Der Künstler als ″Theologe″ - Die religionsdidaktische Aufarbeitung geeigneter Bildwerke Otto Pankoks für den Religionsunterricht

Von der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Universität Leipzig angenommene

DISSERTATION

zur Erlangung des akademischen Grades

DOCTOR PHILOSOPHIAE (Dr. phil.)

vorgelegt

von Michaela Breckenfelder geboren am 05. 07. 1977 in Grimma

Gutachter: Prof. Dr. Helmut Hanisch Universität Leipzig Prof. Dr. Dieter Schulz Universität Leipzig

Tag der Verteidigung: 11. Juli 2011 1

0. Einleitung ...... 5 1. Das Verhältnis von bildender Kunst und Theologie im Spannungsfeld von Bilderverbot, Bildersturm und Bilderflut ...... 8 1. 1 Möglichkeiten der inhaltlichen Berührung von bildender Kunst und christlicher Theologie nach 1945 am Beispiel des ″Heiligen″ und des ″Lichtes″ ...... 14 1. 2 Paul Tillichs kunsttheologischer Ansatz als protestantischer Versuch einer Verhältnisbestimmung von bildender Kunst und christlicher Theologie...... 17 2. Das Verhältnis von bildender Kunst und Religionspädagogik ...... 20 2. 1 Bildende Kunst innerhalb des Religionsunterrichts – eine Standortbestimmung...... 24 3. Otto Pankoks bildnerisches Werk als Gegenstand religionspädagogischen Fragens und Arbeitens ...... 29 3. 1 Frage- und Zielstellung ...... 32 3. 2 Methodische Überlegungen...... 34 3. 3 Der Forschungsstand...... 35 3. 3. 1 Bio- bibliografische Forschungsstand zu ...... 35 3. 3. 2 Forschungsstand der theologisch - religionspädagogischen Perspektive auf bildende Kunst...... 41 3. 4 Quellenlage zu Person und Werk Otto Pankoks ...... 45 3. 4. 1 Kritische Bewertung der Quellen und Literatur über Otto Pankok und sein Werk ...... 49 4. Der Mensch Otto Pankok – ein biografischer Annäherungsversuch ...... 53 4. 1 Die ″Zeit im Paradies″ – Kindheit und Jugend Otto Pankoks...... 54 4. 2 Begraben und Wiederauferstanden – Die Fronterfahrungen des Ersten Weltkrieges... 58 4. 3 Höllenwärts – die Jahre ab 1931 ...... 63 4. 3. 1 Am Ende einer langen Reise – Otto Pankok und die Zigeuner des Heinefeldes .. 65 4. 4 Entartet und versteckt – Das innere Exil in Deutschland...... 70 4. 5 Pazifist im geteilten Deutschland - Die Zeit nach 1945...... 75 5. Der Künstler Otto Pankok – bildnerisches Schaffen in Schwarz und Weiß ...... 85 5. 1 Nachexpressionist oder expressiver Realist? ...... 85 5. 2 Stichwort Grafik...... 87 5. 2. 1 Otto Pankoks Arbeitsweise innerhalb seines künstlerischen Schaffensprozesses 88 5. 2. 2 Malen mit Kohle – Otto Pankoks immanente Farbigkeit...... 91 5. 2. 3 Geschnittenes Holz - der Holzdruck im Gesamtwerk Otto Pankoks ...... 94 5. 2. 4 Bemalter und geätzter Stein - Lithografie und Steinätzung im Gesamtwerk Otto Pankoks ...... 97 5. 3 Otto Pankoks kunsttheoretische Position ...... 100 6. Otto Pankok als ″Theologe″...... 106 6. 1 „Die Unbegreiflichkeit der Welt und des Lebens“ - Otto Pankoks Motivation zur künstlerischen Bearbeitung christlicher Bildgegenstände und Bildthemen...... 106 6. 2 Der Lauscher in die Zeit – die christlichen Aussagen in der Kunst Otto Pankoks ..... 115 6. 3 Otto Pankoks Verständnis von ″Schöpfung″ ...... 119 6. 4 Otto Pankoks Menschenbild im Spiegel seines Jesus- und Gottesbildes...... 126 7. Die christlichen Bildwerke Otto Pankoks ...... 136 7. 1 Die terminologische Unterscheidung zwischen ″Inhalt″ und ″Gehalt″ nach Paul Tillich ...... 136 7. 2 Die Bildwerke Otto Pankoks mit christlichem Inhalt ...... 139 7. 2. 1 Bildwerke mit Bezug auf biblische Erzählungen...... 141 7. 2. 2 Christliche Figurendarstellungen ...... 143 7. 2. 3 Bildwerke als künstlerische Umsetzung christlicher Glaubensinhalte ...... 147 7. 2. 4 Apokalyptische Darstellungen ...... 148 7. 2. 5 Die Darstellung christlicher Gotteshäuser ...... 149

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7. 3 Der Passionszyklus...... 150 7. 3. 1 Die historischen Umstände der Entstehung des Passionszyklus...... 151 7. 3. 2 Die kunsthistorische Einordnung des Passionszyklus...... 155 7. 3. 3 Das menschliche Antlitz innerhalb der Passion Otto Pankoks ...... 158 7. 4 Christliche Themen im bildnerischen Werk Otto Pankoks...... 161 7. 4. 1 Der ″wahre Mensch″ als bildnerisches Thema in der Kunst Otto Pankoks...... 162 7. 4. 2 ″Liebe″ als Thema in den christlichen Bildwerken Otto Pankoks...... 166 7. 4. 3 ″Leid″ als Thema in den christlichen Bildwerken Otto Pankoks...... 171 7. 4. 4 ″Sünde″ als Thema in den christlichen Bildwerken Otto Pankoks...... 174 7. 4. 5 Das ″Böse″ als Thema in den christlichen Bildwerken Otto Pankoks...... 179 7. 4. 5. 1 Das instrumentalisierte ″Böse″ im Zusammenspiel mit politischer Macht 184 7. 4. 6 ″Schuld″ als Thema der christlichen Bildwerke Otto Pankoks...... 187 8. Die didaktische Erschließung geeigneter Bildwerke Otto Pankoks für den Religionsunterricht...... 192 8. 1 Bildwerke Otto Pankoks in Lehrbüchern und Unterrichtsmaterialien...... 192 8. 2 Bilddidaktisches Arbeiten im Religionsunterricht ...... 197 8. 3 Bilddidaktische Ansätze innerhalb der Religionspädagogik...... 200 8. 3. 1 Bildmeditation...... 201 8. 3. 2 Bildbetrachtung...... 204 8. 3. 3 Bildanalyse...... 205 8. 3. 3. 1 Die ″Strukturale Bildanalyse″ (1981) nach Alex Stock und Manfred Wichelhaus...... 206 8. 3. 3. 2 Das Konzept der ″Stufen der Bilderschließung″ (1998) nach Günter Lange ...... 207 8. 4 Kunstpädagogische Anregungen für die Arbeit mit Werken der bildenden Kunst im Religionsunterricht...... 209 8. 5 Kompetenzentwicklung im evangelischen Religionsunterricht durch Auseinandersetzung mit Kunstwerken Otto Pankoks ...... 211 8. 5. 1 Die ganzheitliche Bilderfassung als kompetenzorientiertes Arbeiten mit Werken der bildenden Kunst im Religionsunterricht ...... 223 9. Exemplarische Auswahl geeigneter Bildwerke Otto Pankoks für den evangelischen Religionsunterricht...... 225 9. 1 Die traurigen Engel Otto Pankoks: Weinende Engel (WL 55, 1935) und Trauernder Engel (WL 59, 1935)...... 227 9. 1. 1 Verortung der Thematik in der Lebenswirklichkeit der Schülerinnen und Schüler ...... 228 9. 1. 2 Religionsdidaktische Konkretion...... 230 9. 1. 3 Methodische Impulse ...... 233 9. 2 Mit erhobener Hand - Otto Pankoks eifernde Propheten ...... 234 9. 2. 1 Verortung der Thematik in der Lebenswirklichkeit der Schülerinnen und Schüler ...... 237 9. 2. 2 Religionsdidaktische Konkretion...... 238 9. 2. 3 Methodische Impulse ...... 240 9. 3 Mantelmadonna (1933)...... 242 9. 3. 1 Verortung der Thematik in der Lebenswirklichkeit der Schülerinnen und Schüler ...... 245 9. 3. 2 Religionsdidaktische Konkretion...... 246 9. 3. 3 Methodische Impulse ...... 248 9. 4 Der Schmerzensmann (1933-34), Bild Nr. 1 der Passion ...... 251 9. 4. 1 Verortung der Thematik in der Lebenswirklichkeit der Schülerinnen und Schüler ...... 252

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9. 4. 2 Religionsdidaktische Konkretion...... 253 9. 4. 3 Methodische Impulse ...... 255 9. 5 Das Gleichnis vom guten Hirten (1933-34), Bild Nr. 16 der Passion...... 257 9. 5. 1 Verortung der Thematik in der Lebenswirklichkeit der Schülerinnen und Schüler ...... 258 9. 5. 2 Religionsdidaktische Konkretion...... 260 9. 5. 3 Methodische Impulse ...... 261 9. 6 Lasset die Kindlein zu mir kommen (1933-34), Bild Nr. 25 der Passion ...... 263 9. 6. 1 Verortung der Thematik in der Lebenswirklichkeit der Schülerinnen und Schüler ...... 264 9. 6. 2 Religionsdidaktische Konkretion...... 265 9. 6. 3 Methodische Impulse ...... 268 9. 7 Verspottung (WH 340, 1950)...... 269 9. 7. 1 Verortung der Thematik in der Lebenswirklichkeit der Schülerinnen und Schüler ...... 271 9. 7. 2 Religionsdidaktische Konkretion...... 273 9. 7. 3 Methodische Impulse ...... 274 9. 8 Sie nageln ihn ans Kreuz (1933-34), Bild Nr. 48 der Passion...... 276 9. 8. 1 Verortung der Thematik in der Lebenswirklichkeit der Schülerinnen und Schüler ...... 279 9. 8. 2 Religionsdidaktische Konkretion...... 281 9. 8. 3 Methodische Impulse ...... 283 9. 9 Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen? (1933-34), Bild Nr. 54 der Passion...... 285 9. 9. 1 Verortung der Thematik in der Lebenswirklichkeit der Schülerinnen und Schüler ...... 288 9. 9. 2 Religionsdidaktische Konkretion...... 289 9. 9. 3 Methodische Impulse ...... 292 9. 10 Das Würfeln um den Rock I 1933...... 293 9. 10. 1 Verortung der Thematik in der Lebenswirklichkeit der Schülerinnen und Schüler ...... 295 9. 10. 2 Religionsdidaktische Konkretion...... 296 9. 10. 3 Methodische Impulse ...... 298 9. 11 Die Leiche (1933-34), Bild Nr. 58 der Passion...... 300 9. 11. 1 Verortung der Thematik in der Lebenswirklichkeit der Schülerinnen und Schüler ...... 302 9. 11. 2 Religionsdidaktische Konkretion...... 303 9. 11. 3 Methodische Impulse ...... 305 9. 12 Maria mit dem Toten (1933-34), Bild Nr. 59 der Passion ...... 307 9. 12. 1 Verortung der Thematik in der Lebenswirklichkeit der Schülerinnen und Schüler ...... 309 9. 12. 2 Religionsdidaktische Konkretion...... 310 9. 12. 3 Methodische Impulse ...... 313 9. 13 Christus zerbricht das Gewehr (WH 344, 1950) ...... 315 9. 13. 1 Verortung der Thematik in der Lebenswirklichkeit der Schülerinnen und Schüler ...... 317 9. 13. 2 Religionsdidaktische Konkretion...... 318 9. 13. 3 Methodische Impulse ...... 319 10. Zusammenfassende Schlussbetrachtung ...... 320 11. Bildanhang ...... 337 12. Abkürzungsverzeichnis ...... 340

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13. Literaturverzeichnis...... 340

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0. Einleitung

Werke der bildenden Kunst gehören unmittelbar in den Religionsunterricht, wenngleich der Umgang mit ihnen nicht selten eine ″ausschlachtende″ Verwertungsmentalität erkennen lässt. Vor allem im Umgang mit Werken der bildenden Kunst steckt ein unterschätztes Potential, welches im Fach Religion, in einem stärkeren Maße als bisher geschehen, nutzbar gemacht werden könnte. Mit dieser Arbeit soll ein Beitrag für die Praxis des Religionsunterrichts geleistet wer- den. Am Beispiel des bildenden Künstlers Otto Pankok wird dargestellt, wie sich der Umgang mit Werken der bildenden Kunst im Fach Religion gestalten könnte. Bildende Kunst und reli- giöse Vermittlung weisen große Wesensähnlichkeiten auf, da beide nach dem Sinn, dem Sein und nach einer tieferen Wahrheit fragen. Da sich dem Thema der Arbeit aus der Praxis des Lehrerberufs heraus genähert wurde, standen der Verfasserin ganz konkrete Kinder und Ju- gendliche vor Augen, an deren Bedürfnissen sich der Umgang mit dem betreffenden Kunst- werk ausrichtet. Viele der in dieser Arbeit beschriebenen methodischen Vorschläge und An- regungen wurden in der Praxis bereits ausprobiert1. Es wird mit Otto Pankok (1893-1966) ein Künstler vorgestellt, dessen Werk sich in vielfacher Hinsicht für den Einsatz im Religionsunterricht eignet. Das Faszinierende an seiner Person ist, dass er in seiner Zeit nicht nur ein bedeutender Grafiker, Plastiker und Holzschnei- der war, sondern gleichermaßen schriftstellerisch tätig wurde, wie zahlreiche seiner Texte zeigen2. Aus diesem Grund sprechen manche seiner Verehrer gar von einer künstlerischen ″Doppelbegabung″. Deutschlandweit wird Otto Pankok als bedeutender Künstler des 20. Jahrhunderts je- doch kaum noch wahrgenommen. Das mag daran liegen, dass er es niemals zu der Berühmt- heit eines (1891-1969), Konrad Felixmüller (1897-1977), Max Ernst (1891-1976) oder eines George Grosz (1893-1959) gebracht hat, die derselben Generation angehörten. Da- hinter steht nicht zuletzt ein Wahrnehmungsproblem innerhalb der Kunstwissenschaft, da sei- ne Werke lange keiner eindeutigen Stilrichtung zugeordnet werden konnten, bis der Kunsthis- toriker Rainer Zimmermann 1980 den Expressiven Realismus, als Begriff für eine wesentliche deutsche Kunstrichtung der Jahre zwischen 1925 und 1975, etablieren konnte.

1 Exemplarisch dafür ist im Bildanhang sowohl die Vorlage eines Schülerarbeitsblattes zu Otto Pankoks Passi- onsbild Das Gleichnis vom guten Hirten zu finden, als auch das, von einer Schülerin der Klasse 6, ausgefüllte Arbeitsblatt. 2 Siehe Literaturverzeichnis. Alle in diese Arbeit eingefügten Texte Otto Pankoks wurden in dessen Schreibwei- se und in dessen Kommasetzung belassen.

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Die systematische Auseinandersetzung mit dem bildnerischen Werk Otto Pankoks führt in den Bereich der christlichen Kunst und Theologie, sollen nicht große Teile des Pan- kokschen Werkes unbeachtet bleiben. Angesichts seines 60teiligen Passionszyklus, weiterer Kohlebilder, zahlreicher Holzschnitte und Lithografien bzw. Monotypien mit christlichen Motiven stellt sich die Frage, ob er Künstler war, der ″christliche Kunst″ schuf. Als solcher wird er in der Kunstgeschichte nicht wahrgenommen. Otto Pankok war ein gläubiger Christ wie seine Tochter Eva Pankok bestätigte und wie es eindeutig aus seinen Texten hervorgeht. Für diese Arbeit soll von Bedeutung sein, dass er als Mensch und als Künstler an der Schnittstelle von Glauben und Kunstschaffen bzw. Theologie und Kunst lebte und arbeitete. Dass Otto Pankok als Christ ″christliche Kunst″ schuf, lässt sich nicht eindeutig sagen. Als Künstler fand er von Seiten der christlichen Kunst- geschichte kaum Beachtung. In seinem Werk wird jedoch keine Figur zahlreicher dargestellt als Jesus von Nazareth. Fasst man alle Bilder zusammen, in denen christliche Themen bear- beitet werden, dann machen die christlichen Bildwerke sogar einen beachtlichen Teil des Ge- samtwerkes aus. Aus diesem Grund kann die Frage gestellt werden, ob sich Otto Pankok als christlicher Künstler verstand oder gar als ein Künstler, der mit seinen Bildwerken theologi- sche Aussagen treffen wollte. Sein lebenslanges Arbeiten an der Schnittstelle von Kunst und Theologie prädestiniert den Künstler und sein umfangreiches Werk dafür, dass sowohl aus der Perspektive der Kunst als auch der Theologie der Blick auf seine Kunstwerke gerichtet wird. Der Bereich, in dem sich Theologie und Kunst überschneiden, könnte als Stammplatz christlicher Kunst vermutet werden. Dass dieser Bereich kein unproblematischer Raum ist, soll in dieser Arbeit in gebote- ner Kürze erläutert werden, wobei vor allem den historischen Ereignissen Beachtung zu- kommt, die in ihren Auswirkungen auf das heutige Verhältnis wirksam sind. Otto Pankoks Bildwerken haftet etwas Zeitloses, ästhetisch Unabhängiges und Urei- genes an, was ungeachtet des gegenwärtigen Zeitgeistes den direkten emotionalen und thema- tischen Zugang der Schülerinnen und Schüler heute noch ermöglichen kann. So wird eine exemplarische Auswahl entsprechend geeigneter Werke und deren didaktische Aufbereitung für den Religionsunterricht diese Arbeit beschließen. Als Bildwerk mit christlichem Bildgegenstand sind solche Werke anzusehen, die sich entweder durch den Titel oder durch einen eindeutigen Bildgegenstand als christlich auswei- sen. Andere Bildwerke Otto Pankoks, die im weiteren Sinn einer theologischen Fragestellung zugeordnet werden könnten, da das Sprechen von Gott ja immer das Sprechen von Mensch, Tier, Pflanze, Landschaft - also der ganzen Schöpfung - beinhaltet, sollen in dieser Arbeit

7 keine Beachtung finden, da sich ansonsten der Rahmen der in dieser Arbeit zu besprechenden Bilder erheblich ausweiten würde. Außerdem würde dadurch das systematische Besprechen dieser Bildwerke erschwert. Angesichts der Vielzahl der Kunstwerke Otto Pankoks handelt es sich bei den eindeutig als christlich auszuweisenden Bildern um einen kleinen Teil des Ge- samtbestandes. Es werden Werke mit nichtchristlichen Bildthemen referierend herangezogen, um die Bildwerke mit christlichem Inhalt in das Gesamtwerk einordnen zu können. Dies sol- len vor allem die Zigeunerbilder sein, da in ihnen wesentliche Charakteristika des Menschen- bildes Otto Pankoks sichtbar werden. In der Überlieferung seines bildnerischen Werkes verlaufen Brüche, was dahingehend deutlich wird, dass heutigen Jugendlichen und jungen Erwachsenen der Künstler Otto Pankok kein Begriff mehr ist3. Gleichwohl sein umfangreiche künstlerische Werk engagiert und lie- bevoll von Eva Pankok als Leiterin des Otto-Pankok-Museums „Haus Esselt“ in Hün- xe/Drevenack verwaltet wird, sind große Pankok-Ausstellungen in den letzten zwanzig Jahren in Deutschland rar geworden. Die Ausstellungstätigkeit konzentrierte sich in der jüngeren Vergangenheit vornehmlich auf das westliche Rheinland, den Raum Düsseldorf und Bad- Bentheim, wo es neben Hünxe/Drevenack noch ein zweites Otto-Pankok-Museum im Gilde- haus gibt. Mit diesem Trend ist die begründete Gefahr gegeben, dass das bildnerische Werk Otto Pankoks aus unserem kulturellen Bildgedächtnis wieder verschwindet. Der Religionsun- terricht kann einer der Orte sein, an dem dieses Werk an nachfolgende Generationen weiter- gegeben wird. Es stellt sich die Frage, warum im Religionsunterricht die vertiefte Auseinanderset- zung mit Werken der bildenden Kunst stattfinden sollte. Eine Antwort darauf wird durch die Inblicknahme der für das Fach Religion benannten Kompetenzen erleichtert. Sie werden in dieser Arbeit eine wesentliche Rolle spielen. Die Auseinandersetzung über Religion und reli- giöse Inhalte geschieht über Sprache. Ohne verbalen Austausch und der Fähigkeit, sich mittei- len zu können, bliebe dieser Bereich schwer zugänglich. Gleiches gilt für Bilder, speziell für künstlerisch geschaffene Bilder. Gegenseitiger verbaler Austausch ist unbedingt erforderlich, um Bilder zum Sprechen zu bringen. Vor allem bei Kindern und Jugendlichen kann gegen- über dem starren und bewegten Bild eine gravierende Sprachlosigkeit festgestellt werden4.

3 Abgesehen von den kunstpädagogischen Bemühungen des Otto-Pankok-Museums „Haus Esselt“ in Hün- xe/Drevenack unter der Leitung der Kunstpädagogin Annette Burger, die im Rahmen des museumspädagogi- schen Programms „Kunst für junge Menschen. Erleben – Gestalten. Begegnung im Museum“ mit großem Erfolg jedes Jahr Schülerinnen/Schüler aus dem Raum Wesel erreicht. 4 Siehe die interessanten Beobachtungen und Ausführungen in Ute Benz, Jugend, Gewalt und Fernsehen, 12.

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Medienpädagogen sprechen gar von einem visuellen Analphabetismus, aus dem einzig die kontinuierliche visuelle Bildung und Verbalisierung einen brauchbaren Ausweg aufzeige5. Mit dieser Arbeit soll gezeigt werden, welchen Wert vor allem bildende Kunst für die Vermittlung von Glauben und christlichen Inhalten haben. Somit soll unter religionspädago- gischer Perspektive das Werk eines exemplarisch ausgewählten Künstlers betrachtet und da- hingehend befragt werden, welchen Wert diese Bildwerke für den Religionsunterricht haben. Für das Fach Religion ist die Dimension der ästhetischen Kompetenz benannt worden, die es bei Schülerinnen und Schülern auszubilden und zu fördern gilt6. Auch aus diesem Grund ge- hören Bildwerke in den Religionsunterricht. Werke der bildenden Kunst sind hervorgegangen aus einem kreativen, schöpferischen Arbeitsprozess, in dem Vieles planvoll und durchdacht geschah7. Das letztendliche Bild ist auf jeden Fall so, wie der Künstler es haben wollte. In solcher Absichtlichkeit und Überlegtheit entstehen Texte. Sie sind keine willkürlichen Sprachäußerungen und werden als solche nicht wahrgenommen. Indem Werke der bildenden Kunst in ihrem Wert als religiöse Sprachäußerungen verkannt und ignoriert werden, bleibt ein wesentliches Feld theologischer Erkenntnismöglichkeit unbeachtet und fällt damit aus dem hermeneutischen Verstehenshorizont heraus.

1. Das Verhältnis von bildender Kunst und Theologie im Spannungsfeld von Bilderverbot, Bildersturm und Bilderflut

Bildende Kunst und Theologie stehen traditionell in einem wechselhaften Verhältnis zueinan- der. Im Wesentlichen lassen sich vier nachteilige Entwicklungsfaktoren ausmachen, die das Entstehen einer eigenen Bildlichkeit innerhalb des jungen Christentums eher behinderten als förderten. Als wesentlicher Nährboden des spannungsreichen Verhältnisses von Theologie und bildender Kunst ist das Bilderverbot des Dekaloges (Ex 20,4/Dtn 5,8) anzusehen, wodurch eine Grundstimmung innerhalb des Christentums befördert wurde, die lange skeptisch gegen- über religiösen Bildwerken eingestellt blieb. Zum Dekaloggebot hinzu kam die Ablehnung des heidnischen Götzendienstes, so wie er im Umfeld Israels praktiziert wurde (Röm 1, 22f.). Alex Stock weist darauf hin, dass sich sowohl im Judentum als auch bei den frühen Christen „Heidentum in seinem Wesen“8 durch Bilderdienst und Bildgötzenverehrung defi-

5 Ute Benz, Jugend, Gewalt und Fernsehen, 12. 6 Nach dem Lehrplan für das Fach Religion aus dem Bundesland Baden-Württemberg u.a. in Helmut Hanisch, Unterrichtsplanung im Fach Religion, 174. 7 Siehe auch Michaela Breckenfelder, „Was will denn die Frau mit dem Engel da?“ Kinder, Jugendliche und Erwachsene an bildende Kunst heranführen, 78. 8 Alex Stock, Bilder in der Bildung des Christentums, 91.

9 nierte. Bilder im Christentum standen lange unter dem Generalverdacht, den Götzendienst zu befördern9. Abschreckend auf die ersten Christen musste die blühende hellenistische Kunst wirken, die reich an mythologischen Inhalten war10. Gleiches ist von der reichhaltigen Bil- derwelt Ägyptens11 zu sagen. Auf dieser problematischen Grundlage schien die Entwicklung christlicher Kunst un- denkbar. So verwundert es nicht, dass zum Ende des 2. Jahrhunderts zwar christliche Literatur existierte, dagegen keine eigene Bilderwelt12. Die Ostkirche sollte schließlich der Ort sein, an dem theologische Vorbehalte gegen Bildwerke verebbten und sich die Anfänge einer christli- chen Kunst entwickeln konnten. Ein zaghafter Beginn christlicher Kunst ist seit dem 3. Jahr- hundert nachweisbar und geht unmittelbar einher mit den repräsentativen Kirchenbauten Kon- stantin des Großen13. Alex Stock gibt in diesem Zusammenhang zu bedenken, dass das Christentum aus sei- nen verschiedenen Traditionslinien heraus keine einheitliche Religion sein konnte, was den Gebrauch und die Akzeptanz von Bildwerken angeht14. Der Aufbau einer christlichen Bilder- welt, in deren Zentrum Leben und Verkündigung Jesu Christi und die Passion stand, orientier- te sich ab dem 6. Jahrhundert unmittelbar am Ablauf des Kirchenjahres und dem Kanon der christlichen Feiertage15. Das Mittelalter fand mit der biblia pauperum eine eigene Form des Bildes, um biblische Botschaft und bildliche Darstellung zu vereinen. Die biblia pauperum richtete sich ihrer didaktischen Funktion nach an die Mehrheit der Bevölkerung, die des Le- sens nicht mächtig war16. Vor allem in der protestantischen Tradition hatte die strikte Auslegung des Bilderver- botes des Exodus eine nachhaltige Wirkung, als es im Zuge der Reformation 1522, ausgelöst von Andreas Bodenstein zu Karlstadt, in Wittenberg zum Bildersturm kam17. Karlstadt sah das Bilderverbot aus Ex 20 als wörtlich zu befolgendes Gesetz und wandte es strikt an, wovon seine programmatische Kampfschrift „Von Abtuhung der Bilder“ kündet. Darin werden Bildwerke durchgängig als ″Ölgötzen″ bezeichnet18. Alex Stock stellt fest, dass es sich bei

9 Vgl. dazu Alex Stock, Gesicht bekannt und fremd, 8. 10 Peter Gerlitz, Kunst als Nachahmung und Überhöhung der Natur, 245. 11 Alex Stock, Gesicht bekannt und fremd, 9. 12 Gerhard May, Kunst und Religion IV, Urchristentum und Alte Kirche, 262. 13 Gerhard May, Kunst und Religion IV, Urchristentum und Alte Kirche, 263. 14 Vgl. dazu Alex Stock, Bilder in der Bildung des Christentums, 94. 15 Alex Stock, Bilder in der Bildung des Christentums, 95. 16 Antje Wüpper weist darauf hin, dass mit den konkreten Adressaten der biblia pauperum nicht die materiell arme Bevölkerung gemeint sein konnte, da für sie neben der materiellen Armut auch noch die Leseunfähigkeit und Unkenntnis des Lateinischen hinzukam. Sie nimmt unter Bezug auf andere Kunsthistoriker an, dass sich die biblia pauperum an arme, gebildete Kleriker wendet, Wahrnehmen lernen, 38. 17 Alex Stock, Poetische Dogmatik, Gotteslehre 3. Bilder, 14. 18 Andreas Karlstadt, Von Abtuhung der Bilder und das keyn Bedtler vunter den Christen seyn sollen, 1522, hg. von H. Liezmann, Bonn 1911, zitiert bei Alex Stock, Poetische Dogmatik, Gotteslehre 3. Bilder, 14.

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Andreas Karlstadt weniger um eine gezielte Idolkritik als vielmehr um eine generelle Iko- nophobie handelte. Karlstadts Ideal war die reine weiße Kirche, in der dem bildlosen Gott allein im geistigen Wort die Ehre erwiesen werden konnte19. Martin Luther äußerte sich un- willig und ohne Verständnis gegen dieses radikale Vorgehen Karlstadts. Thesenartig wendet er sich 1525 in seiner Schrift „Wider die himmlischen Propheten, von den Bildern und Sak- rament“20 gegen den aufbrechenden „rottisch – schwärmerischen Geist“ des Pöbels21. Luther mahnte zum differenzierten Umgang mit Bildwerken im Sinne von ″Anbeten″ und ″Gedenken″. Er erkannte, dass mit dem Abhängen der Bildwerke nicht automatisch der Götzendienst im menschlichen Herzen beendet war22. Nur das Anbeten der Bildwerke sei im Sinne von Ex 20,4 verboten. Bildwerke, die dem Zeugnis und dem Andenken dienen, sind sogar als nützlich anzusehen. Ihnen wies Martin Luther eine didaktische Funktion zu. Nach Luther kann ausschließlich der rechte Glaube eines Menschen entscheiden, was Gott und was Götze ist. Bilder als solche sind weder gut noch böse, sondern ″freie Stücke″23. In diesem Sinn verstand Martin Luther Bildwerke als religiös neutral24.

„Die Bilder sind weder das eine noch das andere, sie sind weder gut noch böse, man kann sie haben oder nicht haben.“25

Dieser Kernsatz aus dem Bilderverständnis Martin Luthers stellt für den Kunsthistoriker Wer- ner Hofmann einen Freibrief dar, mit dem die Moderne beginnen konnte. Durch die radikale Abwertung der Bilder führte Martin Luther unbewusst deren Aufwertung herbei, da er sie von einem gebundenen Zweck befreite. Er machte sie zweckfrei und damit zu dem, was Kunst- werke heute für uns sind. Was ein Bild ist, entscheidet sich damit letztlich im Betrachter26. Trotz Martin Luthers liberaler Position innerhalb der Bilderfrage erzielte Andreas Karlstadts Bildersturmgebot im Zuge der schweizerischen Reformation, die von Zürich und Genf ausgehend in den Elsass, nach Frankreich, Deutschland, die Niederlande und nach Eng- land griff, eine ungeheure Wirkung, da es sich mit einer Grundauffassung Calvins deckte, wonach „die Geistigkeit Gottes nur eine geistige, nicht bildlich vermittelte Gotteserkenntnis zulasse“27. Durch die Entfernung der Bilder ließ sich der reformatorische Gedanke des

19 Alex Stock, Poetische Dogmatik, Gotteslehre 3. Bilder, 15. 20 Martin Luther, Wider die himmlischen Propheten, von den Bildern und Sakrament, 1525, WA 18, 62 - 214, zitiert bei Alex Stock, Poetische Dogmatik, Gotteslehre 3. Bilder, 17. 21 Alex Stock, Poetische Dogmatik, Gotteslehre 3. Bilder, 17. 22 Vgl. dazu Konrad Stock, Grundlegung der protestantischen Tugendlehre, 102. 23 Alex Stock, Poetische Dogmatik, Gotteslehre 3. Bilder, 18. 24 Hans Markus Horst, Kreuz und Christus, 46. 25 Martin Luther zitiert bei Werner Hofmann, Luther und die Folgen für die Kunst, 70. 26 Werner Hofmann, Luther und die Folgen für die Kunst, 70. 27 Alex Stock, Poetische Dogmatik, Gotteslehre 3. Bilder, 16.

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Schriftprinzips praktischer umsetzen, was verhalf, eine evangelische Identität herauszubil- den28. Als schließlich in Frankreich Kirchen leer geräumt wurden, sah sich die katholische Kirche zu einer deutlichen Position gegenüber der Bilderfrage genötigt29. In dem Dekret „Üb- er Anrufung, Verehrung und Reliquien der Heiligen und die heiligen Bilder“30 befand 1563 das Trienter Konzil, dass Bilder einen legitimen Bestandteil des öffentlichen christlichen Kul- tes darstellen. Sie dürfen geküsst, vor ihnen darf niedergekniet und das Haupt entblößt wer- den31. Der Konzilsbeschluss betont, dass damit nicht das Bild als solches angebetet werde, sondern die Urbilder (prototypa), die in ihnen repräsentiert werden: Christus, die Heiligen, die Jungfrau Maria. Das Konzil mahnte: Sollte sich in der katholischen Kirche eine andere Praxis eingeschlichen haben im Sinne einer abergläubigen Materialmagie, so gelte es, diese auszu- rotten, um calvinistische Angriffe abzuwehren32. Nochmals wurde durch das Konzil der pä- dagogische Nutzen betont, den ihnen Thomas von Aquin (ca. 1225-1274) in seiner „Summa theologica“ beimaß: instructio, memoria, devotionis affectus33, d.h. Belehrung, Bestärkung und affektive Anregung zu einem frommen und sittlichen Leben34. Gleichwohl kirchengeschichtliche und kunstgeschichtliche Epochen nur bedingt syn- chron verlaufen, entsprach der innerkatholischen Erneuerung des 16. Jahrhunderts die Kunst des Manierismus. Im 17. und 18. Jahrhundert fand schließlich eine gefestigte katholische Kir- che ihre künstlerische Sprache in der Kunst des Barock35. In Gegenden, die von der Reforma- tion geprägt waren, verloren die meisten Künstler mit der Kirche ihren Hauptauftraggeber. Führende Maler wandten sich notgedrungen verstärkt weltlichen Themen zu, wie beispiels- weise Hans Baldung (1484/95-1545) in Straßburg36. Solche Entwicklungen dokumentieren, dass die Reformation eine Säkularisierung der Kunst maßgeblich beeinflusste und voran- trieb37. So versuchte Lucas Cranach d.Ä. eine eigene reformatorische Bildsprache zu entwi- ckeln, in der die Wahrheit des Evangeliums sichtbar werden sollte38.

28 Gerhard May, Kunst und Religion VI, Frühe Neuzeit, 277. 29 Antje Wüpper, Wahrnehmen lernen, 42. 30 Dekret des Tridentinums vom 3. 12. 1563, Gerhard May, Kunst und Religion VI, Frühe Neuzeit, 284. 31 Alex Stock, Poetische Dogmatik, Gotteslehre 3. Bilder, 19. 32 Alex Stock, Poetische Dogmatik, Gotteslehre 3. Bilder, 20. 33 Vgl. dazu Alex Stock, Die Ehre der Bilder, 47. 34 Vgl. dazu Alex Stock, Poetische Dogmatik, Gotteslehre 3. Bilder, 19. 35 Gerhard May, Kunst und Religion VI, Frühe Neuzeit, 286. 36 Gerhard May, Kunst und Religion VI, Frühe Neuzeit, 283. 37 Gerhard May, Kunst und Religion VI, Frühe Neuzeit, 284. 38 Konrad Stock, Grundlegung der protestantischen Tugendlehre, 102.

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Zu den Folgen der Aufklärung gehört39, dass sich Künstler nun ihrerseits von Kirche und biblischen Motiven lösten und nach neuen Motiven suchten, die sie für kunstwürdig hiel- ten40. Zwar vergaben die Kirchen nach wie vor vereinzelte Aufträge für religiöse Kunstwerke, das eigentliche Kunstgeschehen entwickelte sich fortab unabhängig von ihnen. Die ikonogra- fische Ausformulierung der Bilder trat zugunsten ästhetischer Überlegungen in den Hinter- grund. Caspar David Friedrich (1774-1849) wich mit seinem Altarbild Kreuz im Gebirge (1808) so weit von tradierter christlicher Ikonografie ab, dass es zu keiner Aufstellung in ei- ner Kirche kam41. Ein Zeitgenosse fand folgende Worte:

„In der Tat, es ist eine wahre Anmaßung, wenn die Landschaftsmalerei sich in die Kirchen schleichen und auf Altäre kriechen will.“42

Gegenläufige Tendenzen wie die Historienmalerei der Nazarener43, die sich ab 1810 bewusst wieder einer religiösen Bildsprache zuwandten44, konnten die kunsthistorische Entwicklung nicht mehr beeinflussen45. Als nachhaltigste Wirkung der Nazarener ist anzusehen, dass sie eine Vielzahl an bebilderten Bibeln und religiösen Andachtsbildchen produzierten46, mit de- nen sie Einfluss auf die religiöse Vorstellungswelt der Gläubigen nahmen, hauptsächlich, was das Aussehen und die Kleidung der biblischen Figuren anbelangt47. Abgesehen von solchen vereinzelten Strömungen nahmen Theologie und Kirche bil- dende Kunst fortan hauptsächlich rückblickend als Kunstgeschichte wahr. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entbrannte auf katholischer Seite ein innerkirchlicher Streit dar- über, welcher Stil die christliche Botschaft am ehesten wiedergeben kann. Kunstsachverstän- dige innerhalb der Kirche, die in erster Linie immer Kunsthistoriker waren, propagierten dafür

39 Günter Rombold, Ästhetik und Spiritualität, 9. Günter Rombold bemerkt, dass Kunst seit der Aufklärung au- tonom geworden sei und sich nicht der Religion unterordne. 40 Vgl. dazu Antje Wüpper, Wahrnehmen lernen, 43. 41 Alex Stock, Gesicht bekannt und fremd, 54. Mitunter wird das Bild auch als Tetschener Altar bezeichnet. Es war für die Schloßkapelle des Grafen Thun Hohenstein bestimmt, kam dort jedoch nie zur Aufstellung. 42 Friedrich Wilhelm Basilius von Ramdohr, zitiert in Alex Stock, Gesicht bekannt und fremd, 58. 43 Robert Suckale, Kunst in Deutschland, 448. 44 In Rom gründete sich um Friedrich Overbeck und Peter Cornelius 1809 ein Bund deutscher Künstler mit Namen ″Nazarener″, der als Sonderzweig der deutschen Romantik gesehen wird. Im Zentrum ihrer künstleri- schen Bemühungen standen konsequentes Naturstudium und die Wahrheit in der Aussage. Die Nazarener sahen ihre Kunst als Predigt, die verstanden werden sollte. Lexikon der Kunst, (Seemann Leipzig) Bd 3, Li – P, 512. 45 Vgl. dazu Antje Wüpper, Wahrnehmen lernen, 43. 46 Georg Schädle, Bilder aus der Kunst im Religionsunterricht, 102. 47 Antje Wüpper, Wahrnehmen lernen, 44. Die Autorin ordnet diese Art der Malerei dem Bereich des Kitsches zu. Der große Einfluss auf die öffentliche Wahrnehmung ist in der weiten Verbreitung der Bilder durch Bibelil- lustrationen und Kunstpostkarten zu sehen, was einherging mit reproduktionstechnischen Neuerungen des Buch- druckes. Darin äußert sich auch der bildungspolitische Anspruch der Nazarener, die wie Friedrich Overbeck forderte, „Gott verherrlichen und den Nächsten erbauen“ wollten. Vgl. dazu Rainer Volp, Transzendenz als Prüf- stein, 93. Rainer Volp kritisiert, dass den Nazarenern mit ihrer „kirchlichen Kunst“ ungebührlich viel Respekt von Seiten der Kunstwissenschaft zugesprochen wird. Rainer Volp, Kunst und Religion, 302.

13 die Romanik und die Gotik48. Tolerantere Kirchenvertreter forderten, alle aus der christlichen Kunst bekannten Stile zuzulassen49. Der zeitnahe Dialog zwischen Kunst und Theologie brach nahezu völlig ab. Kunst und Theologie entwickelten sich autonom voneinander. Andreas Mertin und Karin Wendt verwiesen 2004 auf eine Untersuchung Pitrim A. Sorokins, wonach im 20. Jahrhundert lediglich noch vier Prozent aller Bildwerke einen ausgewiesen religiösen Inhalt hatten50. Widmeten sich Künstler aus autonomer Entscheidung und künstlerischer Mo- tivation heraus religiösen Motiven, so wurden sie von Kirche und Theologie beargwöhnt. Vor allem die Kunst des aufkommenden Expressionismus wurde unter den Verdacht der Blasphemie gestellt. Antje Wüpper verweist in diesem Zusammenhang auf Argumente von katholischen Theologen, wonach Gemälde von Lovis Corinth als „blasphemisch beur- teilt“, die Vertreter des Expressionismus „physisch krank und entartet seien“, und „der Blaue Reiter die Sprache des vollendeten Wahnsinns“ spreche. Die Gemälde Emil Noldes wiederum seien „als Beitrag zur Religionspsychiatrie zu sehen“51. Begründet in traumatischen Ereignissen an der Front des Ersten Weltkrieges, lässt sich das Abbild Christi im Werk vieler Expressionisten finden, so etwa bei Emil Nolde (1867- 1956), Lovis Corinth (1858-1925) und Oskar Kokoschka (1886-1980). Kreuzesdarstellungen kamen in den Bildern der Expressionisten zu neuer Bedeutung52. Dass dabei ein notwendiger Zusammenhang von Form und Inhalt der Kunstwerke zu sehen ist, wurde von kirchlicher Sei- te weitestgehend ignoriert53. So blieb Ernst Barlach (1860-1938) einer der wenigen Künstler, der Werke für Kirchen schaffen durfte, die tatsächlich aufgestellt wurden, so beispielsweise 1931 das Kruzifix für die Elisabethkirche in Marburg54. Im Rahmen des 18. Kirchenbautages fand 1983 in den drei Innenstadtkirchen von Nürnberg eine vielbeachtete Gemeinschaftsausstellung führender Künstler der Bundesrepu- blik und der DDR unter dem Titel „Mein künstlerisches Credo“ statt55. Doch, wie Rainer Volp zu bedenken gab, konnte „diese Initiative der beiderseitigen Ghettobildung“56 nicht dau-

48 Hans Markus Horst, Kreuz und Christus, 47. 49 Hans Markus Horst, Kreuz und Christus, 47. So beispielsweise der einflussreiche Rottenburger Bischof Kepp- ler. 50 Vgl. dazu Andreas Mertin/Karin Wendt, Mit zeitgenössischer Kunst unterrichten, 9. Die Hochzeit des Anteils religiöser Bildwerke lag mit über 90 Prozent im 13. Jh. Von diesem Wert ausgehend, ließ der Anteil religiöser Kunstwerke am Gesamtumfang der Bilder kontinuierlich bis auf einen Wert von vier Prozent nach. 51 Vgl. dazu Antje Wüpper, Wahrnehmen lernen, 44. 52 Rainer Volp, Kunst und Religion, 308. So gehört nach Rainer Volp das Kreuzigungstriptychon (1913/14) von Emil Nolde zu den bedeutendsten Zeugnissen christlichen Glaubens, das jedoch nie in einem sakralen Raum Aufstellung fand. Ebenso erging es Lovis Corinth mit seinem Ecce homo (1925), das von der Kunstgeschichte als epochales Werk angesehen wird. 53 Vgl. dazu Hans Markus Horst, Kreuz und Christus, 47. 54 Rainer Volp, Kunst und Religion, 308. 55 Rainer Volp, Kunst und Religion, 321. 56 Rainer Volp, Kunst und Religion, 321.

14 erhaft entgegenwirken. Noch 1988 beschrieb Andreas Mertin, dass „die Vielzahl versprengter, […] verschwiegener und verdrängter Begegnungen von Kunst und Kirche“ in einer terra in- cognita stattfinde57.

1. 1 Möglichkeiten der inhaltlichen Berührung von bildender Kunst und christ- licher Theologie nach 1945 am Beispiel des ″Heiligen″ und des ″Lichtes″

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges boten sich, bedingt durch gesellschaftliche Wand- lungsprozesse, ganz neue Annäherungsmöglichkeiten zwischen Theologie und Kunst auf in- haltlicher Ebene an. So wie in der Theologie ging es in der Kunst nach 1945 um die Suche nach dem ″Heiligen″. Mit der Kategorie des ″Heiligen″, das weder an einen bestimmten Stil, noch an eine bestimmte Form gebunden ist, fanden Theologie und Kunst zu einer gemeinsa- men Größe, die es auf je eigene Art zu bearbeiten galt58. Der evangelische Theologe Paul Til- lich definiert das ″Heilige″ als „Qualität dessen, was den Menschen unbedingt angeht“59. Als das ″Heilige″ galt seit der Antike das ″Göttliche″60, als dessen Verwalterinnen sich die Kirchen verstanden. Paul Tillich befand, dass das ″Profane″ und das ″Heilige″ nicht von- einander getrennt werden können, vielmehr „kann das Heilige nur durch das Profane ausge- drückt werden, denn allein durch das Endliche kann sich das Unendliche ausdrücken“61. Für Paul Tillich war alles Profane potentiell heilig, da es offen für Weihe ist. Einer solchen Be- deutungsaufladung von profanen Dingen und Gegenständen, widmeten sich nach 1945 viele zeitgenössischen Künstler. Sie verstanden es als ihre vordergründigste Aufgabe, traditionelle Wahrnehmungsmuster zu durchbrechen und gegebene Ausdrucksmöglichkeiten zu erweitern und zu modifizieren62. Das bisherige Monopol der Kirchen, die Bereiche des Heiligen zu ver- walten, wurde damit von zeitgenössischen Künstlern in Frage gestellt. Doch aufgeschlossene, an zeitgenössischer Kunst interessierte Theologen erkannten die Chancen, die sich ihnen mit der abstrakten Kunst boten, vor allem in Hinsicht auf Möglichkeiten der Kontemplation und im Umgang mit Transzendenz63. Die Bildsprache der abstrakten Kunst hielt Möglichkeiten bereit, bislang Undarstellbares darzustellen. Da sich die Kunst in ihrem Selbstverständnis als etwas ansah, „was den Menschen unbedingt angeht“64, schien es evident, dass sie selbst sich

57 Andreas Mertin/Horst Schwebel, Kirche und moderne Kunst, 11. 58 Antje Wüpper, Wahrnehmen lernen, 45. 59 Paul Tillich, Systematische Theologie, Bd II, 251. 60 Vgl. dazu Paul Tillich, Systematische Theologie, Bd II, 251. 61 Paul Tillich, Systematische Theologie, Bd II, 254. 62 Vgl. dazu Rainer Volp, Kunst als Gestaltungskompetenz, 271. 63 Ein anschauliches Beispiel sind die monocromen Farbflächen Mark Rothkos, der mit 14 tiefdunklen Farbtafeln die Kapelle von Houston ausstattete. Wieland Schmied, Spiritualität in der Kunst des 20. Jahrhunderts, 119. 64 Paul Tillich, Systematische Theologie, Bd II, 251.

15 mit einer Kategorie wie dem ″Heiligen″ belegte. Damit fand das statt, was der Theologe Paul Tillich als Weihe des Profanen bezeichnete. Quasi religiöse Praktiken wie die Taufe, die Wei- he oder die Segnung wurden im außerkultischen Rahmen auf scheinbar profane Dinge ange- wandt, wodurch diese eine Bedeutungsaufladung erfuhren. Mit der Wiederentdeckung des Themas ″Licht″ in der modernen Kunst kam es zu ei- nem weiteren Berührungspunkt zwischen Theologie und bildender Kunst. In allen Religionen gibt es das Lichtmotiv65. In unterschiedlichen religiösen Vorstellungen verbindet sich damit die Vorstellung des Ewigen und des Göttlichen. Schließlich wird das Leben selbst mit Licht verbunden, da ohne Licht kein Leben möglich wäre. Aus dieser mit dem Leben verbundenen Symbolik entwickelte sich in der Kunst der Moderne das Sonnenmotiv, wie es häufig im Werk Van Goghs zu finden ist66. Vor allem im bildnerischen Werk Marc Chagalls kommt das Lichtmotiv zu großer Bedeutung. Das ist auffällig in seinen Illustrationen zur Bibel. ″Licht″ wird nicht nur als Lichtquelle verstanden, sondern als flirrendes, atmosphärisches Element67. In der Glasmalerei konnten sich Theologie und Malerei diesbezüglich zu gegenseiti- gem Vorteil ergänzen68. Die Glasfenster moderner Kirchenbauten werden nicht mehr nur als Lichtquelle wahrgenommen, sondern sie selbst sind Teil der Architektur durch die neue, far- bige Lichträume entstehen69. Die katholische Kirche vergab wieder Aufträge an zeitgenössi- sche Künstler, wobei nicht deren christliche Gesinnung, sondern die ehrliche Haltung gegen- über der Welt von Bedeutung sein sollte. Dabei wurde, neben vielen anderen, u.a. das Werk Marc Chagalls (1887-1985) in die Kirchengebäude geholt. Dessen biblische Traumvisionen gehören zu den wichtigsten Bibelauslegungen des 20. Jahrhunderts, und seine Glasfenster finden sich in Kirchen, u.a. in Zürich, Metz und Mainz70. Doch mit dem Hereinholen von zeitgenössischen Kunstwerken in Kirchenräume war und ist es noch nicht getan. Nicht selten führten und führen unüberbrückbare Divergenzen zwischen den dem Kunstgeschehen gegenüber aufgeschlossenen Theologen und der im Got- tesdienst versammelten Gemeinde dazu, dass angekaufte oder gestiftete Kunstwerke aus dem Kirchenraum wieder entfernt werden müssen71. Der sakrale Raum ist bis heute ein vielfach

65 Rainer Volp, Das Kunstwerk als Symbol, 152. 66 Vgl. dazu Rainer Volp, Das Kunstwerk als Symbol, 152. 67 Rainer Volp, Das Kunstwerk als Symbol, 153. 68 Rainer Volp, Kunst und Religion, 312. 69 Rainer Volp, Das Kunstwerk als Symbol, 152. Beispielhaft diesbezüglich sieht Rainer Volp u.a. die Taufka- pelle von Jean Bazaine in Audincourt. Der kreisrunde Raum der Taufkapelle wird durchgehend von Glasfenstern umschlossen, die Licht im eigentlichen Sinn nicht durchlassen, sondern den Farbwert der Fenstergestaltung zum Leuchten bringen. Der Besucher schreitet von einem dunkel gehaltenen Eingangsbereich hinein in einen hellen, „sich lichtenden“ Raum in den Farben Gold – Gelb – Orange. 70 Rainer Volp, Kunst und Religion, 313. 71 Rainer Volp, Kunst und Religion, 316. Rainer Volp führt exemplarisch das Beispiel von Willem de Kooning an, dessen Altar Triptychon (1988) nach den ersten Gottesdiensten von der Gemeinde wieder entfernt wurde.

16 umstrittener Ort für moderne Kunst geblieben. Dabei verfolgen Künstler und Theologen nicht selten die gleichen Ziele. Im Großen werden drei gemeinsame Themenfelder erkennbar. Zum einen ist das die Frage nach dem Gottesbild, was für den Künstler bedeutet, wie Gott darge- stellt werden kann. Zum zweiten wäre das das Problem einer zeitgemäßen praktischen Nach- folge, wenn man Bildwerke als Entwürfe einer ersehnten Zukunft sieht, die häufig verbunden sind mit einer Kritik am Zustand der Kirche, und schließlich ist es die Auseinandersetzung mit dem Tod72. Die bildnerische Umsetzung solcher Themen ist von großer Subjektivität be- stimmt. Die gefundenen Bildlösungen sind zumeist „radikal, wirken schockierend, provokativ und aufrüttelnd bis hin an die Grenze des Erträglichen“73. Beispielhaft hierfür sei auf das Thema der Kreuzigung im Werk Francis Bacons verwiesen und auf die christologische My- thensuche eines Anselm Kiefer74 (*1945), wie auf die Christusbilder Lovis Corinths75. In der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden in der zeitgenössischen Kunst verstärkt religiöse Themen bearbeitet, nicht selten mit dem Ziel zu irritieren, zu schockieren und litur- gische Abläufe zu konterkarieren76. Speziell die Aktionskunst bediente sich religiöser Rituale. Bei Künstlern wie Joseph Beuys (1921-1986) und Hermann Nitsch (*1938) standen christli- che Themen im Mittelpunkt ihres Werkes77. In ihren Installationen geht es u.a. um einen han- delnden Nachvollzug der Leiden Christi. Dabei werden Zusammenhänge untersucht, wie etwa zwischen christlicher Überlieferung und Gewalt bzw. Sexualität. Bilder einer imitatio christi fanden sich zwar schon immer in der bildenden Kunst, jedoch noch nie in solch einer scho- ckierenden Unmittelbarkeit, die mit der Performance einhergeht. Die Übertragung der Thema-

Arnulf Rainer kaufte das von ihm geschaffene Weinkruzifix (1957) wieder zurück, nachdem es in der Grazer Hochschulkapelle nach kurzer Zeit von seinem ursprünglich vorgesehenen Ort wieder weggehängt wurde, vgl. Rainer Volp, Kunst und Religion, 317. Ein aktuelles und wenig rühmliches Beispiel vom Umgang mit zeitgenös- sischer Kunst im Kirchenraum ereignete sich in Sachsen. Der Leipziger Künstler Michael Fischer-Art (* 1967) bemalte nach dem verheerenden Hochwasser der Mulde im Sommer 2002 für die Kirche in Nepperwitz/Sachsen den neu gebauten Holzflügelaltar des örtlichen Tischlers Rainer Saupe, der den durch das Hochwasser zerstörten historischen Altar ersetzen sollte. Der neue Altar kam jedoch nach massivem Protest aus der Gemeinde nicht zur Aufstellung, siehe LVZ, 8. März 2006, 6. Mit knapper Mehrheit entschied die Gemeinde am Karfreitag 2006 (jedes Gemeindeglied hatte je eine Stimme) demokratisch (!), das Kunstwerk als Geschenk des Künstlers nicht anzunehmen, siehe LVZ, 13. März 2006, 5. Auch Antje Wüpper, Wahrnehmen lernen, 47, zählt Beispiele auf, worin sich Kirchgemeinden gegen zeitgenössische Kunstwerke in ihren Kirchen wehrten. Antje Wüpper zitiert diesbezüglich Dirk Tiedemann: „Wer Kunst in die Kirche holt, spielt mit dem Feuer […] Kunst in der Kirche geht nicht ohne Krach.“, vgl. Dirk Tiedemann, Das alte Wort und das neue Bild, 9. 72 Die Kunst und die Kirchen, hrsg. von Rainer Beck/Rainer Volp anlässlich des 18. Evangelischen Kirchenbau- tages 1983, 7. 73 Rainer Beck/Rainer Volp, Die Kunst und die Kirchen, 7. 74 So z.B. das Werk von 1981/82 Dein aschenes Haar, Sulamith. 75 So z.B. das Werk von 1922 Der rote Christus. 76 Rainer Volp, Kunst und Religion, 309. Der Künstler Francis Bacon suchte nach Situationen, „die […] der Realität der Kreuzigung sehr, sehr nahe kommt.“ Das fand er beispielsweise in der Situation von Tieren kurz vor der Schlachtung. So zu sehen auf dem Ölbild Fragment einer Kreuzigung (1950), 140 x 108,5, das sich heute in einer Privatsammlung befindet, in: Günter Rombold, Der Glaube und seine Bilder, 233. Ebenso Rainer Volp, Kunst und Religion, 320. In der Aktionskunst von Joseph Beuys, Hermann Nitsch, Rebecca Horn, Annegret Soltau u.a. rücken religiöse und zumeist christologische Themen in das Zentrum ihres Kunstschaffens. 77 Günter Rombold, Bilder – Sprache der Religion, 107.

17 tik in die Kunstsprache einer inszenierten Aktion, an der viele Menschen teilnehmen, lässt die Zuschauer in ganz neuer Form eine Unmittelbarkeit des Geschehens erleben. Mit solchen Themen griff die zeitgenössische Kunst die Kirchen, als Verwalterinnen theologischen Herr- schaftswissens direkt an78. So entwickelte sich vor allem Joseph Beuys zum enfant terrible der Kirchenszene. Exemplarisch sei in diesem Zusammenhang auf seine rituelle Fußwa- schung in der Karwoche 1969 innerhalb der Aktion „Celtic + ~~~~“ hingewiesen79.

1. 2 Paul Tillichs kunsttheologischer Ansatz als protestantischer Versuch einer Verhältnisbestimmung von bildender Kunst und christlicher Theologie

Wie die katholische Kirche, so fand die protestantische Seite zu keiner einheitlichen Position gegenüber der Kunst. Karl Barth, als einer der Wort führenden Theologen des 20. Jahrhun- derts, positionierte sich mit einer insgesamt kulturkritischen Theologie. Vor allem die Chris- tusbilder stellen für ihn „eine Katastrophe“ dar80, da seiner Meinung nach „Jesus Christus […] die Bilder – die Bilder von Gott und vom Menschen – und das Bilderverbot überflüssig“81 macht. Vor diesem Hintergrund forderte Karl Barth dazu auf, allen Bildern und Symbolen grundsätzlich zu misstrauen82. Dagegen entwickelte Paul Tillich (1886-1965) einen weitaus positiveren Kunstbegriff. Nach Alex Stock war er der einzige Theologe des 20. Jahrhunderts, bei dem die Begegnung mit der modernen Kunst über den privaten Gebrauch hinaus von Be- deutung ist und Einfluss in seine Theologie fand. Im Museum of Modern Art/New York hielt Paul Tillich am 17. Februar 1959 einen Vortrag mit dem Titel „Die Kunst und das Unbedingt – Wirkliche“, worin er ausformulierte, dass bildende Kunst auf den „unbedingten Sinn und auf die letzte Wirklichkeit“ verweise83. Es war die Begegnung mit der jungen Kunst des Expressionismus in Dresden und Ber- lin, die den heimkehrenden Frontsoldaten des Ersten Weltkrieges existenziell berührte. In ihrem Erleben fand Paul Tillich zur theologischen Kategorie des ″Durchbruchs″, die ihm in seiner Offenbarungslehre wesentlich wurde84. Das ließ ihn von der „durchbrechenden Macht

78 Vgl. dazu K+U, Ästhetisch distanzierte Formen der Gewalt, Heft 157 (Nov. 1991), 27. 79 Antje Wüpper, Wahrnehmen lernen, 47. 80 Karl Barth, Kirchliche Dogmatik IV, II, 114, zitiert bei Antje Wüpper, Wahrnehmen lernen, 46. 81 Karl Barth, Kirchliche Dogmatik III, I, 227, zitiert bei Antje Wüpper, Wahrnehmen lernen, 46. 82 Vgl. dazu Hans Markus Horst, Kreuz und Christus, 51. 83 Antje Wüpper, Wahrnehmen lernen, 46. 84 Alex Stock, Zwischen Tempel und Museum, 231. Paul Tillich schrieb dazu: „In der Ausdruckskraft des Ex- pressionismus […] fand ich Kategorien geistiger Schöpfung, die auch für meine theologische Arbeit bedeu- tungsvoll wurden.“ Vgl. dazu Paul Tillich, Ein Lebensbild in Dokumenten, 177.

18 des Expressiven“85 sprechen. Solche Erfahrungen zwangen ihn zum Entwurf einer ″Theologie der Kunst″, einschließlich der bildenden Kunst und Architektur86:

„Aber es ist möglich [von einer Theologie der Kunst zu sprechen, AdA], wenn Theologie nicht Rede von Gott als von einem Gegenstand neben anderen bedeutet, sondern - wie es sein muß – als Rede von der Manifestation des Göttlichen in allem Seienden und durch alles Seiende hindurch. Theologie der bildenden Kunst ist dann die Lehre von der Manifestation des Göttlichen in dem künstlerischen Akt und seinen Schöpfungen.“

In diesem Verständnis hat sich die theologische Wahrnehmung auf alle Phänomene der Kunst zu richten und nicht ausschließlich auf den kleinen Teil religiöser Werke87. Bezüglich des Religiösen in der Kunst unternimmt Paul Tillich eine entscheidende Differenzierung. In sei- nem Verständnis kann Kunst religiös sein, egal, ob sie religiöse Gegenstände behandelt oder nicht. Sie ist aber religiös „sofern in ihr die Erfahrung letzten Sinnes und Seins zum Ausdruck kommt“88. Mit solch einem generalisierenden Blickwinkel überwindet Paul Tillich die tradier- ten Gattungsmerkmale, die sich, aus der Kunsttheorie des 19. Jahrhunderts hervorgehend, explizit mit religiöser Kunst als einer eigenen Gattung neben Landschaft, Porträt, Stillleben etc. beschäftigte. Da sich nach Paul Tillich in der Kunst das Göttliche manifestiert, wird eine Unterscheidung zwischen profaner und religiöser Kunst außer Kraft gesetzt89. Um die neue Verhältnisbestimmung von Kunst und Theologie terminologisch fassen zu können, unterschied Paul Tillich fortan zwischen ″Inhalt″ und ″Gehalt″ von Kunstwerken. Dabei bezeichnet der ″Inhalt″ den im Kunstwerk verarbeiteten thematischen Gegenstand, wo- hingegen mit dem ″Gehalt″ die Grundeinstellung zur Wirklichkeit beschrieben wird. Nach Paul Tillich weist jedes Kunstwerk drei konstituierende Merkmale auf und zwar Inhalt, Form und Stil90. Am einzelnen Kunstwerk manifestiert sich der Gehalt eines Kunst- werkes an seinem Stil. Im Stil offenbart sich der geistige Gehalt eines Kunstwerkes. Er ist die unmittelbare Einwirkung des Gehaltes auf die Form. Die Form macht das Ding letztlich zu dem, was es ist. Sie ist das Strukturelement des Seins91. Der Stil wiederum verbindet das je- weilige Kunstwerk mit anderen Kunstwerken einer Epoche92. Nach Paul Tillich ist deshalb „der künstlerische Stil jeder Epoche ein Dokument der religiösen Existenz dieser Epoche“93. In diesem Sinn ist die Kunst einer Epoche ein wichtiger Indikator der gesamtgesellschaftli-

85 Paul Tillich, Zur Theologie der bildenden Kunst und der Architektur, 209. 86 Paul Tillich, Zur Theologie der bildenden Kunst und der Architektur, 206. 87 Vgl. dazu auch Alex Stock, Zwischen Tempel und Museum, 232. 88 Paul Tillich, Zur Theologie der bildenden Kunst und Architektur, 207. Vgl. dazu auch Antje Wüpper, Wahr- nehmen lernen, 46. 89 Vgl. dazu Alex Stock, Zwischen Tempel und Museum, 232. 90 Paul Tillich, Protestantismus und Expressionismus, 81. 91 Paul Tillich, Protestantismus und Expressionismus, 81. 92 Paul Tillich, Protestantismus und Expressionismus, 82. 93 Paul Tillich, Zur Theologie der bildenden Kunst und Architektur, 207.

19 chen Lage einer Zeit94. Paul Tillich fragt, was es „für die christliche Existenz in unserer Peri- ode“95 bedeute, wenn religiöser Kitsch die Schaufenster der Verkaufsläden in den Kathedra- len der Welt bestimmt. In seinem Verständnis kann es nur heißen, dass den Künstlern der le- bendige Zugang zu den Symbolen des Christentums verloren gegangen ist und sie stattdessen bei der Imitation im Kitsch erstarren. Nach Paul Tillich ist zwar jeder Stil gleichermaßen geeignet, „das höchste Anliegen des Menschen auszudrücken“96, dennoch sprach er dem expressiven Moment eines Stils zu, „religiösem Sinn unmittelbar“ Ausdruck verleihen zu können, „sowohl durch säkulare als auch durch traditionell religiöse Inhalte“97. „Das, was zum Ausdruck kommt, ist die ″Dimension der Tiefe″ in der Erfahrung der Wirklichkeit, der Grund und Abgrund, in dem alles wurzelt“98.

„Wenn wir von religiöser Kunst sprechen, dann sprechen wir gewöhnlich von religiösen Themen, Themen, die vom Mythologischen, Legendären und Rituell-Symbolischen einer lebenden Religion hergenommen sind. Mit diesen Themen kann man sich in jedem Stil auseinandersetzen, und es ist nicht notwendig, dass ein besonderer expressionistischer Stil benutzt wird. Aber es erhebt sich eine wichtige Frage. In welchem Sinn ist ein Gemälde der Hochrenaissance oder im Stil des Naturalismus aus dem 19. Jahrhundert religiös, selbst wenn es christliche Symbole wie beispielsweise Christus oder die Heilige Jungfrau einschließt, aber in einem Stil, der naturalistisch und nicht expressiv ist? Man kann selbstverständlich jederzeit eine der biblischen Geschichten malen. Der Künstler kann ein Bild vom Christus und der Heiligen Jungfrau malen oder was auch immer. Aber wenn der Künstler es in einem Stil malt, bei dem menschliche Verhältnisse das Muster und Modell abgeben und nicht dasjenige, was hinter diesen liegt, liegt dann nicht ein schreckliches Missverhältnis zwischen Stil und Inhalt vor? Widersprechen sie sich dann nicht?“99

Paul Tillich sieht religiöse Kunst dort verkümmert, wo das expressive Element in ihr gehin- dert wurde, zur Entfaltung zu gelangen. Aus diesem Grund stellt für ihn die expressionistische Kunst seit 1900 eine erfreuliche Tatsache dar, da sie durch ihre Ausdruckskraft „religiöse Kunst wieder möglich gemacht“100 hat. Der Maler Wassily Kandinsky wies anhand seines eigenen bildnerischen Werkes auf die erweiterte Begrifflichkeit von christlicher Kunst hin, die sich in der Unterscheidung von ″Inhalt″ und ″Gehalt″ erschließt:

„Erschrecken sie nicht, wenn ich ihnen sage, dass ich meine eigenen Bilder, besonders seit ich ungegenständlich male und je älter ich werde, als christliche Bilder erkenne.“101

Dabei ist zu beachten, dass die expressive Ausdruckskraft nicht an ungegenständliche For- mensprache gebunden ist. An ausgewählten Bildbeispielen Otto Pankoks lässt sich treffend

94 Vgl. dazu Paul Tillich, Kunst und Gesellschaft, 5. 95 Paul Tillich, Zur Theologie der bildenden Kunst und Architektur, 210. 96 Paul Tillich, Protestantismus und Expressionismus, 84. 97 Paul Tillich, Protestantismus und Expressionismus, 86. 98 Paul Tillich, Protestantismus und Expressionismus, 86. 99 Paul Tillich, Kunst und Gesellschaft, Dritte Vorlesung: Religion und Kunst, 41f. 100 Paul Tillich, Protestantismus und Expressionismus, 86. 101 Wassily Kandinsky zitiert bei Antje Wüpper, Wahrnehmen lernen, 205.

20 zeigen, wie eine expressive Formensprache die inhaltliche Aussage von Malerei verändert und beeinflusst. Gerade durch das expressive Moment in der Bildsprache seiner christlichen Bildwerke erhalten konventionelle Bildgegenstände - wie beispielsweise der Gekreuzigte - eine tiefere inhaltliche Dimension, die dem konventionellen Vorbild in dieser Art nicht anhaf- tet.

2. Das Verhältnis von bildender Kunst und Religionspädagogik

Bilder greifen an und werden angegriffen. Bilder ängstigen und werden bestraft. Bilder spenden Trost und empfangen Dankbarkeit. Bilder zerstören und werden zerstört. (Maurice Denis)

Werke der bildenden Kunst haben in der Religionspädagogik ihren traditionellen Platz. Sie werden in der Katechese ergänzend zum Text herangezogen. Damit kommt Bildwerken eine „katechetisch – bestätigende Funktion“102 des biblischen Textes zu, was meint, dem Hörer und Leser biblische Inhalte zu visualisieren. In diesem Sinn fungierten Bildwerke als bildlich verschlüsselte Bibelworte und Glaubensaussagen. Außer Frage stand, dass sie diese zu bele- gen hatten. Konnte sich der Betrachter eines Bildes dessen Inhalt erklären, dann war die Bild- betrachtung an ihr Ziel gelangt103.Die Bildkunst galt als „verschlüsseltes Wort; das Bild schien restlos zurückzuverwandeln zu sein in das begriffliche oder narrative Wort“104.Ein darüber hinausgehender Wert, der das Bildwerk ergänzend zum biblischen Text sah oder dem sogar entgegen stand, wurde den Bildern abgesprochen105. Mit der stärkeren Orientierung des Unterrichts auf die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen seit den 1980er Jahren kam Werken der bildenden Kunst zudem eine motivie- rende Funktion im Religionsunterricht zu106.Das erweiterte das Spektrum der im Religionsun- terricht verwendeten Bilder enorm. Abbildungen von Kunstwerken werden seitdem mit Vor- liebe dazu gebraucht, um Kinder und Jugendliche in das Unterrichtsthema einzuführen. Dabei obliegt dem ausgewählten Bildwerk lediglich die Rolle des Stichwortgebers107.Äußern Schü- lerinnen und Schüler innerhalb der Motivationsphase die passende Assoziation zum Bildwerk, dann hat dieses seine Funktion innerhalb des Unterrichtsprozesses erfüllt und wird von der Lehrerin108 oder dem Lehrer dem Unterrichtsgeschehen wieder entzogen. Die Auseinander-

102 Günter Lange, Zum religionspädagogischen Umgang mit modernen Kunstwerken, 118. 103 Günter Lange, Aus Bildern klug werden, 8. 104 Günter Lange, Zum religionspädagogischen Umgang mit modernen Kunstwerken, 118. 105 Vgl. dazu Günter Lange, Aus Bildern klug werden, 8. 106 Rita Burrichter, Mit Bildern der Kunst arbeiten, 219. 107 So auch Franz W. Niehl/Arthur Thömmes, 212 Methoden für den Religionsunterricht, 13. 108 Zugunsten der besseren Lesbarkeit des Textes kann nicht in jedem Fall die feminine und maskuline Form verwendet werden. So wird in dieser Arbeit beispielsweise nur von Bildbetrachtern gesprochen werden.

21 setzung mit dem Bildwerk verbleibt damit an der Oberfläche, zu einer eigentlichen Bildbe- trachtung ist es gar nicht erst gekommen. Der Einstieg in das eigentliche Thema und die Themenentfaltung erfolgen gewöhnlich anhand eines Textes. So, oder so ähnlich, ist es im Religionsunterricht an Schulen nach wie vor gängige Praxis. Und so konnte ich es wiederholt in meinem Referendariat während Unterrichtshospitationen beobachten, woraus letztendlich die Idee zu dieser Arbeit entstammt. Dabei weisen Begrifflichkeiten wie Funktion, Verwen- dung und Gebrauch im Zusammenhang mit Werken der bildenden Kunst auf einen misslichen Zustand hin, da der Pfad zwischen Gebrauch und Missbrauch schmal und schnell überschrit- ten ist. Über die eingangs zitierten Worte von Maurice Denis hinausgehend greifen Bilder nicht nur an, ängstigen, zerstören und spenden Trost sondern sie selbst werden mitunter auch missbraucht. Dass der Religionsunterricht ein Ort solchen Miss- gebrauchs ist, konstatierte 1991 Günter Lange. Er forderte, Bildwerke nicht als ″Mittel zum Zweck″ zu degradieren, sondern vielmehr dem jeweiligen Bild in seiner ihm eigenen Würde als Kunstwerk zu begegnen. Sei- ner Meinung nach wäre es angebracht, künstlerische Bildwerke mit derselben Aufmerksam- keit und Vorsicht zu behandeln, die theologisch geschulte Menschen üblicherweise biblischen Texten oder Sachtexten entgegen bringen. In der Praxis des Religionsunterrichts kommt Bildwerken nach wie vor nicht die gleiche Bedeutung wie Texten zu. Durch die nach wie vor anhaltende Funktionalisierung von Bildwerken im Unterrichtsgeschehen kann dem Anspruch des Kunstwerks und des Künstlers nicht entsprochen werden, was Schülerinnen und Schülern einen Zugang zum Kunstwerk versperrt. Die universitäre Religionspädagogik versäumte es bislang, den adäquaten Umgang mit Werken der bildenden Kunst zu vermitteln109.Analog zur Textlesekompetenz wurde keine ″Bildlesekompetenz″ ausgebildet. Das ist im didaktischen Umgang mit Bildwerken unverzichtbar, da jedes Kunstwerk seine eigene Kunstsprache sprich110, die verstanden sein will und die sich beiweiten nicht in Ikonografie erschöpft111. Religionspädagoginnen und Religionspädagogen trauen sich an Werke der bildenden Kunst – zumal wenn es sich um zeitgenössische Werke handelt – nicht heran, weil sie befürchten, sie nicht ″richtig″ zu verstehen. So vermerkt Franz W. Niehl, dass mit fehlender kunstpädagogi- scher Ausbildung von Religionspädagoginnen und Religionspädagogen ein Mangel an „Sou- veränität und Leichtigkeit“ einhergehe, der den Schülerinnen und Schülern den Zugang zu

109 So auch Franz W. Niehl/Arthur Thömmes, 212 Methoden für den Religionsunterricht, 13. Jeder Lehrer, der mit Kunstwerken in seinem RU arbeitet, tut etwas, was er in der Regel nicht gelernt hat. Das verleitet zu ober- flächlichem, konsumentenhaftem Umgang mit den Bildern. 110 Vgl. dazu Günter Lange, Zum religionspädagogischen Umgang mit modernen Kunstwerken, 117. 111 Vgl. dazu Alex Stock, Ist die bildende Kunst ein locus theologicus?, 177.

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Werken der bildenden Kunst im Religionsunterricht versperrt112.An Schulen können Kunst- pädagoginnen und Kunstpädagogen die Experten sein, die im Umgang mit Kunstwerken ge- schult sind. Von ihnen ist noch am ehesten kreative Anregung im Umgang mit Werken der bildenden Kunst zu erwarten. Solcherart Beobachtungen haben zur Konsequenz, dass im Ka- pitel 8. 4 der Blick in die Kunstpädagogik gerichtet sein wird. Es wird geprüft werden, welche Methoden und welche konzeptionellen Ansätze der Kunstpädagogik innerhalb der Religions- pädagogik sinnvoll eingesetzt werden können. Vor allem der üppige Fundus an bilderschlie- ßenden Methoden der Kunstpädagogik kann hierin den Religionsunterricht unmittelbar berei- chern. Von der Kunstpädagogik zu übernehmen sind außerdem der Respekt und die Wert- schätzung, die Werken der bildenden Kunst entgegen gebracht wird. Die Ergebnisse dieser Überlegungen werden direkt in die methodischen Impulse der 13 Bildaufarbeitungen des neunten Kapitels einfließen. Werden künstlerische Bildwerke vorwiegend unter der Kategorie ″Medium″ betrach- tet, spricht man ihnen das Spezifische ab, das sich nicht darauf beschränkt, Inhalte zu trans- portieren. Vielmehr sind Bilder immer mehrdeutig113. In diesem Zusammenhang hat sich in- nerhalb der Kunstpädagogik der Topos von der ″Macht der Bilder″114 als Begrifflichkeit fun- diert. Im behutsamen und achtvollen Umgang mit Bildern begibt man sich mit ihnen tatsäch- lich auf „eine Reise ins Unbekannte“115 mit offenem Ende. Werke der bildenden Kunst wer- den auf ganz verschiedenen Ebenen virulent. Bevor der Betrachter in der Lage ist, Seheindrü- cke zu verbalisieren, sind verschiedene Sinne von einer Vielzahl Sinneseindrücken in Bewe- gung gesetzt worden. Bildende Kunst dient weniger dem intellektuellen Erkenntnisgewinn als vielmehr sinnlichem Erleben. Bildwerke stellen einen eigenen Denkraum dar, der künstleri- sches, kreatives und „fluides Denken jenseits der testbaren Norm“116 einfordert. Daher ist gerade bei möglichen gestalterischen Aufgaben zu einem Kunstwerk viel Sensibilität gefor- dert, um mit der zu bearbeitenden Aufgabe für die Schülerinnen und Schüler dem Anliegen des Kunstwerkes gerecht zu werden. Eine mögliche Gestaltungsaufgabe zu einem Kunstwerk sollte ebenso offen sein und den Schülern kunstähnliches Denken und Handeln ermöglichen. Reduziert sich der Wert eines Kunstwerkes auf die Funktion ″Medium″, so wird es instrumen- talisiert, in seinem Wert minimalisiert117 und die ihm eigene Sinnlichkeit abgesprochen.

112 Anton Binder, Bilder, 144. 113 Vgl. dazu Herbert Fendrich, Wozu sind Bilder gut?, 129. 114 So bei Rita Burrichter, Mit Bildern der Kunst arbeiten, 218, und durchgehend in der Literatur Günter Langes. 115 So der gleichnamige Untertitel eines kunstpädagogischen Methodenbuches von Frank Schulz/Erika Kern, Die Welt der Bilder. Eine Reise ins Unbekannte, 20. 116 Johannes Kirschenmann, Aufmerksamkeiten gegenüber Bildung und Bild, 15. 117 Vgl. dazu Philipp Reichling, Vom Umgang mit Bildern im Religionsunterricht, 153.

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Bildwerke sprechen den Betrachter vielsinnlich und anders als Schriftstücke an. In dieser Eigenart beleben sie den Religionsunterricht und werten ihn als schulisches Fach auf. Bei der Ausbildung einer Bildhermeneutik muss es darum gehen, Schülerinnen und Schülern Zugänge zum jeweiligen Kunstwerk zu vermitteln. Das ist in zweifacher Hinsicht notwendig: Zwar sprechen Bildwerke in ihrer Bildsprache zum Betrachter, doch muss dieser Zugang oft erst erarbeitet werden, da er sich von allein selten befriedigend einstellt. Geschieht dies nicht, dann verbleibt der Betrachter beim ersten Seheindruck. Hinzu kommt, dass jedes Kunstwerk seine je eigene Bildsprache spricht, weswegen einmal gefundene Lösungen und Erklärungs- ansätze selten überzeugend auf ein anderes Bildwerk übertragbar sind. Bildnerische Inhalte verschlüsseln sich - mitunter sogar vielfach. Ein ganzer Fundus an Zugängen sollte verfügbar sein, um diesem Inhalt auf die Spur zu kommen. Reichen bildimmanente Zugänge nicht aus, dann müssen biografische, psychologische und historische hinzukommen. In diesen Sprach- äußerungen eines Kunstwerkes erschließt sich dessen locus theologicus, der im Religionsun- terricht zum Gegenstand reflexiven Nachdenkens werden sollte. Daraus wird ersichtlich, dass es im Religionsunterricht nicht um zweckfreie Bildbetrachtung und Arbeit am Bild gehen kann. Dafür eignet sich im schulischen Rahmen wohl besser der Kunstunterricht. Vielmehr geht es um das Erfassen bildnerischer Äußerungen als spezielle theologische Sprachform. Sich dieser Sprachform zu verweigern, hieße, einen Großteil theologischer Äußerungen zu ignorieren. Christliche Inhalte lassen sich nicht nur in Form eines Textes wiedergeben und reflektieren sondern ebenfalls im Bild. Das Anfertigen von Kunstwerken ist wie das Schreiben, das Erzählen und das Musi- zieren eine ursprüngliche menschliche Kulturtechnik. Mit diesem adäquat umgehen zu kön- nen entspricht der Ganzheitlichkeit des Menschen. Der Mensch ist nicht nur ein schreibendes und lesendes Wesen, sondern ebenso ein malendes, bildnerndes, formendes, sehendes, schme- ckendes und hörendes. Durch den Einsatz von Werken der bildenden Kunst und dem adäqua- ten Umgang mit ihnen im Unterrichtsgeschehen kann der Religionsunterricht für Schülerin- nen und Schüler zu einem weiteren Fach im schulischen Fächerkanon werden, der sie in ihrer Ganzheitlichkeit als Mensch ernst nimmt und fordernd und fördernd anspricht. Dabei ent- spricht das Charakteristische von Kunstwerken, das sich in ihrer Offenheit, Vieldeutigkeit, Multiperspektivität und ihrem Verschlüsselt-Sein äußert, religiösen Fragen und Inhalten118. Dass dies erkannt und akzeptiert wurde, heißt, dass sich in der Kunstwahrnehmung ein Be- deutungswandel vollzog. Nicht mehr die affirmativen Anteile, die die christlichen Lehren bestätigen, wurden innerhalb von Kunstwerken gesucht, sondern gerade das Abweichende,

118 Petra Bahr, Über die Familienähnlichkeit von Kunst und Religion, 63. Die Autorin weist darauf hin, dass in der Kunst der vermutlich am meisten unterschätzte „Bündnispartner“ der religiösen Vermittlung zu sehen ist.

24 das Andere, der speziell künstlerische Blick auf den jeweiligen Inhalt119. Das Reden über Gott und christliche Inhalte erfordern gleichermaßen hypothetisches und variables Denken, das Perspektivenwechsel pflegt, gefundene Lösungen kritisch hinterfragt und bereit ist, Offenheit und einen Rest Unerklärbarkeit auszuhalten und zu akzeptieren. Gerade in der Auseinander- setzung mit Werken der bildenden Kunst werden die Kreativität, Spontaneität, die eigenen Lebenserfahrungen der Kinder und Jugendlichen und eigene Lösungsvorschläge eingefordert. Im stärkeren Einbezug von Werken der bildenden Kunst in den Religionsunterricht liegen deshalb Chancen für das Fach Religion. Schülerinnen und Schüler werden in ihrer Persön- lichkeit angesprochen und der Einsatz ihrer ganzen Persönlichkeit wird erwartet. Das ist längst nicht in jedem schulischen Fach der Fall, wie Studien bestätigen120. Besonders mit Blick auf das soziale Lernen kann Werken der bildenden Kunst großes Potential zugesprochen werden. Gerade in Auseinandersetzung mit ihnen wird es Schülerin- nen und Schülern ermöglicht, Perspektivenwechsel zu üben, sich in Figuren hineinzufühlen und „mit den Augen anderer sehen zu lernen“121, was die Grundbedingung ethischen Lernens unter religionspädagogischer Perspektive ist.

2. 1 Bildende Kunst innerhalb des Religionsunterrichts – eine Standortbestim- mung

Die gegenwärtig verfügbaren Unterrichtsmaterialen für das Unterrichtsfach Religion belegen, dass künstlerisch-gestalterisches Arbeiten Schülerinnen und Schülern der unteren Klassen vorbehalten bleibt122. Dabei ist in der entsprechenden Literatur oft nicht ersichtlich, warum die Autoren ausschließlich Grundschüler im Blick haben. Am deutlichsten ausgesprochen wird das bei den Autoren Margarete Luise Goecke-Seischab/Frieder Harz, die sich mit der „Einführung in die Bilddidaktik“ ausschließlich an Pädagoginnen und Pädagogen „für Sechs- bis Zwölfjährige“ wenden123. Solche Exklusivität ist nicht zuletzt der Tatsache geschuldet, dass innerhalb der Grundschuldidaktik ganzheitliches Lernen und Lehren eine zentralere Rol-

119 Günter Lange, Umgang mit Kunst, 249. 120 Siehe dazu u.a. Michael Wermke, Bildungsstandards und Religionsunterricht, 40. 121 Elisabeth Naurath, Mit Gefühl gegen Gewalt, 286. 122 So z.B. Jürgen u. Ruth Wüst, Arbeiten mit Kunst in Kindergarten und Grundschule, 1996. 123 Vgl. dazu den vollständigen Titel Margarete Luise Goecke-Seischab/Frieder Harz, Bilder zu neutestamentli- chen Geschichten, Lahr 1994. Außer den praktischen Gestaltungsvorschlägen, die sich tatsächlich vornehmlich an jüngere Schülerinnen und Schüler richten, können die ausgewählten Bilder und die Bildbetrachtungen selbst- verständlich auch für Schülerinnen und Schüler höherer Klassen verwendet werden. Die Altersbeschränkung der Autoren leitet sich weniger aus inhaltlichen Gründen als vielmehr aus der Tatsache ab, dass es sich um Autoren handelt, die vorwiegend in der Grundschulpädagogik tätig sind.

25 le einnimmt124, als dies in der Didaktik weiterführender Schulen der Fall ist. Die Grundschul- didaktik nimmt Schülerinnen und Schüler stärker als ganzheitliche Individuen wahr, die sich Bildungsinhalte neben der kognitiven Schulung auch eigentätig kreativ - haptisch aneignen müssen. In der Grundschule finden sich eher als anderswo anregende Klassenräume, gefüllt mit unterschiedlichsten Arbeitsmaterialien, die schnell und unkompliziert in das Unterrichts- geschehen einbezogen werden können. Dem entsprechend finden sich Arbeitsvorschläge, An- regungen und Unterrichtsideen für den Einsatz bildender Kunst im Religionsunterricht vor- wiegend in Materialien der Grundschule. Nicht selten erschöpfen sich solche Anregungen im Umgang mit Papier, Schere und Kleber125, was – wenn überhaupt – nur in thematischer Hin- sicht etwas mit dem zu erfassenden Kunstwerk zu tun hat. Ausgehend von einer Visualisie- rung des biblischen Inhaltes in Bildform schließen sich für kleinere Kinder „gestalterische Aufgaben“ an126. Mitunter beansprucht in den unteren Klassen die Bastelarbeit zum Bildwerk einen weitaus größeren Platz gegenüber der eigentlichen Kunst erfassenden Arbeit mit dem Bild. Mit ″Kunst″ oder dem selbstständigen ″Kunstschaffen″ hat das nichts zu tun. Es ist fest- zustellen, dass Aufgabenstellungen selten offen formuliert und stark ergebnisorientiert sind127. Solcherart Kreativarbeit im Religionsunterricht ist verankert in der gemeindepädagogischen Arbeit mit Kindern, die dem eigentätigen Gestalten großen Wert beimisst128. Der eigenständi- gen Bastelarbeit wird in dieser Tradition wesentlich mehr Gewicht zugesprochen als dem kunstgemäßen Umgang129 mit Bildwerken. Kreative, gestalterische Anregungen im Umgang mit Kunstwerken für Schüler ab Klasse 7 finden sich aus diesem Grund selten, da sich Schü- lerinnen und Schüler in diesem Alter kindorientierter Bastelarbeit verschließen. In solch einer, am Ergebnis orientierten Ausrichtung erfährt der Begriff der ″Kreativität″ einen verengten, unsachgemäßen Gebrauch, der ihn in fahrlässiger Weise verfla- chen lässt. Jede noch so eng formulierte und am Ergebnis orientierte gestalterische Arbeit wird als ″Kreativarbeit″ der Schülerinnen und Schüler verstanden. Solcherart Verständnis

124 Siehe u.a. Petra Freudenberger-Lötz, „Diesem Haus ist heute Heil widerfahren“, 154. Die Autorin argumen- tiert für den Einsatz zeitgenössischer Kunst im RU der Grundschule aus der Forderung nach ganzheitlichem Lernen der Schülerinnen und Schüler heraus. 125 Vgl. dazu z.B. die 60 Gestaltungsvorschläge in Margarete Luise Goecke-Seischab, Biblische Kunstwerkstatt. 126 Ein solches Vorgehen im Unterrichtsgeschehen belegt noch 2002 (!) Margarete Luise Goecke-Seischab, Bib- lische Kunstwerkstatt, 8. Demnach seien Kinder „gewohnt immer mit Buntstift, Wachsstiften oder den grellfar- bigen Filzstiften in das Religionsheft zu malen“. Die Autorin gibt zu, dass ihnen damit „schnell langweilig“ wird. 127 Vgl. dazu Margarete Luise Goecke-Seischab, Biblische Kunstwerkstatt, 76f. „Den alten Vater mit weit aus- gebreiteten Armen so auf einen Bogen Papier zeichnen und malen … Für jüngere Kinder empfiehlt sich eine Kopiervorlage“. Ebenfalls in Margarete Luise Goecke-Seischab/Frieder Harz, Bilder zu neutestamentlichen Geschichten, 150 eine Anleitung in drei Arbeitsschritten: „Mit diesem Ausschneidebogen kannst du dir einen Petrus basteln. 1) Male die Figur mit Farben aus, 2) Schneide sie aus, 3) Stecke sie zusammen.“ 128 Es ist eine ganzer Dienstleistungssektor mit Spezialanbietern von Bastelkatalogen, Bastelbüchern und speziel- lem Material entstanden, um Bedürfnisse dieser Art zu befriedigen. 129 Günter Lange, Aus Bildern klug werden, 8.

26 ignoriert den eigentätigen Anteil der Person, die ″kreativ″ arbeiten soll. Der Begriff ″Kreativität″ leitet sich vom Lateinischen creare ab, was gleichbedeutend ist mit erschaffen, im Sinne einer creatio (= Schöpfung). Der kreativ handelnde Mensch wird somit zum creator (= Schöpfer). Je kreativer ein Mensch handelt, desto weiter entfernt er sich von Vorgegebe- nem und umso originaler wird sein Ergebnis ausfallen. Diese Eigenschaft des Menschen hatte Joseph Beuys im Blick, als er sagte: „Jeder Mensch ist ein Künstler, ein kreatives Wesen, das als Kreator produzieren kann“130. Seit den 1960er Jahren erfährt die Kreativitätsforschung vor allem in den USA einen erheblichen Aufschwung, woraus verschiedene Definitionen von Kreativität hervorgingen.131 Eine brauchbare Definition, die der Komplexität der damit ein- hergehenden Prozesse gerecht wird, stammt von Guilford (1970). Dieser bestimmt Kreativität als:

„Ein Verhaltensmuster, das die folgenden Faktoren enthält: Sensibilität für Probleme, Einfühlung, Flüssigkeit (fluency), neuartige Ideen, geistige Flexibilität […], synthetische Fähigkeit, analytische Fähigkeit, Umorganisati- ons, bzw. Neudefinitionsvermögen, Grad der Komplexität bzw. Kompliziertheit der begrifflichen Struktur, die man zu beherrschen vermag, Motivationsfaktoren, Einstellungen und Temperament.“132

Damit bestimmt Guilford ″Kreativität″ weniger als zeitlich begrenztes Handeln, sondern vielmehr als komplexe Eigenschaft von Personen. Fruchtbare Impulse für einen ernst zu nehmenden, religionspädagogisch orientierten Umgang mit Kunstwerken im Religionsunterricht können aus der Konfirmandenarbeit kom- men. Wegbereitend dazu wurden verschiedene Ansätze in der Zeitschrift „KU Praxis“ publi- ziert. Seit dem Jahr 2000 sind in einzelnen Heften immer wieder kunstorientierte Projekte und Einheiten vorgestellt worden, die in ähnlicher Weise ebenfalls im Religionsunterricht reali- sierbar wären133. Schülerinnen und Schülern der Sekundarstufen I und II bleibt weitestgehend im Reli- gionsunterricht die Betrachtung und Analyse von Werken der bildenden Kunst vorbehalten. 2009 weist Christian Butt in seiner Dissertation „Kindertheologische Untersuchungen zu Auf- erstehungsvorstellungen von Grundschülerinnen und Grundschülern“ darauf hin, dass gerade in der Sekundarstufe I Kunstwerke innerhalb des Religionsunterrichts herangezogen werden, um mehr Lebensbezogenheit zu erreichen, z.B. wenn es um die Vergegenwärtigung des Lei- den Jesu geht134. Dies geschieht häufig unter der Verwendung von Kunstwerken als Medium. Für die Altersgruppe der Sek. I fehlen bis auf wenige Ausnahmen in der religionspädagogi-

130 U.a. in Margarete Luise Goecke-Seischab/Erhard Domay, Botschaft der Bilder, 133. 131 Eine Übersicht gebräuchlicher Definitionen findet sich in Klaus Eid, Michael Langer, Hakon Ruprecht, Grundlagen des Kunstunterrichts, 161 – 165. 132 Klaus Eid, Michael Langer, Hakon Ruprecht, Grundlagen des Kunstunterrichts, 161. 133 Eine Übersicht der vorgestellten Themen findet sich in KU - Praxis 50/2006, 71. 134 Christian Butt, Kindertheologische Untersuchungen …, 17.

27 schen Literatur Anregungen und Beispiele für die eigenständige kreative Begegnung mit Kunstwerken. Ein Grund mag darin zu sehen sein, dass sich nach der Grundschule die einzel- nen Unterrichtsfächer aufgrund ihrer Spezialisierung weiter voneinander entfernen und an der Regelschule oft nur noch an Projekttagen ″gemeinsamer Unterricht″ planbar ist. Unterricht findet vorwiegend in sterilen Klassenräumen oder Fachräumen statt, die nur mit zeitlichem Aufwand zu einer „Kunstwerkstatt“ umfunktioniert werden können – nicht zu vergessen, dass nach 45 Minuten alles wieder weggeräumt werden muss135. Hinzu kommt, dass, wie erwähnt, Religionspädagoginnen und Religionspädagogen im Regelfall über keinerlei strukturierte kunstpädagogische Ausbildung verfügen, was ihren Umgang mit künstlerisch anregendem Material weitgehend hemmt. Das alles behindert die freie, kreative, eigenständige Begegnung von Schülerinnen und Schülern mit Werken der bildenden Kunst erheblich. Der ″Lernort Schule″ ist im Normalfall (noch) aufgeteilt in eine Vielzahl vereinzelter und fachspezifischer Lernorte, die nichts miteinander zu tun haben136. Solche Gegebenheiten können nicht ver- nachlässigt werden, bei der Überlegung, was im Alltag des Religionsunterrichts in der Begeg- nung mit Werken der bildenden Kunst realisierbar ist. Nur in den allerseltensten Fällen wird es durchführbar sein, Schülerinnen und Schülern authentische Kunstbegegnungen innerhalb des Religionsunterrichts zu ermöglichen137. Nor- malerweise wird die Begegnung mit Kunstwerken über eine mögliche Art der Reproduktion geschehen. Von prinzipiellem Vorteil bei der Begegnung mit Werken der bildenden Kunst im Religionsunterricht ist dabei, dass Schulen mittlerweile technisch besser ausgestattet sind. Das kann die Qualität der zu reproduzierenden Bildwerke erheblich erhöhen. Maßgeblich ist, dass der Qualität der Reproduktion eines Kunstwerkes großer Wert beigemessen werden muss, um dem Bild in seinem Wert als Kunstwerk gerecht werden zu können. Je schlechter die Repro- duktion ist, umso schwieriger wird den Schülerinnen und Schülern der Mehrwert eines Kunstwerkes zu vermitteln sein. Der Religionspädagoge und die Religionspädagogin sollten sich über das tatsächliche Aussehen eines Bildes im Klaren sein, bevor gemeinsam mit Schü- lerinnen und Schülern daran gearbeitet wird. Im Idealfall hat wenigstens der unterrichtende Lehrer oder die Lehrerin das Bild im Original gesehen. Das Beschaffen einer geeigneten Ab- bildung zum Herstellen einer Reproduktion kann eine Menge an Recherchearbeit mit sich

135 Horst Rumpf, Schule als Kunst – Raum, 136. Der Autor stellt fest, dass an Regelschulen das Diktat der Uhr herrscht. 136 Vgl. dazu Horst Rumpf, Schule als Kunst – Raum, 130. Der Autor belegt anschaulich, wie tief verwurzelt die Trennung in einzelne Fachbereiche an Schulen ist, die sich nicht gegenseitig „hineinreden“ wollen, sodass sich schließlich sogar bei den Lehrkräften der Eindruck manifestiert, dass ein bestimmtes Unterrichtsfach nichts mit dem anderen Fach zu tun habe. 137 Vgl. dazu Michaela Breckenfelder, „Was will denn die Frau mit dem Engel da?“ Kinder, Jugendliche und Erwachsene an bildende Kunst heranführen, 85f.

28 bringen. Qualitativ schlecht sind oftmals die Reproduktionen in Schullehrbüchern. Dahinge- gen gibt es von den meisten Künstlern hochwertige Kunstbände, die qualitativ bessere Repro- duktionen enthalten. Generell zu klären sind folgende Fragen: Wie groß ist das Bildwerk im Original? Stimmt der Bildausschnitt der Reproduktion oder wurde das Bild beschnitten? Wurde etwas am Format verändert, z.B. damit es dem Layout einer Lehrbuchseite genügt138? Entsprechen die abgedruckten Farben dem Original139? Wie stark wurde das Bild verkleinert? Wie gut sind auf der Verkleinerung Details überhaupt noch erkennen?140 etc. Qualitativ besser wird eine Reproduktion zumeist dann, wenn sie digitalisiert vorliegt, um unter Zuhilfenahme eines Beamers der Lerngruppe präsentiert zu werden. Bei dieser Variante ergibt sich zudem die Möglichkeit, Kunstwerke eher zu vergrößern als zu verkleinern. Es ist sicherlich berechtigt zu fragen, warum die Auseinandersetzung mit Werken der bildenden Kunst im Religionsunterricht etwas „ganz Besonderes sein soll“, das Schülerinnen und Schülern als ein „ganz besonderer Unterrichtsinhalt angekündigt“ wird141. Durch die sprachliche Hervorhebung des ″Besonderen″ kann dem ästhetischen Mehrwert und dem urei- genen Charakter von Kunst und dem einzelnen Kunstwerk nicht Rechnung getragen werden. Vielmehr sollte es den einzelnen Pädagoginnen und Pädagogen um einen kunstgemäßen Um- gang mit dem betreffenden Werk im Unterricht gehen. Kunstgemäßer Umgang142 beginnt damit, dass Schülerinnen und Schülern die notwendige Zeit eingeräumt wird, sich mit einem Kunstwerk vertraut zu machen. Das kann nicht unter dem Druck ″zu nutzender Unterrichts- zeit″ geschehen, sondern sollte vielmehr als effektive Lernzeit verstanden werden, im Sinne einer produktiven Verlangsamung von Unterricht143. Damit Schülerinnen und Schüler in Bildwerken etwas entdecken können, benötigen sie vor allem Zeit. Davor steht als Lernpro- zess das aufmerksame Sehen der Schülerinnen und Schüler, da „Sehen kein passives Empfan- gen“, sondern vielmehr ein aktiver Prozess ist144. Vielleicht ist ja der Religionsunterricht (ne- ben dem Kunstunterricht!) eines der wenigen schulischen Unterrichtsfächer, wo eine Verlang- samung nicht nur angedacht, sondern realiter die Möglichkeit besteht, solches zu praktizieren.

138 Das ist mit Blick auf Otto Pankoks Bilder wichtig, die mitunter überlange Formate haben. 139 Man vergleiche diesbezüglich die abweichenden Farbwerte des Nolde Gemäldes Christus und die Kinder (1910) innerhalb verschiedener Schulbücher. Mitunter variiert die Farbigkeit sogar innerhalb einer Auflage von Buch zu Buch. Gemeinsam mit Schülerinnen und Schülern die Farbigkeit eines solcherart reproduzierten Ge- mäldes zu analysieren, wird schwierig werden und ist in seiner Zielgerichtetheit äußerst fragwürdig. 140 Die feinteiligen Bilder zum Alten Testament Marc Chagalls sind im Original 300 x 300 cm groß. Bereits bei einer Reproduktion auf Postkartengröße ist von verschiedenen Details kaum noch etwas zu erkennen. 141 So die mehrfach vorgetragene Forderung von Margarete Luise Goecke- Seischab/Frieder Harz, Bilder zu neutestamentlichen Geschichten, 6 und auch in Biblische Kunstwerkstatt, 42. 142 Günter Lange, Aus Bildern klug werden, 8. Der Autor spricht davon, dass eine „flexiblere didaktische Hand- habung Bildern mehr Gerechtigkeit widerfahren lässt.“ 143 Vgl. dazu Thomas M. Alferi, Kunst als Ernstfall von Wahrnehmung, 152. 144 Anton A. Bucher, „Das Bild gefällt mir: Da ist ein Hund drauf!“, 209.

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Am gängigen Umgang mit Werken der bildenden Kunst im Religionsunterricht lassen sich demnach folgende Kritikpunkte ableiten: Das Primat des Textes besteht im Fach Religion nach wie vor, dem Werke der bildenden Kunst lediglich ergänzend hinzugezogen werden. Außerdem findet eine Didaktisierung des Kunstwerkes nur in seltenen Fällen statt, stattdessen wird das künstlerische Werk in seiner Abbildfunktion belassen. Zu einer tiefgründigen und dem Werk der bildenden Kunst entsprechenden Auseinandersetzung kommt es daher im Un- terrichtsgeschehen des Religionsunterrichts selten. Mitunter beschränkt sich ein kreativer (lat. creare) Umgang mit Bildwerken auf eine Bastelarbeit (mit Papier, Schere, Kleber)145, die nur in ungefährem Bezug zum Kunstwerk steht. Älteren Schülerinnen und Schülern bietet der Religionsunterricht kaum die Möglichkeit, sich selbsttätig und künstlerisch entsprechend mit Kunstwerken auseinandersetzen zu können. Die Arbeit an einem ausgewählten Werk der bil- denden Kunst reduziert sich im Unterrichtsgeschehen der Sek. I und II nicht selten auf die motivierende Funktion innerhalb der kurzen Einstiegsphase des Unterrichts. Über den betrachtenden, reflektierenden Umgang mit Werken der bildenden Kunst im Religionsunterricht hinausgehend sollte es zugleich um eine praktisch-tätige, handlungsorien- tierte Arbeit mit dem Bildwerk gehen. Dahinter steht die Überzeugung, dass sich künstlerisch gestaltete Inhalte dauerhaft einprägen, da mit ihnen eine reale Erfahrung verbunden wird146. Diese schöpferische Tätigkeit kann einzeln oder in der Gruppe stattfinden.

3. Otto Pankoks bildnerisches Werk als Gegenstand religionspäda- gogischen Fragens und Arbeitens

Otto Pankok fand durch seinen christlichen Glauben und seine Persönlichkeit wie nur wenige andere Künstler in seinem künstlerischen Werk zu einer authentischen Genese von Intention, Form und Inhalt. Gelebtes Leben, moralischer Anspruch und christlicher Glaube finden bei Otto Pankok zu einer Einheit, die sich in seinem künstlerischen Werk widerspiegelt. So eröff- net sich mit dem Werk des 1966 verstorbenen Grafikers, Holzschneiders und Plastikers Otto Pankok dem aufmerksamen Betrachter ein Mikrokosmos unendlicher Fülle, der Aussagen trifft zur Schöpfung, zu Gott, zum Menschen in dieser Schöpfung und zur religiösen Grund- stimmung der Zeit, in der Otto Pankok lebte und sein Werk schuf. Für den Künstler waren Themen wie Umweltzerstörung und die fortschreitende Technisierung von Leben von Bedeu- tung, als sich die Mehrheit der Deutschen darüber wenig Gedanken machte und vielmehr ei-

145 Vgl. dazu die Bastelanleitungen von Margarete Luise Goecke-Seischab in: Biblische Kunstwerkstatt, Bildbe- trachtungen und 60 Gestaltungsvorschläge, Lahr 2002. 146 Vgl. dazu Rudolf Atsma, Konfi-Projekte, 6.

30 nem ″Wirtschaftswunder Deutschland″ huldigte. Damit stellte sich Otto Pankok mit seiner Kunst inhaltlich an die Seite der christlichen Ethik147. Die Würdigung Otto Pankoks post mortem war stets die eines großen Humanisten und weniger die eines Christen. Dazu beigetragen haben wird, dass die Betonung des Christlichen nach dem Zweiten Weltkrieg generell als wenig populär galt. Das hat zum Teil mit der unein- deutigen Haltung der Kirchen im Zweiten Weltkrieg zu tun. Zudem hatten die Zeitgenossen Otto Pankoks gerade ein Scheitern christlicher Ideale in bisher ungekanntem Ausmaß erlebt. Vor allem die öffentliche Wahrnehmung des Künstlers im Ostteil Deutschlands erfolgte nur einseitig aus der Perspektive des Humanisten heraus. Hierzu trug wesentlich der von Otto Pankok geschätzte Künstlerkollege Otto Nagel bei:

„Durch seinen sich immer wieder bewährenden Humanismus gehört Pankok zu den Vorkämpfern des Realismus in unserer Zeit.“148

Obschon sein komplexes künstlerisches Werk seit mehr als 40 Jahren abgeschlossen ist, steckt Potential in ihm, um heute, zu Beginn des 21. Jahrhunderts, von einem jüngeren Publikum neu entdeckt zu werden149. Das Werk Otto Pankoks wird vor allem unter dem Blickwinkel seiner Zuneigung zu Mitgliedern des Volkes der Sinti und Roma wahrgenom- men. Doch in seinen Bildwerken steckt eine interpretatorische Offenheit, die über den eigent- lichen Zeitbezug hinaus, heute noch aktuell ist und zur Auseinandersetzung anregt. Die meis- ten seiner Bilder entziehen sich durch Motiv und Bildgegenstand einem konkreten Zeitbezug und sind damit Bildwerke universellen menschlichen Lebens und Handelns. Ihnen haftet so wenig zeitabhängige Ästhetik an, dass Kinder und Jugendliche heute mit ihnen arbeiten kön- nen, ohne durch ihr Alter Distanz zum Bildgegenstand aufzubauen. Für den Betrachter scheint immer noch die Intention dieses Werkes erfahrbar, die sich nach Rainer Zimmermann versteht als „der ganze Kosmos von Begegnungen in einem Leben, das auf Begegnung angelegt ist, in einer Kunst, die als Begegnung verstanden sein will“150. Obwohl Otto Pankok aus der Kirche ausgetreten war, blieb für ihn die christliche Bot- schaft immer ausschlaggebend. So lassen sich in seinem bildnerischen Werk und dem schrift- lichen Nachlass drei große Themen ausmachen: (a) die Botschaft des biblischen Jesus von Nazareth, (b) die Immanenz Gottes und (c) die überwältigende Schönheit der Schöpfung, die es zu bewahren gilt. Diese drei Größen setzte Otto Pankok in Beziehung zu seiner unmittelbar

147 Vgl. dazu Evangelischer Gemeindekatechismus, Wer trägt Verantwortung?, 119. 148 Vgl. dazu Lexikon der Kunst, Bd 3, Li – P, 716. In dem 1975 im VEB Seemann Verlag erschienenen Lexikon wird nur in einem knappen Satz die Passion Otto Pankoks erwähnt. Dagegen wird Otto Pankok als „Freund aller unterdrückten und ausgebeuteten Menschen“ dargestellt, was gut in die Klassenideologie der DDR passte. 149 Dafür spricht, dass Otto Pankok in der neueren Literatur wieder mehr Beachtung findet. Stellvertretend auch für andere sei Margarete Luise Goecke-Seischab genannt, Christliche Bilder verstehen, 67 – 71. 150 Rainer Zimmermann, Das Werk des Malers, Holzschneiders …, 87.

31 erlebten Umwelt und zum Verhalten seiner Mitmenschen. Für den Künstler schien es der Ide- alfall, würde der Mensch als selbstbestimmtes Individuum in direkter Nachfolge eines Jesus von Nazareth leben, in direkter Beziehung zu Gott, inmitten der Schöpfung, die es zu erhalten und zu bewahren gilt. Er selbst versuchte, sein eigenes Leben an diesem Ideal auszurichten. Mit den Jahren, nach zwei erlebten Weltkriegen, musste der Künstler erkennen, wie sorglos Menschen mit der Schöpfung Gottes umgingen und wie wenig sie die Friedenspredigt eines Jesus von Nazareth hören wollten. Zwar lebten sie noch inmitten der sie umgebenden Schöpfung und waren sich dessen bewusst, dass es eine solche zu erhalten gab; sie hatten die Beziehung zu ihrem Schöp- fer und Jesus Christus verloren. Die ökonomischen, ökologischen und militärischen Entwick- lungen nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges ließen den Künstler schließlich ahnen, dass der Mensch sich außerhalb der Schöpfung wähnte und sie nur noch als ″Bergbau neuer Res- sourcen″ erachtete. Das Eigenständige am künstlerischen Lebenswerk Otto Pankoks und das für die Arbeit im Religionsunterricht fruchtbar zu machende, ist, dass er sich als tiefgläubiger Künstler in seinen Bildwerken eindeutig zu Themen positionierte, die im Religionsunterricht von grund- legender inhaltlicher Bedeutung sind. Im Fokus seiner künstlerischen Arbeit stand immer die Schöpfung Gottes: die Landschaft, Pflanzen, der Mensch und das Tier. Beachtung kam dabei dem Menschen in seiner Verantwortung gegenüber der Schöpfung als Ebenbild Gottes zu151. Das menschliche Ungenügen gegenüber den Forderungen der biblischen Botschaft ließen den Künstler die 60 große Bildwerke der Passion malen als Ausdruck dessen, was über die Ta- gespolitik hinaus von Bestand sein wird. Theologische Themen, wie die Frage nach der Eben- bildlichkeit Gottes, dem wahren Menschen, der Sünde, dem Bösen, nach Leid, Schuld und Liebe werden darin - und in weiteren Bildwerken religiösen Inhaltes - in der eigenen Iko- nografie Otto Pankoks entwickelt. Mit seiner individuellen Sichtweise auf die biblische Überlieferung fand Otto Pankok zu ganz eigenen Deutungen, die er in seinen Bildwerken umsetzte. Das Ergebnis dieser an- dauernden Auseinandersetzung sind Bilder von hohem hermeneutischem Wert. In einem spä- ten Interview äußerte er:

„Wer malen will, der muß es wie ein Kolonist machen. Er steckt sein Land ab und errichtet einen Zaun um sei- nen Bezirk.“152

151 Otto Pankok, Otto Pankok über seine „Passion“ in Prisma 15/1948, 32. 152 Otto Pankok in einem Interview gegenüber der Rheinischen Post, abgedruckt ebenda am 6. 6. 1953, zitiert in Anna Klapheck, Vom Notbehelf zur Wohlstandskunst, 47.

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Wie kaum ein anderer Künstler steckte er seinen „Bezirk“ deutlich ab. Vor allem drei The- mengruppen waren es, die der Künstler seit Beginn der 30er Jahre verstärkt aufnahm, um gro- ßes menschliches Leid, die humane Tragödie und den Verlust ethischer Werte darzustellen. In 40 bis 50 Werken fing er seit 1940 die Lebenswirklichkeit der einfachen jüdischen Bevölke- rung ein153, die er in einem Zustand des Wartens „auf ihr Verhängnis“154 erstarrt sah. In über 400 Kunstwerken setzte er sich mit dem Schicksal der Zigeuner auseinander. Diese beiden Themen machen das Werk Otto Pankoks zur Zeit des Nationalsozialismus mutig und einzig- artig. Daneben steht der mit 60 Kohlebildern große Zyklus seiner Passion. Hinzu kommt die Fülle druckgrafischer Blätter, in denen Otto Pankok seine Motive immer wieder abgewandelt in die Formensprache des Holzschnittes, der Radierung, Monotypie, Steinätzung und Litho- grafie übertrug.

3. 1 Frage- und Zielstellung

Der Inhalt dieser Arbeit ordnet sich thematisch ein in die Schnittstelle von bildender Kunst und Theologie. Mit den Bildern Otto Pankoks wird ein künstlerisches Werk vorgestellt wer- den, das in der Formensprache der Kunst theologische Themen bearbeitete.

153 Susanne Timm, Die Druckgraphik Otto Pankoks, 87. 154 Otto Pankok zitiert im Faltblatt zur Otto Pankok Ausstellung „″Der liebe Gott″ Otto Pankok. Ein Lehrer von Günter Grass“ im Günter-Grass-Haus in Lübeck.

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Daher muss der Blick auf die Fragestellung der vorliegenden Arbeit aus dreierlei Perspektive heraus erfolgen: Einmal von Seiten der bildenden Kunst aus, da es sich bei Otto Pankok um einen Künstler handelt, dessen christliche Bildwerke nach Bildthemen und Motiven hinsicht- lich des dahinter stehenden Kunstwollens befragt werden sollen. Von Seiten der Religionspä- dagogik muss der Fragestellung nachgegangen werden, ob sich diese Bildwerke für den Ein- satz im Unterricht eignen. Letztendlich geht es um eine Didaktisierung geeigneter Bildwerke für den Religionsunterricht. Hierbei muss der Frage nachgegangen werden, in welchem Ver- hältnis bildende Kunst und Theologie miteinander stehen und auf welche Weise sich das in der Praxis des Religionsunterrichts äußert. In Bezug auf den Religionsunterricht muss ge- schaut werden, welche konzeptionellen Ansätze für den Umgang mit Werken der bildenden Kunst innerhalb der Religionsdidaktik existieren und in welcher Hinsicht auf sie innerhalb dieser Fragestellung zurückgegriffen werden kann. Das alles ordnet sich schließlich in den Horizont der individuellen Biografie Otto Pankoks ein, die sich mit ihrem Zeitbezug und in ihrem individuellen Verlauf in seinen Bildwerken niederschlug. Dieser religionspädagogischen Arbeit sei die Hypothese vorangestellt, dass sich aus- gewählte Bildwerke Otto Pankoks, denen ein christliches Bildthema zugrunde liegt, in beson- derer Weise für den Einsatz im Religionsunterricht eignen. Zur Verifizierung dieser Hypothese sollen folgende Fragen grundlegend sein: Welche christlichen Bildgegenstände und Bildthemen finden sich im Œuvre der christlichen Bilder Otto Pankoks? Zu welchen größeren Themengruppen (Kategorisierung) lassen sich diese Bildgegenstände zusammenfassen? Wo finden sich Bildgegenstände, die ohne Vorbild sind und in dieser Form und Aussage nur im bildnerischen Werk Otto Pankoks vorkommen, und was sind Bestandteile, die Otto Pankok einer traditionellen christlichen Ikonografie entlehnt? Lassen sich Vorbilder solcher Bezüge ausmachen, und wenn ja, welche sind es? Lassen sich unter Zuhilfenahme schriftlicher Hinterlassenschaften Otto Pankoks individuelle Deutungen christlicher Bildgegenstände erschließen? Eröffnen sich für Schülerinnen und Schüler in der Begegnung mit Kunstwerken Otto Pankoks Chancen zur individuellen Deutung der Geschich- te Gottes mit den Menschen, was Rückschlüsse auf ihr eigenes Leben zulässt? Im Kapitel neun der Arbeit werden jeweils zwei methodische Vorschläge gemacht, wie mit dem betreffenden Kunstwerk im Religionsunterricht schülerorientiert gearbeitet wer- den kann. An dieser Stelle sollen die Anregungen aus der Kunstfachdidaktik gewinnbringend eingesetzt werden. Es geht darum, sich dem Verhältnis von Kunst und Theologie zur gegen- seitigen Bereicherung zu nähern, ohne dabei auf methodisch erprobte Wege zurückgreifen zu können.

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3. 2 Methodische Überlegungen

Bei der Bearbeitung der dieser Arbeit zugrunde liegenden Aufgabenstellung müssen metho- disch drei Größen miteinander in Beziehung gebracht werden. Dabei bilden die Vita Otto Pankoks, seine Bilder und die von ihm verfassten Texte eine sich wechselseitig beeinflussen- de Beziehung. Die Größen Vita, Bild und Text ergeben die Eckpunkte eines hermeneutischen Dreiecks mit wechselseitig verlaufenden Beziehungslinien, wobei die Vita die Spitze des Dreiecks bildet. Diesem biografisch orientierten Zugang liegt die Arbeitshypothese zugrunde, dass sich die individuelle Vita des Künstlers auf seine Bildwerke und auf Texte auswirkte. In den Bildern und Texten Otto Pankoks werden Stationen und Situationen seiner biografischen Laufbahn (vita) deutlich. Die geschaffenen Kunstwerke und die geschriebenen Texte beein- flussten seinen biografischen Werdegang, da die Aussage des künstlerischen Werkes und das gelebte Leben miteinander kongruent sind und in wechselseitiger Durchdringung zueinander stehen.155 Dass dem, im Falle Otto Pankoks, so ist, wird in dieser Arbeit nachgewiesen wer- den. Statt einer möglichst lückenlosen Biografie erscheint es daher sinnvoller, mit Blick auf die didaktische Aufarbeitung geeigneter Werke für den Religionsunterricht, die biografische Entwicklung Otto Pankoks in Bezug zu seiner künstlerischen Entwicklung unter Beachtung seiner Bildwerke mit christlichen Bildthemen darzustellen. Da solch eine inhaltliche Fokussierung bislang nirgends vorgenommen wurde, wird es notwendig sein, die christliche Sozialisation Otto Pankoks zu untersuchen und nachzuzeich- nen. Die christlichen Bildnisse sollen dabei eng verknüpft mit dem biografischen Werdegang des Künstlers betrachtet werden. Diesem methodischen Schritt liegt eine zweite Arbeitshypo- these zugrunde, dass die biografische Entwicklung Otto Pankoks die von ihm geschaffene ureigene Ikonografie seiner Bilder verstehen helfen kann, was heißt, dass in der Biografie des Künstlers der hermeneutische Schlüssel zum Verständnis seiner Bildwerke steckt. Selbstäußerungen und eigene Texte Otto Pankoks sollen deshalb stärker als in der Li- teratur bisher vorgenommen, hinzugezogen werden, um sein künstlerisches Werk in seinen Motiven und seiner thematischen Zuordnung zu erhellen. So wortkarg wie der Künstler als Mensch im persönlichen Umgang mit Zeitgenossen gewesen sein muss156, so beredt sind sei-

155 Das ist ein Phänomen, das in verschiedenen Zeiten bei politisch interessierten oder sozialkritischen Künstlern beobachtet werden kann. In undemokratischen Verhältnissen werden Künstlerinnen und Künstler von der Staats- macht immer für ihre Werke zur Verantwortung gezogen. Sie schaffen ihre Kunst in dem Bewusstsein, dafür u.U. Verfolgung und Schikane zu riskieren. Zur Zeit des Ditten Reiches bedeutete das zumeist Exil. In dem Sinn wirken sich die Kunstwerke unmittelbar in die Lebenssituation der Künstlerinnen und Künstler hinein aus. 156 Diese Behauptung stellt Rainer Zimmermann, der Otto Pankok persönlich gut kannte, in einem Text auf. Rainer Zimmermann, Vom Gegenstand in Pankoks Kunst, 10.

35 ne vielen Texte. Das ermöglicht es, in der vorliegenden Arbeit, Bildwerke und Texte Otto Pankoks in Gegenüberstellung und gegenseitiger Erläuterung zu betrachten. Es ist dadurch gut möglich, das zu tun, was Wilhelm Worringer empfohlen hat: dem Werk Otto Pankoks monografisch und biografisch beizukommen157.

3. 3 Der Forschungsstand

3. 3. 1 Bio- bibliografische Forschungsstand zu Otto Pankok

Generell kann gesagt werden, dass Otto Pankok zu den von der universitären Kunstwissen- schaft weniger beachteten Künstlern gehört, wenngleich es eine Reihe von Kunsttheoretikern und Kunsthistorikern gibt, die immer wieder über Otto Pankok schrieben. Der biografische Aspekt ist bislang in der gegenwärtig über den Künstler erschienenen Literatur am ausführ- lichsten bearbeitet worden158. Man beachte die zahlreichen Werke von Greither, Zimmermann und Overbeck/Müller. Das „Allgemeine Künstlerlexikon“159 gibt sechs bibliografische Quel- len an, die auf Otto Pankok verweisen, darunter das „Allgemeine Lexikon der bildenden Künste des XX. Jahrhunderts“ (Leipzig 1956), das „Karikaturisten-Lexikon“160 (München 1993), das „Schleswig-Holsteinische Künstlerlexikon“ (Bredstedt 1984) und die Werke von G. Wietek „200 Jahre Malerei im Oldenburger Land“ (Oldenburg 1986) und M. G. Davidson „Kunst in Deutschland 1933-1945“ (Tübingen 1995). Über diese lexikalischen Erwähnungen hinaus gibt es einzelne Kunsthistoriker, die sich in verschiedenen Publikationen über Person, Werk und Sujet Otto Pankoks geäußert ha- ben. Zu ihnen gehören die Kunsttheoretiker Werner Haftmann161, Rainer Zimmermann, der lange Zeit eng mit der Otto-Pankok-Gesellschaft verbunden war, Rudolf Dehnen, wie auch der zur Zeit Otto Pankoks angesehene Kunsthistoriker Wilhelm Worringer. Als Biograf Otto Pankoks wurde lange Zeit Kurt Schifner angesehen und in Publikationen des Otto-Pankok- Museums „Haus Esselt“ als solcher autorisiert.

157 Wilhelm Worringer 1927 in der Einführung zu einer Sammelmappe mit 24 Reproduktionen von Kohlebildern Otto Pankoks, 7. 158 Es gibt zwei umfangreiche Monographien, einmal zum Frühwerk des Malers von Aloys Greither, Der junge Otto Pankok, 1977 und die Gesamtdarstellung seines Lebens und Schaffens von Cyrus Overbeck, Otto Pankok – Maler, Graphiker, Bildhauer, 1995. 159 Dort der Bio – bibliographische Index A – Z des 2000 erschienenen Werkes. 160 Hierin gehört Otto Pankok wegen seiner vielen Porträtzeichnungen für den Düsseldorfer „Der Mittag“, die teilweise sehr humoristische Züge aufweisen. 161 Werner Haftmann legte 1986 sein viel beachtetes Werk „Verfemte Kunst. Bildende Künstler in der inneren und äußeren Emigration in der Zeit des Nationalsozialismus“ vor, das im DuMont Buchverlag Köln erschien und wozu der seinerzeit amtierende Bundeskanzler Helmut Kohl ein Vorwort schrieb. Das Werk bietet erstmalig eine umfassende Darstellung der Künstlerschicksale, deren Kunstwerke in der Zeit des NS als verfemt galten.

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Als tiefgründiger Kenner des Pankokschen Werkes tat sich Rainer Zimmermann her- vor. Der Kunsthistoriker, Kunstsammler und Journalist war seit 1960 mit dem Künstler be- kannt. Bis zu dessen Tod standen beide in einem regen Briefwechsel miteinander162. Gemein- sam mit Otto Pankok plante und realisierte Rainer Zimmermann die viel beachtete Monogra- fie „Otto Pankok – Das Werk des Malers, Holzschneiders und Bildhauers“, Berlin 1964, das zum Standardwerk zur Persönlichkeit von Otto Pankok wurde. 1980 erschien Rainer Zimmermanns Aufsehen erregendes Buch „Die Kunst der ver- schollenen Generation. Deutsche Malerei des 20. Jahrhunderts“, in welchem er einen mögli- chen Erklärungsansatz dafür findet, warum Otto Pankok als Künstler von Seiten der universi- tären Kunstwissenschaft nur eine vergleichbar mäßige Beachtung zuteil wird. In seinem Werk stellte Rainer Zimmermann die viel diskutierte These auf, dass bislang in der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts die Werke der ″Verschollenen Generation″ als einer wesentlichen Strö- mung vollkommen übersehen wurden163. Vor allem die großen deutschen Museen und die universitäre Kunstgeschichte wehrten sich gegen den massiven Vorwurf, große Kunst bislang einfach vergessen und im Ausstellungsrepertoire unbeachtet gelassen zu haben. Ihr Gegenar- gument lautete: Wenn solche Kunst bislang verschollen war, kann das nur an mangelnder Qualität liegen164. Immerhin ist es der These Rainer Zimmermanns zu verdanken, dass Beobachter des Kunstgeschehens und Kunstwissenschaftler sensibler für die Einsicht wurden, dass sich bil- dende Kunst vielgestaltiger, weniger konform und differenzierter entwickelte als die offiziel- len großen Kunstströmungen es vermuten lassen und dass jede Zuordnung von Künstlern und Kunstwerken zu einem bestimmten Kunststil zwangsläufig einige Künstler und ihr Werk aus- schließt. Zu solchen Vernachlässigten zählte Rainer Zimmermann Künstler wie Otto Pankok, Franz Frank, Wolfgang von Websky, Alfred Wais und Bruno Müller-Linow. Das verbindende Merkmal in deren Malweise war das Festhalten am Gegenstand und am Figürlichen, der ex- pressive Ausdruck in der Malweise und die daraus resultierende konsequente Ablehnung des Abstrakten. Rainer Zimmermann fand für diese verbindenden Merkmale den Gattungsbegriff des Expressiven Realismus, welchen er in der Zeit von 1925 bis 1975 in Deutschland ansie- delt. Mit seiner provokanten These warf Rainer Zimmermann wieder Licht auf die traditionel- le Tafelmalerei, als diese längst für tot erklärt war. Sein Verdienst ist es, dass er völlig gegen den vorherrschenden Kunstbetrieb ein offenes Auge für die Malerei behielt, in Zeiten also, in

162 Vgl. dazu Ingrid von der Dollen, Im Widerstand gegen die Zeit. Zur Bildkunst im 20. Jahrhundert, 7ff. 163 Ingrid von der Dollen, Museum Expressiver Realismus, 7. 164 Claus Pese, Die Künstler der „Verschollenen Generation“ – Ein qualitatives oder ein quantitatives Problem für die Kunstgeschichte?, 193.

37 denen Op Art, Art Informel, Happening, Fluxus, Environment und Installationen das Interesse des kunstinteressierten Publikums auf sich zogen und alles Traditionelle an den Rand dräng- ten. 1977 erschien die Biografie von Aloys Greither unter Mitarbeit von Eva Pankok im Droste Verlag Düsseldorf, die sich ausdrücklich dem jungen Otto Pankok und dem Frühwerk des Malers widmet. Greither stellt sein Buch unter die These, dass die Größe eines Künstlers und das Monumentale seines Gesamtwerkes bereits in Kindheit und Jugendzeit angelegt sind. Demzufolge bringt er der Kindheit und der Zeit des Heranwachsens Otto Pankoks großes In- teresse entgegen und vergisst nicht, dessen bürgerlichen Hintergrund und das warmherzige, gebildete Elternhaus zu würdigen. Unverhohlen trägt Greither seine Bewunderung vor, die an vielen Stellen des Buches in Pathos umschlägt. In jeder Hinsicht aufschlussreicher sind die biografischen Zeugnisse der Familienmitglieder, sowohl von Otto Pankok selbst, erhalten überwiegend in Briefform und eigenen Texten, von seiner Frau Hulda165 als auch von seiner Tochter Eva. Die umfangreichste biografische Forschungsarbeit leisteten nach dem Klassiker von Aloys Greither166, die Autoren Cyrus Overbeck und Oliver Müller in der neuesten Pankok- Biografie aus dem Jahr 1995167. Die beiden Historiker beziehen sich bewusst erstmals ver- stärkt auf unveröffentlichtes autobiografisches Material wie Tagebücher und Briefe, um dem Charakter des Menschen Otto Pankok nahe zu kommen. In ihrem Buch beschreiben ihn die Autoren in einem steten Spannungsfeld zwischen Präsenz und Engagement in der Öffentlich- keit und dem Rückzug ins Private; als einen Menschen, der neben einer immensen Lebensbe- jahung auch Melancholie und bissigen Sarkasmus kannte. Allerdings vermögen sie in ihrer Betrachtung bei aller akribischen Quellenauswertung nicht, die Persönlichkeit des Menschen Otto Pankok sichtbar werden zu lassen. So bleibt in dieser Darstellung der Mensch Otto Pan- kok dem Leser seltsam fremd168. Exemplarisch dafür steht, dass beide Autoren in nur völlig unzureichender Weise auf Otto Pankoks Glauben und seine tiefe Verwurzelung im Christen- tum eingehen, worin letztendlich die Motivation für viele seiner Kunstwerke zu sehen ist. Dieses Buch erschien im Drosteverlag Düsseldorf, zu dem die Familie Pankok enge ver- wandtschaftliche Beziehungen unterhält. Die Ehefrau des Malers, Hulda Pankok, ist eine ge-

165 Interessant ist hier vor allem die Tonbandaufnahme, aufgezeichnet im Herbst 1976, in der Hulda Pankok (einundachtzigjährig) über das Leben mit ihrem Mann, dem Künstler Otto Pankok spricht. Hulda Pankok, Aus meinem Leben mit Otto Pankok, Hörbuch-Verlag Rudolf Dehnen, Düsseldorf 1976. 166 Aloys Greither, Der junge Otto Pankok. Das Frühwerk des Malers, Düsseldorf 1977. 167 Cyrus Overbeck/Oliver Müller, Otto Pankok, 1995 (u.ö.). 168 Cyrus Overbeck/Oliver Müller, Otto Pankok, 1995 (u.ö.). Overbeck/Müller legten 1995 in ihrer biographi- schen Darstellung viel Gewicht auf die äußeren Lebensumstände des Künstlers. Viel Beachtung räumen sie den Zwistigkeiten ein, die Otto Pankok von Zeit zu Zeit mit Freunden und Künstlerkollegen austrug. Die Autoren lassen die jährlichen Reisen des Künstlers zum bestimmenden Strukturelement ihrer Betrachtung werden.

38 borene Droste und der Verlag gehörte ihrem Bruder, Heinrich Droste. Heute befindet sich der Verlag wieder in der Hand der Familie Pankok. Unter Verantwortung des Otto-Pankok-Museums wurde nach dem Tod des Künstlers versucht, mit einer eigenen Schriftenreihe verschiedene Aspekte des Werkes Otto Pankoks einem jüngeren Publikum nahe zu bringen. Zwischen den Jahren 1968 und 1979 erschien jährlich eine Schrift, herausgegeben von Hulda und Eva Pankok unter der Redaktion von Ru- dolf Dehnen, die sich entweder mit dem Werk Otto Pankoks auseinandersetzte oder sich an- hand von Zeitdokumenten und monografischem Material kunsttheoretischen Fragen in Bezug auf Otto Pankok stellte. So erschien beispielsweise 1975 in dieser Reihe der Band „Otto Pan- kok: Was vermag die Kunst?“ und 1977 „Gedanken zur Kunst. Aussagen von und über Otto Pankok.“ Diese Schriftenreihe ist eine wertvolle Quellensammlung unveröffentlichter Texte, die kunsttheoretische Aspekte aufgreift, Otto Pankoks Positionen zu manch aktueller Frage im Kunstgeschehen darstellt und biografische Umstände erhellt, da sie in unmittelbarer Nähe zum Otto-Pankok-Archiv entstand. Leider ist sie kaum woanders einsehbar, da sie im Eigen- verlag des Museums in begrenzter Stückzahl erschien und pro Band unvollständig mit biblio- grafischen Angaben ausgestattet ist (ohne Verlagsangabe und Verlagsort, ohne Erscheinungs- jahr, ohne Seitenzahlen)169. Den wesentlichsten Beitrag, das künstlerische Gesamtwerk Otto Pankoks in Zukunft wissenschaftlich betrachten und aufarbeiten zu können, leisteten Hulda und Eva Pankok mit der Herausgabe der Werkverzeichnisse. Noch vor 1968 begannen sie, die Kunstwerke des Verstorbenen aufzulisten, zu systematisieren und unter Zuhilfenahme verschiedener Kunsthis- toriker in Werkverzeichnisse zu stellen. So liegt dem „Werkverzeichnis der Lithographien, Steinätzungen und Monotypien“ von 1989 die kunsthistorische Dissertation von Susanne Timm zugrunde. In ihrer Arbeit konnten die Autoren der Werkverzeichnisse auf zwei Werk- bücher zugreifen, in denen der Künstler selbst seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges seine Bilder aufgelistet hat170. Otto Pankok war sich bewusst geworden, dass durch Kriegswirren, Bombardierungen und Zerstreuung der Freunde in alle Welt einige seiner Werke unwie- derbringbar verloren gegangen waren. Aus dem Gedächtnis begann er daher, alle Werke auf- zulisten, an die er sich erinnern konnte. Hinzu fügte er systematisch jedes neu hinzugekom- mene Bild. Aus diesem Grund erscheinen die Bilder bis 1945 nicht chronologisch ihrer Ent- stehungszeit, die nach 1945 gefertigten Bilder in der Reihenfolge ihrer Beendigung. Auf diese

169 Im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek wird diese Schriftenreihe nicht aufgeführt. In erster Linie ist sie für Mitglieder der Otto-Pankok-Gesellschaft gedacht und liegt zum Verkauf im Otto-Pankok-Museum Hün- xe/Drevenack aus. Antiquarisch sind fast alle dieser erschienenen Schriften zu bekommen. 170 Rainer Zimmermann, Die Holzschnitte Otto Pankoks, Werkverzeichnis Bd 1, 29.

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Art registrierte Otto Pankok 718 Holzschnitte und mehrere tausend Kohlezeichnungen. In zwei Werkbüchern vermerkte der Künstler außer dem Entstehungsjahr noch die Maße des Blattes und falls es verkauft wurde, den Käufer, den Preis und den weiteren Verbleib des Kunstwerkes. Heute lassen sich in den verschiedenen Ausstellungskatalogen häufig zwei Nummerie- rungen finden: einmal gezählt nach Otto Pankoks eigenem System, die sog. Werkkatalogs- nummer (Holzschnitte haben ein „H“ hinzugefügt) und zum anderen die neuere Registrier- nummer der vier Werkverzeichnisse des Otto-Pankok-Museums Hünxe/Drevenack. Dabei stimmen die beiden Nummern nicht überein, da seit 1945 immer wieder verloren geglaubte Werke entdeckt worden sind und in Otto Pankoks Auflistung eingefügt werden mussten171. Von Hulda und Eva Pankok herausgegeben erschien 1968 zuerst der Band „Plastische Gestalten. Erste Gesamtübersicht und Werkkatalog der Skulpturen“ innerhalb der Schriften- reihe des Otto-Pankok-Museums. Wieder erschien dieses Werkverzeichnis im Selbstverlag, sodass es in öffentlichen Bibliotheken selten einsehbar ist. Auffällig ist im Titel dieser Werk- aufnahme, dass der Anspruch eines vollständigen Verzeichnisses noch nicht erhoben wird, sondern die Herausgeber im Genre des Kataloges verblieben. Missverständlich ist auch, dass es sich im strengeren Sinn bei den plastischen Gestalten Otto Pankoks um Plastiken handelt, größtenteils um Bronzen und nicht um Skulpturen. Die hinzugekommenen Werkverzeichnisse sind dem gegenüber wesentlich umfangrei- cher konzipiert und realisiert worden. Sie erheben mit Recht den Anspruch, Auskunft zu ge- ben über Zustand, die ermittelbare Anzahl und den Verbleib aller Pankokwerke. Ihnen liegt angesichts des umfangreichen druckgrafischen Werkes Otto Pankoks eine immense For- schungsarbeit zu Grunde. Maßgeblich an dieser Arbeit beteiligt war Rainer Zimmermann, der sich vor allem auf die Holzschnitte und Radierungen Otto Pankoks spezialisiert hat. Jeder einzelne Band liefert über die vollständige Werkaufnahme hinaus einen guten Einblick in den jeweilig angesprochenen Teil des bildnerischen Werkes. So erschienen in regelmäßiger Ab- folge bis jetzt im Drosteverlag Düsseldorf 1985 „Die Holzschnitte“ (Werkverzeichnis Band 1), 1990 „Die Radierungen 1910-1966“ (Werkverzeichnis Band 2), 1994 „Die Lithographien, Steinätzungen und Monotypien“ (Werkverzeichnis Band 3) und als bislang letztes im Jahr 2002 „Die Pressezeichnungen“ (Werkverzeichnis Band 4). Bislang fehlt ein Werkverzeichnis für den Mittelpunkt des bildnerischen Werkes Otto Pankoks, die Kohlebilder172. Wie von Eva

171 So tauchten allein 1985 acht Blätter während der Abschlussarbeiten zum Werkverzeichnis der Holzschnitte auf und mussten hinten angefügt werden, sodass auch sie nun wiederum außerhalb der fortlaufenden Nummerie- rung laufen. Rainer Zimmermann, Die Holzschnitte Otto Pankoks, Werkverzeichnis Bd 1, 30. 172 Aus diesem Grund wird in dieser Arbeit zu jedem genannten Kohlebild Otto Pankoks die Quelle der Veröf- fentlichung angegeben werden, damit nachvollziehbar wird, wo das Bild einsehbar ist.

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Pankok zu erfahren war, ist an ein solches Werkverzeichnis in absehbarer Zeit nicht zu den- ken. Stattdessen befindet sich seit geraumer Zeit das Werkverzeichnis aller Plastiken Otto Pankoks in Vorbereitung173. Das Fehlen eines Werkverzeichnisses der Kohlebilder ist umso tragischer als es sich dabei um den quantitativ umfangreichsten und originärsten Teil seiner Kunst handelt. Eben darin liegt das technische Problem der Erstellung eines Werkverzeichnisses begründet. Ange- sichts der enormen Anzahl und der Größe der Bilder wäre ein Werkverzeichnis der Kohlebil- der wesentlich umfangreicher als alle vorangegangenen. Wollen die Herausgeber eines Werk- verzeichnisses nicht vollständig auf den Abdruck einzelner Bilder verzichten, so müssten die- se in vollkommen unbefriedigender Weise verkleinert werden. Dem Umstand des Fehlens eines Werkverzeichnisses wird in dieser Arbeit Rechnung getragen, indem bei jedem erwähn- ten Kohlebild angegeben wird, in welcher Publikation es bereits veröffentlicht wurde. Das bedeutet auch, dass mit dieser Arbeit nicht der Anspruch erhoben werden kann, wirklich alle Kohlebilder erfasst zu haben, auf denen Otto Pankok christliche Motive künstlerisch umsetz- te. Vor allem im kunstwissenschaftlichen Fachbereich wurden seit dem Tod des Künstlers im Jahr 1966 in ganz Deutschland immer wieder Diplomarbeiten und Dissertationen über Otto Pankok geschrieben, von denen kaum eine veröffentlicht wurde. Von Interesse war das Werk der Passion174 und in jüngerer Zeit auch seine Zigeunerbilder und das damit zeitgemäße Thema der ethnischen Minderheiten in der Kunst. Die Kunstzeitschrift „Bildende Kunst“, die in unmittelbarer Nähe der Hochschule für Bildende Kunst in Dresden herauskam, veröffent- lichte in regelmäßigem Abstand die an dieser Schule bearbeiteten Diplomthemen. Demzufol- ge wurden in den Jahren 1958 und 1973 Arbeiten zum Werk des Künstlers geschrieben. Heut- zutage könnte das Internet solche Auflistungen beinhalten, doch längst nicht jede Universität macht diese Dinge öffentlich, sodass im Rahmen der Literaturrecherche für diese Arbeit nur eine abgeschlossene Magisterarbeit gefunden werden konnte, die sich an der Universität Hei- delberg unter Betreuung von Prof. Kirchner mit den Zigeunerbildern Otto Pankoks befasste und dort von 2002 an unter dem Titel „Minderheiten in der deutschen Kunst der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts“ als Dissertationsprojekt lief. Dazu liegt ebenfalls noch keine Veröf- fentlichung vor.

173 Laut Eva Pankok und ihrem Mitarbeiter im Interview mit der Verfasserin am 12. 04. 08 im „Haus Esselt“. 174 So z.B. Dirk Ganteför, Otto Pankok, Die Passion, Konzept und Realisation christlicher Ikonographie, Diss. Bochum 1988.

