christof Hamann und Michael Hofmann (Ho- 2006), S. 175–186. hengehren: Schneider-Verlag, 2009), S. 43–54. - „‚Man ahmte die Töne der Liebe nach.‘ Über- - „How to Become an Australian? Photography legungen zu Liebe und Salongeselligkeit unter and Concepts of bricolage in J. M. Coetzee‘s besonderer Berücksichtigung des 19. Jahrhun- Slow Man“, in: Multi-Cultural Identities in Tran- derts“, in: Liebe als Kulturmedium, hrsg. von sition. Case Studies in Australian and German Werner Faulstich und Jörn Glasenapp (Mün- Literature, Theatre, Film and Radio, hrsg. von Ul- chen: Wilhelm Fink Verlag, 2002), S. 57–80. rike Garde und Anne-Rose Meyer (Cambridge: Cambridge Scholars Publishing, 2009), S. 103– Wissenschaftsorganisatorische 110. Tätigkeiten - „Die Schöne und der Fotograf: Blickbeziehun- Kontakt gen in Daphne du Mauriers ‚The Little Photogra- Seit 2009 Mittelbauvertreterin in der Forschungs- Dr. Claudia Lillge pher‘“, in: Fotogeschichte (Themenheft: Licht/ kommission der Fakultät für Kulturwissenschaften Fach Komparatistik/ Vergleichende Literatur- und Schrift. Intermediale Grenzgänge zwischen Fo- der Universität Paderborn; 2008-2009 Mittelbau- Kulturwissenschaft tografie und Text), 108/28 (2008), S. 5–10. vertreterin im Fakultätsrat der Fakultät für Kul- Universität Paderborn - „Die glorreichen Sechs: Peter Cattaneos Arbei- turwissenschaften; seit 2005 Koordinatorin des Warburger Str. 100 D-33098 Paderborn terkomödie GANZ ODER GAR NICHT/THE FULL Masterstudiengangs Komparatistik/Vergleichende Tel.: (05251) 60-2894 MONTY“, in: Die Filmkomödie der Gegenwart, Literatur- und Kulturwissenschaft; seit 2005 Mit- [email protected] kw.uni-paderborn.de/ hrsg. von Jörn Glasenapp und Claudia Lillge telbauvertreterin im Prüfungsausschuss für die institute-einrichtungen/institut- (München: UTB im Wilhelm Fink Verlag, 2008), modularisierten Studiengänge (B.A/M.A.); seit fuer-germanistik-und-verglei- chende-literaturwissenschaft/ S. 47–64. 2005 Institutskoordinatorin verschiedener DAAD- komparatistik/personal/lillge/ - „Soweit die Schmerzen tragen: Fuß und Schuh Austausch-Programme.

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Kurznachrichten Das Haus der FrauenGeschichte Bonn

Der Verein Haus der FrauenGeschichte e. V. und die Annette-Kuhn-Stiftung sind Anfang Juni dieses Jahres in wunderbare Räume in der Bonner Altstadt Wolfstraße 41 eingezogen. Damit haben wir ein großes Ziel erreicht. Unsere Konzeption der Frauengeschichte in der Spirale der Zeit wird erstmalig in unterschiedli- chen Räumen begeh- und erlebbar. Eingangs im Matri-Shop hängt ein Plan, der uns in unsere Geschichte von den ersten Anfängen vor ungefähr 40 000 Jahren bis zur Gegenwart und in die sieben Zeit- und Lebensräume unseres Hauses der FrauenGeschichte einführt. Der Aufbau des Hauses der FrauenGeschichte ist im vollen Gang. Dabei ist die Einrichtung dieser sieben Zeit- und Lebensräume selbst nicht nur ein spannendes Erlebnis, sondern auch ein gemeinsames Lern- und Forschungsprojekt, in dem die Vorstellungen unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und unserer künftigen Adressatinnen einen wichtigen Platz einnehmen. Schulklassen sind ebenso willkommen wie Studentinnen und Seniorinnen. Gemeinsam wollen wir die Wege und Umwege in unserer europäischen Geschichte zu mehr Gleichheit, Freiheit und Solidarität nachzeichnen und das Besondere der frauenge- schichtlichen Perspektive sichtbar machen. Heute fragen uns viele, ob nicht unser Konzept überholt ist. In Deutschland haben wir in den letzten Jahr- zehnten im Hinblick auf die Gleichheit von Frauen und Männern große Fortschritte gemacht. Haben wir Kontakt und Information Annette-Kuhn-Stiftung aber unsere Ziele schon in allen Lebensbereichen, für alle sozialen und ethnischen Gruppen erreicht? Und Wolfstr. 41 wie sicher ist das Erreichte? 53111 Bonn Tel./Fax +49 (0)228-34 54 22 In dieser Aufbauphase suchen wir im Haus der FrauenGeschichte nach unseren vorläufigen Antworten auf [email protected] diese Fragen. (Annette Kuhn) www.annette-kuhn-stiftung.de

Großes Interesse an der Herbstakademie 2011 – ein Förderangebot für Promovierende der UAMR an der Universität Duisburg-Essen

Mit großer Resonanz wurde die Herbstakademie für Promovierende und Promotionsinteressierte der Uni- versitätsallianz Metropole Ruhr (UAMR) angenommen, die vom 27. bis 30. September an der Universität Duisburg-Essen (UDE) vom Zentrum für Hochschul- und Qualitätsentwicklung (ZfH) ausgerichtet wurde. Die jährlich stattfindende Veranstaltung ist damit in die 6. Runde gegangen und erweist sich als ein mitt- lerweile etabliertes, fachübergreifendes Promotionsförderangebot. Die Herbstakademie ist ein Modul des Nachwuchsförderprogramms ScienceCareerNet Ruhr (SCNR). An den vier Veranstaltungstagen konnten insgesamt 163 Promovierende aller Fachrichtungen die Gele- genheit nutzen, sich in Vorträgen, Diskussionsrunden, Workshops und Kompaktseminaren wissenschafts- spezifisches Handlungswissen und fachübergreifende Kompetenzen anzueignen und wichtige Kontakte zu knüpften. Bei den Themenstellungen rund um den Promotionsprozess wurden die unterschiedlichen Phasen (von der Entscheidungsfindung bis zur Publikation), aber auch fachkulturelle Bedürfnisse sowie Gender- und Diversity-Aspekte berücksichtigt. Insgesamt haben 112 weibliche Promovierende an der Herbstakademie teilgenommen, der Frauenanteil betrug damit 68,7 %. Dieser Erfolg unterstreicht eines der Ziele der Veranstaltung: die Stärkung des weib- lichen wissenschaftlichen Nachwuchses ab der Promotion. In dem traditionellen Auftaktvortrag greift die Herbstakademie jeweils aktuelle Themen auf. In diesem Jahr eröffnete Prof. Dr. Dr. h.c. Carl Friedrich Gethmann (UDE, Fakultät für Philosophie) die Veranstaltung mit dem Thema „Die Krise des Wissenschaftsethos und die Regeln guter wissenschaftlicher Praxis.“ Auf die hohe Nachfrage, die die Anmeldezahlen der vergangenen Akademien deutlich zeigen, reagie- ren die Veranstalter/innen im kommenden Jahr mit einer Erweiterung des Angebots: Für Anfang 2012 Kontakt und Information (27.–28. März) ist eine Frühjahrsakademie in Planung, die sich gezielt an Promotionsinteressierte richtet www.scn-ruhr.de/ und diese in ihrer Entscheidungsfindung und Orientierung unterstützen will. herbstakademie

Relaunch der Website Netzwerk Frauen- und Geschlechterforschung NRW

Der Internetauftritt des Netzwerks Frauen- und Geschlechterforschung NRW präsentiert sich seit Novem- ber 2011 in einem neuen Design und Layout. BenutzerInnenfreundlich, transparent, kompakt sowie dyna- misch ist die neue Website und soll WissenschaftlerInnen und Netzwerk-Interessierten gleichermaßen ei-

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nen informativen Überblick über die Arbeit und die Projekte des Netzwerks verschaffen. In diesem Rahmen stellt die neue Website z. B. einen Recherchepool zur Verfügung, der den aktuellen Gender-Report und die Datenbanken der Gleichstellungsprojekte, der Gender-Curricula und der Kinderbetreuungseinrichtungen bereithält. Neu sind dagegen die Rubriken „Fokus Forschung“ und „Profil +“ auf der Startseite. Unter der Rubrik „Fokus Forschung“ präsentiert das Netzwerk in regelmäßigen Abständen ein bestimmtes Projekt und im „Profil +“ wird eine Wissenschaftlerin/ein Wissenschaftler vorgestellt. Das Besondere dabei ist, dass erstmalig Kurzinterviews in beiden Rubriken entweder mit der Projektleitung oder mit der Wissen- schaftlerin/dem Wissenschaftler geführt werden. Die neue Website des Netzwerks Sind Sie neugierig auf die neue Website des Netzwerks geworden? Dann besuchen Sie uns einfach unter: www.netzwerk-fgf.nrw.de www.netzwerk-fgf.nrw.de. Es lohnt sich!

Datenbank Kinderbetreuung aktualisiert

Die 2004 im Rahmen der Studie Nr. 6 der Koordinations- und Forschungsstelle des Netzwerks Frauen- und Geschlechterforschung NRW entwickelte Datenbank zu Kinderbetreuungseinrichtungen an Hochschu- len in NRW wurde in den vergangenen Monaten vollständig aktualisiert und überarbeitet. Unter www. kinderbetreuung-hochschulen.nrw.de finden studierende und andere hochschulangehörige Eltern (oder solche, die es werden wollen) Informationen über mittlerweile mehr als 100 Kindergärten/Kitas, Eltern- Service-Büros und Ferienbetreuungsangebote an Hochschulstandorten in NRW. Der Service bietet neben Kurzbeschreibungen, Konditionen und Adressen der vorhandenen Kinderbetreuungs- und Familienbera- tungsangeboten auch weitere Literatur- und Recherchemöglichkeiten zur Vereinbarkeit von Familie und Kontakt und Information Meike Hilgemann Studium/Beruf. Passend zum Relaunch der Website des Netzwerks Frauen- und Geschlechterforschung [email protected] NRW erstrahlt zudem auch die Kinderbetreuungsseite seit November im neuen Design.

Untersuchung zu Hochschulleitungen und Geschlecht (2011/2012)

Mit dem Start des Wintersemesters 2011/2012 wurden die Hochschulleitungen im Hinblick auf die Ge- schlechterverteilung untersucht. Derzeit sind 135 von 645 Leitungspositionen (20,9 %) in den Hochschu- len in Trägerschaft des Landes NRW (Universitäten, Fachhochschulen sowie Kunst- und Musikhochschu- len) mit einer Frau besetzt. Im Vergleich zu 2006 ergibt sich eine Steigerung von 10,7 Prozentpunkten und zu 2010 von 0,9 Prozentpunkten. Die Hochschulräte können den höchsten Frauenanteil (29,7 %), die Dekanate den niedrigsten (11,4 %) verzeichnen. Nur 7 Hochschulen (von 37) werden von einer Frau geführt, 5 von ihnen leiten eine Fach- hochschule. Immerhin hat jede vierte Hochschule eine Kanzlerin (25,7 %). Der Anteil an Prorektorinnen liegt bei fast einem Viertel. Neben der Steigerung aller Leitungspositionen ist speziell auch der Anteil der Rektorinnen von 6,7 % im Jahr 2006 um 12,2 Prozentpunkte auf derzeit 18,9 % gestiegen. Im Rektorat liegt der Frauenanteil derzeit bei 23,2 %, eine Steigerung von 7,3 Prozentpunkten. Der Frauenanteil der Dekanatsleitungen stieg um 4,9 Prozentpunkte, absolut betrachtet sind das aber immer noch nur 28 Frauen von 246 Dekanatsleitungen. Die Erhöhung der Frauenanteile in den Hochschulleitungen weist in die richtige Richtung, dennoch ist man von einer sichtbaren Parität weit entfernt. Kontakt und Information Jennifer Niegel Weitere interessante Zahlen finden Sie im Gender-Report 2010 und auf der Website www.genderreport- [email protected] hochschulen.nrw.de

Diversity an nordrhein-westfälischen Hochschulen – Kurzbericht erschienen

Die Koordinations- und Forschungsstelle des Netzwerks Frauen- und Geschlechterforschung untersuchte im Zeitraum Mai bis September 2011 aktuelle Entwicklungen zu Diversity-Aspekten in nordrhein-westfä- lischen Hochschulen. Hierbei wurde eine systematische Übersicht erstellt, die die insgesamt 37 Hochschu- len in ihren Diversity-Profilen darstellt und somit die Ausprägung ihres jeweiligen Standpunktes zu Diver- sity aufzeigt. Die Ergebnisse dieser Synopse wurden mittels Internetrecherche und ExpertInnengesprächen gewonnen. Sie zeigen bestehende Diversity-Umsetzungen und die öffentliche Positionierung der Hoch- schulen zu Vielfalt und Heterogenität auf. Die Erhebung bezog sich auf Diversity in den acht Kategorien zu Leitbildern, Diversity-Verantwortlichen, dem Personal- und Berufungswesen unter Diversity-Aspekten,

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Teilnahme an Modellprojekten zu Diversity und Projekte und zielgruppenspezifische Maßnahmen und Einrichtungen, Professuren mit der Denomination Diversity, Forschungsverbünde/Institute mit Diversity- Schwerpunkt sowie Studiengänge und Module zu Diversity. Die Untersuchung geht damit sowohl auf Diversity-Management aus Sicht der Hochschulorganisation ein als auch auf Diversity-Maßnahmen in Wissenschaft und Forschung. Unter den 14 Universitäten, 16 Fachhochschulen und sieben Kunst- und Mu- sikhochschulen zeichnen sich insbesondere die RWTH Aachen, die Technische Universität Dortmund, die Universität Duisburg-Essen, die Universität zu Köln, die Fachhochschule Dortmund und die Fachhochschu- le Köln durch ihre vielfältige Umsetzung von Diversity-Maßnahmen aus. Eine Kurzfassung der Ergebnisse unter der Überschrift „Diversity an nordrhein-westfälischen Hochschulen – Strukturen, Konzepte, Projekte. Kontakt und Information Dipl.-Päd. Hannelore Poguntke Eine Bestandsaufnahme“ finden Sie unter: Hannelore.Poguntke@ www.netzwerk-fgf.nrw.de/koordinations-forschungsstelle/projekte/diversitystudie/ uni-due.de

Neue Projekte stellen sich vor Ulrike Schildmann Verhältnisse zwischen Geschlecht, Behinderung und Alter/Lebensab- schnitten als intersektionelle Forschungsperspektive

Im Rahmen der Netzwerkprofessur „Frauenforschung in Rehabilitation und Pädagogik bei Behinde- rung“ (TU Dortmund) steht seit ca. 15 Jahren die systematische Erforschung der Verhältnisse zwischen Geschlecht und Behinderung im Mittelpunkt des wissenschaftlichen Interesses. Erst in den letzten Jah- ren zeigt sich die Notwendigkeit der Erweiterung dieser Forschungsperspektive um die systematische Berücksichtigung der Strukturkategorie Alter (im Sinne der einzelnen Lebensabschnitte), denn die Ver- hältnisse zwischen den Strukturkategorien Geschlecht und Behinderung differieren ggf. erheblich in Abhängigkeit von den einzelnen Altersabschnitten. Wechselwirkungen zwischen Geschlecht und Behin- derung sind deshalb als dynamische Konstruktionen anzusehen, weil in den einzelnen Altersabschnitten unterschiedliche Maßstäbe für das gelten, was die Gesellschaft – für Jungen und Mädchen, Männer und Frauen – als normal (im Sinne statistischer Durchschnittlichkeit, vgl. Link 1997) ansieht. In einer Pilotstudie über „Konstruktionen von Behinderung in den ersten Lebensjahren. Unter besonde- rer Berücksichtigung der Strukturkategorie Geschlecht“ (Dana-Kristin Marks 2011) wurde differenziert untersucht, welche Kriterien dafür herangezogen werden, dass bestimmte Jungen und Mädchen bereits von Geburt bzw. frühester Kindheit an als behindert definiert werden. Die Ergebnisse zeigen, dass die Konstruktionen von Behinderung in den ersten Lebensjahren eine rasante Dynamik enthalten. Dabei handelt es sich nicht nur um eine auffällige Dynamik in der Zusammensetzung der als behindert definier- ten Kinder nach gesundheitlichen Schädigungs- bzw. so genannten Behinderungsarten. Vielmehr geht mit der beschriebenen Dynamik innerhalb des Konstruktionsprozesses von Behinderung (als Abwei- chungsform von der durchschnittlichen kindlichen Entwicklung) eine nicht zu übersehende Dynamik der Geschlechterkonstellationen unter den betreffenden Kindern einher: Wird am Lebensanfang bei Jungen nur eine leicht erhöhte Betroffenheit von Krankheit und gesundheitlicher Auffälligkeit festgestellt (Jun- gen knapp 55 Prozent, Mädchen etwa 45 Prozent), so beträgt bereits im Kindergartenalter der Jungen- anteil unter den Kindern, die wegen einer Behinderung „soziale Eingliederungshilfe“ erhalten, etwa 2/3 gegenüber 1/3 Mädchen. Dieses quantitative Verhältnis ist auch unter den Jungen und Mädchen mit „sonderpädagogischem Förderbedarf“ im Schulalter anzutreffen. Nachgewiesen werden konnte in dem Pilotprojekt, dass es sich bei diesem Ungleichgewicht um kein schulspezifisches Phänomen handelt, wie lange Zeit angenommen wurde, sondern dass dieses schon im Laufe der ersten sechs bis sieben Lebensjahre entsteht. Auszugehen ist davon, dass auch in bzw. zwischen nachfolgenden Altersabschnitten erhebliche Dynami- ken in den Verhältnissen zwischen Geschlecht und Behinderung sichtbar werden (vgl. Schildmann, Hrsg., 2010). Auf dieser Basis wurden seit dem Sommer 2010 folgende vier inhaltlich miteinander verbundene Projekte eingerichtet, darunter zwei Drittmittelprojekte (Förderung durch DFG und BMBF):

1. „Umgang mit Heterogenität: Verhältnisse zwischen Behinderung und Geschlecht in der gesamten Le- bensspanne“; Wiss. Mitarbeiter/in: Dipl. Reha. Päd. Tina Mattenklodt; Wilhelm de Terra, M. Ed.; Dritt- mittelförderung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG); Laufzeit: 3 Jahre;

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2. „Kinder mit Behinderungen im System der frühkindlichen Bildung“; Wiss. Mitarbeiterin: Dipl. Reha. Päd. Josefin Lotte; Drittmittelförderung durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF); Laufzeit: 3 Jahre; 3. „Behinderung und Inklusion in der Lebensspanne: Regionalstudie Dortmund (Behinderung, Geschlecht, kultureller Hintergrund)“; Wiss. Mitarbeiterin: Dipl. Reha. Päd. Sarah Saulheimer; Förderung als Qua- lifikationsstelle zum Zweck der Promotion durch die Fakultät Rehabilitationswissenschaften der TU Dortmund; Laufzeit: 2 Jahre (mit Verlängerungsmöglichkeit); 4. „Wie gelingt Integration? Empirische Untersuchung individueller Integrationserfahrungen behinderter Frauen und Männer in deren Lebensverläufen“; Promotionsprojekt: Sabrina Schramme, M.A., Wiss. Mitarbeiterin des Lehrstuhls „Frauenforschung in Rehabilitation und Pädagogik bei Behinderung“.

Alle vier Projekte verstehen sich einerseits als wissenschaftliche Beiträge zur pädagogischen Inklusions- und zur sozialen Teilhabeforschung, andererseits setzen sie sich – im Sinne der sozialwissenschaftlichen Frauen- und Geschlechterforschung – mit den theoretischen Reflexionen der Intersektionalitätsforschung (vgl. exemplarisch Winker/Degele 2009; Lutz u. a., Hrsg., 2010) auseinander. Die Herausforderung besteht darin, den in der allgemeinen sozialwissenschaftlichen Frauen- und Geschlechterforschung geführten Dis- kurs über Intersektionalität vor allem um eine systematische Verortung der Strukturkategorie Behinderung zu erweitern. Das scheint dringend notwendig zu sein, da in der Intersektionalitätsforschung bislang Unklarheit darü- ber herrscht, ob Behinderung eine eigenständige Strukturkategorie sei oder aber der „Kategorie Körper“ unterzuordnen. Zurzeit besteht sowohl in der allgemeinen Intersektionalitätsforschung als auch in den Disability Studies die Tendenz, sowohl die Kategorie Behinderung als auch die Kategorie Alter zu Sub- Kategorien der „Strukturkategorie Körper“ (Winker/Degele 2009: s. 49ff.; für die Disability Studies vgl. Raab 2007; Köbsell 2010; Waldschmidt 2010) zu erklären. Dieser Tendenz setzen wir folgende Argumen- tation entgegen: Dafür, dass Behinderung (neben anderen Ungleichheitslagen wie vor allem Alter) nicht unter eine Superka- tegorie Körper subsummiert werden sollte, sondern eine eigenständige Kategorie bildet, spricht - ihre eigenständige Relevanz für die Sozialstrukturanalyse: Eine Subsumption von Behinderung unter den Begriff des Körpers wäre der Gefahr ausgesetzt, Behinderung vor allem orientiert an Körperstruk- turen und -funktionen zu verstehen und weniger an Möglichkeiten und Begrenzungen der individuellen Aktivität und gesellschaftlichen Partizipation, vor allem auf dem gesellschaftlichen Feld der Leistung, das für die moderne (kapitalistische Industrie-)Gesellschaft konstitutiv ist (vgl. hierzu die „International Classification of Functioning, Disability and Health/ICF der Weltgesundheitsorganisation 2001). Insbe- sondere den Vertreterinnen der Disability Studies müsste unserer Auffassung nach daran gelegen sein, reduktionistischen Definitionen von Behinderung entgegenzuwirken. - Auch die Zusammenfassung der Kategorien Alter und Behinderung unter einer einzigen Strukturkatego- rie entspricht nicht den gängigen Kategorien der Sozialstrukturanalyse (vgl. Sozialstatistik) und würde einige strukturelle Ungleichheitslagen verwischen (s. o.). So ist jeder Mensch einer bestimmten Alters- gruppe zuzuordnen; nicht jeder Mensch dagegen ist von Behinderung betroffen. Zwischen den einzelnen Altersgruppen ergeben sich aufgrund bestimmter gesellschaftlicher Wertsetzungen Hierarchisierungen etc. Zwischen einzelnen Gruppen behinderter Menschen ergeben sich ebenfalls Hierarchisierungen – grundlegend sind jedoch nicht diese, sondern die gesellschaftliche Dichotomie zwischen Normalität (ei- ner Kategorie zur Bezeichnung von Durchschnittswerten und einer sozialen Mehrheit) und Behinderung (einer Kategorie zur Bezeichnung einer sozialen Minderheit). - Gegen die Unterordnung der Kategorien Behinderung und Alter unter eine Superkategorie Körper spricht aber vor allem der grundlegende Zweifel daran, dass der Körper eine vergleichbare Strukturkategorie wie Geschlecht, Alter usw. ist. Die Körpersoziologin Paula Villa schreibt in diesem Zusammenhang: „Ver- körperung an sich ist ihrer Form nach intersektionell, und wegen ihrer mimetischen Dimension geht sie über jeden kategorialen Rahmen hinaus“ (Villa 2010: S. 216). Diese soziologische Argumentation kann als Aufforderung gelten, die Verhältnisse zwischen Körper und Behinderung, Körper und Geschlecht, Körper und Alter intensiver zu reflektieren, sollte aber nicht die differenzierende Arbeit an den einzelnen sozialen Strukturkategorien und an deren Wechselwirkungen ersetzen. Im Laufe der Projektarbeit wird auch diese Positionierung im Rahmen der Frauen- und Geschlechterfor- schung überprüft, weiter ausdifferenziert und vor allem zur wissenschaftlichen Diskussion gestellt.

Literatur - Köbsell, Swantje: Gendering Disability: Behinderung, Geschlecht und Körper. In: Jutta Jacob u. a. (Hrsg.): Gendering Disability, Bielefeld (transcript) 2010, S. 17–33

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- Link, Jürgen: Versuch über den Normalismus. Wie Normalität produziert wird, Opladen (Westdeutscher Verlag) 1997 - Lutz, Helma u. a. (Hrsg.): Focus Intersektionalität. Bewegungen und Verortungen eines vielschichtigen Konzeptes, Wiesbaden (VS Verlag für Sozialwissenschaften) 2010 - Marks, Dana-Kristin: Konstruktionen von Behinderung in den ersten Lebensjahren. Unter besonderer Berücksichtigung der Strukturkategorie Geschlecht, Bochum/Freiburg (Projekt Verlag) 2011. - Raab, Heike: Intersektionalität in den Disability Studies. Zur Interdependenz von Behinderung, Hete- ronormativität und Geschlecht. In: Anne Waldschmidt u. Werner Schneider (Hrsg.): Disability Studies. Kultursoziologie und Soziologie der Behinderung, Bielefeld (transcript) 2007, S. 127–148 - Schildmann, Ulrike (Hrsg.): Umgang mit Verschiedenheit in der Lebensspanne. Behinderung – Geschlecht – kultureller Hintergrund – Alter/Lebensphasen, Bad Heilbrunn (Klinkhardt) 2010 - Schildmann, Ulrike: Strukturkategorien Geschlecht, Alter, Behinderung, in: Hinz, Renate u. Renate Walthes (Hrsg.): Verschiedenheit als Diskurs, Tübingen (Narr Francke Attempto Verlag) 2011, S. 109–118 - Schildmann, Ulrike: Verhältnisse zwischen Geschlecht und Behinderung auf dem Prüfstand. Rezension über: Jutta Jacob, Swantje Köbsell, Eske Wollrad (Hrsg.): Gendering Disability. Intersektionale Aspekte von Behinderung und Geschlecht. Bielefeld: transcript Verlag 2010. In: Querelles-Net. Rezensionszeit- schrift für Frauen- und Geschlechterforschung, hg. v. der Zentraleinrichtung zur Förderung von Frauen- und Geschlechterforschung an der Freien Universität . www.querelles-net.de; Jg. 12, Nr. 1/2011 - Villa, Paula: Verkörpern ist immer mehr: Intersektionalität, Subjektivierung und der Körper. In: Helma Lutz u. a. (Hrsg.), a. a. O., S. 203–221 Kontakt und Information - Waldschmidt, Anne: Das Mädchen Ashley oder: Intersektionen von Behinderung, Normalität und Ge- Prof. Dr. Ulrike Schildmann schlecht. In: Jutta Jacob u. a. (Hrsg.): Gendering Disability, Bielefeld (transcript) 2010 Frauenforschung in Rehabi- litation und Pädagogik bei - Winker, Gabriele; Degele, Nina: Intersektionalität. Zur Analyse sozialer Ungleichheiten, Bielefeld Behinderung (transcript) 2009 Technische Universität Dortmund - World Health Organization (WHO): International Classification of Functioning, Disability and Health, ulrike.schildmann@tu- Genever 2001 dortmund.de

Ulrike Schultz Recht und Gender, Portal der FernUniversität in Hagen

„Recht und Gender“ ist ein Portal auf der Plattform der FernUniversität für eine Serie von Video-Interviews zu Themen aus dem Bereich Frauenrecht, Geschlechterfragen im Recht, Gleichberechtigung, Gleichstel- lung. Das Portal befindet sich derzeit noch im Aufbau und wird auf der folgenden Seite erreichbar sein: www.fernuni-hagen.de/RechtundGender. Die Interviews zu „Recht und Gender“ ergänzen das Studienmaterial des Moduls „Recht der Gleich- stellung und Genderkompetenz“ im Master of Laws der FernUniversität. Dieses Modul wird seit 2008 1 Einige der Videos „Frauen vom Lehrstuhl für Deutsches und Europäisches Verfassungs- und Verwaltungsrecht sowie Europarecht im Recht“ sind im Videoarchiv der FernUni öffentlich (Prof. Dr. Andreas Haratsch) angeboten. Es basiert auf Studienmaterialien aus dem früheren weiterbilden- zugänglich (www.fernuni- den Studium „VINGS (Virtual International Gender Studies)-Qualifizierung für Gleichstellungsarbeit“, die hagen.de/videostreaming/zmi/ video/#rewi). Weitere Filme auf die neue Zielgruppe fokussiert, außerdem aktualisiert und ergänzt worden sind. Das Gendermodul werden noch eingestellt. Im erfreut sich ständig wachsenden Zuspruchs. Es kann im Rahmen der Akademiestudien der FernUniversität Internet zugänglich sind auch Videostreams der 2004/2005 auch unabhängig von einer Einschreibung für den Studiengang als Einzelmodul belegt und studiert wer- durchgeführten Videokonferen- den. Von dieser Möglichkeit machen – wie früher bei VINGS-Qualifizierung – viele Gleichstellungsbeauf- zen zu „Equal Opportunities tragte Gebrauch. Das Gendermodul hat den Schwerpunkt auf schriftlichem Material, das online über die in Comparative Perspective“ (www.fernuni-hagen.de/video- Plattform Moodle angeboten wird. streaming/bwp/) und einige Für die Idee von „Recht und Gender“ hat das Projekt „Gesellschaft begreifen“ von Prof. Dr. Uwe Schimank Videostreams und Beiträge der Reihe „Frauen im Gespräch“: und Dr. Nadine Schöneck Pate gestanden. Begleitend zu einem Sammelband mit dem Titel haben sie im Ulrike Schultz, FernUniversität Studienportal des B.A. Soziologie 13 Videoclips mit den Autorinnen und Autoren des Buches eingestellt in Hagen, 2011. „Europa – so fern und doch so nah? (www.fernuni-hagen.de/ksw/basoz/gesellschaftbegreifen). Was sollten Frauen über den An der FernUniversität in Hagen sind von 1985 bis 1995 Filme zum weiterbildenden Studium „Frauen im Einfluss von „Europa“ auf Recht“ erstellt worden. Dabei sind Vorträge einer gleichnamigen Vortragsreihe für die damalige Fernseh- ihr Leben und ihre Rechte wissen?“ (www.fernuni- 1 serie der FernUniversität „FernUniversität im Dritten“ aufgenommen und bearbeitet worden. Ausschnitte hagen.de/videostreaming/ aus den Filmen haben die Kurse der Qualifizierung für Gleichstellungsarbeit angereichert, die im html- rewi/ls_haratsch/20110509. shtml). Prof. Dr. Ute Sacksofsky, Format gebaut waren und viele Möglichkeiten der Einbeziehung von Grafik, Ton und Bild boten. Diese auf- Universität Frankfurt, 2002: wändige Gestaltung ließ sich nach der Umwandlung in das Gendermodul aus Kostengründen nicht mehr Steuerung der Familie durch Steuern: (www.fernuni-hagen. aufrechterhalten. Umso attraktiver ist, dass nunmehr aktuelle Video-Interviews zu den Materialien des de/videostreaming/zmi/vi- Gendermoduls produziert werden können. Das Ministerium für Innovation, Wissenschaft und Forschung deo/2002/02-15_00000/).

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des Landes NRW hat die Produktion mit Mitteln aus der Titelgruppe 73 unterstützt. Schwerpunktmäßig sind Autorinnen und Autoren des Gendermoduls einbezogen worden. Folgende In- terviews sind bereits aufgezeichnet worden bzw. werden bis Jahresende fertiggestellt, drei werden im nächsten Jahr noch aufgezeichnet: - Prof. Dr. Andreas Haratsch, FernUniversität in Hagen: Art. 3 Abs. 2 GG – Auslegung und Anwendung - Renate Augstein, BMFSFJ, Berlin: Von der Frauenbewegung zur professionellen Frauenpolitik - Prof. Dr. Beate Rudolph, Deutsches Institut für Menschenrechte, Berlin: Das Deutsche Institut für Men- schenrechte und die Frauenrechte - Prof. Dr. Sibylla Flügge, Fachhochschule Frankfurt a. M.: Feministische Rechtswissenschaft - Dr. Friederike Wapler, Universität Göttingen: Autonomie der Frau in der Rechtsphilosophie - Prof. Dr. Ulrich Battis, Berlin: Verfassungsrechtliche Fragen gleichgeschlechtlichen Zusammenlebens - Bernhard Franke, Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Berlin: Die Antidiskriminierungsstelle und AGG - Dr. Birgit Schweikert, BMFSFJ, Berlin: Schutz von Frauen vor Gewalt - Prof. Dr. Konstanze Plett, Universität Bremen: Intersexualität und Transgender - Prof. Dr. Monika Frommel, Kiel: Rechtsfragen der Reproduktionsmedizin - Prof. Dr. Susanne Karstedt, Universität Leeds: Ist Strafrecht Männerrecht, oder sind Frauen die tugend- hafteren Menschen? Genderfragen in der Kriminologie - Prof. Dr. Sabine Berghahn, Berlin: Das Ernährermodell im deutschen Recht - Maria Wersig, Freie Universität, Berlin: Sorgearbeit im Recht - Prof. Dr. Margarete Schuler-Harms, Universität der Bundeswehr, Hamburg: Geschlechtergerechte Renten- reform - Prof. Dr. Ute Sacksofsky, Universität Frankfurt: Einfluss des Steuerrechts auf die Familienpolitik – neue Fragen und Entwicklungen - VR’in OLG Brandenburg Ramona Pisal, Präsidentin des Deutschen Juristinnenbundes: Der deutsche Ju- ristinnenbund: Lobby für die Frauen – Netzwerk der Juristinnen - AOR’ Ulrike Schultz, FernUniversität in Hagen: Juristinnen Kontakt und Information Die Interviews im Portal „Recht und Gender“ sind frei zugänglich. Damit soll für das Gendermodul ge- AOR’ Ulrike Schultz worben und Studierenden der anderen Fakultäten und Studiengänge sowie externen Interessierten die Tel.: (02331) 870811 Ulrike.Schultz@FernUni- Möglichkeit zur Bearbeitung der Inhalte und damit zur Stärkung ihrer Genderkompetenz im Recht geboten Hagen.de werden.

Gregor Schuhen Forschungsstelle LiMeS – Literatur & Men’s Studies – an der Universität Siegen gegründet Seit Oktober 2011 gibt es an der Universität Siegen die Forschungs- stelle für Literatur & Men’s Studies (LiMeS). Sie steht unter der Leitung von JProf. Dr. Gregor Schuhen (Romanische und Allgemeine Literatur- wissenschaft mit dem Schwerpunkt Men’s Studies).

Die Forschungsstelle

Die Diskussion über ‚den wahren Mann‘ ist im medial vermittelten Alltag längst angekommen, häufig eingebettet in den Kontext krisenhafter Zeitkritik. Was aber ist mit ‚dem wahren Mann‘ gemeint? In der Soziologie sind die Men’s Studies bereits seit mehreren Dekaden ein gesetzter Forschungszweig und spätestens seit Robert/Raewyn Connells maßgeblicher Studie „Masculinities“ (1995) ist ein Be- wusstsein dafür geschaffen, dass der Diskurs über ‚den Mann‘ und ‚die Männlichkeit‘ für theoretisch avancierte Männlichkeitsforschung viel zu kurz greift. Im selben Maße wie nur wenige Jahre zuvor Judith Butler wirkmächtig die Verabschiedung vom Kol- lektivsubjekt ‚Frau‘ in den Gender Studies gefordert hatte, führt Connell die programmatische Plura- lisierung von Männlichkeit/Masculinity durch; mit seinem Konzept der „hegemonialen Männlichkeit“ macht er ferner darauf aufmerksam, dass es trotz immer noch vorherrschender patriarchaler Gesell- schaftsstrukturen keinen Sinn macht, von einer wie auch immer definierten archetypischen Männlich- keit zu reden, sondern den Fokus vielmehr auf relationale, dynamische und performative Männlichkeits- entwürfe zu richten. Die Forschungsstelle für „Literatur & Men’s Studies“ (LiMeS) versteht sich als Arbeitsort für die Erfor- schung der Schnittmengen von Literaturwissenschaft und Männlichkeitsforschung/Masculinity Studies.

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Entgegen der Assoziationen des „unüberwindbaren Grenzwalls“ soll die literaturwissenschaftliche Erforschung von Männlichkeit(en) im LiMeS eher der Infragestellung und Permeabilisierung solcher Grenzen dienen. Im Hinblick auf die längst etablierte feministische Literaturwissenschaft sollen keine revisionistischen Gegenmodelle konzipiert werden, vielmehr sind die Siegener Men’s Studies als kom- plementär zu den Women’s Studies zu denken. Diese Leitgedanken sollen nicht nur die Forschungs- arbeit des LiMeS kennzeichnen, sondern auch in der Lehre sichtbar gemacht und verankert werden. Hierzu gehören sowohl systematische Grundlagenkurse als auch thematisch zugeschnittene Seminare, in denen literarische Texte auf der Basis einschlägiger Theoriebildung aus den Masculinity Studies ana- lysiert werden. Auch die beratende Unterstützung des wissenschaftlichen Nachwuchses gehört zu den Aufgaben des LiMeS. Folgende Projekte gehören zum Aufgabenkern der Forschungsstelle:

Siegener Forum „Literatur & Men’s Studies“

Das Siegener Forum „Literatur & Men’s Studies“ orientiert sich an der langjährigen Tradition des „FO- RUM Homosexualität und Literatur“ (1987–2007) unter der Ägide von Wolfgang Popp. Es handelt sich demnach um eine kontinuierliche Tagungsreihe, die alle zwei Jahre an der Universität Siegen stattfin- den wird. Die Beiträge werden publiziert in einer gleichnamigen Verlagsserie im transcript-Verlag in Bielefeld. Es wird für die Tagungseinheiten jeweils thematische Schwerpunkte aus dem weiten Feld der sprach- und kulturübergreifenden literarischen Männerforschung geben. Organisiert wird das Forum als Koopera- tionsprojekt der Forschungsstelle für „Literatur & Men’s Studies“ (LiMeS) und dem Siegener Zentrum für Gender Studies (Gestu_S). Das 1. Forum für „Literatur und Men’s Studies“ wird vom 27. bis 29. Juni 2012 an der Universität Sie- gen stattfinden und steht unter dem Motto „Crisis? What Crisis? Männlichkeiten um 1900“.

Vortragsreihe „mens-studies@uni-siegen“

Ein- bis zweimal jährlich finden an der Universität Siegen Gastvorträge statt. Im Unterschied zum „Forum Literatur & Men’s Studies“ sollen diese Vorträge aus dem erweiterten interdisziplinären Feld der Männlichkeitsforschung rekrutiert werden, also den Geistes-, Sozial- und Medienwissenschaften. Willkommen sind aber auch Vorträge aus dem Bereich der Wirtschafts- und Naturwissenschaften, der Informatik u. ä. Kontakt und Information Forschungsstelle für Literatur und Men’s Studies (LiMeS) Ausstellungen, Lesungen, Theaterstücke Leitung: JProf. Dr. Gregor Schuhen In Ergänzung zu den wissenschaftlichen Veranstaltungen versteht sich das LiMeS auch als Anbieter Universität Siegen Philosophische Fakultät kultureller Aktivitäten, die thematisch in das Programm des Zentrums passen. Hierzu gehören kleinere Adolf-Reichwein-Str. 2 Ausstellungen und Theaterstücke sowie Literaturlesungen, die sich künstlerisch-ästhetisch mit Aspek- 57068 Siegen Tel. (0271) 740 2274 ten, Problemen und Fragen von Männlichkeit(en) auseinandersetzen. Fax (0271) 740 2692 Anlässlich des 1. Forums „Literatur und Men’s Studies“ wird es eine Bühneninszenierung von Studie- [email protected] siegen.de renden geben zum Thema „Der Typ auf der Bühne“, die unter der Regie des Theaterpädagogen Thomas www.uni-siegen.de/limes Pieger stattfinden wird. (im Aufbau)

Cornelia Hippmann, Oktay Aktan Geschlecht, Milieu, Ethnizität: Peer-Kulturen und schulische Anforderungen in intersektionaler Perspektive

Ohne Zweifel gelingt es Schulen in sehr unterschiedlichem Ausmaß, ihre Schülerinnen und Schüler zu den gesellschaftlich erwarteten und bildungspolitisch geforderten Leistungen zu führen. Andererseits wirkten sich sowohl die soziale Herkunft und auch das Milieu in Deutschland sehr stark auf den Schul- erfolg bzw. auf das Schulversagen der Schülerinnen und Schüler aus. Hier setzt das Projekt „Geschlecht, Milieu, Ethnizität: Peer-Kulturen und schulische Anforderungen in intersektionaler Perspektive“ (Peer- Kulturen) an. „Peer-Kulturen“ ist ein DFG-gefördertes Projekt, das an der TU Dortmund, an der Fakultät für Erzie- hungswissenschaft und Soziologie, am Institut für Soziologie unter der Leitung von Herrn Prof. Dr. Mi- chael Meuser zurzeit durchgeführt wird. Ziel dieses Projektes ist es, eine Exploration von kollektiven

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Orientierungen in Peer-Kulturen von Schülerinnen und Schülern zu entwickeln und speziell nach deren Passfähigkeit zu den Anforderungen und Erwartungen in der Schule zu befragen. In dieser Hinsicht wird die Passungsproblematik in den einzelnen Projekten aus doppelter Sicht erforscht, sowohl bezüglich der Differenzen zwischen situativen Anforderungen bzw. Ressourcen der Schülerschaft aus ihrem Lebensum- feld als auch den Anforderungen der Schule. Des Weiteren wird die Passungsproblematik in Bezug auf die pädagogischen Bemühungen bzw. Prozessqualität auf der Schul- und Unterrichtsebene einerseits und die Ergebnisqualität bzw. den Schulerfolg der Lernenden andererseits untersucht. Es ist davon auszuge- hen, dass erst auf dieser Grundlage, d. h. auf der Ebene von Schulentwicklungsforschung, zu klären ist, was das System Schule befähigt bzw. hindert, die eigene Situation zugunsten von Qualitätssteigerung im Sinne optimaler Passungen zu innovieren. Um umfassend Einblick in die erkenntnisleitende Forschungs- frage zu gewinnen, werden in dem Projekt sowohl die Einschätzungen als auch Wahrnehmungen über das Verhalten und die Kompetenzen der Schülerschaft durch das Lehrpersonal rekonstruiert. Dass Projekt „Peer-Kulturen“ fokussiert dabei speziell auf die Analyse des (Spannungs-)Verhältnisses von lebensweltlichen Orientierungen (auf der Mikroebene) und der institutionell gebundenen Anforderungs- und Anerkennungsprofile (auf der Makroebene). Insofern werden vor allem die Übereinstimmungen und Divergenzen zwischen beiden Komponenten mit Blick auf das wechselseitige Zusammenspiel der Dif- ferenzlinien Geschlecht, Ethnizität und Milieu untersucht. Die Wirkungsweisen der drei Divergenzlinien werden ausschließlich in der Schullandschaft im Ruhrgebiet untersucht. Dabei ist es von besonderem Forschungsinteresse, die Passfähigkeit der Schülerinnen und Schüler im System Schule zu analysieren. Um einen umfassenden Einblick in die Thematik zu gewinnen, wird in beiden Dimensionen das Verfahren der Gruppendiskussion angewendet. Die geführten Gruppendiskussionen werden nach der dokumentarischen Methode nach Ralf Bohnensack qualitativ ausgewertet. Durch das rekonstruktive Verfahren der Gruppendiskussionen können sowohl die Übereinstimmungen und Gegensätze zwischen den Orientierungen der Schülerschaft als auch seitens der Erwartungshaltungen der Lehrerinnen und Lehrer andererseits mit Blick auf das wechselseitige Zu- sammenspiel der Divergenzlinien Geschlecht, Ethnizität und Milieu analysiert werden. Insofern zielen die Gruppendiskussionen mit den SchülerInnen und der Lehrerschaft speziell darauf ab, aufzuzeigen, in welcher Gewichtung und in welcher Verknüpfung mit Kriterien sozialer Platzanweisungen in der Schule diese Dimensionen rekonstruiert werden. Um umfassende und generalisierende Aussagen über die Wirkungsweise der drei Differenzlinien Ge- schlecht, Milieu und Ethnizität zu gewinnen, werden im ersten Teil des Projekts 24 Gruppendiskussionen mit SchülerInnen durchgeführt, deren Erhebungs- und Auswertungsphase gerade läuft. Dazu werden Gruppendiskussionen in der Jahrgangsstufe 9 an Gymnasien und Gesamtschulen im Ruhrgebiet durch- geführt. Mit der Wahl dieser Schulformen sollen auch Gruppen autochthoner sowie allochthoner Schüle- rInnen aus bildungsnahen und bildungsfernen Milieus gefunden werden und die Relevanz dieser Milieus für die drei Divergenzlinien Geschlecht, Milieu und Ethnizität herausgearbeitet und rekonstruiert werden. Um die Verhaltensweisen und die Passfähigkeit der Schülerinnen und Schüler durch die Lehrerschaft adäquat beurteilen und rekonstruieren zu können, werden im zweiten Teil der Untersuchung zusätzlich noch 12 LehrerInneninterviews in den ausgewählten Schulen durchgeführt. Die Feldphase befindet sich derzeit in der Vorbereitung. In jeder der sechs ausgewählten Schulen, an denen bereits die SchülerInnen- diskussionen stattfanden und stattfinden, werden deshalb zusätzlich noch je zwei Gruppendiskussionen mit den Lehrerinnen und Lehrern durchgeführt. Bereits während der aktuellen Auswertung der ersten qualitativen Gruppendiskussionen hat sich gezeigt, dass mit dem Fortschreiten und der Analyse der erhobenen Gruppendiskussionen und der zu konstatierenden Komplexität die Erhebung der Gruppen- diskussionen mit den Schülerinnen und Schülerin bei einer Anzahl von 24 und bei den Lehrerinnen und Lehrer bei einer Anzahl von 12 abgeschlossen werden kann, da diese Anzahl von Fällen zahlreiche Pro- zessunterschiede innerhalb des Einzelfalls und zwischen diesen bei enormer inhaltlicher Tiefe aufweist, dass in Orientierung am methodischen Ideal der theoretischen Sättigung (Anselm Strauss) von einer maximalen Variation und angemessenen theoretischen Reichweite der Fallinterpretation ausgegangen werden kann. Ziel des Projekts ist es letztendlich, die drei Zugehörigkeiten Geschlecht, Milieu und Ethnizität in ihren wechselseitigen Verschränkungen (Intersektion) zu betrachten. Die Untersuchung soll einen empirischen Beitrag zu dem in der rezenten Geschlechterforschung favorisierten Theorem der Intersektionalität leis- ten, welche ja Gegenstand vielfältiger Theoriediskussion ist, dessen Tragfähigkeit für die empirische For- schung jedoch bisher noch wenig erprobt wurde. Aus diesem Grund wurde die Thematik von der Wissen- schaftslandschaft bis dahin stark vernachlässigt und sie stellt noch einen blinden Fleck (Zurstiege 1998) in der Forschung dar, die bis dahin weder grundlagentheoretisch noch methodologisch erforscht wurde.

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Kontakt und Information Oktay Aktan, Cornelia Literatur Hippmann - Bohnsack, R. (2003). Rekonstruktive Sozialforschung. Einführung in qualitative Methoden. Opladen: TU Dortmund Fakultät 12 Erziehungswissen- Leske + Budrich. schaft und Soziologie - Bourdieu, P. (1983). Ökonomisches Kapital, kulturelles Kapital, soziales Kapital, In: R. Kreckel (Hrsg.): Emil-Figge-Str. 50 44227 Dortmund Soziale Ungleichheiten Soziale Welt, Sonderband 2 (S. 183–198).Göttingen: Ott Schwarz. Tel.: (0241) 7556361 / - Bourdieu, P. (1993). Soziologische Fragen. Frankfurt am Main: Suhrkamp. 7557882 oktay.aktan@tu-dortmund - Zurstiege, G. (1998). Mannsbilder – Männlichkeit in der Werbung. Zur Darstellung von Männern in der cornelia.hippmann@tu- Anzeigewerbung der 50er-, 60er- und der 70er Jahre. Opladen. Westdeutscher Verlag. dortmund.de

Forschungsdach des Zentrums für Geschlechterstudien/Gender Studies der Universität Paderborn „Wirksamkeit von Geschlecht in institutionel- len Bildungskontexten“

Um die Forschenden in den kulturwissenschaftlichen Fächern der Universität Paderborn besser zu vernet- zen, hat das Zentrum für Geschlechterstudien/Gender Studies zum Wintersemester 2011/2012 ein For- schungsdach mit dem Titel „Wirksamkeit von Geschlecht in institutionellen Bildungskontexten“ initiiert. Das komplexe Thema gliedert sich in sechs Forschungsfelder auf, die mit Zuhilfenahme verschiedener Me- thoden (von Beobachtungen und Befragungen bis hin zu einer reinen theoriebezogenen Betrachtung) un- tersucht werden können. Das erste Feld umfasst das Themengebiet „Konstruktion von Geschlechterbildern durch die/in den Institutionen“. Hier wäre z. B. die Beschäftigung mit den Themen „Homophobie unter Ju- gendlichen“, „Darstellung von Mädchen und Jungen in Schulbüchern“ oder „Begabungszuschreibungen“ denkbar. Im zweiten Themenfeld „Geschlechterbilder/-Vorstellungen innerhalb der Institutionen“ könnten sich Interessierte in die Analyse von schulbezogenen Arbeitsmaterialien (Schulranzen u. Ä.) vertiefen. Wei- tere Felder des Projektes lauten „Körperpraxen und Institutionen“, „Sprachgebrauch und kommunikativer Stil von Männern und Frauen“, „Problemlösungsstrategien/Strategieforschung“ und „Maßnahmen zur Veränderung der Geschlechterungleichheiten“. Studierende sollen zum Schreiben von Abschlussarbeiten in einem der genannten Themenbereiche ange- regt werden, indem Raum für den Austausch und die gegenseitige Unterstützung auf der Basis des ge- meinsamen thematischen Bezugsrahmens geschaffen wird. Es bestehen bereits verschiedene Kolloquien und eine Lesegruppe, in der über neue und ältere Literatur der Geschlechterforschung diskutiert wird. Zur individuellen Recherche baut das Zentrum für Geschlechterstudien/Gender Studies eine themenzentrierte Datenbank für Literatur auf, viele Zeitschriften und Bücher können bereits jetzt vor Ort eingesehen werden. Zu den Forschungsarbeiten, die im Rahmen des Dachprojektes aufgenommen wurden, gehört ein Vorha- ben zum Thema „Geschlechterunterscheidende Tendenzen in fachdidaktischen und pädagogischen Ma- terialien“, gefördert vom Ministerium für Innovation, Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein- Westfalen. Eine Projektmitarbeiterin des Zentrums für Geschlechterstudien/Gender Studies untersucht seit Oktober diesen Jahres, ob es in den neueren Schulmaterialien eine Hinwendung zu Lehrbüchern und anderen Lernmaterialien gibt, die sich speziell an Mädchen oder Jungen richten. Die Begründungszu- sammenhänge könnten sich aus der verkürzten Debatte um die Jungenbenachteiligung im deutschen Bildungssystem nach den letzten Ergebnissen der Bildungsstudien ergeben (vgl. Bundesjugendkuratorium 2009), in der mithilfe einer Mischung aus „berechtigte[n] Sachargumente[n] und misogyne[n] Affekte[n]“ ein Bedrohungsszenario in Form einer „Umkehr geschlechtlicher Machtverhältnisse“ aufgebaut wird (Forster/Rendtorff 2011). Auf dem populärpädagogischen Markt gibt es bereits Arbeitsmaterial, das auf die vermeintlich neuen Erkenntnisse reagiert, dass Jungen und Mädchen „unterschiedliche [...] Interessen und Lernbedürfnisse“ haben (Pons 2009). Nach den erfolgreichen Interventionen feministischer Schul- buchforscherInnen, die seit den siebziger Jahren bis in die neunziger Jahre hinein auf die sexistische Dar- stellung und Sprache in den Schulbüchern verwiesen haben (vgl. dazu u. a. Brehmer 1982), scheint es nun zeitgemäß zu sein, von bestimmten „Neigungen der Kinder“ auszugehen, was bei Jungenlernbüchern z. B. zu der Aufnahme von Treppendiktaten zur Förderung der „natürlichen Bewegungsfreude“ und in Büchern für Mädchen zur Bereitstellung von „kreative[n] Anregungen zum Basteln“ führt (Pons 2009). In Folge des Bekanntwerdens erster Ergebnisse der großen Bildungsstudien sind besonders die Fachbereiche Sprache und Naturwissenschaft (hier speziell das Fach Physik) in den Fokus der Debatte geraten. Aus diesem Grund wird sich auch in dem Projekt zu geschlechterunterscheidenden Tendenzen in pädagogischen Materialien auf didaktische Materialien der Fächer Deutsch und Physik konzentriert. Das Forschungsfeld bilden die Pa- derborner Schulen des Sekundarstufenbereichs. Mit Hilfe einer Befragung der didaktischen FachleiterInnen an den Schulen soll generiert werden, welches Material gerade in Gebrauch ist und ob die Lehrerinnen

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und Lehrer als ExpertInnen für die Schulpraxis bereits geschlechterunterscheidende Tendenzen in schulbe- zogenen Materialien festgestellt haben bzw. wie sie selbst, falls dies der Fall ist, das Phänomen beurteilen. Parallel dazu werden die neusten Exemplare der vom Schulministerium NRW zugelassenen didaktischen Materialien für die beiden Unterrichtsfächer auf ihre geschlechterseparierenden Ansätze, Angebote und/ oder Maßnahmen hin (in Anlehnung an die qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring) untersucht. Die Schulmaterialien, welche während der Befragung besonders häufig genannt werden, fallen besonders ins Gewicht. Außerdem werden die Antworten der Lehrpersonen in Bezug auf ihre Einstellungen zu diesem angenommenen Trend herausgearbeitet und daraufhin untersucht, wie argumentiert wird und worauf der Gebrauch bestimmter didaktischer Materialien sowie bestimmte mögliche Unterrichtsaktivitäten abzielen bzw. welche scheinbaren Differenzen angenommen werden. Ziel des Forschungsprojektes ist es, mit Hilfe der Beschaffung erster Daten im regionalen Raum einen Einblick in die Verbreitung von geschlechterunterscheidenden Tendenzen in fachdidaktischen und pädago- gischen Materialien zu erhalten, um darauf aufbauend in weiteren Untersuchungen „jenen vielschichtigen Stereotypisierungen im Prozess des Aufwachsens einerseits und in den wissenschaftlichen, kulturellen oder populistischen Deutungen andererseits auf den Grund zu gehen“ (Andresen/Rendtorff 2006).

Literatur - Andresen, Sabine; Rendtorff, Barbara (2006): Editorial. In: Sabine Andresen (Hg.): Geschlechtertypisie- rungen im Kontext von Familie und Schule. Opladen: Budrich, S. 7–13. - Brehmer, Ilse (1982): Sexismus in der Schule. Der heimliche Lehrplan der Frauendiskriminierung. Wein- heim: Beltz. - Bundesjugendkuratorium (September 2009): Schlaue Mädchen – Dumme Jungen. Gegen Verkürzungen Kontakt und Information im aktuellen Geschlechtsdiskurs. München. Dr. Claudia Lückung-Michel, bundesjugendkuratorium@dji. Zentrum für Geschlechter- studien/Gender Studies de. Online verfügbar unter www.bundesjugendkuratorium.de. Prof. Dr. Barbara Rendtorff - Forster, Edgar; Rendtorff, Barbara (2011): Einleitung: Jungenpädagogik im Widerstreit. In: Edgar Forster [email protected] Lydia Jenderek (Hg.): Jungenpädagogik im Widerstreit. Stuttgart: Kohlhammer, S. 7–24. [email protected] - Gabriele Schmidt (Hg.) (2011): PONS Diktate für Mädchen 1.–4. Klasse. 100 Texte, die Mädchen wirklich Universität Paderborn Warburger Str. 100 begeistern. PONS GmbH. Online verfügbar unter http://www.pons.de/produkte/3-12-561642-5/, zuletzt 33098 Paderborn geprüft am 10.11.2011.

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Beiträge

Anne Schlüter

„Gender“ als Erkenntnisinteresse, als Forschungs-Kategorie und als Thema

Input zur Diskussion für den Workshop an der UDE: Profilbildung Gender und Diversity am 2. Mai 2011

Einleitung Es wurden Forschungsprojekte zum Geschlech- terverhältnis in Vergangenheit und Gegenwart Ich habe mich in den 1980er Jahren an ver- durchgeführt, die die Perspektive aus dem weib- schiedenen Initiativen zur Frauenforschung und lichen Lebenszusammenhang einnahmen. Diese an der Vernetzung der Forscherinnen beteiligt, Forschung diente dazu, Frauen als Objekte und von denen wir einerseits heute noch profitieren, Subjekte in den verschiedenen Lebens- und Ar- deren Entwicklung andererseits aber heute den beitsfeldern in der Gesellschaft sichtbar zu ma- jungen Forscherinnen nicht mehr unbedingt be- chen, aber auch um zu sagen, dass der Anspruch kannt ist. U. a. habe ich 1988 die erste Frauenfor- von „objektiver“ Forschung nicht gerechtfertigt schungsdokumentation erstellt, das erste Treffen ist, wenn z. B. medizinische Untersuchungen le- der Hochschulfrauenbeauftragten organisiert diglich Männer erforschen, die Ergebnisse aber und mit den Kategorien „Gender“ und „soziale auch auf Frauen angewendet werden. Oder wenn Herkunft“ geforscht (Schlüter 1999). Vor diesem Lebenswelten, in denen überwiegend Frauen an- Hintergrund möchte ich einige Entwicklungen zutreffen sind, diese nicht mitgedacht werden. aufzeigen und einige Einordnungen geben. Doch was ist oder war der weibliche Lebenszu- sammenhang? Während einige Forscherinnen die Erkenntnisinteresse Gender Trennung von männlicher Berufswelt und weib- licher Familienarbeit als zwei getrennte Lebens- Das Interesse an Genderforschung hat histori- zusammenhänge konzipierten, hatten andere sche Wurzeln. Diese liegen einmal in der Kritik die Schwierigkeit, Frauen lediglich an einem Ort der ersten und zweiten Frauenbewegung an den zu sehen. Sie suchten sie entsprechend an allen gesellschaftlich herrschenden Geschlechterver- Orten und fanden Frauen in „ungewöhnlichen“ hältnissen und zum anderen in der Androzen- Lebensverhältnissen. Schließlich ist es eine Ein- trismus-Kritik der in den 1970er Jahren entstan- schränkung der Wahrnehmung, Frauen nur an denen Frauenforschung an der herkömmlichen einem Ort zu suchen. Dies stimmte schon his- Wissenschaft. Die Kritik lässt sich in drei wesent- torisch selten, erst recht nicht in der gegenwär- lichen Aussagen zusammenfassen: tigen Gesellschaft. Gleichwohl existiert für eine Mehrheit von Frauen im Lebenslauf zeitweise und 1. Frauen sind in der Wissenschaft sowohl als „gewöhnlich“ eine höhere Bindung an Mann, Subjekt als auch als Objekt der Wissenschaft Familie, Kinder und Haushalt, als dies z. B. vom ausgeschlossen bzw. sie werden sehr reduziert zeitlichen Einsatz her gesehen für Männer gilt. oder verzerrt wahrgenommen. Und dies ist eine empirisch belegbare Tatsache, 2. „Gender“ muss eine zentrale Analysekatego- die auch gegenwärtig Differenzen zwischen den rie neben „Klasse“ bzw. „sozialer Herkunfts- Geschlechtern benennt. Diese geschlechtsspezi- kultur“ und „Ethnie“ werden. fische Arbeitsteilung hat Konsequenzen für die 3. Die androzentrischen Prämissen, Mechanis- Präsenz von Frauen in anderen Lebensbereichen, men und Strategien der herkömmlichen Wis- z. B. generell an Universitäten und speziell in der senschaft sind einer Ideologiekritik zu unter- Forschung – oder auch für die Partizipation an ziehen. Weiterbildung. Jeder Lebens- und Arbeitsbereich,

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jedes Berufsfeld in der Gesellschaft ist strukturell genen in das Heute hinein, und zwar sowohl in geschlechtsspezifisch konturiert. Das heißt nicht, Zuschreibungs-, Dekodierungs- und Aktivierungs- dass die Strukturierung des Geschlechterverhält- praxen als auch in Prozessen geschlechtsdiffe- nisses keinem sozialen und historischen Wandel renter sozialer Platzierung“ (Krüger 2001, S. 64). unterliegt. Nutzt man die Kategorie Gender in dieser Weise, Beharrlichkeit und Wandel in den sozialen Ver- ist Gender auch heute nicht überholt. hältnissen versuchten wir theoretisch zu fassen. Lange Jahre fanden in der Frauen- und Ge- schlechterforschung Debatten zur Gleichheit Gender als Thema und Differenz zwischen den Geschlechtern statt; man forderte Gleichheit ein und betonte Schließlich ist Gender im Kontext von Bildungs- gleichwohl die Differenz. Die Debatte „Gleichheit forschung und Bildungsarbeit auch als Reflexi- und Differenz“ führte auf der politischen Ebene onskategorie verstanden worden. Sie diente im schließlich zu Gender Mainstreaming. Auf der Rahmen von Bildungsarbeit in der Erwachsenen- Forschungsebene übernahmen wir die Unter- bildung immer wieder dazu, sich selbst aufzu- scheidung zwischen sex und gender. klären, also Selbstbildung zu betreiben. Und sie diente in der Konsequenz manches Mal dazu, Gender als Kategorie den Lebenslauf zu überdenken und die Biogra- phie neu zu schreiben. Dies wird z. B. deutlich, Die Unterscheidung zwischen sex und gender wenn man an die Gruppe der Berufsrückkehrerin- wurde eingeführt, und in der Folge war man den nen denkt (vgl. Feider 2006). Die Thematisierung Mechanismen des „doing gender“ auf der Spur. von Gender führte sogar zur Notwendigkeit der Nach dem Prinzip des „doing gender“ sind alle Ausbildung von Genderkompetenz (vgl. Derichs- Gesellschaftsmitglieder aktiv an der Konstruktion Kunstmann u. a. 2009). Und Gender wird von von Geschlecht beteiligt. Um solche Konstruktio- Christina von Braun auch als Wissenskategorie nen empirisch zu erfassen, sind mindestens drei genutzt, um Genderwissen zu erhalten und zu Ebenen der Betrachtung nötig: die Ebene des transportieren. Ihr Buch „Gender@wissen“ ist Interaktionsgeschehens, die Ebene der gesell- dazu sehr aufschlussreich. schaftlichen Aktivitätsfelder und die Ebene der Sozialstruktur. D. h. Gender ist – wie Helga Krüger Gender und Theorie 2001 ausführt – mehrdimensional. Geschlecht lässt sich daher als Interaktionskategorie, Schaut man die Forschungsprojekte an, die als ordnende Kategorie von gesellschaftli- mit Gender gearbeitet haben, dann lassen sich chen Territorien und als gesellschaftstheo- je nach Thema folgende theoretische Ansätze retische Kategorie für Forschungen nutzen. feststellen, die mit Gender verbunden sind. Die In dieser Form war und ist die Verwendung der verschiedenen theoretischen Zugänge zu Gender- Kategorie Gender nie allein auf den Beziehungs- Analysen sind beispielsweise: Vergleich Frauen und Männer ausgerichtet ge- wesen, sondern immer auf Forschungen über 1. Diskurstheoretischer Ansatz Bildung, Ausbildung, Arbeit, Beruf, Erwerb, Le- 2. Bildungstheoretische Ansätze benslauf und Karriere mit der Frage der sozialen 3. Biographietheoretische Ansätze Platzierung des weiblichen und männlichen Ge- 4. Lerntheoretischer Ansatz schlechts in der gesellschaftlichen Ordnung. Wenn man die soziale Konstruktion von Ge- Betrachtet man die Themen der letzten Jahrzehn- schlecht als Wahrnehmungs-, Zuschreibungs- te, so geht es immer wieder um die Spannungs- und Bewertungsgeschehen zwischen Personen verhältnisse von Bildung, Arbeit und Familie bzw. oder Gruppen auffasst, dann reduziert man alles um Geschlecht und Macht in verschiedenen Ak- auf Interaktionsgeschehen. Um nicht dem „sozi- tionsfeldern: wie Schule, Hochschule, Betriebe, alstrukturierten Vergessen“ anheim zu fallen, ist Politik und Wissenschaft, Medizin, Ingenieurwis- eine Analyse der sozialstrukturellen Genese von senschaft. Geschlecht notwendig. Helga Krüger bezieht sich Diese bilden sich aktuell über diskurstheoretische auf Marcuse, der vorschlägt, soziale Strukturen zu Ansätze ab. verstehen „als in sozialstruktureller Ordnung ma- Besonders beeindruckend ist die Darstellung terialisierte, Macht perpetuierende Normen und der Diskurse, welche die Konstruktion von Ge- Werte“, denn „dann liegt dieser ‚Gerinnungspro- schlechterhierarchien aufnimmt. Die Her- zess‘ von Werten selbst zwar historisch zurück, stellung von Erst- und Zweitrangigkeit zwischen doch als ‚gefrorene Gewalt der Geschichte‘ wirkt den Geschlechtern folgt einem argumentativen er eben über diese Materialisierung des Vergan- Muster der Diskreditierung, das von Angela

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Venth als funktionierendes „Regelwerk“ in ihrem Literatur empirischen Material nachgewiesen wird. Sie erarbeitete folgendes Ergebnis: Die Regularien - Braun, Christina von/Stephan, Inge (2009): für die Konstruktion von Gender-Relationen lie- Gender@Wissen. 2. Aufl. Köln. gen sowohl im Ursprung als auch im Ziel einer - Derichs-Kunstmann, Doris u. a. (2009): Gender- weithin nach wie vor existierenden, hierarchisch kompetenz für die Bildungsarbeit. Recklinghau- gestuften Binarität im Geschlechterverhältnis. Die sen. Gender-Metaphorik scheint fest in unserer Kultur - Feider, Cornelia (2006): Berufsrückkehrerinnen. verankert zu sein, auch wenn sie sich manchmal – Bielefeld. wie in der Wissenschaft – als „geschlechtsneu- - Krüger, Helga (2001): Gesellschaftsanalyse: tral“ gibt. der Institutionenansatz in der Geschlechter- forschung. In: Knapp, Gudrun-Axeli/Wetterer, Zusammenfassung Angelika: (Hrsg.): Soziale Verortung der Ge- schlechter. Münster, S. 63–90. Aus meinen Ausführungen ist zu entnehmen, dass - Schlüter, Anne (1999): Bildungserfolge. Opla- es mir nicht erstrebenswert erscheint, Gender als den. Kategorie zu neutralisieren bzw. sie als historisch - Venth, Angela (2006): Gender-Porträt Erwach- überholt einzustufen. Vielmehr lässt sich als The- senenbildung. Diskursanalytische Reflexionen Kontakt und Information se formulieren: Die Verleugnung der Wichtigkeit zur Konstruktion des Geschlechterverhältnisses Prof. Dr. Anne Schlüter von Gender ist eine neue Diskriminierung. im Bildungsbereich. Bielefeld. [email protected]

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Wilhelm de Terra

Homosexualität und Förderschule – Homonegativität vorprogrammiert?

Unsere Schulwirklichkeit(en) steht im Kontext vom menschlichen Bewusstsein existentes Sei- immer noch stark heteronormativ orientierter endes. Aus der Fülle der Bewusstseinseindrücke gesellschaftlicher Ordnungen. Ob an Regel- oder wird eine Wahl getroffen. Diese Setzung erfolgt an Förderschulen, Lehrende wie Lernende dürften nicht voraussetzungslos, sondern steht in der Mit- mit ziemlicher Sicherheit bereits in Handlungs- te von vor- und nachfolgenden Entscheidungen. und Kommunikationszusammenhängen gestan- Sprich: Jeder Setzung geht (mind.) eine Voraus- den haben, die von „Homonegativität“ (Sielert setzung als Bezugs- und Anschlusspunkt voraus, 2005, S. 95)1 durchzogen waren. In vorliegenden auf jede Setzung folgen weitere. An den Beginn empirischen Studien zu Einstellungen von Schü- der Kette Voraussetzung-Setzung zu gelangen, ist lerinnen und Schülern (SuS) gegenüber Homose- nicht möglich, hieße es doch, hinter die setzen- xualität gerät bislang eine Schülergruppe nicht in de Instanz, wobei dem Bewusstsein eine zentrale den Blick: die SuS von Förderschulen. Das muss Rolle zukommt, zurückzugehen. Hier kann man verwundern. Wenn in populären wie auch wissen- von einem Konstruktionsprozess sprechen. Dieser schaftlichen Diskussionen zu hören ist, dass eine lässt sich wiederum beobachten und beschreiben. negative Einstellung gegenüber Homosexualität Wenn auch kein Beobachter vom „archimedi- mit einem niedrigen Niveau der Schulbildung, schen Punkt“ aus beschreiben kann, sondern geringem Sozialstatus, eigenen Diskriminie- immer auch selbst an Voraussetzungen anknüpft rungserfahrungen sowie Migrationsgründen in und Setzungen trifft, so wird im Beobachtungsmo- Zusammenhang stünde, müsste dann nicht die dus das Grundproblem von Setzungen deutlich: Förderschule Lernen (FöS L) ein Ort der Homone- Sie sind kontingent. Kontingenz muss aber nach gativität par excellence sein? Diese Überlegung Schmidts Verständnis aufgrund des Sinnbedürf- 1 Der in zahlreichen Diskursen übliche Begriff Homophobie – war mir Anreiz für eine empirische Studie über die nisses des Menschen bewältigt und letztlich invi- in den meisten der hier zitierten Erfahrungen und Einstellungen dieser SuS gegen- sibilisiert werden (vgl. Schmidt 2003, S. 27–33 u. Arbeiten wird er benutzt – soll hier nicht gebraucht über Homosexualität und Homosexuellen, deren 50f. Ders. 2005, S. 29–33). Grundlegende Aspekte werden. Eine Phobie ist nach Grundlagen und Ergebnisse ich im Folgenden dar- der Sinnbildung sind bei Schmidt (semantische) psychologischer Definition legen möchte.2 „Kategorien“ und „semantische Differenzierun- eine hartnäckige, irrationale Angst, die bei den Betroffenen gen“ (Schmidt 2003, S. 31). Kategorien stellen zu großem Leidensdruck führt. 1 Von Kategorien-Netzwerken, Kontin- gesellschaftlich wirksame Sinndimensionen dar, Nicht nur, dass Homophobie bei homophoben Menschen wohl genzbewältigung und heteronormativem wie bspw. Alter, Herrschaft oder auch Geschlecht. höchstens dann Leidensdruck Unbehagen: Theoretische Perspektiven zu Semantische Differenzierungen sind konkrete und auslöst, wenn sie selbst Opfer homophober Zuschreibungen Geschlecht, sexueller Orientierung und ausdifferenzierende Bezugnahmen auf Kategori- werden. Im Gegensatz etwa Homonegativität en und ihr Potenzial in Handeln und Kommuni- zur Arachnophobie sind kation. Wichtig für das Verständnis von seman- mit Homophobie komplexe gesellschaftlich wirksame Eine empirische Analyse bedarf der theoretischen tischen Differenzierungen ist der Umstand, dass Ordnungskonzepte verbunden Einbindung. Aus theoretischen Ansätzen lassen die operativ genutzte(n) Seite(n) nur mit der/den sowie gleichsam kultur- und geschichtsabhängige Grenzen sich klassisch empirische Fragestellungen herlei- nicht genutzte(n) Seite(n) im Hinterkopf zu verste- zwischenmenschlicher Bezie- ten. Hier gilt es aber besonders, für das empirische hen sind („junger Mann“ und nicht etwa „greise hungen. Auch wenn Homopho- bie oftmals im konstruktivis- Interesse zentrale Kategorien, Geschlecht und Frau“). Mit der Umsetzung dieser Differenzen in tischen Sinne gebraucht wird, sexuelle Orientierung, theoretisch nicht unter- konkrete Unterscheidungen in Handeln und Kom- so muss mit Homonegativität bestimmt zu lassen. Allzu leicht nämlich geraten munikation bildet sich ein „semantische[s] System nicht auf das Konzept Phobie rekurriert werden. diese Kategorien in den Schatten vermeintlicher von Sinnorientierungen“ von Aktanten einer Ge- „Natürlichkeit“ oder aber ebenso unreflektierter sellschaft heraus, ein „Wirklichkeitsmodell“ (Ders. 2 Für ihre hervorragende theoretische wie praktische Zuschreibungen wie „alles nur Konstrukte!“. Die 2005, S. 35). Bezüge auf die Sinnorientierungen Anregung und Unterstützung Theorie der Geschichten & Diskurse von Siegfried müssen gleichzeitig gesellschaftlich verbindlich während der Erhebungspha- se sowie bei der kritischen J. Schmidt bietet hierfür geeignete Ansätze. Hier geordnet werden, um relevant zu werden. „Kul- Darstellung möchte ich Prof. erscheint all unser Tun in Gestalt von Setzungen. turprogramme“ (Ders. 2003, S. 38) regeln die Dr. Birgit Lütje-Klose, Marie- Wir tun etwas und unterlassen dabei gleichzeitig selektiv gehaltenen Verbindungen zwischen Ka- Therese Langer und Prof. Dr. Ulrike Schildmann herzlich dan- etwas anderes, was wir gleichwohl stattdessen tegorien und semantischen Differenzierungen ken. Ebenfalls danke ich Maike hätten tun können. Es bedarf dieser Form von untereinander, was untrennbar mit emotionaler Meissner, Friedrich-Wilhelm Keller und Michael Müller für Selektion aus der unendlichen Fülle von (Um) Besetzung und moralischer Gewichtung verbun- Beistand und Kritik. Welt und Sein, d. h. hier ein nicht unabhängig den ist. So entstehen wiederum sinnorientierende

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Voraussetzungen für Setzungen (vgl. ebd., S. 31– der Unterscheidung männlicher–weiblicher Ge- 45).3 Eine besondere Belastbarkeit erhalten solche nitalien (vgl. Hirschauer 1992, S. 337) oder die Wissensbezüge meines Erachtens über eine spe- einer Chromosomenunterscheidung bereits vor- zifische Form von Netzwerken unter Kategorien gelagerte Differenzierung „männlich–weiblich“ in Kulturprogrammen. Dabei werden Kategorien schier unsichtbar. In zahllosen Geschichten und bzw. ihre Ausdifferenzierungen gewissermaßen Diskursen der Institutionen von Medizin, Justiz miteinander verzahnt, d. h. die semantische Dif- und Bildungswesen übernommen und stets aufs ferenzierung einer Kategorie stets mit denen an- Neue hervorgebracht, verschwindet der Setzungs- derer in Bedeutungszusammenhang gebracht und charakter von Geschlecht hinter der machtvollen damit plausibel gemacht. Je dichter das Netzwerk Kontingenzbewältigungsstratgie „Natur“! aus Bezügen und Rückverweisungsketten, desto Sexuelle Orientierungen als Bestandteil von Kul- mehr büßt der Setzungscharakter der einzelnen turprogrammen, worin Personen über die Wahl ih- Elemente an Sichtbarkeit ein. Diese abstrakte rer Geschlechtspartner definiert werden, vereinen Überlegung soll noch am Beispiel Geschlecht und sexuelles Verhalten, Anziehung und Fantasien, sexuelle Orientierung konkretisiert werden. soziale wie emotionale Vorlieben und Wünsche. Wirklichkeitsmodelle wie Kulturprogramme kön- Sexuelle Orientierungen sind vielfach wichtiger nen erst in Handlungs- und Kommunikations- Teil von Identitätskonstruktionen (vgl. Hirschauer zusammenhängen (Geschichten und Diskurse) 1992, S. 340f.). In vielen Gesellschaften erschei- gedacht werden, für welche sie ständige Be- nen die Kategorien „Geschlecht“ und „sexuelle zugspunkte sind. Schmidt versteht Geschichten Orientierung“ in enger Netzwerkverbindung, ja als Ordnungsmuster für Handlungsfolgen eines als komplementär: „Geschlecht“ richtet „sexuelle Aktanten und Diskurse als durch inhaltliche wie Orientierung“ aus, wobei „sexuelle Orientierung“ formal bestimmte Selektionsmuster für Kommuni- „Geschlecht“ erneut Plausibilität verleiht, wenn kation, welche aber erst im Beobachtungsprozess etwa Sexualität und Fortpflanzung in eins gesetzt konstituiert werden (vgl. Schmidt 2003, S.48–59. werden. In diesen Zusammenhängen kann sich Ders. 2005, S. 46–51). Heteronormativität profilieren. Heterosexualität In den Wirklichkeitsmodellen westlicher Gesell- wird zur fundamentalen Norm. Diese Sinnorien- schaften ist Geschlecht eine Grundordnungs- tierung gipfelt darin, dass mit ihr untrennbar die kategorie (vgl. Grossmann 2002, S. 98). In Kul- anthropologische wie symbolische Natur, Vernunft turprogrammen wird permanent auf die damit und Weltordnung verbunden werden und folglich verbundenen Differenzierungen Bezug genom- eine Missachtung solch vermeintlich „natürlicher men, von der Identitäts- bis hin zur Fahrradkons- Tatsachen“ eine Gesellschaft in ihrem Bestand truktion! Nach den hier vertretenen theoretischen bedrohen würde (vgl. Anatrella 2007). Auch He- Grundlagen liegen weder das sog. biologische teronormativität bedarf einer mitgedachten, aber Geschlecht (sex), das sog. kulturbezogene Ge- nicht genutzten Seite von sexueller Orientierung, schlecht (gender) noch Geschlecht als umfassen- eines sie konstituierenden Außen. Die Differenzie- de Kategorie jenseits des Setzungszusammen- rungen „homo-“ oder „bisexuell“ entspringen hangs. Dass vielen Menschen eine Diskussion der Forderung nach Eindeutigkeit der Nicht-Nor- um den Konstruktionscharakter von Geschlecht malität (vgl. Wagenknecht 2007). im Angesicht der „Materialität“ von Penis und Bei derartigem Bedrohungspotenzial ist das Au- Vagina abstrus erscheint, zeugt von dem dichten ßen, das Nicht-Normale furchtbesetzt und löst Kategorien-Netzwerk mit entsprechenden seman- Unbehagen aus: Homonegativität meint das Ab- tischen Differenzierungen, in dem „Geschlecht“ werten von homosexuellen Lebensformen in Ge- steht. Um dies kurz zu verdeutlichen: Eine Verbin- schichten und Diskursen, auf individueller Ebene dung zur Kategorie „Alter“ ermöglicht u. a., eine (z. B. verächtliche Stereotypen, Vermeidungsten- spezifische Geschlechtsentwicklung zu denken, denzen, Spott und körperliche Gewalt) wie auf während eine Verbindung zur denkbaren Kate- strukturell-institutioneller Ebene (z. B. Ausblen- gorie „Körper“ Materialität in Form von Genita- den homosexueller Lebensformen in Unterricht lien oder Chromosomen „liefern“ kann. Andere und Schulbüchern oder Ungleichwertigkeit von körperliche Merkmale wie Ohrläppchen sind in homosexueller Partnerschaft gegenüber heterose- hiesigen Kulturprogrammen als Sinnbausteine für xueller Ehe). Sie kann vielfache Formen von Belas- „Geschlecht“ ausgeschlossen. „Alter“ und „Kör- tung erzeugen, von Unsicherheitsgefühlen bis zu 3 Die Verbindung der Voraus- setzung-Setzung-Kette und der per“ bieten plausibel erscheinende Sinnbausteine Suizidgedanken (vgl. Fiedler 2004, S. 74f. u. 111. Bedeutung sozialer Orientie- für „Geschlecht“. Die Setzung „männlich–weib- Glassl 2008, S. 74f., 90 u. 109). Wer möchte sich rung von Konstrukten drückt Stefan Hirschauer treffend aus, lich“ findet über Wissensbezüge permanente Be- angesichts der enormen Deutungsmacht zuguns- wenn er sagt, Sozialität und stätigung, ebenso wie die Bezugspunkte bestätigt ten von Zweigeschlechtlichkeit und Heterosexu- Historizität seien die „nicht zu isolierenden Dimensionen jedes werden. Dabei werden Voraussetzungen dieser alität jenseitig positionieren?! Schließlich gehen Phänomens“ (zit. n. Hirschauer Setzungen wie etwa die historische Entwicklung mit einer nicht-heterosexuellen Begehrensaus- 1992, S. 338).

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richtung eine Infragestellung der Grundkategorie Alter von 14–20 Jahren (davon 206 mit tür- Geschlecht und die damit drohende Negation des kischem und 200 mit Migrationshintergrund Selbstkonzeptes sowie Zugangsverlust oder Posi- in Bezug auf Länder der ehem. UdSSR) einen tionsschwächung in Geschichten und Diskursen Zusammenhang zwischen dem Vorliegen eines einher, was die über 100 Jahre wirkungsmäch- Migrationshintergrundes, traditionellem Ver- tigen wissenschaftlichen Überlegungen zu ge- ständnis von Männlichkeit und Zustimmung zu schlechtlicher Inversion bei Homosexuellen4 oder homonegativen Items herausgearbeitet. Wei- alltägliche Vorstellungen (wie Lesben tragen Holz- terhin hier interessant ist der in Regressions- fällerhemden und Kurzhaarschnitt) eindrucksvoll analysen sichtbar gewordene Zusammenhang zeigen. So kommt dem Disziplinierungseffekt von von Homonegativität und eigenen Diskriminie- homonegativen Äußerungen zu einem heteronor- rungserfahrungen bei SuS mit Migrationsbezug mativen, geschlechts- oder peergroupkonformen zu Ländern der ehem. UdSSR, bei türkischem Verhalten große Bedeutung zu – ohne zwangs- Migrationshintergrund hingegen mit Religiosi- läufig mit streng homonegativer Einstellung ein- tät, unzureichend bewerteter persönlicher Inte- herzugehen (vgl. Pascoe 2006). gration und geringem persönlichen Kontakt zu Homosexuellen (vgl. Simon 2008, S. 89–95). 2 Von brüchiger Duldung und Bildungs- c) Der Erziehungswissenschaftler und Sexualpä- verlierern: Empirische Eindrücke zur dagoge Stefan Timmermanns spricht im Er- Homonegativität in Schule und Gesell- gebnis seiner Untersuchung zur Wirksamkeit schaft, zur Situation an der Förderschule von schwul-lesbischer Schulaufklärung, an Lernen und Hypothesenbildung der 452 SuS von Gymnasien, Gesamt-, Real- Im folgenden Abschnitt werden die Ergebnisse und Hauptschulen in NRW teilnahmen, von dreier Studien zur Einstellung gegenüber Homo- oberflächlicher Toleranz unter SuS gegenüber sexualität, die später noch in Bezug zu den Ergeb- Homosexuellen. Sie ende schnell dort, wo SuS nissen der Fragebogenerhebung gesetzt werden, direkten Kontakt sehen oder befürchten. Eine sowie die Datenlage zur Schülerschaft an der ablehnende Haltung gegenüber Homosexuel- Förderschule vorgestellt. Hieran orientieren sich len allgemein bzw. im persönlichen Umgang die anschließend aufgestellten und zu prüfenden zeigen 49 % bzw. 76 % der Jungen und 25 % Hypothesen. bzw. 43 % der Mädchen (vgl. Timmermanns 2003, S. 126f.) (Auch) empirisch erscheint Ho- a) In den repräsentativ gehaltenen Umfragen des monegativität nicht „geschlechtsneutral“. Projekts „Gruppenbezogene Menschenfeind- lichkeit“ (GMF) des Bielefelder Instituts für in- Alle genannten Studien zeigen, dass sich die je- terdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung weils Befragten nicht mehrheitlich homonegativ stimmten 2009 der Aussage „Es ist ekelhaft, gaben. Gleichwohl ist insofern von einer brüchi- wenn Homosexuelle sich in der Öffentlichkeit gen Duldung zu sprechen, als jeweils mind. ein küssen“ 11,7 % eher zu, 15,9 % stimmten ihr Viertel eine deutlich homonegative Einstellung voll und ganz zu, während 39,3 % hingegen zeigen. Hinzu kommen die „unbehagten Unent- ihr überhaupt nicht zustimmten. Der Aussage, schlossenen“, die sich nicht eindeutig negativ, Homosexualität sei unmoralisch, stimmten hin- aber eben auch nicht positiv zeigten. Von ihnen gegen (nur) 6,5 % eher und 9,2 % voll zu (vgl. muss wohl am ehesten ein Ignorieren sog. homo- IGK 2010). Die Häufigkeitsverteilung bei Zu- sexueller Mitmenschen erwartet werden. stimmung bzw. Ablehnung der Aussagen ins- Betrachten wir abschließend die Situation an der gesamt deutet keineswegs auf eine mehrheit- FöS L, so fällt alsbald auf, dass sich hier jede Ka- lich homonegative Einstellung hin. Gleichwohl tegorienausprägung findet, die statistisch mit Ho- variiert der Grad an Offenheit oder Duldung monegativität in Verbindung steht: So waren etwa durchaus je nach Aussage. In weiteren Unter- im Schuljahr 2009/10 unter den SuS der FöS L nur 4 In der frühen europäischen Forschung seit dem 19. Jahr- suchungen des GMF-Projektes wurde die Ver- 39 % weiblich, 31 % aller SuS dort hatten eine hundert zu gleichgeschlecht- bindung zwischen niedriger Schulbildung und Zuwanderungsgeschichte. Zum Vergleich die An- lichem Begehren galten so empfindende Männer nicht als dem Auftreten von Ungleichwertigkeitsvorstel- teile an der Schülerschaft insgesamt und am Gym- „wahre“ Männer. Ihren Körpern lungen deutlich, wobei in Bezug auf die soziale nasium: Insgesamt 48 % weiblich bzw. 25 % mit wurde wenigstens in Teilen eine weibliche Seele zugeschrieben. Abwertung von Homosexuellen den Variablen Zuwanderungsgeschichte, am Gymnasium 53 % So blieb hier auch im Anor- Geschlecht (Ausprägung: männlich) und Bil- weiblich bzw. 12 % mit Zuwanderungsgeschichte malen das heteronormative dung höchste Signifikanz (p<.001) zukommt (vgl. Ministerium für Schule 2010, S. 8, 15 u. 111). Konzept wirksam, während in allgemeiner Geringschätzung (vgl. Dalbert u. a. 2010, S. 101). In Bezug auf die (hierarchisch orientierte) Vorstel- von Frauen lesbisches Lieben b) Der Sozialpsychologe Bernd Simon hat auf lung von niedrigem Bildungsniveau lässt sich und Begehren unbeachtet blieben (vgl. Kraß 2009, Grundlage einer Befragung von 922 SuS an anführen, dass in NRW allgemein im Jahr 2009 S. 137–142). Berliner Gymnasien und Gesamtschulen im 68,3 % der SuS von Förderschulen (im Bereich

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GR/HS) ohne Hauptschulabschluss abgingen (vgl. sahen sich nur vom eigenen Geschlecht angezo- ebd., S. 205) und dass speziell die Förderschule gen. Das vielschichtige Konstrukt „Migrationshin- Lernen Abschlüsse vergibt, die noch dem Haupt- tergrund“ wird hier lediglich über die Selbstaus- schulabschluss nachgeordnet sind (Abschluss des kunft auf die Frage, ob die Eltern in Deutschland Bildungsgangs im Förderschwerpunkt Lernen). geboren seien, gefasst: 38,9 % verneinten dies Hieran habe ich die Thesen in der diesem Artikel (vgl. de Terra 2010, S. 29–32). zugrunde liegenden Arbeit ausgerichtet, von de- Erfahrungen und Einstellungen orientieren und nen hier drei überprüft werden sollen: strukturieren einander. Es lässt sich empirisch zeigen, dass fehlende Erfahrung im Umgang mit 1. FörderschülerInnen zeigen mehrheitlich eine homosexuellen Menschen mit homonegativen homonegative Einstellung. Einstellungen einhergeht (Simon 2008, S. 96). 2. Jungen sind stärker homonegativ als Mädchen. Der Mehrheit der Befragten fehlt diese Erfahrung: 3. Es besteht eine Wechselwirkung zwischen dem 71,7 % kennen keinen homosexuellen Menschen Vorliegen von „traditionellem Geschlechterrol- oder gar eine(n) homosexuelle(n) MitschülerIn lenverständnis“ und Migrationshintergrund in (86,8 %). Dies fällt jedoch deutlich geschlechts- Bezug auf eine homonegative Einstellung. spezifisch aus: Beinahe die Hälfte der Mädchen kennt einen homosexuellen Menschen, bei den 3 Eigene Fragebogenerhebung und Jungen sind es weniger als ein Viertel.7 Es liegen Thesenkritik allenfalls Sekundärerfahrungen aus dem Medium Film vor (60,9 % sahen bereits einen Film mit Ho- Bei der Konstruktion des Fragebogens orientierte mosexuellen), was freilich nichts über das vermit- ich mich an Items vorliegender Studien, an Über- telte Bild aussagt. Im Schulunterricht hatten 77 % legungen zum Zusammenhang zwischen der Ein- Homosexualität (noch) nicht behandelt, 64 % stellung zu Homosexualität und Homosexuellen bekundeten auch kein Interesse daran (vgl. de Ter- und Geschlecht (sowohl das der Befragten als ra 2010, S. 33–35). auch der „imaginären Homosexuellen“), Religion, Keine Primärerfahrungen mit homosexuellen Mit- Migrationshintergrund sowie dem persönlichen menschen, nur geringes Interesse an einer schu- Umgang mit als homosexuell bezeichneten Men- lischen Auseinandersetzung: Zeichnet sich damit schen. Weiterhin wurde versucht, ein gewisses schon das Bild von mehrheitlich homonegativ ein- „Irritationspotential“ aufzubauen, indem auch gestellten SuS der FöS L ab? Die Häufigkeitsvertei- die Einstellung gegenüber sonst unhinterfragter lungen unter den für diesen Artikel ausgewählten 5 Hier stehen SuS sowohl am Anfang und der Mitte des Heterosexualität erfasst wurde. Der Fragebogen Einstellungsitems (vgl. Tab. 1) lassen diesen Ge- als Entwicklungskonzept zu ist in vier Bereiche unterteilt: Fragen zur eige- dankengang nicht zu. Homonegative Positionen verstehenden Jugendalters als auch an der Schwelle zur nen Sexualität, Angaben zur Person, Erfahrungen werden von einer Mehrheit unter den SuS nicht Adoleszenz. zum persönlichen Umgang mit Homosexuellen vertreten. Auch bei den hier nicht aufgeführten 8 6 Dabei ist zu beachten, dass und Homosexualität als Unterrichtsthema sowie Items lässt sich dies beobachten. Doch soll die in der Vorstellung des Fragebo- Bewertung verschiedener Aussagen zu Homo- Betrachtung hier nicht enden und vielmehr einige gens vor den SuS betont wurde, sexualität und Geschlecht im schulischen und Ergebnisse erläutert und interpretiert werden: Ob dass Anziehung nicht zwangs- läufig mit sexueller Begierde außerschulischen Bereich anhand einer Zustim- sich SuS durch homosexuelle MitschülerInnen ge- einhergehen muss (vgl. de Terra mungsskala. stört fühlen oder nicht, bleibt bei den meisten eine 2010, S. 55–69). Befragt wurden 93 SuS ostwestfälischer Förder- auf Fiktion basierende Entscheidung. Schließlich 7 In Timmermanns’ Erhebung schulen mit dem Förderschwerpunkt Lernen der gaben nur 13,2 % an, eine(n) solche(n) Mitschü- kennen dagegen 20% aller 5 Befragten schwule, 10 % lesbi- Jahrgänge 6 und 9 . Hiervon bezeichneten sich lerIn zu kennen. Inwieweit dieser Umstand die Be- sche Menschen. Mehr Mädchen 58,1 % als männlich, 30,1 % als weiblich. Der wertung verzerrt, bleibt offen. Der Aussage „Mich (28 %) als Jungen (12 %) Rest von ca. 12 % traf hier keine Wahl. Darüber stören homosexuelle Mitschüler“ stimmen insge- gaben an, einen Schwulen zu kennen, während Lesben unter hinaus sollten sie sich auf einer Skala zwischen samt 28,9 % eher bzw. voll zu, 48,9 % lehnen sie den Geschlechtern gleicher- den Polen „sehr männlich“–„sehr weiblich“ po- eher bzw. voll ab.9 maßen (un)bekannt sind (vgl. Timmermanns 2003, S. 114). sitionieren. Die Tendenz ging zwar eindeutig zu Die „nüchterne“ Behauptung, Homosexuelle den Rändern, doch hat sich mehr als ein Drittel seien selbst daran schuld, wenn man ihnen mit 8 Eine vollständige Übersicht und Auseinandersetzung mit jenseits dieser Pole verortet. Dies kann vielleicht Ablehnung begegne, findet sich nicht selten in den verwendeten Items sowie zur Differenzierung von Aussagen über extreme homonegativen Geschichten und Diskursen. So der Fragebogen sind online Geschlechterpolarisierung an der Förderschule verfährt etwa auch der katholische Psychoanalyti- abrufbar. Vgl. de Terra 2010. Lernen anregen. In Bezug auf die eigene sexuel- ker Tony Anatrella (vgl. ders. 2007, S. 372). Im be- 9 Hier wie im Folgenden le Orientierung gaben 80,2 % an, sich nur vom reits erwähnten GMF-Projekt stimmten ihr 2004 wurden mit Blick auf Artikelumfang und Lesbarkeit anderen Geschlecht angezogen zu fühlen. Gleich- 29,1 % (eher) zu, 35,2 % lehnten sie völlig ab die differenzierten Grade wohl ist auch hier zu differenzieren, wenn etwa (vgl. Zick, Küpper 2005, S. 133). In der vorliegen- jeweils von Zustimmung bzw. Ablehnung zusammengefasst. 12,3 % der SuS nicht ausschließlich Attraktivität den Befragung stimmen ihr lediglich 23,9 % zu, In Tab. 1 sind sie hingegen im vom anderen Geschlecht verspüren.6 2 Befragte während sie 60,9 % ablehnen. Die Zustimmung Einzelnen aufgeführt.

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ist hier also schwächer ausgeprägt als in der re- vorsichtig, dann unterscheiden sich die befragten präsentativen Befragung! FörderschülerInnen nicht von jenen SuS der Regel- Homosexualität als Störung zu bezeichnen, beglei- schulen aus Timmermanns’ Stichprobe. tet das Konzept der Homosexualität seit seinem Bei einzelnen Aussagen lässt sich eine bimodale Aufkommen. Für Anatrella ist die ganze Existenz Verteilung der Antworthäufigkeiten ablesen. Das eines Homosexuellen gestört. So erfinden die- gilt tendenziell auch für bestimmte Forschungs- se zum Erheischen von Aufmerksamkeit Homo- ergebnisse des GMF-Projektes und Timmermanns phobie, weil sie ob geschlechtlicher Verwirrung Projekt. In Bezug auf die hier befragten SuS kön- narzisstisch veranlagt seien. (vgl. ders. 2007, nen diese Häufigkeitsverteilungen mit einem Ge- S. 364 u. 375). Die SuS lehnen die Aussage „Homo- fühl von Betroffenheit in Zusammenhang stehen. sexualität ist eine Störung“ größtenteils ab: 41,1 % Wo SuS Bereiche ihrer Lebenswelt unmittelbar allein entfallen auf volle Ablehnung. Es wurde berührt sehen, mag der Drang groß sein, eindeutig nicht erfragt, ob die befragten SuS hier bspw. die Position zu beziehen, etwa bei der Vorstellung von Vorstellung von einer psychologischen Störung im einander küssenden Jungen sich ablehnend oder Sinn hatten oder eher eine Verbindung zogen zur empathisch zu geben. Vielleicht soll gerade in im Schulalltag vielfach (im Sinne Pascoes diszipli- diesen Fällen jedwede Kontingenz verschwinden, nierend) gebrauchten Abwertung „gestört“. Wei- die bei einem „sowohl–als–auch“ noch zu sehr terhin beeindruckt, dass die Adoption von Kindern durchscheinen mag. durch Homosexuelle insgesamt knapp die Hälfte Wenngleich die Hypothese „FörderschülerInnen (52,2 %) der SuS befürwortet, wo doch der Gel- zeigen mehrheitlich eine homonegative Einstel- tungsanspruch von Heteronormativität besonders lung“ so nicht aufrecht erhalten werden kann, ist dadurch an Stärke gewinnt, wenn auf die Verbin- doch darauf hinzuweisen, dass die Einstellung zu dung von Heterosexualität und die Fähigkeit zur Homosexualität und als homosexuell bestimmten Familiengründung, die Bedeutung des zweige- Menschen im sozialen Fern- und im Nahbereich schlechtlichen Vorbilds der Eltern für die seelische unterschiedlich ausfällt. Großes Unbehagen ge- Gesundheit oder schlicht auf die „Natürlichkeit“ genüber schwulen Lehrern steht neben der Be- der Verbindung Vater-Mutter-Kind verwiesen wird. fürwortung des Adpotionsrechts. Eine keineswegs In Timmermanns’ Studie gaben sich 55 % der sicher solidarische Haltung gegenüber der/dem Jungen und 69 % der Mädchen gegenüber der „geouteten“ besten FreundIn steht neben der Ab- Adoption durch Homosexuelle zustimmend (vgl. lehnung, Homosexualität als Störung zu betrach- ders. 2003, S. 112f. u. 130). Vergleicht man hier ten (vgl. Tab. 1).

Tab. 1: Einstellungsitems Item Mittel- „Stimme „ ... eher „Teils/ „ ... eher „ ... nicht Korre- wert* voll zu“ zu“ teils“ nicht zu“ zu“ lation** (%) Mich stören homosexuelle 2,64 21,1 7,8 22,2 12,2 36,7 - Mitschüler Ich würde mich ohne Probleme 3,00 32,6 7,6 20,7 5,4 33,7 - von einer lesbischen Lehrerin unterrichten lassen Ich würde mich ohne Probleme 2,44 19,8 5,5 19,8 8,8 46,2 M von einem schwulen Lehrer (r= -.278 unterrichten lassen p<.01) Homosexuelle sind selbst 2,38 19,6 4,3 15,2 16,3 44,6 - schuld, wenn man etwas gegen sie hat Ich finde es ekelhaft, wenn sich 3,25 44,0 6,6 11,0 7,7 30,8 - zwei Jungen küssen Ich finde es ekelhaft, wenn sich 2,68 22,0 6,6 19,8 20,9 30,8 - zwei Mädchen küssen Ich finde es ekelhaft, wenn sich 2,21 19,6 3,3 7,6 17,4 52,2 M ein Junge und ein Mädchen (r= -.211 küssen p<.05) Homosexualität ist eine 2,31 15,6 5,6 14,4 23,3 41,1 - Störung Homosexuelle sollten Kinder 3,37 44,6 7,6 13,0 9,8 25,0 - adoptieren dürfen * Folgt der Skalierung „Trifft Würde mein bester Freund/ 3,03 33,7 7,6 19,6 6,5 32,6 G nicht zu/Lehne ab“(1) bis „Voll zu“(5) Freundin sagen, er/sie sei (r= -.266 ** M=Migrationshintergrund, schwul oder lesbisch, dann p<.05) G=Geschlecht würde ich zu ihm/ihr stehen

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Die Bedeutung der Kategorie Geschlecht für Test die Mittelwerte von männlichen und weibli- homonegative Einstellungen lässt sich von chen Befragten auf dieser Skala, so erreichen die verschiedenen Seiten in den Blick nehmen: Im männlichen Befragten einen höheren und damit Hinblick auf das angegebene Geschlecht der auf stärkere Homonegativität hindeutenden Befragten ist die Hypothese „Jungen sind stär- Mittelwert (vgl. Tab. 2), doch ist kein signifikan- ker homonegativ als Mädchen“ zu prüfen. Dazu ter Zusammenhang zwischen (homonegativer) wurde zunächst aus verschiedenen Items eine Einstellung und Geschlecht ersichtlich: t(66)= Homonegativitätsskala gebildet (Cronbachs Al- -.828, n.s. (Tab. 3). Auch diese Hypothese bleibt pha von α=0,656). Vergleicht man in einem t- also nicht haltbar.

Tab. 2: t-Test Geschlecht und Homonegativitätsskala*

Geschlecht N** Mittelwert Standardabweichung * α=0,656 Männlich 48 2,8455 ,72607 ** 11 von 93 haben keine Angabe zum Geschlecht Weiblich 20 2,6833 ,75973 gemacht

Tab. 3: t-Test Geschlecht und Homonegativitätsskala

T df Sig (2-seit.) Stand. Fehler Diff. -,828 66 ,411 ,19586

Nimmt man hingegen das Geschlecht der „Be- „Wissen“ um ihre dichotome semantische Diffe- troffenen“ in den Blick, fällt eine Polarisierung renzierung – im Netzwerk stehend mit sexueller auf: Während der Aussage, sich ohne Proble- Orientierung – elementar für Identitätskonstruk- me von einer lesbischen Lehrerin unterrichten tionen. Gleichgeschlechtliches Begehren stellt zu lassen, 40,2 % zustimmen, sind es im Falle eine unzulässige Bezugnahme dar. In den mit eines schwulen Lehrers nur 25,3 %. Bei letzte- heteronormativen Kulturprogrammen verbunde- ren lehnen allein 46,2 % die Aussage voll ab, nen Wirklichkeitsmodellen gilt nur das Begeh- während bei einer lesbischen Lehrerin insge- ren zwischen Mann und Frau als natürlich. Alles samt 39,1 % nicht zustimmen. Das Geschlecht andere erzeugt „Netzwerkirritationen“, sprich: der Befragten steht hier in keinem signifikanten Die „Wirklichkeit“ von Geschlecht und sexueller Zusammenhang zum Antwortverhalten10, wohl Orientierung wird verque(e)rt. Dass Konstrukteu- aber der Migrationshintergrund (Tab. 1). Drei re von heteronormativ-männlichen Identitäten Viertel der SuS mit Migrationshintergrund ha- offenbar schneller eine Korrosion derselben be- ben mit schwulen Lehrern mehr oder weniger fürchten und gegenüber mann-männlichem Be- Probleme. Das größere Unbehagen gegenüber gehren ein deutlicheres Abgrenzungsbedürfnis als männlich-homosexuell bestimmten Personen hervorbringen, steht vermutlich in Verbindung und Verhalten bzw. in Nähe dazu gesetzter Inti- mit der Abwertung von Weiblichkeit und Passivi- mität zeigt sich auch bei anderen Items, wenn tät, welche ob der besagten Irritationen „erklä- etwa ein Kuss zweier Jungen – auch ohne direkte rend“ den „Schwulen“ zugeschrieben werden. homosexuelle Konnotation – größere Ablehnung Die von jenen Formen von Männlichkeit verabso- erzeugt als der zweier Mädchen. In anderen lutierte Aktivität fordert daher deutliches Auftre- Studien zeichnet sich ein ähnliches Bild ab: Bei ten gegenüber Aufweichungen. Zärtlichkeit und Timmermanns wurde schwulen Lehrern mit mehr Intimität zwischen Frauen ist für diese Männlich- Vorbehalten begegnet, während sich bei Simons keit keine Bedrohung und somit „unverdächtig“, Studie die allgemeine Aussage treffen lässt, dass bisweilen sogar im Gegenteil, wenn im Kultur- bei männlichen Befragten, insbesondere solchen programm „lesbisch“ im Kontext von Sex in Por- mit Migrationshintergrund, die schwulennegati- nografie dank Befriedung männlicher Lust einen ve Ausprägung stärker ist als die lesbennegative, legitimen Bezug darstellt (vgl. Pascoe 2006, S. 7. während sie bei weiblichen Befragten gleich- Kraß 2009, S. 143). Diese Betrachtung darf aber ziehen (vgl. Timmermanns 2003, S. 118f. Simon nicht ausblenden, dass auch von Mädchen und 10 Bezeichnenderweise besteht 2008, S. 93f.). Frauen Homonegativität ausgeht. So äußern sich ein signifikanter Zusammen- Wie lässt sich dieses vielfach geschlechterspe- auch nicht wenige der befragten Förderschüle- hang zwischen Geschlecht und dem Item um die Akzeptanz der zifische Unbehagen vor dem Hintergrund der rinnen homonegativ. Sie nutzen ebenfalls he- Homosexualität der/des besten vorangestellten Theorieskizzen deuten? In he- teronormativ orientierte Kulturprogramme und Freundin/Freundes: Weitaus mehr Mädchen als Jungen teronormativen Kulturprogrammen sind Bezug- sind so mit ihren männlichen Mitschülern in ent- würden weiterhin zu ihnen nahmen auf die Kategorie Geschlecht und das sprechende Geschichten und Diskurse verstrickt. halten (Tab. 1).

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„Ethnie“ steht ebenso wie „Geschlecht“ in ei- Vorliegen von „traditionellem Geschlechterrol- ner kontingenten Voraussetzung-Setzung-Kette. lenverständnis“ und Migrationshintergrund in Auch bei „Ethnie“ werden Netzwerkverbindun- Bezug auf eine homonegative Einstellung“ sollte gen zu anderen Kategorien wirksam, womit Er- diese Netzwerkverbindung nur in Grundzügen in klärungskraft gegeben und Kontingenz genom- den Blick genommen werden. men wird. Wird von Migrationshintergründen Um zu ermitteln, ob bei den hier Befragten eine und homonegativen Einstellungen gesprochen, Wechselwirkung zwischen dem Vorliegen von dann werden oft gleichzeitig Bezüge zur Katego- traditionellem Geschlechterrollenverständnis und rie Geschlecht hergestellt, indem homonegative Migrationshintergrund im Hinblick auf Homone- Einstellungen von Migranten mit kulturell be- gativität besteht, wurde eine univariate Varianz- dingten patriarchalen Männlichkeitsentwürfen in analyse zu der bereits vorgestellten Homonega- Verbindung gebracht werden (vgl. Simon 2008, tivitätsskala und Migrationshintergrund sowie S. 88f.). Die Gefahr von knebelnder Stereotypisie- Geschlechterrollenverständnis11 angewandt. Ein rung bleibt hier gegenwärtig. Mit der Hypothese signifikanter Zusammenhang lässt sich hier nicht „Es besteht eine Wechselwirkung zwischen dem ausmachen: F(1,62)=.343, n.s. (Tab. 4).