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3. 3. 2 Forschungsstand der theologisch - religionspädagogischen Perspektive auf bildende Kunst

Das Verhältnis von bildender Kunst und christlicher Theologie kann als problematisch und wechselhaft bezeichnet werden, da das Christentum von seinem Ursprung her keine Bildreli- gion ist, sondern die Verkündigung des Wortes immer im Mittelpunkt stand175. Antje Wüpper kam im Jahr 2000 in ihrer Dissertation „Wahrnehmen lernen – Aspekte religionspädagogi- scher Bildbetrachtung am Beispiel religiöser Kunst des Expressionismus“176 zum Befund, dass dieser Zustand immer noch nicht überwunden ist. Sie setzt in ihrer Arbeit voraus, dass es eine „religiöse Kunst des Expressionismus“ gibt177. Leider lässt sich in ihrer Arbeit keine De- finition finden, was unter ″religiöser Kunst″ zu verstehen ist. Hinsichtlich des Titels und der Ausgangsthese der Arbeit ist dabei sicherlich kritisch zu fragen, inwiefern sich die exempla- risch angeführten Künstler, wie beispielsweise die der Brücke, Lovis Corinth oder Emil Nol- de, in ihrem Selbstverständnis als Erschaffer „religiöser Werke“ sahen. Rainer Volp befand 1966 in „Das Kunstwerk als Symbol“, dass ein „Notstand guter künstlerischer Gestaltung“ herrscht, hauptsächlich dort, wo sie im Auftrag der Kirchen versucht wird178. Und Rita Bur- richter verwies 1998 darauf, dass die „Begegnung von Kunstwissenschaft und Theologie als interdisziplinärer Dialog im Rahmen einer wissenschaftlichen Kommunikation verstanden“ wird179. Das impliziert, dass dieser Dialog institutionalisiert und organisiert geführt wird und nur selten aus dem natürlichen, sich gegenseitig befruchtenden Umgang miteinander er- wächst. Als herausragendes Gegenbeispiel gelingender Vermittlung von Theologie und bil- dender Kunst im deutschsprachigen Raum kann das Wirken Johannes Rauchenbergers in Graz gelten180. Es ist nicht zu übersehen, dass von katholischer Seite aus mit größerem Engagement am Fortbestehen und an der Weiterentwicklung des Dialoges von bildender Kunst und Theo- logie gearbeitet wird. In der Reihe „ikon: BILD+THEOLOGIE“ erschienen unter Verantwor- tung von Alex Stock und Reinhard Hoeps beachtenswerte Titel zu diesem Thema.

175 So auch Peter Orth, Umgang mit Bildern, 489. 176 Antje Wüpper, Wahrnehmen lernen, 16. 177 Vgl. dazu die ersten Zeilen der Einleitung in Antje Wüpper, Wahrnehmen lernen, 15. 178 Rainer Volp, Das Kunstwerk als Symbol, 11. 179 Rita Burrichter, Kunstvermittlung, 113. Rita Burrichter sieht dabei das Interesse an einem solchen Dialog eindeutig auf der Seite der Theologie. Auch die Herausgeber des Dokumentationsbandes des 18. Evangelischen Kirchenbautages 1983 sprechen von einem traditionellen „dialoglosen Nebeneinander“ von Kunst und Theolo- gie, Rainer Volp/Rainer Beck, Die Kunst und die Kirchen, 7. 180 Johannes Rauchenberger leitet seit 2000 das Mehrspartenhaus für zeitgenössische Kunst in Graz. Er ist Kura- tor zeitgenössischer Kunst, Kulturpublizist und Lehrbeauftragter für Kunst und Religion an der Universität Wien. Die wichtigste Literatur: 1997 „ENTGEGEN. ReligionGedächtnisKörper in Gegenwartskunst“, 1998 „Biblische Bildlichkeit. Kunst – Raum theologischer Erkenntnis“, 2003 „HIMMELSCHWER. Transformationen der Schwerkraft“, 2007 „Mein Bild – Meine Religion. Aspekte der Religion zu Bildern der Kunst, siehe auch http://www.minoritenkulturgraz.at/johannes_rauchenberger.htm.

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Johannes Rauchenberger wiederum bezieht seinen Standpunkt auf das Problem aus ei- nem anderen Blickwinkel. In seiner umfangreichen Arbeit „Biblische Bildlichkeit. Kunst – Raum theologischer Erkenntnis“181. greift er das spannungsreiche Verhältnis von Kunst und Theologie auf und fragt vom Standpunkt der Kunst aus, inwiefern sie Möglichkeiten theologi- scher Erkenntnis bereithält. Interessant ist die Arbeit dahingehend, als dass sie das gesamte Spektrum bildender Kunst in den Blick nimmt. Zeitgenössische Werke wie die Video-Klang- Installationen eines Bill Viola (The Greeting, 1995) stehen bei Johannes Rauchenberger gleichbedeutend neben klassischen Tafelbildern, Skulpturen und Fresken. Er kommt zu der Erkenntnis, dass bildende Kunst dort ihren unverzichtbaren Platz für theologische Erkennt- niskritik einzunehmen hat, „wo sie aufgrund ihrer sinnlichen Evidenz und ihrer (fremd-) pro- phetischen Kritik überzeugender ist als schriftliche Texte. […] Für die Theologie bedeutet dies ferner, daß diese biblischen Zeugnisse mit den dogmatischen Definitionen insofern gleichzusetzen sind, als sie als jeweilige zeitgenössische Artikulation in ihrem Abstand zur Offenbarung gedeutet werden können […]“182. Johannes Rauchenberger entwickelte mit sei- nen ″bildtheologischen Kategorien″ ein Modell, welches erlaubt, Bilder und Heilige Schrift dort gleichzusetzen, wo Bildwerke bildlich zur Anschauung bringen, was im Bibeltext über- liefert wird183. Auch von evangelischer Seite aus wurden Anstrengungen unternommen, dem span- nungsreichen Verhältnis von Kunst und Theologie nachzugehen und Verständigungslinien aufzuzeigen. Ein beispielhaftes Engagement ist mit dem Namen des praktischen Theologen und Kunstwissenschaftlers Rainer Volp verbunden. Neben seinen zahlreichen Publikationen engagierte er sich seit 1975 als erster Vorsitzende des Evangelischen Kirchenbautages. Die Spannbreite und Intensität, mit der am Dialog zwischen Theologie und bildender Kunst gear- beitet wurde, dokumentiert der umfangreiche Sammelband „Die Kunst und die Kirchen. Der Streit um die Bilder heute“184. der eine Dokumentation des 18. Evangelischen Kirchenbauta- ges aus dem Jahr 1983 darstellt, der unter dem Motto stand „Religion und Kunst heute“. Die Herausgeber des Dokumentationsbandes kommen zu der Bestandsaufnahme, dass jene Kunst, die „spätere Generationen einmal als den gültigen Ausdruck christlichen Bewusstseins in un- serer zeitgenössischen Kulturlandschaft erkennen werden“, heute außerhalb der Kirchen statt- findet und sich Kirche und Kunst in einem „diskussionslosen Nebeneinander“ befinden185. In

181 Johannes Rauchenberger, Biblische Bildlichkeit. Kunst – Raum theologischer Erkenntnis, Paderborn 1999. 182 Johannes Rauchenberger, Biblische Bildlichkeit, 382. 183 Johannes Rauchenberger, Biblische Bildlichkeit, 383. 184 Die Kunst und die Kirchen. Der Streit um die Bilder heute, hg. von Volp/Beck/Schmirber, München 1984. 185 Rainer Volp/Rainer Beck, Die Kunst und die Kirchen. Der Streit um die Bilder heute, 7. Paul Tillich hatte Mitte der 50er Jahren des 20. Jh.s darauf hingewiesen, dass jedes Ding potentiell empfänglich für Weihe ist. Mit

43 den rund 30 Beiträgen namhafter Kunsthistoriker und Theologen wird mit dem Sammelband das Ziel verfolgt, „den Herausforderungscharakter der zeitgenössischen Kunst deutlich zu machen“, geschichtliche Etappen aufzuzeigen, die das heutige Verständnis von Kunst und Kirche befördert haben und ein Schlaglicht zu werfen auf die schwierige Beziehung der „au- tonomen Künstler und den Kirchen, sowie einer möglichen Theologie des Bildes“186. 1998 stellte der Kunsthistoriker und Theologe Hans Markus Horst in seinem wegweisenden Werk über die religiöse Botschaft im Werk Joseph Beuys fest, dass „eine gründliche und systemati- sche Aufarbeitung der Bilderfrage in der Moderne durch die Theologie“ noch aussteht187. Hubertus Halbfas misst als Schulbuchautor Werken der bildenden Kunst innerhalb seiner Religionslehrbücher großen Wert bei. Der Blick in seine Lehrbücher offenbart die un- geheure Fülle der verwendeten Bildwerke. Hubertus Halbfas ist der einzige Lehrbuchautor, der dem Bildwerk mitunter mehr Stellenwert als dem Text einräumt. Doch, „auch dort, wo größere Textmengen vorkommen, ist das Bild übergeordnet und nicht zwingend auf den Text angewiesen“188. Der Autor verweist darauf, Bildwerke nicht illustrativ zu verwenden, sondern deren didaktische Struktur für das Unterrichtsgeschehen nutzbar machen zu wollen. Dagegen steht freilich die Tatsache, dass das einzelne Bild aufgrund der ungeheuren Fülle an verwen- detem Bildmaterial mitunter extrem klein abgedruckt wurde. Im dazugehörigen Lehrerhand- buch erhebt der Autor den Anspruch, „eingehend zum Umgang mit Bildern anzuleiten“189. Ihm ist wichtig, auf vorhandenes Bildmaterial der Kunstgeschichte zurückzugreifen190, um somit parallel zum Textmaterial den zu unterrichtenden Sachverhalt im Bildwerk zu verge- genwärtigen. Die an der Symboldidaktik orientierten Bildkommentare zielen darauf, „eine Bildhermeneutik zu einem wenig vertrauten Unterrichtsfeld zu erschließen“191. Eindeutig mangelt es innerhalb der religionspädagogischen Literatur an Konzepten, wie mit Werken der bildenden Kunst unter religionspädagogischer Fragestellung und in reli- gionspädagogischer Perspektive umzugehen sei. Es ist auffallend, dass in der vorhandenen

ihrem Befund stellten Rainer Volp und Rainer Beck die Aussage des Theologen Paul Tillich als Faktum dar und belegten es mit einer Fülle von Bildbeispielen aus dem gegenwärtigen zeitgenössischen Kunstgeschehenen. Künstlerisch ernst zu nehmende christliche Aussagen ließen sich demnach vorwiegend außerhalb der Kirchen finden. Demnach schaffen Künstler eine Fülle ″christlicher Kunst″, die jedoch von Kirche nicht oder kaum wahr- genommen wird, da sie außerhalb ihres Einflussbereiches entsteht und besprochen wird. 186 Rainer Volp/Rainer Beck, Die Kunst und die Kirchen. Der Streit um die Bilder heute, 8. 187 Hans Markus Horst, Kreuz und Christus, 50f. 188 Hubertus Halbfas, Religionsunterricht in der Grundschule, Lehrerhandbuch 1, 20. 189 Hubertus Halbfas, Religionsunterricht in der Grundschule, Lehrerhandbuch 1, 5. 190 Dieser Ansatz steht im Gegensatz zum Bemühen anderer Herausgeber, die von Künstlern oder Illustratoren eigens Bilder anfertigen lassen, wie beispielsweise geschehen bei Reinhard Hoeps, Sehen lernen mit der Bibel. Eigens für die Schulbibel und das dazugehörige Begleitheft schuf die Künstlerin Silke Rehberg die Bilder. Aber auch Hubertus Halbfas ließ von der Künstlerin Relindis Agethen (* 1940) Bilder für seine Lehrbücher malen, wie hervorgeht aus Hubertus Halbfas, Religionsunterricht in der Grundschule, Lehrerhandbuch 1 (2001), 360. 191 Hubertus Halbfas, Religionsunterricht in der Grundschule, Lehrerhandbuch 1, 6.

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Literatur kunstfachdidaktische Ansätze nur marginal Beachtung finden. Das ist ein eindeuti- ger Mangel, da die Kunstfachdidaktik die Bezugsdisziplin ist, wenn es um die Arbeit mit Kunstwerken geht. Methodische Vorschläge innerhalb der Religionspädagogik, die die praktische Arbeit der Schülerinnen und Schüler im Blick haben, beschränken sich in der Auseinandersetzung mit Bildwerken leider auf den Bereich der Grundschule. Für den Bereich der Sekundarstufe I lassen sich diesbezüglich nur vereinzelt Beispiele finden. Margarete Luise Goecke-Seischab gehört zu den wenigen Autorinnen, die neben der theoretischen Erörterung der Thematik und der Didaktisierung von Bildwerken methodische Vorschläge für den Umgang mit Werken der bildenden Kunst im Religionsunterricht gibt und sich dezidiert an unterrichtende Religionspä- dagoginnen und Religionspädagogen wendet. In ihrem 2002 erschienenen Buch „Biblische Kunstwerkstatt“192 stellt die Autorin acht exemplarisch ausgewählte Bilder für die Bildbe- trachtung innerhalb des Religionsunterrichts vor und unterbreitet dazu 60 (!) mögliche Gestal- tungsvorschläge. Mit dieser Eingrenzung wird deutlich, dass das Methodenbuch seinem An- liegen einer „Biblischen Kunstwerkstatt“ nicht gerecht werden kann. Viel weniger, als dass es sich um eine „Kunstwerkstatt“ handeln würde, verbleibt die Arbeit der Schüler ganz im Be- reich kindlicher gestaltender Bastelarbeit mit Papier, Schere und Kleber (Beispiel: „Wir ge- stalten eine Klappkarte zu Weihnachten.“/„Wir basteln eine Laterne zum Martinstag.“). Das wird u.a. der Grund dafür sein, dass die Autorin ihre Arbeitsvorschläge ausschließlich auf den Bereich der Klasse 1 bis 6 beschränkt. Sie wendet sich mit ihrem Methodenbuch an Religi- onspädagoginnen und Religionspädagogen, „die ihre SchülerInnen über das einfache Illustrie- ren hinaus fordern und fördern möchten“. Das klingt zaghaft und wenig innovativ. Darüber hinaus spricht sie davon, dass „die Bildbetrachtung im RU […] etwas Besonderes [ist], auf das man sich freuen kann“193, und davon, dass es nicht darum ginge, KunsterzieherInnen Konkurrenz zu machen. Dahinter lässt sich ein recht antiquiertes Bild von Schule, d.h. von Religionsunterricht, der sich vornehmlich an der Vermittlung biblischer Geschichten orien- tiert, erkennen. Die Autorin räumt ein, dass „gelegentliche fächerübergreifende Zusammenar- beit […] durchaus nützlich sein kann“194. Ihr Ansatz ist es, dass Kinder wie die exemplarisch ausgewählten Künstler in der Lage sind, biblische Motive zu zeichnen, zu malen, zu formen und zu gestalten. Dabei folgt sie pauschal dem Zweischritt: a.) „Wir betrachten und deuten das Bild“ und b.) „Wir malen und gestalten das Thema“195. Diese beiden Schritte sind vonein-

192 Margarete Luise Goecke-Seischab, Biblische Kunstwerkstatt, Lahr 2002. 193 Margarete Luise Goecke-Seischab, Biblische Kunstwerkstatt, 7. 194 Margarete Luise Goecke-Seischab, Biblische Kunstwerkstatt, 7. 195 Margarete Luise Goecke-Seischab, Biblische Kunstwerkstatt, u.a. 44f. Dieser Zweischritt zieht sich durch das ganze Methodenbuch.

45 ander getrennte Arbeitsprozesse. Ist die Bildbetrachtung abgeschlossen, dann erfolgt eine thematische ″Bastelarbeit″ der Schüler zum ausgewählten Kunstwerk. Die gestalterische Ar- beit Margarete Luise Goecke–Seischabs dient nicht dem Zweck, dass sich Schülerinnen und Schüler durch eigenständiges, kreatives Tätigsein einen eigenen individuellen Zugang zu dem künstlerischen Bild erarbeiten oder den bereits gewonnenen Zugang durch ihre manuelle Ei- gentätigkeit in eine höhere Erkenntnisebene überführen können. Nirgendwo wird ersichtlich, dass die Autorin kunstpädagogische Ansätze in ihr Konzept einfließen lässt. Der dem jeweili- gen Kunstwerk zugeordnete Gestaltungsvorschlag wirkt in seiner Methodik zufällig und leitet sich nicht aus werkinhärenten gestalterischen Notwendigkeiten ab. Damit bleibt unersichtlich, wodurch sich gerade diese Methode im Umgang mit einem betreffenden Kunstwerk eignen würde.

3. 4 Quellenlage zu Person und Werk Otto Pankoks

In dieser Arbeit soll dem Quellenbegriff von Johann Gustav Droysen gefolgt werden, der un- ter einer Quelle alle ″Überreste″ versteht, die „aus der Gegenwart sind, deren Verständnis wir suchen und unmittelbar noch vorhanden“196 sind. Über den Künstler ist eine Fülle verschiedener Quellen verfügbar, die bislang nur teilweise wissenschaftlich aufgearbeitet wurden. Das vorhandene Quellenmaterial kann fol- gendermaßen klassifiziert werden197:

196 Zitiert in Hans-Werner Goetz, Proseminar Geschichte, 64. 197 Diese Klassifizierung richtete sich nach der schematischen Darstellung von Johann Gustav Droysen, in Hans- Werner Goetz, Proseminar Geschichte, 65.

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Dazu gehören an erster Stelle (a) die Selbstzeugnisse Otto Pankoks in Form seiner Tage- und Werkbücher, seiner vielen Texte, Briefe, Gedichte, Manuskripte und herausgegebenen Bü- cher. Zu diesen Primärquellen zählen neben anderen seine zahlreichen Kunstwerke. Diese Quellen geben Auskunft über ihn als Menschen und seine Gedankenwelt. Vor allem in diesen Primärschriften äußert sich die christliche Einstellung des Künstlers, was mit seinen Bildern korrespondiert. Bislang sind bei Weitem nicht alle seiner Texte ediert worden. Im Archiv des Otto-Pankok-Museums „Haus Esselt“ in Hünxe/Drevenack befinden sich noch eine Vielzahl unveröffentlichter Manuskripte bzw. Manuskriptfragmente, die teilweise mehrere Seiten um- fassen. Auf einige unveröffentlichte Manuskripte wurde für diese Arbeit zurückgegriffen198. Wie das künstlerische Werk Otto Pankoks, hat ein Großteil der Korrespondenz des Künstlers und seiner Frau Hulda Pankok die Wirren des Zweiten Weltkrieges nahezu unbe- schadet überstanden. Vor allem seine postalischen Hinterlassenschaften sind wertvolle Quel- len, da er in dieser vertraulicheren Form des Textes offen und frei seine Meinung kundtat. In ihnen wird am ehesten etwas von Otto Pankok als Mensch sichtbar. In Briefen an Freunde schrieb er Erinnerungen an die Zeit des Ersten Weltkrieges nieder199, gab Auskunft über das Schicksal von Bekannten200, äußerte sich zum Kunstgeschehen seiner Zeit201 und kommen- tierte äußert kritisch die gesellschaftliche Entwicklung im Nachkriegsdeutschland202. Waren ihm die Empfänger näher vertraut, wie beispielsweise Kurt Schifner, dann schrieb Otto Pan- kok Anekdoten und Erinnerungen auf, die den Brief über die private Korrespondenz hinaus in die Stellung eines Zeitdokumentes erheben203. Herausragenden Wert innerhalb seines schriftstellerischen Nachlass hat das 1930 ver- öffentlichtes Buch „Stern und Blume“. Darin schildert der 37jährige Künstler seinen Werde- gang in schriftstellerischer Form. Neben der Rückschau auf das eigene künstlerische Werk, entspricht das Buch in vielen Teilen einer Vorankündigung auf Kommendes, da Otto Pankok in den Jahren, da er sein Buch schrieb, nicht nur in der Mitte seines Lebens stand, sondern sich dem Gipfel seines künstlerischen Schaffens näherte. Nur kurze Zeit später begann Otto Pankok mit den großen Zyklen der Passion und der Zigeunerbilder204. Otto Pankok schrieb

198 Nähere Angaben zu den verwendeten Textfragmenten werden in den jeweiligen Fußnoten gemacht werden. 199 Brief vom 7. 12. 1961 an Kurt Schifner, Otto Pankok, 178. 200 So z.B. über den Verbleib seines Jugendfreundes Gert Wollheim und dessen russischer Frau Tatjana Barba- koff in einem Brief an Kurt Schifner vom 7. 12. 1961, Kurt Schifner, Otto Pankok, 178. 201 Beispielsweise über die Dokumenta in Kassel und über Joseph Beuys an Rainer Zimmermann in Ingrid von der Dollen, Im Widerstand gegen die Zeit, Malerbriefe an Rainer Zimmermann, 25ff. 202 An Rainer Zimmermann in Ingrid von der Dollen, Im Widerstand gegen die Zeit, Malerbriefe an Rainer Zim- mermann, 28. 203 Einige Briefe an ihn und Ernst Barlach sind ediert in Kurt Schifner, Otto Pankok, 176f. 204 Carl Lauterbach am 5. Juni 1983 in der Ansprache zur Eröffnung der Otto–Pankok–Ausstellung im Stadtmu- seum Düsseldorf zum Gedächtnis an den 90. Geburtstag des Künstlers, in: Otto Pankok zum 90. Geburtstag, hg. von der Otto–Pankok–Gesellschaft, o. S.. Carl Lauterbach wies in seiner Laudatio anlässlich des 90ten Ge-

47 kleinere Artikel für ganz verschiedene Zeitungen, wie beispielsweise immer wieder für den Düsseldorfer „Der Mittag“205. Darin erörterte er kunsttheoretische Probleme seiner Zeit und bezog Stellung zur Rolle des Künstlers innerhalb der Gesellschaft206. In späteren Jahren ver- fasste er kurze Artikel, die Aspekte seines eigenen Werkes tiefgründiger erläuterten207. Otto Pankoks Werk wird an drei Stellen in Deutschland aufbewahrt und ist dort, neben örtlich wechselnden und zeitlich begrenzten Ausstellungen, zu besichtigen: Sein Spätwerk befindet sich im Otto-Pankok-Museum in Hünxe/Drevenack, der Zyklus der Passion ist als Leihgabe des Otto-Pankok-Museums im Düsseldorfer Kunstmuseum ″K20″ untergebracht und das gut erhaltene Jugendwerk kann im Städtischen Museum Mülheim besichtigt werden. In Bad-Bentheim gibt es neben Hünxe/Drevenack noch ein zweites Otto-Pankok-Museum im Gildehaus. Zur zweiten Quellenart zählen (b) die Sekundärquellen. Dazu gehören die verschiede- nen Texte über Otto Pankok aus seinem unmittelbaren Umfeld. Die Familienangehörigen des Künstlers, Hulda Pankok und die Tochter Eva, haben eine Reihe von Selbstzeugnissen hinter- lassen, die referierend herangezogen werden. Zum Beachtenswerten hierzu zählt mit Sicher- heit das von Hulda Pankok gesprochene Hörbuch „Aus meinem Leben mit Otto Pankok“208, wie die erst 2007 erschienene Biografie Eva Pankoks „Mein Leben“. Hinzu kommen eine Reihe von Artikeln in Zeitschriften und Ausstellungskatalogen, die von Hulda Pankok oder der Tochter Eva Pankok verfasst wurden. Diese sind teilweise in der Literatur über Otto Pan- kok ediert worden oder befinden sich gesammelt im Archiv des Otto-Pankok-Museums „Haus Esselt“. Breits in den 20er209 und in den 30er Jahren wurden eine ganze Reihe von Beiträgen über Otto Pankok in verschiedenen Kunst- und Kulturzeitschriften210 publiziert. Diese histori- schen Zeitungsartikel und die ersten Ausstellungskataloge lassen ein vielschichtiges Gesamt- bild davon entstehen, wie Otto Pankok in seiner Zeit als Künstler wahrgenommen und teil- weise in Anspruch211 genommen wurde.

burtstages des Künstlers darauf hin, dass ihm mit diesem „sensationellen Buch“ der „große Durchbruch seiner Kunst in Deutschland“ gelang. Diese Behauptung zeichnet jedoch ein allzu optimistisches Bild der Bekanntheit Otto Pankoks. 205 Vgl. dazu Otto Pankok in Der Mittag, Nationale Malerei (1933), Dank an Munch (1935), Kleine Predigt über den Zucker (1935), Im Herzen der Provence (1951). 206 Wie beispielsweise Otto Pankok in Die Kultur, Ist die Moderne Kunst in der Sackgasse? (1960). 207 So z.B. Otto Pankok in Prisma, Otto Pankok über seine Passion (1948). 208 Einstündiges Hörbuch gesprochen von Hulda Pankok: Aus meinem Leben mit Otto Pankok, Düsseldorf 1976. 209 Da vor allem in Das Junge Rheinland, Paul Klee und Dada (1922), Aprilpredigt (1922). 210 Siehe Bibliographie, so z.B. in Die Kunst oder in Der Kreis, Der Schacht, Der Scheinwerfer, Thema; später ab 1945 auch in Prisma, ab den 50er Jahren auch in der ostdeutschen Monatszeitschrift Bildende Kunst. 211 Vgl. dazu die Beiträge von Gustav Friedrich Hartlaub.

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Im Zuge der umfangreichen Ausstellungstätigkeit, die nach dem Tod des Künstlers 1966 organisiert wurde, erschien eine Vielzahl von Ausstellungskatalogen. Für die Vorworte einer ganzen Anzahl dieser Kataloge schrieb Eva Pankok Erinnerungen an ihren Vater auf. Diese, oftmals persönlich gehaltenen Beiträge, sind wichtige Quellen, um Otto Pankok als Menschen näher zu kommen und Hintergründe seines künstlerischen Schaffens zu beleuch- ten. Schließlich sollen als dritte Quellenart noch (c) die materiellen Hinterlassenschaften des Künstlers erwähnt werden. Diese sind in erstaunlicher Fülle vorhanden, da Eva Pankok nach wie vor in „Haus Esselt“ lebt, worin seit dem Tod ihres Vaters kaum etwas verändert wurde. Das Haus wurde seit seinem Tod nicht modernisiert oder umgebaut, sodass es nahezu unverändert Besuchern offen steht. Die Druckwerkstatt des Künstlers kann besucht werden, wie auch sein Arbeitszimmer. Die Druckwerkstatt sieht aus, als hätte er bis vor Kurzem gear- beitet. Alle erhaltenen Druckstöcke der Holzschnitte werden dort aufbewahrt und von einem Drucker, den Otto Pankok noch persönlich anlernte, Nachdrucke angefertigt212. Auf dem Dachboden lagern persönliche Gegenstände des Künstlers, sowie seine privaten Bücher. Von Interesse für diese Arbeit war seine private Bibel, die im Archiv des Otto-Pankok-Museums aufbewahrt wird. In ihr finden sich eine Vielzahl von Anstreichungen, die Auskunft darüber geben, in welchen Texten der Künstler las und welche Textpassagen er für wichtig hielt bzw. kommentierte213. Betrachtet man die verschiedenen Quellen zusammen, ergibt sich eine Einheit von künstlerischem Werk und schriftlichen Hinterlassenschaften. Sie zeichnen das Bild eines Menschenfreundes mit einer liebevollen Hingabe zu den Geknechteten und Verfolgten seiner Zeit. Gerade in seinem geschriebenen Wort kommt eine Feinsinnigkeit und kontemplative Betrachtung von Mensch, Tier und Landschaft zum Ausdruck, die einen hermeneutischen Zugang zum bildnerischen Werk des Künstlers eröffnet. Vielfach versuchte dieser, Erlebnisse in poetische Sprache zu fassen:

„Weit und frei liegt die Ebene, sie breitet sich hin nach den Seiten und in die Tiefe ohne Grenzen, wie ein Hand- teller ohne Ende. --- Aus dieser Fläche steigt das Wachsende und das Wuchernde: die Gräser, die Bäume, das Gesträuch. […] Doch nun rauscht nur noch Wasser. Die dunklen Graus des Himmels werden heller und die schwarzen Pfützen lichten sich, wir atmen tief. Der starke Engel214 hat gesprochen.“ 215

212 Diese gs. Nachdrucke entstehen in begrenzter Auflage immer mal wieder von beliebten Motiven Otto Pan- koks und werden von seiner Tochter Eva signiert. 213 Bei Otto Pankoks persönlicher Bibel handelt es sich um ein in Leder gebundenes Exemplar von 1908 der Preußischen Hauptbibelgesellschaft nach der Übersetzung Martin Luthers. 214 Der Begriff ″starke Engel″ stammt aus Offb 18,21. In Otto Pankoks Bibel ist der Vers Offb 18,21 mit Bleistift angestrichen worden. Es ist anzunehmen, dass Otto Pankok solche Formulierungen für seine Texte übernahm. 215 Manuskript „Das weite Land“ aus dem Nachlass Otto Pankoks, veröffentlicht in „Regenbilder“ 1980, o.S.

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Besonders bei der Rezeption der Zigeunerbilder, die einen großen Teil seines Œuvres ausmachen, sind schriftliche Aussagen dieser Art wertvoll, da sie uns Nachgeborenen in eine Lebensweise und Kultur hineinhorchen lassen, die so, seit der Herrschaft der Nationalsozialis- ten in Deutschland, nicht mehr existiert.

3. 4. 1 Kritische Bewertung der Quellen und Literatur über Otto Pankok und sein Werk

Das umfangreiche Quellenmaterial, das über den Künstler zur Verfügung steht, lässt sich in seiner Historizität und im Wert für diese Arbeit unterschiedlich beurteilen. Neben den klassi- schen Schriftquellen werden viele Dinge erst dann zur Quelle, wenn die entsprechende Frage- stellung an sie gerichtet wird216. Das ist gut anhand der Bildwerke Otto Pankoks zu beobach- ten. Vielfach reicht es nicht aus, nur eine Quelle hinzuzuziehen, sondern Quellen verschiede- ner Bereiche müssen miteinander in Beziehung gebracht werden. Als historisch wertvoll sind demnach die Selbstzeugnisse des Künstlers, seine Texte, Werkbücher und die umfangreiche Korrespondenz anzusehen. Vor allem seine Korrespondenz ist erst vereinzelt und in Auszü- gen ediert worden217. Viele Anschreiben Otto Pankoks und die Antwortschreiben der Brief- partner befinden sich zum größten Teil noch unausgewertet im Otto-Pankok-Archiv im „Haus Esselt“ in Hünxe/Drevenack. Der Künstler hatte die Angewohnheit, jeden Text (auch die Briefe) als Manuskript zu verfassen, die von ihm mehrfach überarbeitet wurden. Erst die letztendlich gültige Fassung übertrug er in seiner schwungvollen Handschrift auf reinweißes Papier218. Briefe gestaltete er mitunter durch eingefügte Skizzen zu ästhetisch ansprechenden Schriftblättern. Durch die schwungvolle, ausladende Handschrift wirken viele dieser Blätter kaligrafisch. Als problematisch ist dabei anzusehen, dass die komplette Durchsicht und systemati- sche Aufarbeitung seiner schriftlichen Hinterlassenschaften erst begonnen hat und weiterhin viel Zeit in Anspruch nehmen wird. Es finden sich nach wie vor unbeachtete Textbestände in Schränken, Ordnern, Schubfächern, Pappkartons, Schreibtischen und auf dem Dachboden von „Haus Esselt“. Eva Pankok ist mit Archivmitarbeiterinnen dabei, den Bestand zu sichten, zu systematisieren und zu kopieren, sodass der Text einmal als Original und als einsehbare Ko- pie vorhanden ist. Textfragmente, die zu klein sind, um einem Kontext zugeordnet werden zu können, werden vernichtet.

216 Vgl. dazu Hans-Werner Goetz, Proseminar Geschichte, 62. 217 Besonders von Ingrid von der Dollen und als Quellenmaterial verwendet bei Cyrus Overbeck. 218 Von dieser Arbeitsweise zeugen die Briefmanuskripte im Archiv im „Haus Esselt“ und davon berichtet auch Otto Pankoks Tochter Eva am 12. 04. 08 im Interview mit der Verfasserin im „Haus Esselt“.

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Als historisch wertvoll können darüber hinaus solche Quellen gelten, die zu Lebzeiten des Künstlers in seinem unmittelbaren Umfeld entstanden, sodass davon ausgegangen werden kann, dass sie durch die räumliche und zeitliche Nähe von ihm mitautorisiert wurden. Das können Aussagen der Familie und der Freunde bzw. Kollegen und Bekannten Otto Pankoks sein. Am wichtigsten sind dabei die Äußerungen der Ehefrau des Künstlers anzusehen. Hinzu kommen die Texte naher Bekannter, wie beispielsweise Berto Perotti und Rainer Zimmer- mann. Es muss davon ausgegangen werden, dass Otto Pankok alle größeren Monografien und Texte las, die zu seinen Lebzeiten über ihn und sein Werk veröffentlicht wurden. Zu einzel- nen Texten äußerte er sich mitunter in brieflicher Form kritisch oder wohlwollend.

„Inzwischen erhielt ich schon mehrere Briefe von Leuten, die über das Buch sehr begeistert sind. Alle loben Ihren Text. Er ist ja auch einmalig und in dieser Art ganz neu und überraschend. Möge er Schule machen und die geschwätzigen Ästheten zur Umkehr von ihrem Holzweg veranlassen.“ 219

Wie groß sein Einfluss auf den letztendlich zu druckenden Text sein konnte, zeigt folgender Briefauszug:

„Vielen Dank für die schönen Worte über die Zigeuner. Ich finde es sehr schön, wie Sie schreiben, sehr ein- leuchtend und klar. Ich hatte mir das Manuskript für den Verlag der Kunst in Dresden vor dem Druck zur Stel- lungnahme erbeten und habe es vor einigen Tagen mit einer Korrektur der sachlichen Ausführungen wieder an den Verfasser geschickt. Ich will hoffen, daß es so gedruckt wird. Ich will und dränge darauf, daß ein Buch über- all gelesen werden soll und alle Tagesmeinungen wegfallen müssen. Dies alles ist ja wohl selbstverständlich […].“220

Aus Quellenmaterial dieser Art geht deutlich hervor, dass die räumliche und zeitliche Nähe der Autoren zum Künstler ambivalent zu bewerten ist. Wie der Text einerseits durch die Per- son des Künstlers autorisiert und in ihrer Faktizität unterstützt wird, wird sie durch ihn ande- rerseits in Tenor und Inhalt beeinflusst. In den angeführten Briefauszügen wird deutlich, dass Otto Pankok überall dort den Rotstift ansetzte, was er nicht über sich lesen wollte: bei allem Geschwätzigen, Ästhetisierenden und allem, was nach zeitabhängiger Tagesmeinung klang. Es sollte kritisch untersucht werden, mit welcher Absicht gewisse Bezeichnungen Otto Pankok zugeschrieben wurden. Verschiedene Gruppen versuchten den Künstler für sich in Anspruch zu nehmen und sahen in seinem Werk Inhalte, zu denen Otto Pankok selbst nicht stand. Übereifrige Freunde seiner Kunst versuchten ihn vor der Verfemung durch die Natio- nalsozialisten zu schützen, indem sie ihn „eindeutschten“. 1931 beschrieb Ludwig Benning- hoff seine Ergriffenheit beim Anblick der Bilder mit folgenden Worten:

219 An Rainer Zimmermann in einem Brief datiert mit „Herbstanfang 1964“, ediert in Ingrid von der Dollen, Im Widerstand gegen die Zeit. Malerbriefe an Rainer Zimmermann, 28. Otto Pankok nahm Bezug auf Rainer Zim- mermanns Buch: Otto Pankok, Das Werk des Malers, Holzschneiders und Bildhauers, Berlin 1964. 220 Otto Pankok bezüglich der Veröffentlichung des Buches von Kurt Schifner in einem Brief vom 19. 11. 1962 an Rainer Zimmermann, ediert in Ingrid von der Dollen, Im Widerstand gegen die Zeit. Malerbriefe an Rainer Zimmermann, 13.

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„Und so kam es, daß ich in dieser Stadt [Berlin, AdA], in diesem Zerrbild dessen, was deutsch ist, so daß man sich lieber nach Kamschatka wünscht als in das Land, dessen Ausdruck sie ist, doch das Wesen Deutsch wieder- fand in den stillen und dumpf brausenden Akkorden der Bilder Pankoks. Denn das Wort deutsch ist ein gutes Wort, trotz der Schändungen, die ihm täglich millionenfach zugefügt werden von denen, die es im Munde führen […]. Aber die Kunst, in der sich unser Wesen offenbart, sie bleibt unbekümmert um Ismen, und sie hat wie ihre Vergangenheit so die Zukunft bis in alle Zeiten. Deutschland und der Norden bringen ihr Erneuerung. In keinem so stark, so unabirrbar, so gnadenvoll sicher und so menschlich ergreifend wie in Otto Pankok.“221

Liest man diese „Rettungsversuche“ in Hinblick auf die Biografie des Künstlers und unter Kenntnis seiner Hinwendung zum Volk der Sinti und Roma, dann mutet diese tendenziöse Auslegung seines Werkes ungeheuerlich an. Gustav Friedrich Hartlaub, der damalige Ausstel- lungsleiter der Städtischen Kunsthalle Mannheim, trat mit einer eigensinnigen Interpretation des Werkes Otto Pankoks an die Öffentlichkeit. Er war sich sicher, dass die von ihm ausge- richtete Ausstellung behilflich sein kann bei der Beantwortung der Frage nach dem „Nationa- len“ und nach dem „stammesmäßig Deutschen“ in der Kunst:

„Otto Pankok zeichnet uns keine germanischen Heldensagen und Allegorien, sondern einfach Landschaften, Tiere, Bäume, Blumen, Menschen […]. Er hat sich nicht ängstlich nur an nationale Vorbilder angeschlossen; Ausländer wie Millet, Gauguin, van Gogh, Chagall gaben ihm nicht weniger Anregung als etwa die Maler der „Brücke“ und andere deutsche Expressionisten. Er haftet auch nicht an der heimatlichen Scholle; viele Wande- rungen und Reisen führten ihn in die weite Welt […]. In der eigenen engsten Heimat waren es neben den ganz erdgebundenen Bauernnaturen die Heimatlosen, die Zigeuner, denen er als Zeichner mit Vorliebe nachging. Trotzdem scheint uns die Kunst dieses niedersächsischen Zeichners deutsch, germanisch in einem eminenten Sinn. […] bei dieser Kunst unwillkürlich auch an die Kohlehalden der Ruhr denken [und sieht] in den innigen und mächtigen Radierungen eine schwarze Kunst – schwarz nicht nur wegen ihren Kohlefarben, sondern auch wegen ihrer ″chthonischen″ Gebundenheit, ihrer saturnischen Melancholie. ″Schwarze Kunst″ auch wegen des düsteren Zaubers einer Natur – Romantik, die älteste Schauer und Ahnungen in uns aufzurühren weiß! […] Und Otto Pankok gibt uns all dieses Wissen, wie es dem deutschen Wesen besonders offenbart ist, in jenem Wirbel und Sturm, den wir schon an ältester Zeichnung als ein Stammesmerkmal deutscher Gestaltung kennen.“222

Ebenso hatte sich Otto Pankok nach dem Ende der Schreckensherrschaft der Nationalsozialis- ten über Deutschland gegen eine Inanspruchnahme als „Sozialist“ behaupten müssen223. Im Briefwechsel mit Rainer Zimmermann, welcher in Auszügen von Ingrid von der Dollen224 ediert wurde, wird ein über Monate hinweg schwelender Disput mit dem Münchner Kunsthis- toriker Roland Hiepe deutlich, der zu Beginn der 1960er Jahre die Kunstzeitschrift „Tenden- zen“ zu etablieren versuchte. Ende des Jahres 1964 wollte Roland Hiepe eine Pankok- Ausstellung organisieren und bemühte sich um den Künstler. Zum Eklat kam es schließlich, als Roland Hiepe ihn als den „humansten Sozialisten unter den modernen Künstlern“ be-

221 Ludwig Benninghoff im April 1931 in: Der Kreis, nachgedruckt in Blätter der Kunstrunde, Heft 1, 14. 222 Städtische Kunsthalle Mannheim, Otto Pankok. Schwarzweiss-Bilder/Graphik. 28. Februar bis 17. April 1932, 1f. 223 Allein unter diesem Gesichtspunkt wurde Otto Pankok als Graphiker auch in der DDR wahrgenommen, wie das kleine Büchlein „Graphik – Waffe dieser Zeit“ von 1958 zeigt. Darin heißt es: „Die sozialistischen Künstler sind bereits Legion.“ Hinzugezählt wurde Otto Pankok mit seinem Holzschnitt Maxim Gorki in Franz Fromm- hold, Graphik – Waffe dieser Zeit, 15. 224 Ingrid von der Dollen, Im Widerstand gegen die Zeit. Malerbriefe an Rainer Zimmermann, M ünchen/Berlin 2001.

52 zeichnete225. Otto Pankok hielt diese Zuweisung für „großen Quatsch“ 226 und hatte keine Lust mehr, mit Hiepe überhaupt noch zusammenzuarbeiten. Dessen sozialistische Ideen waren dem Künstler suspekt 227.

„Mir gefiel der Quatsch nicht und ich habe [ihm] direkt geantwortet. Vielleicht kann er seinen Artikel noch än- dern. Er will im Februar von mir eine Ausstellung machen und ich habe schon keine Lust mehr dazu. Er würde mein Werk verfälschen, weil er will, dass es so und so sei.“228

Zeugnisse dieser Art verdeutlichen, wie stark Otto Pankok an der Öffentlichwirksam- keit seiner Kunst interessiert war. Bis kurz vor seinem Tod 1966 war es ihm offenbar nicht egal, wie das Anliegen seines künstlerischen Werkes öffentlich dargestellt wurde. Mit Vor- sicht zu betrachten sind deshalb Wertungen und Einschätzungen des Werkes Otto Pankoks, die aus der zeitlichen Distanz heraus entstanden und zu denen er persönlich keine Stellung mehr beziehen konnte. Solche Sekundärquellen müssen mit anderen Schriftquellen bzw. Selbstaussagen des Künstlers verifiziert werden, da vor allem hier die Gefahr der In- Anspruchnahme gegeben sein kann. Dann können sie sich unter Umständen sogar als histo- risch wertvoller erweisen, da der unmittelbare persönliche Einfluss des Künstlers weitgehend eliminiert werden kann. Cyrus Overbeck und Oliver Müller untersuchten diesbezüglich erst- mals die historisch unklare Überlieferung von Otto Pankoks angeblicher Kriegsgefangen- schaft bei den Engländern im Ersten Weltkrieg229 und bewerteten kritisch seine Rolle bei den Zigeunern auf dem Düsseldorfer Heinefeld230. Kritisch einzuordnen sind die mündlichen Interviewäußerungen von Eva Pankok, die dieser Arbeit beigefügt werden. Einerseits ist sie für uns Nachgeborene eine unverzichtbare Zeitzeugin, deren Erinnerungen von unschätzbarem Wert sind. Zum anderen ist die Gefahr zu sehen, dass sich ihre Erinnerungen den schriftlichen Überlieferungen angepasst haben, sodass zwischen authentisch Erlebtem und Überliefertem schwer unterschieden werden kann. Hinzu kommt, dass sie ein starkes Interesse daran hat, das Andenken ihres Vaters in einer ganz be-

225 Otto Pankok am 10. 10. 1964 in einem Brief an Rainer Zimmermann, ediert in Ingrid von der Dollen, Im Widerstand gegen die Zeit. Malerbriefe an Rainer Zimmermann, 30. 226 Otto Pankok am 10. 10. 1964 in einem Brief an Rainer Zimmermann, ediert in Ingrid von der Dollen, Im Widerstand gegen die Zeit. Malerbriefe an Rainer Zimmermann, 30. 227 Otto Pankok am 16. 11. 1964 in einem Brief an Rainer Zimmermann, ediert in Ingrid von der Dollen, Im Widerstand gegen die Zeit. Malerbriefe an Rainer Zimmermann, 34. 228 Otto Pankok am 10. 10. 1964 in einem Brief an Rainer Zimmermann, ediert in Ingrid von der Dollen, Im Widerstand gegen die Zeit. Malerbriefe an Rainer Zimmermann, 30. 229 Cyrus Overbeck/Oliver Müller, Otto Pankok, 80f. 230 Cyrus Overbeck/Oliver Müller, Otto Pankok, 178 – 180. Otto Pankoks Tochter gab in einem Interview an, dass ihr diese Biographie ihres Vater nicht gefällt und sie viele Dinge aus dem Buch gern gestrichen sehen wür- de, vor allem was die Meinungsverschiedenheiten der Künstler im Düsseldorfer Kreis um angeht. Nach Meinung der Tochter haben sich die Autoren Overbeck/Müller allzu sehr auf Streitigkeiten ihrer Eltern mit Künstlerkollegen aus dem illustren Kreis um Johanna Ey konzentriert, ohne zu beachten, dass bereits einige Jahre später wieder freundschaftlicher Kontakt miteinander gepflegt wurde. Eva Pankok im Interview mit der Verfasserin am 12. 04. 08 im „Haus Esselt“.

53 stimmten Richtung zu erhalten und zu fördern. Dieses Anliegen geht deutlich aus den Mittei- lungsschriften der Otto-Pankok-Gesellschaft hervor. Als wichtigstes Merkmal ist hierbei zu sehen, dass Otto Pankok als „überzeugter Humanist“ dargestellt wird, dessen tiefe christliche Überzeugung nur am Rande eine Rolle spielt. Generell ist als historisch problematisch anzusehen, dass der Großteil der Literatur über Otto Pankok in unmittelbarer Nähe zur Familie Pankok entstand. Da Eva Pankok als Herausgeberin vieler Werke tätig war, ist eine zweckgeleitete Darstellung des Andenkens ihres Vaters anzunehmen. Hinzu kommt, dass häufig die Motivation der Autoren zum Verfas- sen von Texten über den Künstler aus der starken Bewunderung für sein Werk herrührt. Das ist deutlich in der Sprache Aloys Greithers zu merken. Werke, die sich kritisch mit Otto Pan- kok auseinandersetzen, gibt es bislang nicht. In der Zeit, in der das Werk von Over- beck/Müller im Droste Verlag erschien, gehörte der Verlag zeitweise nicht der Familie Pan- kok, was ca. seit 2006/7 wieder der Fall ist, da ihn ein Großneffe Eva Pankoks übernahm231.

4. Der Mensch Otto Pankok – ein biografischer Annäherungsver- such

Sich ein Bild vom ″Mensch″ Otto Pankok zu machen, ist anhand der gegenwärtig über ihn verfügbaren Literatur nicht einfach. Die Vorworte der zahlreichen Ausstellungskataloge glei- chen einer einzigen Laudatio dem Künstler und seinem großartigen Werk. Das ist die Außen- perspektive auf Otto Pankok. Überschwänglich loben die Autoren seine „menschliche Grö- ße“, den „humanistischen Geist“ und sprechen von „der Einheit von Leben und Leistungen, der Identität von Mensch und Werk“232. Hinter dieser Überhöhung Otto Pankoks als Künstler und Person wird der Mensch für uns Nachgeborene wenig sichtbar. Nach außen hin lebte er mit seiner Frau Hulda und der Tochter Eva ein äußerst har- monisches Familienleben, das es ihm ermöglichte, jahrzehntelang ununterbrochen zu arbeiten. Aus dem Inneren der Familie, aus dem Verhältnis der Eheleute zueinander oder der Vater – Tochter Beziehung ist aus der gegenwärtigen Literatur kaum etwas zu erfahren. Dazu gibt erst seit kurzem die Autobiografie von Eva Pankok einen kleinen privaten Einblick. Sie charakte- risiert ihren Vater als einen Menschen, der sich mit großem Respekt und voll Interesse ande- ren Menschen näherte und dabei keinen Unterschied zwischen Alter, Bildung und Stand machte233.

231 In ihren Augen ein „echter Pankok“, Eva Pankok im Interview mit der Verfasserin am 12. 04. 08 im „Haus Esselt“. 232 Rainer Zimmermann in einer Schrift des Otto-Pankok-Museums „Haus Esselt“, o. J., o. S.. 233 Eva Pankok, Mein Leben, Droste Verlag, Düsseldorf 2007.

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Mit diesem biografischen Annäherungsversuch soll nicht der Anspruch erhoben wer- den, die Biografie Otto Pankoks neu zu schreiben. Das kann und will nicht Aufgabe dieser Arbeit sein. Vielmehr soll versucht werden, ihm als Menschen nahe zu kommen, um einen biografischen Zugang zu seinen Bildern und seinen Motiven zu erhalten. Es sollen Entwick- lungslinien aufgezeigt werden, die ihn Zeit seines Lebens veranlassten, Bildwerke zu schaf- fen, in denen er christliche Themen bearbeitete.

4. 1 Die ″Zeit im Paradies″ – Kindheit und Jugend Otto Pankoks

Otto Pankok wurde am 6. Juni in seinem Elternhaus, dem Äbtissinnenhaus in Saarn, einem Stadtteil von Mülheim-Ruhr geboren. Er war das jüngste von drei Kindern und wurde am 24. August 1893 auf den Namen Georg Karl Otto Pankok evangelisch getauft. Den Familienna- men Pankoke (hochdeutsch Pfannkuchen) hatte sich Ottos Großvater Wilhelm Tihm, ein un- ehelich geborener Anstreichermeister, erst bei seiner Eheschließung zugelegt. Wahrscheinlich war es der Familienname seines leiblichen Vaters, der ihn nie offiziell anerkannte. Der Pfarrer beurkundete 1854 die Heirat eines „Wilhelm Tihm, genannt Pankoke“ und trug sechs Jahre später die Taufe eines „Johann Emil Eduard Heinrich, ehelicher Sohn des Anstreichers Wil- helm Pankok“ in sein Taufregister ein. Das abschließende „e“ des Familiennamens war dem sozialen Aufstieg des Großvaters zum Opfer gefallen. Es blieb beim Familiennamen ″Pankok″. Eva Pankok erinnert sich, dass ihr Vater, nach seinen Ahnen gefragt, belustigt zu sagen pflegte: „Meine Vorfahren waren Anstreicher und Landstreicher“234. Die Geschäfte des Großvaters liefen so gut, dass dem Sohn Eduard, Ottos Vater, die akademische Ausbildung eines Arztes ermöglicht werden konnte235. Der Vater hatte mit sei- ner naturwissenschaftlichen Bildung einen enormen Einfluss auf den jüngsten Sohn. Dieser berichtete später:

„Mein Vater war von einer so umfassenden naturwissenschaftlichen Bildung, wie sie mir später nicht wieder begegnet ist. Oft zeigte er uns Kindern den Himmel mit seinen Sternen und sprach über die Rätsel der Welt. […] Solche Gespräche gaben mir dauernde Eindrücke.“236 Eva Pankok schrieb ihrem Großvater Eduard zu, dass er ihr, so wie ihrem Vater, das Staunen über die Vielfalt und die Schätze der Natur beigebracht habe237. Stärker als der Vater schien den jungen Otto die Mutter, Marie Pankok, geprägt und beeinflusst zu haben. Sie hatte das Malen bei einem professionellen Maler gelernt und brachte

234 Eva Pankok, Mein Leben, 7. 235 Cyrus Overbeck/Oliver Müller, Otto Pankok, 17. 236 Otto Pankok zitiert bei Aloys Greither, Der junge Otto Pankok, 13. Der Vater war Pastor in Grevenwiesbach in Hessen gewesen. Er verstarb früh an Lungentuberkulose. 237 Eva Pankok, Mein Leben, 11.

55 als erste ihren Sohn mit der Kunst in Berührung. Als er später offen sein Talent zeigte, förder- te sie ihn entschlossen238. Mit ihr unternahm der Sohn verschiedene Reisen, die zum Ziel hat- ten: „die Welt in Augenschein zu nehmen und in Bildern festzuhalten“239. Da die Mutter eine Pastorentochter war, ist es anzunehmen, dass sie sich für die religiöse Erziehung ihrer drei Kinder verantwortlich fühlte240. Schon früh muss bei dem jungen Otto Pankok der Entschluss gereift sein, Maler zu werden, da er gleich seinem Jugendfreund Hermann Hundt die Schule vorzeitig verlassen wollte, um eine Kunstakademie zu besuchen241. Dies konnten die Eltern verhindern, indem sie dem Jungen auf Betreiben der Mutter eine „Malerkate“ im weitläufigen Garten des Familien- anwesens bauen ließen. Dorthin zog sich der Junge fortan zurück, um zu malen und Freunde zu treffen. Man kann sagen, dass Otto Pankok in einer gut versorgten Idylle groß wurde, die wenig mit der später erlebten gesellschaftlichen und sozialen Wirklichkeit gemein hatte. Dementsprechend nahm der Künstler rückblickend im Alter seine Kindheit und Jugend als „die erste und letzte paradiesische Zeit“ seines Lebens wahr242. Gegen Ende der Schulzeit unternahm Otto Pankok neben den Reisen mit der Mutter auch Studienreisen mit gleichaltrigen Freunden, vor allem in die Niederlande, auf denen er eine große Zahl Skizzenbücher füllte243. Viele Werke des Künstlers aus dieser frühen Schaf- fensphase sind erhalten geblieben244. Sie zeugen von großer künstlerischer Begabung, wie die ersten Kohlezeichnungen Bildnis Fritz Thöne (1909), Bäuerlicher Speicher (1909)245, Volen- damm (1910), Saarner Kind im Sessel (1911)246 und Selbstbildnis (1912)247 zeigen. Bereits in diesen frühen Bildern werden die späteren Motive des Künstlers sichtbar: die Landschaft und der Mensch. Das stimmungsvolle Porträt Mülheimer Hausierer248, welches im Jahr 1911 ent- stand, lässt nicht vermuten, dass es von einem Oberschüler angefertigt wurde. Große autodi- daktische Begabung und eine frühe Reife werden in diesen ersten Werken sichtbar. Die Zeichnungen wurden mit handwerklicher Sicherheit durchgearbeitet und lassen an keiner Stelle Unentschlossenheit oder Zaghaftigkeit erkennen. Die Form des Motivs wird vollständig

238 Cyrus Overbeck/Oliver Müller, Otto Pankok, 19f. 239 Cyrus Overbeck/Oliver Müller, Otto Pankok, 27. 240 Aloys Greither, Der junge Otto Pankok, 14. 241 Cyrus Overbeck/Oliver Müller, Otto Pankok, 30. 242 Otto Pankok zitiert bei Cyrus Overbeck/Oliver Müller, Otto Pankok, 21. 243 Cyrus Overbeck/Oliver Müller, Otto Pankok, 34f. 244 Zuzüglich der vielen Skizzen der Skizzenbücher kommt Aloys Greither auf eine Anzahl von 600 erhaltenen Jugendwerken. Aloys Greither, Der junge Otto Pankok, 7. 245 Beide abgedruckt in Bernhard Mensch/Karin Stempel, Otto Pankok 1893–1966. Retrospektive zum 100. Geburtstag, 34 u. 38. 246 Beide Bilder abgedruckt in Otto Pankok, Elefanten Press, 37 u. 44. 247 Abgedruckt in Otto Pankok, Stern und Blume, (Nachdruck von 1987), 8. 248 Abgedruckt in Otto Pankok, Elefanten Press, 39.

56 durch Licht und Schatten modelliert, was beispielsweise bei den Landschaftsdarstellungen ganz unterschiedliche Stimmungen einzufangen vermag. Noch in späteren Jahren maß Otto Pankok diesen ersten Bildern große Bedeutung bei, waren es doch die ersten Schritte auf sei- nem Weg als Künstler249. Stilistisch sind in diesen ersten Kohlezeichnungen die späteren Werke des Künstlers bereits angelegt, wenngleich er in seinen Formen und Motiven im Laufe seines Lebens zu ungeheuer gesteigerter Ausdruckskraft fand. Nach dem Abitur im Februar 1912 schrieb sich Otto Pankok im Frühjahr desselben Jahres an der Düsseldorfer Kunstakademie ein. Nachdem er den Unterricht dort aufgenom- men hatte, exmatrikulierte er sich bereits sechs Wochen später wieder250. Was war geschehen, dass ein lang gehegter Wunsch kurz nach seiner Erfüllung abrupt wieder verworfen wurde? An der Düsseldorfer Akademie hatte der junge Otto Pankok die Malklasse von Professor Adolf Männchen besucht. In seinem Buch „Stern und Blume“ beschrieb er dieses offensicht- lich einschneidende Erlebnis:

„Professor Adolf Männchen erschien eines Tages mit einem Zollstock in der Klasse, um nachzuweisen, daß alle meine Bilder nach dem Goldenen Schnitt aufgebaut wären. Als ihm der Beweis tatsächlich gelungen zu sein schien, war mir die Malerei für Wochen verleidet, weil ich bei jedem Strich denken mußte: ist das auch Goldener Schnitt? Ich war lange befangen und voll Wut, bis ich endlich den Entschluß faßte, auf den goldensten aller Schnitte zu husten und mir einzureden begann, daß gerade in der Abweichung von der Regel das Leben und das Lebendige liege.“251

Es war wohl diese Art der akademischen Bevormundung, die den jungen Otto Pankok veran- lasste, die Akademie wieder zu verlassen. Die Freiheit, die er im Malen und Zeichnen auf vielen Reisen erlebt hatte, schien ihm im Akademiebetrieb verloren zu gehen. Mit dieser Ex- matrikulation wird eine Entschlossenheit und Konsequenz in seinem Handeln deutlich, die sich bei der Betrachtung seiner Vita noch öfter zeigt. Nach der Zeit an der Akademie besuchte er weiter den „Abendakt“, einer Art „Studi- um Generale“, das frei zugänglich war. Aus dieser Zeit sind über 100 Aktzeichnungen erhal- ten, was umso verwunderlicher ist, als dass dieses Bildthema im späteren des Künstlers völlig fehlt252. Im Sommer der Exmatrikulation reiste Otto Pankok wieder nach Holland. In dieser Zeit fiel bei ihm die Entscheidung, das Studium an einer deutschen Kunstakademie fortzufüh- ren. Seine Wahl fiel auf Weimar253. An der dortigen Hochschule für Bildende Kunst versuch- te er zum zweiten Mal sein akademisches Glück. Das studentische Leben gefiel ihm in Wei-

249 Aloys Greither, Der junge Otto Pankok, 7. Laut Greither betonte Otto Pankok stets, dass Kindheit und Jugend für einen wahren Künstler die wichtigste, Leben und Werk bestimmende Zeit war. 250 Cyrus Overbeck/Oliver Müller, Otto Pankok, 38. 251 Otto Pankok, Stern und Blume, Nachdruck von 1987, 10. 252 Cyrus Overbeck/Oliver Müller, Otto Pankok, 41. 253 Cyrus Overbeck/Oliver Müller, Otto Pankok, 43f.

57 mar und mit einigen Kommilitonen blieb er über die Weimarer Zeit hinaus in Kontakt254. Im Sommersemester 1913 verschlechterte sich in seinen Augen die Studiensituation, sodass er an seine Eltern schrieb:

„[…] Zum 15. Mai will ich hier kündigen. Es ist jetzt nämlich schon die zweite Woche, wo ich keinen Platz in der Akademie bekommen habe und zum Landschaftern braucht man nicht nach Weimar zu gehen. […] die Egger – Klasse (gemeint ist sein Mallehrer, der Tiroler Albin Egger-Lienz, AdA) so überfüllt war, dass man das Modell nicht mehr sehen konnte.“255

Der damals bereits berühmte Fritz Mackensen, Mitbegründer der Worpsweder Künst- lerkolonie, unterrichtete an der Kunstakademie Weimar. Zum neuen Semester 1913 vergab er an einen ausgewählten Studenten einen Atelierplatz in einem Meisteratelier. Otto Pankok be- warb sich um diesen Platz, ihm wurde ein anderer Schüler vorgezogen256. Mit dieser Ableh- nung begründete er seinen Plan, Weimar zu verlassen:

„Was übrigens die Hauptsache ist: Mackensen, der Hund, hat mir das Atelier nicht gegeben, sondern einem ganz dummen Stänker, der es gar nicht nötig hat. So eine gemeine Bande hier.“257

Alles in allem zeichnet sich für diese Jahre aus den biografischen Angaben und mono- grafischen Hinterlassenschaften das Bild eines eigensinnigen, verwöhnten Jungen aus gutbür- gerlichem Haus, der es sich leisten konnte, auf Kosten des Vaters Ausbildung anzufangen und wieder abzubrechen, Zimmer zu beziehen, um dann nach kurzer Zeit wieder auszuziehen, zwischendurch noch Geldzuwendungen für eine Reihe von Studienreisen zu erbitten. Otto Pankok schien in dieser Zeit keinerlei Druck gespürt zu haben, als Zwanzigjähriger wirt- schaftlich auf eigenen Beinen zu stehen und Geld verdienen zu müssen. Nachdem Otto Pankok die Weimarer Kunstakademie noch 1913 verlassen hatte, ver- schanzte er sich in dem einsamen oldenburgischen Dorf Dötlingen. Seine Großmutter hatte ihm Geld gegeben, wovon er sich eine strohgedeckte Kate kaufte258. Er selbst beschrieb diese Zeit als ein „herrliches Jahr […] in ungeheurer Einsamkeit“, als ein „Schwelgen in Papier und Kohle“259. Für ihn sollte es die erste und für lange Zeit die letzte intensive Schaffensperiode in seinem Leben werden. Was ihn in diesem Dorf hielt, bei Menschen, bei denen es ganz an- ders zuging als in seinem bürgerlichen kultivierten Elternhaus, war: „[…] ein Suchen nach dem Wesen des Menschlichen bei armen abgetriebenen Weibern und Tagelöhnerinnen, die wie aus dem Sandboden aufgewachsen waren, fraßen, was sie der Erde abrangen, in Tuberkulose und Schmutz hinstarben und wieder völlig zu Erde wurden. Ich suchte der Natur und den Elemente so nahe zu sein wie diese einfachen Menschen in ihren Hütten und auf ihren Feldern, zu denen mein Instinkt mich getrieben

254 Cyrus Overbeck/Oliver Müller, Otto Pankok, 46. 255 Otto Pankok in einem Brief an seine Eltern vom 23. 4. 1913 zitiert in Cyrus Overbeck/Oliver Müller, Otto Pankok, 50. 256 Cyrus Overbeck/Oliver Müller, Otto Pankok, 48 u. 52. 257 Otto Pankok in einem Brief an seine Eltern zitiert bei Cyrus Overbeck/Oliver Müller, Otto Pankok, 52. 258 Eva Pankok, Otto Pankok und das Emsland, 5. 259 Otto Pankok, Stern und Blume, Nachdruck von 1987, 12.

58 hatte. Ohne dieses eine rauschhafte Jahr des Anfangs und der Bestätigung wäre die Folgezeit nicht ertragbar gewesen. Als es vorüber war, standen eines Tages feldgraue Posten an den Eisenbahnlinien.“260

In diesem Jahr entstanden Bildnisse bäuerlicher Menschen des oldenburgischen Landes261. In seinem Werk „Stern und Blume“ beschrieb Otto Pankok das beschwerlich karge Leben der dortigen einheimischen Bevölkerung.

4. 2 Begraben und Wiederauferstanden – Die Fronterfahrungen des Ersten Weltkrieges

Otto Pankoks erstes Jahr als freischaffender Künstler fand im Herbst 1914 ein jähes Ende, als er zum Militär eingezogen wurde. Er meldete sich zum Offizierslehrgang, auf den er als Abi- turient Anspruch hatte. Zuvor erhielt er bis Mitte Februar die übliche Grundausbildung in Wesel262. Danach begann ein kurzer Offizierslehrgang in Döberitz bei Berlin263, den er mit dem Rang eines Vizefeldwebels abschloss, bevor er wieder nach Emmerich zurückkehrte264. Am 29. Mai, kurz vor seinem dreiundzwanzigsten Geburtstag wurde Otto Pankok von Emme- rich aus an die Front eingezogen. Der Einsatzort seines Regimentes lag in Ar- tois/Nordfrankreich. Damit endete für ihn eine Zeit, die er später als sein „erstes Leben“ be- zeichnen sollte. Als sich 1960 ein Schulfreund bei ihm meldete, schrieb er in Erinnerung an die Zeit des Ersten Weltkrieges zurück:

„Wir hatten doch alle solche Lebensfreude und überhaupt etwas auf der Pfanne. Und dann haben die Halunken uns herumgetrieben und ins Feuer geschickt. Mirow wurde von einem Maschinengewehr durchsiebt, 10 Meter von mir entfernt. Deus schossen sie erst den Daumen ab, dann mußte er wieder in den Dreck und kam darin um. Hans Busch und August Kuhrt ebenso.“265

Von seinen eigenen Erlebnissen schrieb er nichts. Seine Tochter Eva berichtete, dass ihr Va- ter, der gern Anekdoten aus seinem Leben erzählte, die Zeit des Ersten Weltkrieges weitge- hend ausließ. Wahrscheinlich um den 25. September 1915 ereignete sich an der Front, was für Otto Pankok zum einschneidenden Erlebnis werden sollte. Der Stellungskrieg war in Nordfrank- reich in vollem Gang, beide Seiten hatten sich in tiefen Gräben verschanzt. In Artois stürmten die Engländer am 25. September mit ungeheurem Granathagel die deutschen Stellungen. Aus 1200 Feldgeschützen wurden in wenigen Tagen anderthalb Millionen Granaten, aus 670

260 Otto Pankok, Stern und Blume, Nachdruck von 1987, 12. 261 Rainer Zimmermann, Otto Pankoks “Passion”, 13. 262 Cyrus Overbeck/Oliver Müller, Otto Pankok, 68. 263 Cyrus Overbeck/Oliver Müller, Otto Pankok, 69. 264 Cyrus Overbeck/Oliver Müller, Otto Pankok, 72. 265 Otto Pankok an Otto Berger vom 21. 10. 1960 zitiert in Cyrus Overbeck/Oliver Müller, Otto Pankok, 73.

59 schweren Geschützen etwa 420 000 Granaten auf die deutsche Linie geschossen266. Auf deut- scher Seite richteten flächendeckende Explosionen ungeheure Verwüstungen an. Die Unter- stände konnten den Soldaten nur bedingt Schutz bieten, da sie im Granathagel zusammenbra- chen und ihnen zum Grab wurden. Genau das passierte um den 25. September, wie vielen anderen Soldaten, auch Otto Pankok. Sein „Putzer“, Peter Grundmann, war nicht mit ver- schüttet worden. Mitten im Trommelfeuer setzte er alles dran, seinen Vorgesetzten wieder auszugraben. Er hatte Glück, dass er ihn lebend fand. Otto Pankok hatte nur Prellungen, Quet- schungen und Schürfwunden davongetragen, war allerdings stark traumatisiert, sodass er sich dem deutschen Rückzug nicht anschließen konnte und in englische Gefangenschaft geriet. Damit ereilte den jungen Otto Pankok das gleiche Schicksal wie Ernst Ludwig Kirchner, George Grosz und viele andere Künstler, die sich an die Front gemeldet hatten, um dort neben aller politischen Ernüchterung den physischen wie psychischen Zusammenbruch zu er- leiden267. Das Porträt des Peter Grundmann, über dessen weiteres Schicksal nichts bekannt ist, verewigte der Künstler im Kohlebild Mein Putzer Peter Grundmann (1915). Am 5. Oktober 1915 schickte er eine Kriegsgefangenenpostkarte an seine Eltern268. Da er durch seine Trau- matisierung psychisch als nicht mehr kriegstauglich galt, wurde er mit dem schnellstmögli- chen Transport über die Schweiz zurück nach Deutschland geschickt. Bereits am 19. Oktober war er wieder auf deutschem Territorium, wo er das Interieur eines Lazarettes in sein Skiz- zenbuch zeichnete und am 3. November aus einem deutschen Lazarett einen Brief an seine Eltern schrieb269. Damit war zumindest für ihn der Krieg zu Ende. Nun begann die lange Zeit des Aufarbeitens. Otto Pankok war bewusst, dass er begraben - fast tot gewesen - und sein zweites Le- ben einzig dem Retter Peter Grundmann zu verdanken hatte. Zehn Jahre brauchte er, um sein zukünftiges Leben nicht mehr ausschließlich an den Erlebnissen des Ersten Weltkrieges aus- zurichten. In diesen Erlebnissen des Ersten Weltkrieges wurzelte sein konsequenter Pazifis- mus270. Dass die Eindringlichkeit der Fronterlebnisse nicht nachließ, wird in vielen Kohlebil- dern sichtbar, die Ende der 30er und zu Beginn der 40er Jahre entstanden. Wahrscheinlich aufgrund von neueren Frontberichten des nunmehr Zweiten Weltkrieges schuf er eine Reihe großformatiger Kohlegemälde, auf denen erschossene Menschen mit grausig aufstehenden Mündern und verdrehten Leibern zu sehen sind. Bilder wie Volltreffer (1937), Liquidiert

266 Cyrus Overbeck/Oliver Müller, Otto Pankok, 79. 267 Anette Kruzynski, >Die Nacht< von Max Beckmann, 11. 268 Cyrus Overbeck/Oliver Müller, Otto Pankok, 80. 269 Cyrus Overbeck/Oliver Müller, Otto Pankok, 82f. 270 Cyrus Overbeck/Oliver Müller, Otto Pankok, 84.

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(1937), Die Namenlosen (1940) und Tote Bauern (1942)271 zeigen das eindrucksvoll. Viel- leicht geht auf solch ein direktes Miterleben das Kohlebild Erschießung aus dem Jahr 1940272 zurück, das den Betrachter Zeuge eines Massakers an Zivilisten werden lässt. Über die Schul- ter von fünf gleich aussehenden Uniformierten schaut der Betrachter des Bildes, entlang der zum Schuss bereiten Gewehrkolben, in die Gesichter von sechs an einer Wand stehenden Menschen, darunter einer Frau und einem Kind, welches ängstlich nach dem hinter ihm ste- henden Erwachsenen greift. Zu Füßen der bedauernswerten Menschen liegen bereits sieben Tote, ein weiteres Opfer bricht gerade zusammen. Der Bildbetrachter wird unmittelbar Zeuge. Er kann schwer sagen, auf wen sich mehr Mitleid richtet: auf die Menschen, die bereits tot am Boden liegen oder auf die, die ihren Schlächtern noch in die Augen schauen müssen. Otto Pankok lässt dem Betrachter keinen Raum für Hoffnung, dass die verbleibenden fünf Erwach- senen und das Kind ihrem gewaltsamen Tod entgehen könnten273. Diese Unmittelbarkeit und Distanzlosigkeit zum Bildgeschehen lässt sich in der Passion finden. Eva Pankok berichtet, dass für ihren Vater nach dem Ersten Weltkrieg eine unstete Zeit begann. Innerlich tief erschüttert von den Erlebnissen an der Front, fand er als Künstler lange Zeit nicht wieder zu sich. Durch den Krieg fühlte er sich seiner Entwicklung beraubt. Hinzu kam, dass er sich in seinem Kunstschaffen unterbrochen sah. Voll Zorn schrieb er in „Stern und Blume“:

„Ja, ihr Alten hattet es gut, ihr Nolde, Heckel, Kirchner. All jene, die vor dem Kriege schon fest im Sattel saßen und sich bewiesen hatten, die nicht nur Zukunft hatten, sondern schon die Gegenwart besaßen und nach dem Krieg nur wieder anzuknüpfen brauchten, nur weiter zu gehen brauchten auf dem eingeschlagenen Weg! Uns aber hatte man den Pokal mit dem herrlichsten Wein vom Munde weggeschossen. Unsere energiegeladene Ju- gend hatte man geknebelt, versklavt und zermürbt. Man hat uns zur Verzweiflung getrieben und uns jeden Fun- ken aus dem Schädel geknallt. Voll Wut und Neid haben wir auf euch Landsturmmänner geblickt, auf den Jahr- gang 85 und auf die Toten, die in Frankreich lagen. Schwamm drüber! Die Zeit ist weitergelaufen. Die Wunden haben sich geschlossen. Narben sind Schönheitsfehler. Schwamm drüber.“274

Viele seiner Künstlerkollegen fanden in den Kriegserlebnissen des Ersten Weltkrieges Motive für die künstlerische Auseinandersetzung275. Gert Wollheim zeichnete Szenen des Graben- kampfes, bis er 1917 durch einen Bauchschuss schwer verwundet wurde. Solcherart künstleri- sche Auseinandersetzung mit dem Kriegsgeschehen wollte Otto Pankok nicht gelingen. Er bemerkte bei seinen Mitmenschen schon kurz nach Ende des Krieges ein Verdrängen der Er- lebnisse, was ihn seelisch belastete. Fast trotzig ritzte er 1919 eine Radierung in die Druck-

271 Abgedruckt im Katalog zu den Ausstellungen im Kunstzentrum Koppelschleuse (Meppen) u.a., 141 - 144. 272 Abgedruckt in Otto Pankok, Elefanten Press, 90. 273 Es ist unwahrscheinlich, dass Otto Pankok selbst Augenzeuge solcher Erschießungskommandos wurde. Viel wahrscheinlicher ist, dass er in Bilder festhielt, was ihm andere erzählten oder auch, was er in Pressemitteilungen zu lesen bekam. 274 Otto Pankok, Stern und Blume, Nachdruck von 1987, 11f. 275 Otto Pankok an Kurt Schifner vom 7. 12. 1961, worin er berichtet, dass er Gert Wollheim nach dem Krieg in Berlin wiedertraf, wo er „Erinnerungen an die blutigen Ereignisse malte“. In Kurt Schifner, Otto Pankok, 178.

61 platte, die seine eigene Auferstehung bis in das hohe Alter hinein festhalten sollte. Die stark expressive Radierung Hier liegt er! (WR 199) zeigt einen zeittypischen Grabstein mit großem Grabkreuz und der Inschrift:„Otto Pankok 1893 – 1993“ 276. Einerseits schien der Künstler über das Entgehen des Stellungskrieges der Westfront dankbar zu sein, sodass er sich selbst biblische 100 Lebensjahre zusprach, andererseits wusste er nicht, wie er die nächsten Monate überleben sollte. Aus solch innerer Zerrissenheit konnte ihn nicht einmal der Rückzug in die stille Landschaft heilen. 1961 erinnert er sich in einem Brief an Kurt Schifner:

„Ich ging dann nach Friesland und W. [Gert Wollheim, AdA] kam hinterher gezottelt. Wir machten zusammen ziemlich wüste Streiche und versuchten, wo wir auftauchten, die Welt auf den Kopf zu stellen. Das kam wohl aus der Enttäuschung heraus, daß der Krieg bei den Menschen immer mehr und mehr vergessen werden sollte. Trotz des Hungers, der da herrschte, gingen wir nach Düsseldorf, aßen Pferdefleisch und ärgerten die Spießer. Wir hatten den Laden von Johanna Ey aufgetan. […] Und wenn bei uns nicht alles künstlerisch so klappte wie bei der heutigen jungen Generation, so war es doch tausendmal wichtiger, weil wir wirklich Dinge aus dem Chaos ans Licht zu ziehen suchten […]. Für die Kunst riskierten wir alles. Das Leben ist kompliziert, und die Kunst kann man nicht regeln.“277

Gemeinsam mit Gert Wollheim versuchte Otto Pankok 1919 in Ostfriesland eine sozialisti- sche Künstlerkolonie aufzubauen, was in den Anfängen stecken blieb278. Noch im selben Jahr gingen sie nach Düsseldorf, wo sich die Künstlervereinigung „Das Junge Rheinland“ gegrün- det hatte. Als Gemeinschaft zeitgenössischer Künstler strebte die Gruppe anders als andere linksgerichtete künstlerische Zusammenkünfte „keine Revolution“ an, sondern wollte „Ent- wicklung“279. Entschieden linker orientierte sich der „Aktivistenbund 1919“ 280, zu dessen Gründungsmitgliedern Otto Pankok gerechnet wird und der einen klassenkämpferischen Ex- pressionismus entwickelte281. Gemeinsam mit Gert Wollheim, Mathias Barz, und Karl Schwesig gehörte er zum aktiven Kern dieser Gruppe, in deren Mittelpunkt die Düs- seldorfer Kunsthandlung der Johanna Ey stand. Otto Pankok sagte rückblickend auf diese Zeit seines Lebens:

„Wir empfanden uns als Dynamit und wollten ganz Düsseldorf in die Luft sprengen.“282

In dieser aufwühlenden, unsteten Zeit wandte sich Otto Pankok kurzzeitig einem radikalen Expressionismus zu, dessen Höhepunkt Mitte der zwanziger Jahre überschritten war283. Vor allem Radierungen dokumentieren diese Phase seines Schaffens.

276 Die Radierung WR 199 Hier liegt er! ist abgedruckt in Günter Goebbels, Otto Pankok 1893 – 1966, 20. 277 Otto Pankok in einem Brief an Kurt Schifner vom 7. 12. 1961in Kurt Schifner, Otto Pankok, 178f. 278 Werner Haftmann, Verfemte Kunst, 274. 279 Der Kunsthistoriker Karl Koetschau schrieb für „Das Junge Rheinland“ ein programmatisches Manifest für die Gruppe, in: Geschichte der deutschen Kunst, 1918 – 1945, 238. 280 Geschichte der deutschen Kunst, 1918 – 1945, 238. 281 Werner Haftmann, Verfemte Kunst, 274. 282 Otto Pankok zitiert in Elefanten Press, 9. 283 Vgl. dazu Susanne Timm, Die Druckgraphik von Otto Pankok, 72.

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Die politisch aktive und persönlich unruhige Zeit änderte sich für ihn erst, als er 1921 die Journalistin Hulda Droste heiratete. Nun hatte er mit den Worten seiner Tochter „einen Menschen neben sich, der ihn vollkommen verstand“284. Kurz nach der Hochzeit fuhr der Künstler für einige Zeit an die Ostsee nach Langballigau, wo das Erleben der Natur für eine Regeneration der Seele gesorgt haben muss, denn Eva Pankok weiß von diesem Aufenthalt ihres Vaters zu berichten:

„Dort in der Natur fand er nach den schrecklichen Erlebnissen des Krieges zu seinem Schöpfer zurück. Die Welt wurde wieder liebenswert, und nie mehr hat er trotz Verfolgung im Dritten Reich die Beziehung zur Schöpfung verloren.“285

Wieder hatten die Einsamkeit und das unmittelbare Erleben unberührter Natur dafür gesorgt, dass Otto Pankok als Mensch wieder zu sich fand. Hulda Droste hatte Bibliothekarin in Essen gelernt und ein Semester in Jena Literatur bei dem Schriftsteller, Politik- und Kulturhistoriker Harry Graf Kessler studiert286. Im Jahr 1919 zog Hulda Droste nach Düsseldorf, wo sie bei ihrem älterem Bruder, dem Verleger der traditionsreichen Tageszeitung „Düsseldorfer Zeitung“, zu arbeiten begann. 1920 wurde sie die Feuilleton – Redakteurin der Mittagsausgabe „Der Mittag“287. Dem Ehepaar Pankok schien es Mitte der Zwanziger Jahre wirtschaftlich sehr gut zu gehen, denn als sie ihre Tochter Eva erwarteten, ließen sie sich 1924 in der Brend`amour Stra- ße 65 in Düsseldorf ein Giebelhaus nach holländischem Vorbild bauen, wohin sie nach der Geburt des Kindes am 14. Juli 1925 zogen. Das Haus besaß ein Gärtchen, ein eigenes Zimmer für die Tochter und ein Schreibzimmer für Hulda Pankok. Im oberen Stockwerk des Hauses befand sich das Atelier von Otto Pankok288. Eva Pankok erinnert sich, dass ihr Vater jedes Jahr im April aus der Stadt auf das Land zog, um dort zu arbeiten. Dabei blieb er nicht nur in Deutschland, sondern fuhr nach Italien, Spanien und Frankreich bis es kalt wurde und er im Oktober wieder nach Hause kam. Fast täglich schrieb er dann einen Brief nach Hause und berichtete von seinen Erlebnissen289. Oft fuhr ihm Hulda in den Ferien hinterher. Solange Eva klein war, wurde sie in dieser Zeit zu den Großeltern nach Mülheim–Saarn gebracht290. Eva Pankok berichtet, dass sie oft gefragt wird, wie die Ehe ihrer Eltern gewesen sei. Sie antwortet:

284 Eva Pankok, Otto Pankok und das Emsland, 5. 285 Eva Pankok, Otto Pankok und das Emsland, 5. 286 Eva Pankok, Mein Leben, 8. 287 Eva Pankok, Mein Leben, 8. 288 Eva Pankok, Mein Leben, 10. 289 Eva Pankok, Mein Leben, 18. 290 Eva Pankok, Mein Leben, 10.

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„Sie dachten in den wichtigsten Dingen immer gleich, sie schätzten dieselben Maler, dieselben Dichter und Mu- siker. Ich habe nicht einen Streit zwischen ihnen erlebt. Es hatten sich die Richtigen gefunden, und so war es wunderbar, ein Kind von ihnen zu sein.“291

Tatsächlich kann gesagt werden, dass Hulda Pankok für ihren Mann bis zu dessen Tod die wichtigste Vertraute blieb. Hochachtung und Wertschätzung dem Ehepartner gegenüber ver- band sie beide. Sie lebten in der gleichen geistigen Welt und teilten ähnliche, wenn nicht gar gleiche Ansichten. Über ihre Eltern sagte die Tochter: „Er las, was meine Mutter schrieb, sie sah seine Bilder an“292. Eva Pankok ist sich rückblickend sicher, dass sie zwischen ihren El- tern nie einen Streit erlebt hat293.

4. 3 Höllenwärts – die Jahre ab 1931

Seiner Frau Hulda Pankok verdankte Otto Pankok die Bekanntschaft mit interessanten Zeit- genossen, wie beispielsweise die mit der exzentrischen Schriftstellerin Else Lasker-Schüler (1869-1945)294, die sich selber ″Prinz Jussuf von Theben″295 nannte und der Schauspielerin und Intendantin Louise Dumont (1862-1932)296. Beide Künstlerinnen waren mit Hulda Pan- kok befreundet und verehrten Otto Pankok als Künstler und Menschen. Vor allem Else Lasker-Schüler zeigte das auf ihre Art in Form kleiner Aufmerksamkeiten und fortwährender Freundschaftsbekundungen. An ihrem individuellen Schicksal als Jüdin im Nationalsozialis- mus erlebte Otto Pankok exemplarisch für Millionen anderer mit, was seinen Mitmenschen während der Naziherrschaft angetan wurde. Die tragische Flucht Else Lasker-Schülers in die Schweiz und von dort aus weiter über Ägypten nach Israel, wo sie schließlich 1945 starb, be- rührte beide Pankoks sehr. Otto Pankok hielt Else Lasker-Schüler in mehreren Werken fest,

291 Eva Pankok, Mein Leben, 17. 292 Eva Pankok, Eva Pankok zur Eröffnung der Sommerausstellung 2003, 52. In vielen handschriftlichen Manu- skripten Otto Pankoks, die im Archiv von „Haus Esselt“ lagern, ist ersichtlich, dass Hulda Pankok in ihrer Hand- schrift Korrekturen vornahm. 293 Eva Pankok gegenüber der Verfasserin in einem Interview am 12. 04. 2008 im „Haus Esselt“. 294 Vgl. dazu Sonja Weichert, Gott ist kein Spießer, 5. 295 Seit 1908 taucht in der Prosa der Schriftstellerin Else Lasker-Schüler die Figur des ″Prinz Jussuf von Theben″ auf. Seit 1909 bezog sie den Namen auf sich selbst, wie es private Briefe zeigen. Mit dieser Figur des Josef aus Ägypten verbinden sich für die Schriftstellerin zwei Welten: die orientalisch – islamische und die hebräisch – biblische. Vgl. dazu Karin R. Haslinger, Der Briefwechsel von Else Lasker-Schüler und Franz Marc, 78. 296 Hulda Pankok, Else Lasker-Schüler. Vortrag von Hulda Pankok gehalten am 19. April 1969 in „Haus Esselt“, Sonderdruck des Otto-Pankok-Museums Hünxe/Drevenack, o.S. Otto Pankok fertigte von Louise Dumont eine Porträtzeichnung an, die im Werkverzeichnis der Pressezeichnungen unter der ″Sigle 60-32″ registriert ist.

64 u.a. auf der gleichnamigen Kohlezeichnung297. Sie nannte ihn „den lieben Manne mit dem Bart“298. Otto Pankok hatte 1930 in seinem literarischen Werk „Stern und Blume“ die ″10 Ge- bote des Malers″ formuliert. Darin heißt es: „Du sollst nur deinen Träumen trauen“299. Mit Sicherheit kannte er einen Traum der Schriftstellerin, den diese gern erzählte:

„Darin frage Gott sie: Gefällt dir meine Welt? Dann will ich sie dir schenken. Seitdem, so behauptete sie, gehöre ihr die Welt, und seitdem hatte sie grenzenlos damit zu tun, sie anzublicken.“300

Dieser Traum zeigt, dass sich mit der Schriftstellerin Else Lasker-Schüler und dem Maler Otto Pankok zwei Verwandte im Geiste trafen. Wie die Gedichte Else Lasker-Schülers bezeu- gen seine Bilder ein dauerhaftes Staunen über die Vielfalt der Schöpfung und Schönheit der Welt. Eine weitere Gemeinsamkeit verband beide, und zwar die der Doppelbegabung. Else Lasker-Schüler hinterließ neben ihren Texten eine Anzahl von Zeichnungen301. Vielleicht faszinierte den gläubigen Künstler ein Wesenszug der Schriftstellerin, der ihr in späteren Le- bensjahren nachgesagt wurde: „Sie schriebe über den lieben Gott mal so und mal so, als ob sie mit ihm in den Kindergarten gegangen wäre“302. Im August 1933 reiste das Ehepaar Pankok gemeinsam mit der Tochter Eva nach As- cona in die Schweiz, wohin sich Else Lasker-Schüler einige Wochen zuvor geflüchtet hatte. Der gemeinsamen Freundin ging es physisch und psychisch schlecht. Fast täglich kamen bei den Pankoks Karten mit der Bitte an: „Kommet zu Jussuf!“ Mit nichts als den Kleidern am Leib war die Schriftstellerin aus Berlin geflüchtet, nachdem Fanatiker sie vor ihrer Berliner Herberge zusammengeschlagen hatten303. Doch im sicheren Exil kam die Schriftstellerin mental nie wieder zur Ruhe. An Hulda Pankok schrieb sie:

„Der von Angst verdunkelte Mensch gerät aus dem Gleichgewicht. Wer diese Urqual erlebte, weiß, wie die Erde litt, als ihr der Paradieses-Schein – die Liebe – vom Haupte glitt.“304

297 Abgedruckt in Hulda Pankok zum 100. Geburtstag, Sonderdruck des Otto-Pankok-Museums Hün- xe/Drevenack, o.S. Ebenfalls registriert im Werkverzeichnis der Pressezeichnungen unter der Sigle 58–35 und ein weiteres Porträt unter 18-36, beide 113. 298 Hulda Pankok, Else Lasker-Schüler. Vortrag von Hulda Pankok gehalten am 19. April 1969 in „Haus Esselt“, Sonderdruck des Otto-Pankok-Museums Hünxe/Drevenack, o.S. 299 Otto Pankok, Stern und Blume, Nachdruck von 1987, 15. 300 Hulda Pankok, Else Lasker-Schüler. Vortrag von Hulda Pankok gehalten am 19. April 1969 in „Haus Esselt“, Sonderdruck des Otto-Pankok-Museums Hünxe/Drevenack, o.S. 301 Karin R. Haslinger, Der Briefwechsel von Else Lasker-Schüler und Franz Marc, 10. 302 Zitiert in Sonja Weichert, Gott ist kein Spießer, 30. 303 Hulda Pankok, Else Lasker-Schüler. Vortrag von Hulda Pankok gehalten, am 19. April 1969 in „Haus Es- selt“, Sonderdruck des Otto-Pankok-Museums Hünxe/Drevenack, o.S. 304 Else Lasker-Schüler in einem Brief 1933 an Hulda Pankok, zitiert bei Hulda Pankok, Else Lasker-Schüler. Vortrag von Hulda Pankok gehalten, am 19. April 1969 in „Haus Esselt“, Sonderdruck des Otto-Pankok- Museums Hünxe/Drevenack, o.S.

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Ihr eigenes Schicksal stellte sie als exemplarisches Beispiel in die Jahrtausende währende Tradition menschlichen Leides. Vielleicht hat Otto Pankok aus ihren Worten das Motiv der ″Finsternis″ genommen, das im Vorwort zu seiner Passion wiederkommt und sich als künstle- risches Thema durch den Zyklus zieht. Denn im Jahr, als Otto Pankok begann, die Bilder für den Zyklus der Passion zu malen, schrieb Else Lasker–Schüler an Hulda Pankok:

„Die ganze Welt eine Finsternis. Darum zündete ich den Stern an. – Darum sind uns die Propheten gekommen und Jesus von Nazareth und die vielen Menschen weinten und Dichter dichteten Heiligengedichte.“305

4. 3. 1 Am Ende einer langen Reise – Otto Pankok und die Zigeuner des Heinefeldes

Im September 1931 begann für Otto Pankok eine kurze Zeit, die wohl zu der schönsten und interessantesten seines Lebens zählte. Am nördlichen Stadtrand von Düsseldorf, auf dem Hei- nefeld, war in Zeiten der wirtschaftlichen Depression nach dem Ersten Weltkrieg eine stadt- bekannte Obdach- und Arbeitslosensiedlung gewachsen. Das Düsseldorfer Heinefeld war ein alter Schießplatz, auf dem französische Soldaten nach dem Ersten Weltkrieg ein Munitions- depot angelegt hatten306. Als sie es räumten, versäumten sie es, das Gelände der Stadt zurück- zugeben, sodass eine Art „Niemandsland“ entstand307. Ziegelhütten reihten sich an Buden aus Brettern und Kanisterblechen. Dazwischen standen Kaninchenställe, und es waren Hühnerhö- fe angelegt. Hier und da gab es einen kleinen Garten. Weit und breit war kein größerer Baum zu sehen308. Arbeitslose, Verarmte und Menschen, die am Rand der Gesellschaft standen, hat- ten sich zu der stadtbekannten Siedlung „Heinefeld“ zusammengefunden309. Im Laufe der Zeit war die Siedlung auf eine Größe von ca. 1000 Menschen herangewachsen310. Kam die Stadt- verwaltung, um Ordnung zu schaffen, schrieen die Bewohner: „Das hier ist französisch!“, womit sie sich auf den politischen status quo ihrer Siedlung beriefen, sodass die Ordnungshü- ter unverrichteter Dinge wieder abziehen mussten311. Da die Bewegungsfreiheit des fahrenden Volkes der Sinti und Roma durch Polizeivor- gaben Anfang der 30er Jahre in Deutschland immer enger wurde, hatte sich eine Gruppe Zi-

305 Else Lasker-Schüler in einem Brief 1933 an Hulda Pankok, zitiert bei Hulda Pankok, Else Lasker-Schüler. Vortrag von Hulda Pankok, gehalten am 19. April 1969 in „Haus Esselt“, Sonderdruck des Otto-Pankok- Museums Hünxe/Drevenack, o.S. 306 Otto Pankok, Zigeuner (1958), 8. 307 Eva Pankok, Mein Leben, 15. 308 Ein Foto der Heinefeldsiedlung befindet sich in Karola Fings/Frank Sparing, Otto Pankok und die Düsseldor- fer Sinti, 3. Ebenso in Günter Goebbels, Otto Pankok 1893 – 1966, 35. 309 Vgl. dazu Rainer Zimmermann, Otto Pankoks Passion, 13. 310 Karola Fings/Frank Sparing, Otto Pankok und die Düsseldorfer Sinti, 3. 311 Eva Pankok, Mein Leben, 15.

66 geuner im Sommer 1931 am Rande des Heinefeldes auf einer Brachfläche niedergelassen312. Sie hatten die Räder von ihren Wagen abbauen müssen, um in den Besitz von Stempelgeldbe- zügen zu gelangen. Ihre Wagen hatten sie ganz einfach auf Böcke gehoben, womit sie als „sesshaft“ galten. Nun konnten sich ihre Bewohner beim Amt der Stadt Düsseldorf melden, um Sozialhilfe zu empfangen313. Bis zum Sommer 1933 hatten sich auf dem Heinefeld 25 Sintifamilien in Wohnwagen und Bretterbuden niedergelassen314. Auf seinen Reisen nach Südfrankreich und Spanien war Otto Pankok dem Volk der fahrenden Sinti und Roma erstmalig begegnet. Er war tief berührt von der bestimmenden Le- benslust dieser Menschen. Als Otto Pankok von Louise Dumont erfuhr, dass sich eine größere Gruppe in unmittelbarer Nähe seiner Düsseldorfer Wohnung niedergelassen hatte, richtete er sich bei einem dort ansässigen Arbeitslosen in der Sperlingsgasse 2 in einem Hühnerstall auf dem Heinefeld ein Atelier ein315. Vinzenz, den der Künstler später als „mein Freund Vinzenz“ bezeichnete, stammte aus dem Bayerischen Wald, hatte in Düsseldorf vergeblich nach Arbeit gesucht und war schließlich in der Obdachlosensiedlung gestrandet316. Von da an fuhr Otto Pankok jeden Morgen zum Düsseldorfer Heinefeld317.

„Er hatte auch so ein weißes einzimmeriges Kästchen errichtet und für mich hinten daran ein kleines Atelier- ställchen gebaut, das ich mit seinen Hühnern teilte.“318

Die gemeinsame Zeit mit den Zigeunern des Heinefeldes ab Herbst 1931 inspirierte Otto Pankok zu seinen bedeutenden Zigeunerbildern. Für den Künstler war es eine der pro- duktivsten Phasen seines Schaffensprozesses. Die Zigeuner nannten den Künstler „ihren Mo- lari“, ihren Maler, der jeden Tag aus der Stadt zu ihnen kam, um bei ihnen zu malen. Bereits im Februar 1932 hatte er ausreichend Kohlebilder beisammen, sodass er sie in der Düsseldor- fer Kunsthalle präsentieren konnte. Bewegende Fotos dokumentieren diese erste und durch die Machtergreifung der Nationalsozialisten für lange Zeit letzte Ausstellung, zu der Otto Pankok viele seiner Modelle mitnahm319. Der Kölner Stadtanzeiger warb am 22. Januar 1932 für diese Bilder:

312 Fotos der Wohnwagensiedlung in Karola Fings/Frank Sparing, Otto Pankok und die Düsseldorfer Sinti, 3. 313 Cyrus Overbeck/Oliver Müller, Otto Pankok, 174. 314 Karola Fings/Frank Sparing, Otto Pankok und die Düsseldorfer Sinti, 3. 315 Friedrich W. Heckmanns in der Einleitung zu Rudolf Dehnen, Otto Pankok – Zigeuner 1985/86, o.S. 316 Eva Pankok, Mein Leben, 15. 317 Eva Pankok, Mein Leben, 15. Im Interview mit der Verfasserin betonte Eva Pankok am 12. 04. 2008 im „Haus Esselt“, dass ihr Vater nicht, wie fälschlicherweise oft dargestellt, bei den Zigeunern lebte, sondern jeden Morgen zu ihnen zum Malen ging. Abends kehrte er zu Frau und Tochter in die Brend`amour Straße zurück. 318 Otto Pankok zitiert bei Rainer Zimmermann, Otto Pankoks „Passion“, 13. 319 Fotos des Otto Pankok Archivs Nr. 1572/1573/1594, veröffentlicht in Karola Fings/Frank Sparing, Otto Pan- kok und die Düsseldorfer Sinti, 1 u. 5.

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„[…] dennoch blitzt aus den Augen der Jungen wie der Alten eine stille, harte Lebensbejahung und Tapferkeit, die in den Gesichtern einzelner Burschen in liebenswerte Verwegenheit hinüberspielt, und in den schönen Mutter – und – Kind – Bildern liegt etwas herb und doch friedvolles Madonnenhaftes.“320

Zu diesem Zeitpunkt war Otto Pankok als Maler schon lange kein Unbekannter mehr. Zwar war er noch nicht einmal vierzig Jahre alt, doch waren seine eigentümlichen Kohlege- mälde auf großen Einzelausstellungen in Münster, Bochum, Krefeld, Essen, Düsseldorf, Duisburg und Mülheim zu sehen gewesen. Vom Piperverlag in München war 1927 eine Map- pe mit Zeichnungen verlegt worden, zu denen der bekannte Kunsthistoriker Wilhelm Worrin- ger einleitende Worte geschrieben hatte321. In dieser engagierten Einleitung betonte Wilhelm Worringer die fortgeschrittene Reife des Künstlers322. Nicht zuletzt sein 1930 erschienenes Buch „Stern und Blume“ hatte Otto Pankok weit über die Grenzen des Rheinlandes hinaus bekannt gemacht323. Nach seinem Jahr in Dötlingen kam der Aufenthalt bei den Zigeunern des Heinefeldes einer zweiten Flucht aus seiner bürgerlichen Existenz gleich. Was bewog ihn, sich in diesem gänzlich unbürgerlichen Umfeld einzurichten? Rainer Zimmermann begründet dieses Interes- se mit seiner steten Suche nach ehrlichen, unverfälschten und in diesem positiven Sinn einfa- chen Menschen, die für ihn zum Inhalt seiner Kunst werden konnten:

„Erst 1929, während eines Aufenthaltes unter spanischen Fischern und Bauern, sollte er wieder Menschen fin- den, denen seine Zuneigung galt, weil sie sich ihre Naturhaftigkeit bewahrt hatten. Als ein Geschenk empfand er dieses Vertrautwerden mit Menschen, deren Dasein von den kreatürlichen Gesetzen bestimmt wurde. Auf seinen Bildnissen konnte er sie – anders als die ′tiefenlosen Menschen unserer Zivilisation′ – aus der Umgebung he- rauswachsen lassen.“324

Diese tiefe menschliche Begegnung mit den spanischen Fischern sollte sich 1931 mit den Zi- geunern des Heinefeldes wiederholen. Otto Pankok gewann das Vertrauen der Zigeuner, so- dass sie ihm ihre Geschichten erzählten. Dabei schien dem kleinen Ofen, den sich der Künst- ler in seinem Verschlag aufbaute, eine wesentliche Rolle zugekommen zu sein, denn seine Tochter Eva berichtete später:

„Zu der schönen Wärme kamen dann die Zigeunerkinder, dann die Mütter und schließlich auch die Väter. Und so wurde er ihr Molari, ihr Maler. Er fand ihr Vertrauen und war darüber sehr glücklich. Viele Bilder entstan- den.“325

320 Kölner Stadtanzeiger vom 22. 1. 1932, in Karola Fings/Frank Sparing, Otto Pankok und die Düsseldorfer Sinti, 5. 321 Leinengebundene Mappe (Format ca. 40 x 36 cm) mit 24 Zeichnungen Otto Pankoks aus den Jahren 1925 – 27. Es wurden 270 nummerierte Exemplare und zusätzlich 30 Vorzugsexemplare, denen eine Originalradierung beilag, verlegt. Das Exemplar Nr. 51, nebst zusätzlich eingelegter Originalradierung, ist einsehbar im Leipziger Buch – und Schriftmuseum. 322 Wilhelm Worringer in der Einführung zu einer Sammelmappe mit 24 Reproduktionen von Kohlebildern Otto Pankoks, 6. 323 Vgl. dazu Rainer Zimmermann, Otto Pankoks „Passion“, 13. 324 Rainer Zimmermann, Otto Pankoks „Passion“, 14. 325 Eva Pankok, Otto Pankok und das Emsland, 5.

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Der Ofen des Künstlers wurde zum wichtigen Bildelement verschiedener Kohlegemälde, z.B. in dem nach dem Krieg entstandenen Werk Molaris guter Ofen von 1947326. Die „schöne Wärme“, von der Eva Pankok berichtet, kann dabei durchaus im übertragenen Sinn verstan- den werden. Otto Pankok war diesen Menschen zutiefst zugetan. Innerhalb seiner Zigeuner- bilder lassen sich genau in der Abfolge, von der Eva Pankok berichtet, die Bildthemen des Künstlers wiederfinden: Die Bilder der Zigeunerkinder und die der Heranwachsenden nehmen im Œuvre den größten Platz ein. Es folgen die Bilder der Mütter mit den vielen Kleinkindern und zum Schluss die der Männer. Ihr Antlitz bestimmt den weitaus kleinsten Teil der Zigeu- nerbilder. Wie der Künstler später erzählte, erfasste ihn die Bekanntschaft mit den Zigeunern des Düsseldorfer Heinefeldes zutiefst:

„[…] das Menschliche wie ein Wunder wieder in mich einbrach, als ich plötzlich auf Menschen traf, die im Raum lebten, hinter denen die Schöpfung stand, die sie in sich einbezog wie die Wolke, wie das Wasser, das Tier und den Stein – die Zigeuner.“327

Zum ersten Mal verspürte er nicht das Bedürfnis, zum Malen in die Welt hinausreisen zu müssen, sondern verbrachte den ganzen Sommer bei seinen Zigeunern auf dem Heinefeld. Da er sofort damit begann, das dort Erzählte und Erlebte aufzuschreiben, sind uns heute un- schätzbare und einzigartige Dokumente von diesem in Vergessenheit geratenen Volk erhalten geblieben. Das Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma mit Sitz in Heidelberg sieht heute in Otto Pankok einen ihrer wichtigsten Fürsprecher und organisiert wechselnde Ausstellungen mit seinen Zigeunerbildern328. Mit dem Machtantritt der Nationalsozialisten verschlechterte sich die Lage der Zigeu- ner in Deutschland beträchtlich. Diesen Zustand verbildlichte der Künstler auf seinem Kohle- gemälde Novemberwind aus dem Jahr 1931329. Ein harscher Windstoß treibt darauf drei Zi- geunerkinder aus dem Bild heraus, die sich leicht bekleidet kaum gegen die Kälte behaupten können. Ihre kleinen Gesichter vermitteln erwachsenen Ernst. Große Augen schauen den Be- trachter an. Auf der Grundlage der pseudowissenschaftlichen Rassenlehre der Nationalsozia- listen waren die Zigeuner als zweitwichtigste fremdrassige Gruppe in Deutschland eingestuft worden. Die Zigeuner waren damit offiziell eine „negative soziale Auslesegruppe“330. Das „Kriminalbiologische Institut beim Reichssicherheitsamt“ erfasste nahezu alle in Deutschland

326 Abgebildet in Otto Pankok und die Düsseldorfer Sinti, 3. 327 Unveröffentlichte Aufzeichnungen von Otto Pankok aus dem Museum Hünxe/Drevenack, zitiert bei Rainer Zimmermann, Otto Pankoks „Passion“, 14. 328 Karola Fings/Frank Sparing, Otto Pankok und die Düsseldorfer Sinti, 1. 329 Das Kohlebild Novemberwind (100 x 120 cm) ist abgedruckt in Ulrich Krempel, Am Anfang: Das Junge Rheinland, 294. 330 „Reichsbürgergesetz“ und „Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“ zitiert bei Jörn Grabowski, Aspekte der Zigeuner- und Judenverfolgung, 22.

69 lebenden Zigeuner und Zigeunermischlinge und führte sie einer systematischen „rassekundli- chen Sippenuntersuchung“ zu. Aufgrund dieser Gutachten wurde später die Festsetzung der Großfamilien, Sterilisation und Deportation organisiert331. Otto Pankok erlebte die Anfänge dieser Verbrechen in Düsseldorf mit:

„Und dann kamen eines Tages die Zigeuner. Auch ihnen war die immer brutaler werdende Zeit nicht gewogen, und als ihnen nichts blieb, als wie alle die Geringen und Abhängigen um das Almosen des Stempelgeldes zu betteln, da setzten sie ihre Wagen in Ruh, und um den gesetzlichen Bestimmungen zu genügen (denn ansässig ist, wer in einem Haus und nicht in einem Wagen wohnt!), nahmen sie die Räder von den Wagen und setzten die Kästen auf den Boden. So entstand mitten in der Siedlung des Heinefeldes ein Zigeunerlager, ein Wagen schob sich an den anderen, und alle Mitglieder der Sippe sammelten sich hier, und die große Reise durch die Jahrhun- derte war zum ersten mal ins Stocken geraten. […] Hier begannen die SS – Stiefel das Werk des Niedertram- pelns. Noch bevor die Synagogen aufloderten, waren die Zigeunerfamilien hinter den Gittern des Stacheldrahtes zusammengepfercht, um später das jüdische Schicksal in den Todeslagern des Ostens zu teilen.“ 332

Im Jahr 1933 verbrachte der Künstler bis auf wenige kurze Unterbrechungen seine Ta- ge bei den Zigeunern im Heinefeld333. Er malte ununterbrochen. Viele Motive dieser Kohle- bilder wiederholte er später in den Verfahren der Radierung334, des Holzschnittes oder der Lithografie335. Eine Radierung, das stimmungsvolle Porträt des vor sich hinsinnenden Mäd- chens Hoto, Hoto II (WL 38), war als einziges seiner Werke im Original auf der Wanderaus- stellung ″Entartete Kunst″ zu sehen336. Im April 1934 begann die Düsseldorfer Polizei, die Siedlungen der Sintifamilien in- nerhalb der Stadt Düsseldorf aufzulösen. Der einzige Ort, an dem diese Menschen noch unge- stört blieben, war die Siedlung des Heinefeldes außerhalb der Stadt. 1934 wurden die Zigeu- ner, wie alle anderen Bewohner vertrieben und die Siedlung niedergerissen. Nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges brachten die Nazischergen diese Menschen in die Konzentrationsla- ger des Ostens, wo alle, bis auf zwei von ihnen, ermordet wurden. 1947 traf sich der Künstler mit diesen beiden Überlebenden337. Auch der Künstler Otto Mueller (1874-1930) war wie Otto Pankok fasziniert von der Lebensweise und Kultur der Zigeuner. Seit einer Balkanreise 1924 wandte er sich in seiner Kunst diesem Motiv zu. Wie bei Otto Pankok steht die Zigeunerfrau mit ihren Kindern im Mittelpunkt seines Kunstinteresses. Diese überhöht er in der Darstellung einer Madonna mit

331 Jörn Grabowski, Aspekte der Zigeuner- und Judenverfolgung, 23. 332 Otto Pankok, Zigeuner (1958), 8f. 333 Cyrus Overbeck/Oliver Müller, Otto Pankok, 190. 334 Die letzten Radierungen mit Zigeunermotiven fertigte Otto Pankok 1951 an. 335 Aus den großen komplexen Szenen der Kohlebilder setzte Otto Pankok bis zu seinem Tod vor allem Porträts als Radierung, Holzschnitt oder Lithographie um. 336 Cyrus Overbeck/Oliver Müller, Otto Pankok, 176. Anders Otto Pankok: Er schrieb am 29. 12. 1961 in einem Brief an Kurt Schifner, dass er mit zwei Lithographien des Zigeunermädchens Hoto in der Ausstellung „Entartete Kunst“ vertreten war. 337 Cyrus Overbeck/Oliver Müller, Otto Pankok, 203. Eva Pankok erzählte im Interview mit der Verfasserin am 16. 03. 09 im „Haus Esselt“, dass sie bis heute Kontakt zu Nachkommen dieser Überlebenden pflegt, die mit ihren Familien in Frankreich leben.

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Kind, wobei die Gloriole um den Kopf der Mutter symbolgeladen die Form eines Wagenrades aufweist. Vier bis fünf Jahre bevor Otto Pankok mit seinen Zigeunerbildern begann, veröf- fentlichte Otto Mueller 1926/27 seine lithografische Zigeunermappe338.

4. 4 Entartet und versteckt – Das innere Exil in Deutschland

Bereits im Jahr 1935 wurde Otto Pankok von den Nationalsozialisten mit einem Ausstel- lungsverbot belegt. Über 50 seiner Werke wurden aus deutschen Museen und Sammlungen beschlagnahmt339. Der Künstler bemühte sich fortan, verliehene Bilder von Privatpersonen und Museen zurückzuerlangen, bevor die Nazis noch mehr entfernen und vernichten konn- ten340. Zu Beginn des Jahres 1937 erschien in der NS-Propagandazeitschrift „Das schwarze Korps“ ein Artikel über seine Jesusdarstellungen. Unter dem Titel „Gotteslästerung 1936“341 wurden in der Sprache der damaligen Hetzpropaganda Otto Pankoks biblische Figuren der Passion als „philosemithisch“ bezeichnet, deren Vorbilder nur aus einer „Schwachsinnigen- anstalt“342 stammen könnten. In dem Artikel ist zu lesen, dass der Jude Jesus die Gesichtszüge Lenins trüge und der Maria jedes „deutsche Frauen- und Mütterlichkeitsideal“ eines Dürers abginge. „Eine schlimmere Verhöhnung der „Leiden Christi“ ist nach unserer Auffassung kaum noch möglich“343. Als 1937 einige der Passionsbilder als Fotos in der Ausstellung ″Entartete Kunst″ vorgeführt wurden, plante die Familie Pankok, in die Schweiz zu emigrie- ren, was missglückte. Leichtsinnigerweise übergab Otto Pankok die Bilder der gefährdeten Passion einem Berner Maler und Architekten, der die Blätter in der Schweiz in Sicherheit bringen sollte. Der vermeintliche Retter entpuppte sich als korrupter Betrüger344, der die Sig- natur der Blätter des Passionszyklus fälschte und die Familie Pankok in der Schweiz sich selbst überließ. Hinzu kam, dass er Otto Pankok vor dem Düsseldorfer Gericht als entschie- denen Hitlergegner und Judenfreund anschwärzte. Nur durch unglaubliches Glück und Un- voreingenommenheit des Staatsanwaltes wurde von einer Anklage gegen den Künstler abge- sehen345.

338 Geschichte der deutschen Kunst, 1918-1945, 277. Es kann nicht gesagt werden, ob Otto Pankok diese Werke kannte. Im Otto-Pankok-Archiv in Hünxe/Drevenack ließ sich diesbezüglich kein Hinweis finden. 339 Werner Haftmann, Verfemte Kunst, 404. 340 Cyrus Overbeck/Oliver Müller, Otto Pankok, 229. 341 Gotteslästerung 1936 in „Das Schwarze Korps“ vom 21. Januar 1937, abgedruckt in Otto Pankok, Die Passi- on, Kohlebilder – Druckgraphik – Plastik 1933 – 45, Staatliches Museum zu Berlin, Faksimile im Einband. 342 Gotteslästerung 1936 in „Das Schwarze Korps“ vom 21. Januar 1937, abgedruckt in Otto Pankok, Die Passi- on, Kohlebilder – Druckgraphik – Plastik 1933 – 45, Staatliches Museum zu Berlin, Faksimile im Einband. 343 Ebenda. 344 Hulda Pankok, Die abenteuerliche Geschichte des Passionswerkes von Otto Pankok, 88. 345 Hulda Pankok, Die abenteuerliche Geschichte des Passionswerkes von Otto Pankok, 88 ebenso Cyrus Over- beck/Oliver Müller, Otto Pankok, 240.

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1938 mussten die Pankoks nach kurzem Aufenthalt in der Schweiz aus Geldmangel und ungesicherter Lebensverhältnisse wieder nach Deutschland zurückkehren346. Fortan arbei- tete der Künstler weitgehend im Verborgenen und versteckte seine entstandenen Werke bei Freunden, u.a. bei der pfälzischen Dichterin Martha Saalfeld und dem Grafiker Werner Scheidt347. Der Kunsthistoriker Werner Haftmann kommentierte Otto Pankoks ununterbro- chene künstlerische Weiterarbeit in Zeiten der Bedrohung:

„Der eigentliche Widerständler blieb Otto Pankok. […] Er war ein unruhiger, kämpferischer Geist mit einer tiefen humanen Zuneigung zu allen Unterdrückten und Gedemütigten.“348

Hulda Pankok bezeichnete ihren Mann in dieser Zeit als vereinsamt, dessen einziger Trost die ungebrochene Schönheit der Natur war. Wie stark sein Rückzug ins Innere gewesen sein muss, zeigt sein melancholischer Ausspruch:

„Und wenn keiner mehr unsere Lieder hört und keiner mehr unsere Bilder sieht und wenn uns gar nichts mehr bleibt, dann bleibt uns immer noch die Sonne, die sich in der Pfütze spiegelt.“349

Dass die Familie unter Beobachtung der stand, konnten sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen. Von der Geheimen Staatspolizei der Staatspolizeistelle Düsseldorf erging auf Nachfrage aus Berlin über eine eventuell feststellbare „kommunistische Betätigung der Fami- lie Otto Pankok“, mit Bearbeitungsfrist bis zum 30. 6. 1938, folgender Bericht:

„[…] Die Art der Pankokschen Kunst wurde z. Zt. von allen N. S.-Kulturstellen und von dem Reichsleiter Ro- senberg abgelehnt. […] Die in letzter Zeit gemachten Ermittlungen ergaben, dass P. mit einem Schweizer Maler R e d e r e n z, der in Amsterdam wohnt, in Verhandlungen steht wegen des Verkaufs von Bildern, die P. in Deutschland nicht verkaufen kann. Anscheinend werden diese Bilder von ausländischen Stellen sehr begehrt. […] Daß die Familie Pankok dem heutigen Staat zumindest negativ gegenübersteht, geht daraus hervor, daß die Mitglieder der Familie sich nicht einer N.S. - Organisation angeschlossen haben und sich grundsätzlich an Sammlungen durch Spenden nicht beteiligen. Die Familie P. lebt vollkommen zurückgezogen und vermeidet jeden Verkehr mit Nachbarn oder sonstigen Personen in Düsseldorf. […] Durch die Postkontrollstelle wurde festgestellt, dass die Familie P. mit […] in Schriftverkehr steht. Eine Betätigung der Familie P. für die illegale K. P. D. konnte bisher nicht festgestellt werden. Die Ermittlungen sind noch nicht abgeschlossen. Nach Abschluß der Ermittlungen werde ich unaufgefordert weiter berichten.“350

Otto Pankok wurde nicht zum Militärdienst eingezogen, da ihm sein Hausarzt Dr. Schürer ein schweres Gallen- und Leberleiden attestierte. Sollte dieser Befund übertrieben gewesen sein, war er doch nicht frei erfunden, da der Künstler tatsächlich an einem Leberlei- den starb, das ihm schon seit Jahren zu schaffen machte351. Nachdem die Gestapo wiederholt erfolglos gegen die Familie Pankok ermittelt hatte, ließ man diese weitgehend in Ruhe. Wahrscheinlich ging es den NS-Funktionären darum,

346 Cyrus Overbeck/Oliver Müller, Otto Pankok, 239. 347 Otto Pankok, Kunst im Widerstand, 5. 348 Werner Haftmann, Rheinische Künstlerschicksale in Verfemte Kunst, 277. 349 Hulda Pankok, Die abenteuerliche Geschichte des Passionswerkes von Otto Pankok, 88. 350 Dokument 4 aus den Gestapo – Akten in Düsseldorf aus Barbara Lepper, Die Machtergreifung in, Ulrich Krempel, Das Junge Rheinland – Zur Kunst- und Zeitgeschichte einer Region, 116f. 351 Vgl. dazu Cyrus Overbeck/Oliver Müller, Otto Pankok, 240.

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Otto Pankok als öffentliche Person auszuschalten. Ein Malverbot352, und das heißt bei einem Künstler Arbeitsverbot, wurde gegen Otto Pankok nicht ausgesprochen353. Mit einem solchen wurden im strengeren Sinn nur Nolde und Schmidt-Rottluff belegt. Trotzdem war es Otto Pankok ab Ende 1937 unmöglich, öffentlich auszustellen oder Kunstwerke zu verkaufen354. Da Holzschnitte preiswerter waren und sich somit leichter als große Gemälde veräu- ßern ließen355, wandte sich der Künstler nun wieder verstärkt dieser Technik zu. Außerdem arbeitete er wiederholt als Porträtzeichner für das Boulevardblatt „Der Mittag“, um Geld für den Unterhalt der Familie zu verdienen356. Dieser Umstand widerspricht einem Arbeitsver- bot357. Es kann sogar ein Fall dokumentiert werden, dass Otto Pankok offiziell als Gerichts- zeichner im Auftrag des „Mittag“ tätig war358. Private Sammler wie Ludwig Leitz, die an Otto Pankok weiterhin festhielten und ihn wirtschaftlich unterstützen wollten, mussten zu ihm nach Düsseldorf kommen, wo im Wohnzimmer Käufe verhandelt und die Bilder als Papier- rolle gleich mitgenommen wurden359. Außergewöhnlich erscheint es daher, dass noch 1937 Edwin Hasenjaeger, der Oberbürgermeister der Stadt Mülheim an der Ruhr, aus Mitteln der Leonhard-Stinnes-Stiftung 150 Zeichnungen Otto Pankoks für das Städtische Museum an- kaufte360. Wahrscheinlich blieb der Künstler vor weiteren Verfolgungen durch die Nationalsozi- alisten durch den Umstand verschont, dass die nationalsozialistische Kulturpolitik ihn weder als Dadaisten, Avantgardisten, Surrealisten oder Expressionisten einstufen konnte. Damit ge- riet er nicht in den Fokus der vordringlich zu beseitigenden Künstler. Wie sich Otto Pankok in seinen Kunstäußerungen lange der Zuordnung zu einer bestimmten Stilrichtung verschloss,

352 Die Frage, ob Otto Pankok von den Nationalsozialisten mit einem Malverbot oder Arbeitsverbot belegt wor- den war, ist nicht einfach zu beantworten. So findet man in der Literatur und aus dem Mund von Zeitzeugen voneinander abweichende Angaben. Seine Tochter Eva Pankok behauptet pauschal, dass ihr Vater mit Malverbot und sogar Arbeitsverbot belegt worden war, u.a. in Eva Pankok, Otto Pankok und das Emsland, 5. Dieser Sicht- weise folgt auch Susanne Timm in ihrer Dissertation über Otto Pankoks grafisches Werk, vgl. Susanne Timm, Die Druckgraphik von Otto Pankok, 75. Dagegen spricht, dass bislang kein schriftlicher Erlass gefunden wurde, der ein solches Malverbot ausspricht und Otto Pankok tatsächlich in den Jahren 1933 – 45 künstlerisch in be- trächtlichem Umfang tätig war und sogar Bilder verkaufen konnte. Ein von der NS-Führung ausgesprochenes Malverbot wurde jedoch kontrolliert. Man denke nur an die Repressalien, unter denen Emil Nolde zu leiden hatte. Vgl. dazu Emil Nolde, Ungemalte Bilder, 9. „Ich litt seelisch, weil ich glaubte, meine vollreifsten Werke noch malen zu müssen. […] Mit einem Schwert über dem Kopf hängend, waren mir Bewegung und Freiheit genommen.“ Im Gegensatz dazu lebte Otto Pankok in relativer persönlicher Freiheit, was seine Reisetätigkeit in dieser Zeit zeigt. 353 Cyrus Overbeck/Oliver Müller, Otto Pankok, 232. 354 Jens Roepstorff, Die Ächtung und Verfolgung von Künstlern im Nationalsozialismus,47. 355 Vgl. Cyrus Overbeck/Oliver Müller, Otto Pankok, 203. 356 Cyrus Overbeck/Oliver Müller, Otto Pankok, 233. 357 Vgl. dazu Cyrus Overbeck/Oliver Müller, Otto Pankok, 234. 358 Otto Pankok war während des Prozesses gegen den Mörder Haarmann in Düsseldorf im Auftrag des „Mittag“ tätig. Werkverzeichnis der Pressezeichnungen, 12. 359 Vgl. dazu die Beschreibung Berto Perottis eines Besuches von Ludwig Leitz in Düsseldorf. Berto Perotti, Begegnung mit Otto Pankok, 30. 360 Jens Roepstorff, Die Ächtung und Verfolgung von Künstlern im Nationalsozialismus, 46.

73 fiel er aus dem Schubladendenken der Nationalsozialisten heraus. Aus dem Protokoll der Ge- heimen Staatspolizei der Staatspolizeistelle Düsseldorf ist ersichtlich, dass die NSDAP- Funktionäre die Wertigkeit der Pankokschen Kunst nicht einzuschätzen wussten361. Der Pro- tokollschreiber wundert sich geradezu, dass im Ausland Interesse an Otto Pankoks Kunst be- steht. Es ist anzunehmen, dass es diese Unentschlossenheit im Handeln gegenüber dem Künstler war, die ihm das Leben rettete. Obwohl Otto Pankok von einigen Autoren zu den Widerstandskämpfern gegen die Herrschaft des Nationalsozialismus gezählt wird362, trat er niemals, einer antifaschistischen Organisation bei und beteiligte sich nicht am aktiven Widerstand gegen das Naziregime, an- ders als sein Düsseldorfer Künstlerkollege Peter Ludwigs, der etliche seiner Zeichnungen für illegale Plakate zur Verfügung stellte und deswegen mehrfach inhaftiert wurde. Peter Lud- wigs verstarb 1943 nach Folterungen im Düsseldorfer Gestapogefängnis363. Was sich histo- risch belegen lässt, ist die Tatsache, dass die Familie Pankok befreundete Familien zeitweise vor der Verfolgung versteckte364. Der Maler Mathias Barz schrieb nach dem Krieg an Berto Perotti, dass seine Familie während der Flucht vor den Nazis „die längste Zeit, zwei Monate“ 365 bei Otto Pankok in Düsseldorf verbrachte. Dessen Bilder, die innerhalb der Zeit des Natio- nalsozialismus entstanden, zeugen von einer moralischen Verantwortung gegenüber seinen Mitmenschen. Berto Perotti meint:

„Tatsächlich empfand Pankok, wie wenige Menschen damals, den tragischen Sinn der Kollektivschuld und Kol- lektivverantwortung für alles, was in der Welt durch die Nazis angerichtet wurde.“366

Er machte es sich in diesen zwölf Jahren zur Gewohnheit, seine Werke nicht mehr mit einer Jahreszahl zu versehen. Bei Razzien konnte er immer behaupten, dass dies ein älteres Bild sei. Gleichwohl trug er die Titel und die ungefähre Reihenfolge der Entstehung weiter in sein Werkverzeichnis. In diesen Jahren begann der Künstler aus Papiermangel, Kohlebilder beid- seitig zu bemalen, wodurch viele seiner Werke zumindest numerisch verloren gingen. Zwar existieren sie noch materiell, jedoch nur als bemalte Rückseite späterer Bilder. Indem er sich entschloss, das betreffende Kohlebild umzudrehen, um seine Rückseite zu bemalen, existierte die Erstbemalung für ihn nicht mehr. Er strich in seinem Werkverzeichnis den Titel durch und vergab die „alte“ Registriernummer dem neuen Werk. Diese schrieb er dann auf die Rückseite

361 Vgl. dazu das Dokument 4 aus den Gestapo – Akten in Düsseldorf aus Barbara Lepper, Die Machtergreifung in: Ulrich Krempel, Das Junge Rheinland – Zur Kunst- und Zeitgeschichte einer Region, 116f. 362 So u.a. Berto Perotti, Begegnung mit Otto Pankok, 30f. Perotti idealisiert, aufgrund seiner vorbehaltlosen Bewunderung und Freundschaft zu Otto Pankok, den Künstler all zu sehr als aktiven Freiheitskämpfer. 363 Berto Perotti, Begegnung mit Otto Pankok, 32. 364 Richard Hiepe, Gewissen und Gestaltung, 28. 365 Berto Perotti, Begegnung mit Otto Pankok, 33. 366 Berto Perotti, Begegnung mit Otto Pankok, 30.

74 des neuen Bildes in das alte Werk mitten hinein, womit er es „auslöschte“. Das Otto-Pankok- Museum akzeptiert diese Entscheidung und zählt die verworfenen Werke nicht zum Bestand hinzu. Eva Pankok berichtete, dass ihr Vater Bilder nicht nur nach qualitativen Maßstäben verwarf, sondern vor allem quantitative Kriterien ausschlaggebend waren. Viele Landschaften sonderte er aus, desgleichen großartige Zigeunerbildnisse367. Die Familie Pankok lebte in der Zeit des Nationalsozialismus zurückgezogen, was ei- ner inneren Immigration gleichkam. Sie hielten Kontakt zu gleich gesinnten Künstlern, wie Julo Levin368, Karl Schwesig369, Peter Ludwigs370 und Peter Monjau371, die, wie die Pankoks, ständig von Verfolgung und Verhaftung bedroht waren372. Das Schicksal der Freunde zeigte ihnen, welcher Gefahr auch sie ausgesetzt waren. Eines Tages bekam die Familie das vor Au- gen geführt:

„Eines Tages sollte er verhaftet werden. Drei Kerle der Geheimen Staatspolizei erschienen und wollten ihn mit- nehmen. Da hörte Mutter sich plötzlich schreien: „Wenn ich euch ansehe, dann sehe ich, dass ihr nicht so schlecht seid. Die, die euch schicken, sind es vielleicht. Ihr aber, wenn ihr ihn euch anschaut, könnt ihn gar nicht mitnehmen. Schaut ihn euch an!“ Und wirklich, die Kerle packten Bilder und Bücher ins Auto und ließen ihn da. Nach diesem Erlebnis wollte er so schnell wie möglich von Düsseldorf weg. Beim zweiten Mal wäre es nicht gut gegangen.“373

Eva Pankok weiß zu berichten, dass sich ihr Vater daraufhin in das Dorf Bokeloh im Emsland begab und dort über einem Kolonialwarenladen ein Zimmer bezog. Otto Pankok traf wiederum auf Menschen374, die ihm gleichgesinnt und zugetan waren: „es gab so gute Men- schen in Bokeloh“375. Joseph Meyer, der Besitzer des Ladens, vermietete ihm schließlich die Hälfte des Hauses, sodass er Frau und Tochter nachholen konnte376.Eva besuchte in Bokeloh sogar für einige Monate die Schule. Sie berichtete, dass regelmäßig die Lehrer Wüstefeld und Stapel zu den Eltern kamen, um im Radio den englischen Sender zu hören. Für Eva Pankok

367 Eva Pankok im Interview mit der Verfasserin am 16. 03. 09 im „Haus Esselt“. Im Otto – Pankok – Museums „Haus Esselt“ in Hünxe/Drevenack sind im Werkbestand Otto Pankoks viele solcher beidseitig bemalten Werke zu finden. Anhand des selbst verfassten Werkverzeichnisses Pankoks, das dem Museum vorliegt, können häufig die alten Titel rekonstruiert werden. 368 Geboren 1901, war er von 1936 – 42 Lehrer an jüdischen Schulen in Düsseldorf und Berlin. Er wurde nach seiner Verhaftung 1943 nach Auschwitz verschleppt und gilt seither als verschollen. Richard Hiepe, Gewissen und Gestaltung, 51. 369 Geboren 1898, Maler und Graphiker, Haft und KZ in der Zeit des Nationalsozialismus. Er verstarb kurz nach dem Krieg und hinterließ eine große Anzahl Zeichnungen über die Nazigreuel. Richard Hiepe, Gewissen und Gestaltung, 61. 370 Geboren 1888, war er ein führendes Mitglied der ″Rheinischen Sezession″ und des ″Jungen Rheinland″. Seit 1933 Hausdurchsuchungen und Ausstellungsverbot, 1943 im Gestapo Gefängnis Düsseldorf ermordet. Richard Hiepe, Gewissen und Gestaltung, 51. 371 Geboren 1903, 1928 – 31 Lehrer an der Akademie Düsseldorf, 1944 Verhaftung und Verschleppung nach Buchenwald, dort 1945 hingerichtet. Richard Hiepe, Gewissen und Gestaltung, 51. 372 Richard Hiepe, Gewissen und Gestaltung, 28. 373 Eva Pankok, Otto Pankok und das Emsland, 5. 374 Eva Pankok, Otto Pankok und das Emsland, 5. 375 Eva Pankok in ihren Erinnerungen, in Otto Pankok und das Emsland, 6. 376 Otto Pankok verewigte das freistehende Haus auf dem Kohlegemälde Haus Joseph Meyer von 1939, veröf- fentlicht in Otto Pankok im Emsland, 43.

75 war das eine „wunderbare Schulzeit“377. In Bokeloh blieb die Familie zwei Jahre. Von dort aus erlebten sie den Einmarsch der deutschen Truppen in Holland und die ersten polnischen Gefangenen, die im Tanzsaal hinter Joseph Meyers Haus untergebracht wurden. Die Gestapo ließ Otto Pankok und seine Familie in Ruhe. Ihr schien es ausreichend, dass der Künstler aus dem öffentlichen Leben der Stadt Düsseldorf verschwunden war. Eva Pankok erzählte, dass sich ihr Vater in dieser Zeit immer wieder Kraft aus der unberührten Landschaft des Emslan- des holen konnte. Mehr als 1000 Landschaftsdarstellungen entstanden in der Zeit zwischen 1933 und 1945. Sie zeugen vom ruhelosen Umherirren des Malers und seiner Familie, auf der Flucht vor der Gestapo. Sie lassen sich als „Fahrtenbuch“ durch die Masuren, das Münsterland, Ob- erbayern, das Bourtanger Moor und die Eifel lesen378.1942 richtete sich die Familie Pankok in dem Dorf Iversheim in der Eifel ein ausgebranntes, einsames Bauernhaus her, wohin sie den übrig gebliebenen Hausrat ihres ausgebombten Hauses aus Düsseldorf holten379. Eva Pankok bezeugt, dass ihre Eltern noch 1942 den jüdischen Freund Julo Levin im Keller ihres Hauses in der Brend´amour Straße in Düsseldorf verstecken wollten, was nicht gelang, da es völlig zerstört worden war. Die Werke des Künstlers waren bei Freunden am Möhnesee versteckt, wo sie unbeschadet den Krieg überstanden. In den letzten Kriegsjahren in der Eifel malte er Bilder, die später unter dem Titel Das jüdische Schicksal zu einem Zyklus zusammengestellt wurden. In der Eifel erlebte die Familie Pankok das Ende des Krieges und blieb, bis ihr Haus in der Düsseldorfer Brend´amour Straße wieder bewohnbar war380.

4. 5 Pazifist im geteilten Deutschland - Die Zeit nach 1945

Obwohl sich Otto Pankok um die Versorgung seiner Familie und den Zustand seines Hauses in Düsseldorf kümmern musste, ließ er keine Zeit verstreichen, um sich im Juni 1945 an die Öffentlichkeit zu wenden. Nahtlos knüpfte er damit an seine programmatische Schrift „An meine Freunde“ aus dem Jahr 1937 an und forderte nun in einem zweiten Aufruf „An die deutschen Maler“ genau hinzuschauen, welche Künstler sich die „Nazibrosche“ abreißen, um ihre jüngste Vergangenheit unter dem Hitlerregime zu verleugnen. Er nahm an, „dass ihre Zahl erschreckend groß ist“. Otto Pankok forderte: „Reine Kunst oder keine Kunst!“. Er war der Ansicht:

377 Eva Pankok, Otto Pankok und das Emsland, 6. 378 Otto Pankok, Kunst im Widerstand, 7. 379 Werner Haftmann, Verfemte Kunst, 405. 380 Eva Pankok, Otto Pankok und das Emsland, 6.

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„Um uns gegenseitig zu stützen, suchen wir heute nach Zusammenschluß, wir suchen ein Stück Boden, der nicht wankt. Für uns in der Kunst ist Tat und Gesinnung dasselbe, uns Künstler erkennt man an unseren Früchten. Das ist in unserem Fall das Gute, und das macht auch den Zusammenschluß einfach. Kein Künstler kann behaupten, er habe sich die Nazibrosche anstecken müssen, keiner musste als Freiwilliger in Holland einfallen. Unsere Lage ist von allen Bevölkerungsschichten die klarste. Darüber wollen wir uns freuen, und danach werden wir handeln. So bitte ich euch, meine Kollegen, in euren Ateliers oder wo ihr euch begegnet, den Plan zu einem neuen Bund der Künstler zu besprechen und zu beraten.“381

Der Künstler widmete sich nach dem Krieg einer emsigen Ausstellungstätigkeit und zeigte ab Sommer 1945 im Aachener Reiff–Museum in einer Folge von Ausstellungen seine Bilder, die während der Zeit der Nazidiktatur entstanden waren382. Der Drei-Eulen-Verlag Düsseldorf brachte im Jahr 1947 sein Buch „Zigeuner“ her- aus. Den 134 Reproduktionen stellte Otto Pankok ein Vorwort und die Niederschriften seiner Erlebnisse bei diesen Menschen voran. Die Texte spiegeln seine Trauer über das Schicksal der Zigeuner wider, welche den Nationalsozialisten zum Opfer gefallenen waren. Gleichzeitig wird sein tiefes Entsetzen über das Ausmaß der Vernichtung allen Lebens durch den Natio- nalsozialismus spürbar. Andenken und Trauer werden begleitet von deutlich spürbarer Ent- täuschung über die nicht besser werdenden Zustände im Nachkriegsdeutschland. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges beobachtete der Künstler skeptisch die poli- tisch – gesellschaftlichen Entwicklungen im sich teilenden Deutschland und in der Welt. Zu vielen politischen und gesellschaftlichen Themen bezog er innerhalb seiner künstlerischen Arbeit Stellung. Als Ausdrucksmittel wählte er dafür häufig die traditionell plakative Technik des Holzschnittes. Mit seinem künstlerischen Schaffen, das keine eindeutige politische Aus- sage scheute, trat er seinen Schülern an der Akademie als überzeugter Pazifist entgegen383. In einer Schrift der Düsseldorfer Akademie hieß es zu seiner Lehrtätigkeit:

„In einer Zeit des Zwiespalts künstlerischer Auffassungen sieht Otto Pankok seine Aufgabe darin, als Künstler und Anreger der Kunst Bewahrer der Tradition und Künder einer vom Glauben an Gott und von der Liebe zu Mensch und Tier beseelten Vorstellungswelt zu sein, in der die Natur den großen Raum bildet.“384

Otto Pankok schien sich nach dem Krieg dem Schicksal der ganzen Schöpfung anzu- nehmen. Das ist ein Grund, warum gerade in dieser letzten Schaffensperiode noch einmal Bildwerke entstanden, in denen die Verwundbarkeit der Schöpfung thematisiert wird:

„So starren die Städte nun in Beton und Stahl. So ziehen die Traktoren durch planierte Flächen ihre schnurgerade Mathematik zum Horizont. Europas Wälder schrumpfen ein. Nun holzt man Sibirien kahl. Die letzten wilden Tiere erwarten ihr Ende hinter den Gittern zoologischer Gärten.“385

381 Otto Pankok im Juni 1945 in seinem Aufruf „An die deutschen Maler“ zitiert bei Cyrus Overbeck/Oliver Müller, Otto Pankok, 263. 382 Vgl. dazu Cyrus Overbeck/Oliver Müller, Otto Pankok, 264. 383 Ulrich Schulte-Wülwer, Otto und Eva Pankok an der Flensburger Außenförde, Hasselberg 1957, 60. 384 Würdigung Otto Pankoks durch die Düsseldorfer Akademie, zitiert bei Rainer Zimmermann, Otto Pankok, 67. 385 Otto Pankok zitiert in Rainer Zimmermann, Otto Pankok, 71.

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Kurz vor seinem Tod begann er mit einem groß konzipierten Holzschnittzyklus, der diese fortschreitende Zerstörung der Schöpfung zum Thema haben sollte. Der geplante Zyklus sollte den Titel Der große Pan ist tot tragen. Er konnte wegen des Ablebens des Künstlers nicht beendet werden. Inhaltlich nahm der Titel Bezug auf einen Text, den Otto Pankok für die Einleitung zu seinem Buch „Zigeuner“ bereits 1948 geschrieben hatte. Die noch fertig gestellten Werke, wie z.B. Der tote Pan (WH 762) zeigen, dass der Künstler mit diesem Zyk- lus an ein großes Alterswerk gedacht hatte, aus dem etliche sozialkritische Werke hervorge- hen sollten. Im Mai, ein halbes Jahr vor seinem Tod, schrieb Otto Pankok Rainer Zimmer- mann:

„In den Kanadischen Wäldern muß es noch herrlich sein. Ich beneide Sie um Ihren Flug. In Ermangelung solcher Erlebnisse stelle ich aus meinem Werk in Gedanken ein Buch zusammen: „Der große Pan ist tot.“ Nach den Menschen und Landschaften erscheinen zum Schluß Maschinen, die die Landschaft auffressen. Pan ist verloren, so oder so, mit und ohne Krieg.“386

Dabei war es keineswegs so, dass sich Otto Pankok den technischen Neuerungen seiner Zeit verschloss. Bald nach dem Krieg besaß die Familie Pankok ein Auto, was die regelmäßige Reisetätigkeit für den Künstler wesentlich komfortabler werden ließ. Doch fanden für ihn weder ″Gründerjahre″ noch ein ″Wunder Deutschland″ statt. Stattdessen begann für eine Zeit, in der er die ökonomische, ökologische und politische Entwicklung seiner Umwelt aufmerk- sam und skeptisch beobachtete. Ihm war bewusst, welche Ausmaße das technische Wachstum annehmen konnte. Darin erkannte er die neue Hybris der Nachkriegszeit. Exemplarisch für seinen Gemütszustand in diesen ersten Nachkriegsjahren kann das Vanitasstillleben Schädel in Blumen (WR 660, 1947) gesehen werden. Wie zufällig liegen zwei kahlgenagte Totenschädel in einer blühenden Sommerstaude, als wollten sie den er- schreckten Sommergärtner daran erinnern, dass vor Kurzem auf diesem fruchtbaren Stück Erde noch blutiges Entsetzen regierte. Zwei blanke Schädel zwischen blühenden Sommer- blumen zeigen auch, wie schnell das pralle Leben die Erinnerung an vergangenes Leid über- wuchern kann. Für den Künstler waren zwei Jahre nach Kriegsende die vergangenen Gräuel noch allgegenwärtig und blieben selbst in unbeschwerter Sommerblüte erkennbar. Auch aus diesem Grund schuf Otto Pankok 1949 nach Ende des Krieges anlässlich der Wiederauf- rüstungsdebatte den Holzschnitt Wer das Schwert nimmt, soll durch das Schwert umkommen (WH 327).

386 Otto Pankok am 5. 5. 1966 in einem Brief an Rainer Zimmermann, ediert in Ingrid von der Dollen, Im Wider- stand gegen die Zeit. Malerbriefe an Rainer Zimmermann, 39. Das Briefzitat könnte mit Otto Pankoks Worten „stelle ich aus meinem Werk in Gedanken ein Buch zusammen“ den Verdacht nahe legen, dass der Künstler gar nicht an die Neuanfertigung von Bildern dachte, sondern vielmehr aus seinem reichen Bilderfundus Werke the- matisch geordnet zu einem Zyklus neu zusammenstellen wollte. Die Tochter des Künstlers bestätigte jedoch im Interview mit der Verfasserin am 12. 04. 2008 im „Haus Esselt“, dass ihr Vater an einen Zyklus mit ganz neu geschaffenen Bildern dachte und bereits mit den ersten Arbeiten begonnen hatte.

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Eva Pankok weiß von ihrem Vater zu berichten, dass sich dieser nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges dafür einzusetzen begann, dass überlebende Mitglieder des Volkes der Sinti und Roma Wiedergutmachungsansprüche stellen konnten387. Otto Pankok hat für viele von ihnen in seinem Namen Briefe an Behörden aufgesetzt und später mit seinem Titel „Pro- fessor“, unterschrieben, um den Forderungen mehr Autorität und Nachdruck zu verleihen388.