Tab. 4: Uni. Varianzanalyse Homonegativitätsskala-Migrationshintergrund-trad. Geschlechterrollenverständnis Quelle df F Sig. Korrigiertes Modell 3 ,429 ,733 Konstanter Term 1 661,288 ,000 R-Quadrat = ,020 (korrigiertes Eltda 1 ,232 ,632 R-Quadrat = -,027) tradGb 1 ,004 ,948 a „Sind dein/e Vater/Mutter in eltd + tradG 1 ,343 ,560 Deutschland geboren?“ Fehler 62 b „Ein richtiger Mann sucht Gesamt 66 sich eine Frau und hat Kinder mit ihr“ Korrigierte Gesamtvariation 65

4 Zweierlei Ausblicke dungen (etwa zu ethniebedingten Ausschlusser- fahrungen) näher empirisch untersuchen (siehe Obwohl die Förderschule Lernen nach den vor- Simon). getragenen empirischen Zusammenhängen einen - An weiteren „Knotenpunkten“ Homonegativität Ort der Homonegativität par execellence bieten begünstigender Ausprägungen von (Struktur-) müsste, blieb keine der geprüften Hypothesen für Kategorien forschen, um im Sinne des Intersek- die Gruppe der Befragten haltbar. Ja, bisweilen tionalitätsansatzes Konsequenzen im Hinblick zeigten sich die Befragten sogar überraschend auf Einstellungen herauszuarbeiten. offen gegenüber gleichgeschlechtlichen Intimver- bindungen! Konsequenzen aus dieser Studie für Was haben schließlich gleichgeschlechtlich lie- Forschung zur Homonegativität können sein: bende und begehrende SuS nach den Aussagen- Bewertungen der Befragten zu erwarten, wenn sie - Eine differenzierte Untersuchung der Wechsel- mit ihnen an einer Schule wären? Zunächst ein- wirkung zum Bildungshintergrund. Bei einer mal weniger negative Reaktionen als befürchtet. an der Gliederung des deutschen Schulsystems Würden die Befragten „im Ernstfall“ bei ihren An- orientierten „Bildungshierarchie“ sollte nicht gaben bleiben, so würden mind. 60 % von ihnen stehengeblieben werden, sondern konkrete Ele- jene MitschülerInnen nicht als gestört ansehen mente des Kulturprogramms, sowie Geschichten oder ihnen die Schuld zuschreiben, wenn andere und Diskurse in Bezug auf Bildung herausgear- mit ihnen Probleme haben. Die Aussagen fallen beitet werden, die Homonegativität fördern oder jedoch auf der Ebene des persönlichen Umfeldes eben verhindern. Offenbar können hinderliche anders aus als auf der gesellschaftlichen Ebene. Es Elemente auch quer zum „Bildungsniveau“ ver- erscheint eher möglich, es abzulehnen, Homosexu- laufen. elle im Allgemeinen als gestört zu bezeichnen, als 11 Das Item hierzu wurde - In qualitativ angelegten Untersuchungen mögli- zum nicht-heterosexuellen Freund oder zur Freun- zwar aus Sicht traditioneller Männlichkeit formuliert, fand che Verbindungen und Grenzen zwischen peer- din zu stehen. Erstere Einstellung ist in Anbetracht aber bei Jungen wie Mädchen group-spezifischer Disziplinierung und Homone- homonegativer Argumentationszusammenhänge Zustimmung. Zukünftige Untersuchungen müssen aber gativität aufspüren (siehe Pascoe). wie bei Anatrella keineswegs gering zu achten! das Konzept „traditionelles - Die Wechselwirkungen zwischen einem sog. Gleichwohl dürfte diesen SuS ca. ein Viertel der Geschlechterrollenverständnis“ differenzierter zu erfassen Migrationshintergrund und Homonegativität Schülerschaft mit Ablehnung begegnen, ihnen die suchen. ausdifferenzieren und weiterführende Verbin- fundamentale semantische Differenzierung „Jun-

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ge/Mädchen“ nicht im vollen Maße zugestehen. normativität. Homosexualität, Homophobie und Die „Unentschlossenen“ dürften ihnen allenfalls homosoziales Begehren. In: Bereswill, Mecht- mit der Ignoranz begrenzter Duldung begegnen. hild; Meuser, Michael; Scholz, Sylka (Hrsg.): Es muss also noch viel dafür getan werden, dass Dimensionen der Kategorie Geschlecht. Der Fall (sexuelle) Vielfalt als Bereicherung erfahren wer- Männlichkeit. 2. Aufl. Münster: Westfälisches den kann. Dampfboot (Forum Frauen- und Geschlechter- forschung, 22). Literatur - Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes NRW (Hrsg.) (April 2010): Das Schulwe- - Anatrella, Tony (2007): Homosexualität und sen in Nordrhein-Westfalen aus quantitativer Homophobie. In: Reis, Hans (Hrsg.): Lexikon Fa- Sicht 2009/10. Statistische Übersicht 371. milie. Mehrdeutige und umstrittene Begriffe zu - Schmidt, Siegfried J. (2003): Geschichten & Dis- Familie, Leben und ethischen Fragen. Paderborn kurse. Abschied vom Konstruktivismus. Orig.- [u. a.]: Schöningh, S. 361–376. Ausg. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt-Taschen- - Dalbert, Claudia; Zick, Andreas; Krause, Daniela buch-Verl. (Rororo, 55660). (2010): Die Leute bekommen, was ihnen zu- - Schmidt, Siegfried J. (2005): Lernen, Wissen, steht. Der Glaube an die gerechte Welt und die Kompetenz, Kultur. Vorschläge zur Bestimmung Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit. In: von vier Unbekannten. Heidelberg: Auer (Sozial- Heitmeyer, Wilhelm (Hrsg.): Deutsche Zustände. wissenschaften). Folge 8. Frankfurt am Main: Suhrkamp (Edition - Sielert, Uwe (2005): Einführung in die Sexualpä- Suhrkamp, 2602), S. 87–106. dagogik. Weinheim [u. a.]: Beltz (Beltz-Studium - De Terra, Wilhelm (2010): Homosexualität in der Unterricht und Didaktik). Förderschule – Homonegativität vorprogram- - Simon, Bernd (2008): Einstellungen zur Homo- miert? Eine empirische Studie. URL: http://bie- sexualität. Ausprägungen und psychologische son.ub.uni-bielefeld.de/volltexte/2010/1777/, Korrelate bei Jugendlichen ohne und mit Mig- 17.03.2011 rationshintergrund (ehemalige UdSSR und Tür- - Fiedler, Peter (2004): Sexuelle Orientierung und kei). In: Zeitschrift für Entwicklungspsychologie sexuelle Abweichung. Heterosexualität – Ho- und Pädagogische Psychologie, Jg. 40, H. 2, mosexualität – Transgenderismus und Paraphi- S. 87–99. lien – sexueller Missbrauch – sexuelle Gewalt. - Timmermanns, Stefan (2003): Keine Angst, die Weinheim: Beltz PVU. beißen nicht! Evaluation schwul-lesbischer Auf- - Glassl, Stephanie (2008): Diskriminierung aus klärungsprojekte in Schulen. Univ., Diss. Köln, Sicht der Betroffenen. Individuelle Bewältigung 2003. Norderstedt: Books on Demand. und soziale Identität. Dissertation d. Fak. für Pä- - Wagenknecht, Peter (2007): Was ist Hetero- dagogik. Bielefeld. Universität. normativität? Zu Geschichte und Gehalt des - Grossmann, Thomas (2002): Prähomosexuel- Begriffs. In: Hartmann, Jutta; Klesse, Christian; le Kindheiten. Eine empirische Untersuchung Wagenknecht, Peter u. a. (Hrsg.): Heteronor- über Geschlechtsrollenkonformität und -non- mativität. Empirische Studien zu Geschlecht, konformität bei homosexuellen Männern. In: Sexualität und Macht. Wiesbaden: VS Verl. für Zeitschrift für Sexualforschung, Jg. 15, H. 2, Sozialwissenschaften (Studien interdisziplinäre S. 98–119. Geschlechterforschung, 10), S. 17–34. - Hirschauer, Stefan (1992): Konstruktivismus - Pascoe, C. J. (2006): „Du bist so ‘ne Schwuchtel, und Essentialismus. Zur Soziologie des Ge- Alter“. Männlichkeit in der Adoleszenz und der Kontakt und Information Wilhelm de Terra schlechtsunterschieds und der Homosexualität. „Schwuchteldiskurs“. In: Zeitschrift für Sexual- TU Dortmund In: Zeitschrift für Sexualforschung, Jg. 5, H. 4, forschung, Jg. 19, H. 1, S. 1–15. Fakultät 13 Rehabilitations- S. 331–345. - Zick, Andreas; Küpper, Beate (2005): „Die sind wissenschaften Lehrgebiet Frauenforschung in - Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Ge- doch selbst schuld, wenn man was gegen sie Rehabilitation und Pädagogik waltforschung (IKG) (Hrsg.) (2010): GMF-Pro- hat!“ – oder Wie man sich seiner Vorurteile bei Behinderung Emil-Figge-Straße 50 jekt: Tabellen 2010. URL: http://www.uni-biele- entledigt. In: Heitmeyer, Wilhelm (Hrsg.): Deut- 44221 Dortmund feld.de/ikg/gmf/pdf/Tabelle_homepage_2010. sche Zustände. Folge 3. Orig.-Ausg., Frankfurt Tel.: (0231) 755-4574 Fax: (0231) 755-5200 pdf., 17.03.2011. am Main: Suhrkamp (Edition Suhrkamp, 2388), wilhelm.de-terra@tu- - Kraß, Andreas (2009): Der Mythos der Hetero- S. 129–143. dortmund.de

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Doris Mathilde Lucke

„Top or Token?“ – Frauen in SpitzenPositionen

Einleitung1 und den Kollegen hätte durchschlagender nicht sein können! Zwischen einem feministisch inspirierten „Frau- Angela Merkel war zu jener Zeit eine unbekann- en an die Spitze“ und einem empirisch weniger te wissenschaftliche Mitarbeiterin im Zentralin- befriedigenden „Frauen an der Spitze“ sind am stitut für Physikalische Chemie an der Akademie Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie der Wissenschaften in Berlin (Ost) und eine Frau der Universität Bonn zwei Doktorarbeiten zum als Regierungschefin im damals noch geteilten Thema: „Frauen in Führungspositionen“ entstan- Deutschland so unvorstellbar wie eine Päpstin den. Vor fünf Jahren hat Silke Kinzig ihre Disser- im Vatikan noch jetzt. Blauäugig und naiv wie tation unter dem Titel: „Frauen auf dem Weg zur Studentinnen die Situation heute für den (Nat-) Macht“ (2006) veröffentlicht. In diesem Jahr legt Urzustand halten und verkennen, dass die von Marijke Looman ihre Doktorarbeit: „Am Rande der ihnen vorgefundenen Verhältnisse erst gegen Wi- Macht“ (2011) als Buch vor. Kinzig untersucht die derstand erkämpft wurden und ohne weitere An- Partizipation von Frauen in der deutschen Politik strengungen wohl auch nicht so bleiben werden, im Vergleich zu den USA. Looman vergleicht die war uns – in der Zeit vor der Frauenbewegung Frauenanteile in Politik und Wirtschaft innerhalb und beginnenden Frauenforschung – nicht einmal Deutschlands. Bei der ersten Arbeit war ich Zweit- aufgefallen, dass wir während unseres gesamten gutachterin, bei der zweiten die in der Promotions- Studiums keine einzige leibhaftige Professorin zu ordnung in der weiblichen Form nicht vorgesehene Gesicht bekommen hatten und Frauen in Wissen- „Doktormutter“. Beide Studien sind vergleichend schaft und Forschung auch sonst nicht vorkamen. angelegt, und beide Titel – der eine im Jahr nach Den „black out“ – wenigstens Clara Schumann der Wahl Angela Merkels zur ersten Kanzlerin und Hannah Arendt hätten mir doch auch und Deutschlands und in dem des Amtsantritts von gerade unter Einstellungsstress einfallen müssen Michelle Bachelet als Präsidentin Chiles erschie- – jedenfalls habe ich mir, durch diesen Beitrag nen, der zweite auf dem neuerlichen Höhepunkt nunmehr dokumentiert und, wie mir bewusst ist, der Quotendiskussion herausgekommen – klingen durch die hiermit zu Protokoll gegebenen Bekennt- nicht unbedingt nach großen Fortschritten: Anlass nisse nur ein Stück weit exkulpiert, bis heute nicht für ein paar biographisch eingeleitete bilanzie- verziehen, und die mit sichtlicher Genugtuung rende Gedanken zur Repräsentanz von Frauen in ausgekostete Kunstpause meines auch status- und ehemaligen Männerdomänen und Grund für einen altersmäßig überlegenen männlichen Gegenübers Blick hinter die „Schaufassaden“ unbestreitbarer wird mir mein Leben lang in Erinnerung bleiben. FrauenErfolge und offensichtlicher ErfolgsFrauen. Seit diesem denkwürdigen Einstellungsgespräch hat sich einiges geändert. Frauen haben Spit- Clara und Hannah zenpositionen in Wissenschaft, Recht, Politik, ja sogar der Kirche inne. Margret Wintermantel ist In einem Vorstellungsgespräch – damals war ich in Vorsitzende der Hochschulrektorenkonferenz, der Rolle der frisch promovierten Diplom-Soziolo- Jutta Limbach war Präsidentin des Bundesverfas- gin (Dr. rer. pol.) – konnte ich, scheinbar beiläufig sungsgerichts, Annemarie Renger Präsidentin des danach befragt, auf Anhieb weder eine Komponis- Deutschen Bundestags, Margot Käßmann Ratsvor- tin noch eine Philosophin nennen. Die Stelle als sitzende der Evangelischen Kirche Deutschlands, Dozentin für Menschenführung und Betriebsor- und selbstverständlich gibt es heute spezielle Trai- ganisation an einer Akademie für Führungskräfte ningsprogramme für Managerinnen, Schulungen der Wirtschaft habe ich trotzdem bekommen – ich für Bewerbungsgespräche und Gehaltsforderun- vermute, mit einem entsprechenden Abschlag gen sowie Coachings für Berufungsverhandlungen beim Einstiegsgehalt. Hierdurch in meinem Ehr- von Professorinnen. 1 Bei dem Beitrag handelt es geiz herausgefordert und um Wiedergutmachung sich um die überarbeitete und an meinen Geschlechtsgenossinnen bemüht, regte BermudaDreiecke und MarianenGraben erweiterte Fassung des Vorwor- tes der Autorin, das diese zur ich bald darauf die Einrichtung von Management- 2011 im Verlag Barbara Budrich kursen für weibliche Führungskräfte an. Hätte ich Der zweite – gendersensible und für das Gesche- als Buch erscheinenden Dis- sertation von Marijke Looman, einen Tauchkurs für Nichtschwimmerinnen vorge- hen hinter den Kulissen geschärfte – Blick zeigt: M.A., verfasst hat. schlagen – der Erfolg bei meinem Vorgesetzten Es hat sich nicht wirklich viel verändert. Trotz un-

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übersehbarer Bildungserfolge und immer mehr mangel oder die Tatsache, dass Stöckelschuhe von Frauen erworbener Studien- und Berufsab- und Plateausohlen sich trotz der bei beiden Geh- schlüsse haben diese den von manchen erwar- werkzeugen auf eine gewisse Geländegängigkeit teten, von manchen befürchteten Marsch durch hindeutenden Bezeichnungen zum Bergsteigen die von Männern dominierten Institutionen und erkennbar nicht eignen. Eine der Hauptursachen Unternehmen nicht in dem zahlenmäßig zu an- der spitzenmäßigen weiblichen Ausdünnung liegt tizipierenden und ihrer (Aus-)Bildung adäquaten darin, dass Frauen in männlichen Seilschaften in Umfang angetreten. Entgegen den Prognosen aller Regel nichts, es sei denn den (Rück-)Halt, sind hoch qualifizierte und bestens ausgewiesene verloren haben und in den von Männern mit Män- Absolventinnen nicht massenhaft von der Peri- nern für Männer geknüpften Beziehungsnetzen pherie in die Zentren wirtschaftlicher Schaltstellen absichtlich – dem äußeren Anschein nach „natur- aufgebrochen und auch nicht in der Mitte der po- gemäß“ – unabgesichert bleiben. Der Chefsessel litischen Macht angekommen. Wie in den beiden ist nach wie vor ein typisches MännerMöbiliar, Buchtiteln anklingt, sind sie allenfalls „auf dem und die meisten Exemplare bleiben ihrer sprach- Weg“ oder sie stehen „am Rande“ – und eben lichen Konnotation folgend auch physisch männ- nicht an der Spitze. lich besetzt – so wie die Chefetage bislang nur Auch bei verbesserten Ausgangsvoraussetzun- in Ausnahmefällen zur feminin überfrequentier- gen bleibt das kaum noch in Abrede zu stellende ten Etagère wurde. Tatsächlich werden Frauen in WomanPowerPotenzial in gleichstellungspolitisch den schwindelerregenden Höhen der Macht auch eklatantem und nicht zuletzt ja auch ökonomisch weiterhin marginalisiert und als Randfiguren und irrationalem Ausmaß unterausgeschöpft, solan- Ausnahmeerscheinungen etikettiert. So manche ge die Frauen, die von den Alterskohorten und von ihnen wird, auch wenn sie absolut „top“ ist, Qualifikationsstufen her längst nachgerückt sein allenfalls als „Token“ akzeptiert und von ihrem müssten, infolge des insgeheim weiterverfolgten Umfeld nur als Aushängeschild einer vorgeblich ManPowerMasterPlans immer noch in den Vor- bevorzugten Minderheit wahrgenommen. zimmern der Macht hängen bleiben und in Or- chestergräben und Soufflierkästen verschwinden, Optische Täuschungen und kosmetische statt als Dirigentinnen oder Protagonistinnen auf Korrekturen der Bühne zu stehen. Erst konnten sie nicht, jetzt wollen sie – angeb- Durch anhaltende Frauenförderrhetorik sowie mit lich – nicht. Fakt ist: Wie beim BermudaDreieck Hilfe einiger als „female public figures“ besonders in den FrauenSchwundPyramiden akademischer herausgehobener VorzeigeFrauen ist es gelungen, Laufbahnen, bei denen die Frauen mit jeder wei- die zuvor geltende 100%-ige MännerQuote aus teren erreichten Hierarchieebene sukzessive we- dem kollektiven Gedächtnis einer hierdurch nach- niger werden und Mitte 30 regelrecht einbrechen, haltig verzerrten öffentlichen Wahrnehmung zu tut sich auch zwischen Bildungs- und Beschäfti- verdrängen und gleichzeitig die Quote erstens gungssystem ein auffällig unauffälliger und sta- als FrauenQuote und zweitens als das Gegenteil tistisch „unerklärlicher“ MarianenGraben auf, der von Qualifikation zu etablieren. Tatsächlich sind wie die Einkommenslücke zwischen Männer- und die Frauenanteile vor allem in den Führungsposi- Frauengehältern, der sogenannte „Gender Pay tionen der Wirtschaft in den vergangenen Jahren Gap“, politisch, wirtschaftlich und gesellschaft- kaum gestiegen. In einigen Bereichen sinken sie lich nicht mehr länger vertretbar und einer breiter bereits wieder, in anderen Bereichen stagnieren werdenden Öffentlichkeit kaum noch vermittelbar sie, und überall entsprechen sie in keinster Weise ist. den auf hohen und höchsten Qualifikationsni- veaus mittlerweile erreichten Frauenquoten. Seilschaften und Gipfelstürme Drei der vier oben für unterschiedliche Bereiche genannten SpitzenFrauen mussten – wie auf- Je höher man steigt, desto dünner die Luft. Dies merksame LeserInnen natürlich bemerkt haben – gilt insbesondere für den weiblichen Teil der be- aus gegebenem Anlass grammatikalisch in den ruflich nach Höherem strebenden Erdenbürger- Vergangenheitsmodus gesetzt werden: Sie wur- schaft. Fielen Frauen gehobener Schichten früher den lautlos und von der Öffentlichkeit nahezu un- noch aus anderen Gründen für ein den langen bemerkt in ihren Ämtern jeweils wieder von Män- Atem erforderndes Berufsleben aus und stattdes- nern gefolgt. Bei der ersten, für den Bereich der sen in Ohnmacht, so sind sie auch ohne (zu) eng Wissenschaft (noch?) im Präsens geführten, fin- geschnürte Mieder beim Gipfelstürmen ganz „on det sich unter 40 vom Deutschen Hochschulver- top“ noch immer atemberaubend schlecht und band gerankten Hochschulleitungen aktuell eine alles andere als geschlechterparitätisch vertreten. Rektorin. Das ist bei einer Professorinnenquote Grund hierfür sind nicht etwa der Sauerstoff- von bundesweit derzeit ca. 18 % hochgerechnet

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ein Frauenanteil von minimalistischen 2,5 % an lang keine einzige mehr. Unter den Regierenden der Spitze deutscher Universitäten. Keinen reprä- Bürgermeistern ist der Schwulenanteil mittlerwei- sentativen, aber auch als exemplarischen gleich- le höher als der Frauenanteil. „Honi soit qui mal y wohl symptomatischen Hinweis auf die Relation pense“ – das ist (nur) „diversity“! von Qualifikation und Position nach Geschlecht Und auch in den Medien lässt die optische Omni- gibt die Tatsache, dass Prof. Dr. Dr. Sabine Kunst, präsenz von AnchorWomen, wie Anne Will, May- Universität Potsdam, eine der im Rektorenkreis britt Illner, Mariettta Slomka oder Petra Gerster, wenigen Professoren ist, die gleich zwei Dokto- den Eindruck entstehen, als hätten Frauen in der rInnentitel trägt. Vierten Gewalt im Staat die Macht längst über- Auch die FrontFrauen in Wirtschaft und Politik nommen. Tatsächlich sind wir mit zwei Inten- sind „eye catchers“, echte Hingucker, aber eben dantinnen in den öffentlich-rechtlichen Sendern, auch für Abwehrmanöver instrumentalisierbare Monika Piel (ARD) und Dagmar Reim (rbb), von Ablenkerinnen und damit trügerische Indikato- dem an der Bildoberfläche des Nachrichten- und ren bereits realisierter Gleichstellung. Dies gilt TalkshowGeschäfts massenmedial vermittelten allen voran für Kanzlerin Merkel. Sie wird als der MedienFeminat noch genauso weit – vermutlich argumentativ unschlagbare Gleichberechtigungs- (Frauen-)Generationen – entfernt wie in allen an- beweis aufgeboten und entgegen ihrer eigenen deren Bereichen von einer Gynaikokratie und die Karrierestrategie zur inkarnierten Speerspitze ei- vermeintlichen VorBilder in Wirklichkeit nur Zerr- ner spätestens mit ihrem Amtsantritt überflüssig Bilder und TrugBilder. gewordenen Frauenbewegung stilisiert. Tatsäch- lich lenkt sie aufgrund ihrer besonderen Exzeptio- WahrnehmungsVerzerrungen und nalität und Exponiertheit – und nicht nur mit Hilfe GeschlechterVerwirrungen der Knopfleiste ihrer als „die Waffen der Frau“ entwaffendes Dienstkostüm inzwischen stilbil- Die Ungewöhnlichkeit von „Frauen allein an der denden Hosenanzüge – davon ab, dass die Frau- Macht“, wie derzeit in NRW, dürfte mit ein Grund enanteile in der CDU-Parteimitgliedschaft seit den dafür gewesen sein, dass es neben Kanzlerin Mer- 1990er Jahren mit ca. 25 % unverändert niedrig kel nicht auch noch eine protokollarisch höher sind und in der Kanzlerinnen-Fraktion der CDU/ stehende Bundespräsidentin von der Leyen geben CSU in der jetzigen Legislaturperiode sogar bei durfte. Angesichts der Selbstverständlichkeit aus- nur etwa 20 % liegen. Bei so viel auf die Eine an schließlich männlicher Spitzenbesetzungen und der Spitze fokussierter Aufmerksamkeit und dem dadurch über die Jahrhunderte und Jahrzehnte für den knapp 40 %-Frauenanteil an amtieren- hinweg geprägter und entsprechend irritations- den BundesministerInnen gezollten Lob fällt nicht anfälliger Sehgewohnheiten verhindert ein Mann weiter auf, dass in dem von Merkel angeführten in aller Regel keinen weiteren Mann, während Kabinett eine Frau weniger als unter Schröder eine Frau unter gewissen Umständen – allein aus sitzt. Der bezeichnete die Zuständigkeitsbereiche Gründen der GeschlechterArithmetik und der Ge- seiner Ministerinnen bekanntlich als „Gedöns“ schlechterÄsthetik – sehr wohl eine zweite oder und machte aus seiner Wertschätzung gegenüber auch dritte Frau „unmöglich“ macht. Paarungen Frauen, was die Berufspolitik anlangt (!), auch von zwei oder auch mehreren Männern an der sonst kein Hehl. Mit mindestens einer von ihnen Spitze – wir erinnern uns an die SPD-Troika Schrö- soll er, so ist glaubhaft überliefert, während seiner der, Scharping, Lafontaine – sind, von den Kanz- Amtszeit am Kabinettstisch kein einziges Wort ge- lerPräsidentenDoppelPacks Adenauer und Heuss wechselt haben – nach seinem „suboptimalen“ angefangen bis zu Schröder und Köhler (gemeint Fernsehauftritt am Abend seiner Wahlniederlage ist in diesem Fall nicht die Familienministerin) als gegen Merkel plastisch vorstellbar. vorerst (!?) letzte derartige Konstellation, auch Auf ganz ähnliche Weise macht die rot-grüne visuell „business as usual“ und bis dato unhinter- weibliche Doppelspitze an der nordrhein-west- fragte Tradition, an der angesichts der eingelebten fälischen Landesregierung, bestehend aus dem Allgegenwart und sichtbaren Prädominanz des ChefinnenDuo Hannelore Kraft (SPD) und Sylvia Männlichen kein in die klassisch geschlechtstypi- Löhrmann (Bündnis 90/Die GRÜNEN), vergessen, schen Machtrepräsentationen eingeübter Bürge- dass es in der 62 Jahre währenden Geschichte der rInnenBlick Anstoß nimmt. DamenDoppel sind – Bundesrepublik Deutschland – auf neun bzw. 16 scheinbar ohne VorBilder – in den Partituren der Bundesländer und Stadtstaaten verteilt – insge- Macht nicht vorgesehen, und offenbar können, samt nur drei Ministerpräsidentinnen und bislang wie ein Gang durch die geschichtsträchtigen Aus- keine Regierende Bürgermeisterin zu verzeichnen stellungsgalerien der Macht und eine Durchsicht gibt. Heide Simonis war in Schleswig-Holstein 12 der Geschichtsbücher mit dem selben Ergebnis Jahre die einzige deutsche Ministerpräsidentin, zeigen, auch nur Männer auf deren Klaviaturen nach ihr gab es in der ganzen Republik vier Jahre spielen.

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Selbst die Tatsache, dass Die GRÜNEN und Die ohne reale Aufstockung des weiblichen Personals LINKE ihre Spitzen der eigenen geschlechterpari- auskommt. tätischen Programmatik entsprechend nun schon Diejenigen Frauen, die es, wie man sagt, „ge- wiederholt mit gemischten Doppeln besetzen, ist schafft haben“ und offensichtlich ganz oben und nur der unfreiwillig erbrachte Beweis dafür, dass mitten in den „inner circles“ der Macht und des das Geschlecht nach wie vor einen Quotierungs- Geldes angekommen sind, haben es dorthin nicht grund – und damit einen ernst zu nehmenden, wirklich geschafft: Sie waren entweder immer aber durchaus zwiespältigen Anknüpfungspunkt schon dort oder auch vorher schon drin! Als Ein- positiver, vor allem aber eben auch negativer Dis- geborene oder Angeheiratete sind sie Angehörige kriminierung – darstellt. einschlägiger Dynastien und stammen, wie Ursula von der Leyen als Tochter des früheren Minister- EvaEliten und FamilienBande präsidenten Ernst Albrecht, aus Politikerfamilien oder sie kommen, wie die Quandt-Erbin Susanne Verstärkt werden Eindrücke einsetzender Macht- Klatten, mit dem entsprechenden Sozialisations- übernahmen und einer heute schon wahrgenom- hintergrund überzufällig häufig aus Unternehmer- menen, wenn auch als Gleichstellungsrealität nur haushalten und leiten Familienbetriebe. Das Füh- einge„bild“eten weiblichen Übermacht durch Da- ren „wie ein Mann“ haben sie, wie das Siegen menRoulettes und institutionalisierte Rundlauf- um jeden Preis, koste es – eine(n) selbst und die Verfahren. Hierdurch ausgelöste DrehtürEffekte anderen –, was es wolle, im Unterschied zu den suggerieren höhere Frauenanteile als die tatsäch- meisten ihrer Geschlechtsgenossinnen von Hause lich vorhandenen und machen aus den paar, in aus gelernt. Die für die Machtausübung und den Wirklichkeit wenigen Frauen in der öffentlichen wirtschaftlichen Erfolg notwendigen männlichen Darstellung unglaublich viele. Bei genauerem Hin- Prinzipien und Regeln von Wettbewerb und So- sehen drehen sich eine Handvoll immer dieselben, lidarität konnten sie sich entweder von Geburt an den Fingern weniger Hände abzählbare Figu- an aneignen oder, wie Hillary Clinton, die nicht ren im PersonalKarussel. Einmal im Leben Spitze, zuletzt auch als der weibliche Part eines perfekt überall Spitze – das gilt, als Ämterhäufung und eingespielten „political couple“ in eines der welt- Personunion bislang Männern vorbehalten, jetzt weit höchsten politischen Ämter gelangte, in der offenbar vermehrt auch für SpitzenFrauen. Ehe erlernen. Wer von den Frauen erst einmal zum Kreise der GenderGentrifizierten, also in ihrem Geschlecht „Heroes“ und „Girlies“ oder: durch Zugang zu männlichen Kreisen Geadelten, Zweierlei Maß gehört und nicht gleich nach dem Ritterschlag als Trojanerin enttarnt wird oder anderswie in Der in den unterschiedlichsten Bereichen nume- Ungnade fällt, kann sich dem von „political risch steigenden Frauenanteile ungeachtet exis- correctness“-Kampagnen ausgelösten Headhun- tieren Männer- und Frauenberufe sowie typische ting auf die wenigen auserkorenen und in Frage Männer- und Frauenbranchen, männliche und kommenden Personen weiblichen Geschlechts weibliche Studienfächer und, wie der „Equal Pay nur schwer entziehen und vor Mehrfachman- Day“ offenbart, selbst nach Geschlecht unter- daten und Vielfachbesetzungen kaum noch ret- schiedliche Gehälter fort, und nach wie vor lassen ten. Schafft es eine, wie unlängst die Münchner sich Wichtigkeit und Einfluss von (Entscheidungs-) Finanz-Professorin Ann-Kristin Achleitner, in einen Gremien daran ablesen, wie wenige Frauen in dax-notierten Aufsichtsrat, dann lassen die nächs- ihnen vertreten sind. In der Politik gibt es noch te und übernächste Berufung, wie bei Rufen an immer männliche und weibliche Ressorts und u. a. eine andere Universität, unter dem Damokles- aufgrund von verdeckter indirekter Diskrimi- schwert der drohenden Zwangseinführung der nierung die allgemeine geschlechtsspezifische „Quote“ meist nicht lange auf sich warten. Als Arbeitsteilung in der Gesellschaft verlängernde Multiplayerinnen werden Frauen auf dem ausge- Formen horizontaler Segmentierung. Mit langsam rollten Teppich gewissermaßen „durchgereicht“ aufweichender Tendenz konzentrieren Frauen sich und zu Multiplikatorinnen einer von einer Koa- mit der mit Abstand größten Zahl bisheriger Bun- lition aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und desministerinnen auf einige wenige Bereiche des Medien aktionistisch betriebenen FrauenFörder- Pflegens, Sorgens, Bildens und Erziehens. In der Mission. In Wirklichkeit steckt dahinter eine pro- mit Elisabeth Schwarzhaupt als erster Bundesmi- fessionelle PR-Arbeit, welche den Kreislauf der nisterin 1961 begründeten Tradition sind sie in un- EvaEliten strategisch einsetzt und diesen als eine terschiedlichen Zuschnitten der Ressorts Gesund- wundersame Form der nominalen Frauenvermeh- heit, Familie, Jugend und Senioren sowie – zuletzt rung nutzt, die absolut Alpha-Männer-opferneu- mit Edelgard Bulmahn und Annette Schavan – im tral funktioniert und vor allem auch noch ganz Bildungsministerium anzutreffen. Die klassischen

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Ressorts befinden sich in Männerhand. Eine Au- und im Notfall dann sogar die Mütter – sind die ßen-, Innen-, Verteidigungs-, Bundeswirtschafts- Reservearmee auf dem Arbeitsmarkt. Cristina oder -finanzministerin hatten wir in Deutschland Fernández de Kirchner beerbte ihren Gatten noch noch nie. Nur im „Dreimäderlhaus“ mit entspre- zu dessen Lebzeiten in einem Regierungsamt, für chend vielen zu besetzenden „Frauenzimmern“ das er selbst nicht mehr kandidieren durfte. An- geben sich – von Rita Süssmuth und Ursula Lehr dere beschreiten, wie Isabel Martínez de Perón in über Renate Schmidt und Ursula von der Leyen Argentinien, die klassische, von Silke Kinzig für die bis zu Kristina Schröder (Köhler) – Frauen ohne USA beschriebene „widows’ route“. An die Stelle großes Gedöns die KemenatenKlinke in die Hand. eines verstorbenen Mannes trat auch die ehemali- Und auch sonst wird unter der Hand offizieller ge niedersächsische Finanzministerin Birgit Breu- Gleichbehandlung unverändert und teilweise sehr el, die buchstäblich über Nacht und todesmutig subtil mit zweierlei Maß gemessen, je nachdem, auf den ermordeten Treuhandchef Rohwedder ob ein Mann oder eine Frau ein Amt bekleidet folgte. Ähnlich, wenn auch vielleicht etwas we- oder eine bestimmte Position innehat. niger tragisch, war es bei Angela Merkel, die Die „ganz Großen“ heißen – in der Wirtschaft mitten in der Spendenaffäre und auf dem Glaub- wie in der Politik – kurz, knapp und als Signum würdigkeitstiefpunkt der CDU Wolfgang Schäuble hochachtungsvollen Respekts zu imposanten als Parteivorsitzenden ablöste und sich von dort Initialen kondensiert JFK, DSK, FJS oder KT. Die aus den Weg ins Kanzleramt bahnen konnte. Die mächtigsten Frauen der Welt waren, wie Merkel Geschichte wiederholte sich bei Christine Lieber- erst „Kohls Mädchen“ und deminuierten in der knecht im (Un-)Fall des im doppelten Wortsinne männergeprägten und teilweise sexistischen po- „gestürzten“ Dieter Althaus in Thüringen. litischen Kommunikation während ihrer Amtszeit Hätte der Plagiatsvorwurf Karl Theodor zu Gut- zu „Angie“, „Maggie“ und „Condy“. Nur Hillary tenberg (KT) als bayerischen Regierungschef er- blieb, anders als Hiltrud (ehemals) Schröder, die eilt und damit auch das Ministerpräsidentenamt verniedlichende „Hillu“ erspart. Sie nannte sich beschädigt, die Chancen der Strauß-Tochter und standhaft ja auch noch Jahre nach ihrer Heirat derzeitigen Europaabgeordneten Monika Hohl- „Rodham“ – ein emanzipatorisch gedachtes Al- meier, selbst diejenigen von Verbraucherministerin leinstellungsmerkmal, das sie ursprünglich auch Ilse Aigner, zumindest für eine Übergangszeit Mi- im Wahlkampf um die US-Präsidentschaft zumin- nisterpräsidentin des Freistaats zu werden und als dest als Doppelnamen hatte einsetzen wollen. in der Regel undankbare Interimslösung herzuhal- Doch dann besann sie sich der bewährten Marke ten, hätten sich sprunghaft vergrößert. Dass nie- „Clinton“ und übernahm den Namen des Ehe- mand von den in Frage kommenden Männern aus mannes – wir dürfen vermuten – aus politischem der CSU unmittelbar nach zu Guttenberg Verteidi- Kalkül und machtstrategischen Gründen. Trotz gungsminister werden wollte, wird – so können dieses Schachzugs bleibt sie, in der Ehe wie im wir mit dem Scharfsinn der aus den Ehrenkodizes Amt, „die ewige Zweite“ (Reinhard Kreissl) und und Ritualen der „ernsten Spiele unter Männern“ steht, zuerst „Kandidatin“, dann „Vize“, erst im (Pierre Bourdieu) Ausgeschlossenen annehmen – Schatten von Bill, dann von Obama – nicht sehr nicht nur an der Angst vor Afghanistan gelegen viel anders wie sich ehemals die Emanzipation der haben. Und es spricht für die internationale Gül- Frau aus den Händen des Vaters in die des Ehe- tigkeit und ungebrochene Aktualität des selbst die mannes vollzog. geschlechtsspezifischen Benimmregeln des „Knig- ge“ umkehrenden dramaturgischen Musters, dass Rita oder: die Not am Mann die SozialistenChefin Martine Aubry einem poten- ten Mann wie Dominique Strauss Kahn (DSK) als Spätestens seit dem Zweiten Weltkrieg ist es kein dem potenziellen Sieger zunächst den Vortritt bei historisch vorbildloser Zufall, dass Frauen im Be- der Wahl zum französischen Ministerpräsidenten ruf, wenn überhaupt, nur dann eine Chance be- ließ und nach dem SexSkandal Christine Lagarde kommen, wenn sprichwörtlich „Not am Mann“ ist als Nachfolgerin für den gefallenen Chef des In- und die Wirtschaft am Boden liegt. Dann dürfen ternationalen Währungsfonds und ausgemachten sie, namenspatronale „Ritas“, als Nothelferin- Verlierer gehandelt wird. nen einspringen. Wenn ein Mann strauchelt, in private Turbulenzen oder politische Schwierigkei- MännerSpiele und DamenOpfer ten gerät, sind sie als Retterinnen und „deae ex machina“ zur Stelle und „ultima ratio“, wenn die Die erste und oft auch einzige Frau wird zu- Männer, wie zu Zeiten der „Trümmerfrauen“, aus nächst noch mit dem „first“ oder auch „single anderen Gründen ausfallen. Das ist bei der Über- woman frame“ zugleich aus„gezeichnet“ und nahme herausragender Ämter nicht anders als aus„gesondert“ und mit dem Judaskuss der in- bei allgemeinem Arbeitskräftemangel: Frauen – kludierenden Exklusion zu einer Besonderen ge-

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macht und zur „persona grata“ erklärt. In Wirk- chen werden. Wie Gipfeltreffen, deren Rele- lichkeit bleibt sie ein ungeliebter Solitär und wird vanz in aller Regel in einem umgekehrt proportio- als postparadiesisches Feigenblatt benutzt. Stellt nalen Verhältnis zur Frauenrepräsentanz steht, ist sich die Frage: „Who is driving the bus?“ und die praktische FrauenFreiheit zusammen mit der „Wer sitzt am Steuer?, ist die Dame – im Schach faktischen FrauenFremdheit der Wirtschaft ein eine an sich mächtige Spielfigur – nur selten wirk- untrügliches Indiz dafür, wo die Macht im Staa- lich am Zug. Geht es um Macht und um Geld, die te sich inzwischen tatsächlich konzentriert. Dass zentralen, in unserer Gesellschaft durch die Be- Frau Merkel an der Regierung, nicht jedoch an reiche Politik und Wirtschaft repräsentierten Kom- der Macht ist, dürfte ihr – und einigen von uns – munikationsmedien, ziehen Frauen noch immer so richtig erst in der Wirtschafts- und Finanzkrise den Kürzeren. Dies gilt vor allem dann, wenn sie bewusst geworden sein. von beidem mehr und das auch noch gleichzeitig Fast schon tragisch und nicht frei von gleichstel- wollen. lungspolitischer Ironie ist, dass überall dort, wo Als Hosenrolle besonders gerne besetzt wird die die Frauenanteile in bisherigen Männerdomänen des DamenOpfers. Als das im Zweifel kleinere, eine kritische Marge übersteigen und die Tole- da weibliche Bauernopfer wird das Scheitern von ranzräume der Tokens zu sprengen drohen, wo Frauen von vornherein kalkuliert und im antizi- diese bisher noch aus dem Rahmen fielen, geset- pierbaren Eintrittsfall billigend in Kauf genom- zesähnliche Entwertungsprozesse einsetzen, de- men. Das war so bei Dagmar Schipanski, die 1999 ren Regelhaftigkeit als Wechselwirkung zwischen für das Amt der Bundespräsidentin kandidierte Feminisierung und gesellschaftlicher Abwertung und Johannes Rau erwartungsgemäß unterlag, durch Ergebnisse aus Berufsforschung und Pro- und widerfuhr Gesine Schwan in den Kandida- fessionssoziologie empirisch belegt ist. Dabei ist turen gegen Köhler 2004 und 2009 gleich zwei- es, wenn der biologistische Vergleich mit dem mal. Hildegard Hamm-Brücher, Luise Rinser, Uta Tierreich gestattet ist, wie mit dem Hasen und Ranke-Heinemann und Lukrezia Jochimsen sind dem Igel: Dringen Frauen in der Wissenschaft, weitere Namen in einem ganzen Reigen dieser wie dies noch in den 1980er Jahren der Fall von vorneherein auf Scheitern angelegten Beset- war, in mehr als nur bundesweit bekannten Ein- zungen, und auch Renate Schmidt in Bayern, Ute zelfällen in die ProfessorInnenLiga vor, wird die Vogt in Baden-Württemberg oder Julia Klöckner Universität zur Fachhochschule und aus dem pro- in Rheinland-Pfalz wurden als Kandidatinnen für fessoralen Hochschullehrer die postgymnasiale das Ministerpräsidentinnenamt aufgrund der an- Schullehrerin. Fassen Frauen in der Politik allmäh- gestammten Mehrheitsverhältnisse im jeweiligen lich Fuß und sieht man auf Gipfeltreffen immer Bundesland von Anfang an auf verlorenem Posten mehr Gruppenbilder mit gleich mehreren Damen, aufgestellt. Sie starteten auch als offiziell nomi- welche die institutionelle Notwendigkeit flankie- nierte Mitbewerberin „außer Konkurrenz“ und render HerrenProgramme vor Augen führen und gingen informell schon als designierte Verliere- damit die angestammten Geschlechterkonnotati- rinnen ins Rennen. Die konkurrierenden Männer onen zum Kippen bringen, ist die Macht längst in starteten aussichtsreich, wie bei der Formel 1, von die Wirtschaft abgewandert. In der – nach dem der PolePosition. Wenn sie unterliegen, dann, wie Recht und neben der katholischen Kirche – letz- im Duell, ehrenvoll – einem Mann. ten Männerbastion erhöht sich der Frauenanteil mit nur einer einzigen weiteren Frau immer noch Hase und Igel oder: „Running in Place“ um eindrucksvolle 100 Prozentpunkte und pro- duziert, wie mit der schwedischen Managerin Die Quote wirkt, wie Marijke Looman auf Basis ih- Annika Falkengren, im (Einzel-)Fall sensations- rer Untersuchungen im Einzelnen belegen konn- trächtige, insgesamt aber irreführende Schlagzei- te, in der Politik. Selbst dort hat die Quotierung len des Typs: „VW verdoppelt den Frauenanteil aber nicht dazu geführt, dass der Frauenanteil in im Aufsichtsrat“. Der FrauenQuotenGipfel der der Mitgliedschaft irgendeiner deutschen Partei Privatwirtschaft war dementsprechend eine reine die 40%-Marke dauerhaft überstiegen hätte. Die MännerVeranstaltung. bis dato quotenfreie Wirtschaft präsentiert sich praktisch frauenlos. Vorstände und Aufsichtsräte „Gentlemen’s Agreements“ und „Double der 100 größten deutschen Konzerne und dax- Talks“ oder: Tennisspielerinnen auf dem notierten Unternehmen weisen mit unverändert Fußballplatz etwas über 2 bzw. 3 %, in Säulengraphiken mit bloßem Auge kaum zu erkennen, Frauenantei- Auch noch im Jahr der Frauenfußballweltmeis- le lediglich in homöopathischen Dosen auf, die terschaft nehmen Frauen sich auf traditionell durch eine immerhin 30%ige Gehaltsdifferenz männlich besetzten Posten und Positionen wie zwischen den Geschlechtern mehr als ausgegli- Tennisspielerinnen auf dem Fußballplatz aus. Sie

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sind formal mit dabei, gehören aber nicht wirk- Fazit lich dazu. Trotz aller zwischenzeitlich stattgefun- denen Veränderungen sind Frauen in Führungs- Betrachtet man die beschriebenen Entwicklungen positionen immer noch FremdKörper, vielfach im Überblick, so wurde, was die Präsenz und die nicht einmal im Status von CouleurDamen im Repräsentanz von Frauen auf SpitzenPositionen HerrenClub, sondern auf der Anderes als ihr äu- anlangt, einiges erreicht. Gleichzeitig bleibt auf ßeres Erscheinungsbild vermittelnden Hinterbüh- dem Weg zu einer gleichberechtigten Teilhabe an ne nur BallMädchen und SpielBälle im Männer- Geld und Macht, d. h. konkret an einflussreichen, Bund: scheinbar willkommene, tatsächlich aber finanziell attraktiven und gesellschaftlich privile- ungebetene und in die Usancen uneingeweihte gierten Positionen, welche nach dem Grundge- Gäste, die nicht ins Berufsbild oder zu einem be- setz für beide Geschlechter gleichermaßen offen stimmten Amtsverständnis passen, Eindringliche, stehen, noch einiges zu tun. Dies gilt vor allem welche die Spielzüge der Männer stören und die dann, wenn die angestrebte Gleichstellung und Standardsituationen durcheinander bringen und Gleichbehandlung sich nicht in einer rein zahlen- die Platzhalter mit der Unberechenbarkeit depla- mäßigen Geschlechterparität erschöpfen soll, die zierte Parvenues in die Abwehrhaltung einer in ausschließlich in Statistiken quantitativ ihren Nie- Bedrängnis geratenen Männerphalanx zwingen. derschlag findet, sondern auf praktizierte Gender- Wollen Frauen an entscheidenden Stellen und Fairness und in sichtbarer Selbstverständlichkeit nicht nur als Randfiguren mitspielen – womög- gelebte GeschlechterKooperation zielt. lich gar das Spiel selbst machen –, befinden sie Mit den Führungskräfteanteilen von Frauen ist sich in der dilemmatischen, d. h. hier einmal wirk- Deutschland in Europa gutes Mittelfeld. Im eu- lich „alternativlosen“ Situation, dass sie sich den ropäischen Vergleich stehen wir damit besser da von ihnen zu Spielbeginn bereits vorgefundenen als bei der Gehältergerechtigkeit zwischen den „men’s rules“ unterwerfen müssen und zusätz- Geschlechtern. Bei den Müttern in Führungsposi- lich zum fehlenden Glück auch noch das Pech ha- tionen ist Deutschland dagegen, wie bei der nach ben, dass die hierfür maßgeblichen „gentlemen’s Geschlecht unterschiedlichen Bezahlung, eines agreements“ das wohlgehütete Betriebsgeheim- der europäischen Schlusslichter. Dem Vorbild der nis der konsensuell vereinten HerrenMannschaft Politik folgend soll nach norwegischem Modell bleiben. nun auch für die Privatwirtschaft – in den Medien Die Männer wollen – das zeigen Tiefeninter- fokussiert auf die Aufsichtsräte und neuerdings views mit Spitzenmanagern – trotz gegenteiliger auch von den JustizministerInnen der Bundeslän- Bekundungen und auch aus anderen Bereichen der befürwortet – analog zur Brückentechnologie bekannter „double talks“ hinter vorgehaltener im Bereich der Atomkraft die Quote eingeführt Hand am Ende doch lieber unter sich bleiben. werden. Von der „invisible hand“ des Patriarchats und ei- Dass der hierzu im März 2011 stattfindende Frau- ner über die Jahrhunderte hinweg erfolgreichen, enQuotenGipfel immerhin von einer Bundesminis- wiewohl durch kein rationales Argument legiti- terin einberufen wurde, die Deutsche Telekom sich mierten Soziodizeé gelenkt, die sich gleichsam 2010 weltweit einen Frauenanteil von 30 % bis hinter den Rücken männlicher Individuen auch 2015 zum Ziel setzte, der Computer bei der Ein- ohne deren eigenes Zutun durchsetzt, schließen gabe von „Genereralbundesanwältin“ nach dem sie die Frauen kollektiv aus, auch wo sie persön- Amtsantritt von Monika Harms 2007 nicht mehr lich nichts gegen sie haben und der eine oder zurückfragt: „Meinten Sie Generalbundesan- andere möglicherweise sogar gerne mit ihnen, walt?“, vor allem aber, dass Argumente und Vor- auch mit einer Chefin, kooperieren würde. Damit schläge in Richtung einer Geschlechterdemokra- überein stimmt der Befund, dass weibliche Füh- tie, wie die Untersuchungen von Silke Kinzig und rungskräfte das größte Aufstiegshindernis und Marijke Looman unter Beweis stellen, auf dem ge- den Hauptgrund ihrer Benachteiligung weniger genwärtig erreichten Stand des Gleichstellungs- in den gegenwärtigen Strukturen als in beson- und Gleichbehandlungsdiskurses ohne dämliche Kontakt und Information ders veränderungsresistenten männlichen Vorur- Larmoyanz, aber auch ohne feministische Militanz Prof. Dr. Doris Mathilde Lucke teilen sehen. Das hat Sonja Bischoff, „Doyenne“ möglich sind, zeigt, dass sich zumindest etwas Universität Bonn Institut für Politikwissenschaft der Führungskräfteforschung – wie die eingangs geändert hat. Und das ist à la longue auf die An- und Soziologie erwähnte „Doktormutter“ eine immer noch un- fänge der Frauenbewegung bezogen aus der Sicht Lennéstr. 27 53113 Bonn gewohnte Bezeichnung – in ihrer jüngsten Re- der Frauen- und Geschlechterforschung, denke [email protected] präsentativstudie herausgefunden. ich, ein gar nicht so kleiner Fortschritt.

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Anne Schlüter

Expertise zur geschlechtergerechten Hochschule: Was ist den Hochschulen Gleichstellung wert?

Die Hans-Böckler-Stiftung hat zur Entwicklung ei- Über die erreichten Leistungen bzw. Erfolge haben ner sozialen und demokratischen Hochschule eine die Hochschulen jährlich an die DFG zu berich- Leitbilddiskussion geführt, in deren Rahmen die ten, denn die DFG hat ihren Einfluss durch ihre Expertise etlicher Hochschulforscher/innen einge- Forschungsorientierten Gleichstellungsstandards holt wurde. Da das Thema der Geschlechtergerech- geltend gemacht. Anne Schlüter betonte, dass tigkeit in den Expertisen bis auf einige Ausnahmen ohne Personal- und Organisationsentwicklung eher am Rande blieb, ist Anne Schlüter (Netz- sich eine weitere Herstellung von Chancengleich- werkprofessorin und Sprecherin des Netzwerks heit kaum vorstellen lässt. Sie verwies außerdem Frauen- und Geschlechterforschung NRW) beauf- auf den Gender-Report 2010 als ersten Bericht, tragt worden, nachträglich zu den bereits vorlie- der die Qualität der Gleichstellungsbemühungen genden Expertisen eine zur geschlechtergerechten evaluiert, und zwar für jede Hochschule in NRW Hochschule zu erstellen. Diese Expertise wurde im im Einzelnen. Aus dem Report geht u. a. hervor, Rahmen eines Werkstattgesprächs im Rahmen des dass viele Fakultäten Frauenförderpläne nicht ernst Leitbildes Demokratische und Soziale Hochschule nehmen. Zum Abschluss fragte sie daher: „Was ist der Hans-Böckler-Stiftung in Düsseldorf am 1. Ok- den Hochschulen Gleichstellung wert?“ Die umfas- tober vorgestellt. In ihrem Vortrag, der sich sowohl sende und ausführliche Expertise wurde auf dem auf Forschung und Lehre, Fach- und Wissenschafts- Workshop diskutiert. Die intensive Diskussion hat kultur, Personal- und Organisationsentwicklung als gezeigt, wie wichtig dieses Thema ist. Kommentiert auch auf strukturelle Bedingungen und auf die wurde die Expertise von der renommierten Frauen- Akteure für Gleichstellung bezog, stellte sie die und Geschlechterforscherin Prof. Dr. Sigrid Metz- vorhandenen Instrumente zur Qualitätssicherung Göckel. Ihr Kommentar wird hier abgedruckt. Die Kontakt und Information vor. Sie hob hervor, dass die Gleichstellung mitt- Expertise und der Vortrag von Anne Schlüter sind Prof. Dr. Anne Schlüter lerweile ein Leistungsbereich der Hochschulen ist. unter www.boeckler.de/85.htm abrufbar. [email protected]

Sigrid Metz-Göckel

Differenzierung im tertiären Bereich und geschlechtergerechte Hochschule

Werkstattgespräch der Hans-Böckler-Stiftung vom 30.09.–01.10.2011, Kommentar zur Expertise von Prof. Dr. Anne Schlüter: Geschlechtergerechte Hochschule

Die geschlechtergerechte Hochschule Geschlecht nicht zu isolieren, sondern es in aus der Perspektive der Frauen- und Verbindung mit anderen Variablen wie soziale Geschlechterforschung Klassen, Migrationshintergrund, sexuelle Orien- tierung, Alter und Behinderung zu analysieren. 1. Zur Hochschule in gesellschaftlicher Verant- Das ist mit Intersektionalität gemeint, denn das wortung gehört eine sozial- und geschlech- Geschlecht gibt es nicht pur.1 Ich zitiere Anne tergerechte Hochschule, wobei sozial und Schlüter: „Geschlechtergerechtigkeit bedeutet geschlechtergerecht kein Widerspruch ist. die Anerkennung der Berechtigung des Anders- Vielmehr finden sich ja in allen Minoritäten so- sein-Könnens“ (Expertise, Schlüter, S. 42). wohl Frauen als auch Männer. Das macht die 2. Die Bildungsoffensive der wissenschaftspoliti- Geschlechtszugehörigkeit zu einer sehr kom- schen Spitzenorganisationen (Wissenschaftsrat plexen, aber auch zentralen Kategorie. Zum 2007) reagiert auf die Inklusion der Frauen ins 1 Zur Intersektionalität vgl. Stand der Geschlechterforschung gehört, das Wissenschaftssystem mit einem Verständnis der Bührmann (2009).