„Hitler versank, der Rassenhaß ist geblieben. Wer das nicht glaubt, dem empfehle ich einmal, mit einem Zigeu- ner zusammen durch die Stadt zu spazieren. Er wird da Einiges an verächtlichen Blicken und schmutzigen Be- merkungen einzustecken haben, daß ihm die Augen übergehen können.“389

Dass dieses persönliche Engagement notwendig war, belegen Quellen der deutschen Nach- kriegszeit. Die Worte eines Pfälzer Bürgermeisters geben prägnant die Stimmung der deut- schen Bevölkerung wider:

„Ich bin strikt dagegen, daß die Zigeuner wieder direkt in Dorfesnähe angesiedelt werden; es würden wieder die gleichen Zustände wie vor 1939 entstehen. Die Bürger meiner Gemeinde müssen hart um ihr tägliches Brot kämpfen, und die Zigeuner wollen sich auf Kosten anderer ernähren. Da muß man wahrhaft alle Humanität aus- schalten.“390

Gegen das Vergessen unsagbarer Verbrechen begann Otto Pankok nach 1945 mit der Wiederaufnahme der Zigeunermotive. Von vielen Familien wusste er, dass sie in den Kon- zentrationslagern der Nationalsozialisten ums Leben gekommen waren. Nach 14jähriger Pau- se begann er1947, neuerlich Zigeunerporträts in die Radierplatte zu ritzen. Eines der ersten Blätter zeigt die Kinder Nuna und Heuschreck (WR 633). Aufmerksam verfolgte Otto Pankok den in Deutschland nach 1945 stattfindenden Pro- zess der Entnazifizierung. Doch nicht jede Entscheidung der Militärregierung konnte er gut- heißen. In einem Brief setzte er sich für die Rehabilitierung des Oberbürgermeisters von Mül- heim an der Ruhr, Edwin Hasenjaeger, ein:

„Vor allem war er unter der Beamtenschaft des 3. Reiches ein weißer Rabe. […] H. war nicht allein ein Beamter, der innen anders aussah, als seine Parteizugehörigkeit vermuten ließ und vorschrieb, er war einer der wenigen öffentlichen Bekenner seiner Gegnerschaft, einer der tapfersten und edelsten, einer der ganz Wenigen, die zivilen Mut hatten und nicht zu beugen waren. Darum ist mir der Gedanke unerträglich, zu wissen, dass er mit dem Gros der deutschen Halunken in einen Topf geworfen werden soll.“391

In ähnlicher Weise verbürgten sich die Pankoks nach dem Krieg für den Bürgermeister der Gemeinde Pesch in der Eifel. Sie bezeugten, dass sie von ihm regelmäßig mit ausreichend Lebensmitteln versorgt wurden, als sich das Ehepaar Barz bei den Pankoks vor der Gestapo

387 Auch in Günter Goebbels, Otto Pankok 1893 – 1966, 49. 388 Eva Pankok am 12. 04. 08 im Interview mit der Verfasserin im „Haus Esselt“. 389 Otto Pankok, Zigeuner sind auch Menschen, in: Zeitung ohne Namen, 1. Jg., Nr. 6 zitiert bei Karola Fings/Frank Sparing, Otto Pankok und die Düsseldorfer Sinti, 26. 390 Überliefert in Mitteilungen 2004/2005 der Otto-Pankok-Gesellschaft, 78. 391 Bestand 1615/9 des Stadtarchivs Mülheim an der Ruhr, zitiert bei Jens Roepstorff, Die Ächtung und Verfol- gung von Künstlern im Nationalsozialismus, 46.

79 versteckt hielt. Hulda Pankok hatte den Bürgermeister notgedrungen über die versteckten Freunde informieren müssen, da sie mit zweieinhalb Lebensmittelkarten unmöglich vier Er- wachsene und die Tochter Eva ernähren konnte392. Otto Pankok wurde 1947 im Alter von 54 Jahren Professor an der Staatlichen Kunst- akademie Düsseldorf und unterrichtete dort bis 1958 die Zeichen- und Grafikklasse. Bernd Lasch sagte ihm bezüglich seiner zehnjährigen Lehrtätigkeit an dieser Schule eine außeror- dentliche Ruhe und Selbstzurückgenommenheit nach393. Er verstand es, sich gerade den schwierigen Schülern anzunehmen, die noch nicht ihren Ort innerhalb der Kunstakademie und innerhalb der künstlerischen Positionen gefunden hatten. Mit vielen seiner ehemaligen Stu- dentinnen und Studenten blieb Otto Pankok, der von ihnen ebenfalls ″Molari″ genannt wurde, über die Zeit an der Akademie hinaus verbunden, wie Briefe dokumentieren, die im Archiv von „Haus Esselt“ in Hünxe/Drevenack gesammelt werden. Diese Briefe sind fast alle priva- ten Inhaltes. Ehemaligen Studentinnen und Studenten berichten von ihrem beruflichen Wer- degang und privaten Erlebnissen, wie beispielsweise der Heirat und Geburt von Kindern. Mitunter wurden Otto Pankok und seine Frau an den neuen Wohnort oder die neue Wirkungs- stätte eingeladen. Auffallend ist, in welch vertraulichem Ton diese Briefe geschrieben sind. Das legt nahe, dass es vielen Studentinnen und Studenten während der Zeit an der Akademie gelang, zu Otto Pankok eine persönliche Beziehung aufzubauen und dass sich der Künstler dem nicht verschloss. Zu seinen berühmt gewordenen Schülern zählt Günter Grass, der in den Jahren 1948 bis 1952 zu Otto Pankoks Malklasse gehörte und ihn heute noch „seinen Lehrer“394 nennt. Ein literarisches Denkmal setzte Günter Grass diesem Lehrer in seinem Roman „Die Blechtrom- mel“, in dem er ihn unter dem Namen ″Professor Kuchen″ auftreten lässt. 2001 bekennt Gün- ter Grass in seinem Text „Fünf Jahrzehnte“:

„Nach den ersten Semestern bei Sepp Mages wechselte ich zu Pankok, der mich durch seine konsequente politi- sche Haltung – Pankok war bis in seine Holzschnitte ein deutlicher Pazifist – mehr geprägt hat, als ich damals wahrhaben wollte.“395

Otto Pankok blieb während seiner akademischen Tätigkeit seiner bildnerischen Aus- sage und Formensprache treu. Dazu gehörte eine ordentliche Portion Beharrlichkeit, da viele seiner Kollegen mit Nachdruck versuchten, den durch die Nazis gewaltsam unterbrochenen

392 Vgl. dazu Cyrus Overbeck/Oliver Müller, Otto Pankok, 254. 393 Bernd Lasch, Otto Pankok als Lehrer, 3f. 394 So auch der Titel der Ausstellung 2007 im Lübecker Günter-Grass-Haus „Otto Pankok. Ein „Lehrer“ von Günter Grass. Einflüsse Otto Pankoks auf Grass` grafisches Werk sind deutlich erkennbar. 395 Zitiert in Mitteilungen 2002/2003 der Otto-Pankok-Gesellschaft, 81.

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Anschluss an die moderne Kunst in kurzer Zeit wieder aufzuholen396. In mehreren Schriften wandte er sich gegen die Vorherrschaft der abstrakten Kunst und den Anspruch der Aus- schließlichkeit, die abstrakt arbeitende Künstler für ihre Arbeitsweise beanspruchten397. Vor allem genoss er die Arbeitsbedingungen, die er für seine eigene künstlerische Arbeit an der Akademie in einem eigenen Atelier und einer Druckerwerkstatt fand. Unter anderem entstand an der Düsseldorfer Akademie im Jahr 1951 eine Serie von 30 großformatigen Aquatintaradierungen, die Otto Pankok angesichts der zu druckenden Größe (ca. 50 x 40 cm) der Blätter und der aufwendigen Ätztechnik nirgendwo anders hätte anferti- gen können. Unter den Aquatintaradierungen (WR 734-768)398 befinden sich einige der schönsten Zigeunerdarstellungen, wie beispielsweise die Blätter WR 752 Nudi, WR 760 Gai- sa und Ringela und vor allem WR 761 Freundinnen. Diese Zigeunerbilder der zweiten Gene- ration unterscheiden sich in ihrem Ausdruck wesentlich von den ersten. Die starke expressive Formensprache der ersten Zigeunerbilder wich einer feinen Linienführung. In die sensible Darstellung der Körperbilder und Porträts mischte sich die Trauer des Künstlers über den Verlust der Freunde während des Nationalsozialismus. Ihnen allen liegt ein trauriger Unterton zugrunde. In seiner Zeit als Lehrer an der Düsseldorfer Kunstakademie schuf Otto Pankok dort 1950 den Holzschnitt Christus zerbricht das Gewehr (WH 344), in einer Zeit, in der heftig über die Remilitarisierung Deutschlands debattiert wurde399. Mit seiner künstlerischen Um- setzung der Friedensbotschaft Jesu traf er den Nerv der Zeit, was sich darin äußerte, dass der Holzschnitt in den darauf folgenden Jahren zu seiner am weitesten verbreiteten Arbeit wurde. In keinem anderen Werk bekommt seine Forderung zum Pazifismus solchen Ausdruck. Die Erfahrungen aus zwei Weltkriegen ließen den Künstler zu einem erbitterten Gegner der deut- schen Aufrüstungspolitik werden. All das fügte sich in der Christusfigur zusammen, die in brachialer Weise über dem Knie ein Gewehr zerbricht. Er selbst sprach über seinen Holz- schnitt vom „Gewehrbrecher“. 1958 stellte Otto Pankok einige Arbeiten für die geplante Ausstellung „Künstler gegen den Atomkrieg“ zur Verfügung, die schließlich nach viel politischem Gegenwind am 22. 10. 1958 in München eröffnet werden konnte. Die Jury entschied sich für Christus zerbricht das Gewehr (1950, WH 344). Vier Jahre lang wanderte die Ausstellung durch Deutschland, wo

396 Vgl. dazu Cyrus Overbeck/Oliver Müller, Otto Pankok, 277. 397 Vgl. dazu Susanne Timm, Die Druckgraphik von Otto Pankok, 72. 398 Innerhalb der Aquatintafolge zählte Otto Pankok in seinem Werkbuch noch vier Kaltnadelradierungen, wes- wegen in der fortlaufenden Nummerierung des Werkverzeichnisses 34 Blätter aufgezählt sind. Davon sind je- doch nur 30 Aquatintaradierungen. Vgl. dazu Otto Pankok, Werkverzeichnis der Radierungen, 13. 399 Rosa Rosinski, Künstlerinitiativen in der Zeit des „Kalten Krieges“, in: Zwischen Krieg und Frieden, 89.

81 sie in Schulen, Gewerkschaftsräumen, Volksbildungseinrichtungen und kleineren Museen zu sehen war. Für viele Menschen wurde gerade dieser Holzschnitt zum Symbol ihrer politischen Tätigkeit400. Otto Pankok schickte in den folgenden Jahren mehrfach Abzüge dieses Holzschnittes an Zeitgenossen, die er für einflussreiche Gegner der Wiederaufrüstungspolitik der Bundesre- publik hielt. Einen der ersten Drucke hatte er an den Papst nach Rom geschickt. Dessen Sek- retariat ließ ihm am 30. Juni 1951 übermitteln:

„[…] Der Heilige Vater hat mich danach beauftragt, für die ihm zugedachte Aufmerksamkeit zu danken und Ihnen wie Ihrem künstlerischen Schaffen den Apostolischen Segen zu übermitteln […].“401

Zu diesem Zeitpunkt war Otto Pankok bereits von katholischer Seite mit dem Vorwurf der Blasphemie konfrontiert worden402, sodass ihm das übermittelte päpstliche Wohlwollen aus Rom gut tat. Der Holzschnitt wurde von protestantischer Seite wesentlich wohlwollender aufgenommen und als Versuch gewürdigt, künstlerisch aktiv in das Zeitgeschehen einzugrei- fen. 1950 bedankte sich der Theologe Martin Niemöller für den zugeschickten Holzschnitt. Otto Pankoks Freund, Berto Perotti, bezeichnete das Werk als „revoltierenden Christus“. Er berichtete, dass die „Friedensfreunde von Verona“ den Holzschnitt vervielfältigen ließen, um ihn, mit ihren „Zehn Geboten des Friedens“ versehen, in Stadt und Landkreis zu verteilen403. Dass sich Otto Pankok über die Teilung Deutschlands Gedanken machte, zeigt ein Brief, den sein Ost-Berliner Künstlerfreund Otto Nagel, Präsident der Deutschen Akademie der Künste in Ostberlin, 1961 an ihn richtete. Darin heißt es:

„Ende Januar findet in Weimar eine sehr interessante Zusammenkunft von Kulturmenschen aus ganz Deutsch- land und darüber hinaus aus vielen westlichen Ländern statt … Ich glaube, es ist Zeit, dass die Menschen, die sich verantwortlich fühlen, sich einmal treffen und unterhalten, denn stillhalten und die Dinge auf sich zukom- men lassen, ohne sich zur Wehr zu setzen, ist nicht richtig … Herzlich grüßt Dein Otto, der glücklich darüber ist, daß Du ihn Freund und Bruder nennst.“404

Mit Skepsis registrierte er die fortschreitende Industrialisierung im Nachkriegsdeutschland, einhergehend mit der Zersiedlung und Zerstörung alter, unberührter Landschaften und Dörfer. Auf dem Land, wohin sich der Künstler Zeit seines Lebens vom Trubel der Stadt zum Malen zurückzog, machten sich nun städtische Einflüsse bemerkbar. Moore wurden trocken gelegt und Industrieanlagen wuchsen in den Himmel405. Da ihm in den letzten Jahren seines Lebens, bedingt durch verschiedene Krankheiten, keine weiten Reisen in unberührte Landschaften

400 Rosa Rosinski, Künstlerinitiativen in der Zeit des „Kalten Krieges“, in Zwischen Krieg und Frieden, 91. 401 Abgedruckt in Cyrus Overbeck/Oliver Müller, Otto Pankok, 288. 402 Berto Perotti, Begegnung mit Otto Pankok, 40. 403 Berto Perotti, Begegnung mit Otto Pankok, 40. 404 Brief Otto Nagels vom 11. 1. 1961 abgedruckt in Hulda Pankok/Eva Pankok, Otto Pankok. Kohlegemälde, Holzschnitte, Radierungen, Plastiken, o.S. 405 Vgl. dazu auch Günter Goebbels, Otto Pankok 1893 – 1966, 52.

82 mehr möglich waren, empfand er den Verlust der ländlichen Idylle als gravierend. Eva Pan- kok berichtet, dass sich 1963 ihr mittlerweile kranker Vater noch einmal in das Emsland be- gab, wo die Familie die Kriegsjahre verbracht hatte. Doch auch diese Landschaft war vor der sich rasant entwickelnden Industrialisierung nicht verschont geblieben. Er vermied es, an das Flüsschen Hase zu gehen, wo er früher oft gemalt hatte:

„Sein geliebter Fluß war geschändet worden. Der Mensch hatte sich an ihm vergriffen und seinen natürlichen Lauf begradigt, seine Ufer verändert. Otto Pankok trauerte um ihn. Er wusste, daß dieser Eingriff nicht gut für die Natur war. Durch seine Augen war er mit der Natur so verbunden, daß er jede Störung direkt empfand. Er war seiner Zeit voraus.“406

Für Otto Pankok musste es scheinen, als würde ihm sein letztes Refugium genommen, in dem er ganz bei sich und seiner Kunst sein konnte. Am 22. August 1964 schrieb er an Rainer Zimmermann in zynischem Ton:

„Ich war mit Eva einige Tage unterwegs, um einen Sommeraufenthalt zu suchen. Es war fürchterlich. Das Land verdorben und laut. Wir sind ohne Ergebnis wieder in Esselt gelandet. Nun spiele ich mit dem Gedanken, ir- gendwo ins Industriegebiet zu gehen, da wo es am hässlichsten ist. Es würde mir vielleicht der Weg offenbart werden, den die Kunst gehen wird. Vielleicht!“407

Kurz vor seinem Tod scheint es, als wäre der Künstler der Resignation verfallen. Die großen Hoffnungen für eine bessere Nachkriegszeit waren enttäuscht worden. Stattdessen erlebte er allerorten menschliche Hybris408, die sich über die Schöpfung zu erheben schien.

„Diese Zeit ist fiebrig, wild und tief leidend, sie ist von gefahrvollen giftigen Bazillen durchseucht. Es ist, als wenn eine schwere dumpfe Luft auf allem lagere und alle geistigen Blüten zu ersticken drohe. Nicht einmal die Gewitter der Kriege und der Metzeleien brachten Zugwind, und Not und Hoffnungslosigkeit zwingen die meis- ten Gemüter, sich zur schwarzen und geschundenen Erde zu kehren, anstatt aufzublicken und nach dem verlore- nen Himmel Ausschau zu halten.“409

So musste der Künstler sehen, dass das Morden nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges in anderen Teilen der Welt unvermindert weiterging und es den Menschen unmöglich zu sein schien, sich ein gesundes Lebensumfeld zu bewahren. Kurz vor seinem Tod konstatierte er:

„Nach den Menschen und Landschaften erscheinen zum Schluß Maschinen, die die Landschaft auffressen. Pan ist verloren, so oder so, mit und ohne Krieg.“410

406 Eva Pankok, Otto Pankok und das Emsland, 7. 407 Otto Pankok am 22. 8. 1964 in einem Brief an Rainer Zimmermann, ediert in Ingrid von der Dollen, Im Wi- derstand gegen die Zeit. Malerbriefe an Rainer Zimmermann, 28. 408 Paul Tillich definiert Hybris als „die Selbsterhebung des Menschen in die Sphäre des Göttlichen“. In der Größe des Menschen steckt zugleich auch die Gefahr der Hybris. Für Paul Tillich wird Hybris am deutlichsten im Versprechen der Schlange, die Eva zusagte, dass sie Gott gleich sein werde, wenn sie vom Baum der Er- kenntnis isst. Paul Tillich, Systematische Theologie, Bd II,58f. 409 Otto Pankok, Unser Glaube an das Leben (1950), abgedruckt in Handzeichnungen, Druckgraphik, Plastik, 11. 410 Otto Pankok am 5. 5. 1966 in einem Brief an Rainer Zimmermann, ediert in Ingrid von der Dollen, Im Wider- stand gegen die Zeit. Malerbriefe an Rainer Zimmermann, 39. Das Briefzitat könnte mit Otto Pankoks Worten „stelle ich aus meinem Werk in Gedanken ein Buch zusammen“ den Verdacht nahe legen, dass der Künstler gar nicht an die Neuanfertigung von Bildern dachte, sondern vielmehr aus seinem reichen Bilderfundus Werke the- matisch geordnet zu einem Zyklus neu zusammenstellen wollte. Die Tochter des Künstlers bestätigte jedoch im

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Angesichts des grausamen Krieges in Vietnam erweiterte der Künstler in den letzten Wochen seines Lebens sein angestammtes Metier des Kunstschaffens und betätigte sich karitativ. Im Briefwechsel mit der Kommunalpolitikerin Martha Buschmann ist ersichtlich, dass Otto Pan- kok ihr 19 Handabzüge des Holzschnittes Haltet ein! (WH 767) am 1. September 1966 über- gab, die sie auf Kommission an fünf Stellen versandt, u.a. an die ″Hilfsorganisation Vietnam″ in Düsseldorf. Am 12. Oktober 1966 konnte sie berichten, dass pro Druck 300 DM auf das Konto der Hilfsorganisation eingegangen waren411. Aus den 1960er Jahren stammt ein Text, der Otto Pankoks Überlegungen zum neuerli- chen öffentlichen Aufleben nationalsozialistischen Gedankengutes wiedergibt. Dabei stellt er deutlich die Schuldfrage am vorangegangenen Krieg und verweist damit auf das unaufgear- beitete deutsche Erbe. Ganz klar sieht er, dass es die Mehrheit der stillschweigend akzeptie- renden Bevölkerung ist, die einer wirklichen Aufarbeitung der Nazizeit im Wege steht. Dem Künstler stellten sich zwei Fragen: „Wer trägt die Schuld?“ und „Was haben wir dagegen unternommen?“:

„Wir ließen doch zu, dass die alten Nazi-Erzieher wieder in die Schulen einzogen. Wir haben nicht aufgeschrie- en vor Empörung, als die Nazi-Henker sich wieder ihre Roben anziehen durften und mit christlicher Milde die alten Verbrecher mit Bewährungsfrist laufen ließen. […] Wir Deutschen haben uns nicht empört, als die Helden unserer traurigsten Zeit wieder ihre Orden hervorzogen. Wir sagten ihnen: kratzt das Hakenkreuzchen heraus und hängt sie euch wieder an den Rock und an den Hals. Das haben wir ihnen gesagt. Wir haben nicht aufge- schrieen gegen diese ungeheure parlamentarisch gedeckte Sünde. […] Wir sind verstockt in unserem Herzen. Wir sind das Volk ohne Reue. Nun wundern wir uns, dass Lümmel wieder die Gotteshäuser beschmieren und wieder bei Nacht und Nebel auf die Friedhöfe schleichen und dort ihr Unwesen treiben. Wundern wir uns wirk- lich?“412

Nach Ablauf seiner Lehrtätigkeit an der Düsseldorfer Kunsthochschule wollte sich der Künst- ler 1958 endgültig aus der Stadt zurückziehen. Die Familie suchte nach einem passenden Zu- hause, das sowohl dem Leben und Arbeiten der Tochter Eva als auch Otto Pankok entspräche. Noch im selben Jahr erwarben sie „Haus Esselt“ in Hünxe/Drevenack in der Nähe von Wesel. Das Haus liegt weitab des Dorfes und anderer Höfe, einsam zwischen Wiesen und Feldern und ist bis heute nur über Feldwege erreichbar. Cyrus Overbeck/Oliver Müller berichten, dass die Gesundheit des Künstlers zu diesem Zeitpunkt längst angegriffen war. Mehrere große ärztliche Eingriffe wurden nötig413. In den folgenden Jahren ging die Anfertigung großer

Interview mit der Verfasserin am 12. 04. 2008 im „Haus Esselt“, dass ihr Vater an einen Zyklus mit ganz neu geschaffenen Bildern dachte und bereits mit den ersten Arbeiten begonnen hatte. 411 Unveröffentlichter Brief vom 12. 10. 1966 von Martha Buschmann an Otto Pankok, einzusehen im Archiv des Otto-Pankok-Museums „Haus Esselt“ in Hünxe/Drevenack. In diesem Brief spricht Frau Buschmann zwei weitere Aktionen an, die Ende 1966 in Düsseldorf gegen den Vietnamkrieg geplant sind und erbittet dafür die tatkräftige Unterstützung von Otto und Hulda Pankok. Eine Antwort seitens Otto Pankoks ist im Archiv nicht einsehbar. 412 Textfragment eines Textes von Otto Pankok, überschrieben mit „Wer trägt nun die Schuld, fragt man”, un- veröffentlicht, undatiert, einzusehen im Archiv des Otto-Pankok-Museums „Haus Esselt“ in Hünxe/Drevenack. 413 Cyrus Overbeck/Oliver Müller, Otto Pankok, 303.

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Kohlebilder zugunsten kleinerer Grafiken zurück. Stattdessen intensivierte er nochmals seine Ausstellungstätigkeit, um seine Werke dem jüngeren Publikum nahe zu bringen. Am 20. Oktober 1966 starb Otto Pankok und wurde auf dem Dorffriedhof in Dreve- nack begraben. Obwohl er nach dem Ersten Weltkrieg nicht wieder in die Kirche eingetreten war, fand eine christliche Beerdigung statt.414 Nach seinem Tod begann Hulda Pankok damit, die Seitengebäude von „Haus Esselt“ als Otto-Pankok-Museum auszubauen, was am 8. Juni 1968 eröffnet werden konnte. Im selben Jahr wurde die Otto-Pankok-Gesellschaft mit der Aufgabe gegründet:

„[…] dem Werk des Künstlers in Deutschland und in der Welt neue Freunde zu gewinnen. Sie will bei der Ord- nung und Herausgabe des umfangreichen Nachlasses helfen und dazu beitragen, daß das Otto-Pankok-Museum zu einem Ausgangspunkt künstlerischer Impulse und geistiger Erneuerung wird.“415

Dass es sich bei dem Maler und Grafiker Otto Pankok aller historischen Umstände zum Trotz nicht ausschließlich um einen regional bedeutenden Künstler des westlichen Rheinlandes, speziell der weiteren Region Düsseldorfs, handelt, zeigen zahlreiche Preise, die er zu Lebzeiten erhielt und seine deutschlandweit verbreitete Ausstellungstätigkeit. Otto Pan- kok erhielt für sein künstlerisches Werk zahlreiche internationale Auszeichnungen, wie bei- spielsweise auf der Biennale in Sao Paolo, auf der ″Rhein-Sezession″ und von der Société Européenne de Culture416. Die Ausstellungstätigkeit führten nach dem Tod des Künstlers sei- ne Frau und seine Tochter fort. Ein Ausstellungshöhepunkt post mortem war 1990 die große Otto-Pankok-Ausstellung „Kunst im Widerstand“ im Bundeskanzleramt Bonn, zu der der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl ein Geleitwort schrieb417. Darin sprach er die Hoffnung aus, dass dieses künstlerische Werk „uns stete Mahnung bleiben soll“. Damit verwies Kohl auf die engagierte zeitkritische Aussage des Künstlers, die über den aktuellen Zeitbezug hin- ausreichend eine „tiefe humane Zuneigung zu allen Unterdrückten und Gedemütigten“ zeigt, wodurch Otto Pankoks Werk inhaltlich in unmittelbarer Nähe zu dem einer Käthe Kollwitz und eines Ernst Barlach steht.

„Was ihr durchblättert in meinem Werk, ist viel Armut. Viele Bilder von erniedrigten Menschen, verstoßenen Kindern, […] hingemordete Menschen und auf ihr Verhängnis wartende Juden, Hungernde und Frierende in armseligen Hütten, auf Stroh ausgestreckte Arme und tiefäugige Bettler. Zigeuner, viele Zigeuner, und Zigeu- nerkinder.“418

414 Eva Pankok meinte diesbezüglich am 12. 04. 2008 im Interview mit der Verfasserin im „Haus Esselt“, dass der örtliche Pfarrer erkannt habe, dass ihr Vater ein besserer Christ gewesen sei als manch anderer, der Mitglied in der Kirche war. 415 Rainer Zimmermann in einer Publikation des Otto-Pankok-Museums „Haus Esselt“, o. J. (ca. 1980 - 85), ohne Seitenangaben. 416 Kürschners Graphiker Handbuch, 222f. 417 Otto Pankok, Kunst im Widerstand, 5. 418 Otto Pankok zitiert im Faltblatt zur Otto Pankok Ausstellung „Der liebe Gott“ Otto Pankok. Ein Lehrer von Günter Grass“ im Günter-Grass-Haus in Lübeck.

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5. Der Künstler Otto Pankok – bildnerisches Schaffen in Schwarz und Weiß

5. 1 Nachexpressionist oder expressiver Realist?

Otto Pankok war zu jung, um dem Rheinischen Expressionismus anzugehören, der sich um die Person August Mackes herum entwickelt hatte. Er war aber alt genug, um als junger Mann zu den Kampfhandlungen des Ersten Weltkrieges eingezogen zu werden. Die Jahre zwischen dem Ersten und Zweiten Weltkrieg waren für viele Maler, die um die Jahrhundertwende ge- boren wurden, zu kurz, um sich einen Namen als Künstler zu machen, wie ihn sich ein Max Beckmann oder die Maler der Künstlervereinigung „Brücke“ erarbeitet hatten419. Nahezu un- bekannt ging diese jüngere Künstlergeneration in die zwölfjährige Schreckensherrschaft der Nationalsozialisten, wo ihr unvollendetes Werk vollends zerstört wurde oder nur unter erheb- lichen Gefahren und Mühen vervollständigt werden konnte. Sofern sie die Zeit des National- sozialismus als Person und Künstler überlebten, stand diese Generation nach 1945 recht alt an Jahren, als Künstler dagegen nahezu unbekannt da. Eine Möglichkeit, mit dem eigenen Kunstschaffen in den Vordergrund zu treten, bestand darin, sich im Westen Deutschlands der populären gegenstandslosen Kunst und im Osten dem sozialistischen Realismus anzuschlie- ßen. Alle Künstler, die das nicht taten und stattdessen einen individuellen Malstil herausbilde- ten, der in der Nachfolge der Klassischen Moderne stand und der Gegenständlichkeit ver- pflichtet blieb, wurden von der Öffentlichkeit im Nachkriegsdeutschland kaum wahrgenom- men.420 Der Kunsthistoriker Rainer Zimmermann spricht aus diesem Grund von der Kunst der „verschollenen Generation“421. Im Wesentlichen ist es mit der Person Rainer Zimmermanns verbunden, dass Otto Pankok heute als Künstler dem Expressiven Realismus zugeordnet wird. Mit dem Begriff ″Expressiver Realismus″ versuchte Zimmermann, realistische Tendenzen in eine Kunstströ- mung zusammenzuführen, die sich nach den deutlich expressiven Kunstrichtungen des Nach- kriegsdeutschlands in der vorwiegend deutschen Kunst finden ließen und lange Zeit nur unter den Sammelbegriff ″Nachexpressionismus″ zusammengeführt wurden.

419 Vgl. dazu Ingrid von der Dollen, Museum Expressiver Realismus, 7. 420 Vgl. dazu Ingrid von der Dollen, Museum Expressiver Realismus, 7. Die Autorin dokumentiert exemplarisch am Beispiel des Malers Wolfgang von Websky (1895-1992) das Schicksal so vieler seiner Generation: Wolfgang von Websky verlor 17 Jahre seines Schaffens durch Krieg, Gefangenschaft und Verwundung. Sein Frühwerk ging durch Vertreibung aus Schlesien vollständig verloren. 421 Claus Pese dagegen bezeichnet Rainer Zimmermanns Termini der „Verschollenen Generation“ als kunsthisto- risches Konstrukt, das sich bei genauerem Hinsehen in eine Vielzahl unterschiedlicher Einzelschicksale auflöst. Der Autor findet es fraglich, ob man Otto Pankok, über den nach 1945 43(!) Einzelpublikationen erschienen sind, einer „verschollenen Generation“ zurechnen kann. Claus Pese, Die Künstler der „Verschollenen Generati- on“ – Ein qualitatives oder ein quantitatives Problem für die Kunstgeschichte, 193.

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″Nachexpressionismus″ als exklusiver Begriff verneint, dass es sich bei dieser Art der Formensprache um ″reinen″ Expressionismus handelt, ohne einen neuen Gattungsbegriff prä- gen zu können. Zeitgenössische Kunstwissenschaftler sahen das Dilemma und unternahmen den Versuch einer topologischen Neubestimmung, für eine als einheitlich erkannte Strömung, die spätestens ab 1925 im Kunstgeschehen Deutschlands sichtbar wurde. 1939 stellte Fritz Schmalenbach, der spätere Museumsleiter von Lübeck, für die 20er Jahre eine Kunst fest, „die gleichsam die extremen Richtungen in sich gemischt und neutralisiert hat, eine mittlere, gemäßigte und außerordentlich einheitliche Malerei“422. Diese, von ihm erkannte Kunstströ- mung, stellte er unter den schwer verständlichen Begriff der ″Blinden Gegenständlichkeit″. Rainer Zimmermann griff diese unglückliche Bezeichnung neuerlich auf, womit diese ″andersartige″ Gegenständlichkeit beschrieben werden sollte und schuf in der Verbindung von Realitätsbezug und Traditionsbindung an den Expressionismus den Begriff des „Expres- siven Realismus“423. In der Zeit, als Otto Pankok die Professur an der Kunsthochschule in Düsseldorf innehatte, setzte er sich vehement gegen das dominierende Postulat der „gegen- standslosen Malerei“ zur Wehr424. Damit zeigte sich erneut, was Wilhelm Worringer 21 Jahre zuvor erkannt hatte; dass dieser Maler nicht als Produkt seiner Zeit gesehen werden kann, sondern als Einzelner betrachtet werden muss. Kurt Schifner behauptete 1958, dass Otto Pan- kok in der „Phalanx, die sich gegen die abstrakte Kunst richtet“425, eine führende Stellung einnimmt. Ihm gehe es um eine „moderne Kunst realistischer Auffassung“426.

„Von zweierlei Art ist die Kunst: sie kann sein die Darstellung des Geschehens, Wehens, Werdens und Zerbre- chens, und die Darstellung des Seins, des Insichruhens, des Versunkenseins und der Erwartung. Sie kann Farbe sein und Form, Erregtsein und Stille; Freude und Verzweiflung. Die Kunst kann politisch sein und sie kann sein wie Baum und Felsen. Die Kunst umfaßt alles. Wie die Welt ist sie ewig in ihrer Größe und ihren Möglichkeiten. Nur eins kann sie nicht sein: - abstrakt, so wie die Welt nicht leerer Raum sein kann.“427

Der Kunsthistoriker Wilhelm Worringer erinnert sich an seine erste Begegnung mit dem da- mals 33jährigen Künstler:

„Ich vergesse nicht, wie Otto Pankok zuerst vor meiner Haustür stand: ein Christophorus, der statt eines Baum- stammes die Riesenrolle seiner Blätter in der Hand hielt. Und als man sich in seine Blätter eingesehen hatte, sah man auch das Kind auf seiner Schulter. [Ich hatte das Gefühl] dieser Otto Pankok sei in die falsche Generation geraten. Das Publikum sagt von seinen Bildern: „antiquierter Expressionismus à la van Gogh“. Und geht weiter. Ein Nachahmer van Goghs? Nein, ein Blutsverwandter aus einer jüngeren Linie, die Handschrift seiner Familie schreibend, jene Handschrift, die unabänderlich in ihrer Grundstruktur ist. Unabänderlich als Ausdruckszwang einer typischen und überzeitlichen Haltung des Natur- und Welterlebens. […] Der Kunstgeschichtler, der nach

422 Fritz Schmalenbach, Gegenständliche Malerei (1939) in Kunsthistorische Studien, 47 zitiert in Rainer Zim- mermann, Umbrüche – Maler einer verschollenen Generation, 32. 423 Rainer Zimmermann, Umbrüche, 33. 424 Ulrich Schulte-Wülwer, Otto und Eva Pankok an der Flensburger Außenförde, Hasselberg 1957, 58. 425 Kurt Schifner, Otto Pankok, in Künstler der Gegenwart, 5. 426 Kurt Schifner, Otto Pankok, in Künstler der Gegenwart, 5. 427 Otto Pankok zitiert bei Rainer Zimmermann, Otto Pankok, 66.

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Entwicklungsbestätigungen sucht, hat bei ihm nichts zu suchen. Er ist nur monographisch, nur biographisch fassbar. Ein einsamer Einzelner, nicht die Stimme einer Zeit.“428

Willhelm Worringer anerkannte und würdigte damit gegen viele Stimmen seiner Zeit die Vorbilder Otto Pankoks, auf die dieser sich später in seinem schriftlichen Nachlass berief. Van Gogh gehörte damit nach eigenem Bekunden neben Rembrandt van Rijn, Jean Francois Millet und Emile Verhaeren zu seinen vier „Wahlverwandten“429. Im Buch „Stern und Blu- me“ beschreibt Otto Pankok, dass er seit seinen Kindertagen die Gewohnheit hatte, „in den Bildern des Holländers [Rembrandt, AdA]“ in Gedanken spazieren zu gehen, wenn er abends im Bett lag. Bezüglich Millet meinte er ebendort:

„Das Große und Einfache der Dinge und Menschen bei ihm zog mich magisch an, seine Wärme und sein Natur- gefühl, vor allem wohl, daß jedes Ding ein fester Teil der Natur war und zur gleichen Zeit ein fester Teil des Bildes.“430

5. 2 Stichwort Grafik

Durch die inhaltliche Ausrichtung dieser Arbeit muss vor allem dem grafischen Werk des Künstlers nähere Betrachtung zukommen, wozu, der künstlerischen Eigenart Otto Pankoks geschuldet, seine großformatigen Kohlebilder zählen. Trotz schwieriger Arbeitsbedingungen unter den Nationalsozialisten hat er ein umfangreiches künstlerisches Lebenswerk hinterlas- sen, das glücklicherweise vollständig erhalten geblieben ist431. Dazu werden über 5000 Koh- lebilder, ca. 800 Holzschnitte und mehr als 1000 unterschiedliche grafische Blätter gezählt. Hinzu kommen noch einige Hundert Plastiken, vor allem Bronzen. Innerhalb dieser religions- pädagogisch orientierten Arbeit soll ausgehend von der Intention und Zielstellung das plasti- sche Werk Otto Pankoks vollständig außer Acht gelassen werden. Gleiches gilt für die Pres- sezeichnungen, in denen er größtenteils Personen des damaligen Zeitgeschehens porträtier- te432. Im Mittelpunkt dieser Arbeit werden somit ausschließlich seine Holzschnitte, Lithogra- fien und Kohlebilder stehen, die sich für den Religionsunterricht eignen. Da unter den Radie- rungen keine geeigneten Motive gefunden wurden, wird auf dieses drucktechnische Verfahren nicht Bezug genommen werden. In den folgenden Unterpunkten dieses Abschnittes wird auf die drei künstlerischen Verfahren näher eingegangen werden, in denen der Künstler vorwiegend seine christlichen

428 Wilhelm Worringer in der Einführung zu einer Sammelmappe mit 24 Reproduktionen von Kohlebildern Otto Pankoks, zitiert bei Rainer Zimmermann in, Otto Pankok, 7. 429 Cyrus Overbeck/Oliver Müller, Otto Pankok, 47. 430 Otto Pankok, Stern und Blume, Nachdruck von 1987, 8. 431 Rainer Zimmermann, Kunst im Widerstand, 7. 432 Eva Pankok/Wolfgang Fenner, Otto Pankok. Die Pressezeichnungen, Werkverzeichnis Bd 4.

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Motive umsetzte. Darunter sind drei verschiedene Drucktechniken: der Holzdruck, der Stein- druck und die Steinätzung sowie als viertes grafisches Verfahren die Kohlezeichnung. Letzt- endlich geht es durchgängig um grafische Blätter, die für diese Arbeit von Bedeutung sind und die exemplarisch für den Religionsunterricht aufgearbeitet werden. Bei Otto Pankoks Kohlezeichnungen handelt es sich um eine malerische Darstellungs- form. Der künstlerische Ausdruck ist der speziellen Malweise des Künstlers geschuldet, mit der er die Kohle als künstlerisches Mittel handhabt. Deshalb wird in dieser Arbeit von seinen ″Kohlebildern″ gesprochen werden. Holzschnitt und Steinätzung gehören zu den Hochdruckverfahren. Durch mechanische (Holzschnitt) oder chemische (Steinätzung) Verfahren wird eine Art Flachrelief hergestellt. Darauf trägt der Künstler unter Zuhilfenahme einer Walze Druckfarbe auf, sodass harte Kon- traste in Schwarz und Weiß entstehen. Die Lithografie wiederum ist ein Flachdruckverfahren, das die malerische Variante der Druckgrafik darstellt und alle denkbaren Farbmodulationen von Weiß bis Schwarz erlaubt433. Alle genannten künstlerischen Verfahren stehen gleichbe- deutend im bildnerischen Œuvre des Künstlers und bilden in ihrer Zusammenschau ein ho- mogenes Gesamtkunstwerk.

5. 2. 1 Otto Pankoks Arbeitsweise innerhalb seines künstlerischen Schaffensprozesses

Die künstlerischen Verfahren, die sich im Gesamtwerk Otto Pankoks finden lassen, stehen in einem engen Zusammenhang und bedingen sich gegenseitig. Durch Rainer Zimmermann ist bekannt, dass der Künstler seine Kohlegemälde in der Natur anfertigte, solange es die Witte- rung zuließ. Das Mitglied der Künstlervereinigung ″Brücke″, Erich Heckel (1883-1970), be- schrieb, dass Otto Pankok in der Natur mit der Kaltnadel seine Motive direkt in die Platte ritz- te434. Die Wintermonate verbrachte er in seinem Atelier, um ausgewählte Motive in den ver- schiedenen drucktechnischen Verfahren umzusetzen. Rainer Zimmermann sagte zu dieser Kontinuität: „Jahrelang bestimmte dieser Rhythmus sein Schaffen wie ein Einatmen und Aus- atmen“435. Der Künstler selbst bezeichnete diese Wintermonate als seinen „Winterschlaf“, was heißen soll, dass die Produktion der Kohlebilder weitestgehend ruhte und einzelne Bildge- genstände in druckgrafische Verfahren umgesetzt wurden436. Auffällig ist dabei, dass er ein- mal gefundene Bildlösungen kaum noch veränderte. Aus größeren Bildwerken griff er Ein-

433 Susanne Timm, Die Druckgraphik von Otto Pankok, 66. 434 Mit Erich Heckel gemeinsam malte Otto Pankok 1921 an der Ostsee. 435 Rainer Zimmermann, Die Holzschnitte Otto Pankoks, 13. 436 Überliefert von Cyrus Overbeck/Oliver Müller, Otto Pankok, 293.

89 zelmotive heraus, um sie in der prägnanten Formensprache eines Holzschnittes oder der lyri- schen Art einer Lithografie umzusetzen. Exemplarisch kann eine solche ″lyrische Komponen- te″, die mit der Bildwirkung einer Lithografie einhergeht, am Beispiel des Blattes Predigen- der Christus (WL 54, 1934) aufgezeigt werden. Die Einzelfigur Christi ist umrahmt von einer Aura kleinster Pünktchen, die ihren Ursprung darin haben, dass Lithotusche fein zerstäubt auf den Stein gespritzt wurde. Solch eine Verfahrensweise findet man in seinem lithografischen Werk an verschiedenen Stellen. Es verhilft zu einer zarten, luftig leichten Bildwirkung. Die ätherische Aussage des Bildmotivs wird auf diese Art wirkungsvoll umgesetzt. Ebenso gestal- tete er die wehenden Gewänder der Engel, wie die Lithografien Weinende Engel (WL 55), Trauernder Engel (WL 59) und Engel mit Herz (WL 60) zeigen. Der Einsatz drucktechnischer Verfahren erlaubte es dem Künstler, Werke zu verviel- fältigen. Darüber hinaus ermöglichte es ihm die Vielfalt grafischer Ausdrucksmittel, sein ei- genes Werk immer wieder neu zu variieren:

„Man sollte die Kunst eigentlich nicht in Spezialgebiete einteilen, die sich durch die künstlerischen Techniken ergeben. Sähe man mehr auf den Sinn als auf die Entstehungstechniken, so würde sich alles das, was, wie man sagt, am Rande entstanden ist, harmonisch in ein Gesamtwerk einordnen – so wie viele jener Dinge und Wesen, die aus dem tausendfältigen Leben hereingerollt wurden, mit dem nächstliegenden Mittel, das einem zur Hand war.“437

Dafür spricht auch, dass Otto Pankok eine Technik nicht weiterverfolgte, wenn er eine andere fand, die seinem künstlerischen Anliegen besser entsprach. Das macht der Zeitrahmen deut- lich, in dem der Künstler die einzelnen Drucktechniken anwendete: Lithografie (1920-1947), Steinätzung (1951-1952) und Monotypie (1952-1960)438. Wie sich mit der Eigenart der Tech- nik die Aussage des Motivs verändert, lässt sich in seinem Gesamtwerk gut nachvollziehen, wenngleich das für den Künstler nebensächlich gewesen zu sein schien, wie das oben stehen- de Zitat zeigt. Aus seinen Kohlebildern entnahm er Einzelmotive, um sie als Holzschnitt in ihrer Bildsprache nochmals prägnanter werden zu lassen, oder als Lithografie lyrisch – poetischer, stimmungsvoller. Dabei konnten viele Jahre vergehen, bis sich Otto Pankok dazu entschloss, ein Motiv in einer anderen Technik nochmals wiederzugeben. Die von ihm geschaffenen Fi- guren blieben offenbar im Bildgedächtnis des Künstlers präsent und waren jederzeit abrufbar. 1934 begann Otto Pankok die Holzschnittserie der Zigeuner mit dem Kopf der Gaisa (WH 70) und lässt sie drei Jahrzehnte später wieder mit einem Gaisa – Kopf (WH 730) enden. Im No- vember 1964 er in einem Brief an Rainer Zimmermann mit knappen Worten den neuerlichen

437 Otto Pankok im Jahr 1961 zitiert bei Susanne Timm, Die Druckgraphik Otto Pankoks, 66. 438 Vgl. dazu Werkverzeichnis der Lithographie, Steinätzungen und Monotypien.

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Druck des Gaisamotivs: „Heute ist die Gaisa dran!“439. Es ist anzunehmen, dass mit der Wie- deraufnahme einzelner Motive dem Künstler seine Modelle abermals gegenwärtig wurden. Im Frühjahr des darauf folgenden Jahres berichtet er nämlich:

„Kürzlich war ich mit Eva in Düsseldorf. Da hatte ich ein fürchterliches Erlebnis. Ich schrieb Ihnen ja von der letzten Begegnung mit Gaisa und ihrer schönen Tochter „Roswitha“. Und nun traf ich Roswitha Lafontaine wie- der, spindeldürr mit einem strohtrockenen Haarschopf, blaugeschlagenem Auge und 3 Kindern in einer Bude von vielleicht 4 m² Ausdehnung aus dünnen Brettern zusammengeschlagen. Ein Double der früheren Gaisa, alle Schönheit dahin, grausig. […] Und die Gaisa, die auch da irgendwo haust, habe ich leider nicht angetroffen. […] Ich werde auf alle Fälle noch mal hinfahren […] Wenn ich nicht so ein altes Klappergestell wäre, so würde ich mir da irgendwo einen Arbeitsplatz wieder einrichten.“440

Ein schönes Beispiel für Otto Pankoks erneute Aufnahme alter Motive sind die Folge- arbeiten des Kohlegemäldes Spukgeschichten441, das 1933 bei den Zigeunern des Heinefeldes entstand. Das Kohlebild (99 x 148) zeigt drei kleine Zigeunerkinder, die gebannt zu Füßen eines älteren Mädchens sitzen und mit offenen Mündern ihren Geschichten lauschen. Zehn Jahre später, 1943, schuf er von drei der vier dargestellten Kinder kleinere Holzschnitte (WH 168, WH 169, WH 181), wobei er es bei den Köpfen beließ. Auf eine Eigenart bei der Motivvorgabe im Werk Otto Pankoks weist in ihrer Disser- tation Susanne Timm hin. Sie fand während ihrer Recherchearbeiten im Archiv des Otto- Pankok-Museums Hünxe/Drevenack eine NS–Propagandaschrift mit dem Titel „Der Unter- mensch“442. Der Künstler muss 1942 diese Hetzschrift in die Hand bekommen haben und war von den Fotos der dargestellten russischen Juden so erschüttert, dass er eine Reihe vorlagege- treuer Kohlebilder malte, u.a. Das Warten (1942), Bisprisorni (1942) und Weinende Frau (1942)443. Durch das Herauslösen der Motive aus dem verleumderischen Zusammenhang werden die Bilder zur Anklage menschlicher Würde und Schicksalhaftigkeit. Das ″Bild vom Bild″ erfährt damit eine neuerliche Transformation seiner Bedeutung: Otto Pankok verleiht den anonymen Menschen, die durch die Fotos im Kontext einer NS–Propagandaschrift Schändung erfahren haben, neue Würde, indem er ihr Antlitz in einen künstlerischen wertfrei- en Kontext setzt, der sie in ihrem Menschsein belässt. Aus rassekundlichem Anschauungsma- terial werden so ergreifende Menschenbilder mit künstlerischem Anspruch. Anstatt im rasse- ideologischen Kontext können die Bilder im Ambiente eines Kunstmuseums betrachtet wer-

439 Ingrid von der Dollen, Im Widerstand gegen die Zeit. Malerbriefe an Rainer Zimmermann, 32. 440 Otto Pankok im März 1965 in einem Brief an Rainer Zimmermann, ediert in Ingrid von der Dollen, Im Wi- derstand gegen die Zeit. Malerbriefe an Rainer Zimmermann, 34. 441 U.a. in Hulda Pankok/Eva Pankok, Die Holzschnitte. Werkverzeichnis, 13 und im Ausstellungskatalog des Kunstvereins Göttingen zur Otto Pankok Ausstellung 13. April – 11. Mai 1986 im alten Rathaus Göttingen. 442 Die NS-Zeitschrift ist dort im Original vorhanden und einsehbar. 443 Alle abgedruckt in Gegenüberstellung zu den Fotovorlagen in Susanne Timm, Die Druckgraphik Otto Pan- koks, 92 – 103. Vor allem das Kohlebild Bisprisorni (150 x 100) ist eines der bekannteren Bilder Otto Pankoks. So war es beispielsweise Coverbild des Ausstellungsmaterials anlässlich der Otto Pankok Ausstellung 2007 in Lübeck.

91 den, wie beispielsweise 2007 in Lübeck geschehen, wo einige dieser nach Vorlagen gemalten Bilder ausgestellt waren. Ausgehend von diesen Kohlebildern fertigte er nachfolgend mehr- fach Druckgrafiken an, wie den Holzschnitt Weinende (WH 149) aus dem Jahr 1942. Die immergleiche Abfolge der Arbeitsschritte macht deutlich, dass die Kohlemalerei für ihn die primäre Arbeitstechnik war, wofür die ungeheure Anzahl von über 5000 Blättern spricht. In der großformatigen Kohlemalerei fand der Künstler zu seinen Motiven und Bildlö- sungen, im Holzschnitt fand er zu einer nochmals gesteigerten Ausdruckskraft444. Im Folgenden sollen die künstlerischen Verfahren Otto Pankoks nähere Erläuterung finden, in denen die exemplarisch aufgearbeiteten Bildbeispiele des neunten Kapitels ausge- führt sind. Den quantitativen Schwerpunkt der exemplarischen Auswahl geeigneter Bilder im Bereich der Kohlebilder zu setzen, rechtfertigt neben Kriterien des Inhaltes und der Bildquali- tät zugleich die Bedeutung der Kohlebilder für das Gesamtschaffen Otto Pankoks. Hinzu kommen die Verfahren des Holzschnittes, der Lithografie und der Steinätzung. Nicht ange- sprochen werden aus den oben erwähnten Gründen sein komplettes plastisches Werk, seine Monotypien und Radierungen.

5. 2. 2 Malen mit Kohle – Otto Pankoks immanente Farbigkeit

Die Kohlebilder Otto Pankoks sind von ihrer Machart her und in ihrer Bildwirkung einzigar- tig, weshalb sie innerhalb der kunstwissenschaftlichen Betrachtung wiederholt widersprüchli- chen Beurteilungen ausgesetzt waren. Es existieren verschiedene Auffassungen darüber, um was es sich bei ihnen eigentlich handelt. Seit 1913 sah sich der Künstler mit Missdeutungen und Ablehnung unter den Kunstwissenden konfrontiert. Der Direktor der Hamburger Kunsthalle, Pauli, antwortete Otto Pankok 1913, betref- fend der Anfrage, ob die Möglichkeit besteht, in Hamburg auszustellen:

„Wenngleich ich das ernste Studium in Ihren Zeichnungen nicht verkenne, so bin ich zu meinem Bedauern doch nicht in der Lage, Ihnen ein sehr günstiges Urteil über sie aussprechen zu können. Als Studien vermag ich den Wert dieser großen Formate nicht ohne weiteres einzusehen, andererseits kann ich aber auch nicht finden, dass die Arbeiten sich als freie Kunstwerke über den Bereich der Studien erheben.“445

Angesichts ihrer teilweise immensen Größe (100 x 130 bis 150 cm sind vor allem im Spät- werk Otto Pankoks keine Seltenheit) stellte sich die Frage, ob Otto Pankok ″Zeichnungen″ im klassischen Sinn schuf, da seinen Bildern vielmehr die Wucht und Präsenz monumentaler Gemälde anhaftete. Andererseits weigern sich manche Kunsttheoretiker von ″Bildern″, von

444 Ein eindrucksvolles Beispiel dafür ist der Holzschnittkopf Kitzla (WH 283) von 1948, abgedruckt in Elefan- ten Press, 115. Hier verhilft die Technik des Holzdruckes dem Porträt des jungen Mädchens zu gesteigerter ex- pressiver Ausdruckskraft, wie es bei den Kohlebildern Otto Pankoks nicht vorkommt. 445 Brief zitiert bei Cyrus Overbeck/Oliver Müller, Otto Pankok, 62.

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″Malerei″, oder gar von ″Gemälden″ zu sprechen, da der Künstler seine Bildwerke aus- schließlich in Kohle ausführte, was traditionell ein grafisches Mittel ist. In der Literatur lassen sich verschiedene Bezeichnungen finden: Kohlezeichnung, Kohlebilder, Schwarz-Weiß- Bilder mit Kohle446 bzw. Kohlegemälde447 und sogar Helldunkelgemälde448. Ulrich Schulte-Wülwer sieht in Otto Pankoks Hauptwerk, den Kohlezeichnungen, „[Pankoks, AdA] originären Beitrag zur Kunst der Klassischen Moderne. Hierbei handelt es sich um metergroße Überformate, die den Charakter von Gemälden besitzen“449. Damit geht Ulrich Schulte-Wülwer noch 2005 (!) in seiner Würdigung dieses künstlerischen Werkes auf die Ambivalenz zwischen Zeichnung und Gemälde ein, ohne eine brauchbare Lösung anbie- ten zu können. Wenn Kunstwerke lediglich den „Charakter von Gemälden“ besitzen, fragt man sich, was sie dann sind. Letztendlich doch eher Zeichnungen? Zeichnungen jedoch gelten traditionell als eine Vorstufe des eigentlichen Kunstwerkes, i.S. von Vorarbeit und Skizze, wie die deutlichen Worte des Direktors der Hamburger Kunsthalle zeigen. Die Tochter Otto Pankoks hat dazu ihre eigene Meinung. Sie erzählt, dass ihr Vater immer nur von seinen ″Zeichnungen″ sprach und sie nie etwas anderes dachte, als dass er ″zeichne″. Die findet den Begriff ″Gemälde″ zu aufgebauscht für die Arbeiten Otto Pankoks, wenngleich sie zugeben muss, dass er mit seiner Art zu zeichnen, Bildwirkungen erzielte, die denen von Gemälden ähneln450. Dafür spricht, dass auch sie gelegentlich in Texten über das Werk ihres Vaters den Begriff ″Kohlegemälde″ verwandte451. Das Einmalige am bildnerischen Schaffen Otto Pankoks ist zweifelsohne, dass er seit 1909 (!) keinen Gebrauch von Farben machte und ausschließlich in Schwarz-Weiß arbeitete. Kohle setzte er dabei als grafisches und malerisches Mittel ein. Neben der scharf gezeichneten Linie in tiefstem Schwarz, die in ihrer Härte und Präzision der eines Holzschnittes ähnelt, lassen sich weiche, lasierte Flächen finden, die malerisch die ganze Palette der Grautonwerte zwischen Weiß und Schwarz auszuloten versuchen. Dadurch erreicht Otto Pankok Bildwir- kungen, die für Kohlezeichnungen völlig ungewöhnlich sind und viel eher einem Aquarell452

446 Vgl. dazu Geschichte der deutschen Kunst, 1918 – 1945, 277. 447 So z.B. bei Rudolf Dehnen, Zigeuner 1985/86. In seinem Ausstellungskatalog von 1985 spricht Rudolf Deh- nen durchweg von Kohlegemälden, ohne allerdings deren Größe anzugeben. Damit schaffte er einen Wider- spruch in sich. Durch die mehrfach verkleinerte Reproduktion geht im Katalog ohne Größenangabe die Monu- mentalität der Werke verloren, sodass es sich optisch wieder um „Zeichnungen“ handelt. Der Begriff „Gemälde“ darf meines Erachtens nur benutzt werden, wenn dem Leser oder Betrachter die Möglichkeit gegeben wird, die originale Größe der Werke nachzuvollziehen. 448 Bei Ludwig Benninghoff, Otto Pankok, in Blätter der Kunstrunde Heft 1, 14. 449 Ulrich Schulte-Wülwer, Otto und Eva Pankok an der Flensburger Außenförde, 57. 450 Eva Pankok am 12. 04. 2008 im Interview mit der Verfasserin im „Haus Esselt“. 451 Vgl. dazu Eva Pankok, Otto Pankok und das Emsland, 5. 452 Dass Otto Pankok mit seinen Kohlegemälden tatsächlich täuschend echt den Eindruck unterschiedlichster Maltechniken erwecken konnte, zeigt ein Beitrag in der Bildenden Kunst von 1955 (Heft 3), in dem das Kohle- bild Die Predigt am Ufer des Sees, Nr. 27 der Passion, als Aquarell vorgestellt wird.

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(vgl. Nebelsonne von 1957) oder einer Lithografie (vgl. Selbstbildnis von 1957453) entspre- chen. Indem er das grafische Mittel der Kohle malerisch einsetzt, löst er die klassischen Gen- regrenzen zwischen Zeichnung und Malerei auf. Obwohl er ausschließlich innerhalb des Schwarz-Weiß Spektrums verbleibt, schafft er dreidimensionale Bildräume mit enormer Tie- fe. Auf jedem Bild lassen sich irgendwo innerhalb des Bildraumes eine rein weiße Fläche und eine tiefschwarze Form ausmachen. An diesen beiden extremen Farbwerten orientiert sich der Betrachtende des Bildes im malerisch erzeugten Bildraum beim optischen Durchschreiten des Pankoksche Universums der Grauwerte. Das ist vor allem an den Fördebildern, seinen groß- formatigen Landschaftsbildern, die 1957 entstanden, gut zu beobachten. Dabei muss Otto Pankok außerordentlich zügig gearbeitet haben. Eva Pankok erinnert sich, dass auf einer Ma- lerreise mit ihrem Vater ein bis zwei großformatige Bilder täglich (!) entstanden454. Von Gustav Friedrich Hartlaub, der 1932 in der Kunsthalle Mannheim eine große Ausstellung mit Werken des Künstlers organisierte, stammt ein zwar origineller, doch recht hilflos anmutender Erklärungsversuch für Otto Pankoks Vorliebe des Schwarz-Weißen. Hart- laub führte dessen Abwendung von Farbe auf eine tragische Behinderung zurück:

„[Pankok ist] im physiologischen Sinn, farbenblind. Dieser angeborene Mangel hat ihn zeitlebens veranlasst, auf das Ausdrucksmittel der Farbe so gut wie ganz zu verzichten. Da nun aber dieser Künstler keineswegs nur eine graphische oder zeichnerische Begabung besitzt, sondern die Anlage zu einem Maler im eigentlichen Sinn in sich spürt, da er den Ehrgeiz und das Vermögen hat zum großen inneren und äußeren Format und zu wirklich bildhafter Durchführung, hat Otto Pankok sich niemals auf Zeichnung, Radierung und Lithographie beschränken können, sondern sich ein ungewöhnliches und einzigartiges Ausdrucksmittel selbst geschaffen: das große, in Kohle ausgeführte „Schwarzweiß-Bild.“455

Nach Auffassung Hartlaubs handelt es sich bei den Kohlebildern um eine Art „bildnerische Prothese“, die das physische Unvermögen des Künstlers im Umgang mit der Farbe kompen- sieren half. Otto Pankok widersprach dieser Interpretation seines Werkes aufs Heftigste, je- doch ohne Erfolg456. Die Mär von der Farbblindheit hielt sich hartnäckig, sodass sie bei Paul Ferdinand Schmid in der „Geschichte der modernen Malerei“ (1952) zu lesen ist:

„Ihm versagte eine angeborene Augenschwäche – die Unmöglichkeit, Farben zu unterscheiden – den üblichen Weg der Darstellung; und so gelangte er zu einer eigenartigen Bildform in reinem Schwarz-Weiß.“457

Auffallend ist, wie reizvoll einigen Kunsthistorikern die Erklärung einer physischen Behinde- rung erscheint, anstatt die Bildwerke als Produkt einer bewusst getroffenen künstlerischen Entscheidung anzuerkennen. Dessen Kohlebilder als kausale Zwangsläufigkeit eines Mangels

453 Beide im Bildanhang von Ulrich Schulte-Wülwer, Otto und Eva Pankok an der Flensburger Außenförde. 454 Vgl. dazu Ulrich Schulte-Wülwer, Otto und Eva Pankok an der Flensburger Außenförde, 64. Am 12. 04. 2008 erzählte Eva Pankok der Verfasserin während eines Interviews im „Haus Esselt“, dass ihr Vater ca. fünf Stunden für ein Kohlebild brauchte und jedes Bild zügig und ohne Pause durcharbeitete. 455 Gustav Friedrich Hartlaub, Otto Pankok in, Die Kunst 1935, 252 – 256. 456 Ulrich Schulte-Wülwer, Otto und Eva Pankok an der Flensburger Außenförde, 57. 457 Paul Ferdinand Schmid, Geschichte der modernen Malerei, 202.

94 darzustellen, ignoriert vollkommen den ureigenen kreativen künstlerischen Entscheidungs- prozess des Künstlers. Seine Kunst kann unmöglich unter dem Primat des Ölgemäldes ver- standen und gewürdigt werden. Mit seinem Schaffen wich er ab vom „üblichen Weg der Dar- stellung“458. Damit war er ein ″moderner″ Künstler und seiner Zeit voraus. Er vermochte es, tradierte Genregrenzen aufzulösen und neue künstlerische Verfahren zu finden. Vielleicht irritiert die Konsequenz dieser gestalterischen Entscheidung, da der Künstler tatsächlich seit 1909 bis zu seinem Tod 1966 nie wieder mit Farben arbeitete. Ganz am Ende seines Schaf- fens, im Januar 1963, schrieb er:

„Mir schwebten bestimmte Landschaften und Menschen vor, die ich darstellen wollte und die mir eigentlich immer noch vorschweben. Dazu brauchte ich nur meine Schwärzen und Graus; und daran hat sich nichts geän- dert.“459

Rainer Zimmermann betont, dass diese früh gefallene Entscheidung Otto Pankoks „ein radikal antiästhetischer Entschluss“ war460. Die einzigen Farben, die er in seinen Bildwerken über- haupt zuließ, waren gebrochene Grün- und Ockertöne einzelner Holzdrucke und die verschie- denen Farbwerte des Druckpapiers. Kurt Schifner sprach angesichts dieser vorherrschenden Kontinuität im Werk des Künstlers von „früher Reife“461 und nur wenige erkannten in der bewusst gewählten Beschränkung nicht den Mangel, sondern das einzigartig Große. Zu ihnen gehörte Wilhelm Worringer:

„Seine Zeichnungen haben so viele Tonwerte, daß er uns Farbe suggeriert und aus Zeichnungen Gemälde wer- den. […] Seine Schwarz-Weiß-Palette ist so blühend reich, daß er unserer sinnlichen Vorstellung mit ihr auch die glühendsten Farbillusionen suggerieren kann. Ich kenne wenige, die das Geheimnis immanenter Farbigkeit tiefer erfaßt haben.“462

5. 2. 3 Geschnittenes Holz - der Holzdruck im Gesamtwerk Otto Pankoks

Rainer Zimmermann ist der Auffassung, dass die großformatigen Kohlebilder den Hauptteil des grafischen Werkes Otto Pankoks ausmachen. Dagegen komme seinen Holzschnitten we- gen ihrer weiteren Verbreitung die größere Bedeutung zu. Keine andere Technik entsprach dem antiästhetischen Anspruch des Künstlers, wie die des Holzschnittes. Die Begrenzung der bildnerischen Mittel auf Fläche und Linie kam seinem Streben nach größtmöglicher Formen- sprache entgegen. Durch die Grobheit des Handwerkzeuges und des Materials liegt dem Holzschnitt eo ipso etwas Archaisches inne. Die strenge, klare Formensprache unterstütze die Suche des Künstlers nach der Wahrheit im Bildmotiv und fand am besten in überzeugenden,

458 Paul Ferdinand Schmid, Geschichte der modernen Malerei, 202. 459 Otto Pankok zitiert bei Rainer Zimmermann, Im Widerstand gegen die Zeit, 9. 460 Rainer Zimmermann, Im Widerstand gegen die Zeit, 9. 461 Kurt Schifner, Künstler der Gegenwart – Otto Pankok, 5. 462 Wilhelm Worringer 1927, zitiert bei Ulrich Schulte-Wülwer, a.a.O., 58.

95 eindeutigen Linien und Formen seinen Ausdruck. Das ließ ihn bis zu seinem Tod die körper- lich schwere Arbeit am Holzstock ausführen. In keiner anderen Technik konnten seine Motive zu solcher Ausdruckskraft finden. Dabei beschränkte er sich nicht auf glatt geschliffenes, weiches Sperrholz, das eigens für den Kunstbetrieb angefertigt wird, sondern griff zu allen Hölzern, die sich ihm boten463. Das konnten alte Bretter, vom Wind gegerbte Planken, Teile von Möbeln oder die berühmte Tür der Düsseldorfer Kunsthochschule sein. Für die Auswahl schien vor allem eine ausdrucksstarke Maserung des Holzes ausschlaggebend zu sein, da die- se als Textur im späteren Druck eine wichtige Gestaltungsfunktion übernahm. Solcherart na- turgewachsenes Holz lässt sich nur unter großer körperlicher Anstrengung künstlerisch bear- beiten, da häufig gegen die Maserung gearbeitet werden muss. Die Kraft muss dabei gut do- siert sein, damit Formgebungen möglich bleiben464. Da Otto Pankok als Künstler zeitlebens in seiner Formensprache weniger nach der Schönheit der dargestellten Personen und Dinge suchte, sondern vielmehr nach der ihnen ei- genen Wahrheit, war es nahe liegend, dass er sich dem Holzschnitt zuwandte. Spätestens seit den künstlerischen Bemühungen der Brücke-Künstler trat die Technik des Holzschnittes aus einem Jahrhunderte währenden Nischendasein der Volkskunst heraus. Jeder Künstler, der in seinem Schaffen nach gesteigertem expressiven Ausdruck suchte, bediente sich fortan des Holzschnittes. Es war folgerichtig, dass Otto Pankok seine politisch motivierten Werke der späten Jahre Christus zerbricht das Gewehr (WH 344) und Haltet ein! (WH 767) in der for- malen Technik des Holzschnittes schuf. Somit stellte er durch die Wahl des Verfahrens seine Werke wieder in die Tradition der politischen Plakate und Handzettel. Otto Pankok schnitt nach dem Ersten Weltkrieg erste Motive in Holz. Rainer Zim- mermann gliederte dessen Holzschnitte nachfolgend in vier Entstehungsphasen. In der ersten Phase, die er von 1919 bis 1923 ansiedelt, beschäftigte sich der Künstler ausschließlich mit dem Porträt. Bewusst bediente er sich in dieser Anfangsphase der expressionistischen For- mensprache. Demgegenüber stehen in einer nachfolgenden Phase, die von 1936 bis 1939 an- dauerte, seine Darstellungen der Zigeuner und der Passion. Sie werden in der Folgezeit zu Dokumenten der Gewaltherrschaft der Nationalsozialisten. Die dritte Holzschnittphase, die Rainer Zimmermann von 1942 bis 1943 ansetzt, hat hauptsächlich die tristen Motive der Kriegsjahre zum Inhalt. Vor allem widmete sich der Künstler in dieser Zeit dem Schicksal der Juden. In diese dritte Phase fielen die ersten Versu- che, mit zwei Farben zu drucken. Ab dem Jahr 1947 begann seine vierte und längste Schaf-

463 Hulda Pankok/Eva Pankok, Die Holzschnitte. Werkverzeichnis, 11. 464 In einem englischsprachigen Katalog wurde treffend auf „the staccato rhythms“ in Otto Pankoks Holzschnit- ten hingewiesen, vgl. dazu Otto Pankok. Woodcuts, 1.

96 fensphase des Holzschnittes. Sie reicht bis an sein Lebensende. In ihr griff der Künstler ganz verschiedene Themen auf. Von vielen Kohlebildern, die in der Zeit bei den Zigeunern auf dem Heinefeld entstanden, fertigte er Holzschnitte an. Hinzu kamen neue Porträts und eine große Anzahl von Tierbildern. Nach seinen Kohlegemälden fertigte Otto Pankok Vorzeichnungen an, die er mit kräf- tigen Linien auf die Schwarzplatte des Holzstockes übertrug465. Die Holzdrucke waren den Kohlegemälden durch die gleich bleibende Hell-Dunkelverteilung ähnlich. Auffallend ist, dass er in seiner Übertragung auf die Schwarzplatte die Motive nicht spiegelte, sodass er sie schließlich seitenverkehrt zum Originalkohlebild druckte. Aus diesem Grund sind alle Drucke Otto Pankoks seitenverkehrt zu dem Originalbildgegenstand des Kohlebildes. Warum er das tat, darüber kann nur spekuliert werden. Ein Grund könnte in seinem antiästhetischen Bestre- ben liegen. Da es ihm nie um das nach allen Regeln der Kunst durchkomponierte Bild ging, sondern immer um den Gehalt des Dargestellten, kann es gut möglich sein, dass es ihm schlicht egal war, in welche Richtung z.B. ein Kopf schaute. Er befand sich mit seinem Kunstwollen mental viel näher am Bildgegenstand als am letztendlich fertigen Bild. Das ist gut nachzuvollziehen als es ihm wichtig erschien, die Zigeunerin Gaisa nach Jahrzehnten er- neut auf Papier zu bringen. Overbeck/Müller stellen bezüglich dieser Vorgehensweise fest, dass ein Teil der künstlerischen Arbeit Otto Pankoks in einer „permanenten Wiederbelebung der Motive“ bestand466. Dies ließe vermuten, dass es dem Künstler um die sentimentale Wie- derholung von bereits Geschaffenem ginge; vielleicht sogar aus Mangel an neuen Eindrücken. Otto Pankoks Motivation war jedoch eine andere. Das zeigt sich darin, indem er versuchte, den Ausdruck des Motivs durch die Variation des künstlerischen Verfahrens zu steigern. Die ins Holz geschnittenen Kinderköpfe wirken eindrücklicher und expressiver als die vielfiguri- gen Gruppenszenen der Kohlebilder. Es scheint zwangsläufig, dass der Künstler neben der relativ getreuen Entnahme von Motiven aus der Vorlage der Kohlebilder manche seiner ge- druckten Holzschnitte weiterentwickeln musste. So kam es vor, dass er Figuren viele Jahre später noch einmal in Holz schnitt und druckte, so, als hätte er erst gestern eine Begegnung mit ihnen gehabt. Am auffälligsten ist das an der Figur des Papelon zu beobachten, einem jungen Zigeuner, den er in der Siedlung des Heinefeldes kennenlernte. Ihn porträtierte Otto Pankok zu Beginn der 30er Jahre mehrfach, bevor er 30 Jahre später (!) abermals einen nicht alternden Papelon (Papelon II, WH 655) in Holz schnitt. Mit dem Holzschnitt der Gaisa ver-

465 Rainer Zimmermann, Die Holzschnitte Otto Pankoks, 13. 466 Cyrus Overbeck/Oliver Müller, Otto Pankok, 283. “Daß es sich um seine liebsten Modelle handelte, braucht man kaum hinzuzufügen. Was er liebte, wollte er sich immer wieder vor Augen führen; er wollte herausfinden, ob es nicht in einer anderen Technik noch besser zur Geltung kam.“

97 fuhr er ähnlich. Im März 1965, im Jahr vor seinem Tod, berichtete Otto Pankok Rainer Zim- mermann:

„Den letzten Gaisaholzschnitt habe ich etwas geändert. Ich habe rechts das Gemüse abgeschnitten. Er ist jetzt viel wuchtiger und einfacher […].“467

Rainer Zimmermann bezeichnet Otto Pankok als den „Meister des Motivs“, der sich frühzeitig dazu entschlossen hatte, auf die Schönheit der Farbe zu verzichten. Beim Holz- schnitt, der von sich aus abstrakter und flächiger ist, gibt er diese Enthaltsamkeit auf. Unge- fähr ein Drittel seiner Holzschnitte, 260 Stück, sind Farbholzschnitte468. Verschiedene Ton- werte nimmt er bewusst hinzu, um das Motiv der Drucke zu vertiefen. Ab Mitte der 1950er Jahre, in der Zeit seiner Lehrtätigkeit an der Düsseldorfer Kunstakademie, entstehen schließ- lich die größten Holzschnitte (100 x 70 cm), die in ihrer Monumentalität Wandbildcharakter besitzen. Der größte Holzschnitt mit einer Höhe von zwei Metern (!) blieb dabei ein Selbst- porträt, das er an der Düsseldorfer Schule in eine ausrangierte Holztür schnitt469. Solche Maße sind für Holzschnitte ungewöhnlich. Vergleichbares lässt sich nur noch im grafischen Werk HAP Grieshabers (1909-1981) finden470. Damit eröffnet sich eine weitere Parallele zwischen Otto Pankoks Holzdrucken und Kohlebildern. Die klassische Kohlezeich- nung entwickelte er zum Kohlegemälde weiter. Mit dem Holzschnitt verfuhr der Künstler ähnlich. Mit einigen seiner späten Holzschnitte bezog er politisch Stellung. In ihrer formalen Präsenz und inhaltlichen Aussage gewinnen diese noch einmal an Schärfe. Auf sie trifft das zu, was Hulda Pankok in frühen Jahren über die Kunst ihres Mannes sagte:

„Das einzige, was Otto Pankok uns zeigt, ist auf die Wahrheit loszugehen, die schwer zu ertragen ist.“471

5. 2. 4 Bemalter und geätzter Stein - Lithografie und Steinätzung im Gesamtwerk Otto Pankoks

Die Lithografie ist ein relativ junges Flachdruckverfahren, das erst 1798 erfunden wurde. Die Möglichkeit, ohne den Widerstand des Materials zu arbeiten und somit den glatt geschliffenen Stein als Bildträger im künstlerischen Arbeitsprozess verwenden zu können, revolutionierte die Ausdrucksmöglichkeiten der Druckgrafik472. Erstmals entstanden dadurch Drucke, die

467 Otto Pankok im März 1965 in einem Brief an Rainer Zimmermann, ediert in Ingrid von der Dollen, Im Wi- derstand gegen die Zeit. Malerbriefe an Rainer Zimmermann, 34. 468 Hulda Pankok/Eva Pankok, Die Holzschnitte. Werkverzeichnis, 13. 469 Rainer Zimmermann, Otto Pankok. Das Buch der Holzschnitte, Einführung o. S.. 470 Hulda Pankok/Eva Pankok, Die Holzschnitte. Werkverzeichnis, 18. 471 Hulda Pankok 1927 über ihren Mann Otto Pankok, zitiert in Günter Wilke, Von Kunst und Wissenschaft, 14. 472 Vgl. dazu Jürgen Zeidler, Lithographie und Steindruck, 7.

98 malerischen Charakter besaßen. Vor allem das 19. Jahrhundert gehörte künstlerisch ganz der Lithografie. Beispielhaft kann das am umfangreichen lithografischen Werk Henri de Tou- louse-Lautrecs (1864-1901) aufgezeigt werden. Noch im 20. Jahrhundert blieb dieses Verfah- ren von Bedeutung. Zu Lebzeiten Otto Pankoks beschäftigten sich vor allem Lovis Corinth (1858-1925) und Marc Chagall (1887-1985) mit den Ausdrucksmöglichkeiten der Lithografie. Das Werkverzeichnis der Lithografien dokumentiert, dass Otto Pankoks erste lithogra- fische Arbeit 1920 auf dem Höhepunkt seiner kurzen, radikal expressionistischen Phase ent- stand. Das Blatt zeigt einen Mann in Uniform (WL 1) und entstammt wohl noch der künstleri- schen Auseinandersetzung mit dem vorangegangenen Krieg. In diesem ersten Jahr schuf der Künstler noch drei weitere lithografische Blätter. In loser Folge entstanden in den nachfol- genden Jahren weitere lithografische Arbeiten bis das letzte verzeichnete Blatt 1947 die Trau- ernde Ringela (WL 73) zeigt. 1951 fertigte Otto Pankok seine erste Steinätzung an. Dabei übertrug er das Verfahren des Ätzens einer Metallplatte auf Kalkstein, um Radierungen anzufertigen. Die erste Arbeit in diesem Verfahren zeigt ein Pferd vor dunklem Himmel (WSt 74). Durch den chemischen Pro- zess des Ätzens bilden sich ähnlich wie beim Holzdruck Höhen und Tiefen in der Steinplatte. Überall dort, wo der Stein durch den säureresistenten Malgrund nicht geschützt ist, wird er weggeätzt. Auf diese Art entsteht ein flaches Halbrelief, das gedruckt werden kann. Er ging davon aus, ein neues drucktechnisches Verfahren entwickelt zu haben, bis er erkennen muss- te, dass die alten Chinesen diese Technik auf ganz ähnliche Art angewendet hatten473. Da- durch, dass Otto Pankok den säureresistenten Malgrund mit dem Pinsel vermalte, schuf er malerisch anmutende Drucke mit weich fließenden Linien. Er rieb die Drucke direkt mit der Hand ab, ohne eine Presse zu verwenden474. Dies erlaubte ihm, noch während des Druckvor- gangs Einfluss auf das Druckergebnis auszuüben. Dort, wo er mehr Kraft ausübte, wurde der Druck intensiver, strich er nur leicht darüber, konnte er in verschiedenen Graustufen nuancie- ren. Dieses Verfahren schien ihn als Ausdruck seines künstlerischen Wollens zu überzeu- gen, weshalb er innerhalb nur eines Jahres 88 Arbeiten realisierte475. Danach fertigte er nie wieder Steinätzungen an, denn er entdeckte, dass mit der Monotypie ganz ähnliche Bildwir- kungen zu erzielen waren. Diesem Durchdruckverfahren blieb er schließlich bis an sein Le- bensende treu, wie seine letzten Monotypien aus dem Jahr 1960 zeigen. Allesamt stellen sie Selbstbildnisse des alternden Otto Pankok dar.

473 Susanne Timm, Werkverzeichnis der Lithographien, Steinätzungen und Monotypien Otto Pankoks, 10. 474 Susanne Timm, Werkverzeichnis der Lithographien, Steinätzungen und Monotypien Otto Pankoks, 11. 475 Susanne Timm, Werkverzeichnis der Lithographien, Steinätzungen und Monotypien, 7.

99

Otto Pankoks Steinätzungen sind dahingehend interessant, als dass der Künstler häufig die gewachsene oder gebrochene Steinkante als Motivbegrenzung benutzte. Das heißt, dass viele seiner Steinätzungen (vielleicht sogar die meisten) unregelmäßige Abmaße und Begren- zungskanten besitzen. Susanne Timm meint, dass der Künstler durch das zerstörte Düsseldorf der Nachkriegszeit zog und zerbrochene Marmor- und Kalksteinplatten sammelte, die er für seine druckgrafische Arbeit benötigte476. Otto Pankok beließ es bei diesen Bruchstücken, worin künstlerische Absicht steckt. Er begradigte das Format nicht. Mitunter ist das Format nicht einmal annähernd viereckig. Eben- so lassen sich sechseckige Formate, fünfeckige oder vollkommen unregelmäßige finden. Sol- cherart unregelmäßige Steine sind nur durch Handabreibung zu drucken, soll eine vollständi- ge Umrisslinie erhalten bleiben. Mit dieser Beobachtung drängt sich die Vermutung auf, dass sich der Künstler den zur Verfügung stehenden Stein erst besah und dann entschied, welches Motiv sich durch seine individuelle Form nahe legte. Demnach überließ er das Format seiner Werke dem Stein selbst. Der Stein als Bruchstück findet seine Entsprechung in der Bruch- stückhaftigkeit des durch ihn realisierten Motivs. Beides steht pars pro toto für etwas viel Größeres. Diese Drucke wirken lebhaft und anrührend. Kaum ein Format gleicht dem ande- ren. Oftmals entschied sich Otto Pankok für Tierdarstellungen, was der organischen Form des Steines nahe kam. Beispielsweise drängt sich ein mächtiger Stier (WSt 128, 1952) in ein fünf- eckiges Format, die Fläche komplett ausfüllend. Eindrucksvoll zeigt solcherart Umgang mit dem verfügbaren Format die Steinätzung Toter Christus (WSt 106, 1952), die in ihren gänz- lich unregelmäßigen Abmaßen die Wirkung einer ″Totenmaske″ ausweist. Solcherart gestalterische Entscheidungen innerhalb des künstlerischen Arbeitsprozes- ses können als spielerische, experimentellere Variante zu einer dem konträr, entgegenstehen- den Vorgehensweise gesehen werden. Neben den unregelmäßigen Formaten lassen sich klas- sische, viereckige Formate finden. Mitunter wurde das eigentliche Motiv noch zusätzlich durch einen festen Rahmen begrenzt, wie es beispielsweise die Lithografie Apokalyptisches Tier (WL 71) aus dem Jahr 1942 zeigt. Gleiches lässt sich bei dem Blatt Eifernder Prophet (WSt 125, 1952) beobachten. Durch das regelmäßige Format wirkt die Figur des Propheten stark gefestigt und sicher im Raum stehend.

476 Susanne Timm, Werkverzeichnis der Lithographien, Steinätzungen und Monotypien Otto Pankoks, 8.

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5. 3 Otto Pankoks kunsttheoretische Position

Viele der Werke Otto Pankoks sind im herkömmlichen Verständnis nicht ″schön″ zu nennen. Zerfurcht und kantig schauen die Gesichter seiner Figuren, durch die Formensprache des Holzschnittes oftmals noch um ein Vielfaches gesteigert (Vgl. dazu als Beispiele die Holz- schnitte Raklo stehend (1936, WH 71), Papelon, liegend (1936, WH 78) und Papelon II (1960, WH 655)). Wie unförmige Kolben stehen Nasen im Gesicht, oder die Perspektive auf die Figur ist geradeso gewählt, dass man meint, ihr von unten in beide Nasenlöcher hinein- schauen zu können. Bei manchem Selbstporträt drängt sich die Frage auf, was wohl dem Künstler daran gelegen habe, sich nicht vorteilhafter darzustellen. Zwischen wilden kantigen Linien sind da manches Mal kaum noch menschliche Züge erkennbar. Rainer Zimmermann schreibt Otto Pankok zu, dass dieser „alles andere als bloß ′schöne Malerei′“477 wollte. In die- ser Aussage bezieht sich Rainer Zimmermann auf einen Beitrag, den Otto Pankok 1929 schrieb:

„Heute suchen die Besten unter den Malern nach jenem Etwas, das mehr ist als schöne Malerei. Es ist jene vierte Dimension – es ist etwas, das man nicht aussprechen kann, das uns zwang, den Beruf des Malers zu ergreifen – es ist die Unbegreiflichkeit der Welt und des Lebens […].“478

Otto Pankok hegte mit seinem eigenen Kunstschaffen und in seiner Kunstbetrachtung von „Anfang an ein tiefes Misstrauen gegen alles Ästhetische“479. Seine Absage an jede Form des Ästhetisierens war radikal und konsequent. 1922 schrieb er in seiner berühmt gewordenen „Aprilpredigt“:

„[…] Man sucht nach Malerei und nicht nach Wahrheit. Auf die Wahrheit aber kommt es an, und die Malerei kommt dann ganz von selbst. Nach diesem blufflosen Ausdruck der Wahrheit muß gesucht werden, nach dieser Idee, sie ist das Fundament und Baumaterial. Unser Glaube ist hin, unser Wissen zerschmolz [...] für uns blieb nur eins: Handeln, auf die Wahrheit losgehen. Ob das schön ist? – Was soll uns das?“480

Rainer Zimmermann ist sich sicher, dass für Otto Pankok die Kunst „kein Reich der Schön- heit, sondern ein Reich der Wahrheit“ war481. Mit seinem Verständnis vom Suchen nach der Wahrheit in der Kunst und in den Dingen stand Otto Pankok noch ganz in der Tradition der jungen Kunsterneuerer der Jahrhundertwende. Er war in diesem Sinn viel weniger ″Gestalter″, als dass er involviert war in einen künstlerischen Entstehungsprozess. Zwar ver- dinglichte sich das Kunstwerk mithilfe des Künstlers, doch vollzog sich solch ein Schaffens-

477 Rainer Zimmermann, Im Widerstand gegen die Zeit, 9. 478 Otto Pankok 1929 in einem Beitrag für die Juryfreien in Berlin 1929, zitiert bei Rainer Zimmermann, Im Widerstand gegen die Zeit, 9. 479 Rainer Zimmermann, Im Widerstand gegen die Zeit, 8. 480 Otto Pankok, Aprilpredigt 1922, u.a. zitiert bei Rainer Zimmermann, Im Widerstand gegen die Zeit, 9. kom- plett abgedruckt in Ulrich Krempel, Am Anfang: Das Junge Rheinland, 33f. 481 Rainer Zimmermann, Im Widerstand gegen die Zeit, 10.

101 prozess unabhängig von seiner Persönlichkeit, vielmehr erwuchs die Form aus den inneren Notwendigkeiten heraus. Wassily Kandinsky formulierte das 1912 im Almanach „Der Blaue Reiter“:

„Und ebenso relativ ist die Form selbst. So ist die Form auch zu schätzen und aufzufassen. Man muss sich so zu einem Werk stellen, dass auf die Seele die Form wirkt. Und durch die Form der Inhalt. Sonst erhebt man das Relative zum Absoluten. […] das wichtigste in der Formfrage ist das, ob die Form aus der inneren Notwendig- keit gewachsen ist oder nicht.“482

In diesem Sinn hatte sich Otto Pankok von zwei Richtungen abzugrenzen: Zuallererst und am deutlichsten von der Propagandakunst des Nationalsozialismus, die in ihrer reaktiven For- mensprache eines übersteigerten Neoklassizismus einem Menschenbild huldigte, das der Par- teiideologie der Nazis entsprach483. Mit staatlich geförderter Kunst sollten nationalsozialisti- schen Tugenden wie dem Heroischen, dem Heldischen, dem Kämpferischen, dem Arischen gehuldigt werden. Das darin enthaltene Menschenbild hatte sich an den Rassevorstellungen der Nationalsozialisten zu orientieren484.

„Es kam so weit, daß die Kunst wie die Kleidermode ihre Fähnchen wechselte. Als die Maler (ich spreche hier von dem Gros der Maler) diese Situation endlich klar erkannt hatten, da war es schon zu spät, da stand das Un- tier Hitler vor der Tür, und das Kriminelle bemächtigte sich mit der ihm verbundenen Sentimentalität und Dummheit der Fabrikation der Rasse- und Blut- und Bodenbilder und der Herstellung heroischer Marmorfiguren „gewaltigsten Ausmaßes.“485

Zum zweiten positionierte sich Otto Pankok deutlich gegen eine Bewegung auf die ungegenständliche Kunst zu, die er als einen tragischen Irrtum des Geistes betrachtete486. Otto Pankoks Maxime lautete: „Die Kunst kann Radau vertragen, aber sie ist nicht Radau!“487

„Ihr, die ihr zuhört, aus Zeitvertreib und Spiel oder missleitet und verirrt, eines Tages werdet ihr euch erbrechen, als hättet ihr Kot gegessen. […] Für den Maler heißt dies nichts anderes als: genug Organisation, genug Witze, genug Erfindungen, genug Wichtigtuerei, genug Eitelkeit, genug Doesburg, genug Marinetti, genug Surrealisme 488 – und mehr Gedanken, größere Dichte, mehr Gehalt, mehr Wahrhaftigkeit.“

Rainer Zimmermann ist der Auffassung, dass Otto Pankok als Vertreter einer „huma- nen Kunst“489 glaubte, die gegenstandslose Kunst sei ein Experiment, und das Spiel mit den bildnerischen Mitteln diene dem Ziel, sich des Formendiktates durch die Nationalsozialisten

482 Wassily Kandinsky, Über die Formfrage (1912), abgedruckt in Klaus Lankheit, Der Blaue Reiter, 142. 483 Vgl. dazu u.a. Reinhold Hohl, Abstraktion und Verbildlichung. Die offizielle Skulptur in den totalitären Staa- ten, 1020. 484 Ein größerer Gegensatz zu Otto Pankoks Menschenbild kann kaum gedacht werden. Man veranschauliche sich in diesem Zusammenhang heroisierten Figuren Arno Brekers (1900-1991), z.B. Die Partei (1938), in Rein- hold Hohl, Abstraktion und Verbildlichung. Die offizielle Skulptur in den totalitären Staaten, 1021. 485 Otto Pankok, Unser Glaube an das Leben (1950), abgedruckt in Handzeichnungen, Druckgraphik, Plastik, 13. 486 Vgl. dazu Rainer Zimmermann, Im Widerstand gegen die Zeit, 10. 487 Otto Pankok 1922 in seiner „Aprilpredigt“, veröffentlich im „Jungen Rheinland“, zitiert bei Rainer Zimmer- mann, Vom Gegenstand in Pankoks Kunst, 9. 488 Otto Pankok 1922 in seiner „Aprilpredigt“, veröffentlich im „Jungen Rheinland“ am 1. April 1922, zitiert bei Rainer Zimmermann, Vom Gegenstand in Pankoks Kunst, 9. 489 Rainer Zimmermann, Vom Gegenstand in Pankoks Kunst, 10.

102 zu entziehen. In diesem Sinn hielten Vertreter der gegenständlichen Malerei den Ausflug ins Abstrakte für eine lässliche, vorübergehende Episode, die mit einem festen Ziel verbunden war. Umso größer war ihr Erstaunen, in welcher Geschwindigkeit sich die abstrakte Kunst nach dem Zweiten Weltkrieg ausbreitete und sich mit einem Ausschließlichkeitsanspruch zu konstituieren begann. Es ist nicht zu übersehen, dass Otto Pankok keinerlei Anstrengung un- ternahm, sich dem geistigen Gehalt der ungegenständlichen Kunst zu nähern. In dieser Hin- sicht blieb er bis zu seinem Tod unbelehrbar490. In Otto Pankoks bildnerischem Werk ist kein Bemühen um weiterführende Abstraktion nachweisbar, außer der, die eo ipso jedem Kunst- schaffen inhärent ist, da jede Art des Kunstschaffens bezüglich zur Natur eine Abstraktion darstellt. Der sich in immenser Geschwindigkeit entwickelnde Kunstmarkt hatte auf den Künst- ler abschreckende Wirkung. In vielen Werken der zeitgenössischen Kunst sah er Scharlatane- rie, wofür übermäßig viel Geld bezahlt wurde. Kurt Schifner zitiert einen Traum Otto Pan- koks, den dieser 1960 niederschrieb. Darin schwatzt ein populärer Vertreter der zeitgenössi- schen Malerei der Stadtverwaltung Gelsenkirchens für eine unerhörte Summe den Neuan- strich einer Wand mit gewöhnlicher Wandfarbe als modernes Kunstwerk auf. Bei der Enthül- lung entlarvt ihn Otto Pankok in einem Redebeitrag:

„ ″[…] nachdem du es nun fertig bekommen hast, eine ganze Stadt mit all ihren Würdenträgern und allen ihren Steuerzahlern […] an der Nase herumzuführen und die vielen Bündel Tausender für simple Anstreicherarbeit in deine Tasche zu praktizieren, nachdem die von dir so heiß erstrebte Million jetzt wahrscheinlich voll geworden, bitte ich dich im Namen der Kunst, deine ernste Miene abzulegen und jetzt und hier vor aller Welt zu erklären: Die Farbe nennt man in unserer Muttersprache … blau! ″ Ich vernahm nur noch Wortfetzen: >>Gebt ihm! … raus mit dem Kerl! …. Ein Nazi!<< […] Man riß mich an den Kleidern mit hundert Händen und zerrte mich nach links und rechts […] Dann flog ich, verdammt noch mal, auf die Straße […].“491

Zwei Jahre später sah sich Otto Pankok in fataler Weise an seinen Traum erinnert. Im No- vember 1962 schrieb er:

„Mein Traum geht jetzt genau in Erfüllung. Die Stadt Gelsenkirchen hat im Theater tatsächlich ein großes blaues Rechteck aus Schaumgummi aufgehängt. Der Erfinder, Yves Klein, hat dafür 75. 000 DM erhalten.“492

In Otto Pankoks Traum und seiner Entsprechung in der Realität werden zwei Dinge deutlich: Zum einen fühlte sich Otto Pankok kurz vor seinem Tod aus dem zeitgenössischen Kunstbe- trieb ausgeschlossen. In seinem Selbstverständnis sah er sich als einsamer Rufer, der unbeirr- bar und mutig gegen die neuesten Moden des Kunstbetriebes anging. Er ist es, der sich get-

490 Otto Pankoks Argumentationswege entsprachen in ihrem Inhalt den „kleinbürgerlich – banausischen State- ments gegen die abstrakte Kunst“, die der Autor Jost Hermand als eines von drei populären Lagern nach 1947/48 ausmachte. Dabei beton der Autor, dass Gegenargumente dieser Art auch von Künstlern kamen, die an der ge- genständlichen Kunst festhielten. Jost Hermand, Avantgarde und Regression, 136f. 491 Kurt Schifner, Otto Pankok, 178. 492 Otto Pankok im November 1962 zitiert bei Kurt Schifner, Otto Pankok, 178.

103 raute, die Wahrheit zu sagen; er ist es, der den Schwindel der zeitgenössischen Kunst benennt. Und wieder sah sich Otto Pankok, wie schon zur Zeit des Dritten Reiches, einer namen- und gesichtslosen Masse gegenüber: diesmal „dem Publikum“, das „aus tausend Kehlen“493 schreit, wogegen der Einzelne nicht anzukommen vermag. Zum zweiten zeigt sich hier, wie schon in der „Aprilpredigt“494 von 1922, Otto Pankoks Sicht auf einige seiner Künstlerkolle- gen. Ihre Werke entsprechen mitnichten seinem Verständnis von Kunst, weshalb er sie nicht „Künstler“ zu nennen vermag. Für ihn sind sie „Erfinder“495. In seinen Augen waren sie au- ßerstande, Kunstwerke als Resultat eines künstlerischen Schaffensprozesses und in andauern- der Auseinandersetzung mit der sie umgebenden Umwelt hervorzubringen. Sie begnügten sich mit dem „Erfinden“ neuer „Spielereien“496. Diese scheinbar eruptiv hervorbrechende Kreativität widersprach zutiefst dem beharrlich-konstanten Arbeiten Otto Pankoks. Im Kunst- verständnis Otto Pankoks war solch ein künstlerisches Arbeiten weit entfernt von der Kunst eines Ernst Barlachs, das von einer Quelle gespeist wurde, deren Finden für „uns Menschen dieser qualvollen Zeit kein größeres Geschenk“497 sein könnte.

„Diese zappelnden und hysterischen Konjunkturkünstler und Modephilosophen werden uns nicht erretten kön- nen, so wenig wie die, man möchte fast sagen blasphemischen Politiker, die auf der Menschheit seit Jahren her- umpeitschen. Und doch wird der verwirrte Wanderer heimfinden, wenn ihm plötzlich durch den dichten Nebel das Licht erscheint, das ihm aus dem Güstrower Atelier erstrahlt.“498

Otto Pankok hatte 1930 „Des Malers 10 Gebote“499 formuliert, denen er bis an sein Lebensende treu blieb und die dem Credo seines eigenen Werkes entsprachen. Das dritte Ge- bot verweist auf Otto Pankoks künstlerisches Fundament: „Du sollst einen Baum für wichti- ger halten als eine Erfindung von Picasso!“ Bezug nehmend auf dieses Gebot schrieb Wil- helm Worringer Otto Pankok zu: „Er selbst ist ein Stück Wald, das sich wachsen lässt“500. Mit der Geduld, die vonnöten ist, um einen Wald wachsen zu sehen, beobachtete Otto Pankok das hysterische Kunstgeschehen, das ihm wie eine „ameisenhafte Krabbelei“ vorkam. Ihm war die „Zeit zu schade“, um Stellung zu nehmen. „Es wären Schläge ins Wasser“, sehe er sich genö- tigt, sich dazu äußern zu müssen.

„Wir müssen Geduld üben, wir müssen zu der grossen Geduld kommen, die über diese Zeit hinaus in die Ferne reicht, in irgendeine Zeit hinein, wo der Veitstanz in sich selbst zusammenbrechen wird. Ich gebe zu, dass man

493 Vgl. dazu Otto Pankoks Traum von 1960 zitiert bei Kurt Schifner, Otto Pankok, 178. 494 Otto Pankok, Aprilpredigt, u.a. zitiert bei Rainer Zimmermann, Vom Gegenstand in Pankoks Kunst, 9 kom- plett abgedruckt in Ulrich Krempel, Am Anfang: Das Junge Rheinland, 33f. 495 Vgl. dazu Otto Pankok im November 1962 zitiert bei Kurt Schifner, Otto Pankok, 178. 496 Vgl. dazu Jost Hermand, Avantgarde und Regression, 137. 497 Otto Pankok „Ich denke an den vereinsamten Barlach.“, o.S. 498 Otto Pankok „Ich denke an den vereinsamten Barlach.“, o.S. 499 Otto Pankok veröffentlichte diese Gebote erstmals 1930 in seinem Werk „Stern und Blume“. 500 Wilhelm Worringer 1927 in der Einführung zu einer Sammelmappe mit 24 Reproduktionen von Kohlebildern Otto Pankoks, 7.

104 in der heutigen ameisenhaften Krabbelei leicht verwirrt ist und durch Diskussion Klärung sucht, gerade im jetzi- gen Augenblick, wo die Menschen abgebrüht sind und die Sensationen nicht mehr ziehen. Die „moderne“ Kunst, ja, die steckt in einer Sackgasse […] Nur faule Köpfe bemühen sich, modern zu sein […].“501

Otto Pankok, der unbeirrt am Gegenständlichen festhielt, wurde von vielen Seiten eine restaurative Haltung unterstellt, als jemandem, für den die Kunstgeschichte mit van Gogh und Cézanne beendet war. Vielleicht hätten ihn als gefestigtem Künstler solche Vorwürfe nichts ausgemacht, allerdings zwang ihn seit 1947 sein Amt als Professor an der Kunstakademie in Düsseldorf mehrfach, zum innerdeutschen Kunstgeschehen öffentlich Stellung zu beziehen. In solchen streitbaren Schriften bewies der Künstler, dass zu seiner Beharrlichkeit ein hoher Grad an Reflexionsfähigkeit hinzukam. Einen seiner kritischsten Texte „Unser Glaube an das Leben“ schrieb er 1950 für das Jahrbuch (1948-50) der Staatlichen Kunstakademie Düssel- dorf. In diesem Text wird seine kunstphilosophische Haltung sichtbar:

„L´art pour l´art, das heißt Kunst in luftleeren Raum, Kunst abstrahiert, das heißt abgezogen, vom Leben abge- zogen, wie das Fell vom Hasen. Fort mit dem Braten, uns genügt das Fell. […] Abstrakt sind nur die Mittel der Kunst, abstrakt ist ihre Technik, denn die Kunst ist keine Imagination der Natur. So war es von jeher seit der ersten menschlichen Kunstbetätigung, und so wird es immer sein in dieser Welt, solange die Menschen die Fä- higkeit haben werden, die große Einheit des Seins zu empfinden. […] Abstrakt malen ist ein Abgleiten ins Spiel, ein Ausweichen vor der Wahrheit in unkontrollierbare Gefilde. Der Maler abstrakter Gebilde begibt sich in einen Raum, in welchem anscheinend die Freiheit herrscht, aber es ist nur die Willkür, die sich anmaßt, Freiheit zu heißen. Es ist die Freiheit in einem leeren Raum, in einem menschenleeren Land.“502

Diese Einstellung änderte Otto Pankok bis zu seinem Lebensende nicht. Im Jahr vor seinem Tod lässt er ironisch wissen:

„Beim Zerschneiden eines Fehldruckes entstanden die beifolgenden abstracta. Man könnte diese Blätter sehr schön bei einer Neuauflage [des Buches, AdA] als Vorsatzpapier benutzen. Zum Text brauchte man bei dem Passus über die abstrakte Kunst nur zu vermerken: „Siehe Vorsatzpapier!“ Damit wäre diese Vorkunst an ihrem richtigen Bestimmungsort angelangt.“503

Diese Abwertung der abstrakten Kunst als „Vorkunst“ zeigt, welchen Wert ihr Otto Pankok beimaß: Der Künstler kann solche „Vorkunst“ ruhig herstellen – als Spielerei oder als Übung vor dem eigentlichen Kunstschaffen. Die Spielereien oder Übungen dann aber in den Stand von ″Kunst″ zu erheben, hielt Otto Pankok für Scharlatanerie. Das sah er in erster Linie unter einer schöpfungstheologischen Perspektive: In seiner unbeugsamen Liebe zur Natur, zu Tier und Mensch, zur ganzen Schöpfung, erkannte er nur Konkretes und Belebtes. Der Künstler stand durch seinen christlichen Glauben in einem innigen Verhältnis zu seiner Umwelt; zu der ihn umgebenden Landschaft, den Tieren, Pflanzen und den Menschen.

501 Undatiertes Brieffragment, welches Otto Pankok unter die Überschrift „Die moderne Kunst in einer Sackgas- se?“ stellte, einzusehen im Archiv des Otto–Pankok–Museums „Haus Esselt“ Hünxe/Drevenack. 502 Otto Pankok, Unser Glaube an das Leben, 38f. 503 Otto Pankok am 29. 8. 1965 in einem Brief an Rainer Zimmermann, ediert in Ingrid von der Dollen, Im Wi- derstand gegen die Zeit. Malerbriefe an Rainer Zimmermann, 39.

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Das Universum der ihn umgebenden Schöpfung konnte in seinen Augen nicht abstrakt sein. „Abstrakt“ stand für ihn synonym zu seelenlos, leer und unbelebt.

„Nur eins kann sie [die Natur, AdA] nicht sein: - abstrakt, so wie die Welt nicht leerer Raum sein kann.“504

Dass er dabei in seinem eigenen Werk sehr wohl zu einem hohen Grad der Abstraktion in der Lage war, beweisen viele seiner Holzschnitte, wie beispielsweise das Fragment Christuskopf (WH 82a) aus dem Jahr 1936, der ein Teildruck des Holzschnittes Kruzifix zur Passion (WH 82A) ist und die bereits erwähnten Holzschnitte des jungen Zigeuners Raklo. Otto Pankok sah sich in direkter Beziehung zu allem, was ihn umgab. Sah er, wie ein Tier gequält wurde, empfand er physisch den Schmerz der gepeinigten Kreatur505. Sah er, wie einstmals malerische Landschaft der Industrialisierung zum Opfer fiel, betraf ihn das persön- lich und unmittelbar506. Der Künstler näherte sich den Dingen und Lebewesen mit großem emotionalem Engagement voller Empathie507. Er wollte mit seiner Kunst nicht ein distanzier- ter Betrachter bleiben, der das Geschehen um ihn herum auf abstrakter Ebene reflektiert. Viel eher empfand er unmittelbar und mit allen Sinnen. Darin wollte sich Otto Pankok als Künstler vom „Erfinder“508 unterscheiden. Dem Erfinder unterstellte er, sich Effekte auszudenken509, mit denen er das Publikum verblüffen konnte. Kurt Schifner sagte ihm diesbezüglich nach:

„Ihm erschien jegliche Abkehr vom Nährboden der Realität als untragbar. Zürnend beklagte er das ungeheure Phänomen, dass gewisse Maler den Dingen, den herrlichen Dingen, den Pflanzen, den Tieren, den Menschen, den Wundern der Welt den Rücken zuwenden wollen. Das Blutlose und kalt Ertüftelte in der ihn umgebenden Kunstgeschäftigkeit empörte ihn.“510

Sein lebenslanges Suchen nach der Wahrheit in allen Dingen, nach dem ureigenen Wesen von Tieren, von der Natur und vom Menschen, musste ihn am konkreten Gegenstand festhalten lassen. Ihm war wichtig, dass die Kunst primär vom Figürlichen auszugehen und sich damit auseinander zu setzen habe. Undenkbar schien es Otto Pankok, dass er ein künstlerisches Su- chen losgelöst vom Gegenstand angestrengt hätte. Das war für ihn ohne jeden Reiz, da es nicht seiner Sicht auf die Welt entsprach. Sicherlich ist darin eine seiner Schwächen zu sehen, da er andere mögliche Sichtweisen auf die Dinge der Welt nicht gelten ließ. Es bleibt unüber-

504 Otto Pankok zitiert bei Rainer Zimmermann, in Otto Pankok, 66. 505 Vgl. dazu den anklagenden Holzschnitt Christus und das Tier (WH 457) und Otto Pankoks Brief vom 25. 11. 1955 an Papst Pius XII., zitiert bei Kurt Schifner, Otto Pankok, 175. 506 Vgl. dazu Eva Pankok, Otto Pankok und das Emsland, 7. 507 „Alle Liebe im Leben zusammen ist die Liebe zu Gott, die Liebe zu Frau, Kind, Eltern, Freund, die Liebe zur Musik, zu den Domen und Bildern, zu den Gedichten und Romanen, die Liebe zu Tieren und Pflanzen, Mond, Sonne und Meer, die Liebe zu den Armen, die Liebe zu den Heiligen und den Guten, die Liebe zum Material und dann noch die Liebe zum Schaffen. Alles sind Verzweigungen an einem Baum. Alle Liebe zusammen ist die Liebe des Menschen zu Gott.“ Otto Pankok, An meine Freunde (1937), Nachdruck von 1968, 3. 508 Vgl. dazu Otto Pankok im November 1962 zitiert bei Kurt Schifner, Otto Pankok, 178. 509 Otto Pankok, An meine Freunde (1937), Nachdruck von 1968, 5. 510 Kurt Schifner, Appell an das Gewissen, 398.

106 sehbar, dass er sich Entwicklungen der zeitgenössischen Kunst gegenüber verschloss. Sein Unverständnis darüber drückte er zumeist in Briefen, adressiert an Gleichgesinnte, aus. An Rainer Zimmermann schrieb er:

„Sie tun mir sehr leid, daß Sie zu dem Dokument nach Kassel fahren müssen. Sie soll noch durchgedrehter sein als die vorige […].“511

Otto Pankok hielt die Loslösung vom Gegenstand für gefährlich, da sich in seinen Augen der Künstler somit von seiner eigentlichen Aufgabe entfernte und sich in der Freiheit der Mög- lichkeiten zu verlieren schien. Es gibt eine Reihe von Dokumenten, die belegen, dass Otto Pankok keinerlei Verständnis für die neue Kunst im Nachkriegsdeutschland aufbringen konn- te. Das, was den jungen avantgardistischen Künstlern zum Gegenstand ihrer künstlerischen Auseinandersetzung wurde, blieb Otto Pankok zutiefst fremd. Den Weg, den die Kunst Mitte der 60er Jahre einschlagen würde, sah Otto Pankok demnach deutlich vor sich. Es würde der Weg sein, der von dem wegführt, was ihm selber in seinem Kunstschaffen wesentlich: weg von religiösem Gehalt, Meditation, Stille, Ekstase und damit letztendlich weg von der Wahrheit. In all dem sah er krankmachende und damit lebens- feindliche Tendenzen512. Gegenüber seinen Künstlerkollegen fand Otto Pankok mitunter nur wenig gute Worte, die in seinen Augen nichts weiter als „Hampelmännchen“513 waren:

„[…] Nächste Woche soll ich Ehrenvorsitzender der Rhein. Sezession werden. Also eine Ehrung der Kollegen, nicht der beamteten Vorgesetzten. Ich habe die Bedingung gestellt, daß sie den Kampf gegen Pop etc. aufneh- men müssten. Sicher haben Sie den Artikel in der Zeit gelesen über die Schweinerei in der Technischen Hoch- schule in Aachen. Dem Idioten Beuys wurde das Nasenbein zertrümmert, als er Schwefelsäure in ein Klavier goss […].“514

6. Otto Pankok als ″Theologe″

6. 1 „Die Unbegreiflichkeit der Welt und des Lebens“ - Otto Pankoks Motivation zur künstlerischen Bearbeitung christlicher Bildgegenstände und Bildthemen

In der über Otto Pankok erschienenen Literatur bleibt bislang unbeachtet, dass er nicht nur den Menschen zugewandt war; ein Künstler, der mit Vorliebe Arme, Landarbeiter und gesell- schaftliche Außenseiter in seinen Bildwerken verewigte, sondern, dass er sich christlicher

511 Otto Pankok am 7. 7. 1964 in einem Brief an Rainer Zimmermann, ediert in Ingrid von der Dollen, Im Wider- stand gegen die Zeit. Malerbriefe an Rainer Zimmermann, 25. Gemeint ist damit die Dokumenta III, die Interna- tionale Kunstausstellung, vom 27. Juni bis 5. Oktober 1964 in Kassel. 512 Otto Pankok, Die Richtung, (Januar 1929), abgedruckt in Rudolf Dehnen, Schriftenreihe der Otto–Pankok– Gesellschaft „Haus Esselt“, o. J., o. S.. 513 Otto Pankok am 3. 8. 1965 in einem Brief an Rainer Zimmermann, ediert in Ingrid von der Dollen, Im Wider- stand gegen die Zeit. Malerbriefe an Rainer Zimmermann, 36. 514 Otto Pankok am 22. 8. 1964 in einem Brief an Rainer Zimmermann, ediert in Ingrid von der Dollen, Im Wi- derstand gegen die Zeit. Malerbriefe an Rainer Zimmermann, 28.

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Bildthemen annahm. Im Zentrum seines künstlerischen Werkes steht der 60teilige Zyklus der Passion. Es ist das umfangreichste Werk des Künstlers mit christlichem Inhalt. Zur Entste- hung der Bilderfolge trugen seine eigene Religiosität und seine Beziehung zum biblischen Jesus bei. Dieser Aspekt wurde bisher in Betrachtung von Person und Werk Otto Pankoks nur am Rande wahrgenommen. Das verwundert umso mehr, da eine große Anzahl seiner Bild- werke biblische Themen zum Inhalt haben und er zum anderen in seinen Texten zu religiösen Fragen deutlich Stellung bezieht. Der Künstler selbst bemerkte solcherart Diskrepanz in der öffentlichen Wahrnehmung der Passionsbilder. Am 29. 11. 1949 schrieb er dem Volkswirt Kurt Alexander in Düsseldorf:

„Sehr geehrter Herr Alexander! […] Über die Unterbringung der Passion ist schon viel geplant worden. Aber das ist nicht einfach, wenn der Verfasser weder evangelisch, noch katholisch und Christus jüdisch ist und was der Bedenken noch mehr sind. Es ist kein mutiges Geschlecht, in dem wir leben. Mit freundlichem Gruß Ihr Pan- kok“515.

Über Otto Pankoks vielfältige Bildthemen und seine Gedankenwelt, die sich in seinen Texten äußert, eine Folie des Humanismus zu legen, wird ihm in seiner Motivation des Kunstschaf- fens nicht gerecht. Er malte seine Bilder nicht aus einer ″humanistischen Idee″ heraus. Eine solche Motivation hätte den Künstler wohl kaum zur täglichen Arbeit am Holzstock und an der Staffelei bewegt. Das wäre in den Augen Otto Pankoks viel zu leblos und unkonkret ge- wesen. Vielmehr war dem Künstler an jedem Menschen als Individuum gelegen. Ihn interes- sierte das Einzelschicksal, womit er seinen Menschenbildern individuelle Namen gab und aus der Anonymität der Masse herausholte516. Warum Otto Pankok bislang keine Beachtung als Erschaffer christlicher Bildwerke er- fuhr, mag damit zusammenhängen, dass er in sehr jungen Jahren, während des Ersten Welt- krieges, aus der Evangelischen Kirche austrat, weil diese die Waffen der Soldaten und der kaiserlichen Armee segnete.517 Den Autoren Cyrus Overbeck/Oliver Müller reicht das aus, um Otto Pankok als „konfessionslos“ darzustellen. Laut beider Autoren „schwebte [Otto Pan- kok, AdA] ein freies Christentum vor“518. Mit dieser Argumentation folgen sie nahezu dem Wortlaut Berto Perottis, der von Otto Pankok das hielt,

515 Unveröffentlichter Brief vom 29. 11. 1949 an Kurt Alexander/Düsseldorf, einzusehen im Archiv des Muse- ums „Haus Esselt“ in Hünxe/Drevenack. Kurt Alexander hatte in einem vorangegangenen Brief vom 22. 11. 1949 vorgeschlagen, die Passion dauerhaft im Kreuzgang einer Düsseldorfer Kirche unterzubringen. 516 Das unterscheidet Otto Pankok z.B. von Emil Nolde, der seine Personenbilder zum größten Teil in der Ano- nymität belässt mit Bildtiteln wie Paar, Zwei Paare, Frau mit blauem Hut, Zwei Frauen usw. Vgl. dazu Emil Nolde, Ungemalte Bilder, 54 – 61. 517 Eva Pankok, Mein Leben, 20. 518 Cyrus Overbeck/Oliver Müller, Otto Pankok, 262.

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„[…] was man einen unabhängigen Christen nennen könnte, frei von jeder Art von dogmatischer, kultischer oder doktrinärer Verknöcherung […].“519

Damit sind zwei grundlegend unterschiedliche Perspektiven beschrieben, die die Autoren auf den Glauben Otto Pankoks einnehmen. Sehen es Cyrus Overbeck/Oliver Müller unter der Prämisse, frei zu sein in seinem Christentum, sieht es dagegen Berto Perotti als ein ″frei sein″ von sekundären kirchlichen Verordnungen, um sich ursprünglichen christlichen Idealen zu- wenden zu können. Hinter der Unterschiedlichkeit beider Perspektiven steht der von Erich Fromm benannte strukturelle Unterschied zwischen dem ″Frei-sein″ von etwas und dem ″Frei-sein″ zu etwas520. Zwar trat Otto Pankok in späteren Jahren nicht wieder in die Kirche ein, doch eröffnet sich die Perspektive auf Otto Pankoks Kirchenaustritt vor dem Hintergrund seiner zahlreichen Bildwerke mit christlichem Inhalt neu. Trotz dieses Schrittes sagte sich der Künstler nicht vom Christentum und seinem Glauben los. Im Gegenteil; er machte nie einen Hehl daraus, dass er religiös und, wie seine Tochter Eva sagte, sogar „fromm“ 521 war. Eva Pankok begründet den Kirchenaustritt ihres Vaters damit, dass die Amtskirche seinen Anfor- derungen entsprechend nicht fromm und moralisch streng genug war522. Das, was Otto Pan- kok als Ideal vor Augen stand, war weniger ein „freies Christentum“, als eines, das sich an seinen eigenen Maßstäben und Geboten messen lassen konnte. Dabei sollte der Maßstab allen Handelns der ethische Anspruch Jesu sein. Dafür spricht, dass er wiederholt Geistliche auf Missstände in ihrem Einflussbereich hinwies. In der Wochenschrift ″Schacht″ veröffentlichte Otto Pankok zu Beginn des Jahres 1929 einen programmatischen Artikel mit dem Titel „Die Richtung“, basierend auf Tage- buchnotizen des vorangegangenen Jahres. In diesem Artikel bezieht er Stellung zum gegen- wärtigen Kunstbetrieb und zur bildenden Kunst in ihrem Verhältnis zur Gesellschaft. Gleich an den Anfang setzte der Künstler einen Dualismus, der die Bedeutung ahnen lässt, welche er dem religiösen Gehalt in der Kunst beimaß:

„Es gibt die Bühne Habima und es gibt die Piscatorbühne, es gibt Laotse und es gibt Konfuzius, es gibt einen Messias, der das weltliche Königreich der Juden neu begründen soll, und es gibt einen Christus, dessen Reich nicht von dieser Welt ist. So wie wir zwei verschiedene Gänge machen können: einen durch die Straßen der Stadt, und durch Wald und Felder. Alles in der Stadt ist auf Sensation gestellt. Jedes Fenster ist ein Schaufenster, das überraschen, anreißen soll. Plakate in grellen Farben wollen Dein Gehirn überzeugen, dass es nötig für Dich ist, Gummi zu kauen, Margari- ne zu essen, zu kukirolen und Deine Schuhe mit Marke Blitzblank zu putzen. Der Landweg bringt Meditation, Pflanzen und Bäume schweigen ihre Welt. Hier keimt in uns die stille Ekstase. Wir sind auf uns selbst gestellt. So wie wir zwei verschiedene Gänge machen können, so auch gibt es in den Künsten diese beiden Pole: Die Verherrlichung des Zeitgemäßen, Aktuellen, die Satiriker, die sozialen Kämpfer und auf der anderen Seite die

519 Berto Perotti, Begegnung mit Otto Pankok, 23. 520 Erich Fromm, Die Furcht vor der Freiheit, im Original 1941 unter dem Titel Escape from Freedom. 521 Eva Pankok im Interview mit der Verfasserin am 12. 04. 08 im „Haus Esselt“. 522 Eva Pankok am 12. 04. 08 im Interview mit der Verfasserin im „Haus Esselt“.

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Sucher nach Wahrheiten, die allen Zeiten eigen sind, die in die Tiefe bohren statt sich in der Ebene der Gegen- wart zu ergehen. […] Was immer aber zu bedenken bleibt ist, daß man die berühmten Komplexe verdrängen kann. Aber eines Tages brechen dafür Krankheiten aus. Und alle Welt ist doch heute dabei, nach diesen Komplexen zu fahnden. Dies sei Dein Ölzweig, Maler, den Dir die Taube in die Arche bringt.“523

In seinem eigenen Kunstschaffen ließ er keinen Zweifel daran, für welchen der beiden Wege er sich entschieden hatte. In seinem Werk finden sich kaum städtische Straßenszenen, wie sie vor allem bei den Expressionisten beliebt waren524. Außer bei den Zigeunern des Heinefeldes schuf Otto Pankok keine Milieustudien. Obwohl er lange in der Großstadt Düsseldorf lebte, schien er als Künstler der Großstadt und dem ihr eigenen Trubel und Straßenleben, keinerlei Interesse entgegen zu bringen. Diese waren einem Otto Pankok zu laut. Genauso hegte er kei- nerlei Interesse an Milieustudien der Bordelle und des Nachtlebens. Das aufblühende Groß- stadtleben der Weimarer Zeit mit seinen Kaufhäusern und Revuetheatern reizte ihn nicht zum Kunstschaffen. Stattdessen zog es ihn zu spanischen Fischern und Tagelöhnern. War der Erste Weltkrieg für viele zeitgenössische Maler Anlass, sich mit dem unmit- telbar erlebten Schrecken künstlerisch auseinanderzusetzen, wie es u.a. Otto Pankoks Freund Gert Wollheim tat, ist bei ihm das Gegenteil zu beobachten. Nach der Kriegsdepression, in dessen Folge der Künstler für einige Zeit überhaupt nicht mehr arbeiten konnte, fand er seine „stille Ekstase“ in der Landschaft. Er suchte die meditative Ruhe in der Natur, auf dem Land- weg, im Wald. Sich darin zu bewegen, war Otto Pankoks Art der Meditation. Das war sein „anderer Gang“. Damit verstand er sich als ein „Sucher der Wahrheiten, die allen Zeiten eigen sind“, der „in die Tiefe bohrte“, statt sich „in der Ebene der Gegenwart zu ergehen“. Die bib- lischen Lehren eines Jesus Christus, der ein Reich verkündet, das nicht von dieser Welt ist, gehört ebenso zu diesem zweiten Gang. Damit war sein Kunstschaffen deutlich anders moti- viert als bei den meisten seiner Künstlerkollegen. Nach Beendigung seiner Lehrtätigkeit an der Düsseldorfer Kunsthochschule hieß es von Otto Pankok:

„In einer Zeit des Zwiespalts künstlerischer Auffassungen sieht Otto Pankok seine Aufgabe darin, als Künstler und Anreger der Kunst Bewahrer der Tradition und Künder einer vom Glauben an Gott und von der Liebe zu Mensch und Tier beseelten Vorstellungswelt zu sein, in der die Natur den großen Raum bildet.“525

Otto Pankok gelang es, unabhängig vom politischen Tagesgeschehen, Kunstwerke zu schaffen und Motive zu finden, „die allen Zeiten eigen sind“526. Dazu motiviert wurde er

523 Otto Pankok, Die Richtung (Januar 1929) abgedruckt in Rudolf Dehnen, Schriftenreihe der Otto–Pankok– Gesellschaft „Haus Esselt“, o. J., o. S.. 524 Einzig aus Otto Pankoks kurzer expressionistischer Phase sind einige Straßenszenen als Holzschnitt oder Radierung enthalten, wobei hier der Einfluss Ernst Ludwig Kirchners deutlich zu sehen ist, so u.a. (WR 215) Große Straßenecke u. (WR 243) Reklame von 1921. 525 Zitiert bei Rainer Zimmermann, Otto Pankok, 67. 526 Vgl. Otto Pankok, Die Richtung, in Rudolf Dehnen, Schriftenreihe der Otto–Pankok–Gesellschaft, o. J., o. S..

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„vom Glauben an Gott und von der Liebe zu Mensch und Tier“527. An seinem Werk schuf er beharrlich und unermüdlich bis zu seinem Tod in der Hoffnung, dass sein Kunstschaffen nicht umsonst ist, dass es eines Tages verstanden und gewürdigt werde – wenn nicht jetzt, dann doch irgendwann. Manchen seiner Zeitgenossen wurde dieses Suchen nach einer Wahrheit, die über das Tagesgeschehen hinaus von Bestand sein wird, ein Trost in Zeiten, da das Aktu- elle und Zeitgemäße nicht mehr zu ertragen waren. Der Industrielle und Sammler Ludwig Leitz schrieb ihm am 29. 2. 1941:

„Besonders freue ich mich, Ihr Nachtigallenbild bekommen zu haben. Es gehört zu den Dingen, um derentwillen das Leben trotz aller Gräulichkeiten als lebenswert erscheint. Wir rechnen es Ihnen alle hoch an, daß Sie uns gerade jetzt an das erinnern, was nach allem doch noch bleibt.“528

Im Suchen nach der tieferen Wahrheit dessen, was ihn tagtäglich umgab, erkannte Ot- to Pankok Grenzen des für Menschen überhaupt Fassbaren. Rainer Zimmermann zitiert einen Text Otto Pankoks, in dem dieser 1929 von der „Unbegreiflichkeit der Welt und des Lebens“ 529 schrieb. Das Zitat zeigt, dass Otto Pankok seine erlebte Wirklichkeit in einer religiösen Dimension sah. Gerade wegen seines Glaubens und aus Liebe zum Menschen und zum Leben war Otto Pankok aus Protest aus der evangelischen Kirche ausgetreten. Es ist anzunehmen, dass für einen Menschen, der sich ernsthaft und konsequent mit solchen Problemen auseinan- 530 dersetzte, Gott als immanente Größe eine wesentliche Rolle in seinem Leben spielte . In seinem Rundschreiben „An meine Freunde“ beschwor er 1937 inmitten einer mut- losen Zeit die ungebrochene Liebe zur Schöpfung Gottes. Dazu zählte er Familie, Freunde, die schönen Künste, die Fähigkeit zur Nächstenliebe, die Tiere, Pflanzen, die Elemente und das kreative Tätigsein des Künstlers. Otto Pankok erkennt den Menschen, eingebettet in sein soziales Umfeld, als eine gottgewollte gute Ordnung. In Achtung und Anerkennung all dessen äußerte sich für ihn die Liebe des Menschen zu Gott. Darin wird eine Demut erkennbar, die der Künstler gegenüber seinem Schöpfer empfand, als dem Erschaffer allen Lebens und aller Dinge. Eine solche Lebenseinstellung korrespondiert unmittelbar mit dem Gotteswort Ex. 3, 14, welches Martin Buber mit den Worten übersetzte „Ich bin da“531. Mit diesen Worten of- fenbart sich Gott als der gegenwärtige Gott, der dennoch verborgen bleibt. Otto Pankok er- kannte diesen Gott in allen Dingen, die ihn umgaben und erzählte in seinen Bildern davon. In dieser Hingabe verstand er seine Kunst als eine fundamentale Wertschätzung der Schöpfung Gottes. Seine Bildwerke mit ihren Motiven und Bildgegenständen sprechen von der großen

527 Zitiert bei Rainer Zimmermann, Otto Pankok, 67. 528 Ludwig Leitz in einem Brief an Otto Pankok vom 29. 2. 1941, abgedruckt in Otto Pankok, Kohlegemälde, Holzschnitte, Radierungen Plastiken, einer Schrift des Otto–Pankok–Museums „Haus Esselt“ o. J., o. S.. 529 Vgl. dazu Rainer Zimmermann, Im Widerstand gegen die Zeit, 9. 530 Otto Pankok, An meine Freunde (1937), Nachdruck von 1968, 3. 531 Vgl. dazu Norbert Dennerlein/Michael Meyer-Blank, Evangelische Glaubensfibel, 53.

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Liebe des Künstlers zum Menschen, hauptsächlich zu den Armen der Gesellschaft, zu den Elementen, zu Landschaft, Tier und Pflanzen. Otto Pankoks Œuvre gleicht einer einzigen Be- schwörung der guten Schöpfung Gottes. Das betrieb der Künstler nicht als ewig Gestriger, der sich mit dem Fortgang der Zeit nicht abfand, sondern als gläubiger Christ, der um eine größe- re und beständigere Wahrheit weiß. Das macht verständlich, wenn Otto Pankok sagt, er wollte die Passion Jesu der Zeit des Nationalsozialismus entgegen stellen. In diesem Sinn verstand er seine Kunst als ein kraftvolles „trotzallem“, als ein Entgegensetzen dem widrigen Zeitge- schehen. Indem Otto Pankok seine Kunstwerke schuf, fand er für sich eine Möglichkeit, die Si- tuation seiner Zeit zu ertragen. Dabei bewies er großes empathisches Einfühlungsvermögen, dass er sich in seinem Kunstwollen frühzeitig den beiden Menschgruppen annahm, die den Hass der NS–Schergen als erstes auf sich ziehen sollten: die Juden und die Zigeuner. Als Künstler sah sich Otto Pankok dazu in einer großen Verpflichtung. Im Rundschreiben „An meine Freunde“ erinnerte Otto Pankok daran, dass es von jeher Aufgabe des Künstlers war, „einen solchen Weg fern von seinen Mitmenschen zu gehen“532. Er war überzeugt davon, dass es die Aufgabe des Künstlers ist, sich gegen den Zeitgeist zu stellen und zum Behüter einer größeren Wahrheit zu werden.

„So war es von jeher seit der ersten menschlichen Kunstbetätigung, und so wird es immer sein in dieser Welt, solange die Menschen die Fähigkeit haben werden, die große Einheit des Seins zu empfinden. […].“533

Otto Pankok lebte konsequent das, was er für den „zweiten Gang“534 der Welt hielt. Um ge- gen den aufwühlenden Zeitgeist standzuhalten und von dem sich immer schneller drehenden Strudel nicht fortgerissen zu werden, zog er sich aufs Land in die Natur zurück. Hier, in der Stille und in der Einsamkeit, war er sich sicher, Anklänge dieser ewigen Wahrheit zu verneh- men.

„Aber es ist unter dieser Angst noch etwas, eine tiefere Stimme, die leise eine Tröstung spricht. Es hört sie der, der tief in sich hineinhorcht. Es hört sie nicht jeder, weil der Lärm so laut schallt um uns her. Aber auch der Lauscher in die Zeit sieht und vernimmt. Es liegt auch draußen vor aller Augen, wenn auch nur manche es er- schauen können. […] Und der Lauscher findet weiter, hier und dort, nicht in Massen, nicht in Schulen, aber in Einzelnen, das Dasein des Guten.“535

Otto Pankok fand für das hoffnungsvoll in die Zukunft ausgerichtete Schaffen des Künstlers ein schönes Bild: Das Bauen an einem „Dom“, dem „wahren und ewigen Dom“, dem „neuen Dom“, an dem die „reinen Geister“ bauen werden536. Das Bild vom „Bau an ei-

532 Otto Pankok, An meine Freunde (1937), Nachdruck von 1968, 8. 533 Otto Pankok, Unser Glaube an das Leben, 38f. 534 Otto Pankok, Die Richtung, Otto–Pankok–Gesellschaft, o. J., o. S.. 535 Otto Pankok, An meine Freunde (1937), Nachdruck von 1968, 5. 536 Otto Pankok, An meine Freunde (1937), Nachdruck von 1968, 5.

112 nem Dom“ begleitete ihn über viele Jahre hinweg und lässt sich in einigen Texten wiederfin- den.

„Aus dem hohen christlichen Geist des Mittelalters sind die Dome wie gewaltige Bäume emporgewachsen, Schutz und Schattenspender für alles Leben, Schutz vor der grellen Sonne der Verzweiflung und dem Regen des Todes. Christus ist das Urthema der Menschheit. Erst als der kleine Mensch sich selbst wichtiger nahm als Gott, da schwand auch das Wesen der Kunst dahin, und jene himmlische Kraft, die auf Jesus wie eine Feuertaube niederschießen konnte, fand die Gefäße nicht, in die sie sich hätte ergießen können.“537

Damit verweist der Künstler auf Zeiten, in denen aus geistigem Gehalt heraus Gewaltiges, Inhaltsvolles, Mächtiges und Bedeutendes erwachsen konnte. Dafür steht die Metapher des Domes538. An anderer Stelle gibt er zu bedenken, dass solche mächtigen Dome „keineswegs durch Preisausschreiben mit einer demokratisch abstimmenden Jury entstanden“ sind, sondern dass hinter ihrem Entstehen wahre Berufung und Religiosität stand539. Das Wesen der Kunst muss laut Otto Pankok christlich sein, da sie ansonsten wesensleer ist. Dass die Menschen einmal wieder an Domen bauen werden, wenn nicht für die Gegenwart, dann für die Zukunft, das war seine große Hoffnung:

„Wenn nicht in dieser Zeit, so doch in irgendeiner Zeit. Und diese Gewissheit allein ist ihnen [den Künstlern, AdA] schon Stütze und Stab auf ihrem Weg.“ 540

Da Otto Pankok die Worte des Rundschreibens seinen Freunden in einer für ihn per- sönlich gefährdeten Situation zukommen ließ, ist es nur konsequent anzunehmen, dass er sein eigenes Schaffen als Künstler mit stoischer Beharrlichkeit unter das große Ziel, den „Bau an einem erhabenen Dom“, stellte. Mit dem Schrecken des Ersten Weltkrieges, den unruhigen und dekadenten Jahren danach und nun, dem um sich greifenden Grauen einer Nazidiktatur, die Grausamkeiten ungeahnten Ausmaßes bereithielt, sah er mit der Sensibilität des Künstlers eine Art Endzeit gekommen. Er spricht er in seinen Texten davon, dass „eine Zeit gekom- men“ sei, die auf jeden Fall anders als alles bisher Gekannte ist.

„Hier aber fällt uns das Wort von Jesus ein: Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als daß ein Reicher in den Himmel kommt. Und nun kommt über uns eine Ahnung, wo der Sinn dieses Geschehens steckte. Die Zeit stellt den Menschen dem Nichts gegenüber. Nicht mehr aus dem Reichtum und für den Reichen soll der Künstler sein Werk schaffen. Sondern aus dem armen Nichts soll es hervorwachsen. Es soll wahrhaft wachsen wie die Pflanze rein aus dem Boden wächst. Waren es doch meist nur verdorbene, gekreuzte, okulierte und verkünstelte Ge- wächse, die in den Gärten der Reichen standen. Es soll tabula rasa sein. Es soll ein neuer Anfang kommen. Wir aber sollen für ihn nur bereit sein. Das Gedeihen aber liegt in anderer Hand. Das ist nicht unsere Sache. Was aus dem Nichts wächst, was aus der Absichtslosigkeit Gestalt gewinnt, Energie, die aus der Muße aufsteigt, das ist es, was Gott von uns verlangt. Dazu hat er seine Flut gesandt. Dazu hat er seine Geißeln bestellt, die den Platz rein fegen. Was sich dennoch hält, erst das ist seiner Gnade sicher.“541

537 Otto Pankok, Otto Pankok über seine Passion, Prisma, 15/1948, 32. 538 Otto Pankoks Rede vom „Bau an einem ewigen Dom“ korrespondiert in interessanter Weise mit der Hoff- nung Walter Gropius nach einer „Kathedrale der Zukunft“, die mit ihrer Lichtfülle bis in die kleinsten Dinge des Alltags hineinstrahlen sollte. Siehe dazu Werner Hofmann, Die Grundlagen der modernen Kunst, 379. 539 Otto Pankok, Wird das Ewige aktuell?, o.S. 540 Otto Pankok, An meine Freunde (1937), Nachdruck von 1968, 8. 541 Otto Pankok, An meine Freunde (1937), Nachdruck von 1968, 10f.

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Otto Pankok war in der Empfindung seiner Umwelt sensibel genug, dass er es inmitten von Lärm und alltäglicher Hektik der Stadt, in der seiner Meinung nach alles „auf Sensation ge- stellt ist“542 nicht lange aushielt. Erst in der Ruhe und Einsamkeit konnte er ganz zu sich kom- men und wieder ganz in der Welt sein. Der immer wieder notwendig werdende Rückzug in die Stille der Natur ermöglichte es ihm, zu solch einem Lauscher in die Zeit hinein zu wer- den543. In seiner Auffassung war der Mensch an einem Punkt angelangt, wo alles bisher Ge- kannte in Frage gestellt werden musste. Er sah „den Menschen dem Nichts gegenüber“ ge- stellt. Dieses nihil machte dem Künstler angst, da es beziehungslos und wesensleer war. Es war für Otto Pankok zu abstrakt. Gleichzeitig konnte er in aller Furcht diesen Endpunkt als Chance für einen Neuanfang begreifen. Aus dem Nichts, aus der tabula rasa, kann ein neues Werk hervorwachsen, das Bestand haben wird und das gottgefälliger sein könnte als das vor- hergegangene. Von Bedingung war allerdings, dass die Künstler aufhören mussten, es den übrigen Menschen gleichzutun und sich in bislang ungekannter Hybris über Gott zu erhe- ben544. Der Künstler muss sich vielmehr seiner bedeutsamen Rolle bewusst werden; muss innehalten, zum „Lauscher in die Zeit hinein“ werden und lernen, die leiseren Stimmen zu vernehmen. Im lutherischen Sinn kommt das einer Rückbesinnung auf den Ursprung (ad fon- tes) und dem damit verbundenen Auftrag gleich. Otto Pankok mahnt an, sich als Künstler einer Inanspruchnahme durch die Alltäglichkeit zu entziehen, um wieder sensibler für den geistigen Gehalt der Dinge werden zu können.

„Diese Zeit der Zukunft fühlen wir alle in uns: Wir glauben nicht an die Stimmen, die uns zurufen, daß der Me- chanismus ins Unendliche wachsen soll, daß er alles überwuchern und beherrschen wird.“545

Gott selbst ist für Otto Pankok die Institution, die die lauteren Motive der neuen Kunst beur- teilen wird. Damit stand für den Künstler die Richtung fest: Weg von den künstlich feinen „Zuchtgewächsen“, die nur den verfeinerten Geschmack der Reichen bedienten, hin zu ehrli- cher, geerdeter, natürlich gewachsener Kunst, die sich an den Idealen des Christlichen orien- tiert und in deren Mittelpunkt klassische christliche Tugenden wie Liebe, Gewaltlosigkeit und Mitleid stehen.

„Wir [die Künstler, AdA] haben in uns den Glauben, daß einmal wieder eine Zeit kommt, in der die Maler sich abwenden werden von der Diesseitigkeit. Daß sie sich von der Brutalität und Gemeinheit der Menschen abwen- den und ihre ganze Liebe der Christlichkeit zuwenden müssen. Sie werden die Gewaltlosigkeit suchen. Sie wer- den sich dem Mitleid hingeben. Sie werden inbrünstig Liebe verbreiten wollen.“546

542 Otto Pankok, Die Richtung, o. J., o. S.. 543 Otto Pankok, Die Richtung, o. J., o. S.. „Der Landweg bringt Meditation, Pflanzen und Bäume schweigen ihre Welt. Hier keimt in uns die stille Ekstase. Wir sind auf uns selbst gestellt.“ 544 Vgl. dazu Otto Pankok, Otto Pankok über seine Passion, Prisma, 15/1948, 32. 545 Otto Pankok, An meine Freunde (1937), Nachdruck von 1968, 5. 546 Otto Pankok, An meine Freunde (1937), Nachdruck von 1968, 4.

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Hätte Otto Pankok sein eigenes künstlerisches Werk nicht in diesem Sinn verstanden, dann wäre es ihm nicht möglich gewesen solche programmatischen Worte zu verschicken, ohne unglaubhaft zu werden. Er verband seine künstlerische Mission mit einem hohen mora- lischen Anspruch. Damit sprach er der bildenden Kunst eine erzieherische Funktion zu, die sich im Verbreiten von Liebe äußerte547. In diesem Verständnis muss er seine Menschenbilder gesehen haben, die wie bei nur wenigen anderen Künstlern „aus der Armut“ hervorkamen548. Unter dieser Maxime standen seine christlich intendierten Bildthemen, waren sie es doch, die sich am deutlichsten an der Botschaft der Bibel und der Botschaft eines Jesus von Nazareth orientierten.

„Pankok griff nicht zum biblischen Stoff wie ein Legendenschreiber, auch hat er nicht im Auftrag religiöse Bil- der gemalt, sondern er war von der christlichen Wirklichkeit getragen, ehe das Bild begonnen wurde.“549

Aus diesen Worten Hulda Pankoks geht hervor, dass Otto Pankok neben der von ihm als real erlebten Wirklichkeit eine idealere „christliche Wirklichkeit“ sah. Das Wissen darum trug ihn ein Leben lang als Künstler. Waren es zu Beginn seines Schaffensprozesses vor allem die armen, verlassenen Menschen, die ihm zum Motiv wurden, konzentrierte sich das später im Schicksal Jesu. Die biblische Überlieferung seiner Person verband Otto Pankok ganz bewusst mit den Armen und Ausgestoßenen seiner Zeit. Gegen Ende seines Lebens wurde dem Künst- ler - neben seinen politischen und ökologischen Aussagen der Holzschnitte Haltet ein! (WH 767), Christus zerbricht das Gewehr (WH 344), Wer das Schwert nimmt (WH 327) vor allem die Kreatur des Tieres zum Thema. Nach der psychisch labilen Nachkriegszeit des Ersten Weltkrieges hatte Otto Pankok nach Aussagen der Tochter „nie wieder den Bezug zu seinem Schöpfer verloren“. Das festigte ihn seelisch und bewahrte ihn vor lang anhaltenden Schaffenskrisen, sodass er künstlerisch dem Gräuel der Nazidiktatur begegnen konnte. Ein Jahr vor seinem Tod schuf Otto Pankok einen feinteiligen Holzschnitt mit dem Titel Die Heiligen verlassen die Kirchen und ziehen ins Museum (WH 757, 1965). Drei Heilige sind darauf zu erkennen, die ihr verfallenes und mit Brettern vernageltes Gotteshaus unbemerkt verlassen. Unschwer ist in solcherart Darstel- lung Otto Pankoks Wehmut über fehlende Frömmigkeit seiner Mitmenschen zu erkennen. Die Achtung des Heiligen und die Wertschätzung der alten Traditionen wichen zugunsten absolu- ter Zukunftsgläubigkeit.

547 Vgl. dazu eindeutig Otto Pankok, An meine Freunde (1937), Nachdruck von 1968, 4. 548 In diesem Sinn ist das künstlerische Werk Otto Pankoks dem einer Käthe Kollwitz und eines Ernst Barlachs ähnlich, die beide von Otto Pankok als Künstler in unterschiedlicher Weise geschätzt wurden. 549 Hulda Pankok in „Die Passion. Ein Zyklus …“, Ausstellungskatalog von 1956, o.S.

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Zusammenfassend kann gesagt werden, dass sich Otto Pankok in seinem künstleri- schen Schaffen im Wesentlichen aus zwei komplexeren Motivgruppen heraus mit christlichen Themen auseinandersetze: Zum einen sind das intrinsische Motive, die sich aus seiner eige- nen Religiosität und Frömmigkeit ergeben. Hinzu kommt sein Wille zu künstlerischer Stel- lungnahme in politisch schwierigen und gesellschaftlich unruhigen Zeiten. Werden die Moti- ve im Einzelnen (a bis d) aufgeschlüsselt, kann festgestellt werden, dass: (a) ihn seine eigene Frömmigkeit und der idealtypische Gehalt der ethischen Botschaft des biblischen Jesus zur bildnerischen Umsetzung christlicher Themen motivierte, (b) sein stetes Suchen nach einer „Wahrheit, die allen Zeiten eigen ist“, ihn veranlasste, sich in seinem Kunstschaffen Themen und Motiven zuzuwenden, die er als Träger dieser größeren Wahrheit bewusst gegen die für ihn unerträglich brutale Diesseitigkeit stellte, (c) er Verantwortung als Künstler empfand, nicht wie andere Menschen den zeitgenössischen Demagogen zu folgen, sondern nach der tabula rasa für einen Neuanfang bereit zu sein, (d) weil er als gläubiger Christ diesen Neuanfang in Bezug auf Gott, dem Erhalt seiner Schöp- fung und den christlichen Tugenden ausgerichtet sehen wollte.