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- Geschlechtergleichstellung als Qualitätssi- Abkoppelung der Präsentationsebene nach cherung der Wissenschaftsentwicklung, außen als Konformitätsreaktion auf die Außen- - Wissenschaftlerinnen bzw. der Frauen als erwartungen von der internen Handlungsebene Human-Ressource und Potenzialgewinnung. (Krücken 2008). Dies hat zur Folge, dass trotz Von Geschlechtergerechtigkeit ist in diesem gleichstellungspolitischer Rhetorik weitgehend Kontext nicht die Rede. alles beim Alten bleibt. 3. Eine geschlechtergerechte Hochschule ist um- 4. Der wissenschaftliche Integrationsprozess der stritten, und sie muss es vielleicht sogar sein. Frauen ist daher sowohl mit Übereinstimmun- Aufgrund ihrer Tradition, ihres heterogenen gen als auch mit neuen Differenzen zwischen Personals u. a. m. ist die Hochschule eine ver- den Geschlechtern verbunden und hat auch geschlechtlichte Institution. Sie selbst und ihre alte Differenzen fortbestehen lassen. Akteure und Akteurinnen sehen es aber meist Dieses komplexe Tableau von Gleichheit und nicht so, sondern verstehen sie als eine ge- Ungleichheit, das wir empirisch vorfinden, hat schlechtsneutrale Institution. Das widerlegt die zu unterschiedlichen theoretischen Deutungen Expertise von Anne Schlüter. geführt. Die Integration der Frauen ist im Rahmen der Ein Teil der Geschlechterforschung spricht von aktuellen Entwicklung zur unternehmerischen einer De-Institutionalisierung der Geschlech- Hochschule Teil des Wettbewerbs der Hoch- terdifferenz (Heintz/Nadai 1998, Heintz 2003). schulen untereinander, aber auch der internen Damit ist der Sachverhalt gemeint, dass die Konkurrenz in den einzelnen Hochschulen. Ungleichheit der Frauen und Männer in unse- Relativ neu ist (unter Wettbewerbsgesichts- rer Gesellschaft – nicht mehr wie noch vor 50 punkten) die Konkurrenz um die privilegierten Jahren – „rechtlich oder institutionell abgesi- Positionen zwischen den Geschlechtern. Bei chert ist, sondern heute über indirekte und in- stagnierender Personalausstattung der Hoch- formelle Mechanismen, insbesondere auf der schulen vollzieht sich eine Umverteilung von interaktiven Ebene, reproduziert wird“ (Wobbe Stellen und Einflussmöglichkeiten zugunsten 2003: 13). Aktuelle Analysen zur Ordnungs- der Frauen und zuungunsten der Männer. Hier- funktion des Geschlechts in der Wissenschaft zu einige Daten: gehen daher von einem veränderlichen Grad Der Anteil von Frauen im Mittelbau ist von 26 % geschlechtlicher Differenzierung aus und „set- auf 33 % und bei den Professuren von 9 % auf zen die Relevanz von Geschlecht nicht voraus, 16 % (1996–2006 gestiegen, bei den Männern sondern fragen systematisch, unter welchen erfolgte im gleichen Zeitraum ein Rückgang um spezifischen Bedingungen und in welchen Kon- 8 % im Mittelbau und 2 % bei den Professu- texten Geschlecht überhaupt Geltung erlangt“ ren.2 (Wobbe, ebd.). Daher ist prinzipiell auch eine Die zunehmende wissenschaftliche Integration kulturelle Gegensteuerung möglich. der Frauen geht mit ihrer prekären, d. h. teilzeit- Eine etwas andere Akzentuierung drückt sich in und befristeten Beschäftigung einher. Doch gilt dem Konzept der ‚asymmetrischen Geschlech- dies prinzipiell für Männer wie Frauen. Die Pre- terkultur‘ aus. Ursula Müller (2008) betont karisierung betrifft aber die Wissenschaftlerin- ebenso wie Aylâ Neusel (1998) die pragmati- nen stärker, denn der Anteil teilzeitbeschäftigter sche Bedeutung kultureller Aspekte in Relation Wissenschaftlerinnen ist bundesweit von 49 % zu den formalen Strukturen der Universität. auf 59 % gestiegen, der der Wissenschaftler Entgegen der Annahme, dass gerade struktu- dagegen von 33 % auf 38 %, während sich relle Phänomene beharrlich sind, würden sich das Ausmaß der befristeten Beschäftigung zwi- die weichen Faktoren der internen Organisati- schen Männern und Frauen angleicht (Metz- onskultur als relativ stabil und veränderungsre- Göckel et al. 2011). sistent erweisen. Kultur meint hier „das infor- Erfolgreiche Bemühungen zur Geschlech- melle ‚zweite Leben‘ der Institution […], das tergleichstellung erfolgen aus der Sicht der geprägt ist durch die ‚alltagspraktische, inter- Hochschulleitungen eher als Ökonomisierung aktiv ausgehandelte und insoweit ‚autonome‘ des Sozialen denn aus Gründen der sozialen Anwendung von informellen Regelungen und Gerechtigkeit. Die Bemühungen sind vor allem Prozeduren“ (Müller 2008: 146). von wachsenden Ressourcen abhängig. Anne Ich schließe aus meinen Erfahrungen eines Schlüter formuliert es elegant: „Die Mehrheit langjährigen Uni-Lebens, dass die kulturelle der Männer wagt kaum, sich für Frauenförde- Resistenz gegenüber dem wissenschaftlichen rung zu interessieren“. Und ihr Desinteresse Genderwissen und der Frauenintegration in hat eine materielle Basis. die privilegierten Positionen schwerer wiegen 2 Die Daten sind entnommen Die neo-institutionalistische Organisations- kann als die qualifikatorischen Argumente und aus Metz-Göckel et al. 2011. theorie zur Hochschule diagnostiziert eine rechtlichen Regelungen. Angesichts des heuti-

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gen Werkstattgesprächs möchte ich behaup- inne/n eher die Regel als die Ausnahme, 82 % der ten: Personelle Beziehungen und Netzwerke Wissenschaftler/innen haben einen berufstätigen sowie aus gewerkschaftlicher Sicht eingeübte Partner. Diese Paarbildung de-legitimiert die tra- Solidaritätsstrukturen machen es schwierig, ditionelle Arbeitsteilung zwischen den Geschlech- fremde Subjekte wie die Frauen zu integrieren. tern, da sich eine Wissenschaftskarriere von Män- Ich zitiere wieder Anne Schlüter: „Statt sich nern traditionell mit einer Partnerschaft vollzog, der kollegialen Kompetenz zu versichern, wer- in der die Frau allein die häuslichen Reprodukti- den häufig Abwehrtaktiken verfolgt, um Macht onsarbeiten und die Versorgung der Kinder über- und Machtzuwachs für Einzelne zu wahren und nahm. Diese Arbeitsteilung hat sich aber auch für auch solche Organisationskulturen strukturell die Männer verändert und macht die generativen aufrechtzuerhalten, die egoistisch, wenn nicht Entscheidungen der Wissenschaftler/innen zu ei- gar rücksichtslos sind“ (S. 18). nem öffentlichen, gesellschaftlichen Problem. Die für die wissenschaftliche Karriere entscheiden- 2. Kommentare zu den Fazits der de Lebensphase zwischen 30 und 42 Jahren ist Expertise somit durch widersprüchliche Anforderungen und Wünsche geprägt. Und diese biographisch unter- Fazit 1: Lebenszusammenhang mit Kindern schiedliche Lebenssituation ist personalpolitisch Wissenschaft als Lebenswelt ganz anders als bisher zu berücksichtigen. Im universitären Mittelbau findet die wissen- schaftliche Berufstätigkeit zunehmend unter pre- Fazit 3: Die Fakultäten als Orte der kären Beschäftigungsbedingungen statt. Diese Verhinderung von Gleichstellung existenziellen Unsicherheiten lassen Entscheidun- Die Barrieren für eine geschlechtergerechte Hoch- gen für Kinder mit ihren langfristigen Folgen für schule befinden sich in den Fakultäten, aber sie beide Geschlechter problematisch werden, aber könnten eine geschlechtergerechte Personalent- in unterschiedlich starkem Maße (Metz-Göckel et wicklung vorantreiben. Anne Schlüter: „Die Fakul- al. 2009). täten müssen sich bewegen“. Wohl wahr. Differenzierte und bedarfsgerechte Angebote zur Das Berufungsgeschehen ist eine Domäne der Kinderbetreuung, die mit den Audits zur famili- Fakultäten geblieben, wenn auch mit einigen Ein- engerechten Hochschule ja in Gang gesetzt sind, schränkungen und Kontrollen, z. B. der Beteiligung werden aber das Problem der ‚unfreiwilligen‘ der Gleichstellungsbeauftragten. Die interne Kon- Kinderlosigkeit im akademischen Mittelbau nicht kurrenz findet aber vor allem auf Fakultätsebene lösen, wenn nicht an den Beschäftigungsverhält- statt. Männer sind die „Disziplinmacher“ (Bude/ nissen etwas geändert wird. Neidhardt 1998: 405) und die Fakultätsmitglieder sind stärker mit ihrer Disziplin als mit ihrer Univer- Fazit 2: Diskrepanz zwischen institutionellen sität identifiziert. Interessen und den persönlichen Lebenspla- Wenn von den zwei Ebenen der Kommunikation nungen bzw. Abschaffung struktureller Hürden die Rede war, dann betrifft dies vor allem die Gre- durch neue Konzepte des zeitlichen und sozia- mien und die kollegialen informellen und offiziel- len Umgangs len Kommunikationen. Für die Universität, insbesondere bei der Be- schäftigung in Drittmittelprojekten, spielen das Fazit 4: Geschlechtersensibilität als Alter und der Lebenszusammenhang der jungen Auswahlkriterium für Hochschulämter Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen eine „Es sollten nur Männer und Frauen Dekan/in oder Rolle, da junge Singles viel billiger sind als ältere Rektor/in werden, die eine Offenheit für Gleichstel- Personen mit Kindern. Erfahrene und Ältere sind lungsanliegen haben und sich bereits vor Amts- aber womöglich bessere Wissenschaftler und Wis- übernahme für Geschlechtergleichheit eingesetzt senschaftlerinnen. haben und gewillt sind, diese als Ziel weiterhin zu Zeit ist daher eine knappe und kostbare Ressource bearbeiten“, lautet die scharfe Formulierung von im Leben von Wissenschaftler/innen, vor allem als Anne Schlüter. Dies ist mit Bezug auf Fazit 3 eine Eltern. Die zeitlichen Anforderungen spitzen sich paradoxe Aufforderung. in einer Altersphase zu, die mit den generativen Die Betonung der wichtigen Persönlichkeiten auf 3 90% der Professoren sind Entscheidungen verbunden ist (Bathmann et al. Fakultätsebene hängt mit ihrer Gatekeeper-Funk- verheiratet oder leben in stabi- ler Beziehung und 82% haben 3 2011, Metz-Göckel et al. 2011). 75 % des Wis- tion und dem „Disziplinmachen“ zusammen. Die Kinder. Aber die Hälfte der senschaftlichen Mittelbaus (über alle Alter hin- Sperren lassen sich teils auf die Reputationskon- Professorinnen hat keine Kinder und ein Drittel zum Zeitpunkt weg) ist kinderlos. kurrenz unter den Wissenschaftlern und Wissen- der Befragung keinen Partner, Doppel-Karriere-Paare an Hochschulen sind schaftlerinnen zurückführen. 13% getrennt oder geschieden lebend. Die homosoziale historisch eine neue Konstellation, homo- Partnerwahl trifft vor allem für soziale Paarbildungen sind bei Wissenschaftler/ Frauen zu.

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Fazit 5: Dekane nicht in ihrer Macht, Gesamtgruppe der Hochschullehrerinnen und mit sondern Professionalität stärken 18 % in der Hochschullehrerschaft. Sie revidieren Wissenschaftliches Genderwissen ist professio- das Bild vom Wissenschaftler und von der Wissen- nelles Wissen für die Hochschulakteure und Ak- schaftlerin (Metz-Göckel et al. 2011). teurinnen. Diese lassen sich aber größtenteils von Das Gutachten der ersten Gleichstellungskom- ihrem alltagsweltlichen Geschlechterwissen leiten, mission der Bundesregierung (2011) lenkt die das von Stereotypen und essenzialistischen Ge- Aufmerksamkeit auf sich kumulierende Nachteile schlechtervorstellungen geprägt ist. Die Immunisie- im Lebensverlauf beider Geschlechter und thema- rungsstrategien gegen Gleichberechtigung und die tisiert strukturelle wie ökonomische Aspekte auch Rezeption der Frauen- und Geschlechterforschung von de-privilegiert Beschäftigten in Minijobs und sind in der Tat beachtlich, aber eigentlich wissen- Alleinerziehende. Was diese Perspektive auf den schaftsfremd. Sie verkennen das Potenzial, das mit Lebensverlauf im Allgemeinen mit dem besonderen der Integration von Frauen für ihre Fakultät und wissenschaftlichen Lebenszusammenhang verbin- beide Geschlechter verbunden sein kann. det, ist eine Analyse der Interdependenz mehrerer Einflussgrößen im diachronen zeitlichen Verlauf 3. Empfehlungen und synchron in der mehrfachen konfligierenden Beanspruchung. 3.1 Verstetigung der Beschäftigungs- Im Lebenszusammenhang von Wissenschaftler/ perspektiven innen spielt die wissenschaftliche Arbeit eine ent- Es sollten oder können nicht alle Arbeitsverträge im scheidende Rolle, aber zu den persönlichen Vor- Mittelbau unbefristet abgeschlossen werden, aber stellungen eines erfüllten Lebens gehört für die eine Verstetigung, eine Überbrückung von Über- Allermeisten ein Zusammenleben mit Kindern und gängen und Statuspassagen sowie biographisch Partner/in (Lind 2010; Bertram/Bertram 2009). flexible Arbeitsvolumen und -zeiten wären zwin- 70 % der Wissenschaftler/innen geben an, einen gend erforderlich. Kinderwunsch zu haben, auch wenn sie diesen un- ter den gegenwärtigen Bedingungen nicht realisie- 3.2 Frühzeitigen Ausstieg und Abbrüche verhin- ren (können) (Lind 2010). dern Frauen scheiden (frühzeitig) aus der Wissenschaft Die Abbrüche und Ausstiege aus dem Hochschul- aus, wenn sie Kinder haben wollen oder wenn sie system können individuelle Ursachen haben, sind glauben, mit Kleinkindern den widersprüchlichen aber auch strukturellen Förderdefiziten und einem Ansprüchen wissenschaftlicher Arbeit und eines systembedingten Cooling-Out-Prozess zuzuschrei- Zusammenlebens mit Kindern nicht gewachsen ben (Kahlert 2011), da höchstens ein Drittel der zu sein. Diese häufig geäußerte Erklärung einer wissenschaftlichen Mitarbeiter/innen unter den Selbsteliminierung (Wissenschaftsrat 2007) erfolgt gegenwärtigen Verhältnissen in der Wissenschaft ohne Rücksicht auf die konkreten Verhältnisse und verbleibt (Janson/Schomburg/Teichler 2006). Es ist die Beanspruchung moderner Eltern in der Wis- ferner davon auszugehen, dass 10 % und weniger senschaft. Diese Entwicklung ist aber nicht allein des wissenschaftlichen Nachwuchses eine Profes- auf persönliche Motive zurückzuführen, vielmehr sur erreichen kann. Im internationalen Vergleich mischt sich hier Institutionelles und Persönliches, hat das deutsche Universitätssystem mit lediglich denn was als Selbsteliminierung erscheint, ist auch etwa 15 % Hochschullehrer- und unbefristeten Folge einer einseitigen Vorstellung vom Wissen- Stellen weltweit eine Sonderstellung (vgl. Kreckel schaftler und von der Wissenschaftlerin, der/die 2008). Hier sind weitere verlässliche Sprossen in kein Privatleben und keine Kinder hat. der Karriereleiter unterhalb der Professur einzurich- Andererseits tragen Wissenschaftler/innen als Müt- ten. ter und aktive Väter in ihrer Pionierrolle dazu bei, dass sich die sozialen Verhältnisse in der Wissen- 3.3 Das verbundene Leben (linked lives) und den schaft ändern könnten. ganzen Lebenszusammenhang berücksichtigen Und wenn die Prekarisierung im Mittelbau weiter Die ‚intellektuellen Mütter‘ und die Wissenschaftler fortgeführt wird, gerät eine sehr wertvolle Res- als involvierte Väter fordern die wissenschaftspoli- source in Gefahr, zerstört zu werden, nämlich das tischen Akteure und Akteurinnen heraus, auf Wis- identifikatorische Potenzial der wissenschaftlichen senschaftler/innen als verbundene Personen als Arbeit. Paar und als Eltern in ihrem Lebenszusammenhang zu schauen, und dies ist nicht nur eine Innovation, Literatur sondern ein Humanitätsgewinn. Professorinnen mit Kindern sind Lebensstil-Pionie- - Bathmann, Nina/Müller, Dagmar/Cornelißen, rinnen und in doppelter Hinsicht eine Minorität. Waltraud (2011): Karriere, Kinder, Krisen: Warum Sie stellen mit ca. 36 % eine Minderheit in der Karrieren von Frauen in Paarbeziehungen schei-

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tern oder gelingen. In: Cornelißen, Waltraud/Rus- sonal in Deutschland im Vergleich mit Frankreich, coni, Alexandra/Becker, Ruth: Berufliche Karrieren Großbritannien, USA, Schweden, den Niederlan- von Frauen. Hürdenläufe in Partnerschaft und Ar- den, Österreich und der Schweiz, Leipzig beitswelt, Wiesbaden - Krücken, Georg (2008): Zwischen gesellschaft- - Bertram, Hans/Bertram, Birgit (2009): Familie, So- lichem Diskurs und organisationalen Praktiken. zialisation und die Zukunft der Kinder, Opladen, Theoretische Überlegungen und empirische Barbara Budrich Befunde zur Wettbewerbskonstitution im Hoch- - Bude, Heinz/Neidhardt, Friedhelm (1998): Die schulbereich. In: Zimmermann, Karin/Marion Professionalisierung der deutschen Nachkriegs- Kamphans/Sigrid Metz-Göckel (Hrsg.): Perspek- soziologie. In: Bolte, Martin/Neidhardt, Friedhelm tiven der Hochschulforschung, Wiesbaden, VS- (Hrsg.): Soziologie als Beruf, Baden Baden, No- Verlag, S. 165–178 mos - Lind, Inken (2010): Was verhindert Elternschaft? - Bührmann, Andrea (2009): Intersectionality – ein Zum Einfluss wissenschaftlicher Kontextfaktoren Forschungsfeld auf dem Weg zum Paradigma. und individueller Perspektiven auf generative Tendenzen, Herausforderungen und Perspektiven Entscheidungen des wissenschaftlichen Perso- der Forschung über Intersektionalität. In: Gender. nals. In: Bauschke-Urban, Carola/Marion Kam- Zeitschrift für Geschlecht, Kultur und Gesell- phans/Felizitas Sagebiel (Hrsg.): Subversion und schaft, H. 2, 2009, S. 28–44 Intervention. Wissenschaft und Geschlechter(un) - Heintz, Bettina/Nadai, Eva (1998): Geschlecht ordnung, Opladen, Barbara Budrich, S. 155–178 und Kontext. De-Institutionalisierungsprozesse - Metz-Göckel, Sigrid/Kirsten Heusgen/Christina und geschlechtliche Differenzierung. In: Zeit- Möller (2011): Kollisionen – Wissenschaftler/in- schrift für Soziologie, 27. Jg., H. 2, S. 75–93 nen zwischen Qualifizierung, Prekarisierung und - Heintz, Bettina (2003): Die Objektivität der Wis- Generativität. In: Engels, Anita/Sandra Beaufayis/ senschaft und die Partikularität des Geschlechts. Heike Kahlert: Frauen sind Spitze? Frankfurt/M. Geschlechterunterschied im disziplinären Ver- Campus, im Druck gleich. In: Wobbe, Theresa (Hrsg.): Zwischen - Metz-Göckel, Sigrid/Christina Möller/Niccole Vorderbühne und Hinterbühne. Beiträge zum Auferkorte-Michaelis (2009): Wissenschaft als Wandel der Geschlechterbeziehungen in der Wis- Lebensform – Eltern unerwünscht? Opladen, senschaft vom 17. 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In: Teichler, Ulrich/Daniel, Dieter/ Ungleichheitsregimes auf Karriereorientierungen Enders, Jürgen (Hrsg.): Perspektiven der Hoch- im wissenschaftlichen Nachwuchs. In: Wergen, schulforschung, Frankfurt/M., Campus, S. 97–110 Jutta (Hrsg.): Von der Forschung zur Förderung. - Sachverständigenkommission zur Erstellung des Promovierende im Blick der Hochschulen, Müns- ersten Gleichstellungsberichts der Bundesregie- ter, S. 105–124 rung (2011): Neue Wege – gleiche Chancen. - Krais, Beate (2008): Wissenschaft als Lebens- Gleichstellung von Frauen und Männern im Le- form: die alltagspraktische Seite akademischer bensverlauf. Gutachten, gefördert vom Bundes- Karrieren. In: Haffner, Yvonne/Krais, Beate ministerium für Familie, Senioren, Frauen und (Hrsg.): Arbeit als Lebensform. Beruflicher Erfolg, Jugend private Lebensführung und Chancengleichheit - Wissenschaftsrat (2007): Exzellenz in Wissen- in akademischen Berufsfeldern. Campus Verlag. schaft und Forschung – Neue Wege in der Gleich- S. 177–211 stellungspolitik, Köln - Krais, Beate (Hg.) (2000): Wissenschaftskultur - Wobbe, Theresa (2003): Instabile Beziehungen. und Geschlechterordnung. Über die verborge- Die kulturelle Dynamik von Wissenschaft und nen Mechanismen männlicher Dominanz in der Geschlecht. In: Wobbe, Theresa (Hrsg.): Zwischen akademischen Welt, Frankfurt am Main, Campus Vorderbühne und Hinterbühne. Beiträge zum Verlag Wandel der Geschlechterbeziehungen in der Wis- Kontakt und Information Prof. Dr. Sigrid Metz-Göckel - Kreckel, Reinhard (Hrsg.) (2008): Zwischen Pro- senschaft vom 17. Jahrhundert bis zur Gegen- sigrid.metz-goeckel@tu- motion und Professur. Das wissenschaftliche Per- wart. Bielefeld, S. 13–40 dortmund.de

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Edyta Joanna Lukaszuk

Fachkultur und Vergeschlechtlichung im Visier

Workshopbericht und der Veränderung der Fächer unter dem Ein- fluss von Gender Mainstreaming. Abschließend An der Universität Duisburg-Essen fand am stellte die Vortragende die Frage, welche Rolle 9. September 2011 ein interdisziplinärer die Fachkulturforschung auf dem Weg zu einer Workshop zur Fachkulturforschung mit geschlechtergerechten Hochschule leisten kann. dem Titel „Fachkultur und Vergeschlechtli- Nach der Einführung ins Thema folgte der Beitrag chung im Visier“ statt. Die Tagung wurde vom von Dipl. Päd. Meike Hilgemann und Dipl. Päd. Fachgebiet Erwachsenenbildung/Bildungsbera- Ricarda Serritelli: „Ist die Erwachsenenbildung tung der Universität Duisburg-Essen und dem eine ,unentschiedene Profession‘ oder gibt es Netzwerk Frauen- und Geschlechterforschung eine bisher noch unentdeckte Fachkultur?“ NRW organisiert. Die Referentinnen untersuchten in ihrer Diplom- Mit der Konzeption und Realisierung der Tagung arbeit die Frage, ob es eine spezifische Fachkultur befasste sich eine Arbeitsgruppe aus der Fakultät Erwachsenenbildung gibt. Dabei widmeten sie Bildungswissenschaften unter der Leitung von sich auch der Frage nach dem erwachsenenbild- Prof. Dr. Anne Schlüter (Universität Duisburg-Es- nerischen Habitus in der Fachkulturforschung. sen – Fachgebiet Erwachsenenbildung/Bildungs- Der Diplom-Studiengang Pädagogik mit der Stu- beratung) zusammen mit den Professorinnen dienrichtung Erwachsenenbildung/Weiterbildung Gisela Steins (Universität Duisburg-Essen – Fach- wurde 1969 eingeführt, um das Qualifikations- gebiet Psychologie), Nicole Krämer (Universität und Kompetenzprofil von ErwachsenenbildnerIn- Duisburg-Essen – Fachgebiet Sozialpsychologie: nen zu vereinheitlichen, zu systematisieren und zu Medien und Kommunikation), Rebecca Grotjahn akademisieren. Ziel der universitären Ausbildung (Universität Paderborn – Fachgebiet Musikwis- ist die Vermittlung von Kompetenzen des Wahr- senschaften) sowie den Diplomandinnen Meike nehmens, Erkennens und Diagnostizierens von Hilgemann und Ricarda Serritelli (Universität Situationen und Möglichkeiten, der Kooperation Duisburg-Essen – Fachgebiet Erwachsenenbil- und Interaktion sowie die Fähigkeit, Handlun- dung/Bildungsberatung). gen und Strukturen reflektieren, evaluieren und Ziel der Tagung war es, eine interdisziplinäre kritisieren zu können. Die Fachkulturforschung Kooperation zu ermöglichen und gemeinsam untersucht an einer Hochschule den Prozess der längerfristige Forschungsprojekte zum Thema Sozialisation in die verschiedenen Fächer sowie der Fachkulturforschung zu entwickeln. Weiteres die Sichtbarmachung der Differenzen zwischen Anliegen ist es, ein Promotionskolleg zur Fach- den Disziplinen und ihren jeweiligen kulturellen kulturforschung zu etablieren und im Besonderen Ausprägungen. NachwuchswissenschaftlerInnen zur Forschung Der Fokus der empirischen Untersuchung lag auf zu gewinnen. der Auswertung von zehn leitfadengestützten In- Die Moderation des interdisziplinären Workshops terviews mit Studierenden und hauptberuflichen hatte Dr. Nicole Justen übernommen. Nach der PädagogInnen der Erwachsenenbildung. Aus der Vorstellungsrunde aller WorkshopteilnehmerIn- Analyse konnten die Referentinnen ein Trich- nen leitete Prof. Dr. Anne Schlüter mit ihrem Vor- termodell zur Entwicklung eines erwachsenen- trag „Umstrukturierung der Hochschule – Fach- bildnerischen Habitus entwickeln. Dieser muss kultur im Übergang?“ in das Thema ein. flexibel, anpassungsfähig und wandelbar sein, Folgende übergreifende Fragestellungen der Re- um sich mit der Heterogenität und Pluralität des ferentin ermöglichen neue Ansätze und Diskus- Berufsfeldes arrangieren zu können. Durch die sionen. Die Frage nach der Rolle von Gender in Auswertung der Interviews wurden sechs Kom- der Zuschreibung als Frauen- oder Männerstudi- petenzbausteine erkannt: Organisationskompe- engang wurde ebenso wie die Frage nach Her- tenz, didaktische Kompetenz, Beratungskompe- kunfts-, Fach-, Studien- und Berufskultur für in- tenz, Netzwerkkompetenz, Sozialkompetenz und dividuelle Entscheidungen zu einem Studiengang reflexive Kompetenz. angesprochen. Weiterführende Fragen geben Abschließend kamen die Referentinnen zu der Anregungen hinsichtlich der Bildungs- und För- Aussage, dass „ErwachsenenpädagogInnen ihr dermöglichkeiten in einem Studiengang bei Un- plurales Berufsfeld reflektieren und Spezifika und gleichheit in den sozialen Ausgangsbedingungen Besonderheiten ihrer Kultur herausarbeiten müs-

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sen, um sich von anderen Disziplinen abgrenzen Deutschland diese Quote signifikant erhöht und zu können.“ stieg von 27 % auf 32 % an. Dieser Anstieg hat Der Beitrag von Frau Prof. Dr. Gisela Steins wid- im Wesentlichen in der ersten Dekadenhälfte mete sich dem Thema: „Gender in der Psycho- stattgefunden. Für das Erreichen des Zielwertes logie – zur Diskrepanz zwischen Erkenntnisstand von 40 %, prognostiziert für 2015, sind erhebli- und Implementierung in die Fachkultur“. che zusätzliche Anreize notwendig. Im ersten Teil ihres Vortrages wurde die Bedeu- Es wurde eine Stichprobe von 256 ProbandInnen tung von Genderfragen aus der Perspektive aus verschiedenen Hochschulsemestern des Stu- der psychologischen Forschung präsentiert. Die dienganges Komedia untersucht, die einen Frau- Möglichkeiten der Geschlechter sowie deren Vor- enanteil von 65 % aufwies. Masterstudierende stellungen über sich selbst und über das ande- stellten dabei einen Anteil von 10 %, dort lag der re Geschlecht wurden thematisiert. Zum Thema Frauenanteil bei 77 %. Handlungen der Geschlechter führte sie anhand In Bezug auf die Geschlechterunterschiede stellte der Beispiele von Berufsbiografien in der Psycho- sich heraus, dass Frauen und Männer den Stu- logie unter Berücksichtigung der horizontalen diengang Komedia aus den gleichen Motiven und vertikalen Segregation die Benachteiligung wählten. Das Nebenfach Informatik wird von der Frauen an, besonders in Lohnstruktur und Männern bevorzugt, während Frauen Psycho- Führungspositionen. logie und Kunst präferieren. Dementsprechend Im zweiten Teil wurde das Thema der Gender- sind Männer mit ihren Informatiknoten zufrie- fragen in der Fachkultur der Psychologie dar- dener als Frauen und diese mit ihren Noten in gestellt. Ausführlich wurde die Thematik der Psychologie. Im Gegensatz zu Männern haben geschlechterspezifischen Sprache durch die Aus- Frauen häufiger Verwandte in technischen Be- sage behandelt, dass der maskuläre Genus zur rufen, was so interpretiert werden könnte, dass mentalen Unterrepräsentation von Frauen führt. bei Frauen unmittelbare Vorbilder eine größere Zudem wies die Referentin darauf hin, dass in der Rolle spielen. Weibliche Probanden nehmen stär- hochschuldidaktischen Lehre des Studiums der ker als männliche wahr, dass ihr soziales Umfeld Psychologie das Thema Gender vollständig aus- auf die Fächerwahl Informatik im Rahmen des geblendet wird. Komedia-Studienganges mit extremen Aussagen Als Fazit traf die Referentin folgende Aussagen: reagiert, sowohl in positiver als auch negativer Trotz einer hohen Frauenquote unter den Studie- Hinsicht. Während es Rollenvorbilder eher in der renden ist die Psychologie keine weibliche Wis- Psychologie als in der Informatik gibt, finden sich senschaft, ganz im Gegenteil, sie hat die gleichen AnsprechpartnerInnen in beiden Disziplinen. Ge- Schwierigkeiten wie andere Disziplinen. Die Rele- schlechterunabhängig würden die Studierenden vanz des Themas Gender in der Psychologie wird den Studiengang weiterempfehlen und wieder nicht anerkannt und das Fach kann ohne ernst- wählen. hafte Auseinandersetzung damit studiert werden. Schlussfolgernd zeigten sich typische, aufgrund Anhand einer Vielzahl von Forschungsfragen von Geschlechtsstereotypen zu erwartende Mus- wie z. B. „Wie bekannt sind die Effekte der ge- ter. Dabei zeigen Frauen ein höheres Interesse an schlechtsspezifischen Unterschiede bei Lehren- Psychologie und schätzen dort auch ihre Leistun- den und Lernenden?“ oder „Welche Einstellun- gen besser ein. Zudem sind Frauen eher sensi- gen und Verhaltensweisen gibt es in Bezug zu bel für geschlechtsspezifische Bewertungen von Gender als Thema bei Lehrenden der Psycholo- außen. Für das Erreichen einer höheren Zufrie- gie?“, wird ein Bezug hergestellt, wie Gender denheit mit den Informatik-Anteilen im Komedia- in das Curriculum der Psychologie als Wissen- Studiengang auch bei Frauen sind unterstützen- schaftsdisziplin implementiert werden könnte. de Maßnahmen im Studium wünschenswert. Frau Prof. Dr. Nicole Krämer thematisierte in ih- Den Abschluss des Workshops bildete der Vor- rem Vortrag „Informatik oder Psychologie? Fach- trag von Prof. Dr. Rebecca Grotjahn zum Thema spezifische Präferenzen von Männern und Frauen „Geräusche aus der Nachbarwohnung – Über- in einem interdisziplinären Studiengang“ die ge- legungen zur Genderforschung in der Musik- schlechterspezifischen Unterschiede im Studien- wissenschaft“, der sich mit ästhetischen und gang Komedia. Dieser interdisziplinäre Studien- historischen Dimensionen der universitären Mu- gang setzt sich hauptsächlich aus den Bereichen sikwissenschaft beschäftigte. Informatik, Psychologie und Betriebswirtschafts- Am Anfang ihres Beitrages stellte sie die drei lehre zusammen. Unterteilungen des Fachgebietes Musikwissen- Einleitend wurde von der Referentin die Frau- schaften vor: historische Musikwissenschaft, enquote in den MINT-Fächern (Mathematik, In- auch Musikgeschichte genannt, systematische formatik, Naturwissenschaften, Technik) präsen- Musikwissenschaft und Musikethnologie, auch tiert. Im Zeitraum von 2000 bis 2009 hat sich in als Ethnomusikologie bezeichnet. Die Referentin

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betonte, dass Genderforschung nur im Bereich eine ‚gendersensible‘ Lehre bzw. eine Lehre, die der historischen Musikwissenschaft möglich ist. die Ergebnisse der Genderforschung berücksich- Auf das Workshopthema bezogen interessierten tigt?“, „Welche Potenziale ergeben sich durch sie folgende Genderfragen: „Wie relevant ist die die gestuften Studiengänge?“, „Welche Chancen Lehre, die die Genderforschung berücksichtigt?“ bietet ein interdisziplinäres Promotionskolleg für und „Wonach entscheiden Studierende die The- den genderforschenden musikwissenschaftlichen men, mit denen sie sich später beschäftigen?“. Nachwuchs und was haben die PromovendInnen Ihren Beitrag vervollständigte die Referentin mit anderer Fächer davon?“ und „Welche gemeinsa- folgenden weiteren Fragestellungen: „Wie ist men Forschungsthemen sind denkbar?“. die Selbstdarstellung des Faches und wie wird Der Workshop endete mit einer Abschlussdiskus- es von den anderen Fächern wahrgenommen?“, sion, in der die gewonnenen Erkenntnisse reflek- Kontakt und Information Edyta Joanna Lukaszuk „Wie ist der Stand der Genderforschung in der tiert wurden und auf offene Fragen eingegangen [email protected] Musikwissenschaft?“, „Wie relevant ist im Fach wurde.

Sabrina C. Eimler, Jennifer Klatt & Nicole C. Krämer

Frauen und Informatik?

Eine Befragung zur Situation weiblicher und männlicher Studierender des Studiengangs Angewandte Kognitions- und Medienwissenschaften

Einleitung Studiengang Angewandte Kognitions- und Me- dienwissenschaften, kurz Komedia, ist ein in- Zunehmend wird in Deutschland nicht nur der terdisziplinäres Bachelor- und Masterprogramm Mangel an Frauen in Führungspositionen, son- an der Universität Duisburg-Essen, das sich pri- dern auch der Frauenmangel in den sogenannten mär aus den Bereichen Informatik, Psychologie MINT-Fächern beklagt.1 Um zukünftig nicht nur und Betriebswirtschaftslehre zusammensetzt. den Nachwuchskräftebedarf zu decken, sondern In einem Ergänzungsbereich können weitere auch die Diversität als Innovations- und Wettbe- Kenntnisse z. B. in Bereichen wie Fotografie oder werbsfaktor zu erhalten und zu fördern,2 ist ein Sprachen erworben werden. Ziel ist es, breit gefä- besonderes Anliegen, den Anteil der Frauen in cherte Kompetenzen in den Bereichen neue Medi- diesem Bereich deutlich auszubauen. Wichtig ist en und Mensch-Computer-Interaktion zu vermit- in diesem Zusammenhang, (Studien-)Angebote teln. Dies geschieht sowohl aus dem Blickwinkel zu schaffen, die (auch) für Frauen attraktiv sind. der Informatik als auch der Psychologie.3 Ein Studiengang, dem es gelingt, durch eine in- Absolventen des Studiengangs qualifizieren sich terdisziplinäre Zusammenführung von Informatik nicht nur für die Arbeit in der Marktforschung, und Psychologie Studentinnen an informatische im Marketing oder in Werbeagenturen, sondern Inhalte heranzuführen, ist der Studiengang An- auch für den PR-Bereich und als Redakteure in gewandte Kognitions- und Medienwissenschaf- Fernsehen und Rundfunk. Auch im Bereich IT- ten an der Universität Duisburg-Essen. In diesem Consulting, Software- und Videospiel-Entwick- Beitrag werden die Ergebnisse einer Befragung lung sowie Webseitengestaltung finden Komedi- vorgestellt, die die Situation der Studierenden, as Anstellungen. Die Erfahrung zeigt, dass auch u. a. in Bezug auf die Motive der Studienwahl, eine Laufbahn in der Wissenschaft, sowohl in der Ängste und Verfügbarkeit von Rollenvorbildern Informatik als auch in der Psychologie, für viele thematisierte. Komedia-Masterstudierende in Frage kommt. An- 1 Vgl. www.bmbf.de/de/12563. php. geboten wird der Studiengang von der Abteilung Kurzvorstellung des Studiengangs „Informatik und Angewandte Kognitionswissen- 2 Vgl. Projekt Gender-Chancen Angewandte Kognitions- und Medien- schaft“ in der Fakultät für Ingenieurwissenschaf- des Fraunhofer Instituts: www. genderchancen.de. wissenschaften ten am Campus Duisburg. Durch die Organisation des Bachelorstudiums, das eine enge An- und Ein- 3 Vgl. Beschreibung des Studi- engangs unter www.uni-due. Der im Jahr 2008 von der ASIIN e.V. als In- bindung der Studierenden durch die sogenannten de/komedia. formatikstudiengang des Typs 3 akkreditierte Praxisprojekte in den Kernfächern Informatik und

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Psychologie vorsieht, wird bereits früh die selb- tete Befragung wurde im April und Mai 2011 ständige, konstruktive Auseinandersetzung mit durchgeführt und basiert auf den Antworten von Fragestellungen der beiden Fächer gefördert. In 244 Studierenden aus verschiedenen Kohorten. Teamarbeit wird ein gemeinsames Produkt entwi- ckelt wie z. B. die Entwicklung und Programmie- Befragung zur Situation der Studieren- rung eines Serious Games (z. B. zur Förderung des den – Methodisches Vorgehen Selbstmanagements bei Diabeteskranken). Eine ähnliche Idee verfolgen studentische For- Zur Erfassung der Situation der Studentinnen und schungsprojekte im Masterstudiengang. Im Studenten wurde ein umfangreicher Fragebogen Rahmen der gewählten Vertiefungsrichtung (In- entworfen, der an die Studierenden des Bache- formatik oder Psychologie) werden die Studie- lor- und Masterstudiums in verschiedenen Ver- renden forschend tätig. Durch die thematische anstaltungen verteilt wurde. Die Beantwortung Ausrichtung und Kooperation der betreuenden des Fragebogens dauerte ca. 15 Minuten. Erfasst Lehrstühle sind die behandelten Themen oft eine wurden neben Alter, Geschlecht, und Familien- Verbindung aus beiden Bereichen. So wurden in stand weitere Informationen zur Situation der den vergangenen Semestern zahlreiche Projekte Personen (z. B. BAföG-Berechtigung, Pendlersta- (auch) im Psychologie-Schwerpunkt abgeschlos- tus, Migrationshintergrund, Bildungshintergrund sen, die sich mit der Wahrnehmung von Robotern der Familie). Im Fokus standen Motive zur Studi- und virtuellen Agenten und damit mit einem In- enwahl, etwaige Ängste und Bedenken sowie die formatik-nahen Aspekt befassten. Die im Studium Präferenz für bestimmte Fächer im Studium. Wei- vermittelten Methoden wie Motion Capturing, terhin wurde die Akzeptanz durch Kommiliton/ Computeranimation von virtuellen Figuren und inn/en und Lehrende, die Verfügbarkeit von Rol- Eye-Tracking werden sowohl für informatische lenvorbildern, die Identifikation mit den Inhalten als auch für psychologische Arbeiten eingesetzt. und die Einschätzung der Beschäftigungsaussich- In Informatik-(Abschluss-)Arbeiten werden selbst ten thematisiert. Außerdem ging der Fragebogen programmierte Spiele oder Konzepte durch eine auf Diskriminierung innerhalb und außerhalb des psychologische Evaluation validiert. Als Beispiele Studiengangs ein, wie Reaktionen von Kommilito- für Abschlussarbeiten, die zwar im Schwerpunkt nen und Lehrenden auf Frauen im Informatikstu- Psychologie angesiedelt sind, sich aber Methoden dium sowie Reaktionen des außer-universitären der Informatik bedienen, können vor allem solche sozialen Umfelds. Abschließend wurde die Frage Arbeiten genannt werden, die sich mit der Erfor- gestellt, ob sie den Studiengang weiterempfehlen schung (kontrolliert manipulierbaren) nonverba- würden. len Verhaltens beschäftigen. Unter anderem wur- de in diesem Zusammenhang mit Hilfe von durch Kurzüberblick über die Ergebnisse Motion Capturing erstellten virtuellen Figuren die Wirkung des nonverbalen Verhaltens von Frauen Stichprobe in Führungspositionen erforscht (Tetzlaff 2010). Andere interessante Querschnittsthemen sind Insgesamt füllten 244 Studentinnen und Stu- der Vergleich von Robotern und virtuellen Figu- denten den Fragebogen aus (158 davon Frauen, ren, die darauf abzielen, die Interaktion zwischen 1 ohne Angabe des Geschlechts). Dabei studiert Mensch und Roboter bzw. Computer in Zukunft die Mehrheit im Bachelorstudiengang (N= 216, für den Menschen attraktiver zu gestalten (vgl. z. 140 Frauen), 26 sind Masterstudierende (18 da- B. Hoffmann 2010). von Frauen). Das mittlere Alter liegt bei etwa 22 Wie deutlich wird, wird Informatik hier vor al- Jahren. lem als Wissenschaftsbereich verstanden, der einerseits (innovative) Methoden bereithält Lebenssituation der Studierenden zur (optimierten) Untersuchung und Erklärung menschlichen Verhaltens, sowie andererseits Weniger als 1 % der befragten Personen ist ver- zukunftsgerichtet die Lebensbedingungen in heiratet und 46 % der männlichen und 61 % unserer hochtechnisierten Welt angenehmer zu der weiblichen Studenten befinden sich in einer gestalten. Diese eher praktische und lebensnahe festen Partnerschaft. Kinder haben unter 2 % der Anwendung informatischen Wissens in Kopplung Befragten. Studierende, die zur Uni pendeln, ma- mit psychologischen Inhalten und Methoden chen 57 % der Befragten aus, BAföG beziehen ca. könnte ein Grund für den hohen Frauenanteil sein. 38 % der Männer und 43 % der Frauen. In 70 % Konzepte wie der Komedia-Studiengang könnten der Fälle haben die Studierenden Akademiker in ein Weg sein, dem Nachwuchskräftemangel all- der Familie, unabhängig vom Geschlecht. Einen gemein und vor allem dem Frauenmangel in der Migrationshintergrund haben 30 % der Befrag- Informatik zu begegnen. Die nachfolgend berich- ten.

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Die Präferenz für die Wahl der Vertiefungsrichtung können und dass die Arbeit in interdisziplinären im Master ist zwischen den befragten Männern Teams gefördert wird. und Frauen etwa gleich verteilt: 55 % der Frauen wählen die Vertiefungsrichtung Psychologie und Fächerpräferenzen und Zufriedenheit mit der 45 % die Vertiefungsrichtung Informatik. Bei den eigenen Leistung an der Befragung teilnehmenden Männern stu- dieren 57 % den Master mit dem Schwerpunkt Im Gegensatz zu den männlichen Studierenden Psychologie und 43 % mit dem Schwerpunkt In- sind unter den weiblichen Studierenden vor allem formatik. die Fächer Psychologie, Kunst und andere (z. B. Sprachen) beliebt. Männer dagegen präferieren Motive für die Wahl des Studienfachs eher Informatik. Entsprechend sind Frauen zufrie- dener mit ihren Noten in Psychologie als Männer. Besonders wichtige Motive für die Studentinnen Neben der durchschnittlichen höheren Beliebt- (wie auch die Studenten) hinsichtlich der Studien- heit der Informatik bei den Männern sind diese wahl sind vor allem die Inhalte und die Entspre- auch zufriedener als Frauen mit ihren Noten in chung der Inhalte mit persönlichen Interessen. der Informatik und empfinden es als leichter, in Auch die Interdisziplinarität wird als wichtiges diesem Bereich eine gute Note zu erreichen. Motiv für die Wahl des Studiengangs angegeben, gefolgt von den Aussichten am Arbeitsmarkt und Betreuung und Zukunftsperspektiven dem Spaß am Studium. Deutlich wichtiger als den männlichen Studierenden ist den Studentinnen, Rollenvorbilder werden insgesamt im Schnitt auf nette, interessante Menschen zu treffen. Auch eher in der Psychologie als in der Informatik die gesellschaftliche Relevanz des Studienfachs gefunden. Frauen geben im Mittel jedoch höhe- ist den Studentinnen im Mittel etwas wichtiger re Werte hinsichtlich der Rollenvorbilder in der als den männlichen Kommilitonen. Der Studienort Psychologie an, Männer in der Informatik. Frau- hingegen war als Motiv bei der Studienwahl für en schätzen den Psychologie-Anteil im Hinblick beide weniger von Bedeutung. auf die Berufsaussichten wichtiger ein als Män- ner. Umgekehrt finden männliche Studenten den Ängste und Bedenken Informatik-Anteil durchschnittlich bedeutender. Ansprechpartner finden die Studierenden beider Generell wenige Bedenken der Studierenden Geschlechter vor allem in der Psychologie, gefolgt beziehen sich auf die Befürchtung, dass das Stu- von der Informatik, eher nicht in der BWL. Ihren dium langweilig oder sinnlos sein könnte. Eher zukünftigen Beruf können sich die befragten Ko- schwach ausgeprägt ist bei den Komedias die medias im Schnitt am ehesten in der Psychologie Angst, keinen Anschluss zu finden oder keine vorstellen, gefolgt von Informatik und Kunst; am Hilfe zu erhalten – bei Studentinnen ein wenig wenigsten wahrscheinlich sehen sie ihre berufli- mehr als bei Studenten. Stärker ausgeprägt, vor che Zukunft in der BWL. Im Vergleich können sich allem bei den Studentinnen, ist die Angst vor Frauen eher als Männer die Bereiche Psychologie Überforderung und die Ungewissheit darüber, und Kunst als Berufszukunft vorstellen, Männer was auf sie zukommt. Im Vergleich zu den Stu- eher die Informatik und BWL. denten fürchten sich Studentinnen sehr viel mehr vor Stress. Erfahrungen „Frauen und MINT“

Akzeptanz und Arbeitsgestaltung Deutlich unterschiedlich sind die Erfahrungen von Männern und Frauen hinsichtlich der Aus- Allgemein fühlen sich die Studentinnen und Stu- sagen in Bezug auf Frauen in technischen Berei- denten von den Professoren, Dozenten und Kom- chen. Frauen stimmen der Aussage eher zu, dass militonen akzeptiert und identifizieren sich mit in der Schulzeit vermittelt wurde, dass Mädchen dem Studiengang. Bei den männlichen Befragten schlechter in MINT-Fächern sind. Männer stim- sind diese Werte im Schnitt ein wenig stärker aus- men im Schnitt stärker der Aussage zu, dass geprägt als bei den Befragungsteilnehmerinnen. Frauen tatsächlich schlechter in der Informatik Eher schwach ausgeprägt sind Gedanken über sind als Männer. Im Durchschnitt stimmen so- einen Abbruch des Studiums – in diesem Zu- wohl Männer als auch Frauen Aussagen nicht sammenhang erreichen Frauen im Schnitt jedoch zu, die sich auf die Erfahrung diskriminierender einen höheren Wert als Männer. Die Studieren- Äußerungen hinsichtlich Frauen und Technik im den, Frauen im Schnitt stärker als Männer, haben Kontext der Universität beziehen. Studentinnen tendenziell eher das Gefühl, dass gute Teamar- und Studenten erhalten in ihrem außeruniversi- beit gefördert wird, dass sie neue Wege gehen tären Umfeld eher positive Reaktionen auf die

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Tatsache, dass bei Komedia viele Frauen Informa- stützen, um diesen etwa die Ängste vor Stress tik studieren. Insgesamt erhalten sie im Schnitt durch das Studium zu nehmen. Maßnahmen für eher wenig schockierte Reaktionen auf den ho- Mächen und Frauen wären etwa der Girls’ Day hen Frauenanteil im Studiengang. Unterschiede für Schülerinnen zwischen 11 und 15 Jahren im Antwortverhalten von Frauen und Männern oder die Sommeruni für ältere Schülerinnen. Au- deuten jedoch darauf hin, dass Frauen durchaus ßerdem ist es wichtig, den (weiblichen) wissen- sensibler auf Äußerungen ihrer Umwelt reagieren schaftlichen Nachwuchs an der Universität zu und sowohl stärker wahrnehmen, dass es posi- fördern, um so mehr Rollenvorbilder in Form von tiv bewertet wird, dass im Komedia-Studiengang Lehrkräften in die Informatik zu bringen. Frauen Informatik studieren, als auch, dass es ne- Eine weitere Motivation für Frauen und Männer, gativ beurteilt wird. ein Studium in diesem Bereich aufzunehmen, wäre es, Berufsbilder, die Psychologie- und In- Weiterempfehlung formatikhintergründe verbinden, bekannter zu machen und den Bedarf zu kommunizieren. In Unabhängig vom Geschlecht würden die Studie- ganz unterschiedlichen Bereichen gibt es Bedarf renden den Studiengang weiterempfehlen und für Experten zur Mensch-Computer-Interaktion, wieder auswählen. der sich allerdings oft nicht in den klassischen Berufen, sondern in den Schnittstellen zwischen Zusammenfassung, Diskussion und diesen findet. Dies ist den meisten SchülerInnen Ausblick und Studierenden allerdings nicht bewusst. In Bezug auf das hier beschriebene Projekt sind Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass noch weitere Schritte geplant, um detailliertere sowohl die Frauen als auch die Männer im Ko- Erkenntnisse zur Situation von Frauen im Infor- media-Studium sehr zufrieden sind. Dies zeigte matikstudium zu erhalten. Neben einer tiefer- sich auch das diesjährige CHE-Ranking4, das auf gehenden Analyse der bisher erhobenen Daten Aussagen von Studierenden des Studiengangs werden aktuell weitere Datenerhebungen konzi- basiert. Befürchtungen, die Schülerinnen im Vor- piert. Ergänzend sollen Leitfadeninterviews und feld bezüglich ihrer Studiengangswahl hatten, Befragungen unter Komedia-Alumni durchge- führten nicht dazu, diesen zu meiden. führt werden. Erstaunlich und zugleich ernüchternd ist vor Das Konzept des Komedia-Studiengangs er- allem der Befund, dass sich stereotype Muster mutigt Frauen, sich für ein Fach mit hohem hinsichtlich der Bevorzugung bestimmter Fächer Informatikanteil einzuschreiben. Nur durch He- (Frauen Psychologie, Männer Informatik) und der ranführung und Erhaltung des Frauenanteils in Selbsteinschätzung in Bezug auf den Leistungs- Informatik-Studiengängen kann zukünftig eine erfolg zeigen. Frauen bleiben offenbar auch in höhere Zahl an weiblichen Nachwuchskräften in einem Studiengangskonzept wie Komedia eher diesem Bereich erzielt werden. Es ist anzuneh- auf Distanz zur Informatik. Offen bleibt eine de- men, dass den Studentinnen, die zufrieden sind taillierte Erfassung tiefergehender Motive für die und den Studiengang weiterempfehlen, eine Wahl (und den Abschluss) dieses Studiengangs, Schlüsselrolle zukommt und sie als Multiplika- während gleichzeitig der Frauenanteil bei reinen toren zum zukünftigen Erfolg des Studiengangs Informatik-Studiengängen immer noch gering und ähnlicher Konzepte beitragen. ist. Um dem Frauenmangel in technisch ausgerich- Referenzen teten Fächern entgegenzutreten, sollte demnach eine Konsequenz sein, sich das Curriculum der - Hoffmann, L. (2010). Follow the white rabbit: Informatik und die spezifische Didaktik anzuse- Ein experimenteller Vergleich zur Wahrneh- hen, um strukturelle Veränderungen vornehmen mung von Robotern und virtuellen Figuren in zu können, die Frauen noch stärker ansprechen. verschiedenen Szenarien. Masterarbeit im Stu- 4 Vgl. www.che-ranking.de. Wichtig sind in diesem Zusammenhang vor al- diengang Angewandte Kognitions- und Medi- lem die Durchbrechung der stereotypischen enwissenschaften, Universität Duisburg-Essen. Kontakt und Information Bevorzugung bestimmter Fächer sowie die Un- - Tetzlaff, L. (2010). Macht der Ausdruck Ein- Prof. Dr. Nicole Krämer Universität Duisburg-Essen terstützung bei der Entwicklung einer positiven druck? Experimentelle Untersuchung zum Ein- Sozialpsychologie – Medien Erfolgseinschätzung. fluss des Geschlechts und dem Gebrauch von und Kommunikation Forsthausweg 2, LE 216 Ein Ziel für das Studienprogramm Komedia wird Gesten auf die Zuschreibung von Führungs- 47057 Duisburg es sein, die Zufriedenheit zu erhalten oder auch kompetenz. Masterarbeit im Studiengang [email protected] www.uni-due.de/ weiter auszubauen. Wie die Ergebnisse zeigen, Angewandte Kognitions- und Medienwissen- sozialpsychologie ist es vor allem wichtig, junge Frauen zu unter- schaften, Universität Duisburg-Essen. Tel.: (0203) 3792482

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Gisela Steins

Gender in der Psychologie

Zur Diskrepanz zwischen Erkenntnisstand und Implementierung in die Fachkultur

Die psychologische Grundlagenforschung hat in gilt. Für diese beiden Fähigkeiten zeigen Hirnstein den letzten Jahrzehnten ein immenses Wissen und Hausmann, dass es die Aktivierung eines ge- zur Psychologie der Geschlechter zusammen- schlechtsspezifischen bedrohlichen Stereotyps ist getragen, und zwar aus allen möglichen psy- (stereotype threat), das unter Laborbedingungen chologischen Perspektiven (Steins 2010). Wie zu erwarteten Leistungsunterschieden führt, die hat sie das geschaffene Wissen für die eigene aber verschwinden, wenn diese Stereotype nicht Fachkultur genutzt? Nach einer kurzen Darstel- aktiviert sind (Hirnstein & Hausmann 2010). Frau- lung zentraler Erkenntnisse der psychologischen en und Männer sind gleicherweise begabt für Geschlechterforschung und genderspezifischer räumliches Vorstellungsvermögen und sind auch berufsbiographischer Muster in der Psychologie gleicherweise verbal geschickt; Unterschiede wer- soll die Implementierung der genderbezogenen den nur für sehr spezifische Leistungstests unter Erkenntnisse in die Fachkultur der Psychologie als spezifischen Bedingungen gefunden. Generell Wissenschaftsdisziplin beschrieben werden. zeigt die psychologische Forschung, dass bislang keine klaren Aussagen darüber getroffen werden Gender: Zentrale Erkenntnisse aus der können, ob geschlechtsspezifische Leistungsun- Psychologie und rund um die Psychologie terschiede einen Hinweis auf unterschiedliche als Handlungsfeld Verarbeitungsmechanismen liefern. Wenn es ge- schlechtsspezifische Unterschiede gibt, dann sind Die Unterschiede zwischen den Geschlechtern sie in der Regel das Produkt aus psychologischen sind klein und statistisch uninteressant. Be- Prozessen (z. B. Selbstwirksamkeit einer Person), trächtlich und statistisch bedeutsam sind die sozialen Faktoren (wie beispielsweise das Stereo- Unterschiede innerhalb der Geschlechtergrup- type threat) und biologischen Prozessen, wobei pen. Mit anderen Worten: Die Varianz innerhalb bis heute unklar ist, wie Sexualhormone die kog- der Frauen und Männer ist so groß, dass es zu nitive Leistung verändern können sollten. starken Überlappungen zwischen den beiden Zusammenfassend kann man sagen, dass die Geschlechtergruppen kommt. Diese Verteilung psychologische Geschlechterforschung, sofern von Beobachtungen und Merkmalen ergibt sich sie differenziert ist, immer wieder zu dem Schluss immer dann, wenn Phänomene differenziert un- kommt, dass es eher die Einstellungen, Werte tersucht werden. Maccoby berichtet diesen gene- und internalisierten Normen sind, die mit Ver- rellen Befund und verweist hier auf statistisch in- haltensweisen zusammenhängen, und weniger signifikante Unterschiede zwischen Männern und die Kategorie Geschlecht als solche. Obwohl die Frauen, wenn man die Ausprägung aller mögli- Geschlechter die gleichen Fähigkeiten haben und chen psychischen Merkmale und Persönlichkeits- so auch über vergleichbares Potenzial verfügen, eigenschaften betrachtet (Maccoby 2000). Lozo schätzen sich Männer und Frauen jedoch syste- kann dies auch für die gesellschaftlich für Frauen matisch unterschiedlich ein. Was in der objekti- besonders erwünschte Eigenschaft „Emotionali- ven Realität an Gleichheit zu finden ist, wird in tät“ feststellen: Differenziert man die Befunde zu der subjektiven Realität der Geschlechterkons- diesem Konstrukt methodisch sauber unter Aus- truktionen nicht abgebildet. schaltung sozialer Erwünschtheitseffekte, dann Schon Kinder wissen und können es genau be- verschwinden die Unterschiede zwischen Män- nennen, was in unserer Gesellschaft von einer ty- nern und Frauen (Lozo 2010). Man kann daraus pischen Frau bzw. einem typischen Mann erwartet schließen, dass bisherige Befunde eher stereoty- wird, und haben dies bereits im Grundschulalter per Unterschiede Artefakte sind. Das gilt auch für internalisiert (Altstötter-Gleich 2004). Dement- weitere Eigenschaften, die normalerweise gesell- sprechend schätzen sie sich auch in geschlechts- schaftlich als geschlechtsspezifisch verteilt gelten, typischen Fähigkeiten, d. h. in Fähigkeiten, zu so z. B. für die Fähigkeit zum räumlichen Vorstel- denen geschlechtsspezifische Leistungsunter- lungsvermögen, die als männlich konnotiert gilt, schiede erwartet und damit konstruiert werden, oder verbale Geschicklichkeit, die als weiblich erwartungskonform ein, sofern sie konventionelle

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Standards übernommen haben (Forsyth 2004). 2001). Horizontal segregiert sind die Geschlech- Bei der Gestaltung dieser subjektiven Realität ter durch die auffallend diskontinuierlich verlau- ist auffällig, dass Jungen sich durchschnittlich fende berufliche Biographiegestaltung der Frau- überschätzen, während Mädchen sich durch- en, die, Familie und Beruf vereinbarend, weitaus schnittlich unterschätzen. Auch bei diesem star- häufiger als ihre männlichen Kollegen den jahre- ken Trend ist zu beachten, dass es natürlich auch langen Ausstieg aus ihren Berufen wählen und andere Muster gibt. Bei Selbstüberschätzung ist dann als Teilzeitkräfte mit vergleichsweise nied- Selbstkritik eher unwahrscheinlich und damit rigerem Einkommen und schlechteren Aufstiegs- auch vermehrte Anstrengung auf einem Gebiet. chancen in psychologischen Handlungsfeldern Bei Selbstunterschätzung ist Selbstkritik möglich arbeiten (Hoff, Dettmer, Grote & Hohner 2002). und damit auch vermehrte Anstrengung, jedoch Aber auch vertikale Segregation finden wir in auch bei ungünstigen Zuschreibungsmustern der Psychologie als Arbeitsmarkt: In den presti- Hilflosigkeit (Smaxwil 2008; Hannover 2010). geträchtigen Feldern arbeiten überproportional Positive Emotionen gehen eher mit Selbstüber- häufig Männer und insgesamt finden wir häufi- schätzungen einher, aber auch Emotionen wie ger Männer in Führungspositionen. Die weibliche Ärger, Wut, Aggression, wenn andere der positi- Wissenschaft Psychologie ist also nicht ganz so ven Einschätzung nicht zustimmen. Aus attributi- weiblich: Ihr Wissen wird hauptsächlich durch onstheoretischer Perspektive ist eine realistische männliche Akteure geschaffen und ihre Hand- Selbsteinschätzung wünschenswert, um sich lungsfelder werden vornehmlich durch männliche angemessen weiterentwickeln zu können, aber Psychologen bestritten. das fällt Jungen wie Mädchen gleicherweise eher Die Psychologie hat interessantes empirisch fun- schwer (Smaxwil 2008). diertes Wissen geschaffen darüber, wie Lehr-Lern- Deswegen erscheint es nur logisch, dass Mäd- prozesse gendergerecht gestaltet werden kön- chen besser in der Schule sind, bessere Noten bei nen. So wissen wir aus der Sprachpsychologie, Studienabschlüssen haben, d. h. in ihrer schuli- dass gendergerechte Sprache nicht nur politisch schen und akademischen Leistung durchschnitt- korrekt ist, sondern durchaus eine wissenschaft- lich ihren männlichen Zeitgenossen überlegen liche Berechtigung hat: In der Tat repräsentieren sind, wie Metaanalysen auf der Basis von Studien wir mental eher das Geschlecht, das auch explizit seit 1924 zeigen (Stainton Rogers & Stainton Ro- genannt wird und vernachlässigen das nicht Ge- gers 2004). Für den weiteren Lebensweg wurde nannte in unserem Denken (Nothbaum & Steins jedoch folgendes paradoxes Phänomen aufge- 2010). Wir wissen auch, dass die Art und Weise deckt: Aus den durchschnittlich erfolgreichen der Inhaltsvermittlung eine entscheidende Rol- Mädchen werden im Durchschnitt auffallend le dafür spielt, ob bei Männern und Frauen ge- häufig junge Frauen, die sich in ihrem berufli- schlechtsspezifische Stereotypen entstehen oder chen Werdegang weniger zutrauen und Berufe nicht. Das minimal-group-Paradigma z. B. ver- wählen bzw. glauben, wählen zu müssen, die ge- deutlicht, dass Menschen dazu neigen, größere sellschaftlich ein geringeres Prestige aufweisen, Gruppen nach einem fast beliebigen Merkmal, was sich in Aufstiegschancen und Einkommen das sichtbar sein muss, in Gruppen einzuteilen niederschlägt. Bei Männern verläuft der berufli- und dann die Unterscheide zwischen diesen che Erfolg proportional zu ihrer Bildungskarriere, Gruppen zu akzentuieren und in der eigenen bei Frauen disproportional. Mädchen haben zwar Gruppe Gemeinsamkeiten herzustellen. Sie kon- die besseren Bildungsabschlüsse, aber Bildung struieren eine soziale Realität, die der objektiven macht sich bei ihnen berufsbiographisch nicht nicht entspricht und handeln dann nach den Ge- bezahlt (Steins 2008). setzen dieser sozialen Realität (Forsyth 2004). So Das ist in der Psychologie genauso wie in ande- kann auch das Stereotyp threat erklärt werden: ren Berufsfeldern zu finden. Die Psychologie gilt Wenn ein geschlechtsspezifisches Stereotyp ak- aufgrund ihres Interesses am Menschen thema- tiviert ist wie z. B. „Frauen haben ein schlechtes tisch als weibliche Wissenschaft (Betz & Fitzge- räumliches Vorstellungsvermögen“, dann ist es rald 1987) und seit den achtziger Jahren ist sie es wahrscheinlich, dass Frauen in entsprechenden auch, was die Anteile der Studierenden angeht; Tests versagen, umgekehrt trifft das auch auf der Anteil der weiblichen Studierenden ist be- männliche Stereotype zu (Männer sind nicht trächtlich gestiegen, steht aber wie in anderen verbal geschickt). In Lehr-Lernkontexten sollten wissenschaftlichen Disziplinen auch in einem deswegen Geschlechtsstereotype nicht aktiviert auffallenden Missverhältnis zum Anteil der Ha- werden. So ist Genderkompetenz nicht eine poli- bilitationen und Professuren (Billmann-Mahecha tisch korrekte Worthülse, sondern eine notwendi- 2010). Auch außerhalb der Forschung ergeben ge Kompetenz aller Lehrenden, denn sie enthält sich geschlechtssegregierte Arbeitsverhältnisse auch die empirisch berechtigte Aufforderung an in der Psychologie (Grote, Hoff, Wahl & Hohner Lehrende, die eigenen Stereotype zu hinterfragen

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und sie nicht bei anderen zu aktivieren. Auch Mo- Fazit noedukation ist vor dem Hintergrund der Ergeb- nisse zu dieser Forschung kritisch zu betrachten: Die wissenschaftliche Psychologie hat eine Men- Sie kann nur dann gewinnbringend für die betei- ge zu sagen zur Entwicklung einer geschlechts- ligten Lernenden sein, wenn die Lehrumgebung spezifischen Identität und sehr gute Techniken frei von Geschlechterstereotypen ist (Hirnstein & entwickelt, welche die Selbstwirksamkeit eines Hausmann 2010). Ein letzter Punkt, den wir als Individuums stärken, die schon vielen Jungen gesichert gelten lassen können für gendergerech- und Mädchen zu Gute gekommen sind (Tollef- te Lehre, besonders in der Welt der Erwachsenen: son 2000; Ziegler & Heller 1998). Sie weiß, wie Gelernt und gelehrt werden kann dort am bes- wichtig es ist, dass Individuen sich realistisch ten, wo auch familienfreundliche Rahmenbedin- einschätzen können und Selbstwirksamkeit ent- gungen herrschen (Halpern 2008; Steins 2004). wickeln. Bei der Ausbildung ihres eigenen Nach- Sonst wird Bildung, besonders in der zweiten So- wuchses verzichtet sie auf die Anwendung dieses zialisationsphase, immer mehr zu einem Gut für Wissens. Dies ist ein Missstand, der zu vielen For- kinderlose Menschen und geht somit der Gesell- schungsfragen Anlass gibt: Warum existiert diese schaft, die durch eine nachwachsende Generati- Diskrepanz zwischen Wissen und Implementie- on lebt, stetig verloren. rung in die Fachkultur? Wie kann die Diskrepanz überwunden werden? Würden Studierende der Implementierung der Erkenntnisse in die Psychologie von Gender als curricular verpflich- Fachkultur tendem Baustein in ihrer berufsbiographischen Gestaltung profitieren? Wie sieht es mit anderen Psychologische Fachinhalte sind nicht frei von Fächern aus? Konkreter gefragt: Wird eine Stu- Geschlechterstereotypen. Besonders soziobiolo- dentin, die sich differenziert mit Gender beschäf- gische Inhalte, die seit den achtziger Jahren im- tigt hat und so mit Realitätskonstruktionen und mer stärker in der Psychologie Fuß gefasst haben, individueller Freiheit, später eine asymmetrische transportieren häufig unkritisch kommentiert Beziehung zu einem Partner hinnehmen und da- traditionelle geschlechtsspezifische Inhalte. Trotz mit ökonomische Beschränkungen sowie solche aller berechtigten Kritik an den empirischen Me- ihrer eigenen beruflichen Weiterentwicklung? thoden der Soziobiologie wird diese als wichtige Meine Hypothese: Nein! Wird ein Student nach Theorie in nahezu alle psychologischen Teildiszi- einer differenzierten Beschäftigung mit psycho- plinen transportiert (Stainton Rogers & Stainton logischer Genderforschung seine traditionellen Rogers 2004). Maskulinitätsvorstellungen behalten? Meine Hy- Auch ist es möglich, Psychologie zu studieren, pothese: Nein! ohne sich jemals mit Genderforschung ausein- andergesetzt zu haben. Gender als Thema ist im Literatur Psychologiestudium nicht curricular verankert; an der Soziobiologie kommt man jedoch nicht - Altstötter-Gleich, Christine (2004): Expressivi- vorbei. Noch gibt es keine Forschung dazu, wie tät, Instrumentalität und psychische Gesund- soziobiologische Inhalte bei den Studierenden heit. Ein Beitrag zur Validierung einer Skala rezipiert werden. Eigentlich müssten sie nach zur Erfassung des geschlechtsrollenbezogenen psychologischem Erkenntnisstand Geschlechter- Selbstkonzepts. In: Zeitschrift für Differentielle stereotype aktivieren und damit die bekannten und Diagnostische Psychologie, 25, 123–139. Fähigkeitseinschätzungen bei Männern und - Betz, Nancy E. & Fitzgerald, Louise F. (1987): Frauen auslösen. Das ist besonders im Fach Psy- The career psychology of women. Orlando, Flo- chologie tragisch, denn Statistik und Mathematik rida, Academic Press. ist für die Psychologie als Wissenschaft wichtig - Billmann-Mahecha, Elfriede (2010): Die Be- (Hannover & Rau 2010). teiligung von Frauen an der Entwicklung der Die Psychologie setzt in ihrer Lehre also einen wissenschaftlichen Psychologie – ein histori- großen Teil ihres eigenen Wissens nicht um, in- scher Rückblick. In: Steins, Gisela (Hrsg.): Hand- sofern sie selber Geschlechtsstereotype sowohl buch Psychologie und Geschlechterforschung. transportiert als auch aktiviert. Dies auch noch in Wiesbaden, Verlag für Sozialwissenschaften, sexistischer Schreibweise: Die meisten Lehrwerke, S. 395–408. auch hochschuldidaktische Lehrwerke, verzich- - Grote, Stefanie, Hoff, Ernst-H., Wahl, Anja & ten zugunsten ästhetischer Argumente auf eine Hohner, Hans-Uwe (2001): Unterschiedliche gendergerechte Sprache. Dazu kommt: In keinem Berufsverläufe, Berufserfolg und Lebensbedin- hochschul- oder schuldidaktischen Werk wird ex- gungen von Frauen und Männern in zwei hoch- plizit auf das Thema Gender eingegangen (Steins qualifizierten Berufen. In: Hildebrand-Nilshon, 2011). Martin, Hoff, Ernst-H. & Hohner, Hans-Uwe

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(Hrsg.): Berichte aus dem Bereich „Arbeit und schlechter. Stuttgart: Klett-Cotta. Entwicklung“ am Institut für Arbeits-, Organi- - Nothbaum, Norbert & Steins, Gisela (2010): sations- und Gesundheitspsychologie an der FU Nicht sexistischer Sprachgebrauch. In Steins, Berlin, Nr. 16. Gisela (Hrsg.): Handbuch Psychologie und Ge- - Halpern, Diane F. (2008): Nurturing careers in schlechterforschung. Wiesbaden: Verlag für So- Psychology: Combining work and family. In: zialwissenschaften, S. 409–415. Educational Psychology Review, 20, 57–64. - Smaxwil, Julia (2008): Geschlechtsspezifi- - Hannover, Bettina (2010): Sozialpsycholo- sche Lern- und Motivationsprozesse – Lernen gie und Geschlecht: Die Entstehung von Ge- Mädchen anders als Jungen?. In Steins, Gisela schlechtsunterschieden aus der Sicht der Selbst- (Hrsg.): Geschlechterstereotype in der Schule psychologie. In Steins, Gisela (Hrsg.): Handbuch – Realität oder Mythos? Anregungen aus und Psychologie und Geschlechterforschung. Wies- für die schulische Praxis. Berlin, Pabst Science baden, Verlag für Sozialwissenschaften, 27–42. Publishers, 42–63. - Hannover, Bettina & Rau, Melanie (2010): Ge- - Stainton Rogers, Wendy & Stainton Rogers, Rex schlechtergerechte Instruktion am Beispiel der (2004): The Psychology of Gender and Sexuali- Statistik-Lehre im Psychologiestudium. In Spie, ty. Oxford, Open University Press. Christiane, Schober, Barbara, Wagner, Petra, & - Steins, Gisela (2004): Arbeitsplatz Universität. Reimann, Ralph (Hrsg.): Bildungspsychologie. Grundhaltungen gegenüber jungen Wissen- Göttingen, Hogrefe, S. 406–409. schaftlerinnen und ihre Konsequenzen. In: For- - Hirnstein, Marco & Hausmann, Markus (2010): schung & Lehre, 8, 440–441 Kognitive Geschlechtsunterschiede. In Steins, - Steins, Gisela (2008): Identitätsentwicklung. Gisela (Hrsg.): Handbuch Psychologie und Ge- Lengerich: Pabst Science Publishers. schlechterforschung. Wiesbaden, Verlag für So- - Steins, Gisela (2010): Handbuch Psychologie zialwissenschaften, 69–86. und Geschlechterforschung. Wiesbaden, Verlag - Hoff, Ernst-H., Dettmer, Susanne, Grote, Stefa- für Sozialwissenschaften. nie & Hohner, Hans-Uwe (2002): Formen der - Steins, Gisela (2011): Geschlechterforschung beruflichen und privaten Lebensgestaltung. In: und Psychologie als Wissenschaftsdisziplin. In Hildebrand-Nilshon, Martin, Hoff, Ernst.-H. & Kampshoff, Marita & Wiepcke, Claudia (Hrsg.), Hohner, Hans-Uwe (Hrsg.), Berichte aus dem Handbuch Geschlechterforschung und Fach- Bereich „Arbeit und Entwicklung“ am Institut didaktik. Wiesbaden, Verlag für Sozialwissen- für Arbeits-, Organisations- und Gesundheits- schaften (im Druck). psychologie an der FU Berlin, Nr. 17. - Tollefson, Nona (2000): Classroom applications - Lozo, Ljubica (2010): Emotionen der Geschlech- of cognitive theories of motivation. In: Educa- ter: Ein fühlbarer Unterschied? In Steins, Gisela tional Psychology Review, 12, 63–83. (Hrsg.): Handbuch Psychologie und Geschlech- - Ziegler, Albert & Heller, Kurt A. (1998): Moti- terforschung. Wiesbaden, Verlag für Sozialwis- vationsförderung mit Hilfe eines Reattributi- Kontakt und Information senschaften, S. 43–54. onstrainings. In: Psychologie in Erziehung und Prof. Dr. Gisela Stein - Maccoby, Eleanor (2000): Psychologie der Ge- Unterricht, 44, 216–229. [email protected]

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Magdalena Zomerfeld

Mitmachen und Nachmachen! Gendersensible Projekte für Schülerinnen und Schüler an der Ruhr-Universität Bochum

1 Ausgangslage und Handlungsbedarf Um dieser Ausgangslage zu begegnen und das Potenzial der Studienbewerber/innen bestmög- Ähnlich wie im Bundesdurchschnitt lässt sich eine lich zu nutzen, bietet die Ruhr-Universität Bo- ungleiche Verteilung der Geschlechter innerhalb chum gendersensible Beratungsangebote, Infor- der Bochumer Studierendenschaft in bestimmten mationsbroschüren und Workshops an. Fakultäten beobachten. In dem Verständnis, dass sowohl individuelle als auch kulturelle und gesellschaftliche Faktoren die Psychologie WiSe 2010/2011 (n=784) Studienwahl junger Frauen und Männer beein- flussen, entwickelt die Ruhr-Uni vielfältige Pro- jektlinien, um Studieninteressierte jenseits von Geschlechterstereotypen zu informieren. Unter dem Projekttitel „MINT – Schülerinnenprojekte in Mathematik, Ingenieurwissenschaften, Naturwis- senschaften und Technik“ werden Schülerinnen adressiert. Der Titel „JIP“ steht für „Jungs in Pro- jekten“ und beinhaltet verschiedene Angebote, in denen männliche Schüler gesellschaftswissen- schaftliche und sprachwissenschaftliche Fakultä- Philologie WiSe 2010/2011 (n=5931) ten kennenlernen können. Im Fokus der beiden geschlechtersensiblen Pro- jekte stehen zwei Aspekte: 1. MINT- und JIP-Projekte bieten Rollenvorbilder und Identifikationsschablonen, die Jugendlichen mehr Orientierung ermöglichen. Sowohl Infor- mationsbroschüren, die erfolgreiche Akademi- kerinnen und Akademiker in „geschlechterunty- pischen“ Berufsfeldern vorstellen, als auch der persönliche Kontakt zwischen Schülerinnen und Schülern und studentischen Mentorinnen und Elektro- und Informationstechnik WiSe 2010/2011 (n=1793) Mentoren stehen im Zentrum der Projekte. Aus der Beratungsperspektive wird Hilfe bei der Stu- dienorientierung geboten. Aufgrund der Vielfalt der (Aus-)Bildungsmöglichkeiten, der raschen Veränderungen am Arbeitsmarkt und der Erosi- on standardisierter Lebensverläufe nehmen Ori- entierungsschwierigkeiten junger Erwachsener im Übergang von der Schule zum Studium und Beruf zu (Oechsle (2009), S. 13ff.). Parallel zum Strukturwandel des Arbeitsmarktes verändern sich Muster der Lebensführung und traditionelle Physik und Astronomie WiSe 2010/2011 (n=551) Erwerbsbiographien weichen auf. Standardisierte und institutionalisierte Lebensverläufe werden zugunsten diskontinuierlicher Lebensgestaltung abgelöst, was den Akteuren vermehrt eine ak- tive und engagierte Selbststeuerung abverlangt (ebd., S. 14). Diese Prozesse betreffen insbeson- dere die Jugendlichen in der Übergangsphase zum Erwachsenenalter (vgl. auch Hurrelmann (2003)). Neben der zunehmenden Komplexität

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des Arbeitslebens entwickeln junge Erwachsene sucht werden, deren Leistungen faktisch auf dem selbst immer anspruchsvollere Anforderungen Niveau der Jungen liegen. Zudem können sich an die berufliche Tätigkeit. Ihre Werthaltungen Schülerinnen, die ein sehr gutes Selbstkonzept in sind insofern vielschichtiger, als dass sie mate- Physik besitzen, nicht vorstellen, einen Beruf zu rielle sowie auch postmaterielle Orientierungen ergreifen, der mit dem Fach im Zusammenhang bei der Studien- und Berufswahl berücksichtigen steht. Schülerinnen, die schlechte Leistungen er- (Oechsle (2009), S. 16). Berufsorientierungspro- bringen, führen diese Misserfolge auf mangelnde zesse sind stark gekoppelt an die Lebensplanung Fähigkeiten zurück, während Jungen Misserfolge insbesondere der jungen Frauen, aber zuneh- mit mangelnder Vorbereitung und Anstrengung mend auch an die Lebens- und Familienplanung attribuieren. der jungen Männer. Diese Prozesse fallen zeitlich Parallel zu diesen Ergebnissen wird ein sinken- zusammen mit der Phase der Spätadoleszenz, in des Selbstkonzept und Interesse von Jungen im der die Jugendlichen sich ganz zentral mit der Deutschunterricht beschrieben (Budde (2008), Entwicklung ihrer persönlichen Werte und Ziele S. 19ff). Diese Entwicklung verschärft sich von der auseinandersetzen und wenig Erfahrung haben Primarstufe bis hin zum Sekundarbereich. Jungen mit ihrer Selbstwahrnehmung und -definition. haben weniger Freude am Deutschunterricht und Dieser Umstand verlangt eine institutionelle Hil- lesen weniger häufig in ihrer Freizeit. Zudem festellung und Anleitung der Jugendlichen bei der kommt die Textauswahl eher den Leseinteres- Erkundung persönlicher und struktureller Poten- sen der Mädchen entgegen. Textgenres, für die ziale (ebd., S. 16f.). sich Jungen stark begeistern, wie beispielsweise 2. Gendersensible Projekte eröffnen Jugendlichen Comics und Bauanleitungen, werden wenig im Handlungsspielräume und Erfahrungsräume, um Unterricht eingesetzt. „Das negative Selbstkon- sie in der Herausbildung einer Geschlechtsiden- zept korrespondiert mit der Erwartungshaltung tität zu unterstützen. Die Heranwachsenden be- von Lehrkräften. Dies hat teilweise gravierende kommen die Chance, die Erfahrung zu machen, Folgen, denn die Unterstellung schlechterer Leis- dass ihre Fähigkeiten und ihr Wissen nicht ge- tungen und geringerer Motivation überschneidet schlechtergebunden sind, und sie erleben sich als sich mit der Tatsache, dass Jungen bei gleicher aktiv und kompetent. Anknüpfend an die häufig Kompetenz tendenziell schlechtere Noten erhal- beobachteten geschlechtsspezifischen Unter- ten als Mädchen. Auch Eltern schätzen Jungen schiede bei der Studien- und Berufswahl wurden schlechter und vor allem unmotivierter ein als zahlreiche Untersuchungen durchgeführt, um Mädchen, auch wenn beide über das gleiche Ursachen für diese zu finden. Im Zusammenhang Kompetenzniveau verfügen (vgl. Bos u. a. 2003). mit Schulleitungsstudien, Psychologischen Studi- So entwickelt sich ein Zirkelschluss aus negativer en und Sozialisationsstudien werden Unterschie- Selbst- und Fremdzuschreibung, der in der Sekun- de des Selbstkonzepts bezogen auf die eigene darstufe I die oben beschriebenen Auswirkungen Einschätzung der Begabung und Leistung der zeigt.“ (ebd., S. 20) Schülerinnen und Schüler festgestellt (Lojewski (2011), S. 288ff). Das Selbstkonzept beinhaltet 2 Gendersensible Projekte an der RUB: das Zutrauen eigener Begabungen und Leistun- Ziele und Wege gen und beeinflusst die Leistungsbereitschaft und somit künftige Leistungen. Das Interesse Maßgeblich im Schulalter entwickeln Mädchen von Jungen an Naturwissenschaften und Technik und Jungen eine Geschlechterrolle und entde- wird von ihnen eher als von Mädchen erwartet cken ihre Neigungen und Interessen. Sowohl und die Jungen verhalten sich der erwarteten Ge- symbolische Stereotype als auch die schulische schlechtsstereotypen entsprechend. Dieses dar- Sozialisation stellen entscheidende Weichen für aus wachsende Interesse an naturwissenschaft- Geschlechterdualität und tragen zu geschlechts- lich-technischen Fragestellungen wird bei Jungen spezifischen Berufsverläufen bei. Innerhalb der stärker gefördert, was ebenfalls dazu führt, dass gendersensiblen Projekte der Ruhr-Universität sie sich selbst als kompetent in diesem Bereich Bochum erhalten Schülerinnen und Schüler die einschätzen. Mädchen sind einer Inkonsistenz Chance, ihnen bisher unbekannte Fächer zu zwischen Geschlechterstereotypen und Interes- erkunden. Sie lernen in einer Gruppe Gleichge- sen ausgesetzt, was zu einem eher schwächeren sinnter eigene Stärken besser kennen und finden Selbstkonzept im naturwissenschaftlich-tech- jenseits von tradierten Rollenvorstellungen eine nischen Bereich führt (Stürzer (2003), S. 115). Bestätigung ihrer Interessen. Zudem werden Die Selbsteinschätzung von Mädchen hinsicht- „geschlechteruntypische“ Rollenvorbilder ange- lich ihrer Fähigkeiten im Physikunterricht nimmt boten, um Jugendlichen vielfältige Studien- und von der siebten bis zur zehnten Jahrgangsstufe Berufsbereiche und damit verbundene Lebens- deutlich ab, auch wenn die Schülerinnen unter- perspektiven zu eröffnen.

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2002 startete das Gleichstellungsbüro der RUB Die Ziele beider Projektlinien sind vielfältig ge- die Koordination der MINT-Projekte. Zentral für lagert. Eine Zielsetzung der MINT-Projekte ist es, diese Projekte waren verschiedene Maßnahmen naturwissenschaftlich interessierte Schülerinnen zur Orientierung bei der Studienwahl und Mit- zu fördern und für die Wissenschaft zu begeistern. machaktionen für Schülerinnen in den natur- und Im Rahmen der JIP-Projekte verfolgt die RUB das ingenieurwissenschaftlichen Fakultäten. Seit dem Ziel, jungen Männern ein Bild von Fächern wie Jahr 2009 ist die Koordination der MINT-Projekte beispielsweise Erziehungswissenschaft oder Psy- im Dezernat 2 „Studierendenservice und Interna- chologie zu zeigen und sie für die geisteswissen- tional Office“ angesiedelt, was dem Selbstver- schaftliche Forschung zu gewinnen. ständnis Rechnung trägt, Gleichstellungsarbeit Zielsetzung von MINT und JIP ist auch, Hilfe- als Querschnittsaufgabe der Hochschule wahr- stellung und Orientierung zu bieten durch eine zunehmen. Im Jahr 2010 wurden die JIP-Projekte fundierte Studienberatung und erste Zugänge realisiert, um als Pedant zu MINT auch Jungen zu universitärer Lehre. Insbesondere beim Girls’ den Zugang zu einer reflektierten Studien- und Day/Boys’ Day und beim Sommerprojekt wird Berufswahl zu eröffnen. MINT und JIP sind Teil der ein Feld geboten, auf dem sich die Teilnehmerin- „Jungen Uni“, die alle Schulprojekte bündelt, die nen und Teilnehmer einbringen, ihre Fähigkeiten an der RUB angeboten werden (www.ruhr-uni- und Interessen in Workshops und Seminaren bochum.de/jungeuni). erproben können und damit die Möglichkeit be- Durch ein Team in der Abteilung Campus Service kommen, ihre Leistungen zu reflektieren. Auch der Ruhr-Universität Bochum koordiniert, werden eine begründete Entscheidung der Jugendlichen MINT- und JIP-Projekte mit großem Engagement gegen ein bestimmtes Studienfach auf der Basis der Fakultäten und den Alfried Krupp-Schüler- der Teilnahme an diesen Projekten kann als Ziel labors durchgeführt. Es werden im Rahmen des betrachtet werden, um so Studienfachwechsel Girls’ Days/Boys’ Days und dem Sommerprojekt oder gar -Abbruch zu vermeiden. Zudem ist es Workshops, Seminare und Vorlesungen für Schü- eine weitere Zielsetzung der Projekte, die Identi- lerinnen und Schüler der Sekundarstufe I und fikation mit Rollenvorbildern zu ermöglichen und Sekundarstufe II angeboten. Innerhalb der MINT gendersensible Berufsrollen vorzustellen. Flan- Schülerinnenprojekte werden Angebote derzeit kiert werden diese beiden Projektlinien durch die beim Girls’ Day und beim „Sommerprojekt“ in Hilfestellung der Studienberater/innen und Tutor/ den NRW-Sommerferien an der RUB durchge- innen aus den Fakultäten, die Informationen über führt. Der Titel „JIP“ steht für „Jungs in Projekten“ Studieninhalte und Berufsperspektiven liefern. und beinhaltet verschiedene Angebote, in denen Durch die Betreuung studentischer Mentor/innen männliche Schüler gesellschaftswissenschaftliche in den Workshops wird eine Identifikationsschab- und sprachwissenschaftliche Fakultäten kennen- lone angeboten. Auf der Grundlage der Erfahrung lernen können. Beim Boys’ Day haben Schüler der Studierenden lernen die Teilnehmenden, wie die Möglichkeit, an geisteswissenschaftlichen und unterschiedlich die individuellen Studienfachent- lebenswissenschaftlichen Workshops teilzuneh- scheidungen sind und wie Orientierungsprozesse men. Zudem wurden die Broschüren „Vorbilder“ erfolgreich bewältigt werden können. Zudem ist für Schülerinnen und Schüler herausgegeben, die es das Ziel der Projekte, vorhandene Interessen erfolgreiche Frauen und Männer in „untypischen“ der Teilnehmenden zu stärken und sie durch die Berufsbereichen porträtieren. Im Rahmen beider fachliche und persönliche Unterstützung zu ermu- Projektlinien werden in den jeweiligen Fakultä- tigen, die Möglichkeit einer eher geschlechterol- ten die Altersgruppe angepasste Veranstaltungen lendiskongruenten Studienwahl gedanklich und konzipiert. Seminare, Vorlesungen und Experi- praktisch zuzulassen. mente geben einen Einblick in die universitäre Neben der individuell konnotierten Förderung ver- Lehre und ermöglichen ein erstes „Schnuppern“ folgen die Projekte für die Hochschulorganisation in den universitären Alltag. Die Veranstaltungen strategisch relevante Ziele. Der Anteil weiblicher sprechen die Schülerinnen und Schüler auch da- Studierender sowie der weiblichen Absolventen in durch an, dass sie handlungsorientiert gestaltet den MINT-Fakultäten soll erhöht werden, wodurch sind. Die Aktivität der Schülerinnen und Schüler das Niveau der Studierendenschaft seinem Poten- wird durch die Aufgabenstellung, die Auswahl des zial entsprechend gesteigert werden kann. Auch Untersuchungsthemas und den Versuchsaufbau die Anzahl der männlichen Studierendenschaft gefordert und ihre Lernprozesse werden durch die in den Fakultäten wie Philologie, Psychologie eigene Beteiligung gelenkt. Durch ihre Tätigkeit und Medizin eröffnet Steigerungspotenzial. Eine lernen die Schülerinnen und Schüler komplexe gute Passung individueller Interessen und Stärken Zusammenhänge kennen und erhalten einen Ein- mit den fachlichen Anforderungen eines Studien- blick in Lehre und Forschung der Ruhr-Universität gangs liegt sowohl im Interesse der Hochschule Bochum. als auch im Interesse der Studieninteressierten.

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3 Rückmeldungen der Teilnehmenden - „Ich fand es super, dass Studierende und Pro- fessoren der RUB sich unseren Fragen stellen.“ Im Anschluss an die Projekte werden Zufrie- - „Der heutige Tag hat mir sehr gut gefallen und denheitsbefragungen unter den Teilnehmenden ich habe vor, auch im nächsten Jahr an einem durchgeführt, indem sie ihre Einschätzung ano- Schulprojekt der RUB teilzunehmen.“ nym in Fragebögen eintragen können. Neben - „Ich fand die praktischen Einsatzmöglichkeiten geschlossenen Fragen werden offene Fragen in dem Fachbereich sehr interessant.“ gestellt, um Lob und Kritik zu erfassen. Die Re- Teilnehmerinnenbefragung beim Sommerprojekt 2011, sonanz der Teilnehmenden bei den Projekten ist es liegen 32 erfasste Fragebögen vor. „Wie hat Ihnen das sehr positiv. Sie geben an, dass sie die Schulpro- Schulprojekt gefallen?“ jekte weiterempfehlen können und dass ihnen die einzelnen Workshops gefallen haben. Die meisten Jugendlichen geben zudem an, dass sie sich vorstellen können, an der RUB zu studieren. Exemplarisch werden im Folgenden einige Ergeb- nisse der Teilnehmendenbefragung aus dem Jahr 2011 vorgestellt.

Teilnehmendenbefragung Girls’ Day/Boys’ Day 2011, es lagen 563 erfasste Fragebögen vor. „Würdest Du anderen Jugendlichen empfehlen, auch an einem Schulprojekt der RUB teilzunehmen?“ Teilnehmerinnenbefragung beim Sommerprojekt 2011, es liegen 32 erfasste Fragebögen vor. „Können Sie sich vorstel- len, später an der RUB zu studieren?“

Teilnehmendenbefragung Girls’ Day/Boys’ Day 2011, es Zitate der Teilnehmerinnen im offenen Feld lagen 563 erfasste Fragebögen vor. „Könntest Du Dir vorstellen, später an der RUB zu studieren? „Hier ist Platz für Lob und Kritik“, Teilneh- merinnenbefragung Sommerprojekt 2011:

- „Es hat Spaß gemacht und die Mentorinnen und Veranstalter waren super freundlich, nett und motiviert.“ - „In manchen Projekten haben wir sogar schwieriges Neues gelernt … Super!“ - „Ich war in dieser Woche das erste Mal an der RUB und es hat mir viel Spaß gemacht. Die Workshops waren echt klasse, haben ebenfalls Spaß gemacht und mir einen guten Einblick in Zitate der Teilnehmenden im offenen Feld „Hier das Fach gegeben. Ich freue mich schon aufs ist Platz für Lob und Kritik“, Teilnehmendenbe- nächste Jahr. Ach, und vielen Dank an die Men- fragung Girls’ Day/Boys’ Day 2011: torinnen, ihr ward klasse!.“ - „Die Sommerprojektwoche hat mir sehr gut - „Ich fand das Projekt sehr informativ und man gefallen. Ich hatte jede Menge Spaß und habe sollte so etwas öfter machen.“ viele neue Eindrücke erhalten.“ - „Insgesamt hat es mir sehr gut gefallen. Ich - „Die Universität fand ich total klasse. Auch dass habe vor allem auch viel über das Leben an der man hier alles so gut erklärt bekommt finde ich Universität im Allgemeinen gelernt.“ gut.“ - „Am besten hat mir gefallen, dass wir einen - „Sehr informativ und abwechslungsreich. Ein- Roboter programmieren durften.“ blicke in viele Gebiete und eine tolle Mensa.“

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Es ist sehr erfreulich, dass die Teilnehmenden die Waxmann. www.erzwiss.unihamburg.de/IGLU/ Projekte positiv bewerten und die aktiven Anteile home.htm in den Workshops und Praxisbezüge loben. Auch - Oechsle, Mechthild/Knauf, Helen/Maschetzke, geben die Schülerinnen den Lehrenden und Men- Christiane/Rosowski, Elke (2009): Abitur und torinnen ein positives Feedback. Aufgrund der was dann? Berufsorientierung und Lebens- Teilnehmendenrückmeldungen kann davon aus- planung junger Frauen und Männer und der gegangen werden, dass die Projektziele erreicht Einfluss von Schule und Eltern. Wiesbaden: VS werden. 1. MINT- und JIP-Projekte bieten Rol- Verlag für Sozialwissenschaften. lenvorbilder und Identifikationsschablonen, die - Hurrelmann, Klaus (2003): Der entstrukturierte Jugendlichen berichten über einen positiven Kon- Lebenslauf. Die Auswirkungen der Expansion takt zu den Mentorinnen und Mentoren. 2. Die der Jugendphase. In: Zeitschrift für Soziologie Projekte eröffnen Jugendlichen Handlungsspiel- der Erziehung und Sozialisation, 23(2), 115– räume und Erfahrungsräume und sie machen die 126. Erfahrung, in „geschlechteruntypischen“ Fachbe- - Lojewski, Johanna: Geschlecht und Studien- reichen interessante Zusammenhänge zu lernen. fachwahl – fachspezifischer Habitus oder ge- schlechtsspezifische Fachkulturen?. In: Born- Literatur kessel, Phillip/Asdonk, Jupp (Hg) (2011): Der Übergang Schule Hochschule. Zur Bedeutung Kontakt und Information Magdalena Zomerfeld - Budde, Jürgen (2008): Bildungs(miss)erfolge sozialer, persönlicher und institutioneller Fakto- Ruhr-Universität Bochum von Jungen und Berufswahlverhalten bei Jun- ren am Ende der Sekundarstufe II. Wiesbaden: Dezernat 2, Abteilung Campus gen/ männlichen Jugendlichen. Bonn; Berlin: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 279– Service Koordinatorin der MINT- Bundesministerium für Bildung und Forschung. 348. Schülerinnenprojekte - Bos, Wilfried/Lankes, Eva-Maria/Prenzel, Man- - Stürzer, Monika: Geschlechtsspezifische Schul- Tel.: (0234) 32-23360 [email protected] fred/Schwippert, Knut/Valtin, Renate/Walther, leistungen. In: Stürzer, Monika/Roisch, Henrike/ FNO 02|17, Universitätsstr. 150, Gerd (2003): Erste Ergebnisse aus IGLU. Schü- Hunze, Annette/Cornelißen, Waltraud (2003): 44801 Bochum www.ruhr-uni-bochum.de/ lerleistungen am Ende der vierten Jahrgangs- Geschlechterverhältnisse in der Schule. Opla- jungeuni stufe im internationalen Vergleich. Münster: den: Leske + Budrich, S. 83–121.

Eva Wegrzyn

Vorher/Nachher – Ergebnisse der Online-Befragung zum Gender-Portal der Universität Duisburg-Essen und was daraus wurde

Internetauftritte machen Ideen und Institutionen wicklung war es, mittels eines „gleichstellungs- sichtbar, oder: zugespitzt: Heutzutage scheint nur orientierten Wissensmanagements“ über die das in Wahrnehmung real zu existieren, was auch Ideen, Intentionen und Maßnahmen von Gender im virtuellen Raum präsent ist. So wird auch zu- Mainstreaming an Universitäten zu informieren nehmend das Thema „Gender“ von Bildungsins- (Mense, Schönborn 2007). Inwiefern erreicht die titutionen und politischen AkteurInnen im Netz Redaktion des Portals die Zielgruppe, in erster Li- platziert. Entsprechende Internetportale zum nie die Beschäftigten und Studierenden der UDE? Thema Gleichstellung an der Hochschule gibt es Wer nutzt also das Portal? Wie bewertet die Ziel- heute einige an der Zahl im deutschsprachigen gruppe den Internetauftritt, z. B. in Bezug auf die Raum – Beispiele hierzu sind u. a. die Gender- Auswahl der Inhalte, der Texte und der Bilder? Portale der Universitäten Duisburg-Essen, Biele- Diese Fragen fanden Eingang in meine Master- feld, Klagenfurt, Lüneburg, Paderborn oder St. arbeit in Gender Studies an der Ruhr-Universität Gallen. Bochum. Eine Online-Befragung wurde konzi- Das Gender-Portal der Universität Duisburg-Es- piert und Ende 2009 durchgeführt. In diesem sen (UDE) war das erste seiner Art mit dem Fokus Beitrag werden die wesentlichen Ergebnisse der auf Gleichstellung. Es ging 2006 online und wird Befragung zusammengefasst: das Feedback der seitdem kontinuierlich weiterentwickelt. Ziel der Teilnehmenden zur inhaltlichen und graphischen Initiatorinnen aus dem Gleichstellungsbüro und Aufmachung des Portals und wie das Feedback dem Zentrum für Hochschul- und Qualitätsent- umgesetzt wurde. Doch zunächst folgt ein Ein-

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blick in den thematischen Aufbau des Portals. Die Grafik zeigt die Startseite des Portals, noch im alten Corporate Design der Universität Duisburg- Essen, das im Oktober 2011 durch ein neues De- sign ersetzt wurde: Die Navigation (links im Bild) bildet die ur- sprünglichen Schwerpunktthemen des Portals in den Handlungsfeldern gleichstellungsorientierter Hochschulentwicklung der UDE ab: Gender und Lehre, Geschlechterforschung, Gender Main- streaming sowie Naturwissenschaft und Tech- nik. Inhalte der Startseiten der entsprechenden Menüpunkte sind einführende Texte zur Relevanz von Gender im jeweiligen Handlungsfeld, Bei- spiele aus der Praxis (insbesondere zur Lehre und Gender Mainstreaming) und die Verankerung der Viertel der Befragten (n=71), davon zwei Drittel Frauen- und Geschlechterforschung in den ein- Frauen, gab an, das Portal vor der Befragung be- zelnen Fachbereichen sowie Forschungseinrich- sucht zu haben. Zum Zweck des Besuchs wurden tungen (z. B. Essener Kolleg für Geschlechterfor- mehrheitlich die Items Gleichstellungspolitische schung) der UDE. Darüber hinaus wird anhand Arbeit (n=32), Studienzwecke (Referat, Hausar- der Navigation deutlich, worauf der weitere Fo- beit; n=30) und „Gestaltung meiner Lehrveran- kus des Portals liegt: Die Bereitstellung von statis- staltung als Dozierende“ (n=22) ausgewählt. tischem Material unter „Daten & Fakten“ zu den In den folgenden Abschnitten liegt der Fokus auf Geschlechterverhältnissen an der Universität, das den Antworten, die zu den offenen Fragen gege- Aufzeigen von Service- und Beratungsangeboten ben wurden, und zwar zu den Aspekten Verständ- sowie genderbezogene Lehre und Forschung an lichkeit, graphische Umsetzung und Themen. Aus der UDE im Gender-Vorlesungsverzeichnis und in den Antworten ist abzulesen, dass die Texte ins- der Gender-Publikationsplattform. gesamt kürzer gehalten und die Möglichkeiten des Internets in Bezug auf Verlinkungen auf län- Ergebnisse der Befragung (Auswahl) gere Texte und weiterführende Literatur besser genutzt werden sollten. Weniger ist hier offenbar Die Einladung zur Umfrage erfolgte im Dezember mehr. Klarer herausgearbeitet werden sollte die 2009 über interne und externe E-Mail-Verteiler Praxisrelevanz der Themen: sowie Newsletter (z. B. das CEWS-Journal). Sämt- „Zwar sind die Informationen verständlich, aber liche Beschäftigte (ca. 5.700) der UDE, inklusive in den meisten Punkten stößt man/frau zunächst der Medizin, konnten über einen zentralen Mail- auf ellenlange ‚mission statements‘ und nicht auf verteiler erreicht werden. Darüber hinaus war der Praxisbezüge. Das Portal dürfte wohl in seiner Fragebogen über einen öffentlich zugänglichen jetzigen Form diejenigen, die noch nicht für Gen- Link im Portal abrufbar. der sensibilisiert werden konnten, eher abstoßen Insgesamt konnten bei der Befragung zum Gen- als anziehen. Bitte (vor allem in Hinblick auf die der-Portal 298 Datensätze in der Auswertung männlichen Professoren aus den MINT-Fächern) berücksichtigt werden. Durch die vielfältigen lieber kurz, knackig und mit Blick auf die Effek- Rekrutierungswege von Teilnehmenden handelt te, die sich durch Gendersensibilisierung erzielen es sich nicht um eine repräsentative Stichpro- lassen.“ (ebd.: 37) be. Die Ergebnisse dienen vielmehr einer ersten Die Verwendung des Genderbegriffs wurde von Einschätzung der Nutzungsreichweite sowie den einigen Teilnehmenden bemängelt, abzulesen Wünschen bzw. Einstellungen der Zielgruppe in an folgenden Kommentaren: „Klares, einfaches Bezug auf das Gender-Portal. Fast alle Teilneh- Deutsch verwenden“, „Was ist ‚Gender‘??? Ich menden (n=285) gaben an, Angehörige der UDE verstehe hier nur Bahnhof und da bin ich nicht zu sein. Gut zwei Drittel davon waren weiblich. der einzige.“ Knapp 50 % waren zwischen 25 und 35 Jahren Einige Teilnehmende fanden die Einrichtung von alt. Die Mehrheit der Befragten ordnete sich den interaktiven Funktionen wichtig, z. B. durch Blogs/ wissenschaftlichen Beschäftigten zu (43 %), die Foren. Eine Person wünscht die „Einrichtung/Ver- zweit- bzw. drittgrößten Gruppen stellten die besserung der Möglichkeit, zu Gender-Forschern Studierenden (etwa 24 %) bzw. die Beschäftig- themenspezifisch Kontakt aufzunehmen“, da sie ten in Technik und Verwaltung (etwa 23 %). sich erst „durch die einzelnen (nicht-standardi- Eine zentrale Frage der Untersuchung galt der sierten) Institutsseiten und Forschungsprofile möglichen Reichweite des Portals. Nur rund ein klicken“ musste, „um herauszufinden, wer über-

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haupt in Frage kommt“. Auch bestehen offenbar Unklarheit über Ansprechmöglichkeiten (okay, Defizite in der Ansprache von Beschäftigten aus die Gleichstellungsbeauftragte ist bekannt) oder Technik und Verwaltung sowie Studierenden: von Verhaltenstipps.“ „Wenn ich mich selbst – als Mitarbeiterin im Außerdem lag das Interesse einiger Personen mittleren Dienst – nicht als Zielgruppe zu verste- auf dem Zusammenhang zwischen Naturwis- hen brauche, dann ist das alles gut formuliert. Ich senschaft, Technik und Gender, da hier ein glaube aber auch, dass sich gerade junge Studie- „Informationsdefizit“ bestehe. Auch ist an den rende nicht besonders angesprochen fühlen, die Antworten abzulesen, dass eine breitere thema- nicht ohnehin an der Thematik interessiert sind. tische Aufstellung des Portals, z. B. zu den The- Die gewünschte ‚Sensibilisierung‘ wird m. E. menfeldern Diversity, historische Entwicklung, nicht erweckt. Es werden keine konkreten Szena- Politik, Inter- und Transsexualität gewünscht sei. rien dargelegt, in denen Wiedererkennung, Iden- Ausführliche Statistiken zu den Geschlechterver- tifikation, Interesse und Erkenntnis bezüglich der hältnissen in den einzelnen Fakultäten wurden eigenen Betroffenheit hervorgerufen wird.“ ebenfalls als wichtig benannt. Die Botschaft, die sich aus den Antworten zur Einige zum Teil sehr ausführliche Kommentare graphischen Gestaltung ablesen lässt: Weniger zeigen eine äußerst kritische Wahrnehmung des scheint auch hier mehr zu sein. Auf der anderen Feldes Gleichstellungspolitik auf. In den Aussa- Seite werden jedoch mehr Farben und ein „pla- gen klingt durch, dass eine Diskriminierung von kativerer Zugang“ gewünscht. Die Bedürfnisse Männern bzw. Jungen durch, so die Vermutung, hier gehen also auseinander. Die Umsetzung in Gleichstellung(spolitik) oder die Diskussion um Bezug auf die Auswahl und Menge von Texten Gender vorangetrieben würde. und Bildern scheint daher, so die Schlussfolge- „Für wie sinnvoll halten Sie grundsätzlich Infor- rung, ein entscheidender Faktor für die Nutzung mationsangebote zum Thema Gender im Inter- und Wirkung eines Portals zu sein. net?“ lautete die abschließende Frage der Un- Das Dilemma in Bezug auf die Gestaltung von tersuchung. Hier gab es zum Teil sehr kritische Webseiten zum Thema Gender an der Hoch- Antworten, die in die Richtung gehen wie etwa schule bringt der folgende Kommentar auf den „überflüssig“ oder „einseitig geschlechterlas- Punkt: tig“. Ein Teilnehmender räumt ein, „dass es ei- „Finde Informationen zu gender im Internet nen Bedarf bzw. ein Defizit bei der Gleichstellung sinnvoll, es müsste aber zielgruppenspezifisch zwischen den Damen und Herren“ gebe, bezwei- aufbereitet sein, d. h. m. M. ist es fraglich, ob felt aber, dass ein „solches ‚Portal‘ einen Beitrag Informationen zu Gender nicht eher ein durch- dazu leistet“. Weitere Kommentare weisen in die schnittliches Informationsniveau erreichen gegenteilige Richtung, z. B. dass das Portal nicht müssten. Für gender-WissenschaftlerInnen sind nur über die Aufforderung zu einer Umfrage be- Gender-Infos auf Internetseiten meistens zu we- kannt gemacht werden sollte, dass die Thematik nig differenziert, weil Fachaufsätze eher diffe- Gleichstellung wichtig sei usw. Positive Kritik renzierter sind. Zur allgemeinen Informationen, wird durch Personen geäußert, welche erst durch was an der Uni Due in Sachen gender gemacht die Befragung auf das Gender-Portal gestoßen wird, also zur PR, ist es sinnvoll so eine Seite sind, z. B.: zu haben, und auch um eher gender-ferne Wis- „weiß nicht ob gleich noch eine Frage dazu senschaftlerInnen & Studentinnen mit verständ- kommt, aber generell möchte ich darauf hinwei- lichen Texten über Gender zu informieren.“ sen, dass mir das Portal völlig unbekannt war bis Die Redaktionsmitglieder von Webseiten zur ich die Aufforderung zur Umfrage bekommen Gender-Thematik an Hochschulen stehen damit habe, dabei bin ich hier seit 5 Jahren Studentin vor der Herausforderung, einerseits nicht zu viel und seit einem Jahr WiMi. Vielleicht sollte man an Infos, dazu noch im Fachjargon, bereitzu- darauf achten, dass neu eingestellten Mitarbei- stellen, gleichzeitig aber können sehr knappe tern auch davon berichtet wird, bzw. dass Stu- Darstellungen im Hochschulkontext schnell als dentinnen Infos darüber bekommen.“ wenig seriös wahrgenommen werden. Die Ergebnisse sind zwar aufgrund der geringen Die Teilnehmenden wurden außerdem gebeten, Fallzahl, gemessen an der Anzahl der über den weitere Themenbereiche zu nennen, die für sie zentralen Verteiler der UDE erreichten etwa 5.700 im Gender-Portal von Interesse wären. Deutlich Personen sowie der gemischten Teilnehmenden- wurde hier, dass der Aspekt sexualisierte Diskri- rekrutierung, nicht repräsentativ. Dennoch konn- minierung und Gewalt im Portal fehlt: te die Befragung u. a. dazu beitragen, einen Ein- „Man hört immer mal von sexistischen Belästi- druck darüber zu bekommen, was Internetseiten gungen an der UDE oder von solchen, wo die Be- in Bezug auf Gleichstellung interessanter machen troffenen das Gefühl haben, hier an der Grenze könnte: konkrete Praxisbezüge, kürzere Texte auf zu einer solchen Belästigung zu stehen. Es gibt Eingangsseiten, die so formuliert sind, dass sie

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zum „Weiterklicken“ innerhalb des Portals mo- punkte auf Geschlechterforschung „… an der tivieren, die Aufbereitung von statistischem Ma- UDE“ und „… anderswo“ verschafft nun Abhilfe. terial zu Geschlechterverhältnissen an z. B. Fakul- Insgesamt wurde die Anzahl der Oberthemen in täten, eine überlegte Auswahl an Bildern sowie der Menüführung von elf auf acht reduziert, wie eine breitere thematische Ausrichtung. folgende Abbildung zeigt:

Umsetzung des Feedbacks

Die Seiten zum Aspekt „Daten und Fakten“ wur- den erweitert, und zwar durch eine Überblicksdar- stellung der Geschlechterverhältnisse auf sämtli- chen wissenschaftlichen Qualifikationsstufen für alle Fakultäten der Universität. Graphiken veran- schaulichen die Texte (www.uni-due.de/gender- portal/daten-fakten.shtml). Zum Zusammenhang von Gender und Ingenieurwissenschaften gibt es jetzt Informationen zur historischen Entwicklung des Ingenieurberufs und damit verbundene Bilder und Mythen, Ergebnisse der Sozialisations- und Drop-Out-Forschung (www.uni-due.de/gender- portal/naturtechnik.shtml). Ausführliche Informa- Für eine bessere Navigation innerhalb des Portals tionen, auch im Zuge einer neuen Richtlinie der steht nun der Schlagwortkatalog „Gender A–Z“ UDE, sind zur sexualisierten Diskriminierung und an oberer Stelle. Der von den Teilnehmenden häu- Gewalt verfügbar: Was steckt hinter dem Begriff fig genannte Punkt „Daten und Fakten“ ist in der „sexualisiert“? Welche Auswirkungen haben ent- Menüführung auch nach oben gerückt. In einem sprechende Gewaltformen und wie können sich Punkt wurde dem kritischen Feedback bezüglich Betroffene zur Wehr setzen? (www.uni-due.de/ der Verwendung von Anglizismen Rechnung ge- genderportal/service_agg.shtml) tragen: Das Themenfeld „Gender Mainstreaming Historische Einblicke in die Entstehung des Zwei- & UDE“ wurde umbenannt in „Gleichstellung geschlechtermodells und die verschiedenen Di- konkret“. Die Grundsätze der UDE sowie entspre- mensionen des Gender-Begriffs geben folgende chende gleichstellungspolitische Maßnahmen, Seiten: darunter auch Gender Mainstreaming, sind jetzt als Untermenüpunkt sichtbarer. - www.uni-due.de/genderportal/ geschlechtergeschichte Ausblick - www.uni-due.de/genderportal/ Als strategisches Instrument in der gleichstel- gleichstellungkonkret_genderbegriff.shtml lungspolitischen Arbeit hat das Gender-Portal - www.uni-due.de/genderportal/gender.shtml der Universität Duisburg-Essen an Bedeutung gewonnen. Die Zielgruppe, die Angehörigen der Auf diese wird an anderen Stellen im Portal ver- Hochschule, so eine erste Schlussfolgerung aus linkt, z. B. unter dem Menüpunkt Geschlechter- den Ergebnissen der Online-Befragung, kannten forschung sowie Gleichstellung konkret. das Portal zum Großteil bis zum Umfragezeit- Über die Befragung gab es Gespräche mit Akteu- punkt nicht. Sowohl die zahlreichen Kommentare rinnen der Geschlechterforschung und Gleichstel- der Teilnehmenden als auch die Gespräche mit lungspolitik der UDE, darunter dem Essener Kol- Kolleginnen gaben neue Impulse zur Umgestal- leg für Geschlechterforschung und der Fakultät tung und Ergänzung des Internetauftritts. für Bildungswissenschaften, zur Neugestaltung Die verstärkte Zusammenarbeit der Akteurinnen der Menüführung. Hier wurde mitunter zweierlei aus der Geschlechterforschung und Gleichstel- Kontakt und Information moniert: die exponierte Stellung des Themen- lungsarbeit, angeregt durch das Essener Kolleg Eva Wegrzyn, M.A. Wissenschaftliche Mitarbeiterin bereichs Naturwissenschaft und Technik sowie für Geschlechterforschung und die Gleichstel- Universität Duisburg-Essen der Menüpunkt Geschlechterforschung. Erste- lungsbeauftragte, wird im Portal dokumentiert. Zentrum für Hochschul- und rer befindet sich jetzt unter Studium und Lehre. Die an diesem Prozess beteiligten Personen kön- Qualitätsentwicklung/ Kompetenzbereich Studium Der Aufbau von Letzterem führte zur Verwirrung nen hier für die weitere Bekanntmachung des und Lehre darüber, in welchen Bereichen an der UDE wer Portals als Multiplikatorinnen dienen. In Lehr-, Campus Duisburg/SK 303 Keetmanstraße 3–9 zu welchem Thema wo forscht. Auch ist der Ein- Weiterbildungs- und Informationsveranstaltun- 47058 Duisburg druck entstanden, dass es an der UDE das Fach gen werden darüber hinaus in Zukunft verstärkt Tel.: (0203) 379 2360 Fax: (0203) 379 3266 Geschlechterforschung mit entsprechenden Pu- Studierende und Beschäftigte über das Gender- [email protected] blikationen gibt. Eine Kürzung der Untermenü- Portal informiert. www.uni-due.de/genderportal