6. 2 Der Lauscher in die Zeit – die christlichen Aussagen in der Kunst Otto Pankoks

Es müssen vor allem die theologischen Aussagen der Bildwerke Otto Pankoks untersucht werden, sollen diese nicht als reine Bibelillustrationen missverstanden werden. Berto Perotti versucht in seinem Buch „Begegnung mit Otto Pankok“ eine Erklärung dafür zu finden, was diesen bewogen haben könnte, den Zyklus der Passion in 60 Kohlebildern zu malen:

„Ich glaube, daß die hauptsächlichen Motive, die Otto Pankok bewogen haben, die Stationen des großen Passi- onsdramas zu neuem Leben zu erwecken und darzustellen, auch in dem Bedürfnis zu suchen sind, ein menschli- cheres und konsequenteres Christentum mit seinem ganzen ethischen Reichtum des Opfers und des Martyriums der Fadheit einer abstrakten und die niedrigsten Instinkte des nationalen und individuellen Egoismus erregenden Theologie entgegenzustellen.“550

Obwohl Berto Perotti als enger Vertraute des Künstlers sprechen kann, geht er in seiner theo- logischen Interpretation der Motive Otto Pankoks zu weit. Damit wird er der Intention des Künstlers nicht gerecht. Zwar wandte sich Otto Pankok in seinem Kunstschaffen vornehmlich den ersten Opern des Nationalsozialismus zu; den Zigeunern des Düsseldorfer Heinefeldes und den Juden, nur dass er sie im Akt des Malens nicht als „Opfer“ im theologischen Sinn, sondern vielmehr als Persönlichkeiten in ihrem eigenständigen Lebensumfeld wiedergab. Sei- ne Bilder jüdischen Lebens lassen die kommenden Schrecken erahnen. Otto Pankok malte

550 Berto Perotti, Begegnung, 24.

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„auf ihr Verhängnis wartende Juden“551, als alles Leben im Warten auf das Kommende er- starrt zu sein schien. Den Zigeunerbildern der 30er Jahre sieht man die kommende Katastro- phe noch nicht an. Die Kunst Otto Pankoks wirft genau in dem Moment ein letztes Schlag- licht auf ihr Leben, als die Nationalsozialisten dieses zu zerstören begannen.

„[…] wer hätte gedacht, daß nach wenigen Jahren Kerle in schwarzen Uniformen in das Dörfchen einbrechen würden, um mit Stahlpeitschen seine Bewohner zusammenzuschlagen und sie zu zwingen, mit Brecheisen die Wände ihrer Hütten einzustoßen […]. Hier begannen die SS–Stiefel das Werk des Niedertrampelns. Noch bevor die Synagogen aufloderten, waren die Zigeunerfamilien hinter den Gittern des Stacheldrahtes zusammenge- pfercht, um später das jüdische Schicksal in den Todeslagern des Ostens zu teilen.“552

Damit wird der Künstler zum letzten Zeugen und seine Bilder werden zum Zeitdokument553. Otto Pankok blieb bei den Zigeunern des Heinefeldes, bis die SS begann, ihre Wagenburgen zu zerstören. Er schuf in all den Jahren der Naziherrschaft weiter unbeirrt seine Bilder jüdi- schen Lebens. Die Kohlebilder Sie kommen!554 aus dem Jahr 1944 und Das Judenhaus555 von 1945 dokumentieren das. Er lebte bei den Zigeunern, bis ihre Siedlungen zerstört wurden und begleitet die Ju- den durch die Tragödie ihrer Verfolgung und wird zum Zeugen der Zerstörung ihres Lebens- raumes. Otto Pankok wird mit seinen Bildern zum Zeugen an einem Verbrechen unvorstellba- ren Ausmaßes. Darin konnte er kein „Martyrium“ sehen, dem etwas Faszinierendes abzuge- winnen war oder in dem gar „ethischer Reichtum“ steckte. Diese Annahme ist für Otto Pan- koks Denken viel zu theologisch verklausuliert. Seiner Intention entsprach es nicht, irgendet- was „der Fadheit einer abstrakten Theologie“ 556 entgegen setzen zu müssen. Er malte seine Bilder für die Menschen; für die Menschen seiner Zeit und für alle Zeiten als ein Zeitzeuge, als ein unmittelbar Betroffener, als ein konsequenter Christ, der sich des ethischen Reichtums des Christentums bewusst war, da das seiner Aufgabe als Künstler in solch einer Situation entsprach. Er versuchte im letzten Moment festzuhalten, was für immer verloren schien. Sein Ethos, das hinter solch verzweifelt anmutendem Handeln stand, wird deutlich, wenn er sagt:

„Wir werden Worte aufschreiben, die vielleicht niemand mehr liest, und Lieder singen, die keiner hört. […] Die Lieder werden vielleicht traurig sein, aber von berauschender Schönheit werden sie sein, und vielleicht wird uns dafür einmal Gottes Lächeln treffen.“557

551 Otto Pankok zitiert im Faltblatt zur Otto Pankok Ausstellung „Der liebe Gott“ Otto Pankok. Ein Lehrer von Günter Grass“ im Günter Grass – Haus in Lübeck. 552 Otto Pankok, Zigeuner (1958), 9. 553 Vgl. dazu Paul Tillich, der den Wert bildender Kunst gerade unter diesem Aspekt des Dokumentcharakters auswies. Paul Tillich, Zur Theologie der bildenden Kunst und Architektur, 207. 554 Abgedruckt in Otto Pankok, Jewish Fate. Pictures of an Exhabition, 5, 555 Abgedruckt in Otto Pankok, Kohlegemälde – Holzschnitte – Radierungen – Plastiken, o.S. 556 Vgl. Berto Perotti, Begegnung, 24. 557 Otto Pankok, Zigeuner (1958), 16.

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Otto Pankok nannte Jesus einen „reinen Menschen, der ohne Fehl über die Erde schritt“ und beendet seine Passion mit dessen Tod am Kreuz; einem Bild der Maria mit dem toten Jesus im Arm und dessen Grablegung. Inhaltlich endet die Passion mit dem Tod Jesu. Das ist der Tod eines Menschen. Der christliche Opfergedanke ist darin noch nicht enthalten. Der kommt erst in dem Moment hinzu, in dem über den Tod Jesu und seine Grablegung hin- ausgeschaut wird. Doch das tut Otto Pankok in seiner Passion nicht. Vielmehr lässt er diesen „reinen Menschen“ durch die Hand unzählig anderer Menschen zu Tode kommen: Als einen Menschen, dem das Schicksal widerfuhr, unter die Menschen geraten zu sein. In der Einlei- tung der Passion schrieb der Künstler:

„Dieses Buch handelt von dem Leben und Sterben des Menschensohnes, von dem Leben und Sterben des reinen Menschen, der ohne Fehl über die Erde geschritten ist, dessen Liebe über alle strömte, bis hin zu dem letzten aller Sünder und Verachteten.“558

Was Otto Pankok in der Passion wiedergibt, ist nicht der christliche Opfergedanke, sondern Jesu Leidensweg auf Erden als dem eines „reinen Menschen“ innerhalb einer un- menschlichen Gesellschaft559. Wie es im Vorwort zur Erstausgabe deutlich hervorgeht, liegt Otto Pankoks zentrales Thema in der Menschlichkeit Jesu und weniger in seiner Göttlichkeit. Aus der Komplexität der Jesusüberlieferung beeindruckt Otto Pankok nicht der eschatologi- sche und soteriologische Aspekt, sondern vielmehr das idealtypische ethische Handeln Jesu. Aus diesem Grund fällt es Otto Pankok leicht, in seinen Texten Jesus als „die Liebe“ zu be- zeichnen. Folgt man dem Argumentationsweg Otto Pankoks, kann festgestellt werden, dass die- ser in seiner Frömmigkeit und seinem aktiven lebenslangen Suchen nach der Wahrheit in den Dingen zu einer eigenen Theologie kam. Das ist kongruent zum Menschenbild Otto Pankoks zu sehen. Der Mensch ist eingebettet in die Schöpfung Gottes und in steter Beziehung zum Tier, zu den Pflanzen und zur Landschaft. Jesus war der ideale Mensch, der moralisch rein „ohne Fehl über die Erde geschritten ist“560. In seinem Werk der Passion stellt der Künstler den Leidensweg Jesu als Synonym für das Schicksal vieler Menschen in der Zeit des Natio- nalsozialismus; als Synonym dafür, zu welch unvorstellbaren Grausamkeiten Menschen fähig sind. Jesus ist für Otto Pankok die personifizierte Liebe, dessen Liebe zu den Menschen es ihm ermöglichte, sich all denen zuzuwenden, die verlassen und ausgestoßen waren. Sehr deut- lich wird das in den Bildern Der Aussätzige wird gesund (Bild Nr. 20 der Passion) und Die Ehebrecherin (Bild Nr. 24). Die Evangelientexte bestätigen Otto Pankoks Personifizierung

558 Otto Pankok in der Einleitung zur „Passion“ von 1936, 2. 559 Otto Pankok in der Einleitung zur „Passion“ von 1936, 2. 560 Otto Pankok in der Einleitung zur „Passion“ von 1936, 2.

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Jesu mit der Liebe. Es lassen sich durchgängig Beispiele dafür finden, wie sich Jesus in liebe- voller Anteilnahme anderen Menschen zuwandte561. In dem Maße, wie der Jude aus Nazareth für Otto Pankok die Liebe personifiziert, sind die Zigeuner des Heinefeldes die personifizierte Schuldlosigkeit und Kindlichkeit562. Sie, die von der zivilisierten Gesellschaft in ihrer Le- bensweise und Kultur beargwöhnt und schließlich als ″Kriminelle″ und als ″rassisch minder- wertig″ eingestuft wurden, verkörpern für den Künstler unverfälschte Menschen, die zu ech- ten menschlichen Äußerungen noch in der Lage waren563. Otto Pankoks Zyklus der Passion beinhaltet drei Bilder des toten Jesu (Bild 58 Die Leiche) und endet mit seiner Grablegung, d.h., es wird in diesem Zyklus kein Blick über den Tod Jesu hinaus in Richtung Auferstehung gewagt. Otto Pankok ließ 1934 seine Passion Jesu mit dessen Tod und der Kreuzesabnahme enden. Otto Pankok wagt keinen Blick über den Tod in Richtung Auferstehung hinaus, da er 1934 die Zeit dafür noch nicht gekommen sah564. Das wirft die Frage auf, inwieweit sich Menschen verändern müssten, damit eine Auferste- hung Jesu in unserer Zeit möglich werden kann, ob die Zeit dafür gekommen ist bzw. immer noch aussteht. Diskutiert werden muss in diesem Zusammenhang auch, ob Otto Pankoks Wer- te noch die unsrigen sind und in welchem Verständnis sich Wertevorstellungen im Laufe der Zeit eventuell verändert haben565. Damit bleibt Otto Pankok gänzlich dem irdischen Jesus verhaftet, wie ihn das Spruch- band des Votivbildes zu Beginn der Passion vorstellt: „Jesus von Nazareth, König der Juden“. Das Evangelium Otto Pankoks ist damit sogar noch ein bisschen kürzer als das des Evangelis- ten Markus. Hulda Pankok schildert ein Erlebnis, aus dem hervorgeht, dass dies schon 1934 bei den ersten Betrachtern Fragen aufwarf. Von der Ausstellung in Münster, wo die Bilder der Passion 1934 erstmals öffentlich gezeigt wurden, berichtete sie:

„Viele junge Geistliche waren gekommen, und am Schluß meines Vortrags fragten sie mich, warum Otto Pankok keine Auferstehung gemalt habe. Ich mußte antworten, es wäre noch nicht an der Zeit, daß ein Maler bei uns eine Auferstehung schaffen könnte. Vor dem Grabe der Liebe lag 1934 noch ein gewaltiger Stein.“566

Wie in der Passion verhält es sich im übrigen Werk Otto Pankoks. Große Teile der christli- chen Überlieferung, die über den Tod Jesu hinausgehen, spielen im Œuvre des Künstlers kei- ne Rolle. Es findet sich daher kein Bildwerk, das das leere Grab thematisiert, Jesus nach sei- ner Auferstehung als Erscheinung oder gar Christi Himmelfahrt zeigt. Zwar schuf Otto Pan- kok mit dem Holzschnitt Christus zerbricht das Gewehr (WH 344) 1950 ein Werk, dem er

561 Oda Wischmeyer, Liebe IV, Neues Testament, 139. 562 Vgl. dazu Otto Pankok, Zigeuner (1958), Vorwort zur zweiten Auflage. 563 Otto Pankok, Zigeuner (1958), 7. 564 Hulda Pankok „Die Passion. Ein Zyklus …“, Ausstellungskatalog von 1956, o.S. 565 Vgl. dazu Nils Ole Oermann, Vom Wert des Wertbegriffs, 53. 566 Hulda Pankok „Die Passion. Ein Zyklus …“, Ausstellungskatalog von 1956, o.S.

119 eindeutig den Hoheitstitel ″Christus″ zuordnete, doch liegt die Annahme nahe, dass der Künstler hierbei weniger den Auferstandenen im Blick hatte als vielmehr das biblische Zeug- nis einer konsequent gelebten Nächstenliebe, die so weit reichen sollte, dass in der Nachfolge Jesu Tötungsmaschinen zerstört werden. In der deutschen Friedensbewegung der 1980er Jah- re fand mit dem Aufruf „Schwerter zu Pflugscharen“567 eine ähnliche Übertragung der bibli- schen Worte des Propheten Micha statt568.

„Dann schmieden sie aus ihren Schwertern Pflugscharen und aus den Spitzen ihrer Speere Winzermesser. Kein Volk wird mehr das andere angreifen, und keiner lernt mehr das Kriegshandwerk.“ Mi 4,3

Das Interesse an der biblischen Überlieferung des Jesus von Nazareth hing bei Otto Pankok mit den gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen seiner Zeit zusammen. Ausgehend von der biblischen Überlieferung schlussfolgerte Otto Pankok auf das Schicksal seiner Zeit. Dabei verfolgte er mit seinem Kunstschaffen in erster Linie eine Reflexion über den Menschen. Der Mensch in seiner Sündhaftigkeit und Fehlbarkeit stand im Mittelpunkt Otto Pankoks Kunstschaffen. Dabei brauchte er die Person Jesu und seine Lehre als universel- len Maßstab für Mitmenschlichkeit und Nächstenliebe. Der Schweizer Kulturphilosoph Max Picard schrieb 1932 unter Bezugnahme auf sein Werk „Das Menschengesicht“:

„Ich habe den Appell des Otto Pankok, seinen Appell an die Menschen nur als einen Appell an mich aufgefaßt, einzuhalten in der Flucht vor Gott, in der Flucht vor der letzten Verantwortung für den Menschen. Ich bin auch sonst dem Otto Pankok Dank schuldig, weil ich vieles, was ich von „der Kunst in der Welt des Glaubens“ weiß, durch die Zeichnungen des Otto Pankok erfahren habe.“569

6. 3 Otto Pankoks Verständnis von ″Schöpfung″

„Das Milieu, in dem ich aufwuchs, war das Elternhaus auf dem Land, das Rauschen des Parks, die Wiesen, Himmel und Teiche. Es ist im Grunde für meine Kunst bestimmend geblieben.“570

Wenngleich anzunehmen ist, dass Otto Pankok mit 60 Jahren Abstand verklärend auf die Jah- re seiner Kindheit im Ärztehaus in Saarn zurückblickt, bleibt doch festzustellen, dass er am Lebensende seine Kunst inmitten der Schöpfung Gottes verankert sah. Das Rauschen der Bäume, die vielgestaltigen Parks, die saftigen Wiesen, der weite Himmel und das Wasser be- gleiteten ihn ein Leben lag. Die Natur in ihren vielfältigen Äußerungen wird dem Künstler immer wieder zum bildnerischen Gegenstand. Diese Motive lässt er in seinem lyrischen Text

567 Rainer Eckert/Kornelia Lobmeier, Schwerter zu Pflugscharen, 12. 568 Vgl. dazu u.a. Helmut Hanisch/Dieter Reiher, Miteinander feiern – voneinander wissen, 97. 569 Max Piccard 1932 abgedruckt in Otto Pankok, Kohlegemälde, Holzschnitte, Radierungen Plastiken, einer Schrift des Otto–Pankok–Museums „Haus Esselt“ o. J., o. S.. 570 Otto Pankok in einem Brief an Rainer Zimmermann aus dem Jahr 1966 zitiert bei Cyrus Overbeck/Oliver Müller Otto Pankok, 25.

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„Das weite Land“ wiederkommen, das sich bis zu seinem Tod unveröffentlicht in seinem Nachlass befand:

„[…] Aus dieser Fläche steigt das Wuchernde: die Gräser, die Bäume, das Gesträuch. […] Die Dinge der Nähe, wie sind sie eingebettet in Unendlichkeit. Wie sind die Tierleben und die Menschenleben eingehüllt in die Un- endlichkeit.“571

In diesem Text formuliert Otto Pankok eine Essenz dessen, was ihn ein Leben lang zur künst- lerischen Auseinandersetzung aufforderte: die Dinge der Nähe. Das konnten naturgemäß kei- ne großen Dinge sein, sondern es war der Kosmos all dessen, was ihn umgab. Dazu gehörten Kleinigkeiten wie Wiesengräser, Bäume, das Gesträuch572 oder Ratten im Korn573. Das alles sah der Künstler eingebettet in die Unendlichkeit und es breitete sich „weit in die Ewigkeit des Raumes“574. In jedem noch so kleinen Ding konnte er einen Teil der Unendlichkeit und damit der großen Schöpfung Gottes entdecken. Das entsprach seinem Wesen, da ihn seine innere Verfassung immer wieder in die meditative Ruhe der Landschaft zog. Und dort waren ihm Tiere und Pflanzen angenehmere Begleiter als Menschen.

„Vor Zeiten wurde mir von Betrachtern meiner Bilder die Frage gestellt, wieso ich von der Darstellung des Men- schen mich abgewandt habe. Lange habe ich auf diese Frage nur antworten können, daß ich mich angesichts der Wolken, Gräser, Steine, Bäume und Tiere der Ewigkeit näher fühlte, daß mir bei all diesen Dingen die Schöp- fung offenbar wurde, ich mich bei ihnen einbezogen fühlte in den Kreis des Ewigen in solchem Maße, wie mich der Kreis der heutigen Menschen ausschloss, wenn ich mich ihm näherte. Was aber war das, was hier Unord- nung in den Lauf der Welt gebracht hatte, was hatte den Menschen denn vom Ewigen getrennt, was hatte ihn isoliert, ihn aus der Schöpfung herausgenommen, so wie das Kind aus Bildern die Figuren herausschneidet? Mir wurde erst Klarheit über diese Frage, als das Menschliche wie ein Wunder plötzlich wieder in mich einbrach, als ich plötzlich, nachdem ich mich von den tiefenlosen Menschen unserer Zivilisation abgewandt, auf Menschen traf, die im Raum lebten, hinter denen die Schöpfung stand, die sie in sich einbezog […]. Die Masse der Men- schen hatte den Spiegel Seele zersplittert und die Ewigkeit vermochte sich nicht mehr in ihm zu spiegeln. Jeder einzelne lief umher mit seinem Splitterchen und sah ein winziges Teilchen der Ewigkeit in ihm. Man hatte sich spezialisiert, jeder auf ein kleines Ich. Die Gemeinschaft, der große Spiegel, lag in Scherben […].“575

Otto Pankok äußerte in seinen Texten gefühlsbetonte pantheistische Vorstellungen576, die mit seinem mystischen Naturbild577 korrespondierten. Gott und damit Gottes Schöpfung äußerten sich in jedem Naturphänomen. Der Mensch selbst war nur ein Teil dieses Kosmos. Er stellte

571 Manuskript „Das weite Land“ aus dem Nachlass Otto Pankoks, veröffentlicht in „Regenbilder“ 1980, o.S. 572 Eindrucksvoll zeigt das die Lithographie WM 228 Gestrüpp von 1954. 573 So zu sehen auf der gleichnamigen Steinätzung Ratten im Korn (WSt 143) von 1952. 574 Manuskript „Das weite Land“ aus dem Nachlass Otto Pankoks, veröffentlicht in „Regenbilder“ 1980, o.S. 575 Textfragment eines Textes von Otto Pankok, überschrieben mit „Düsseldorf 1932”, unveröffentlicht, einzuse- hen im Archiv des Otto-Pankok-Museums „Haus Esselt“ in Hünxe/Drevenack. 576 Vgl. dazu Herbert Vorgrimler, Neues Theologisches Wörterbuch, 479. 577 Rainer Zimmermann, Das Werk des Malers, Holzschneiders …, 85. Rainer Zimmermann sprach in seinem Werk vom ″Mythos des wahren Menschen″, der im Werk Otto Pankoks beschworen werde, am deutlichsten zu sehen in dessen Zigeunerbildern. In ihnen wird nach Rainer Zimmermann „das Mysteriums des Menschseins anschaulich gemacht“. Nach Rainer Zimmermann kommt im Werk Otto Pankoks hinzu, dass dieser die Natur als Mythos begriff: „So verwandeln sich unter seinen Händen die herkömmlichen Bildgattungen des Tierbildes, des Porträts, der Landschaft – in Begegnungen mit dem Geschöpf, mit dem Nächsten im Sinne des Evangeliums und mit der Natur als einer Offenbarung. Einer ersten und einer letzten Offenbarung: Wort eines verborgenen Gottes, Sage eines in sich geschlossenen Daseins, einziger Mythos, der in einer entzauberten, säkularisierten, technisch – verfremdeten Welt allen gegenwärtig ist.“

121 für den Künstler beiweiten nicht die Krone der Schöpfung Gottes dar, sondern er sah ihn gleichberechtigt in einer Reihe mit den Pflanzen und den Tieren. Er stellte ihn mitten hinein in die große Schöpfung, in der der „kleine Mensch“578 nur einen bestimmten Platz in An- spruch nehmen durfte. Für Otto Pankok waren „die Tierleben und die Menschenleben einge- hüllt in die Unendlichkeit“579. Im Angesicht der Unendlichkeit wirkt ein Menschenleben win- zig und verletzlich. Auf keinen Fall stellte Otto Pankok es höher als das der winzigsten Krea- tur. Werner Gilles schrieb 1934 an seinen Freund Otto Pankok:

„[…] Du hast Deine Zigeuner, von denen Du schreibst, daß sie zur Schöpfung gehören wie Strauch, Baum, Stein, Wolke und Blume. Du hast Recht, der Mensch bleibt das Hauptthema der Kunst […].“580

Gleichberechtigt stehen im Werk Otto Pankoks die Tierbilder neben den Menschen- bildern. Blättert man die Werkverzeichnisse durch, ist festzustellen, dass Otto Pankok in re- gelmäßiger Wiederkehr Tierbilder schuf. Die letzte Radierung aus seinem Sterbejahr (WR 772) heißt Hahn und Huhn und zeigt auch solche. Fast alle einheimischen Tiere malte Otto Pankok oder schnitt sie als Motiv in Holz. Vorliebe hatte er für Pferde in der Landschaft, für Kühe und Schafe auf der Weide, Hühner, speziell für Hähne, Enten und für Esel. Kurt Schif- ner berichtet von seinem Kennenlernen mit Otto Pankok, welches in eine Zeit fiel, in der der Künstler zu Hause einen verletzten Sperling gesund pflegte. Dieser hüpfte ihm während des ersten Treffens in seinem Düsseldorfer Haus vergnügt auf Schulter und Kopf herum. An an- derer Stelle schrieb Kurt Schifner:

„Pankok liebt die Tiere. Viele Blätter von seiner Hand sind ausschließlich den unentbehrlichen Gefährten des Menschen gewidmet.“581

Erschrocken registrierte der Künstler den Umgang des Menschen mit der Kreatur des Tieres auf seinen vielen Reisen nach Südeuropa und auf den Balkan. Misshandlungen waren für ihn auch dann nicht akzeptabel, wenn sie kulturell bedingt und in der Tradition eines Volkes ver- ankert schienen. 1955 entlud Otto Pankok seinen angestauten Unwillen über die erlebten Zu- stände in einem Schreiben an Papst Pius XII.. Darin heißt es:

„Dieses Wort [aus der apokryphen Apostelgeschichte des Petrus, AdA] hatte mich besonders getroffen, da ich nach vielen Gesprächen mit Geistlichen in mehreren Ländern über die Grausamkeit der christlichen Menschen gegen das Tier so oft auf Unwillen gestoßen war, gegen die Quäler der Tiere Stellung zu nehmen. So z.B. auf Capri gegen das dort beliebte Spiel der Jugend, Eidechsen an kleinen Galgen aufzuhängen oder Wettrennen von Eidechsen zu veranstalten, denen man vorher ein, dann zwei Beine ausriß. In Spanien und Frankreich gegen den

578 Otto Pankok, Otto Pankok über seine Passion, Prisma, 15/1948, 32. 579 Manuskript „Das weite Land“ aus dem Nachlass Otto Pankoks, veröffentlicht in „Regenbilder“ 1980, o.S. 580 Werner Gilles 1934 in einem Brief an Otto Pankok, den dieser in Auszügen und daher ohne genaues Datum für einen Vortrag unter dem Titel „Appell an das Gewissen” verarbeitete. Das unveröffentlichte Manuskript des Vortrages umfasst 21 Seiten und befindet sich, korrigiert von seiner Ehefrau Hulda, im Archiv des Otto-Pankok- Museums „Haus Esselt“ in Hünxe/Drevenack. 581 Kurt Schifner, Künstler der Gegenwart. Otto Pankok, 14.

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Stierkampf oder das sinnlose Quälen der Hühner, die man, an den Füßen zusammengebunden, in Bündeln auf stundenlangen Wegen zum Markt trug, oder gegen das Schlachten der Kaninchen durch Ausschneiden der Au- gen mit der Schere. Manche Geistliche antworteten mir: ′Was wollen Sie das Tier hat doch keine christliche Seele ′oder ′Das Tier ist ja nicht getauft′. […] So war ich ungeheuer ergriffen, als ich kürzlich das – apokryphe – Christuswort las, das so seltsam schön ist und so echten und wuchtigen Klang hat, und das, wenn es in einem der vier Evangelien gestanden hätte, ein Meer von Leid der unschuldigen Kreatur verhindert haben würde. Ich glau- be, daß die Kirche dieses Wort des Herren zum Anlaß nehmen könnte, einen wichtigen Schritt gegen die Verro- hung unserer Zeit in die Wege zu leiten, der Heil für alle Zeit nach sich zöge.“582

Nach Abschluss einer Reise mit seiner Frau nach Montenegro, wandte sich Otto Pankok am 28. 10. 1956 schriftlich mit der Bitte an den Prediger Muftia Mavrić, der Moschee in Uleinj, gegen die vielfach beobachteten Tierquälereien vorzugehen:

„[…] Sie werden mit uns darin einig sein: Allah will nicht, dass Menschen Tiere so grausam behandeln. Er ist für die ganze Schöpfung verantwortlich. Und er verlangt vom Menschen gleiche Verantwortung vor seiner Schöpfung. Der Mensch muss bestrebt sein, ein Tier nicht leiden zu lassen. […] Unsere Bitte geht dahin, dass Sie als Vertreter Ihrer Religion, mit besonderer Dringlichkeit die Kinder und Erwachsenen darüber unterrichten, dass es im Sinne Ihrer Religion ist, der ganzen Schöpfung, dazu gehören die Tiere, mit Liebe zu begegnen und dass Tierquälerei Sünde ist. [...] Wenn wir heute anklagen, dann nur, weil diese Menschen zu schade sind, um im bösen Irrglauben zu bleiben.“583

Otto Pankok sah sich inmitten der von ihm beschriebenen Unendlichkeit, aus der er als Künstler seine Kraftquellen zog. Er selbst war ein Teil davon. Er stand in ihr und war mit ihr organisch verbunden. Viele seiner Gedichte haben das intensive Naturerlebnis zum Inhalt. Sie machen deutlich, warum er sich in seiner Kunst mit Hingabe alltäglichen Motiven zuwandte, wie den Kühen auf der Wiese, Hühnern, Wiesenstücken, blühenden Blumen und Regenpfüt- zen. 1922 formuliert er in einem seiner frühen Gedichte:

Duft der Fichten, Duft der Erde Dringt in meinen Körper ein, Daß ich Teil des Waldes werde.

Kleiner Teil des Waldes bloß. Tropfen fallen, Tropfen fallen Nieder in das weiche Moos.

[…]584

In den Augen Wilhelm Worringers liegt in dieser Ganzheit die Bedeutung und Größe der Kunst Otto Pankoks, weil sie untrennbar mit seiner Persönlichkeit verbunden ist. In den Au- gen Worringers konnte nur jemand als erstes (!) Gebot seiner Malergebote formulieren: „Du sollst den Kitsch riskieren!“585, der „[…] weiß, daß er seine Erdwurzeln hat, die bis ins Ele-

582 Otto Pankok in einem Brief vom 25. 11. 1955 an Papst Pius XII., zitiert bei Kurt Schifner, Otto Pankok, 175. 583 Unveröffentlichter Brief Otto Pankoks vom 28. 10. 1956 einzusehen im Archiv des Otto-Pankok-Museums „Haus Esselt“ in Hünxe/Drevenack. In diesem Brief gibt Otto Pankok als Absender die Kunstakademie in Düs- seldorf an und unterschreibt ihn auch mit seinem Titel „Professor Otto Pankok“, wohl, um der Bitte mehr Ge- wicht zu verleihen. 584 Gedicht ohne Titel aus dem Jahr 1922, ediert bei Kurt Schifner, Otto Pankok, 169. 585 Otto Pankok, Stern und Blume (1930), Nachdruck von 1987, 15.

123 mentare hineingreifen.“ Worringer fügt hinzu, dass „Menschen von dieser Stärke der Natur- verbundenheit“ heute „in der Tat fast befremdende Erscheinungen“ sind586. Für Otto Pankok als gläubigem Christ hatte das starke Naturerlebnis immer eine reli- giöse Dimension. Kein Ding und kein Wesen existierten in seinen Augen aus sich selbst her- aus. „Eine Pflanze wächst nicht wie sie wachsen will, sondern wie Er will, daß sie wach- se.“587, schrieb Otto Pankok 1941 in einem Brief an seinen Freund und Sammler Ludwig Leitz. In dieser Beständigkeit des Lebens und Werdens, das unabhängig des menschlich ver- ursachten Wahnsinns über alles Tagesgeschäft hinaus weiter existieren wird, empfand der Künstler Trost in existenziell schwerer Zeit. Im selben Brief heißt es weiter:

„Der eine Trost, lieber Herr Leitz, bleibt: wenn auch die Kultur (d.h. die Kulturen) hinter uns liegen, so wird doch immer wieder in dem Einzelnen diese Erkenntnis des Elementaren aufgehen und ihn zum Schaffen und Jubilieren bringen. Das ist ein Stern in der Nacht, nicht wahr?“588

So scheint der Ratschlag, den der Theologe Paul Tillich 1952 in einer seiner drei Vorlesung- en, die er zum Thema „Kunst und Gesellschaft“ an der Minneapolis School of Art gehalten hat, den zeitgenössischen Künstlern gab, Otto Pankok nicht kümmern zu müssen:

„Man kann Kunst aus der religiösen Substanz heraus, die man besitzt, schaffen, und man kann begründeterweise die traditionellen religiösen Symbole benutzen, wenn sie unserem wahren Sein entsprechen. Aber wenn das nicht der Fall ist, dann lassen Sie die Finger davon. Dies ist der Ratschlag, den ich den meisten heutigen religiösen Künstlern gebe.“589

Paul Tillich schloss aus seinem Erleben der Kunst, dass religiöse Kunst weniger vom religiö- sen Bildgegenstand abhängt, als vielmehr vom religiösen Gehalt, in dem es gemalt wurde. In seinen Augen eignete sich der Protestantismus dafür, eine neue religiöse Kunst befördern zu können, da in ihm „ein Pathos für das Profane“ zu finden sei:

„An dieser Stelle aber hat der Protestantismus eine Chance, die schwerlich eine andere Religion hat: Er hat, wie ich es einmal ausgedrückt habe, ″ein Pathos für das Profane″. Er liebt es, vor die Tore des Heiligtums (pro fanes) zu gehen und dort das Göttliche zu finden. Und wir hatten gesehen, dass die Dimension, die auf das weist, was uns unbedingt angeht, in keiner Wirklichkeit fehlt.“590

Diese Erkenntnis Paul Tillichs eröffnet einen Verständniszugang zu den künstlerischen Moti- ven Otto Pankoks. Gerade weil er ein gläubiger Christ war, konnte er in jeder Pflanze und in jedem Tier Gottes Schöpfung entdecken. Otto Pankok schuf seine Werke in dem Bewusstsein, dass sich in seinen Bildgegenständen die Herrlichkeit der Schöpfung Gottes in ganzer Viel-

586 Wilhelm Worringer, Sammelmappe (1927) mit 24 Reproduktionen von Kohlebildern Otto Pankoks, 6. 587 Unveröffentlichter Brief Otto Pankoks an Ludwig Leitz aus dem Jahr 1941 einzusehen im Archiv des Otto- Pankok-Museums „Haus Esselt“ in Hünxe/Drevenack. 588 Unveröffentlichter Brief Otto Pankoks an Ludwig Leitz aus dem Jahr 1941 einzusehen im Archiv des Otto- Pankok-Museums „Haus Esselt“ in Hünxe/Drevenack. 589 Paul Tillich, Kunst und Gesellschaft, Dritte Vorlesung: Religion und Kunst, 46. 590 Paul Tillich, Zur Theologie der bildenden Kunst und der Architektur, 211.

124 gestalt widerspiegelt. Die Tier-, Pflanzen und Landschaftsbilder Otto Pankoks beschreiben in ihrer eigenen Bildsprache vitale Lebensfülle und Lebenswillen591. Sie verstehen sich als Lob- preis auf Gottes gute Schöpfung. Die aufblühenden Sommerstauden bahnen sich ihren Weg durch die im Gras liegende Totenschädel592. Blühendes überwuchert vergangenes Leid - neu- es Leben drängt den Tod von gestern beiseite. Ulrich Schulte-Wülwer stellt sogar die Behauptung auf, dass Otto Pankok von einem:

„religiösen Gefühl durchdrungen [war], das die Offenbarung des Göttlichen in der Natur in jeder Zeichnung spüren lässt.“593

Bleibt man bei Paul Tillichs Unterscheidung von ″Gehalt″ und ″Inhalt″, wird nach- vollziehbar, dass sich alle Bilder Otto Pankoks dem großen Thema der Schöpfung unterord- nen. In diesem Sinn entspräche das ″Motiv der Schöpfung″ der Kategorie ″Gehalt″, da Otto Pankok alles, was er malte, in Beziehung zur Schöpfung Gottes sah. Dennoch malte er keine reinen ″Schöpfungsbilder″594. Aus dem Jahr 1955 ist vom 25. November ein Brief Otto Pankoks erhalten, der seine Haltung zur Schöpfung, Erhaltung der Schöpfung und Wertschätzung alles Kreatürlichen wi- derspiegelt. Darin wird etwas von der Bedeutung des Wortes Christi und der Wertschätzung der Evangelien spürbar. Der Brief ist ein weiterer Beleg dafür, dass Otto Pankok in der Heili- gen Schrift und den apokryphen Texten gelesen haben muss. Otto Pankok überschrieb den Brief mit: „Eure Heiligkeit!“ und entschuldigt sich im Schlusssatz dafür, dass er mit seiner „flehenden Bitte gleich zur Quelle gegangen“ ist:

„Gleichzeitig mit diesem Schreiben erlaube ich mir, einen meiner Holzschnitte „Christus und das Tier“ zu über- reichen. Der Text auf diesem Blatt ist ein Zitat aus der apokryphen Apostelgeschichte des Petrus […] Dieses Wort hat mich besonders getroffen, da ich nach vielen Gesprächen mit Geistlichen in mehreren Ländern über die Grausamkeit der christlichen Menschen gegen das Tier so oft auf Unwillen gestoßen war, gegen die Quäler der Tiere Stellung zu nehmen. […] In Spanien und Frankreich gegen den Stierkampf oder das sinnlose Quälen der Hühner […], oder gegen das Schlachten der Kaninchen durch Ausschneiden der Augen mit der Schere. Manche Geistliche antworteten mir: „Was wollen Sie, das Tier hat doch keine christliche Seele“ oder „Das Tier ist ja nicht getauft“. […] So war ich ungeheuer ergriffen als ich kürzlich das – apokryphe – Christuswort las, das so seltsam schön ist und so echten und wuchtigen Klang hat, und das, wenn es in einem der vier Evangelien gestan- den hätte, ein Meer von Leid der unschuldigen Kreatur verhindert haben würde. Ich glaube, daß die Kirche die- ses Wort des Herrn zum Anlaß nehmen könnte, einen wichtigen Schritt gegen die Verrohung unserer Zeit in die Wege zu leiten, der Heil für alle Zeit nach sich zöge […].“595

591 Vgl. dazu Rainer Volp, Das Kunstwerk als Symbol, 166. 592 Schädel in Blumen (WR 660, 1947) 593 Vgl. Ulrich Schulte-Wülwer, Otto und Eva Pankok an der Flensburger Außenförde, Hasselberg 1957, 63. 594 Antje Wüpper, Wahrnehmen lernen, 207. Der Maler Franz Marc (1883-1916) löste sich ab 1914 in seiner Malerei ganz von der Form und schuf u.a. Schöpfungsbilder mit Titeln wie Kämpfende Formen/Heitere For- men/Zerbrochene Formen etc., die als Symbole für die Uranfänge des Lebens stehen. Zwei Bilder, die er zum ersten Buch Mose anfertigte, tragen die Titel Schöpfungsgeschichte I und Schöpfungsgeschichte II, vgl. dazu Antje Wüpper, Wahrnehmen lernen, 205. 595 Otto Pankok in einem Brief an Papst Pius XII. 25. 11. 1955 abgedruckt in Kurt Schifner, Otto Pankok, 175f.

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Otto Pankok fühlte sich als Künstler von der Fülle des Lebens beschenkt. Sein Anlie- gen war es, den unendlichen Reichtum dieser Fülle künstlerisch festzuhalten. Damit fängt der Künstler im Verständnis Paul Tillichs in seinen Bildern etwas von dem Heiligen ein, versteht dieser doch das Heilige als „Qualität dessen, was den Menschen unbedingt angeht“596. Das ist der Grund, warum für Otto Pankok außer Frage stand, am konkreten Gegenstand in seiner Kunst festzuhalten. Für ihn als Christ stellte es einen Verrat an Gottes Schöpfung dar, das Gegenständliche zugunsten des Ungegenständlichen aufzugeben. Er empfand es geradezu als Frevel, die unbegrenzte Vielgestaltigkeit, die mit dem Schöpfungswerk Gottes hervorgebracht wurde, von Seiten der bildenden Kunst zugunsten etwas Ungegenständlichen und damit zu- gunsten einer ″Nichtgestalt″ aufzugeben. Solcherart Kunst konnte in seiner Auffassung nur in bewusster Negation des Schöpfungswerkes entstehen.

„Der Maler des Ungegenständlichen lässt hinter sich zurück das Ebenbild Gottes, die Gesichter und Körper der Menschen, die wuchernden und rankenden Pflanzen, die gewaltigen ausladenden Bäume, die Gewässer, die Nebel, die Sonne, den Regen. Er lässt das Meer hinter sich zurück und die Ebenen, den Mond und die Sterne. Er wischt die Schöpfung aus […].“597

In diesem Sinn ist jedes seiner Bildwerke ″christlich″ zu nennen, da es völlig unabhängig vom Bildgegenstand in hoher Wertschätzung gegenüber der vielgestaltigen Schöpfung Gottes ent- stand:

„Es ist also zu untersuchen, warum gewisse Maler den Dingen, den herrlichen Dingen, den Pflanzen, den Tieren, den Menschen, den Wundern der Welt den Rücken zuwenden wollen. Es ist dies ein ungeheures Phänomen, wenn ein Geschöpf Gottes beginnt, den Garten des Paradieses aus freiem Willen zu verlassen. […] Sie begeben sich in eine Sackgasse, die keinen Ausweg hat. Keinen Ausweg, dies ist es vielleicht, was sie trieb. Sie suchten diese Malerei ohne Ausweg, um ein Sinnbild zu schaffen für die verzweiflungsvolle Lage der Menschen nach den großen Katastrophen, als stünde uns nicht der Rücken frei.“598

Somit sind die Bilder Otto Pankoks Bilder der Schöpfung Gottes, denn „das Auge“, schrieb Otto Pankok 1946 in sein Tagebuch, „ist das Verbindungstor zwischen Mensch und Gott“599. Die Bedeutung, die Otto Pankok dem Auge beimisst, kann nur aus seiner Perspektive als bil- dender Künstler verstanden werden. Ein Musiker würde mit Sicherheit dem Ohr primären Stellenwert zusprechen. Die Bedeutung, die Otto Pankok bei der Erkenntnis Gottes primär dem Auge zuspricht, verrät den Wert, den er dem späteren Bildwerk zuschreibt, das vom Künstler angefertigt aus diesem Erkenntnisprozess hervorgeht. Es wird zu einem Dokument. Für den Theologen Paul Tillich besitzen Kunstwerke primären historischen Quellenwert, die unvermittelter als andere Quellen Auskunft über den Glauben eines Künstlers oder einer Ge-

596 Paul Tillich, Systematische Theologie, Bd II, 251. 597 Otto Pankok 1950 in einem Text für das Jahrbuch der Staatlichen Kunstakademie Düsseldorf zitiert bei Rai- ner Zimmermann, Antwort auf die Schöpfung, o.S. 598 Otto Pankok, Sackgasse, 5 zitiert bei Susanne Timm, Die Druckgraphik von Otto Pankok, 72f. 599 Zitiert bei Rainer Zimmermann, Antwort auf die Schöpfung, o.S.

126 sellschaft geben. Somit kommt in seinen Augen Kunstwerken der Stellenwert von Dokumen- ten zu:

„Es sind in vielen Fällen die einzigen Dokumente, die wir haben. Aber auch, wenn andere da sind, gibt es keine, die direkter und eindrucksvoller von dem berichten, was der Glaube eines Künstlers oder einer Schule oder einer Gesellschaft ist. Man sollte keine Geschichte der Politik oder der Philosophie oder der Religion schreiben, ohne die Dokumente der bildenden Kunst heranzuziehen und aus ihnen zu lernen, in welcher Weise die Menschen einer Epoche sich selbst und ihr Stehen im Universum verstanden haben. Das heißt: Ohne eine Theologie der Kultur gibt es keine in die Tiefe gehende Geschichte der Kultur, und ohne eine Theologie der bildenden Kunst gibt es kein Verstehen des menschlichen Sinnes der Kunstwerke!“600

Betrachtet man Werke der bildenden Kunst aus dieser Bedeutungsperspektive heraus, dann können sie zum Ort theologischer Erkenntnis werden. In ihrer Eigenschaft als visuelles Bild werden beim Betrachter andere kognitive Bereiche angesprochen als das theologische Texte, geistliche Musik oder sakrale Bauwerke vermögen, d.h. mit Werken der bildenden Kunst werden eigene Erkenntniszugänge in theologische Inhalte ermöglicht.

6. 4 Otto Pankoks Menschenbild im Spiegel seines Jesus- und Gottesbildes

In Würdigungen wird Otto Pankok stereotyp die immer gleiche Hymne als einem großen Menschenfreund gesungen. Das Bild des ″Menschenfreundes″ wird durch zahlreiche Anekdo- ten genährt, die ihn im vertrauten Umgang mit ganz unterschiedlichen Menschen zeigen. Die meisten Begegnungen sind aus der Perspektive des Künstlers überliefert, die er in persönli- chen Tagebucheinträgen, mehrfach überarbeiteten Manuskripten oder in druckfertigen Texten für seine Bücher festhielt601. Bei diesen innig beschriebenen Begebenheiten fällt auf, dass es sich durchweg um einfache und am Rande der Gesellschaft stehende Menschen handelt, de- nen sich der Künstler zugetan fühlte. Das lässt die Vermutung aufkommen, dass auf diese Weise ein ganz bestimmtes Bild des Menschen Otto Pankoks transportiert werden sollte. Sei- ne Tochter weiß Geschichten davon zu erzählen, wie er sich intuitiv, ohne überhaupt die Lan- dessprache zu sprechen, fremden Menschen zuwandte, und sie in seinen Bildern verewigte602. Fremde Menschen fassten Vertrauen zu dem Maler, weshalb sie sich von ihm porträtieren ließen - war es der Einsiedler Marion603, dem der Hut in all dem Schmutz fest am Kopf ange- wachsen war oder der alte, mürrisch dreinschauende Schmied aus dem kleinen Ort Ohrid in

600 Paul Tillich, Zur Theologie der bildenden Kunst und Architektur, 207. 601 Anekdoten mit spanischen Fischern und oldenburgischen Bauern finden sich in Otto Pankoks Werk „Stern und Blume“ (1930), über die Zigeuner schrieb Otto Pankok in „Zigeuner“ (1947), andere, z.B. über den alten Provencalen Marion finden sich bei Kurt Schiffner, Otto Pankok, 173f. 602 Eva Pankok im Interview mit der Verfasserin am 12. 04. 08 im „Haus Esselt“. 603 Kurt Schiffner, Otto Pankok, 173f.

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Montenegro, der auf Otto Pankoks Kohlegemälde seinen kleinen Enkel liebevoll auf dem Schoß hält604. In diesem Sinn beschrieb 1980 Hulda Pankok das Zusammentreffen ihres Mannes mit seinen spanischen Modellen:

„Endlich findet Ramon einen Menschen, der ihm geduldig zuhört und öfter etwas für die Konservenbüchse mit- bringt. Teresa, Tomasas Mutter, näht Ramon die Flicken seiner Hose zusammen und sie verdient sich etwas bei der Bedienung von Cholerakranken und Typhuskranken und nun hat sie auch einen Freund, der sie malt und ihr etwas mitbringt und ihr ein ersehntes gutes Wort schenkt.“605

Was sie beschreibt, ist die Gabe des Künstlers, sich den Aussätzigen der Gesellschaft in Nächstenliebe zu nähern. Das waren Menschen, die sich in Blechdosen ihr Essen zuberei- ten und die die tödlich Kranken versorgen mussten606. Seine sprichwörtliche Zuneigung zu den Armen und Alten, den Vergessenen und nicht zuletzt Kriminalisierten schlug sich als wesentliches Motiv in Otto Pankoks künstlerischem Œuvre nieder. Diese Menschen erfuhren durch den Künstler vielleicht zum ersten Mal in ihrem Leben, dass ihnen Respekt und Auf- merksamkeit entgegengebracht wurde. Doch nicht nur er gab den fremden Menschen mit sei- nem ungefälschten Interesse und seiner Aufmerksamkeit Bereicherung in ihrem Leben. Auch er selbst genoss diese menschlichen Kontakte. Eva Pankok erzählt, dass ihr Vater nach dem anhaltenden Trauma des Stellungskrieges im Ersten Weltkrieg erst bei den spanischen Fi- schern und Bauern den Glauben an das Wahrhaftige und Gute im Menschen fand. Diese Ge- wissheit konnte er sich ein Leben lang bewahren607. Die Verbundenheit gerade mit den spani- schen Modellen widerspiegelt sich in seiner Abendmahlsdarstellung, auf der alle (!) Jünger, die um Jesus sitzen, die Gesichtszüge des Spaniers Pateran tragen608. In Kontrast dazu steht, dass sich der ″Menschenfreund″ Otto Pankok - auch öffentlich - in verheerendem Urteil über Künstlerkollegen äußern konnte („ein ganz dummer Stän- ker“609, „langweilige Pinselquäler/Arbeitssekundenzähler“610, „dem Idioten Beuys“611) und

604 Auch zu sehen auf dem Gemälde Der Schmied III von 1954, abgedruckt in Otto Pankok, Elefanten Press, 117. 605 Hulda Pankok 1980 über ihren Mann in Bernhard Mensch/Karin Stempel, Otto Pankok 1893–1966. Retro- spektive zum 100. Geburtstag, 84. 606 Hulda Pankok 1980 über ihren Mann in Bernhard Mensch/Karin Stempel, Otto Pankok 1893–1966. Retro- spektive zum 100. Geburtstag, 84. 607 Eva Pankok im Interview mit der Verfasserin am 16. 03. 09 im „Haus Esselt“. 608 Im Otto-Pankok-Museum „Haus Esselt“ in Hünxe/Drevenack befindet sich lediglich ein Foto des Bildes, auf dem weder genaue Abmaße noch der korrekte Titel vermerkt sind. Das hochformatige Kohlebild befindet sich nach Angaben des Museums im Besitz des Otto-Pankok-Gymnasiums Mülheim/Ruhr. Vgl. dazu die Darstellung des Pateran u.a. auf den Kohlebildern Pateran und Patum (1929) und Pateran (1929) in Otto Pankok, Stern und Blume, Nachdruck von 1987, 33 u. 35. 609 Otto Pankok über einen Mitstudenten in Weimar, der ihm bei der Vergabe eines Atelierplatzes vorgezogen worden war, ediert bei Cyrus Overbeck/Oliver Müller Otto Pankok, 52. 610 Otto Pankok in einem Spottgedicht von 1919 über seinen Lehrer an der Düsseldorfer Kunsthochschule Fritz Mackensen, ediert bei Cyrus Overbeck/Oliver Müller Otto Pankok, 99.

128 generell eine starke Ablehnung gegen alle hegte, die er als ″Spießbürger″ zu bezeichnen pflegte. Als solche hatten u.a. zu gelten, die seine Kunst nicht verstanden und demzufolge nicht wertschätzten.

„In euren Augen ist Balo ein Nichtsnutz, der nicht arbeiten will, und Fisili eine zerlumpte Schlampe, die euch anbettelt und bestiehlt. Dem ewigen Spießer bleiben sie ein Gräuel, sie, die schwarzen Lieblinge der Freiheit. […] Wie können sie sich schmücken mit Blumen und Tand, vom Straßenrand gegriffen, mehr und herrlicherer Schmuck als die in Platin gefaßten Brillianten aufgetakelter Fregatten.“612

Die Autoren Overbeck/Müller thematisierten in diesem Zusammenhang erstmals Otto Pankoks ambivalentes Verhältnis zu seinen Zeitgenossen. In ihrer Biografie räumen sie dem Verhältnis des Künstlers zu seinem Jugendfreund Gert Wollheim großen Platz ein. Dabei ver- suchten sie nachzuweisen, dass Otto Pankok über dessen flexible, anpassungsfähige Art zu- nehmend in Neid geriet613. 1921 hatte er sich in seinem Tagebuch eine Liste notiert,614 „wel- che Menschen er im Leben am meisten gehasst hat.“615 An erster Stelle der Liste steht laut Overbeck/Müller sein Jugendfreund Gert Wollheim, gefolgt von ehemaligen Lehrern und Vorgesetzten der Militärzeit616. Die Autoren sehen durchaus eine Parallele zwischen Otto Pankoks Kunst und seinem Verhalten im zwischenmenschlichen Bereich. Die Konsequenz und Geradlinigkeit, die sich im künstlerischen Schaffen als genial und einzigartig erwies, äu- ßerte sich im zwischenmenschlichen Bereich nicht selten als Schwäche617. In eine bildhafte Sprache übersetzt wird dieser Nonkonformismus Otto Pankoks durch Gert Wollheim auf des- sen Ölgemälde Der Streit. Selbstbildnis mit Pankok (1922)618 auf dem der ehemalige Freund als übermannshohes, schwarzes, buckeliges Wesen erscheint, das nur noch ungefähre Züge mit dem leibhaftigen Künstler aufweist. Vor allem sein mächtiger Bart gibt ihn zu erkennen. Durch den Raum fliegt ein riesiges Fleischermesser auf den sich duckenden Otto Pankok zu.

611 Otto Pankok am 22. 8. 1964 in einem Brief an Rainer Zimmermann, ediert in Ingrid von der Dollen, Im Wi- derstand gegen die Zeit. Malerbriefe an Rainer Zimmermann, 28. 612 Otto Pankok, Zigeuner (1958), 7. 613 Cyrus Overbeck/Oliver Müller, Otto Pankok, 130f. 614 Die Tagebucheinträge Otto Pankoks zeigen, dass das Anlegen einer solchen Liste in eine Zeit fällt, in der sich der Künstler von vielen Dingen los sprach. Dazu gehörte auch seine Familie. Nach den Kriegserlebnissen des Ersten Weltkrieges, die für Otto Pankok existenzielle Bedeutung hatten, begann für den Künstler ein schmerzli- cher Ablösungsprozess von Familie und von Jugendfreunden. Kurzzeitig machte er tabula rasa, um dann später geläutert, eine geklärte Beziehung wieder aufnehmen zu können. Dazu gehörte sogar der am „meisten gehasste“ Jugendfreund Gert Wollheim, zu dem er in späteren Jahren wieder ein freundschaftliches Verhältnis fand, wie überlieferte Briefe aus den 60er Jahren zeigen. 615 Cyrus Overbeck/Oliver Müller, Otto Pankok, 132. 616 Vgl. dazu Cyrus Overbeck/Oliver Müller, Otto Pankok, 132. Andere Listen kategorisierten die weniger Ge- hassten, und die Menschen, zu denen Otto Pankok „neutral“ stand. Nur zwei Menschen schrieb er in eine Liste der „geliebten Menschen“: seinen Bruder Adolf und seinen Vater. Otto Pankoks Mutter und seine Ehefrau Hulda stellte er außerhalb aller Kategorien. 617 Cyrus Overbeck/Oliver Müller, Otto Pankok, 131. Overbeck/Müller interpretieren, dass es Otto Pankoks Wesen entsprach, sich nicht arrangieren zu können. In ihren Augen sah sich der Künstler dazu jedoch zeitweise gezwungen, um nicht vollkommen der Vereinsamung anheim zu fallen. 618 Das Bild (102 x 112 cm) befindet sich heute in Privatbesitz. Es ist abgedruckt u.a. in Beate Ermacora/Anja Bauer, Die Geistige Emigration, 154 und bei Ulrich Krempel, Am Anfang: Das Junge Rheinland, 219.

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Vor Gert Wollheim auf dem Tisch steht dieses grässliche schwarze Monster noch einmal, nun zu handlicher Größe auf die Ausmaße einer Voodoopuppe geschrumpft. Über solch persönliche Animositäten hinaus gab es noch weitere Menschen – sogar ganze Menschengruppen, die sich der Sympathie Otto Pankoks nicht sicher sein konnten und das Bild des ″Menschenfreundes″ relativieren. Vorab sei die These gestellt, dass der Künstler tatsächlich eher eine auffallend starke Zuneigung zu verarmten, vereinsamten, ausgestoßenen, hilfebedürftigen und kranken Men- schen empfand, als dass er ein uneingeschränkter ″Menschenfreund″ gewesen wäre, wie es in den Evangelientexten von Jesus von Nazareth überliefert wird, der seine Liebe zum Nächsten sogar auf den Feind ausweitete. So weit ging Otto Pankoks Menschenliebe beiweiten nicht. Im Gegenteil, seine Zuneigung zu den Menschen konzentrierte sich ganz deutlich auf eine ganz bestimmte und überraschend kleine Zielgruppe. Dies soll im Folgenden näher erläutert werden. Es ist auffällig, dass das Interesse des Künstlers den menschlichen Extremen galt. Bernd Lasch argumentierte 1948 noch ganz im Vokabular des Nationalsozialismus:

„Es geht ihm also nicht allein um den Typus des intellektuellen Menschen, entdeckt er hier doch auch die Krea- tur, das animalische Wesen, das nur seinem Instinkt, seinen Sinnen gehorcht. Pankok fühlt sich künstlerisch ebenso stark vom Über – wie vom Untermensch angezogen, nur nicht von der unausgeprägten Mittelmäßigkeit, weil erst das Extrem seine Ausdruckskunst zur Entfaltung bringt.“619

Wer von Otto Pankok grundsätzlich abgelehnt wurde, das war der ″Mensch der Mas- se″. Diesem ″Massenmensch″ sprach er eine Entindividualisierung zu und verortete ihn als Phänomen nicht nur unter seinen Zeitgenossen, sondern übertrug ihn als Archetyp in alle Zei- ten. Der ″Mensch der Masse″, das war der, der sich materialistisch orientiert nur dem hingab, was er mit seinen Händen greifen konnte, für die geistigen Dinge dagegen unempfänglich blieb. Dieses menschliche Phänomen sah Otto Pankok zu Zeiten Jesu genauso wie zu eigenen Lebzeiten. Der ″Mensch der Masse″ war der, der sich von Demagogen verführen, von politi- schen Anführern hetzen und von falschen Versprechungen locken ließ. Er war das Stereotyp des Verlockten, Verführten, Aufgehetzten und Genusssüchtigen.

„In großen Mengen waren die Menschen für das Licht des Gottestrunkenen [Jesus, AdA] nicht zu gewinnen. Diese dumpfe Masse ließ sich wohl hetzen, sie ließ sich locken, aber sie ließ sich nicht für Güte und Liebe ent- flammen. Sie war nur für die mit den Händen greifbaren Dinge zu haben. Versprach man ihr Genüsse und Vor- teile, so ergab sie sich einem allzu leicht, für Speise und Trank, für Wollust, für Macht und für Rache, für Aus- beutung und Versklavung.“620

Auffallend an diesem Text ist, dass Otto Pankok, der bei aller Erfahrung immer an das Gute im Menschen glaubte, dieser entindividualisierten Masse alles Böse zuschrieb. Im einzelnen

619 Bernd Lasch 1948 in der Einleitung zu einer Ausstellung von Otto Pankok in Marburg, 3. 620 Otto Pankok, Otto Pankok über seine „Passion“ in Prisma 15/1948, 32.

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Menschen konnte er sehr wohl das Gute ausmachen und in seinen Bildwerken sichtbar wer- den lassen. Er fand das Gute im Menschen sogar dort, wo andere längst weggeschaut hatten: sei es bei dem Spanier Ramon, der seine indianische Frau aus Eifersucht erstach621 oder bei dem herrischen Roda, der seine ganze Familie aus dem Haus warf und nun allein von seiner üppigen Kriegsversehrtenrente lebte.622 Egal ob sie logen, aufbrausend, laut und unbeherrscht waren, zanksüchtig, schwatzhaft oder vor Schmutz erstarrten; Otto Pankok bezeichnete sie als seine Freunde. Rainer Zimmermann interpretiert diesbezüglich, dass der Künstler den „un- bürgerlichen Menschen als den verlorenen Sohn unserer verwalteten Welt beschwört, als den Stiefbruder, in dessen Antlitz wir uns selber wieder erkennen sollen“623. Dem entgegen stellte Otto Pankok den ″Mensch der Masse″. Ihn betrachtet er nicht differenzierter. Vielleicht bezeichnet dieser ″Massenmensch″ das, was Bernd Lasch mit „un- ausgeprägter Mittelmäßigkeit“ meinte624. An ihm kann der Künstler nichts Gutes entdecken. Die Zeit der Nazidiktatur über Deutschland hatte gezeigt, wie viele ″Massenmenschen″ es gab und über welche Macht sie verfügen konnten, wenn sie sich zusammen fanden. Der ″Mensch der Masse″ hatte für den Künstler keinen Namen, kein Gesicht und keine Geschichte. Die ″Masse″, das ist für ihn keine Menschengruppe, die es sich näher zu betrachten lohnt, sondern ein sozialer Zustand. Prinzipiell jeder Mensch konnte sich in diesen Zustand hinein entwi- ckeln. In den Zustand, ein ″Massenmensch″ zu werden, bis man schließlich ganz in der Ano- nymität der Masse aufging. Bedingung dafür war die Aufgabe der eigenen Individualität und das Abrücken von jeder Art der Mitmenschlichkeit. Otto Pankok charakterisiert es folgen- dermaßen:

„Was sie erstreben, ist Genuß des allernächsten Augenblicks, so wie eine Herde auf der Weide, die nur saftige Halme für ihre Mäuler sucht und sonst nichts. Der Mensch der Masse gibt sich ohne Hemmung dem Bösen hin. Wer in der Masse aufgeht, fällt damit von dem göttlichen Ebenbilde ab. Er neigt sich hin zum Tier. Sein Herz ist dem Tier und seinen wilden dämonischen Kräften geöffnet. Jesus sucht die Seele. Eine Massenseele aber gibt es nicht.“625

In diesem Text wird deutlich, dass der Künstler nach Gen 1,26f. den Menschen prinzipiell in einer Ebenbildlichkeit Gottes sieht. Wie der Psalmbeter in Ps 8,6f. spricht, dass der Mensch nur wenig niedriger als Gott selbst gemacht und mit Ehre und Herrlichkeit gekrönt ist. Wer davon abrückt und die göttlichen Anteile in sich verkümmern lässt, der wird dem Tier ähnli- cher als dem Menschen626. In den Augen Otto Pankoks vergibt er damit das Wesen seiner Menschlichkeit und kann deshalb nicht mehr Mensch genannt werden, da den Menschen ja

621 Otto Pankok, Stern und Blume (Nachdruck von 1987), 27. 622 Otto Pankok, Stern und Blume (Nachdruck von 1987), 30. 623 Rainer Zimmermann, Das Werk des Malers, Holzschneiders … , 89. 624 Bernd Lasch 1948 zu einer Ausstellung Otto Pankoks in Marburg, 3. 625 Otto Pankok, Otto Pankok über seine „Passion“ in Prisma 15/1948, 32. 626 Vgl. dazu Otto Pankok, Otto Pankok über seine „Passion“ in Prisma 15/1948, 32.

131 gerade seine Fähigkeit zur Selbstreflexion vom Tier unterscheidet627. Lässt der Mensch diese Fähigkeit in sich verkümmern, dann verliert er einen Großteil dessen, was ihn als Menschen 628 ausmacht und das ist über seine Existenz hinaus sein „Person-Sein“ . Nach dem Zweiten Weltkrieg verfasste Otto Pankok einen Text mit dem Titel „Das Menschenbild unserer Zeit“. Darin heißt es:

„Keine Zeit hat es fertig gebracht das Ebenbild Gottes so zu schänden wie die unsrige. Als ich kürzlich das durch den Münchener Jugendwettbewerbsbetrieb berühmt gewordene Bild „Der neue Adam“ zu Gesicht bekam, hatte ich vor dem Bild dasselbe Gefühl, wie ich es damals hatte, als aus dem Lautsprecher eine der blutrünstigen Re- den Hitlers hervorquoll. Da die Kunst alles das offenbart, was sichtbar oder unsichtbar in der Zeit flutet, so glau- be ich, dass Hitler so wie dieser Maler gemalt haben würde, wenn er unter normalen Bedingungen Maler gewor- den wäre. Dieses Bild ist absolut von seiner Art und von seinem Geist. […]. Das Menschenbild aber ist ewig, es ist nicht nur von unserer Zeit. Es wird die Maschinen überdauern und es wird Moden und Meinungen überdauern […].“629

In diesem unreflektierenden, tierhaften Zustand, eingebettet in eine Masse Gleichgesinnter, ist der ″Massenmensch″ zu allem fähig, was an Grausamkeit überhaupt denkbar ist und was sich in der Geschichte der Menschheit immer wieder aufs Neue zeigt: zu Habgier, Rache, Ausbeu- tung und Versklavung. Damit hat der Mensch seine Verbindung zu Gott verloren630. Er wird geleitet von dämonischen Kräften und ist für die göttliche Botschaft eines Jesus von Nazareth nicht mehr empfänglich. Für den Künstler sind diese Menschen verschlossene Gefäße, in die sich der Geist Gottes nicht mehr ergießen kann631. Otto Pankok zeichnet in seinen Schriften ein anthropomorphes Gottesbild. Am an- schaulichsten wird das in seinem Text „An meine Freunde“ (1937). Demnach hat in der Vor- stellung des Künstlers Gott einen Mund, in dem er lieblose Menschen als lau empfindet632. Vor ihnen ekelt sich Gott und speit sie aus633. Gott ist der Töpfer, der den lieblosen Menschen wie eine missratene Form zusammenschlägt634. Er hat einen festen Willen, geht zielgerichtet vor, prüft die Menschen635 und verlangt ihnen etwas ab636. Gott bedient sich in seinem Han- deln der Menschen637. Doch mit all seinem Tun verbindet der Künstler die Hoffnung, dass ihn und Gleichgesinnte einmal Gottes Lächeln treffen wird638. Diesen Gott, den Otto Pankok mit vielen Worten beschreiben kann und dem er anschauliche Eigenschaften beimaß, hat er bild-

627 Gottfried Adam, Theologische Schlüsselbegriffe, 226. 628 Vgl. dazu Gottfried Adam, Theologische Schlüsselbegriffe, 227. 629 Undatierter und unveröffentlichter Text Otto Pankoks, einzusehen im Archiv des Otto–Pankok–Museums „Haus Esselt“ in Hünxe/Drevenack. 630 Vgl. dazu Gottfried Adam, Theologische Schlüsselbegriffe, 228. 631 Otto Pankok, Otto Pankok über seine „Passion“ in Prisma 15/1948, 32. 632 Otto Pankok, An meine Freunde (1937), Nachdruck von 1968, 3. 633 Otto Pankok, An meine Freunde (1937), Nachdruck von 1968, 3. 634 Otto Pankok, An meine Freunde (1937), Nachdruck von 1968, 4. 635 Otto Pankok, An meine Freunde (1937), Nachdruck von 1968, 9. 636 Otto Pankok, An meine Freunde (1937), Nachdruck von 1968, 11. 637 Otto Pankok, Wird das Ewige aktuell?, o.S. 638 Otto Pankok, Zigeuner (1958), 16.

132 lich nie dargestellt. Aus diesem Sprechen in starken Anthropomorphismen, in denen der Künstler von Gott „nach Menschenart“ spricht639, wird deutlich, dass sein Blick zu Gott im- mer durch die Person des Jesus von Nazareth geschieht. Das Bild von Gott ist die Person Je- sus Christus, und dieser Person räumte er in seinem bildnerischen Werk einen wesentlichen Raum ein. Allein dem demütigen Individuum spricht Otto Pankok zu, die Lehren des Gottessoh- nes in sich wirken und wachsen lassen zu können. Der Einzelne kann sich seines „Person – Seins“ bewusst werden und darf vor seinem Angesicht leben als ein von Gott angeredetem „Du“640. Der Masse und damit dem Massenmenschen spricht Otto Pankok diese Fähigkeit vollkommen ab. Die ernste Botschaft eines Jesus von Nazareth von einem Reich, das bald anbrechen wird und für das ein jeder sich bereithalten soll, muss in der Masse ungehört ver- hallen, da diese Botschaft die Seele erreichen soll. Eine „Massenseele“ gibt es nicht, konsta- tiert er in seinem Text641. Diese Botschaft kann nur einem sich seiner selbst bewussten Indivi- duum ins Gesicht gesprochen werden, damit die darin enthaltene Liebe und die Güte im Her- zen eines jeden wirken kann. Nur der einzelne Mensch ist in der Lage, für sich eine Gottesbe- ziehung zu entwickeln, die ihn zum individuellen Menschen werden lässt642. In der Masse kann diese individuelle Gottesbeziehung nicht hergestellt werden. Der „Massenmensch“ ist damit verloren und von Gott abgefallen. Mit ihm kann Gott nicht mehr kommunizieren, da dieser nicht mehr auf ihn hört. Stattdessen gibt er sich den Verführungen der „wilden dämoni- schen Kräfte“ hin: Speise und Trank, Wollust, Macht und Rache, Ausbeutung und Verskla- vung“643. In seinen Augen waren die armen und einfachen Menschen eher davor gefeit, den Ver- suchungen zu widerstehen, die sie von Gottes Ebenbildlichkeit wegführen konnten. In diesem Sinn waren sie für Otto Pankok ″bessere Menschen″. Otto Pankok erlebte Zeitgenossen, die ihre Bildung, ihre Karriere, den beruflichen Erfolg, ihr Vermögen und ihren Einfluss dazu nutzten, um die Schöpfung Gottes zu zerstören und ihren Mitmenschen unendlich viel Leid und Schaden zuzufügen. Kritisch beargwöhnte er die Versuchungen, die Menschen verleiten konnten, die Lehren eines Jesus von Nazareth nicht mehr hören zu wollen. Diese Menschen versuchten, ihre Bedürfnisse nach Röm 12 für „den Genuß des allernächsten Augenblicks“ ganz irdisch zu befriedigen644. Wie schnell konnte es da geschehen, dass der kleine Mensch

639 Herbert Vorgrimler, Neues Theologisches Wörterbuch, 44. 640 Gottfried Adam, Theologische Schlüsselbegriffe, 227. 641 Otto Pankok, Otto Pankok über seine „Passion“ in Prisma 15/1948, 32. 642 Gottfried Adam, Theologische Schlüsselbegriffe, 226. 643 Otto Pankok, Otto Pankok über seine „Passion“ in Prisma 15/1948, 32. 644 Otto Pankok, Otto Pankok über seine „Passion“ in Prisma 15/1948, 32.

133 anfing, sich, wie in Röm 7,15 – 25 beschrieben, wichtig wie Gott selbst zu nehmen645. Diesen Versuchungen sah der Künstler den Menschen vor allem in der Großstadt ausgesetzt, wo „al- les auf Sensation gestellt“ und jedes „Fenster ein Schaufenster“ war 646. Die Großstadt brauch- te für ihre Attraktionen ein Publikum, und das konnte nicht das sich seiner selbst bewusste Individuum sein, sondern nur die „Masse“. Aus diesem Grund erscheint es nur evident, dass sich Otto Pankok in seinem bildneri- schen Schaffen vor allem der Einzelfigur zuwandte. Zwar finden sich im Œuvre Otto Pankoks vielfigurige Szenen, doch dominiert das Bildnis der Einzelperson deutlich sein Sujet. In sei- nem direkten Gegenüber konnte der Künstler das ureigene Individuum entdecken, das sich aus der Masse heraushob. In mehreren Texten beschäftigte er sich mit dem Phänomen der „menschlichen Maske“, des „maskenhaften Menschen“ oder der Maskerade. An den Kultur- philosophen Max Picard schrieb Otto Pankok in einem Brief:

„Ich nehme an, daß die heutigen Menschen sich selbst zum Problem geworden sind, daß sie glücklich waren, in Ihrem Werk das Problem gelöst zu finden. Sie geben in Ihrem Buch ′Das Menschengesicht′ Antwort auf die Frage: Was ist eigentlich ein Mensch? Beim Lesen fühlen die Menschen, daß es notwendig ist, ihre angenom- mene Einheitsmaske fallen zu lassen und einander wieder in die Augen zu schauen, um den anderen, aber auch um sich selbst zu erkennen. Das Anschauen ist eine Zwiesprache, welche die Menschen brauchen, um nicht zu vereinsamen.“647

Das Anliegen Otto Pankoks musste es daher gewesen sein, sich der Masse weitestgehend zu entziehen. Überblickt man die verschiedenen Phasen seines Lebens, wird deutlich, dass er sich immer wieder in die Einsamkeit zurückzog, um dort nach Menschen zu suchen, die fern- ab der großen Vermassung ihr Menschsein vor Gott bewahren konnten – seien es die Dörfler in Dötlingen, die spanischen Fischer, die Bauern der Provence, die Landbewohner Montene- gros oder die Zigeuner, die sich durch ihre individuelle Lebensweise niemals einer Vermas- sung unterworfen hatten. Sie alle spricht der Künstler in seinen Bildern mit ihrem Namen an. Seien es die Dötlinger Frauen Stövers Lin, Menken Trino oder Christine von der Bey, die er in seiner oldenburgischen Zeit porträtierte,648 oder die Spanier Ramon, Tomasa, Micaela, Ro- da, Pateran und Patum649. In diesem Sinn ist seine Zuneigung zu den Kindern zu verstehen. In ihnen ist die Individualität eines jeden Menschen noch stärker ausgeprägt.

645 Otto Pankok, Otto Pankok über seine Passion, Prisma, 15/1948, 32. 646 Otto Pankok, Die Richtung, in Rudolf Dehnen, Schriftenreihe der Otto-Pankok-Gesellschaft „Haus Esselt“, o. J., o. S.. 647 Otto Pankok in einem Brief an Max Picard, den er in Auszügen und daher ohne Datum für einen Vortrag unter dem Titel „Apell an das Gewissen” verarbeitete. Das unveröffentlichte Manuskript des Vortrages, korri- giert von seiner Ehefrau Hulda, befindet sich im Archiv des Otto-Pankok-Museums „Haus Esselt“ in Hün- xe/Drevenack. Der Brief muss in den 30er Jahren geschrieben worden sein, evtl. auch später, da das Buch „Das Menschengesicht“ 1929 von Picard erschien. 648 Vgl. dazu den Katalog Otto Pankok in Dötlingen, 15 – 18 u. 20, dort die Kohlebilder Frau im Holzstall (1914), Pucklige (1913), Tagelöhnerin I bis III (1913) und Christine v. d. Bey (1914). 649 Vgl. dazu Otto Pankok, Stern und Blume (Nachdruck von 1987), 28f., 31 u. 33.

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Dass der Künstler der Individualität des Kindes ebensoviel Wertschätzung entgegen- brachte wie einem Erwachsenen, zeigt folgende Episode. Er hatte einige Freundinnen dafür gewinnen können, den Zigeunermädchen des Düsseldorfer Heinefeldes zum Weihnachtsfest Kleider zu nähen und sie mit Schuhen und Strümpfen auszustatten. Doch die Freude darüber fiel ganz anders aus als bei bürgerlich erzogenen Mädchen üblich:

„Die Rotznasen stürmten jetzt mit lautem Geschrei heraus aus der Bude, um den andern in den Wagen ihren Putz zu zeigen. Der kurze Weg dorthin war morastig, voller Pfützen. Aber diese große Freude, musste man die nicht austoben? Mußte man etwa nicht radschlagen? Ja, und auf einmal lag die Hoto in der Schlampampe drin, und da mußten die Ehra und Blume so lachen, daß sie auch das Gleichgewicht verloren und in die Brühe fielen. Kurz, vom Fenster aus sahen wir bald ein Knäuel von kleinen quiekenden Dreckspatzen, die durcheinanderkugelten, die, nun doch einmal naß, immer wieder in die Pfützen hineinsprangen. Weder Nässe noch Kälte aber vermoch- ten den Funken zu löschen, den schönen Götterfunken aus Elysium.“ 650

Diese Episode zeigt, welche Eigenschaften Otto Pankok bei den meisten seiner deutschen Zeitgenossen vermisste, die er auf seinen vielen Reisen in den Süden Europas fand: Es war dieselbe ungehemmte Lebensfreude, die er bei Kindern und den Zigeunern des Heinefeldes beobachten konnte. Es war die ungehemmte Lebensfreude und unverstellte Lust am Leben. Kinder zu Lebzeiten Otto Pankoks befanden sich zuverlässig noch in einem Zustand der „Vorvermassung“. Ein jedes von ihnen sah er als Person an, wie es in seinen anrührenden Kinderbildern und den überlieferten Begebenheiten mit den Zigeunerkindern deutlich wird. Auf den Bildnissen der kleinen Zigeunerkinder benennt Otto Pankok sie alle mit ihrem Na- men: Dinili, Nuna, Gaisa, Heuschreck, Sonnyboy, Ehra, Hilda, Hoto, Chulli, Blume, Pame- litz, Papelon, Raklo, Sitta, Herteli, Dabeli, Bianca und wie sie alle hießen. Otto Pankok holte sie mit seinen Bildnissen aus der Anonymität heraus und verewigte ihr Andenken über die Krematorien der Nationalsozialisten hinaus. Neben den vier großen Bildnisgruppen der Kinder, der Juden, der Zigeuner und der einfachen Landbevölkerung kam in Otto Pankoks Werk einem Individuum Beachtung zu: dem Juden Jesus von Nazareth. In keinem anderen Text äußerte er sich zu Person und Bedeu- tung des Jesus von Nazareth so prägnant wie im Vorwort der Passion. Die Größe, die Otto Pankok der Person Jesu beimaß, wird nicht zuletzt darin sichtbar, wie oft er ihn in seinem Werk als Bildgegenstand wiederkehren lässt. Hinter der Aufmerksamkeit, die der Künstler der Person Jesu zukommen ließ, kann man die Auffassung des Theologen Rudolph Bult- manns erkennen: „Jeder Satz über Gott ist zugleich ein Satz über den Menschen und umge- kehrt […] So ist auch jeder Satz über Christus ein Satz über den Menschen und umgekehrt […]“651.

650 Vgl. dazu Otto Pankok, Zigeuner (1958), 13f. 651 RGG, Bd 5, L – M, 1059.

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Ebenso wie der Apostel Paulus verstand Otto Pankok Jesus als den idealen Menschen in seiner Ebenbildlichkeit Gottes (2. Kor 4,4/Röm 8,2). Für Otto Pankok blieb in seiner Kunst immer die Menschlichkeit Jesu vordergründig und weniger seine Göttlichkeit. Er war für ihn der „Menschensohn“, der „reine Mensch“, der „ohne Fehl über die Erde geschritten ist“ und „dessen Liebe über alle strömte, bis hin zu dem letzten aller Sünder und Verachteten“652. In diesem Sinn steht Jesus immer als Korrektiv seiner fehlerhaften Mitmenschen, die prinzipiell zu allem Bösen fähig sind, wenn sie von ihrer Ebenbildlichkeit Gottes abfallen. Otto Pankoks Menschenbild richtet sich deshalb wesentlich am Ideal der biblischen Überlieferung eines Jesus aus. In ihm sah er jemanden, der sich der Masse entzog, wenn ihn zu viel Volk bedräng- te: „Dieser Kühne wich der Masse aus“653. Jesus war in seinen Augen der einzige Mensch, der frei von jeder Art der Sünde ist. Doch ihm fiel diese Sündlosigkeit nicht von Geburt an zu, sondern musste in einem 40 Tage währenden Kampf gegen die Dämonen in der Wüste erwor- ben werden. Um diesen Kampf austragen zu können, musste sich Jesus der „Masse“ entziehen und in die Einsamkeit gehen:

„So schritt er hinein in die große Einsamkeit der Wüste, in die dunkel flutenden Abende. Er ließ seine Blicke schweifen über das wuchernde Gesträuch. Er blickte auf zu den Sternbildern der wehenden Nacht. Er lauschte vierzig Nächte dem Rascheln und Brausen des Wüstenwindes, der die Einsamkeit erfüllte. Das ringende Gebet der vierzig Nächte umfing ihn. Es war die Prüfung des glühendsten Herzens, das die Welt gesehen. […] Die Lüste ruhten, und die Ewigkeit lauschte im Licht der steigenden Sonne.“654

Otto Pankok stellte in seinem Werk Jesus als Idealmenschen antipodisch zur Sündhaftigkeit der Menschheit dar. Er ist das mahnende Gewissen der Welt. Er ist die Liebe, die weiterleben wird, wenn der einzelne Mensch zu Tode gekommen ist. In der Passion veranschaulichte der Künstler in drastischen Bildern was passiert, wenn dieser ideale Mensch unter seine Mitmen- 655 schen gerät, die ihm doch die Nächsten sein sollten . Die Geschehnisse um die Passion Jesu sah Otto Pankok nicht als einen einmaligen Vorgang in der Geschichte. Vielmehr abstrahiert er sein Schicksal zu einer andauernden Aus- einandersetzung des Menschen mit seinem Schöpfer. Darin äußert sich für den Künstler der Kulturkampf des Homo sapiens: Steht der Mensch Gott oder dem Tier näher? Jede Generati- on hat in den Augen Otto Pankoks diesen Kampf zwischen sich selbst und der Macht der Lie- be neu auszufechten, und, jede Generation wird daran gemessen werden, wie sich für sie die- ser Kampf entscheidet.

652 Otto Pankok 1936 im Vorwort zur Passion, abgedruckt in Jutta Hülsewig, Die Passion in 60 Bildern, 23. 653 Otto Pankok 1936 im Vorwort zur Passion, abgedruckt in Jutta Hülsewig, Die Passion in 60 Bildern, 25. 654 Otto Pankok 1936 im Vorwort zur Passion, abgedruckt in Jutta Hülsewig, Die Passion in 60 Bildern, 24. 655 Vgl. Otto Pankok 1936 im Vorwort zur Passion, abgedruckt in Jutta Hülsewig, Die Passion in 60 Bildern, 23.

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„Wie in diesem Leben Jesu und diesen grausigen schwarzen Stunden der Folter und des Todes, so wirkte es weiter durch die Jahrhunderte. Jesus blieb lebendig. Er siegte und unterlag, und er siegte und unterlag wieder, in jedem Jahrhundert, in jedem Volk, in jedem einzelnen. Die Menschen müssen immer aufs Neue mit ihm ringen. Er war und ist und wird sein. Er hat die Hand an die Wunde gelegt: ist Gott oder ist das Tier des Menschen Ebenbild? In jedem drängt diese Frage zur Entscheidung.“656

Dass dem Künstler als Ideal ein ganzheitliches Menschenbild vorschwebte, zu dem die per- sönliche Integrität ebenso gehört wie der Glaube, zeigt ein Eintrag in sein Tagebuch. Dort notierte er:

„Nicht der rechnende, organisierende Mensch bildet Zeit und Zukunft, sondern der glaubende, der Beispiel le- bende. Nicht der Spezialist ist der Menschentyp, auf den es ankommt, sondern der einheitliche, der natürliche Mensch. Religion, Leben und Kunst sind in diesem nicht mehr getrennte Gebiete. Er umfasst sie dreieinig = einheitlich.“657

7. Die christlichen Bildwerke Otto Pankoks

7. 1 Die terminologische Unterscheidung zwischen ″Inhalt″ und ″Gehalt″ nach Paul Tillich

Um die christlichen Bildwerke innerhalb des umfangreichen Gesamtwerkes Otto Pankoks genauer bestimmen zu können, erscheint es methodisch angebracht, Paul Tillichs Unterschei- dung zwischen ″Inhalt″ und ″Gehalt″ an seine Kunstwerke anzulegen. Die spezifische Termi- nologie des Theologen Paul Tillich ist gerade mit Blick auf Otto Pankoks Kunst hilfreich, da es hierbei zu einer fruchtbaren Überschneidung kommt: Paul Tillich schaut als Theologe, lai- enhaft, wie er selbst sagt, auf das aktuelle Kunstgeschehen und Otto Pankok bearbeitet als freier Künstler in seinen Werken christliche Themen, ohne dabei den Anspruch erheben zu wollen, ″Theologe″ zu sein. Die Schnittstelle, an der Theologen und Theologinnen auf bil- dende Kunst und Künstler und Künstlerinnen auf christliche Themen schauen ist für diese Arbeit gewinnbringend, da sich an dieser Stelle zeigt, was, über Bibelillustration hinausge- hend, das Wesen christlicher Kunst ausmacht658. Paul Tillich unterscheidet zwischen dem Inhalt und dem Gehalt von Bildwerken, da er die ″religiöse Kunst″ als ein eigenes Genre innerhalb der bildenden Kunst für ungeeignet hält und mit seinem Ansatz inhaltlich erweitert. Mit ″Inhalt″ bezeichnet er den im Kunstwerk be-

656 Otto Pankok 1936 im Vorwort zur Passion, abgedruckt in Jutta Hülsewig, Die Passion in 60 Bildern, 26. 657 Undatierter und bislang unveröffentlichter Text Otto Pankoks, einzusehen im Archiv des Otto-Pankok- Museums „Haus Esselt“ in Hünxe/Drevenack. 658 Paul Tillich, Ein Lebensbild in Dokumenten, 19. Beide, in behüteter protestantischer Umgebung aufgewach- sen, erfuhren den Ersten Weltkrieg als traumatisches Erlebnis, das eine Zäsur in ihrem Leben darstellte. Zwar verlebten sie den Zweiten Weltkrieg in sehr verschiedenen Lebenssituationen – Paul Tillich im selbstgewählten Exil in den USA, Otto Pankok in der inneren Emigration in Deutschland, doch verband sie weit über das persön- liche Erleben hinaus die Sorge um Familienangehörige, Freunde und das Grauen über die politische Katastrophe.

137 arbeiteten thematischen Gegenstand, wohingegen mit dem ″Gehalt″ die Grundeinstellung zur Wirklichkeit beschrieben wird659. Aus der Sprache der Kunstwissenschaft kann der Begriff ″Substanz″ referierend zum Begriff des ″Gehaltes″ herangezogen werden. Auf ihn griff 1926 der Kunsthistoriker Wilhelm Worringer zurück, um das bildnerische Werk des jungen Otto Pankoks zu charakterisieren. Er schrieb:

„Viele Menschen können gut malen. Wertentscheidend kann nur die Substanzfrage sein. Pankoks Blätter haben dichteste Substanz. Das Kapital einer künstlerischen und menschlichen Vollblutpersönlichkeit ist in ihnen inves- tiert.“660

Bei systematischer Durchsicht der Werkverzeichnisse661 eröffnet sich dem Betrachter ein Zu- gang, wie groß der Anteil der Bildthemen mit explizit christlichem Inhalt im Œuvre Otto Pan- koks ist. Nähert sich der Betrachter mit einem dezidiert biografischen Zugang diesem Werk, der der religiösen Sozialisation und den Lebensstationen des Künstlers entsprechende Beach- tung zukommen lässt, wird deutlich, dass sich der Umfang der Bildwerke mit christlichem ″Gehalt″ erheblich erweitert.

659 Vgl. Paul Tillich, Protestantismus und Expressionismus, 81. 660 Wilhelm Worringer 1926 zitiert bei Hulda Pankok/Eva Pankok, Otto Pankok. Kohlegemälde, Holzschnitte, Radierungen, Plastiken, o.S. 661 Das Werkverzeichnis der Pressezeichnungen spielt in diesem Fall keine Rolle.

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Otto Pankok als gläubiger Christ spiegelt in allen seinen Bildwerken seine „Grundein- stellung zur Wirklichkeit“662, die bei ihm eindeutig christlich geprägt war, wie im biografi- schen Teil dieser Arbeit dargestellt werden konnte. Seine Grundeinstellung zur ihn umgeben-

662 Paul Tillich, Protestantismus und Expressionismus, 81.

139 den Wirklichkeit maß sich am neutestamentlichen Ethos der Nächstenliebe. Aus diesem Grund beschreiben die meisten Autoren den Künstler weniger als Christen denn als Humanis- ten. Die allermeisten Bildwerke Otto Pankoks dürften deshalb von ihrem Gehalt her christlich sein. Das lässt sich gut an seinen Blumenbildern, den Tier- und Landschaftsbildern beobach- ten, die darüber hinaus durch Texte gut belegt, in ständiger Auseinandersetzung zum Schöp- fungshandeln Gottes und dem damit verbundenen Auftrag an die Menschen zur Bewahrung der Schöpfung entstanden. Erweiterte man den Rahmen der in dieser Arbeit zu betrachtenden Bilder Otto Pan- koks auf deren christlichen Gehalt, dann wüchse der Umfang der zu betrachtenden Bilder ins unermessliche. Erschwerend käme hinzu, dass die methodische Abgrenzung von Bildwerken, die nicht christlichen Gehaltes sind, schwierig werden würde. Deshalb erscheint es notwen- dig, dass in dieser Arbeit eine Konzentration lediglich auf solche Bilder praktikabel ist, die einen ausgewiesenen christlichen Inhalt haben, da sie nicht nur einen christlichen Gehalt auf- weisen, sondern vielmehr in ihnen ein christliches Thema bearbeitet wurde. Am bekanntesten seiner christlichen Bildwerke sind der Holzschnitt Christus zerbricht das Gewehr (WH 344) und der umfangreiche Zyklus von Kohlegemälden, der sich unter dem Titel Passion mit dem Lebensweg Jesu auseinandersetzt. Dieser Zyklus kann als ein Höhe- punkt im Gesamtschaffen des Künstlers angesehen werden. In verdichteter Form visualisiert der Zyklus seine Theologie. Neben diesem monumentalen Zyklus stehen viele Einzelwerke eindeutig christlichen Inhaltes, denn Zeit seines Lebens setzte sich Otto Pankok bildnerisch mit christlichen Themen auseinander.

7. 2 Die Bildwerke Otto Pankoks mit christlichem Inhalt

Die Bildwerke Otto Pankoks, die eindeutig christlichen Inhaltes sind, lassen sich bezüglich ihrer Bildgegenstände in fünf große Motivgruppen gliedern. Eine jede Motivgruppe lässt sich nochmals in weitere Untergruppen spezifischeren Inhaltes ausdifferenzieren. Das wird im Folgenden dargestellt. In einer Zusammenschau kommt es zu folgender Übersicht:

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Zum ersten verzeichnet das Gesamtwerk Otto Pankoks solche Bildwerke, die auf 1.) biblische Erzählungen direkt Bezug nehmen. Der Bildgegenstand und der Titel des jeweiligen Bildes können einer ganz bestimmten biblischen Erzählung, mitunter sogar einem Text, zugeordnet werden. Wird referenziell Otto Pankoks private Bibel herangezogen663, dann lassen sich in verschiedenen Texten Notierungen und Streichungen ausmachen. Des Weiteren lassen sich Bildwerke finden, die 2.) religiöse Figuren darstellen, seien es namentlich benennbare biblische Figuren wie Jesus, Maria, Johannes der Täufer oder Figu- rentypen wie die Propheten. Zu der Gruppe der religiösen Figuren sollen die verschiedenen Heiligendarstellungen aus der legendarischen Überlieferung christlicher Prävention gezählt werden. Hinzu kommen Otto Pankoks zahlreiche Engelsdarstellungen. Der Engel wird als ″Figur″ aufgefasst wird, die in der christlichen Tradition ihren festen Platz hat. Zum dritten schuf Otto Pankok Bildwerke, in denen er 3.) christliche Glaubensinhalte künstlerisch umsetzte. Hinzu kommt eine kleine Anzahl 4.) apokalyptischer Darstellungen, die eine Eigenheit in Otto Pankoks Gesamtwerk darstellen. Zu einer letzten Motivgruppe sol-

663 Otto Pankoks persönliche Bibel ist im Archiv des Otto-Pankok-Museums einzusehen. Dabei handelt es sich um eine Lutherübersetzung von 1908, hg. von der Preußischen Hauptbibelgesellschaft mit dem Titel: „Die Bibel oder die ganze heilige Schrift des Alten und Neuen Testaments nach der deutschen Übersetzung D. Martin Lu- thers. Durchgesehen nach dem von der Dt. evangelischen Kirchenkonferenz genehmigtem Text.“ Diese Bibel ist ein in Leder gebundenes Exemplar mit Goldschnitt. Otto Pankok klebte vorn auf den Ledereinband einen Jesus- kopf (ca. 20x15 cm), den er einem seiner Holzschnitte entnahm. Das alles übermalte er mit goldener Farbe, so- dass nur noch der Jesuskopf sichtbar blieb.

141 len die Bildwerke zusammengefasst werden, auf denen Otto Pankok 5.) christliche Gottes- häuser künstlerisch festhielt. Die Zuordnung der Bildwerke Otto Pankoks zu einem der fünf genannten Bildthemen schließt mitunter nicht aus, dass das betreffende Kunstwerk einer anderen Kategorie hätte zugeordnet werden können. Das wird deutlich bei Otto Pankoks religiösen Figurendarstellun- gen. Diese lassen sich verschiedenen biblischen Texten zuordnen. Die Zuordnung der christli- chen Bildwerke Otto Pankoks zu den einzelnen Bildthemen erfolgte so, dass dem Inhalt des jeweiligen Bildes und der möglichen Intention Otto Pankoks Rechnung getragen wird. Des- halb lag es in der Verantwortung der Verfasserin zu entscheiden, ob das Bild der betreffenden Kategorie 1.) bis 5.) zugeordnet wurde. In diesem Sinn handelt es sich weniger um ein festes System zur Kategorisierung der Bildwerke Otto Pankoks, als vielmehr um einen möglichen Leitfaden zur systematischen Orientierung innerhalb der Vielzahl christlicher Bildwerke Otto Pankoks.

7. 2. 1 Bildwerke mit Bezug auf biblische Erzählungen

Im Gesamtwerk Otto Pankoks lassen sich Bildwerke finden, für die biblische Erzählungen und Texte als Vorlage dienten. Diese stellen mit Sicherheit die zahlenmäßig größte Gruppe der Bilder dar, denen eindeutig ein christlicher Inhalt zugesprochen werden kann. Dabei ist festzustellen, dass Otto Pankok künstlerisch großes Interesse an den Überlieferungen des Neuen Testamentes hatte, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der Lebens- und Leidens- geschichte Jesu stehen. Es gibt im Gesamtwerk Otto Pankoks nur vereinzelt Bilder, die inhalt- lich auf Texte des Alten Testaments (a) Bezug nehmen. Dazu gehören die Holzschnitte Kain und Abel (WH 216) aus dem Jahr 1947 und Taube pflückt Ölzweig (WH 335) von 1950. Öfter schuf Otto Pankok Bildwerke, die im Zusammenhang mit der Lebensgeschichte Jesu (b) stehen. Ein expressionistischer Holzschnitt aus dem Jahr 1920 mit dem Titel Flucht nach Ägypten (WH 43) kann überhaupt als erstes Bildwerk Otto Pankoks gelten, das einen Bildgegenstand aufweist, der eindeutig in biblischem (Mt. 2, 13-16) und damit christlichem Zusammenhang steht. Bildwerke, die dieser Gruppe zuzurechnen sind, geben in einem viel größerem Maße Aufschluss über das theologische Denken und Handeln des Künstlers als seine anderen Bilder christlichen Inhaltes, da dem Bildwerk die Stellung einer bildnerischen Exegese zukommt. Damit verdichtet sich das Bildwerk zu einer eigenen theologischen Aussage, was es von Bi- belillustrationen unterscheidet. Beispielhaft dafür können die Kohlegemälde gelten Das Wür-

142 feln um den Rock664 und aus der Passion Bild Nr. 2 Die Geburt665. Solche Bildwerke sind die Holzschnitte Taufe im Jordan (1935, WH 90), Christus und die Sünderin (1948, WH 258 A und B), Es ist ein Schnitter (1950, WH 336), Verspottung (1950, WH 340), Christus fällt (1950, WH 342) oder die Monotypie Lasset die Kindlein (1952, WM 39). Vielen Bildern der Passion, die in den Jahren 1933-34 entstand, dienten Bibeltexte als Vorlage, wie nachfolgend ausführlicher im Kontext der einzelnen Bilder aufgezeigt werden wird. Es kann gesagt wer- den, dass ausgehend von Otto Pankoks Interesse an der Person Jesu, sich die meisten Bild- werke mit Bezug auf biblische Erzählungen unmittelbar mit der Lebensgeschichte Jesu ausei- nandersetzen, wie beispielsweise die beiden zeitlich aufeinander folgenden Linolschnitte aus dem Jahr 1936 Abendmahl (WH 91) und Jesus vor dem Hohenpriester (WH92)666. Hinzu kommt, dass, wie bereits oben ausführlich dargestellt, Otto Pankok bestimmte Bildgegenstände aus Kohlebildern wiederholt in verschiedenen Druckverfahren umsetzte, beispielsweise als Monotypie, als Radierung, als Holzschnitt oder Lithografie667. Diese Vor- gehensweise im künstlerischen Schaffen Otto Pankoks vervielfacht zwar die Anzahl der Bildwerke mit christlichem Inhalt, nicht jedoch die der Bildthemen und Bildgegenstände. Eine interessante Übertragung der biblischen Vorlage schuf Otto Pankok mit seinem Holzschnitt Die verlorene Tochter (WH 356) im Jahr 1950. Statt des verlorenen Sohnes steht inmitten der Szenerie eine äußerst kesse und selbstbewusste Tochter, die vom alten Vater dennoch mit ausgebreiteten Armen empfangen wird. Zu dieser Gruppe christlicher Bildwerke muss ein Holzschnitt Otto Pankoks gezählt werden (WH 250), der ohne bildliche Darstellung auskommt und lediglich eine in Holz ge- schnittene Übertragung der Geschichte des barmherzigen Samariters (Lk 11), wiedergibt.

664 Unveröffentlichtes Kohlegemälde Das Würfeln um den Rock I (1933, 97 x 128 cm), als Variante des in der Passion eingefügten Kohlegemäldes Nr. 50 Sie würfeln um seinen Rock, einzusehen im Bildbestand des Otto- Pankok-Museums Hünxe/Drevenack. 665 Vgl. dazu Margarete Luise Goecke-Seischab, Christliche Bilder verstehen, 70. Die Autorin betont bezüglich Otto Pankoks Geburtsdarstellung Jesu, dass der Künstler diese im Bereich des liebevollen menschlichen Mitein- anders im familiären Rahmen verortet. Nichts in diesem Bild verweist darauf, dass hier der Erlöser, der Heiland geboren ist. Viel eher und direkter lässt sich die Verbindung zu den vielen Millionen Kindern ziehen, die in arme Verhältnisse hineingeboren werden und vom Tag ihrer Geburt an nur notdürftig versorgt werden können. 666 Obwohl es sich hierbei um Linolschnitte handelt, werden sie doch im laufenden Werkverzeichnis der Holz- schnitte geführt. Das hängt mit der Vergleichbarkeit des künstlerischen Verfahrens zusammen. Otto Pankok schien Linol als glattes Material jedoch nicht zu gefallen, da er es bei einzelnen Versuchen beließ. 667 Zum Bild der Passion fertigte er 1952 z.B. die Monotypie Lasset die Kindlein (WM 39) an.

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7. 2. 2 Christliche Figurendarstellungen

Des Weiteren schuf Otto Pankok eine ganze Reihe von christlichen Figurendarstellungen, denen biblische Figuren (a) als Vorlage gedient haben, wie z.B. die Holzschnitte Weinende Maria (1948, WH 254), Eifernder Prophet (1952, WSt 125) und das Kohlegemälde Der Evangelist668. Eine der ersten christlichen Figurendarstellungen Otto Pankoks ist aus dem Jahr 1934 Predigender Christus (WL 54). Diese Jesusdarstellung mit ihrem einladenden Gestus steht inmitten einer Aureole klitzekleiner Pünktchen, die um die Figur herum eine Art Aura schaffen. Diese Jesusdarstellung entstand in unmittelbarem Zusammenhang zum Zyklus der Passion. Johannes der Täufer ist die Figur der Urgeschichte des Christentums, die Otto Pan- kok am häufigsten darstellte. Sein Interesse an ihm ist sicherlich mit der Nähe zu Jesus von Nazareth begründet. Otto Pankok stellte Johannes den Täufer in Holz geschnitten predigend dar (1950, WH 343), oder 1941 als großformatiges Kohlebild Johannes der Täufer669, hinzu kommen verschiedene Bildnisse, die Johannes in direktem Bezug zu Jesus zeigen, z.B. im Akt der Taufe. Otto Pankok schuf verschiedene Bildwerke zu Figuren aus Heiligenlegenden (b). Vor allem zwei Heiligenfiguren widmete sich der Künstler, der des heiligen Martin von Tours, wie der Holzschnitt Sankt Martin (WH 255, 1948) zeigt und des heiligen Christophorus (Christophorus I (WH 217) und Christophorus II (WH 256)). Die Figur des Christophorus schien ihn sehr zu beschäftigen. Das kann damit zu tun haben, dass der von ihm verehrte Kunstwissenschaftler Willhelm Worringer Otto Pankok selbst als einen übermächtigen Chris- tophorus bezeichnete, der seine Werke in der Rolle trug, wie Christopherus den Baumstamm. Auf diesen Zusammenhang verweist die Lithografie Christophorus (WL 61) von 1936. Das bärtige Antlitz des Christophorus hat große Ähnlichkeit mit Otto Pankok selbst. Besonderen Raum in seinem Gesamtwerk nimmt die Figur der Maria ein. Sie ist die mit Abstand am häufigsten dargestellte Heilige. Die Fülle der Darstellungen resultiert u.a. aus Otto Pankoks Interesse an der Lebensgeschichte Jesu, die von ihm im Zyklus der Passion in 60 Bildern umgesetzt wurde. Außerhalb der Passion lassen sich weitere Mariendarstellungen finden, z.B. die Kohlebilder Maria III670 von 1941 und Spanische Maria671 von 1943. Auffal- lend ist, dass Otto Pankok seine Marien nicht verklärt, sondern als liebende und leidende Müt-

668 99 x 120 cm, abgedruckt in Jutta Hülsewig, Die Passion in 60 Bildern, 27, dort ohne Jahresangabe. 669 Bislang unveröffentlichtes Kohlegemälde von Otto Pankok (119 x 99), einzusehen im Bildbestand des Otto- Pankok-Museums in Hünxe/Drevenack. 670 Bislang unveröffentlichtes Kohlegemälde Maria III (1941, 120 x 99 cm), einzusehen im Bildbestand des Otto-Pankok-Museums Hünxe/Drevenack. 671 Bislang unveröffentlichtes Kohlegemälde Spanische Maria (1943, 129 x 99 cm), einzusehen im Bildbestand des Otto-Pankok-Museums Hünxe/Drevenack.

144 ter darstellt. Das zeigt neben anderen der Holzschnitt Weinende Maria (klein) (WH 349) aus dem Jahr 1950. Dieser Aspekt wird innerhalb der exemplarischen Aufarbeitung des Kohlebil- des Maria mit dem Toten aus der Passion vertieft werden. Eine humoristische Heiligendarstellung, in der eine Brise Wehmut mitschwingt, findet sich unter der Signatur (WH 757) aus dem Jahr 1965. Der Holzschnitt Die Heiligen verlassen die Kirchen und ziehen ins Museum zeigt drei Heilige, die ihr verfallenes und mit Brettern vernageltes Kirchenhaus verlassen und über die einsame Straße eines schmuck sanierten Fachwerkstädtchens zu einem neuen Quartier hinstreben.672 Der Titel gibt eindeutig an, wo das sein wird: im Museum. Im bildnerischen Werk Otto Pankoks lassen sich einige Madonnendarstellungen (c) finden, die zwar von ihm selbst durch den Titel explizit als ″Madonnendarstellung″ ausgewie- sen wurden, ihrer formalen Gestaltung nach ebenso gut eine Mariendarstellung sein könnte, wie das Kohlegemälde Madonna673 von 1936 zeigt. Es wird nicht klar, wo - und ob er über- haupt - eine Unterscheidung zwischen ″Maria″ und ″Madonna″ traf. Die Madonnendarstel- lungen sollen als eine eigene Untergruppe der christlichen Bildthemen aufgenommen werden, da es die Darstellung einer Schutzmantelmadonna gibt, die im Gesamtwerk Otto Pankoks einmalig ist. Das Kohlebild Mantelmadonna aus dem Jahr 1933 wird in Kapitel neun der Ar- beit ausführlich besprochen werden674. Im Holzschnittwerk lassen sich weitere Madonnendarstellungen finden, wie das Blatt Immerwährende Hilfe (WH 62) aus dem Jahr 1922 dokumentiert. Diese Madonnendarstellung ist einmalig in seinem Gesamtwerk, da es sich hierbei nicht um eine eigenständige Bildkom- position des Künstlers handelt, sondern als Vorlage für eine klassische Ikone vom Typ der Glykophilusa (die Zärtliche) gedient haben muss. Es handelt sich hierbei um eine stark ex- pressionistische Grafik mit kubistischen Stilelementen, die eindeutig der kurzen expressionis- tischen Phase Otto Pankoks zugeordnet werden kann. In einem Katalog wird das Blatt stilis- tisch in die Nähe von Otto Dix gerückt, mit dem Otto Pankok in dieser Zeit tatsächlich zu tun hatte675, als er im Kreis um Johanna Ey mit ihn in Berührung kam. Diese Ikonendarstellung ist überhaupt Otto Pankoks erstes rein christliches Bild, das er in Holz schnitt. Die nächsten Holzschnitte christlichen Inhaltes kamen erst 14 Jahre später hinzu.

672 Vgl. oben, 114. 673 Das Kohlegemälde Madonna (150 x 99 cm) von 1936 wird u.a. bei Rainer Zimmermann, Otto Pankoks „Pas- sion“, 15 unter dem Titel Frau mit Kind geführt, da es eindeutig die Zigeunerin Ringela zeigt, die einen Säugling auf dem Schoß hält. 674 U.a. abgedruckt im Katalog zu den Ausstellungen im Kunstzentrum Koppelschleuse (Meppen), 116. 675 Otto Pankok, Woodcuts, 7. Der englischsprachige Katalog deutet Otto Pankoks Motivation christlicher Bild- themen folgendermaßen: „Like other German artists […] who had suffered in the First World War, Pankok uses Christian imagery to express a longing for universal harmony.“

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Als eine vierte Unterkategorie dieser zweiten Gruppe können die verschiedenen En- gelsdarstellungen (d) Otto Pankoks gesehen werden. Wenngleich sie nicht allzu zahlreich vorkommen, sind Engel in seinem Gesamtwerk ein durchgängiges Motiv. Die Engelsdarstel- lungen können in drei Typen unterteilt werden. Erstens findet man den Typ des traurigen En- gels (d 1), den Typ des wehrhaften Engels (d 2) und drittens den Typ des musizierenden En- gels (d 3). Dem ″traurigen Engel″ dient typologisch der Totenengel als Vorbild, der sich als eine in Stein gehauene Figur auf Friedhöfen finden lässt. In diesem lokalen Zusammenhang sind ″traurige Engel″ nicht selten anzutreffen. Frühe Engelsdarstellungen dieses Typs im Werk Otto Pankoks sind Weinende Engel (WL 55) von 1935, die als Vignette der Passion vorange- stellt wurden, sowie Trauernder Engel (WL 59, 1935)676, der die Passion abschließt. Zwar charakterisierte Otto Pankok seine Engelsdarstellungen durch den Werktitel als ″traurige″ oder ″weinende″ Engel, dabei könnte der Betrachter in ihnen genauso ein Erschrecken oder ein Schockiert-Sein erkennen. Die Spannbreite dessen, was im Gesicht der Engel an emotio- naler Verfasstheit ablesbar ist, kann zwar vom Betrachter in verschiedener Hinsicht gedeutet werden, geht freilich immer mit der Abwesenheit von Freude und Gleichmut einhergeht. Die- se Engel sind auf keinen Fall zufrieden oder gar glücklich zu nennen. Das zeigen die Darstel- lung Engel mit Herz (WL 60, 1936), und der kleine, auf Goldgrund gedruckte Engelkopf (WSt 118, 1952). Zu den späteren Engelsdarstellungen dieses ersten Typs gehört das Kohlegemälde En- gelschar von 1949677. Die Steigerung solcher bildlich umgesetzten Emotionalität zeigt der stark expressive Holzschnitt Angst des Engels (WH 759) aus dem Jahr 1965. Hierin erfährt die letzte Engelsdarstellung Otto Pankoks nochmals eine gesteigerte Ausdruckskraft. Eine sonderbar mystisch anmutende Engeldarstellung, die wahrscheinlich auf eine ört- liche Legende zurückzuführen ist, entstand 1938 im Emsland. Das Kohlebild Der Engel von Heede678 zeigt einen riesigen, das Format (129 x 98,5) ausfüllenden wehrhaften Engel im Stil eines mittelalterlichen Ritters mit Brustpanzer und Beinschutz, der sich mit der rechten Hand auf die Kirche von Heede wie auf ein bodenlanges Schwert stützt, im Begriff, mit ihr in der Hand davon zu schreiten. Oben aus seiner rechten Hand - wie ein Schwertgriff - schaut die

676 Die Lithographie trägt den Titel Trauernder Engel (WL 59, 1935) wenn sie in Zusammenhang mit der Passi- on abgedruckt ist. Im Werkverzeichnis der Lithographien wird diese Engeldarstellung jedoch unter dem wahr- scheinlich korrekten Titel Weinender Engel aufgeführt. Um die Engeldarstellung im Zusammenhang dieser Ar- beit jedoch eindeutig von der Engelsdarstellung WL 55 Weinende Engel unterscheiden zu können, werde auch ich hier die gebräuchliche Verwendung Trauernder Engel beibehalten. 677 Das Kohlegemälde Engelschar von 1949 (96 x 129 cm) befindet sich bislang unveröffentlicht im Otto- Pankok-Museum Hünxe/Drevenack. 678 Im Katalog angegeben mit der Werknummer 2269, des von Otto Pankok selbst zusammengestellten Werk- verzeichnisses.

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Kirchturmspitze samt Turmkreuz heraus. Dass dieser blond gelockte, übermannshohe Engel keine Milde ausstrahlt, sondern Angst einflößt, zeigt sein ernstes, starres Gesicht und eine kleine Person, die erschrocken über den Kirchplatz davonrennt679. Dieser Engel gleicht stilis- tisch bekannten Heiligenfiguren, wie der eines Heiligen Christophorus und eines Martin von Tours680. Dieser Typologie entspricht der Engel, der auf dem ungewöhnlich großen Kohlebild Kämpfender Engel (150 x 98 cm) von 1938 dargestellt ist. Voll gepanzert stößt da ein Engel mit riesigen Flügeln einen Speer in züngelnde Flammen. Er hat Ähnlichkeit mit Darstellungen des Erzengels Michael, der als Heerführer der himmlischen Heerscharen gegen die Mächte der Finsternis für das Licht kämpft,681 wie das beispielsweise auf Francesco Botticinis Ge- mälde Die drei Erzengel (1470) zu sehen ist und bei Luca Giordano (1634-1705) Der Erzen- gel Michael. Der Erzengel Michael erscheint hier, ebenso wie in den Darstellungen Otto Pan- koks, in voller Rüstung. Der dritte Typ der Engelsdarstellungen Otto Pankoks zeigt musizierende Engel. Sie stellen die kleinste Gruppe dar. Mitunter bleibt sogar das Instrument unbestimmt, auf dem der Engel spielt. Otto Pankoks bildnerischer Schwerpunkt scheint statt dessen auf dem ausdrucks- starken Gesicht der musizierenden Engel zu liegen, wie es Blasender Engel (WSt 101) aus dem Jahr 1952 zeigt. Die Augen des Engels sind weit aufgerissen, die Pupillen stehen heraus, beide Wangen blähen sich voller Luft und man spürt förmlich, welchen Lärm dieser Engel mit seinem Blasinstrument zu machen vermag. Gleiches veranschaulichen die musizierenden Engel auf dem Kohlebild Musizierende Engel682 von 1948. Unvorstellbar, dass solcherart kräftig tönende Engel himmlische ″Sphärenmusik″ machen könnten. Diese Engel sind viel- mehr dazu bestimmt, die Ohren der Menschen zu öffnen und sie aufzuschrecken. Auf diese Art werden lautstark Signale ausgesandt, die eine Ankündigung vorbereiten. Einzig der Harfe spielende Engel (WSt 123) von 1952 macht einen versonnenen Eindruck, so, als ob er noch den Tönen seiner himmlischen Musik nachlauschen würde.

679 Vgl. dazu Künstlerbegegnungen mit dem Emsland, 40. 680 Vgl. diesbezüglich Otto Pankoks Holzschnitt Sankt Martin (WH 255) von 1948. 681 Vgl. dazu u.a. Lexikon der Kunst, (Seemann Leipzig) Bd 1, A – F, 638. 682 Das Kohlegemälde Musizierende Engel von 1948 (100 x 119 cm) befindet sich bislang unveröffentlicht im Otto-Pankok-Museum Hünxe/Drevenack.

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7. 2. 3 Bildwerke als künstlerische Umsetzung christlicher Glaubensinhalte

Zu einer dritten großen Gruppe können solche Bildwerke zusammengefasst werden, in denen durch die Motivwahl christlich geprägte, ethische Positionen wiedergegeben werden bzw. die als Bildwerk bestimmte christliche Glaubensinhalte transportieren. Es lassen sich weitere Un- terkategorien festlegen. Zum einen sind das Bildthemen und -gegenstände, die ganz direkt Bezug auf die heilsgeschichtliche Botschaft Jesu (a) nehmen und ihn damit in seiner christo- logischen Bedeutung erfassen. Diesen Darstellungen fügte Otto Pankok mitunter Textelemen- te hinzu. Im Holzschnitt (WH 327, 1949) Wer das Schwert nimmt steht Jesus im Stil des Ba- rock in Pose des Verkündigers innerhalb einer Mandorla. Außerhalb der, den ganzen Körper umfassenden Strahlenaureole, die vier Ecken des überlangen Formates ausfüllend, steht der Text: „Denn wer das Schwert nimmt soll durch das Schwert umkommen“. Doch ohne Text- feld bleibt die Aussage Jesu in der bildnerischen Umsetzung Otto Pankoks evident, wie der Holzschnitt von 1950 Christus zerbricht das Gewehr (WH 344) zeigt. Ein Jahr später schuf Otto Pankok den Holzschnitt Johannes der Täufer (WH 343). Jetzt ist es nicht Jesus, sondern Johannes, der mahnend den Menschen seine Botschaft verkündet. In das Motiv unmittelbar hinein, um die dramatisch ausgebreiteten Arme des Täufers herum, schnitt er den Text: „Es ist schon die Axt den Bäumen an die Wurzel gelegt.“ In diesem Stil sind noch weitere Bildbei- spiele im Werk Otto Pankoks zu finden. Am aufwendigsten in der gestalterischen Umsetzung ist hierbei sicherlich der Holzschnitt von 1955 Christus und das Tier (WH 457). Der ovale Bildteil wird ergänzt durch einen umfangreichen Textteil. Dieser beginnt mit den apokryphen Bibelworten: „Mensch, was schlägst du dein Tier?“683. Zu diesen Darstellungen, die eine christlich geprägte ethische Position formulieren, kommen solche Bildwerke, die Jesus eher in seiner symbolisch – religiösen Bedeutung (b) erfassen. Am eindeutigsten fassbar wird diese Art von Bildwerken an Otto Pankoks Holz- schnitt Guter Hirte (WH 87, 1936), der Jesus mit einem kleinen Schaf auf dem Arm, in Ab- wandlung des Bildes Nr. 16 der Passion, metaphorisch als den guten Hirten zeigt. Die ver- schiedenen Kruzifixdarstellungen, wie beispielsweise das Kruzifix (WM 13) von 1952 gehö- ren in diese Gruppe. Hinzugezählt werden sollen die verschiedenen Jesusdarstellungen, die eher ein religiös verklärtes Jesusbild künstlerisch umsetzen, wie beispielsweise Gethsemane (1950, WH 341) und von 1952 die Darstellung Schmerzensmann (WSt 149), sowie die beiden Christusbilder aus dem Jahr 1954 In Vinculis (WSt 104) und Der Dornengekrönte (WH 445) und die Radierung Der gute Schächer (WR 666, 1947).

683 Abgedruckt u.a. in Otto Pankok, Elefanten Press, 82.

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Ein weiteres Kohlebild kann dieser Kategorie zugeordnet werden. Es ist stilistisch an- gelehnt an die Darstellung einer Abendmahlsgesellschaft. An einem langen Tisch sitzt Jesus mit 12 weiteren Personen. Der Lieblingsjünger schmiegt sich eng an seine linke Schulter. Al- lerdings zeigt Jesus der Tischgemeinschaft sein Wundmal in der linken Hand. Da für Otto Pankok noch keine Auferstehung stattgefunden hat und er demnach auch keine malte, kann mit dem Hinweis auf die Wundmale Jesu nur symbolisch auf Kommendes verwiesen werden. Das eigentlich Verblüffende daran ist, dass alle um den Tisch sitzenden Figuren ein und die- selbe Person darstellen: Otto Pankoks spanischen Freund Pateran.684 Als eine dritte Untergruppe sollen die Andachtsbilder (c) Otto Pankoks aufgeführt werden. Andachtsbilder dienen traditionell der individuellen Andacht des Betrachters. Ur- sprünglich waren das Plastiken, später Holzdrucke und Tafelbilder. Typische Andachtsbilder sind Darstellungen des Gekreuzigten, Madonnen, Schmerzensmanndarstellungen, Schutzman- telmadonnen usw.685. Als solche unter den christlichen Bildwerken Otto Pankoks zu bezeich- nen sind in erster Linie die verschiedenen Pietà-Darstellungen Otto Pankoks, wie die Litho- grafie Pietà von 1933 (WL 41). Des Weiteren findet sich ein Andachtsbild mit dem Titel Das Telgter Gnadenbild von 1935 im Werkverzeichnis der Pressezeichnungen686. Eine frühe Dar- stellung aus dem Jahr 1928 lässt sich unter Otto Pankoks Radierungen finden. Die Kreuzes- darstellung mit dem Titel Jesus am Kreuz (WR 520) gilt als eine wesentliche Vorarbeit zur Passion.

7. 2. 4 Apokalyptische Darstellungen

Eine Sonderstellung im Werk Otto Pankoks nehmen die wenigen apokalyptischen Darstellun- gen ein. Sie beziehen sich ausnahmslos auf die Offenbarung des Johannes. Demzufolge kön- nen die apokalyptischen Darstellungen zu den Bildwerken Otto Pankoks mit christlichem In- halt gezählt werden. Die apokalyptischen Darstellungen können in zwei Gruppen eingeteilt werden: (a) als Verbildlichung des ersten Tieres, getreu der Beschreibung der Johannesoffenbarung und zweitens (b) als Interpretation des ″anderen″ Tieres als . Das Apokalyptische Tier (WL 71) verbildlichte Otto Pankok erstmals 1942 als Litho- grafie. Erst später kamen nach und nach Holzschnittvarianten hinzu. Das erste Tier der Apo- kalypse stellte Otto Pankok in mehreren Holzschnitten mit voneinander abweichenden Moti-

684 Vgl. oben, 127. 685 Margarete Luise Goecke-Seischab/Jörg Ohlemacher, Kirchenbaukunst, 193. 686 Im Werkverzeichnis der Pressezeichnungen steht die Darstellung unter der Sigle 69-10, 58.

149 ven dar, wobei er sich genauestens an die Vorgaben des Bibeltextes hielt. Identisch ist, dass die apokalyptischen Tiere Drachenwesen ähneln, wie die Pinsellithografie Apokalyptisches Tier (WL 71) von 1942 zeigt. Der spätere Holzschnitt gleichen Inhaltes, Das erste Tier (WH 564) von 1958, ist im Ausdruck noch einmal expressiver.

7. 2. 5 Die Darstellung christlicher Gotteshäuser

Als eine letzte Gruppe der Bildwerke Otto Pankoks, die eindeutig christlichen Inhaltes sind, sollen die Darstellungen von Kirchenbauten genannt werden. Otto Pankok hielt auf seinen Reisen, die ihn in nahezu alle Teile Europas führten, zahlreiche Gotteshäuser bildnerisch fest. Überschaut man das Gesamtwerk Otto Pankoks, kann festgestellt werden, dass ″Gotteshäuser″ überhaupt die einzige nennenswerte Gebäudegruppe darstellt. Ansonsten sind im Gesamtwerk Otto Pankoks nur vereinzelt Gebäude zu finden, abgesehen von „Haus Es- selt“ in Hünxe/Drevenack, das dem Künstler in späteren Jahren wegen seiner verminderten Bewegungsfreiheit immer öfter zum Motiv wurde. Moscheen und Synagogen wurden Otto Pankok gleichermaßen zum Bildgegenstand wie Kirchen. Eine seiner ersten Kaltnadelradierungen aus dem Jahr 1910 stellte eine Dorfstrasse mit Kirche (WR 5) dar. Auffallend ist, dass Otto Pankok ausschließlich Kirchen im ländlichen Raum festhielt. In seinem Werk sind nur Dorfkirchen zu finden. Nur selten wird dem Künstler der Kirchenbau zum Hauptgegenstand des Bildes, wie es die Monotypie Kirchturm in St. Saturnin (WM 182, 1953) zeigt687. Zumeist ist die Kirche eingebettet in die Landschaft, sodass sie als Gebäude ganz in ihr aufgeht. Mitunter scheint der vor dem Kirchengebäude stehende Baum der eigentliche Bildgegenstand in Otto Pankoks Bild zu sein, deutlich zu sehen auf der späten Monotypie Pinie am Kirchhof (WM 215, 1954). Mit ihrer zum Himmel strebenden Architektur sieht der Künstler den Kirchenbau aus der Erde erwachsen, dem Wurzelgrund für Bäume, Gräser und Blumen. Kirchen gehören für ihn zur Landschaft wie Pferde, Kühe, Weiden, Pfützen und bedrohliche Himmelskulissen. Das ver- deutlichen Kirchendarstellungen aus dem Emsland wie beispielsweise das Kohlegemälde Kir- che bei Regen, Bokeloh, Emsland688 von 1940. Es zeigt sich, dass Kirchenbauten für Otto Pankok immer dann zum Motiv wurden, wenn er sich über einen längeren Zeitraum in ländlicher Gegend aufhielt und sie ihm vertraut wurde. Dann stellte er das kirchliche Gemäuer als gewachsenen Bestandteil der Landschaft

687 Vor allem diese Kirche stellte Otto Pankok wiederholt dar. So auch in WM 3 St. Saturnin (1952), WM 5 St. Saturnin mit Pflüger (1952) u.ö. 688 Abgedruckt ist das Kohlebild (100 x 119 cm) in Otto Pankok, Regenbilder, o.S.

150 dar, wie die frühe Zeichnung Pappelstamm von 1914 zeigt689. Da schaut die Kirche von Döt- lingen nur wie zufällig hinter dem Pappelstamm hervor. Gleiches ist auf dem Kohlebild Kirchweg unter Wasser (Bokeloh) von 1940 zu beobachten690. Der motivische Schwerpunkt Otto Pankoks liegt eindeutig auf der Darstellung des vom Wasser überfluteten Hohlweges, statt auf dem Kirchegebäude selbst. Dieser Intention folgt das Kohlegemälde Sonnenunter- gang von 1937691. Aus dem reifen Getreidefeld, von Abendlicht umflutet, könnte anstelle des Kirchturmes ebenso ein knorriger, markanter Baum erwachsen692. Das Motiv des Kirchenge- bäudes fügt sich wie nebenher in Otto Pankoks Œuvre ein. Für ihn als gläubigem Christen stand es wahrscheinlich außer Frage, dass neben Mensch, Tier und Pflanze auch Kirchenge- bäude Bestandteil seiner Bilder wurden. Im Jahr vor seinem Tod entstand der Holzschnitt Kirche am See (WH 741) und im Todesjahr 1966 das Kohlebild Kirche in Locmaria Bretag- ne693.

7. 3 Der Passionszyklus

Otto Pankoks Bilder der Passion sollen bewusst innerhalb der entwickelten Grobeinteilung der bildnerischen Motive und Bildthemen gesondert betrachtet werden. Zum einen handelt es sich um einen Zyklus von 60 zeitnah entstandenen Bildern, die in ihrer Betrachtung nicht aus- einander gerissen und als Einzelbilder rezipiert werden sollen. Zum zweiten vereint die Pas- sion viele der angesprochenen Bildthemen und bildnerischen Motive zu einer komplexen Zu- sammenschau. Die ungeheure Größe von 60 Einzelszenen verleiht dem Zyklus etwas Monu- mentales. Als Erzählzyklus bezieht sich die Passion auf die Lebensgeschichte Jesu inklusive seines qualvollen Todes am Kreuz und nicht ausschließlich auf seine Leidensgeschichte, wie der Titel vermuten lassen könnte. Die eigentliche Lebensgeschichte Jesu, die Otto Pankok wohl als eine einzige Passi- onsgeschichte verstand, lässt er mit der Geburt des Kindes im Stall zu Bethlehem beginnen, um danach die wichtigsten Etappen im Leben und Wirken des Jesus von Nazareth darzustel- len. Auf diese Weise erzählt Otto Pankok dem Betrachter sein Evangelium im Stil einer mit- telalterlichen Armenbibel. Historische Begebenheiten werden da genauso wiedergegeben wie theologische Worte, Szenen aus Gleichnissen, Porträts biblischer Figuren und Situationen um das Kreuz herum. Damit sind innerhalb der Passion Otto Pankoks viele der Motive zu erken- nen, die als Einzelmotiv im Gesamtwerk zu finden sind. Unter dem Titel Passion sind dem-

689 Das Kohlebild Pappelstamm von 1914 (88 x 75 cm) ist abgedruckt in Otto Pankok in Dötlingen, 24. 690 Abgedruckt ist das Kohlebild (129 x 96 cm) in Otto Pankok im Emsland, 41. 691 Abgedruckt in Rainer Zimmermann, Antwort auf die Schöpfung, o.S. 692 Ebenso auf der Monotypie Mann mit Ziegen (WM 168, 1953). 693 Veröffentlicht in Otto Pankok. Kohlegemälde, Holzschnitte, Radierungen, Plastiken, o.S.

151 nach Bildwerke vereint: die einen Bezug zu biblischen Erzählungen (5. 1) aufweisen, christli- che Figurendarstellungen (5. 2) sowie Bilder, die christliche Glaubensinhalte (5. 3) vermit- teln. Otto Pankok malte die Bilder der Passion nicht entsprechend des chronologischen Ab- laufs des erzählerischen Geschehens, wie es in den Texten des Neuen Testaments überliefert wird. Aus dieser Beobachtung heraus stellte Rainer Zimmermann die Behauptung auf, dass vielmehr die einzelnen Bilder entsprechend der unmittelbaren Lebenssituation Otto Pankoks entstanden694. Dieses Vorgehen innerhalb des künstlerischen Arbeitsprozesses würde nahele- gen, dass Otto Pankok im Vorfeld die Passion nicht als einen kompletten Großzyklus plante und konzipierte, da er ansonsten in der entsprechend geplanten Bildfolge hätte arbeiten kön- nen. Seiner eigenen Auflistung zufolge begann er die Passion mit dem späteren Bild 51 Die Frauen am Kreuz. Aus diesem Grund ist anzunehmen, dass Otto Pankok seine Arbeit mit bib- lischen Motiven begann, die das unmittelbare Zeitgeschehen reflektierten. Nach und nach komplettierte er diese Reihe von Arbeiten zu einem zusammenhängenden Zyklus.

7. 3. 1 Die historischen Umstände der Entstehung des Passionszyklus

Es ist sicherlich kein Zufall, dass Otto Pankok den Zyklus der Passion Jesu zeitgleich mit sei- nen Zigeunerbildern schuf. Demnach entstanden die beiden größten, zusammenhängenden Zyklen im Gesamtwerk Otto Pankoks etwa zeitgleich. Wie sehr sich die Arbeit an zwei solch komplexen Themen gegenseitig beeinflusste und befruchtete, wird geklärt werden müssen. Berto Perotti, der enge Freund Otto Pankoks, schreibt in seinem Buch „Begegnung mit Otto Pankok“, dass dieser 1929 während eines Spanienaufenthaltes damit anfing, biblische Motive umzusetzen. Innerhalb dieser Zeit entstand ein Abendmahlsbild, das in den Augen Perottis einer Initialzündung für das Großwerk der Passion gleichkommt695. Von Berto Perotti nicht erwähnt, existiert eine Kaltnadelradierung Otto Pankoks aus dem Jahr zuvor, die dem Stil der Passion sehr ähnlich eine Kreuzigungsszene zeigt (WR 520 Jesus am Kreuz). Otto Pankoks Freund Berto Perotti wertete die Passion als einen „ersten Schlag“, den Otto Pankok „in seinem Kampf gegen die nationalsozialistische Grausamkeit führte“696. Für ihn kommt damit das Schaffen des Passionszyklus einem Akt des Widerstandes gegen das

694 Rainer Zimmermann, Otto Pankoks „Passion“, 151. Eine genaue Reihenfolge der Entstehung der einzelnen Bilder ist laut Zimmermann aus den Aufzeichnungen Otto Pankoks Arbeitsbuches ablesbar, in dem er die fertig gestellten Bilder eines laufenden Jahres vermerkte. Dem entgegen steht jedoch die Beobachtung von Dirk Gante- för, dass Otto Pankok seine gemalten Bilder selten sofort in sein Arbeitsbuch eintrug, sondern nach einer gewis- sen Zeit alle bis dahin neu hinzu gekommenen Bilder, dann jedoch nicht mehr entsprechend ihres taggenauen Entstehens. 695 Berto Perotti, Begegnung, 22. 696 Berto Perotti, Begegnung, 21.

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Naziregime gleich. Dass Otto Pankok in der Lage war, zu diesem frühen Zeitpunkt die Di- mension der Schreckensherrschaft des Nationalsozialismus zu erfassen und sich kritisch dazu zu positionieren, zeigen einige schriftliche Äußerungen, die er in diesen Jahren verfasste. Da- zu gehört neben Briefen an NSDAP-Kulturfunktionäre der grafische Neujahrsgruß697, den er 1939 seinen Freunden zukommen ließ. Darauf „begrüßt“ Otto Pankok das neue Jahr mit dem Hinweis „1939 ist mit Vorsicht zu betreten!“698, karikiert als einen sich dahinschleppenden, hässlichen Affen mit überlanger, verwachsener Nase. Als sich nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten die Kreise um die Familie Pankok herum immer enger zogen, ihr Freundeskreis zersplittert wurde und dieser sich be- gann, in alle Welt zu zerstreuen, schrieb Otto Pankok 1934 in einem Brief:

„Ich glaube, daß die l´art pour l´art Zeit vorbei ist, daß man mit gemalten Bananen, kalten Blumenvasen, Kak- teen, und wenn alles noch so schön gemalt ist, nicht mehr das Leben fassen kann.“699

Otto Pankok, der Zeit seines Lebens an keinem Thema mehr Interesse fand, wie an dem Men- schen in seinem Menschsein, muss von dieser Eruption der Gewalt schockiert gewesen sein. Am Schicksal seiner engsten Freunde erlebte er, welch Grausamkeiten Menschen einander zufügen konnten700. Im Sommer des Jahres 1933 reifte in Otto Pankok der Entschluss, die ihn umgebende Katastrophe sinnbildlich in eine Tragödie hineinzumalen, wie sie die Menschheit schon einmal erleben musste, als die „Macht die Liebe zu Boden“ schlug701. Die furchtbaren Ereignisse zu Beginn der 30er Jahre in Deutschland ließen für Otto Pankok die Frage nach dem Wesen des Menschen, nach seiner Liebe und nach seiner Güte brennender denn je wer- den. Analogien zur Schreckensherrschaft der Nationalsozialisten waren unübersehbar, wenn Otto Pankok 1948 rückblickend schrieb702:

„Jene Zeit, da Jesus unter die Menschen trat, war von apokalyptischer Furcht beschattet. Unter einer endlosen Lichtlosigkeit lag das Land begraben. Unheilvoll dichte Schwärzen brüteten über den Hügeln und sanken in die

697 Vgl. dazu Cyrus Overbeck/Oliver Müller, Otto Pankok, 197ff. 698 Aus Kurt Schiffner, Otto Pankok, 29. 699 Otto Pankok in einem Brief von 1934 an den befreundeten Jesuitenpater Friedrich Muckermann, abgedruckt in Rainer Zimmermann, Otto Pankoks „Passion“, 15. Friedrich Muckermann war von Otto Pankok gebeten wor- den, das Vorwort für die Erstausgabe der „Passion“ 1936 zu schreiben. In diesem Vorwort zitiert Muckermann den Brief Otto Pankoks. 700 Vgl. dazu Rainer Zimmermann, Otto Pankoks „Passion“, 14. Die Verfolgung und Emigration vieler Freunde und Bekannten hatte zur Folge, dass die Familie Pankok in den 30er Jahren sehr zurückgezogen lebte. Der be- freundete Maler Karl Schwesig wird im Polizeigefängnis verhört und gefoltert. Die Freundin Else Lasker- Schüler flieht in die Schweiz. Gustav Lindemann wird die Leitung des von ihm und seiner Frau Louise Dumont gegründeten Schauspielhauses in Düsseldorf entzogen. Otto Pankoks Freund Gert Wollheim rettet sich und seine jüdische Frau in die Schweiz, später ging er nach Paris, dann nach New York. Siehe auch Werner Haftmann, Verfemte Kunst, 277f. 701 Vgl. dazu Otto Pankok, Vorwort zur Erstausgabe der „Passion“, o.S. 702 So wie Otto Pankok wurden auch andere deutsche Künstler vom Anbrechen des Nationalsozialismus so ü- berwältigt, dass sie die absehbare Tragödie in biblischer Dimension sahen und dem entsprechend künstlerisch umsetzten. Max Beckmann schuf 1932/33 das Triptychon Abfahrt, worin er die Grausamkeiten der anbrechen- den Naziherrschaft in Analogie zur Sintflutgeschichte stellte. Vgl. dazu Tanja Wetzel, Bilder lesen, 90f.

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Täler. Und die Schwärzen drangen hinein in die Häuser und in die Herzen der Menschen. Das Ende einer Welt war nahe. Alle Dinge und alles Geschehen war in Frage gestellt. Die Menschen lebten wie auf einer wilden blin- den Flucht. Die dämonischen Leidenschaften, uralter Heißhunger und Blutdurst brachen aus ihnen hervor.“703

Rainer Zimmermann schreibt, dass dieser sich mit dem Zyklus der Passion aus einer Wochen und Monate anhaltenden Zeit der Wut, begleitet von ohnmächtigem Zorn, befreite704. Mit dem Beginn der Passion hatte er für sich einen Weg gefunden, in biblischen Bildern die Tra- gödie seiner Zeit zu erzählen. Für sich selbst fand Otto Pankok damit einen Weg, die neue Lebenssituation auszuhalten. Da es der üblichen Arbeitsweise des Künstlers entsprach, ein begonnenes Kohlebild noch am gleichen Tag zu beenden, muss Otto Pankok 60 Tage an sei- nem Zyklus gearbeitet haben. Dirk Ganteför legt den Beginn dieser Arbeit für Mitte Juni 1933 fest705. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten am 5. März 1933 war demzufolge nicht viel Zeit verstrichen, bis Otto Pankok mit der Arbeit an dem Zyklus begann. Bereits Anfang Oktober 1933, als einige Blätter der Passion vollendet waren, es dage- gen noch nicht abzusehen war, zu welch gewaltigem Zyklus die Bildfolge anwachsen werde, versuchte Otto Pankok, fünf Blätter in der Essener Ausstellung ″Westfront 1933″ unterzu- bringen706. Doch auf Befehl Dr. Eckarts, eines Mitgliedes des ″Kampfbundes für deutsche Kultur″, wurden die Bilder noch vor der Eröffnung der Ausstellung entfernt707. Da Otto Pan- kok kein unbekannter Künstler mehr war, hatte Dr. Eckart vorgeschlagen, statt der anstößigen Christusbilder drei Landschaften in die Ausstellung zu hängen, woraufhin ihm Otto Pankok eine wütende Absage erteilte:

„Ich bin aber des Glaubens, dass es ein Irrweg ist, wenn ein Künstler inmitten einer Zeit voll ungeheuren Ge- schehens sich privaten lyrischen Gefühlen hingibt, und diese Dinge dem Volk weitergibt, ihm damit sagend, daß die Kunst abseits vom Leben und von den geschichtlichen Vorgängen stehe, daß sie harmloses Spiel sei und nicht der Extrakt der Zeit, so wie sie es in Jahrhunderten vor uns gewesen ist. Sollen sich die Künstle weiterhin vor dem ewigen deutschen Spießer beugen und ihre Lebensarbeit darin sehen, ihm seine Kleinbürgerwohnung mit hübschen Stilleben und Sonnenuntergängen zu dekorieren, so ist Herr Dr. Eckart auf dem richtigen Wege gewesen. Sieht man in der Kunst aber einen Niederschlag des großen Lebens und der großen Ideen der Zeit, sollen in ihr die Mitlebenden sich selbst, ihre Freuden und Leiden, Klärung und Tröstung finden, so geschah hier Unrecht und Sünde gegen den Geist der Kunst, und damit gegen das Volk. Mit vorzüglicher Hochachtung Otto Pankok“.708

Die erste Ausstellung nach Beendigung der Passion fand 1934 in Münster statt. Von der nächsten Ausstellung in Mülheim an der Ruhr nahmen die Nationalsozialisten rechtzeitig Notiz und schlossen sie noch vor der Eröffnung. Als Otto Pankok klar wurde, dass es nicht möglich sein werde, seine Passion öffentlich in Ausstellungen einem Publikum zu präsentie-

703 Otto Pankok, Otto Pankok über seine „Passion“, Prisma, 15/1948, 32. 704 Rainer Zimmermann, Otto Pankoks „Passion“, 15. 705 Dirk Ganteför, Otto Pankok „Die Passion“, 15. 706 Nach Rainer Zimmermann, handelte es sich dabei um die Bilder Einzug in Jerusalem (25), Gethsemane (31), Die Geißelung (43), Die Kreuzabnahme (57) und Pietà (59), Otto Pankoks „Passion“, 16. 707 Cyrus Overbeck/Oliver Müller, Otto Pankok, 193. 708 15. 10. 1933, Brief Otto Pankoks an Dr. Eckart zitiert in Cyrus Overbeck/Oliver Müller, Otto Pankok, 195.

154 ren, entschloss er sich, den Zyklus als Buch herauszugeben. Ein Gestapobeamter notiert in dieser Zeit im Protokoll:

„Es muß auch mit Befremden festgestellt werden, daß Pankok, der früher Protestant und aus der Kirche ausgetre- ten ist und vor der Machtergreifung durch den Nationalsozialismus linksradikal eingestellt war, eine Serie von christl. Passionsbildern geschaffen hat und gerade jetzt in Buchform erscheinen läßt […].“709

Das beauftragte Verlagshaus Piper in München überkamen Zweifel, ob es wirtschaftlich sinn- voll ist, zu diesem Zeitpunkt Otto Pankoks Passion zu verlegen. Im Mai 1935 wurde von Reinhard Piper persönlich nach langem Zögern die, Otto Pankok mündlich gegebene Zusage des Druckes, auf 300 Exemplare zum Preis von jeweils 25 Reichsmark eingeschränkt710. Aus- weichend schreibt er an den Künstler:

„Der Grund meines Schweigens war der, daß ich mit dem Werk über das Leben Christi zu gar keiner rechten Klarheit kommen konnte. Vielleicht ist daran eine gewisse Depression schuld. Ein wirklich lebendiges Kunstin- teresse gibt es ja kaum mehr. Ich frage mich, wer das Buch kaufen soll. Die meisten Darstellungen sind doch für den Betrachter abschreckend und hässlich […] Ich frage mich selbst auch ein wenig, weshalb die Gestalten fast alle so verschrobene Körper und verzerrte Gesichter haben müssen. […] In ihrem Werk dominieren geradezu diese Gestalten. Auch Christus selbst ist eigentlich nicht als große überlegene Persönlichkeit dargestellt, sondern eher wie ein bemitleidenswerter Mensch mit angstvoll aufgerissenen Augen, der nicht aus noch ein weiß. Seien sie mir bitte nicht böse, wenn ich das ausspreche. Wenn aber mir schon die Krassheiten etwas auf die Nerven gehen, was soll man dann vom übrigen Publikum erwarten. […] Auch könnte ich mir denken, daß das Werk einen stärkeren Eindruck machen würde, wenn man weniger Szenen bringen würde. Manche Motive stehen einander doch sehr nahe, man könnte dann einige von den Bildern mit quälend krassen Gestalten weglassen.“

Hinzu forderte der Piper-Verlag, das von Friedrich Muckermann geschriebene Vorwort weg- zulassen711. Das Verlagshaus Kiepenheuer in Berlin konnte schließlich dafür gewonnen werden, den Passionszyklus zu drucken. Da Friedrich Muckermann inzwischen emigriert war und sich kein anderer dazu bereit fand, musste Otto Pankok für diese Erstausgabe selbst das Vorwort schreiben. Er beginnt mit Worten im Stil eines Klagepsalms:

„Als die Sonne im schwarzen Meer erlosch und kein Stern am Himmel aufging, als die Wolken schwer nieder- fielen auf die Erde und des Donners Zorn aufbrach, zitterte ich in der Finsternis. Da ward meine Harfe Klage und meine Pfeife Weinen.“712

Ende 1936 lagen die ersten Ansichtsexemplare vor, auf die es, wie auf die Ausstellun- gen, überwiegend positive Reaktionen gab713. Der Gegenschlag in der NS-Presse erfolgte am 21. Januar 1937 mit dem bereits zitierten Artikel „Gotteslästerung 1936“, veröffentlicht in

709 Protokoll ohne Datumsangabe zitiert bei Cyrus Overbeck/Oliver Müller, Otto Pankok, 226f. 710 Vgl. dazu Cyrus Overbeck/Oliver Müller, Otto Pankok, 217. Der Brief Pipers ist mit dem 22. 5. 1935 datiert. 711 Cyrus Overbeck/Oliver Müller, Otto Pankok, 218. 712 Otto Pankok im Vorwort der Erstausgabe der „Passion“ erschienen im Kiepenheuer – Verlag 1936, 2. 713 Vgl. dazu Cyrus Overbeck/Oliver Müller, Otto Pankok, 219. Die Autoren betonen, dass an diesem ungeheu- ren Engagement Otto Pankoks deutlich wird, wie sehr ihm an der breiten öffentlichen Wahrnehmung seiner Kunst gelegen war. Vom überwältigenden Erfolg seiner „Passion“ beflügelt, plante Otto Pankok sogar, einen Film nach seinen Bildern zu drehen, für den er sogar mit dem Verfassen des Drehbuchs begann.