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Tagungsberichte

Susanne Keil

25 Jahre Netzwerk Frauenforschung NRW

Jahrestagung „Gender & Art – Selbstbilder und Selbstkonzepte in den Künsten“ am 11.11.2011, Universität Paderborn

„Selbstbilder und Selbstkonzepte in den Künsten“ Sie beleuchtete zudem die Entwicklung der Frau- lautete das Thema der Jahrestagung 2011 des enforschung an der Universität Paderborn, wo Netzwerks Frauen- und Geschlechterforschung 1988 die erste Professur für Literaturwissenschaft NRW. Mit der Tagung am 11. November an der mit einem Schwerpunkt in der Frauenforschung Universität Paderborn feierte das Netzwerk zu- eingerichtet wurde. Paderborn hat auch von wei- gleich seine Gründung vor 25 Jahren. Um die Ent- teren im Rahmen des Netzwerks geschaffenen wicklung geschlechtergerechterer Hochschulen in Professuren für Frauen profitiert. So begrüßte diesen zweieinhalb Jahrzehnten zu beleuchten, Netzwerkprofessorin Dr. Rebecca Grotjahn vom waren die ehemalige Wissenschaftsministerin Musikwissenschaftlichen Seminar der Universität Anke Brunn und die jetzige Wissenschaftsminis- Paderborn und der Hochschule für Musik Detmold terin des Landes NRW Svenja Schulze zu einem die rund 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmer der öffentlichen Gespräch geladen. Der abschließen- Tagung. Die Professorin für Musikwissenschaft de Vortrag der Historikerin Uta C. Schmidt spürte mit dem Schwerpunkt Musik von Frauen lenkte konkret der Geschichte des Netzwerks nach. die Aufmerksamkeit auf die Anfänge der Gender- In ihrer Begrüßung erinnerte die Vizepräsidentin forschung im Bereich der Künste und damit auf der Universität Paderborn, Professorin Dr. Doro- das Tagungsthema. thee M. Meister, an die Geschichte von Frauen an Mit dem Bild eines Gewebes aus Fäden, Maschen den Hochschulen: von der ersten Promovendin im und Knotenpunkten beschrieb Professorin Dr. Jahr 1754 an der Universität Halle bis zur Zulas- Anne Schlüter in ihrer Begrüßung die Leistung sung von Frauen zur Habilitation im Jahr 1921. des Netzwerks. Die Sprecherin charakterisierte

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die 83 Professorinnen und 2 Professoren sowie die 105 Wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen als Maschen. Projekte wie die Marie-Jahoda- Gastprofessur und das Essener Kolleg für Ge- schlechterforschung seien in diesem Gewebe die Knotenpunkte. Dr. Beate Kortendiek als Koordina- torin komme das Verdienst zu, die losen Fäden zu festen gemacht zu haben und die Maschen und Kanten in Bewegung zu halten. Anne Schlüter begrüßte „alte Kämpferinnen“ aus dem Arbeits- kreis Wissenschaftlerinnen wie Ingeborg Stahr, die zur Feier nach Paderborn gekommen waren, und verlas ein Grußwort der ersten Netzwerkpro- fessorin Annette Kuhn, deren besonderer Dank Anke Brunn als Initiatorin des Netzwerks galt. Professorin Dr. Rebecca Grotjahn Anlässlich des 25-jährigen Gründungsjubiläums richtete sich der Blick der Jahrestagung dann auf Geschlechterkonstruktionen in Musik, Literatur und Bildender Kunst. Die Vortragenden gingen der Frage nach, ob sich die Künste besonders anbieten, um sich quer zu gängigen Geschlech- terklischees zu entwerfen. Ihre Präsentation von Selbstbildern und Selbstkonzepten von Künstle- rinnen und Künstlern reichten von Musik über Design bis hin zum Theater und vom 19. Jahrhun- dert bis in die Gegenwart. Rebecca Grotjahn leitete zunächst die Bedeutung des Selbstbildes für die Künstlerpersönlichkeit her. Dazu änderte sie die in der musikwissen- schaftlichen Frauenforschung übliche Blickrich- tung und versuchte zu klären, warum Männer Professorin Dr. Ute Büchter-Römer unter den Komponistinnen und Komponisten überrepräsentiert sind. Ihre Antwort: Das Mann- Brüder verwehren ihr aber eine größere Präsenz Sein ist zentraler Bestandteil des Selbstbildes von in der Öffentlichkeit. Clara Schumann kann ihre Komponisten und von anderen Künstlern. In den Schaffenskraft als Musikerin und Komponistin im 18. Jahrhundert in Mode kommenden Biogra- erst dann mehr entfalten, als sie aufgrund der fien gebiert die große Künstlerpersönlichkeit das Krankheit ihres Mannes den Lebensunterhalt für Kunstwerk aus sich selbst heraus und schafft ein die Familie verdienen muss. Weder Annette von original neues Werk. Das Weibliche dient dabei Droste-Hülshoff noch Ingeborg Bachmann ist als Inspiration und zur Repräsentation höherer eine glückliche Verbindung von Liebe und Künst- Werte. Das Selbstbild des Künstlers als Mann lertum vergönnt. Die Malerin Gabriele Münter er- erläuterte Rebecca Grotjahn am Beispiel Robert lebt eine unglückliche Beziehung zu Wassily Kan- Schumanns. Der Liederzyklus, den Schumann für dinsky und Paula Becker einen ständigen Konflikt seine Frau Clara anlässlich ihrer Hochzeit kompo- zwischen ihrem Liebesglück und dem Dasein als niert hat, lässt in seinen Melodien und Texten drei Malerin. Festzuhalten ist an dieser Stelle schon Motive durchscheinen: Liebe, Künstlertum und einmal so viel: Das Selbstbild der Künstlerinnen Freiheit. Trotz seiner großen Liebe zu Clara hält er wird stark durch die Beziehungen mit den sie an seiner Ungebundenheit und Freiheitsliebe fest. umgebenden Männern beeinflusst. Fast immer Während Frauen und das Weibliche die Schaf- kämpfen sie mit dem Konflikt zwischen dem fenskraft des Künstlers anregen, werden Frauen in Wunsch nach Liebe und einem selbstbestimmten ihrem Dasein als Künstlerin durch ihre Väter, Brü- Künstlertum. der und Geliebten eher behindert. Dies erläuterte Um die Selbstentwürfe männlicher Künstler Ute Büchter-Römer, Professorin für Musikdidak- ging es dann wieder bei Gregor Schuhen. Der tik an der Universität Köln, anhand von Briefen Juniorprofessor für Romanistik und Allgemeine und Tagebucheintragungen von Komponistinnen, Literaturwissenschaft an der Universität Siegen Dichterinnen und Malerinnen. Fanny Hensel wird konzentrierte sich hierzu auf den neu aufkom- zwar von ihrem Mann Wilhelm in ihrer Begabung menden Jugendkult um die Jahrhundertwende zum Komponieren unterstützt. Ihr Vater und ihre in Deutschland und Frankreich. Der französische

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Sichtweisen auf die eigene Identität ermöglicht. Gespiegelt in mehreren Kugeln zeigt sich auch die Bauhaus-Künstlerin Marianne Brandt im Selbst- porträt. Auf einem anderen Foto ist sie mit einer engen metallenen Kopfbedeckung zu sehen. In ihren Selbstporträts spielt sie mit der noch nicht festgelegten Identität. Bei aller Kritik am neuen Frauenbild scheint hier auch ein Potenzial an Freiheit durch. Ganz anders die Selbstporträts der Künstler in den 1920er Jahren. Sie identifizieren sich mit der technischen und wissenschaftlichen Moderne und präsentieren sich zur Zeit des auf- kommenden Konstruktivismus selbstbewusst als künstlerischer Konstrukteur. Professorin Dr. Gerda Breuer Die Selbstbilder (post-)feministisch arbeitender Theatermacherinnen in Deutschland nahm Ge- sche Gerdes, Doktorandin der Graduate School ‚Practices of Literature‘ an der Universität Müns- ter, in den Blick. Dazu hat sie die im Missy Ma- gazine veröffentlichten Porträts der etwa 25- bis 40-jährigen Theaterfrauen analysiert. Das 2008 gegründete Magazin versteht sich als Gegenent- wurf zu klassischen Frauenzeitschriften und will mit einer feministischen Haltung über Popkultur, Politik und Style berichten. Die Regisseurinnen, Performance-Künstlerinnen und Choreogra- finnen sind sich darin einig, dass die Kategorie Geschlecht in ihren Inszenierungen einen Be- zugspunkt bildet. Um auf den übersexualisierten weiblichen Körper hinzuweisen, führen sie Weib- Gesche Gerdes lichkeit performativ vor und zeigen, wie sehr es sich hier um eine Konstruktion handelt. Neben Dichter Arthur Rimbaud hatte seine Schaffens- dieser Rebellion gegenüber der Geschlechter- phase zwischen 15 und 21 Jahren und konstru- praxis gehört der Bezug auf eine feministische, ierte ein neues Bild des jungen Mannes: selbst- genealogische weibliche Tradition durchaus zum bewusst und rebellierend. In Paris schloss er sich Selbstkonzept der Künstlerinnen. So verarbeitet der Bohème an, die Schuhen als männerbün- das Performance-Kollektiv She She Pop in seiner dische Protestkultur charakterisiert. Spannend Inszenierung „7 Schwestern“ den Mangel an Ge- an Rimbauds Selbstkonzept ist die Negation meinschaft und Solidarität zwischen Frauen sei- des Vergangenen. Er will nach vorne schreiten, ner Generation. Zum Selbstbild der jungen The- ohne zurückzuschauen. Und er beginnt mit der atermacherinnen gehört es zudem, nur wenige Dekonstruktion des menschlichen Subjekts. Sein klassische Stücke zu inszenieren. Sie wählen die berühmtestes Zitat lautet: „Weil ICH ein Anderer Form des postdramatischen Theaters und formu- ist.“ lieren so den Anspruch, etwas Neues zu schaffen. Mit einem neuen Frauenbild – berufstätig, makel- los, in glamouröser Kleidung und mit souveränem Abschlussdiskussion Habitus – setzten sich deutsche Designerinnen in den 1920er Jahren auseinander. Gerda Breuer, „Kann man überhaupt, wie es der Anspruch ei- Professorin für Kunst- und Designgeschichte an niger Künstlerinnen und Künstler war und ist, der Universität Wuppertal, zeigte anhand von Fo- ein ganz neues Selbstbild entwerfen?“ Um diese tografien und Collagen, wie Frauen mit diesem Frage drehte sich zu Beginn die Diskussion der Bild und den darin enthaltenen Geschlechter- Vorträge, die von Claudia Öhlschläger, Profes- konstruktionen experimentierten. Florence Henri sorin für Vergleichende Literaturwissenschaft entwickelte nach ihrer Ausbildung am Bauhaus und Intermedialität der Universität Paderborn, als Werbefotografin ein Oeuvre mit Spiegelpris- moderiert wurde. Es überwog die Auffassung, men. In ihren Selbstporträts erscheint das eigene dass ein völlig neu geschaffenes Selbstkonzept Sujet durch die Spiegelung entrückt. Der Spiegel in der Radikalität, wie sie z. B. Rimbaud für sich ist aber auch eine Projektionsfläche, die neue beansprucht hat, nicht möglich ist. Die eigene

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Inszenierung entstehe immer in Auseinanderset- zung mit bereits vorhandenen Mustern. In der Abgrenzung sei das, was gewesen sei, bereits enthalten. Gerda Breuer betonte dagegen die Wahlfreiheit, die Künstlerinnen heute haben: Be- reits die Fotografin Claude Cahun (1894–1954) habe versucht, sich als Neutrum darzustellen und die Geschlechtskonstruktion auf den Nullpunkt zu setzen. Gemeinsamkeiten in den Selbstbildern von Künstlerinnen und Unterschiede im Vergleich zu den Künstlern wurden anschließend diskutiert. Anhand der Vorträge wurde herausgearbeitet, dass die Künstler sich als Konstrukteur, als Kom- Professorin Dr. Claudia Öhlschläger ponist, als Schaffer eines Werks verstehen und eine große Selbstbezüglichkeit aufweisen. Das die Aktivitäten der Frauenforschungsprofessuren Selbstbild der Künstlerinnen ist stärker geprägt zu bündeln. Aber um den Erhalt dieses einmal von der Spiegelung durch andere, was bei den erreichten Standes musste in den Folgejahren Bauhaus-Künstlerinnen und Designerinnen er- immer wieder gekämpft werden. So z. B., als die kennbar ist. Hier wird ein Gestus der Distanznah- Landesregierung 1999 mit dem Qualitätspakt me deutlich. Sie entfernen sich vom eigenen Ich den Wandel der Hochschulen von staatlich finan- und rücken es an den Ort des Anderen. Dieses zierten und durch die Landesverwaltung gesteu- Verlassen des eigenen Körpers und Standpunk- erten Einrichtungen hin zu eigenverantwortlich tes empfanden einige Teilnehmerinnen als pro- wirtschaftenden Unternehmen einläutete. Durch blematisch. Andere betonten, die Spiegelung die stärkere Ausrichtung an Marktprinzipien wur- könne auch eine Reflexion mit den Bereichen des de eine gleichstellungspolitische Wende befürch- eigenen Ichs sein, die noch nicht entdeckt wor- tet. Doch durch vielfachen Druck konnten das den seien. Die Designerinnen bieten zudem einen Netzwerk und seine Koordinationsstelle erhalten Einblick in ihre Konstruktionsarbeit. Die Projekti- werden. Es wurde sogar durch die damalige Wis- on wird Thema des Selbstbildnisses. Im postfe- senschaftsministerin Gabriele Behler sowie durch ministischen Diskurs wird mit den Selbstbildern eine Empfehlung des Wissenschaftsrates ge- spielerischer umgegangen. Hier geht man von stärkt. Als das Hochschulsonderprogramm 2001 Patchwork-Identitäten aus und setzt sich kritisch auslief, zählte das Netzwerk 43 Professuren. mit den ganz alten Fragen „Was zeichnet Frauen Die nächste Zitterpartie folgte 2007, als die Frau- aus?“ oder „Was ist Weiblichkeit?“ auseinander. enförderung im Haushaltsentwurf des Landes NRW ganz gestrichen wurde. Die Koordinations- Geschichte des Netzwerks stelle des Netzwerks Frauenforschung erarbeitete eine Stellungnahme und vertrat diese erfolgreich In ihrer Darstellung der Geschichte des Netz- im Rahmen einer Anhörung vor dem Landtag. werks Frauen- und Geschlechterforschung NRW 2009 stand die Koordinationsstelle mit dem verknüpfte die Historikerin Uta C. Schmidt ge- Auslaufen der durchweg befristeten Förderung samtgesellschaftliche Entwicklungen, landespo- wieder auf dem Spiel. Dieses Mal ersannen die litische Umbrüche, die Entwicklung der organi- Akteurinnen eine andere Lösung und richteten satorischen Strukturen des Netzwerks sowie die einen Beirat für das Netzwerk ein. Mit dessen vielen inhaltlichen Projekte miteinander. Geprägt Hilfe und der Unterstützung durch das Gleich- ist das Netzwerk insbesondere durch eine enge stellungsreferat des Wissenschaftsministeriums Verzahnung mit der Landespolitik. sowie durch die Universität Duisburg-Essen, die Mit seinen Memoranden mischte sich der Arbeits- die Koordinationsstelle aufgrund des Rotati- kreis Wissenschaftlerinnen NRW seit 1980 in die onsprinzips inzwischen beherbergte, konnte die Hochschulpolitik des Landes Nordrhein-Westfa- Stelle von Dr. Beate Kortendiek nach über zehn len ein und trug so dazu bei, dass die damalige Jahren 2010 langfristig gesichert werden. Zudem Wissenschaftsministerin Anke Brunn 1986 die wurde das Aufgabenspektrum erweitert: Die Ko- erste Professur mit einem Lehrgebiet für Frauen- ordinations- und Forschungsstelle wird kontinu- geschichte einrichtete. Nach und nach wurden ierlich Forschungen zur geschlechtergerechten mit den Mitteln von Bund-Länder-Programmen Hochschulentwicklung durchführen. Im gleichen immer mehr solcher Professuren geschaffen und Jahr erhielt das Netzwerk auch einen neuen zu einem Netzwerk verknüpft. 1995 finanzierte Namen: Netzwerk Frauen- und Geschlechterfor- das Land erstmals eine Koordinationsstelle, um schung NRW.

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passende Einstimmung auf das Fest am Abend. Vorgetragen wurden sie von Sabine Ritterbusch, Sopranistin und Professorin für Gesang an der Hochschule für Musik, Theater und Medien in Hannover. Begleitet wurde sie von dem Pianisten Mar- kus Gotthardt. Die englische Komponistin Ethel Smyth (1858–1944) unterbrach ihre musikalische Laufbahn für zwei Jahre, um sich als Suffragette zu engagieren. In der Zeit ihres frauenpolitischen Engagements komponierte sie den „March of the Women“, der zur Hymne der Suffragetten-Bewe- gung wurde. Auch in ihren weiteren Kompositionen sind fe- ministische Ideen erkennbar. Für die Aufführung ihrer eigenen Werke engagierte sie gezielt Musi- Ausklang mit Musik kerinnen und förderte sie auf diese Weise. Damit fand das Jubiläum mit den vielfältigen Beiträgen, Unter dem Titel „Schön Rohtraut und das Sat- Anregungen, Gesprächen, Vernetzungen und Be- telpferd“ boten Lieder von Ethel Smyth die gegnungen einen schönen Ausklang.

Susanne Keil

„Ich wünsche mir Solidaritätsaktionen von den Frauen, die in der Wissenschaft erfolgreich sind.“

Anke Brunn und Svenja Schulze im Gespräch

sichtbar und zeigte, unter welchen Umständen Anke Brunn das Netzwerk gegründet hat und mit welchen Herausforderungen Svenja Schulze heute konfrontiert ist. Beide eint das Ziel, die Ge- schlechtergerechtigkeit an Hochschulen in Nord- rhein-Westfalen voranzubringen. Die Fragen stell- ten Professorin Dr. Anne Schlüter, Sprecherin des Netzwerks Frauen- und Geschlechterforschung NRW (Netzwerk FGF), und Dr. Uta C. Schmidt, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Koordina- tions- und Forschungsstelle des Netzwerks an der Universität Duisburg-Essen.

Netzwerk FGF: Was hat Sie, Frau Brunn und Frau Schulze, am Amt der Wissenschaftsmi- Einer der Höhepunkt der Feier zum 25-jährigen nisterin gereizt? Gründungsjubiläum des Netzwerks Frauen- und Brunn: Das Wissenschaftsressort ist meines Er- Geschlechterforschung am 11.11.2011 an der achtens eines der interessantesten. Man hat mit Universität Paderborn war ein Gespräch zwischen vielen intelligenten und engagierten Menschen der amtierenden Wissenschaftsministerin des mit ganz unterschiedlichen Ansichten zu tun. Und Landes NRW Svenja Schulze und der ehemaligen man gestaltet die Zukunft der nächsten Genera- Wissenschaftsministerin Anke Brunn. Der genera- tion. tionenübergreifende Dialog war spannend, denn Schulze: Zu der Zeit, als mich Hannelore Kraft ge- er machte Frauen- und Wissenschaftsgeschichte fragt hat, ob ich das Ressort übernehmen möch-

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te, gab es sehr viele Diskussionen über Studien- für Frauen eingerichtet. Es bedurfte schon eines gebühren. Und mir wurde beim Nachdenken klar: starken politischen Willens und institutioneller Wenn du Wissenschaftsministerin bist, kannst du Unterstützung, um die Frauenforschung und die selbst die Studiengebühren wieder abschaffen. Gleichstellung voranzutreiben. Denn für Gleich- Da habe ich mir gesagt: Diese Chance musst du stellungspolitik wird man nicht gelobt. ergreifen. Netzwerk FGF: Welche Widerstände gab es Netzwerk FGF: Wie kam es denn, dass Sie, denn? Frau Brunn, sich für ein „Netzwerk Frauen- Brunn: Die Reaktionen auf das Vorhaben, speziel- forschung“ stark gemacht haben? le Professuren für Frauen zu schaffen, waren nicht Brunn: Als mir im Rahmen des Fiebiger-Pro- nur freundlich. Es gab sehr viel Misstrauen und gramms, mit dem in den 1980er Jahren neue, be- die Sorge, dies könnte verfassungswidrig sein. fristete Professuren eingerichtet wurden, die Liste In den 1980er Jahren musste man sich ja auch mit den zu Berufenen zur Unterschrift vorgelegt noch mit Absurditäten befassen. So gab es zum wurde, standen darauf nur Männer. Ich habe ge- Beispiel in Bielefeld eine Diplomordnung, die aus- sagt, das unterschreibe ich so nicht. Und binnen schließlich in weiblicher Form formuliert war. An drei Tagen hatte ich eine Liste, auf der Frauen und einer zentralen Stelle stand: Die Bestimmungen Männer vertreten waren. Danach haben wir sys- gelten gleichermaßen für Männer. Da wurde doch tematisch daran gearbeitet, Professuren für Frau- tatsächlich darüber diskutiert, ob das erlaubt sei. en einzurichten. Das waren Lehrstühle mit einer Und das Konzept zu den Lise-Meitner-Stipendien besonderen Widmung, zum Beispiel für „Allge- nannte ein Professor „unerträglich“. Mir wur- meine Geschichte unter der besonderen Berück- de in dem Moment klar: Genau das musst du sichtigung der Geschlechtergeschichte“. jetzt machen. Später hatten die Stipendien für Nachwuchswissenschaftlerinnen sogar Modell- funktion für ähnliche Maßnahmen in anderen Bundesländern. Stipendien würde ich heute aber nicht mehr einrichten. Ich halte es mittlerweile für sinnvoller, Stellen zu schaffen.

Netzwerk FGF: Frau Schulze, wie zufrie- den sind Sie mit dem derzeitigen Stand der Gleichstellung an den Hochschulen in NRW? Schulze: Auch ich muss noch gegen Widerstände und Unverständnis kämpfen und immer wieder betonen: Geschlechtergerechtigkeit sorgt für mehr Innovationen in der Wissenschaft. Aber ich habe dabei inzwischen sehr viel mehr Un- terstützung. Das wurde zum Beispiel auf dem Gender-Kongress deutlich, zu dem im Septem- Netzwerk FGF: Aber das war noch kein ber über 200 Akteurinnen und Akteure der Netzwerk. Gleichstellungsarbeit nach Düsseldorf gekom- Brunn: Nein, der Prozess der Vernetzung wurde men sind. Die Vorsitzenden der Landeskonfe- dann erst in Gang gesetzt. Es gab viele Treffen renzen der Universitäten und Fachhochschulen mit Sigrid Metz-Göckel und den sogenannten haben öffentlich gesagt: „Frauenförderung ist „wilden Frauen“ vom Arbeitskreis Wissenschaft- eine Frage der Qualität von Wissenschaft“. Zu- lerinnen NRW. Metz-Göckel war damals bereits dem gibt es inzwischen Frauen in führenden Professorin und Leiterin des Hochschuldidakti- Positionen an den Hochschulen, die sich für schen Zentrums an der Uni Dortmund und hatte Geschlechtergerechtigkeit stark machen. Die diesen Arbeitskreis Wissenschaftlerinnen NRW Selbstverpflichtung der in der Deutschen For- ins Leben gerufen. Der Name „Netzwerk Frauen- schungsgemeinschaft zusammengeschlossenen forschung“ wurde übrigens bei einem Workshop Hochschulen, die Gleichstellung mithilfe des an der Uni Siegen geboren. Da sagte Christine Kaskadenmodells voranzutreiben, ist ebenfalls Kulke, heute emeritierte Professorin für Politik- ein Riesenfortschritt. Dieses Modell, nach dem wissenschaft an der TU Berlin: „Es entsteht dann als Bezugsgröße bei der Besetzung von Stellen ja quasi ein Netzwerk Frauenforschung.“ Und bei jeweils mindestens der Anteil von Frauen auf der dem Titel sind wir geblieben. Als Nächstes ha- direkt vorhergehenden Qualifikationsstufe dient, ben wir die Lise-Meitner-Habilitationsstipendien hat Schule gemacht.

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jetzt in die Ziel- und Leistungsvereinbarungen aufgenommen. Wenn kein Frauenförderplan vor- liegt, gibt es einen Geldabzug. Die Qualität der Pläne können wir allerdings nicht messen.

Netzwerk FGF: Frau Brunn, wie beurteilen Sie die Entwicklung in den vergangenen 25 Jahren? Brunn: Bei der DFG hat es in der Tat einen Ge- nerationenwechsel gegeben. Zu der Zeit, als ich Wissenschaftsministerin war, hat der damalige DFG-Präsident von Gleichstellungsmaßnahmen noch nichts gehalten. Aber auch durch die EU- Forschungspolitik werden die Gleichstellung an Hochschulen und die Frauen- und Geschlechter- forschung nach vorne gebracht. Bei der Vergabe Netzwerk FGF: An welchen Punkten setzen von Forschungsmitteln spielt Gender sowohl in Sie jetzt bei Ihrer Gleichstellungspolitik den Forschungsvorhaben als auch bei der Be- für die Hochschulen an? teiligung von Wissenschaftlerinnen eine Rolle. Schulze: Derzeit sind wir noch mit der Aufar- Jetzt ist es wichtig, dass die Frauen, die in der beitung der Ergebnisse des Gender-Kongresses Wissenschaft erfolgreich sind, auch als Unterstüt- beschäftigt. Mit den Hochschulen diskutieren zerinnen zur Verfügung stehen. Ich wünsche mir wir die Umstellung der Leistungsorientierten Mit- aus der Frauenbewegung heraus Solidaritätsakti- telvergabe. Es wird einen eigenständigen Vertei- onen, zum Beispiel Stipendien für Studentinnen lungstopf für Erfolge in der Gleichstellung geben. aus Zuwandererfamilien. Im neuen Hochschulgesetz wollen wir eine Ge- schlechterquote nach dem Kaskadenmodell fest- Netzwerk FGF: Liebe Frau Brunn, liebe Frau legen. Es wird aber noch ein gutes Jahr dauern, Schulze, wir danken Ihnen vielmals für das bis das Gesetz insgesamt verabschiedet ist. Gespräch.

Netzwerk FGF: Auf dem Kongress wurde auch deutlich, dass Frauenförderung stär- Kontakt und Information ker in den Fachbereichen ansetzen muss. Dr. Susanne Keil [email protected] Schulze: Die Pflicht zur Verabschiedung von Frau- www.dr-susanne-keil.de enförderplänen an den Fachbereichen haben wir

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Jennifer Jäckel

Politische Organisation des wissenschaftlichen Mittelbaus – ein aussichtsloses Unterfangen?

Am 28. und 29. Oktober 2011 fand der zwei- in diesem Zusammenhang die hohe Fluktuation te Workshop des Netzwerks Frauen- und Ge- im Mittelbau sowie die mit wissenschaftlichen schlechterforschung NRW zum Thema Pre- Tätigkeiten und Qualifikationsarbeiten verbun- karisierungsprozesse im Mittelbau in der denen identitätsstiftenden Anteile und Prestige DGB-Bildungsstätte in Hattingen statt. Unter als mögliche Bremsen eines Arbeitnehmer/innen- dem Titel „Prekarisierungsprozesse im Mittel- Selbstbildes. Gefragt wurde ebenfalls danach, bau. Intersektionale Perspektiven und politische welche Entscheidungsträger/innen überhaupt in Handlungsfelder“ diskutierten zwei Tage lang den Fokus der Kritik gestellt werden sollten. Mittelbauer/innen, Forscher/innen und Gewerk- Der Einstieg in die Diskussion wurde durch den schafter/innen über Perspektiven und Grenzen Vortrag „Die Uni ist der größte Halsabschneider politischen und gewerkschaftlichen Engage- überhaupt.“ Beschäftigungsbedingungen und ments für den Mittelbau vor dem Hintergrund ei- interessenspolitische Haltungen von WiMis“ von ner fortschreitenden Tendenz der Prekarisierung Christel Teiwes-Kügler (Universität Duisburg- von Arbeitsverhältnissen im wissenschaftlichen Essen) und Prof. Dr. Andrea Lange-Vester (Uni- Feld. versität der Bundeswehr München) eröffnet. Die Referentinnen präsentierten Ergebnisse einer im Konzept Auftrag von Ver.di in 2010 durchgeführten Stu- die zur Arbeitssituation des wissenschaftlichen Der Workshop baute auf den Ergebnissen eines Nachwuchses. Hierbei wurde auf der Grundla- ersten Workshops auf, der im Dezember 2010 ge des Modells der alltäglichen Lebensführung von Dr. Diana Lengersdorf an der TU Dortmund im sozialen Raum Westdeutschlands von 2003 unter dem Titel „Wissenschaftlicher Mittelbau (agis.uni-hannover.de) und des Modells zu sozi- – privilegiert und prekär?“ durchgeführt wurde alen Milieus und Alltagsmoral (M. Vester/D. Gar- (vgl. dies. in Journal Nr. 28/2011). Während des demin, Leibniz Universität Hannover, 2011) eine Workshops in Dortmund wurde vielfach geäu- Verortung von Nachwuchswissenschaftler/inne/n ßert, dass eine Debatte über politische Hand- und ihren Handlungsstrategien vorgenommen. lungsoptionen vor dem Hintergrund zunehmen- Die Grundlage für diese Verortungen stellten der Befristungen, Mobilitätsanforderungen und Erhebungen mittels des methodischen Konzepts mehrfacher Abhängigkeiten nötig sei. der Gruppenwerkstatt dar. Im Rahmen von zwei Mit dem Konzept, den Workshop auf zwei Tage Gruppenwerkstätten wurden Naturwissenschaft- auszudehnen und damit Raum und Zeit für Ver- ler/innen und Geisteswissenschaftler/innen zur netzungen wie auch für ausgiebige Diskussionen Gestaltung ihrer privaten und beruflichen Le- und strategische Planungen zu schaffen, kam bensgestaltung sowie zu ihren Motivationen, das Netzwerk diesem Wunsch gerne nach. Erwartungen und Erfahrungen im wissenschaftli- chen Feld befragt. Für die Diskussion im Rahmen Thematischer Einstieg – Solidarisierung des Workshops besonders interessant waren die trotz heterogener Handlungsstrategien? Ergebnisse. Diese zeigten, dass der wissenschaft- liche Nachwuchs eine sehr große Heterogenität Bereits in der Vorstellungsrunde zeigte sich, dass bezüglich der sozialen Herkunftsmilieus aufweist die Teilnehmer/innen sowohl eine breite Expertise und diese Herkunftsmilieus auch beim Eintritt als auch eigene Erfahrungen im Kontext prekari- ins wissenschaftliche Feld weiterhin einen be- sierter Beschäftigungsbedingungen mitbrachten. deutsamen Einfluss auf Handlungsorientierun- Darüber hinaus wurden Fragen zur politischen gen haben. So wurde auch in der Diskussion Organisierung des Mittelbaus artikuliert, die im festgestellt, dass die Freiheiten und (relativen) Verlauf des Workshops geklärt werden sollten. Unabhängigkeiten in der Ausgestaltung des Ar- Hierzu zählten die grundsätzlichen Fragen nach beitsalltags, die häufig mit wissenschaftlichen politischen Handlungsmöglichkeiten und Formen Tätigkeiten verbunden sind, nicht immer den der Solidarisierung als auch nach der jetzigen gleichen Anreiz bieten, sondern materiell und und zukünftigen Rolle der Gewerkschaften im kulturell voraussetzungsvolle Werte darstellen. wissenschaftlichen Feld. Problematisiert wurden Dem gegenüber könnten auch ein Bedarf an

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Sicherheit und der Wunsch „anzukommen“ ste- Überstunden, die im Wissenschaftsbetrieb häufig hen. In diesem Zusammenhang wurde auch die aus Interesse am Gegenstand der Arbeit geleistet Relevanz der familiären Herkunft in Bezug zu Mi- und nicht als Überstunden empfunden werden. gration thematisiert, da zum Teil massive Miss- Auch wurden Gewerkschaftsbeiträge in Anbe- achtungserfahrungen beim Kampf um Stellen tracht der häufigen finanziell knappen oder nur und Inklusion auch zu einem Drop-Out führen kurzfristig planbaren Ressourcen des Mittelbaus können. Ein weiterer Diskussionsstrang verwies als zu hoch empfunden. auf Widersprüche zwischen Lebenswirklichkeiten und politischer Haltung. So basiere die Gestal- Streikvorbereitungen und utopische tung des eigenen Lebensalltags auf einer guten Räume Performance des unternehmerischen Selbst bei gleichzeitigem Bedürfnis nach Solidarität und Vor dem Hintergrund dieses bereits sehr breit Gemeinschaft. Als besonders hinderlich wurden gefächerten und intensiven Einstiegs gingen befristete und von Drittmitteln abhängige Be- die Teilnehmer/innen am Nachmittag in die schäftigungssituationen thematisiert, da diese Kleingruppenarbeit zu den Themen „Streikvor- keine Kapazitäten für Gremientätigkeiten oder bereitung“ und „Utopie“. Während die Streik- ehrenamtliches Engagement böten, bei gleich- vorbereitungsgruppe zu den Themen politische zeitig häufig auch befristeten lokalen Perspekti- Organisations- und Handlungsformen arbeitete, ven. Hier wurde auf dringend notwendige Ver- diskutierte die Utopiegruppe die aktuelle Situati- änderungen der Beteiligungsstrukturen an den on des Mittelbaus vor dem Hintergrund der Fra- Hochschulen hingewiesen, damit Personalvertre- ge, welche Ziele gemeinsame Ziele sein können. tung nicht ausschließlich durch Mitarbeiter/innen Dier Ergebnisse der Streikvorbereitungsgruppe geleistet wird, die selbst von Befristungen und lassen sich in mehrere Themenfelder auffächern: häufigen Wechseln nicht betroffen sind. Bislang erstens die Strategie, Studierende mehr einzubin- ist es jedoch oft so, dass die unbefristeten oder den in die Debatte um Beschäftigungsverhältnis- längerfristig Beschäftigten untereinander sehr se, primär über die Verdeutlichung der Relevanz gut vernetzt sind, nach außen jedoch geschlos- für die Qualität des eigenen Studiums (Motto: sen wirken. Gleichzeitig wurde auf Beschäftig- Stell Dir vor, es ist Uni und niemand ist da.). tengruppen verwiesen, die bislang gar nicht ver- Zweitens diskutierte die Gruppe die Rahmen- treten sind (SHKs, WHKs). bedingungen politischer Organisation und Ak- Auch wurde die Rolle der Gewerkschaften hinter- tion. Hierzu zählten eine große Unkenntnis der fragt. Dabei zeigte sich einerseits, dass negative Situation auf Seiten der Studierenden und der Bilder von Gewerkschaften weit verbreitet sind, Professorenschaft, Ausbeutungsverhältnisse und beispielsweise das Bild der gewerkschaftlichen zunehmende Entpolitisierung und Konkurrenz- „Betonköpfe“. Andererseits konnte auch kon- verhältnisse durch Exzellenzdiskurse, mangeln- statiert werden, dass an den Hochschulen eine des Selbstvertrauen des Mittelbaus und doppelte relativ große Unkenntnis der Gewerkschafts- und Abhängigkeiten von Doktormüttern und -vätern Personalvertretungsstrukturen und ihrer Zustän- sowie eine hohe Bereitschaft zur Selbstausbeu- digkeitsbereiche vorherrscht. Auch gibt es Hem- tung. Als mögliche Aktionsformen wurden vor mungen, sich gewerkschaftlich zu engagieren, da dem Hintergrund der Frage, wie eine heterogene Karriereeinbußen befürchtet werden. Überrascht und individualisierte Gruppe organisiert werden waren die Teilnehmer/innen in diesem Zusam- kann, folgende Ideen skizziert: Bündnisse schaf- menhang, dass sich die Naturwissenschaftler/in- fen mit Gewerkschaften und Studierendenschaft, nen in der Studie von Teiwes-Kügler und Lange- ironischer Einsatz von bekannten Mitteln wie Vester offener für Gewerkschaften präsentierten. „Gehaltsvergleiche“ und „Mitarbeiterin des Im Diskussionsverlauf kam die Frage auf, wie Monats“, anonyme und lokalisierte Aktionskom- der Schritt von einer grundlegenden Offenheit mandos oder auch Arbeitsniederlegungen nach zur Organisierung gelingen kann, insbesondere Erreichen der vertraglich festgelegten Arbeitszeit vor dem Hintergrund der Individualisierung im („Dienst nach Vorschrift“). Auch wurde auf das akademischen Qualifikationsverlauf. Für wichtig Internet als Möglichkeit zeitnaher und breit wirk- erachtet wurde, in Beziehungsarbeit zu inves- samer Vernetzung verwiesen. tieren, statt nur auf mediale Informationen via Die in der Utopiegruppe formulierten Ziele wa- Online-Plattformen und Flyer zurückzugreifen. ren folgende: Schaffung unbefristeter Stellen Auch wurde gefordert, dass die Gewerkschaf- unterhalb der Professur und Zugang zu solchen ten die Arbeits- und Lebensbedingungen von Stellen auch ohne Promotion, Herstellen einer Wissenschaftler/inne/n sowie ihre damit verbun- Kultur vielfältiger Anerkennungsformen (jenseits denen Einstellungen zur Arbeit und Identifikatio- von Doktortitel und Habilitation), konsequente nen verstehen müssen. Ein Beispiel hierfür waren Umwandlung von Stellen mit Dauertätigkeiten

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in Dauerstellen, Entbürokratisierung von For- pation auch von befristet beschäftigten und hoch schung und Lehre, Schaffung von Raum für so- mobilen Mitarbeiter/inne/n. wohl Generalist/inn/en als auch Spezialist/inn/ Bärbel Rompeltien ist Soziologin und Literatur- en und freie Forschung, strukturelle Verankerung wissenschaftlerin und kann auf viele Jahre ge- von mehr und besseren Mitspracherechten an werkschaftlichen und geschlechterpolitischen den Instituten und darüber hinaus innerhalb Engagements an den Hochschulen zurückbli- der Hochschulen, Anerkennung differenter Bil- cken. Sie war in verschiedenen Gremien tätig, dungsbegriffe, Gleichwertigkeit von Forschung Senatsmitglied, Mitbegründerin des Essener und Lehre, egalitäre Verteilung von Lehrformen Kollegs für Geschlechterforschung, fünf Jahre (bspw. Vorlesung versus Oberseminar) über alle als Betriebsrätin freigestellt, Mitglied der Frau- Hierarchiestufen und Beschäftigungsformen hin- enkommission und sechs Jahre Gleichstellungs- weg und Inklusion von und Sensibilisierung für beauftragte. Bärbel Rompeltien berichtete über Diversityfragen. Möglichkeiten und Nutzen gewerkschaftlichen Mit der Formulierung dieser Kernforderungen Engagements, so dass sich den Teilnehmer/ endete der erste Sitzungstag. Die Teilnehmer/ inne/n die Möglichkeit bot, konkrete Fragen zu innen nutzten jedoch die Gelegenheit, beim ge- stellen. Sie erläuterte ebenfalls, dass die GEW meinsamen Abendessen und einem abendlichen mit dem Beschluss von 2009, ein wissenschafts- Spaziergang Diskussionen fortzuführen und zu politisches Programm aufzulegen, auch eine vertiefen sowie vor dem Hintergrund der eigenen Ablehnung des Konzepts der unternehmerischen Erfahrungswerte zu diskutieren. Hierzu bot das Hochschule verknüpft. Sie verwies ebenfalls auf Erwachsenenbildungshaus des DGB mit seiner einen praktischen Ansatz der GEW im Rahmen Lage am Rande der Elfringhauser Schweiz und eines von Günther Böhmke in Bielefeld durchge- seinem Hausbistro gute Gelegenheit. führten Projekts, bei dem mit dem Konzept des Organizing gearbeitet wird. Annäherungen – Gewerkschaften und In der sich anschließenden Diskussion wurden Mittelbau im Gespräch viele Fragen und Themen wieder aufgegriffen: Präsenz und Repräsentationen der Gewerkschaf- Mit einer Zusammenfassung der Ergebnisse des ten im Hochschulkontext, Vertretungsansprüche ersten Tages begann der Samstagmorgen in Hat- und -möglichkeiten, aber auch -grenzen, Bünd- tingen. Dem schlossen sich die Impulsreferate nisse und Konkurrenzen zwischen Personal- von Matthias Neis als Vertreter des Fachbereichs gruppen, Heterogenität des wissenschaftlichen 5 (Bildung, Wissenschaft und Forschung) von Personals und der Interessen, Entstehen neuer Ver.di und Bärbel Rompeltien als Vertreterin der Jobs in Wissenschaftsmanagement und -service, GEW und langjährigem Gewerkschaftsmitglied Arbeitskulturen und Entgrenzung, alternative aus dem wissenschaftlichen Mittelbau an. ökonomische Konzepte für die Hochschulfinan- Matthias Neis hat sich über viele Jahre als Sozial- zierung im Kontext von Leistungs- und Exzel- wissenschaftler mit dem Thema Prekarisierung im lenzdiskursen sowie zunehmender Befristungen wissenschaftlichen Feld beschäftigt und ist seit und der Förderalismusfrage, Qualitätsverlust in 2010 als Projektsekretär mit dem Schwerpunkt Lehre und Forschung durch hohen Durchlauf und Organizing bei Ver.di beschäftigt. In seinem Im- schließlich die Entwicklung von Führungs- und pulsreferat erläuterte er das in Großbritannien im Personalkompetenz auch auf der professoralen Bereich der kreativen Free-Lancer entstandene Ebene. Konzept der Carrot Workers, um hieran Dimen- In der Ergebnisrunde äußerten die Teilnehmer/in- sionen von Prekarisierung zu verdeutlichen und nen den Wunsch, weiterhin im Austausch zu blei- nach der Übertragbarkeit auf Wissenschaftler/ ben. Hierfür wird es im Februar 2012 ein Nach- innen zu fragen. Weiterhin erläuterte er das Kon- bereitungstreffen geben. Die Werkstatt war ein Kontakt und Information zept des Organizing, welches auf den Betrieb als Beginn bei dem Versuch, Schwierigkeiten der ge- Jennifer Jäckel Koordinations- und zentrales Aktionsfeld und die Selbstorganisation werkschaftlichen Organisation des wissenschaft- Forschungsstelle der Beschäftigten mit gewerkschaftlicher Unter- lichen Mittelbaus auszuloten und offene Fragen Netzwerk Frauen- und Geschlechterforschung NRW stützung ziele. So würden konkrete lokale Ziele zu klären. Die Heterogenität vielfältiger In- und Universität Duisburg-Essen (um-)gesetzt und die Organisationsmacht der Exklusionen im wissenschaftlichen Feld wurden Berliner Platz 6–8 45127 Essen Beschäftigten erhöht, gleichzeitig ermöglichten hierbei ebenso deutlich wie das arbeitsrechtliche Tel. (0201) 183–2717 lokale und zeitlich begrenzte Projekte die Partizi- Informationsdefizit auf Seiten des Mittelbaus. [email protected]

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Jennifer Hübner

Mörderinnen. Verbrechen. Körper. Inszenierung.

Veranstalter: Universität Siegen, Zentrum für Gender Studies (Gestu_S), Datum/Ort: 13.10.–14.10.2011; Universität Siegen

‚Verbrecherinnen werden nicht als Verbreche- Visualisierung geprägt von Auslassungen und rinnen geboren, sondern dazu gemacht‘ – im Re-Präsentationen. Sinne dieses abgewandelten Satzes von Simone Andreas Becker (Frankfurt am Main) zeigte am de Beauvoir setzten sich Wissenschaftlerinnen Beispiel der Figuren aus Lady Snowblood und und Wissenschaftler bei der Tagung Mörderin- Lone Wolf and Cub die unterschiedliche Inszenie- nen. Verbrechen. Körper. Inszenierung. am Zen- rung männlicher und weiblicher Rache im japani- trum für Gender Studies der Universität Siegen schen Manga und deren Filmbearbeitungen auf. (GeStu_S) am 13./14. Oktober 2011 mit Imagi- Weiblichkeit würde hier durch verschiedene me- nationen und Narrationen von mordenden Frau- diale Inszenierungsstrategien unterstützt; gerade en im gesellschaftlichen und literarischen Diskurs die ästhetische Inszenierung vor allem über un- auseinander. Den Veranstalterinnen Nicola Glau- terschiedliche Zeitlupensequenzen und differente bitz und Hyunseon Lee ist es gelungen, ein inter- Farbsymboliken erwiesen sich als entscheidende essantes und abwechslungsreiches Programm zu Strategien. Allerdings erschienen die westlichen präsentieren, in dessen zehn Beiträgen Mörde- Geschlechterzuschreibungen nur in Teilen als rinnen in unterschiedlichen Kontexten analysiert gültig, auch die offensive Darstellung sowohl der werden konnten. Die Tagung wurde mit Mitteln männlichen als auch der weiblichen Morde sei der Gleichstellungsbeauftragten der Universität vor allem in einem anderen, affirmativen Gewalt- Siegen gefördert. verständnis begründet. Mit den Schlagworten des Titels sind die Aus- Marcus Stiglegger (Siegen) analysierte die zweite gangspunkte der Analysen skizziert: Neben den Karriere alternder Hollywood-Diven im 1960er- Mörderinnen selbst stehen vor allem ihre Ver- Jahre-Genre des ‚Hag-Horrors‘ und wies nach, brechen im Fokus. Hier ist zunächst zu fragen dass sich in diesem Genre der Umbruch zwischen nach den Motiven der Täterinnen, wie diese Old und New Hollywood widerspiegelt. An Film- bewertet und eventuell legitimiert werden. Ins- beispielen wie Robert Aldrichs What Ever Happe- besondere die Subjektposition, aus der heraus ned to Baby Jane? illustrierte Stiglegger, dass die die Täterin handelt, gibt wichtige Hinweise auf mordenden Frauen hier als Perversionen des klas- die jeweiligen Bewertungsstrategien. Während sischen Hollywood-Ideals erschienen; Weiblich- von Männern ausgehende Gewalt lediglich ge- keit sei im Alter lediglich als monströse sichtbar. gen gesellschaftliche Normen verstößt, ist die Auch auf der Bühne ist der von Frauenfiguren mordende Frau immer auch ein Verstoß gegen ausgeübte Mord meist nicht sichtbar. Insbeson- herrschende Weiblichkeitsvorstellungen, wie bei- dere in der Oper gibt es eine weitere Re-Präsen- spielsweise der aktuelle Fall Amanda Knox’, des tationsebene für den Mord, wie im zweiten Panel ‚Engels mit den Eisaugen‘, zeigt. Gerade auch zu Undoing men? Mörderinnen in der Oper deut- unter dem Aspekt der Körperlichkeit muss der lich wurde. Die Interpretation der dramatischen Blick darauf gerichtet werden, wie mit diesem Handlungsebene wird hier insbesondere durch doppelten Normverstoß umgegangen wird. Es die Musik entweder gestärkt oder aber unterlau- stellt sich die Frage, wie Weiblichkeit trotz der fen und in Frage gestellt. Beide Vorträge legten Anmaßung männlich konnotierten Verhaltens demzufolge den Schwerpunkt der Analysen vor im Mord hergestellt wird und auf welche Weise allem auf die Bedeutung der musikalischen Ebe- diese sich in der konkreten künstlerischen oder ne für die Inszenierung der Mörderinnen. medialen Inszenierung der Mörderin (und ihres Kadja Grönke (Leipzig/Oldenburg) gab einen Körpers) niederschlägt. Überblick über die verschiedenen Arten der Das erste Panel der Tagung drehte sich um Weib- Bühnen-Mörderinnen in der Oper. Sie unterschied liche Verbrechen im Bild und legte den Fokus Eifersuchts- und Kindsmörderinnen, politische auf die filmische Inszenierung der Mörderinnen- Täterinnen und individuelle Mörderinnen, deren Figuren. In audiovisuellen Medien wie dem Film komplexe Motivationen inszeniert würden. Die steht natürlich vor allem die Frage im Vorder- Inszenierung der Mörderinnen-Figuren sei dabei grund, wie der Mord gezeigt wird. Dabei ist die lange Zeit explizit auf die Moralvorstellungen des

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weiblichen Publikums zugeschnitten gewesen; Brühnes demonstrierte sie, dass die Femme Fa- die Morddarstellungen stünden nicht im Zentrum tale gerade als Projektionsfläche für aus der Ge- des Interesses. Am Beispiel von Verdis Lady Mac- sellschaft Auszugrenzendes erscheine und ihr als beth als einer individuellen Mörderin, die ihren Nationalallegorie auch eine politische Bedeutung Mann als Waffe benutze, machte Grönke deut- eingeschrieben würde. lich, wie die Musik, die gegen die Möglichkeiten Jennifer Hübner (Augsburg) zeigte auf, wie im der Sopranistin hin komponiert sei, die Bedroh- deutschsprachigen Kriminalroman die Inszenie- lichkeit der Mörderinnen-Figur unterstütze. Das rung weiblichen Gewalthandelns in sexuellen Böse sei der Musik hier als ästhetischer Diskurs Kontexten zwischen Überspitzung und Nicht- eingeschrieben. Grönke plädierte abschließend Sagbarkeit changiert. Während Thea Dorn in für eine Zusammenschau von Dramaturgie, Musik Die Hirnkönigin die Lustmörderin durch die Ein- und Ethik in der Operninterpretation. schreibung in den literaturhistorischen Diskurs In ihrem Vortrag untersuchte Angela Beuerle über Gewalttäterinnen letztlich dekonstruiere, (Stuttgart) die Wandlungen von Gaetano Do- spiegele die Nicht-Sagbarkeit des weiblichen nizettis Lucia di Lammermoor von der Femme Gewalthandelns in Jan Seghers Ein allzu schönes fragile zur Femme fatale und damit von einer Mädchen die Unmöglichkeit eines weiblichen unglücklich Liebenden schließlich hin zu einer Lustmordes wider. Hysterikerin. Auch hier sei nicht der Mord Lucias Ruth Neubauer-Petzold (Erlangen) beschäftigte zentral; auf der Bühne würde er lediglich auf mu- sich mit der Frage, ob ein weiblicher Hannibal sikalischer Ebene metaphorisiert und innerhalb Lecter möglich sei. Am Beispiel der zwei Mör- der Handlung versprachlicht. Beuerle wies an- derinnen Anna Przygodda und Elfriede Blaustei- hand der berühmten Kadenz nach, wie sich die ner sowie der Serienmörderin Eileen Wuornous Änderungen in der Interpretation der Figur vor al- verdeutlichte sie die spezifisch auf Frauen an- lem auf der musikalischen Ebene widerspiegeln – gewandten (massen-)medialen Inszenierungs- während zunächst Edgardo als zentraler Prota- strategien, die sich rigide an traditionellen gonist der romantisch-tragischen Liebeshandlung Rollenbildern orientierten. Insbesondere in der erscheine, würde durch die Kadenz die Wahn- Benennung von Mörderinnen als ‚Blaubärtin‘ sinns-Szene verlängert und betont, wodurch Lu- finde eine diffizile Genderverschiebung statt. Da cia als wahnsinnige Mörderin zentral würde. Lu- die Mörderinnen sich durch ihre Tat männliches cia erwiese sich auf diese Weise als Brückenfigur Verhalten anmaßten und so letztlich als ‚mons- hin zu anderen Femme fatale-Figuren wie Salome trös‘ erschienen, verneint Neubauer-Petzold (zu- oder Elektra. mindest für den Moment) die Möglichkeit einer Im ersten Panel des zweiten Tages zum Thema weiblichen Lecter-Figur. Mord-Lust ging es vor allem um Narrationen von Irina Gradinaris (Trier) Vortrag beschäftigte sich weiblichen Lust- und Serienmörder-Figuren. Da mit lustmörderischen Täterinnen und Opfern. diese grundsätzlich der eigentlich genuin männ- Ausgehend von der Entstehung des Lustmord- lichen Konstruktion zuwiderlaufen, wird hier die diskurses um 1900 und seiner Diskreditierung Genderverschiebung auf die Spitze getrieben. als analytische Kategorie demonstrierte sie am Eingeleitet wurde das Panel durch Kathrin Hoff- Beispiel der Lustmörderinnen in Thea Dorns Die mann-Curtius (Berlin), die sich den Verschiebun- Hirnkönigin und Helmut Kraussers Schmerznovel- gen in der Inszenierung weiblicher Täterschaft le sowie des lustmörderischen Opfers in Thomas seit dem 19. Jahrhundert widmete. Dabei be- Hettches Der Fall Arbogast, wie der Lustmord als zog sie sich vor allem auf die Mystifizierung der ästhetisches Sujet in der gegenwärtigen Literatur mordenden Frau als Femme Fatale in Form der aktualisiert wird. Sphinx. Durch die (auch visuelle) Animalisierung Das die Tagung abschließende Panel beschäftigte der Frau als Sphinx würde die kriminalisierte sich dann im Kontrast zum vorhergehenden mit Weiblichkeit der Frau gleichsam entschärft und einem explizit dem Weiblichen zugeschriebenen könne so gefahrlos rezipiert werden. Die Anima- Verbrechen. Obwohl Kindstötungen auch durch lisierung würde im Weiteren schließlich implizit Männer ausgeführt werden, bestimmt die Kinds- mitgedacht und so in den Frauenkörper ‚einge- mörderin die gesellschaftliche und künstlerische schrieben‘. Hoffmann-Curtius verstand insbe- Wahrnehmung. Der Schwerpunkt des Panels lag sondere das Bild des tugendhaften Ritters als dabei auf der Beziehung zwischen Kindsmörde- Gegenbild zur Femme fatale und zeigte auf, wie rinnen und Massenmedien. mit Nietzsche auch der männliche Lustmörder als Kathleen Heft (Berlin) zeigte in ihrem Vortrag positive reaktive Figur auf die fatale Weiblichkeit über die mediale Inszenierung des Kindsmords gesehen werden könne. An zahlreichen Bildern, die subtile Verortung der Thematik in den neuen dem Film Geheime Staatsaffären und der mas- Bundesländern, auf welche Weise die Inszenie- senmedialen Inszenierung insbesondere Vera rung der Morde als ‚Folgeschäden der DDR-So-

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zialisierung‘ die Tat kulturalisiere und so alle ost- de durch die Tagung erwiesen, sind also noch deutschen Frauen als abweichend von normaler immer fragwürdige Figuren. So ließen sich zum (westdeutscher) Mütterlichkeit diskreditiere. Abschluss der Tagung auch keine eindeutigen Eva Tolasch (München) untersuchte die Mutter- Thesen formulieren, mit denen man der Mörderin bilder, die sich in verschiedenen Diskursen über habhaft werden kann; vielmehr wurden einige Kindsmörderinnen wiederfinden, und zeigte die Fragen aufgeworfen, die eine Perspektive bieten subtilen Verschiebungen in den Mutterimagina- für die weitere Auseinandersetzung mit mor- tionen auf: Die Täterin würde entweder selbst als denden Frauenfiguren. Leidenschaftlich disku- Opfer verhandelt, deren Motive dann unerklärlich tiert wurde insbesondere die Frage, ob man den blieben, oder als ‚monströse‘ Täterin. Auf diese weiblichen Mord als emanzipatorische Handlung Weise würden anhand der Kindsmörderinnen- verstehen könne, da Frauen sich durch einen zuschreibungen in Zeiten der sozialen Krise im Mord Handlungsspielräume aneignen würden, Sinne zunehmender Kinder- und Erwerbslosigkeit die ihnen traditionellerweise nicht zugestanden letztlich restaurative soziale und geschlechtsspe- würden. Allerdings sei die einfache Aneignung zifische Rollenbilder gefestigt. männlichen Handelns noch kein emanzipativer Die verschiedenen Beiträge illustrierten die Akt. Die Wahrnehmung der Mörderinnen und der Bandbreite und Komplexität der Mörderinnen- Morde als rein ästhetische Codierungen in den Inszenierungen. Die dabei nicht immer trenn- neueren Gender Studies vernachlässige dabei die scharfe Unterscheidung von fiktiven und realen erforderliche politische Ebene der Inszenierung Mörderinnen ist dem Diskurs selbst geschuldet, einer solchen Figur. Es stellt sich also die Frage, ist die Vermischung doch hier schon angelegt. inwieweit die Frauenfiguren in ihrem Ausbrechen Grundsätzlich ließ sich feststellen, dass Weib- aus dem patriarchalen Regelwerk eigenstän- lichkeit durch die Gewalthandlung uneindeutig dig weibliche gewalttätige Handlungsweisen wird. Gerade diese Uneindeutigkeit wird häufig erschaffen. Davon ausgehend lässt sich auch genutzt, um die etablierten Geschlechterzuschrei- nach den spezifisch weiblichen Imaginationen Kontakt und Information bungen neu zu verhandeln. Dabei erweist sich weiblichen Mordes fragen – denn die während Jennifer Hübner auffälligerweise gerade die Figur der liebenden, der Tagung besprochenen Werke stammten mit [email protected] umsorgenden Mutter bei vielen Bearbeitungen wenigen Ausnahmen durchweg von männlichen Dr. Uta Fenske als Gegenfolie, die letztlich als zu bestätigen- Autoren bzw. Künstlern. Man kann neugierig Zentrum Gender Studies Siegen Wissenschaftliche Koordination de Zuschreibung implizit mitverhandelt wird. sein, inwieweit sich die Veränderungen der Ge- Hölderlinstraße 3 Dennoch wird durch die Mörderinnen-Figuren schlechterzuschreibungen auch auf das Handeln D-57068 Siegen Tel.: (0271) 740–4553 Geschlecht als Konstruktion und Zuschreibung und die Wahrnehmung von mordenden Frauen in [email protected] sicht- und verhandelbar. Mörderinnen, das wur- Gesellschaft und Kunst auswirken.