155 dem NS-Propagandablatt „Das schwarze Korps“. Das Ende des Artikels beinhaltet eine ein- deutige Drohung, in inhaltlicher Anlehnung an Otto Pankoks Vorwort, wenn es da heißt:

„Vielleicht hat inzwischen die Finsternis dort [gemeint ist das „Schwarze Meer“, AdA] etwas nachgelassen, und man kann ohne zu zittern Harfe spielen und Pfeife blasen. Aber wir sind sicher, daß man auch bei uns nicht ver- fehlen wird, ihm und seinem Verleger die Flötentöne beizubringen.“714

Auffallend an der Sprache des NS-Artikels ist, dass er durchgängig in einer inklusiven „wir“- Form geschrieben ist. Der Autor wähnt sich mit seinen hetzerischen Gedanken eingebettet in eine verständnisvolle Masse, die denkt wie er. Diese Inanspruchnahme der schweigenden Mehrheit des Volkes zeigt, wie sicher sich die Demagogen des Dritten Reiches in ihrem Hass waren. Dieser schweigenden Mehrheit entstammt der ″Massenmensch″, dem Otto Pankok mit Skepsis begegnete. An diesem Beispiel zeigt sich eindrucksvoll, wo der Künstler auf das Phä- nomen der ″Masse″ traf, bevor er 1948 seinen Artikel schrieb715. Das Verlagshaus Kiepenheuer ließ sich von dem Hetzartikel einschüchtern. Wahr- scheinlich unter Druck, richtete der Verleger Kiepenheuer am 19. Januar 1937 folgende Wor- te an Otto Pankok:

„Alle diese Anzeichen deuten darauf hin, dass eine derartige Kunst heute nicht mehr verstanden wird und darum auch nicht mehr möglich ist.“716

Kiepenheuer übergab Otto Pankok alle gedruckten Exemplare zur freien Verfügung, worauf- hin der die Bücher selbstständig zu vertreiben versuchte. Berto Perotti berichtet, dass das Buch 1936 von den Nationalsozialisten verboten, gut zweitausend Exemplare aus den Buchhandlungen aussortiert und zusammen mit Otto Pankoks Werk „Stern und Blume“ in Düsseldorf öffentlich verbrannt wurden717. Eva Pankok weiß zu berichten, dass der damalige Drucker des Droste-Verlages, Peter Marliani, Exemplare der Passion vor der Vernichtung retten konnte, indem er im Düsseldorfer Ständehaus eine Decke über die Bücher breitete, das Ganze als Bett herrichtete und darauf schlief718.

7. 3. 2 Die kunsthistorische Einordnung des Passionszyklus

Dirk Ganteför wies in seiner Dissertation über die Konzeption und Realisation der Passion Otto Pankoks darauf hin, dass die Fachliteratur der christlichen Ikonografie des 20. Jahrhun- derts dem umfangreichsten Werk, Otto Pankoks Bildzyklus von 60 Bildern, keine oder nur

714 Gotteslästerung 1936 in „Das Schwarze Korps“ vom 21. Januar 1937, abgedruckt in Otto Pankok, Die Passi- on, Kohlebilder – Druckgraphik – Plastik 1933-45, Staatliches Museum zu Berlin, Faksimile im Einband. 715 Otto Pankok, Otto Pankok über seine „Passion“ in Prisma 15/1948, 32. 716 Brief zitiert in Cyrus Overbeck/Oliver Müller, Otto Pankok, 220. 717 Berto Perotti, Begegnung, 22. 718 Eva Pankok, Mein Leben, 23.

156 eine untergeordnete Beachtung zukommen lässt719. Dabei ist in der Kunst der Moderne nur noch mit Emil Noldes Leben Christi (1911/12) ein vergleichbar zyklisches Werk gleicher Thematik zu finden. Otto Pankok steht mit seinem Zyklus des Lebens und Leidens Jesu in einer langen kunsthistorischen Tradition. Gleichzeitig geht er weit über tradierte Passionsdarstellungen hinaus und wagt zum Schluss sogar eine eigene theologische Sicht auf die Geschehnisse um den Tod Jesu. Seit dem Mittelalter ist der Leidensweg des Jesus von Nazareth ein zentrales Motiv der bildenden Kunst, vor allem der Grafik. Die Holzschnitte oder Kupferstichpassionen Martin Schongauers (um 1450-1491)720, Lucas Cranachs721 (1472-1553) und Albrecht Dürers (1471-1528)722 sind bekannte Beispiele dafür. Die Bildabfolge dieser mittelalterlichen Passio- nen ist von einem festen Schema bestimmt: begonnen wird zumeist mit dem Einzug Jesu in Jerusalem, es folgt das Letzte Mahl Jesu mit seinen Jüngern, seine Gefangennahme und damit verbunden das Ausgeliefertsein in den Händen seiner Peiniger, die Dornenkrönung, ein Ecce Homo – Bild, die Kreuztragung, schließlich die Kreuzigung, gefolgt von der Kreuzabnahme und Beweinung Jesu. Ein Bild der Grablegung beschließt den Leidensweg des Mannes aus Nazareth. Dieser folgt zumeist eine Darstellung der Auferstehung des Christus, die darauf verweist, dass es sich hierbei um das Leiden und den Tod des Gottessohnes handelt. Abge- schlossen wird der Passionszyklus mit einem Zeichen des Trostes und der Gewissheit des ewigen Lebens und der göttlichen Allmacht über den irdischen Tod hinaus723. Gleichwohl diese Bildfolge nicht streng festgelegt und beliebig erweiterbar ist, bildete sich mit der Zeit doch ein Bildkanon, der sich unmittelbar an der biblischen Überlieferung orientiert. Werden in Gegenüberstellung dazu die 60 Szenen der Passion betrachtet, wird schnell deutlich, dass Otto Pankok nur bedingt dem tradierten Darstellungskanon folgt. Gleichzeitig ist ein Dokument erhalten, aus dem hervorgeht, dass sich der Künstler durchaus in dieser gro- ßen Traditionslinie sah. 1933, in einem Schreiben an Dr. Alfred Rosenberg, einer prominen- ten Parteigröße der NSDAP und Gründer des ″Kampfbundes für deutsche Kultur″ argumen- tiert Otto Pankok für seine Passion:

719 Dirk Ganteför, Otto Pankok „Die Passion“, 1. 720 Martin Schongauer inspirierte wesentlich mit seiner Passion Christi die Kunst Albrecht Dürers. Die Folge von 12 Kupferstichen entstand auf dem Höhepunkt seines künstlerischen Schaffens um 1488. Vgl. dazu Deut- sche Kunst der Dürer-Zeit, 267. 721 Lucas Cranach d. Ä., Die Passion Christi, Holzschnitt, Folge von 14 Einzelblättern, u.a. in Gotteswort und Menschenbild. Werke von Cranach und seinen Zeitgenossen, 101 – 107. 722 Dürer schuf die Kleine Holzschnittpassion (1508-1510) in 36 Bildern, die in ihrem Inhalt weit über das ei- gentliche Passionsthema hinausgreift und bis auf Adam und Eva zurückgeht. Hinzu kommt die „Große Passion“ von 1510 und die Kupferstichpassion (1507-1513). Vgl. dazu Heinz Lüdecke, Albrecht Dürer, 23f. 723 Vgl. dazu Jutta Hülsewig, Die Passion, 5.

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„Ich bin mir mit allen Menschen, die meinen Zyklus sahen, bewußt, daß in diesen Bildern eine Tradition aus der reinsten und schönsten deutschen Vergangenheit wieder auflebte. Wenn diese meine Blätter das Licht des Tages scheuen müssen, dann muß auch die große Vergangenheit ausgelöscht werden, dann muß das Volk vor Cranach, Dürer, Grünewald und Konrad Witz geschützt werden.“724

Otto Pankok stellt seiner Passion ein Votivbild voran, das die Marterwerkzeuge, die arma Christi,725 um den geschundenen Leib vereint: die Nägel, den Essigschwamm, die Wür- fel, die Dornenkrone etc.. Darüber hinaus stellen ebenso Passionsaltäre die traditionellen Symbole der Passion aus, wozu die oben genannten Dinge gehören. Deshalb kann angenom- men werden, dass der Künstler einerseits Altarbilder studierte und andererseits mit Beispielen der Votivmalerei in katholischen Kirchen und Kapellen in Frankreich und Spanien in Berüh- rung gekommen ist. Votivbilder, die vor allem die Kunst lateinamerikanischer Maler stark beeinflusst haben, zeigen in naiv anmutender, betont naturalistischer Malweise Gebrechen und Behinderungen der Menschen, die mit dem jeweiligen Votivbild um die Zuwendung Got- tes bitten. Üblich ist auch, dass ein Votivbild verdeutlicht, auf welche Art und Weise ein Mensch das Leben verlor: sei es durch einen Autounfall, einen Brand oder ein anderes Un- glück. In ergreifender Weise visualisieren Votivbilder die Bedrohung des irdischen Lebens. Deswegen werden sie im katholischen Kulturraum vorwiegend an Pilgerstationen aufgehängt, wo sich der Pilger in betender Haltung davor niederlässt726. Ein typischer stilistischer Be- standteil von Votivbildern ist das geschwungene Spruchband, die sog. Votivinschrift am obe- ren Bildrand, auf dem der Name des Bittstellers und sein Anliegen vermerkt sind. Die mexi- kanische Malerin Frida Kahlo (1907-1954) übernahm die formale Gestaltung der Votivmale- rei für ihre Bilder, um damit die Verbundenheit zur Volkskunst ihres Heimatlandes zu beto- nen. Innerhalb des Gesamtwerkes Otto Pankoks ist ein Bildaufbau im Stil eines Votivbildes einmalig. Wie Albrecht Dürer in der Großen Holzschnittpassion, stellt Otto Pankok mit dem Vo- tivbild seiner Passion ein Titelbild voran. Doch erst mit dem 26. Bild, dem Einzug in Jerusa- lem, beginnt das eigentliche Passionsthema. Ab da finden sich traditionelle Passionsmotive in der Passion. Doch innerhalb der folgenden Erzähleinheit nimmt sich Otto Pankok ebenfalls viel künstlerische Freiheit, wenn er beispielsweise mit Bild 31 Jesu einsames Gebet am Öl- berg darstellt. Dabei bleibt der Mann aus Nazareth immer die zentrale Figur des Geschehens. Niemals wird er in seiner christlichen Dimension als der Erlöser und Sohn Gottes betrachtet, sondern bleibt ganz Mensch in seiner existenziellen Verlassenheit. Anders als die mittelalter-

724 Otto Pankok im Herbst 1933 in einem Brief an Dr. Alfred Rosenberg, zitiert bei Cyrus Overbeck/Oliver Mül- ler, Otto Pankok, 192. 725 Gertrud Schiller, Ikonographie der christlichen Kunst, 198. ″Arma Christi″ bezeichnet die ″Waffen″, mit denen Christus Tod und Satan besiegte. In diesem Sinn werden Leidenszeichen zu Hoheitszeichen. 726 Vgl. dazu Christliche Ikonographie in Stichworten, Votivbild, 372.

158 lichen Darstellungen, in denen Christus der heroisch triumphierende Sieger über den Tod bleibt, und abweichend von den spätmittelalterlichen Darstellungen, in denen das Leiden des Gottessohnes in den Vordergrund gestellt wird, erfasst Otto Pankok in seiner Passion das Schicksal eines verlassenen, einsamen Menschen inmitten größter Grausamkeit.

7. 3. 3 Das menschliche Antlitz innerhalb der Passion Otto Pankoks

Die Tochter des Künstlers schrieb 1988 im Vorwort eines Kataloges anlässlich einer Ausstel- lung mit Bildern der Passion:

„Das Dritte Reich begann. Nun überlegte er: „Was kann ich dagegen stellen?“ und malte seine Passion, das Le- ben von Jesus, 60 große Kohlegemälde. Die Modelle waren die Zigeuner und die anderen Bewohner des Heine- feldes.“727

So selbstverständlich diese Worte klingen mögen, so ist es doch ungewöhnlich, dass ausgerechnet Angehörige des Volkes der Sinti und Roma den biblischen Figuren der Passi- onsgeschichte ihr Antlitz leihen sollten. Indem der Künstler einem Jesus von Nazareth, einer Mutter Maria, einem Johannes und all den anderen Figuren der biblischen Überlieferung die Gesichtszüge der verfolgten Sinti und Roma des Heinefeldes gibt, trifft er eine politische Aus- sage. Zum einen befindet er diese geschmähten und von den Nazis kriminalisierten Menschen für würdig, eine Maria oder einen Jesus zu verkörpern. Zum anderen handelt es sich hierbei um eine Art der Stellvertretung. Die geschmähten Mitglieder des Sinti- und Romavolkes wer- den zu Protagonisten innerhalb der Passionsgeschichte Otto Pankoks. Mit der Passion Jesu erzählt er auch die Passion des Volkes der Sinti und Roma. Das Schicksal des großen Juden aus Nazareth wird stellvertretend für das Schicksal der verfolgten Sinti und Roma und schließlich für alle hingemordeten Volksgruppen zur Zeit des Dritten Reiches erzählt. Dirk Ganteför hat in seiner Dissertation zweifelsfrei nachgewiesen, dass sämtliche Bilder der Pas- sion in der Obdachlosensiedlung des Düsseldorfer Heinefeldes in den Jahren 1933 und 1934 entstanden728. Für Berto Perotti beinhalten die Blätter der Passion etwas „modern Revolutionäres“, da die „Menschen und ihre Verhaltensweisen“ der „lebendigen Wirklichkeit der Gegenwart entnommen“ waren, und ihre „Angst oder ihre Grausamkeit enthielt […] die ganze Überzeu- gungskraft, die aus der Erfahrung und der festen Weltanschauung des Malers stammt“729. Bereits im ersten angefertigten Bild, das inhaltlich auf Mk 15, 40-41 basiert, verewigte Otto Pankok seine Freunde des Düsseldorfer Heinefeldes. Rainer Zimmermann will in der

727 Eva Pankok, Otto Pankok und das Emsland, 5. 728 Dirk Ganteför, Otto Pankok „Die Passion“, 15. 729 Berto Perotti, Begegnung, 23.

159 trauernden Maria die Gesichtszüge einer der Schwestern der jungen Zigeunerin Ringela er- kennen730, andere Autoren sprechen diese Ringela selbst zu.

„Die Maria der „Passion“ war das Sinti – Mädchen Ringela. Sie wurde später im Konzentrationslager ver- gast.“731

Schon aus diesem ersten Bild wird ersichtlich, worum es Otto Pankok in seiner Passi- on ging. Sein Anliegen ist nicht die Darstellung überlieferter Ereignisse und historischer Ge- schehnisse, sondern vielmehr die Situation der Menschen in ihnen. Eva Pankok berichtet, dass der Petrus der Passionsbilder Nr. 10, 30, 34 und 35 die Ge- sichtszüge des „alten Russen Konstantin“732 Pelakowski trägt733. Dieser war nach dem Ende des Ersten Weltkrieges in Deutschland geblieben und hatte in der Gerresheimer Glashütte gearbeitet. Er hatte sich ein winziges Häuschen gebaut, worin lediglich ein Bett, ein Stuhl und ein kleiner Tisch mit einem Wecker Platz fanden. Eva Pankok erinnert sich, dass sie bei ei- nem Besuch, gemeinsam mit ihrem Vater, auf dem Bett saß und der alte Konstantin sagte: „Kopf muss denken.“ Und dann weinte der Alte, weil die Menschen schlecht waren734. Der Figur des Christus aus der Passion soll kein Mensch zugrunde liegen, den Otto Pankok persönlich gekannt habe. Allerdings soll er dem schreienden Christus am Kreuz die Gesichtszüge des befreundeten Malers Karl Schwesig verliehen haben, der als einer der ersten 1933 in den Düsseldorfer Gestapo-Kellern gefoltert wurde735. Darauf wird in der exemplari- schen Aufarbeitung des Bildes für den Religionsunterricht näher eingegangen werden. Eva Pankok, die den Maler nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges kennenlernte meint, dass der Christus am Kreuz ihm ähnlich sieht736. Der von Otto Pankok mehrfach porträtierte Zigeunerjunge Raklo wird in der Passion in mehreren Bildern (Nr. 8, 24 und 33) als Bösewicht eingesetzt737. Das widerspricht der gän- gigen Behauptung, dass Otto Pankok die Porträts der Zigeuner ausschließlich Jesu Jüngern und dem Volk gab, die Henker und Schergen dagegen mit dem Konterfei von NS-Größen versah. Ebenso sind laut Ganteför der Zigeunerjunge Herteli und das taubstumme Zigeuner- mädchen Dinili738 durch Vergleiche mit Porträtzeichnungen der Kinder, in den Bildern 22, 25

730 Rainer Zimmermann, Otto Pankoks „Passion“, 17. 731 Eva Pankok, Mein Leben, 22. 732 Eva Pankok, Mein Leben, 22. 733 Dirk Ganteför, Otto Pankok „Die Passion“, 24. 734 Eva Pankok, Mein Leben, 22. 735 Eva Pankok, Mein Leben, 22. 736 Eva Pankok, Mein Leben, 23. 737 Dirk Ganteför, Otto Pankok „Die Passion“, 24. 738 Karola Fings/Frank Sparing, Otto Pankok und die Düsseldorfer Sinti, 5.

160 und 44 der Passion nachweisbar739. Dirk Ganteför behauptet, dass zahlreiche andere, nicht spezifisch zuordenbare Gesichter innerhalb der Passion, „collageartig zusammengesetzt“ wurden aus „Ohren, Mund, Nase, Augen, Kopfform u.a.“, die den verschiedenen Personen des Heinefeldes entliehen wurden740. Auf diese Weise hätte Otto Pankok, laut Ganteför, „neue Gesichter komponiert“. Die Vorstellung des „Neukomponierens“ von Gesichtern anhand ste- reotyper Einzelformen entspricht einer schnittmusterartigen Anschauung von künstlerischem Schaffen. Das erinnert an die Rassemerkmale der Nationalsozialisten, die in Tabellen Aus- kunft darüber gaben, welche Schädel-, Augen- und Mundform einer bestimmten „Rasse“ zu- zuordnen sind. Wenn Otto Pankok weitere Figuren seiner Passion hinzufügte, die nicht ein- deutig anhand anderer Porträts identifiziert werden können, dann kann das zweierlei bedeuten. Einmal, dass der Künstler in seinem täglichen Umgang auf dem Heinfeld auf interessante Gesichter stieß, die sich ihm in sein phänomenales Bildgedächtnis eingruben, sodass er sie seiner Passion hinzufügte und zum zweiten, dass er in einem selbstverständlichen Akt schöp- ferischer Freiheit ohne direktes Vorbild Bildfiguren kreierte. Dirk Ganteför formulierte erstmals die Beobachtung, dass Otto Pankok keiner seiner Figuren eine durchgängig gleiche Physiognomie gab741. Die Gesichter der Zigeunerkinder erscheinen als Konterfei der Schergen in den Folterszenen. Diese Beobachtung irritiert, wi- derspricht sie doch der Vermutung, dass sich Otto Pankok, indem er seinen biblischen Figu- ren die Gesichter der Zigeuner verlieh, auf die Seite der Unterdrückten und Verfolgten stellte. Ganteför vermutet, dass Otto Pankok damit eine Entindividualisierung der Personen anstrebte und somit den Bibeltext auf seine psychologischen und soziologischen Implikationen redu- zierte742. Dieser Vorgehensweise entspräche Otto Pankoks Suchen nach „wahren Menschen“, in denen unverfälscht menschliche Wesenszüge sichtbar werden. Das meint nicht romantisiert nur ″das Gute″ und damit in unserem heutigen Verständnis ″Menschliche″, sondern unge- schönt alles Grobe, Brutale, Aggressive und Grausame, was das Wesen des Menschen als Spezie ausmacht. Da Otto Pankok die Zigeuner als „die kindlichsten Menschen Europas“743 ansah, ist zu vermuten, dass er bei ihnen die genannten Eigenschaften am Unverfälschtesten fand.

739 Dirk Ganteför, Otto Pankok „Die Passion“, 24. 740 Dirk Ganteför, Otto Pankok „Die Passion“, 24. 741 Dirk Ganteför, Otto Pankok „Die Passion“, 120. 742 Dirk Ganteför, Otto Pankok „Die Passion“, 121. 743 Otto Pankok, Zigeuner (1958), 9.

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7. 4 Christliche Themen im bildnerischen Werk Otto Pankoks

Als ″christliche Themen″ sollen im Folgenden solche Bildinhalte bezeichnet werden, die sich als christlich fundierte Inhalte im bildnerischen Werk Otto Pankoks verifizierbar nachweisen lassen. Verifizierbar heißt, dass der jeweilige Betrachter ein christliches Motiv im bildneri- schen Werk Otto Pankoks nicht nur im weitesten Sinne erkennen kann – dann müssten sicher- lich noch viel mehr aufgeführt werden. Vielmehr sollen solche Inhalte gemeint sein, die sich als größeres Thema sowohl in den Bildwerken Otto Pankoks wie in seinen Texten und ande- rem Quellenmaterial, z.B. Briefen, ausmachen lassen. ″Thema″ in diesem Sinn meint, dass es sich hierbei nicht nur um wenige Einzelmotive handelt, wie beispielsweise das der Propheten, sondern um einen christlichen Inhalt, der in unterschiedlichen künstlerischen Einzelmotiven von Otto Pankok bearbeitet wurde. Viele solcher Einzelmotive im bildnerischen Werk Otto Pankoks lassen sich zu einer größeren Themengruppe zusammenfassen, hinter denen inhalt- lich christliche Aussagen stehen. Das Thema des ″wahren Menschen″ wird von Otto Pankok in unterschiedlichen Bildern auf verschiedene Weise bearbeitet. Es sollen im Folgenden nur größere christliche Themen bearbeitet werden, die sich wiederholt im bildnerischen Werk Otto Pankoks ausmachen lassen. Diese Entscheidung er- hebt keinen Anspruch darauf, eine vollständige Diskussion der bildnerischen Bearbeitung christlicher Motive durch Pankok zu sein. Darüber hinaus wendet sich der Künstler in einer Vielzahl von Einzelwerken jeweils z.B. auch einzelnen Texten zu. An dieser Stelle soll noch einmal auf Paul Tillichs Unterscheidung von ″Gehalt″ und ″Inhalt″ hingewiesen werden. Ein christlicher ″Gehalt″ ist in allen Kunstwerken Otto Pankoks nachweisbar. Otto Pankok als gläubiger Christ schuf seine Bildwerke aus seinem christlich geprägten Selbst-, Welt- und Menschenverständnis heraus. Dennoch bearbeitet er nicht in allen seinen Bildwerken christliche Themen und längst nicht in allen seinen Bildwerken las- sen sich christliche Inhalte finden. Überblickt man den Teil der Bildwerke Otto Pankoks, in denen das der Fall ist, kann man Themengruppen ausmachen, an denen sich Otto Pankok als Künstler abarbeitete. Diese Themen sind Ausdruck des Denkens und der Frömmigkeit Otto Pankoks. Sie finden Niederschlag in seinem geschriebenen Wort. In verschiedenen Bildern bearbeitete er künstlerisch christliche Themen wie das ″Böse, ″Sünde″ und menschliche ″Schuld″. Mit solchen Themen setzte sich Otto Pankok in schriftlicher Form auseinander. Auf diese Texte wird im Folgenden Bezug genommen werden. Allen aufgeführten Motiven ist gemeinsam, dass sie sowohl im bildnerischen Schaffen Otto Pankoks, wie auch in seinem geschriebenen Wort nachweisbar sind. Die christliche Dogmatik und Systematik sind traditionelle Orte innerhalb der Theologie, an denen über

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Themen wie ″Sünde″, das ″Böse″, ″Schuld″ und ″Leid″ nachgedacht wird. Otto Pankok er- kannte solche Themen als grundlegend und wandte sich ihnen auf seine Art kunstschaffend und bildnerisch zu. In der Fülle der Bildlösungen, zu denen er fand, lassen sich die Motive ausmachen, die nun im Weiteren vorgestellt und bearbeitet werden sollen. Die Reihenfolge der sechs christlichen Themen richtet sich nach folgenden Kriterien: Als erstes sollen solche Themen charakterisiert werden, in die Otto Pankok die Erfahrung der Anwesenheit Gottes hineinmalte. Das sind christliche Themen, die auf der Grundlage der christlichen Tradition ein Ideal beschreiben, wie menschliches Leben in Einklang mit Gottes Geboten gelingen kann. Als Leitbild über allen soll aus diesem Grund das Ideal des ″wahren Menschen″ stehen, das sich als eigenes Bildthema im Werk Otto Pankoks ausmachen lässt. Hinzu kommt das Thema der ″Liebe″, da sich die Liebe zum Menschen, zur Mitkreatur und zur ganzen Schöpfung als oberstes Prinzip im Leben Otto Pankoks sicher bestimmen lässt und vielfach als künstlerisches Motiv in seinem Werk Niederschlag findet744. Mit dem Thema des ″Leides″ wird eine Themenreihe eröffnet, die von der Abwesenheit Gottes im menschlichen Miteinander erzählt. Mit ″Leid″ wird eine Urerfahrung des Menschen beschrieben, die die Frage nach der Theodizee aufwirft. Physische und moralische Grenzerfahrungen, die an der Gegenwart Gottes Zweifel aufkommen lassen, werden in den darauf folgenden Motiven zur Sprache kommen. Solcherart Erfahrung von der Abwesenheit Gottes spiegeln sich im bildne- rischen Werk Otto Pankoks in Bildern wider, die z.B. die ″Sünde″, das ″Böse″, ″Schuld″ und ″Leid″ anhand unterschiedlicher Bildgegenstände thematisieren.

7. 4. 1 Der ″wahre Mensch″ als bildnerisches Thema in der Kunst Otto Pankoks

Seit seiner Jugendzeit befand sich Otto Pankok nach eigenen Aussagen auf der Suche nach „dem Wesen des Menschlichen“745. Wo er suchte und wohin er sich aus seiner bürgerlichen Herkunft immer wieder zurückzog, verrät, wo der Künstler das wahre Menschliche zu finden glaubte. Damit ging Otto Pankok in seiner Zeit unpopuläre Wege, die sich wesentlich von denen seiner Künstlerkollegen unterschieden. Er mied das intellektuelle, avantgardistische Milieu und ging genau den anderen Weg. In seinem Buch „Stern und Blume“ berichtet er von seinem erfüllten Jahr bei den oldenburgischen Bauern, bei den schmutzigen Weibern und Ta- gelöhnerinnen in ihren erbärmlichen Hütten746 und den Arbeiterfrauen mit ihren kranken Kin-

744 Vgl. dazu Otto Pankok, An meine Freunde (1937), Nachdruck von 1968, 3. 745 Otto Pankok, Stern und Blume (1930), Nachdruck von 1987, 12. 746 Otto Pankok, Stern und Blume (1930), Nachdruck von 1987, 12.

163 dern747. Er suchte gleichermaßen nach dem Wesen des Menschlichen bei seinen spanischen Modellen Ramon, Roda, Teresa, Tomasa und „ihrer idiotischen Tochter Micaela“748. Otto Pankok war getrieben von einer „illusionslosen Nähe und sozialer Neugier.“749 Rainer Zim- mermann kommentierte diese Zeit Otto Pankoks folgendermaßen:

„Pankok suchte nicht die Schönheit, er suchte das ganze Leben; er suchte, da ihm die städtische Schauseite die- ses Lebens nicht genügte, die „andere Seite“ des Lebens.“750

Mit seinen Bildern und Texten schuf Otto Pankok diesen Menschen ein bleibendes Andenken. Dessen Leben bekam durch den Künstler eine, die Zeiten überdauernde, Würdi- gung und Wertschätzung. Wer würde sich heute noch der verwachsenen Tomasa erinnern751, hätte Otto Pankok in ihr nicht einen jener ″wahren Menschen″ gefunden und gemalt. Dabei ist es keineswegs so, dass der Künstler seine Modelle glorifizieren und in ihrer Armut adeln würde. Er sieht sie ungeschönt, wie sie sind: schmutzig, idiotisch, von Tuberkulose gezeich- net, lebensmüde, verkrebst und von anhaltendem Husten geplagt752. In ihrer körperlichen Ge- brechlichkeit sind sie keineswegs unschuldige Opfer einer hartherzigen Gesellschaft, von der sie an den Rand geschoben wurden. Otto Pankok benennt offen ihre Schwächen und Unzu- länglichkeiten, mit denen sie einander das Leben schwer machen. Von seinem spanischen Freund Ramon erzählt er, dass er aus Eifersucht seine indianische Frau in Mexiko ermordete, indem er ihr mit dem Messer den Bauch aufschlitzte753. Der Vater Tomasas saß 18 Jahre we- gen Einbruchs im Zuchthaus und der selbstherrliche754, verlogene José Roda warf erst seine Kinder, dann die Frau aus dem Haus, damit er allein und in Ruhe seine üppige Kriegversehr- tenrente aufbrauchen konnte755. ″Menschlichkeit″ wird in diesem Sinn nicht als höchster Maßstab ethischen Handelns verstanden, da Otto Pankok seine Modelle nicht frei von jedem Fehl und Tadel darstellt. ″Menschlichkeit″ meint in Otto Pankoks Verständnis vielmehr, dass in diesen Menschen eine wesentliche Seite des Homo sapiens noch sichtbar ist, die sich bei den Zivilisationsmenschen überlagert hat, nämlich: Unverbildetheit, Natürlichkeit, Einfachheit in Sprache und Gestus, Echtheit der Gefühle und Authentizität im zwischenmenschlichen Miteinander. In diesem

747 So die Kohlebilder Arbeiterfrau, 1931 und Krankes Kind, 1948, abgedruckt in Bernhard Mensch/Karin Stem- pel, Otto Pankok 1893 – 1966. Retrospektive zum 100. Geburtstag, 104 u. 172. 748 Otto Pankok, Stern und Blume, Nachdruck von 1987, 27 – 30. 749 So der Titel eines Aufsatzes über Käthe Kollwitz, der in vielerlei Hinsicht auch auf das Werk Otto Pankoks zutrifft. Jula Dech, Illusionslose Nähe und soziale Neugier. Bilder der Armut von Käthe Kollwitz, 55 – 71. 750 Rainer Zimmermann, Im Widerstand gegen die Zeit, 9. 751 So aus dem Jahr 1929 Tomasa kocht, Sitzende Tomasa und Tomasa vor der Wand, alle in Otto Pankok, Ele- fanten Press, 74 – 76. 752 Otto Pankok, Stern und Blume (1930), Nachdruck von 1987, 27 – 32. 753 Otto Pankok, Stern und Blume (1930), Nachdruck von 1987, 27. 754 Otto Pankok, Stern und Blume (1930), Nachdruck von 1987, 27. 755 Otto Pankok, Stern und Blume (1930), Nachdruck von 1987, 30.

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Bedeutungsfeld von ″Menschlichkeit″ haben menschlichen Eigenschaften Platz, die ethisch nicht den Maßstab allen Handelns bilden dürfen, im zwischenmenschlichen Miteinander frei- lich vorkommen. Die längste zusammenhängende Zeit verbrachte Otto Pankok bei den Zigeunern des Heinefeldes, die er als seine „Freunde“ bezeichnete756. Damit begab er sich zu Menschen, die 1931 nicht nur deklassiert, sondern kriminalisiert waren. Overbeck/Müller befinden in ihrer Biografie über den Künstler kritisch, dass sich Otto Pankok mit dieser räumlichen Zuwen- dung zu den Zigeunern alle seine bürgerlichen Privilegien erhielt. Zwar teilte er ihr Elend, wenn er wollte - wollte er dagegen nicht, dann konnte er alle Annehmlichkeiten seiner bürger- lichen Existenz nutzen. Diese prinzipielle Wahlmöglichkeit der Lebensverhältnisse schuf letztlich eine unüberbrückbare Distanz zwischen ihm und seinen Freunden:

„Pankok blieb einer, der nach Hause gehen konnte, wenn er wollte; zwar teilte er das Elend des Subproletariates im Heinefeld ohne Herablassung, seine Möglichkeiten aber schufen einen unüberbrückbaren […] Abstand zwi- schen ihm und seinen Modellen. Wenn er Hunger hatte, kaufte er sich eine Wurst, wenn er fror eine Decke; plagte ihn der Ischias, dann legte er sich zu Hause ins warme Bett; wurde er krank, konnte er einen kompetenten Arzt kommen lassen.“757

Otto Pankok war kein Teil dieser Lebensgemeinschaft, sondern blieb ein gern gesehener Be- sucher, der mit seiner Anwesenheit Abwechslung in den Lebensalltag der Menschen brachte. Durch seine Arbeit als Maler brachte er den Menschen etwas Würde in ihr Elend. Mit seiner Hinwendung zu den Zigeunern des Heinefeldes gab sich Otto Pankok der Illusion hin, zu ih- nen zu gehören. Am deutlichsten wurde diese Unüberbrückbarkeit der Unterschiede, als die Nationalsozialisten begannen, die Siedlungen der Zigeuner aufzulösen und ihre Bewohner in örtliche Auffanglager – einem Vorhof der späteren Konzentrationslager – zu internieren. An dieser Stelle zeigte sich am deutlichsten, wer dazugehörte und wer nicht. Wie Over- beck/Müller unmissverständlich darstellten, besaß Otto Pankok an dieser Stelle das entschei- dende Privileg, aus seinem Heinefelder Atelier in sein Haus in der Düsseldorfer Brend´amour Straße gehen zu können758. Anders als bei Albert Schweitzer z.B. war Otto Pankoks Beziehung zu den ausgesto- ßenen Menschen der Gesellschaft nicht sozial motiviert, sondern rein künstlerisch. Sie blieben seine künstlerischen Objekte. Ihre Lebensweise und ihr unbändiger Freiheitswille inspirierten ihn als Künstler. Er suchte sich in ihrem Milieu seine Modelle und wurde dadurch zum Beob- achter. In Gegenwart dieser Menschen fand der Künstler zu seinen Motiven und zu seinem

756 Otto Pankok bezeichnete die Zigeuner des Heinefeldes durchgängig als seine „Freunde“. Deutlicher wird das in seinem Buch Zigeuner, 7ff. 757 Cyrus Overbeck/Oliver Müller, Otto Pankok, 175. 758 Cyrus Overbeck/Oliver Müller, Otto Pankok, 175. “Als das Unheil über die Menschen des Heinefeldes he- reinbrach, hatte er ein bedeutendes Privileg: sich betroffen zu fühlen, ohne es doch direkt zu sein. Zu weinen, zu fluchen, seine Ohnmacht zu empfinden und zu überleben.“

165 primären künstlerischen Ausdruck. Das von Otto Pankok gebrauchte Wort „Freund“ wirkt in diesem Deutungssinn missverständlich. Der Argumentation von Overbeck/Müller folgend, befand sich Otto Pankok in der privilegierten Situation, gesellschaftlich ausgestoßene Men- schen als seine „Freunde“ bezeichnen zu können. Das war keine „Freundschaft“ auf Augen- höhe, sondern eine mit einem starken sozialen Gefälle. Die oben angesprochene Divergenz im Verhalten zu den Randständigen und Ausge- stoßenen der Gesellschaft soll abschließend in der Gegenüberstellung zweier Bildwerke Otto Pankoks verdeutlicht werden. Beide Kohlebilder haben dasselbe Thema, können in ihrem Ausdruck unterschiedlicher nicht sein. Auf dem Kohlebild Lasset die Kindlein zu mir kom- men, Bildnummer 25 der Passion, ist raumfüllend Jesus von Nazareth dargestellt, der sich, Bezug nehmend auf Mt 19, 13-15, kleinen Jungen zuwendet. Drei der Kinder (fünf sind gut zu erkennen, der Künstler ließ offen, ob es noch mehr sind) blicken Jesus mit offenem Ge- sicht an und scheinen ihm etwas zu erzählen. In ihren ernsten kleinen Gesichtern sind die Au- gen weit aufgerissen. Genauso ernst verhält sich Jesus auf diesem Bild. Seine Hinwendung ist vollkommen echt. Hier wendet sich kein falscher Kinderfreund aus einer Laune heraus Kin- dern zu. Nein, Jesus nimmt wahrhaftig Anteil am Befinden der kleinen Jungen. Er beugt sich vorn über, legt einem von ihnen die viel zu großen Hände auf die kleinen Schultern, begibt sich mit dem Kind auf Augenhöhe. Vollkommen ernsthaft und teilnehmend ist diese mensch- liche Begegnung. Die emotionale Zuwendung zu den Kindern wird in der Körpersprache Jesu noch gesteigert. Seine Hinwendung wird inhaltlich verstärkt durch ein körperliches „Sich – Hinbeugen“ und „Sich – Hinab – Begeben“ auf Augenhöhe der Kinder. Damit kann ein Dia- log gleichberechtigter Gesprächspartner stattfinden. Die traditionelle Hierarchie Erwachsener – Kind bzw. noch verstärkt: prominente verehrungswürdige Person – kleine Jungen, wird in diesem Beispiel nivelliert. Ganz anders dagegen Otto Pankoks Kohlebild von 1948 Selbst mit Zigeunerkinder759. Otto Pankok stellt sich selbst zu Kindern in Beziehung. Allerdings gestaltet sich diese recht merkwürdig. Völlig entgegen der schriftlichen Dokumente, in denen er Auskunft über seine Freundschaft zu den Zigeunern, speziell zu den kleinen, pfiffigen Kindern gibt, stellt er sich auf dem Bild zu ihnen beziehungslos dar. Auf seinem Bild steht er hoch aufgerichtet mit stei- fer, erhobener Haltung regungslos zwischen zwei kleinen Kindern. Beide Hände hält er ge- ballt in den Hosentaschen, weshalb mit ihnen keine Beziehung zu den Kindern hergestellt werden kann. Sein Blick ist gesenkt und bleibt verschlossen. Eventuell schaut er zu dem Krabbelkind, welches sich an seinem linken Bein hochzieht. Um das rechte Bein des Künst-

759 Abgedruckt u.a. in Mitteilungen 2004/2005 der Otto-Pankok-Gesellschaft (e.V.), 81.

166 lers windet sich ein etwas größeres Mädchen mit dunkel gelocktem Haar und geblümten Rock. Zu diesem Kind nimmt der Protagonist des Bildes - wie zu den anderen - keinerlei Be- ziehung auf. Starr und steif mit nach vorn gewölbter Brust steht er zwischen diesen am Boden kriechenden Kindern. Keinerlei Hingabe und Beziehung ist auf diesem Bild spürbar. Nähe wird auch künstlerisch nicht erzeugt. Bestenfalls könnte das Bild dahingehend gedeutet wer- den, dass Otto Pankok die Zigeunerkinder um seine hoch gewachsene und massige Gestalt Fangen oder Verstecken spielen ließ, ihnen quasi als Hindernis dazu dient. Denn der Künstler wirkt auf diesem Bild zwischen den lebhaften Kindern wie ein unverrückbarer Klotz. Da das Bild 1948 aus Otto Pankoks Erinnerung heraus entstand, gut 15 Jahre nach sei- ner Zeit bei den Zigeunern des Heinefeldes, ist anzunehmen, dass die ehemals verspürte emo- tionale Nähe zu den Kindern nicht mehr präsent war. Emotionale Nähe ist für den Künstler in diesem Fall nicht mehr darstellbar. Beide Bilder in ihrer Unterschiedlichkeit verdeutlichen symptomatisch in einer Art Momentaufnahme die Art der Beziehung, die beide Männer zu Kindern aufbauten. Jesus wendet sich ihnen zu, er ist nicht nur körperlich anwesend, sondern wirklich dabei – der Künstler bleibt Beobachter. Vielleicht ist das der charakteristischste Unterschied in der Zu- schreibung des Menschenfreundbegriffs auf Otto Pankok in Gegenüberstellung zu Albert Schweitzer und einem Jesus von Nazareth.

7. 4. 2 ″Liebe″ als Thema in den christlichen Bildwerken Otto Pankoks

Eindeutiger als von ″Gott″ spricht der Künstler in seinen Texten von der ″Liebe″. Dafür las- sen sich viele Belege aufzählen. Vor allem in seinem Rundschreiben aus dem Jahr 1937 „An meine Freunde“ räumt er dem Reden von der Liebe breiten Raum ein760. Im Nachfolgenden soll systematisiert werden, welche Bedeutung Otto Pankok dem Begriff ″Liebe″ beimaß und wie er ihn inhaltlich füllte. Dann erst kann bestimmt werden, inwiefern Otto Pankok in sei- nem bildnerischen Werk dem christlichen Thema der ″Liebe″ künstlerisch Ausdruck verlieh. In dieser Arbeit muss eine Reflexion über ″Liebe″ aus dem Grund stattfinden, da der Begriff im Weltverständnis und Menschenbild Otto Pankoks eine zentrale Stellung einnimmt. Erschwerend für eine Systematisierung ist der Umstand, dass ″Liebe″ ein ausgesprochen brei- tes Begriffsfeld aufweist761. Das behindert maßgeblich eine sprachliche Verständigung dar- über, mit welcher Bedeutung Otto Pankok den Begriff ″Liebe″ belegte und in diesem Sinn ″Liebe″ als Thema innerhalb seiner Bildwerke zu finden ist.

760 Otto Pankok, An meine Freunde (1937), Nachdruck von 1968, 3f. 761 So auch Alexandre Ganoczy, Liebe als Prinzip der Theologie, 38.

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Trotz der Vielschichtigkeit ist ″Liebe″ ein zentraler theologischer Begriff. Als solchen sieht ihn u.a. Paul Tillich in seinem Werk „Liebe, Macht, Gerechtigkeit“762. Der Autor ver- steht ″Liebe″ als „die bewegende Macht des Lebens“763. Verstünde man Liebe nur als ein Ge- fühl, wäre sie nichts weiter als „eine sentimentale Zugabe zu Macht und Gerechtigkeit, letzt- lich ohne Bedeutung, unfähig, die Gesetze der Gerechtigkeit oder die Strukturen der Macht zu ändern“764. Die Macht der Liebe liegt darin, dass sie Getrenntes wieder zu einer Einheit füh- ren kann765. Dieser Zuspruch der Wiedervereinigung impliziert, dass der Trennung ein Zu- stand der Einheit vorausging: „Dort, wo die Liebe die größte Trennung überwindet, mani- festiert sie ihre größte Macht“766. Die größte Trennung ist in den Augen Paul Tillichs dort zu sehen, wo das Selbst sich vom Selbst entfremdet hat767. Auch Otto Pankok weist der Liebe in seinen Bildwerken über die emotionale Bedeu- tung hinausgehend eine gestaltende Funktion zu. Für ihn stellt sie eine Wirkmacht dar, die sich als Gegenmacht dem Zerstörerischen entgegenstellen kann:

„Es erhob sich die Macht über die Liebe, und die Macht schlug die Liebe zu Boden. Aber die Liebe war dennoch größer als die Macht. Man kann den Menschen zu Tode bringen, seine Liebe lebt weiter. Ihre Worte vergehen nicht, denn wo auch immer die Liebe austritt, da wirft sie ihren Samen in die Herzen, und so überdauert sie ihren eigenen Untergang.“768

Vor allem in der Passion lassen sich Bildwerke dieser Aussage finden. In tiefer Liebe wendet sich Jesus dem kleinen Schaf in seinen Armen zu (Bild Nr. 16 Das Gleichnis vom guten Hir- ten). Ebenso vermag er es, die Distanz zwischen Erwachsenen und Kindern zu überbrücken (Nr. 25 Lasset die Kindlein zu mir kommen). Auffallend ist hierbei, dass Otto Pankok die Wirkmacht der Liebe immer mit der Person Jesu identifiziert. Jesus ist für Otto Pankok die personifizierte Liebe schlechthin769. Er ist es, der es vermag, entgegen üblicher Moral und tradiertem Verhalten die Sünde der Ehebrecherin als menschlich darzustellen und auf die sie umstehende Menschenmenge zu verteilen (Nr. 24 Die Ehebrecherin). Vor allem Frauen sah der Künstler fähig zu liebendem Handeln. Auffallend ist, dass es in der Passion ausschließlich Frauen sind, die sich in ″Liebe″ dem Mann aus Nazareth zu- wenden. Seine Mutter Maria liebt ihn von ganzem Herzen, die Schwestern Maria und Martha

762 Paul Tillich, Liebe, Macht, Gerechtigkeit, Tübingen 1955. Der Originaltitel lautet Love, Power, and Justice und ist die Drucklegung zweier Vorlesungen, die Paul Tillich erst in England, später den USA hielt. 763 Paul Tillich, Liebe, Macht, Gerechtigkeit, 25. 764 Paul Tillich, Liebe, Macht, Gerechtigkeit, 24f. 765 Paul Tillich, Liebe, Macht, Gerechtigkeit, 25. 766 Paul Tillich, Liebe, Macht, Gerechtigkeit, 26. 767 Paul Tillich, Liebe, Macht, Gerechtigkeit, 26. 768 Vgl. dazu die Worte Otto Pankoks von 1936 im Vorwort zur Passion, abgedruckt in Jutta Hülsewig, Die Passion in 60 Bildern, 23. 769 Vgl. dazu auch der Ausspruch Hulda Pankoks „Vor dem Grabe der Liebe lag 1934 noch ein gewaltiger Stein.“ in Hulda Pankok in „Die Passion. Ein Zyklus …“, Ausstellungskatalog von 1956, o.S.

168 umsorgen ihn voll menschlicher Wärme (Nr. 22 Jesus bei Maria und Martha) und schließlich sind es nur Frauen, die an seinem Kreuz stehen (Nr. 51 Die Frauen am Kreuz). Seine Mutter hält ihn nach der Kreuzabnahme liebend in den Armen (Nr. 59 Maria mit dem Toten), und mehrheitlich sind es Frauen, die ihn auf dem letzten Bild der Passion (Die Grablegung) in das Leichentuch wickeln. Es sind vor allem Frauen, die Jesus von der Geburt bis über seinen Tod hinaus begleiten. In dieser Hinsicht geht Otto Pankok mit dem Zeugnis der Evangelien mit. Zwischen Jesu Geburt und dem Tod am Kreuz sind es ausschließlich Männer, die Jesus verra- ten und martern. Für den Künstler stellt der Mann aus Nazareth das Pendant zur ″Macht″ dar, die Ver- walterin des Bösen ist. Es liegt nahe, dass der Künstler ausgehend von den Ereignissen seiner Zeit einen Dualismus Liebe – Macht bildnerisch nur in tragischer Weise umsetzen kann. Otto Pankok bewies in seiner eigenen Biografie wiederholt, dass er zu zwischen- menschlicher Liebe, die Leben neu gestaltet und traditionelle Grenzen überwindet,770 in der Lage war. Vor allem seine Begegnung mit den Zigeunern kündet davon, worin die erwähnte Symbiose von Leben, Inhalt und Werk des Künstlers deutlich wird771. Er thematisiert ″Liebe″ in seinen Bildwerken dort, wo sie fehlt. In der Masse Gleich- gesinnter fühlen sich die Gegner der Liebe mächtig. Die Bilder der Passion zeigen nichts von der beschworenen Liebe zu Gott, Frau, Kind und Freund:

„Alle Liebe im Leben zusammen ist die Liebe zu Gott, die Liebe zu Frau, Kind, Eltern, Freund, die Liebe zur Musik, zu den Domen und Bildern, zu den Gedichten und Romanen, die Liebe zu Tieren und Pflanzen, Mond, Sonne und Meer, die Liebe zu den Armen, die Liebe zu den Heiligen und den Guten, die Liebe zum Material und dann noch die Liebe zum Schaffen.“772

Stattdessen kulminiert die Dramatik der Passion in einem Rausch aus Menschenverachtung und Vernichtung. Bild Nr. 28: Drei Gestalten schleudern Steine auf den entsetzt fliehenden Jesus (Joh 10, 31f.). Bild Nr. 33: Dunkel, vom Licht der Fackeln beleuchtet, schauen vier Fi- guren zu, wie Judas seinen verräterischen Kuss auf Jesus drückt (Mt 26, 47-50). Bild Nr. 34: Sechs Männer ergötzen sich daran, wie der verschreckte Petrus Jesus verleumdet (Mt 26, 69- 73), während der Hahn dreimal kräht. Bild Nr. 37: Selbst der Hohepriester tritt in Otto Pan- koks Passion dem Mann aus Nazareth nicht allein gegenüber, sondern umgibt sich mit vier Gleichgesinnten (Mt 26, 59-64). Bild Nr. 38: Drei Bewaffnete stehen schließlich hinter dem gefesselten Jesus, als dieser vor dem Hohen Rat spricht (Lk 22, 66-68) und Vor Pontius Pila- tus (Bild Nr. 39). Da ist es wirklich die unüberschaubare Masse, die die Arme hochreißt, um

770 Paul Kennedy, Mit dem Bösen leben, 210. 771 Beleg hierfür sind die vielfältigen Anekdoten in Otto Pankoks Buch Zigeuner. 772 Otto Pankok, An meine Freunde (1937), Nachdruck von 1968, 3.

169 aus tausend Kehlen zu schreien: „Kreuzigt ihn! Kreuzigt ihn!“ (Mt 27, 22f.), während sich der Prokurator die Hände in Unschuld wäscht (Mt 27, 24)773. Hässlich sind die Menschen der Masse bei Otto Pankok. Bild Nr. 40: Sie haben feiste Gesichter, wulstige Lippen und Stiernacken. Sie haben fette Bäuche, Glatzen und kaum noch Zähne im Mund. Bild Nr. 44: Ihre Augen schauen dumpf und blödsinnig. Der Künstler legte seinen ganzen Widerwillen in das Malen dieser namenlosen Masse. Und es werden immer noch mehr: Bild Nr. 46: 13 Gaffer sind es schon, die dem fallenden Jesu zuschauen und 11, die ihn vor der Kreuzigung entkleiden (Mt 27, 31). Bild Nr. 48: Fünf finstere Gestalten sind es, die ihn ans Kreuz schlagen (Lk 23, 33) und sechs, die zu seinen Füßen liegen und um sei- nen Rock würfeln (Mt 27, 35). Bild Nr. 55: Selbst als Jesus am Kreuz hängt, tritt ihm der, der ihn die Lanze in die Seite sticht (Joh 19, 34) nicht einzeln gegenüber, sondern zieht noch ei- nen Zeugen hinzu (Joh 19, 35). Bild Nr. 56: Der Hauptmann, der schließlich erkennen sollte, dass dieser Mensch am Kreuz wahrlich ein frommer Mann war, (Lk 23, 47) ist umringt von vier Soldaten. Otto Pankoks Aussage ist ganz deutlich und konsequent durchformuliert. Die Zeiten, in denen ein Individuum dem anderen entgegentritt, um in einen gleichberechtigten Dialog miteinander treten zu können, sind vorüber. Vielmehr sieht sich das Individuum hilflos einer unberechenbaren Masse gegenüber, in der das Böse sich Bahn brechen kann. Dem Mensch geht jedwede Orientierung verloren, sodass sich das Böse in ihm Raum verschaffen kann und „die Welt höllenwärts treibt“774. Das Verhältnis zu Gott, das von Liebe und Vertrauen geprägt sein sollte,775 ist damit gestört – wenn nicht gar zerstört. Otto Pankok sieht in diesem Zustand die Verworfenheit des Menschen. In seinem Rundbrief an die Freun- de schrieb er 1937:

„Ihr Herz wird nicht fortgezogen, nicht zur Frau, nicht zum Freund, nicht zur Kunst, nicht zum Schaffen und nicht zum Helfen und zum Bewahren des Guten. Diese empfindet Gott in seinem Mund als lau. Er ekelt sich und speit sie aus. […] Wenn der Mensch die Welt gewinnt, und hat die Liebe nicht, er hat die Richtung nicht zu Gott, wozu dann ist er ein Mensch? Er ist dann die mißratene Form in des „Töpfers Hand“. Der Töpfer nimmt die mißratene Form und schlägt sie zusammen. Und auch dann schlägt er die Form zusammen, wenn der Mensch sich als Ersatz für den fehlenden Zug des Herzens Gesetze schuf, nach denen er lebt.“776

773 Ganz anders dagegen die Darstellung Max Beckmanns Christus und Pilatus von 1946. Da steht der grob- schlächtige, stiernackige Prokurator tatsächlich allein dem hageren Mann aus Nazareth, der mit Dornen gekrönt ist, gegenüber. Zwei Protagonisten begegnen sich bei Beckmann, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. In ihrer Gegensätzlichkeit versinnbildlichen sich die beiden Reiche, denen beide dienen. Vgl. dazu u.a. Günter Rombold, Ästhetik und Spiritualität, 113. 774 Otto Pankok in einem Brief von 1934 an den befreundeten Jesuitenpater Friedrich Muckermann, abgedruckt in Rainer Zimmermann, Otto Pankoks „Passion“, 15. 775 Vgl. dazu Rainer Lachmann, Theologische Schlüsselbegriffe, Sünde, 357. 776 Otto Pankok, An meine Freunde (1937), Nachdruck von 1968, 3f.

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In dieser Textstelle wird ersichtlich, wie der Künstler zwischen göttlichen Geboten und menschlichen Gesetzen zu differenzieren versteht. Die unvorstellbaren Ereignisse der NS- Herrschaft werden für ihn dadurch nicht legitim, dass sie in den neu geschaffenen Gesetzen des Unrechtsregimes verankert wurden. Den Geboten Gottes räumt Otto Pankok gegenüber den Gesetzen der Menschen unangefochtene Priorität ein, sind die Gesetze der Menschen doch nichts weiter „als Ersatz für den fehlenden Zug des Herzens“777. Drei Aussagen sind in den Texten Otto Pankoks deutlich herauszulesen: Zum einen spricht er der Liebe eine Kraft zu, durch die sich Leben weiterentwickeln und gestalten kann – sei es die Liebe zu Gott, zu den Mitmenschen, Tieren oder die Liebe zum eigenen Schaffen778. Damit ist für den Künstler die Liebe eine prinzipielle Einstellung zur Schöpfung und zum Leben. ″Liebe″ wird damit zur grundlegenden Art und Weise, wie sich der Mensch seinen Mitgeschöpfen und den Dingen nähert. Zweitens spricht Otto Pankok der Liebe eine Wirk- macht zu, die es vermag, das Böse zu überwinden und niederzuringen779. Menschen, die in Liebe handeln, werden auf längere Sicht erfolgreich gegen böse Mächte sein, war Otto Pan- kok überzeugt. Und drittens verbindet der Künstler diese Macht mit der Person Jesu und sei- ner Predigt von einem Reich Gottes780. Die starke Betonung der Liebe in den schriftlichen Hinterlassenschaften Otto Pankoks basiert auf seinem christlichen Glauben, den er zeitlebens offensiv vertrat. Dadurch wirkt der Inhalt seiner Rundschreiben sehr authentisch. Zeitgenossen bewunderten diesen Wesenszug Otto Pankoks und rechneten ihm diese offen vorgetragene Einstellung hoch an. Das christli- che Ethos der Liebe ist für Otto Pankok wirklich zur praktischen Handelsmaxime geworden. Das bestätigt seine Hinwendung zu gesellschaftlich Randständigen, sein späteres soziales En- gagement und sein konsequentes Verhalten gegenüber Tieren und allen anderen Lebewesen. Für einen Künstler kann es gar nicht anders sein, als dass sich solcherart geistiges Fundament in seiner Kunst niederschlägt. Otto Pankoks deutlichstes Bekenntnis dazu waren seine Bilder der Passion. Rainer Zimmermann schrieb dazu:

„[…] Sie ist ein Zeugnis liebloser Zeit, aber zugleich ein Zeugnis zeitloser Liebe. Sie ist ein Bekenntnis zum Menschensohn – mitten in der Verzweiflung über die Söhne der Menschen. Sie ist in einer unchristlichen Epo- che christliche Kunst in einem entschiedenen Sinn. Sie greift nicht nur biblische Geschichte auf, sie verkündet christliche Existenz. Sie wollte nichts als Wahrheit, als Beistand im Kampf der Liebe gegen die Macht, als Ver- heißung der Bruderschaft des Erlösers zu allen, die um der Gerechtigkeit willen hier und heute leiden. […].“781

777 Otto Pankok, An meine Freunde (1937), Nachdruck von 1968, 4. 778 Vgl. dazu Otto Pankok, An meine Freunde (1937), Nachdruck von 1968, 3. 779 Vgl. dazu die Worte Otto Pankoks von 1936 im Vorwort zur Passion, abgedruckt in Jutta Hülsewig, Die Passion in 60 Bildern, 23. 780 Vgl. dazu Otto Pankok in der Einleitung zur „Passion“ von 1936, 2. 781 Rainer Zimmermann, Otto Pankoks „Passion“, 27.

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Dezidiert christlich wird Otto Pankoks Liebesverständnis dadurch, dass er es nachvollziehbar mit den Aspekten der ″Hoffnung″ und der ″Wahrheit″ verband782. Otto Pankok ging es nie um die Liebe als solche, sondern er verband sie immer mit dem Bewusstsein, dass sich in der Per- son Jesu Christi ″Liebe″ als oberste Lebensmaxime offenbarte. In Jesus Christus zeigte sich die Liebe Gottes zu den Menschen. Aus diesem Grund ist es für den Künstler plausibel, auf die Person Jesu zu schauen und dabei Gott zu erkennen. Das Wissen um diese Wahrheit ließ Otto Pankok Zeit seines Lebens an der Hoffnung festhalten, dass sich in der ″Liebe″ eine das Böse überwindende Macht zeigt, die für alle Menschen zur verbindlichen Handelsmaxime werden sollte.

7. 4. 3 ″Leid″ als Thema in den christlichen Bildwerken Otto Pankoks

Die Darstellung menschlichen Leides ist ein traditionelles Thema bildender Kunst. Da die Erfahrung von Leid existenziell zum Menschsein gehört, nahmen in der Kunstgeschichte Künstler immer wieder dieses Thema auf. Zu unterscheiden ist dabei zwischen der subjekti- ven und der kollektiven Leiderfahrung. Die Erfahrung von subjektivem Leid wurde traditio- nell in einem religiösen Horizont gesehen. Zentrale Motive waren die Geißelung Christi783, das Leid Jesu am Kreuz, das Leid der trauernden Maria und das Leid der christlichen Märty- rer. Erst in der jüngeren Kunstgeschichte wird die Erfahrung subjektiven Leides aus dem reli- giösen Kontext herausgelöst und zum eigenständigen Motiv bildender Kunst. Die Erfahrung des kollektiv erlebten und sinnlos zugefügten Leides steht unmittelbar im Zusammenhang mit Krieg und Vernichtung. Über Leid im Horizont der Geschichte Gottes mit den Menschen zu sprechen, bedeu- tet, sich der Frage der Theodizee zu stellen. Es heißt, danach zu fragen, wo Leid innerhalb der Schöpfung Gottes seinen Platz hat. Otto Pankok malte einen Teil seiner Bilder, wie bei- spielsweise die Passion, die Zigeuner- und die Judenbilder, noch vor ″Auschwitz″ als der größten kollektiven Leiderfahrung der jüngeren Geschichte. Hinter ihm lagen zu diesem Zeit- punkt als seine größte Erfahrung von Leid die traumatischen Kriegserlebnisse des Ersten Weltkrieges im zermürbenden Stellungskrieg an der Westfront. Die Frage nach der Theodizee unterscheidet zwischen physischem Übel, verursacht etwa durch Behinderung, Krankheit und Tod. Hinzu kommt noch, davon abweichend, der Bereich des moralisch Bösen, wie es sich in Sünde und Zerstörung äußert784. Das physische

782 Vgl. dazu Johannes Fischer, Theologische Ethik, 160. 783 Eine frühe Darstellung der Geißelung Christi zeigt der Sakramentar aus Echternach (um 1030), heute befind- lich im Germanischen Museum Nürnberg. Vgl. dazu Walter Dirks, Christi Passion, 8. 784 Vgl. dazu Paul Tillich, Systematische Theologie, Bd II, 309.

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Übel, das als Folge der natürlichen Endlichkeit der Kreatur zu sehen ist,785 interessiert den Künstler in seinem Kunstschaffen wenig. Was ihn zur künstlerischen Auseinandersetzung veranlasst, ist vielmehr der Bereich des moralischen Übels, was als Folge der kreatürlichen Freiheit des Menschen zu sehen ist786. Otto Pankok stellt seine Bilder christlichen Inhaltes, in denen ″Leid″ thematisiert wird, in einen kunstgeschichtlichen Traditionszusammenhang. Ihm wird das Kreuzesleiden Jesu zum großen Thema. In sieben Bildern der Passion (Bild Nr. 48, 49, 50, 54, 55, 56, 57) bear- beitet der Künstler das seit dem Mittelalter weit verbreitete Motiv des Leidens Jesu am Kreuz. Hinzu kommen in der Passion Bilder leidender Jüngerinnen (Bild Nr. 51 Die Frauen am Kreuz) und der leidenden Maria (Bild Nr. 52 Die schmerzensreiche Mutter und Bild Nr. 53 Johannes und Maria). Von diesen Motiven finden sich, wie bei Otto Pankok üblich, Varian- ten in den verschiedenen Druckverfahren. Festzustellen ist, dass Otto Pankok in seinen christlichen Bildwerken das Leid der Menschen in dreierlei Hinsicht festhält: (a) als einsames Leid in absoluter Verlassenheit, (b) als subjektiv empfundenes Leid in Anwesenheit anderer Menschen und schließlich (c) als durch andere Mensch physisch verursachtes Leid. Menschen leiden im Werk Otto Pankoks nicht an widrigen Lebensumständen787, an körperlichen Gebrechen usw., sondern sie leiden an und verursacht durch ihre Mitmenschen, was den Bereich des moralisch Bösen umfasst788. Auch in der letzten Szene der Passion, mit der der Künstler seinen Zyklus enden lässt, hält der Zustand des Leides unvermindert an, nur, dass hier auf Bild Nr. 60 Die Grablegung, weitere Menschen davon betroffen sind. Die Männer halten ihren Blick gesenkt, Maria hat in dieser Darstellung die Hände vor Augen, und sie muss gestützt werden. Den drei Jüngerinnen fließen Tränen über die Wangen. Der Schmerz über den Verlust dieses geliebten Menschen, auf den große Hoffnungen gerichtet waren, wird auf dem letzten Bild der Passion zum kollek- tiv erlebten Leid. Der Schmerz ist überwältigend stark, sodass keine der anwesenden Perso- nen ihn mit sich allein ausmachen kann, sondern er sich in Anwesenheit der anderen Bahn bricht. Mit diesem Eindruck kollektiv empfundenen Leides entlässt Otto Pankok den Betrach- ter der Passion. Es ist das letzte Bild des Zyklus, womit der Künstler die bewusste Entschei- dung traf, keine Auferstehung Jesu zu malen.

785 Paul Tillich, Systematische Theologie, Bd II, 309. 786 Paul Tillich, Systematische Theologie, Bd II, 309. 787 Vgl. dazu die zahlreichen Kohlebilder der oldenburgischen Bauern, spanischen Fischern und Bauern. Diese Menschen werden im Werk Otto Pankoks nicht leidend dargestellt. 788 Vgl. dazu Paul Tillich, Systematische Theologie, Bd II, 309.

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Otto Pankok verstand seine Passion nicht als frohe Botschaft göttlichen Heilshan- delns, in dessen Licht das Leiden Jesu zu ertragen gewesen wäre789. Das Gegenteil ist der Fall. Otto Pankok gibt das Handeln um den Tod Jesu ganz in die Hand der Menschen. Göttli- ches Handeln wird nirgendwo in der Passion Otto Pankoks sichtbar. Stattdessen wird die Fi- gur Jesu, die für den Künstler die personifizierte Liebe ist,790 zum Sinnbild größtmöglicher Verlassenheit und Ausgeliefertsein inmitten menschlicher Brutalität und Willkür. Innerhalb dieses Geschehens scheint Gott abwesend. Das entsprach dem persönlichen Empfinden Otto Pankoks zur NS-Zeit. Die Aussage der Passion ist eindeutig: Physisches und psychisches Leiden wird in der Masse von Menschen vorsätzlich provoziert und ist gerichtet gegen das wehrlose Individuum. Schlimmer als Leid, welches jederzeit in Form von Krankheit, Unfall und Schicksalsschläge etc. Menschen treffen kann, sieht der Künstler das vom Menschen selbst verursachte Leid, was sich gegen seine Mitkreatur richtet. In der Passion ist es Jesus, der exemplarisch für alle Menschen leidet, die gefoltert und gemordet werden791. An seiner Stelle sah Otto Pankok in den Jahren 1933/34 die Zigeuner und Juden. In diesem Sinnzusam- menhang schuf Otto Pankok die mahnenden Holzschnitte zur Achtung des Tieres und zur Erhaltung der Schöpfung792. Als Ursache für diesen Zustand machte Otto Pankok die Hybris des Menschen aus, der begonnen hatte, sich wichtiger als Gott selbst zu nehmen793. Ungläubigkeit und fehlende De- mut schuf und schafft im Miteinander der Menschen unermessliches Leid – damals in bibli- schen Zeiten und nun wieder zu Lebzeiten Otto Pankoks. Für den Künstler wird das Schicksal Jesu zur Schicksalsfrage der Menschheit.

„Es ist die Entscheidung in dem modernsten und aktuellsten aller Probleme. Es ist die Stellungnahme im Kampf gegen alles das, was das Leben gemein, sinnlos und eng macht.“794

Otto Pankok gibt in der Passion keinen Hinweis darauf, wo Gott ist. Er lässt seinen Zyklus enden, bevor Gottes Heilshandeln an Jesus und damit an den Menschen sichtbar wird. Laut seiner Ehefrau Hulda Pankok war der Künstler 1933/34, in der Zeit als die Passion entstand, nicht in der Lage, eine Auferstehung Jesu zu malen. Obwohl Otto Pankok der Überzeugung war, dass der Mensch immer wieder, in jedem Jahrhundert neu, mit der Entscheidung für oder gegen Gott zu ringen hat,795 war sich der Künstler 1933/34 scheinbar nicht sicher, ob der

789 Vgl. dazu Vgl. dazu Walter Sparn, Leiden IV, Historisch/Systematisch/Ethisch in TRE, 689. 790 Vgl. z.B. Hulda Pankok „vor dem Grab der Liebe …“ in „Die Passion. Ein Zyklus …“, o.S. 791 Werner H. Ritter, Theologische Schlüsselbegriffe, Leiden, 219. 792 Vgl. dazu den anklagenden Holzschnitt Christus und das Tier (WH 457) und Otto Pankoks Brief vom 25. 11. 1955 an Papst Pius XII., zitiert bei Kurt Schifner, Otto Pankok, 175. 793 Otto Pankok, Otto Pankok über seine Passion, Prisma, 15/1948, 32. 794 Otto Pankok, Otto Pankok über seine Passion, Prisma, 15/1948, 32. 795 Vgl. dazu Otto Pankok, Otto Pankok über seine Passion, Prisma, 15/1948, 32.

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Mensch diesmal den Kampf für Gott entscheiden wird. Zu ungeheuerlich waren die Vorboten des Kommenden. Noch 1948 fragte der Künstler rückblickend:

„Wo war Jehova? War die Zeit vollendet, hatte Gott die Tore der Hölle geöffnet? Da mit einem Male erscholl aus der Tiefe die Stimme des Bußpredigers: ′Es ist die Axt den Bäumen an die Wurzel gelegt′.“796

Damit verneint Otto Pankok in seiner Passion die reformatorische Auffassung einer theologia crucis, wonach Gott, zwar verborgen, im Leid dennoch gegenwärtig ist797. Diese Hoffnung gab es für den Künstler 1933/34 nicht. Diesmal schien „die Axt den Bäumen an die Wurzel gelegt“798. Nicht nur der Mensch hat sich von Gott entfremdet, sondern der Schöpfer selbst „nimmt die mißratene Form und schlägt sie zusammen“799.

7. 4. 4 ″Sünde″ als Thema in den christlichen Bildwerken Otto Pankoks

Der Begriff der ″Sünde″ ist einer der wenigen theologischen Begriffe, der in die Alltagspra- che übernommen wurde, wobei sich die theologische Dimension verlor800. Überdauert hat rudimentär eine anthropologische Dimension, wobei sich die Bedeutung von Sünde als Selbstsucht, Selbstzentrierung und Wesensverkehrung des Menschen gravierend gewandelt hat801. Zumeist wird Sünde als Bestandteil zusammengesetzter Nomen gebraucht im Sinn von „Verkehrssünder“, „Todsünde“, „Parksünder“, „Kaloriensünde“, „Umweltsünder“, „Sünden- pfuhl“ oder „Dopingsünder“802. In diesem Gebrauch überwiegt die ursprüngliche negative Bedeutung des Begriffs. In neueren Tagen hat sich, bedingt durch mediale Inszenierungen wie der Produktwerbung, eine weitere Bedeutungsebene entwickelt. Darin bekommt der Begriff der Sünde eine scherzhaft-positive Konnotation verliehen, als einer Versuchung und Verlo- ckung der Sinne, im Sinne von: „Sündenmeile“, „Kann denn Liebe Sünde sein?“ oder „Kleine Sünden sind erlaubt!“, wobei die Wellness-Kultur predigt, dass ab und an zu sündigen eher das Wohlgefühl steigere als einschränkt803.

796 Otto Pankok, Otto Pankok über seine Passion, Prisma, 15/1948, 32. 797 Werner H. Ritter, Theologische Schlüsselbegriffe, Leiden, 220. 798 Otto Pankok, Otto Pankok über seine Passion, Prisma, 15/1948, 32. Vgl. dazu auch den Holzschnitt mit der gleichnamigen Inschrift WH 343 (1950) Johannes der Täufer. 799 Otto Pankok, An meine Freunde (1937), Nachdruck von 1968, 4. 800 Vgl. dazu Wilhelm Gräb, Sünde VIII praktisch – theologisch in TRE, 436. 801 Otto Mochti, Das Wesen der Sünde, 319. 802 Rainer Lachmann spricht in solchen Fällen von einem „vulgären Sündenverständnis“, Rainer Lachmann, Theologische Schlüsselbegriffe, Sünde, 360. 803 Dazu auch Ralf Dziewas, Die Sünde der Menschen und die Sündhaftigkeit sozialer Systeme, 19. Der Autor belegt, dass gerade mit der Gleichsetzung der Begriffe Sünde = Sexualität, in der heutigen Werbeindustrie ein Reiz des Erotischen und Verbotenen erzeugt werden soll.

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Die eigentliche Bedeutung des Wortes ″Sünde″, das die Störung durch eine Verfeh- lung im Verhältnis von Mensch zu Gott meint, ging damit völlig verloren804. An dieser Stelle verweist Paul Tillich auf den Unterschied zwischen ″Sünde″, in der Einzahl und ohne Artikel, wie ihn Paulus gebrauchte und in der Mehrzahl und mit Artikel ″die Sünden″, wie ihn die Kirchen in ihrer Tradition verwenden. In ihrer Mehrzahl gebraucht, bezeichnen sie Verstöße gegen Moralvorstellungen. In der Einzahl stellt ″Sünde″ eine Macht dar, die die Welt be- stimmt805. Im Religionsunterricht der Schule äußern Pubertierende oder junge Erwachsene, dass der Begriff in diesem Verständnis vollkommen antiquiert sei und eine solche Störung über- haupt nicht mehr mit einem gravierenden Begriff, wie dem der Sünde, bezeichnet werden kann806. In diesem Sinn wird Sünde nicht mehr als solche wahrgenommen, was einer Bedeu- tungsaushöhlung gleich kommt. Der Begriff ″Sünde″ wird heute als gravierender empfunden als das eigentliche Delikt, auf das es sich ursprünglich einmal bezog. Was überdauerte, war eine Ahnung davon, dass mit ″Sünde″ etwas benannt wird, was gravierend gegen die Norm verstößt. Das wird als das moralische Sündenverständnis bezeichnet807. Am ehesten bezeich- nen Jugendliche mit dem Begriff eine Störung des Verhältnisses von Mensch zu Mensch, bei- spielsweise wenn sich Lebenspartner betrügen, wenn Vertrauen missbraucht wird oder wenn ein schwerwiegendes Verbrechen geschieht808. Kinder sprechen gelegentlich von „Sünde“, insofern sie mit dem Begriff in Kontakt gekommen sind, wenn etwas - in ihren Augen - sehr Schlimmes geschah: wenn z.B. etwas gestohlen wurde oder ein Mensch offensichtlich log. Bei ihnen dominiert der negative Bedeutungskontext. Der Religionsdidaktiker Michael Fricke unterscheidet zwei Bedeutungsebenen von Sünde, einmal den Verstoß gegen Gesetze und öffentliche Normen und zum zweiten im Be- reich von Liebe, Erotik und Sexualität (Sündenmeile, Sündenpfuhl, sündhaft etc.)809. Jedem der beiden Bereiche ist inhärent, dass der Begriff der „Sünde“ selbstironisch und scherzhaft verwendet wird. Eine Sünde ist in dem Sinne noch kein Verbrechen. Fricke betont, dass in

804 Vgl. dazu Michael Fricke, Von Gott reden im RU, 100. Auch Gunda Schneider – Flume, Grundkurs Dogma- tik, 247. Sie verweist darauf, dass „Sünde“ in altprotestantischer Definition die „Abweichung vom göttlichen Gesetz“ meint (aberratio a Lege divina). 805 Paul Tillich, Systematische Theologie, Bd II, 54. 806 So meine eigenen Erfahrungen aus der schulischen Praxis in der Klassenstufe 12 zum Themenkomplex „Christliche Ethik“. 807 Wilhelm Gräb, Sünde VIII praktisch – theologisch in TRE, 437. 808 Dieses Verständnis von „Sünde“ beschreibt auch Gunda Schneider-Flume, Grundkurs Dogmatik, 247, als „die Verletzung des Beziehungsgefüges der Lebensgeschichten, in denen ein Mensch lebt.“ 809 Michael Fricke, Von Gott reden im RU, 100.

176 unserem Sprachgebrauch die Sünde zwar bagatellisiert, trivialisiert und ironisiert wird, aber deutlich wird, wo offensichtlich Grenzen verlaufen810. Der Künstler vermochte es, diesen an sich bedeutungsschweren Begriff in seiner Dra- matik noch zu steigern. Dies gelang ihm nicht durch Neuschaffung eines weiteren zusam- mengesetzten Nomens, sondern durch Steigerung des Begriffs. 1934 beschrieb Otto Pankok in einem Brief an den befreundeten Jesuitenpater Friedrich Muckermann die unglaublichen, politisch motivierten Ereignisse um ihn herum als „Sünde in monumentalster Gestalt“:

„Das Böse, bisher in Zaum gehalten, ist heute losgelassen, die Welt treibt höllenwärts. Was man täglich erlebte, war Folterung, Menschenjagd, Knebelung, Lüge, Raub, d.h. die Sünde in monumentalster Gestalt.“811

Otto Pankok versteht in diesem Sinn ″Sünde″ erst einmal in ihrem moralischen Gehalt. Das Foltern von Menschen, die Lüge, das Denunzieren und der Raub etc., das sind eindeutige Verstöße gegen moralische Verhaltensvorschriften im gelingenden menschlichen Miteinan- der. Otto Pankok benennt klar den ursprünglichen Sinn von Sünde, worunter er die Störung des menschlichen Gottesverhältnisses verstand. Das wird verständlicher durch die zuvor ge- sagten Worte: „Das Böse, bisher im Zaum gehalten … Die Welt treibt höllenwärts“. Dadurch wird die Richtung menschlichen Handelns bestimmt. Das Böse kann sich als bestimmende Wirkmacht Raum verschaffen, und der Mensch hat offenbar seine Orientierung hin zu Gott verloren, um nun die gegensätzliche Richtung einzuschlagen. Die Dogmatikerin Gunda Schneider-Flume macht deutlich, dass menschliches Fehlverhalten, wodurch eigenes und fremdes Leben geschädigt wird, erst dann zur Sünde wird, wenn es sich „im Horizont der Ge- schichte Gottes“ erschließt, weil es letztlich nicht als zwischenmenschliches Fehlverhalten, sondern „als Zerstörung des Gottesverhältnisses erkannt“ wird812. In diesen Deutehorizont stellt Otto Pankok die Bilder seiner Passion. Den menschlichen Greueltaten der beginnenden NS-Zeit wie „Folterung, Menschenjagd, Knebelung, Lüge, Raub“813 verlieh er mit seinen Bildwerken im Kontext der biblischen Geschichte Jesu Ausdruck. Und das Schicksal der ver- folgten Mitmenschen stellte der Künstler in den Kontext der biblischen Geschichte Jesu. Die- se Gleichzeitigkeit der Geschehnisse finden in den Bildwerken der Passion zu einer Symbio- se, die menschliches Handeln eindeutig als Sünde charakterisiert. Der Künstler sah den Men- schen prinzipiell in einer Ebenbildlichkeit Gottes, der immer in Gefahr stand, von dieser

810 Michael Fricke, Von Gott reden im RU, 101f. 811 Otto Pankok in einem Brief von 1934 an den befreundeten Jesuitenpater Friedrich Muckermann, abgedruckt in Rainer Zimmermann, Otto Pankoks „Passion“, 15. 812 Gunda Schneider-Flume, Grundkurs Dogmatik, 237. 813 Otto Pankok in einem Brief von 1934 an den befreundeten Jesuitenpater Friedrich Muckermann, abgedruckt in Rainer Zimmermann, Otto Pankoks „Passion“, 15.

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Ebenbildlichkeit abzufallen. Immer wieder neu muss sich der Mensch in seinem Handeln ent- scheiden, ob er in seinem Wesen Gott oder dem Tier ähnlicher ist814. Um den Sinn von ″Sünde″ in seiner ganzen Dimension erfassen zu können, bringt Paul Tillich in seine Systematik den Begriff der ″Entfremdung″ ein815. Der ursprünglich von Hegel geprägte philosophische Begriff beschreibt den Zustand des Menschen in Situationen, in de- nen er seinem wahren Sein entfremdet ist. Nach Paul Tillich liegt die Tiefe des Begriffs ″Entfremdung″ gerade darin, dass der Mensch untrennbar zu dem gehört, wovon er sich zu entfremden sucht: zu Gott, in die Welt, zum eigenen Selbst816. Der Mensch kann sich von seinem Sein nicht lösen, sondern davon nur ″entfremden″817. Nach Auffassung Paul Tillichs greift deshalb ein moralisches Sündenverständnis viel zu kurz bei dem, was ″Sünde″ meint, da ihm das Moment der Entfremdung von Gott, sich selbst und der Welt fehlt. Dennoch plä- diert Paul Tillich dafür, ″Sünde″ nicht durch den philosophischen Begriff ″Entfremdung″ zu ersetzen, da in dem passiven Prozess des Sich-Entfremdens die persönliche aktive Bedeu- tungsebene fehlt, die wiederum im Sündenbegriff enthalten ist. Der Mensch entscheidet sich aktiv aus freien Stücken zur Sünde und damit entfremdet er sich von Gott, von der Welt in der er lebt, samt Mitmenschen und schließlich von sich selbst818. In den Augen Paul Tillichs ist es deshalb unbedingt notwendig, an dem antiquiert scheinenden und im Alltagsgebrauch ver- flachten Begriff der ″Sünde″ festzuhalten, da nur durch ihn der persönlichen Verantwortung des Menschen Rechnung getragen wird. Diese beiden Dimensionen von Sünde, das aktive Handeln und die persönliche Ver- antwortung des Menschen, waren es, die Otto Pankok im Blick hatte, als er die Bilder der Passion auf Papier brachte. Deutlich wird dieser Umstand in den Passionsbildern Nr. 48 Sie nageln ihn ans Kreuz und Nr. 50 Sie würfeln um seinen Rock und in dem Holzschnitt Verspot- tung. Hierin handeln Menschen aktiv, eigenständig und aus freien Stücken, ohne dass ein Verantwortlicher ihnen ihre Schuld abnehmen könnte. Das war es, was Otto Pankok ab 1933 in seinem unmittelbaren Umfeld erfuhr, dass sich Menschen in bislang ungekanntem Ausma- ße von Gottes Ebenbildlichkeit abwendeten. Dieses Abwenden begreift er als einen aktiven Prozess in freier Entscheidung. Ohne Hemmungen gab sich der Mensch dem Bösen hin. In

814 Jemand, der selbst noch aus dieser Klassifizierung herausfiel, war Adolf Hitler. Ihn bezeichnete Otto Pankok 1950 als „[…]das Untier Hitler“, in Otto Pankok, Unser Glaube an das Leben (1950), abgedruckt in Handzeich- nungen, Druckgraphik, Plastik, 13. Vgl. dazu auch Otto Pankoks Kohlebild Der Traum vom Ende des Unholds (1939), veröffentlicht u.a. in Richard Hiepe, Gewissen und Gestaltung. 815 Paul Tillich, Systematische Theologie, Bd II, 52. 816 Paul Tillich, Systematische Theologie, Bd II, 54. 817 Paul Tillich, Systematische Theologie, Bd II, 53. Paul Tillich betont zwar, dass Entfremdung kein biblischer Begriff ist, findet den Sinn dessen, was mit Entfremdung gemeint ist, jedoch in den meisten biblischen Beschrei- bungen menschlicher Situationen wieder. 818 Paul Tillich, Systematische Theologie, Bd II, 54.

178 den Herzen der Menschen konnten sich wilde dämonische Kräfte Raum verschaffen. Im Ver- ständnis von Otto Pankok verneinte der Mensch damit bewusst und aus freien Stücken seine göttliche Ebenbildlichkeit. Gottes Gebote spielen keine Rolle mehr. In diesem Sinn wird der Mensch dem Tier ähnlicher als Gott. Für Otto Pankok ist das die Sünde schlechthin und sogar „Sünde in monumentalster Gestalt“. Hinzu kommt die Erkenntnis, was dieses Abwenden von Gott mit den Menschen anstellt, die es betrifft. Damit verweist Otto Pankok auf die anthropo- logische Dimension von Sünde. Letztlich führt sie zu übersteigerter Selbstsucht, zur Selbst- zentrierung des Menschen und damit zu einer Wesensverkehrung, womit eine Abwendung von Gott und ein „Tierischwerden“ gemeint ist819, einhergehend mit dem Verlust seiner Wür- de820. Im Zustand dieser Erkenntnis malte Otto Pankok ab 1933 wie in einem Schaffens- rausch seine Passion. Vorwiegend in diesen 60 Bildern entwickelte der Künstler das Motiv der Sünde. Außer in der Passion kann dieses Motiv nur noch in Otto Pankoks Judenbildern (Sie kommen!)821 und den Erschießungsszenen nachgewiesen werden (Volltreffer (1937), Li- quidiert (1937), Die Namenlosen (1940), Tote Bauern (1942)822 und Erschießung (1940)823. Auf diesen Bildern verlässt der Künstler den eindeutigen religiösen Kontext und setzt das Motiv der Sünde in den zeithistorischen Horizont des Nationalsozialismus. Hinzu kommen einige Holzschnitte, die durch ihr Motiv und ihren Inhalt eindeutig auf die Passion zurückzu- führen sind. Das Anliegen Otto Pankoks muss es daher gewesen sein, diesen Zustand der Gottlo- sigkeit semidokumentarisch in seiner Kunst festzuhalten. Er holt die starken Bilder des Le- bens Jesu aus den Evangelientexten der Bibel und hält sie seinen Zeitgenossen vor. Wie vor ca. 2000 Jahren der Mann aus Nazareth Opfer menschlicher Sünde wurde, wurden es während der Zeit des Nationalsozialismus die Zigeuner, die Juden und dann die vielen Andersdenken- den. Der Dualismus von ″Macht″ und ″Liebe″ als ein andauerndes Ringen miteinander, den Otto Pankok in seinen Bildern künstlerisch Ausdruck verleiht, wird von Paul Tillich als „Zu- stand der Sünde“ beschrieben. Er definiert ″Sünde″ als Zustand, „in dem das Heilige und Pro- fane getrennt sind, miteinander kämpfen und sich gegenseitig zu besiegen suchen“824. Mit den Bildern der Passion zeigt Otto Pankok auf, wo sich das Böse über die Macht der Liebe erhe-

819 Otto Mochti, Das Wesen der Sünde, 316. Der Moraltheologe fand mit dem Begriff des „Tierischwerdens“ zu einer ähnlichen Terminologie wie Otto Pankok mit der Wendung „neigt sich hin zum Tier“, Prisma 15/1948, 32. 820 Otto Mochti, Das Wesen der Sünde, 319. 821 Abgedruckt in Otto Pankok, Jewish Fate. Pictures of an Exhabition, 5, 822 Abgedruckt im Katalog zu den Ausstellungen im Kunstzentrum Koppelschleuse (Meppen) u.a., 141 - 144. 823 Abgedruckt in Otto Pankok, Elefanten Press, 90. 824 Paul Tillich, Systematische Theologie, Bd II, 254.

179 ben konnte und verweist damit auf die gesellschaftlichen und politischen Zustände in der Zeit des Nationalsozialismus. Damit erfasst Otto Pankok das theologische Verständnis von Sünde. Meint es doch, über das moralische Verständnis hinausgehend, den Verlust bzw. die Störung der Gottesbeziehung, die ursächlich zu sehen ist für „das Böse, das in der Welt geschieht“ und „die gänzliche Unfähigkeit des Menschen zum Tun des Guten“825. Indem der Mensch nicht mehr auf Gott blickt, sondern nur auf sich selbst, wird er schuldig. Er verfehlt mit seinem Handeln das dem Leben Dienliche und kann damit anderen Menschen und sich selbst nicht mehr gerecht werden826. In Otto Pankoks Verständnis verspielt der Mensch damit selbstver- schuldet die Ebenbildlichkeit Gottes und damit sein Menschsein.

„Er [der Mensch, AdA] begibt sich fort von der Schöpfung. Er sondert sich ab (das Wort „Sünde“ soll von „son- dern“ herstammen!) von dem Ebenbild Gottes.“827

Es kann gesagt werden, dass der Künstler die Sünde ganz in die Verantwortung der Menschen sieht. Sie sind ursächlich verantwortlich für ihr Aufbrechen und Fortbestehen. Den sündhaften Menschen gegenüber - gewissermaßen als Antipode - steht Jesus, der Mann aus Nazareth, der in den Augen Otto Pankoks als „reiner Mensch“ völlig frei von Sünde und „ohne Fehl über die Erde geschritten ist“828. Er ist das moralische Gewissen der Welt. Er ist frei von Sünde. Er ist der äußerste Maßstab allen moralischen Handelns. In dieser Eigenheit ist er die personifi- zierte Liebe. Dass der Mensch überhaupt zu einer Überwindung seiner Sündhaftigkeit in der Lage wäre, kann der Künstler nicht erkennen. Stattdessen erscheint ihm, im Erleben der zeit- geschichtlichen Ereignisse, die Sünde allgegenwärtig und machtvoller denn je829.

7. 4. 5 Das ″Böse″ als Thema in den christlichen Bildwerken Otto Pankoks

In seinen Texten benannte Otto Pankok explizit das ″Böse″. 1934 schrieb er, dass „das Böse, bisher in Zaum gehalten, […] heute losgelassen“ sei830. Nach dem Zweiten Weltkrieg konsta- tierte der Künstler rückblickend, dass „der Mensch der Masse […] sich ohne Hemmung dem

825 Vgl. dazu Wilhelm Gräb, Sünde VIII praktisch – theologisch in TRE, 437. 826 Vgl. dazu Wilhelm Gräb, Sünde VIII praktisch – theologisch in TRE, 437. 827 Otto Pankok, Unser Glaube an das Leben (1950), abgedruckt in Handzeichnungen, Druckgraphik, Plastik, 12. 828 Vgl. dazu Otto Pankok in der Einleitung zur „Passion“ von 1936, 2. 829 Vgl. dazu Rainer Lachmann, Theologische Schlüsselbegriffe, Sünde, 359. Für Lachmann verhelfen die Nega- tiverfahrungen menschlicher Bosheit und namenlosen Leidens in der Welt und unter uns Menschen zu einer realistischen Verifikation des Sündensymbols. 830 Otto Pankok in einem Brief von 1934 an den befreundeten Jesuitenpater Friedrich Muckermann, abgedruckt in Rainer Zimmermann, Otto Pankoks „Passion“, 15. Friedrich Muckermann war von Otto Pankok gebeten wor- den, das Vorwort für die Erstausgabe der „Passion“ 1936 zu schreiben. In diesem Vorwort zitiert Muckermann den Brief Otto Pankoks.

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Bösen“ hingibt831. Eva Pankok verwendet ebenso den Topos des ″Bösen″, wenn sie in den

Lebenserinnerungen ihrem Vater zuspricht:

„So stellte er seine Kunst gegen das Böse, und das merkten auch die Nazis.“832

Das Wort ″böse″ hat seinen Platz in der zwischenmenschlichen Kommunikation über moralische Phänomene, als Äquivalent zum Begriff ″gut″. Anders als das Wort ″gut″, das überdies außerhalb der Moralsprache Verwendung findet, ist das Wort ″böse″ unmittelbar im Bereich der Moral verankert. Mit der Substantivierung von böse zu das Böse erhält der Be- griff seine außermoralische Konnotation. Das ″Böse″ beschreibt in diesem Sinn ein Übel, welches als Macht existent ist und nicht von sittlichen Entscheidungen abhält833. Auffallend ist, dass Otto Pankok dezidiert von dem Bösen spricht. Der Künstler nahm offenbar das Böse als eine negative Macht im Weltgeschehen und im menschlichen Miteinander an834. Die unaufhaltsam voranschreitenden technischen Entwicklungen, die Modernisierung allerorten, die Veränderung von Arbeitsabläufen und die neuen Verkehrsmittel führten zu einer Beschleunigung des Lebens, die Otto Pankok zutiefst zuwider war. Auf den Künstler wirkten die Menschen ruhelos und rastlos, getrieben von einer Gier nach „Erfolg und Geld“835. Er konstatierte eine „allgemeine Zerrissenheit und Verwirrung der Gemüter“, be- dingt durch den „Zerfall jeglicher Ganzheit und Verbundenheit“836. Dem Künstler steht „eine in ihren Instinkten unsicher gewordene Generation“837 gegenüber. Diese Verunsicherung ließ die Menschen nach neuen Götzen Ausschau halten.

„Die Geistesfeindlichkeit unserer Zeit ist nichts anderes als eine nie gekannte Entfesselung der Materie. Jetzt wollen die Menschen rasende und dröhnende Maschinen. Nichts mehr besitzen die Menschen als die Sucht, diese Maschinen zu eigenem Vorteil auszunutzen. Die Sucht ist ein Teufel, der aus dem Boden hervorkroch. Diese immer stärker werdende Leidenschaft wuchs sich bis zur Beherrschung des ganzen Seins aus, und man spricht es unbefangen aus, daß die Kultur zu Ende sei und die Zukunft der Materie allein gehöre, dem entfessel- ten Stoff […].“838

Was dem Menschen im Zuge rasanter Veränderungen abhanden kam, war Verinnerlichung, innere Sammlung, Besinnung und der Bezug zu sich selbst und seinem Schöpfer839. Stattdes-

831 Otto Pankok, Otto Pankok über seine „Passion“ in Prisma 15/1948, 32. 832 Eva Pankok, Otto Pankok und das Emsland, 5. 833 Vgl. zur Differenzierung des Begriffs Walter Lesch, Ethik und Moral/Gut und Böse/Richtig und Falsch, 73. 834 Vgl. dazu Johan B. Hygen, Das Böse in TRE, 9. 835 Otto Pankok, Unser Glaube an das Leben (1950), abgedruckt in Handzeichnungen, Druckgraphik, Plastik, 10. 836 Otto Pankok, Unser Glaube an das Leben (1950), abgedruckt in Handzeichnungen, Druckgraphik, Plastik, 11. 837 Otto Pankok, Unser Glaube an das Leben (1950), abgedruckt in Handzeichnungen, Druckgraphik, Plastik, 13. 838 Otto Pankok, An meine Freunde (1937), Nachdruck von 1968, 6f. 839 Vgl. Otto Pankoks Text „Die Richtung“ (Januar 1929) „…So wie wir zwei verschiedene Gänge machen kön- nen: einen durch die Straßen der Stadt, und durch Wald und Felder. […] Der Landweg bringt Meditation, Pflan- zen und Bäume schweigen ihre Welt. Hier keimt in uns die stille Ekstase. Wir sind auf uns selbst gestellt. So wie wir zwei verschiedene Gänge machen können, so auch gibt es in den Künsten diese beiden Pole: Die Verherrli- chung des Zeitgemäßen, Aktuellen, die Satiriker, die sozialen Kämpfer und auf der anderen Seite die Sucher

181 sen sah der Künstler die Menschen befallen von Depression und Resignation in einem lebens- feindlichen Umfeld.

„Nach Sammlung steht der Masse der Menschen heute natürlich nicht der Sinn. Sie will in die Breite, ist erfüllt von Schnelligkeit und Rekord, von Auto und Flugzeug, sucht Gefühle vorgekaut in kitschigster Form des Films, sucht Schönheit in Revuen. Was immer aber zu bedenken bleibt ist, daß man die berühmten Komplexe verdrän- gen kann. Aber eines Tages brechen dafür Krankheiten aus. […]“840

Verursacht in diesem Zustand entdeckte er die Keimzelle des Bösen. Darin traf er sich mit tiefenpsychologischen Ansätzen, die den Weg in die Entmenschlichung und Grausamkeit in der Berauschung des Menschen sehen841. Otto Pankok bezeichnet mit dem Bösen das Fehlen des Göttlichen842. Das ″Böse″ wurde dem Künstler in seinem Werk, anders als manchen sei- ner Freunde, wie beispielsweise Gert Wollheim und vielen seiner Künstlerkollegen, die ihre Erlebnisse des Ersten Weltkrieges in ihrer Kunst thematisierten, auf subtilere Weise zum Ge- genstand künstlerischer Auseinandersetzung. Dennoch lassen sich in Otto Pankoks bildneri- schem Werk Bilder christlichen Inhaltes finden, die das Böse zum Inhalt haben. Otto Pankok selbst umschrieb es 1929 in einem Text, welchen Motiven er in seiner Kunst nachzuspüren versucht:

„Die Unbegreiflichkeit der Welt und des Lebens, das Schicksalhafte, das uns umlauert, das wir nicht meistern, das wir nicht verstehen, von dem wir mit unserer armen Sprache gar nicht reden können, und vor dem aller Op- timismus wie Glas zersplittert. Das Nichtmenschliche, Unerkennbare, das uns tief Erschreckende, das über uns lastet, das Rätselhafte, dem wir nicht entrinnen können.“843

Dies sind jene Bilder, auf denen sich Menschen eitel und selbstgefällig, getrieben von niede- ren Motiven und in Verachtung ihrer Mitkreatur über Gottes Gebote hinweg erheben. Es sind Bilder, in denen es an jener Liebe fehlt, die den Menschen in seinem Handeln gegenüber Gott, Mitmensch und Mitkreatur, schließlich gegenüber der ganzen Schöpfung leiten sollte844. Es sind die Bilder der Passion, in denen Menschen einander verraten (Bild 33, Der Verrat des Judas), verleugnen (Bild 34, Die Verleugnung des Petrus), verkaufen (Bild 36, Judas bringt das Geld zurück), anklagen (Bilder 37, Vor dem Hohen Priester/38, Vor dem Hohenrat/39, Vor Pontius Pilatus ), verhöhnen (Bilder 41, Sie verspotten ihn/47, Sie entkleiden ihn) und schließlich foltern (Bilder 40, Sie schlagen ihn/43, Die Geißelung und 48, Sie nageln ihn ans Kreuz).

nach Wahrheiten, die allen Zeiten eigen sind, die in die Tiefe bohren statt sich in der Ebene der Gegenwart zu ergehen. […]“, in Rudolf Dehnen, Schriftenreihe der Otto-Pankok-Gesellschaft „Haus Esselt“, o. J., o. S.. 840 Otto Pankok, Die Richtung, (Januar 1929) abgedruckt in Rudolf Dehnen, Schriftenreihe der Otto–Pankok– Gesellschaft „Haus Esselt“, o. J., o. S.. 841 Paul Kennedy, Mit dem Bösen leben, 207. 842 Vgl. dazu Otto Pankok, An meine Freunde (1937), Nachdruck von 1968, 8. 843 Otto Pankok, Die Richtung, (Januar 1929) abgedruckt in Rudolf Dehnen, Schriftenreihe der Otto–Pankok– Gesellschaft „Haus Esselt“, o. J., o. S.. 844 Vgl. dazu Otto Pankok, An meine Freunde (1937), Nachdruck von 1968, 3.

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Die genannten Bildwerke verdeutlichen, dass der Künstler über ein hohes Maß an Ein- fühlungsvermögen verfügt, sowohl, was das Erfassen der biblischen Textgrundlagen wie auch die Darstellung der psychische Verfasstheit der handelnden Personen zeigt. Das schutzlose Ausgeliefertsein Jesu inmitten einer von Willkür beherrschten Menschenmasse, seine Qualen und die damit einhergehende Erniedrigung, stellt der Künstler bildnerisch dar. Der physischen Gewaltanwendung geht die psychische Gewalt voran. Dank der differenziert ausformulierten Physiognomien inszeniert Otto Pankok bedrohliche Szenarien, in denen die psychische Ge- walt spürbar wird, wie bpsw. in den Passionsbildern Nr. 41 Sie verspotten ihn, Nr. 47 Sie ent- kleiden ihn oder auf dem Holzschnitt WH 340 Verspottung. Der geübte Porträtzeichner schafft es, die erfahrene Schmach Jesu in den höhnischen Gesichtern der Folterer wieder auf- leben und damit für den Betrachter erfahrbar zu machen. 1912 definierte Wassily Kandinsky das ″Böse″ als die „Verblendung des Menschen“. Als verantwortlich dafür erkannte der Maler eine manipulierende Macht, die für die Ausbrei- tung des Bösen sorgt und nicht zu trennen ist vom ″Hass″.

„Die Menschen werden verblendet. /Eine schwarze Hand legt sich auf ihre Augen. Die schwarze Hand gehört dem Hassenden. Der Hassende versucht durch alle Mittel der Evolution, die Erhöhung zu bremsen. /Das ist das Negative, das Zerstörende. Das ist das Böse. Die schwarze todbringende Hand.“845

In seinen Bildwerken beschreibt Otto Pankok das optimale Umfeld, in dem sich das Böse entwickeln kann. Dies ist ein politisches System, das moralische Codes wie richtig/falsch und gut/böse umbewertet und Menschen846, die diesem gleichgültig oder machtlos gegenüberste- hen. Dabei entspricht es durchaus der Mündigkeit des Menschen als selbstbestimmtes Wesen und ist gleichzeitig Ausdruck seines freien Willens, dass er sich für das Verwerfliche, für das Lebensfeindliche und damit für das Böse bewusst entscheiden kann847.

„Der Mensch ist nicht gut. Er ist heute ein Engel, morgen aber ist er ein Teufel. Er ist die Möglichkeit zum einen wie zum anderen. Er ist Kreatur mit dem tragischen Geschenk der Freiheit.“848

Otto Pankok legt auf seinen Bildern die Urheberschaft des Bösen ganz in Verantwor- tung der Menschen849. Das unterstreicht er in den Titeln der Passionsbilder, in denen der Künstler stark personalisiert: Sie verspotten ihn, Sie schlagen ihn, Sie nageln ihn ans Kreuz usw.. Sie, die Menschen, handeln ohne Mitgefühl, ohne Achtung vor der Mitkreatur und ohne

845 Wassily Kandinsky, Über die Formfrage (1912), abgedruckt in Klaus Lankheit, Der Blaue Reiter, 136. 846 Vgl. dazu Werner Lesch, Ethik und Moral/Gut und Böse/Richtig und Falsch, 73. 847 Werner Lesch, Ethik und Moral/Gut und Böse/Richtig und Falsch, 78. 848 Pater Friedrich Muckermann, Vorwort zur „Passion“ von Otto Pankok, 7. Das 11seitige Manuskript befindet sich im Archiv des Otto-Pankok-Museums „Haus Esselt“ in Hünxe/Drevenack. 849 Vgl. dazu Werner H. Ritter, Theologische Schlüsselbegriffe, Leiden, 220. Werner H. Ritter zeigt, wie unter- schiedlich die Herkunft des Leides erklärt werden kann. Evident dabei ist, ob neben dem „guten Gott“ eine nega- tive Macht wie „das Böse“ oder „der Teufel“ angenommen wird.

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Verantwortung vor Gott. Otto Pankok, den seit seiner frühesten Jugend kaum etwas in den Bann zog wie der Mensch in seinem Menschsein, interessierte in seiner Kunst nur das von Menschen verursachte Böse und das damit verbundene Leid. Dieses menschliche Handeln ist in den Augen Otto Pankoks „die Sünde in monumentalster Gestalt.“850 Welches Sinnbild würde das Fehlen des Göttlichen deutlicher charakterisieren als das Bild des Henkers, zu sehen auf Bild Nr. 8 der Passion, Der Tod des Täufers. Der Henker des Johannes wird mit seiner vor Kraft schwellenden Brust und dem übermütig erhobenem Haupt zum Ausführenden menschlicher Gesetze, welche Gottes Gebote ignorieren. Der Henker nimmt die zentrale ausführende Rolle ein; nicht der Richter, nicht der Hohepriester oder gar Gott, sondern der Henker, der Herrscher ist über das dunkle Reich der Kerker und Verließe und damit zum Herren wird über Leben und Tod. Je nachdem, wie die politischen Verhältnis- se aufgestellt sind, so mächtig ist er. Die Zeit Jesu, die nach Otto Pankok „von apokalypti- scher Furcht beschattet“851 war und bei den Menschen die „dämonischen Leidenschaften, ur- alter Heißhunger und Blutdurst“852 hervorbrachte, machte den Henker zu einer mächtigen Person. Auf dem Bild Otto Pankoks schaut er hochmütig auf die ihn umgebenden Menschen herab. Keiner von ihnen weiß, ob er der nächste ist. Vor ihm halten sie den Blick gesenkt. Ähnlich war die Situation zu Lebzeiten Otto Pankoks, in den Jahren, als die Passion entstand. Der befreundete Maler Karl Schwesig, dessen Gesichtszüge Otto Pankok dem schreienden Gekreuzigten der Passion verlieh, war einer der ersten, die 1933 in den Düsseldorfer Gestapo – Kellern gefoltert wurden853. Dieses unmittelbare Erleben des Bösen ging dem Entstehen der Passion Otto Pankoks kurz voran und wird sie in ihrem Entstehen maßgeblich beeinflusst haben. Otto Pankok thematisiert in seinen Bildern das Böse als einer Grundkonstante im menschlichen Dasein, hervorgebracht durch den Menschen selbst, der „sich ohne Hemmung dem Bösen“854 hingibt. Eine solche hemmungslose Hingabe an das Böse konnte der Künstler zu Lebzeiten mehrfach beobachten. 1937, inmitten des größten Wahnsinns, formulierte er die Hoffnung:

„Wir [die Künstler, AdA] haben in uns den Glauben, daß einmal wieder eine Zeit kommt, in der die Maler sich abwenden werden von der Diesseitigkeit. Daß sie sich von der Brutalität und Gemeinheit der Menschen abwen- den und ihre ganze Liebe der Christlichkeit zuwenden müssen. Sie werden die Gewaltlosigkeit suchen. Sie wer- den sich dem Mitleid hingeben. Sie werden inbrünstig Liebe verbreiten wollen.“855

850 Otto Pankok in einem Brief von 1934 an den befreundeten Jesuitenpater Friedrich Muckermann, abgedruckt in Rainer Zimmermann, Otto Pankoks „Passion“, 15. 851 Otto Pankok, Otto Pankok über seine Passion, Prisma, 15/1948, 32. 852 Otto Pankok, Otto Pankok über seine Passion, Prisma, 15/1948, 32. 853 Eva Pankok, Mein Leben, 23. 854 Otto Pankok, Otto Pankok über seine Passion, Prisma, 15/1948, 32. 855 Otto Pankok, An meine Freunde (1937), Nachdruck von 1968, 4.

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Das Böse sah der Künstler entgegengesetzt zur Liebe. Beides sprach er dem Menschen zu. Wie der gute Hirte auf Bild Nr. 16 der Passion, Das Gleichnis vom guten Hirten, in der Lage ist, sich in hingebungsvoller Fürsorge einem Tier anzunehmen, so wenig schert es die Folterer auf Bild 48, Sie nageln ihn ans Kreuz, dass sie im Begriff sind, einen Menschen bestialisch zu morden. Auf Bild Nr. 28 der Passion, Sie wollen ihn steinigen, muss Jesus in Todesangst vor seinen Mitmenschen fliehen, die ihm schwere Steine nachwerfen. Beides gehört für Otto Pan- koks zum Menschsein: das fürsorglich Gute und das bestialisch Böse. In der sie schützenden Masse motivieren sich Menschen gegenseitig zum Bösen. Die Masse, das ist der Schutzraum des Bösen. Da kann das Böse aufgehen und sich entfalten. In den Bildwerken Otto Pankoks ist nachweisbar, dass der Künstler nicht alle Men- schen gleichermaßen verantwortlich für das Böse sah. Die Verantwortung für das Böse wird eindeutig den Männern zugesprochen. Bei den Protagonisten der Passion stehen dualistisch männlichen Handelnden, die das Böse provozieren, in Sünde handeln und damit Leid verursa- chen, weibliche Handelnde gegenüber, die eine mütterlich – fürsorgliche Rolle einnehmen. Die Kinder fallen konsequent aus der Verantwortung des Bösen heraus. Sie bleiben auf den Bildern Otto Pankoks erschrockene Beobachter (Bild Nr. 44 Die Kreuztragung) ohne Anteil am Geschehen. Die mütterliche Liebe der Maria und die Hinwendung Jesu (Bild Nr. 25 Las- set die Kindlein zu mir kommen) schaffen es, Kinder in das Geschehen positiv einzubinden. Ansonsten stehen sie dem Geschehen außen vor. Sie sind Protagonisten der Grenzen über- windenden Liebe.

7. 4. 5. 1 Das instrumentalisierte ″Böse″ im Zusammenspiel mit politischer Macht

Es ist eindeutig, dass das Böse bei Otto Pankok eng mit dem Zustand von Vernichtung und Krieg verbunden ist. Das Böse in persona waren für Otto Pankok politisch Verantwortliche wie Hitler und Franco. Ein Jahr nach Ende des Zweiten Weltkrieges schrieb der Künstler:

„Von jeher hatte ich das Gefühl, die Leute von der BBC hassen das Böse. Ja, dieses Gefühl habe ich den ganzen Krieg über auf das gesamte England übertragen. Meine große Nachkriegsenttäuschung ist, dass mir diese Mei- nung immer mehr schwinden musste. Heute kann ich das nicht mehr glauben, dass es die Naivität Chamberlains war, die ihn mit einem Hitler Verträge abschließen ließ. Heute sehe ich ja Englands Verhalten gegenüber Franco. England mit seiner Arbeiterregierung sieht zu, wie Franco in Spanien tobt. […] England haßt das Böse nicht, zum mindesten haßt es das Böse nicht mit der Leidenschaft, die vonnöten wäre, um aus den unterweltlichen Tiefen hervorgebrochenen Dämonen entgegentreten zu können.“856

Otto Pankok sieht als den Ort des Bösen die vom Menschen geschaffene Welt. Die steht im Gegensatz zu Gottes Schöpfung. Das Funktionieren der göttlichen Schöpfung durchbrach der

856 Unveröffentlichter Brief vom 08. 05. 1946 von Otto Pankok an eine Frau Ogilby nach England, einzusehen im Archiv des Otto-Pankok-Museums „Haus Esselt“ in Hünxe/Drevenack.

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Mensch durch seinen Eingriff und durch die Blindheit gegenüber seiner göttlichen Gaben. Dank seiner eigenen schöpferischen Fähigkeiten war der Mensch in der Lage, durch techni- sche Erfindungen Erträge zu steigern und ungeheure Nahrungsquellen zu erschließen, die es ihm ermöglichen könnten, allen Hunger aus der Welt zu verbannen. Doch ein Übermaß an Gutem machte den Menschen blind und undankbar. In sein Tagebuch schrieb Otto Pankok nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges:

„Alles ist leicht geworden. Ein Spiel müsste das Leben sein. Dahinein aber schlug das Böse, streute den Men- schen Pfeffer in die Augen, dass sie blind wurden für ihre schöne Welt. […] Sie stutzten die Technik ein, um Tötungsmaschinen zu machen, und hetzten mit Lautsprechern Volk gegen Volk, Klasse gegen Klasse, Sohn gegen den Vater. Und schließlich warf das Böse den Brand ins Pulverfass. Katastrophe und Blut, Blut, ein Meer von Blut. Das ist das Ende. Wer war der Entfacher, der Unheilige? Wie konnte das geschehen? […] Aber den einen Punkt, den wir suchen, den finden wir nicht, die Stelle, wo die Menschen angefangen haben irr zu werden. Als wir die Welt umbauten in ein ungeheures Tollhaus – mit allen ihren Kräften bis zur Erschöpfung. Die Irren wurden die Wärter. Jeder Satz der Vernunft und der tapferen Haltung, der ausgesprochen wurde, führte in die Gummizelle des KZ. […] Erst kam der erste Krieg, dann die Not der Inflation, weiterhin kamen andere neue Tücken der Welt, - der geistige Untergang, die Gestapo, der zweite Krieg und die Not und die Armut. Mit jeder Überwindung eines furchtbaren Schreckens glaubte man endlich, endlich! jetzt ist sie gekommen die Zeit. Aber bevor man sich eingerichtet hatte zum Schaffen, ertönte aufs Neue der Posaunenruf und wieder schüttete ein Engel eine Schale des Wehs aus über die unbelehrbare Menschheit.“857

In den letzten Kriegsmonaten des Jahres 1945 machte sich Otto Pankok in seinem Exil in der Eifel noch einmal Gedanken über die Ursachen des Bösen, das in Deutschland allge- genwärtig war. In Auslegung des 13. Kapitels der Johannesapokalypse kam er zu dem Schluss, dass in ihm „ein klares Bild des Hitlerreiches, des zweiten Weltkrieges und der Per- son Hitlers“858 gezeichnet wäre. In Auseinandersetzung mit diesem Bibeltext, der sog. ″Tiervision″859, schuf der Künstler nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges zwei Holzschnit- te 1958 Das erste Tier (WH 564) und 1964 „666“ Das andere Tier (WH 720). Der spätere Holschnitt zeigt das gehörnte apokalyptische Tier, das die Gesichtszüge Adolf Hitlers trägt. Dazu setzte der Künstler die geschnittene Inschrift: „Wer Verstand hat, der überlege die Zahl des Tieres, denn es ist die Menschenzahl und seine Zahl ist 666“. In der Bibel, die sich im Besitz Otto Pankoks befand, lassen sich in den Texten der Jo- hannesoffenbarung mehrere Anstreichungen mit Bleistift finden. Otto Pankok zeichnete bei-

857 Unveröffentlichter Tagebucheintrag ohne Datum (gefunden in einem Berg loser Blätter auf dem Dachboden) einzusehen im Archiv des Otto-Pankok-Museums „Haus Esselt“ in Hünxe/Drevenack. 858 Unveröffentlichter 12seitiger Text Otto Pankoks überschrieben mit „666“, einzusehen im Archiv des Otto- Pankok-Museums „Haus Esselt“ in Hünxe/Drevenack, 11. Der Text trägt die Unterschrift: „geschrieben in der Eifel 1945“. Die Tochter des Künstlers gibt an, ihr Vater hätte den Text vervielfältigt und in den letzten Kriegs- monaten an das deutsche Heer geschickt, um den Soldaten „die Augen zu öffnen“. Eva Pankok im Interview mit der Verfasserin am 16. 03. 09 im „Haus Esselt“. So eine Aktion in den letzten Kriegswochen wäre jedoch schon allein aus organisatorischen Gründen schwer vorstellbar. Hinzu kommt, dass es sich bei dem 12seitigen Text um einen überarbeiteten Entwurf handelt, in dem sehr viele Anstreichungen, Ausstreichungen und Korrekturen vor- genommen wurden. So eine Kladde hätte Otto Pankok niemals verschickt. Eine fertig überarbeitete Endfassung des Textes, die Otto Pankok hätte verschicken können, wurde im Nachlass des Künstlers bislang nicht gefunden. Daher ist es wohl wahrscheinlicher anzunehmen, dass der Künstler eine Auslegung von Offb 13f. für sich vor- nahm, auch Holzschnitte dazu anfertigte, von einer weiteren Veröffentlichung des Textes jedoch absah. 859 Vgl. dazu Udo Schnelle, Einleitung in das Neue Testament, 567.

186 spielsweise über den Textdruck von Offb 14 ein gehörntes Wesen mit Schafskopf, das klassi- schen Teufelsdarstellungen ähnelt860. Dick mit Bleistift angestrichen versah Otto Pankok noch das Kapitel Offb 14,11:

„Und der Rauch von ihrer Qual wird aufsteigen und von Ewigkeit zu Ewigkeit; und sie haben keine Ruhe Tag und Nacht, die das Tier anbeten und sein Bild, und wer das Zeichen seines Namens annimmt.“ Offb 14,11861

Unter den Text zeichnete Otto Pankok auf den Blattrand ein Hakenkreuz. Es sieht ganz danach aus, als hätte der Künstler spontan, beim Lesen des Textes der Johannesoffenbarung, den Inhalt auf die Nazidiktatur in Deutschland bezogen und sich infol- gedessen an eine systematische Auslegung des Kapitels 13 gemacht. Das ″Zeichen″, von dem Offb 14,11 spricht, identifizierte der Künstler mit dem Hakenkreuz der Nationalsozialisten, das ″Tier″, das angebetet wird, mit Adolf Hitler selbst. Otto Pankok schrieb dazu in seiner Auslegung des Textes der Vision:

„Die Beziehung zwischen der Zahl 666 und dem Namen ″Hitler″ lag sozusagen auf der Hand. Sie war so einfach wie das Ei des Columbus, und wer Verstand hatte […], der konnte diese Überlegungen ausführen. Sie sind die nächstliegenden und führen erstaunlicherweise gleich ans Ziel. Wenn wir die Buchstaben des Alphabetes durch Zahlen ersetzen und die Zahlen, die den Buchstaben eines gewissen Namens entsprechen, dann addieren, so muss die Summe der Zahlen 666 betragen.“862

Otto Pankok ordnete nun jedem Buchstaben des Alphabetes eine Zahl zu, wobei er A = 100, B = 101, C = 102 usw. setzte863. Dann addierte er die Zahlen, die er dem Namen ″Hitler″ zu- ordnete und erhielt als Endsumme 666. Otto Pankok war der Meinung, er hätte die Prophezei- ung des Johannes enträtselt, was noch keinem vor ihm in der Geschichte gelungen schien864.

„Eines Menschen Zahl! Dieses Wort hat die Menschen seit Johannes auf Patmos seine Offenbarung niederge- schrieben hat, bis in unsere Tage hinein erregt. Sobald ein ganz furchtbarer Bösewicht in der Geschichte auf- tauchte, begannen die Menschen an dieser mysteriösen Zahl 666 zu deuteln und die kompliziertesten Berech- nungen anzustellen. […] Alle Bemühungen mussten im Sand verlaufen, bis eben d i e Zeit kam, in der auf die eindeutigste Art Zahl und Namen in Einklang gesetzt werden konnten.“865

Otto Pankok stellte sich daraufhin selbst vor die Frage, warum die Offenbarung des Johannes nicht gleich den vollen Namen preisgibt, sondern alles hinter einem mysteriösen Zahlen- schlüssel versteckte. Er fand zu der Antwort, die der Intention seiner Auslegungsarbeit ent- sprach:

860 Günter Lange, Ein christliches Teufelsbild?, 175. Der Autor spricht sogar von dem „konventionellen Teufels- bild“ eines Dämons: halbmenschlich, halbtierisch, aufrecht gehend mit Klauenfuß, „Pferdefuß“ und Hörnern. 861 Zitiert aus Die Bibel, nach der Übersetzung von Martin Luther, Deutsche Bibelgesellschaft Stuttgart. 862 Unveröffentlichter 12seitiger Text Otto Pankoks überschrieben mit „666“, einzusehen im Archiv des Otto- Pankok-Museums „Haus Esselt“ in Hünxe/Drevenack, 9. 863 Siehe auch Susanne Timm, Die Druckgraphik Otto Pankoks, 82. 864 Vgl. dazu Klaus Rohmann, Rock´n´ Satan. Was sollen wir vom „Satanismus“ in der jugendlichen Musik halten?, 157. Der Autor verweist auf eine ältere Auslegung von Offb 13,18 wonach sich im biblischen Kontext der Name „Cäsar – Nero“ ergibt und damit den römischen Kaiser Nero verschlüsselt benennt. 865 Unveröffentlichter 12seitiger Text Otto Pankoks überschrieben mit „666“, einzusehen im Archiv des Otto- Pankok-Museums „Haus Esselt“ in Hünxe/Drevenack, 9.

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„Erst musste der Mensch oder Unmensch erscheinen und in Tätigkeit sein. War das Geschehen in Fluss, konnten die Menschen nach den Beziehungen zur Bibel forschen. Das Böse – und das ist vielleicht der Sinn dieser Zeit – sollte einmal in reinster Form Gestalt gewinnen. Es sollte auch zerschmettert werden, aber nur dann, wenn die Menschen aus freiem Willen es auch selbst wollten. Es scheint uns auferlegt worden zu sein, zu zeigen, dass wir Menschen imstande sind, das Böse ganz allein und auf uns selbst angewiesen zu vernichten.“866

Dieser Text Otto Pankoks bezeugt dessen Willen nach Verständnis und Sinngebung des Bö- sen. Mit der Sinnsuche verbindet er die Hoffnung, dass der Mensch in der Lage sein wird, diese ihm auferlegte Prüfung zu meistern. Mit der Deutung der Johannesvision versuchte Otto Pankok zugleich eine Sinngebung des ″Bösen″ explizit in seiner Zeit. Anstatt in seinem letz- ten Exil in der Eifel im Nichtstun zu verzweifeln, suchte der Künstler nach einem Sinn in die- ser übergroßen Tragödie des Zweiten Weltkrieges. In der Weise, in der Otto Pankok Jesus als die personifizierte Liebe ansah, war Adolf Hitler für ihn „das Böse […] in reinster Form“867. Diese Gegenüberstellung erscheint in Anlehnung an die Offenbarung des Johannes plausibel. Aus ihr geht hervor, dass die Herrschaft Gottes und Jesu bereits begonnen hat, sodass das Zwischenspiel des Teufels nur von kurzer Dauer sein kann.868 Otto Pankok verband mit der Prophezeiung des Johannes und dem baldigen Ende des Zweiten Weltkrieges die Hoffnung, dass der Mensch über gute Kräfte verfügt, „das Böse ganz allein und auf [sich, AdA] selbst angewiesen zu vernichten“869. Auffallend ist, dass Otto Pan- kok in diesem Zusammenhang Gottes Handeln keinen Raum beimisst. In seiner Zuversicht wird ein positives Menschenbild erkennbar, das wahrscheinlich in den darauf folgenden Jah- ren und den neuerlichen Kriegen (Vietnam!) abermals in Frage gestellt wurde, wie der Holz- schnitt Haltet ein! (WH 767) verdeutlicht.

7. 4. 6 ″Schuld″ als Thema der christlichen Bildwerke Otto Pankoks

Eng verbunden mit dem Thema der Sünde ist das Thema der Schuld. Nicht umsonst sprechen Christen im Vaterunser „Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.“ Das Gebet stellt den Beter in eine Doppelrolle: Wie er selbst schuldig wird, wird an ihm schuldhaft gehandelt werden. Jeder Mensch ist verflochten in unzählige soziale Beziehungen. Der Theologe Dietrich Korsch sieht den Menschen deshalb in einer „ganz ei- gentümlichen Verquickung von natürlicher und moralischer Abhängigkeit“870. Das soziale

866 Unveröffentlichter 12seitiger Text Otto Pankoks überschrieben mit „666“, einzusehen im Archiv des Otto- Pankok-Museums „Haus Esselt“ in Hünxe/Drevenack, 10. 867 Unveröffentlichter 12seitiger Text Otto Pankoks überschrieben mit „666“, einzusehen im Archiv des Otto- Pankok-Museums „Haus Esselt“ in Hünxe/Drevenack, 9. 868 Vgl. Udo Schnelle, Einleitung in das Neue Testament, 567. 869 Unveröffentlichter 12seitiger Text Otto Pankoks überschrieben mit „666“, einzusehen im Archiv des Otto- Pankok-Museums „Haus Esselt“ in Hünxe/Drevenack, 9. 870 Dietrich Korsch, Dogmatik im Grundriß, 224.

188 gesellschaftliche Gefüge befördert, dass Menschen anderen gegenüber nicht völlig schuldlos bleiben können871. Mit der Bitte des Vaterunsers stellt sich der Beter in eine Gemeinschaft von Menschen, die sich ihrer gegenseitigen Schuld bewusst sind und um Vergebung bitten. Mit der verbal ausgedrückten Bitte um Vergebung soll eine Kommunikation wieder in Gang gesetzt werden, die gestört oder abgebrochen war und in deren weiteren Verlauf ein Prozess der Vergebung in Gang kommen kann. Ein Ausgleich wird von Gott in dem Wissen erbeten, dass er niemals hundertprozentig erfolgen kann872. Aus diesem Grund ist der Gläubige auf Vergebung angewiesen. In diesem Sinn wird ″Schuld″ als eine Unterbrechung der zwischen- menschlichen Kommunikation verstanden873. Eine Handlung, eine Tat, mit der wir an einem Mitmenschen schuldig werden, belastet die zwischenmenschliche Kommunikation, bis diese schließlich zum Abbruch kommt. Große Anstrengungen werden nötig, die Kommunikation wieder in Gang zu setzten874. Dieser Weg kann nur erfolgreich sein über das Er- und Beken- nen eigener Schuld. Auf eine Vergebung der Schuld kann der Mensch hoffen, wenn er gleich- zeitig aus eigenem Antrieb Gerechtigkeit wieder herstellt und seine individuelle Schuld an- nimmt875. Otto Pankok als gläubiger Christ erfährt mit dem Beginn der Nazidiktatur in seinem Leben zum wiederholten Male, wie sich Menschen in Schuld verstricken und aneinander schuldig werden. Schuld wird umso größer, je schuldloser das Subjekt ist, an dem schuldhaft gehandelt wird. Das ist überall dort zu finden, wo kein Gleichgewicht der Kräfte herrscht und sich „die Macht“ an friedlichen und wehrlosen Menschen vergreift876. Im Fokus dieser betroffenen Menschengruppe standen für Otto Pankok die Kinder, die Zigeuner und Jesus von Nazareth. Kinder (alle Kinder), die Mitglieder des fahrenden Volkes der Sinti und Roma und Jesus von Nazareth waren für ihn die schuldlosesten Menschen auf Erden. Diese belegte er mit wechselseitigen Synonymen. Wie Jesus der „reine Mensch“ in persona war, „der ohne Fehl über die Erde geschritten ist“877, waren die Zigeuner für ihn „schutzlose Kinder“, die von „Würgern im Dreck verscharrt wurden“878. Otto Pankok be- zeichnete das Volk der Sinti und Roma als die „kindlichsten Menschen Europas“879. In den

871 Dietrich Korsch, Dogmatik im Grundriß, 225. Korsch führt als Beispiel an, dass Kinder ihren Eltern niemals restlos das wiedergeben können, was in sie in ihrer Kindheit investiert wurde. Es macht aber gerade das Wesen humanen Handelns aus, dass von einer restlosen Einforderung solcher moralischen Schuld abgesehen wird. 872 Vgl. dazu Dietrich Korsch, Dogmatik im Grundriß, 225. 873 So u.a. von dem Theologen und Psychologen Lorenz Wachinger, Gespräche über Schuld, 12. 874 Lorenz Wachinger, Gespräche über Schuld, 53f. 875 Paul Tillich, Systematische Theologie, Bd II, 330. 876 Otto Pankok selbst spricht von der Macht, die sich über die Liebe erhob, in der Einleitung zur „Passion“ von 1936, 2. 877 Otto Pankok in der Einleitung zur „Passion“ von 1936, 2. 878 Otto Pankok, Zigeuner (1958), 7. 879 Otto Pankok, Zigeuner (1958), 9.

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Kindern spürte der Künstler noch die Unverfälschtheit des göttlichen Ebenbildes, in ihnen lebte noch der „schöne Götterfunken aus Elysium“880. In der unmittelbaren Konfrontation mit der politischen Macht, die sich an solchen schuldlosen Menschen verging und auf sie Zwang und Gewalt ausübte, sah der Künstler eine Analogie zum Schicksal Jesu. Er stellte die Schuldlosigkeit des Jesus von Nazareth und die Gewalt, die an seiner Person ausgeübt wurde, in die Zeit des Nationalsozialismus, indem er in den 60 Szenen der Passion das Hereinbrechen der Macht den Menschen seiner Zeit vor Au- gen hielt. Die Bilder der Passion legen Zeugnis ab, wie Menschen aneinander schuldig wer- den, teils in Erkenntnis ihrer Schuld, wie der reuige Petrus, mehrheitlich aber, ohne sich über- haupt ihrer Schuld bewusst zu sein. Das Bild Nr. 33, Der Verrat des Judas zeigt, wie schutzlos sich Jesus solch einem Handeln selbst im engsten Umfeld ausgeliefert sah. Als Petrus schließlich bewusst war, wen er da verleugnet hatte, sieht man ihm auf Bild 35, Die Reue des Petrus, die Verzweiflung an. Da vergießt einer Tränen der Scham, weil ihm deutlich bewusst wird, an wem er schuldig wurde (Mt 26, 69-75). Die Verzweiflung, die Otto Pankok in dieses Bild hineinmalte, ist in jeder Hinsicht spürbar. Petrus kann in solch einer Situation nur noch um Vergebung bitten, da seine Schuld durch nichts wieder gutzumachen ist. Indem Otto Pankok dem reuigen Petrus die Gesichtszüge des „alten Russen Konstantin“881 gab, fügte er dessen deprimiertes Menschen- bild als wesentlichen Ausdruck in den Zyklus der Passion ein. Einer, der wie er am Wesen des Menschen litt, schien für den Künstler ideal, dem wankelmütigen Petrus seine Gesichts- züge zu leihen. Der Petrus der Passion mahnt den Betrachter in seiner das Format füllenden Größe, wie schnell man an anderen Menschen schuldig werden kann, ohne sich dessen über- haupt bewusst zu sein. Dass Otto Pankok zwischenmenschliches Verhalten in seinem eigenen Handeln mit gleichen Maßstäben beurteilte, zeigt eine Tagebuchnotiz, die Hulda Pankok zi- tierte:

„Otto Pankok schrieb damals in sein Tagebuch: „Wie oft wird man schuldig, jemand hat ein Lächeln von uns erwartet und wir haben es ihm nicht gegeben.“882

Das Zitat belegt Otto Pankoks Eigenart, dass bei ihm die Frage nach Schuld nicht erst in An- betracht gravierender Ereignisse in den Blick gerät, sondern eine Größe in der Alltäglichkeit

880 Otto Pankok, Zigeuner (1958), 12. 881 Dirk Ganteför, Otto Pankok „Die Passion“, 24. 882 Hulda Pankok 1980 über ihren Mann in Bernhard Mensch/Karin Stempel, Otto Pankok 1893 – 1966. Retro- spektive zum 100. Geburtstag, 84.

190 des Miteinanders darstellt. Schuld fängt nicht an, wenn Menschen getötet werden, sondern viel eher: „jemand hat ein Lächeln von uns erwartet und wir haben es ihm nicht gegeben.“883 Ebenso von Reue gepackt wie Petrus erscheint Judas auf Bild Nr. 36 Judas bringt das Geld zurück. Der Verrat war von ihm vollzogen worden und nicht mehr zurückzunehmen. Der, den Judas verraten hatte, war zum Tode verurteilt worden und sollte hingerichtet werden. Von Reue gepackt, versucht Judas, nach Mt 27,3, seine Tat ungeschehen zu machen, indem er den Hohenpriestern und Ältesten den Lohn zurückbringt, den er für seinen Verrat erhalten hatte. Er bekennt seine Schuld, ihnen einen Unschuldigen ausgeliefert zu haben. Doch die moralische Schuld ist mit der Rückgabe der Entlohnung für den Verrat nicht wieder gut zu machen. Das muss Judas erkennen. Mit solch einer Schuld weiterzuleben, vermag er nicht und bereitete nach Mt 27,5 seinem Leben ein Ende. Mit den Personen des Petrus und des Judas lässt Otto Pankok in der Passion Protago- nisten auftreten, die, wenn auch zu spät, ihre Schuld erkennen und im Falle des Judas sogar bekennen. Beide wurden schuldig an einer Person, die ihnen nahe stand und vertraute. In der Mehrzahl der Bilder der Passion lässt Otto Pankok Menschen handeln, die sich ihrer Schuld - zumindest in diesem Moment - überhaupt nicht bewusst sind, sei es, weil ihr Handeln durch staatliche Gewalt legitimiert erscheint, oder weil sie innerhalb einer Masse Gleichgesinnter handeln. Die persönliche Schuld, die Judas mit seinem Verrat auf sich lud, erscheint ver- gleichsweise gering, betrachtet man in Gegenüberstellung dazu die Folterszenen der Bilder Nr. 40 Sie schlagen ihn, Nr. 41 Sie verspotten ihn, Nr. 43 Die Geißelung, Nr. 47 Sie entklei- den ihn und Nr. 48 Sie nageln ihn ans Kreuz. Otto Pankok zeichnete seine Passion als Tragö- die auf ein unausweichlich grausames Ende hin. In diesem Sinn lässt er die Schuld anwach- sen, die Menschen innerhalb dieser Tragödie auf sich laden. Sie stehen nicht nur dabei, son- dern legen selbst Hand an ihr wehrloses Opfer und sind sich ihrer Schuld noch nicht einmal bewusst. Im Gegenteil, sie empfinden Lust und Freude bei ihrem Handeln. Von einem Erken- nen ihrer Schuld sind sie weit entfernt, da ihnen Maßstäbe moralischen Handelns fehlen. Auf Bild Nr. 44, Die Kreuztragung, wird der gefesselte Jesus, der das übermannsgroße Holzkreuz auf seinen Schultern tragen muss, von umstehenden Gaffern noch getreten. Die Schmach des Opfers, das eigene Folterinstrument tragen zu müssen, wird noch verstärkt durch den Spott und die Sensationsgier der zuschauenden Masse. Wenn das ohnehin wehrlose Opfer im gefes- selten Zustand weiter erniedrigt wird, dann verweist das auf die emotionale Verrohung und Gewaltbereitschaft der Täter und auf das Fehlen von Unrechtsbewusstsein. Ein vergleichbares

883 Hulda Pankok 1980 über ihren Mann in Bernhard Mensch/Karin Stempel, Otto Pankok 1893 – 1966. Retro- spektive zum 100. Geburtstag, 84.

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Motiv lässt sich mit der Lithografie Kreuztragung im grafischen Werk Lovis Corinths aus dem Jahr 1923 finden884. Otto Pankok malte das Fehlen von Empathie, das er bei seinen Zeitgenossen wahr- nahm, in die Gesichter der Zeitgenossen Jesu hinein. Gleichgültig schauen sie zu, wie ein wehrloser Mensch gequält wird. Viele legen sogar selbst Hand an. Otto Pankok spricht diesen Menschen ab, dass man in ihre wahren Gesichter schauen kann. Vielmehr tragen „sie Mas- ken“, mit der sie „das Tier verbergen wollen, die Blöße und das Fehlen des Göttlichen“885. Was sich dadurch offenbart, ist die Fratze des Bösen. In den Augen Otto Pankoks sind sie mit ihrem Verhalten „von dem göttlichen Ebenbilde“ abgefallen. Ihr „Herz ist dem Tier und sei- nen wilden dämonischen Kräften geöffnet“886. Den Bezug zu Gott haben sie verloren. Da er- scheint es evident, dass Otto Pankok die Menschen in ihrer Schuld zurücklässt. Im Verständ- nis von Dietrich Korsch meint Vergebung „die Bitte um Gottes Gegenwart“887 und Lorenz Wachinger drückt es aus als „die Heilung“888 zwischenmenschlicher Kommunikation. Doch die Handelnden in Otto Pankoks Passion erkennen weder ihr Fehlverhalten, noch bekennen sie ihre Schuld, noch bitten sie um Vergebung. An Gottes Gegenwart liegt ihnen nicht. Otto Pankok lässt seine Passion damit enden, dass die Menschen einen ihrer Mitmen- schen bestialisch ermordet haben. Demzufolge nennt er Bild 58 Die Leiche. Damit stellt der Künstler ein definitives Ende dar. Jesus ist tot. Er ist von seinen Mitmenschen ermordet wor- den. In dem Maße wie der Künstler Jesus vermenschlicht, entmenschlicht er die Menschen, die sadistisch an ihm handelten. Otto Pankok verwehrt den Menschen in seiner Passion die Auferstehung Jesu und da- mit die Vergebung ihrer Schuld. Indem der Künstler die Passion mit dem Tod Jesu von Naza- reth enden lässt, belässt er die Täter ganz in ihrer Schuld. Sie haben gemordet; für Vergebung ist die Zeit noch nicht gekommen. Otto Pankok schenkt den Menschen in seiner Passion kei- ne Auferstehung, die ihre Schandtaten in ein soteriologisches Licht rücken würden. Die moralische Frage um den Tod Jesu übertrug Otto Pankok ganz in die Zeit des Na- tionalsozialismus889. Dieser befand sich in den Jahren, als Otto Pankok seine Passion malte, noch ganz am Anfang. Dem Künstler stand zu diesem frühen Zeitpunkt deutlich vor Augen, dass weitere Schreckenstaten folgen werden. „Die Heilung dieser Wunde“, die die Unterbre-

884 U.a. in Jürgen Zeidler, Lithographie und Steindruck, 35. 885 Vgl. dazu Otto Pankok, Otto Pankok, An meine Freunde (1937), Nachdruck von 1968, 8. 886 Otto Pankok, Otto Pankok über seine „Passion“ in Prisma 15/1948, 32. 887 Dietrich Korsch, Dogmatik im Grundriß, 228. 888 Lorenz Wachinger, Gespräche über Schuld, 12. 889 Vgl. Hulda Pankok „vor dem Grab der Liebe …“ in „Die Passion. Ein Zyklus …“, o.S.

192 chung der zwischenmenschlichen Kommunikation riss, „ist der Kern der Versöhnung“890. Zu dem Zeitpunkt, an dem Otto Pankok seine Passion enden ließ, stand die Wunde noch klaffend weit offen. Die Zeit für Vergebung solcher Schuld konnte noch lange nicht gekommen sein. Damit es zur Vergebung solcher Schuld in der Zukunft kommen konnte, mussten die, die schuldig geworden waren, ihre Schuld überhaupt erst einmal erkennen, annehmen und sich für Gerechtigkeit den Opfern gegenüber einsetzen891. Indem Otto Pankok seiner Passion kei- ne Auferstehung hinzufügte, ließ er sie an einem Punkt enden, an dem die Frage nach mögli- cher Versöhnung zwischen Schuldigern und Opfern noch vollkommen offen bleiben musste. Eventuell war der Künstler 1933, als er die Bilder der Passion zu malen begann, an einem Punkt angelangt, an dem er nach wiederholtem Sündenfall der Menschen innerhalb kurzer Zeit selbst nicht mehr an eine Versöhnung zwischen ihnen und Gott glauben konnte.

8. Die didaktische Erschließung geeigneter Bildwerke Otto Pankoks für den Religionsunterricht

8. 1 Bildwerke Otto Pankoks in Lehrbüchern und Unterrichtsmaterialien

Bildwerke Otto Pankoks fanden vor allem durch Abbildungen in Lehrbüchern und Arbeits- heften Eingang in den Religionsunterricht. Dabei kann festgestellt werden, dass es sich nur um eine beschränkte Anzahl von Bildwerken handelt. Das waren überwiegend Kohlebilder der Passion und vereinzelte Holzschnitte. Bei der Durchsicht des zur Verfügung stehenden Unterrichtsmaterials konnte bislang keine Plastik Otto Pankoks gefunden werden, die für Lehrbücher oder andere religionspädagogische Arbeitsmaterialien didaktisch aufgearbeitet worden wäre. Gleiches kann von den Lithografien gesagt werden. Sie werden bislang in ih- rem Wert für den Religionsunterricht kaum wahrgenommen. Die Ursache hierfür scheint dar- in zu liegen, dass erst 1994 das dazugehörige Werkverzeichnis erschien. Der Rückgriff auf ein vollständiges Werkverzeichnis erleichtert maßgeblich die Verwendung von Kunstwerken in Lehrmitteln. In welchem Umfang einzelne Religionspädagoginnen und Religionspädagogen das bildnerische Werk Otto Pankoks innerhalb ihres Unterrichts zum Gegenstand hermeneuti- scher Betrachtung werden lassen, darüber kann in dieser Arbeit keine Aussage getroffen wer- den. Im Folgenden sollen Bildwerke Otto Pankoks aufgeführt werden, die für den Religions- unterricht didaktisiert und in Religionslehrbüchern oder Arbeitsheften abgedruckt wurden. In einer kurzen Betrachtung wird kritisch erläutert werden, in welcher Form das Bildwerk für

890 Lorenz Wachinger, Gespräche über Schuld, 12. 891 Vgl. dazu Paul Tillich, Systematische Theologie, Bd II, 330.

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Schüler und Lehrer aufgearbeitet wurde. Dabei wird vor allem auf den Umgang mit dem je- weiligen Kunstwerk geachtet werden. Wahrscheinlich ist es Hubertus Halbfas, der die meisten Bildwerke Otto Pankoks in seine Lehrbücher aufnahm. Im „Religionsbuch für das 7./8. Schuljahr“892 lassen sich bei- spielsweise im Teil der Klasse 7 zum Thema „Altes Testament: Die Propheten“ zwei Holz- schnitte Otto Pankoks finden893. Sie rahmen jeweils von der linken wie rechten Seite den Text ein. Durch das Seitenlayout scheint es, als habe das überlange Format und weniger der Bild- gegenstand der Holzdrucke den Ausschlag für ihre Auswahl gegeben. Für diese Annahme spricht, dass der eine Holzschnitt gar kein Prophetenbild ist, sondern ein Selbstbildnis Otto Pankoks. Das verwundert umso mehr, als dass es deutlich eindrucksvollere und altersgerech- tere Prophetenbilder Otto Pankoks gibt, wie beispielsweise der Holzschnitt (WH 88) Prophet aus dem Jahr 1936894. Hier, wie überall in Hubertus Halbfas` Lehrbüchern, finden sich in un- mittelbarer Nähe weder Hinweise zum Titel, zur Entstehungszeit, zum Schöpfer noch zur Technik des Bildes. Dies wird erst am Ende des Buches im Abbildungsverzeichnis vermerkt. Dort hat es für Schülerinnen und Schüler keine Bedeutung mehr, da sie es nicht gewohnt sind, mit Quellenverweise dieser Art zu arbeiten. Otto Pankoks Bildwerke werden rein illustrativ verwendet und erfahren im Lehrbuch keine didaktische Funktion. Gleiches gilt für den Holzschnitt Christus zerbricht das Gewehr, der sich im „Religionsbuch für das 4. Schuljahr“895 befindet. Diese Vorgehensweise hält Hu- bertus Halbfas bis hinein in seine neuesten, erst im Mai 2010 erschienenen Unterrichtswerke für die Grundschule, durch. Im „Religionsbuch für das 4. Schuljahr. Unterrichtswerk für die Grundschule“896 findet sich das Bild Nr. 14 der Passion Otto Pankoks Die Bergpredigt. Wie- der lassen sich in der Nähe des Bildes weder Jahreszahl noch Name des Künstlers finden. Im Abbildungsverzeichnis wird ebenso wenig deutlich, dass es sich um ein Einzelbild aus einem 60teiligen Zyklus handelt. Hinzu kommt, dass dem Bild eine falsche Jahreszahl beigeordnet wurde. Dieses Bild wird unter den gleichen Angaben nochmals im „Religionsbuch für das 3. Schuljahr. Unterrichtswerk für die Grundschule“897 verwendet. Problematisierend kommt hinzu, dass mit der Reproduktion von ca. 9 x 8 cm das Originalbild zu fast quadratischer Form beschnitten wurde898. Noch mehr verkleinert wurde der Holzschnitt Christus zerbricht

892 Hubertus Halbfas, Religionsbuch für das 7./8. Schuljahr, Patmos, Düsseldorf 1999 u.ö. 893 Hubertus Halbfas, Religionsbuch für das 7./8. Schuljahr, 34 u. 41. 894 Mit der dazugehörigen Jahreszahl der Entstehung des Bildes, bekommt dieses Prophetenbild auch für Schüle- rinnen und Schüler noch einmal eine ganz andere inhaltliche Dimension der Bildaussage. 895 Hubertus Halbfas, Religionsbuch für das 4. Schuljahr, Patmos, Düsseldorf 1997 u.ö. 896 Hubertus Halbfas, Religionsbuch für das 4. Schuljahr. Unterrichtswerk für die Grundschule, 77. 897 Hubertus Halbfas, Religionsbuch für das 3. Schuljahr. Unterrichtswerk für die Grundschule, 25. 898 Das Originalbild hat die Größe von 118 x 99 cm.

194 das Gewehr, der sich im Lehrbuch für die Klasse 4 befindet899 und dort nur noch die Abmaße einer Briefmarke aufweist. An dieser Stelle hat der Holzschnitt die Funktion eines Kontrast- bildes zu Pablo Picassos Bild Guernica. Dabei stellt sich die Frage, ob die Bildauswahl al- tersgerecht vorgenommen wurde. Eines der Kohlebilder Otto Pankoks, das wiederholt in Lehrbüchern und Unterrichts- materialien abgedruckt wurde, um im Religionsunterricht zum Einsatz zu kommen, ist aus der Passion das Bild Nr. 1 Der Schmerzensmann. Es findet sich u.a. im Schülerarbeitsheft „ENTDECKUNGEN MACHEN“ für die Schuljahre fünf und sechs900. Zwar ist dort das Koh- lebild Otto Pankoks in der beachtlichen Größe von fast DIN A4 im Arbeitsheft abgedruckt, doch erfahren die Schüler weder Titel des Bildes, Technik und genaue Entstehungszeit, noch dass es aus dem größeren Kontext eines Zyklus zum Leben Jesu stammt. Ein knapper, un- übersichtlich gesetzter Begleittext gibt lediglich an, dass Otto Pankok während der Zeit des Nationalsozialismus lebte. Dass der mit diesem Bild verbundenen Arbeitsanregung ein rein ikonografischer Ansatz zugrunde liegt, verraten die Arbeitsaufträge für die Schüler, in denen siebenmal das Wort ″Zeichen″ vorkommt, z.B.:

„Verschiedene Zeichen erinnern an die Leidensgeschichte Jesu. Versucht mit Hilfe dieser Zeichen die Leidens- geschichte nachzuerzählen“.

Die ikonografische Arbeit der Schüler, die für die fünfte und sechste Klasse eine umfassende Kenntnis der Jesusgeschichte voraussetzt, mündet schließlich in der Übertragung eines selbst auszuwählenden Zeichens in ein Symbol: „Wähle eines der Leidenszeichen aus, von dem du meinst, es könnte ein Symbol für die ganze Leidensgeschichte Jesu sein. […]“. Anregungen zu einer intensiveren Bildbetrachtung lassen sich dagegen nicht finden. Hierbei geht es viel- mehr um ein ″Wiedererkennen″ der einzelnen Bildzeichen, als um ein Erkennen des Bild- sinns. Solcherart ″ausschlachtender″ Umgang mit einem Kunstwerk wird weder dem Bild noch der Intention des Künstlers gerecht. Damit dient das Kunstwerk als ″Steinbruch″ christ- lich-ikonografischen Wissens. Dafür bräuchten Schülerinnen und Schüler nicht unbedingt eine Bildvorlage, da der ästhetische Mehrwert des Kunstwerkes in solcherart Umgang ohne- hin nicht zum Tragen kommt. „Bildzeichen weisen in unsere Welt“901, d.h., sie müssen mit dem Erfahrungshorizont der Schülerinnen und Schüler vernetzbar sein. Wie sollen Schülerin- nen und Schüler der fünften oder sechsten Klasse die Bildzeichen ″Essigschwamm″ und ″Dornenkrone″ mit ihrer Lebenswelt vernetzen, um es in ein aussagefähiges Symbol zu über-

899 Hubertus Halbfas, Religionsbuch für das 4. Schuljahr. Unterrichtswerk für die Grundschule, 16. 900 Unterrichtswerk für den evangelischen Religionsunterricht, Bd. 5/6, 34f. Mit einer Bildanalyse, aufbereitet für den Geschichtsunterricht der Sekundarstufe II, auch in Hildegard Vieregg, Kunst im Nationalsozialismus, Unterrichtsmaterialien Geschichte, 65f. 901 Dietrich Zilleßen, Thronfolger, 35.

195 tragen? Solcherart Erfahrungswelt kann ein Kunstwerk nicht herstellen. Mit diesem Anspruch verbleibt es im Abbildcharakter. Damit entsteht bei Schülerinnen und Schülern der Eindruck, künstlerische Bilder seien visuelle Schaubilder, denen ″Wissen″ zu entnehmen ist. Ein Mate- rialtisch, gefüllt mit entsprechenden Utensilien zum Ertasten, Fühlen, Ausprobieren und Schmecken wäre diesbezüglich brauchbarer902. Die Schülerinnen und Schüler könnten das begreifen, womit sie zur Auseinandersetzung angeregt werden. Ein weiteres Bild Otto Pankoks, das wiederholt in Lehrbüchern und Unterrichtsmate- rialien abgedruckt wurde, ist aus der Passion Bild Nr. 25 Lasset die Kindlein zu mir kommen. Im Bildkommentar zu „Meine Schulbibel“ empfiehlt Margarete Luise Goecke-Seischab, Otto Pankoks Werk vergleichend zu anderen Darstellungen der Kindersegnung Jesu (z.B. Emil Nolde Christus und die Kinder, 1910) heranzuziehen. Als Bildaussage in Otto Pankoks Werk fällt vor allem die sozial- und zeitgeschichtliche Aussage ins Gewicht, dass sich Jesus zer- lumpten Zigeunerkindern zuwendet. Als Bilddeutung in diesem Kontext erschließt sicht, dass sich Jesus nicht nur zu Kindern „sondern auch zu Minderheiten“903 hingezogen fühlt. Damit wird Otto Pankoks Werk nicht als selbstredende universelle und kontextunabhängige künstle- rische Darstellung verstanden, sondern lediglich aus dem speziellen Blickwinkel auf die Zeit der Nazidiktatur und Vernichtungspolitik gegenüber von Minderheiten. Dieser zeitgeschicht- liche Kontext ist für Schülerinnen und Schüler im Bild nicht ersichtlich. Er muss von Seiten der Lehrerin oder des Lehrers den Schülern erst nahe gebracht werden. Die Frage ist, ob die- ser spezielle Blickwinkel auf das Bild seinen Wert für den Religionsunterricht ausmacht oder ob es Otto Pankok nicht eher durch seinen formalen Bildaufbau gelang, Zugänge zum Ver- ständnis zu schaffen, was es heißt, als Erwachsener in der Lage zu sein, vertrauensvolle Zu- wendung zu fremden Kindern herzustellen, was andere Erwachsene skeptisch beobachten und verurteilen. Die Tendenz, Otto Pankoks Passionsbild nur aus diesem Blickwinkel heraus zu betrachten, kann in verstärktem Maße im Lehrbuch „Das neue Kursbuch Religion“ für die Klassen 7 und 8 beobachtet werden. Dort wird Otto Pankoks Bild unter dem zugesprochenen falschen Titel Zigeunerchristus abgebildet. Zwar ist die Abbildung des Kohlebildes im Bild- kommentar zu „Meine Schulbibel“ korrekt betitelt und mit Größenangaben versehen, doch wurde die Vorlage am rechten Rand um ca. ein Viertel des Formates beschnitten, sodass die Abbildung eine quadratische Form aufweist, womit sich die Bildaussage verändert904.

902 Mit solchen prall gefüllten Materialtischen arbeitet z.B. Anna-Katharina Szagun in ihrer praktischen Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und Studenten. Der Materialtisch kam auch zum Tragen in ihrer Arbeit zum Gottes- verständnis von Kindern. Siehe Anna-Katharina Szagun, Dem Sprachlosen Sprache verleihen, Jena 2006. 903 Margarete Luise Goecke-Seischab, Jesus segnet die Kinder, 108. 904 Durch die Beschneidung des Formates reduziert sich das Bildmotiv auf die Begegnung Jesu mit den Kindern. Die umstehenden Erwachsenen wurden größtenteils abgeschnitten. Sinnvoller wäre es gewesen, anstatt Otto

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Vor allem in den Lehrbüchern für den Religionsunterricht, die Helmut Hanisch als Herausgeber mitverantwortet hat, erhielten Otto Pankoks Bilder mit christlichem Inhalt Be- achtung. Das lässt sich z.B. in dem 2008 bei Vandenhoeck & Ruprecht erschienene internati- onale Schulbuch „Miteinander feiern – voneinander wissen“, das in dieser Form in Deutsch- land, Polen, der Slowakei, Tschechien und Ungarn erschien und im dortigen evangelischen Religionsunterricht verwendet wird, beobachten. In diesem Schulbuch fanden sechs sinnvoll ausgewählte Bilder der Passion Platz. Beginnend mit der Taufe Jesu durch Johannes wird anhand drei ausgewählter Passionsbilder auf den Leidensweg Jesu hingewiesen905. Zwei ab- gedruckte Bilder zeigen Jesus im liebevollen Entgegenkommen an seinen Nächsten: dem klei- nen Schaf in seinem Arm und bei der Fußwaschung der Jünger (Joh. 13). Obwohl die Aus- wahl der Bilder gelungen ist, muss kritisch deren Reproduktion im Schulbuch beurteilt wer- den. Vor allem der Abdruck des Kohlegemäldes Das Gleichnis vom guten Hirten Nr. 16 der Passion gibt nur schemenhaft das Original wider. Das ist in diesem Fall schade, da es sich hierbei um ein fein nuanciertes Kohlebild handelt, das gerade jüngere Kinder mit seinem Bildgegenstand ansprechen kann. Es ist bedauerlich, dass sich die Gestalter des Buchlayouts nicht getraut haben, Otto Pankoks immanente Farbigkeit bei dem zu belassen, was sie ist, ei- nem Ausloten aller Schwärzen vom zartesten Grau zum tiefsten Schwarz. Stattdessen wurden drei Kohlebilder Otto Pankoks in hellem Sephia abgedruckt und ein Kohlebild – passend zum Passionsthema – in kräftigem Lila. Solcherart Bildbearbeitung ist überflüssig und steht der Intention des Künstlers und seinem Werk entgegen. Bedauerlich ist auch, dass Schülerinnen und Schüler in direkter Nähe zu den Bildwerken weder Name noch Lebenszeit des Künstlers erfahren. Das wäre mit Blick auf Otto Pankoks Bezug zum abgedruckten Bild Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? lohnend gewesen. Dementsprechend besser gelang da die Einfügung der Bilder Otto Pankoks in das Lehrbuch „Den Glauben feiern. Feste im Kirchenjahr“. An diesem Buch waren ebenfalls die Herausgeber Helmut Hanisch und Dieter Reiher beteiligt. Die sechs im Lehrbuch abgedruck- ten Bilder ordnen sich in das Thema der ″Passion″ ein. Sie sind in beachtlicher Größe und guter Qualität gedruckt, sodass die Eigenart Otto Pankoks Malerei visuell nachempfunden werden kann. Alle Bilder wurden durchweg in ihren originalen Grautönen belassen. In direk- ter Nähe zu den Abbildungen finden die Schülerinnen und Schüler die Titel der Bilder und den Namen des Künstlers. Bei der Abbildung von Otto Pankoks Werk Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? wurde sogar vermerkt, dass es sich hierbei um einen Bildaus-

Pankoks Kohlebild gleich die Monotypie Lasset die Kindlein (WM 39, 1952) zu nehmen. Auf ihr konzentrierte Otto Pankok das Bildmotiv auf die Begegnung Jesu mit den Kindern von sich aus. 905 Helmut Hanisch/Dieter Reiher, Miteinander feiern – voneinander wissen, 30.

197 schnitt handelt. Das zeugt von einem sorgfältigen Umgang mit den Bildern. Daher ist es scha- de, dass in diesem Lehrbuch Otto Pankoks Bilder rein illustrativ verwendet werden. Aufgabe der Bilder ist es, den nebenstehenden Bibeltext zu visualisieren. Divergenzen zur biblischen Überlieferung werden nicht deutlich, sodass die Schülerinnen und Schüler ihre inhaltlichen Entdeckungen eher am Text als am Bild machen. Dem entgegen könnten neuere Kunstlehrbü- cher für die Gestaltung von Religionslehrbüchern und dem Umgang mit Bildern darin vor- bildwirksam sein, da sie für Schülerinnen und Schüler auf sehr anregende und überraschende Weise mit Bildmaterial umgehen906. Ähnliches wäre für neue Religionslehrbücher wün- schenswert. Es könnten beispielsweise größere Reproduktionen auf ausklappbare DIN A4 Seiten gedruckt werden oder zu manchem Kunstwerk eine hilfreiche Aufbauskizze auf Trans- parentpapier eingelegt werden.

8. 2 Bilddidaktisches Arbeiten im Religionsunterricht

Die Bildung von Kindern und Jugendlichen kann und darf sich nicht beschränken auf die Bil- dung des Verstandes, sondern muss sich ebenso der Bildung der Fantasie, der sinnlichen An- schauung und der Wahrnehmungsfähigkeit widmen, wenn der Mensch als Ganzes gesehen werden soll907. Eine solche ganzheitliche Auffassung von Bildung ergibt sich für den Religi- onsunterricht aus der theologisch verankerten Gottebenbildlichkeit des Menschen908. Hinzu kommt, dass nur ein ganzheitlicher Bildungsbegriff der Forderung nach tätigem Handeln des lernenden Subjektes gerecht werden kann. Wie der Mensch „kein reines Augenwesen ist“909, so wenig kann er als Ohrenwesen verstanden werden. Will Bildung der Ganzheitlichkeit des Menschen gerecht werden, dann heißt das, den Menschen als Ganzes anzusprechen mit all seinen Fähigkeiten und all seinen Sinnen. Der Religionsunterricht nimmt für sich wie kaum ein anderes Fach in Anspruch, das erfüllen zu können. Die Kunsterzieherbewegung als reformpädagogische Bestrebung des ausgehenden 19. Jahrhunderts war von dem Ziel geprägt, Kinder und Jugendliche mit Kunst in Berührung zu bringen und für Kunst zu begeistern910. Damit einher ging ein Bewusstseinswandel, dass ein Bild mehr sei als eine zwar schöne, jedoch entbehrliche Zugabe zum biblischen Text911. Für die Reformpädagogik wurde die Hinwendung zu musisch – kulturellen Bildungsinhalten zu

906 So z.B. das bereits erwähnte Lehrbuch „Thema Kunst: Die Welt der Bilder. Eine Reise ins Unbekannte“. 907 Colin Cramer, Musisch – kulturelle Bildung, 326. 908 Vgl. dazu Christian Grethlein, Fachdidaktik Religion, 88. 909 Zitiert nach Alex Stock, Gesicht bekannt und fremd, 7. 910 Vgl. dazu Gabriele König, Kinder- und Jugendmuseen, 32. 911 Gerhard Ringhausen, Von der Buchillustration zum Unterrichtsmedium, 144.

198 einem wichtigen Anliegen. In den 1960er Jahren entstanden Unterrichtskonzeptionen, wie die des Formalen Kunstunterrichts und der Ästhetischen Erziehung912. Bildwerke haben innerhalb der religiösen Bildung einen traditionellen Platz. Kein an- deres Medium wird im Religionsunterricht so häufig und regelmäßig eingesetzt. Günter Lan- ge verweist in diesem Zusammenhang auf den etymologischen Zusammenhang von „Bild“ und „Bildung“913. Die westliche Kultur ist bis heute durchsetzt mit religiösen und biblischen Bildprägungen. Günter Lange betont, dass aus diesem Grund „die kritische Reflexion ihrer Allgegenwart und die Anleitung zu einem kundigen Bildgebrauch […] zu den Aufgaben einer religiösen Alphabetisierung“914 gehören. Denn gerade in der Arbeit mit Bildern liege die gro- ße Chance, einen übermäßig textlastigen Religionsunterricht aus seiner methodischen Engfüh- rung zu befreien. Wie stark das Fach Religion nach wie vor vom Primat des Textes dominiert wird, zeigt sich weniger in der methodischen Vielgestaltigkeit unterrichtlicher Praxis als vielmehr bei der Gestaltung der Abituraufgaben. Beispielgebend ist hierfür ein knapper Ein- blick in das zentrale schriftliche Abitur im Fach Evangelische Religionslehre des Freistaates Bayern. Da es Anspruch der Abiturkommission ist, „Jahr für Jahr durch besonders verlässli- che, gerechte und überraschungsfreie Prüfungsbedingungen“ dem Schüler Sicherheit zu ge- ben:

„[…] läuft das zentrale schriftliche Abitur […] seit Jahrzehnten nach einem festen Schema ab […]. In jeder Auf- gabe ist zunächst ein Text thesenartig zusammenzufassen und zu zentralen Denkfiguren christlicher Tradition in Beziehung zu setzen.“915

Solche Auffassungen sind der Verfasserin auch aus der Abiturkommission Mecklen- burg-Vorpommerns bekannt. In diesem Bundesland hat es ein Bildwerk noch nie über die Unterrichtspraxis hinaus in das schriftliche Abitur geschafft. Es scheint, als ob Werke der bildenden Kunst gerade gut genug seien, den Religionsunterricht medial abwechslungsreich und thematisch adäquat zu bereichern, dem gebotenen Ernst einer zentralen schriftlichen Abi- turprüfung dagegen nicht standhalten können. Bildwerke eignen sich scheinbar weniger als Texte, um „[…] besonders verlässliche, gerechte und überraschungsfreie Prüfungsbedingun- gen […]“916 zu garantieren. Gerade theologisch gut ausgebildete und exegetisch versierte Re- ligionspädagogen vertreten die Ansicht, „der Schüler müsse sich an Texten abarbeiten.“ Hin-

912 Colin Cramer, Musisch – kulturelle Bildung, 325f. 913 Günter Lange, Bildwerke, 75. 914 Günter Lange, Bildwerke, 75. 915 Ingrid Grill-Ahollinger, Abi als Performance? Zur Umsetzung der EPA für den Evangelischen Religionsun- terricht in Bayern, 364. 916 Ingrid Grill-Ahollinger, Abi als Performance? Zur Umsetzung der EPA für den Evangelischen Religionsun- terricht in Bayern, 364.

199 ter einer solchen Ansicht steht zweifelsohne eine immense Unsicherheit im Umgang mit Werken der bildenden Kunst, vor allem wenn es sich um zeitgenössische Werke handelt. Viel stärker als im Umgang mit literarischen Texten ist die Auswahl der für den Unter- richt als geeignet erscheinender Bildwerke vom Kunstgeschmack der jeweiligen Lehrkraft abhängig. Gravierend wird dieser Umstand beim Einsatz von Werken der zeitgenössischen Kunst im Unterrichtsgeschehen. Da trauen sich viele Lehrerinnen und Lehrer gar nicht ran. Ursachen einer solchen Unsicherheit liegen nicht zuletzt in der mangelhaften kunstdidakti- schen Ausbildung von Studierenden der Religionspädagogik begründet. Intuitiv spüren Leh- rende, dass Bildwerke „nicht einfach so“ verwendet werden können, sondern dass methodi- sches Handwerkszeug für den Umgang mit Bildern im Unterricht vonnöten ist. Fühlen sich Lehrerinnen und Lehrer mit solchem Handwerkszeug schlecht ausgestattet, dann verunsichert sie das. Die Verunsicherung im Umgang mit zeitgenössischen Kunstwerken wird in dem Maße größer, wie die Künstler bewusst mit dem Mittel der Verunsicherung arbeiten. Moderne Kunstwerke wollen den Betrachter in einem viel stärkeren Maße verunsichern als Werke der Kunstgeschichte, da dem Künstler das provokante Moment der Verunsicherung spätestens seit dem Expressionismus zum künstlerischen Mittel geworden ist. Tradierte Sehgewohnhei- ten will zeitgenössische Kunst gleichermaßen verunsichert sehen wie zum Klischee geronne- ne Motive. Günter Lange verweist auf ein weiteres Feld, was Verunsicherung in sich trägt: Die religiösen und spirituellen Aspekte der zeitgenössischen Kunst knüpfen nur selten an tra- ditionelle Glaubenslinien, sondern wagen weitgehend unbeeindruckt von christlicher Verkün- digung „sich auf eigene Rechnung ins religiös Offenere“917, ohne den Anspruch einer christli- chen Konsenztheologie erheben zu wollen. Werden Bildwerke im Unterricht eingesetzt, dann dürfen diese nicht nur der jeweili- gen pädagogischen Zielsetzung untergeordnet werden und ins Verhältnis zu Theologie und religionspädagogischen Konzeptionen gesetzt werden Bezugsgrößen müssen vielmehr die Kunstwissenschaft, Kunstpädagogik, Kunstgeschichte und Kunstphilosophie sein918. Außerordentlichen Einfluss auf den Umgang mit Bildern im Religionsunterricht hatte - und hat immer noch - die Symboldidaktik. Peter Biehl macht deutlich, dass die Symboldidak- tik eine breit gefächerte Bewegung war, der neben Peter Biehl ganz unterschiedliche Religi- onspädagoginnen und Religionspädagogen wie Georg Baudler, Hubertus Halbfas und Ursula Früchtel zuzurechnen sind919.

917 Günter Lange im Vorwort des Heftes „Kunst und Religion“ (2/1991) in der Reihe der Katechetischen Blätter. 918 Michael Künne, Bildbetrachtung im Wandel, 10. 919 Peter Biehl, Festsymbole, 17.

200

8. 3 Bilddidaktische Ansätze innerhalb der Religionspädagogik

Die inhaltliche Öffnung und Verzahnung der schulischen Unterrichtsfächer und die Ver- gleichbarkeit ihrer methodischen Zugänge haben zu einer prinzipiellen Akzeptanz ästhetischer Arbeitsformen im Religionsunterricht geführt920. Jürgen Heumann betont beispielsweise, dass die Wort-Theologie Luthers für die heutige religionspädagogische Praxis kein Primat mehr darstellt. Ein eigenständiger und allgemein akzeptierter religionspädagogischer Ansatz, der kunstpädagogische mit religionspädagogischen Positionen befriedigend miteinander verbin- den konnte, hat sich bis heute nicht ergeben921. Wie andere Autoren bemängelte 1981 Alex Stock, dass in der theologischen Arbeit „neben ihrem enormen textwissenschaftlichen Auf- wand […] ein bildwissenschaftlicher kaum zu erkennen“ sei. Und das, trotz der reichen visu- ellen Kultur, die das Christentum im Laufe seiner Geschichte hervorgebracht hat922. Zehn Jahre später konstatiert Günter Lange, dass weniger darüber diskutiert werden muss, ob Wer- ke der bildenden Kunst fester Bestandteil des Religionsunterrichts sind, sondern vielmehr deren „kunstgerechter“ Gebrauch in der Unterrichtspraxis923:

„Ein erstes Unbehagen resultiert aus der Frage: Gehen wir eigentlich mit unseren künstlerischen Medien richtig um? Auch wenn wir damit gut ankommen und die uns gesetzten Ziele erreichen mögen, bleibt immer noch die kritische Frage, ob wir den so transportierten „Gütern“ gerecht geworden sind, oder ob wir sie […] verschleißen: didaktisieren, domestizieren, verzwecken […].“924

Wie er, verweist Alex Stock auf einen respektvollen Umgang mit Kunstwerken, selbst wenn es sich um Reproduktionen handeln sollte. Im unterrichtlichen Umgang sollte jeder und jede Lehrende die je eigene Geschichte des Kunstwerkes präsent haben, wenn er Werke der bil- denden Kunst „für das freimütige Zerschneiden und Verkleben von Kult- und Andachtsbil- dern unserer frommen Altvorderen zu motivationsstimulierenden Collagen“925 verwendet. Kommt dem Künstler nach Günter Lange die Stellung des „Seismographen des Le- bensgefühls einer Epoche“926 zu, dann muss der Künstlerpersönlichkeit als verbindendem Medium zwischen Lebenswirklichkeit einer bestimmten Zeit und den aus ihr hervorgegange- nen Bildwerken erhöhte Aufmerksamkeit entgegen gebracht werden. Kunstwerke sind keine Zufallsprodukte, die sich aus sich selbst heraus formen. Vielmehr führt eine Vielzahl ästheti-

920 Vgl. dazu Jürgen Heumann, Die Flut der Bilder – Leben in der Unübersichtlichkeit?, 162. 921 Jürgen Heumann, Die Flut der Bilder – Leben in der Unübersichtlichkeit?, 161. 922 Alex Stock, Strukturale Bildanalyse, 36. 923 Günter Lange bemüht in seiner Literatur zum Thema immer wieder die Begriffe vom „kunstgerechten“, „sachgerechten“ oder „anregenden“ Umgang mit Kunstwerken. Der Autor denkt primär vom Kunstwerk und seiner ihm je eigenen Spezifität her und weniger von den theologischen Inhalten, mit denen die Kunstwerke u.U. in Bezug gesetzt werden können. Sie auch Günter Lange, Bilder zum Glauben, 9. 924 Günter Lange, Zum religionspädagogischen Umgang mit modernen Kunstwerken, 116. 925 Alex Stock, Strukturale Bildanalyse, 38. 926 Günter Lange im Vorwort des Heftes „Kunst und Religion“ (KatBl. 02/1991).

201 scher Entscheidungen zu ihrem Entstehen. Auf jedes Kunstwerk üben die Intention, die Moti- vation und die künstlerische Aussage eines individuellen Schöpfers in seiner Lebenswirklich- keit und Weltwahrnehmung einen direkten Einfluss aus. Unerlässlich für die inhaltliche Er- schließung von Bildwerken ist es daher, die Künstlerpersönlichkeit mit ihrer Biografie, ihrem kunstphilosophischen Ansatz und ggf. ihrer Religiosität in den Mittelpunkt der Kunstbetrach- tung zu stellen.

8. 3. 1 Bildmeditation

Klassischen Stellenwert in der religionspädagogischen Praxis genießt die Bildmeditation927. Sie geht zurück auf die mittelalterliche Tradition des Andachtsbildes, in das sich der Fromme zur Meditation versenkt928. In der schulischen Praxis findet die Bildmeditation in ganz ver- schiedenen Fächern Anwendung und meint im weitesten Sinn die Konzentration auf ein Bildwerk jedweder Form, womit die innere Sammlung des Betrachters intendiert ist. Die Bildmeditation versteht sich als offener, unbegrenzter Bereich zum freien Assozi- ieren. Sie stellt eine eigene Möglichkeit dar, mit Bildwerken in Kontakt zu treten und mit ih- nen eine Zeit lang zu leben. Der Vorteil einer Bildmeditation ist demnach, dass das jeweilige Bild tatsächlich intensiv betrachtet wird. Alex Stock weist darauf hin, dass in dieser Offenheit „Grenzen und Gefahren im Prozess der Erkenntnis“ inbegriffen sind929. In Tradition der mit- telalterlichen Andachtsbilder geht es bei der Bildmeditation häufig um das Erfassen der seeli- schen Dispositionen, die im Bild zum Ausdruck kommen930. Es liegt nahe, dass bei diesem Erfassen die Individualität des Betrachters, sein Vorwissen und seine Bildlesegewohnheiten die entscheidende Rolle spielen. In diesem Sinn bemängelt Alex Stock, dass „sich der Ge- fühls- und Meinungshaushalt des Betrachters als quasi – objektive Bildqualität aufdrängt, ohne mit der Bildmaterie noch einigermaßen überprüfbar vermittelt zu sein, wenn nicht über- haupt […] der Sinn des Bildes darin sein Genügen findet, als psychotechnischer Katalysator für das Assoziieren von Gefühlen und Einfällen zu fungieren“931. Nicht alle künstlerischen Bildwerke eignen sich gleichermaßen für die Bildmeditation. Die angestrebte mentale Sammlung und die Beförderung innerer Ruhe, die den Betrachter für weiterführende kognitiven Prozesse bereit macht, sollte durch das Kunstwerk angeregt und nicht behindert werden. Entsprechend eignen sich Bildwerke mit einem klaren Aufbau, ruhi-

927 Rainer Volp, Das Kunstwerk als Symbol, 223. 928 Alex Stock, Strukturale Bildanalyse, 36. 929 Alex Stock, Gesicht bekannt und fremd, 10. 930 Alex Stock, Strukturale Bildanalyse, 37. 931 Alex Stock, Strukturale Bildanalyse, 37.

202 ger Formensprache und einem visuell leicht zu erfassenden Motiv932. Das klassische Medita- tionsbild beinhaltet nur wenige Bildzeichen, die gedeutet und miteinander in Zusammenhang gebracht werden. Indem nicht ausschließlich die inhaltliche Erfassung des Meditationsbildes im Vordergrund steht, können sich dem Betrachter Assoziationszugänge eröffnen, die das Kunstwerk zum locus theologicus 933werden lassen934. Im bildnerischen Werk Otto Pankok lassen sich mehrere Bildbeispiele finden, die durch ihr reduziertes Motiv, das eindeutig zugewiesen werden kann,935 und ihren klaren Auf- bau für die Bildmeditation in Frage kommen. Exemplarisch sei in diesem Zusammenhang auf die Bildwerke der Passion Nr. 16 Das Gleichnis vom guten Hirten, Nr. 35 Die Reue des Pet- rus und auf Nr. 58 Die Leiche verwiesen. In diesen drei Bildern verdeutlicht sich beispielhaft, worin die Einsatzmöglichkeiten der Bilder Otto Pankoks im Bereich der Bildmeditation lie- gen.

Die Reue des Petrus Die Leiche

932 Peter Orth, Umgang mit Bildern, 490. 933 Alex Stock, Ist bildende Kunst ein locus theologicus?, 175. Alex Stock verweist darauf, dass der Begriff locus theologicus in der theologischen Erkenntnis- und Methodenlehre definiert wird als „Fundort“, an dem für die theologische Problemerörterung geeignete Argumente bzw. Gesichtspunkte gefunden werden können. 934 Peter Orth, Umgang mit Bildern, 490. 935 Vgl. dazu Peter Orth, Umgang mit Bildern, 492.

203

Das Gleichnis vom guten Hirten

Die Eignung verschiedener Bildwerke Otto Pankoks für die Bildmeditation resultiert aus dem künstlerischen Ansatz, den er seinem Kunstschaffen zugrunde legte. Wie bereits dar- gestellt, verstand er sich als ein unbeirrbarer Sucher nach der Wahrheit in den Dingen. Diese Intention ließ ihn an der konkreten Form der Dinge festhalten. Sie führte ihn konsequenter- weise zu einer Reduktion des Bildaufbaus, in dem das eigentliche Motiv immer mehr zum alleinigen Bildmittelpunkt wurde. Durch solche Reduziertheit schafft er dem Betrachter ein Gegenüber, von dem nichts ablenkt und mit dem dieser in dialogischen Austausch treten kann. Das trifft nicht nur auf Otto Pankok Menschendarstellungen, sondern ebenso auf seine Tiere, Pflanzen und Landschaften zu. Die wohl höchste Steigerung in der Konzentration auf die Wahrheit in den Dingen bei gleichzeitiger Reduktion des Motivs findet sich in dem Holz- schnitt Christus zerbricht das Gewehr (WH 344) von 1950, womit der Künstler ein hoch ex- pressives Kunstwerk schuf. Die Bildmeditation hat in einem modernen Religionsunterricht nach wie vor ihre Be- deutung, wenn es um Konzentration auf ein einzelnes Medium und um Entschleunigung936 innerhalb von Arbeitsprozessen geht. In unserer bildüberfluteten Welt kann die Konzentration auf ein einziges Bild, was zudem noch über nur wenige Bildzeichen verfügt, zu Entspannung und innerer Sammlung führen. In diesem Zusammenhang geht es Franz W. Niehl um eine

936 Peter Kliemann, Impulse und Methoden, 24.

204

Eindämmung vorherrschender Bilderflut „durch konzentriertes Betrachten“937 im Religions- unterricht. Fachleute aus der Praxis berichten, dass Schülerinnen und Schüler das konzentrier- te Betrachten eines einzelnen Bildes, das sich nicht wegzappen lässt, erst erlernen müssen938. Vor der eigentlichen Bildmeditation sollten daher Übungen stehen, die erst einmal „das Sehen der Schüler schulen“939. Eine solche „Sehschule“ oder „Sehschulung“ muss von Ruhe und Stille begleitet werden, damit sie entsprechenden Sinn macht940. Schülerinnen und Schülern muss zu Stille und damit der Möglichkeit zur gesteigerten Konzentration verholfen werden. Erst in der Stille können gewisse Inhalte Schülerinnen und Schüler wirklich erreichen und in ihnen wirken. Es gibt Autoren, die diesbezüglich dem „Schweigen“ und des „schweigenden Unterrichts“ neuen Wert beimessen941. Im Rahmen einer Bildmeditation ließe sich solch ein Vorhaben sinnvoll einüben und in Bezug auf einen Unterrichtsgegenstand praktizieren. Gleichzeitig bekäme die Methode der Bildmeditation durch vorhergehende und die Meditati- on begleitende Stille innerhalb des Unterrichtsgeschehens pädagogische Relevanz, da sie so- mit einen wichtigen Gegenakzent setzt zu schulischem Alltag942.

8. 3. 2 Bildbetrachtung

Das bürgerliche Pendant zur Bildmeditation stellt die Bildbetrachtung dar, die das Bild als document humaine begreift und verstehend nachzuerleben versucht. Wie die Bildmeditation hat die Bildbetrachtung den Charakter einer subjektiven Begegnung und verläuft deswegen ebenso unsystematisch943. Prinzipiell handelt es sich um einen Prozess mit offenem Ende, der zu keinem letztgültigen Abschluss kommen kann. Ausgehend vom Ersteindruck wird eine Vertiefung gesucht, im Verlauf derer sich Form-, Farb- und Symbolgehalt eines Bildes er- schließen mögen. Dabei entspinnt sich ein Dialog zwischen Betrachter und Bild, der mit zu- nehmender Intensität an Sicherheit gewinnt. Grundlegend werden hierbei zwei Zugänge un- terschieden: die bildimmanente Interpretation und die kontextuelle Bildauslegung944. Bei der bildimmanenten Bildbetrachtung entspinnt sich vom Ersteindruck an ein Dia- log zwischen Betrachter und Bild, sodass dieses aus sich selbst heraus erschlossen werden

937 Franz W. Niehl/Arthur Thömmes, 212 Methoden für den Religionsunterricht, 13. 938 So u.a. Margarete Luise Goecke-Seischab, Biblische Kunstwerkstatt, 7 auch Peter Kliemann, Impulse und Methoden, 26. 939 Margarete Luise Goecke-Seischab, Biblische Kunstwerkstatt, 7. 940 Markus Bruderer, RU kreativ, 72. 941 So auch Peter Kliemann, Impulse und Methoden, 25. 942 Peter Kliemann, Impulse und Methoden, 26. 943 Alex Stock, Strukturale Bildanalyse, 37. 944 Franz W. Niehl/Arthur Thömmes, 212 Methoden für den Religionsunterricht, 14.

205 kann945. Der Betrachter und das Bild bleiben unter sich. Fragend versucht der Betrachter, dem Bildinhalt näher zu kommen. Dabei werden aufgestellte Arbeitshypothesen verifiziert oder wieder verworfen. Wichtig zu erfragen ist: Was geschieht auf dem Bild? Was ist alles zu se- hen? Welche Beziehung gibt es zwischen den einzelnen Bildelementen? Wie ist das Bild auf- geteilt/gegliedert? Welche Farben und Farbkontraste bestimmen das Bild? usw.946. Aus diesen Einzelbeobachtungen wird schließlich wie ein Puzzle der Gesamteindruck des Bildes zusam- mengesetzt. Vorläufige Deutungen werden aufgestellt und beibehalten oder ggf. wieder ver- worfen. Kunstpädagogische Arbeitsmaterialien geben vielfältige methodische Anregungen, wie ein Frageprozess bei den Schülern in Gang gesetzt werden kann947. Bei der kontextuellen Bildauslegung geht die Arbeit des Betrachters über das jeweilige Bild hinaus. Der Betrachter kann Bilder suchen, die in einer ähnlichen Motivtradition stehen, wie es sich beispielsweise bei vielen christlichen Motiven wie dem Gekreuzigten, der Ma- donna oder Pietà nahe legt. Erst die Entstehungszeit gibt Aufschluss über die politischen und gesellschaftlichen Umstände, unter denen ein Bild entstand. Der Name der Künstlerin oder des Künstlers können Ausgangspunkt für eine weiterführende biografische Recherche sein usw. Es bleibt dem individuellen Interesse und der Bereitschaft eines jeden Betrachters über- lassen, wie intensiv eine solche Bildbetrachtung ausfällt. In Zusammenführung all dieser In- formationen verdichtet sich schließlich ein Netz dessen, was das Bild meint948.

8. 3. 3 Bildanalyse

Wesentlich tiefgründiger und über subjektive Ersteindrücke bezüglich des jeweiligen Bild- werkes hinausgehend, setzt die Bildanalyse an. Sie versucht, methodisch die individuelle Be- gegnung mit dem Bild über den Ersteindruck hinaus zu verlängern, zu steigern und zu vertie- fen, um somit zu einem Zugewinn an Erkenntnis zu gelangen. Diese tiefere Einsicht muss, über die eigene Erkenntnis hinaus, verbal mitteilbar gemacht werden können949. Eine Bildana- lyse setzt aus diesem Grund im Bereich der Kunstwissenschaft an und durchläuft ihre metho- dischen Angebote. Dabei bedient sich der Betrachter aller Informationen, die er über das betreffende Kunstwerk und den Künstler in Erfahrung bringen kann. Der Weg der Erkenntnis

945 Ein Beispiel hierfür findet sich in Margarete Luise Goecke- Seischab/Jörg Ohlemacher, Kirchenbaukunst, 117 ausgehend von der Radierung Kathedrale (La cathédrale) von James Ensor. 946 Eine brauchbare Übersicht solcher möglichen Fragen finden sich in Franz W. Niehl/Arthur Thömmes, 212 Methoden für den Religionsunterricht, 15. 947 Vgl. dazu auch Michaela Breckenfelder, „Was will denn die Frau mit dem Engel da?“ Kinder, Jugendliche und Erwachsene an bildende Kunst heranführen, 78. 948 Eine brauchbare Übersicht möglichen Forschungsfelder findet sich in Franz W. Niehl/Arthur Thömmes, 212 Methoden für den Religionsunterricht, 16f. 949 Vgl. dazu Alex Stock, Gesicht bekannt und fremd, 10.

206 kann hierbei vom Betrachter unterschiedlich lang und intensiv gestaltet werden. Bildbetrach- tung im Religionsunterricht bringt über die Kunstanalyse theologisches Wissen ein, wodurch sich die Wahrnehmung erweitert und in einen bestimmten Deutehorizont gestellt wird950. Aus diesem Grund sind nach Alex Stock nur Bilder für den Religionsunterricht von Interesse, die sich in irgendeiner Weise an christliche Überlieferung anschließen951. Nur Bildwerke höchster künstlerischer Qualität rechtfertigen im Religionsunterricht den teilweise beträchtlichen Auf- wand einer intensiven Bildanalyse. Mit jedem Analyseschritt sollte sich das Verstehen der Schülerinnen und Schüler vertiefen. Da jedem künstlerisch wertvollen Bildwerk eine Mehr- dimensionalität eigen ist, erschließt sich mit jedem neuen Analyseschritt eine dieser Facetten. Bestätigt sich immer wieder lediglich der Ersteindruck, dann ist das betreffende Bildwerk den Arbeitsaufwand nicht wert.

8. 3. 3. 1 Die ″Strukturale Bildanalyse″ (1981) nach Alex Stock und Manfred Wichelhaus

Alex Stock und Manfred Wichelhaus heben in Abgrenzung zu den subjektiv gefärbten und unsystematischen Ansätzen von Bildmeditation und Bildbetrachtung die Strukturale Bildana- lyse hervor, die sich an semiotischen Ansätzen der Text- und Kunstwissenschaft orientiert952. Bei der Strukturalen Bildanalyse soll der Rezeptionsprozess zwischen Betrachter und Bild weniger dem persönlichen Empfinden des Betrachters überlassen werden. Vielmehr soll dem Rezeptionsprozess eine methodische und systematische Absicht zugrunde liegen. Da die un- überschaubare Fülle der infrage kommenden Bildwerke kaum mit einem einzigen Ansatz er- fasst werden kann, muss es sich nach Meinung beider Autoren bei einem adäquaten Ansatz zur Erfassung und Bestimmung von Bildelementen und Bildstrukturen um ein offenes, d.h. veränderbares und anpassungsfähiges Modell handeln953. Je nach Eigenart des zu erfassenden Bildwerkes muss demnach die Bildanalyse in ihrer jeweiligen Struktur angepasst werden. Der Strukturalen Bildanalyse liegt die Annahme zugrunde, dass jedes Werk der bil- denden Kunst eine Botschaft darstellt, deren Sprache verstanden werden muss. Diese Sprache der visuellen Zeichen muss entschlüsselt werden, damit sich dem Betrachter die Bedeutung des Bildes offen legt. Die enorme Fülle visueller Zeichen kann in verschiedene Zeichensorten kategorisiert werden, den sog. Codes. Der erste Schritt strukturaler Bildanalyse beinhaltet folglich die Erfassung und Benennung dieser unterschiedlichen Codes. Mit dieser Benennung werden die verschiedenen Ebenen gekennzeichnet, auf denen sich die Bedeutung des Bildes

950 Vgl. dazu Alex Stock, Gesicht bekannt und fremd, 11. 951 Alex Stock, Gesicht bekannt und fremd, 11. 952 Alex Stock, Strukturale Bildanalyse, 38. 953 Alex Stock, Strukturale Bildanalyse, 38.

207 erschließt. Zu unterscheidende bildsprachliche Codes wären beispielsweise der ″Farben- Code″, der ″Code der Landschaft″, der ″Code der Architektur″, der ″körpersprachliche Code″, der ″kleidersprachliche Code″, der ″geometrisch-arithmetische Code″ usw. Je nach Bild und Bildgegenstand variieren die visuellen Codes954. Die Annahme der Autoren ist, dass sich dem Betrachter der Bildsinn umfassend er- schließt, wenn die entschlüsselten Bedeutungsebenen der verschiedenen Codes zusammenge- fügt werden, vergleichbar mit Fragmentfolien, die erst in ihrer Übereinanderlegung und Zu- sammenschau das Gesamtbild sichtbar werden lassen. In der Strukturalen Bildanalyse versuchen Alex Stock und Manfred Wichelhaus die These der strukturalen Semantik auf Werke der bildenden Kunst zu übertragen. Sie sehen das betreffende Kunstwerk als ″ästhetisches Objekt″, welches es systematisch zu erfassen gilt955. Sie gehen davon aus, dass das einzelne Zeichen keine Bedeutung hat, sondern es sich erst in Korrelation zu anderen Zeichen ergibt956. Was auf Textzeichen zutreffen mag, scheint nicht auf Bildzeichen übertragbar zu sein. In der bildenden Kunst kann das einzelne Zeichen im Gegensatz zum Text nicht nur nichts, sondern alles bedeuten. Die Autoren Alex Stock und Manfred Wichelhaus versuchen, durch den Ansatz der Strukturalen Bildanalyse der subjekt- geleiteten Bildanalyse eine objektive – weil klar strukturierte - Methode entgegen zu stellen. Dabei verkennen sie das Wesen von Kunst, das sich im vielsinnlichen Bereich erschließt und weniger im Verstehen jeder Einzelstruktur. Die Gefahr ist gegeben, sich im Klein-klein zu verlieren, statt den inhärenten Sinn zu erfassen. Für Kunstwerke gilt vielleicht noch stärker als für andere Phänomene, dass das Ganze mehr als die Summe der Einzelteile ist. Kunstbetrach- tung auf diese Art wird inhaltsüberladen und seelenlos und ist für die Praxis des Religionsun- terrichts ungeeignet.

8. 3. 3. 2 Das Konzept der ″Stufen der Bilderschließung″ (1998) nach Günter Lange

Für die Praxis im Religionsunterricht erscheint, im Gegensatz zu dem oben vorgestellten An- satz, Günter Langes Konzept der stufenweisen Bilderschließung praktikabel, da hierin die Auseinandersetzung mit einem Kunstwerk auf dem bewussten Sehen gründet. Günter Lange ließ sich in seinem Ansatz von Überlegungen des Kunsthistorikers Max Imdahl leiten, der den Begriff des ″sehenden Sehens″ propagiert957. Mit der Schulung des ″sehenden Sehens″ ergibt sich das ″wieder erkennende Sehen″, was im Idealfall schließlich zum ″erkennendem Sehen″

954 Alex Stock, Strukturale Bildanalyse, 40 – 42. 955 Vgl. dazu Rita Burrichter, Mit Bildern der Kunst arbeiten, 220. 956 Alex Stock, Strukturale Bildanalyse, 39. 957 Günter Lange, Bilder zum Glauben, 9.

208 führt. Auf Max Imdahls Überlegungen baute Günter Lange seine ″Sehschule″ auf. Ein solches Vorgehen soll vor übereilten Interpretationsversuchen, die häufig dem ersten Seheindruck folgen, schützen. Über eine erste, „ungelenkte, wache“958 Seherfahrung hinausgehend, kommt es dabei zur ständigen Reflexion des Gesehenen und damit zu einer Weiterentwicklung des eigenen Sehens. Dabei handelt es sich, ganz im Sinn der sog. ″Göttinger Stufentechnik″, um die bewusste Verlangsamung des Sehprozesses. Diese intendiert, dass das geduldige ″Sehen- lernen″ vor schablonenartiger Interpretation schützt, die sich mehr an den Befindlichkeiten des Betrachters ausrichtet als am jeweiligen Kunstwerk. Voraussetzung dafür ist nach Günter Lange ein wirkliches ″sich Einlassen″ auf das Bild. Dieser Prozess des Bilderlebens vertieft sich in fünf Erkenntnisstufen, die zu einer individuellen Interpretation des Kunstwerkes füh- ren. Beginnend mit der Frage Was sehe ich? (Stufe 1) dient der Ersteindruck dazu, sich die spontanen Eindrücke zu vergegenwärtigen. Somit schärft sich die Aufmerksamkeit für den ersten analytischeren Schritt (Stufe 2), worin gefragt wird: Wie ist die Bildfläche organisiert? Mit voller Aufmerksamkeit sucht der Betrachter nach möglicher Systematik innerhalb des Bildgeschehens. Günter Lange nennt dies die Außenkonzentration. Gesucht wird nach Pro- portionen, Kontrasten, Rhythmen, Perspektiven, nach dem Licht-Schatten Verhältnis, nach Bewegungen, Bewegungsrichtungen usw. Der Betrachter versucht sich zu orientieren, was zum Bildvordergrund, -mittelgrund und Bildhintergrund gehört. Nun findet ein erstes subjek- tives Reflektieren statt, indem im nächsten Schritt (Stufe 3) gefragt wird: Was löst das Bild in mir aus? Das stellt für Günter Lange die Innenkonzentration des Betrachters dar. In sich hin- einhorchend stellt der Betrachter für sich fest, in welche Stimmung ihn das Kunstwerk ver- setzt. Er versucht zu klären, welche Gefühle und Assoziationen durch das Bild ausgelöst wer- den. Erst dann (Stufe 4) wird danach gefragt werden: Was hat das Bild zu bedeuten?. Erst an dieser Stelle versucht der Betrachter all das heranzuziehen, was helfen könnte, das Bildwerk in seiner Bedeutung zu erschließen. Sollte das Bildthema offensichtlich sein, sodass es von Anfang an mit im Gespräch ist, dann kann an dieser Stelle gefragt werden, wie das Bildthema in diesem speziellen Fall durch diesen betreffenden Künstler gestaltet wurde. Dahinter steht Günter Langes Überzeugung, dass jedes Kunstwerk vom Künstler bewusst arrangiert wurde und sich in ihm Sichtweisen, die Spiritualität und das Stilempfinden des betreffenden Schöp- fers und ggf. seines Auftraggebers spiegeln959. Die Bilderschließung endet schließlich (Stufe 5) mit der Frage: Was bedeutet das Bild für mich? Den meisten Schülerinnen und Schülern dürfte es schwer fallen, diese Frage zu

958 Günter Lange, Aus Bildern klug werden, 9. 959 Günter Lange, Aus Bildern klug werden, 8.

209 beantworten. Eine Hilfe könnte die Selbstbefragung sein. Die Mädchen und Jungen sollten versuchen, auf folgende Fragen für sich eine Antwort zu finden: Finde ich etwas von mir in diesem Bild wieder? Möchte ich dieses Bild längere Zeit in meinem Zimmer haben? Fühle ich mich von diesem Bild angesprochen? Gehe ich auf das Anliegen des Bildes ein? usw.

8. 4 Kunstpädagogische Anregungen für die Arbeit mit Werken der bildenden Kunst im Religionsunterricht

Die Kunstpädagogik ist die fachdidaktische Disziplin, die sich im schulischen Rahmen vor- nehmlich mit der Wahrnehmung und Erschließung von Kunstwerken auseinander setzt. Damit ist das Fach ″Kunst″ das einzige Unterrichtsfach, in dem Kunstwerke nicht dazu helfen, in weiterführende Inhalte einzuweisen, sondern Grund und Hauptgegenstand der didaktischen Auseinandersetzung sind. Deshalb wäre es fahrlässig in einer Arbeit, in der das bildnerische Werk eines Künstlers für das Fach Religion aufbereitet wird, ausschließlich methodisch- didaktische Ansätze zu erläutern, die innerhalb der Religionspädagogik zum Umgang mit Bildwerken entstanden sind. Ebenso wichtig erscheint es, den Blick darauf zu richten, wie die Kunstpädagogik in der Praxis mit Werken der bildenden Kunst umgeht. Dies ist umso wichti- ger, als dass der Kunstunterricht wohl fast das einzige Unterrichtsfach an der Schule sein dürfte, in dem Schülerinnen und Schüler einen Zugang zu zeitgenössischen Kunstwerken er- fahren. Künstlerisches Geschehen wird nicht ausschließlich rückblickend wahrgenommen960. Daher wird noch viel zu zögerlich von Seiten der Religionspädagogik der Blick über die Fä- chergrenzen gerichtet und erörtert, welche Ansätze der Kunstpädagogik als geeignet erschei- nen, um den Umgang von Werken der bildenden Kunst im Religionsunterricht zu bereichern. Vorab kann gesagt werden, dass es der Religionspädagogik vor allem mit Aussicht auf die von ihr selbst ausgewiesenen Kompetenzen in vielerlei Hinsicht gut tun würde, in die Praxis und methodische Grundlegung der Kunstpädagogik zu schauen, die sich primär der Persön- lichkeitsbildung der Schülerinnen und Schüler verschrieben hat961. Voraussetzung dafür ist die konsequente Lebensweltorientierung der Inhalte und Angebote962. Vordergründig sind es zwei grundlegende Dinge, die die Religionspädagogik von der Kunstpädagogik im Umgang mit Werken der bildenden Kunst lernen kann: Zum einen ist es die Würdigung eines jeden Kunstwerkes in seinem je eigenen Kunstwert und zum Zweiten der methodisch-spielerische Umgang mit ihm. Spielerisch bzw. Spiel meint dabei das zweck-

960 Vgl. in diesem Sinn den Einwand Günter Langes, der die ausschließlich rückblickende Wahrnehmung von Kunst für den RU feststellte. In Günter Lange, Zum religionspädagogischen Umgang mit modernen Kunstwer- ken, 116f. 961 Vgl. dazu Peter Kamp, Hauptfach kulturelle Bildung, 204. 962 Peter Kamp, Hauptfach kulturelle Bildung, 205.

210 freie Erkunden und Austesten der Grenzen des Gewohnten963. Innerhalb der Kunstpädagogik entstanden in den letzten 20 Jahren vielfältige methodische Zugänge, um Kunstwerke zum Sprechen zu bringen und erzählend zu machen. So vielgestaltig wie sich Kunst äußert, er- scheint die Unterschiedlichkeit möglicher methodischer Zugänge, was angesichts der interpre- tatorischen Offenheit und Verschiedenheit von Kunstwerken nicht anders sein kann. Jedes Kunstwerk ist individuell und einzigartig. So brauchbar innerhalb der Religionspädagogik Ansätze wie die von Günter Lange zum Bildverstehen sein mögen, für die Kunstpädagogik fängt damit die eigentliche Bilderfassung und Aneignung erst an. Trotz der Vielzahl und Un- terschiedlichkeit der methodischen Zugänge, die das Verstehen von Kunstwerken befördern sollen, wird deutlich, dass der spielerische Umgang mit Kunst nicht in die Beliebigkeit führen kann. Maßgeblich dabei ist die Wesensgleichheit von Kunst und Spiel. Beide führen zurück auf den Ursprung des Menschlichen. Die künstlerische Betätigung ist eine der ursprüng- lichsten menschlichen Äußerungen,964 wie das Spiel als menschliches Grundbedürfnis gelten kann965. Rainer Volp ist der Auffassung, dass sich der Mensch mit dem Kunstwerk einen Spielraum schafft, „der es ihm erlaubt, von rationaler Zweckgebundenheit und kommunikati- vem Verhalten Abstand zu nehmen“966. Damit wird die bildende Kunst zum Reflexionsort erlebter Wirklichkeit und zum Testgelände des möglich Denkbaren. Günter Lange stellt heraus, dass es Bestreben der Religionspädagogik ist, „die religiö- se Dimension“ 967 der Kunstprodukte zu erfassen, ohne dass es dabei um eine christliche In- dienstnahme gehen darf968. Für ihn ist im Umgang mit Werken der bildenden Kunst die Frage entscheidend, ob ein Christ dadurch „auch religiös etwas gewinnen“969 kann. Unter religions- pädagogischer Fragestellung sind Werke der bildenden Kunst demnach geeignete Zeugnisse der Beziehung von Mensch zu Gott, von Mensch zu Mensch und schließlich zur ganzen Schöpfung. Vor allem Bilder mit christlich-religiöser Thematik stellen Glaubenszeugnisse dar970. Solcherart interessengeleiteter Umgang zeigt, dass längst nicht alle Kunstwerke für die Religionspädagogik relevant sind. Gerade erst beginnen Religionspädagoginnen und Religi- onspädagogen sich Bildern mit profanem Inhalt zuzuwenden und die darin verhandelten Bild- themen für die Auseinandersetzung im Unterrichtsgeschehen aufzuarbeiten. Entscheidende Wesensmerkmale moderner und zeitgenössischer Kunst, wie beispielsweise die Fähigkeit zu

963 Johannes Kirschenmann/Constanze Kirchner, Wenn Bilder lebendig werden, 5. 964 Vgl. dazu Rainer Volp, Das Kunstwerk als Symbol, 224. Der Autor verweist auf Arnold Gehlen, für den „die Kunst […] ein relativ unverbindliches, wenngleich anthropologisch notwendiges Spiel“ darstellt. 965 Vgl. dazu sehr anschaulich Martin Sander-Gaiser, Lernen als Spiel bei Martin Luther. 966 Rainer Volp, Das Kunstwerk als Symbol, 223. 967 Günter Lange, Zum religionspädagogischen Umgang mit modernen Kunstwerken, 117. 968 Günter Lange, Zum religionspädagogischen Umgang mit modernen Kunstwerken, 118. 969 Günter Lange, Bilder zum Glauben, 9. 970 Günter Lange, Bilder zum Glauben, 11.

211 provozieren, zu schockieren, zu verwirren, zu übertreiben, zu konterkarieren, zu überspitzen und gewohnte Wahrnehmungen zu durchbrechen, können in religionspädagogischer Perspek- tive fruchtbar gemacht werden971. Die Erörterung der Chancen, die bildende Kunst in diesem Verständnis für das Fach Religion haben kann, beginnt gerade erst, wie ein Blick in die neu- esten Veröffentlichungen zum Thema deutlich macht. Anders als der Religionspädagogik liegt der Kunstpädagogik über das Analysieren und Betrachten von Kunstwerken hinausgehend am ganzheitlichen Erfassen von Kunst. In der kunstpädagogischen Praxis reicht es nicht aus, über Kunst zu reden und zu schreiben. Viel- mehr geht es darum, Kindern und Jugendlichen durch eigentätiges Handeln einen Zugang zu Kunstwerken zu ermöglichen. Mit einem möglichst hohen Anspruch geht es um künstleri- schen Nachvollzug. Je nach Beschaffenheit und Inhalt des Kunstwerkes steht dabei die gestal- terische Praxis für Schülerinnen und Schüler im Mittelpunkt, mal die spielerische Auseinan- dersetzung damit und mal das eigentätige experimentelle Annähern972. Notwendige Analyseverfahren sind auf dem Weg der Bilderfassung nur der erste Schritt innerhalb eines weiterführenden Prozesses. Gerade im Umgang mit Kunst kann sich zeigen, dass Lernen vielgestaltig wie die Kunst selbst sein kann. Bildsprache und Kunstkon- zepte entwickeln sich aus den individuellen Befindlichkeiten ihrer Schöpfer heraus973. Aus diesem Grund wird es für den interessierten Betrachter unumgänglich sein, sich selbst mit seiner eigenen Lebenserfahrung in den Rezeptionsprozess einzubringen. Über das Verstehen hinaus soll deshalb die ganze Persönlichkeit der Schülerinnen und Schüler angesprochen wer- den. Kunstpädagogik verfolgt letztendlich das Ziel, „einen fachspezifischen Beitrag zur Per- sönlichkeitsbildung der Kinder und Jugendlichen zu leisten“974. Kunstpädagogische Bemü- hungen sind darauf ausgerichtet, Kindern und Jugendlichen Kunst näher zu bringen und für sie verstehbar werden zu lassen, als etwas, was inmitten ihrer Lebenswirklichkeit verankert ist und sie unbedingt angeht.

8. 5 Kompetenzentwicklung im evangelischen Religionsunterricht durch Aus- einandersetzung mit Kunstwerken Otto Pankoks

Seit in Vergleichsuntersuchungen wie PISA und IGLU (u.a.) Defizite des deutschen Bil- dungssystems deutlich wurden, wird nach Bildungsstandards verlangt, die Lerninhalte und Lernergebnisse der Schülerinnen und Schüler vergleichbar machen. Diese Standards sollten

971 Antje Wüpper zeigt dies exemplarisch an der Kunst des Expressionismus. In Antje Wüpper, Wahrnehmen lernen, 47. 972 Johannes Kirschenmann/Constanze Kirchner, Wenn Bilder lebendig werden, 5. 973 Ernst-Ludwig Martin, Annäherung an zeitgenössische Kunst, 136. 974 Johannes Kirschenmann/Constanze Kirchner, Wenn Bilder lebendig werden, 5.

212 sich verstärkt an den outcomes orientieren und damit an den tatsächlich erreichten Effekten der Lernprozesse975. Mit diesem Anspruch geriet der Begriff der Kompetenz in den Blick. Auffallend bei der Beurteilung der Schülerleistungen in den großen Studien war, dass hierin erstmals den erworbenen Kompetenzen, den sog. intentionalen Lernzielen,976 eine wesentliche Bedeutung beigemessen wurde. Der Leiter des Münchner Max-Planck-Institutes für Psycho- logie Franz E. Weinert formulierte den Kompetenzbegriff, der der OECD bei den PISA Stu- dien zugrunde lag. Diese komplexe Begriffsauffassung geht davon aus, dass Kompetenzen:

„die bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten [sind], um bestimme Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereit- schaften und Fähigkeiten, um die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können.“977

Im Dezember 2003 wurden von der Kultusministerkonferenz „Bildungsstandards für den Mittleren Schulabschluss“ für die Hauptfächer Deutsch, Mathematik und erste Fremd- sprache vereinbart. Ein Jahr später kamen Standards für Biologie, Chemie und Physik hin- zu978. Deutlich wird, dass die ″kleinen Fächer″, zu denen der Religionsunterricht gezählt wird, in die Vereinbarungen der Kultusministerkonferenz nicht mit einbezogen wurden. Diesem Mangel wurde auf Länderebene, wie beispielsweise in Baden-Württemberg, versucht zu be- gegnen, indem für diese Fächer Standards formuliert wurden. Es schien nahe liegend, dass sich die Defizite der ″großen Fächer″ ebenso in den ″kleinen Fächern″ zeigten. Auf die Unter- richtspraxis des Religionsunterrichts wirken sich die nachgewiesene mangelhafte Lesekompe- tenz und die damit einhergehenden Defizite im Textverständnis der Schülerinnen und Schüler aus979. Bischof Dr. Wolfgang Huber, bis zum Jahr 2009 Vorsitzender des Rates der EKD, schrieb im August 2006: „Ohne Zweifel ist der Religionsunterricht gegenwärtig besonders gefordert. Ich kenne kein Unterrichtsfach, an das vergleichbar hohe Erwartungen gestellt würden“980. Dass diese vielschichtigen Erwartungen als Kompetenzen ausgewiesen in Bil- dungsstandards zu fassen seien, wurde von namhaften Religionspädagogen, wie beispielswei- se von Friedrich Schweitzer (u.a.), bezweifelt981. Baden-Württemberg war das erste Bundes-

975 Helmut Hanisch, Unterrichtsplanung im Fach Religion, 174. 976 Michael Wermke, Bildungsstandards und Religionsunterricht, 15. 977 Franz E. Weinert, Leistungsmessungen in Schulen, zitiert bei Dietlind Fischer, Ein Kompetenzmodell für religiöse Bildung, 92. 978 Vgl. dazu Dietlind Fischer, Ein Kompetenzmodell für religiöse Bildung, 87. Die Bundesländer haben sich verpflichtet, die Standards in den betreffenden Ländern einzuführen und durch neu geschaffene Einrichtungen dauerhaft zu kontrollieren. 979 Vgl. dazu Dietlind Fischer, Ein Kompetenzmodell für religiöse Bildung, 89. 980 Religionsunterricht, 10 Thesen des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Download unter: http://www.ekd.de./EKD-Texte. 981 Vgl. dazu Helmut Hanisch, Unterrichtsplanung im Fach Religion, 179.

213 land, das im Lehrplan für das Fach Religion neun übergeordnete Kompetenzen festlegte982. Demzufolge benennt der Lehrplan Religion für alle Schularten über die Personal-, Sozial-, Methoden- und Fachkompetenz hinausgehend eine religiöse Kompetenz, eine hermeneutische Kompetenz, eine ethische Kompetenz, eine kommunikative und eine ästhetische Kompe- tenz983. Diese neun ausgewiesenen Kompetenzbereiche erfuhren in der nachfolgenden Dis- kussion weitere Ergänzungen. Die These 5 der oben angesprochenen „10 Thesen für den Re- ligionsunterricht“ lautet:

„Über den bereits genannten Beitrag zum Aufbau religiöser und ethischer Kompetenzen hinaus ist die Bedeu- tung von Religionsunterricht für den Erwerb von Sprach- und Reflexionskompetenz kaum zu überschätzen. […] Zugleich stärkt der Religionsunterricht auf vielfältige Weise das Interesse, die Wirklichkeit zu erkennen, die Welt zu verstehen und sie sich selbst und anderen zu erklären. Darüber hinaus werden im Religionsunterricht zahlreiche weitere Kompetenzen gefördert – soziale, kommunikative, ästhetische und mediale ebenso wie ge- schichtliche, politische und wissenschaftliche Kompetenzen.“984

Alle Kompetenzbereiche werden dem Erwerb religiöser Kompetenz untergeordnet, weil die Arbeit im Religionsunterricht unter dem Ziel steht, bei Schülerinnen und Schülern die Her- ausbildung einer religiösen Kompetenz zu fördern. Ausgehend von diesen im Lehrplan Baden-Württembergs verzeichneten neun Kompe- tenzbereichen für den Religionsunterricht soll im Folgenden aufgezeigt werden, welchen Bei- trag zur Kompetenzentwicklung von Schülerinnen und Schülern der Einsatz von Bildwerken Otto Pankoks im Religionsunterricht erfüllen kann. Dabei muss davon ausgegangen werden, dass sich in den Kompetenzen ein hoher Anspruch offen legt, der im Idealfall verwirklicht werden kann985. Im Grunde wird mit ihnen der Grundstock für lebenslange Lernprozesse be- schrieben.

Religiöse Kompetenz Unter religiöser Kompetenz ist die Fähigkeit zu verstehen, „die Vielseitigkeit von Wirklich- keit wahrzunehmen und theologisch zu reflektieren, christliche Deutungen mit anderen zu vergleichen, die Wahrheitsfrage zu stellen und eine eigene Position zu vertreten“986. Religiöse Kompetenz meint auch, sich auf religiöse Ausdrucks- und Sprachformen einzulassen, damit umgehen zu können und ebensolche mitzugestalten. In diesem Verständnis äußert sich religi- öse Kompetenz in dreifacher Hinsicht: es geht (a) um kritische, konzentrierte Wahrnehmung,

982 Vgl. dazu Michael Wermke, Bildungsstandards und Religionsunterricht, 12. 983 Helmut Hanisch, Unterrichtsplanung im Fach Religion, 180f. 984 Religionsunterricht, 10 Thesen des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Download unter: http://www.ekd.de./EKD-Texte. 985 Michael Wermke, Bildungsstandards und Religionsunterricht, 15. 986 Helmut Hanisch, Unterrichtsplanung im Fach Religion, 180.

214 die (b) theologisch zu reflektieren ist und (c) um die Mitgestaltung und Weiterentwicklung religiöser Ausdrucks- und Sprachformen. Um auf die Vielseitigkeit von Wirklichkeit hinzuweisen und diese konzentriert wahr- zunehmen, können Kunstwerke zur Ausbildung religiöser Kompetenz beitragen. Sie sind ma- terialisierte geistige Ideen, in denen sich die subjektive Weltwahrnehmung der Künstlerin oder des Künstlers äußert. Als solches sind Kunstwerke Gestaltungsäußerungen erlebter Wirklichkeit. Werke der bildenden Kunst sind eine Möglichkeit, religiösen Empfindungen und Einsichten Ausdruck zu geben. Bei der Herausbildung von religiöser Kompetenz kann Werken der bildenden Kunst demnach die Aufgabe zukommen, durch sie eine andere - als die individuell erlebte - Wirklichkeit wahrzunehmen, verfestigte Wahrnehmungsmuster zu durch- brechen, gegebene Ausdrucksmöglichkeiten zu erweitern und zu modifizieren987. Die Bild- werke Otto Pankoks können damit als Varianten der erlebten Wirklichkeit Schülerinnen und Schülern nahe gebracht werden. In ihnen widerspiegelt sich das Verständnis des Künstlers, was die christliche Tradition als ″Sünde″ bezeichnet, als ″Liebe″, ″Schuld″ oder als das ″Böse″. Solche Bildwerke in ihrer interpretatorischen Offenheit laden zu theologischer Deu- tung und Reflexion ein. Sie fordern den Betrachter in ihrer eigenen Position heraus und laden dazu ein, in Auseinandersetzung mit ihnen, die Wahrheitsfrage zu stellen. In einem dritten Sinn geht es bei religiöser Kompetenz auch um ″Gestaltungskompetenz″, um einen Begriff Rainer Volps aufzunehmen, die in jedem Wir- kungsbereich möglich ist988 – ebenso in religiöser Hinsicht. ″Gestaltungskompetenz″ meint dabei die Fähigkeit, durch Können und verinnerlichtes Wissen in einer Situation das Treffen- de tun oder formulieren zu können. Vor allem künstlerische Berufe erfordern solche Gestal- tungskompetenz. Otto Pankok fand mit seinen Bildern für sich einen Weg, den Widrigkeiten der nationalsozialistischen Herrschaft über Deutschland selbsttätig handelnd zu begegnen. Mit seinen Bildern der Passion gab er der Botschaft des Evangeliums und der Friedensbotschaft Jesu Form und bildnerischen Ausdruck.

Hermeneutische Kompetenz Hermeneutische Kompetenz wird verstanden als die Fähigkeit, „Zeugnisse früherer und ge- genwärtiger Generationen und anderer Kulturen“ zu verstehen „und auf Gegenwart und Zu- kunft hin auszulegen“989. Da es sich hierbei um festgeschriebene Kompetenzen für den Reli- gionsunterricht handelt, liegt es nahe, dass es um das Verstehen und die Auslegung biblischer

987 Rainer Volp, Kunst als Gestaltungskompetenz, 271. 988 Rainer Volp, Kunst als Gestaltungskompetenz, 272. 989 Helmut Hanisch, Unterrichtsplanung im Fach Religion, 181.

215

Texte geht. Kunstwerke zählen ebenfalls zu solchen Zeugnissen. Der Wert von Bildwerken im Unterricht eröffnet sich gerade an den Stellen, an denen das ausgewählte Bildwerk über den Text hinausgeht990. In diesem Sinn muss es im Religionsunterricht auch um die Heraus- bildung einer bildhermeneutischen Kompetenz gehen. Bildwerke als medium sui generis für den Religionsunterricht sind herausragende erzählende „Zeugnisse früherer und gegenwärti- ger Generationen und anderer Kulturen“991. Aufgabe des Religionsunterrichts sollte es sein, relevante Bildwerke für die religiöse Vermittlung in ihrer Bildsprache zum Sprechen zu brin- gen992. Das stellt für den Religionsunterricht eine Herausforderung dar, da das Ausdrucksmit- tel der Kunstwerke nonverbal ist und sich über Farbe, Form und Bildaufbau äußert. Günter Lange betont, dass Texten und Bildern gemeinsam ist, dass es sich bei beiden um „Arrange- ments handelt, in dem sich die Sichtweise, die Spiritualität, das Stilempfinden der jeweiligen Macher, ihrer Auftraggeber bzw. Adressaten, ihrer Region und Epoche spiegeln“993. Dies nicht nur aus Texten herausarbeiten und deutlich machen zu können, sondern auch an Bild- werken, stellt eine bildhermeneutische Kompetenz dar, wozu Schülerinnen und Schüler im Religionsunterricht befähigt werden sollten. In der Bilderwelt Pankoks lassen sich geeignete Bildbeispiele finden, anhand derer im Religionsunterricht Bildhermeneutik eingeübt werden kann. Deshalb werden in dieser Arbeit exemplarische Bildbeispiele Otto Pankoks didaktisch aufgearbeitet werden, die für den Religionsunterricht von hermeneutischem Wert sind. An- hand der zahlreichen Teste des Künstlers ist es denkbar, geschriebenes Wort und Kunstwerk miteinander in Beziehung zu setzen, was es den Bildbetrachtern ermöglicht, bildhermeneuti- sche Überlegungen zu verifizieren.

Ethische Kompetenz Als ethische Kompetenz bezeichnet man die Fähigkeit, moralische Probleme auszumachen, sie benennen zu können, sie „zu analysieren, Handlungsalternativen aufzuzeigen, Lösungs- vorschläge zu beurteilen, und ein eigenes Urteil zu begründen, um auf dieser Grundlage ver- antwortlich zu handeln“994. Mit Blick auf die ethische Kompetenz wird deutlich, dass Schüle- rinnen und Schüler durch erworbene Kompetenzen für die Beurteilung und Bewältigung ge- sellschaftliche Lebenswirklichkeit vorbereitet werden sollen. Dietrich Benner bezeichnet das

990 Günter Lange, Umgang mit Kunst, 249. Der Autor betont, dass das ′Wie′ seiner Gestaltung und das Neue in Bezug auf die bisherige ikonografische Tradition, den Reiz des Kunstwerkes ausmachen. 991 Vgl. dazu Günter Lange, Aus Bildern klug werden, 8. 992 Günter Lange, Aus Bildern klug werden, 8. 993 Günter Lange, Aus Bildern klug werden, 8. 994 Helmut Hanisch, Unterrichtsplanung im Fach Religion, 181.

216 in seinem vorgeschlagenen Modell als ″Partizipationskompetenz″, die Schülerinnen und Schüler dazu befähigen soll, erfolgreich am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen995. Bildende Kunst kann einen Beitrag dazu leisten, die ethische Kompetenz bei Schüle- rinnen und Schülern herauszubilden und zu schulen. Viele bedeutende Kunstwerke entstanden aus dem Wollen heraus, erlebte Wirklichkeit in künstlerischer Form zu reflektieren (siehe z.B. Pablo Picassos Bild Guernica und das Werk Francisco de Goyas996) und die darin enthaltenen Pervertiertheiten aufzuzeigen. Das lässt sich an den Kunstwerken Otto Pankoks zeigen, hinter deren Entstehen vielfach ursächlich ein konsequent gelebter Pazifismus zu sehen ist. Damit eignen sich seine Werke zur Auseinandersetzung mit Schülerinnen und Schülern im Religi- onsunterricht. Im Zyklus seiner Passion schuf er beklemmende Bildwerke, die zum Inhalt haben, wie wehrlose Menschen von einer unbarmherzigen Masse gedemütigt, gefoltert und getötet werden. Als ethische Option dagegen stellt er Jesus von Nazareth, der trotz aller An- feindung die Liebe und das baldige Kommen des Reiches Gottes predigte. Bildwerke können das Material sein, an denen Schülerinnen und Schüler ihre Wahr- nehmung sensibilisieren, ethische Probleme zu benennen, zu konkretisieren und zu analysie- ren, um dann Lösungsvorschläge und Handlungsalternativen zu erarbeiten. In diesem Sinn können sie ein wichtiger Baustein sein, um bei jungen Menschen ethische Kompetenz heraus- zubilden.

Fachkompetenz Mit Fachkompetenz wird die Bereitschaft und Fähigkeit beschrieben, fachliche Kenntnisse und Fertigkeiten zu erlangen, um Aufgaben unter Anwendung dieses Fachwissens selbststän- dig lösen und fachlich angemessen beurteilen zu können997. Vor allem die Ausbildung von Urteilsfähigkeit und Interesse am Fach sind ausschlaggebend dafür. Die Beschäftigung mit Bildwerken im Religionsunterricht kann dazu verhelfen, das Interesse der Schülerinnen und Schüler für das Fach zu gewinnen und zu vertiefen. Die Aus- einandersetzung mit bildender Kunst trägt dann zum Zugewinn an Fachkompetenz bei, wenn Kunstwerke nicht nur als Illustrationen zum biblischen Text verstanden werden, sondern in ihrem Wert Würdigung erfahren und didaktisiert im Unterrichtsgeschehen eingesetzt werden. Dann kann das Kunstwerk in seiner ihm eigenen Bildlichkeit anschaulich werden lassen, was durch Worte in dieser Weise nicht ausgedrückt werden könnte. Günter Lange verweist in die- sem Zusammenhang vor allem auf die Möglichkeit, chronologisch nachfolgende Ereignisse in

995 Michael Wermke, Bildungsstandards und Religionsunterricht, 65. 996 Vgl. dazu Jochen Krautz, Bildende Kunst und Friedenserziehung, 412. 997 Helmut Hanisch, Unterrichtsplanung im Fach Religion, 176.

217 bildlicher Gleichzeitigkeit und Durchdringung darstellen zu können998. Mit der bildnerischen Allegorie bietet sich die Möglichkeit, komplexe Inhalte zu visualisieren. Gleiches gilt für ab- strakte Begriffe wie ″Schutz″, ″Leid″ das ″Böse″ etc. Durch die Beschäftigung mit den christ- lichen Bildwerken Otto Pankoks eröffnet sich für Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit, christliche Inhalte zu erschließen und lebendig werden zu lassen. Das zeigt sich beispielswei- se in Gegenüberstellung des Bildes Sie nageln ihn ans Kreuz mit den Worten aus dem Lukas- evangelium Lk 23, 34: „Herr vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“. Kinder und Jugendliche werden somit in die Lage versetzt, die Geschichten der biblischen Überlieferung mitzudenken und mitzufühlen, was heißt, im Sinne einer Bildsprache mitzuerleben. Werke der bildenden Kunst verhelfen im Religionsunterricht zu mehr Anschaulichkeit. Schülerinnen und Schüler lernen, erworbenes Fachwissen mit visuellen Bildzeichen in Ver- bindung zu setzen und zu vernetzen. Das ermöglicht ihnen einen Zugang zur reichhaltigen christlichen Bilderwelt, die ohne theologisches Fachwissen nicht zu verstehen ist. Ohne die dazugehörigen Bibelkenntnisse bliebe Otto Pankoks Darstellung des Guten Hirten das Bild eines beliebigen Mannes mit einem Schaf im Arm.

Personalkompetenz Die Personalkompetenz, auch Selbst- oder Humankompetenz genannt, umfasst den Bereich der lebenslang andauernden Persönlichkeitsbildung. Damit werden Bereitschaft und Fähigkeit eines jeden Individuums beschrieben, die eigenen Fähigkeiten und Begabungen zu erkennen und weiterzuentwickeln999. Im Grundsatz der Ganzheitlichkeit des Menschen kann die Be- schäftigung mit Kunst einen Beitrag zur Stärkung und Ausbildung des eigenen Selbst leisten. Das gilt für Werke der bildenden Kunst ebenso wie für die Auseinandersetzung mit Musik, Literatur und Theater. Die Ausbildung und Stärkung musisch – künstlerischer Fähigkeiten wird zumindest in unserer westlichen Kultur weitgehend zugunsten anderer Kulturtechniken vernachlässigt. Mit dieser Beobachtung korrespondiert die geringe Bedeutung, die dem Kunst1000 – und Musikunterricht innerhalb des deutschen Schulsystems beigemessen wird. Malen, Zeichnen, Formen und damit jede Art des kreativen Schaffens, verstehen Kin- der (noch) als natürliches Ausdrucksmittel. Dieses Selbstverständnis verliert sich in späteren Jahren bei vielen Menschen nahezu vollständig. Damit verschließt sich der Zugang zu künst-

998 Günter Lange, Aus Bildern klug werden, 8. Der Autor spricht von der Möglichkeit eines „simultanen Mitein- anders“. Vgl. dazu u.a. die Abbildungen des 14teiligen Kreuzweges (1995) von Hetty Krist, der in der Liebfrau- enkirche in Frankfurt am Main hängt, abgebildet in Menschen leben in Traditionen, 48 – 67. 999 Vgl. dazu Helmut Hanisch, Unterrichtsplanung im Fach Religion, 175. 1000 Vgl. dazu neben vielen anderen Autoren Sabine Fett, Kunst und Bildung, 230. Die Autorin betont die fort- schreitende Marginalisierung des Kunstunterrichts an öffentlichen deutschen Schulen, der in Zeiten der Ausrich- tung auf Effizienz, vielerlei Sparzwängen zum Opfer fällt.

218 lerischen Denk- und Ausdrucksformen. Ungeübte Menschen scheuen oftmals den Kontakt mit Kunst, da sie befürchten, sie doch nicht zu verstehen. Gemäß dem Zitat Otto Pankoks sind sie in ihren Instinkten unsicher geworden1001. Die produktive Auseinandersetzung mit Kunstwerken kann dazu führen, dass künstle- rische Anteile im Menschen wach bleiben oder neu aktiviert werden. Im Erkennen und im Umgang mit speziellen Kunstqualitäten wie Eigensinn, Eigengesetzlichkeit, Raum der Frei- heit, Offenheit, Mehrdeutigkeit, Prozessorientierung, Ausdruck des Unsagbaren, Aushalten von Sprachlosigkeit, Akzeptanz des Nichtverstehbaren usw. liegt Potential für die eigene Per- sönlichkeitsentwicklung1002. In der Auseinandersetzung mit Kunstwerken ist jeder Betrachter dazu aufgefordert, solcherart Offenheit und kunstimmanente Logik auszuhalten und damit umgehen zu lernen. Das weitet den persönlichen Horizont über den Bereich der Kunst hinaus. Mit der Öffnung des Individuums hin zum Kunstwerk geht eine intrapersonale Öffnung eines jeden selbst einher. Indem Schülerinnen und Schüler lernen, sich dem Kunstwerk gegenüber zu öffnen und darüber in angemessenen Begriffen zu sprechen, lernen sie, in adäquater Spra- che ihrer inneren Gedankenwelt Ausdruck zu verleihen. Das bildnerische Werk Otto Pankoks lädt dazu ein, da die Bildformen und der Bildaufbau gewohnten Seherfahrungen entsprechen und Schülerinnen und Schüler nicht überlastet. Seine Bildgegenstände fordern junge Men- schen zur Auseinandersetzung auf. Dabei werden verschiedene Facetten ihrer Persönlichkeit angesprochen. Otto Pankoks Bildwerke christlichen Inhaltes verlangen, sich eigene morali- sche Ansprüche zu vergegenwärtigen, sich mit vorhandenen Ängsten auseinander zu setzen und sich seines Menschenbildes bewusst zu werden.

Kommunikative Kompetenz Mit kommunikativer Kompetenz werden die Fähigkeit und die Bereitschaft beschrieben, mit seiner Umwelt und seinen Mitmenschen in Austausch zu treten1003. Das wird im Unterricht als elementare Fertigkeit in verschiedenen Kommunikationsformen eingeübt. Ebenso kann durch die inhaltliche Öffnung des Faches Religion zu anderen Fächern kommunikative Kompetenz befördert werden. Das Unterrichtsfach, zu dem der evangelische Religionsunterricht vor allem durch den Anspruch auf Herausbildung und Förderung sozialer wie ästhetischer Kompetenz, in einen gewinnbringenden Austausch treten könnte, ist der Kunstunterricht1004. Hier wie dort zeigt sich der Anspruch, ein ″Mehr″ zu vermitteln als Wissen und Können. Beide Fächer

1001 Otto Pankok, Unser Glaube an das Leben (1950), in Handzeichnungen, Druckgraphik, Plastik, 13. 1002 Sabine Fett, Kunst und Bildung, 231f. 1003 Helmut Hanisch, Unterrichtsplanung im Fach Religion, 175. 1004 So auch Georg Schädle, Bilder aus der Kunst im Religionsunterricht, 276.

219 würden durch vielfache inhaltliche, methodische und konzeptionelle Berührungspunkte, z.B. in den Bereichen Malerei/Grafik, Kunstgeschichte/Architekturgeschichte und Theorielegung, voneinander profitieren. Solch eine Kooperation setzt jedoch gleichberechtigte starke Partner voraus, und da beginnt das Problem. Der Kunstunterricht an deutschen Schulen hat mit ähnli- chen Problemen zu kämpfen wie der Religionsunterricht. Im Zuge der bildungspolitischen Maßnahmen seit dem PISA-Schock 2001 zur Etablierung der Ganztagsschule zeigt sich, dass dem Kunstunterricht Gefahr droht, in das Nachmittagsprogramm der Schulen abgeschoben zu werden1005. Der Kunstunterricht sieht sich ständig in Gefahr, im Zuge der Umstrukturierung übervoller Stundenpläne, Einschnitte hinnehmen zu müssen1006. Gleichermaßen wie den Reli- gionsunterricht plagt in der schulischen Praxis den Kunstunterricht ein immerwährendes Legi- timationsproblem1007. Müssen Unterrichtsstunden eingespart werden, betrifft das am ehesten u.a. das Fach Kunst. Johannes Kirschenmann spricht von „bildungspolitisch gewollten und gesellschaftlich hingenommenen Abbrucharbeiten gegenüber der Kunstpädagogik“1008. Ein- gesperrt in ein enges Korsett aus Einzelstunden, immerwährender Materialnot und schlecht ausgestatteten Kunsträumen, die dem Einzelnen nur ungenügend Platz zur praktischen Arbeit lassen, fristet der Kunstunterricht an ″normalen Schulen″ ein trauriges Dasein. Die Koopera- tion mit einem anderen Unterrichtsfach, die inhaltliche Verzahnung gemeinsamer Problem- stellungen, Lehrertausch bzw. Teamarbeit und gemeinsamer Projektunterricht, könnten beide Unterrichtsfächer gleichermaßen stärken. Anstatt wie bislang nur ihre Fächer zu unterrichten, kämen Pädagoginnen und Pädagogen ihrem Auftrag nach, „Bildung, Erziehung, Orientierung, ästhetische Wahrnehmung und künstlerische Modi“1009 mit der Lebenswirklichkeit der Kinder und Jugendlichen zu verknüpfen. Das käme dem beiderseitig vorhandenen Anspruch auf ganzheitlichen Unterricht näher als die gegenwärtig übliche Vereinzelung von Inhalten. Als ein Versuch, dieser Tendenz entgegen zu wirken, kann diese Arbeit gelten. An ex- emplarisch ausgewählten Bildbeispielen Otto Pankoks wird gezeigt werden, welche Chancen sich im Umgang mit ihnen für den Religionsunterricht ergeben. Kunstwerke selbst sind hoch kommunikativ. Sie sind aus einem Kunstwollen heraus entstanden und sollen dem Betrachter etwas mitteilen. Über Werke der bildenden Kunst sollten die Betrachter in Austausch mitein- ander treten. Das muss nicht nur verbal geschehen, sondern kann sich im gemeinsamen künst-

1005 Barbara Wichelhaus, Künstlerisch–ästhetische Bildung, Anspruch und Realität aus institutioneller Sicht, 236. Zu diesem Ergebnis kommt die Autorin in ihrer Fallstudie aus NRW, wo seit dem Schuljahr 2003/2004 Ganz- tagsschulen etabliert werden. 1006 Barbara Wichelhaus, Künstlerisch–ästhetische Bildung, Anspruch und Realität aus institutioneller Sicht, 237. 1007 Ebenso Gert Selle, Gegen den Betrieb, 159. 1008 Johannes Kirschenmann, Aufmerksamkeit gegenüber Bildung und Bild, 12. 1009 Johannes Kirschenmann, Aufmerksamkeit gegenüber Bildung und Bild, 15.

220 lerischen Handeln vollziehen, wie das beispielsweise bei Partner- und Gruppenarbeiten der Fall ist.

Sozialkompetenz Mit Sozialkompetenz wird die Fähigkeit und Bereitschaft von Individuen beschrieben, soziale Beziehungen einzugehen, diese zu gestalten und Konflikte rational zu lösen. Dazu gehört die Fähigkeit, sich mit anderen Individuen respektvoll auseinander zu setzen und zu verständigen. Maßgebliche Vorraussetzungen für den Erwerb einer solchen Kompetenz sind die Ausbildung von Gemeinschaftssinn, Toleranz, Hilfsbereitschaft, Teamfähigkeit, Kritikfähigkeit und Soli- darität1010. In Auseinandersetzung mit Werken der bildenden Kunst können mit Schülerinnen und Schülern Methoden eingeübt werden, die für den Erwerb von Sozialkompetenz grundlegend sind. Dazu gehört in erster Linie das Tolerieren fremder Meinungen, die abweichend zu eige- nen Anschauungen stehen. Darüber hinaus bekommen Schülerinnen und Schüler im Umgang mit künstlerischen Werken die Möglichkeit, Perspektivenwechsel zu erlernen und zu schulen, wodurch sie befähigt werden, sich in Fremdperspektiven hineindenken zu können. Die Arbeit in der Gruppe setzt voraus, geäußerte Kritik am eigenen Werk auszuhalten und verantwor- tungsvoll mit der Kritik am Gegenüber umzugehen. Indem Schülerinnen und Schüler selber künstlerisch aktiv werden, erwerben sie in Auseinandersetzung mit den Werken ihrer Mit- schülerinnen und Mitschüler die Fähigkeit, diese aufmerksam wahrzunehmen und als einma- lige, eigenständige Leistungen zu würdigen. Die Kunstbetrachtung innerhalb einer Gruppe setzt ein hohes Maß an Toleranz voraus, die Meinungen und Ansichten anderer akzeptieren zu können und die eigenen Anschauungen als nur eine Möglichkeit neben anderen zu relativie- ren. Gerade in der Auseinandersetzung mit Kunstwerken haben Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit, die Unfassbarkeit, das Unkonkrete und die Offenheit bestimmter Dinge zu ver- stehen. In der Auseinandersetzung mit bildender Kunst lernen sie zu begreifen, dass es nicht die eine Wahrheit gibt. In diesem Sinn wirkt die Auseinandersetzung mit Werken der bilden- den Kunst eindimensionalen Tendenzen und Anschauungen entgegen. Dies fördert die Aus- bildung einer Sozialkompetenz. Die Schulung der Sozialkompetenz sollte zum Ziel haben, sich zunehmend sicherer und intuitiver in andere Menschen hineinversetzen zu können. Das beherrschte Otto Pankok Zeit seines Lebens. Er verfügte über eine hohe Sozialkompetenz, die es ihm möglich machte, zu Menschen soziale Beziehungen einzugehen, die von der Gesellschaft ausgestoßen und

1010 Helmut Hanisch, Unterrichtsplanung im Fach Religion, 175.

221 kriminalisiert wurden. Seine Bildfiguren sind durchweg Personen, die unser Mitgefühl anre- gen. Als Beispiel sei auf seine Zigeunerbilder verwiesen. Kaum zu ertragen sind die von Hunger und Krankheit gezeichneten Kinder, die mit übergroßen Augen den Betrachter an- schauen. Die offensichtliche Kälte und die zerschlissene Kleidung zeugen von Elend und Krankheit1011. Im gemalten Evangelium Otto Pankoks, der Passion, lassen sich Bildbeispiele finden, anhand derer die Wahrnehmung sozialer Missstände geschult werden kann. Deutlich wird das auf dem Bild Nr. 48 der Passion, Sie nageln ihn ans Kreuz, welches im Schlusskapi- tel dieser Arbeit näher besprochen wird.

Methodenkompetenz Methodenkompetenz beschreibt die Fähigkeit und Bereitschaft von Menschen, erworbene Denkverfahren und Lösungsstrategien selbstständig anwenden und diese reflektierend hinter- fragen zu können. Weiterhin geht es um die eigenständige Bewältigung von Aufgaben und um die Entwicklung von Lernstrategien. Grundvoraussetzungen zur Ausbildung von Metho- denkompetenz sind demnach Reflexionsvermögen, Konzentrationsfähigkeit, Frustrationstole- ranz, Kombinationsgabe, Sorgfalt und Fantasie1012. Im planvollen Umgang mit Werken der bildenden Kunst lässt sich für Schülerinnen und Schüler an der Ausbildung einer Methoden- kompetenz arbeiten. Ohne Anleitung verlaufen Bildbetrachtungen und Bildbesprechungen zumeist unsystematisch und werden stark von persönlichen Empfindungen geleitet. Der erste eigene Seheindruck bestimmt häufig die Deutung des Bildes. Im Gegensatz dazu erfolgt die Entstehung von Kunstwerken äußerst systematisch und planmäßig1013, was in der Arbeitswei- se Otto Pankoks deutlich wird. Werden Werke der bildenden Kunst als Materialisierung gei- stiger Ideen verstanden, dann geht es in der Kunstbetrachtung darum, diesen Ideen auf die Spur zu kommen. Unterschiedliche Methoden im Umgang mit einem Bildwerk können Schü- lerinnen und Schülern dazu verhelfen, Kunstwerke zum Sprechen zu bringen. Verfügt der Betrachter über ein entsprechendes Methodenrepertoire, wird es ihm selbstständig möglich sein, den Inhalt von Bildwerken zu erschließen. In dieser Arbeit wird im neunten Kapitel anhand ausgewählter Bildbeispiele gezeigt werden, wie im Religionsunterricht gewinnbringend mit Bildwerken Otto Pankoks umgegan- gen werden kann. Bei den methodischen Vorschlägen steht die Eigentätigkeit der Schülerin- nen und Schüler im Vordergrund. Im Umgang mit Bildwerken des Künstlers werden sie dazu angehalten, ihre Methodenkompetenz auszubauen, indem sie sich auf verschiedene Weise mit

1011 Vgl. dazu Otto Pankok, Zigeuner (1956). 1012 Helmut Hanisch, Unterrichtsplanung im Fach Religion, 176. 1013 Vgl. dazu Michaela Breckenfelder, „Was will denn die Frau mit dem Engel da?“, 79.

222 dem Bild inhaltlich und formal auseinandersetzen. Durch ihre christlichen Bildthemen und Bildgegenstände sind die Werke Otto Pankoks dazu prädestiniert, dies im Religionsunterricht zu tun. Mädchen und Jungen erfahren somit, dass Kunstwerke fachlich gewinnbringend be- trachtet und näher unersucht werden können. Das schärft ihr Bewusstsein dafür, dass Kunst- werke Zeugnisse historischer und gesellschaftlicher Entwicklungen sind.

Ästhetische Kompetenz Als ästhetische Kompetenz wird die Fähigkeit beschrieben, Wirklichkeit, insbesondere Werke der bildenden Kunst, Musik und Literatur sensibel wahrnehmen zu können und „auf Motive und Visionen hin zu befragen und selbst kreativ tätig“ zu werden1014. Entgegen diesem An- spruch provoziert Günter Lange mit den Worten, dass ein Großteil der Unsicherheit im Um- gang mit moderner Kunst und vor allem mit den zeitgenössischen Werken in einer generellen Berührungsangst des Menschen mit allem Modernen begründet liegt. Nach seiner Auffassung hinkt die Kunstrezeption in der Schule der tatsächlichen künstlerischen Entwicklung weit hin- terher. 1991 (!) würden im Unterricht gerade mal die Väter der Moderne adäquat wahrge- nommen. Damit beschäftigen sich Schule und Unterricht letztlich nur mit dem von der Ge- sellschaft bereits Wahrgenommenen1015. Mit Blick auf die Ausbildung von ästhetischer Kom- petenz im Religionsunterricht hieße das, dass weniger erlebte Wirklichkeit ästhetisch wahrge- nommen, sondern vielmehr Vergangenheit ästhetisch rezipiert wird. Sollen Werke der bildenden Kunst zum festen Bestandteil des Religionsunterrichts werden, dann müssen Unterrichtende wie Lernenden neben der Lesekompetenz von Texten vor allem eine Bildlesekompetenz ausbilden. Dem entsprechend gehört der verstärkte Erwerb von ästhetischer Kompetenz zum unbedingten Muss einer modernen Religionspädagogik. Viele Kinder und Jugendliche kommen in ihrem familiären Raum nicht mit Kunstwerken in Berührung. Gemeinsam mit ihrer Familie besuchen sie keine Kunstausstellungen oder Gale- rien und nur selten Museen1016. Die Ausbildung einer ästhetischen Kompetenz mit Blick auf bildende Kunst obliegt nahezu vollständig der Verantwortung von Schule und außerschuli- scher Arbeit, z.B. dem Konfirmandenunterricht, Kinderkunstschulen und fakultativen Kunst- kursen.

1014 Helmut Hanisch, Unterrichtsplanung im Fach Religion, 181. 1015 Günter Lange, Zum religionspädagogischen Umgang mit modernen Kunstwerken, 117. 1016 Dies bestätigt eine von mir im Rahmen des Kunstunterrichts vorgenommene Befragung von Schülerinnen und Schülern aus Neubrandenburg (Mecklenburg-Vorpommern) der Klassenstufe 5. Von ca. 45 Mädchen und Jungen gaben nur 2 (!) an, schon einmal mit den Eltern oder den Großeltern in einer Kunstausstellung oder Ge- mäldegalerie gewesen zu sein. Bei technischen Museen sähe das Ergebnis wahrscheinlich anders aus.

223

Ästhetische Kompetenz meint, mit sinnlichen Eindrücken umgehen, diese auswerten und verbalisieren zu können. Über ästhetische Kompetenz zu verfügen heißt auch, ästhetische Qualität zu würdigen, wenn sie sich nicht mit persönlichem Geschmack deckt. Dahinter steht das lebenslange Bemühen, ästhetische Wahrnehmung offen und erweiterbar zu halten. Wird eine solche Fähigkeit nicht ausgebildet und geschult, verfestigt sich Berührungsangst gegen- über Kunst im weitesten Sinne. Kunsturteile gründen dann zumeist auf persönlichem Ge- schmack und münden nicht selten in Kunstverurteilungen. Ästhetische Kompetenz im Religionsunterricht zu schulen und auszubilden heißt auch, sich dem zu stellen, was bildende Kunst an Mehrwert für das Fach Religion bereithält. An den christlichen Bildwerken Otto Pankoks kann gut nachvollzogen werden, an welcher Stelle das Kunstwerk zum locus theologicus wird. „Zeitgenössische Kunst bietet viel Radikales, Span- nendes, Neues, neben vielen offenen Fragen aber auch verbindliche Aussagen“, schreibt der Leiter des Museums für Neue Kunst (ZKM) in Karlsruhe1017. Die Bildwerke Otto Pankoks bieten im Rahmen des Religionsunterrichts einen hervorragenden Einstieg, ästhetische Kom- petenz auszubilden und zu schulen. In seiner Bildsprache bewegt sich Otto Pankok im Span- nungsfeld von Konvention und Provokation. Der erste Seheindruck überfordert Schülerinnen und Schüler nicht in ihren Sehgewohnheiten. Für sie steht zu Beginn der Arbeit mit dem Kunstwerk das positive Erlebnis, auf dem Bild tatsächlich erst einmal etwas zu erkennen. Bildgegenstände und Motive entsprechen zumeist konventionellen künstlerischen Darstellun- gen. In seiner Formensprache, dem Malgestus, der inhaltlichen Betonung und der individuel- len Perspektive auf das Dargestellte erreicht Otto Pankok große inhaltliche Tiefe und kommt somit zu einer eigenen theologischen Deutung des Geschehens.

8. 5. 1 Die ganzheitliche Bilderfassung als kompetenzorientiertes Arbeiten mit Werken der bil- denden Kunst im Religionsunterricht

In dieser Arbeit wird das Ziel verfolgt, geeignete Bildwerke Otto Pankoks für den Religions- unterricht exemplarisch aufzubereiten. Dabei stellte sich heraus, dass vor allem der biografi- sche Werdegang und die religiöse Entwicklung des Künstlers einen zweckdienlichen Zugang zu seinen christlichen Bildgegenständen und Bildmotiven bereithalten. Mit Günter Langes Konzept der ″Stufenweisen Bilderschließung″ wurde ein Verfahren vorgestellt, das es mög- lich werden lässt, im Fach Religion Werke der bildenden Kunst für Schülerinnen und Schüler zum Sprechen zu bringen und auf diese Art verstehbar werden zu lassen. Der Anspruch, der

1017 Das intuitive Erleben von Schönheit, Interview mit Andreas Beitin in KU-Praxis 50/2006, 68.

224 diesem Ansatz zugrunde liegt, Sehprozesse zu verlangsamen, um ″Sehen″ zu lernen, kann als grundsätzliche Herangehensweise im Umgang mit bildender Kunst gelten. Die stufenweise Bilderschließung nach Günter Lange endet mit der Frage Was bedeu- tet das Bild für mich?1018 Damit findet letztendlich die Rückkopplung des Bildinhaltes auf die Lebenswirklichkeit der Schülerinnen und Schüler statt. Gleichzeitig bedeutet diese fünfte Stu- fe die Kontrolle des bis dahin stattgefundenen Erkenntnisgewinns. Gefragt wird danach, ob die Schülerinnen und Schüler in der Lage sind, den Bildgegenstand mit ihrer Lebenswirklich- keit in Beziehung zu setzen. Die stufenweise Abfolge der Erkenntnisstufen lässt deutlich wer- den, dass Günter Lange vom Allgemeinen (Stufe 4: Was hat das Bild zu bedeuten?) auf das Konkrete schließt (Stufe 5: Was bedeutet das Bild für mich?). Bis dahin wurde nach Günter Langes Modell verbal dem Bildgeschehen und Bildinhalt nachgegangen, um eine Bilddeutung möglich werden zu lassen. Damit tut sich ein Paradoxon auf: Bildinhalte und Bildgegenstände ausschließlich verbal beschreibend erfassen zu wollen, belässt das vielsinnliche Bildwerk im kognitiven Bereich. Im Religionsunterricht kann deshalb die Erarbeitung dieser beiden letzten Erkenntnisstufen durch methodische Ansätze aus der Praxis der Kunstpädagogik erleichtert und bereichert werden, sodass über das kognitive Erfassen des Bildinhaltes ein ganzheitliches Erfahren möglich wird. Zwischen Günter Langes geduldigem ″Sehen-lernen″ und der letzt- endlichen Bilddeutung sollen deshalb im Folgenden praktische Vorschläge gesetzt werden, wie mit exemplarisch ausgewählten Bildern Otto Pankoks methodisch umgegangen werden kann. Die Vorschläge orientieren sich durchweg an den Kompetenzen, die für den Religions- unterricht festgeschrieben wurden. Grundlegend soll dabei die handelnde Schülertätigkeit sein. Indem die Schülerinnen und Schüler mit und an dem betreffenden Bildwerk handelnd tätig werden, was über das Anschauen und den Austausch über Seheindrücke hinaus geht, setzen sie sich mit dem Bildwerk in Beziehung. Handelnd beginnen sie, das Bildgeschehen wahrzunehmen. Das, was bei einem geschulten Betrachter im Kopf passiert, müssen Kinder und Jugendliche mit allen ihren Sinnen begreifen können. Sie sollten die Möglichkeit be- kommen, sich auf jede erdenkliche Art in das Bild hineinversetzen zu können – sei es durch Anfassen, Riechen, Schmecken, Hören oder Reden. Den Möglichkeiten sind da keine Gren- zen gesetzt. Die Künstlerin Cindy Sherman (* 1954) macht es professionell vor, welche ver- blüffende Wirkung es haben kann, historische Bildwerke nachzustellen und das Resultat im Foto festzuhalten1019. Solches Vorgehen ist mit etwas Vorbereitung und Aufwand innerhalb des Unterrichtsgeschehens möglich. Auf diese Weise ″personifizieren″ sich Bildfiguren, die von der Lerngruppe zu ihrer Funktion innerhalb des Bildgeschehens befragt werden können.

1018 Günter Lange, Aus Bildern klug werden, 8. 1019 Vgl. dazu Johannes Kirschenmann/Frank Schulz, Bilder erleben und verstehen, 48.

225

Fiktive Dialoge können sich da entspinnen, die das Bildgeschehen aus sich selbst heraus er- läutern. Der Lehrerin und dem Lehrer kommt bei diesem Vorgehen die Rolle des Begleiters und Moderators zu. Primär sind es die Mädchen und Jungen, die durch ihre individuelle Le- benserfahrung einen Bezug zum ausgewählten Bildwerk herstellen. Ihre Sichtweise auf die Welt, die Dinge und die Menschen ist der Maßstab, mit dem sie das betreffende Kunstwerk deuten. In dem Maße, wie sie das Bild mit ihrer Lebenswirklichkeit und Erfahrungswelt in Verbindung bringen können, wird es für sie von Bedeutung sein. Mit den christlichen Bildwerken Otto Pankoks liegen Bilder vor, die in vielfältiger Weise mit den Kompetenzen des Religionsunterrichts in Verbindung gebracht werden kön- nen. Viele der Motive und Bildthemen Otto Pankoks lassen sich zudem mit der Erfahrungs- wirklichkeit heutiger Kinder und Jugendlicher verknüpfen. Dies soll im Folgenden anhand von 13 Bildbeispielen ausführlich erläutert werden.

9. Exemplarische Auswahl geeigneter Bildwerke Otto Pankoks für den evangelischen Religionsunterricht

Bei der Unterscheidung zwischen ″Inhalt″ und ″Gehalt″ nach Paul Tillich wurde gezeigt, dass nahezu allen Bildwerken Otto Pankoks ein christlicher ″Gehalt″ zugesprochen werden kann. Von der Zielstellung dieser Arbeit ausgehend sollen im Folgenden nur solche Bildwerke Otto Pankoks bearbeitet werden, die sich für den Einsatz im Religionsunterricht eignen. Es werden demnach im Folgenden ausschließlich Bilder Beachtung finden, die, über ihren christlichen ″Gehalt″ hinausgehend (a) einen eindeutig bestimmbaren christlichen ″Inhalt″ aufweisen. Angesichts der Vielzahl der Bildwerke Otto Pankoks mit christlichem Inhalt kann es sich deshalb nur um eine exemplarische Auswahl handeln. Die Auswahl der Bildwerke richtete sich nach der Leitfrage (b), ob das betreffende Bild heutigen Schülerinnen und Schülern in ihrer Erfahrungswelt etwas zu sagen hat und ob aus einer Beschäftigung mit ihnen (c) eine Stärkung, der für den Religionsunterricht festge- schriebenen Kompetenzen, zu erwarten ist. Aus dem Œuvre der christlichen Bilder Otto Pan- koks sind deshalb nur Bildwerke ausgewählt worden, die mit vielen der neun Kompetenzbe- reiche in Beziehung gebracht werden können. Grundlegend ist dabei die Annahme, dass jedes christliche Bild unterschiedlich nachhaltig die Ausbildung der einzelnen Kompetenzen för- dern kann. Vorraussetzung dafür ist, dass es in seiner spezifischen Aussage und seinem Inhalt zum Sprechen gebracht werden kann. Folgende Feinkriterien bestimmten außerdem die Bildauswahl: (a) Es werden nur sol- che Bildwerke in die engere Auswahl gezogen, die eindeutig christlichen Inhaltes sind, die

226 einen christlichen Bildgegenstand aufweisen und in denen ein eindeutiges christliches Motiv auszumachen ist. Häufig wird dabei der christliche Bildgegenstand durch den Titel bestimmt. (b) Da sich die meisten Bildgegenstände im Œuvre Otto Pankoks wiederholen, wurde exem- plarisch auf ein bestimmtes Bildwerk zurückgegriffen, woran sich didaktisch gewinnbringend in unterschiedlichster Form im Religionsunterricht arbeiten lässt. (c) Die Auswahl fand da- hingehend statt, dass sich die Verschiedenheit der christlichen Bildgegenstände in der exem- plarischen Auswahl für den Religionsunterricht widerspiegelt. (d) Die Auswahl der Bildwerke folgte dem Grundsatz, dass in ihr die christlichen Themen deutlich werden (z.B. Liebe/das Böse/Sünde etc.), mit denen sich Otto Pankok in seinem bildnerischen Werk auseinanderset- ze. Die didaktische Aufarbeitung der Bilder folgt einem festen Schema, das sich in vier Schritten aufbaut: Nachdem in das betreffende Bild inhaltlich eingeführt und dem Entste- hungsumfeld Rechnung gezollt wurde (Schritt 1), soll der betreffende Bildgegenstand in der Lebenswirklichkeit der Schüler (Schritt 2) verankert werden. Gefragt wird, wo heutigen Kin- dern und Jugendlichen in ihrer Lebenswelt das Thema und das damit verbundene theologische Motiv begegnet, z.B. das Thema ″Engel″, ″Prophet″ oder ″Schuld″. Das entspricht der be- gründeten pädagogischen Forderung Klafkis, Bildungsinhalte daraufhin zu untersuchen, wel- che Bedeutung sie im Leben der Mädchen und Jungen haben1020. Erst aus dieser Verortung der Bildwerke in der Lebenswirklichkeit der Schülerinnen und Schüler leitet sich die religi- onspädagogische Aufarbeitung des Bildwerkes ab. In gebotener Kürze erfolgt eine religions- didaktische Konkretion (Schritt 3), die zu erörtern versucht, unter welcher didaktischen Fra- gestellung im Religionsunterricht gewinnbringend mit dem betreffenden Bild gearbeitet wer- den kann, sodass Otto Pankoks Bildwerke für Schülerinnen und Schüler zu einem locus theo- logicus werden. Leitend soll die Frage sein: Was können Schülerinnen und Schüler in der Auseinandersetzung mit Bildwerken Otto Pankoks lernen? Dies wird an den ausgewiesenen Kompetenzen für den Religionsunterricht deutlich gemacht werden, indem auf die verwiesen wird, die die Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Bildwerk befördert. Als vierter Schritt werden jeweils zwei methodische Impulse folgen, die exemplarisch aufzeigen, wie sich, ausgehend von den Bildwerken Otto Pankoks, eine weiterführende Arbeit mit Kindern und Jugendlichen im Religionsunterricht gestalten kann. Dem Anspruch Günter

1020 Vgl. dazu Anton A. Bucher, „Das Bild gefällt mir, da ist ein Hund drauf“, 209. Der Autor beklagt, dass die- ser Forderung Klafkis vor allem in der Arbeit mit Werken der bildenden Kunst kaum Rechnung getragen wird, da davon ausgegangen wird, dass sich Kindern und Jugendlichen alle Bildwerke gleich gut erschließen. Anton A. Bucher kann dem unter Verweis auf den Umgang von Schülerinnen einer vierten Klasse mit Pablo Picassos Bild Guernica widersprechen. Auch Hubertus Halbfas verwendet in seinem 2010 erschienenen Lehrbuch für die Klasse 4 Pablo Picassos Bild Guernica. Er stellt dem gegenüber Otto Pankoks Holzschnitt Christus zerbricht das Gewehr. In Hubertus Halbfas, Religionsbuch für das 4. Schuljahr (2010), 16.

227

Langes folgend,1021 werden Möglichkeiten gezeigt, methodisch kunstadäquat zu arbeiten. Das meint, dass im religionspädagogischen Umgang mit Werken der bildenden Kunst deren ästhe- tischem Mehrwert Rechnung getragen werden muss, damit ihnen Schülerinnen und Schüler selbstschöpferisch und eigentätig handelnd begegnen können. Hinter diesen Überlegungen steht die Frage: Worin liegt der zentrale Wert des Bildes in Bezug auf die für den Religions- unterricht ausgewiesenen Kompetenzen? Auf keinen Fall soll mit diesen methodischen Vor- schlägen der Anspruch erhoben werden, den einzig ″richtigen″ Weg zu weisen, wie mit die- sem Bildwerk im Religionsunterricht umzugehen sei.

9. 1 Die traurigen Engel Otto Pankoks: Weinende Engel (WL 55, 1935) und Trau- ernder Engel (WL 59, 1935)

Otto Pankok schuf im Verlauf seines künstlerischen Schaffens viele Engelsdarstellungen. Am bekanntesten sind dabei die beiden Engel der Lithografie Weinende Engel von 1935, die als vorangestellte Vignette Otto Pankoks Vorwort zur Passion einleiten. Der Dichter Herbert Eulenberg (1876-1949), Dramaturg am Düsseldorfer Schauspielhaus, widmete ihnen sein „Sonett an die beiden Engel und ihren Schöpfer“. Darin heißt es:

Die beiden Engel, die du mir gesandt, Sie schweben angstvoll über diese Welt […] Der eine Engel ist entsetzt und hält Die Augen zu und von uns abgewandt. Der andere hat die Flügel mild entspannt, Er weist bestürzt auf das, was ihm missfällt. […]1022

1021 Günter Lange, Zum religionspädagogischen Umgang mit modernen Kunstwerken, 116. 1022 Herbert Eulenberg (1876 – 1949) „Sonett an die beiden Engel und ihren Schöpfer“ aus Rudolf Dehnen, Schriftenreihe der Otto-Pankok-Gesellschaft „Haus Esselt“, o. J., o. S..

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Mit diesen Worten charakterisiert der Dichter eine Eigentümlichkeit der Pankokschen Engel. Sie wirken alle bedrückt und niedergeschlagen. Solch ein trauriger Engel bildet den Ab- schluss des Vorwortes der Passion. Mit dieser zweiten Vignette Trauernder Engel schloss der Künstler einen Rahmen, der das Thema der Passion in sich birgt.

Da er das solcherart umrahmte Vorwort verfasste, gehen Text und Bild eine stimmige Symbi- ose ein. Dabei liefert die vorangestellte Vignette Weinende Engel einen hermeneutischen Zu- gang zum Verständnis der Passion, in deren Bildbestand von 60 Einzelbildern sich keine wei- tere Engeldarstellung findet. Ganz anders dagegen im weiteren lithografischen Œuvre des Künstlers. Darin lassen sich weitere Engelsdarstellungen aufzeigen.

9. 1. 1 Verortung der Thematik in der Lebenswirklichkeit der Schülerinnen und Schüler

Der Engel ist wahrscheinlich die religiöse Figur, die noch in unserer säkularen Welt fortwäh- rend an Popularität gewinnt1023. Gleichwohl fragt sich, welche Funktion der Engel als ″Bote Gottes″ hat, wenn er im areligiösen, konfessionslosen und entkirchlichten Rahmen auftritt. Menschen, die nicht mehr bereit sind auf Gottes Wort zu hören, brauchen keine Überbringer seiner Botschaften. Dagegen steht die Tatsache, dass Engel große Popularität genießen1024. Der Engel erfuhr dabei in seiner Funktion einen Bedeutungswandel. Seit dem Barock gibt es in der bildenden Kunst den Typ des ″Schutzengels″, der den Menschen begleitet, ihm hilft oder aus Lebensgefahr errettet1025. Dieser Engeltyp blieb bis heute populär, weil die Sehn-

1023 Vgl. dazu Manfred Becker–Huberti, Lexikon der Bräuche und Feste, 83. 1024 Manche Autoren sprechen diesbezüglich von einem „Engelboom“, so auch Elvira Feil-Götz/Dorothee Fü- ting, Engel – Boten Gottes, 195. 1025 Christliche Ikonographie in Stichworten, Engel, 115.

229 sucht des Menschen nach Schutz und persönlichem Behütet-Sein unverändert hoch blieb1026. Je deutlicher sich der Mensch seiner existenziellen Bedrohtheit bewusst wird, desto stärker wird sein Verlangen nach Schutz. Viele Menschen wünschen sich wohl dann und wann einen Schutzengel, der sie in Gefahren behütet. Der Evangelische Gemeindekatechismus befindet, dass es nicht falsch ist:

„[…] wenn Eltern ihren Kindern etwas vom Schutzengel sagen. Der Majestät Gottes geht darum nichts ab. Den Kindern kann vielmehr deutlich werden, dass die Welt keine riesige, grausame und gefühllose Maschine ist.“1027

In diesem Sinn wird durch den Engel ″das Gute″ personifiziert. In seiner Sanftheit hat er et- was Tröstliches. Der Engel ist eine Figur, an der sich dieses Bedürfnis nach Reinheit und Hei- ligkeit stillen kann. Manche Menschen verspüren Sehnsucht nach dem Heiligen, obwohl sie nicht an Gott glauben. Davon künden geflügelte Worte in unserer Alltagssprache (Du bist ein Engel!/Er macht ein Engelsgesicht./Das Kind hat Haare wie ein Engel./ein Engelkuss/ Engels- löckchen/ Die Chorkinder haben engelsgleiche Stimmen./ Die Grundschullehrerin hat eine Engelsgeduld. uvm.) und der florierende Umsatz von Produkten (Figu- ren/Bücher/Spruchkarten)1028, die um die Figur des Engels entstanden sind und weiterhin ent- stehen. Ein ebensolches Phänomen sind die Spielfilme, in denen Engel vorkommen, wie z.B. in „Drei Engel für Charlie“1029, „Dogma“1030 und „Himmel über Berlin“1031. Engel bringen etwas mit von der Reinheit der Sphäre, aus der sie kommen. Ihnen haf- tet etwas Heiliges und Reines an, was sie für moderne Menschen interessant macht. Sie sym- bolisieren das Heile in unserer unheilen Welt, d.h. sie sind Künder des Heils. Die Figur des Engels bürgt als Überbringer der Botschaft Gottes für die Heiligkeit, aus der er kommt. Dies- bezüglich müssen Otto Pankoks Engel auf Schülerinnen und Schüler erst einmal verstörend wirken, da die den Engeln zugesprochene Milde und Güte in Entsetzen und Trauer umge- schlagen ist. In dieser verstörenden Eigenschaft liegt die religionspädagogische Chance, die sich aus Otto Pankoks Engelsdarstellungen ergibt. Dieses irritierende Moment kann religions- didaktisch im Unterricht genutzt werden, da es möglich wird, die Engelvorstellungen der Schülerinnen und Schüler kritisch in Frage zu stellen und vom Lack des Klischees zu befrei- en.

1026 Vgl. dazu Manfred Becker–Huberti, Lexikon der Bräuche und Feste, 83. Der Autor verweist in seinem Arti- kel auf eine Forsa – Umfrage aus dem Jahr 1995, wonach jeder zweite Deutsche glaubt, einen persönlichen Schutzengel zu haben. 35 % der Deutschen sind sich sicher, dass es Engel wirklich gibt. 1027 Evangelischer Gemeindekatechismus, 152. 1028 Manfred Becker–Huberti, Lexikon der Bräuche und Feste, 83. Der Autor stellt fest, dass Engel in den letzten Jahren zunehmend populär wurden, nachdem sie phasenweise in der Geschichte gar keine Rolle mehr spielten. 1029 Drei Engel für Charlie, Produktionsjahr 2000, Regisseur Joseph McGinty. 1030 Dogma, Produktionsjahr 1999, Regisseur Kevin Smith. 1031 Der Himmel über Berlin, Produktionsjahr 2005, Regisseur Wim Wenders.

230

9. 1. 2 Religionsdidaktische Konkretion

Die Übersetzung des Wortes angelos aus dem Griechischen bedeutet ″Engel″ und ″Bote Got- tes″. Der Engel ist demnach keine eigenständige Figur, sondern steht immer in einer bestimm- ten Funktion zu Gott1032. Gerade in dieser unauflöslichen Funktionszuschreibung besteht für den Religionsunterricht die Aufgabe, sich mit dem Phänomen ″Engel″ auseinanderzusetzen und sich somit vom Esoterikmarkt abzuheben, der den Engeln ein eigenständiges Wesen und Agieren zuspricht1033. Deswegen enden die drei in der Bibel namentlich erwähnten Engel Mi- chael, Gabriel und Raphael auf die Silbe ″El″, was im Hebräischen eine Gottesbezeichnung ist1034. Der Engel verweist auf einen Gott, der nicht unerreichbar und abgesondert von den Menschen ist, sondern durch Engel eine Verbindung zu ihm herstellt. Als Boten Gottes wer- den Engel gemäß der biblischen Überlieferung zu den Menschen auf die Erde gesandt. An- sonsten umstehen sie lobpreisend Gottes Thron. In ihrer Funktion als Boten kommen die En- gel verschiedenen Aufgaben nach. So können sie den Menschen etwas verheißen (1. Mose 15), ihnen etwas verkündigen (Ri 13/Lk 1/Lk 2). Sie können lobpreisen (Offb 5), versöhnen (Jes 6) und schützen (1. Kön 19/Mt 1). Im Neuen Testament schildert ein Text der Johannes- apokalypse (Offb 14,6) wie ein Bote Gottes zu den Menschen durch den Himmelsraum fliegt. Außer den Seraphim und den Cherubim haben alle Engel Menschengestalt1035. Seit der frühen Kunstgeschichte werden Engel in männlicher Gestalt (Offb 14,4), bekleidet mit weißen we- henden, antiken Gewändern, dargestellt. Sie setzen sich zusammen aus Kleid und gegürtetem Überkleid. In den frühen Darstellungen des 3. Jahrhunderts hatten Engel noch keine Flügel. Erst Ende des 4. Jahrhunderts kamen die Flügel hinzu, die schließlich in der Folgezeit zum wesentlichen Erkennungsmerkmal eines Engels werden sollten. Im Hochmittelalter kamen die ersten Engel in Kindergestalt auf, die sich typologisch an der Darstellung des antiken Gottes Amor orientierten. Seit dem 12. Jahrhundert existieren musizierende Engel, wie wir sie aus dem bildnerischen Werk Otto Pankoks kennen. Sie spielen die für Menschen nicht hörbare Sphärenmusik (Offb 14,2) oder blasen die Posaunen des Weltgerichts1036. Auch Martin Luther befasste sich mit Engeln. Für ihn stand außer Frage, dass es sie gibt. Seiner Auffassung nach waren sie fleischlos und mit dem Auftrag ausgestattet, die Men-

1032 Vgl. dazu auch Evangelischer Gemeindekatechismus, 150. 1033 Siehe Elvira Feil-Götz/Dorothee Füting, Engel – Boten Gottes, 195. 1034 Siehe dazu Manfred Becker-Huberti, Lexikon der Bräuche und Feste, 83. 1035 Lexikon christlicher Kunst, Engel, 100. 1036 Lexikon christlicher Kunst, Engel, 100.

231 schen – hauptsächlich die Kinder -, zu schützen und zu trösten1037. Luther empfahl den Er- wachsenen, Kindern von Schutzengeln zu erzählen, um ihnen einen Teil ihrer Ängste zu nehmen, da die kindliche Existenz in seinen Augen schutzbedürftig und verletzlich war1038. Die Gewissheit, einen starken Schutzengel an der Seite zu haben, könnte Kinder in vielen Situationen stärken. Doch nicht nur Kinder sah Martin Luther in Beziehung zu Engeln stehen. Für die Erwachsenen bat er gleichfalls in seinem täglichen Morgen- und Abendsegen:

„Dein heiliger Engel sei mit mir, dass der böse Feind keine Macht an mir finde.“1039

Der Künstler knüpft mit seine Engelsdarstellungen an die ursprüngliche Form des En- gels an. Er verortet Engel so wenig im Bereich des Kinderglaubens wie Martin Luther, son- dern stellt sie in seinem Werk als selbstverständliches christliches Glaubensgut dar. Weder bezieht er seine Engelsdarstellungen spezifisch auf Weihnachten, noch stellt er sie in Bezug zu Kindern. In seinem bildnerischen Werk finden sich durchweg geschlechtslose, ″erwachsen″ wirkende Engel. Engel in Kindergestalt finden sich nicht. Er verortet die Engel dort, wo sie der Text der Johannesapokalypse sieht: auf ihrem Weg von Gott zu den Menschen, schwe- bend im sphärischen Raum1040. Otto Pankoks Engelsdarstellungen haben miteinander so viel gemeinsam, dass sie in dieser Arbeit als Typ des ″traurigen Engels″ besprochen werden sollen. Dieser Typ der En- geldarstellung hat in der Kunstgeschichte Tradition. Üblicherweise findet man sie in Zusam- menhang mit Darstellungen, die sich thematisch um Tod und Kreuzigung Jesu bewegen. Eine der bekanntesten dieser Darstellungen ist Giottos Beweinung Christi (um 1267-1337), die auf den Wandfresken der Scrovegni-Kapelle (um 1305/06) in Padua zu sehen sind. Von den dort dargestellten Engeln berichtete ein Italienreisender:

„[…] am meisten [erstaunte mich, A.d.A.] die lautlose Klage, die seit nahezu siebenhundert Jahren von den über dem unendlichen Unglück schwebenden Engeln erhoben wird. Wie ein Dröhnen war diese Klage zu hören in der Stille des Raums. Die Engel selbst aber hatten die Brauen im Schmerz so sehr zusammengezogen, dass man hätte meinen können, sie hätten die Augen verbunden.“1041

Giottos verzweifelte Engel bilden einen herben Gegensatz zu den äußerlich gefasst wirkenden Personen auf der Erde, die um den Leichnam Jesu stehen. Die Engel schwirren ziellos am Himmel hin und her. Sie halten sich klagend die Hände vor das Gesicht, verdecken mit dem

1037 Vgl. dazu Martin Sander-Gaiser, Lernen als Spiel bei Martin Luther, 116. 1038 Martin Sander-Gaiser, Lernen als Spiel bei Martin Luther, 117. 1039 Zitiert nach dem kleinen Katechismus von 1529 bei Martin Sander-Gaiser, Lernen als Spiel bei Martin Lu- ther, 118. 1040 Vgl. dazu Otto Pankoks Kohlegemälde Engelschar von 1949, einzusehen im Bilderbestand des Otto-Pankok- Museums in Hünxe/Drevenack. 1041 Der Reisende W. G. Sebald, zitiert bei Marianne Gronemeyer, Das Perfekte ist das Böse, 109.

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Kleid ihre Augen und bäumen sich vor Schmerz auf. Otto Pankoks Engel weisen eine ähnli- che Verfasstheit auf, obwohl sie alleiniger Bildgegenstand sind. Der Darstellung fehlt inhä- rent der Kontext, aus dem sich die Betroffenheit der Engel erschließen ließe. Das zeichnet solcherart Darstellung als Vignette aus. Da Otto Pankok sie der Passion voranstellt, wird der von ihm intendierte Deutekontext mitgegeben, durch den die emotionale Verfasstheit der bei- den Engel lesbar wird. An diesen ursprünglichen Deutekontext müssen die Engel nicht zwangsläufig gebunden bleiben. Ohne den direkten Bezug zur Passion bleibt das Bildthema ebenfalls stimmig. So können die Engel aus ihrem speziellen Bildkontext herausgelöst wer- den, was dem Betrachter einen Freiraum schafft, ihr Erschrecken auf ganz andere Situationen zu beziehen, die unmittelbar an seine eigene Lebens- und Erfahrungswelt anknüpfen. Im Äußeren der Engel widerspiegelt sich Entsetzen und Erschrecken, welches direkt auf das Gesehene schließen lässt. Das lässt sich im Bezug zu den beiden Engeln in einer ganz bestimmten Richtung verorten: in der Flugrichtung abwärts, unten auf der Erde bei den Men- schen. Der rechte Engel gibt mit seinem ausgestreckten Arm und dem Fingerzeig diese Lese- richtung vor. Der linke Engel muss sich mit beiden Händen die Augen bedecken, da er das Gesehene nicht aushält. Jeder Betrachter der beiden Engel wird individuelle Anknüpfungs- punkte finden, die Situation der Engel für sich zu deuten. Von dem biblischen Bericht über Engel ausgehend, die sich auf die Funktion eines Bo- ten Gottes in Verbindung zu den Menschen konzentriert, ist der Fingerzeig des linken Engels von tragender inhaltlicher Bedeutung, von dem aus sich das Bildverständnis und eine religi- onsdidaktische Weiterarbeit entwickeln kann. Als Boten Gottes entsetzt den Engel, was er bei den Menschen sieht. Das kann nur bedeuten, dass solcherart Gesehenes nicht mit dem Willen Gottes vereinbar ist, d.h. in seiner Figur wird ein Teil des Entsetzen Gottes über den Zustand der Welt sichtbar. Möglicherweise verstößt es gegen den Bund Gottes, den er mit den Men- schen schloss und gegen die Gebote, die damit einhergehen. Zumindest verweist es auf etwas, was der guten Schöpfung Gottes grundsätzlich zuwider steht. Religionsdidaktisch fruchtbar zu machen ist für Schülerinnen und Schüler demnach gerade das, was Otto Pankok auf seiner Lithografie nicht zeigt. So eine Leerstelle bietet die Chance, inhaltlich gefüllt zu werden. In diesem Verständnis kommt seinen Engeln tatsächlich die Funktion eines Boten zu. Auf ihrem Weg von Gott zu den Menschen wurden sie für den Künstler zum Bildgegenstand. Damit ste- hen sie pars pro toto für einen größeren Erzählkontext. Für den Betrachter nehmen sie eine Mittlerrolle zwischen den Menschen und Gott ein. Die Engel verweisen auf die Verbindung Mensch – Gott. Indem Otto Pankok den Blick der Betrachter auf die Mittlerfigur richtet, be- zieht er die Geschichte von Gott und den Menschen in seine Darstellung mit ein.

233

Die inhaltliche Auseinandersetzung mit den Engelsbildern Otto Pankoks bestärkt und befördert bei den Kindern und Jugendlichen im Wesentlichen die religiöse und die fachliche Kompetenz. Sie begreifen, was Engel sind und worin ihre spezielle Aufgabe besteht. Sie ler- nen zu verstehen, was den Engel von Fantasiefiguren unterscheidet. Ältere Schülerinnen und Schüler werden dazu angehalten, ihr eigenes Engelsbild zu befragen und zu revidieren. Die hermeneutische Kompetenz der Mädchen und Jungen wird dahingehend gestärkt, indem sie erfahren, dass der spezielle Duktus der Engelsdarstellungen Otto Pankoks auf die Verfasstheit unserer Welt verweist. Ihre ästhetische Kompetenz erweitern die Mädchen und Jungen, indem sie mit Otto Pankoks Engeln ein künstlerisches Engelsbild kennenlernen, das handelsübli- chen, verkitschten Darstellungen entgegensteht. Sie erweitern ihr Wissen in christlicher Iko- nografie, indem sie die äußeren Erkennungszeichen von Engelsdarstellungen kennenlernen.

9. 1. 3 Methodische Impulse Bildergänzung oder Assoziationsplakat: Der Finger des linken Engels weist aus dem Bild heraus. Für Schülerinnen und Schüler sollte erfahrbar werden, was sich an dieser Stelle befin- det, auf die der Engel zeigt. Sie selber sollten eigentätig erarbeiten, was ihrer Meinung nach dort zu sehen sein könnte. Das kann je nach religionspädagogischer Fragestellung unter- schiedlich ausfallen. Für jüngere Schülerinnen und Schüler könnte Otto Pankoks Lithografie um die Hälfte verkleinert (Original ca. 28 x 46,5 cm) in die rechte obere Ecke eines Zeichen- blattes (DIN A3 quer) kopiert werden. Das böte Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit, auf dem restlichen Platz (verbleibt ca. noch ¾ freier Raum) bildnerisch zu visualisieren, was die beiden Engel sehen. Die Engel bekämen durch die Mädchen und Jungen einen Kontext und wären in eine größere Bildaussage eingebettet. Bekommen je zwei Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit, gemeinsam an einem Bild zu malen, dann entspinnen sich beim Ma- len sicher ganz tiefe Gedanken darüber, was bei den Menschen auf der Erde falsch läuft. Solch ein Vorgehen empfiehlt sich für ältere Schülerinnen und Schüler in abgewandel- ter Form, nur dass der Engel aus dem Bild hinaus auf ein großes Fragezeichen zeigt, das von den Schülerinnen und Schülern inhaltlich gefüllt werden muss. Das kann auf einem Assozia- tionsplakat in ganz unterschiedlicher Form geschehen. Partnerarbeit oder die Arbeit in einer Kleingruppe scheint diesbezüglich angebracht, da als Arbeitsergebnis weniger das anspre- chend gestaltete Plakat von Interesse ist, als vielmehr die Einsichten und Fragen, zu denen Schülerinnen und Schülern bei der Arbeit kamen. In Wort und Bildfragmenten sollte auf solch einem Assoziationsplakat dargestellt werden, worüber sich die beiden Engel entsetzen. Rollenspiel: Otto Pankoks lebhafte Bildsprache lässt die beiden Engel wie das Standbild eines Films (Animationsfilm) wirken. Von dieser Beobachtung ausgehend lässt sich ein Rollenspiel

234 entwickeln, welches das Bildthema der Lithografie in eine größere Rahmenhandlung einbet- tet. Zwei Schülerinnen/Schüler schlüpfen in die Rolle der beiden Engel und begeben sich zu den ″Menschen″ (Mitschülern der Lerngruppe). In Kleingruppen erarbeiten die Schülerinnen und Schüler gemeinsam ein Rollenspiel, in dem die oben angesprochene Leerstelle der Pan- kok-Darstellung gefüllt wird. Das bietet den Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit, in- nerhalb eines Rollenspiels unter Einbezug weiterer Akteure zu thematisieren, worüber die Engel so in Erschrecken geraten. Da die Schülerinnen und Schüler selbstständig erarbeiten, was das sein könnte, wird es inhaltlich an ihrer Lebens- und Erfahrungswelt orientiert sein. Den begleitenden Religionspädagoginnen und Religionspädagogen eröffnet sich damit ein Zugang zur Lebens- und Erfahrenswelt der Schülerinnen und Schüler. Die Methode des Rol- lenspieles ermöglicht es, reflektierende Gesprächselemente hinzuzufügen, die einerseits das Bildthema inhaltlich weiterentwickeln und andererseits einen Zugang zu seinem tieferen Ver- ständnis anbieten. So kann über die Engel hinaus die Verbindung zu Gott thematisiert werden.

9. 2 Mit erhobener Hand - Otto Pankoks eifernde Propheten

Otto Pankok schuf eine Vielzahl Prophetenbilder. Dabei wandte er verschiedene künstlerische Verfahren an. Die Darstellungen haben so viele Übereinstimmungen, dass von einem ″Pankokschen Prophetentyp″ gesprochen werden kann. Bei seinen Propheten handelt es sich durchweg um ausgewachsene Männer. Frauen, Kindern oder Heranwachsenden spricht der Künstler demnach keine Prophetenrolle zu, anders als beispielsweise Rembrandt van Rijn (1606-1669), der um 1630 mehrfach die Prophetin Hannah malte. Ein Bildnis der Prophetin trägt sogar die Gesichtszüge seiner Mutter kurz vor ihrem Tod, was auf die Bedeutung schlie- ßen lässt, die er der Prophetin – sowie seiner Mutter - zu- sprach. Otto Pankoks Propheten ähneln sich dahingehend, dass sie alle einen verwahrlosten Eindruck machen. Ihr ausgezehrter Körper ist notdürftig von einem weiten, zerschlissenen, bo- denlangen Umhang verhüllt, unter dem die nackten Füße hervorschauen. Mitunter gürtet ein Strick ihr Gewand. Die Haare stehen ihnen lang und wild vom Kopf ab, die Augen liegen tief in den Augenhöhlen und ein mächtiger Bart be- herrscht zumeist das Gesicht. So zu sehen auf der Steinät- zung Eifernder Prophet (WSt 125) aus dem Jahr 1952.

235

Solch ein Aufzug verweist auf die soziale Stellung des Propheten, der sich in seiner Prophe- tenrolle außerhalb der Gesellschaft befindet1042. Das äußere Erscheinungsbild orientiert sich durchgehend an der biblischen Überlieferung der Figur Johannes des Täufers, den der Künst- ler mehrfach darstellte und den er als einzigen seiner Propheten namentlich auswies, so bei- spielsweise in dem Holzschnitt Johannes der Täufer (WH 343, 1950) und in den Kohlebildern der Passion Nr. 5 bis 8, die sich mit ihm auseinandersetzen. Die Johannesdarstellung der Bil- der 5 und 6 Predigt des Täufers und Der Täufer kündigt Jesus an kann als prototypisch für Otto Pankoks Prophetenbild gelten. Der Künstler stellte seine Propheten fast immer in der ihnen nach Jer 15,19 von Gott zugesprochenen Aufgabe dar, nämlich zum Volk mit Gottes Vollmacht zu predigen. Die bildnerische Darstellung des Redegestus verbindet Otto Pankoks Propheten mit denen der sakralen Kunst. In den ersten monumentalen Prophetendarstellungen des 5. Jahr- hunderts haben die Propheten gleichermaßen die rechte Hand zum Redegestus erhoben.1043 Auf Bild Nr. 5 der Passion lässt Otto Pankok den Täufer drohend die rechte Hand heben, wo- bei der Zeigefinger energisch in die Höhe weist.

1042 Vgl. dazu Ulrich B. Müller, Johannes der Täufer, 24. 1043 Lexikon der christlichen Ikonographie, Bd. 3 Laban bis Ruth, Propheten, 461.

236

Der Mund steht ihm offen und der Gesichtsausdruck wirkt angespannt. Auf dem Bo- den um ihn herum sitzt das Volk, das seiner Predigt lauscht. Die Situation ist bei Jer 15,19 folgendermaßen beschrieben: „Das Volk soll sich zu ihm kehren und seiner Predigt lau- schen“. In dieser Textstelle wird die Sonderstellung deutlich, in der der Prophet steht. Die ist außerhalb ihrer Gemeinschaft. 1941 malte Otto Pankok Johannes den Täufer nochmals in dieser monumentalen Pose als Ganzkörperfigur, jetzt aber allein im unbestimmten Raum stehend1044. Diese mahnende Körperhaltung findet sich bei seinen anderen Prophetendarstellungen wieder. Otto Pankoks Intention entsprach es nicht, einen der vier großen oder einen der zwölf kleinen Propheten der alttestamentarischen Überlieferung darzustellen1045. Außer Johannes den Täufer lässt der Künstler alle anderen Propheten in seinem bildnerischen Werk anonym bleiben. Sie können durch Beigaben nicht identifiziert werden. Viel mehr als um die Darstel- lung eines namentlich benennbaren Propheten in seiner speziellen Aufgabe und Lebenssitua- tion ging es ihm um die bildnerische Umsetzung des archetypischen Propheten. Aus diesem Grund betitelte er alle seine Prophetendarstellungen allgemein als Prophet. Es liegt nahe, dass sich Otto Pankok für die Funktion eines Propheten und die Eigenschaften inte- ressierte, die dieser Figur zugesprochen werden. Er selbst sah sich mitunter in der Rolle des einsamen Ru- fers in der Wüste, wie es vor allem seine Rundschreiben in politisch schweren Zeiten zeigen. Auffallend ist, dass der Prophet auf seinen Dar- stellungen häufig alleiniger Bildgegenstand ist. Demnach ist bildlich kein Adressat zu erken- nen, an den sich der Prophet in seiner Ansprache richten könnte. Der eifernde Prophet in sei-

1044 Unveröffentlichtes Kohlebild von 1941 Johannes der Täufer 119 x 99 cm groß, einzusehen im Otto-Pankok- Museum Hünxe/Drevenack. 1045 Anders die traditionellen Prophetenbilder der sakralen Kunstgeschichte, die bereits durch ihre Größe kennt- lich machten, wer zu den vier großen oder zwölf kleinen Propheten gehört, wie z.B. auf der Bibelminiatur aus dem 12. Jh., in der alle Propheten zu Jesus weisen. Außen die vier großen, in der Mitte die zwölf kleinen Prophe- ten. Vgl. Lexikon der christlichen Ikonographie, Propheten, 461.