Katrin Jansen

100 Jahre 2. Nobelpreis Marie Curie

Wie weiblich sind die Naturwissenschaften heute?

kerInnen und Verantwortliche für Gleichstellung an Hochschulen über die Frage: Wie weiblich sind die Naturwissenschaften heute? Ausrichter der Konferenz war das mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung sowie des Europäischen Sozialfonds geförderte Verbundprojekt ChemWiss „Chemikerinnen auf dem Weg in die Wissenschaft?“, das vom Rhein- Am 9. und 10. November 2011 fand in der Kalk- Ruhr-Institut für Sozialforschung und Politikbe- scheune in Berlin-Mitte eine Konferenz anläss- ratung e.V. an der Universität Duisburg-Essen lich der Verleihung des 2. Nobelpreises an Marie und dem Institut für Soziologie an der Univer- Curie vor 100 Jahren statt. sität Duisburg-Essen durchgeführt wird. Die Be- Es diskutierten NaturwissenschaftlerInnen, So- grüßung durch die UDE übernahm Prof. Dr. Ute zialwissenschafterInnen, Wissenschaftshistori- Klammer als Prorektorin für Diversity Manage-

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ment, die darauf hinwies, dass zu der Zeit, als Marie Curie ihren Nobelpreis für Chemie erhielt, Frauen in Deutschland gerade erst den Zugang zum Studium erhalten hatten. Seitdem hat sich zwar vieles geändert, doch die Frage bleibt: Was sind die Gründe dafür, dass Frauen auf dem Weg an die Spitze auf der Strecke bleiben? Eine, die den Weg an die Spitze geschafft hat und gerne Vorbild ist, ist die Chemieprofessorin Christina Marie Thiele von der TU Darmstadt. Für ihren wissenschaftlichen Werdegang hebt sie vor allem die Bedeutung einiger Personen her- vor, die sie als wichtige Unterstützung auf dem Weg zur Professur benennt, beispielsweise ihre Chemielehrerin aus der Schulzeit. Ihr wichtiger Hinweis für angehende Wissenschaftlerinnen Begrüßung durch die Prorektorin für Diversity Management der UDE Frau Prof. Dr. Ute Klammer lautet: Wenn man etwas haben will, dann muss man es sich holen, auch gegen alle Widerstän- geborenen Industriechemikerin und Erfinderin. de! Allerdings mit der Einschränkung, nicht um Marie Curie war zwar als Forscherin eine Aus- jeden Preis und nicht auf Kosten der Gesundheit nahme, nicht aber als eine an Chemie interes- oder sozialer Beziehungen. sierte Frau. Anhand der Karriere von Edith Weyde Ein Leben gegen alle Widerstände, so charak- zeigte die Referentin historische Entwicklungen, terisiert die Diplom-Physikerin und freie Wis- übergreifende Strukturen und systematische senschaftsjournalistin Dr. Brigitte Röthlein das Überlegungen zu Chemikerinnen im 20. Jahr- Leben von Marie Curie. Sie berichtete von den hundert auf. Ein wichtiger Meilenstein für die Widerständen, die Marie Curie, geborene Sklo- Chemie war die Etablierung als wissenschaftli- dowska, im Laufe ihres Lebens überwunden hat. ches Fach mit experimenteller Ausbildung im 19. Angefangen mit dem Widerstand gegen die rus- Jahrhundert. Zuvor galt die Chemie als Hilfswis- sischen Besatzer in Polen, dem Studium als Frau senschaft und handwerkliche Kunst. Akzeptiert und Ausländerin in Frankreich, dem Kampf um wurde das Studium nur bei Männern. Um 1900 die Anerkennung ihrer wissenschaftlichen Leis- entwickelte sich das Berufsbild des Industrieche- tung, als berufstätige alleinerziehende Mutter mikers als Forscher und Unternehmer. Mit der nach dem Tod ihres Ehemanns Pierre und ge- Professionalisierung gingen eine stärkere sozi- gen öffentliche Diffamierungen. Ihr Leben als ale Bedeutung und eine hohe Bezahlung einher. Forscherin, Mutter und Geliebte war „irrsinnig“ Im Gegensatz zum Chemiker als Expertenberuf modern und entsprach keinesfalls den zeitge- verstand man unter Chemikerin die Zuckerche- mäßen Konventionen. Ihre absolute Hingabe an mikerin, die in 12 Wochenkursen ausgebildet die Wissenschaft ohne Kompromisse – die man wurde. Häufig wurden die Frauen, auch wenn bewundern muss – kann noch heute als Vorbild sie als „Chemiker“ ausgebildet waren, als Hilfs- für Wissenschaftlerinnen und Forscherinnen die- kräfte und Privatsekretärinnen eingesetzt. Es nen. entwickelte sich ein zweiter Stellenmarkt mit für PD Dr. Beate Ceranski verglich im Anschluss die „Damen passende(n) Posten“, beispielsweise in populäre Rezeption von Marie Curie und Albert den Abteilungen Literatur und Patentwesen. Einstein. Sowohl Einstein als auch Curie haben Zum Abschluss des ersten Tages berichtete Prof. schon zu Lebzeiten Ruhm und Verfemungen Dr. Helga Rübsamen-Schaeff von ihren Erfah- erlebt. Die Nachlassverwalter und Biographen rungen. Sie konnte bereits auf eine erfolgreiche Einsteins und Eve Curie zeichneten ein Bild Wissenschafts- und Industriekarriere zurückbli- zweier unkonventioneller Persönlichkeiten, die cken, als sie im Jahr 2006 die Ausgründung der den humanitären Werten verpflichtet sind, mit Firma AiCuris aus dem Bayer Konzern leitete. keinerlei Interesse an materiellen Belangen. Die- Die Managerin eines Forschungsunternehmens ses Bild veränderte sich dann später durch das referierte über die Entwicklung und Erfolge von Bekanntwerden neuer Quellen. Mit Einstein ver- AiCuris. Ihre Handlungsmaxime lautet: Create a bindet man heute vor allen Dingen das Bild des vision, believe it can be done and do the work! „Genies“, mit Marie Curie die „Besessenheit“. Der zweite Tag der Konferenz stand im Zeichen Dr. Christine Roloff forschte in den 1980er Jah- der Nachwuchswissenschaftlerinnen. Zunächst ren als eine der ersten Sozialwissenschaftlerin- berichteten die Veranstalterinnen von den Zwi- nen zur Karriere von Chemikerinnen. Ihr Vortrag schenergebnissen ihres BMBF-Verbundprojektes beschäftigte sich mit Edith Weyde, einer 1901 und fragten, wo die Enkeltöchter der Curies

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sind. Die Koordinatorin Dr. Ute Pascher stellte Mütter für exzellente Forschung in den Natur- das empirische Pilotprojekt und zwei Teilstudien wissenschaften ausgezeichnet werden. Die vor. Prof. Dr. Petra Stein vom Institut für Soziolo- diesjährigen Preisträgerinnen sind Nicole Fröh- gie an der Universität Duisburg-Essen berichtete lich von der Universität Tübingen, Katja Herzog von den zentralen Zwischenergebnissen einer vom Max-Delbrück-Zentrum in Berlin und Judith Onlinebefragung, die an 12 Hochschulen unter Klatt vom Max-Planck-Institut für Marine Mi- Studierenden durchgeführt wurde. Bemerkens- krobiologie. Unter dem Eindruck der erfolgrei- wert sind die hohe Beteiligung an der Befragung chen Nachwuchswissenschaftlerinnen, die ihre und die Bereitschaft, für weitere Befragungen Begeisterung und Faszination für die Naturwis- zur Verfügung zu stehen. Betrachtet man die senschaften erläutert hatten, diskutierten nach Ergebnisse zum angestrebten akademischen der Mittagspause Prof. Dr. Thisbe Lindhorst vom Abschluss der Studierenden, so stellt man fest, Arbeitskreis Chancengleichheit der Gesellschaft dass der Wunsch zur Promotion bei den Frauen Deutscher Chemiker, Prof. Dr. Eva Rentschler von der neuen Studiengänge stärker ausgeprägt ist der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, PD als bei den Männern. Im Diplomstudiengang ist Dr. Renate Tobies von der Friedrich-Schiller-Uni- dies nicht der Fall. Insgesamt ist der Wille zur versität Jena und Wiebke Meister, Preisgewin- wissenschaftlichen Karriere (in Forschungsinsti- nerin des „FOR WOMEN IN SCIENCE“ AWARD tuten, Forschung und Entwicklung in der Indus- 2010, die Fragestellung: Was haben wir erreicht trie oder Forschung und Lehre an der Hochschu- und was bleibt zu tun? Zunächst wies Frau Dr. le) leicht höher als bei Männern. Hier stellt sich Tobies darauf hin, dass seit den 1980er Jahren die Frage, warum sie diesen Wunsch später häu- die Wahl eines naturwissenschaftlichen Stu- fig nicht weiter verfolgen. Erste Hinweise dazu diums durch Frauen nicht mehr als „wider die gibt die qualitative Teilstudie, die von Dr. Ute Natur“ angesehen wird. In der ehemaligen DDR Pascher vorgestellt wurde. Sie beruht auf qua- gab es solche Klischees gar nicht. Nichtsdesto- litativen Interviews an der Universität Duisburg- trotz waren aber auch dort die höchsten Positi- Essen und der Johannes Gutenberg-Universität onen mit Männern besetzt, obwohl es unter den Mainz mit Studentinnen im 2. Semester. Studierenden mehr Frauen gab als im Westen. An die Zwischenergebnisse des Projekts Chem- Prof. Dr. Lindhorst wies darauf hin, dass die Frau- Wiss anschließend stellte Prof. Dr. Heike Kah- en nach der Promotion „verloren“ gehen. Wieb- lert von der LMU München die Ergebnisse des ke Meister verwies auf die Bedeutung von Rah- BMBF-Projekts „Die Karriereziele von Promo- menbedingungen und Strukturen, aber auch, vierenden der Chemie und Politikwissenschaft dass man klar seine Bedürfnisse kommunizieren im Vergleich“ vor. Im Rahmen des Projektes und verhandeln muss. Aus dem Publikum wur- wurden 60 problemzentrierte Interviews mit de angemerkt, dass der Faktor „Kind“ Frauen Nachwuchswissenschaftlerinnen im letzten Jahr immer anhaftet, ganz gleich, ob sie tatsächlich ihrer Promotion bzw. maximal ein Jahr nach der Kinder haben oder nicht. Promotion geführt. Frau Dr. Kahlert hält eine Re- Was muss sich ändern? Frau Dr. Tobies beton- form des wissenschaftlichen Karrieresystems mit te die Bedeutung von Berufungskommissionen Alternativen zur Professor, ein tenture-track für und dass es wichtig sei, dass mehr Frauen in die Habilitierte, eine Postdoc-Förderung und Durch- Kommissionen kommen. Auch die Exzellenzini- lässigkeit zwischen Wissenschaft und außeruni- tiative, durch die der Gedanke an Chancenge- versitärem Arbeitsmarkt für nötig. rechtigkeit für Frauen in die Fakultäten getragen Im Namen des Bundesministeriums für Bildung werde, sei ein Anfang. Die „zugespitzten Ver- und Forschung begrüßte danach Ministerialrätin hältnisse“ in Deutschland sind laut Prof. Rent- Christina Hadulla-Kuhlmann die Anwesenden. schler vor allem auf die steilere Hierarchie im Sie verwies auf das von der UN ausgerufene in- Vergleich zu Wissenschaftssystemen im Ausland ternationale Jahr der Chemie, betonte die Chan- zurückzuführen. Wichtig ist auch zu erwähnen, cengerechtigkeit als Leitprinzip ihres Hauses und dass das Problem der Chancengleichheit häufig hob die Bedeutung von sozialwissenschaftlicher erst mit dem Streben in Führungspositionen in Forschung zu Wissenschaftskarrieren hervor, um das Bewusstsein von Frauen tritt. mit Hilfe der Ergebnisse eine zukunftsorientierte Am Nachmittag wurden gute Bespiele für die Politik zu gestalten, in der Frauen in allen Berei- Förderung von Frauen vorgestellt. Malahat chen vertreten sind. Wittmann präsentierte das Doppelkarriere-Pro- Ein Beispiel für das Engagement von Stiftun- gramm der Technischen Universität München. gen war die anschließende Preisverleihung des Seit ca. 2003 hat ein wissenschaftspolitischer UNESCO „FOR WOMEN IN SCIENCE“ AWARD Wandel eingesetzt, der das Thema der Doppel- 2011, von der UNESCO, L’oreal und der Chris- karriere immer häufiger zum Gegenstand von tiane-Nüsslein-Volhard Stiftung, mit dem junge beispielsweise Berufungsverhandlungen werden

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lässt. Der Partner bzw. die Partnerin wird nun erhöhen. Es müsse kommuniziert werden, dass Kontakt und Information auch vermehrt als Wissenschaftsressource für es nicht darum gehe, angeblichen Defiziten von Dipl. Soz.-Wiss. Katrin Jansen die Region gesehen. Allerdings wird das Ange- Frauen zu begegnen. Rhein-Ruhr-Institut für Sozial- forschung und Politikberatung bot noch häufiger von den Partnerinnen genutzt. Auf der Konferenz wurde deutlich, dass die (RISP) e.V. an der Universität Birte Peter stellte das Ada-Lovelace-Projekt an „Nachfahrinnen“ von Marie Curie vor allem von Duisburg-Essen der Universität Mainz vor. Insgesamt möchte das inhaltlichen Fragestellung und der Faszination Projektgruppe Beschäftigung und Chancengleichheit (B&C) Projekt junge Mädchen und Frauen für Berufe in von Forschung und Wissenschaft angetrieben Heinrich-Lersch-Str. 15 Technik und Naturwissenschaften gewinnen. An werden. Sie halten sich nicht an Konventionen 47057 Duisburg Tel.: (0203) 3634139 der Hochschule werden Studienanfängerinnen und lassen sich von Widerständen anspornen. Fax: (0203) 3632596 und Absolventinnen gefördert. Aus dem Publi- Einig waren sich alle Teilnehmerinnen: Es bleibt katrin_jansen@uni-duisburg- essen.de kum wurde darauf hingewiesen, dass es wich- noch viel zu tun, um Chancengleichheit in Wis- www.risp-duisburg.de/ tig sei, die Akzeptanz solcher Programme zu senschaft und Forschung zu erreichen. www.exichem.de

Mechthilde Vahsen

Geschlechtergerechtigkeit an Hochschulen – Erfordernisse und Empfehlungen

Der erste Gender-Kongress in NRW fand am 22. September 2011 in Düsseldorf statt

Über 200 Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren gekommen, um sich einen ganzen Tag lang mit dem Thema „Geschlechtergerechte Hochschule“ auseinanderzusetzen und mögliche Handlungsan- sätze auszuarbeiten. Der Kongress, initiiert durch das Wissenschaftsministerium NRW und organi- siert vom Netzwerk Frauen- und Geschlechterfor- schung NRW, versammelte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus allen Statusgruppen, Gleichstellungsbeauftragte und in anderen Kon- texten mit Gender und Wissenschaft Beschäftigte zu einem regen Austausch. „Manches ist getan, vieles bleibt noch zu tun.“ Damit eröffnete Svenja Schulze, Wissenschafts- ministerin des Landes Nordrhein-Westfalen, den Kongress und rekurrierte auf die Ergebnisse des ersten Gender-Reports 2010: Der Anteil der Pro- Trotzdem sieht sie weiteren Handlungsbedarf, fessorinnen an NRW-Hochschulen liegt bei 16,6 % zum Beispiel bei der besseren Vereinbarung von (Stand 2008), in den Rektoraten finden sich 19 % Beruf und Familie für beide Geschlechter. Frauen und in den weiteren Leitungsgremien sinkt Professor Dr. Martin Sternberg, Vorsitzender der er auf 11 % (Stand 2008). Auch wenn es insge- Landesrektorenkonferenz der Fachhochschulen samt mehr Hochschulabsolventinnen als -Absol- in NRW, betonte in seinem Grußwort: „Jenseits venten gibt (52 %), wird diese Aufteilung nicht aller gesetzlichen Verpflichtung oder Zielvereinba- fortgeführt, sie ist zudem in den jeweiligen Fach- rung bin ich für die systematische Erforschung von kulturen sehr unterschiedlich. Genderthemen und die Frauenförderung. Es ist Professorin Dr. Ursula Gather als Vorsitzende der ein Gebot der Qualitätssteigerung, der Klugheit Landesrektorenkonferenz der Universitäten in und der Gerechtigkeit.“ Einen Schwerpunkt sieht NRW, benannte die bisherigen Erfolge: „Im ak- er in einer optimierten Gestaltung von Studien- tuellen Zwischenbericht zu den ‚Forschungsorien- gängen, „um mehr Studentinnen für die Fächer zu tierten Gleichstellungsstandards‘ haben es sieben gewinnen, in denen sie stark unterrepräsentiert NRW-Universitäten unter die Top 20 geschafft.“ sind, vor allem in den Ingenieurwissenschaften“.

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Der Präsident der Deutschen Forschungsge- zu gewährleisten. Zu einer solchen „genderge- meinschaft Professor Dr.-Ing. Matthias Kleiner rechten Wissenschaftskultur“ gehören Aspekte, betonte, dass „Chancengleichheit als eine Quer- wie sie auch in der „Leitinitiative Innovations- schnittsaufgabe begriffen“ wird. Daher vertritt union“ genannt sind: Transparenz in Rekrutie- die DFG das sog. Kaskadenmodell: Der Frauenan- rungsprozessen, Sicherheit und Berechenbarkeit teil der unteren Qualifikationsstufe bestimmt den wissenschaftlicher Karrieren, Mobilität und Fle- Sollwert für die nächst höhere Stufe. xibilität, Evaluation wissenschaftlicher Qualität und Exzellenz. Dr. Schäfer skizzierte im Anschluss die Lage in NRW am Beispiel des Gender-Reports 2010. Ziel war es, sowohl qualitativ als auch quantitativ zu zeigen, wie der derzeitige Stand der Geschlech- tergerechtigkeit an den Hochschulen in Träger- schaft des Landes NRW ist. Frauenförderpläne, Gleichstellungsmaßnahmen, weitere Projekte, der Frauenanteil auf allen Ebenen – dies sind die untersuchten Bereiche. Zwar hat es deutliche Fortschritte gegeben, aber Parität ist noch lange nicht erreicht. Der Nachmittag war der Arbeit in den Workshops gewidmet. Es gab insgesamt fünf Workshops, je- weils mit einer Moderation ausgestattet und mit Impulsreferaten eingeleitet:

Dr. Brigitte Mühlenbruch 1. Gender- und Diversity-Konzepte als Leitbilder der Hochschulen – Wie stärken wir die Frau- Die anschließenden Keynotes von Dr. Brigitte en? Mühlenbruch (Präsidentin der European Plat- 2. Welche Förderansätze zur Geschlechterge- form of Women Scientists, EPWS, Brüssel) und Dr. rechtigkeit lassen sich auf Landesebene im- Sabine Schäfer (Universität Bielefeld) widmeten plementieren? sich dem europäischen Kontext und den Ergeb- 3. Welche Maßnahmen zur Gleichstellung kön- nissen des Gender-Reports 2010. nen auf Fakultäts-/Fachbereichsebene ergrif- Dr. Mühlenbruch stellte die Strategie Europa fen werden? 2020 vor. „Fixing the administration“ – so das 4. Fachkulturen und Geschlecht in den Ingeni- neue Ziel in Brüssel, womit eine „Veränderung eurwissenschaften – Wie lassen sich fachkul- der Wissenschaftsinstitutionen, des Wissen- turelle Differenzierungen abschwächen? schaftssystems und dessen Strukturen“ gemeint 5. Wie lassen sich Gender-Aspekte in Forschung ist, um Chancengleichheit an den Hochschulen und Lehre verankern?

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Die Ergebnisse der Workshops wurden im Plenum vorgestellt, bereits als Power-Point-Präsentation aufbereitet und von den KommunikationslotsIn- nen Karina Antons und Christoph Illigens visua- lisiert. Die Wissenschaftsministerin griff in ihrem Schlusswort die Handlungsvorschläge auf und fasste zusammen, dass Veränderungen auf al- len zentralen Ebenen wichtig sind: gesetzlicher Rahmen, Leistungsorientierte Mittelvergabe, Ziel- vereinbarungen, ein noch zu entwickelndes Lan- desprogramm, Einrichtung eines Gleichstellungs- forums mit allen Beteiligten, Hochschulebene. Die Dokumentation des Gender-Kongresses ent- hält alle Grußworte, Keynotes, die Impulsreferate, die Visualisierungen und die Ergebnisse aus den Workshops sowie weitere biografische Angaben zu den Vortragenden. Sie kann über das Netz- Professorin Dr. Carmen Leicht-Scholten werk Frauen- und Geschlechterforschung NRW Kontakt und Information bestellt werden. [email protected]

Regina Heimann

Universität der Vielfalt?! Erweiterte Bildungszugänge und neue Professionalisierungswege für Frauen

Zum Öffentlichkeitstag des Weiterbildenden Studiums (WS) FrauenStu- dien mit Wissenschaftsministerin Svenja Schulze (MdL) am 18.06.2011 an der Universität Bielefeld

In diesem Jahr hat das WS FrauenStudien die öffnen und damit mehr Bildungsgerechtigkeit Wissenschaftsministerin des Landes NRW Frau zu schaffen. Vor allem der Studienzugang über Svenja Schulze zum Öffentlichkeitstag eingela- einen Meistertitel oder Berufserfahrung ermög- den, um mit ihr, dem Rektor der Universität Bie- licht eine direkte Studienberechtigung, ohne lefeld Prof. Dr. Gerhard Sagerer und dem Leiter zusätzliche Prüfung oder den Nachweis einer des Zentrums für Wissenschaftliche Weiterbil- Studieneignung. So zukunftsweisend dieser dung (ZWW) und des Instituts für wissenschaft- Schritt ist, bevorzugt er den Weg einer berufs- liche Weiterbildung (IWW) Prof. Dr. Wolfgang orientierten Biographie, in welcher Berufstätig- Jütte sowie Vertreterinnen der FrauenStudien keit und Aufstiegsfortbildungen die Regel sind. unter der Moderation von Prof. Dr. Katharina Nachweislich profitieren von diesen Reformen Gröning über die Erweiterung des bisherigen nicht solche Gruppen, die aus Gründen der Bil- Hochschulzugangs im Hinblick auf weibliche dungsbenachteiligung, der Behinderung oder Biographien zu diskutieren. Die mit ca. 150 Per- Erkrankung, der sozialen Ungleichheit oder der sonen sehr gut besuchte Veranstaltung mach- Sorgebenachteiligung andere Biographiemuster te deutlich, dass seitens der Öffentlichkeit ein aufweisen. Sie können von diesem vereinfach- großes Interesse am Thema Hochschulöffnung ten Zugang nicht profitieren, sondern müssen besteht. weiterhin zusätzliche Prüfungsleistungen er- Ein Eckpunktepapier (hier in leicht abgeän- bringen, um die Universität als Bildungsort nut- derter Form) lag dieser Diskussion zugrunde: zen zu können. Das WS FrauenStudien möchte Im Rahmen der neuen Verordnung zum Hoch- im Rahmen eigener Modernisierungsbestrebun- schulzugang beruflich Qualifizierter verfolgt das gen vor allem die Benachteiligung durch den Wissenschaftsministerium das Ziel, die Hoch- Lebenszusammenhang Familie fokussieren und schulen auch für Menschen ohne Abitur zu den Betroffenen mit seinem wissenschaftlichen

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Weiterbildungsangebot eine Qualifikation an- Veranstaltungsverlauf/Diskussions- bieten, die gleichzeitig einen Zugang zur Uni- ergebnisse versität eröffnet. Folgende Veränderungen er- scheinen in diesem Zusammenhang wichtig: Die Veranstaltung wurde von der Leiterin der - Eine Anerkennung des WS FrauenStudien im FrauenStudien Prof. Dr. Katharina Gröning er- Sinne des § 2 der BBHZVO als berufliche Auf- öffnet und mit Grußworten der Prorektorin für stiegsfortbildung eröffnet den AbsolventInnen Studium und Lehre Prof. Dr. Claudia Riemer so- einen Zugang zu allen grundständigen Studi- wie der Dekanin der federführenden Fakultät für engängen. Erziehungswissenschaft Prof. Dr. Susanne Miller - Familienfrauen ohne abgeschlossene Berufs- eingeleitet. Der anschließende Programmpunkt: ausbildung sollten die Möglichkeit erhalten, „Erweiterte Bildungszugänge, neue Professio- nach einer Eignungsprüfung am WS Frauen- nalisierungswege“ vermittelte ein Bild von den Studien teilzunehmen, um eine Reintegration derzeitigen und zukünftig anvisierten Teilneh- in den Bildungsmarkt zu ermöglichen. merinnen der FrauenStudien. Katharina Gröning - Durch die Modularisierung des Angebotes und thematisierte in ihrem Vortrag zu universitären Kooperationen mit ausgewählten Studiengän- Aneignungswegen den wachsenden gesell- gen an Fachhochschulen soll die Anschlussfä- schaftlichen Bedarf an wissenschaftlicher Wei- higkeit der erbrachten Studienleistungen an terbildung, um Entberuflichungsprozessen in ein Regelstudium verbessert werden. Berufsbiographien und möglichen Abstiegen zu - Für spezielle Zielgruppen wie Frauen mit Mi- begegnen. Mit Blick auf die sozial geöffnete und grationshintergrund und Frauen mit psychi- gerechte Hochschule sprach sie die immer noch schen Erkrankungen sollen modellhafte Rah- bestehende Ungleichheit im Bildungszugang menbedingungen entworfen werden, die eine an, die sich vor allem durch Barrieren an den universitäre Teilhabe beim WS FrauenStudien Übergängen z. B. in den Master, aber auch von ermöglichen und weitere Qualifizierungswege den FrauenStudien ins Regelstudium fortführt. eröffnen. Im Folgenden stellten vier Absolventinnen der FrauenStudien ihre erfolgreichen Entwicklungs- Exkurs FrauenStudien wege ins Regelstudium und darüber in neue Berufsfelder vor. Ihre Werdegänge veranschau- Das wissenschaftliche Weiterbildungsangebot lichten die Potenziale der Teilnehmerinnen, die FrauenStudien richtet sich an Personen, die ihre nach der Familienphase in den FrauenStudien beruflichen Bildungsinteressen zugunsten von (wieder-)entdeckt und weiterentwickelt werden. Familienarbeit zurückgestellt haben und sich Dr. Sandra Glammeier stellte das geplante Pro- nach einer längeren Zeit dieser alternativen jekt „BEST“ – Bestärkung, Selbstbestimmung, Form der Arbeit wieder dem Berufs- und Bil- Teilhabe – vor, das auf Frauen mit psychischen dungsmarkt zuwenden. Beeinträchtigungen fokussiert und Dequalifi- Die FrauenStudien bieten eine interdisziplinär zierungs- und Desintegrationsprozessen über angelegte Weiterbildung (6 Semester) auf uni- Bildung begegnen will. Dr. Regina Heimann versitärem Niveau in Teilzeitform an, die Wege thematisierte in dem geplanten Modellprojekt in die Beruflichkeit oder in ein neues Berufsfeld „Bildungsbrücken für Frauen mit Migrationshin- (u. a. auch durch die Aufnahme eines Regelstu- tergrund“ die besondere Bildungsbenachteili- diums) eröffnen soll. Erfahrungsgemäß reicht gung dieser Zielgruppe beim Hochschulzugang. dieses Zertifikat nicht für die Rückkehr in eine Im anschließenden Gastvortrag „Lasst Sie doch Vollberuflichkeit aus, sondern der Einstieg in denken – Bildungsgerechtigkeit für Frauen“ den oder der Verbleib im ungesicherten Status betonte die Ministerin, dass in Deutschland je- der „Zuverdienerin“ ist die Regel bei den Ab- des Talent gebraucht werde und entsprechende solventinnen. Strukturen geschaffen werden müssten, diese Das Ziel der FrauenStudien ist jedoch die För- zu entdecken und zu fördern. Sie prognostiziert derung einer Rückkehr in abgesicherte Berufs- den Universitäten für 2019/2020 einen Rück- positionen, eines Aufstiegs oder der beruflichen gang der Studierendenzahlen, dem die Univer- Neuorientierung vor allem durch einen akade- sitäten schon heute mit neuen Weiterbildungs- mischen Abschluss. Derzeit haben die Teilneh- angeboten an unterschiedlichste Zielgruppen merInnen ohne Abitur selbst nach erfolgreichem begegnen könnten. Abschluss der FrauenStudien keine prüfungs- Die anschließende Podiumsdiskussion zum The- freie Zugangsmöglichkeit ins Regelstudium. Ihre ma: „Universität der Vielfalt?!“ wurde durch- im Weiterbildungsverlauf erbrachten Studien- aus kontrovers geführt. Die wichtigsten Dis- leistungen sind nur bedingt anschlussfähig an kussionsaspekte sind hier zusammengefasst ein Regelstudium. dargestellt:

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- Im Hinblick auf sich wandelnde Zielgruppen im Bologna-Prozess könnten aus Projekten wie den FrauenStudien wertvolle Erfahrungen zu non-traditional-students und intergenerati- onalen Konzepten gewonnen werden. Durch die neuen Studienmodelle verändere sich die Gruppe der Studierenden – sie würde hetero- gener. Ein erfolgreiches Studium brauche somit andere Lernsituationen und Einstiegsszenarien, für die allerdings noch Strukturen geschaffen werden müssten. - Die Öffnung der Hochschule sei leicht umzu- setzen, sofern entsprechende Betreuungska- pazitäten gegeben seien. Mit den doppelten Abiturjahrgängen erscheine die Umsetzung al- lerdings schwierig. Für eine Öffnung brauche es Foto: Copyright Universität Bielefeld passende Betreuungsschlüssel, um vernünftige Relationen zu schaffen, ansonsten setze eine sellschaftlich müsse der Konsens darüber noch Selektion im Studium ein und die Hochschul- geschaffen werden, dass Bildung kein Konsum öffnung hätte die Begrenzung lediglich zeitlich sei. Vielmehr kosteten Bildung und Heterogeni- verschoben. tät Geld. - In kleinen Modellen sei eine Öffnung tragbar - Die unterschiedlichen Wege in die Hochschule (1 % der Studierenden), allerdings in der Brei- hinein müssten noch transparenter gemacht te nicht (10–20 %). Aber wer es ernst meine, werden. Zudem sei es unabdingbar, dass mit müsse über die Breite nachdenken, und das sei Abschlüssen im universitären Kontext Übergän- im Moment nicht umsetzbar. Die Heterogenität ge und Perspektiven verbunden sein müssten. führe zu Kulturveränderungen, die derzeit auch schon im Hinblick auf die Studienstrukturre- Die Diskussion zur Universität der Vielfalt hat form liefen. vor allem dazu beigetragen, die Wünsche und - Organisationen ließen sich über Ideen, Anrei- Bedenken im Hinblick auf eine verstärkte Hoch- Kontakt und Information ze und Sanktionen steuern und nicht nur nach schulöffnung sichtbar zu machen. Innerhalb der www.uni-bielefeld.de/fstudien dem unternehmerischen Kriterium der wirt- Universität Bielefeld wird an der Modernisierung Weiterbildendes Studium schaftlichen Effizienz. Es müsse auch um ein des Weiterbildungsangebotes gearbeitet. Die FrauenStudien Prof. Dr. Katharina Gröning Aushandeln von Ansprüchen unterschiedlichs- Ministerin hatte zudem zu einem weiteren Klä- (Leitung) ter Interessengruppen gehen. rungstermin nach Düsseldorf eingeladen. Derzeit Dr. Sandra Glammeier, sandra. [email protected] - Das Hochschulkonzept in NRW solle im Dialog werden eine Verordnungsänderung und auch die Dr. Regina Heimann, regina. entwickelt werden. Es stelle das Individuum in Anschlussfähigkeit der Studienleistungen in den [email protected] Universität Bielefeld den Vordergrund und die Schaffung einer ge- FrauenStudien an ein Regelstudium durch das Universitätsstraße 25 bührenfreien Bildungsteilhabe für jeden. Ge- Ministerium geprüft. 33615 Bielefeld

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Eva Buchholz

Interdisziplinäre Summer School „Aktueller Stand der Forschung zu geschlechtsbezogener Gewalt“

Universität Wien, Institut für Politikwissenschaft, 4.–5. Juli 2011

Ja, es gibt sie noch, die feministischen Gewaltfor- für frauenbewegte und gleichstellungspolitische scherinnen! Darüber freuten sich Prof. Dr. Birgit AkteurInnen geöffnet wurde. An diesem öffent- Sauer (Universitätsprofessorin am Institut für Po- lichen Tag fand eine Vortragsreihe statt, in der litikwissenschaft der Universität Wien), Dr. Moni- ausgewiesene Expertinnen der deutschsprachigen ka Schröttle (Wissenschaftliche Mitarbeiterin am feministischen Gewaltforschung, aber auch Prak- Interdisziplinären Zentrum für Frauen- und Ge- tikerinnen der Frauenhausarbeit Vorträge hielten: schlechterforschung der Universität Bielefeld) und Dr. Birgit Haller vom Institut für Konfliktforschung Maria Rösslhumer, Geschäftsführerin des WAVE- (IKF) in Wien stellte das österreichische Modell Networks (Women Against Violence Europe), die des Opferschutzes durch Prozessbegleitung vor, gemeinsam die interdisziplinäre Summer School das im Vergleich zu opferschutzrechtlichen Ver- „Aktueller Stand der Forschung zu geschlechtsbe- fahren in anderen Ländern (auch Deutschland) zogener Gewalt“ vom 4. bis 5. Juli 2011 an der viele wegweisende Elemente beinhaltet und Universität Wien ausrichteten.1 Auf den Call for durchaus als vorbildhaft zu bezeichnen ist – das Papers hatten sich zahlreiche Nachwuchsforsche- aber von der österreichischen Politik derzeit leider rinnen, vorrangig aus Deutschland und Österreich, wieder rückgebaut wird und von finanziellen Kür- beworben, um ihre aktuellen Forschungsprojekte zungen betroffen ist. vorzustellen. 16 Teilnehmerinnen präsentierten Prof. Dr. Birgit Sauer beschäftigte sich in ihrem Vor- während der Summer School ihre Forschungsar- trag mit dem Gewaltbegriff und plädierte für eine beiten (überwiegend Promotionsarbeiten, eine intersektionelle theoretische Verortung. Schwer- MA-Arbeit sowie ein EU-Forschungsprojekt), die punkte setzte sie in ihrem Vortrag auf die Inter- sich alle mit unterschiedlichen Perspektiven auf sektion bzw. Interdependenz der Kategorien Ge- geschlechtsbezogene Gewalt auseinandersetzten. schlecht, Migration/Ethnizität und „Kultur“. Sauer Die Forschungsperspektiven reichten von so- problematisierte die Verwendung der Begrifflich- ziologischen und politologischen Analysen über keiten „kulturbedingte“ Gewalt und „traditional kriminologische Fragestellungen bis hin zu psy- harmful practices“ (dt. schädliche traditionelle chologischen und medienwissenschaftlichen Un- Praktiken), unter denen vor allem Zwangsheirat tersuchungen bezüglich geschlechtsbezogener und arrangierte Ehen, weibliche Genitalbeschnei- Gewalt. Die Vorstellung der Forschungsarbeiten dung, Verbrechen im Namen der Ehre sowie die erfolgte in vier Clustern (Workshops), in de- Ganzkörperverhüllung von Frauen im islamischen nen jeweils ähnliche Themen gruppiert wurden Kontext verstanden würden. Die Verortung dieser (1. Gewalt, Migration und (neue) Kriege, 2. Gewalt, geschlechtsbasierten Gewaltformen im Kontext Geschlecht und Konstruktion, 3. Häusliche Gewalt von „Tradition“ und „Kultur“ führe dazu, dass und die Folgen – narrative, biographische Metho- Minderheitengruppen stigmatisiert und kollektiv den und 4. Häusliche Gewalt in vergleichender als patriarchal und gewalttätig abgewertet wür- Perspektive). Geleitet und moderiert wurden die den. Gleichsam würde Frauen die Handlungs- Cluster jeweils von Prof. Dr. Birgit Sauer oder Dr. macht abgesprochen, da sie auf den Status von Monika Schröttle, denen dafür zu danken ist, dass Opfern ihrer „Kulturen“ reduziert würden. Ein die Arbeiten der Nachwuchswissenschaftlerinnen solches Verständnis führe zur Alterisierung mi- intensiv diskutiert wurden und sowohl konkrete grantischer und ethnischer Minderheiten und Fragen aus dem individuellen Forschungsprozess berge die Gefahr einer rassistischen Instrumen- als auch theoretische und methodologische Ver- talisierung. Sauer plädierte dafür, den Gewaltdis- ortungen im größeren Forschungskontext erörtert kurs vom Kulturdiskurs zu lösen und den Begriff werden konnten. der „kulturbedingten Gewalt“ durch den Begriff Der „interne Tag“, an dem die Forschungsarbei- „Gewalt gegen Frauen“ zu ersetzen, der an der 1 Finanziert wurde die Summer ten in kleinem Rahmen diskutiert wurden, wurde Schnittstelle verschiedener Ungleichheitsdimensi- School von der Europäischen Kommission im Rahmen des ergänzt durch einen „öffentlichen Tag“, der für onen zu verorten sei und verschiedene Kategorien Daphne-Programms. die breitere wissenschaftliche Öffentlichkeit sowie wie Geschlecht, Ethnizität/Nationalität, Religion

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und Klasse im Prozess von Migration berühre. Zu des Forschungsdesigns und des der Erhebung berücksichtigen seien drei Dimensionen: 1. das zu Grunde liegenden Fragebogens entbrannte Zusammenspiel von Gewaltstrukturen/-institutio- eine kritische und z. T. heftig geführte Diskussi- nen und Gewaltdiskursen, 2. die Interaktion von on. Neben anderen kritisierten Rosa Logar (Ge- Ungleichheitsstrukturen in der Minderheits- und schäftsführerin der Wiener Interventionsstelle Mehrheitsgesellschaft sowie 3. das Interagieren gegen Gewalt in der Familie) und Prof. em. Dr. von Gewaltstrukturen aufgrund von Geschlecht, Carol Hagemann-White zentrale Konstruktions- Ethnizität/Nationalität, Religion und Klasse. merkmale des Fragebogens. Die zentrale Kritik Dr. Monika Schröttle sprach in ihrem Vortrag über drehte sich dabei einerseits um die Frage, ob die Gewalt, Geschlecht und den Beitrag quantitativer so erhobenen Daten überhaupt die Möglichkeit Untersuchungen für die feministische Gewaltfor- böten, ausreichende Zusammenhänge zwischen schung. Diese zielen u. a. darauf ab, die Ausmaße, partnerschaftlicher Gewalt und Gewaltformen Formen, Muster und Schweregrade von Gewalt herzustellen. Andererseits wurde befürchtet, dass zu erfassen sowie Folgen von Gewalt, entspre- sich die politische Diskussion der Ergebnisse der chende Unterstützungsbedarfe und Hinweise Studie kontraproduktiv auf die Gleichstellung der auf Ursachenzusammenhänge und Risikokons- Geschlechter (und, um ein Beispiel zu nennen, auf tellationen sichtbar zu machen. In ihrem Vortrag die Frauenhausfinanzierung) auswirken könnte – stellte Schröttle den Ertrag der quantitativen zum einen, weil zugleich Gewalt gegen Männer Gewaltforschung für Forschung, Politik und sozi- erhoben wurde,2 und zum anderen, wenn (wie ale Praxis vor und diskutierte das Verhältnis von befürchtet) die erlittene Gewalt den jeweiligen quantitativer und qualitativer Gewaltforschung. TäterInnen, aufgrund der Konstruktion des Frage- Im Vergleich zu qualitativen Forschungsdesigns bogens, nicht konkret zugeordnet werden kann. bieten quantitative Untersuchungen einige Vor- Nach dem anschließenden Abendessen ging es teile (wie die Erfassung eines breiteren Spektrums weiter mit zwei Abendvorträgen: Prof. em. Dr. von Gewaltbetroffenheit, Möglichkeit der Verall- Carol Hagemann-White von der Universität Osna- gemeinerung, Aufdeckung bislang unsichtbarer brück, die langjährige „Institution“ der feminis- Gewaltpotenziale, differenzierte gruppenspezifi- tischen Gewaltforschung in Deutschland, sprach sche Analysen und Vergleiche etc.); diese kommen über Befunde, Barrieren und Bedarf einer über- jedoch an ihre Grenzen, wenn es um vertiefende greifenden EU-weiten Strategie gegen Gewalt Deutungen und Interpretationen von Gewaltphä- im Geschlechterverhältnis. In ihrem Vortrag ging nomenen geht. Hier liegt die Stärke qualitativer sie auf aktuelle Entwicklungen auf europäischer 2 Diese Befürchtung ist vor dem Hintergrund zu verstehen, Forschung, die u. a. die Interaktionen und Dyna- Ebene sowie Ansätze, Chancen und Barrieren dass Untersuchungen über miken bei der Entstehung und Aufrechterhaltung für die Entwicklung einer solchen Strategie ein. die Gewaltbetroffenheit von Männern in der Vergangenheit von Gewalt viel besser erfassen und subjektive Während der Europarat (der nicht zur EU gehört) wiederholt instrumentalisiert Deutungsmuster in die Analyse mit einbeziehen durch die kürzlich verabschiedete Konvention wurden, um die politischen Forderungen der Frauenbewe- kann. „zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt ge- gungen, bspw. bezüglich der Die Vorträge von Prof. Dr. Birgit Sauer und Dr. Mo- gen Frauen und häuslicher Gewalt“ bereits um- Finanzierung von Frauenhäu- nika Schröttle wurden anschließend in Arbeits- fassende rechtliche Vorgaben gemacht hat, ste- sern, in Frage zu stellen. Auch der direkte geschlechtsbezoge- gruppen intensiv diskutiert. Eine dritte Arbeits- hen die Europäische Union und das Unionsrecht ne Vergleich der Gewaltprä- gruppe fand unter der Leitung von Prof. em. Dr. noch am Anfang. Aufgrund der Heterogenität valenzen wird vor diesem Hintergrund von manchen Carol Hagemann-White (Universität Osnabrück) mitgliedstaatlicher Rechtsnormen und Straftatbe- kritisch gesehen – nicht, weil statt, in der die Fragestellung diskutiert wurde, ob stände in Bezug auf geschlechtsbasierte Gewalt keine Daten zur Gewaltprä- valenz von Männern erhoben die Differenzierung in der feministischen Gewalt- und der Rechtslücken, die in manchen EU-Staaten werden sollten, sondern weil forschung auch zu veränderten Konzepten in der bestehen, haben sich in den vergangenen Jahren die gesonderte Erhebung Praxis geführt habe. verschiedene EU-Gremien für die Entwicklung ei- von Gewalt gegen Frauen aus gleichstellungspolitischer Im Anschluss an die Diskussionen in den Arbeits- ner einheitlichen europäischen Strategie stark ge- Sicht ein schlagkräftigeres gruppen fand ein weiterer Vortrag statt: Olaf macht. Ein wichtiger Schritt war die Durchführung Instrument darstellt. 3 Kapella vom Österreichischen Institut für Famili- einer Machbarkeitsstudie zur Vereinheitlichung 3 European Commission enforschung an der Universität Wien (ÖIF) stell- der rechtlichen Regelungen in allen EU-Ländern, (2010): Feasibility study to assess the possibilities, te das Forschungsdesign und Instrumentarium die Hagemann-White geleitet hat. Diese hat laut opportunities and needs to der ersten Gewaltprävalenzstudie in Österreich Hagemann-White „eine Tür geöffnet“ für mehr standardize national legislation vor, die in den vergangenen Monaten vom ÖIF Prävention und das Abrücken von einer zu starken on violence against women, violence against children and erhoben wurde und derzeit ausgewertet wird. Fokussierung auf Sanktionen und Strafverfahren. sexual orientation violence, Die Ergebnisse werden im November 2011 im Die Koppelung von Opferrechten an eine Aussa- Luxembourg: Publications Office of the European Union. Rahmen einer Enquête präsentiert und vom Ös- ge in Strafverfahren, wie es bisher der Fall ist, sei Abrufbar im Internet: http:// terreichischen Bundesministerium für Wirtschaft, hoch problematisch: Am Ende sei das Opfer daran ec.europa.eu/justice/funding/ daphne3/daphne_feasibi- Familie und Jugend (BMWFJ) veröffentlicht (Link: schuld, keine Rechte zu haben, weil es die Taten lity_study_2010_en.pdf http://www.bmwfj.gv.at). Nach der Präsentation nicht angezeigt habe. (15.08.2011).

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Kontakt Auch der letzte Vortrag des Tages von Rosa Logar prozesses gespickt war, bereicherte nicht nur Eva Buchholz, M.A. Wissenschaftliche Mitarbeiterin beschäftigte sich mit der europäischen Perspek- in (politik-)wissenschaftlicher, sondern auch in Institut für Sozialwissenschaf- tive. Fokus ihres Diskussionsbeitrages war der gleichstellungspolitischer Hinsicht und war ein ten, Gender Research Group Christian-Albrechts-Universität Aushandlungsprozess der neuen „Konvention würdiger, inspirierender Abschluss der zweitägi- zu Kiel des Europarates zur Verhütung und Bekämp- gen, intensiven Summer School. Westring 383 24118 Kiel fung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Den Ausrichterinnen der Veranstaltung ist nicht Tel.: (0431) 880-4979 Gewalt“, die am 11. Mai 2011 in Istanbul un- nur für die gelungene Organisation der Summer Fax: (0431) 880-4976 terzeichnet wurde (Abkürzung deshalb: die School zu danken (insbesondere gilt der Dank E-Mail: buchholz@gender. uni-kiel.de „Istanbul-Konvention“), an dem Rosa Logar Mag. Julia Girardi vom WAVE-Network, die für www.gender.uni-kiel.de als Vertreterin Österreichs selber teilgenommen die praktischen Details der Organisation zustän- Websites der hatte. Trotz der bereits weit vorangeschrittenen dig war), sondern auch und vor allem für die Organisatorinnen Zeit war der letzte Vortrag, ebenso wie die vor- Zusammenführung der Nachwuchswissenschaft- Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien: http:// herigen, äußerst spannend und erkenntnisreich. lerinnen, die zum Thema der geschlechtsbasier- politikwissenschaft.univie.ac.at Zu nennen sind insbesondere die Einblicke in ten Gewalt forschen und in ihren institutionellen den politischen Aushandlungsprozess, in kleine- Settings oftmals nur wenig fachlichen Austausch Interdisziplinäres Zentrum für Frauen- und Geschlechterfor- re und größere Erfolge bzw. Misserfolge sowie haben. Deshalb ist es besonders erfreulich, dass schung (IFF) der Universität das „Werden“ einer schon lange geforderten die Organisatorinnen planen, die Summer School Bielefeld: www.uni-bielefeld. de/IFF/ völkerrechtlichen Konvention zur Bekämpfung zu wiederholen und vor dem Hintergrund der geschlechtsbasierter Gewalt. Der engagierte und europäischen Ausrichtung des WAVE-Networks WAVE-Network (Women Against Violence Europe): lebhafte Bericht von Rosa Logar, der mit vielen das nächste Mal voraussichtlich englischsprachig www.wave-network.org persönlichen Eindrücken des Aushandlungs- und international auszurichten.

Christina Natlacen

Tagung „Das Private wird öffentlich. Techniken der Selbstdarstellung um 1970“

Organisiert von Prof. Dr. Susanne Regener und Katrin Köppert M.A., Universität Siegen, DFG-Projekt „Medienamateure in der homosexuellen Kultur“

In verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen populärkulturellen, privaten und politischen Be- und populärkulturellen Medien wurde in den reiche sie ausstreute. letzten Jahren eine Aufweichung der Konzepte Das DFG-Projekt „Medienamateure in der homo- von privat und öffentlich konstatiert. Wesentli- sexuellen Kultur. Fotografische Selbstdarstellun- chen Anteil daran haben kulturelle Produkte von gen von Männern im 20. und 21. Jahrhundert“ AmateurInnen, wie sie beispielsweise im Web 2.0 verfolgt das Ziel, private Bildprodukte in Über- auf YouTube, Flickr und anderen Social Network lappung mit öffentlichen Repräsentationen von Sites millionenfach veröffentlicht werden. Diese Professionellen in den Blick zu nehmen (siehe: Plattformen leisten vorrangig dem gesteigerten www.medienamateure.uni-siegen.de). Angesie- Bedürfnis nach Selbstpräsentation Vorschub. delt am Lehrstuhl für Mediengeschichte/Visuel- Damit erweisen sie sich als Erfüllungsgehilfen le Kultur der Universität Siegen wird es von der des immer dominanter werdenden Postulats der Projektleiterin Susanne Regener und ihrer Mit- Sichtbarkeit in einer vernetzten Welt. In einer he- arbeiterin Katrin Köppert durchgeführt. Als kul- teronormativ ausgerichteten Kultur müssen spe- tur- und medienwissenschaftlich ausgerichtetes zifische Sichtbarkeiten von Homosexuellen immer Forschungsunterfangen interessiert es sich für neu erzeugt und perpetuiert werden. Unter Ein- vielfältige Strategien der Sichtbarmachung von beziehung eines historischen Blickwinkels stellt schwuler Identität im Privaten. Die Analyse von sich die Frage, in „welchen Formen, ästhetischen fotografischen Selbstbildern von Homosexuellen Gebilden und mit welchen sozialen Praktiken“ stellt dabei die Aspekte der Konstruktion, Monta- (Tagungsankündigung) sich schwule Selbstdar- ge und Performanz in den Vordergrund und sucht stellung out of the closet bewegte und in welche nach deren Bedeutung für unsere Blickkultur.