237 ner spannungsvollen Körperhaltung wird zum alleinigen Bildmotiv. Das zeigt das Kohlege- mälde Prophet1046 von 1941, auf dem ein einsam, müde und alt wirkender Prophet in der Wei- te des Raums sitzt. Sein Blick ist in die unbestimmten Schwärzen des Himmels gerichtet, um Gottes Wort zu lauschen. Allen Prophetenbildern Otto Pankoks ist gemeinsam, dass er den Augen großen gestal- terischen Wert beimaß. In ihnen konzentriert sich der Ausdruck des Bildes. Weit aufgerissen stehen sie in den ausgemergelten Gesichtern, was gut auf dem Holzschnitt Prophet (WH 88) zu sehen ist. Diese übergroßen Augen geben den Propheten einen zutiefst erschrockenen Aus- druck1047. Entsetzen macht sich in ihren Blicken bemerkbar. Gerade in ihnen wird deutlich, dass sie mit ihrem Wissen existenziellen Dingen entgegen sehen.

9. 2. 1 Verortung der Thematik in der Lebenswirklichkeit der Schülerinnen und Schüler

Schülerinnen und Schüler nach der Grundschulzeit dürften von einem ″Propheten″ das unspe- zifische Wissen haben, dass es sich dabei um einen Menschen handelt, der ″etwas vorhersa- gen″ kann1048. Die Fähigkeit, ″etwas vorhersagen″ zu können, trifft das Interesse von heran- wachsenden Mädchen und Jungen in verschiedener Hinsicht. Kinder und Jugendliche befinden sich entsprechend ihrer noch nicht abgeschlossenen psycho-sozialen Entwicklung auf der Suche nach Orientierung in der Welt. Je weiter sich die Ablösung vom Elternhaus vollzieht, desto stärker wirken Ereignisse von außen auf sie. Vor allem die Mitglieder ihrer peer group werden nun wichtige Bezugspersonen1049. Über den Kreis Gleichaltriger hinaus suchen Jugendliche ebenfalls nach Anerkennung und Orientie- rung. Sie wollen als Persönlichkeit mit ihren Interessen, Fähigkeiten und eigenen Begabungen angesprochen und angenommen werden. Auf der Suche nach Orientierung kann da der Person eines ″Propheten″ als leader großes Potential zugesprochen werden, scheint dieser doch im Auftrag Gottes über eine größere Wahrheit als andere Menschen zu verfügen. Mit der Ablösung vom Elternhaus weitet sich der Blick Heranwachsender dafür, dass es Menschen mit anderen charakterlichen Konstitutionen und abweichender Persönlichkeits- struktur gibt, als sie es aus ihrem familiären Umfeld gewohnt sind. Je auffallend anders Men- schen sind, desto interessanter werden sie für Heranwachsende1050. Ihrem Bedürfnis nach An-

1046 Unveröffentlichtes Kohlebild von 1941 Prophet 100 x 119 cm groß, einzusehen im Otto-Pankok-Museum Hünxe/Drevenack. 1047 Vgl. dazu die weiter vorn stehende Abbildung Eifernder Prophet. 1048 Vgl. dazu auch Helmut Hanisch, Unterrichtsplanung im Fach Religion, 69. 1049 Remo H. Largo, Kinderjahre, 143f. 1050 Vgl. diesbezüglich die Ausführungen des Autors zur emotionalen Hinwendung von Jugendlichen zu Pop- Stars. Remo H. Largo, Kinderjahre, 145.

238 ders-Sein entspricht die Selbstinszenierung, die Jugendliche betreiben, um sich von Gleich- altrigen in der Gruppe abzuheben. Für Kinder und Jugendliche ist diesbezüglich ihr Klei- dungsstil, kombiniert mit entsprechenden Accessoires, wichtigstes Ausdrucksmittel. Gleich- zeitig ist es eine der größten Ängste von Kindern und Jugendlichen aus ihrer peer group aus- geschlossen zu werden. Selbstinszenierung kann demnach nur innerhalb der von der peer group anerkannten Konventionen stattfinden. Ändert ein Jugendlicher/eine Jugendliche kom- plett ″seinen/ihren Typ″ dann besteht Gefahr, von der eigenen peer group als ″Sonderling″ abgelehnt zu werden, da er/sie offensichtlich nicht mehr dazugehören möchte. Selbstinszenie- rung und Gruppenzugehörigkeit bewegen sich demnach bei älteren Kindern und Jugendlichen auf einem schmalen Pfad. Somit verbindet sich in der Person des Propheten auf ambivalente Weise vieles, was auf Heranwachsende interessant wirkt. Der Prophet begegnet ihnen als aus- erwählte Persönlichkeit, die durch seinen Gottesauftrag über ein tieferes Wissen als die übri- gen Menschen verfügt. Des Weiteren stellt sich ihnen der Prophet als Person dar, die durch ein persönliches Gottesverhältnis aus der anonymen Gruppe hervorgehoben wird. Damit ein- her geht der Umstand, dass der Prophet als Person, durch sein persönliches ″Angeredet-Sein″ von Gott und dem damit verbundenen prophetischen Auftrag aus der sozialen Gemeinschaft seiner Mitmenschen herausgehoben wird (Jer. 1,5). Der Mensch, der sich mit seiner Individualität aus der Masse heraushebt, zog das Inte- resse Otto Pankoks lebenslang an. Aus Interesse an ihm, schuf er seine vielen Menschenbil- der, wozu die Prophetenbilder zählen.

9. 2. 2 Religionsdidaktische Konkretion

Propheten spielen im Religionsunterricht der verschiedenen Klassenstufen und Schularten eine Rolle. Sie gehören zu dem Teil der alttestamentarischen Überlieferung, der wegen seiner ungebrochenen Aktualität Aufmerksamkeit im Religionsunterricht erfährt1051. Das wird am Beispiel von Amos (Amos 2, 6-12/Amos 4,1) deutlich. In der Figur des Propheten scheint der Gegenwartsbezug biblischer Figuren deutlich sichtbar zu werden. Die Bedeutung der bibli- schen Prophetie bleibt ungebrochen, da heute noch Ungerechtigkeit und Gewalt menschliches Miteinander beherrschen. Damit scheint die Predigt der Propheten in unsere Zeit hinein zu reichen1052. Schülerinnen und Schüler lernen in den Propheten Menschen kennen, deren Berufung einerseits eine Beziehung zu Gott thematisiert, andererseits ihn als Mensch aus seinem sozia-

1051 Siehe dazu auch Helmut Hanisch, Unterrichtsplanung im Fach Religion, 69ff. 1052 Siehe Arbeitshilfen LebensZeichen, 7/8, 22.

239 len Umfeld heraushebt. Mit seiner Aufgabe geht für den Berufenen eine gewisse Einsamkeit einher. Es wird interessant sein, mit Schülerinnen und Schülern zu thematisieren, warum es für Menschen so unerträglich scheint, einen wahren Propheten unter sich zu wissen. Jeremia versuchten seine Mitmenschen, die Ausübung seines Prophetenamtes auszureden und schließ- lich sogar, ihn umzubringen (Jer. 11, 18-23)1053. Die Berufung zum Propheten durch Gott hebt diesen Menschen aus der Masse heraus. So hadert Jeremia mit seinem Schicksal in Jer. 15,10:

„Weh mir, meine Mutter, dass du mich geboren hast, gegen den jedermann hadert und streitet im ganzen Lande! Hab ich doch weder auf Wucherzinsen ausgeliehen, noch hat man mir geliehen, und doch flucht mir jeder- mann.“1054

Schülerinnen und Schüler lernen mit der Person des Propheten demnach einen Menschen ken- nen, der durch den Auftrag an seine Mitmenschen zum Außenseiter wird (Jer. 15,19). Er soll im Auftrag Gottes die Aufgabe vollbringen, das verstockte Volk zum Hören des Gotteswortes zu bewegen. Diese sozial exponierte Rolle hat er sich nicht selbst ausgesucht (Jer. 16,1-13), sondern durch seine Berufung überantwortet bekommen. Den von Gott übertragenen Auftrag führt er in Verantwortung gegenüber seiner Mitmenschen und im Vertrauen auf Gottes Wort aus. Sein Glaube lässt ihn einerseits die schwere Last des Auftrags tragen, schließt zum ande- ren den Zweifel nicht aus. Mit den biblischen Propheten lernen Schülerinnen und Schüler im Fach Religion dem- nach Menschen kennen, die aus ihrem tiefen Gottesglauben die Kraft schöpfen, in ungünstiger sozialer Konstellation handeln und leben zu können. Das Wissen um eine höhere Wahrheit verleiht ihnen Weisheit, verbunden mit dem Blick über die gegenwärtige Lebenssituation der Menschen hinaus. Als Sprachrohr Gottes sprechen sie unmittelbar in die Lebenssituation von Menschen hinein. Diese Charakteristik unterscheidet Propheten maßgeblich von Wahrsagern und Hellsehern. Solche inhaltlichen Unterschiede herauszuarbeiten ist von wesentlichem Inte- resse bei der Vermittlung eines Phänomens wie ″Prophetie″ im Fach Religion. Es lassen sich vor allem fünf Kompetenzen ausmachen, die in der Auseinandersetzung mit Otto Pankoks Prophetenbildern angesprochen werden. Ihre religiöse Kompetenz bilden Schülerinnen und Schüler aus, wie sich ihr Verständnis dafür vertieft, was einen wahren Pro- pheten charakterisiert. Mit der Person des Propheten lernen die Kinder und Jugendlichen Menschen kennen, die Gott als Individuum mit ″du″ ansprach und deren Leben und Handeln maßgeblich von ihrem tiefen Gottesglauben beeinflusst wurde. Das bedeutet für den ausge- wählten Menschen neben der Würdigung zugleich Last und Verantwortung, wie es Jeremia in

1053 Erich Zenger, Die Bücher der Prophetie, 333. 1054 Zitiert nach Die Bibel nach der Übersetzung Martin Luthers, revidierte Textfassung von 1984, Deutsche Bibelgesellschaft Stuttgart.

240

Jer 5, 24f. erfahren musste. Ihre fachliche Kompetenz bilden Mädchen und Jungen aus, indem sie einen ersten Verstehenszugang erhalten, dass es immer Menschen gab - und noch gibt -, die von Gott mit bestimmten Aufträgen an ihren Mitmenschen ausgestattet wurden. Von reli- gionsdidaktischem Interesse ist es daher, mit Schülerinnen und Schülern zu thematisieren, was den ″wahren Propheten″ vom ″falschen Propheten″ unterscheidet. Somit erhalten sie ei- nen Zugang, die Person und die Botschaft Jesu einordnen zu können. Die inhaltliche Ausei- nandersetzung mit Propheten bietet einen Verstehenszugang zu Person und Wirken Jesu. Die hermeneutische Kompetenz wird bei den Kindern und Jugendlichen gefördert, in- dem sie sich im Vergleich mit dem biblischen Zeugnis erarbeiten, dass Otto Pankoks Prophe- tendarstellungen dem inhaltlichen Verständnis entsprechen, was ein Prophet ist. Sie sind in der Lage zu erkennen, dass ihr Äußeres auf ihre soziale Stellung verweist, die wiederum durch ihren Auftrag begründet ist. Viertens ist es schließlich die ethische Kompetenz, die Schülerinnen und Schüler in Auseinandersetzung mit Otto Pankoks Prophetenbildern üben. In der inhaltlichen Erarbeitung dessen, was Anliegen und Aufgabe eines Propheten sind, werden die Mädchen und Jungen dazu ermutigt, sich kritisch mit den gegebenen sozialen Verhältnissen auseinander zu setzen und aufmerksam gesellschaftliche Entwicklungen zu beobachten. Sie schärfen ihren Blick dafür, welche gesellschaftlichen und sozialen Missstände ein moderner Prophet heute anspre- chen würde. Ihre ästhetische Kompetenz vertiefen die Mädchen und Jungen, indem sie Otto Pan- koks bildnerische Gestaltungsmittel untersuchen, die er anwandte, um künstlerisch seinen Prophetenbildern Ausdruck zu verleihen. Indem sie die inhaltliche Dimension des Prophe- tenmotivs mit der individuellen bildnerischen Gestaltung des Künstlers in Zusammenhang bringen, wird ihnen die Bedeutung des Expressiven verständlich werden.

9. 2. 3 Methodische Impulse Der Prophet als Gast zu Haus: Günter Langes Forderung, Kunstwerken mit entsprechender Achtung und Wertschätzung zu begegnen und sie als „Gast“ in unseren Räumen wahrzuneh- men, sollte wörtlich genommen werden1055. Die Religionslehrerin oder der Religionslehrer kann in Vorbereitung die verschiedenen Prophetendarstellungen auf A6 Kartonkarten kopie- ren und den Schülerinnen und Schülern unter dem Motto präsentieren: „Wir haben Gäste!“ Die Vielzahl der Prophetendarstellungen Otto Pankoks erlaubt es, dass sich jeder Heranwach- sende seinen Propheten aussucht, der über eine gewisse Zeit bei ihm oder ihr zu Gast sein wird. Otto Pankoks Propheten kommt nun die Aufgabe zu, die Schülerinnen und Schüler über

1055 Günter Lange, Zum religionspädagogischen Umgang mit modernen Kunstwerken, 117.

241 einen bestimmten Zeitraum im Alltag zu begleiten. In Art eines imaginären Zwiegesprächs sollten sie all das notieren, was der Prophet zu ihr oder ihm in bestimmten Situationen zu sa- gen hat oder zu welchen Alltagserlebnissen er sich äußert. In gleicher Weise eignen sich ge- sprochene Tonaufnahmen. Die Prophetendarstellung kann z.B. das Deckblatt eines kleinen Heftes werden, in das all das notiert wird, was der Prophet im Laufe der Zeit den jungen Menschen zu sagen hat. Mit Sicherheit wird so manchem der prophetische Begleiter mit der Zeit ans Herz wachsen. Eine Auswertung im weiterführenden Unterrichtsgespräch macht deutlich, in welchen Situationen Heranwachsende prophetisches Handeln in heutiger Zeit verorten würden und welche gesellschaftlichen Handlungsfelder sie ausmachen, in denen es notwendig wäre. Das Mitführen der Prophetendarstellung in Form einer Kopie erleichtert den Schülern das Einnehmen einer Metaebene. Er oder sie wird durch seinen/ihren Propheten genötigt, eine Zeit lang wachsamer das bekannte Umfeld wahrzunehmen. Das Alter Ego des Propheten er- möglicht es Schülerinnen und Schülern, einen ″fremden Blick″ auf alltägliche Dinge einzu- nehmen und unter Berufung auf ihn freier und kritischer zu sprechen, als es ihnen sonst mög- lich wäre. Diese Methode eignet sich für junge (und ganz junge) Schüler,1056 da den meisten von ihnen noch das Phänomen vertraut sein dürfte, von sich aus z.B. Plüschtieren1057 die Funktion eines Alter Ego zuzuweisen und noch viel leichter in der Lage sind zu akzeptieren, dass tat- sächlich jemand anderes spricht als sie selbst. Dieter Baacke weist darauf hin, dass 9 bis 12jährige Kinder „noch in einer magisch durchtränkten Welt leben“, gleichzeitig lernen sie in diesem Alter, zwischen Realität und Vorstellung Grenzen zu ziehen1058. Im Religionsunter- richt wird die Vorstellungskraft der Kinder angesprochen und in phantasievoller Weise mit ihnen gearbeitet, wie zahlreiche Stundenentwürfe belegen. Kunstwerke haben in diesen Ar- beitsphasen ihren Platz, da sie die visuelle Vorstellungswelt der Kinder bereichern und anre- gen. Bildmontage mit Otto Pankoks Prophet: Weil Otto Pankok seine Propheten bildnerisch fast immer im einsamen Raum ohne definiertes Umfeld darstellte, liegt in den Bildwelten eine interpretatorische Offenheit, die gemeinsam mit Schülerinnen und Schülern inhaltlich gefüllt

1056 Schüler, die des Schreibens noch nicht mächtig sind, sprechen das, was ihr Prophet zu sagen hat. 1057 Anton Bucher, Was Kinder glücklich macht, 169. Anton Bucher weist diesen Animismus als grundsätzliche Tendenz im kindlichen Denken in einer Fallstudie bei zahlreichen Kindern nach, d.h. leblose Dinge werden vollkommen selbstverständlich mit menschlichen Gefühlsregungen und Eigenschaften ausgestattet. So erscheint es Kindern als selbstverständlich, dass ein Baum oder Stein sprechen oder fühlen kann. 1058 Dieter Baacke, Die 6- bis 12jährigen, 142.

242 werden kann. Die Technik der Bildmontage1059 (vgl. z.B. die Bildmontagen John Heartfields oder Hannah Höchs) bietet die Möglichkeit, den Darstellungen einen bildnerischen Kontext zu geben. Anhand von Bildelementen (Fotos/Kopien/Zeichnungen/Ausdrucken etc.) lässt sich somit visualisieren, wogegen Otto Pankoks Propheten eifernd ihre Hände erheben und gegen wen und in welchen Situationen sich ihre Mahn- und Bußpredigt richten. Historische Ereig- nisse können auf diese Weise reflektiert werden wie aktuelle Probleme, die direkt in der Er- fahrungs- und Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler gründen. Wichtig ist dabei, dass Otto Pankoks Prophet in der Bildmontage als Zitat des Originals seinen Platz findet und somit zum Teil der neuen bildnerischen Gesamtaussage wird. Der Gehalt der künstlerischen Weiterver- arbeitung der Propheten erklärt sich dabei in der Zusammenfügung von bildnerischem Kon- text und Prophetendarstellung.

9. 3 Mantelmadonna (1933)

1059 Zugrunde liegt diesem Vorgehen die Methode der Demontage, da das Bild Otto Pankoks erst einmal demon- tiert werden muss, um einzelne entnommene Elemente in einen neuen Kontext stellen zu können. Zur Methode der Demontage siehe Tanja Wetzel, Bilder lesen, 90.

243

Das Kohlegemälde (149 x 99) Mantelmadonna1060 aus dem Jahr 1933 zeigt eine überlebens- große Frauengestalt, die im Aussehen der Maria aus Otto Pankoks Passion ähnelt (Bilder Nr. 2 und 4). Mit leicht schräg gestelltem Haupt schaut sie zu Boden. Sie wirkt ernst und konzent- riert, fast verschlossen. Ihr Gesichtsausdruck verrät nichts über sie. Das erzeugt eine Aura der Heiligkeit. In Aussehen und ihrer Ernsthaftigkeit ähnelt sie der Schutzmantelmadonna El Gre- cos (1541-1614), die dieser um das Jahr 1604 im Stil des Manierismus malte. Otto Pankok kannte mit Sicherheit das Werk El Grecos, befindet sich doch unter seinen Holzschnitten des Jahres 1922 ein früher Holzschnitt mit dem Titel Kopf nach Greco (WH 64). Vielleicht inspi- rierte die Betrachtung El Grecos Schutzmantelmadonna Otto Pankok zum Malen seiner eige- nen Mantelmadonna, da der Bildgegenstand so singulär in seinem Gesamtwerk steht. Otto Pankoks Mantelmadonna lüftet mit grazil vom Körper abgespreizten Armen ei- nen bodenlangen, schimmernden, sternenbesetzten Mantel unter dem kleine Menschenfiguren herausschauen, die mit im Nacken liegenden Köpfen zu der Madonna aufschauen. Sie reichen mit ihren Köpfen der übergroßen Madonna gerade mal bis an die Knie. In den Gesichtern der Figuren lassen sich Gesichtszüge der von Otto Pankok porträtierten Zigeuner erkennen. Durch ein mystisches Licht leuchtet das Gesicht der Madonnengestalt hell auf. Um ihren Kopf, im Licht des diffusen Hintergrundes, schweben einige Engel. Die Schutzmantelmadonna ist eine spezielle Art der Mariendarstellung, wie es sie in der bildenden Kunst seit dem 13. Jahrhundert gibt. Ihre stärkste Verbreitung fand die maria advocata im 15. Jahrhundert. Das Motiv des ″Schutzmantels″, das ebenso in Verbindung mit Christus als Schutzmantelchristus zu finden ist, basiert auf der seit dem frühen Mittelalter bekannten Tradition des Mantelschutzes. Vor allem sozial hochgestellte Frauen verfügten über das Recht des Mantelschutzes, um ihren Einfluss geltend machen zu können1061. Dem- nach genoss eine Person durch das Bedecken mit dem Mantel rechtlichen Schutz, sie stand unter ″Mantelschutz″. In diesem Sinnzusammenhang wurden im Mittelalter verschiedene Hei- lige mit Mänteln dargestellt1062. Dabei ist der Typ des Mantels immer gleich. Es handelt sich dabei stets um einen bodenlangen, ärmellosen Mantel, der eher einem großen Umhang gleicht und faltenreich um die Figur des Heiligen drapiert ist.

1060 Abgedruckt u.a. im Katalog zu den Ausstellungen im Kunstzentrum Koppelschleuse (Meppen), 116. 1061 Vgl. dazu Gertrud Schiller, Ikonographie der christlichen Kunst, Bd. 4.2, 195. 1062 Lexikon christlicher Kunst, Mantel, 213.

244

Otto Pankoks Bild weist die horizontale Dreigliederung Mensch – Himmel – Gottheit auf:

Die Menschen stehen auf der untersten Ebene (Ebene 1) und schauen in den von Sternen be- setzten Mantel der Madonna hinein. Sie können das Gesicht der Madonna nicht sehen. Alles, was sie von ihr erkennen, ist der Sternenmantel, der sie wie das Firmament (Ebene 2) über- spannt. Diese zweite Ebene beschreibt die Grenze dessen, was für die Menschen auf Ebene 1 sichtbar ist. Darüber, in Ebene 3, befinden sich das schöne blasse Angesicht der Madonna und die Engelschar, die ihr Haupt umschwirrt. Dieses zu sehen ist den Menschen nicht vergönnt, da sich über sie der Mantel der Madonna spannt. Diese drei Ebenen beschreiben Erkenntnisräume: Die Menschen sind durch ihre Phy- sis der Erde verhaftet. Auf ihr stehen sie, dort sind sie auf sich bezogen und treten miteinander in Austausch. Jede menschliche Erkenntnis nimmt hier ihren Anfang. Sie schauen nach oben und sehen den alles überspannenden Himmel. Darüber hinaus zu schauen, ist ihnen nicht ver- gönnt. Unter dem Mantel der Madonna stehen sie wie in einer Höhle1063. Sollten sie die Hoff- nung haben, dass da oben noch mehr ist, so sehen sie doch nur die Sterne in der Tiefe des Dunkels. Das, worauf sie hoffen und woran sie glauben, befindet sich außerhalb dessen, was sie sehen können. Es bleibt für Menschen letztlich unsichtbar und beschreibt die Sphäre des Glaubens. Demnach bereitet sich über dem Menschen ein ″doppelter Himmel″. Einer, der ihnen in der Begrenztheit ihrer Sinne noch zugänglich ist und einer, der sich diesen Sinnesor- ganen verschließt. Die Existenz dieses ″zweiten″ Himmels ist es, den Otto Pankok zum Bild- gegenstand wählte.

1063 Parallelen zu Platons Höhlengleichnis sind nicht von der Hand zu weisen.

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9. 3. 1 Verortung der Thematik in der Lebenswirklichkeit der Schülerinnen und Schüler

Otto Pankoks Mantelmadonna knüpft in vielfältiger Weise an die Lebenswirklichkeit von Heranwachsenden an. Zum einen ist da das kindliche Interesse für höhere, nicht irdische, gött- liche und himmlische Wesen zu nennen. Ein fünfjähriger Junge fragte, nachdem er Otto Pan- koks Bild nur wenige Sekunden betrachtet hatte „Ist das die Himmelsfrau?“. Er hatte den sternenbesetzten Mantel und das Gesicht der Madonna spontan zur Figur ″Himmelsfrau″ ver- bunden. Hinzu kommt der Aspekt des Schutzes. Vor allem Kindern sind nichtirdische, schüt- zende Wesen vertraut. Indem sie sich für den Lebensbereich außerhalb ihrer Familie zu inte- ressieren beginnen, nach Dieter Baacke „die Welt zu wachsen beginnt“1064, werden sie sich zunehmend potentieller Bedrohungen und Gefahren bewusst, die in dieser sich für sie öffnen- den Welt liegen. Bereits die Teilnahme am Straßenverkehr birgt ein erhöhtes Gefahrenpoten- tial, dessen sich Kinder bewusst werden müssen. In Vorschule und Kindergarten werden Kin- der zudem an Themen herangeführt, die so in ihrem Nahbereich nicht existieren, z.B. Weih- nachtspäckchen packen für Kinder in unterentwickelten Ländern, Hunger- und Dürrekatastro- phen in Afrika, Tiersterben durch Verseuchung der Umwelt, Kinder in Kriegssituationen uvm. Angesichts solcher Konfrontationen entwickeln Kinder ein starkes Bedürfnis nach zu- sätzlichem Schutz, hinausgehend über den, den sie in ihrer Familie erfahren. Für Kinder wird wichtig zu erfahren, ob die Eltern, die Geschwister, die Haustiere, die Großeltern und das eigene Haus gleichermaßen beschützt werden. Auch Kinder aus nicht re- ligiösen Familien beginnen in diesem Alter zu fragen, ob es Wesen gibt, die alles, was ihnen lieb ist beschützen. Selbst nicht religiös sozialisierte Kinder kennen Engel, vor allem in seiner Eigenschaft als Schutzengel. Aus dem Gefühl und der tiefen Zuversicht innerhalb ihrer Fami- lien beschützt zu sein, ziehen Kinder ein starkes Glücksgefühl1065. Nach repräsentativen Stu- dien Anton A. Buchers in der Schweiz (2001) und in Deutschland (2007) fühlen sich Kinder in Gemeinschaft mit ihren Familienangehörigen und Freunden am glücklichsten. Dem ent- sprechend fühlten sich nach Aussage Anton A. Buchers „Kinder in unvollständigen Familien meist weniger glücklich“1066. Ein entwicklungspsychologisch relevanter Zugang zu Otto Pan- koks Bild wäre deshalb zu erfragen, mit wem das Kind sich gern in Gemeinschaft unter dem Mantel der Madonna sehen würde.

1064 Dieter Baacke, Die 6- bis 12jährigen, 90. 1065 Anton A. Bucher, Psychologie des Glücks, 69. 1066 Anton A. Bucher, Psychologie des Glücks, 70.

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Beide Aspekte kommen auf Otto Pankoks Bild Mantelmadonna im Bild des ″doppelten Himmels″ zum Ausdruck. Doppelt in dem Sinn, dass einerseits das Dunkel des Himmels mit all seinen Himmelskörpern als eine für Menschen natürliche optische Grenze wahrgenommen wird und zum zweiten, dass die unvorstellbare Endlosigkeit des Himmels als Raum überirdischer Wesen bestimmt wird. Damit verweist Otto Pankoks Bild auf das kindliche Bedürfnis, aus Kartons, Stühlen und Decken Höhlen zu bauen, um sich in diesem stark begrenzten Raum sicher und geborgen zu fühlen. An solcherart kindliche Erfahrung wird ein methodischer Impuls anknüpfen, der nachfolgend vorgestellt werden wird.

9. 3. 2 Religionsdidaktische Konkretion

„Die Macht […] des Bildes ist nur so mächtig, wie es gelingt, Erfahrung freizusetzen“1067, bringt es Harald Lang auf den Punkt. Hinsichtlich der Mantelmadonna ergeben sich daraus für den Religionsunterricht zwei interessante Aspekte, die je nach Alter der Schülerinnen und Schüler unterschiedlich gewichtet zum Tragen kommen. Auf der einen Seite gibt es die vor- dergründige und leicht zu erschließende Dimension des Schutzes und der Geborgenheit. Schutz wird gewährt und Schutz wird empfangen. Es gibt ein Bedürfnis nach Schutz und es gibt jemanden, der dieses Bedürfnis befriedigen kann. Dabei bleibt der Grund des Schutzsu- chens unspezifisch und ist aus dem Bildmotiv heraus nicht ersichtlich. Vielmehr scheint es sich um eine Versinnbildlichung des urmenschlichen Bedürfnisses nach Schutz und Gebor- genheit zu handeln. Diese erste Bedeutungsebene ist schon kleinen Kindern eingängig. Schon Vorschulkinder können sich auf dieser Bedeutungsebene dem Bild Mantelmadonna nähern. Es evoziert bei jüngeren Kindern eine Vorstellung von Behütet-Sein, von Zufriedenheit, Glück, Geborgenheit, Liebe, Wärme und menschlicher Nähe. Es vereint alles das, was sich Kinder unter einer Familie vorstellen1068. Gleichzeitig visualisiert das Bild eine bestimmte Art der kindlichen Gottesvorstellung: Über den Menschen ausgebreitet spannt sich das Himmelsgewölbe, an dem sich die Gestirne befinden. Es trennt den Bereich der Menschen von dem der Himmelswesen. Unter dem sich wölbenden Himmel stehen die Menschen und schauen nach oben in der Hoffnung, dass dort jemand ist, der auf sie schaut und ihnen Schutz zukommen lässt. Auf der anderen Seite hat das Bild eine größere historische Dimension, die sich erst dann eröffnet, wenn die Jahreszahl des Entstehens hinzugezogen wird. Dann durchläuft das

1067 Harald Lang, Bilder von der Wirklichkeit Gottes, 894. 1068 Vgl. dazu Anton A. Bucher, Psychologie des Glücks, 69.

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Bildmotiv plötzlich einen Bedeutungswandel. Eingebettet in seinen historischen Entstehungs- zusammenhang wird das Bild der schützenden Madonna zur Allegorie. Es eröffnet sich eine Dramatik in historischer Dimension1069. Die Jahreszahl der Bildfertigstellung fokussiert den Blick des Betrachters auf die existenzielle Ebene menschlichen Seins. Von diesem histori- schen Standpunkt aus kann der Betrachter Otto Pankoks Mantelmadonna nur unter dem Ein- druck der zu erwartenden Katastrophe sehen. Es stellt sich die Frage, wie vielen Millionen Menschen dieser Mantel Schutz gewähren kann. Vor dem historischen Hintergrund wirkt der Blick der Madonna niedergeschlagen. Außerdem könnte danach gefragt werden, ob wirklich alle Menschen würdig sind, unter diesem Mantel Schutz zu suchen. Zwei scheue Gestalten in der linken unteren Bildecke versuchen, sich aus dem zeltartigen Mantel zu befreien. Es fragt sich, warum sie den ihnen gewährten Schutz nicht wahrnehmen. Haben sich vielleicht Gestal- ten eingeschlichen, die für das Unheil außerhalb des Mantels verantwortlich sind? Der Blick der Madonna ist niedergeschlagen. Hell erleuchtet ist ihr Haupt. Schön ist sie; sie schaut jedoch traurig an sich hinunter. Unverkennbar sind die Gesichtszüge des Zi- geunermädchens Ringela zu erkennen, die Otto Pankok in seiner Passion als Maria malte. Das ganz rechts unter ihrem Mantel stehende Kind kann eindeutig als Zigeunerkind identifi- ziert werden. Mit Blick auf die Jahreszahl der Entstehung des Bildes lässt sich die Vermutung äußern, dass der Künstler in einer Art prophetischer Weitsicht auf die universale Schutzbe- dürftigkeit der Menschen zu diesem frühen Zeitpunkt verwies. Provokante Gegenfragen, die zum kontroversen Gespräch einladen, könnten bei- spielsweise sein, ob alle Menschen gleichermaßen diesen Schutz der Madonna gewahr wer- den oder ob ihn sich der Mensch auf eine Art verdienen muss. Gibt es darüber hinaus Men- schen, die möglicherweise den Schutz der Madonna nicht erhalten? Haben sich unter den Mantel der Madonna gar Menschen eingeschlichen, die dort nicht hingehören? Liegt es im Interesse der Madonna, dies zu beurteilen? usw. Wie Günter Lange danach fragt, welchen Zugewinn Christen religiös aus Bildwerken ziehen können,1070 stellt sich im Umgang mit die- sem Bild die Frage, welche menschliche Erfahrung Bildwerke Otto Pankoks Kindern und Jugendlichen vermitteln können. In diesem Sinn sind es vor allem vier Kompetenzen, die im Umgang mit dem Bild ge- schult und ausgebildet werden können. Zum einen ist es die ästhetische Kompetenz, die da-

1069 Die historische Dimension, die sich mit der Jahreszahl 1933 verbindet, bleibt Kindern vorerst verschlossen. Erst Jugendliche ab der neunten Klasse können sich im Zuge der historischen Unterweisung einen Einstieg in das Bildgeschehen über die Jahreszahl erarbeiten. Soll im Unterricht mit jüngeren Kindern diesbezüglich gear- beitet werden, muss die historische Einbettung des Bildes erst aufbereitet werden, sodass sie auch jüngeren Schülerinnen und Schülern verständlich wird. 1070 Günter Lange, Bilder zum Glauben, 9.

248 hingehend gefördert wird, indem es gilt, das Bild in seinem Aufbau und seiner Komplexität zu erfassen. Vor allem jüngere Schülerinnen und Schüler können im tiefen Bildraum viel ent- decken. Einige Bildelemente, wie die schwebenden Engel um den Kopf der Madonna, sind für Kinder nicht auf den ersten Blick sichtbar. Damit einher geht die hermeneutische Kompe- tenz, die dahingehend befördert wird, indem Schülerinnen und Schüler die Bildzeichen und die darin enthaltenen Symbolik lesen und verstehen lernen. Am Beispiel der Mantelmadonna ist das das Symbol des Mantels und der damit verbundenen Dimension des Schutzes. Die Schülerinnen und Schüler werden dazu angehalten, den Symbolgehalt mit ihrer Lebenswirk- lichkeit und der anderer Menschen in Verbindung zu bringen. Otto Pankoks Bild der Mantelmadonna ist ein Sehnsuchtsbild. Es verbildlicht das ty- pisch menschliche Bedürfnis nach Obhut. In Zeiten der Bedrohung erhoffen und erbitten Menschen sich diesen Schutz von höheren Wesen. Mit dem Bild ist die Möglichkeit gegeben, dass die Heranwachsenden ihre Selbstkompetenz vertiefen, indem sie sich der Frage nach eigener Bedrohtheit, Schutzbedürftigkeit und Geborgenheit aussetzen. Sie üben Perspekti- venwechsel ein, da sie sich in die Lage der Menschen versetzen, die unter dem Mantel der Madonna Schutz suchen. Das schult die Empathiefähigkeit der Mädchen und Jungen. Indem ihnen bewusst wird, welche Menschen in welcher konkreten Lebenslage solch eines Beistands bedürfen, vertiefen sie ihre soziale Kompetenz.

9. 3. 3 Methodische Impulse Inszeniertes Standbild: Dem methodischen Impuls liegt ein performativer Ansatz der Kunst- pädagogik zugrunde, der den Schülerinnen und Schülern einen handlungsorientierten Zugang innerhalb der Kunstbegegnung ermöglicht. Ausschlaggebend für diesen empathisch – adapti- ven Ansatz ist, dass sich Schülerinnen und Schüler durch eigenständiges Handeln selbststän- dig einen individuellen Zugang zu einem ausgewählten Kunstwerk erarbeiten. Innerhalb eines Standbildes verkörpern Kinder oder Jugendliche mit ihrer Person eine bestimmte Figur des Kunstwerkes. Indem sie sich mit dem Bildgegenstand identifizieren, ha- ben sie die Möglichkeit, sich in das Bild hineinzufühlen und hineinzudenken. Das ermöglicht ihnen zu artikulieren, welche Stellung eine bestimmte Bildfigur einnimmt und wie sie sich in Bezug zu den anderen Bildfiguren, zu Bildgegenständen, zu ihrem Umfeld usw. fühlt. Auf diese Weise werden die einzelnen Bildelemente zum ″Sprechen″ gebracht. Ein vergleichbarer Ansatz innerhalb der Religionspädagogik wären die Standbilder des Bibeltheaters, wobei hier kurze narrative Bibeltexte die Grundlage bilden1071.

1071 Vgl. Elisabeth Naurath, Mit Gefühl, 244.

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Vor allem bei jungen Schülerinnen und Schülern der ersten Grundschulklassen bietet sich eine bildnerische Auseinandersetzung mit Otto Pankoks Mantelmadonna in Form einer performativen Inszenierung an1072. Aus Gründen der Intensität bietet es sich an, in Kleingrup- pen von ca. fünf Schülerinnen und Schülern zu arbeiten. Ein Schüler oder eine Schülerin ü- bernimmt die Rolle der Schutzmantelmadonna, stellt sich erhöht auf einen Stuhl oder Hocker, um größer zu wirken. Das hat den beabsichtigten Effekt, dass die anderen Kinder tatsächlich nach oben zu ihr aufblicken müssen. Um sich herumgelegt trägt das Kind ein großes Tuch oder eine große Decke1073. Das ″Madonnenkind″ lüftet den Mantel, sodass sich die anderen Kinder darunter begeben können. Wahrscheinlich müssen sie sich hinhocken. Spannend ist nun zu beobachten, mit welchen Worten sich die Schülerinnen und Schüler unter den Mantel begeben und mit welchen Worten sie von der Madonna dazu eingeladen werden. Durch dieses reale ″Hineinschlüpfen″ in das Bild kommunizieren die Schüler mit dem Bild. Sie erschließen sich das Bildmotiv durch eigenständiges Handeln. Von selbst werden sie, angeregt durch per- sönliches Erleben, zu Begriffen wie ″Schutz″, ″Geborgenheit″ und ″Behütet – Sein″ gelangen, da sie es aus eigener Erfahrung kennen. Die Kinder sollten sich eine Zeit lang unter dem Mantel aufhalten und sich vergewissern, wie es sich dort anfühlt, wie es ihnen da geht, was sie sehen bzw. hören können, welche Beziehung sie zu den anderen Personen entwickeln und in welchem Verhältnis sie zur Madonna stehen. Das kann sprachlich formuliert werden, in- dem alle anderen Kinder, die in einem Kreis um die Ausführenden herum stehen, die Akteure befragen: Wie fühlst du dich unter dem Mantel der Madonna? Was hältst du von deinem Ne- benmann? Wie nimmst du die Welt außerhalb des Mantels wahr? usw. Ebenso sollte sich die ″Madonna″ bewusst machen, was sie in ihrer Stellung für die Menschen unter ihrem Mantel alles tun kann. In Form einer Identifizierung mit allen dargestellten Personen auf Otto Pan- koks Bild findet eine Verinnerlichung des Bildinhaltes statt. In nachfolgenden Unterrichtsge- sprächen kann herausgearbeitet werden, welche Menschen in welchen Situationen solch eines Schutzmantels bedürften. Ein weiterer Vorteil des methodischen Ansatzes der performativen Inszenierung ist, dass das zu befragende Kunstwerk als ″Mittelsequenz″ (wie es das Standbild eines Films ist) verstanden wird, unter Hinzufügung eines ″vorhergehenden″ und eines ″nachfolgenden″ Bil- des. Das bietet Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit, das betreffende Kunstwerk in einen Kontext einzuordnen und den weiteren inhaltlichen Bezugsrahmen zu erfassen, in wel-

1072 Vgl. dazu als vergleichbaren Zugang die inszenierte Fotografie beispielsweise von Cindy Sherman, in Jo- hannes Kirschenmann/Frank Schulz, Bilder erleben und verstehen, 49. 1073 Es wäre sicherlich sinnvoll, für seinen persönlichen Materialfundus solch einen überlangen Mantel (mit Sternen!) zu schneidern, damit die angestrebte Wirkung optimaler ausfällt.

250 chem sich das Bildthema bewegt. Am Beispiel der Mantelmadonna könnte das bedeuten, dass durch eine ″Vorher″ und ″Nachher″ deutlich wird, warum sich die Menschen unter den Schutz der Madonna begeben haben und unter welchen Umständen sie wieder daraus entlas- sen werden können. Sinnvoll ist es, alle Einzelszenen zu fotografieren, damit eine Fixierung der Schülerarbeit erfolgt und im Nachgespräch die Schülerinnen und Schüler visuell unter- stützt. Bildergänzung: Nachdem sich den Schülerinnen und Schülern der Bildinhalt der Mantelma- donna erschlossen hat, könnte an einer inhaltlichen Weiterführung der Thematik gearbeitet werden. Über den persönlichen Bezug hinaus sollten sich die Schülerinnen und Schüler mit- einander darüber verständigen, wer in welcher Situation den Schutz der Madonna nötig hat. Indem die Figuren unter dem Mantel der Madonna abgedeckt werden, schafft man freien Raum für eigene Überlegungen der Kinder. Das Bild wird mit den Abdeckungen (= Leerstel- len) vergrößert kopiert (mind. DIN A3), sodass genug Platz entsteht, wohinein Schülerinnen und Schüler eigene Vorschläge in Wortform, als eingeklebte Fotos oder als Zeichnung einfü- gen können. Auf diese Weise findet die historische Transformation des Bildinhaltes Otto Pankoks in unsere Jetztzeit statt. Je nach Alter der Schülerinnen und Schüler werden diese Überlegungen dem Horizont der Kinder und Jugendlichen entsprechen. Ihre Bewusstseinswelt wird in solchen Bildbearbeitungen deutlich sichtbar. Mit dem abschließenden Kopieren der Schülerarbeiten in Schwarz – Weiß erzielt man eine optische Vereinheitlichung, was den formalen ästhetischen Aspekten einer Grafik ent- spricht. Die Bruchstellen zwischen der Künstlerarbeit und der Schülerarbeit werden auf diese Weise ″geglättet″, was aus der Bildergänzung wieder ein Gesamtbild werden lässt. Damit stehen die Schülerarbeiten nicht nur inhaltlich, sondern auch gestalterisch in der Nähe zu Otto Pankoks Bild und können in dieser Zusammenschau betrachtet und besprochen werden.

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9. 4 Der Schmerzensmann (1933-34), Bild Nr. 1 der Passion

Das Titelblatt der Passion zeigt den geschundenen Jesus inmitten der traditionellen Passions- symbole, wie sie auch auf Passionsaltären zu finden sind. Sie sagen aus, in welcher Form Mitmenschen an Jesus schuldig geworden waren. Die offen blutenden Wunden an Händen, Füßen und Bauch verweisen auf das zugefügte Leid durch die Henker. Marterwerkzeuge wie Kreuz, Nägel, Hammer, Lanze und Geißel künden von der politischen Macht, in dessen Ge- triebe der Mann aus Nazareth geriet. Die Dornenkrone, das Spruchband, das Hemd und die

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Würfel verbildlichen die Demütigungen und Verhöhnungen, denen sich Jesus ausgesetzt sah. Die Bildzeichen erzählen von der Gleichgültigkeit der Menschen, die im Anblick eines Ster- benden um dessen letztes Kleid losen. Dass der Künstler solch eine Darstellung als Einstiegs- bild in seine Passion wählte zeigt, dass die Geschichte eines Menschen erzählt wird, an dem seine Mitmenschen in unterschiedlicher Form schuldig wurden. Otto Pankok begann die Pas- sion in dem Augenblick, als der erste aus seinem Freundeskreis, der Maler Karl Schwesig, 1933 im Düsseldorfer Gestapogefängnis verhört und gefoltert wurde. Das Verhalten gegen- über wehrlosen Menschen in den Anfangstagen des Nationalsozialismus hielt Otto Pankok vor Augen, was die folgenden Jahre noch bringen werden. Er setzte die Katastrophe um die Person Jesu in Parallele zu den Geschehnissen des Nationalsozialismus. Am Ausgang der Gedenkstätte des Konzentrationslager Dachau ist der Satz des amerikanischen Schriftstellers George Santayana zu lesen: „Wer das Vergangene vergisst, ist dazu verurteilt, es zu wieder- holen.“1074 1933, im Morgengrauen der größten humanen Katastrophe der Menschheit, ver- suchte Otto Pankok seinen Mitmenschen das Vergangene noch einmal vor Augen zu stellen, um sie vor dem Kommenden zu warnen. Der Hahn und die Goldmünzen sind es schließlich, die von besonderer Schuld künden, dem Verrat, der im vertrauten Umfeld geschieht. Solcher Verrat ging ausgerechnet von den Jüngern, den ersten Weggefährten Jesu, aus:

„Jesus fand den ersten Stein, es war Petrus, den er zum Eckstein machte. Und er fand den zweiten, Andreas, und zehn andere Steine fand er hinzu. Aber schon als er diese zwölf um sich gesammelt hatte, da verleugnete ihn der erste, und der zwölfte bespitzelte und verriet ihn.“1075

9. 4. 1 Verortung der Thematik in der Lebenswirklichkeit der Schülerinnen und Schüler

Mit Otto Pankoks Einstiegsbild der Passion werden an Kinder und Jugendliche verschiedene Themen herangetragen, die den Betrachter des Bildes interessieren und berühren. Vor allem jüngere Schülerinnen und Schüler dürften sich durch den formalen Aufbau des Bildes ange- zogen fühlen. Die klare Bildanordnung, die fast ohne Überschneidungen auskommt, lädt dazu ein, das Bild visuell abzuschreiten. Zum einen ist es die klare Figürlichkeit und eindeutige Ausformulierung der Bildgegenstände, die Kinder ansprechen dürfte. Die Darstellung des Hemdes, der Würfel, der Dornenkrone und des Hahnes erinnert in der eindeutigen und klaren Liniensprache an Detailzeichnungen aus Kinderbüchern. Kindern und noch jüngeren Jugend- lichen ist der formale Aufbau des Bildes Otto Pankoks vertraut und dürfte weder überraschen noch abschrecken.

1074 Abgedruckt in Lorenz Wachinger, Gespräche über Schuld, 98. 1075 Otto Pankok in der Einleitung zur „Passion“ von 1936, 3.

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Es ist diese offene Zurschaustellung von verursachtem Leid, was die Aufmerksamkeit jüngerer Betrachter auf sich ziehen dürfte. Der riesige, überdimensionierte Nagel, die Geißel und die Dornenkrone sind eindeutige Zeichen zugefügter Wunden und Verletzungen. Jesus hält sie auf Otto Pankoks Darstellung dem Betrachter hin. An Händen und Füßen klebt noch Blut. Über sein Gesicht rinnen noch die letzten Tropfen. Die Malweise Otto Pankoks ist ex- pressionistisch übersteigert, was die Bildaussage noch hervorhebt. Damit lädt der Künstler die Betrachter ein, sich mit diesem zugefügten Leid auseinander zu setzen und sich dazu zu posi- tionieren. Dort beginnt für die den Unterricht begleitenden Lehrerinnen und Lehrer das Prob- lem mit der unterschiedlichen Wahrnehmung visueller Leid oder Gewaltdarstellungen bei Kindern und Jugendlichen. Medienpädagogische Untersuchungen haben gezeigt, dass vor allem Kinder, die häufig fernsehen, unsensibel gegenüber visuellen Gewaltdarstellungen wer- den1076. In der Pubertät ist die Kritiklosigkeit gegenüber Gewaltbildern außerordentlich aus- geprägt1077. Das zeigt sich deutlich an den harten Computerspielen, die unter Jugendlichen populär sind. Als interessant wird alles empfunden, was den Sinnen neue Reize verspricht. Durch die mediale Übersättigung verliert sich die Sensibilität der Kinder und Jugendliche für das Dargestellte. Aus diesem Grund wird es für Pädagogen schwer sein, Schülerinnen und Schüler für künstlerisch umgesetzte Gewaltdarstellungen, die im Verhältnis zu Computerspie- len schier harmlos sind, zu sensibilisieren. Untersuchungen haben gezeigt, dass Kinder und Jugendliche kaum bereit sind, über Gewaltdarstellungen mit Erwachsenen zu reden, weil sie sich in ihren Interessen und Konsumverhalten kritisiert fühlen1078.

9. 4. 2 Religionsdidaktische Konkretion

So scheinbar schutzlos wie Jesus inmitten der Passionszeichen steht, ist er gar nicht, betrach- tet man sich die Jesusfigur näher. Zwar wirkt sein Körper ausgemergelt und zerbrechlich, doch hält er selbstbewusst die Hände mit seinen Wundmahlen dem Bildbetrachter vor. Sein Blick ist aus dem Bild heraus geradewegs auf den Betrachter gerichtet. Fast scheint es so, als ob ihn die vielen Dinge, die um ihn herum versammelt sind, und wovon jedes seine eigene Leidensgeschichte erzählt, nichts mehr angingen. Zwar steht Jesus in der Mitte von ihnen, doch scheint er damit nicht wirklich etwas zu tun zu haben. Hinweisend hält er seine durchlö- cherten Hände dem Betrachter vor und leitet dessen Blick weiter auf die zahlreichen Folterin- strumente. Er scheint zu sagen: „Seht her! Das haben sie mir angetan.“ Analog dazu wirkt Jesus so, als hätte er das alles schon hinter sich gelassen.

1076 Ute Benz, Jugend, Gewalt und Fernsehen, 12. 1077 Ute Benz, Jugend, Gewalt und Fernsehen, 56f. 1078 Vgl. dazu ausführlich Ute Benz, Jugend, Gewalt und Fernsehen, 69.

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Diese Bildaussage hat sich in Otto Pankoks Bild Schmerzensmann nicht zufällig ein- gestellt, vielmehr wird in ihr das Jesusbild deutlich, das Otto Pankok als Christ vertrat und in seinen Bildwerken bildnerische Form gab. Für ihn war Jesus der „reinste Mensch, der ohne Fehl und Sünde“ über diese Erde schritt. Er war die personifizierte Liebe und das Licht1079.In diesem Zusammenhang verwendet Otto Pankok explizit den Begriff des ″Menschensohnes″. Das ist ein Hinweis darauf, dass sich der Künstler theologisch belesen haben muss. Anzu- nehmen ist, dass Otto Pankok auf den Begriff des ″Menschensohnes″ im Evangelium des Jo- hannes stieß (in Joh 12, 34). Er schien dieses Evangelium komplett gelesen zu haben. Die vielen Anstreichungen mit Bleistift in seiner Bibelausgabe belegen das,1080 beispielsweise in Joh. 19 und 20. Im Johannesevangelium 12, 34 fragt das Volk Jesus:

„Wir haben aus dem Gesetz gehört, dass der Christus in Ewigkeit bleibt; wieso sagst du dann: Der Menschen- sohn muss erhöht werden? Wer ist dieser Menschensohn?“1081

Bei Johannes gibt Jesus darauf keine Erklärung. Der Begriff des Menschensohnes er- fährt im Evangelium des Lukas eine Deutung. Unter Lk 17, 25 ist vom Kommen des Men- schensohnes die Rede:

„Zuvor aber muss er viel leiden und verworfen werden von diesem Geschlecht.“

Offensichtlich sah der Autor des Lukasevangeliums Jesus bereits zu dessen Lebzeiten in vol- ler Erwartung seiner Leiden1082. In einer Parallelstelle des Neuen Testaments heißt es (Mt 8, 20), dass der Menschensohn im Gegensatz zu den Tieren keine Heimat hat. In diesem Deute- horizont stellte Otto Pankok Jesus dar. Die Anzahl der an ihm gebrauchten Folterinstrumente zeigt, dass dieser Mann aus Nazareth auch unter den Menschen immer Außenseiter blieb, den es zu beseitigen galt. Zu seinem Schicksal als Sohn Gottes gehören die irdischen Leiden Jesu dazu. Gerade mit seiner Rede vom Menschensohn betont Jesus das Visionäre seines Redens und Handelns1083. Er selbst geht in diesen, von Menschen zugefügten Leiden, nicht auf, son- dern schaut mit Blick auf ein größeres Ziel daraus hervor. In Jesus wird Gottes Plan mit den Menschen deutlich. Otto Pankok hat diesen theologischen Gehalt durch den Aufbau seines Bildmotivs und dem Herausblicken Jesu aus dem Bild, treffend dargestellt. Er lässt Jesus von Nazareth den Betrachter anschauen, d.h. er konfrontiert uns Menschen mit unserer Schuld, die wir an diesem Menschen begangen haben.

1079 Vgl. dazu die Worte Otto Pankok in der Einleitung zur „Passion“ von 1936, 2. 1080 Die komplette Durchsicht der persönlichen Bibel Otto Pankoks fand am 16. 03. 2009 im Archiv von „Haus Esselt“ in Hünxe/Drevenack statt. Gesucht wurde dabei gezielt nach Anstreichungen und Vermerken, die Otto Pankok innerhalb des Bibeltextes vorgenommen hatte. 1081 Die Bibel, Übersetzung Martin Luthers, Deutsche Bibelgesellschaft Stuttgart, revidierte Fassung von 1984. 1082 Gerhard Hörster, Theologie des Neuen Testaments, 86. 1083 Vgl. dazu Gerd Theißen/Annette Merz, Der historische Jesus, 475.

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Es liegt nahe, dass im Umgang mit dem Bild Schmerzensmann in erster Linie die ethi- sche Kompetenz der Mädchen und Jungen entwickelt und gefördert wird. In Gegenüberstel- lung zur Friedensbotschaft Jesu und seiner Predigt von Nächstenliebe erscheint umso drasti- scher, was ihm seine Mitmenschen antaten. Jesus, mit seiner Fähigkeit zur umfassenden Men- schenliebe, wurde für den Künstler zum Synonym für Liebe schlechthin. In diesem Verständ- nis sah er den Gemarterten inmitten der Passionszeichen als Symbol für die anbrechende Zeit des Nationalsozialismus. Indem sich die Mädchen und Jungen mit der biblischen Jesusgeschichte auseinander- setzen, reflektieren sie die ethischen Grundlagen menschlichen Handelns. Sie lernen die Bergpredigt als ethischen Standpunkt gegen die gesellschaftlichen Zustände kennen. In der Auseinandersetzung mit dem Bild erweitern sie ihre fachliche Kompetenz, in- dem sie die um Jesus versammelten Zeichen mit seinem Lebensweg in Verbindung bringen können. In Auseinandersetzung mit dem Bild müssen sie sich mit der biblischen Passionsge- schichte beschäftigen. Ihre hermeneutische Kompetenz bauen sie in dem Maße aus, wie sie die dargestellten Symbole und Zeichen deuten und mit der biblischen Überlieferung der Lei- densstationen in Verbindung bringen können. Die um ihn versammelten Marterwerkzeuge geben einen Eindruck davon, was seine Mitmenschen unternahmen, um Jesus zum Schweigen zu bringen. Letztendlich vertiefen die Mädchen und Jungen ihre religiöse Kompetenz, da sie mit Jesus einen Menschen kennenlernen, der in seinem Glauben die Kraft fand, widrigen Le- bensumständen zu trotzen und Anfeindungen durch Mitmenschen standzuhalten. Damit ler- nen sie einen Lebensentwurf kennen, der von einem tiefen Glauben genährt wird und konse- quent auf Gott und die christlichen Gebote ausgerichtet ist.

9. 4. 3 Methodische Impulse Herstellung einer interaktiven Pop-up Animation: Im Religionsunterricht mit Computer und Internet umzugehen, ist längst noch nicht alltäglich. Bislang wird der Computer im Fach Re- ligion überwiegend zur Informationsrecherche benutzt oder zum Abspielen computergestütz- ter Lehrmittel. Doch von technisch interessierten Kindern und Jugendlichen werden internet- und computergeleitete Anwendungen für das Fach Religion angeregt1084. Unter Verwendung des Kohlebildes Schmerzensmann wäre es gut möglich, eine derartige Schülerarbeit durchzu- führen. Dabei kann es zum Deckblatt einer interaktiven Pop-up Animation werden, die Kinder und Jugendliche durch Anklicken der einzelnen Fenster in die Jesusgeschichte einführt. Der Herstellung einer solchen Animation ginge eine ikonologische Arbeitsphase voraus, in der die

1084 Dies bezeugen beispielsweise die eingereichten Schülerbeiträge zum regelmäßig stattfindenden Bibelwett- bewerb im Land Mecklenburg-Vorpommern.

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Bedeutung der einzelnen Bildzeichen erschlossen wird. Im Vorfeld ist von Seiten der Schüle- rinnen und Schüler eine Menge an historischer und theologischer Recherchearbeit zu leisten, um solch eine aktive Animation herstellen zu können. Die technische Realisierung der Auf- gabe könnte im Idealfall in Zusammenarbeit mit dem Informatikunterricht geschehen. Jedes einzelne Bildelement, das von Bedeutung ist, wird als sich öffnendes Fenster umgestaltet, das durch Anklicken seinen Inhalt preisgibt. Solch eine Animation kann auf verschiedenen Ebe- nen aufgebaut werden, die immer tiefer in relevantes Hintergrundwissen einführen. Auch ist die Verlinkung der einzelnen Fenster denkbar, wodurch sich für die Schülerinnen und Schüler ein zusammenhängendes Gesamtbild der Passionsgeschichte Jesu ergibt. Je nachdem in wel- cher Altersstufe ein solches Projekt angegangen werden würde, bestünde die Möglichkeit zur kritischen Reflexion der biblischen Zeugnisse, der damit verbundenen Glaubensinhalte, der historischen Überlieferung und der daraus resultierenden kulturellen Wahrnehmung und Ver- arbeitung der Jesusgeschichte in Kunst und Musik. Die Erarbeitung einer solchen Computer- animation hätte über das eigentliche Projekt hinaus hohen Nutzwert für den weiteren Einsatz im Religionsunterricht. Bildcollage im Stil Otto Pankoks: Unter Aufnahme des Bildtitels werden Schülerinnen und Schüler dazu angehalten, eine Bildcollage (je nach Fähigkeit als Zeichnung oder Tuschelavie- rung) unter der Fragestellung anzufertigen: Was schmerzt mich in meinem gegenwärtigen Leben? Mit dieser Aufgabe werden Schülerinnen und Schüler dazu aufgefordert, sich intensiv mit sich selbst und ihrer gegenwärtigen Lebenssituation auseinander zu setzen. Das fördert in hohem Maße die Selbstkompetenz der Mädchen und Jungen. Sie müssen sich existenziellen Fragen stellen, zu denen sie vorher vielleicht noch nie Stellung beziehen mussten, z.B.: Wor- an leide ich? Was fügt mir Schmerz zu? Wovon fühle ich mich bedroht? Wie sehe ich mich inmitten der Dinge, die mich schmerzen? Weine ich? Habe ich Angst? Bin ich stark? Drohe ich, zusammenzubrechen? Kann ich anderen meine Wunden zeigen oder verstecke ich sie lieber? In der inhaltlichen Auseinandersetzung mit Person und Lehre Jesu sollen die Schüle- rinnen und Schüler schließlich erarbeiten, was ihre persönlichen Kraftquellen sind auf die sie bauen können und was sie ggf. aus ihren persönlichen Schmerz herausschauen lassen könnte.

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9. 5 Das Gleichnis vom guten Hirten (1933-34), Bild Nr. 16 der Passion

Im Verständnis Otto Pankoks steht Jesus von Nazareth antipodisch zum Bösen. Für den Künstler ist Jesus die personifizierte Liebe, wie weiter oben in dieser Arbeit ausführlich dar- gestellt wurde. Der Bildtitel verweist auf einen Topos der Kunstgeschichte, die die Darstel- lungen des ″guten Hirten″ seit der Antike kennt1085. Eine der bekanntesten Darstellungen des

1085 So die gleichnamige Marmorstatue des Guten Hirten (3. Jh.), die heute zu sehen ist im Lateranmuseum in Rom, in Oskar Thulin, Die Sprache der Christusbilder, 9.

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Motivs befindet sich in den Priscilla-Katakomben in Rom1086. In römischen Kaiserzeiten ver- zierten wohlhabende Städter die Wände ihrer Häuser mit Hirtenszenen, da das einfache länd- liche Leben als Gegengewicht zum städtischen Überfluss stand. Das körperlich beschwerli- che, naturnahe Leben der Bauern und Hirten galt als Ideal in einer genusssüchtigen, träger werdenden Gesellschaft. Unter diesen Szenen gab es die typische Darstellung eines Jünglings, der ein Lamm über den Schultern trägt. Da Jesus sich selbst als „guter Hirte“ bezeichnete, lag es nahe, dass ihn die ersten Christen mit dieser antiken Darstellung belegten. Auf den ersten christlichen Darstellungen, trägt Jesus wie das römische Vorbild ein Schaf über der Schulter, oder die Schafe scharren sich vertrauensvoll zu seinen Füßen. Solch eine Szene ist auf dem Mosaik Der gute Hirt1087 aus dem 5. Jahrhundert im Mausoleum Galla Placidia in Ravenna. Zu sehen. Die Darstellung Jesu in vertrauter Nähe zu einem friedfertigen Tier wirkt naturnah und mild. Jesus wird dadurch zu einem tröstenden Sinnbild für die Gläubigen. Martin Luther sagte über diese Versinnbildlichung, dass man im späten Mittelalter Christus viel zu sehr zum fernen Weltenrichter machte, man solle ihn lieber als guten Hirten darstellen, dem wir uns gern anvertrauen, so wie es das frühe Christentum getan habe1088. Ein nochmals reduziertes Bild des gleichen Motivs schuf Otto Pankok 1936 mit dem Holzschnitt Guter Hirte (WH 87). Das Kohlegemälde scheint als direkte Vorlage gedient zu haben, so wie es als typisch für Otto Pankoks Arbeitsweise beschrieben wurde. Der wesentli- che Unterschied zwischen Kohlegemälde und Holzschnitt gleicher Thematik ist, dass Otto Pankok die Jesusfigur aus der menschenleeren Weite des Kohlegemäldes herausholt, um sie dem Betrachter dichter vor Augen zu halten. Stärker als auf dem Kohlegemälde findet auf dem überlangen Holzschnitt (122 x 28,5) eine Konzentration auf die emotionale Verbindung Mensch – Tier statt. Diese Begegnung spielt sich ausschließlich im oberen Drittel des Bildes ab und äußert sich bildnerisch in der Körperhaltung Jesu und seinem Blick auf das kleine Tier in seinen Händen.

9. 5. 1 Verortung der Thematik in der Lebenswirklichkeit der Schülerinnen und Schüler

Der Religionsunterricht ist der Ort, an dem Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit gege- ben wird, in Austausch über Themen zu treten, die ansonsten in der Gesellschaft eher ver- drängt werden, seien das Themen wie ″Tod″, ″Sterben″, ″Gewalt″ etc. Themen solchen Inhal- tes decken nur einen kleinen Teil der Erfahrungswelt der Schülerinnen und Schüler ab. Anton

1086 Abgedruckt in Friedrich Fischer, Bilder lesen und Gott entdecken, 69. 1087 Abgedruckt u.a. in Katharina Winnekes, Christus in der Bildenden Kunst, 18. 1088 Zitiert nach Oskar Thulin, Die Sprache der Christusbilder, 9.

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A. Bucher plädierte 1998 dafür, die Erlebniswelt der Kinder nicht negativer zu sehen als sie tatsächlich ist1089 Seiner Meinung nach konditionieren uns die Massenmedien darauf, heutige Kindheit lediglich unter problematischen Aspekten wahrzunehmen. Nach Anton A. Bucher entspricht es viel eher der Realität, dass sich der allergrößte Teil der Kinder in ihren Familien und ihrem Umfeld glücklich fühle. Dabei definiert er ″Glück″ im Sinne einer „als positiv er- lebten Befindlichkeit“1090. Das heißt auch, dass ″Glück″ eine subjektive Befindlichkeit ist. Nach Anton A. Bucher stellt sich Glück bei den meisten Kindern in einem aktiv vollzogenen Prozess ein, der intrinsisch motiviert ist1091. Neben dem Sprechen vom ″Bösen″, von ″Armut″, ″Krieg″ und ″Gewalt″ ist es aus diesem Grund im Religionsunterricht angebracht, ebenso das ″Glücklichsein″ als angestrebten Normalzustand des Menschen zu thematisieren1092. Ein Moment der Weltvergessenheit und des Glückes ist auf Otto Pankoks Bild Das Gleichnis vom guten Hirten zu sehen. Die Welt scheint einen Moment still zu stehen, in diesem Augenblick konzentrierter Aufmerksamkeit, die Jesus dem kleinen Tier in seinem Arm zukommen lässt. Kinder und Jugendliche kennen solche Momente, die sie als Glücksmomente wahrnehmen. Häufig gehen sie einher mit ver- sunkenem Spiel oder der Erfahrung, dass etwas gelingt1093. Nach Anton A. Bucher beinhaltet vor allem der Kontakt mit Tieren ein enormes Glückspotential, das von Erwachsenen häufig unterschätzt wird1094. Fast jedes Kind wünscht sich irgendwann ein eigenes Haustier. Dessen Tod stellt für viele Kinder ein einschneidendes Erlebnis mit hohem Verlustpotential dar. In einer Umfrage konnte Anton A. Bucher 1998 bestätigen, dass Kinder ihr Haustier als vollwertiges Familienmitglied wahrnehmen und in Bezug auf die emotionale Nähe häufig noch vor den Geschwistern und Eltern anführen1095. Unter diesem Aspekt ist das Bild Otto Pankoks geeignet, um in der Grundschule und im Reli- gionsunterricht der ersten bis sechsten Klasse Einsatz zu finden. Das Einfühlen der Schülerin- nen und Schüler in solch eine verinnerlichte Situation, wie sie der Künstler auf seinem Bild Das Gleichnis vom guten Hirten darstellt, wird in dieser Altersstufe gelingen.

1089 Anton A. Bucher führte 1998 in Salzburg unter Zuhilfenahme von Methoden der empirischen Sozialfor- schung eine Befragung unter 1300 Kindern durch und kam zu dem Ergebnis, dass der allergrößte Teil der Kinder sich glücklich fühle und sogar 54,1% sich als „sehr glücklich“ einstufen. Er warnt davor negative Wahrnehmun- gen und auch persönliche Erfahrungen zu generalisieren. Vgl. dazu Anton A. Bucher, Glückliche Kinder, 136. 1090 Anton A. Bucher, Glückliche Kinder, 136. 1091 Anton A. Bucher, Glückliche Kinder, 138. 1092 So der Glücksforscher Veenhoven, der Glück vergleichbar zu Gesundheit als „a normal condition“ be- schreibt, die erst problematisiert wird, wenn Unglück hereinbricht, in Anton A. Bucher, Glückliche Kinder, 141. 1093 Anton A. Bucher, Glückliche Kinder, 141. 1094 Vgl. dazu auch Anton A. Bucher, Was Kinder glücklich macht, München 2008. Darin: Kinderglück mit Fell und Pfoten, 153. 1095 Anton A. Bucher, Glückliche Kinder, 143.

260

9. 5. 2 Religionsdidaktische Konkretion

Für den Pädagogen Hartmut von Hentig gehört „die Wahrnehmung von Glück“ zu den Maß- stäben, an denen sich Bildung eines Menschen zu bewähren habe1096. Das impliziert, dass Unterricht Gelegenheiten der Reflexion bereitstellen sollte, die Glücksmomente und Glücks- vorstellungen betreffen. Gerade der Religionsunterricht kann ein Ort werden, an dem Schüle- rinnen und Schülern die Möglichkeit haben, von einer Metaebene aus zu hinterfragen, wann und wobei, in welchen Situationen und in Gegenwart welcher Menschen sich Glück für sie äußert. Als ein Bild des Glückes kann Otto Pankoks Das Gleichnis vom guten Hirten gelten. Hierin materialisiert sich ein tiefes menschliches Staunen über das Wunder göttlicher Schöp- fung. Das traditionelle Opfertier des Lammes1097 wird in Otto Pankoks Darstellung zum Ob- jekt, in dem sich Gottes Herrlichkeit transzendiert. Indem Jesus das Wesen dieses Tieres er- kennt, sieht er sein eigenes Schicksal. Er selbst ist das Lamm und wird zum Opfer (agnus dei) werden. Indem Jesus auf das kleine Tier schaut, erkennt er sich selbst. In diesem Sinn ver- weist der Künstler mit dem Bild Nr. 16 der Passion im Erzählkontext auf das kommende Pas- sionsleiden Christi. Diese inhaltliche Dimension der Darstellung des guten Hirten ist für jün- gere Kinder noch nicht eingängig. Empirische Untersuchungen haben gezeigt, dass Grund- schulkinder Gleichnisse in erster Linie als Geschichten verstehen, d.h., sie können mit einem Satz „Das Reich Gottes verhält sich wie …“ noch nichts anfangen. Das bleibt so, bis sich bei ihnen mit ungefähr zwölf Jahren die Fähigkeit zum abstrakten Denken herausgebildet hat1098. Deshalb wird für jüngere Schülerinnen und Schüler in erster Linie das Erfassen der emotiona- len Begegnung im Vordergrund stehen. Das Gleichnis vom guten Hirten ist ein stilles Bild. Die Zeit scheint anzuhalten in ei- nem Moment innigsten Glücks. Nichts lenkt vom Hauptbildgegenstand ab. Der leere Raum um die Figur Jesu herum verstärkt diesen Eindruck. Was zählt, ist die liebevolle Begegnung zweier Kreaturen. Der leere Bildraum ist der Klangkörper, in dem zwei Seelen zum Schwin- gen kommen. Der Künstler stellte den Moment dar, in dem die stille Betrachtung eines klei- nen Tieres in tiefes Erkennen seines Wesens umschlägt. Dieser Moment echter Begegnung hat metaphysischen Charakter. Die Zeit scheint sich auszudehnen, indem kein Ende dieser innig schweigsamen Begegnung absehbar ist. Solcherart Ruhe und Besinnung sollte für die Schüler und Schülerinnen erlebbar gemacht werden. Das zu betrachtende Kunstwerk ist still und sollte in Stille wirken können. Sinnvoll wäre es, es mit hinaus in die Natur zu nehmen

1096 Rudolf Englert, Was ist Glück? Theologisieren mit Jugendlichen, 57. 1097 Marion Zerbst/Werner Waldmann, Zeichen und Symbole, 131. 1098 Vgl. dazu Mónika Solymár, Wer ist Jesus Christus?, 138.

261 und sich dem Bildgeschehen beispielsweise auf einer Wiese im Park zu nähern. Vollkommen verfehlt wäre es daher, mit dem an Schulen üblichen Leistungswillen und Zeitdruck an das Bild heranzutreten1099. Es bringt in seinem Bildthema Zeit mit und fordert Zeit ein. Folgerich- tig wäre es daher, Schülerinnen und Schüler zur Einstimmung auf Otto Pankoks Bild einer verlangsamten Zeiterfahrung auszusetzen, wie das beispielsweise in Form einer Stilleübung, verbunden mit Atemkontrolle und Meditation geschehen kann1100. Nicht zu unterschätzen ist, was es für Kinder und Jugendliche bedeutet, sich in die Stummheit einer künstlerischen Ab- bildung zu versenken und sich empathisch in die Bildfiguren hineinzuversetzen. In diesem Zustand kann die „Kunst des Verweilens“1101 eingeübt werden. Eine Vielzahl von Kompetenzen können Mädchen und Jungen in der Auseinanderset- zung mit Otto Pankoks Bild vertiefen. In erster Linie schulen sie ihre religiöse Kompetenz, indem sie mit dem Bild vom ″guten Hirten″ einen alten christlichen Topos und Bildtyp ken- nenlernen, in dem sich ein bestimmtes Christusbild widerspiegelt. In diesem Sinn bilden sie ihre hermeneutische Kompetenz aus, indem sie erfahren, was sich für Menschen seit der An- tike inhaltlich mit dem Bild vom ″guten Hirten″ verbindet. Die ethische Kompetenz der Mädchen und Jungen wird erweitert, indem sie, mit dem ″guten Hirten″, ein Sinnbild dafür kennenlernen, dass die Liebe und die Zuneigung von Men- schen auch Tieren zuteil werden kann. Das bildet ihr empathisches Einfühlungsvermögen aus. Das Bild materialisiert die Wertschätzung jedes Kreatürlichen als Schöpfungswerk Gottes, wozu insbesondere die Tiere als Mitkreatur des Menschen zählen. Diese spezielle Wertschät- zung jeder Kreatur erfolgt aus christlicher Perspektive heraus. Auch sie empfinden Schmerz, Furcht, Panik, Geborgenheit und Vertrauen. Indem sich Schülerinnen und Schüler mit der Frage auseinandersetzen, ob sie gleichermaßen zu solcher Liebe und Achtung in der Lage sind (oder wären), entwickeln sie ihre Personalkompetenz.

9. 5. 3 Methodische Impulse Bildmeditation: Das Bild Nr. 16 der Passion ist eines der Bilder, das durch seine Klarheit und Reduziertheit im Motiv zur Meditation einlädt. Es ist definiert in der Konzentration Jesu auf das kleine Tier. Otto Pankok stellt Jesus in einem verinnerlichten Moment dar, der große Ru- he ausstrahlt. In diesen intimen Moment, der inneren Zwiesprache mit dem Tier, können die Schülerinnen und Schüler mit hinein genommen werden. Ein möglicher Ausgangspunkt der Meditation könnte ein innerer Monolog Jesu sein, den dieser bei der Betrachtung des Tieres in

1099 Vgl. dazu Horst Rumpf, Schule als Kunst – Raum, 138. 1100 Vgl. dazu Franz W. Niehl/Arthur Thömmes, 212 Methoden für den Religionsunterricht. 1101 Horst Rumpf, Schule als Kunst – Raum, 139.

262 seinen Händen führt. Beginnen könnte er z.B. mit den Worten: „Was halte ich da in meinen Händen …“. Solch eine Herangehensweise ermöglicht den Schülerinnen und Schülern die Perspektive Jesu einzunehmen. Ein scheinbar bedeutungsloses, kleines Tier wird mit neuen Augen gesehen und in seinem Wert als Kreatur erkannt. Das kleine Tier wird als ein Beispiel wahrgenommen, in dem sich das Wunder der Schöpfung Gottes offenbart. Die Aufwertung des Kleinen, gegenüber dem scheinbar so bedeutungsschweren Großen, kommt auf diesem Bild zum Tragen. Die angestrebte Perspektivenübernahme kann zugleich in die andere Rich- tung erfolgen, wenn die Schülerinnen und Schüler dazu angehalten werden, sich in die Rolle des kleinen Tieres zu versetzen. Wie fühlt es sich an, in den Armen eines so aufmerksamen Menschen zu ruhen? Was er wohl mit mir vor hat? Spüre ich Angst? Beginnen könnte so eine Perspektivenübernahme etwa mit den Worten: „Nun liege ich hier in diesen Armen und fühle mich so …“ Collagearbeit: Der eigentliche Bildgegenstand konzentriert sich in Otto Pankoks Darstellung Das Gleichnis vom guten Hirten in einem kleinen Teil des Bildwerkes (ca. 1/10). Er kann reduziert werden auf ein Brustbild Jesu, der vor sich in den Händen das Tier hält. Der weitaus größte Teil des Bildes ist von leerem Raum bestimmt. Das unterstützt die Konzentration auf das Kernmotiv, das kleine Lebewesen in Jesu Händen. Der Moment der Verinnerlichung er- höht sich durch die Leere des umliegenden Raumes. Die Wahrnehmung Jesu konzentriert sich auf das Tier, was ihn alles drum herum vergessen und nichtig erscheinen lässt. In diesem un- bestimmten nihil hat Otto Pankok das Umfeld Jesu bildnerisch belassen. Die Schülerinnen und Schüler haben die Möglichkeit in Form einer Collage, die aus Bild-, Foto- und Wortele- menten besteht, diesen leeren Raum zu gestalten, um zu visualisieren, was angesichts solch einer Konzentration auf das Kleine aus dem Blick gerät und sich in seinem oftmals vielfach übersteigerten Wert relativiert. Solche Collagen von Schülerinnen und Schülern bieten her- vorragende Einstiegsmöglichkeiten in weiterführende Unterrichtsgespräche. Sie offenbaren die Grundlegung der Wertevorstellungen und Einstellungen der Kinder und Jugendlichen. Über solche Schüleraktivitäten erhalten Lehrerinnen und Lehrer die Möglichkeit, Kinder und Jugendliche tiefgründiger kennen zu lernen.

263

9. 6 Lasset die Kindlein zu mir kommen (1933-34), Bild Nr. 25 der Passion

Dieses Bild kann als hermeneutischer Schlüssel zu Otto Pankoks Menschenbild gesehen wer- den. In Art und Weise, wie sich Jesus den Kindern nähert, offenbart sich Otto Pankoks Ver- ständnis eines ″wahren Menschen″. Der innige Moment der Zuwendung wird im Ausschnitt noch einmal in der späteren Monotypie Lasset die Kindlein (WM 39, 1952) verstärkt. Im klei- neren Format der Monotypie konzentriert sich Otto Pankoks Bildaussage auf die zwischen- menschliche Begegnung Jesu mit einem kleinen Jungen. Intensität und Qualität der Bezie- hung ergeben sich aus dem direkten Blickkontakt beider Bildfiguren. Das biblische Motiv der Kindersegnung durch Jesus Mt 19, 13-15 bzw. Mk 10, 13-16 ist kein traditionelles Bildthema christlicher Ikonografie, was auf die soziale Stellung von Kindern innerhalb der Glaubenswelt und Gesellschaft verweist. Lucas Cranachs (d.Ä.) Ge- mälde Christus segnet die Kinder von 1538 ist eine der frühesten Darstellungen der Kinder- segnung. Ab der Reformation wird das Motiv schließlich zum Bildthema innerhalb des Pro-

264 testantismus1102. Eine der bekanntesten bildnerischen Umsetzungen der Kindersegnung durch Jesus von Nazareth schuf Emil Nolde 1910 mit seinem Ölbild Christus und die Kinder.

9. 6. 1 Verortung der Thematik in der Lebenswirklichkeit der Schülerinnen und Schüler

Kinder und Jugendliche haben ein Bedürfnis danach, dass sich ihnen über die Eltern hinaus Erwachsene mit ehrlichem Interesse zuwenden1103. Die Hinwendung Jesu zu dem kleinen Jungen lohnt dieser ihm, indem er ebenfalls sein Interesse ganz auf ihn richtet. Der kleine Junge wirkt kein ängstlich. Selbstbewusst steht er vor Jesus und schaut mit wachem Blick in seine Augen. Im Rücken hält der kleine Junge beide Hände verschränkt, was ihm in seiner Körperhaltung die Würde eines älteren Menschen verleiht. Sein Gesicht wirkt ernst und viel älter als der Junge tatsächlich ist. Es scheint, als ob er gleich beginnen wird, Jesus wichtige Dinge mitzuteilen. Otto Pankok schuf mit diesem Werk der Passion das Sinnbild einer gelun- genen menschlichen Begegnung. Wertschätzung, Respekt und Verständnis sind für Mädchen und Jungen in ihrer Ent- wicklung das Wichtigste, was ihnen Erwachsene entgegen zu bringen haben1104. Noch Schul- kinder brauchen für ihre optimale Entwicklung die Gewissheit, dass sie „jederzeit Zuwendung und Schutz von einer Bezugperson erhalten“1105 können. Fehlt einem Kind zu Hause diese Gewissheit der Geborgenheit, dann fängt es an, nach solcher Geborgenheit zu suchen, was es u.U. in schlechte Gesellschaft führen kann1106. Der Kinderarzt und Erziehungsexperte Remo H. Largo weist darauf hin, dass Schulkinder „eine innere Bereitschaft“ haben, „sich auf frem- de Erwachsene einzustellen und von ihnen zu lernen“1107. Otto Pankok stellt auf seinem Koh- lebild Lasset die Kindlein zu mir kommen künstlerisch dar, dass Jesus von Nazareth seiner Auffassung nach in der Lage ist, dieses kindliche Bedürfnis nach Vertrautheit und Nähe zu erkennen und dem nachzukommen. Auf dem Bild ist es der Erwachsene, der die Initiative zur Kontaktaufnahme mit den Kindern ergreift. Das dürfte heutigen Kindern und Jugendlichen ungewöhnlich erscheinen. Intuitiv und ohne auf die Meinung umstehender Erwachsener zu hören, beugt sich Jesus dem kleinen Jungen zu, schaut ihm in die Augen und stellt Körperkontakt her, indem er ihm die Hände auf die Schultern legt. Die übrigen umstehenden Kinder schauen skeptisch, was wohl

1102 Gertrud Schiller, Ikonographie der christlichen Kunst, Bd. 1, 166. Das Gemälde (83,5 x 121 cm) befindet sich in der Kunsthalle Hamburg, dort unter der Inventarnr. 618 und ist u.a. abgedruckt in Gertrud Schiller, Iko- nographie der christlichen Kunst, Bd. 1, 444. 1103 Remo H. Largo, Kinderjahre, 138. 1104 So u.a. Anton Bucher, was Kinder glücklich macht, 246. 1105 Remo H. Largo, Kinderjahre, 138. 1106 Remo H. Largo, Kinderjahre, 140. 1107 Remo H. Largo, Kinderjahre, 140.

265 das Anliegen des Mannes sein könnte. Dessen ungeachtet hat der kleine Junge all seinen Mut zusammen genommen und erwidert den persönlichen Kontakt. Die Darstellung des Künstlers lässt keinen Zweifel daran, dass ihm die anderen Kinder folgen werden. Die Überbrückung der Distanz ist gelungen. Eine neuartige Beziehung kann sich hieraus entwickeln. Möglich wurde das durch die Liebe eines Menschen, der konventionelle Grenzen überwindet.

9. 6. 2 Religionsdidaktische Konkretion

Dieses Bild gehört zu den Bildwerken, die zur Auseinandersetzung vor allem mit jüngeren Schülerinnen und Schülern einladen. Eine Vielzahl theologischer Termini sind kognitiv für Grundschüler und Schülerinnen und Schüler bis zur Klassenstufe sechs nur bedingt zugäng- lich1108. Zu Begriffen wie ″Erlösung″, ″Schuld″ oder ″Heil″ haben sie noch keinen Zugang. Anders sieht es dagegen mit diesem Bild aus: Es zeigt die Erfahrung kleiner Kinder, dass sich Erwachsene zu ihnen hinab beugen müssen, um mit ihnen auf Augenhöhe kommunizieren zu können. Erst in diesem ″Sich-hinab-beugen″ erfährt das Kind echte Aufmerksamkeit und An- teilnahme von Seiten eines Erwachsenen1109. Formal vergleichbare Bilder stellen Fotos von Politikern dar, die sich dabei fotografie- ren lassen, wie sie Kindern die Hände schütteln, was nicht selten am Rande von Massenver- anstaltungen vorkommt. Auffallend ist dies in autoritären Regimen, die sich volksnah darstel- len wollen. Einige solcher Fotos wären sicher geeignet, um im direkten Bildvergleich den inhaltlichen Mehrwert der bildnerischen Darstellung Otto Pankoks hervorzuheben und die Frage nach authentischer Zuneigung zu thematisieren. Das Bild Lasset die Kindlein zu mir kommen veranschaulicht diese Fähigkeit der Zu- wendung in der Person Jesu. Diese Art der direkten Anteilnahme am Schicksal von Kindern durch eine so bekannte und offenbar wichtige Person kann dazu verhelfen, den Selbstwert der Kinder und ihr Selbstbewusstsein positiv zu beeinflussen1110. Damit visualisiert es die Gabe eines Erwachsenen, sich Zeit für Kinder zu nehmen und altersgerecht auf sie eingehen zu kön- nen. In diesem Sinn bietet es Kindern die Möglichkeit zur Identifikation. Viel direkter als Worte es tun könnten, schafft es diese Darstellung, Unsagbares anschaulich werden zu lassen. In diesem Bild wird der Mehrwert des Kunstwerkes gegenüber dem Text deutlich. Otto Pan- kok verdichtet Lebenserfahrungen mit emotionaler Dimension zu einer bildnerischen Darstel-

1108 Vgl. dazu Jürgen Wüst/Ruth Wüst, Arbeiten mit Kunst in Kindergarten und Grundschule, 30. 1109 Vgl. dazu u.a. Remo H. Largo, Kinderjahre, 141. 1110 Jürgen Wüst/Ruth Wüst, Arbeiten mit Kunst in Kindergarten und Grundschule, 30.

266 lung. Dadurch kann dieses Bild an Stellen anknüpfen, an denen die Sprachmöglichkeiten der Schülerinnen und Schüler aufhört. Eine der herausragenden Verhaltensweisen Jesu war es, sich vorbehaltlos den in der jüdischen Gesellschaft Deklassierten zuzuwenden1111. Diesbezüglich weisen die Autoren Gerd Theißen und Annette Merz darauf hin, dass vor allem das Lukasevangelium überzeu- gende Überlieferungen dieser Art bereithält, ohne freilich in jeder Hinsicht historisch zu sein. Wichtig erscheint die damit intendierte Aussage, dass sich Jesus von Nazareth mit seiner gan- zen Sympathie und voller Engagement Menschen zuwandte, die innerhalb der jüdischen Ge- sellschaft als Sünder galten. Das waren vor allem Räuber, Betrüger, Ehebrecher, Zöllner und Prostituierte1112. Dazu gehörten auch die Kinder, die in der antiken Gesellschaft nicht als voll- wertige Persönlichkeiten wahrgenommen wurden. Anders als Emil Nolde und anders als es die biblische Überlieferung der Evangelientexte beschreibt, reduzierte Otto Pankok sein Mo- tiv nochmals in der bildnerischen Aussage auf die Begegnung Jesu mit den Kindern. Zwar wird Jesus in seinem Handeln von den umstehenden Jüngern misstrauisch beobachtet, doch fehlen im Gegensatz zur biblischen Überlieferung die Mütter der Kinder, die diese zu Jesus brachten, damit er sie segne (Mk 10, 13). Damit schafft der Künstler eine Konzentration in der Aussage. Er elementarisiert die biblische Überlieferung auf den zwischenmenschlichen Kontakt, den Jesus zu den Kindern herstellen kann. Vor ihm stehen tatsächlich nur die Kinder und nicht deren Mütter. Das ist für die Bildaussage des Künstlers wesentlich. Otto Pankok geht es nicht um die Erwachsenen – genauso wenig wie um Jesus – sondern um die Kinder. Er unterstützt seine Bildaussage durch eine Dreiteilung des Bildaufbaus. Die Hinwen- dung zu den Kindern wird für den Betrachter des Bildes nacherlebbar in der Körperhaltung der dargestellten Personen und in der diagonalen Verteilung der Hell-Dunkel-Werte. Die Jün- ger im Hintergrund stehen statisch aufrecht und bilden den dunkelsten Bildbereich (rechts oben im Bild). Jesus steht im Bildmittelraum und beugt sich im rechten Winkel zu den Kin- dern hinab. In seiner Person findet der Verlauf von Dunkel zu Hell statt. Er ist der Mittler, der die Verbindung vom Dunklen ins Helle ermöglicht. Die Helligkeit seiner Hände geht über in das leuchtende Licht, in das die zwei kleinen Jungen getaucht sind, die direkt vor Jesus stehen (links unten im Bild).

1111 Vgl. dazu Gerd Theißen/Annette Merz, Der historische Jesus, 349. 1112 Gerd Theißen/Annette Merz, Der historische Jesus, 349.

267

Mit diesem Bildaufbau führt er den Blick des Betrachters diagonal durch das Bild, weg von den dunklen Jüngern hin zu den leuchtend hellen Kindern. Durch den gezielten Ein- satz von Helligkeit und Dunkelheit im Bild nimmt der Künstler eine Klassifizierung der dargestellten Personen vor: auf die Kinder kommt es an. Sie sind das Licht! Die Erwachsenen verbleiben dage- gen in ihrer konservativen Haltung, d.h. im Dunkel. Durch die Person Jesu wird eine Vermittlung ermög- licht. Er ist es, der uns zu diesem Blick hin zu den Kindern verhelfen kann. Möglich wird das durch sei- ne, traditionelle Schranken durchbrechende, übergreifende Liebe, die ihn dazu befähigt, au- ßerhalb der üblichen Konventionen Menschen zu begegnen, um so echte Begegnung entste- hen zu lassen. Indem Heranwachsende das nachvollziehen können und in Bezug auf ihr eige- nes Handeln reflektieren, vertiefen sie ihre Selbstkompetenz. Es sind vor allem fünf Kompetenzbereiche, die Schülerinnen und Schüler bei der Be- schäftigung mit Otto Pankoks Bild Lasset die Kindlein zu mir kommen ausbilden können. Die religiöse Kompetenz der Mädchen und Jungen wird dahingehend gefördert, dass sie mit Jesus einen Menschen kennenlernen, der im Umgang mit allen Menschen vom Grundsatz der Nächstenliebe geleitet wird. Möglich ist ihm das, da er in der Lage ist, jeden einzelnen Men- schen als Schöpfungswille und Ebenbild Gottes anzuerkennen. Die Konsequenz seines Han- delns verbildlicht sich symptomatisch in der ehrlichen Zuwendung zu den kleinen Kindern. Ihre Fachkompetenz erweitern die Schülerinnen und Schüler, da sie sich mit dem Kern der Botschaft Jesu auseinandersetzen müssen, um das Bild zu verstehen. Des Weiteren müs- sen ihnen grundlegende Umstände der Zeit und des Lebensumfeldes Jesu vertraut sein. Zu Fachbegriffen wie Jünger, Pharisäer etc. sollten die Mädchen und Jungen schon eine Vorstel- lung entwickelt haben. Einhergehend damit bauen sie ihre ethische Kompetenz aus. Am Bei- spiel der Person Jesu erfahren sie idealtypisch, wie eine Überzeugung und gelebter Ethos ent- gegen aller Konventionen in konsequentes ethisches Handeln münden kann. In der kritischen Auseinandersetzung, mit der bildnerischen Umsetzung des Bibeltextes, wird ihre hermeneuti- sche Kompetenz gefördert.

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Darüber hinaus haben Heranwachsende die Möglichkeit, im Umgang mit dem Bild- werk ihre Selbstkompetenz zu erweitern. Indem sie sich in die dargestellten Personen hinein- fühlen, können sie nachvollziehen, was sie in der entsprechenden Situation empfunden hätten. Was würden sie Jesus erzählen, stünden sie direkt vor ihm und bekämen die Möglichkeit, mit ihm zu sprechen? Von welchem Leid und Schmerz würden sie berichten? Was würden sie ihm dringend ans Herz legen? Für welche Menschen würden sie bei ihm um Fürsorge bitten? usw. Indem die Mädchen und Jungen verstehen, dass sie das gleichermaßen im Gebet tun können, stärken sie ihre religiöse Kompetenz. Dann begreifen sie, dass sie selbst das Kind sind, derer sich Jesus verständnisvoll und voller Liebe annimmt. Diese Einsicht stärkt in ho- hem Maße ihre Selbst- und ihre religiöse Kompetenz.

9. 6. 3 Methodische Impulse Identifikationsplakat mit Leerstelle: Zur Erschließung und Vertiefung des Bildinhaltes wäre es möglich, den Schülerinnen und Schülern eine Kopie (mind. DIN A4) zu geben, auf der der kleine Junge, auf den Jesus seine Hände legt und der neben ihm stehende Junge, mit weißem Papier überdeckt wurde. Die Aufgabe ist, sich selbst und den besten Freund in diese Leerstel- le zu zeichnen oder alternativ Fotos zu kleben. Gemeinsam in Partnerarbeit sollten die Schüle- rinnen und Schüler überlegen, wie sie sich an Stelle der Bildfiguren fühlen würden und was sie Jesus zu sagen hätten, stünden sie vor ihm. Dieser selbstidentifikatorische Ansatz hat den Vorteil, dass ein echtes Hineinfühlen in das Bild geschieht. Die Mädchen und Jungen sind dazu angehalten zu überlegen, welche Bedeutung es für sie hätte, würde sich ihnen ein so be- deutender Mensch auf diese Art zuwenden. Deshalb sollte vorher die inhaltliche Erarbeitung erfolgen, was die Bildfiguren Jesus mitteilen, bevor die Schülerinnen und Schüler das auf ihre eigene Lebenssituation beziehen. Diese Überlegungen und die dazu korrespondierenden Emp- findungen sollten von ihnen verbalisiert und unter das Bild geschrieben werden, sodass ein inhaltliches Lernplakat entsteht. Bildergänzung durch Sprech- und Gedankenblasen: Eine andere Möglichkeit, das Bild ″zum Sprechen″ zu bringen, bestünde darin, eine Kopie mittig auf ein Blatt zu setzen, sodass ein breiter Rand herum frei bleibt. Ausgehend von jeder Bildfigur sollten die Schülerinnen und Schüler auf diesem freien Rand nun Sprech- und Gedankenblasen zeichnen, in die sie all das formulieren, was die Bildfiguren, der Situation entsprechend, denken oder sagen. Auf diese Weise werden den einzelnen Bildfiguren individuelle Charaktere verliehen. In den Sprechpas- sagen können nun die verschiedenen Motive und Hintergründe der einzelnen Protagonisten deutlicher herausgearbeitet werden, als das in Form einer Bildbetrachtung möglich wäre. Auf

269 diese Weise müssen sie ihr Fachwissen zu Zeit und Umfeld Jesu mit dem Bildwerk verknüp- fen, damit das Erarbeitete inhaltlich den Sinn der Darstellung trifft.

9. 7 Verspottung (WH 340, 1950)

In verdichteter Form bringt der Künstler 1950 die Aussage von der Einsamkeit des Indivi- duums in der Masse in dem Holzschnitt Verspottung (WH 340) zum Ausdruck. Der Holz- schnitt ist inhaltlich parallel zu sehen zu Bild Nr. 41 der Passion, zeigt aber ein anderes Mo- tiv. Jesus schaut den Betrachter in ungefährer Lebensgröße mit weit aufgerissenen Augen an. Um sein Haupt herum, fast ornamental angeordnet, werden fratzenhaft verzerrt die Gesichter von fünf Spöttern sichtbar. Einer von ihnen erhebt die geballte Faust, bereit zu physischer Gewalt. Das Leid des Einzelnen vergrößert sich umso mehr in Anwesenheit anderer Personen. Es ist das Leid des Individuums, das unbarmherzigen Mitmenschen gegenübersteht, unfähig, sich ihrer zu erwehren. Für Worte der Liebe, der Einsicht und der Versöhnung sind sie un- empfänglich. In der Masse fühlen sie sich sicher, denn jeder sieht sich in seinem Handeln von

270

Gleichgesinnten bestätigt. Zu immer größeren Grausamkeiten stacheln sie sich an. Sie ver- leumden, verhöhnen, foltern, schließlich töten sie – und, sie empfinden Freunde dabei. Otto Pankok lässt daran keinen Zweifel, sondern malte fratzenhaft eine gefährliche Lust und Gier in die Gesichter hinein. Das ist für den Künstler Sünde, und zwar „Sünde in monumentalster Gestalt“1113.

„Wer in der Masse aufgeht, fällt damit von dem göttlichen Ebenbilde ab. Er neigt sich hin zum Tier. Sein Herz ist dem Tier und seinen wilden dämonischen Kräften geöffnet. Jesus sucht die Seele. Eine Massenseele aber gibt es nicht.“1114

In mehreren Bildvariationen setzte sich Otto Pankok mit dem Thema der Verspottung Jesu auseinander. Dabei bildet der Holzschnitt Verspottung aus dem Jahr 1950 eine kompri- mierte Variante des Kohlebildes der Passion. Er entstand erst viele Jahre nach dem Bilderzyk- lus der Passion, in dessen Entstehungsrahmen sich Otto Pankok erstmals bildnerisch mit dem Motiv der Verspottung Jesu auseinander setzte. Es ist nicht bekannt, dass es analog zum Holz- schnitt WH 340 eine Kohlebild gibt. Dem christlichen Motiv der Verhöhnung Jesu im Zuge seiner Gefangennahme, dem schließlich der Tod am Kreuz folgen sollte, liegen die Bibeltexte Mt 26, 67; Mk 14, 65 und Lk 22, 63-65 zugrunde. Darin übergibt Kaiphas Jesus nach dem Verhör den Schergen, die ihn schlagen, anspucken und verspotten. Typisch für traditionelle Verspottungsszenen der Kunst- geschichte ist, dass Jesus mit verbundenen Augen und gefesselten Händen dargestellt ist1115. Eine zweite Verhöhnung kommt nach dem Verhör bei Pilatus hinzu Mt 27, 27-30; Mk 15, 15- 19; Joh 19, 2f., im Zuge dessen Jesus mit Dornen bekrönt wird. Auffallend ist hierbei, dass diese Verhöhnung Jesu als dornengekrönter ″König der Juden″ von den römischen Schergen ausgeht. Pilatus hatte es ausgelöst durch sein wiederholtes Fragen an das jüdische Volk: „Soll ich euren König kreuzigen?“1116 Wahrscheinlich gelangte das Bildthema der Verspottung Jesu im Zuge steigender Po- pularität der Passionsspiele zu größerer Verbreitung, wobei der erste Teil der psychischen Gewaltanwendung an der Person Jesu ein seltenes Motiv innerhalb der Kunstgeschichte blieb. Dagegen wurde den Künstlern die Dornenkrönung zur Bildgrundlage1117. Die römischen Schergen kleideten Jesu in einen Purpurmantel und gaben ihm einen Rohrstock als Zepter in die Hand. In dieser Ausstaffierung wurde Jesu als dornengekrönter ″König der Juden″ Künst-

1113 Vgl. dazu Otto Pankoks Brief von 1934 an den befreundeten Jesuitenpater Friedrich Muckermann, abge- druckt in Rainer Zimmermann, Otto Pankoks „Passion“, 15. 1114 Otto Pankok, Otto Pankok über seine „Passion“ in Prisma 15/1948, 32. 1115 Lexikon der christlichen Ikonographie, Bd. 4, S – Z, Verspottung Jesu, 444. So u.a. zu sehen in Dürers Klei- ner Kupferstichpassion von 1510. 1116 Gertrud Schiller, Ikonographie der christlichen Kunst, Bd. 2, 79. 1117 Lexikon der christlichen Ikonographie, Bd. 4, S – Z, Verspottung Jesu, 443.

271 lern verschiedener Jahrhunderte zum Bildgegenstand in der Form des sog. ″Herrgottsruh- Bildes″1118 als Versinnbildlichung existenzieller Verlassenheit auf Erden. Otto Pankok kombiniert auf seinem Holzschnitt Verspottung verschiedene tradierte Darstellungen dieses Bildthemas. Ausschnitthaft konzentriert er sich in WH 340 auf die Dar- stellung der Gesichter. Das rückt den Bildausschnitt unmittelbar an das Geschehen heran. Anders als traditionell üblich lässt der Künstler die Augen Jesu unverbunden. Stattdessen schaut dieser mit festem Blick aus dem Bild heraus, den Betrachter direkt an. Seine Augen sind übergroß und weit geöffnet. Sie liegen dem hageren Jesus in tiefen Augenhöhlen. Von diesem direkten Blickkontakt ausgehend kann sich ein Zugang zum Bild entwickeln, sofern der Bildbetrachter diesem Blick standhält und sich darauf einlässt.

9. 7. 1 Verortung der Thematik in der Lebenswirklichkeit der Schülerinnen und Schüler

Was Otto Pankok auf seinem Holzschnitt motivisch umsetzt, ist eine alptraumartig anmutende Situation. Das en face Porträt des Jesus von Nazareth füllt mit seinen Peinigern das Bildfor- mat vollständig aus. Keinen Platz ließ der Künstler zwischen ihm und den Schergen. Die Pei- niger sind weit in seinen individuellen Intimbereich vorgedrungen und rücken ihrem Opfer im wahrsten Wortsinn ″zu Leibe″. Solche Unmittelbarkeit wirkt bedrückend und Angst einflö- ßend. Diese Enge wirkt beklemmend, verweist sie doch auf die Ausweglosigkeit der Situati- on. Der verhöhnte Jesus ist zwischen seinen Peinigern gefangen, sodass kein Platz zum Ent- kommen bleibt. Otto Pankok stellte diese bedrohlich wirkende Situation genau in dem Mo- ment dar, in dem die visualisierte psychische Gewalt in physische Gewalt umzuschlagen droht. Der eine hat die Hand erhoben um zuzuschlagen. Der Titel des Blattes Verspottung wirkt da geradezu verharmlosend, da er dem Betrachter suggeriert, dass es bei verbalen An- griffen gegen das Opfer bleibt. So konkret der Künstler dieses Motiv auf das Schicksal Jesu auslegte, so universal ist das Bildthema. Menschen werden bedrängt und gedemütigt. Umso auswegsloser erscheint die Situation, wenn es sich, wie bei Otto Pankok, um eine Überzahl an Tätern handelt. Für Kinder und Jugendliche ist solch eine Situation durchaus Realität1119. Schülerinnen und Schülern je- der Altersstufe stellt sich die Frage, wie sie mit anderen Kindern und Jugendlichen umzuge-

1118 Vgl. dazu Gertrud Schiller, Ikonographie der christlichen Kunst, Bd. 2, 83. 1119 Vgl. dazu Gottfried Orth, Kinder und Gewalt, 255f. Der Autor zählt Formen von personenbezogener Gewalt auf, denen Kinder ausgeliefert sind. Dazu zählt er auch Formen von psychischer und verbaler Gewalt.

272 hen haben, die sie bedrängen und verhöhnen1120. Dass sich das Verspotten von Kindern und Jugendlichen zu geplantem und kalkuliertem Mobbing entwickelt, ist Alltag an vielen deut- schen Schulen1121. In der Auswertung aktueller Studien konnte „eine eher moderate Gewalt- zunahme“1122 festgestellt werden. Vor allem ist nachweisbar, dass die Gruppe derjenigen Schülerinnen und Schüler stetig wächst, die Gewalt strikt ablehnt1123. Es bleibt dennoch fest- zustellen, dass auch die Schule ein Ort latenter Gewalt ist1124. Im weiten Spektrum jugendlichen Gewalterlebens lässt sich eindeutig das Mobbing als einer Form der verbalen Gewalt,1125 mit Otto Pankoks Bild Verspottung in Verbindung brin- gen. Mobbing bezeichnet hierbei das Phänomen, dass ein ″Mob″, eine Gruppe ein unterlege- nes Opfer beleidigt, abwertet, ablehnt, emotional erpresst usw., wobei es zu physischer Ge- waltanwendung kommen kann1126. Außerhalb der Schule sind Kinder und Jugendliche in ih- rem Lebensumfeld gleichermaßen der Gewalt Gleichaltriger ausgesetzt. Eine der häufigsten Formen von Gewalt unter Jugendlichen ist z. Z. das sog. ″Abziehen″, wobei eine Gruppe Gleichaltriger das Opfer nötigt, Geld, Handy und andere Wertgegenstände herauszugeben. Das kommt inhaltlich dem Holzschnitt Verspottung nahe. Studien zeigten, dass nichtkörperliche und psychische Gewalthandlungen, wozu Mob- ben, Bloßstellen, Hänseln oder Beleidigen zählt, vor allem von Mädchen begangen wer- den1127. Bei beiden Geschlechtern ist gleichermaßen feststellbar, dass ihnen die Schwere von psychischer Gewalt nicht bewusst ist. In Untersuchungen konnte nachgewiesen werden, dass Kinder und Jugendliche „ein eher enges Gewaltverständnis haben, das oft nur Formen physi- scher Gewalt einschließt“1128. Sie sprechen häufig erst dann von ″Gewalt″, wenn eine körper- liche Schädigung des Opfers erfolgte und deutlich sichtbare Verletzungen vorliegen.

1120 In meinem eigenen RU in der Klasse 5 wünschten sich prozentual die meisten Schülerinnen und Schüler für das kommende Jahr, dass sie in der Schule „von Mitschülern nicht geärgert werden“. Ein Mädchen sagte sogar: „Ich habe Angst davor, geschlagen [von Mitschülern, AdA] zu werden.“ 1121 Siehe dazu eine Vielzahl neuerer Literatur so z.B. Klaus Hurrelmann/Heidrun Bründel, Gewalt an Schulen, Weinheim/Basel 2009 und Karl Gebauer, Mobbing in der Schule, Weinheim/Basel 2009. 1122 Wilfried Schubarth, Gewalt und Mobbing an Schulen, 63. 1123 Wilfried Schubarth, Gewalt und Mobbing an Schulen, 63. 1124 Clemens Hillenbrand, Didaktik bei Unterrichts- und Verhaltensstörungen, 19. 1125 Heiner Barz/Sylva Panyr, Jugendliche und Gewalt, 261. 1126 Heiner Barz/Sylva Panyr, Jugendliche und Gewalt, 262. 1127 Gottfried Orth, Kinder und Gewalt, 257. 1128 Wilfried Schubarth, Gewalt und Mobbing an Schulen, 18. Der Autor nimmt Bezug auf eine Studie von Mel- zer/Schubarth/Ehninger aus dem Jahr 2004.

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9. 7. 2 Religionsdidaktische Konkretion

Der Holzschnitt Verspottung ist ein Bildwerk, das ängstigt. In konzentrierter Form wird the- matisiert, dass Formen der psychischen Gewaltausübung unweigerlich den ersten Schritt zur physischen Gewalt darstellen und eine Gewaltspirale in Gang setzen, der nur schwer zu ent- kommen ist. Ein zweiter Aspekt kommt hinzu, der den ersten in seiner Aussage noch bekräf- tigt: Wird psychische Gewalt gemeinsam mit Gleichgesinnten ausgeführt, dann ist die Wahr- scheinlichkeit höher, dass psychisches Bedrängen in körperliche Gewalt umschlägt. Sympto- matisch für solche Aktionen ist, dass sie unter Mithilfe Gleichgesinnter stattfinden, die sich in ihrem Handeln gegenseitig bekräftigen und bestärken. Der Einzelne würde sich kaum trauen, einem Individuum auf diese Art entgegen zu treten. Wie sich ″die Masse″ zusammensetzt und wie sie sich ein Mensch in ihr verhält, interessierte den Künstler. In mehreren seiner Schriften thematisierte es dieses Phänomen. Otto Pankok war sich sicher: „Wer in der Masse aufgeht, fällt damit von dem göttlichen Ebenbild ab“1129. Der Holzschnitt Verspottung ist ein Beispiel dafür, in welcher Form solch ein Abfall geschehen kann. Religionspädagogisch relevant an diesem Bild Otto Pankoks ist, dass der Mensch, der nach der Überlieferung des ersten Schöpfungsberichtes Gen 1, 27 zum Ebenbild Gottes ge- schaffen wurde, zum Tun von Bösem fähig ist. Damit stellt sich die Frage nach der Freiheit eines jeden und seiner persönlichen Verantwortung vor Gott. Der Grundsatz der Nächstenlie- be, den Jesus zur Feindesliebe ausweitete, wird damit grundsätzlich in Frage gestellt. Fällt der Mensch, sobald er sich in einer Gruppe Gleichgesinnter befindet, von Gottes Geboten ab, so wie es exemplarisch die Geschichte vom Goldenen Kalb (Ex 32) zeigt? Gibt er leichtfertig seine Eigenverantwortlichkeit auf, um in einer fragwürdigen Masse aufzugehen? Wo und in welcher Form kann ein Individuum Kräfte entwickeln, die ihn befähigen, sich ihr entgegen zu stellen und ihn an seiner Gottebenbildlichkeit festhalten lassen? Heranwachsende lernen aus den Evangelientexten, was einer Verspottung folgt. In der Auseinandersetzung mit dem Holzschnitt erfahren sie, dass psychische Gewalt ein erster Schritt zur physischen Gewalt ist. Vor diesem Hintergrund kann thematisiert werden, wie ausweglos erscheinende Situationen entschärft werden können, sodass es nicht zu physischer Gewaltausübung und Mord kommt. Jesus gab in seiner Predigt diesbezüglich den entschei- denden Hinweis. In der Bergpredigt wies er in Mt 5, 21 darauf hin, dass es nicht ausreicht, das Tötungsverbot des Dekaloges einzuhalten. Viel wichtiger zu beachten ist, dass all das, was dazu führen könnte, unterbleibt. Dazu gehört, mit seinem Nächsten nicht zu zürnen, ihn nicht zu beschimpfen und nicht zu ″verspotten″. Ausgehend von Otto Pankoks Bild könnten die

1129 Otto Pankok, Otto Pankok über seine „Passion“ in Prisma 15/1948, 32.

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Schülerinnen und Schüler dazu befähigt werden, eigenständig Konfliktlösungsstrategien zu entwickeln. Jesus selbst lässt sich von der bedrohlich wirkenden Situation scheinbar nicht beunruhigen. Sein Blick geht starr aus dem Bild hinaus. Fest fixieren seine Augen ein Gegen- über. Jesus weiß um seinen Glauben, auf den er sich beziehen kann und der ihn in dieser aus- weglos erscheinenden Situation stärkt. Damit verfügt er über eine Kraftquelle, die ihn vor massiven menschlichen Angriffen schützt. Es wird lohnend sein, mit Schülerinnen und Schü- lern zu erarbeiten, was diese Kraftquelle mit seinem christlichen Glauben zu tun hat und wann es anderen Menschen ähnlich erging. In der Auseinandersetzung mit solchen Fragen erweitern sie ihre Fachkompetenz. Indem sich Heranwachsende der Frage stellen, inwiefern ein starker Glaube zu innerer Freiheit verhilft und vor menschlichen Angriffen schützt, stärken sie ihre religiöse Kompe- tenz. Ihre Personalkompetenz bauen sie dadurch aus, dass sie ihre eigene Einstellung zu be- drohlichem Verhalten überprüfen und reflektieren, in welcher Rolle sie sich wiedererkennen – in der Rolle des Opfers oder des Spötters? Anhand von Dilemmageschichten kann den Mäd- chen und Jungen ihr eigenes Tun und die prinzipielle Möglichkeit zur Entscheidung vor Au- gen geführt werden. Indem sie sich diesen Fragen stellen und in der Gruppe erörtern, bilden sie ihre kommunikative Kompetenz aus. Sie werden dazu angehalten, sich über die dargestell- te Situation im Klaren zu werden und sie in Worte zu fassen. Gemeinsam sollen sie nach al- ternativen Lösungsmöglichkeiten suchen und Konzepte entwickeln, wie Konflikte zu ent- schärfen sind. Über die übliche Vertiefung der ästhetischen Kompetenz, die sich bei jeder Bildarbeit einstellt, erfahren die Mädchen und Jungen in der Auseinandersetzung mit Otto Pankoks Bild Verspottung, wie sich durch Bildaufbau und Wahl der bildnerischen Mittel die inhaltliche Aussage verdichten lässt. Dabei werden sie sich vor allem mit künstlerischen Me- thoden der Reduktion und der expressiven Steigerung auseinandersetzen müssen.

9. 7. 3 Methodische Impulse Cartoon zeichnen: Das Bild ist eine künstlerische Darstellung höchster psychischer Bedro- hung. In diesem Sinn ist es eine Darstellung massiver Gewalt. Der Künstler verbildlicht die Situation gerade in dem Moment, in dem die psychische Bedrohung in physische Gewalt um- schlägt. Damit ordnet sich Otto Pankoks Bild als ″Mittelszene″ in einen größeren Erzählzu- sammenhang ein. Damit sich für Schülerinnen und Schüler die Brisanz der Situation in vol- lem Umfang klärt, wäre es möglich, sie in Kleingruppen- oder Partnerarbeit einen Cartoon (mit Textelementen, Sprechblasen o.ä.) zeichnen zu lassen, der in zwei vorhergehenden Sze- nen zeigt, wie ein Mensch (es muss nicht unbedingt Jesus sein) in eine derartige Situation gerät. In zwei nachfolgenden Szenen sollte gezeigt werden, wohin solch eine psychische Be-

275 drohung führen kann. In zentraler Aussage sollte dabei stehen, dass psychische Bedrohung eine Form von Gewalt ist, die Menschen zutiefst verletzen und schädigen kann. Standbild zur Befragung durch die Lerngruppe: In einer Übertragung der künstlerischen Dar- stellung auf die Lebenswirklichkeit der Schülerinnen und Schüler eignet sich der Holzschnitt Otto Pankoks dazu, Themen wie Mobbing und Gewalt in der Schule bzw. aus dem Lebens- umfeld der Jugendlichen aufzugreifen. Die bedrohliche Situation des Bildes eignet sich dazu, in einem statischen Standbild vor der Lerngruppe nachgestellt zu werden1130. Da es Otto Pan- kok auf seiner Darstellung bei den Gesichtern der Figuren belässt, sind keinerlei Requisiten notwendig. Einzig ein großer Holzrahmen wäre hilfreich, um die Figuren zu bündeln und auf einen bestimmten Raum zu konzentrieren, der der Enge und Beklemmung der Darstellung Otto Pankoks nahe kommt. Nun hat die Lerngruppe die Möglichkeit, die einzelnen Akteure zu ihrem Befinden und ihrem Handeln zu befragen. Auf diese Weise findet eine Identifikation mit den Bildfiguren statt. Gleichzeitig werden für Schülerinnen und Schüler ethische Proble- me deutlich. Leitend sollte dabei die Überlegung sein, ob jeder Einzelne ebenso handeln wür- de, wenn er dem Opfer allein gegenüber stünde. In diesem Rahmen hätte die Lerngruppe die Möglichkeit zu erörtern, welche Mittel der Deeskalation es gäbe, sodass der physische Ge- waltübergriff zu verhindern wäre.

1130 Bilder nachzustellen ist eine übliche Methode des Kunstunterrichts. Gerade diese Methode dient dem Ziel, Kunstwerke für Schülerinnen und Schüler ganzheitlich erfahrbar werden zu lassen. Je üppiger die Ausstattung der Kunstwerke ist, umso mehr Requisiten und Kostüme müssen für die letztendlichen Standbilder beschafft werden. Zur Methode siehe Barbara Bunte, Wenn Bilder lebendig werden, 54.

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9. 8 Sie nageln ihn ans Kreuz (1933-34), Bild Nr. 48 der Passion

Wie andere Bilder der Passion hat das Bild Nr. 48 Sie nageln ihn ans Kreuz das ″Böse″ zum Bildgegenstand. Es ist kunsthistorisch einzuordnen in das bildnerische Thema „Bilder des Bösen“, womit sich Künstler seit Beginn der Kunst an auseinandersetzten1131. Der Künstler lässt die Betrachter Zeuge eines furchtbaren Verbrechens werden, das sich im Zuge staatlicher Machtausübung während des Bestehens des Imperium Romanum tausendfach wiederholte: Menschen wurden zu Tode gebracht, indem man sie an Holzgestelle band oder nagelte und in der Sonne aufstellte, sodass sie verdursteten bzw. nach kurzer Zeit ihr Kreislauf versagte1132. Mit dem gewählten Motiv hatte sich Otto Pankok einen seltenen Moment innerhalb des Kreuzigungsgeschehens zur bildnerischen Darstellung ausgesucht. In der christlichen Kunstgeschichte wurde die sog. ″Kreuzannagelung″ durch byzantinische Psalterillustrationen des 9. bis 12. Jahrhunderts bekannt. Damals entstanden zwei Versionen: (a) die Annagelung Jesu auf dem liegenden Kreuz und (b) die Annagelung am stehenden Kreuz. Die italienische Kunst des 13. Jahrhunderts übernahm die Variante der Annagelung am stehenden Kreuz und führte sie als Bildthema weiter. In der Kunst des deutschsprachigen Raumes tritt die Variante

1131 Vgl. dazu Jan Heiner Schneider, Bilder des Bösen, 171. 1132 Vgl. dazu u.a. Karl Christ, Geschichte der römischen Kaiserzeit, 232.

277 des liegenden Kreuzes vermehrt in der sakralen Kunst des 15. Jahrhunderts auf. Die Kreuzan- nagelung wurde zum seltenen Bildgegenstand auf Passionsaltären als letzte Szene vor der Kreuzigung, wie das auf dem Passionsaltar aus Waldersbach1133 (um 1455-1460) zu sehen ist1134. Auffallend bei dieser Darstellung ist, dass sich die Annagelung inmitten einer großen Menschenmenge vollzieht. Jesus liegt apathisch und schwer gezeichnet von den vorangegan- genen Qualen auf dem am Boden liegenden Holzkreuz, vollkommen willenlos, sich zu weh- ren, während sechs Handwerker (Zimmerleute?) ihn erst mit Stricken an das Holz binden und dann festnageln. Um diese Szene herum stehen alle Personen bzw. durch Repräsentanten ver- tretene Personengruppen, die mit dem Kreuzigungsgeschehen zu tun haben. Jesu Mutter Ma- ria mit den Jüngern wird umringt von römischen Soldaten, die versuchen, sie vom Kreuz wegzudrängen. Im Hintergrund sind die jüdischen Würdenträger des Hohenrates zu sehen. Im Ganzen umfasst die Abbildung fast 30 Figuren, womit der Maler des Altarbildes die Kreuz- annagelung Jesu inmitten einer Menschenmenge geschehen lässt. Was diese Abbildung über das eigentliche Bildthema hinaus mit der Kreuzannagelung verbindet, ist, dass der Maler in der Mitte des 15. Jahrhunderts eine ähnliche Physiognomie den Henkern verlieh, wie Otto Pankok es tat. Diejenigen, die ″böse″ handeln, werden böse dargestellt. Ausgehend von Lk 23, 33 lässt er die Betrachter der Passion gerade des Momentes Zeuge werden, in dem Jesus von seinen Peinigern an das übergroße Holzkreuz geschlagen wird. Damit entschied sich der Künstler, ein Motiv in den Zyklus der Passion einzufügen, das weniger theologische Bedeutung hat als vielmehr dem historischen Ablauf einer Kreuzigung entspricht und Auskunft gibt über die handelnden Bildpersonen. Übliche Kreuzigungsdarstel- lungen sparen diesen Moment aus und zeigen Jesus erst wieder als Gekreuzigten. Als einer solchen Momentaufnahme kommt dem Kohlebild ein quasi dokumentarischer Charakter zu. Es verbildlicht einen Schritt innerhalb des Kreuzigungsgeschehens, der in seiner logischen Abfolge der Kreuzigung vorangeht, in seiner Dramatik diese übersteigt. Dem Charakter nach handelt es sich bei der Darstellung Sie nageln ihn ans Kreuz um eine Folterszene, vergleich- bar mit Max Beckmanns Bild Die Nacht (1918-1919), auf dem der nächtliche Überfall auf eine wehrlose Familie dargestellt ist1135. Zwar ist durch den Kontext der Passion definiert, dass es sich bei der personalen Zuschreibung „ihn“ um Jesus von Nazareth handelt, doch bleibt das Geschehen übertragbar. Löst man das Motiv aus dem historischen Kontext um den Tod Jesu, so verbleibt als Motivkern die massive physische Gewaltausübung von einer Über-

1133 Der Passionsaltar aus Waldersbach (Elsaß) 1455 - 1460 befindet sich heute in Karlsruhe. Abgebildet ist er u.a. in Gertrud Schiller, Ikonographie der christlichen Kunst, Bd. 2, 434. 1134 Vgl. dazu Gertrud Schiller, Ikonographie der christlichen Kunst, Bd. 2, 96. 1135 Anette Kruzynski, >Die Nacht< von Max Beckmann, 9.

278 zahl an Peinigern an einem wehrlosen Opfer. Der Unterschied zu Max Beckmanns Die Nacht ist, dass Otto Pankok das Opfer seiner Gewaltdarstellung eindeutig bestimmt und durch den Kontext der Passion als unschuldig, wehrlos, friedfertig und gottesfürchtig beschrieben hat, wohingegen Max Beckmann die Opfer seiner Darstellung unbestimmt lässt. Hat sich der Betrachter in das Motiv Sie nageln ihn ans Kreuz hineingeschaut, dann ängstigt dieses Bild und wirkt zerstörend. Mithilfe verschiedener Gestaltungsmittel verschafft der Künstler dem Motiv eine Unmittelbarkeit, die die Distanz des Betrachters zum Bildge- genstand verschwinden lässt. Noch stärker als bei anderen Bildern des Künstlers steht bei Sie nageln ihn ans Kreuz weniger der ästhetische Eindruck im Vordergrund als vielmehr die Dramatik des dargestellten Motivs. Die Unmittelbarkeit des Dargestellten resultiert aus einer Reihe bewusster kompositorischer Entscheidungen. Das beginnt mit der Auswahl dieses Mo- tivs für den Passionszyklus. In ihm wird der vielleicht grausamste Moment eines Kreuzi- gungsvorgangs visualisiert. Das, was dem Betrachter des Gekreuzigten möglicherweise in den Sinn kommt und ihn mit Grauen erfüllt ist die Vorstellung, wie ein Mensch bei vollem Be- wusstsein mit Nägeln an ein Stück Holz geschlagen wird. Das stellt der Künstler auf dem Bild Sie nageln ihn ans Kreuz bildnerisch dar. Das ist so schockierend, dass es schwer fällt, ähnli- che Motive in der Kunstgeschichte zu finden. Das Beispiel Max Beckmanns wurde schon angeführt. Gerade was die Motivwahl und den Aufbau angeht, handelt es sich hierbei um ein Bild, das als exemplarisch für den Expressiven Realismus gelten kann. Beide Charakteristika, sowohl das Moment des Expressiven wie das Moment des Realistischen steigern sich in die- sem Bild gegenseitig. Die Kombination eines stark realistischen Motivs, umgesetzt in einer stark expressiven Formensprache, macht die schockierende Wirkung von Sie nageln ihn ans Kreuz aus. Der Künstler wählte eine ungewöhnliche Perspektive auf das Dargestellte. Der Bet- rachter schaut von oben herab auf die Szenerie. Ein übermannsgroßes Holzkreuz liegt auf dem Boden. Mehrere Gestalten zwingen Jesus darauf, der bereits die Dornenkrone trägt. Er stützt sich auf den linken Ellbogen und schaut bestürzt auf seine rechte Handfläche, durch die gerade der riesige Eisennagel getrieben wird. Der Peiniger schwingt mit gleichgültiger, aus- drucksloser Miene den übergroßen Eisenhammer1136. Mit seiner Rechten drückt er den Unter- arm auf die Querstrebe des Holzkreuzes. Mitten durch die Handfläche hat er den Eisennagel getrieben, nun muss die Hand am Holz fixiert werden. Es wird zwei bis drei kräftige Schläge

1136 Eben diesen Ausschnitt der Gesamtdarstellung gliederte Otto Pankok 1953 noch einmal zu einem eigenstän- digen Motiv aus. Die Monotypie Sie nageln ihn (WM 130, 1953) zeigt den Moment, in dem Jesus schockiert schaut, wie ihm der riesige Nagel durch die Handfläche getrieben wird. Dargestellt ist auf diesem Ausschnitt jedoch, anders als der Titel vermuten lässt, nur ein (!) Peiniger, in diesem Fall wirklich der Täter.

279 brauchen, bis das geschafft ist. Fassungslos starrt der am Boden liegende Jesus mit weit auf- gerissenen Augen, was mit ihm passiert. Er nimmt nicht wahr, dass sich soeben zu seiner Lin- ken ein zweiter Mann einen weiteren Hammer geben lässt, um die zweite Hand am Holz zu fixieren. So gleichgültig wie der erste Schlächter sich gibt, so sadistisch wirkt der andere mit seinem hämischen Feixen. Es bereitet ihm sichtlich Freude, was er da tut. Sein Körper ist vital angespannt für das, was gleich passieren wird. Der Blick geht über den liegenden Jesus hin- aus, hin zum Bildbetrachter. Der zweite Schlächter nimmt diesen mit in die Bildszene hinein. Es ist das Böse, was unvermittelt in seiner ganzen Dreistigkeit und Selbstverständlichkeit aus dem Bildwerk hinausstarrt. Durch diesen Blick korrespondiert das Bildmotiv mit dem Bet- rachter des Bildes. Das wird noch dadurch gesteigert, indem sich alle dargestellten Personen in einer Art Halbkreis um den liegenden Jesus herum befinden. Der Halbkreis ist zum Bild- betrachter hin offen. Er schaut in den offenen Halbkreis hinein. Wird er aber der zwielichtigen Gruppe zugerechnet, vervollständigt er den Halbkreis zum Vollkreis und damit zur ″geschlossenen Runde″, in deren Mitte sich das Annageln des Opfers gerade vollzieht. In Beziehung gesetzt zu diesem Bildmotiv kann es demnach keinen neutralen Stand- punkt geben. Jeder wird in die Szenerie involviert. Der Betrachter komplettiert die Runde der Protagonisten und ist vom Künstler bewusst mit in das Geschehen einbezogen worden. Wie bei Max Beckmanns Die Nacht wird bei Otto Pankok der Bildbetrachter „Zuschauer und Zeuge wider Willens“1137. Ihm bleibt freigestellt, welchen der drei Tätertypen er oder sie sich zurechnet. Wird er/sie selbst mit Hand an das Opfer legen, den Ausführenden zur Hand gehen oder rechnet er/sie sich zu den Gaffern im Hintergrund? Fest steht, unbeteiligt kann er oder sie sich nicht mehr nennen. In diesem Sinn greift das Bild den Betrachter direkt an. Er oder sie ist involviert – wider Willen und muss notgedrungen in dieser Situation Stellung beziehen.

9. 8. 1 Verortung der Thematik in der Lebenswirklichkeit der Schülerinnen und Schüler

Otto Pankok verbildlicht mit diesem Werk eine Szene furchtbarster Gewaltausübung. Der erschrockene Blick, den Otto Pankok in das Antlitz Jesu hineinmalte, zeigt die psychische Verfasstheit des Opfers. Jede Schülerin und jeder Schüler weiß aus seinem kulturellen Kon- text, welches Geschehen dieser Szene folgt. Das Kreuz wird aufgestellt werden, sodass Jesus an diesen Nägeln hängt. Diesem großen Bildthema ausgeübter Gewalt stehen auch Kinder nicht unerfahren ge- genüber. Dabei ist festzustellen, dass sie nicht nur Opfer von Gewalt, sondern ebenso Täter

1137 Anette Kruzynski, >Die Nacht< von Max Beckmann, 9.

280 sein können, wobei sie sich vorwiegend in der Rolle des Opfers finden1138. Dennoch sind vie- len Kindern beide Seiten vertraut – als Opfer und Täter, wobei da eher von Kindern als „Ge- walt – Tätigen“ gesprochen wird1139. Als Ergebnis verschiedener Studien seit den 1990er Jah- ren kann gesagt werden, dass Gewalttaten im Kindesalter vorwiegend von Jungen ausgeführt werden und dass solche Taten im schulischen Umfeld und vor allem in sozialen Brennpunk- ten zunehmen1140. Anders als mit dem Phänomen von Gewalt im Kindesalter verhält es sich mit Gewalt- erleben und Gewaltausüben im Jugendalter. Das liegt zum einen daran, dass sich der Bereich der ″Jugend″ immer weiter ausdehnt. Unter schulischer Perspektive müssen deshalb vorwie- gend Jugendliche im Alter von 13/14 bis 20 Jahren in den Blick genommen werden. Zahlrei- che Studien konnten wissenschaftlich bestätigen, dass männliche Jugendliche gewaltbereiter sind als weibliche, dass die Gewaltbereitschaft in der frühen Jugend am höchsten ist, dass die Clique eine wesentliche Funktion bei der Gewaltausübung spielt und dass Jugendliche mit schlechten Schulleistungen zu mehr Gewalt neigen1141. Kindern und Jugendlichen ist die Situation des Bildes aus ihrem unmittelbaren Le- bensumfeld vertraut, dass Menschen mitleidlos handeln, dass sie gefühlskalt reagieren und dass sich ihr Verhalten verändert, sobald sie unter Gruppenzwang in der Masse stehen. Gleichwohl ist davon auszugehen, dass die ″Gewaltdarstellung″ als solche von Kindern und Jugendlichen erst einmal nicht wahrgenommen wird, da sie durch ihren medialen Bilderkon- sum an realere und brutalere Bilder gewöhnt sind. Zahlreiche Studien der letzten Jahre unter- suchten die Auswirkungen von medialem Gewaltkonsum auf Kinder und Jugendliche1142. Dabei zeigte sich, wie verbreitet - und von Eltern und Lehrern weitestgehend unbeachtet - der mediale Gewaltkonsum bei Kindern und Jugendlichen via Handy und Internet ist1143. Ein Re- sultat dieser Dauerberieselung von Schockbildern ist, dass sie gegenüber Gewaltdarstellungen abstumpfen und diese als nicht so gravierend einstufen. In diesem Sinn kann die inhaltliche Auseinandersetzung mit Kunstwerken einen Bei- trag dazu leisten, im Religionsunterricht unter ethischer Perspektive Gewalt zur Sprache zu bringen, mit Heranwachsenden darüber ins Gespräch zu kommen und ihr zu begegnen, indem

1138 Vgl. dazu Gottfried Orth, Kinder und Gewalt, 255. 1139 Gottfried Orth, Kinder und Gewalt, 256. Der Autor weist darauf hin, dass spätestens seit den 80er Jahren Kinder auch als Täter wahrgenommen werden. Der Autor führt mehrere Studien an, die zwischen medial wahr- genommener Gewalt und der Zahl tatsächlich angestiegener Gewaltdelikte differenzieren. 1140 Gottfried Orth, Kinder und Gewalt, 257. 1141 Heiner Barz/Sylva Panyr, Jugendliche und Gewalt, 263. 1142 Ingrid Eissele, Kalte Kinder, 142. 1143 Ingrid Eissele, Kalte Kinder, 133.

281 unter religionspädagogischer Fragestellung dem das Prinzip der Liebe in angewandter Näch- stenliebe entgegen gestellt wird.

9. 8. 2 Religionsdidaktische Konkretion

Zwar zeigt sich das ″Böse″ innerhalb einer Gesellschaft von vielen Seiten und an vielen Or- ten, dabei ist jedoch zu beobachten, dass es als dualistischer Gegenpart zu den Tugenden Glaube, Liebe, Hoffnung, Gerechtigkeit, Stärke, Mäßigung und Klugheit nicht mehr taugt1144. Das, was Menschen mitunter seit der Antike als das ″Böse″ ausgemacht haben, hat sich in Folge ökonomischer Gesetzmäßigkeiten unserer materiell orientierten Gesellschaft nicht sel- ten zu Tugenden gewandelt1145. So bedarf es des Neides und der Habgier großer Bevölke- rungsgruppen, um bestimmte Produktpaletten vermarkten zu können, die unter vernünftigen Gesichtspunkten keiner bräuchte. Hinter einer Vielzahl erwerbbarer Produkte steht kein ein- leuchtender Nutzen. Früher richtete sich der Markt nach den Bedürfnissen der Menschen. Seit Jahren werden von Marketingstrategen mit viel Aufwand Bedürfnisse kreiert, um potentielle Kunden anzusprechen1146. In diesem Sinn würde eine weitgreifende Mäßigung innerhalb der Bevölkerung für jede moderne Volkswirtschaft den Kollaps bedeuten. Die Tugenden der Be- scheidenheit und Sparsamkeit avancierten in jüngster Zeit zu volkswirtschaftlich schädlichem Verhalten, das Arbeitsplätze vernichtet und den Mittelstand bedroht. Ähnlich ergeht es dem Glauben. Er taugt nicht mehr als brauchbare Verortung des Gu- ten und als Ausschluss des Bösen. Wie viele Menschen bekennen sich heutzutage zu ihrem Unglauben. Sind sie guten Gewissens alle ″böse″ zu nennen, ohne fundamentalistisch zu wer- den? Die Krux mit dem ″Bösen″ ist, dass man es erst in eindeutiger Gegenüberstellung zum ″Guten″ erkennen kann. Fehlt diese Eindeutigkeit, so fällt die Benennung und Verortung des ″Bösen″ bzw. des ″Guten″ schwer. „Der Teufel hat eine neue Wohnung bezogen. Und wenn wir auch unfähig sind, ihn über Nacht auszuräuchern – wenn wir ihn überhaupt ausräuchern wollen – dann müssen wir mindestens wissen, wo er sich verbirgt, und wo wir ihn auffinden können. Damit wir ihn nicht in einem Winkel bekämpfen, in dem er schon längst nicht mehr hockt.“1147

1144 Marianne Gronemeyer, Das Perfekte ist das Böse, 110. Die Autorin zählt zu den christlichen Tugenden Glaube, Liebe und Hoffnung die seit der Antike bekannten Kardinaltugenden Gerechtigkeit, Stärke, Mäßigung und Klugheit hinzu. Ihnen gegenüberstehend sieht sie die Laster: Ungerechtigkeit, Verzweiflung, Habgier, Wan- kelmut, Neid, Dummheit und Zorn. 1145 Dieser Bedeutungsumschlag ist dargestellt bei Marianne Gronemeyer, Das Perfekte ist das Böse, 111. 1146 Vgl. dazu Nils Ole Oermann, Vom Wert des Wertbegriffs, 53. 1147 Günther Anders, Die Antiquiertheit des Menschen, Bd 2, 410, zitiert bei Marianne Gronemeyer, Das Perfek- te ist das Böse, 112.

282

Mit den Bildern des Passionszyklus bemühte sich Otto Pankok um solche Eindeutigkeit. Das zeigen in erster Linie die Bilder, die er der Passion nicht beifügte, obwohl sie zur gleichen Zeit entstanden. Die Lebens- und Leidensgeschichte Jesu bot dem Künstler aussagekräftige Motive, um das Böse bildnerisch sichtbar werden zu lassen. Starke Bilder hält er seinen Zeit- genossen vor Augen, um ihnen eine Orientierungshilfe in verwirrender Zeit zu geben, die für sich beanspruchte, alte Werte umzudeuten. Mit Sicherheit malte Otto Pankok diese große Fül- le an Bildern in so kurzer Zeit als Selbstvergewisserung „wo der Teufel neue Wohnung bezo- gen hat“1148. Im Falle des Bildes Nr. 48 Sie nageln ihn ans Kreuz zeigt sich, dass der Teufel keine neue Wohnung braucht, sondern die angestammte immer noch besetzt hält – sie viel- leicht nur erneuerte und technisch perfektionierte. In der bildnerischen Aussage haust er über- all dort, wo Menschen ihre Macht über andere missbrauchen, wo Unschuldige gequält werden und wo es an Empathie für das Gegenüber mangelt. Es ist Aufgabe des Religionsunterrichts, die Frage nach dem ″Bösen″ zu stellen. Gera- de der ethische Themenbereich des Faches Religion, in dem der Anspruch erhoben wird, Schülerinnen und Schüler moralisch zu bilden und orientierend zu wirken, darf sich der Frage nach dem ″Bösen″ nicht verschließen. Phänomenologische Fragen nach dem ″Bösen″, dem ″Guten″ oder nach der ″Sünde″ wirken erst einmal gänzlich unpopulär. In zweiter Linie zeigt der direkte Umgang mit Kindern und Jugendlichen, wie grundlegend die Auseinandersetzung über diese Fragen ist und wie ernst eine Sensibilisierung diesbezüglich genommen werden muss. „Der Teufel hat eine neue Wohnung bezogen“ sollte für den Religionsunterricht heißen, gemeinsam mit Mädchen und Jungen nach diesen neuen Wohnungen zu suchen. Damit ist die Frage nach dem modernen ″Bösen″ zu stellen und nach den neuen Fassaden, hinter denen es sich verbirgt. Die Bildwerke Otto Pankoks in ihrer eindeutigen Aussage vermögen es, Schülerinnen und Schüler zu persönlichen Positionierungen ermutigen und abrücken lassen von dem weit verbreiteten anything goes. Sie können dabei helfen, die Fassade der Gleichgültigkeit zu lüf- ten, die sich durch Floskeln enttarnt wie: „Was geht mich das an?“ Sie verfügen über Potenti- al, Denkprozesse in Gang setzten, die nicht nach einer letztgültigen Antwort verlangen, son- dern um ihrer selbst Willen geführt werden. Das öffnet den Heranwachsenden Verständniszu- gänge, die sich nachhaltig auf ihre Persönlichkeitsentwicklung auswirken. Der sicherste Weg, dies zu erreichen, wird ermöglicht durch erfolgreiche Perspektivenübernahme und das Hin- einversetzen in andere Menschen, was dem Einüben von Empathie entspricht. Möglichkeiten dazu bietet der Künstler mit seinem Bild. Aufgabe des Religionsunterrichts ist es, Formen der

1148 Günther Anders, Die Antiquiertheit des Menschen, Bd 2, 410, zitiert bei Marianne Gronemeyer, Das Perfek- te ist das Böse, 112.

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Gewalt christlich begründete Alternativen anzubieten und in diesem Zusammenhang Themen wie Versöhnung und Vergebung zu thematisieren1149. Ausgangspunkt dazu kann beispiels- weise das Phänomen sein, mit dem Bild „Zeuge wider Willen“ zu werden. Kann Schülerinnen und Schülern solch eine Unmittelbarkeit des Kunsterlebens erfahrbar gemacht werden, dann stellen sich weiterführende Denkprozesse zwangsläufig ein. Im Idealfall kann ein Kunsterleb- nis in dieser Unmittelbarkeit persönlichkeitsbildend wirken. Das Kohlegemälde ist ein dramatisches Bild, das bei Mädchen und Jungen die Ausbil- dung verschiedener Kompetenzen befördern kann. So wird ihre ethische Kompetenz gestärkt, indem die jungen Menschen dazu angehalten werden, sich zum Bildgeschehen zu positionie- ren und eine ethische Wertung der Situation abzugeben. Die Schülerinnen und Schüler erwei- tern ihre Sozialkompetenz, indem sie sich den gesellschaftlichen Missstand vergegenwärti- gen, der mit diesem Bild thematisiert wird: Eine gleich gesinnte Masse legitimiert, dass ein wehrloser Mensch brutal hingerichtet wird. Ihre hermeneutische Kompetenz bilden sie aus, indem sie vergleichbare Zustände in ihrer Gegenwart erkennen und zum Bildgeschehen in Beziehung setzen. Bei diesem Bild stellt sich weiterhin die Frage, wann und in welcher Situation ein je- der von uns zum Täter wird und wen wir möglicherweise mit Worten oder Taten „ans Kreuz schlagen“. Die Auseinandersetzung mit solchen Fragen stärkt die Selbstkompetenz der He- ranwachsenden. Indem Mädchen und Jungen versuchen, sich in die Rolle des Opfers einzu- fühlen, trainieren sie ihre Empathiefähigkeit, was wiederum ihre Selbstkompetenz stärkt. Da- durch, dass sie dazu angehalten werden, die eigenen Wahrnehmungen und Empfindungen zu verbalisieren und mit der Lerngruppe auszutauschen, bilden sie ihre kommunikative Kompe- tenz aus.

9. 8. 3 Methodische Impulse Übertragung der Bildaussage durch zeitgenössische Pressefotos in die Jetztzeit: Die Unmit- telbarkeit, mit der der Künstler den Betrachter der dargestellten Bildszene aussetzt, lässt die Kohlemalerei in die Nähe zu moderner Pressefotografie rücken. Die Menschengruppe agiert im unbestimmten Raum, der nur durch Graustufen modelliert wird. Gleißend hell erstrahlen die weißen Bildelemente, so, als würden sie den Schein eines Blitzlichtes reflektieren. Otto Pankok malte in die Situation eine so dramatische Körpersprache der Beteiligten hinein, dass man glauben könnte, der Künstler hätte die Täter auf frischer Tat ertappt – nur dass er keine Kamera dabei hatte, sondern die Szene zeichnerisch festhielt. Ausgehend von dieser Beobach- tung können die Schülerinnen und Schüler dazu aufgefordert werden, aktuelles Pressematerial

1149 Gottfried Orth, Kinder und Gewalt, 259.

284 nach ähnlichen Darstellungen zu durchsuchen, um eine Übertragung der inhaltlichen Thema- tik in die Jetztzeit zu ermöglichen. Im Sinne einer erfolgreichen Elementarisierung würde die Verknüpfung mit dem medialen Lebensumfeld der Schülerinnen und Schüler den Verstehens- zugang ermöglichen. Gerichtsverhandlung spielen: Ausgehend von dem Kunsterlebnis, zu einem „Zeugen wider Willen“ geworden zu sein, kann die Erfahrung der Schülerinnen und Schüler wörtlich ge- nommen und das Bild zu einem ″Beweisfoto″ deklariert werden. In diesem Sinn könnte der Bildbetrachter in der Rolle eines Pressefotografen auftreten, der zufällig das Geschehen mit der Kamera festhielt und nun einem hohen Gericht das aussagekräftige Beweisfoto eines Verbrechens vorlegen kann. Das Bild erlangt damit den Status eines Dokumentes. Eine solche Funktion spricht die Kunstpädagogik Bildwerken eindeutig zu1150. Alle handelnden Personen des Bildes werden mit Schülerinnen und Schülern besetzt, die sich unter Zuhilfenahme je ei- nes Beraters/Verteidigers etc. vor einem Gericht (mehrere Schülerinnen und Schüler, damit sie ihre Entscheidungsfindung intensiver beraten können) für ihr Handeln rechtfertigen müs- sen. Dabei wird von Interesse sein, welche Beachtung und Wertigkeit die Schülerinnen und Schüler den drei vertretenen Tätertypen ″Handelnde″, ″Helfer″, ″Gaffer″ zukommen lassen. Die Argumentation der Verurteilung des hohen Gerichtes sollte auf der Grundlage christlicher Normen und Grundsätze geschehen, z.B. dem Dekalog, dem Prinzip der Nächstenliebe, Ach- tung vor allem Leben, Bewahrung der Schöpfung usw.