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Einen besonders großen Stellenwert haben um- englischen Filmemachers Derek Jarman wollte fangreiche Archivrecherchen für die methodische die Verbindung zwischen dem wissenschaftlichen Ausrichtung des Projekts. Als wichtigster Ko- Thema und der künstlerischen Ausdruckswei- operationspartner konnte das Schwule Museum se herstellen. Von Philipp Fürnkäs, Kurator der Berlin gewonnen werden, dessen Bestände auch 2010 in der Julia Stoschek Foundation gezeigten private Nachlässe beinhalten und teilweise noch Jarman-Ausstellung, präsentiert, entpuppten sich zahlreiches nichtpubliziertes Material umfassen. diese selten gezeigten Dokumente, die zwischen Am 16. und 17. Juni 2011 wurde die Tagung „Das privat und öffentlich sowie zwischen medientech- Private wird öffentlich. Techniken der Selbstdar- nisch bedingter amateurhafter Authentizität und stellung um 1970“ in Berlin durchgeführt. Den performativer Selbstdarstellung oszillieren, als ge- Auftakt bildete eine öffentliche Veranstaltung im lungener Einstieg in die Thematik der Tagung. Die Schwulen Zentrum Berlin (SchwuZ), jener in den Filmvorführung war dem hohen Stellenwert von 1970er Jahren im damaligen Westberlin gegrün- visuellen Produkten innerhalb des Forschungs- deten Institution, die sich als politische, emanzi- projekts geschuldet und leitete mit der Frage patorische und gemeinschaftsbildende Plattform nach der Relevanz der Sichtbarkeit homosexuel- von Schwulen versteht und örtlich wie kooperativ ler Lebensweisen zur Podiumsdiskussion mit dem in Bezug zum Schwulen Museum Berlin steht. Titel „Alles schwul? Geschichte und Zukunft von Hier wurde zunächst die Zusammenarbeit zwi- Schwulenbewegung und Populärkultur“ über. schen der Universität Siegen und dem Schwulen Moderiert von Birgit Bosold, Vorstandsmitglied Museum gewürdigt und das DFG-Projekt insge- des Schwulen Museums, führten das Gespräch samt vorgestellt. der Journalist und Schriftsteller Elmar Kraushaar, Das anschließende Screening von vier ausge- Samirah Kenawi, ehemalige Aktivistin in Frauen- wählten Super-8-Filmen des 1994 verstorbenen vereinen der DDR, und der dänische Soziologie-

Journal Netzwerk Frauen- und Geschlechterforschung NRW Nr. 29/2011 85 Tagungsberichte

professor Henning Bech. Am Beispiel des Topos den Fokus. Siegel wandte sich den inszenierten der Sichtbarkeit wurde der Stellenwert von Ho- Fotosequenzen von Duane Michals zu und legte mosexualität in der Öffentlichkeit diskutiert und deren maßgebliche Zielrichtung als Selbstzeug- die Frage, ob das politische Postulat der Schwu- nisse homosexuellen Begehrens offen. Durch die lenbewegung ab 1970 (nach Stonewall) auf der Idee der Performanz, die angewandten Techni- Straße, in der Öffentlichkeit sichtbar zu werden, ken der Camouflage und den privaten Kontext heute überflüssig oder aber zur alleinigen Figur stellen diese Tableaus Charakteristika schwuler oppositioneller Rhetorik geworden ist. Bech pro- Identitätskonzepte in den Vordergrund, wie sie vozierte mit seiner These, dass die Konvergenz beispielsweise auch von Amateuren praktiziert von schwulem Geschmack und zeitgenössischer werden. Bruns interessierte sich hingegen für heteronormativer Alltagskultur das politisch mo- die Schnittstelle zwischen künstlerischen Bear- tivierte Eintreten gegen die Diskriminierung von beitungen des sozialen Geschlechts und deren Homosexualität nicht mehr notwendig mache. (Nicht-)Eignung als öffentliche Piktogramme mit Stattdessen löse sich alles in Ästhetik auf. Ent- politischer Zielrichtung. Am Beispiel der Arbeiten sprechend und vor dem Hintergrund nachhaltiger von Birgit Jürgenssen primär vorgeführt, ging sie politischer Anstrengungen reagierten Teile des anhand des Konzepts des Visiotyps der Einpräg- Publikums sensibel. samkeit von Geschlechtsentwürfen nach, die sich Am nächsten Tag fand ein interdisziplinär ausge- durch einen flexiblen kombinatorischen Prozess richteter Workshop für geladene Gäste im Institut (heteronormativer) weiblicher und männlicher für Europäische Ethnologie der Humboldt-Uni- Versatzstücke auszeichnen. versität statt. Die ReferentInnen stammten aus Susanne Regener wandte sich der Maskerade den Disziplinen der Mediengeschichte, Gender als Taktik schwuler Selbstdarstellung anhand Studies, Kunstgeschichte, Geschichte, Literatur- fotografischer Zeugnisse von Amateuren zu. Sie wissenschaft und Europäischen Ethnologie und spannte die beiden Pole Selbst- und Fremdbilder wurden durch DiskutantInnen und Gäste, die das im Hinblick auf transvestitisches Auftreten auf Spektrum nochmals um beispielsweise die Medi- und interessierte sich vor allem für den Über- zingeschichte, Architekturgeschichte und den Be- gang von Maskerade aus der Heimlichkeit in die reich des politischen Aktivismus erweiterten, er- Öffentlichkeit in den 1970er Jahren. Sie spürte gänzt. „Das Private wird öffentlich. Techniken der jenem Anteil an Eigensinn in Fotoalben nach, Selbstdarstellung um 1970“ lautete der Titel des demzufolge schwule Identität eine Stabilisierung Workshops, dessen Anliegen eine thematische durch private Bildzeugnisse erfährt. Das „Bild als Öffnung war, um anschließend Fragen schwuler Mittler des Selbst“ stand auch in dem Vortrag (Amateur-)Kultur zu konkretisieren. von Katrin Köppert im Zentrum, wobei hier der Nach einer kurzen Einführung in die Eckdaten der Fokus auf Bilderwanderungen zwischen unter- laufenden Forschungsarbeiten durch die Organi- schiedlichen Medien gelegt wurde. Ausgehend satorin Susanne Regener startete der Workshop von Magnus Hirschfelds Zwischenstufenwand, mit einem theoretischen Input zu jenem Begriff, die ein Schema der Geschlechtsunterschiede der fortan im Zentrum der Vorträge stand: dem darstellen sollte, ging Köppert unterschiedlichen Selbst. Isabel Richter (Bochum) lieferte einen bilddiskursiven Einbettungen von Freundschafts- Überblick über die verschiedenen Konzepte des posen auf Fotografien nach. Die funktionalisierte Subjekts in der Geistesgeschichte des 20. Jahr- Verwendung von Bildmaterial innerhalb privater hunderts und sprach sich explizit für den Begriff und öffentlicher Kontexte, wissenschaftlicher, des Selbst an Stelle des problematischen Subjekts populärkultureller und massenmedialer Visuali- im Zuge des Autonomiediskurses der Aufklärung sierungen unterstreicht ihre These, dass Selbst- aus. Das Selbst mit seinem prekären fragmen- darstellung homosozialer und homosexueller tarischen Charakter beinhaltet immer auch die Freundschaft in diesen Fällen in Interdependenz Offenlegung seiner Inszenierungs- und Kons- zu Fremddarstellung möglich ist. truktionsweisen und erschien gerade deshalb Der Fremddarstellung von Homosexuellen wand- auch für den weiteren Verlauf der Diskussion von te sich explizit Sebastian Mohr (Kopenhagen) (homosexuellen) Identitätsentwürfen besonders in seinem Vortrag über die wissenschaftliche gewinnbringend. Die Aspekte der Medialität, Aufklärungsarbeit der DDR zu. Die Coming- Prozesshaftigkeit und Interpersonalität, die Rich- Out-Studien der Universität Jena und die Initia- ter neben anderen als konstitutiv für die Unter- tiven der Arbeitsgruppe Homosexualität an der suchung des Selbst nannte, spielten in der Folge Humboldt-Universität in Berlin zeichneten sich gerade bei den Vorträgen über visuelle Selbstdar- vor allem durch die stereotype Außendarstellung stellungen eine bedeutsame Rolle. schwuler Lebensrealität aus und lassen kritische Selbstentwürfe im Kontext der Kunst nahmen Fragen nach der Erzeugung einer erwünschten Steffen Siegel (Jena) und Karin Bruns (Linz) in Sichtbarkeit durch die Wissenschaft dringlich

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erscheinen. Einen wichtigen Beitrag zum Thema rade am Beispiel schwuler Datingplattformen ver- Coming Out lieferte Volker Woltersdorff (Berlin), mittelten sich besonders eindrücklich deren Fra- der den Wandel medialer Inszenierungen von den gilität und die Notwendigkeit, im konkreten Fall 1970er Jahren bis ins aktuelle YouTube-Zeitalter jeweils von einer allgemeinen Verwendung herr- in den Blick nahm. Er unterstrich die Bedeutung schender Konzepte zu Gunsten einer Neuausrich- des Coming Out als Strategie der Sichtbarma- tung des operativen Rahmens abzurücken. Eine chung im öffentlichen Raum und untersuchte so schärfere Differenzierung zwischen privat und unterschiedliche Medien wie das Tagebuch, den öffentlich, beispielsweise anhand der Einführung Film, die Performance oder Videos im Web nach der Begriffe semi-öffentlich und subkulturell – deren Anteil an der Sichtbarkeitsproduktion so- um nur einige Vorschläge zu nennen –, sowie wie an der Eignung als politische Selbsttechnik. deren Unterscheidung im Hinblick auf die Ebene Ein letzter Beitrag von Lukas Schmidt (Siegen) der Produktion und Rezeption erscheinen uner- und Katrin Köppert verortete sich in der heutigen lässlich. Das Selbst ist dabei wohl jener Bereich, Kultur schwuler Dating-Plattformen im Internet an dem sich am eindrücklichsten die Ein- und und stellte die Frage nach den strukturellen Inter- Auswirkungen hegemonialer Machtaspekte un- aktionen des Selbst mit der digitalen Kartografie tersuchen lassen, denn kein anderes Feld berührt von Gayromeo. Prozesse wie die Katalogisierung eine ganze Reihe von Fragen im Kern, die sowohl des Selbst, das Unterwerfen unter ein strenges aus individueller als auch politischer Sicht äu- Diktat einer Aufmerksamkeitsökonomie und der ßerste Dringlichkeit besitzen. Die Kopplung von Kontakt hohe Stellenwert von Rankings wurden kritisch in Fragen nach diversen medialen Visualisierungen Dr. Christina Natlacen Wissenschaftliche Mitarbeiterin Hinblick auf die Selbstpräsentation des schwulen von Selbstentwürfen an schwule Identitätsfin- Lehrstuhl für Mediengeschich- Users hinterfragt, wobei auch hier Momente des dungsprozesse hat sich insgesamt als besonders te/Visuelle Kultur Universität Siegen Eigensinns als virulent diskutiert wurden. fruchtbares Gebiet erwiesen, da jenseits aller he- 57068 Siegen Die an den Vortrag anschließende Diskussion teronormativen Dominanten hier der Prozess der natlacen@medienwissenschaft. uni-siegen.de führte nochmals zum Kern des Workshops zurück, Identitätskonstruktion wesentliche Bedeutung www.mediengeschichte.uni- nämlich dem Begriffspaar privat – öffentlich. Ge- erlangt. siegen.de

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Buchbesprechungen

Petra Kersting rezensiert Marion Mayer (2011): Beratungsarbeit im ‚Zwischen‘. Professionalisierungswege der Weiterbildungsberatung für Frauen 375 Seiten, geb., 36,00 € (D), ISBN 978-3-86649-404-6, Verlag Barbara Budrich, Opladen

Das ‚Zwischen‘ als Standort moderner Ausdifferenzierung der Beratungstätigkeit auf Weiterbildungsberatung Gründungs-, Wachstums- und Aufstiegsberatung Marion Mayer knüpft mit ihrer qualitativen Analyse von Frauen als wesentliche Zielgruppe der Bera- zum professionellen Handeln der Weiterbildungs- tungstätigkeit heraus. Sie konstatiert, dass ihre beratungsstellen für Frauen an die wissenschaft- Interviewpartnerinnen trotz der Binnendifferenzie- liche Begleitforschung aus der Modellphase an. rung nach Alter, Dauer der Berufsunterbrechung Diese attestierten ihnen schon damals trotz aller und sozialer Absicherung dieser „Familienfrau- regionaler oder trägerbezogener Unterschiedlich- en“ im Laufe der Zeit Routinen für sie entwickelt keit die Schlüssigkeit ihres ganzheitlichen Bera- hätten. Ihre Orientierung an den Anliegen der tungsansatzes, mit dem sie die Beratungstätigkeit einzelnen Frauen büßten sie dabei nicht ein und der Arbeitsverwaltung sinnvoll ergänzten. Ihre behaupteten sie gegenüber der sonstigen Bera- eigene empirische Basis findet Mayer in Expertin- tungsdominanz lokal oder regional vorhandener neninterviews, die sie direkt anschließend an die Vermittlungs- oder Kursangebote. Ihr lebenswelt- Aufbauphase im Sommer 1995 mit 17 und in einer lich und Biographie orientierter, ganzheitlicher An- späteren zwischen 2001 und 2002 führt. Vor dem satz entwickelte sich parallel zur Einrichtung der Hintergrund der von ihr für rund zwanzig Jahre Gleichstellungsstellen in den Kommunen. Anders konstatierten Abstinenz der empirischen Forschung als die Gleichstellungsstellen, die letztlich fest ein- in den Erziehungswissenschaften gegenüber der gerichtet sind, wenngleich mit den Anforderungen Bildungsberatung, aber auch speziell gegenüber konfrontiert, innerhalb von Verwaltungen mit ih- der Bildungsberatung für Frauen, beschreibt sie nen fremdem Genderwissen Veränderungsprozes- mit ihrer Arbeit eine der zahlreichen weißen Seiten se einzuleiten, waren die Beratungsstellen regional in diesem Feld. unterschiedlich dicht vertreten, zeitlich befristet, Wenngleich der Titel der Veröffentlichung eine zwar zumeist prolongierbar und von speziellen Entlehnung aus der Funktionsbestimmung von Förderprogrammen der Bundesländer abhängig. Bildungsberatung und gleichzeitig auch eine An- Mayer nimmt die neben der individuellen Bera- lehnung an sie zu sein scheint, wie Wilhelm Ma- tung parallel stattfindenden arbeits- und struk- der sie als Begleitung eines Entscheidungspro- turpolitischen Interventionsbemühungen um die zesses vornimmt, so erscheint diese Formulierung aus Genderperspektive richtigen Richtungen von als neue Positionsbestimmung in einem Feld, das Transformationsprozessen in den Blick. Hierdurch sie in allen Dimensionen seiner Vielfältigkeit und gewinnen nicht nur die Professionalitätsdimensio- Komplexität beschreibt und damit fassbar macht. nen der Beraterinnen an Kontur, sondern die von Mayer beklagt, dass die Qualitätsdiskussionen der ihr zugrunde gelegte Reflexibilität wird erfahrbar. vergangenen Jahre diese Form der Weiterbildungs- Das Handlungsfeld der Beratungsstellen hat an beratung nicht in den Fokus genommen und ihre Aktualität nicht verloren. Berufsunterbrechung ist Leistungen allein in den Erziehungswissenschaften immer noch eine ganz überwiegend weibliche Le- einen Widerhall erfahren habe. Das Ergebnis der bensrealität. Eine lebensphasenorientierte Weiter- vom BFBM geförderten Untersuchung der Stiftung bildungsberatung und natürlich auch Ausrichtung Warentest Mitte des letzten Jahrzehnts, in der so- von Bildungsangeboten gewinnt zunehmend auch genannte „trägerneutrale Beratung“ verschiede- für andere Gruppen und angesichts von demo- ner Institutionen analysiert wurde, bietet eine Folie graphischen Entwicklungen an Bedeutung. Die in auch für diese Analyse. Denn einzig und allein die Mayers Untersuchung dargelegten Qualitätsdi- Frauenberatungsstellen sind die erste Adresse ihres mensionen bieten daher wichtige Anregungen für Klientels oder wie Stiftung Warentest selber titelt: Weiterbildungsträger, Hochschulen eingeschlos- Kontakt und Information Petra Kersting „Frauenberatungsstellen beraten richtig gut“. sen, ihre Angebote wie auch Beratungsprozesse [email protected] Meyer stellt die Berufsrückkehrerinnen trotz der entsprechend auszubauen.

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Edyta Joanna Lukaszuk rezensiert Sigrid Metz-Göckel, Senganata Münst, Dobrochna Kałwa (2010): Mig- ration als Ressource. Zur Pendelmigration polnischer Frauen in Privat- haushalte der Bundesrepublik 366 Seiten, 29,90 €, ISBN 978-3-86649-273-8, Verlag Barbara Budrich, Opladen

Die Studie von Sigrid Metz-Göckel „Migration als vorgenommen, sie vermitteln einen detaillierten Ressource. Zur Pendelmigration polnischer Frau- Überblick über die polnische Infrastruktur im en in Privathaushalte der Bundesrepublik” ist Ruhrgebiet und werten die Migrationsentschei- eine Publikation im Rahmen der von der Volks- dungen auf die Haushalte in Polen aus. wagen Stiftung geförderten deutsch-polnischen Die Nationalitäten und ihre Differenzen spielten Kooperationsforschung. Diese wurde von Sigrid bei den Auswertungen keine Rolle, im Gegensatz Metz-Göckel und Angela Koch konzipiert und ge- zu der sozialwissenschaftlichen gendertheoreti- meinsam mit Dobrochna Kałwa unter dem Titel schen Diskussion, die zu einer Einordnung in die „Grenzräume – Zwischenräume. Migration polni- polnische Migrationsforschung führt. Im deut- scher Frauen ins Ruhrgebiet“ bei der Volkswagen schen Teil bilden aus der Perspektive der Netz- Stiftung beantragt und vom Januar 2004 bis April werkforschung migrations- und geschlechterge- 2007 im Programm „Zur Konstruktion des Eige- schichtliche Fragestellungen die zentrale Rolle. nen und des Fremden“ durch diese gefördert. Das deutsch-polnische Forschungsprojekt wur- Das deutsch-polnische Kooperationsprojekt de im Ruhrgebiet konzipiert und es wurde ein leitete in Polen Dobrochna Kałwa (Jagiellonen- gemeinsam erarbeiteter Interviewleitfaden auf Universität in Krakau). Die Leitung des Projektes Englisch erstellt, der als zentrales Datenerhe- in Deutschland hatte Sigrid Metz-Göckel (Tech- bungsinstrument eingesetzt und ins Deutsche nische Universität Dortmund) gemeinsam mit und Polnische übertragen wurde. Die Arbeitsmi- A. Senganata Münst (Pädagogische Hochschule grantinnen wurden in polnischer Sprache inter- Freiburg und Wissenschaftliches Institut des Ju- viewt, was zu einer Vertrautheit führte und die gendhilfswerks Freiburg e.V.) übernommen. Untersuchungen erleichterte. Dabei wurde auf Unter der Leitfrage der Forschung, Migration Fragen nach konkreten Auftraggeberinnen und als Ressource zu bezeichnen, sind für die Hoch- Auftraggebern und deren Sozialprofil verzichtet, schulforscherinnen die Beweggründe und deren um die Arbeitsmigrantinnen davor zu bewahren, Konsequenzen, welche zur Pendelmigration pol- von Ordnungsbehörden aufgespürt zu werden. nischer Frauen führen, relevant. Weiteres For- Die Leitfäden für die Interviews und die Vorge- schungsinteresse liegt in den Fragestellungen, hensweisen bei der Auswertung wurden gemein- warum lassen sich Frauen, die zu dieser Unter- sam durch die deutsch-polnischen Wissenschaft- suchung interviewt wurden, auf dieses doppelte lerinnen entwickelt. Alle Interviews wurden von Leben ein, wie meistern sie ihr Leben zwischen Muttersprachlerinnen wortgetreu transkribiert zwei Ländern und wie richten sie ihr risikorei- und haben einen Umfang von 735 Seiten, der ches Leben in der Illegalität ein. Ebenso berück- die zentrale Datengrundlage für den Teil der For- sichtigt wird die Frage nach ihrer Integration schung, der im Ruhrgebiet stattgefunden hat, aufgrund einer möglichen Diskriminierung und/ darstellte. oder Ausbeutung. Von großer Bedeutung sind Die empirische Forschung ist bisher ausschließ- auch die Auswirkungen der Pendelmigration auf lich qualitativ vorgegangen, weil es schwierig das Geschlechterrollenverständnis in Polen und war, die Anzahl der undokumentierten polnischen Deutschland. Migrantinnen quantitativ zu erfassen. Es wurden Die vorliegende Studie besteht aus drei Teilen. Falldarstellungen mit Pendlerinnen untersucht, Im ersten Teil beschreibt die Projektleiterin Sigrid die bereit waren, über ihre Arbeits- und Lebenssi- Metz-Göckel die Forschungsfragen des deutsch- tuation Auskunft zu geben. polnischen Kooperationsprojektes und die Ent- Die Grundlagen des Projektes bildeten Interviews stehung und Vorgehensweise des Gesamtprojek- mit jeweils 20 Arbeitsmigrantinnen in Deutsch- tes. Der zweite und dritte Teil beinhaltet Berichte land und Polen. Dieser Zugang der in den Jah- der Interviewauswertungen. Die polnische Pers- ren 2004/2005 stattgefundenen Befragungen pektive arbeitet Dobrochna Kałwa heraus, zudem gelang mit Hilfe der muttersprachlich Polnisch ordnet sie Migrationsbiografien und Migrations- sprechenden Mitarbeiterinnen, die als Vertrau- motive. Die Auswertungen der Interviews aus der enspersonen für die Migrantinnen fungierten. Ruhrgebietsperspektive hat A. Senganata Münst Die regionale Begrenzung im polnischen Teil der

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Untersuchung konnte nicht, wie im Ruhrgebiet, rechtlicher Schutz im Vertrauen gegenüber ihren eingehalten werden. Trotzdem haben die Unter- Arbeitgebern besteht. suchungen aufschlussreiche Erkenntnisse ermög- Die binationale Studie hat ihre Stärken in ihrem licht, die alleine aus der deutschen Perspektive Charakter als Gesamtwerk. Dies lässt eine Per- nicht hätten gewonnen werden können. spektivenvielfalt durch die subjektive Seite der Sowohl in Deutschland als auch in Polen waren Untersuchungsgruppe der polnischen Pendelmig- Arbeitsmigrantinnen nur mit äußerster Mühe für rantinnen und des wechselnden Kontextbezuges das Forschungsprojekt zu gewinnen, da sie Stra- zu. Es werden die Gefahren wie die undoku- tegien entwickelt haben, um sich zu schützen mentierte Arbeit – nicht versichert und arbeits- und um eine Gefährdung ihrer Lebenssituation rechtlich geschützt zu sein – und die dadurch auszuschließen. resultierenden prekären Lebensbedingungen zur Die interviewten Pendlerinnen bildeten eine he- Sprache gebracht. terogene Gruppe in Bezug auf Familienstand, Die Kommentare der Übersetzerin Valentina Ste- Lebensalter, Bildung, Berufserfahrung, regionale fanski bereichern das Buch über die eigentliche Herkunft und Migrationsdauer. Die überwiegen- Übersetzungsleistung hinaus und erlauben, die de Mehrheit der untersuchten polnischen Mig- Unterschiede der Interpretation bei den Inter- rantinnen besitzt die Hochschul- bzw. Fachhoch- views nachzuzeichnen. schulreife. Sie sind damit für ihre hauptsächlichen Eine Besonderheit des Forschungsprojekts lag Tätigkeitsbereiche, die Haushaltsbetreuung, Al- darin, dass die untersuchte Gruppe der Arbeits- ten- und Behindertenbetreuung umfassen, in der migrantinnen trotz ihrer prekären Lage bereit Regel überqualifiziert. Dies und ihre Rund-um- war, Interviews und eine Analyse ihrer Arbeits- die-Uhr-Verfügbarkeit machen sie zu gefragten biografien zuzulassen. Es handelt sich zur Zeit Arbeitnehmerinnen. Eine Kinderbetreuungstä- um eine Win-win-Situation, bei der die Pendel- tigkeit wird selten ausgeübt, da sie eine konti- migrantinnen in eine Dienstleistungslücke sto- nuierliche Präsenz über einen längeren Zeitraum ßen. Es wäre wichtig, diesem Phänomen in der verlangt. Die Arbeitspendlerinnen betrachten Arbeitsmarktforschung größere Aufmerksamkeit ihre Migration als vorübergehende Lösung. Fast zu widmen. ausschließlich sind es finanzielle Gründe, die für Der Begriff „Migration als Ressource“ ist ambiva- die Arbeitsaufnahme in Deutschland angeführt lent zu sehen. Diese Ambivalenz besteht vor allem werden. Die Versorgung der Migrantinnenkinder in der doppelten Rollenzuschreibung der qualifi- während der Arbeitsaufenthalte in Deutschland zierten Arbeitsmigrantinnen und ihrem Pendeln wird in der Regel durch Großeltern, Verwandte zwischen den Wohnorten in Polen und den Ar- oder jüngere Geschwister übernommen. In zwei beitsplätzen in Deutschland und kann daher als Fällen der Ruhrgebietsuntersuchung übernahmen Ressource unter eingeschränkten Bedingungen die Väter die Kinderversorgung. Zu den besonde- bezeichnet werden. Auf der einen Seite gehen sie ren Merkmalen der untersuchten Migrantinnen- einer bezahlten Arbeit in fremden Haushalten im gruppe zählt ihre Organisiertheit, die ihnen Leben Ausland nach, ohne dabei die Arbeit im eigenen und Arbeiten in zwei Ländern ermöglicht, sowie Haushalt aufzugeben, auf der anderen Seite be- die Bewältigungsstrategie, sich in zwei Kulturen schreiben sie ihre auswärtige Arbeit in Familien- souverän zu bewegen. In Interviews betonen die kategorien und identifizieren sich häufig damit. Migrantinnen ihren Stolz, diese Doppelbelastung Die Lektüre der Studie führt zu weiteren For- zu meistern. Dabei ist für sie die Argumentation, schungsfragen angesichts einer nachhaltigen ob sie legal oder illegal arbeiten, von sekundärer Veränderung der Arbeitssituation in Polen und Bedeutung. Die Arbeitspendlerinnen verrichten von veränderten Sozialsystemen in Deutschland, Kontakt und Information Edyta Joanna Lukaszuk undokumentiert und unter prekären Bedingun- welche die prekären Bedingungen für osteuropä- [email protected] gen eine Arbeit, deren ausschließlicher arbeits- ische Frauen verbessern würden.

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Ute Büchter-Römer rezensiert Iris Nachum, Susan Neiman (Hg.) (2010): Margherita von Brentano – Das Politische und das Persönliche. Eine Collage 542 Seiten, brosch., 34,90 €, ISBN 978-3835306141, Wallstein Verlag, Göttingen

„… Margherita hat ja viele Leute provoziert …“. des Südwestfunks die Funktion, Jugendliche über Diese Aussage findet sich in den Gesprächen, die die Information hinaus das Entsetzliche dieses die Herausgeberinnen in dem Band „Margherita Leidens der vielen Menschen fühlen zu lassen. von Brentano – das Politische und das Persön- In einem weiteren Kapitel wird die Tätigkeit Mar- liche – Eine Collage“ mit den biographischen gherita von Brentanos an der Freien Universität in Skizzen der „Linksintellektuellen“, wie sie sie Berlin durch Gespräche und Texte der Vorlesun- charakterisieren, zusammengefügt haben. gen verdeutlicht. Hier zeigt sich die Intellektuelle Die biographischen Skizzen, von Margherita von als streitbare Frau, die eine Vielfalt von gesell- Brentano selbst verfasst, geben einen differen- schaftspolitischen Konzepten befürwortet, die für zierten Einblick in die Familie, ihre Herkunft, die die Frauen kämpft – auch bei den Berufungsver- Eltern und die Geschwisterkonstellation. Dabei anstaltungen an der Universität, bei denen sie wird deutlich, wie sehr die Unterschiedlichkeit der auf die vorurteilsbeladene „Nicht-Argumentati- Eltern und die ungleiche Behandlung der Kinder on“ zur Verhinderung von Frauen massiv reagiert diese geprägt und beeinflusst hat. Bewegend ist und Frauen zur Habilitation oder als Professorin ihre Erzählung der Reaktion des weniger von der durchsetzt. Überraschend die Korrespondenz Mutter geliebten Bruders, der sich weigerte, im über die deutschen Ortsnamen mit Erich Fried, Krieg auf andere zu schießen und dadurch einen dessen erfundenem Gedicht mit erfundenen Na- frühen Tod fand. Die Collage enthält Briefe des men von Städten und Dörfern sie die Realität der Vaters aus Rom an seine Tochter, die einen Blick Ortsnamen mit ihrer besonderen Bedeutung ge- hinter die Kulissen der Diplomatie in den 1950er genüberstellt. Erwähnt wird ihre Ablehnung, zur Jahren der Bundesrepublik ermöglichen. Span- Frauenemanzipationsbewegung zu gehören, wo- nend sind die verschiedenen Rundfunksendun- bei sie überwiegend mit Frauen zusammenlebt gen, deren Texte in diesem Band abgedruckt sind. und ihre Interessen vertritt, für Freunde und Weg- Ab 1947 verfasste Margherita von Brentano „Un- gefährtinnen offensichtlich nicht sofort zu verste- terrichtssendungen“ mit Themen, die sich u. a. hen, die Ehe mit Jacob Taubes, zu der Brentano mit der Erläuterung der Demokratie in Athen selbst sich offen äußert. Texte zur Vizepräsident- als Verdeutlichung der freiheitlichen Form des schaft an der FU Berlin, Gespräche mit wissen- Zusammenlebens der Menschen in einem Staat schaftlichen und privaten Freunden, Erzählungen befassten, mit der Biographie und Bedeutung der Zeit nach der Emeritierung in Berlin und Aus- der Katharina von Siena im 14. Jahrhundert und sagen zu ihrer Krankheit, die ihr nicht vergönnte, Edith Stein in der unmittelbaren Vergangenheit. die Freiheit nach all den Verpflichtungen noch Einen großen Raum nimmt in diesen Schulfunk- länger zu genießen, bilden den Abschluss dieser sendungen die Darstellung und Auseinanderset- überaus interessanten „Collage“. Lohnend ist die zung mit der Judenverfolgung im nationalsozi- Auseinandersetzung mit Margherita von Brenta- alistischen Deutschland ein. Bewegend sind die no durch ihre Widerständigkeit, auch in der Be- Briefe, die Kinder aus den Konzentrationslagern trachtung politischer Systeme, durch ihren Einsatz geschrieben haben, und die Berichte überleben- für die FU Berlin und die Beteiligung von Frauen Kontakt und Information der Kinder und Jugendlicher. Damit übernahm die an der Wissenschaft und mehr als Informierende Prof. Dr. Ute Büchter-Römer Philosophin im Rahmen der Schulfunksendungen die Arbeit im Rundfunk. [email protected]

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Doris Mathilde Lucke – Rezensionsessay Annette Kuhn (2010): Historia. Frauengeschichte in der Spirale der Zeit 376 Seiten, viele Abb., geb., 29,90 €, ISBN 978-3866492615, Verlag Barbara Budrich, Opladen

Eine ver-söhn-liche HerStory über eine die Frauen ihrer eigenen Geschichte ent-eignende Vergangenheit erscheinen. Frauen haben in der Vergangenheit selten Ge- Nun hat Annette Kuhn, an der Universität Bonn schichte gemacht, geschweige denn Geschichte bis zu ihrer Emeritierung im Jahr 1999 Inhabe- geschrieben. Von einer klassischerweise männli- rin des ersten und damals bundesweit einzigen chen Geschichtsschreibung wurden sie so lange Lehrstuhls mit der Denomination „historische beschwiegen, bis sie – wie manche Menschen in Frauenforschung“, ein eindrucksvolles Gesamt- ihrem Leben – in ihrer eigenen Geschichte nicht kunstwerk vorgelegt und mit ihrem in vielerlei mehr vorkamen. Wie viele von Frauen kunstvoll Hinsichten ungewöhnlichen Buch Historia den und intelligent miteinander verwobene TonTep- FrauenGestalten der WeltGeschichte und damit piche, FarbKlänge, geflochtene WortReigen und der FrauenGeschichte ein feministisch inspiriertes TheaterSzenen mögen gar nicht erst das Licht DenkMal gesetzt. einer ausschließlich auf sich selbst bezogenen Bisherige, ausschließlich männliche Geschichts- MännerWelt erblickt haben, die vom Weiblichen schreibung zeichnet die Geschichte mit Hilfe nack- als dem „von Natur aus“ Minderwertigen ab- ter Zahlen auf und betreibt Heldenverehrung auf sieht? Wie viele ihrer Werke, wie Fanny Hensel- den Schlachtfeldern der Ver-heer-ung. Sie notiert Mendelssohns „Lied ohne Worte“ ohne ihren Kriegsanfänge und Kriegsenden, dokumentiert Bruder Felix Mendelssohn-Bartholdy, unerhört Herrschaftsbeginn und Herrschaftsverfall, regis- geblieben sein? triert Geburts- und Sterbedaten, figuriert gelebte Unbeschriebene Blätter in den Geschichtsbüchern Leben zu Jahreszahlen. Diese Geschichte handelt und über den Status von Fußnoten und Prälimi- von gewonnenen und verlorenen Kämpfen, Sie- narien nicht hinaus gekommen, hatten Frauen gen und Niederlagen, Herrschern und Beherrsch- keine Chance, die WeltBühne zu betreten und ten. Berichtet wird von PotenTaten, KriegsHelden, Eingang in das „kollektive Gedächtnis“ (Maurice FeldZügen und ErOberungen – nicht nur von Halbwachs) zu finden. In die Nachwelten der je- Land. Die Geschichte wird militarisiert, metrono- weiligen Gegenwarten und deren zeitgeschicht- misiert und mathematisiert und durch Kriegstote liches „kulturelles Gedächtnis“ (Jan Assmann) und andere Opfer beziffert, ihr Verlauf durch nu- nicht mittransportiert und als des Bewahrens merische Akkuratheit und quantifizierte Exaktheit unwert in das SchattenReich des Vergessens und quasi objektiviert, in JahrhundertWerken kanoni- Verschweigens abgedrängt, wurden sie nicht siert und in einem Akt historisch unschlagbarer (für-)wahr-genommen, ihre Leistungen nicht für Verifizierung „wahr“ gemacht. berichtenswert erachtet. In den „Großen Erzäh- Ganz anders Annette Kuhn! Sie schreibt Ge- lungen“ ebenso großer Männer tauchen Frauen, schichte, indem sie Geschichten erzählt und in wie Jeanne-Antoinette Poisson, genannt „die diesen Geschichten Leben zu Geschichte ver- Pompadour“, nur als Maitressen oder als Musen dichtet. Damit steht sie ganz in der Tradition der auf: ihre Namen von wenigen Ausnahmen abge- von der Frauenforschung wiederentdeckten „oral sehen unüberliefert, ihre historische Bedeutung history“. Wie diese die Makroebene gesellschaft- allenthalben „messbar im Schweigen“ (Ingeborg lich-historischen Wandels mit der Mikroebene Bachmann). individual-biographischer FrauenLeben verbin- An Unerwähntes, Ungeschriebenes und durch det, so sind das Schicksal der Autorin und die systematisches Herausschreiben unsichtbar Ge- Geschichte ihres Werkes aufs Engste miteinander machtes kann sich kein Erinnern, keinerlei Ge- verknüpft und Historia ohne die Biographie der dächtnis anschließen: eine „Schweigespirale“ 1934 geborenen und in den Kindheitsjahren in (Elisabeth Noelle-Neumann) weiblicher Tradi- Großbritannien und den USA in der Emigration tions- und scheinbarer VorBildlosigkeit, auf der lebenden deutsch-jüdischen Autorin undenkbar. nichts Eigenes aufbauen kann. Am Ende stehen Vom eigenen Leben und Erleben ausgehend setzt nur Männer „auf den Schultern von Riesen“ die Autorin das im wissenschaftlichen Schreiben (Robert K. Merton) und lassen die bisherige Ge- lange verpönte „Ich“ selbst-bewusst gleich zu Be- schichtsschreibung als das Ergebnis der hege- ginn als einzigen von ihr anerkannten Referenz- monialen Herrschaft deutungsmächtiger Männer punkt an den Anfang ihrer Ausführungen. Auch

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sonst unterwirft sie sich keinerlei fremdbestimm- Zäsuren und ZeitZonen zerstückelt, ZeitFäden ab- ten Diktaten. Ihre undogmatische Mischung aus geschnitten, ZeitLäufte analytisch getrennt und in Zitaten, Fotos, Porträts und Zeitzeugnissen folgt, Abschnitte zerlegt, seziert zu Sequenzen. mit dem „Anything goes“ eines Paul Feyerabend Annette Kuhn marschiert nicht und lässt sich sympathisierend, ausschließlich selbst gesetzten auch nicht von den binär codierten Unterschei- Maßstäben und von einer „écriture feminine“ dungen stark/schwach, über-/unterlegen, höher-/ (Evelyn Sullerot) erkennbar beeinflussten An- minderwertig, mein/dein dichotomer abendländi- sprüchen. Entgegen der herkömmlichen Logik scher Denkweisen leiten, die jedes Dritte, Weitere einer patriarchalen Geschichtsschreibung wer- und alles auch anders Mögliche kategorisch aus- den assoziativ und anspielungsreich in der col- schließen. lageartigen, betont subjektiven Kombination aus Sie selbst sieht sich in der Tradition der Christine Narration und Interpretation immer neue, bislang de Pizan, deren Buch: „Stadt der Frauen“ unter unentdeckte Zusammenhänge hergestellt und dem Titel: „Le Livre de la Cité des Dames“ 1405 bis heute unbeantwortete Fragen aufgeworfen. erschienen ist. In den sieben LebensRäumen der Spirale und Spiegel durchziehen als Programm- von Annette Kuhn errichteten FrauenStadt finden Musik und leitmotivisches KontrastProgramm zur die bislang Geschichts-, Gesichts-, Sprach- und Marschmusik wie eine Grundmelodie das gesam- Namenlosen einen Ort. Wie eine Archäologin legt te Buch und dienen der Autorin – auf dem Titel- sie den Blick frei und macht die „invisible wo- bild mit der versteinerten Schnecke als Repräsen- men“ der WeltGeschichte nicht nur sichtbar, son- tanz einer universalen matriarchalen Ordnung dern auch hörbar und lässt die bis dato Unerhör- symbolisiert – als Kompass der von ihr in unge- ten, wie Christine Brückner in ihrem Buch: „Wenn brochener Neugier unternommenen Zeitreise. du geredet hättest Desdemona. Ungehaltene Aber nicht nur das! In einem neoromantischen Reden ungehaltener Frauen“, zu Wort kommen. „cross over“ der Kunstgattungen und wissen- Die reich bebilderten Buchseiten des aufwändig schaftlichen Vorgehensweisen verknüpft Annette ausgestatteten Bandes werden so zu Erinne- Kuhn darüber hinaus auch die Wissenschaft mit rungsOrten, „lieux de mémoire“ (Pierre Nora), den Schönen Künsten. Zahlreiche in den Text ein- und sind, wie das „imaginäre Museum“ der gestreute Gedichte – die meisten von der Autorin Bücher des André Malraux, „Erinnerungsraum“ selbst verfasst – erinnern an Else Lasker-Schüler, (Aleida Assmann), Dokumente eines zwischen die Teile ihres literarischen Werkes mit Hand- zwei Buchdeckeln verorteten Gedächtnisses an zeichnungen aus der eigenen Feder schmückte. jene, deren Ort in der Geschichte ehemals ein his- Anklänge finden sich aber auch an die Kompo- torisch undefinierter „Nicht-Ort“ im Sinne Marc nistin Sofia Gubaidulina, die – von tartarisch- Augés oder – in Anspielung an Christa Wolfs russischer Herkunft 1931 geboren und damit fast Kindheitsgeschichte – „Kein Ort. Nirgends“ war. derselbe Jahrgang wie Annette Kuhn – in einem In einem Rundgang durch ihr Haus der Frauen- Künstlerinnengespräch in meiner Geburtsstadt Geschichte, das bis zum Erscheinen von Historia sagte, Männer komponieren wie Architekten ein virtuelles Gebäude war, führt die Autorin ihre bauen: Sie setzen ein Stockwerk nach dem ande- LeserInnen durch eine AhninnenGalerie von Vor- ren aufeinander. In ihrem kompositorischen Werk Gängerinnen und ZeitGenossinnen. Sie tut dies dagegen sei, wie in einer Knospe, die sich zur in einem weit gespannten Bogen, der von vor- Blüte entfaltet, alles immer schon angelegt. Ge- christlichen matriarchalen Kulturen (Raum 1) bis nau diese Angelegtheit, dieses von Anfang an in zu heutigen Visionen von der Einen Welt (Raum der Zeit und auf Dauer-Sein trifft, denke ich, nicht 7) reicht. Mit Texten von Olympe de Gouges und nur wegen des gemeinsamen Themas von Buch Anita Augspurg, Skulpturen von Camille Claudel und Partitur, in diesem Fall „in tempus praesens“, oder Bildern und Zeichnungen von Käthe Kollwitz auch auf Annette Kuhn zu. Deren Arbeitsweise und Frida Kahlo, die alle in dem Band versammelt orientiert sich an dem von Hannah Arendt ent- sind und sich zu einem imposanten Ensemble fe- lehnten erkenntnisleitenden Prinzip der Gebür- mininer Kreativität und weiblicher KunstFertigkeit tigkeit (Natalität), wenn sie sich, das lineare mit geschichts„trächtig“ zusammenfügen, spricht dem zyklischen Zeitbewusstsein verbindend, in Annette Kuhns matriarchale Historiographie spiralförmigen SuchVerSuchen, bisweilen zöger- sehr viel mehr Sinne an als die wissenschaftli- lich und zweifelnd, aber immer forsch-end durch che Analyse allein dies vermöchte und beschert die Geschichte bewegt. Männliche Geschichts- LeseErlebnisse zwischen WiederErkennen und – schreibung dagegen schreitet die Geschichte auf wer hätte das nach so vielen Jahrhunderten Ge- einem ZeitStrahl wie bei einer MilitärParade ab schichtsschreibung geglaubt – immer noch über- und verfolgt deren Gang in unilinearer Sukzessi- raschenden NeuEntdeckungen. on wie auf einem ausgetretenen Pfad mit festen Annette Kuhn geht es, wie sie in ihrer Einleitung BeGrenzungen. Dabei werden ZeitStröme in Zeit- schreibt, um eine Wiederaneignung der Mensch-

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heitsgeschichte als einer komplettierten, wie ich Anders als zu Beginn der Frauenforschung, wo es grammatikalisch völlig unkorrekt, aber m. E. in einer pauschal gegen Patriarchat und Kapi- doch irgendwie zutreffend nennen möchte, Her- talismus gerichteten Koalition aus Feminismus HisStory. In ihr sollen die in ihrer Ausschließlich- und Marxismus das Verhältnis der Geschlechter keit verabsolutierte MännerGeschichte und eine analog zum Klassenkampf als Geschlechterkampf weithin unbekannte FrauenGeschichte in einer konzeptualisiert und das Verhältnis zwischen Weise zusammengeführt werden, bei der bislang Männern und Frauen – in der Literatur vorberei- getrennte weibliche und männliche Sichtweisen tet, dann auch in der Malerei – in einer Kampf- sich, wie zwei zerbrochene Ringhälften als Zei- metaphorik und Kriegsrhetorik als gewalttätige chen der Zusammengehörigkeit, wechselseitig Auseinandersetzung zwischen den Geschlech- ergänzen. Mit ihrem ganzheitlichen Ansatz, der tern dargestellt wurde, sucht Annette Kuhn den ZeitRäume durchwandelt und dabei FrauenZim- GenderKonsens über die gemeinsame Geschich- mer in GeschlechterRäume verwandelt, die in te. Selbst in der feministischen Fachöffentlichkeit friedlicher Kohabitation von Frauen und Männern wurde der GeschlechterKonflikt von Karen Hor- gemeinsam bewohnt werden, entwirft Annette ney (1930) bis zu Judith Butler in „Gender Trou- Kuhn eine „Kleine Weltgeschichte“ aus Sicht der ble“ (1990) als Thema mit Variationen und einer Frauen. Die „Große Weltgeschichte“ wurde von letztlich destruktiven Mischung von Misstrauen Männern bereits geschrieben. und Unbehagen geradezu kultiviert. Ihr doppelter Blick auf die Geschichte vervoll- Obwohl Kuhn ihr GegenNarrativ als komplemen- ständigt die bislang „dualistische“ Geschichts- täres GegenStück, nicht als militant-feministische sicht, die – wie die Aufklärung mit ihrem Ruf „General“-Kritik oder als RadikalKorrektur des nach „Gleichheit, Freiheit, Brüderlichkeit“ – ohne vorherrschenden GeschichtsBildes verstanden die aus dem AufmerksamkeitsFokus historischen wissen will und unter Beibehaltung der chrono- Interesses systematisch ausgeblendeten Schwes- logischen Abfolge wie in der Priorisierung des tern – eine geschlechtsspezifisch halbierte und Idiographischen vor dem Typischen die Histori- damit unvollkommene ist. Wie Sofja Tolstajas kerin bleibt, kann ihr bewusstes Antiphrasieren Buch: „Eine Frage der Schuld“ – unter dem deut- einer traditionell männlichen Geschichtsschrei- schen Titel: „Wessen Fehl? Die Erzählung einer bung m. E. gleichwohl als AlternativKommentar Frau“ im selben Jahr wie Historia erschienen und zu den bisherigen WeltGeschichten gelesen wer- schon vor 120 Jahren als Gegenroman zur 1890 den. Ich würde sogar so weit gehen zu sagen: veröffentlichten „Kreutzersonate“ ihres Ehe- Historia ist ein methodologischer Fundamental- manns Lew Tolstoi geschrieben –, kommt auch Angriff auf die Vorstellungen eines Leopold von das von Annette Kuhn angewandte Konzept des Ranke, der Geschichte noch so schreiben wollte, Perspektivewechsels in der wechselseitigen Spie- wie sie wirklich – wahr – war, ebenso wie auf gelung, welche eine „andere“ Geschichte oder, die Objektivitätsvorstellungen Max Webers. Auch wie Tolstoi und Tolstaja die Geschichte ihrer Ehe, Gubaidulina versteckte ihre Kompositionen hinter je nach Standpunkt und eingenommener Pers- lateinischen Titeln wie „Offertorium“ (1981), die pektive, dieselbe Geschichte anders erzählt, einer die sowjetischen MachtHaber nicht verstanden geschichtlichen Wahrheit – so es sie denn gibt – und die Komponistin mit ihrer „pflichtvergesse- näher als jede nur einseitig, d. h. von einer Seite nen“ Musik gewähren ließen. gewonnene Einsicht. Dem nicht nur vom methodischen Zugriff her un- Als Zeitzeugin und Wegbegleiterin der Frauen- konventionellen, sondern für eine WeltGeschichte bewegung in der Frauenforschung von Anfang auch außergewöhnlich persönlichen Buch merkt an dabei, geht es Annette Kuhn um Geschlech- man das Herzblut und die während seines Zur- tergerechtigkeit, Gender Fairness, auch und vor WeltBringens durchlebte „Herzzeit“ in jeder allem in der Geschichtsschreibung. Ohne das Zeile, jedem ausgewählten Bild und Zitat und Geschlechtsvorzeichen in spiegelverkehrt revo- insbesondere in der Widmung an. Es war, weiß lutionärer Rachsucht einfach umzukehren, wer- Gott, keine „Kopfgeburt“ (Günter Grass). Histo- den in ver-söhn-licher Absicht – selbst hierin ria ist Chronologie, Genealogie und Ikonographie offenbart sich noch die in bewusstseinsbildende in einem: Bilder-, Lese- und Lehrbuch zugleich Tiefenstrukturen eingeschriebene Männlichkeit und dank umfangreicher Quellenvermerke, Fuß- der Sprache – matriarchale und patriarchale Ele- noten und zahlreicher weiterführender Litera- mente aus alt bekannten und neu entdeckten turangaben und einem mit Namensregister und Mosaiksteinen zu einem übereinstimmend stim- Bildnachweisen versehenen Anhangsteil auch als migen GesamtBild zusammengefügt. Was ist – so Nachschlagewerk benutzbar. konstruktivistisch dachte offenbar schon Napole- „Wieviel Geschichte brauchen wir?“ fragt Annet- on – Geschichte anderes als eine Fabel, über die te Kuhn. Eine Antwort auf die Frage, wie eine Ge- Konsens besteht? schichte ausgesehen hätte, in der es Frauen nicht

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verwehrt gewesen wäre, an ihr mitzuwirken, sie in Begriff nicht, wie derjenige der „Herr“schaft, As- Kontakt und Information allen Bereichen mit zu gestalten, über diese Mit- soziationen zur männlich konnotierten „Macht“, Prof. Dr. Doris Mathilde Lucke wirkung Zeugnis abzulegen und die große Welt- ist Historia, als „opus pulchrum“ von der Emerita Universität Bonn Institut für Politikwissenschaft Geschichte dadurch auch zur gar nicht so kleinen im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends ge- und Soziologie ihrigen zu machen, lässt das FrauenGeschichts- schrieben, wohl so etwas wie ihr VerMÄCHTnis. Lennéstr. 27 53113 Bonn Buch in seiner überbordenden Fülle femininen Ich hoffe, Annette Kuhn kann mit dieser lebens- Tel.: (0228) 7384-42 / -25 Sekr GeistReichtums allenfalls erahnen. Weckte der geschichtlichen Werkdeutung einverstanden sein. [email protected]

Neuerscheinungen

Angelika Schmidt-Koddenberg, Simone Zorn (2011): Zukunft gesucht! Berufs- und Studienorientierung in der Sek. II 183 Seiten, kart., 19,90 €, ISBN 978-3-86649-381-0, Verlag Barbara Budrich, Opladen

Die in der Publikation dargestellte Studie zielt Rahmenbedingungen für eine Berufs- und Studi- auf eine allgemeine Situationsanalyse der Berufs- enorientierung in Nordrhein-Westfalen zu be- wahlorientierung von Sek.-II-Schülerinnen und werten. Die Ergebnisse setzen Impulse für Hand- -Schülern in Köln. Sie ist als Panel angelegt und lungsansätze zur verbesserten Gestaltung der ermöglicht die Nachzeichnung des Berufswahl- Übergangssituation von Schule in Ausbildung/ orientierungsprozesses über den Zeitraum der Studium. gesamten Oberstufe. Die durch die RheinEnergie- Stiftung Köln geförderte Untersuchung fand von Aus dem Inhalt: 2008 bis 2010 an zehn Kölner Gymnasien und - Gesellschaftliche Ausgangslage und Gesamtschulen mittels einer standardisierten Be- Stand der Forschung. Wissenschaftlicher fragung statt. Bezugsrahmen, Öffentlicher Diskurs zum Über- Die Ergebnisdiskussion impliziert die Erfassung gang von Schule in Ausbildung/Studium von Veränderungen im Zeitverlauf sowie die - Empirische Untersuchung: Berufswahl- Auswirkungen der sozialen Einflussfaktoren Ge- orientierung von Sek. II-Schüler/-innen schlechtszugehörigkeit, ethnische Herkunft und in Köln: Forschungsdesign, Methoden und Bildungsherkunft. Durchführung der Kölner Studie. Der Blick in die Ein deutliches Ergebnis ist, dass es weniger an Zukunft. Unterwegs im Dschungel der Informa- Informationen über berufliche Optionen mangelt tionen. Prüfsteine für persönliche Entscheidun- als an Angeboten, sich hinsichtlich der eigenen gen. Interessen und Talente zu vergewissern. Auch - Konsequenzen für die Praxis: Berufs- und fehlt es an Unterstützung bei der Reflektion der Studienorientierung in der Sekundarstufe II in eingeholten Informationen, um sie auf eine Pas- Köln. Handlungsempfehlungen für gelingende sung mit den eigenen Fähigkeiten und Neigun- Übergänge in Ausbildung/Studium gen überprüfen zu können. Kontakt und Information Die erzielten Ergebnisse sind bildungspolitisch Die Autorinnen: Prof. Dr. Angelika Schmidt-Kod- Prof. Dr. Angelika Schmidt- im Kontext der veränderten Chancenstruktur für denberg, Professorin für Soziologie an der Kath. Koddenberg KatHO NRW Jugendliche unterschiedlicher sozialer Herkunft Hochschule NRW, Abt. Köln, Fachbereich Sozial- Wörthstr. 10 zu sehen, die an dieser Übergangsschwelle zum wesen. Simone Zorn, Dipl. Sozialpädagogin (FH), 50668 Köln Tel.: 0221-7757-314 Ausdruck kommt. Sie sind darüber hinaus auch wiss. Mitarbeiterin an der Kath. Hochschule NRW, E-Mail: a.schmidt- vor dem Hintergrund der bestehenden politischen Abt. Köln, Fachbereich Sozialwesen. koddenberg(at)katho-nrw.de

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Katja Suren (2011): „Ein Engel verkleidete sich als Engel und blieb unerkannt.“ Rhetoriken des Kindlichen bei Natascha Wodin, Herta Müller und Aglaja Veteranyi 300 Seiten, kart., 29,90 €, ISBN 978-3-89741-316-0, Ulrike Helmer Verlag, Sulzbach/Taunus. Reihe Kulturwissenschaftliche Gender Studies, hrsg. von Gisela Ecker und Susanne Scholz.

Die Arbeit beleuchtet aus interdisziplinärer Per- und Machtgefälle entlang der Linien von Alter, spektive die Verwendung des literarischen To- ethnischer Herkunft und Geschlecht als Verletzun- pos des (‚fremden‘) Kindes in autobiographisch gen sichtbar zu machen. geprägten, gesellschaftskritisch ausgerichteten Neben der Untersuchung des kanonisierten Textes Texten dreier zeitgenössischer deutschsprachiger Niederungen der Nobelpreisträgerin Herta Mül- Autorinnen. Der literarische Topos des ‚fremden ler, die diese Problematik in beispielhafter Weise Kindes‘ wird dabei zur Figur der Auseinanderset- abhandelt, ist es ein Anliegen dieser Arbeit, das zung der heranwachsenden Protagonistin mit den Werk der weniger bekannten (und zu Unrecht sie umgebenden patriarchal geprägten familiären marginalisierten) Autorinnen Natascha Wodin Kontakt und Information und gesellschaftlichen Verhältnissen. Die Verwen- (Die gläserne Stadt, Einmal lebt ich) und Aglaja Katja Suren dung der Figur des Kindes ermöglicht es dabei, so Veteranyi (Warum das Kind in der Polenta kocht, Universität Paderborn [email protected] eine zentrale These, gesellschaftlich-patriarchale Das Regal der letzten Atemzüge) der wissen- paderborn.de Prägungen und die Konstruktion von Differenz schaftlichen Diskussion zugänglich zu machen.

Diana Lengersdorf (2011): Arbeitsalltag ordnen: Soziale Praktiken in einer Internetagentur 209 Seiten, 34,95 €, ISBN-13: 978-3531181967, VS-Verlag, Wiesbaden

Die ethnografische Studie ‚Arbeitsalltag ordnen. oder Kommunikationsarbeit beschrieben werden Soziale Praktiken in einer Internetagentur‘ geht und sich durch einen intensiven Umgang mit neuen der Frage nach, wie soziale Ordnung vor dem Hin- Technologien auszeichnen. Zentrale These ist, dass tergrund gegenwärtiger gesellschaftlicher Transfor- Ordnung durch soziale Praktiken hergestellt und Kontakt und Information mationsprozesse möglich ist. Im Fokus stehen da- reproduziert wird. Damit wird zugleich ein Beitrag Dr. Diana Lengersdorf [email protected] bei Veränderungen im Bereich der Erwerbsarbeit, zur Weiterentwicklung einer praxistheoretischen dortmund.de vor allem solcher Arbeitsfelder, die mit Wissens- Perspektive innerhalb der Soziologie geleistet.

Mona Motakef (2011): Körper Gabe. Ambivalente Ökonomien der Organspende 268 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN: 978-3-8376-1631-6, Transcript Verlag, Bielefeld

Obwohl bei einer Organspende dem Körper Teile mentarium aus Gouvernementalitäts-, Körper- entnommen werden, gilt sie nicht als Tabu, son- und Gabenforschung rekonstruiert sie, wie die dern als Inbegriff einer guten Tat. Medizin und Verfügbarkeit von Körpern und die Veräußerbar- Bioethik diagnostizieren, dass es von diesen gu- keit von Subjekten im biopolitischen Diskurs der ten Taten zu wenige gibt, und diskutieren, wie Organspende verhandelt wird. der Mangel an Organspenden überwunden wer- Mona Motakef (Dr. phil.) arbeitet als Sozial- den kann. wissenschaftlerin mit den Schwerpunkten Kör- Mona Motakef entreißt der Perspektive, die nur per, Gabe, Geschlecht, soziale Ungleichheit und Kontakt und Information Dr. Mona Motakef nach Optimierung fragt, ihre Selbstverständlich- qualitative Methoden am Institut für Soziologie [email protected] keit. Im Rückgriff auf das soziologische Instru- der Universität Duisburg-Essen.

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Journal Netzwerk Frauen- und Geschlechterforschung NRW Nr. 29 / 2011

Netzwerk Frauen- und Geschlechterforschung NRW Universität Duisburg-Essen | 45127 Essen www.netzwerk-fgf.nrw.de

ISSN 1617-2493

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