1150 Vgl. dazu Helga Kämpf–Jansen, Kriegsbilder zwischen Vision und Dokument, 34. Die Kunstpädagogin fragt nach der prinzipiellen Darstellbarkeit von Krieg und Gewalt in der bildenden Kunst. Otto Pankoks Bild ist eine gelungene Übertragung der Thematik in Bildform. Bildsprachlich visualisierte der Künstler Gewalt am Beispiel des Kreuzesleidens Jesu.

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9. 9 Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen? (1933-34), Bild Nr. 54 der Passion

Bei dem Kohlebild Nr. 54 der Passion handelt es sich um ein Bild des Typus ″Der Einsame Kruzifixus″1151. In dieser Darstellung konzentriert sich das Kreuzesgeschehen Jesu auf ein Andachtsbild, welches einzig auf Jesus hängend am Kreuz konzentriert ist, so wie es bei Rembrandt auf dem Gemälde Einsamer Kruzifixus von 1631 zu sehen ist1152. Otto Pankok verkleinert den Bildausschnitt nochmals auf ein Brustbild Jesu, so wie es Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? zeigt. Damit holte er die Szene näher an den Betrachter

1151 Vgl. dazu Gertrud Schiller, Ikonographie der christlichen Kunst, Bd. 2, 244. 1152 Rembrandt schuf sein Gemälde für den Passionszyklus des Prinzen Friedrich Heinrich von Oranien. Heute befindet es sich in der Pfarrkirche Les Mas d` Agenais. Es ist u.a. abgedruckt in Gertrud Schiller, Ikonographie der christlichen Kunst, Bd. 2, 671.

286 heran. Wie Rembrandt, so verortet auch Otto Pankok seinen Bildgegenstand im leeren Raum. Das löst das Geschehen aus einem Zusammenhang und verallgemeinert es zu einer persönli- chen Begegnung mit dem Gekreuzigten. Der subjektive Stimmungsgehalt, den der Künstler in sein Gemälde hineinmalte, wird umso deutlicher, je mehr das Bildgeschehen auf einen klei- nen Bildausschnitt konzentriert wird. Auf dem Bild konzentriert sich all das im Gesichtsaus- druck des Gekreuzigten. Doch entgegen Rembrandts Darstellung zeigt er seinen einsamen Kruzifixus nicht sterbend, sondern zu einem Zeitpunkt, in dem der sterbende Jesu seine letz- ten Lebenskräfte zu einem wilden Aufbäumen konzentrieren kann. Otto Pankok steigert die Aussage seiner Darstellung durch seine expressive Bildsprache. Im Todeskampf des Gekreu- zigten versinnbildlicht sich für den Künstler das Schicksal seiner Zeitgenossen. Die Stärke dieser Kruzifixusdarstellung ist, dass er das traditionelle Antlitz Jesu, so wie es in der Passion auf anderen Bildern zu sehen ist,1153 zugunsten einer individuellen Gestaltung mit zuordenba- ren Gesichtszügen aufgibt. Dadurch überträgt der Künstler das individuelle Leid Jesu auf das unmittelbare Leid seiner Zeitgenossen. So können in seiner Biografie punktuelle Ereignisse und Entwicklungen benannt werden, die dem Künstler Anlass gaben, die Bilder der Passion zu malen. Einige solcher historisch verifizierbaren Erlebnisse wurden in dieser Arbeit bereits angesprochen. Dem Entstehen des Kohlebildes Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? ging gleichermaßen ein konkreter Anlass voraus. Seit 1919 kannte Otto Pankok den jüdischen Künstler Karl Schwesig, der mit seinem Freund Gert Wollheim befreundet war1154. Mangelernährung und Rachitis in der Kindheit hatten bei ihm zu einer Rückradverkrümmung und vermindertem Wachstum geführt, sodass Karl Schwesig nur 1, 39 Meter groß wurde1155. Er verfügte über großen Sprachwitz und bren- nenden Humor, der oftmals in Sarkasmus umschlug, womit er die Kunstszene Düsseldorfs der 20er Jahre gehörig aufmischte1156. Den Ersten Weltkrieg verbrachte er zeichnend in einem Büro, da er aufgrund seiner Körpergröße zum Militärdienst nicht zugelassen worden war:

„Vorläufig musste ich aber im Weltkriege die deutsche Heimatfront stärken, da man mich wegen meines miss- gebildeten Körpers nicht an der Siegfriedstellung gebrauchen konnte. Ich hätte mich gern dort schlachten lassen; statt dessen wurden schöne, wohlgebildete Männer geschlachtet.“1157

1153 Vgl. dazu z.B. die Bilder der Passion Nr. 11 Der lehrende Jesus und Nr. 12 Jesus. 1154 Cyrus Overbeck/Oliver Müller, Otto Pankok, 105. Karl Schwesig gehörte zu den Gründungsmitgliedern der Künstlervereinigung „Junges Rheinland“ in Düsseldorf, der Otto Pankok beitrat. 1155 Ulrich Krempel, Am Anfang: Das Junge Rheinland, 338. 1156 Vgl. dazu u.a. Hulda Pankok, Grabrede für Mutter Ey, September 1947, abgedruckt in Ulrich Krempel, Am Anfang: Das Junge Rheinland, 126. 1157 Karl Schwesig in Das Junge Rheinland, Heft 2, Jg. 1921, zitiert bei Ulrich Krempel, Am Anfang: Das Junge Rheinland, 24f.

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Im Widerstand gegen die stärker werdenden Nationalsozialisten riskierte Karl Schwe- sig sein Leben, als er gemeinsam mit Peter Ludwigs und Gert Wollheim ab 1924 die linksra- dikale Satirezeitschrift „Die Peitsche“ herausgab. Darin wurde mit Hilfe programmatischer Zeichnungen gegen Faschisten und Kriegstreiber Front gemacht. Er stellte Zeichnungen zur Verfügung, die zum Druck antifaschistischer Flugblätter benutzt wurden1158. 1933 wurde Karl Schwesig schließlich verhaftet und in einem Folterkeller der SA in Düsseldorf mehrere Tage lang misshandelt, bevor er wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ zu eineinhalb Jahren Zuchthaus verurteilt wurde. Unter der Folter waren ihm Geständnisse seiner politischen Tä- tigkeiten erpresst worden1159. Nach seiner Entlassung reiste er 1934 illegal mit gefälschten Papieren nach Antwerpen aus, wo er begann, seine Erlebnisse zeichnerisch unter dem Titel Schlegelkeller festzuhalten1160. Diese Arbeit stellte er unter den Auftrag, den die SA ihm wäh- rend der Folterungen zukommen lies: „Sieh dir das genau an, damit du später mal ein schönes Greuelmärchen malen kannst.“1161 Von Belgien aus verkaufte Karl Schwesig zeitgenössische Kunstwerke verfemter Künstler in die Schweiz, womit er sie vor der Beschlagnahmung durch die Nationalsozialisten rettete und deren Erschaffern Geld zukommen ließ1162. Sein Zyklus des Schlegelkellers, bestehend aus 48 Blättern, wurde als antifaschistisches Propagandamate- rial in Brüssel (1936), in Amsterdam (1936) und Moskau (1937) gezeigt. Der Künstler plante, den Zyklus als Buchedition herauszubringen. Heinrich Mann schrieb an einem Vorwort, doch gelten die Originalzeichnungen seit ihrem Moskauaufenthalt als verschollen1163. Erhalten geblieben sind nur Fotos.1164. 1983 erschien nach den aufgearbeiteten Fotos das Buch „Karl Schwesig – Schlegelkeller“. Auf einer Odyssee der Flucht vor den Nazis geriet Karl Schwesig in Südfrankreich a- bermals in die Hände der Deutschen, wurde in verschiedenen Lagern interniert und kam 1943 nach Düsseldorf zurück, wo er fortan unter Polizeiaufsicht stand. Im Februar 1944 wurde er erneut inhaftiert und verblieb dort, bis die Amerikaner das Lager befreiten1165. Im Januar 1946 schrieb Karl Schwesig an Otto Pankok:

„Eine Puppe ist gefallen und eine andere ist aufgestanden. […] Dabei kann ich doch nichts dafür, daß ich wieder da bin und von der Vorsehung vor dem Vergasen errettet worden bin.“1166

1158 Cyrus Overbeck/Oliver Müller, Otto Pankok, 197. 1159 Cyrus Overbeck/Oliver Müller, Otto Pankok, 194. 1160 Beate Ermacora/Anja Bauer, Die Geistige Emigration, 15. 1161 Zitiert bei Ulrich Krempel, Am Anfang: Das Junge Rheinland, 339. 1162 Cyrus Overbeck/Oliver Müller, Otto Pankok, 234. 1163 Beate Ermacora/Anja Bauer, Die Geistige Emigration, 19. 1164 Ulrich Krempel, Am Anfang: Das Junge Rheinland, 339. 1165 Ulrich Krempel, Am Anfang: Das Junge Rheinland, 339. 1166 Karl Schwesig an Otto Pankok am 18. Januar 1946. Der Brief ist einzusehen im Archiv des Otto-Pankok- Museums „Haus Esselt“. Auch zitiert bei Beate Ermacora/Anja Bauer, Die Geistige Emigration, 15.

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Nachdem Karl Schwesig 1933 in Düsseldorf als einer der ersten politisch Aktiven in SA-Gewahrsam gefoltert wurde, sprach sich das unter Kollegen und Freunden schnell herum. Viele erkannten in diesen ersten bekannt werdenden Vorfällen untrügliche Anzeichen für kommende Verbrechen. Kurze Zeit darauf malte Otto Pankok das Bild Nr. 54 der Passion mit dem Titel Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?. Dem, zu seinem Gott schreienden Jesus am Kreuz, verlieh Otto Pankok die Gesichtszüge des gefolterten Freundes. Eine personelle Übertragung scheint evident. Der von einem Unrechtsregime gemarterte jüdi- sche Freund tritt an die Stelle des gekreuzigten Juden Jesus. Merkwürdiger Weise behauptete Otto Pankok später, wenn eine Ähnlichkeit zwischen Karl Schwesig und seinem Gekreuzigten bestünde, so sei die rein zufällig1167. Er wagte mit seinem Bild Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? die schonungslose Nahaufnahme einer grausamen Situation: Jesus hängt am Kreuz, durch beide Hände sind die Nägel geschlagen, noch lebt er. Seine Augen stehen weit aufgerissen. In aller- letzter Verzweiflung schreit er zu dem, den er ″Vater″ nannte die existenzielle Frage: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Sein Mund steht von den hervorgestoßenen Worten offen. Die letzten Worte scheinen im Raum zu schwingen. Sein Blick wirkt wirr. Der Todeskampf des Mannes am Kreuz hat begonnen. Otto Pankok geht mit dem Bild ganz nah an den Sterbenden heran. Der vor ihm stehende Betrachter sieht sich en face dem Gekreuzig- ten ausgesetzt. Durch die Bildkomposition schaut er ihm direkt in die weit aufgerissenen, fra- genden Augen. Sie machen die zentrale Mitte der Darstellung aus. Ohnmächtig steht der Bet- rachter dem gegenüber. Er wird Zeuge, wie ein Mensch vor seinen Augen stirbt, ohne dass dieser dem Sterben etwas entgegen setzen könnte. Diese Unmittelbarkeit des Todes ist scho- nungslos. Trotz existenzieller Verzweiflung in Anbetracht des nahen Todes liegt in der direkten Ansprache Gottes tiefer Glaube. „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“, ist die Frage eines Menschen, der noch glaubt. Er wendet sich mit der konkreten Anrede „du“ an einen, der noch der Gott dessen ist, der da fragt. Damit stellt sich auch für Christen die Frage nach der absoluten menschlichen Verlassenheit im Angesicht des Todes.

9. 9. 1 Verortung der Thematik in der Lebenswirklichkeit der Schülerinnen und Schüler

Die Auseinandersetzung mit dem Tod Jesu führt Schülerinnen und Schüler zum Kern der christlichen Botschaft. Die Bedeutung dieses gewaltsamen Todes am Kreuz wird erst in der Beachtung des ganzen Lebensweges Jesu verständlich. Die Begebenheiten von Passion und

1167 Cyrus Overbeck/Oliver Müller, Otto Pankok, 194.

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Tod Jesu bereiten die Gläubigen auf das Ereignis der Auferstehung vor. Deshalb steht für Christen der Kreuzestod Jesu nicht als singuläres Ereignis, sondern erfährt seinen Sinn mit der nachfolgenden Auferstehung. Tod am Kreuz und Auferstehung sind deshalb nicht voneinan- der getrennt zu betrachten. Vor allem Kinder mit konfessionslosem Hintergrund tendieren dazu, ″Jesus″ und ″Gott″ gleichzusetzen. Glauben sie nicht an Gott, neigen sie dazu, die Exis- tenz Jesu ebenfalls abzustreiten1168. Dabei erscheint es erst ab einem Alter von etwa elf bis zwölf Jahren sinnvoll, Kinder und Jugendliche mit den historischen Gegebenheiten um die Person Jesu vertraut zu machen. Das Überraschende an dem Bild Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen ist, dass der Künstler nicht den toten Jesus als Kruzifixus darstellt, sondern sein Sterben am Kreuz. Diese Variante des Kruzifixus ist eine seltenere Bildform und erlebte erst in der Phase des Expressionismus weitere Ausbreitung. Otto Pankok stellt Jesus in dem Moment dar, in welchem sich dieser seiner auswegslosen Situation bewusst wird und zu Gott, den er ″Vater″ nannte, schreit: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“. Der Bildgegenstand ist folglich weniger der Tod Jesu als vielmehr die psycho-sozialen Bedingungen von Sterben. Viel eher als zu den historischen Ereignissen um den Tod Jesu, und den damit verbun- denen theologischen Deutungen, haben Kinder einen Zugang zu den existenziellen Fragen, die sich mit diesem Sterben am Kreuz verbinden. Es lassen sich im Bildgegenstand solche Bildthemen finden, die in Zusammenhang mit ″Verlassenheit″ gebracht werden können. Exi- stenzielle Erfahrungen, die damit zusammenhängen, haben in abgeschwächter Form sicher alle Kinder und Jugendliche schon einmal erlebt. Den meisten Kindern und Jugendlichen dürften aus eigenem Erleben Zeiten der Hilflosigkeit, der Hoffnungslosigkeit und des Verlo- renseins bekannt sein. Vielleicht haben sie schon erfahren müssen, wie es ist, völlig ausgelie- fert zu sein und mit dem Rücken zur Wand zu stehen. Möglicherweise kennen sie das Gefühl, von allen Menschen verlassen zu sein und sich wahrlich verraten und verkauft zu fühlen.

9. 9. 2 Religionsdidaktische Konkretion

Der Theologe Paul Tillich kam in der Auseinandersetzung mit der Malerei des Expressionis- mus zu der Erkenntnis, dass der expressive Ausdruck in der Kunst es vermag, religiöse Inhal- te wiederzugeben.

„Religion lebt in Symbolen; und wenn diese Symbole wörtlich genommen und auf die undurchbrochene Ebene des Alltäglichen herabgezogen werden, ist das Ende der religiösen Kunst gekommen. Wenn Jesus, der der Chris- tus, der Bringer des Neuen Seins ist, zum Dorfschullehrer, zum kommunistischen Agitator oder zum sentimenta-

1168 Siehe diesbezügl. Helmut Hanisch/Siegfried Hoppe-Graff, Ganz normal und trotzdem König, 60.

290 len Dulder gemacht wird, kann kein religiöses Bild entstehen. Es fehlt die Transparenz, das Drohend – Verhei- ßende des göttlich – dämonischen Grundes der Dinge. Es fehlt, […] die durchbrechende Macht des Expressi- ven.“1169

Wogegen er sich in diesem Zitat ausspricht, ist die Festlegung des Christus in einem starren Bild, das seinem Zeugnis nicht gerecht wird, sondern ihn in seiner Bedeutung für die Menschheit verharmlost, verniedlicht und verzweckdienlicht. In diesem Sinn entspricht seine Forderung dem Bilderverbot des Dekaloges. Christusbilder der Kunstgeschichte zeigen, wie dieser im Topos des ″schönen, sanften Christus″ verklärt in die Alltagswelt der Menschen Einzug hielt1170. Beliebte Christusbilder des Barock oder Rokoko, später der Nazarener, vergeistigten Christus einseitig in seiner alles umfassenden Liebe. Die Volkskunst bedient sich immer noch dieses Sujets. Künstler über viele Jahrhunderte hinweg vermochten es nicht, sich von der Vorstellung zu lösen, dass dieser ideale Mensch auch über einen idealschönen Körper verfügen musste, der dem Betrachter über den Tod am Kreuz hinaus Würde und Glorie mitteilt1171. Angesichts dieser Tradition sah Paul Tillich mit der Formensprache der Malerei des Expressionismus die Möglichkeit, religi- öse Inhalte stimmig bildnerisch umzusetzen. Mit dem Kohlebild Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen schuf Otto Pankok ein Bildwerk, innerhalb dessen sich ein realistischer, figürlicher Bildgegenstand mit einer gesteigerten expressiven Formensprache aussagekräftig verbindet. Das entspricht formal der radikalen Aussage Paul Tillichs. Das Geschehen am Kreuz wird nicht verharmlost, son- dern in totaler Einsamkeit dargestellt. Geradezu physisch nachzuempfinden sind die Schmer- zen des Mannes am Kreuz. Seine durchbohrten Hände sind durch die Qual zu Klauen ver- krümmt. Einzig sein starrer Blick scheint ihm noch Halt zu geben. Dieser Blick macht die unbedingte Mitte des Bildes aus – sowohl in der Horizontalen als auch in der Vertikalen. Durch ihn nimmt die Bildfigur des Jesus am Kreuz Beziehung zum Betrachter auf1172. So kann sich ein bilderschließender Dialog entwickeln, der es Schülerinnen und Schülern mög- lich macht, das Bild in seiner Aussage zu erfassen. Der Schrei dieses unschuldigen Menschen am Kreuz führt die Betrachter des Bildes hin zur alltäglichen Erfahrung „unschuldigen Leidens und Sterbens“1173. Dies wirkt umso provokanter, da es sich hierbei um einen Menschen handelt, von dem größte Gottesnähe an- zunehmen wäre. Die ersten Glaubenszeugnisse berichten deshalb, dass die umstehenden Men-

1169 Paul Tillich, Zur Theologie der bildenden Kunst und der Architektur, 209. 1170 Vgl. dazu Katharina Winnekes, Christus in der bildenden Kunst, 41. 1171 Katharina Winnekes, Christus in der bildenden Kunst, 37. 1172 Bekämen Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit, das originale Bild im Museum zu sehen, dann würde sich dieser Eindruck noch verstärken, da durch seine Größe von 99 x 148 cm die Jesusfigur fast lebensgroß ist. 1173 Martin Luther, Der kleine Katechismus, 511 zitiert bei Gunda Schneider-Flume, Grundkurs Dogmatik, 222.

291 schen am Kreuz verwirrt reagierten. Nach Mk 15, 35 vermeinen einige, dass Jesus nach dem Propheten Elia rufe. Aus diesem Grund schwächten die nachfolgenden biblischen Zeugnisse die Worte Jesu am Kreuz deutlich ab und ersetzten sie nach Joh 19, 30 durch die triumphalen Worte: „Es ist vollbracht!“1174 Obwohl nicht anzunehmen ist, dass die Worte am Kreuz histo- risch sind,1175 so führen sie den Gläubigen doch hin zum zentralen Problem real erlebter Got- tesferne. Dies erscheint umso gravierender, als dieser Mensch wie kein anderer die Nähe Got- tes verkündet hat. Dieses Paradoxon ist nicht durch simple Erklärungen auflösbar und stellt Christen vor enorme Herausforderungen. Das Bild des Gekreuzigten, wo immer es Christen in jedweder Form begegnet, wirft die Frage auf, wer heute in unseren Tagen unschuldig an das Kreuz geschlagen wird – viel- leicht sogar von uns selber. Als mahnendes Gegenüber fordert es zur Stellungnahme, wen wir mit Worten, durch Taten, mit unserer Bequemlichkeit, unserer Trägheit, unseren Vorurteilen, Halbwahrheiten oder Lügen an das Kreuz nageln. Das Bild vom Kreuz, das zum zentralen Glaubenssymbol des Christentums wurde, erfährt seine dauerhafte Aktualität dadurch, dass vom Gekreuzigten auf den eigenen Umgang mit Menschen geschlossen wird und die prakti- sche Ausrichtung des eigenen Handelns zum Liebesethos des Mannes aus Nazareth ins Ver- hältnis gesetzt wird. In diesem Sinn lädt das Bild Heranwachsende dazu ein, sich existenziellen Fragen zu stellen. Im produktiven Umgang damit erwerben junge Menschen die Kompetenz, eigene Er- fahrungen und emotionale Eindrücke zu verbalisieren und zu kommunizieren. Das fördert ihre kommunikative Kompetenz und ihre Selbstkompetenz. Die Aufnahme existenzieller Fragen in den Unterricht ist es, das dem Fach Legitimation speziell unter konfessionslosen Kindern und Jugendlichen sichert1176. Schülerinnen und Schüler bauen ihre Fachkompetenz aus, da sie mit dem Bildtyp des ″Einsamen Kruzifixus″ eine traditionelle christliche Bildform kennenlernen. In diesem Zu- sammenhang setzen sie sich inhaltlich mit den letzten Worten Jesu am Kreuz auseinander, wie sie von den Evangelisten Matthäus und Markus überliefert werden (Mt. 27, 46/Mk. 15, 34). Mädchen und Jungen erweitern ihre hermeneutische Kompetenz, indem sie begreifen, dass sich in diesem Bildtyp die Erfahrung der grundsätzlichen individuellen Einsamkeit des Menschen im Augenblick des Todes zeigt. Ihre ästhetische Kompetenz erweitern die Schüle- rinnen und Schüler, indem sie nachvollziehen können, in welchem Maße die expressive For- mensprache die Bildaussage verstärkt.

1174 Gunda Schneider-Flume, Grundkurs Dogmatik, 227. 1175 Vgl. dazu die Ausführungen von Gunda Schneider-Flume, Grundkurs Dogmatik, 227. 1176 Vgl. Michael Domsgen, Ostdeutsche Herausforderungen für eine systemische Religionspädagogik, 364.

292

9. 9. 3 Methodische Impulse Bildbefragung in Form eines Zwiegespräches: Die Eindringlichkeit der Bildaussage fordert Schülerinnen und Schüler der höheren Jahrgangsstufen zum Zwiegespräch mit dem Bildge- genstand heraus. Indem der Betrachter dem eindringlichen Blick des Mannes am Kreuz stand- hält, kann er oder sie sich auf ein imaginäres Zwiegespräch einlassen, aus dem heraus sich ein fiktiver Dialog entspinnt, der in schriftlicher Form festgehalten werden könnte. In einem selbst verfassten Text widerspiegelt sich in unverblümter Art die Christologie und das Gottes- bild der Schülerinnen und Schüler. Beginnen könnte ein mögliches Zwiegespräch mit den Worten: „Da hängst du nun am Kreuz und schreist nach deinem Gott …“. Die Reflexion der Schülerinnen und Schüler könnte danach fragen, wie Jesus in so eine beängstigende Lage kommen konnte, wem er das alles zu verdanken hat, wie es dazu kam, wie es nun weitergehen könnte, was er sich jetzt noch erhofft, wie er sich in dieser Lage wohl fühlen mag, ob er jetzt vielleicht seinen Lebenssinn neu überdenkt etc. Wäre die praktische Arbeit an diesem Bildwerk zeitlich und thematisch in der Passi- onszeit verankert, dann ließe sich in Zusammenstellungen damit (mittels Beamer um ein Viel- faches vergrößert) und den geschriebenen Texten der Heranwachsenden eine Rauminstallati- on erarbeiten. Dazu müssten die Texte der Schülerinnen und Schüler auf Tonträger gespro- chen und falls erforderlich noch mit Musik unterlegt werden. In Zusammenschau des Bildes mit den Texten der Schülerinnen und Schüler ergäbe sich ein authentischer Gesamteindruck. Eventuelle ließe sich das für einige Zeit in einem verdunkelten Raum aufbauen, was ein nachhaltiges Erlebnis mit sich bringen würde. Kontrast durch Lebensbilder: Vor allem jüngere Schülerinnen und Schüler sollten die Mög- lichkeit bekommen, diesem offensichtlichen Bild des Sterbens Lebensbilder entgegen zu set- zen. In der ehrlichen Auseinandersetzung mit dem Bildthema wird ihnen deutlich werden, dass Jesus vom Kreuz nicht errettet wird. Die Evangelien berichten einhellig, dass der Mann aus Nazareth am Kreuz verschied – so wie es die römische Herrschaft für Verbrecher vorsah. Die von Kindern vielleicht erhoffte Intervention eines ″Superhelden″ findet in der biblischen Überlieferung nicht statt. Stattdessen muss Jesus durch den unvermeidlichen Tod gehen, be- vor Gott an ihm das Wunder der Auferstehung vollzog. Vor allem mit Blick auf das Osterer- eignis können Kinder und Jugendliche dazu angehalten werden, diesem ″Sterbebild″ Lebens- bilder entgegen zu stellen. Es wird interessant sein mit ihnen herauszuarbeiten, wie ein Bild- werk aussehen könnte, in dem sich der Wille zum Leben deutlich zeigt. Solche Bilder können von Kindern und Jugendlichen entweder selbst angefertigt oder aus vorhandenem Material herausgesucht werden. In der direkten Gegenüberstellung des Bildpaares ergäbe sich eine

293 interessante, religionspädagogische Aussage, die Schülerinnen und Schüler zum Weiterden- ken anregt.

9. 10 Das Würfeln um den Rock I 19331177

Für den Künstler stellte das Böse eine Wirkmacht dar, die sich unter günstigen Bedingungen immer wieder Bahn brechen kann. In seinem Verständnis geht das Böse unmittelbar einher mit Hass, der die Menschen dazu treibt, Leben zu vernichten. Solcherart Selbstbezogenheit, Zerstörung und Gier der Menschen, die keinen Raum für Mitmenschlichkeit und Gott lässt,1178 kommt auf drastische Weise in Bild Nr. 50 der Passion, Sie würfeln um seinen Rock zum Ausdruck. Auf diesem Bild hängt der Mann aus Nazareth, seinem Todeskampf ausge- setzt, am Kreuz; zu seinen Füßen liegen die Schergen und verlosen sein Übergewand. Auf diesem Bild ist das Böse allgegenwärtig. Der Mensch hat sich nicht nur von Gott abgewandt, vielmehr ist das Göttliche in seiner Gegenwart gar nicht mehr vorhanden. Die Entscheidung

1177 Bei dem Kohlebild (97x128 cm) handelt es sich um eine motivische Variante eines Kohlebildes der Passion, die im selben Zeitraum entstand. Otto Pankok fügte diese hier besprochene Variante nicht in den Zyklus der Passion ein. Das hier besprochene Kohlebild existiert neben der Passion und ist einzusehen im Otto-Pankok- Museum in Hünxe/Drevenack. 1178 Vgl. dazu Paul Tillich, Systematische Theologie, Bd II, 309.

294 hin zu Gott oder hin zum Tier hat sich im Menschen bereits vollzogen. Sein Herz „ist dem Tier und seinen wilden dämonischen Kräften geöffnet“1179. Otto Pankok lässt keinen Zweifel daran, dass hier das Böse die Menschen beherrscht. Als der Jesuitenpater Friedrich Mucker- mann dieses Bild sah, notierte er:

„[…] gewaltig ist dieses Bild. Man sieht vom Kreuz nur den unteren Teil mit den durchbohrten Füßen des Her- ren. Aber sie sind das bis auf die Erde reichende Stück eines Körpers, der zwischen Himmel und Erde gespannt ist. Sie haben etwas Ungeheures an sich, diese Füße, die Majestät des Opfertodes für das Heil der Welt. Die größte Tragödie aller Zeiten berührt dort die Felsen unseres Sternes, die Menschen aber würfeln auf ihr begier- lich um ein Gewand. Sie sehen nicht die Größe des Opfers, sie ahnen nicht die Seelenqual seiner letzten Stunden. Über sie hinweg klagt das Wort bis zu den Gestirnen: ″Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?″ Sie aber würfeln um das Gewand – geldsüchtig, tierisch sind sie. Nein, der Mensch ist nicht gut, er ist bisweilen ein Satan.“1180

Friedrich Muckermann erkannte in diesem Bild den Nährgrund des Bösen in der Gleichgül- tigkeit der Menschen gegen sich selbst und ihre Mitmenschen. Diese Gleichgültigkeit gegen- über dem Leben und zerstörerischen Lebensumständen ist es, das dem Bösen Raum ver- schafft, sodass es anfangen kann zu wirken. „Nein, der Mensch ist nicht gut“, muss der Jesui- tenpater entgegen der biblischen Überlieferung des ersten Schöpfungsberichtes Gen 1, 31 feststellen, „er ist bisweilen ein Satan“:

„Auch wenn das Kreuz von Millionen Kriegsopfern zu uns aufragt, auch wenn die Grenzen der Länder gezäunt sind mit den Friedhöfen gefallener Helden, auch wenn jene, die dabei waren, innerlich vor Schmerz verbluten, es fehlt die Horde nicht, die weiterwürfelt, wie sie vordem gewürfelt hat. Ein häßliches Spiel ist ihnen die Welt, es wird gespielt um die Tränen und das Blut der Entrechteten. Es gibt keine Ehrfurcht vor der Tragik und kein Mit- leid mit den Ausgestoßenen. Es gibt nur das Würfelspiel und die Rechnung von Gewinn und Verlust. Nein, der Mensch ist nicht immer gut, der Mensch ist bisweilen ein Satan.“1181

Bei Das Würfeln um den Rock I handelt es sich um eine Variante des Bildes, das der Künstler der Passion zuordnete1182. Warum er das Bild aussortierte, bleibt fraglich. Seine Ent- scheidung kann unter Berücksichtigung künstlerischer Qualitätskriterien nicht nachvollzogen werden. Nur zu wenigen Bildern der Passion gibt es überhaupt Varianten. Sie sind selten öf- fentlich zu sehen, da primär das Bild der Passion gezeigt wird. Im Gegensatz zum entsprechenden Bild der Passion veränderte der Künstler auf dem Bild Das Würfeln um den Rock I den Bildausschnitt. Die Szene wirkt komprimierter und nä- her an den Betrachter herangerückt, wodurch das Geschehen direkter verfolgt werden kann.

1179 Otto Pankok, Otto Pankok über seine „Passion“ in Prisma 15/1948, 32. 1180 Pater Friedrich Muckermann, Vorwort zur „Passion“ von Otto Pankok, 4. Das 11seitige Manuskript befindet sich im Archiv des Otto-Pankok-Museums „Haus Esselt“ in Hünxe/Drevenack. 1181 Pater Friedrich Muckermann, Vorwort zur „Passion“ von Otto Pankok, 4. Das 11seitige Manuskript befindet sich im Archiv des Otto-Pankok-Museums „Haus Esselt“ in Hünxe/Drevenack. 1182 Das Kohlebild befindet sich heute im Magazin des Otto-Pankok-Museums Hünxe/Drevenack.Es ist wahr- scheinlich, dass Otto Pankok das Kohlebild Das Würfeln um den Rock I zuerst malte (1933), da er dem Bildtitel eine Nummerierung (I) hinzufügte. Es gibt aber kein entsprechendes Bild mit der Nummerierung „II“. Es ist davon auszugehen, dass der Künstler im Zuge der Vereinheitlichung und stärkeren Personalisierung der Bildtitel der Passion die zweite Variante nicht Das Würfeln um den Rock II nannte, sondern gleich Sie würfeln um den Rock. Demzufolge wäre das heutige Passionsbild die später gemalte Variante.

295

Die sechs handelnden Bildfiguren sind nur angeschnitten zu sehen, was dem Bild den Reiz eines Ausschnittes verleiht. Eindeutig liegt der Schwerpunkt der künstlerischen Darstellung auf den Gesichtern der Protagonisten. Dem entsprechend arbeitete der Künstler auf dem Pas- sionsbild die Körperhaltung der sechs Figuren stärker heraus und veränderte deren Physiog- nomien. Es ist durchaus vorstellbar, dass es sich um vollkommen andere Bildfiguren handelt. Lediglich zwei von ihnen ähneln sich auf beiden Varianten. Irritierender zentraler Bildgegenstand beider Varianten bleiben die an das Holz ge- schlagenen, übereinander gelegten Füße Jesu. Mehr ist auf beiden Bildern von dem Gekreu- zigten nicht zu sehen. Der Bildausschnitt reicht jeweils bis zum Knöchel. Der Künstler nahm darauf einen Perspektivenwechsel zur späteren Variante vor, wodurch sich die Bildaussage veränderte. So schweben die Füße des Gekreuzigten auf dem Passionsbild um ein Vielfaches vergrößert über dem Geschehen. Damit erhält die Darstellung eine metaphysische Kompo- nente. Auf dem zu besprechenden Kohlebild sind die Füße des Gekreuzigten Teil der illustren Würfelrunde. Der Künstler malte sie im entsprechenden Größenverhältnis zu den anderen Bildfiguren. Somit fügt sich der Gekreuzigte in den Halbkreis der würfelnden Männer ein. Drei liegen zu seiner Rechten und drei zu seiner Linken. Die Figuren sind so angeordnet, dass ein fast vollständiger Kreis entsteht, der sich zum Betrachter hin noch ein wenig öffnet. Wenn der Betrachter vor dem Bild steht, wird er Teil der Würfelrunde und vervollständigt sie zum geschlossenen Kreis. Sein Platz ist direkt gegenüber dem Gekreuzigten, von dem er nur die Füße sieht. Die leichte Draufsicht macht, dass unwillkürlich der Blick des Betrachters zu dem am Boden stattfindenden Würfelspiel gezogen wird. Damit fordert der Künstler den Bildbet- rachter auf, sich zur dieser Handlung, dem Würfeln um den Rock, zu positionieren. Er wird in das unmoralische Handeln mit einbezogen. Dies ist es auch, was unter religionspädagogischer Fragestellung an diesem Bild relevant ist.

9. 10. 1 Verortung der Thematik in der Lebenswirklichkeit der Schülerinnen und Schüler

Das Böse in der Welt hat viele Gesichter. Das erfahren Kinder und Jugendliche von Kindheit an. So entwickeln sie schon zu Beginn ihrer Kindheit eine Vorstellung davon, was ″böse″ ist. Untersuchungen haben gezeigt, dass Kinder mit zwei bis drei Jahren Gutes von Bösem unter- scheiden können1183. Äußert es sich für die meisten Kinder und Jugendlichen im persönlichen Erleben eher auf der zwischenmenschlichen Ebene, so gelangen sie mit zunehmendem Alter zu dem Bewusstsein, dass ″irgendwo in der Welt″ das Böse lauert, das für Kriege, Terror, Not und Elend verantwortlich sein muss. Verweigert man ihnen das Gespräch darüber, dann ver-

1183 Ulrich Niemann, Das Böse und die Krankheit, 107.

296 härtet sich bei ihnen möglicherweise ein Bewusstsein davon, dass nicht nur individuelle Din- ge und Umstände ″böse″ sind, sondern es ″das Böse″ als ominöse Wirkmacht in der Welt gibt. Es ist unmöglich, von Kindern ″das Böse″ fernhalten zu wollen. Aus den Medien und im Umgang mit anderen Kindern erfahren sie, dass Menschen ″böse″ sein können und dass es offenbar ″böse Menschen″ gibt. Es macht Kinder betroffen, wenn sie erfahren, dass anderen Kindern Leid widerfahren ist – sei es in Bürgerkriegssituationen in Afrika oder in Deutsch- land durch elterliche Unverantwortlichkeit. Kindern kann das Erfahrene so nahe gehen, dass das Gehörte ein Schockerlebnis für sie darstellt. Sie leiden an dem Erfahrenen und zeigen das, indem sie weinen und trauern. In solchen Situationen ist die fürsorgliche Begleitung von Er- wachsenen unerlässlich. Hinzu kommt, dass Kinder- und Jugendliche je nach Alter und in unterschiedlich ausgeprägter Form bereits selber Erfahrung mit dem ″Bösen″ gemacht haben. Werden sie durch Reflexion nicht sensibilisiert, dann stellen sich „Verharmlosungstendenzen“ ein, wie Ulrich Niemann es bezeichnet. Er kann aus seiner Praxis berichten, dass sich viele Jugendliche vor der konkreten Zuordnung von ″schlecht″ oder ″böse″ scheuen und stattdessen alles in Formeln wie „ist ganz O.K.“ oder „ist echt nicht gut“ packen1184. Solche Tendenzen der sprachlichen Vereinheitlichung zeugen von einer Desensibili- sierung. Aus diesem Grund gehört das Gespräch über ″das Böse″ unbedingt in die Praxis des Religionsunterrichts hinein. Wesentlich erscheint es dabei, dass sich das ″Böse″ nicht nur in unvorstellbar grausamen Einzelphänomenen zeigt, sondern genauso in alltäglicher Belanglo- sigkeit, in Gleichgültigkeit, Missachtung und perfidem Spiel. So zeigt es das Bild. Noch be- vor der Gekreuzigte abgenommen wurde, wird zu seinen Füßen um seine letzten Habseligkei- ten gespielt. Heranwachsende für solches Handeln am Menschen zu sensibilisieren, ist Auf- gabe des Religionsunterrichts. Das Einüben von Perspektiven und das Erlernen von Perspek- tivenübernahme, sind Voraussetzungen für das Erlernen von Empathie.

9. 10. 2 Religionsdidaktische Konkretion

Vor allem der Religionsunterricht sollte der Ort sein, an dem neben dem Philosophie-, dem Deutsch- und dem Kunstunterricht Kindern und Jugendlichen Raum gegeben wird, über das Böse in der Welt nachzudenken. So eindeutig wie dieser Platz für ein konstruktives Nachden- ken über Phänomene wie das Böse im Religionsunterricht prädestiniert scheint, ist er längst

1184 Ulrich Niemann, Das Böse und die Krankheit, 104. Eigene Erfahrungen der Verfasserin mit Schülerinnen und Schülern der Jahrgangsstufe zehn bestätigen das. Im Unterricht äußerten in der inhaltlichen Auseinanderset- zung mit Elie Wiesels Buch „Die Nacht“ einige Schülerinnen und Schüler, dass der Holocaust „schlimm“ war.

297 nicht. Das verdeutlicht ein Blick in die Lehrpläne des Faches Religion der verschiedenen Bundesländer. Ebenfalls innerhalb der Theologie wurde in jüngerer Zeit der Vorwurf laut, „vor dem Phänomen des Bösen und seinen zahllosen Ausprägungen“ zu verstummen1185. Ne- ben anderen gibt das 1996 erschienene Buch „Ich bin ein Kind der Hölle“ einen Einblick, wie hoch der Bedarf ist, beispielsweise angesichts des Treibens satanischer Sekten inmitten unse- rer Gesellschaft, mit Kindern und Jugendlichen an Schulen ″das Böse″ zu thematisieren1186. Der Mensch, der im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte ist, kann sich in Freiheit zum Tun von Bösem entscheiden. Das Böse ist demnach Teil der menschlichen Existenz. Mit per- sönlicher Freiheit muss deshalb moralische Reifung einhergehen, die es dem Menschen er- möglicht, sein Handeln zu bewerten und zu steuern. Durch außergewöhnliche Umstände kann jeder Mensch zum Tun von Bösem befähigt werden. Eindeutig leichter passiert das in einem Umfeld, in dem das Böse hingenommen oder sogar akzeptiert wird. In einen solchen Akzep- tanzraum im Kleinen lässt uns der Künstler mit seinem Bild blicken. Allen sechs Protago- nisten ist die Gleichgültigkeit ins Gesicht gemalt. Keiner von ihnen denkt daran, Böses zu tun. Da es zu den menschlichen Grundeigenschaften gehört zu spielen,1187 fragt sich, was das Bildmotiv für ein Schlaglicht auf sein Wesen wirft. In diesem Sinn eignet sich dieses Bild, um unterschiedliche Menschenbilder zu reflektieren. Damit stärken die Heranwachsen- den vor allem ihre ethische und ihre religiöse Kompetenz. Ihre religiöse Kompetenz entwi- ckeln sie in dem Maße, in dem sie verschiedene Menschenbilder kennenlernen und diese mit dem Menschenbild beispielsweise des ersten Schöpfungsberichtes vergleichen. Das Kunst- werk fordert sie durch sein Bildgeschehen zur Stellungnahme heraus, was die Menschen aus ihrer gottgewollten Ebenbildlichkeit Gottes machten. Ihre ethische Kompetenz erweitern die Heranwachsenden, indem sie dazu angehalten werden, sich mit diesem perfiden Spiel ausein- ander zu setzen und eine Wertung des Geschehens abzugeben. Sie werden dazu veranlasst, darüber nachzudenken, was Menschen mit ihrem Spiel leichtfertig alles verspielen. Dadurch, dass sie ihre eigenen Empfindungen in Worte fassen und mit der Lerngruppe darüber in Aus- tausch treten, weiten sie ihre kommunikative Kompetenz aus. Die Selbstkompetenz vertiefen sie dadurch, dass sie sich in die Bildsituation einfühlen und diese reflektieren. Sie werden dazu angehalten, nach Motiven des Handelns der Bildfiguren zu fragen und diese auf ihre Lebenswirklichkeit zu beziehen. So stellt sich beispielsweise jedem die Frage, unter welchen Umständen er sich an so einem Spiel beteiligen würde. Die hermeneutische Kompetenz der

1185 So u.a. bei Klaus Berger, Ulrich Niemann, Marion Wagner, Das Böse und die Sprachlosigkeit der Theologie, Regensburg 2007. 1186 Franz Georg Friemel, Franz Schneider, „Ich bin ein Kind der Hölle“, Leipzig 1996. 1187 Vgl. dazu Martin Sander-Gaiser, Lernen als Spiel bei Martin Luther, Vorwort, „Der Mensch ist nur da wirk- lich Mensch, wo er spielt.“

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Heranwachsenden entwickelt sich, indem sie die Bildzeichen deuten lernen und mit der bibli- schen Überlieferung in Verbindung bringen. In weiterführenden Recherchearbeiten sollten sie dokumentieren, in welchen Situationen ihrer Gegenwart Menschen ″falsches Spiel spielen″. Damit leisten sie eine Übertragung des Bildinhaltes in ihre aktuelle Lebenswirklichkeit. Ihre Personal- und Selbstkompetenz vertiefen sie, indem sie nach Motiven und Begleitumständen solchen sozialen Verhaltens suchen.

9. 10. 3 Methodische Impulse Materialsack zur haptischen Bilderfassung: Eine interessante Möglichkeit, dass sich Schüle- rinnen und Schüler einem Bild inhaltlich nähern können, bietet der sog. ″Chinesische Korb″1188 oder schlicht ein Materialsack. Mit dieser Methode werden zuerst die Sinne der Mädchen und Jungen angesprochen und weniger ihr Intellekt. Statt das Bild sofort in seinem Bildgegenstand deuten zu wollen, steht bei dieser Methode die vielsinnliche Bilderfassung im Vordergrund. Das Bild wird den Schülerinnen und Schülern in angemessener Größe präsentiert. Sinnvoll wäre es, wenn die Lerngruppe im Halbkreis vor oder im Kreis um das stark vergrö- ßerte Bild herum sitzen könnte (z.B. als Beamer- oder Tageslichtprojektion an die Wand). Der ″Chinesische Korb″ ist ein abgedeckter Korb – oder ein verschlossener Sack -, in dem Dinge gesammelt sind, die in ihrer haptischen Wirkung mit den Bildgegenständen zu tun haben könnten oder dem völlig entgegenstehen. In Bezug auf das Bild könnten das grober Leinen- stoff sein (für den Rock), Spielwürfel, ein Würfelbecher, ein grobes Holz (für das Kreuz), ein altes Arbeitshemd (für die Arbeiter), Knöpfe, ein großer Nagel, ein Beutelchen mit Erde usw. Dementsprechend können auch gegenteilige Dinge beigeordnet werden. Nun ist der Tastsinn eines jeden Teilnehmers angesprochen. Die Mädchen und Jungen fühlen in dem Korb/Materialsack und wählen einen Gegenstand aus, den sie auf das Bild beziehen können. Mit dem Gegenstand in den Händen erzählen sie, was der jeweilige Gegenstand auf dem Bild für eine Bedeutung hat. Damit sind einzelne Dinge aus dem Bild herausgetreten und für den Betrachter dreidimensional erfahrbar. Ideal wäre es, wenn sich Teilnehmer der Lerngruppe mit Bildfiguren identifizieren und in ihrer Rolle erläutern würden, welche Bedeutung sie und der Gegenstand in ihren Händen innerhalb des Bildgeschehens haben. Sprachlich könnte das folgendermaßen beginnen: „Ich bin … [die Person] und habe mir den großen Nagel gewählt, weil …“. Durch dieses Verfahren werden die ästhetische und die kommunikative Kompetenz der Heranwachsenden ausgebildet. Sie lernen sich sprachlich zu sinnlich wahrgenommen Eindrücken zu äußern. Die Methode des ″Chinesische Korbes″ eignet sich hauptsächlich für

1188 Vgl. dazu auch Michaela Breckenfelder, „Was will denn die Frau mit dem Engel da?“, 90.

299 vielteilige Bildwerke, zu deren Verständnis es lohnend erscheint, dem Betrachter einzelne Bildgegenstände erfahrbar zu machen. Vom ikonologischen Ansatz unterscheidet sich diese Methode dadurch, dass, ergänzend zur verbalen, eine haptische Dimension eingeführt wird, wodurch es den Schülerinnen und Schülern möglich wird, Bildwerke mit mehreren Sinnen zu erleben. Das regt ihren sprachlichen Austausch über das Bildgeschehen an und begünstigt die inhaltliche Weiterarbeit. Im Folgenden kann in Kleingruppen an der Übertragung des Bildin- haltes in die erlebte Gegenwart der Heranwachsenden gearbeitet werden. Arbeitsplakat mit Leerstellen: Wie bereits an anderer Stelle vorgeschlagen, so eignet sich in Auseinandersetzung mit diesem Bild die Arbeit mit Leerstellen und Bildergänzungen. Da sich die Runde der Würfelspieler zum Betrachter hin öffnet, scheint es vom Künstler intendiert, dass sich dieser in das Bildgeschehen involviert fühlt. Solches könnte durch Hineinmalen des Betrachters in das Bildwerk praktisch vollzogen werden. Zur Vorbereitung könnte das Bild verkleinert auf ein größeres Blatt kopiert wird, sodass herum ein breiter Rand zum Weiter- zeichnen verbleibt. Dort sollte sich zum einen der Betrachter selbst hineinmalen, zum anderen ausgehend von den Bildpersonen Denk- und Sprechblasen zeichnen, in die hineingeschrieben wird, was sie während ihres Spiels denken bzw. sagen. Auf diese Weise muss sich jeder Schü- ler und jede Schülerin zum Bildthema in Beziehung setzen, wodurch ihre Selbstkompetenz gestärkt wird. Das solcherart ergänzte Blatt eignet sich für weitere inhaltliche Auseinander- setzungen über das Bildthema. Ist den Heranwachsenden kognitiv das perfide Spiel als Bild- inhalt deutlich geworden, bestünde die Möglichkeit, gemeinsam mit ihnen nach Maßstäben zu suchen, die die christliche Ethik solchem Verhalten entgegensetzt.

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9. 11 Die Leiche (1933-34), Bild Nr. 58 der Passion

In Dramatik und Eindringlichkeit sind die Darstellungen Otto Pankoks vom sterbenden und toten Jesu vergleichbar mit denen von Matthias Grünewald (ca. 1480-1528) und zeigen auf- fallend Parallelen zu dessen Kreuzigungsszene im Mittelteil des Isenheimer Altars1189 (1513- 1515)1190. Bei Matthias Grünewald stirbt am Kreuz ebenfalls kein heroisches Wesen, dessen Göttlichkeit noch im Tod sichtbar ist, sondern ein Mensch. Gefoltert und deformiert vom To- deskampf hängt sein toter Leib am Kreuz. Ausgemergelt und aschfahl ist alles Leben aus ihm gewichen. Von der Glorie des Kommenden ist in dieser ersten Szene des Isenheimer Altars noch nichts zu erahnen. Darauf muss der nebenstehende Täufer hinweisen1191. Die blasse er- dige Leichenfarbe auf dem Altarbild Matthias Grünewalds, die die begonnene Verwesung des irdischen Leibes Jesu erahnen lässt, ähnelt der graustufigen Malerei Otto Pankoks. Am Kreuz

1189 Der Isenheimer Altar befindet sich heute in Colmar im Musée d`Unterlinden. Geschaffen wurde er jedoch für die Hospitalkirche zu Isenheim, die zu einem Antoniterkloster gehörte. Wilhelm Fraenger, Matthias Grüne- wald, 11. Der heilige Antonius ist der Schutzpatron der Aussätzigen. 1190 Der Künstler Otto Pankok bezeichnete 1950 den Isenheimer Altar von Matthias Grünewald als eine der „tau- sendfältigen Herrlichkeiten“ aus der unerschöpflichen Fülle der Dinge, in Otto Pankok, Unser Glaube an das Leben (1950), abgedruckt in Handzeichnungen, Druckgraphik, Plastik, 12. 1191 Wilhelm Fraenger, Matthias Grünewald, 13.

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Matthias Grünewalds hängt das, was Otto Pankok in Bild Nr. 58 der Passion als Die Leiche betitelt. In Matthias Grünewalds Darstellung sinkt Maria, tief erschüttert vom Anblick des ge- marterten Sohnes, in die stützenden Arme des Apostel Johannes. Den Blick über diesen Zu- stand der leidvollen Erstarrung wagt Matthias Grünewald erst auf der rechten Innenseite des Altars. Dort lässt er den Auferstandenen in einer farbenprächtigen Gloriole erscheinen, der dem Betrachter triumphal seine Marterstellen an Händen und Füßen präsentiert1192. Diesen Schritt geht der Künstler in seiner Passion bewusst nicht1193. Nachdem Jesus verschieden war, nehmen ihn zwei weinende Gestalten vom Kreuz ab (Bild Nr. 57 Die Kreuzabnahme). Sie legen die sterblichen Überreste Jesu am Fuße des Kreuzes nieder (Bild Nr. 58 Die Leiche). Direkt neben dem in sich verdrehten Körper liegt die große Zange, mit der die Helfer die Nä- gel aus dem Holz zogen, bevor der Leichnam abgenommen werden konnte. Die Zange ver- weist in ihrer mehrfach übersteigerten Größe auf die vorangegangenen Brutalitäten. Die Men- schen haben gesündigt. Das vollendete Werk ihrer Sünde liegt nun vor ihnen auf dem Boden. Sie haben einen ihrer Mitmenschen bestialisch hingemordet. Otto Pankok nennt das Sünde, und zwar „Sünde in monumentalster Gestalt“1194. Naturgetreu lässt er den Kiefer des toten Jesu in Todesstarre nach unten klappen. Die direkte Draufsicht auf die Foltermahle erhöht die Betroffenheit des Betrachters. Dem Tod Jesu haftet bei Otto Pankok nichts Majestätisches an; im Gegenteil, er ist hässlich. Da keine weitere Person zu sehen ist, fühlt sich der Betrachter, schon wegen der enormen Größe des Bildes von 119 x 99 cm, als unmittelbarer Zeuge des Geschehens. Der Künstler gibt dem To- ten einen Teil seiner Würde zurück, indem er ihm in traditioneller Manier ein loses Tuch um die Lenden legt, das die Genitalien bedeckt. Man stelle sich vor, Otto Pankok hätte den vom Kreuz abgenommenen Jesus ohne Lendentuch in völliger Nacktheit gemalt, so wie Lovis Co- rinth (1858-1925) es 1907 in Das große Martyrium tat. Die Darstellung Otto Pankoks wäre für den Betrachter in ihrem übersteigerten Realismus unerträglich geworden1195. Davon gibt das nächste Bild der Passion einen Eindruck: Für einen Moment ist der Betrachter mit der Leiche Jesu allein. Allein muss er das Leid ertragen, bevor Maria, die Mutter Jesu, sich ihren

1192 Wilhelm Fraenger, Matthias Grünewald, 17ff. 1193 Vgl. Hulda Pankok „vor dem Grab der Liebe …“ in „Die Passion. Ein Zyklus …“, o.S. 1194 Otto Pankok in einem Brief von 1934 an den befreundeten Jesuitenpater Friedrich Muckermann, abgedruckt in Rainer Zimmermann, Otto Pankoks „Passion“, 15. Friedrich Muckermann war von Otto Pankok gebeten wor- den, das Vorwort für die Erstausgabe der „Passion“ 1936 zu schreiben. In diesem Vorwort zitiert Muckermann den Brief Otto Pankoks. 1195 Vgl. zum Thema der Nacktheit des Gekreuzigten Günter Lange, Bilder zum Glauben, 167f. Günter Lange geht davon aus, dass nach Mk 15, 24 „Sie kreuzigten ihn und verteilten seine Kleider“, Jesus wie alle anderen Gekreuzigten auch, vollkommen nackt am Kreuz hing, was die Schmach der auf diese Weise Getöteten, noch erhöhte. Die vollkommene Nacktheit Jesu verbildlicht auch Edvard Munch auf seinem Gemälde Golgatha von 1900, abgedruckt u.a. in Katharina Winnekes, Christus in der bildenden Kunst, 57.

302 toten Sohn auf die Knie setzt und ihn wie einst als Säugling im Arm hält (Bild Nr. 59 Maria mit dem Toten).

9. 11. 1 Verortung der Thematik in der Lebenswirklichkeit der Schülerinnen und Schüler

Ab einem Alter von sechs Jahren sind Kinder in der Lage, über Ursprung und Ende von Le- ben nachzudenken1196. Eventuell haben sie in diesem Alter selbst schon erfahren, dass der Tod naher Verwandter und Freunde die Eltern, oder sie selbst, betroffen macht. Möglichen- falls haben sie in ihrem eigenen Lebensumfeld erlebt, dass Menschen eine Zeit lang trauern, wenn ein Todesfall eingetreten ist1197. Dieter Baacke weist darauf hin, dass Kinder Tod unter- schiedlich erleben und verarbeiten, je nachdem, welche ritualisierten Formen sie für einen Umgang damit erfahren. So empfinden Kinder, die auf dem Dorf aufgewachsen sind und die Aufzucht und Verarbeitung von Nutztieren überschauen können, die Schlachtung von Schweinen, Hasen, Schafen etc. als etwas vollkommen Natürliches. Mitunter helfen sie den Erwachsenen sogar dabei. Dieter Baacke argumentiert, dass es von der ″sozialökologischen Einbettung″ der Kindheit abhängt, wie Tod erlebt und verarbeitet wird1198. Problematisch da- bei ist, dass es unserer weitestgehend säkularen Gesellschaft an ritualisierten Formen des Umgangs mit dem Tod fehlt. Viele Kinder sind im Grundschulalter auf unterschiedliche Weise mit dem Tod kon- frontiert worden. Nicht immer sind es Familienmitglieder und nahe Verwandte, die starben, mitunter waren es die Haustiere der Kinder. Solch ein Verlust muss ebenso mit Trauerarbeit bewältigt werden. Vor allem ist es jedoch der Tod von Eltern, der Kinder vor enorme Heraus- forderungen stellt. Doch auch hierbei geht jedes Kind mit dem Verlust anders um1199. Wie Kinder Trauerarbeit vollziehen und so mit dem Tod umgehen lernen, hängt maßgeblich davon ab, welche Vorstellung von Tod ihnen nahe gebracht wurde. Erst im Laufe des Grundschulal- ters sind sie in der Lage, die Irreversibilität und Universalität von Tod zu verstehen1200. Eine zentrale Rolle in der Trauerarbeit älterer Kinder scheint eine angemessene unterstützende Trauerbegleitung durch Erwachsene zu sein. Dies ist umso wichtiger, da sich der Tod un- sichtbar macht in der medialen Wahrnehmung1201. Stattdessen umgibt Kinder und Jugendliche eine Mediengesellschaft, die sich dem Diktat der Schönheit unterordnet. Kinder und Jugendli-

1196 Vgl. dazu Dieter Baacke, Die 6- bis 12jährigen, 37. 1197 Dieter Baacke, Die 6- bis 12jährigen, 36. 1198 Dieter Baacke, Die 6- bis 12jährigen, 38. 1199 Sabine Walper, Elternverlust durch Tod, 829. 1200 Sabine Walper, Elternverlust durch Tod, 828. 1201 Die Sucht nach ″schönen Bildern″ und die damit einhergehende Ernüchterung vor den Realitäten des Alltags beschreibt in aufschlussreichen Fallbeispielen Ute Benz in: Jugend, Gewalt und Fernsehen, 16.

303 chen stehen dem kritiklos gegenüber. Das verändert nachhaltig ihr Sehen und ihre ästhetische Wahrnehmung. Natürliche Schönheit wird nicht mehr in ihrer vielfältigen Ausgestaltung wahrgenommen, sondern stetig mit der inszenierten Schönheit der Medienwelt verglichen. Wie stark sich Kinder und Jugendliche diesem Diktat unterordnen, wird von Erwachsenen erst spärlich wahrgenommen1202. Der Tod eignet sich nur schwer zur medialen Inszenierung, da er nicht schön, sondern hässlich ist. Deshalb verdrängen ihn Menschen so weit möglich aus ihrem Bewusstsein. Hinzu kommt, dass zum Tod unweigerlich das Sterben gehört. Selbst gläubige Menschen äußern, ihnen graue weniger vor dem Tod als vielmehr vor dem Sterben. Solche Aussagen verdeutlichen, dass auch die unaufhörlich voranschreitende medizinische Entwicklung es nicht vermag, den Menschen die Angst vor dem Sterben zu nehmen. Im Ge- genteil, aus medizinethischer Sicht tun sich mit dem medizinisch verlängerten Sterben neue Probleme auf.

9. 11. 2 Religionsdidaktische Konkretion

In unserer technisierten Gesellschaft ist das Reden über Sterben und Tod mit einem großen Tabu belegt. Altern, Alter und Sterben passen nicht in die Vorstellungswelt einer Gesellschaft im Jugendwahn. Menschen graut es vor dem Sterben, weil es unweigerlich auf uns zukommt als das Ende unserer ganzen Lebendigkeit1203. Das gilt insbesondere für den gewaltsamen Tod, wie ihn Jesus am Kreuz erleiden musste. Für die Religionspädagogik ist es eine wesent- liche Herausforderung, sich in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen dem Thema Tod und Sterben zu stellen und auf der Grundlage des christlichen Glaubens begründete Erklärungs- muster anzubieten. Zu einer solchen Auseinandersetzung lädt das Bild Die Leiche ein. Dem mit vielen Tabus belegten Thema stellte sich im November 2004 das Hygiene- museum Dresden mit der Ausstellung „Noch mal leben vor dem Tod“, worin über die Hos- pizbewegung und Palliativmedizin informiert wurde. Künstlerisch wegweisend, in der Öffent- lichkeit allerdings äußerst umstritten, war der dazugehörige Ausstellungskatalog gleichen Titels von Beate Lakotta und Walter Schels. Beide hatten Menschen, die im Hospitz ihre letz- ten Lebenstage verbrachten, vor und nach ihrem Tod abgelichtet1204. Innerhalb des schuli- schen Unterrichts ist der Religionsunterricht nahezu der einzige Ort, an welchem über Sterben

1202 Ute Benz, Jugend, Gewalt und Fernsehen, 32. Die Auswirkungen des Medienkonsums auf Erwachsene un- tersuchte auch Anton A. Bucher hinsichtlich des von ihnen wahrgenommenen Glücks. Dabei konnte er feststel- len, dass das persönlich empfundene Glück signifikant abnahm, je häufiger Erwachsene Bildmedien konsumier- ten. In Anton A. Bucher, Psychologie des Glücks, 73. 1203 Paul Althaus, Tod und Auferstehung in Die letzten Dinge, 83. 1204 Vgl. dazu unter ästhetischen Gesichtspunkten sehr aufschlussreich die Analysen von Richard Schindler, Umgang mit Bildern, 168f.

304 und Tod gesprochen werden kann und muss, denn „alles menschliche Leben geht dem Tode entgegen“1205. Am Beispiel des Umgangs mit Tod und Sterben offenbaren sich die Wider- sprüche und tiefen Ängste unserer Gesellschaft. Anstatt der sonst üblichen Geschwätzigkeit trifft man im Angesicht des Todes auf eine tief sitzende Sprachlosigkeit. Diese Sprachlosig- keit lässt sich auch im Unterrichtsgeschehen beobachten. Zentrale Begriffe und Formen müs- sen erst eingeführt und erklärt werden. Darin bergen sich Chancen für das Fach Religion. Manfred Kwiran stellte in Untersuchungen eine große Ansprechbarkeit von Kindern und Ju- gendlichen auf das Thema Tod fest1206. Gerade für konfessionslose Familien erfährt der Reli- gionsunterricht Legitimation, indem er sich solchen existenziellen Fragen nicht verschließt. Der Religionsunterricht kann der Ort sein, an dem mit Heranwachsenden verschiedene Vor- stellungen von Tod besprochen werden und wo sie die Möglichkeit haben zu erlernen, eigene Ansichten zu Tod und Sterben zu formulieren und gestalterisch Ausdruck zu verleihen. Im Religionsunterricht wird sich dem Thema ″Tod″ im christlichen Verständnis genähert und von abweichenden Vorstellungen, beispielsweise des Buddhismus, unterschieden. Christliche Todesvorstellungen gründen in Tod und Auferstehung Jesu. Aus diesem Grund erscheint es legitim in seinem Sterben und Tod den Schlüssel zum Verständnis des Todes zu suchen. Das Bild Die Leiche (1933-34) kann diesbezüglich ein geeigneter Zugang sein. Gleichwohl die Auferstehung Jesu die Mitte des christlichen Glaubens bildet, war es für Otto Pankok als gläubigem Christen unmöglich, diese darzustellen. Er beendete 1934 seine Passion mit dem sechzigsten Bild, der Grablegung Jesu. Dahinter ist kein künstlerisches Un- vermögen zu erkennen, sondern ein theologisches. Er vermochte keine Auferstehung zu ma- len, da er die Zeit, in der er lebte, dafür als noch nicht reif genug ansah. In seinen Augen war sie ein sich ständig wiederholendes Geschenk Gottes an die Menschen, in dem sich das Licht über die Finsternis erhebt. Der Tod wird überwunden und stellt nicht mehr das Ende allen Lebens dar. Zwischen „Gottes Leben und unserem Leben steht das Sterben“1207, formulierte es der Theologe Paul Althaus. Dieses „Ringen von Licht und Finsternis“1208 fand fortwährend statt und musste in jeder Generation neu entschieden werden. Otto Pankok war sich nicht si- cher, ob 1934 die Situation gegeben war, dass dies noch einmal gelänge, oder ob es die Fin- sternis schaffen würde, in eine „ewige Nacht“ überzugehen1209. 1934 hatte der Künstler wenig Hoffnung, dass es anders sein könnte.

1205 Paul Althaus, Tod und Auferstehung in Die letzten Dinge, 83. 1206 Zitiert bei Christian Butt, Kindertheologische Untersuchungen …, 22. 1207 Paul Althaus, Tod und Auferstehung in Die letzten Dinge, 83. 1208 Otto Pankok im Vorwort der Erstausgabe der „Passion“ erschienen im Kiepenheuer – Verlag 1936, 2. 1209 Vgl. dazu Elie Wiesel, Die Nacht, aus dem Französischen von C. Meyer-Clason, Freiburg i. Br. 1996.

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Wie jeden anderen gläubigen Menschen auch, so stellte es den Künstler vor ein unge- heures Problem, den Tod Jesu als erlebte Gottesferne mit der von Jesus selbst bezeugten Got- tesnähe zu vereinbaren1210. Historisch kann kein Zweifel daran bestehen, dass Jesus am Kreuz starb1211. Verständlich wird dieser Widerspruch, wenn davon ausgegangen wird, dass mit dem Tod Jesu nicht gleichzeitig dessen Gottesverhältnis beendet war, sondern über den Tod hinaus weiter bestand. Der Tod Jesu stellt demnach jeden Gläubigen vor die Aufforderung, die eige- ne Lebens- und Gottesgeschichte mit der Geschichte Gottes mit Jesus zu verknüpfen1212. Aus der Beschäftigung mit dem Bild Die Leiche können sich für Schülerinnen und Schüler positive Entwicklungsmöglichkeiten folgender Kompetenzbereiche ergeben: Sie stär- ken ihre religiöse Kompetenz, indem sie erfahren, dass Jesus vor seiner Auferstehung einen menschlichen Tod starb, der nichts Heroisches an sich hatte. Sie werden dazu aufgefordert, sich in Auseinandersetzung mit dem Bild ebenso mit den biblischen Berichten und den histo- rischen Quellen über den Tod Jesu vertraut zu machen. Auf diese Weise vertiefen sie ihre hermeneutische Kompetenz. Weiterhin werden die Mädchen und Jungen dazu angehalten, bereits vorhandene Vorstellungen über den Tod Jesu eventuell neu zu überdenken und ggf. zu revidieren. Einhergehend mit dem Tod dieses einen Menschen haben sie die Möglichkeit, verschiedene Todesvorstellungen kennenzulernen. Das erweitert ihre Fachkompetenz. Die Schülerinnen und Schüler entwickeln ihre Selbstkompetenz, dadurch, dass sie sich mit dem ansonsten tabuisierten Thema ″Tod″ auseinandersetzen und bereit dafür werden, wei- terführend darüber nachzudenken. Sie formen ihre ästhetische Kompetenz aus, indem sie sich Möglichkeiten erarbeiten, das Unaussprechliche in künstlerische Ausdrucksmöglichkeiten zu transformieren. Das können gestalterische oder musische Äußerungen sein, wie nachfolgend in den methodischen Impulsen dargestellt werden wird. Besonders in diesem selbsttätigen, schöpferischen Gestalten bilden Heranwachsende ihre Selbst- und Personalkompetenz aus.

9. 11. 3 Methodische Impulse Klagelied texten und musikalisch umsetzen: Eine Möglichkeit, sich mit dem Bild auseinander zu setzen wäre, seine inhaltliche Aussage in musikalischer Form wiederzugeben. Im Zuge dessen bestünde die Möglichkeit, Schülerinnen und Schüler mit Form und Funktion von Kla- geliedern, Requiem und Klagepsalmen (siehe Psalm 55) vertraut zu machen. Die Heranwach- senden könnten dazu ermutigt werden, eigene Klagelieder zu schreiben und vorzutragen, in deren Texten das Bildthema bearbeitet wird. Andere Schülerinnen und Schüler könnten die

1210 Gunda Schneider-Flume, Grundkurs Dogmatik, 227. 1211 Dietrich Korsch, Dogmatik im Grundriß, 169. 1212 Vgl. dazu Dietrich Korsch, Dogmatik im Grundriß, 169.

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Aufgabe bekommen, mit einfachen Musikinstrumenten (Klanghölzern, Trommeln, Rasseln etc.) oder den Musikinstrumenten, die sie möglicherweise selbst lernen und spielen, eine Mu- sik entstehen zu lassen, die dem Thema des Bildwerkes entspricht. Angestrebt wird dabei eine Erfassung der Thematik über mehrere Sinne. In einer ersten Bearbeitungsphase muss sich für die Schülerinnen und Schüler erschließen, welche Töne, Tonfolgen, Melodien und Rhythmen in diesem Bildwerk stecken, die hörbar gemacht werden können. Auf diese Weise bekommen die Schülerinnen und Schüler neben der visuellen Bilderfassung akustisch einen Bildzugang. Hinter diesem methodischen Vorgehen steht die Möglichkeit der synästhetischen Erfahrung von Bildwerken1213, bei der die visuelle Wahrnehmung mit den Eindrücken anderer Sinne verknüpft wird. Die einzelnen Arbeitsschritte sollten zusammengeführt und mit Otto Pankoks Bild in Verbindung gebracht werden. Als Arbeitsergebnis kann so ein Gesamtkunstwerk ent- stehen, in dem die drei Teile: Bild (reproduziert z.B. auf eine große Schattenwand)1214 mit den Klageliedern/Klagepsalmen und der musikalischen Interpretation der Schülerinnen und Schü- ler zu einer Einheit zusammengesetzt werden. Auf diese Weise könnte sich die musikalische Gestaltung der Heranwachsenden in die Ausgestaltung einer Unterrichtseinheit einfügen, die z.B. das Thema ″Tod″ zum Gegenstand religionspädagogischen Fragens hat. Künstlerische Spurensuche zum Thema ″Tod″: Otto Pankoks bildnerisches Thema ist der Tod eines Menschen. Dabei stellt er den Betrachter vor einen augenfälligen Widerspruch. Zum einen handelt es sich hierbei um den Tod eines berühmten Menschen, der sich grauenhaft und erbärmlich gestaltet. Diesem Menschen war es offensichtlich nicht vergönnt, in Würde zu sterben. Zum zweiten ist auffällig, wie sehr Otto Pankok diesen berühmten Menschen in sei- nem Menschsein belässt und ihm jedwede Glorifizierung verweigert. Das lädt Schülerinnen und Schüler ein, sich dem Thema ″Tod ″und ″Sterben″ von seiner menschlichen Seite aus zu nähern. Die Heranwachsenden können in Auseinandersetzung mit dem Bild dazu angehalten werden, sich auf eine Spurensuche zum Thema ″Tod″ in unserer Gesellschaft zu machen. Da- bei soll es weniger um Abschreckung gehen als vielmehr um Wahrnehmung und Reflexion. „Das Ästhetische ermöglicht es in besonderer Weise, Empathie […] in das sichtbare und un- gesehene ″Leiden anderer″ zu üben und auszubilden […]“1215, formuliert es Jochen Krautz im „Handbuch Friedenserziehung“. Sei es vor Ort in ihrem unmittelbaren Lebensumfeld, im Gespräch mit Hospizmitarbeitern, Bestattern, Pastorinnen und Pastoren etc. oder im virtuellen Raum. Die Repräsentation der Ergebnisse sollte in einer großen Zusammenschau erfolgen.

1213 Zum Begriff der Synästhesie siehe Klaus Eid/Michael Langer/Hakon Ruprecht, Grundlagen des Kunstunter- richts, 17. 1214 Zur Arbeit an der Schattenwand: Johannes Kirschenmann/Frank Schulz, Bilder erleben und verstehen, 51. 1215 Jochen Krautz, Bildende Kunst und Friedenserziehung, 410.

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9. 12 Maria mit dem Toten (1933-34), Bild Nr. 59 der Passion

Das Bild Nr. 59 der Passion entspricht der klassischen Form eines Vesperbildes. Auffällig ist die motivische Nähe zu einem kleinen österreichischen Vesperbild von 14101216. Dabei han- delt es sich um einen der ersten Holzschnitte überhaupt. Möglicherweise kannte ihn Otto Pan- kok aus Interesse für das Handwerk und da er selbst Zeit seines Lebens dem Holzschneiden nachging. Im Genre des Vesperbildes vereint sich die Darstellung der trauernden Maria mit der Darstellung des Leichnam Christi auf ihrem Schoß zum Andachtsbild. Ein solches zeichnet sich durch die Abbildung nur weniger Personen aus1217. Dabei kann sich die innere Versen- kung des Betrachters sowohl auf die Figur der Maria als auch auf den toten Christus richten. Die trauernde Maria hält dem Betrachter ihren toten Sohn vor und zeigt seine Wundmale, die von Folterungen zeugen, die Menschen ihm zufügten und an denen er starb. In einer zeitge-

1216 Abgebildet u.a. in Walter Koschatzky, Die Kunst der Graphik, 68. 1217 Vgl. dazu Gertrud Schiller, Ikonographie der christlichen Kunst, Bd. 2, 83.

308 nössischen Auslegung dieses Motivs schuf Joseph Beuys in den Jahren 1974 bis 1976 die Rauminstallation Zeige deine Wunde1218. Der Name ″Vesperbild″ rührt aus dem Gebrauch, die ″fünf Wunden Christi″ vorzugs- weise am Karfreitag zwischen Kreuzverehrung und Grablegung, zur Zeit des Vespergottes- dienstes, zu betrachten1219. Anhänger einer anderen Frömmigkeitsrichtung, die sich mehr auf die Figur der Maria konzentrieren, begaben sich in Betrachtung eines Vesperbildes in die mystische Versenkung der Leiden Mariens. Die klösterliche Ordnung sah für solcherart Be- sinnung einen Platz am Spätnachmittag vor. So kam diese Form des christlichen Andachtsbil- des zu seiner Bezeichnung ″Vesperbild″1220. Darin vereint sich somit beides: eine Betrachtung der Wunden Christi, verbunden mit einer Einfühlung in die Schmerzen Mariens. Aus dem italienischen Sprachraum ist für die motivische Darstellung des Vesperbildes der Begriff Pietà bekannt, womit „inniges Mitgefühl und Mitleid“1221 gemeint ist. Das italie- nische Wort pietas bedeutet ″Frömmigkeit″1222. Das Bild Maria mit dem Toten wird dement- sprechend in der Literatur häufig unter dem Titel Pietà geführt. Ursprünglich handelte es sich bei einer Pietà um eine plastische bzw. skulpturale Dar- stellung. Sie wurde motivisch um 1300 aus dem größeren Kontext der ″Beweinungsgruppe″ Christi als eigenständiges Bild zur Andacht herausgelöst. Weitaus seltener wurde sie zu einem Motiv der Malerei. Erst ab 1400 lassen sich bildliche Darstellungen einer Pietà finden und lassen sich von da an in der bildenden Kunst nachweisen. Auf eine der frühesten Ausführun- gen wurde schon hingewiesen. Die Pietà blieb ein feststehendes Motiv der bildenden Kunst bis in zeitgenössische Entwicklungen hinein. Je nach Entstehungszeit und der damit verbun- denen politischen Situation wurde die Darstellung von zeitgenössischen Künstlern mit poli- tisch – sozialen Aspekten verknüpft1223. Der Topos ″Trauernde Mutter mit totem Kind auf dem Schoß″ bekam in der zeitgenössischen Kunst in Anlehnung an das Leid Mariens eine starke sozialkritische Komponente. Hinter dem millionenfach empfundenen individuellem Leid trauernder Mütter um ihre toten Kinder stand symptomatisch, gewissermaßen als ″Urschmerz″, das Leid Mariens um den toten Sohn. Otto Pankok verknüpfte die Form der Pietà mit dem sozialen Aspekt vor allem in seinen Zigeunerbildern. Eine ähnliche inhaltliche Aufladung der bildlichen Darstellung findet sich bei dem Bild Maria mit dem Toten. Zum einen erscheint es bezeichnend, dass der Künstler das vor-

1218 Ein Foto davon befindet sich u.a. in Katharina Winnekes, Christus in der bildenden Kunst, 146. 1219 Lexikon der Kunst, (Seemann Leipzig) Bd 5, T - Z, Vesperbild, 419. 1220 Lexikon der Kunst, (Herder Freiburg) Bd 12, Tou - Zyp, Vesperbild, 156. 1221 Vgl. dazu Lexikon der Kunst, (Seemann Leipzig) Bd 5, T - Z, Vesperbild, 419. 1222 Lexikon der Kunst, (Herder Freiburg) Bd 9, Oes - Reim, Pietà, 171. 1223 Lexikon der Kunst, (Herder Freiburg) Bd 9, Oes - Reim, Pietà, 171.

309 letzte Bild seiner Passion nicht unter den Titel Pietà stellte, sondern es ganz im Bereich der konkreten Anschauung beließ. Der oftmals fremd zugeschriebene Titel, der „Mitgefühl“ oder „Mitleid“ meint, hätte das Bild auf eine höhere Ebene der Reflexion gehoben. Davon war der Künstler in seinem Kunstschaffen weit entfernt, wie in dieser Arbeit dargestellt wurde. Der sachlich klingende Titel Maria mit dem Toten verweist darauf, dass Otto Pankok sein Motiv im Bereich menschlichen Erlebens belässt. Maria hält ihren Sohn wie ein kleines Kind auf dem Schoß. Vom Schmerz verzerrt ist ihr Gesicht. Der tote Körper des Sohnes hängt grotesk verdreht in ihrem Arm1224. Dessen Nacktheit steigert sich dadurch, dass Marias weiter Ärmel nur wie zufällig über dem Genital- bereich des Toten hängt. Seine ganze Schutzlosigkeit und das Ausgeliefertsein den Peinigern gegenüber, kommt in diesem Bild zum Tragen. Überwältigend ist der Schmerz der Mutter. Auf diesem Bild beklagt keine Gottesmutter den Verlust ihres Sohnes für die Menschheit. Der Betrachter wird Zeuge unermesslich großen menschlichen Leides, hervorgerufen durch ande- re Menschen. Weit offen stehen die Folterwunden des Sohnes, und der Mutter tropft das Blut noch in die Hände. Von Tränen überströmt ist ihr Gesicht. Nichts und niemand könnte in die- sem Moment ihr Leid mildern. Erst recht nicht der Glaube daran, dass hiermit ein Opfer für die Menschheit vollbracht sei. Der Künstler schließt die heilsgeschichtliche Komponente des Geschehens aus, da er nicht vom toten Christus spricht, sondern von „dem Toten“. Das kor- respondiert mit seiner Weigerung, eine Auferstehung zu malen1225.

9. 12. 1 Verortung der Thematik in der Lebenswirklichkeit der Schülerinnen und Schüler

Kinder und Jugendliche haben ein starkes Interesse daran, sich mit dem Tod zu beschäftigen. In diesem Bedürfnis steht ihnen eine Gesellschaft gegenüber, die dieses Thema tabuisiert und aus der öffentlichen Wahrnehmung nahezu vollständig ausklammert. In dieser Hinsicht wer- den die Eltern zu einzig möglichen Ansprechpartnern, die sich nicht selten aus eigener Unsi- cherheit heraus diesem Thema verschließen. Das hat zur Folge, dass Kinder und Jugendliche teilweise noch in höheren Klassen dubiose Vorstellungen vom Tod haben, durchmischt mit universalen Todesvorstellungen, die sich in anderer Religionen finden, wie etwa der Wieder- geburt1226. Für Kinder bis zu zehn Jahren scheint zumindest partiell noch die Vorstellung vor-

1224 Vgl. dazu die Pietà Röttgen um 1300. Auch hier ist die Totenklage der Mutter in ganz ähnlicher Mimik und Körperhaltung als eine Äußerung elementar empfundenen menschlichen Leides dargestellt, u.a. in Alex Stock, Bilder in der Bildung des Christentums, 100. 1225 Vgl. dazu Hulda Pankok „Die Passion. Ein Zyklus …“, Ausstellungskatalog von 1956, o.S. 1226 Martina Plieth, Kind und Tod, 62.

310 handen zu sein, dass sie selbst nicht sterben1227. Für alle anderen Menschen nehmen sie das zwar an - jedoch nicht für sich. Dieses Ausklammern der eigenen Sterblichkeit verliert sich in den folgenden Jahren. Doch schon Kinder zwischen drei und sieben Jahren entwickeln genaue Todesbilder, wobei sie sich ″Tod″ vorwiegend gewaltsam denken. Schwer vorstellbar ist ih- nen, dass dadurch die Lebensspanne von Menschen auf natürliche Weise begrenzt ist.1228 In der Grundschulzeit entwickeln Kinder keine neuen Todesvorstellungen, sondern bauen die individuellen Bilder der Vorschulzeit aus1229. Zwar haben sie nun eine genaue zeit- liche Auffassung und begreifen, dass alle Lebewesen endlich sind, dennoch können sie sich den Ausfall aller wichtigen Lebensfunktionen nicht vorstellen. Gerade deshalb kommt der Tod zumeist von außen auf sie zu, was sich beispielsweise bei Jungen in gestalteten Bildern wie Skeletten, Todesengeln oder des Sensenmannes äußert1230. Ungefähr ab dem sechsten Lebensjahr verbindet sich die Angst vor dem Tod mit der Angst vor dem Zerfall des eigenen Körpers. Das hat mit der intensiveren Wahrnehmung eigener Körperlichkeit zu tun1231. Erst ab dem zehnten Lebensjahr, mit dem Übergang zur Pubertät, verstehen Kinder und Jugendli- che den Tod als tatsächlichen Abbruch aller biologischen Prozesse „sie erfassen, dass der Tod als das endgütige innere Erlöschen von Körperkräften und -funktionen früher oder später alle Menschen betrifft […].“1232 Erst ab jetzt lernen Heranwachsende zu begreifen, dass sie davon nicht ausgenommen bleiben.

9. 12. 2 Religionsdidaktische Konkretion

Die klassische Form des Vesperbildes lud Menschen über Jahrhunderte hinweg zu religiöser Einkehr und Teilnahme ein. Im Blickpunkt dieser Form der Verehrung stand dabei vorder- gründig die Figur der Maria als leidender Gottesmutter, im Bewusstsein dafür, dass nach der Grablegung des toten Jesu diesem ein noch bedeutenderes Schicksal beschieden war. Das Vesperbild ist demnach als Station zwischen dessen Tod am Kreuz und der Auferstehung zu verstehen. Damit materialisiert es als echtes Passionsbild die menschliche Seite der Tragödie. In einem kurzen Innehalten wird der Qual der Mutter in Anbetracht der Wunden ihres Sohnes gedacht. Eine Christusverherrlichung findet in dieser Bildform nicht statt. Viel eher geht es um die real empfundenen Schmerzen einer Mutter. Damit verrückt das Vesperbild den Bedeu- tungsfokus vom Ostergeschehen hin zum Kreuzesgeschehen. Obwohl der gläubige Christ um

1227 Martina Plieth, Kind und Tod, 69. 1228 Martina Plieth, Kind und Tod, 70. 1229 Martina Plieth, Kind und Tod, 71. 1230 Martina Plieth, Kind und Tod, 71. 1231 Martina Plieth, Kind und Tod, 75. 1232 Martina Plieth, Kind und Tod, 78.

311 die Auferstehung Jesu weiß, wird er mit diesem Bildtyp dazu angehalten, nicht die gesamte Lebens- und Leidensgeschichte Jesu in ein glorifizierendes Osterlicht zu tauchen. Die Bild- form der Pietà hilft den Gläubigen sich zu vergegenwärtigen, dass Jesus in seiner Göttlichkeit menschliche Anteile aufweist und dass das Geschehen um Jesus nicht im abstrakten Raum, sondern unter uns Menschen stattfand. Am Kreuz starb kein Gott, sondern ein Mensch. Die Stärke des Bildes Maria mit dem Toten ist, dass der Künstler diese menschliche Dramatik sichtbar machen konnte. Eine Mutter beweint ihren toten Sohn. Nichts und niemand könnte sie in diesem Moment aufrichten. Erst recht nicht die Gewissheit, dass dieser Tote in ihren Armen Gottes Sohn ist. Otto Pankok steigert die menschliche Bedeutungsebene dieser Dar- stellung dadurch, dass er im gleichen Darstellungsmodus Zigeunermütter mit ihren kranken Kindern malte. Im Übrigen interessierte das wie kaum einen anderen Künstler in dieser Zeit Otto Dix, einen nahen Künstlerkollegen Otto Pankoks, den dieser persönlich gut kannte. Intensiver als andere Maler seiner Zeit setzte er sich mit der Leidensgeschichte Jesu auseinander. Erfahrun- gen des Ersten und Zweiten Weltkrieges ließen ihn an diesem Thema festhalten1233. In seinem Kunstschaffen fand er zu seiner eigenen ″Christologie″, die eng mit dem Menschenbild seiner Zeit verknüpft ist und sich jedweder Glorifizierung verschließt.

„Dieses Leben dieses Jesus, das ist eine ganz tragisch kümmerliche Angelegenheit gewesen. Ein armer Mensch, der wenig Anhänger gehabt hat und durch ein Land gegangen ist, wo die Vornehmheit der Römer und … der Hochmut der Pharisäer, der Juden … Da ist der durchgegangen, als ein ganz verachteter lächerlicher Mensch. Und jetzt stellen wir ihn dar als kolossal geleckten Bärtling […] Große Scheiße! Große Scheiße! Große Scheiße! … Die Sache wird ins Geleckte, ins Angenehme hingetrieben und ist gar nicht so gewesen. Der Kummer, die Armseligkeit dieses Menschen, die wird gar nicht gesehen. Ein ganz armseliger Mensch. […] Und das Volk? Das hat ihm zugejubelt. Und da, da, da hat es sich gefreut, als der Kerl da ans Kreuz genagelt wurde. Da haben sie sich gefreut darüber. Dieselben, genau dieselben. Und dieselben sind das auch heute noch. Genau dieselben. Man mache sich keine, gar keine Illusionen über diese Sache, keinerlei Illusionen. […]“1234

Otto Pankok fand mit seinem Bild Maria mit dem Toten eine brauchbare Verknüpfung zweier Aspekte. Einmal wählte er als gläubiger Christ die traditionelle Form der Pietà, womit er sich im kunstgeschichtlichen Konsens bewegte. Andererseits entkleidete er dieser traditio- nellen Form alle Bestandteile der christlichen Glorifizierung, womit er die Bildaussage ganz auf die Ebene einer humanen Tragödie stellte. Das unterstreicht der profane Titel Maria mit dem Toten. Durch die gesteigerte expressive Bildsprache wird das tragische Geschehen um die Passion Jesu herum begreifbar. Ohne in der formalen Bildgestaltung lächerlich zu wirken, lässt der Künstler die Dimension innerhalb der Jesusgeschichte deutlich werden, die ihn mit den Worten von Otto Dix zu einem „verachteten, lächerlichen Menschen“ werden ließen, der

1233 Alex Stock, Gesicht bekannt und fremd, 33. 1234 Otto Dix in einem Interviewprotokoll, abgedruckt in Diether Schmidt, Otto Dix im Selbstbildnis, 237.

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„Kummer und Armseligkeit“ zu erdulden hatte. Das Bildwerk kann als Endbild für Jesu Le- ben stehen, das Otto Dix als „eine ganz tragisch kümmerliche Angelegenheit“ begriff. Was nach diesem Innehalten der Pietà in der Erfahrungsgeschichte der Gläubigen mit Christus weiter geschah, wollte der Künstler 1933/34 bildnerisch nicht darstellen. Damit bewegt er sich theologisch evident im Kontext seiner Zeit. In seinen Überlegungen zur religiösen Aus- sagefähigkeit der Kunst kam der Theologe Paul Tillich zu einer ganz ähnlichen Auffassung. Seiner Meinung nach eignen sich die neuen expressiven Stilelemente der modernen Kunst zwar, um das auszudrücken, was im Symbol des Kreuzes enthalten ist1235. Wovor die neue Kunst aber auch scheitern muss, ist in seinen Augen die Auferstehung.

„Aber der Gekreuzigte ist nicht der Christus, sondern der Mensch, der Mensch schlechthin. Und darum versagt diese Kunst vor dem Symbol der Auferstehung und den verwandten Symbolen der Herrlichkeit. Denn der Mensch als Mensch, als Einzelner und als Geschlecht, ist dem Tode verfallen. Das Symbol der Auferstehung aber deutet auf das Ewige hin, das heute kaum als Frage und sicherlich nicht als Antwort auftaucht. Und wir sollten dankbar sein, dass unsere Künstler nicht mehr sagen, als sie sagen können. Wir sollten sie nicht aus Gründen der kirchlichen Tradition dazu treiben, unehrlich zu werden.“1236

In diesem Rahmen bewegt sich Otto Pankok mit seiner Kunst. Zu Beginn der Nazidiktatur war für ihn Jesus mit seiner Botschaft von konsequent praktizierter Nächstenliebe ein ″Toter″. Aus diesen Gründen verschloss sich ihm als Künstler eine Auferstehung. Innerhalb seines bildnerischen Werkes der Jahre 1933 bis 1934 entwickelte er damit einen Spannungsbogen, den er in über 60 großformatigen Bildwerken entstehen ließ. Als An- fangsbild dieser Reihe kann das Kohlebild Warnender Christus1237 stehen (im Bildanhang). Mit seinem Tod am Kreuz bewahrheitete sich dessen unheilvolle Zusage in tragischer Weise. Demnach erweitern Schülerinnen und Schüler in der Beschäftigung mit dem Bild ihre ästhetische Kompetenz, da sie mit der Pietà eine alte christliche Bildform kennenlernen. Sie gewinnen einen Blick für die typischen Bestandteile und den Aufbau solch eines Andachts- bildes. Das vertieft ihre Kenntnisse der christlichen Ikonologie, wodurch sie ihre Fachkompe- tenz ausbauen. Ihre hermeneutische Kompetenz bilden sie in dem Maße aus, wie sie erfahren, was sich inhaltlich hinter dieser Bildform verbirgt und welche Funktion sie im Leben der Gläubigen einnimmt bzw. in der Geschichte einnahm. Durch Einüben von Empathie in das Leid der Mutter angesichts des grausamen Todes ihres Sohnes, erweitern sie ihre Selbstkom- petenz. Indem sie untereinander darüber in Austausch treten, vertiefen sie ihre kommunikative Kompetenz.

1235 Paul Tillich, Zur Theologie der bildenden Kunst und der Architektur, 210. 1236 Paul Tillich, Zur Theologie der bildenden Kunst und der Architektur, 210f. 1237 Das Kohlebild Warnender Christus (100 x 118 cm) aus dem Jahr 1933 befindet sich im Magazin des Otto- Pankok-Museums in Hünxe/Drevenack. Es wurde nicht in den Zyklus der Passion aufgenommen. Auch sonst konnte keine weitere Veröffentlichung festgestellt werden.

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9. 12. 3 Methodische Impulse Methode der Provokation/~Übertragung/~Zuspitzung: ″Provokation″ ist im Sinne einer ″Herausforderung″ (lat. provocatio) zu verstehen. Im Alltagsgebrauch dominiert zumeist die negative Bedeutungsebene. Lehrerinnen und Lehrer fühlen sich mitunter von Schülerinnen und Schülern provoziert, d.h. im negativen Sinn zum pädagogischen Handeln herausgefordert. Menschen, die ständig herausfordern müssen, reizen an den Nerven und rauben ihren Mit- menschen Kräfte. Dauerprovokation ist mental nicht zu ertragen. Eng mit dieser negativen Bedeutungsebene korrespondiert ein positives Verständnis davon, wird es als Methode verstanden, um Aufmerksamkeit zu erregen. Vor allem die Kunst nach 1945 hat das Mittel der Provokation für sich entdeckt, um in einer von Bildern überflute- ten Welt überhaupt noch wahrgenommen zu werden. Dabei dient die Methode dem Ziel, den Blick auf etwas zu lenken, das in Gefahr steht, übersehen oder missachtet zu werden. Fein dosiert kann sie im positiven Sinn als eine intellektuelle Herausforderung verstanden werden. Dann birgt sich in ihr Potential kognitive Wahrnehmungs- und Verarbeitungsprozesse in Gang zu setzen, die ansonsten nur schwer initiierbar gewesen wären. Die bildende Kunst hat aus den oben genannten Gründen das Mittel der Provokation zur Methode erhoben, indem sie Wirklichkeit „ironisch bricht, übersteigert und konterka- riert“1238. In der Religionspädagogik wird diese Methode selten angewandt. Gerade für das Fach Religion birgt sich hierin die Chance, jungen Menschen die Augen zu öffnen und Ver- stehenszugänge herzustellen. Eine Möglichkeit soll anhand der Auseinandersetzung mit Ma- ria mit dem Toten vorgestellt werden. Unter der Klärung der Begrifflichkeit ″Vesperbild″ können Schülerinnen und Schüler dazu angeregt werden, zeitgenössische ″Vesperbilder″ einer entkirchlichten und nichtreligiö- sen Gesellschaft zu entwerfen. Leitend kann dabei die Frage sein: Worum ″trauern″ Men- schen verschiedenen Alters heute? Dahinter steht natürlich die existenzielle Frage, was mir wirklich wichtig ist und worum ich trauere. Es geht um die kritische Wahrnehmung von Idea- len und dem eigenen Lebenssinn. Schülerinnen und Schüler könnten eine solche Aufgabe in unterschiedlichster Form bearbeiten. Eine direkte Anlehnung das Kohlebild Maria mit dem Toten wäre wünschenswert, da sich erst aus der Motivnähe, einem ähnlichen Bildaufbau und in der direkten Gegenüberstellung zu Otto Pankoks Bild die eigentliche Provokation ergibt. Wie sähe solch ein mögliches Vesperbild heutiger nichtreligiöser Menschen aus? Denkbar wäre z.B. der heulende Mittvierziger mit seinem kaputten Auto auf den Knien; die aufgetakelte ältere Frau mit ihrem hüstelnden Hündchen im Arm; ein verzweifelter Jugendli- cher mit Postern seines geliebten Fußballstars, der den Verein gewechselt hat; eine überstylte

1238 Vgl. dazu Jochen Krautz, Bildende Kunst und Friedenserziehung, 414.

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Jugendliche mit Postern des Rockstars, weil dieser/diese ihren ″Style″ gewechselt hat und nun die Haare kurz/lang/blond etc. trägt; der in Tränen aufgelöste Börsenmakler mit einem Packen wertloser Aktienpapiere auf dem Schoß usw. Die Arbeit an solchen Bildcollagen oder Foto- montagen hat unter religionspädagogischer Perspektive unter der Fragestellung zu stehen: Was bewegt uns im Herzen? Was geht uns wirklich etwas an und worauf legen wir den Lack der Scheinheiligkeit? Dahinter steht die Formel Martin Luthers: „Gott ist das, woran du dein Herz hängst!“ In der kritischen Auseinandersetzung mit solchen Fragen stellen sich Heran- wachsende der Werteproblematik und der gesellschaftlichen Abhängigkeit des Wertebeg- riffs.1239 ″Alltagsbilder″ als Vesperbilder in Ausweitung des Begriffs Pietà: Maria zeigt dem Betrachter als Mutter die Wunden ihres gemordeten Sohnes. Sie verweist uns auf die Wunden, die wir ihm zugefügt haben. Damit hält sie uns unsere eigenen Wunden als ″Glieder des Leibes Christi″ vor. Wie oben bereits erwähnt, transformierte Joseph Beuys diese christologische Aussage in den Jahren 1974 bis 1976 zu der Installation Zeige deine Wunde1240. Mit diesem Werk fand er zu einer ernüchternd zeitgemäßen Aussage, in der das ″Wundenzufügen″ tech- nisiert und anonymisiert wird. In Auseinandersetzung mit dem Bild Maria mit dem Toten bekämen Heranwachsende die Möglichkeit, sich auf die Suche nach ″den Wunden″ unserer Zeit zu machen, da dieser Mensch in den Armen Mariens nicht nur ihr Sohn, sondern ein jeder von uns selbst ist: „Denn was ihr einem meiner Geringsten getan habt, das habt ihr mir getan!“ Leitend für die nachfol- gende Arbeit könnte die Frage sein, wo die Wunden unserer Zeit liegen. Forschend sollten sich die Mädchen und Jungen auf Spurensuche begeben, an welchen Stellen unsere menschli- che Lebensgemeinschaft ″Wunden″ aufweist. Bemerkbar macht sich das beispielsweise an vernachlässigten und verarmten Kindern, an deprimierten, perspektivlosen Menschen, an ver- einsamten Alten, Obdachlosen, Illegalen, in Form von Ausbeutung und Menschenhandel usw. Wunden klaffen ebenso weit offen angesichts zerstörter Lebensräume, verheerender Bürger- kriege, ausgerotteter Lebewesen, gnadenlos geplünderter Naturschätze und ungelöster Prob- leme wie beispielsweise der Atomkraft. In den Armen Mariens liegt eben nicht nur Jesus, sondern liegen wir Menschen mit unserem Schicksal. Längst nicht alle Menschen schlagen gleichermaßen in diese Wunden ein. Schülerinnen und Schüler sollten sich der Möglichkeiten von Handlungsalternativen bewusst werden und Lösungsmöglichkeiten aufzeigen. Als Argumentationsgrundlage sollte im religi- onspädagogischen Horizont immer die ethische Botschaft Jesu stehen.

1239 Vgl. dazu Nils Ole Oermann, Vom Wert des Wertbegriffs, 53. 1240 Katharina Winnekes, Christus in der bildenden Kunst, 146.

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9. 13 Christus zerbricht das Gewehr (WH 344, 1950)

Berto Perotti äußert in seinem Buch „Begegnung mit Otto Pankok“ (1959) über dessen Holz- schnitt:

„Er hatte das kalte, barocke Schema der überlieferten kirchlichen Heiligenmalerei gewählt und diesem milden und süßen menschgewordenen Gott die befremdliche und ihm widersprechende Fähigkeit zur Gewalttätigkeit verliehen, die ihn in den Stand setzte, in einer auf so drastische Weise proletarischen Gebärde die Waffe des Soldaten zu zerbrechen.“1241

Die Bildsprache des Holzschnittes Christus zerbricht das Gewehr knüpft stilistisch an die Zeit der Entstehung erster Holzschnitte auf deutschem Boden zwischen 1400 und 1550 an. Diese sog. ″Einblattholzschnitte″ waren Schwarzlinien-Hochdrucke, die unabhängig von Buch- oder Textdrucken entstanden. Die rein linearen Werke stellen den Übergang von ornamental anmu- tender Umrisslinie hin zu modellierender Binnenzeichnung dar. Nur wenige Exemplare dieser

1241 Berto Perotti, Begegnung mit Otto Pankok, 40.

316 ersten Generation von Holzschnitten sind heute noch erhalten, da ihre vordergründigste Auf- gabe darin bestand, Bekanntmachungen verschiedenster Art zu verbreiten wie beispielsweise päpstliche Ablässe, Mitteilungen über die Pest usw. Sie fanden als Flugblätter vielfach Ver- wendung, als Anschlagblätter oder als Streitschrift in Bildform, was zum Ende des Mittelal- ters im Zuge der Reformation von tragender Bedeutung werden sollte1242. Somit griff Otto Pankok in der künstlerischen Ausführung seines Werkes auf die Anfänge des Holzschnittes zurück, indem er ihn in einer strengen linearen Sprache ausformulierte. Mit der klaren Linien- sprache und den programmatischen Inhalt stellte er sein Werk in die ursprüngliche Tradition des Flug- oder Anschlagblattes. Als historisches Zitat kam die Mandorla hinzu, innerhalb der sich die Christusfigur bewegt. Aus mittelalterlichen Buchmalereien um das Jahr 1000 sind solcherart Christusdarstellungen bekannt. Ein ovaler (mandelförmiger), den ganzen Körper umfangender Heiligenschein,1243 kennzeichnet Jesus als den Christus. Nur ihm war in der Heiligendarstellung die Mandorla vorbehalten1244. Die linearen Strahlen verstärken die auf die Linie konzentrierte Bildsprache Otto Pankoks. In dessen Holzschnittœuvre findet sich mit Wer das Schwert nimmt (WH 327, 1949) eine vergleichbare bildnerische Umsetzung unter Anwendung ähnlicher stilistischer Mittel. Dieser Holzschnitt bleibt noch stärker der traditio- nellen Bildsprache verhaftet. Mit der Symbiose von Form und Inhalt führte Otto Pankok seinen Holzschnitt auf den Ursprung des Genres zurück. Gleichzeitig findet eine Transformation des Christusbildes in unsere Gegenwart statt1245. Diese Aussage wurde von den Adressaten sofort adaptiert. Berto Perotti weiß zu berichten, dass im Jahr nach der Entstehung das Blatt vervielfältigt und in der italienischen Stadt Verona und Umgebung zuzüglich der „Zehn Gebote des Friedens“ verteilt worden war1246. Das Bild ist ein Appell an das christliche Gewissen, sich seiner Gebote und Ideale zu besinnen und diese über jede andere Autorität zu stellen1247. Es ist der direkte Anruf an die Freiheit des Christenmenschen. In diesem Verständnis birgt das Blatt durchaus Potential bür- gerlichen Ungehorsams gegenüber einer Staatsmacht. Indem der Künstler die Überzeugung seines christlichen Glaubens mit seinem Pazifismus in der Figur des gewehrbrechenden Christus verschmolz, gelang ihm eine aussagekräftige Chiffre. Dieses Bildwerk entstand we-

1242 Vgl. dazu Walter Koschatzky, Die Kunst der Graphik, 51f. 1243 Vgl. dazu u.a. die Miniaturmalerei aus dem Goldenen Evangelienbuch von Echternach um 1020 (befindlich in Nürnberg im Germanischen National-Museum) in Oskar Thulin, Die Sprache der Christusbilder, 38. 1244 Oskar Thulin, Die Sprache der Christusbilder, 52. 1245 Zur Methode der ″Transformation″ innerhalb der kunstpädagogischen Praxis siehe Heinart Giebel, Kunsthis- torische Transformation, 103. 1246 Berto Perotti, Begegnung mit Otto Pankok, 40. 1247 Berto Perotti, Begegnung mit Otto Pankok, 40.

317 niger aus Kunstwollen heraus, sondern vielmehr als Produkt künstlerischer Bearbeitung zeit- abhängiger Fragestellungen. Die heilsgeschichtliche Gewissheit, dass die Verkündigung des Jesus von Nazareth dazu verhelfen kann, Gewaltspiralen zu durchbrechen, spitzte der Künst- ler derart zu, dass er dafür ein Symbol schuf1248. Dafür verwandte er drei eindeutig lesbare Grundelemente: Jesus Christus in einer archetypischen Darstellungsweise, ein Gewehr, das zerbrochen wird und die Strahlenaureole. Die Kombination dieser drei Bestandteile ist so ein- deutig, dass es von jedermann leicht lesbar ist und es eigentlich keines Titels bedurft hätte. Damit ist das Werk selbstreferentiell, was einen Großteil seiner Wirkung ausmacht. In der Folgezeit seiner Entstehung wurde dieser Holzschnitt zu einem der Embleme der deutschen Friedensbewegung1249. Wie kaum ein anderes Werk Otto Pankoks offenbart dieser Holzschnitt die mentale Vorarbeit des Künstlers. Der letztendliche Holzschnitt ist die Genese seines christlichen Glaubens, seiner Einstellung zum Menschen und seines konsequenten Pazifismus. Der Künst- ler benutzte dafür die Mittel der Zuspitzung und der Provokation. Er spitzte den Inhalt der Friedenspredigt des Mannes, der für ihn die personifizierte Liebe ist, so weit zu, dass er die- sen eine moderne Waffe in die Hand nehmen lässt, um sie über seinem Knie zu zerbrechen. Dieser Akt brachialer Gewalt, ausgelöst vom friedfertigsten aller Menschen, verwirrt und irri- tiert. Das macht die Kraft der Darstellung aus.

9. 13. 1 Verortung der Thematik in der Lebenswirklichkeit der Schülerinnen und Schüler

Anhand des Holzschnittes Christus zerbricht das Gewehr werden Kinder und Jugendliche mit einem abweichenden Christusbild konfrontiert. Dieses steht möglicherweise konträr zu denen, die Schülerinnen und Schülern bislang aus Familie, gesellschaftlichem Umfeld oder im Fach Religion kennen gelernt haben. In der Erfahrungswelt konfessionell nicht gebundener Kinder und Jugendlicher begegnet ihnen Jesus Christus nach eigenen Aussagen „in der Kirche“ und in äußeren Repräsentationen wie Bildern, Kruzifixen und Statuen. Für sie ist er deshalb wei- testgehend eine „museale Gestalt“, zu dem sie keinerlei persönlichen Bezug haben1250. Im Holzschnitt wird in eindrucksvoll reduzierter Bildsprache die Friedenspredigt Jesu themati- siert. Der ″Gewehrbrecher″ vollzieht in letztendlicher Konsequenz das, was das Gebot des Dekaloges im 2. Mose 20 mit den Worten meint: Du sollst nicht töten (2. Mose 20, 13). Dass Jesus Christus zur Umsetzung solch einer Forderung selbst zerstörend wirkt, wird Heran-

1248 So auch in KatBl 6/82 “Gewalt und Evangelium”, 404. Die Autoren betonen 1982, dass Otto Pankoks Bild „mittlerweile zu einem Symbol christlichen Einsatzes für den Frieden geworden ist“. 1249 Cyrus Overbeck/Oliver Müller, Otto Pankok, 288. 1250 Vgl. dazu Helmut Hanisch/Siegfried Hoppe-Graff, Ganz normal und trotzdem König, 188.

318 wachsende zur Stellungnahme und Auseinandersetzung herausfordern. In ihrer medialen Wahrnehmung spielen Themen wie Gewalt, Krieg, Zerstörung und Tod eine wesentliche Rol- le1251. Durch Fernsehen, Printmedien und vor allem durch Computerspiele wird die nach- wachsende Generation mit Zerstörung und Gewalt konfrontiert. Im Holzschnitt Otto Pankoks verbindet sich nun beides: die Friedensbotschaft des biblischen Jesus und der eindeutige Ver- weise auf Gewalt und deren Attribute. Die Zusammenführung beider Inhalte im Holzschnitt dürfte Kindern und Jugendlichen eingängig sein und ihnen einen Zugang zur ethischen Positi- on Jesu verschaffen. Eine moderne Übertragung der Thematik des Holzschnittes findet sich in den Worten „Macht kaputt, was euch kaputt macht!“1252, die vor allem bei politisch links ori- entierten Jugendlichen beliebt sind und in dieser Szene als Ansteckbutton kursiert.

9. 13. 2 Religionsdidaktische Konkretion

In der jüngeren deutschen Vergangenheit lassen sich mannigfach Belege aufzählen, wie Men- schen, Befehle ausführend, zu Mördern an ihren Mitmenschen wurden. Wird der Mensch da- zu erzogen, anderen Menschen unter Ausblendung des Korrektivs einer christlichen Ethik zu gehorchen, dann ebnet sich der Weg für das Böse1253. Die Schusswaffe steht hierbei als Syn- onym für staatlich verordnete Gewalt, die sich im Militär institutionalisiert. Im Gewehr äußert sich die ganze Perfidität des technisierten Tötens auf Distanz, die das Opfer aus dem Hinter- halt und größter räumlicher Entfernung trifft, ohne ihm persönlich begegnen zu müssen, was es erheblich einfacher werden lässt. Der Täter muss dem Opfer sprichwörtlich „nicht mehr in die Augen sehen“, wodurch die emotionale Distanz zum Opfer größer wird. Christliche Ethik verweigert sich jedweder Form des Tötens von Menschen. Das De- kalogsgebot „Du sollst nicht töten“ (2. Mose 20, 13) erweiterte Jesus auf den Zwist unter Brüdern (Mt 5, 21-26), und das Gebot der Nächstenliebe (3. Mose 19,18) dehnte er auf die Feindesliebe (Mt 5, 43-48) aus. Was ist Besonderes daran, seinen Nächsten zu lieben? Konse- quent wird dieses Verhalten erst dann, wenn der Feind in diesen Kreis mit einbezogen wird. Ein wesentlicher Schritt zu solcher Versöhnung wäre es, Waffen zu vernichten, um so den Weg für Dialog und Miteinander zu eröffnen. In diesem Sinn schuf Otto Pankok seinen Holz- schnitt als Konzentrat seines gelebten Pazifismus, der im Erleben zweier Weltkriege seinen Ursprung hat.

1251 Vgl. dazu Dieter Baacke, Die 6- bis 12jährigen, 109. 1252 So das gleichlautende Lied aus dem Jahr 1970 von Rio Reiser und seiner Band „Ton, Steine, Scherben“ mit dem Text von Norbert Krause. 1253 Vgl. dazu Eugen Drewermann, Was ist es, das den Menschen böse macht, 83.

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Diese Christusdarstellung provoziert, weil sie mit dem Klischee üblicher Christusbil- der bricht. Jesus wird nicht wie sonst üblich leidend dargestellt, sondern er selbst nimmt die Waffe, um sie kraftvoll zu zerbrechen. Diese unerwartet aggressive Geste führt den Begriff der Gewalt wieder dahin zurück, dem er entstammt: Kol 2,15 der „die Mächte und Gewalten entwaffnet und zum Spott gemacht hat“1254. In dieser Weise lädt die Darstellung dazu ein, die eigenen Christusbilder in Frage zu stellen und zu reflektieren. Das fördert die Fachkompetenz Heranwachsender, da sie sich kri- tisch mit den sonst üblichen Christusbildern auseinandersetzen. Der Holzschnitt konfrontiert Schülerinnen und Schüler mit dem unhinterfragten Klischee eines lieblichen ″Kuschelchristus″ und befragt dieses hinsichtlich seiner Alltagstauglichkeit angesichts unserer erlebten Wirklichkeit. Die ethische Kompetenz der Schülerinnen und Schüler wird dadurch ausgebildet, dass sie sich inhaltlich mit der Friedensbotschaft Jesu als Grundlage christlicher Ethik auseinandersetzen. Indem sie die Bildsprache Otto Pankoks als verknappte emblemati- sche Darstellung lesen lernen und inhaltlich mit der ethischen Botschaft Jesu verknüpfen kön- nen, vertiefen sie ihre hermeneutische Kompetenz. Heranwachsende haben die Möglichkeit, mit dem Bildwerk Merkmale christlicher Ikonografie kennenzulernen, was ihre ästhetische und hermeneutische Kompetenz ausbildet.

9. 13. 3 Methodische Impulse Bildrecherche üblicher Jesusbilder: Das Provokante und Irritierende der Christusdarstellung des Holzschnittes könnte für eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Kunstwerk zum Anlass genommen werden, um ganz unterschiedliche Darstellungen auf ihr transportiertes Christusbild und die damit verbundene inhaltliche Botschaft zu thematisieren und sich kri- tisch damit auseinanderzusetzen. Das erfordert komplexe Denkleistungen, weshalb sie eher von Schülerinnen und Schülern höherer Klassen leistbar sind. Um für junge Menschen, die erst wenige Kunstbegegnungen in ihrem Leben hatten, verstehbar zu machen, was das Jesus- bild des Holzschnittes ausmacht, wäre es hilfreich, dass sie sich auf die Suche nach ″üblichen″ Jesusdarstellungen machen. Ein solches Suchen kann an völlig verschiedenen Or- ten stattfinden und hängt unmittelbar mit dem Lernumfeld zusammen. Denkbar wäre die loka- le Suche vor Ort in Kirchen, Museen, Klöstern. Wer solche Möglichkeit nicht hat, der sucht vielleicht im Fundus der Kunstbände der Stadt- oder Schulbibliothek. Hilfreich können die Lehrbücher für den Kunstunterricht der Oberstufe sein. Darüber hinaus bietet sich das Internet als Quelle an. Die Recherche kann sich in viel kleinerem Maßstab auf eine Durchsicht ver-

1254 KatBl 6/82 “Gewalt und Evangelium”, 404.

320 schiedener Religionslehrbücher beschränken. Schülerinnen und Schüler werden darin mit Sicherheit fündig werden. Im Zuge einer solchen Recherche werden sie einerseits sensibilisiert für die Vielfalt der Jesusbilder, für Gemeinsamkeiten, vor allem aber für die Unterschiede. Kritisch zu thema- tisieren sind diese bezüglich des Jesusbildes, das in ihnen transportiert wird. Künstlerische Erarbeitung einer emblematischen Darstellung im Stil Pankoks: Ausgehend von der inhaltlichen Botschaft des Holzschnittes bestünde die Möglichkeit, mit Schülerinnen und Schülern zu erarbeiten, welche provokanten Aussagen sich innerhalb der biblischen Je- susüberlieferung finden lassen. Dies wäre vor allem mit Jugendlichen der Sekundarstufe II im Rahmen einer Auseinandersetzung mit Wirken und Botschaft Jesu angebracht. In der Berg- predigt (Mt 5-7) lassen sich dazu vielfältige Anregungen finden. Aufgabe wäre es, den Inhalt einer ethischen oder theologischen Aussage in emblematische Form zu überführen. Die Transformation eines komplexen schriftlichen Inhaltes in die verknappte bildhafte Sprache eines Emblems, wird für Schülerinnen und Schüler eine höchst anspruchsvolle Aufgabe dar- stellen, die eine Vielzahl kognitiver Arbeitsprozesse beansprucht. An erster Stelle steht die Erarbeitung des biblischen Inhaltes, dessen Verknappung auf eine Kernaussage, die dann wiederum in eine bildhafte Form gebracht werden muss. Innerhalb der verschiedenen Ar- beitsprozesse muss eine intensive Auseinandersetzung mit dem inhaltlichen Kern der bibli- schen Aussage stattfinden, da sich diese sonst im letztendlichen Produkt nicht mehr wieder- finden lässt. Bei dieser Aufgabenstellung wäre eine fächerübergreifende Zusammenarbeit mit dem Kunstunterricht hilfreich, da hierin die Erarbeitung von Zeichen und Emblemen themati- siert und eingeübt wird.

10. Zusammenfassende Schlussbetrachtung

In diesem Kapitel werden abschließend die Ergebnisse der vorliegenden religionspädagogi- schen Untersuchung von exemplarisch ausgewählten Bildwerken Otto Pankoks für den Reli- gionsunterricht dargestellt. Bei der systematischen Durchsicht aller Werkverzeichnisse seines bildnerischen Gesamtwerkes zeigte sich, dass in nur einem geringen Teil der über 7500 Bild- werke christliche Themen künstlerisch aufgenommen und bearbeitet wurden1255. Gleichwohl geht der Anteil der Bildwerke mit christlichem Inhalt über die 60 Bilder des Passionszyklus hinaus. Desgleichen sind Lithografien, Radierungen, Steinätzungen und vor allem eine Fülle von Holzschnitten den christlichen Bildwerken hinzuzuzählen.

1255 Vgl. dazu die Gesamtübersicht der bildnerischen Motive Otto Pankoks.

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In der Unterscheidung von ″Gehalt″ und ″Inhalt″ nach Paul Tillich zeigt sich, dass na- hezu alle Bildwerke Otto Pankoks einen christlichen ″Gehalt″ aufweisen, den der Künstler als Essenz seines Glaubens und Lebens in seine Bildwerke selbstverständlich mit einfließen ließ. Um wie viele Bildwerke es sich genau handelt, denen ein eindeutig christlicher ″Inhalt″ zugrunde liegt, kann nur geschätzt werden, da immer noch kein Werkverzeichnis der über 5000 Kohlegemälde vorliegt und in absehbarer Zeit nicht vorliegen wird. Die Kohlegemälde konnten nur soweit gesichtet werden, wie sie von den Mitarbeiterinnen des Otto-Pankok- Museums in Hünxe/Drevenack kategorisiert und aufbewahrt werden. Alle für diese Arbeit in Frage kommenden Kohlegemälde der Kategorie ″christliche Darstellungen″ konnte ich im Magazin des Otto-Pankok-Museums in den Händen halten und betrachten. Dieser unmittelba- re Kontakt mit den Originalen brachte für diese Arbeit kaum zu überschätzende Erkenntnisse mit sich. Neben dem Erleben der enormen Größe der Werke zählt dazu die Entdeckung, dass der Künstler viele Blätter beidseitig bemalte1256. Alle Kohlebilder wurden in den 1980er Jahren professionell fotografiert. Die Fotos haben die Abmaße von ca. 18 x 23 cm. Auf diese Fotos konnte für diese Arbeit zurückgegrif- fen werden. Alle Angaben zu Kohlebildern, die in der Literatur noch nicht veröffentlicht wur- den, gehen auf diese Fotos zurück. Dafür bin ich Eva Pankok und den Mitarbeiterinnen des Otto-Pankok-Museums zu großem Dank verpflichtet. Weitere, für die Fragestellung dieser Arbeit interessante Kohlegemälde, fanden sich in der Passion, die in verschiedenen Druckfas- sungen vorliegt. Zahlreiche Kataloge, die zum Werk des Künstlers erschienen sind, bilden Kohlebilder ab. In dieser Arbeit wurde der Versuch unternommen, sich dem bildnerischen Werk Otto Pankoks mit christlichem Inhalt biografisch zu nähern. Hinter diesem methodischen Vorge- hen stand die Arbeitshypothese, dass die biografische Entwicklung des Künstlers den herme- neutischen Schlüssel zum Verständnis seiner Bildwerke mit christlichem Inhalt liefern könn- te. Diese Annahme erwies sich als richtig, was in der exemplarischen Aufarbeitung geeigneter Bildwerke für den Religionsunterricht deutlich wird. Weder die Engel-, noch die Propheten- darstellungen oder sein spezielles Jesusbild sind in ihrer künstlerischen Aussage zu verstehen, bliebe Otto Pankoks biografischer Hintergrund unbekannt. Ebenso wichtig für das Durchdrin- gen seiner Bilder ist das Einfühlungsvermögen in dessen individuellen Kunstbegriff und in die Motivation seines Kunstwollens. Unmittelbar in seiner biografischen Entwicklung ist sei- ne religiöse Sozialisation und sein lebenslanger Pazifismus verankert.

1256 Auch die Anzahl der beidseitig bemalten Blätter kann nur geschätzt werden. Sie liegt meines Erachtens zwi- schen 50 und 60 Stück.

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Als hermeneutischen Schlüssel zum Verständnis des bildnerischen Werkes Otto Pan- koks können demnach folgende biografische Etappen gesehen werden. Zum einen prägte den Künstler seine Herkunft aus einem liebevollen, bildungsbürgerlichen, protestantischen Eltern- haus, was ihm eine unbeschwerte und glückliche Kindheit und Jugend bescherte, in der er sich gemäß seiner Fähig- und Fertigkeiten optimal entwickeln konnte und die in vollem Um- fang sein künstlerisches Talent offen legte. Gleich darauf folgten die traumatischen Erlebnisse des Ersten Weltkrieges, die in ihrer grausamen Realität für den jungen Otto Pankok beinahe den Tod bedeutet hätten. Dieses Schockerlebnis wirkte umso stärker im starken Kontrast zu Kindheit und Jugend und ist als Grundstein für dessen lebenslangen konsequenten Pazifismus zu sehen. Im grausamen Erleben des Ersten Weltkrieges spiegelte er immer das Menschenbild seiner Zeit. Er erkannte, dass es Menschen gab, die sich einer ″Masse″ zugehörig fühlen, die für die Friedensbotschaft eines Jesus von Nazareth unempfänglich blieb. Sein christlicher Glaube verhalf ihm, in der Person Jesus Christus ein ethisches Gegenmodell zum Menschen seiner Zeit zu sehen. Die biblische Lehre Jesu mit seiner lebensweltlichen Umsetzung blieb für ihn stets das Korrektiv seiner Zeit. Otto Pankok verstand sich durch und durch als Künstler. Das war sein Beruf, den er als Berufung wahrnahm und der ihm oftmals recht mühsam erschien. Dass er sich in seinen Reflexionen über Jesus von Nazareth, Gott und die Schöpfung selbst als Theologe wahrnahm, kann mit großer Sicherheit verneint werden. Seine ″Theologie″, d.h. sein Reden von Gott, vollzog sich ausschließlich im privaten Gespräch und fand Niederschlag in seinen Bildern und Texten. Die Beschäftigung mit christlichen Themen war motiviert durch seinen gelebten Glauben, verbunden mit dem lebenslangen Suchen nach der Wahrheit hinter den Dingen. Solch ein beharrliches Suchen mahnte er bei seinen Künstlerkollegen als die eigentliche Auf- gabe eines Künstlers an1257. Dass sich Otto Pankok auf der Suche nach der Wahrheit christli- chen Themen zuwandte, legt nahe, dass er dort den Ort einer solchen ewigen Wahrheit ver- mutete. Diesbezüglich stellte für ihn die Person Jesu eine wichtige Größe dar, denn in ihr wi- derspiegelt sich die vollkommene Liebe zu Gott, der Schöpfung und zu den Mitmenschen1258. Der Künstler zählt zu den Menschen, die sich selbst in politisch unruhigsten Zeiten ei- nen wachen Blick für ihren Nächsten, ihre Umwelt und für die Schönheit der Natur bewahren konnten. Die Liebe zur Schöpfung Gottes und das ethische Vorbild Jesu halfen ihm dabei,

1257 So u.a. Otto Pankok 1922 in seiner „Aprilpredigt“, veröffentlich im Jungen Rheinland, zitiert bei Rainer Zimmermann, Im Widerstand gegen die Zeit, 9. Komplett abgedruckt in Ulrich Krempel, Am Anfang: Das Junge Rheinland, 33f. Otto Pankok formuliert dort schon früh, dass es wichtig sei auf die Wahrheit loszugehen, auch wenn das nicht immer schön ist. 1258 Vgl. dazu auch der Ausspruch Hulda Pankoks „Vor dem Grabe der Liebe lag 1934 noch ein gewaltiger Stein.“ in Hulda Pankok in „Die Passion. Ein Zyklus …“, Ausstellungskatalog von 1956, o.S.

323 sich entgegen aller Erlebnisse ein positives Menschenbild zu bewahren. Das ermöglichte es ihm, selbst in Zeiten des Verrates und der Verfolgung Vertrauen zu seinen Mitmenschen auf- zubauen. Situationen persönlicher Verfolgung und existenzieller Bedrohung hielt sein Glaube an Gott stand. Er suchte mit seinen christlichen Bildwerken Tiefe in einer tiefenlosen Zeit1259. Dadurch waren ihm echte menschliche Begegnungen möglich. Aus der bewussten Hinwen- dung zu scheinbar bedeutungslosen Naturereignissen, ihrer intensiven Wahrnehmung und der aktiven künstlerischen Umsetzung bezog der Künstler Kraft, Zeiten der Einsamkeit und Unsi- cherheit zu überstehen. Die bewusste Hinwendung zu Naturereignissen, wie dem Gesang ei- ner Nachtigall oder dem Spiegeln der Sonne in der Regenpfütze kommt der Konzentration auf das Wesentliche im Leben und der Besinnung auf eine existenzielle Wahrheit gleich1260. Solch ein Rückzug auf die Urquellen menschlichen Daseins in Zeiten bitterer Lebensumstän- de und politischer Katastrophen zeugt von großer innerer Autonomie. Diese meditative Ver- innerlichung zeigt starke seelische Kraftquellen auf, denen sich der Künstler bewusst war und die ihm halfen, sich vor Resignation zu schützen1261. Kraftquellen dieser Art waren sein christlicher Glaube, der sich in der tiefen Überzeugung äußerte, dass Jesus Christus mit sei- nem Gottvertrauen, seinem vorgelebten Leben und seiner tiefen Liebe zum Nächsten der Maßstab allen menschlichen Handelns sein sollte. Er wurde für den Künstler zu der Person, die er am häufigsten in seinem bildnerischen Werk künstlerisch wiederkommen ließ. Vor allem mit seinen Naturbildern transportierte Otto Pankok Hoffnung auf ein Über- leben inmitten der totalen Vernichtung des Zweiten Weltkrieges. Er selbst ließ sich im Strudel der widrigen Lebensumstände nicht mitreißen, sondern führte mit seinen Bildern den Blick der Menschen über das gegenwärtige Elend hinaus. Er zeigte mit seinen Bildern, an welchen Stellen das Große und Schöne der Schöpfung Gottes noch erkennbar war: im Spiegeln der Sonne in der Regenpfütze, im Herumtollen der Tiere auf der Weide, in der Üppigkeit der Sommerblumen und immer wieder neu in den Gesichtern der Kinder. Indem er auf solche Konstanten innerhalb der Schöpfung Gottes hinwies, nahm er den gegenwärtigen widrigen Lebensumständen etwas von ihrer Absolutheit. Damit beschwor er eine ″ewige Wahrheit″, die es gab, bevor die Nationalsozialisten an die Macht kamen und die es noch geben wird, wenn das Tausendjährige Reich längst Geschichte sein sollte. Dass Menschen ihm für solche Fin-

1259 Textfragment eines Textes von Otto Pankok, überschrieben mit „Düsseldorf 1932”, unveröffentlicht, einzu- sehen im Archiv des Otto-Pankok-Museums „Haus Esselt“ in Hünxe/Drevenack. 1260 Ludwig Leitz in einem Brief an Otto Pankok vom 29. 2. 1941, abgedruckt in Otto Pankok, Kohlegemälde, Holzschnitte, Radierungen Plastiken, einer Schrift des Otto-Pankok-Museums „Haus Esselt“ in Hün- xe/Drevenack o. J., o. S. 1261 Hulda Pankok, Die abenteuerliche Geschichte des Passionswerkes von Otto Pankok, 88. Hulda Pankok zi- tiert ihren Mann Otto Pankok, für den in Zeiten der Einsamkeit galt: „ … dann bleibt uns immer noch die Sonne, die sich in der Pfütze spiegelt“.

324 gerzeige inmitten zutiefst empfundenen Elends dankbar waren, belegt der oben zitierte Brief von Ludwig Leitz1262. Über den biografischen Rahmen hinausgehend muss daher der zeitgeschichtliche Rahmen im Blick bleiben, in dem sich Otto Pankoks Werk entwickelte. Es ist eindeutig fest- stellbar, dass ein Großteil seines künstlerischen Werkes ohne das Erleben des Dritten Reiches und den Alltag im Nationalsozialismus undenkbar wäre. Zeiterleben und künstlerisches Motiv stehen bei ihm in Zusammenhang. Der umfangreiche Zyklus der Passion entstand aus dem Erleben des Beginns der grauenhaften Ereignisse der nationalsozialistischen Diktatur heraus. Mit Blick auf dieses Werk wird deutlich, wie stark der zeithistorische Rahmen das künstleri- sche Werk des Malers beeinflusste. Nach langer Zeit der Depression hatte dieser seinen Glauben an das Gute im Men- schen wiedergefunden, um sich ab den Jahren 1932/33 neuerlich mit Verfolgung, Vernich- tung und Krieg konfrontiert zu sehen1263. Mit seinen Bildern der Passion appellierte er an die Liebesfähigkeit des Menschen und hielt seinen Zeitgenossen die größte menschliche Tragödie vor Augen, die es in der Geschichte bis 1934 gegeben hatte (als Otto Pankok die Bilder seiner Passion malte, konnte er noch nichts von Auschwitz ahnen). So ist es undenkbar, dass sein bildnerische Werk losgelöst aus seinem historischen Bezug zu sehen. Das wäre geschichtslos. Gleichzeitig kann aufgezeigt werden, wie seine geschaffenen Bildwerke dessen weiteres Le- ben beeinflussten. Das erweist sich vor allem an den 60 Bildern der Passion und an den Zi- geunerbildern. Letzteren ist es maßgeblich zu verdanken, dass er heute überhaupt noch als bedeutender Künstler wahrgenommen wird. Vor allem über seine Zigeunerbilder erfährt er posthum immer noch Wertschätzung und öffentliche Aufmerksamkeit. Im Gegensatz dazu waren es vor allem die Bilder des Passionszyklus, die sein Leben und das seiner Familie zur Zeit des Nationalsozialismus beeinflussten und steter Gefahr aussetzten. Mit den Bildern der Passion Christi geriet er in den Blick der Reichskulturkammer, was sich in der Verhinderung seiner Ausstellungen 1934 und der Aufnahme seiner Werke in die Wanderausstellung „Entar- tete Kunst“ zeigte. Einen weiteren hermeneutischen Zugang zu den christlichen Bildwerken lässt sich ü- ber sein persönliches Menschenbild herstellen. Dieses wird maßgeblich von seinem christli- chen Glauben beeinflusst. Bezüglich seines Menschenbildes kann gesagt werden, dass es sich an der biblischen Überlieferung sowohl des Alten wie des Neuen Testaments orientiert. Der

1262 Ludwig Leitz in einem Brief an Otto Pankok vom 29. 2. 1941, abgedruckt in Otto Pankok, Kohlegemälde, Holzschnitte, Radierungen Plastiken, einer Schrift des Otto-Pankok-Museums „Haus Esselt“ o. J., o. S.. 1263 Eva Pankok berichtet, dass ihr Vater da jedoch so stark und innerlich gefestigt war, auch durch seinen fami- liären Halt bei Frau und Tochter, dass er den Glauben an den Menschen und seinen Schöpfer nicht wieder verlor. Eva Pankok im Interview mit der Verfasserin am 16. 03. 09 im „Haus Esselt“.

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Künstler sieht nach Gen 1,26f den Menschen als Geschöpf prinzipiell in einer Ebenbildlich- keit Gottes, was für ihn ein Höchstmaß an Ideal darstellt. Durch seine Fehlerhaftigkeit, seine Verführbarkeit und Beeinflussbarkeit kann sich der Mensch von seiner Bestimmung als Indi- viduum weg in einen tierhaften Zustand hinein entwickeln. In diesem tierhaften Zustand ver- liert der Mensch den Bezug zu sich selbst und zu Gott. Diese entindividualisierten Geschöpfe fasst Otto Pankok im Phänomen der ″Masse″ zusammen. Den Prozess der Vermassung beg- riff er nicht als modernes Phänomen der Neuzeit, sondern findet es in allen Zeiten. Jesus von Nazareth stand in seiner Zeit als idealer Mensch, als das Individuum schlechthin, einer tauben Masse gegenüber. Der Massenmensch war damals wie heute unempfänglich für die Lehren eines Jesus von Nazareth, stattdessen ließ er sich von Dämonen leiten, die ihn zu Grausamkei- ten gegenüber den Mitgeschöpfen befähigten. Der im Zusammenhang mit Otto Pankok häufig gebrauchte Begriff ″Menschenfreund″ muss daher kritisch hinterfragt werden, da der Künstler neben seiner starken Zuneigung zu benachteiligten Menschen deutliche Verachtung gegenüber Zeitgenossen äußerte. In der Be- trachtung dieser Menschen schreckte er vor Pauschalisierung und Undifferenzierung nicht zurück. Am deutlichsten wird das in seiner drastischen Beurteilung der Person und Kunst von Joseph Beuys. In seinem Menschenbild nehmen die Kinder gleichermaßen wie Jesus eine Sonderstel- lung ein. In Kindern sieht der Künstler autonome Persönlichkeiten, die nicht in der Verfü- gungsgewalt von Erwachsenen stehen, sondern völlig selbstständig handeln. Sie befinden sich in einem Zustand, der sie vor der Gefahr der Vermassung noch (!) bewahrt. Das von ihm ge- brauchte Adjektiv ″kindlich″ ist demzufolge in seinen Texten positiv belegt und kann syn- onym zu ″friedlich″, ″schuldlos″ und ″rein″ gebraucht werden. Jesus hingegen ist für ihn der Idealmensch schlechthin. An seiner Person misst der Künstler seine Mitmenschen in ihrer Ebenbildlichkeit Gottes. Sein Verdienst ist es, das Schicksal der Verfolgten des Nationalsozialismus aus seiner Singularität herauszuholen und als ein generelles menschliches Schicksal darzustellen, dem Menschen in der Geschichte immer wieder erliegen. Menschen können für andere, gleich ei- nem Jesus von Nazareth, die Liebe auf Erden werden, sie können aber ebenfalls ihr Henker sein. Beide Möglichkeiten hielt er in seinen Bildern fest. Die Sünde beginnt dort, wo Verrat, Ignoranz, Gleichgültigkeit, Vorurteil und Anpassung an die Masse Menschen bestimmt. Das hatte er mit seinem Gespür für Menschliches erkannt. Der Jesuitenpater Friedrich Mucker- mann schrieb in Bezug die Passion:

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„Hier ist es, was ich bisher vergeblich gesucht habe. Hier ist es gelöst, dieses ″Es″, dieses unausgesprochene Schicksal der Zeit, das in Millionen Menschen zum Ausdruck drängt. Hier ist das Grauen, der dämonische Haß gegen die Wahrheit, das Leid der Kreatur. Hier ist alle menschliche Verkommenheit, hier ist der Krieg als Sym- bol des ewigen Krieges der zerstörenden Mächte gegen die aufbauenden, der höllischen Gewalten gegen die gnadenhaften. Hier ist das alles, aber es ist bezwungen, es ist in erlösende Tragik übergegangen.“1264

Als das Tausendjährige Reich nach zwölfjährigem Alptraum Geschichte geworden war, musste der Künstler mit ansehen, wie ungebremster industrieller Fortschrittswahn und die Konsumgier der Nachkriegsgesellschaft die Schöpfung Gottes neuerlich bedrohten. Der Mensch entfernte sich immer weiter von Gott und von den Lehren eines Jesus von Nazareth, anstelle sich nach vollzogenem Abfall wieder rückzubesinnen. Gleich nach Ende des Zweiten Weltkrieges musste Otto Pankok erkennen, dass sich der Mensch in neuerlichem Abfall vom Schöpfungswillen Gottes befand. Statt an der Über- windung von Trennendem zu arbeiten, taten sich weltweit neue Konfliktherde auf, die den Künstler zu Aufmerksamkeit und Stellungnahme veranlassten: war es die Teilung Deutsch- land in zwei Hälften, die hemmungslose Technisierung und Umweltzerstörung, die Erschlie- ßung riesiger Industriegebiete, die Vernichtung alter Lebensräume für Mensch und Tier, die Wiederaufrüstung Deutschlands, einhergehend mit einer besorgniserregenden Atompolitik der Hegemonialmächte und vor allem der Vietnamkrieg mit seinem Morden an der Zivilbevölke- rung. Der Künstler nahm davon in seinen späteren Lebensjahren mehr Notiz als jemals zuvor. Selbst der Rückzug in die Stille der Landschaft war ihm wegen fortschreitender Gebrechlich- keit nicht mehr vergönnt. In seine Texte und Briefe dieser letzten Jahre schlich sich erste Wehmut und Resignation über die Unbelehrsamkeit des Menschen1265. In der methodischen Ausrichtung dieser Arbeit sollte den schriftlichen Hinterlassen- schaften des Künstlers verstärkte Aufmerksamkeit zukommen. Dahinter stand die Annahme, dass sich durch Hinzunahme seiner Texte die Bildthemen und die Bildgegenstände besser erschließen lassen. Dass dem tatsächlich so ist, konnte vor allem bei der Erarbeitung der theo- logischen Motive in dessen bildnerischen Werk nachgewiesen werden. Bildthemen wie das der ″Sünde″, des ″Bösen″, der ″Liebe″ oder der ″Schuld″ ließen sich in ihrer Bedeutung für ihn kaum erfassen, gäbe es dazu keine Entsprechung in den schriftlichen Hinterlassenschaften des Künstlers. Vor allem bei der kunsttheoretischen Einordnung seiner Naturbilder sind diese schriftlichen Hinterlassenschaften unerlässlich, soll Otto Pankok in seinem Kunstwollen nicht missverstanden werden. Zu einer Zeit, als die Kunst dem bedingungslosen technischen Fort- schritt huldigte, wies er mit seinen Bildern in eine ganz andere Richtung und mahnte die Ach-

1264 Pater Friedrich Muckermann, Vorwort zur „Passion“ von Otto Pankok, 1. Das 11seitige Manuskript befindet sich im Archiv des Otto-Pankok-Museums „Haus Esselt“ in Hünxe/Drevenack. 1265 So u.a. Otto Pankok am 22. 8. 1964 in einem Brief an Rainer Zimmermann, ediert in Ingrid von der Dollen, Im Widerstand gegen die Zeit. Malerbriefe an Rainer Zimmermann, 28.

327 tung der Schöpfung und ihre Bewahrung an. Dies reflektierte er fortwährend in seinen späte- ren Texten. Dafür wurde er von der universitären Kunstwissenschaft mit Missachtung ge- straft, was ihm in der öffentlichen Wahrnehmung den Ruf eines ″Ewig-Gestrigen″ einbrachte. Für Otto Pankok waren Themen wie Umweltzerstörung, Bedrohung der Menschen durch Zer- störung ihres Lebensumfeldes, Klimakollaps und menschliche Verrohung bedeutend, als noch kaum einem seiner Zeitgenossen die Brisanz der Entwicklung bewusst war. Der Künstler be- obachtete aufmerksam die Veränderungen im Kleinen und konnte so auf Auswirkungen im Großen schließen. Für ihn stand fest, dass solcherart Entwicklungen dem Menschen nicht gut tun konnten, da es seiner Schöpfungsbestimmung als Ebenbild Gottes entgegensteht. Mit die- sen Ansichten war er seiner Zeit weit voraus. Damit war er gewissermaßen ein ″Rufer in die Zeit″ hinein. Die ethische Ausrichtung seines bildnerischen Werkes, das sich dem Erhalt des Menschlichen und der Schöpfung verpflichtet fühlt, machen seine Bilder so interessant für den Religionsunterricht. In ihrer Bildaussage benennen seine Werke universale Themen, die gerade in unseren jetzigen Tagen aktuell sind und der ethischen Reflexion bedürfen. So kön- nen beispielsweise die in dieser Arbeit vorgestellten Bilder für Heranwachsende im Unter- richtsgeschehen zum Anlass werden, ethische Probleme zu benennen, zu analysieren und Lö- sungsvorschläge zu erarbeiten. Seine Bilder zeigen Menschen, die verhöhnt, verspottet, gefol- tert und zu Tode gebracht werden. Ebenso zeigen sie mahnende Propheten und erschrockene Engel. Somit verweisen viele der Bilder auf einen ethischen Missstand, über den es sich lohnt, mit Heranwachsenden ins Gespräch zu kommen. Folglich wird durch die bilderfassende und reflektierte Auseinandersetzung mit Bildwerken Otto Pankoks vor allem die ethische Kompe- tenz der Schülerinnen und Schüler gefördert. Otto Pankok wurde bislang nicht als Künstler gewürdigt, der sich innerhalb seines Œuvres in beträchtlichem Umfang christlichen Bildthemen stellte - und das weit über die Bil- der der Passion hinaus, wie in dieser Arbeit gezeigt werden konnte. Es liegt vielleicht nahe, dass solch eine Perspektive auf das Werk dieses Künstlers erstmals aus dem Blickwinkel der Religionspädagogik heraus erfolgt, da mit den seit einigen Jahren für das Fach Religion aus- gewiesenen neun Kompetenzbereichen eine starke inhaltliche Nähe zum Werk dieses Künst- lers dargelegt werden konnte. Die intensive Beschäftigung mit Kunstwerken erweitert in je- dem Fall die ästhetische Kompetenz von Mädchen und Jungen. Mit Blick auf das bildnerische Werk Otto Pankoks kommt über die ästhetische Komponente hinausgehend hinzu, dass an- hand exemplarisch ausgewählter Bilder des Künstlers die religiöse Kompetenz der Schülerin- nen und Schüler gestärkt werden kann.

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Was bislang fehlte, war der fokussierte Blick auf Bildwerke, denen ein christlicher Bildgegenstand zugrunde liegt und in denen christliche Motive bearbeitet wurden. Diese Lü- cke konnte nun mit dieser Arbeit geschlossen werden. Dabei zeigte es sich, dass die Anzahl der Bildwerke mit christlichem Inhalt weit größer ist als eine erste oberflächliche Übersicht vermuten lässt und sich beiweiten nicht nur auf Bildthemen und Motive der Passion be- schränkt. Die thematische Spanne ist reichhaltiger als eine oberflächliche Durchsicht der Ka- taloge vermuten lässt. Erst die systematische Durchsicht der Werkverzeichnisse macht die Vielzahl der christlichen Themen und Motive fassbar. Dennoch verstand sich Otto Pankok nicht als ″christlicher Künstler″, gleichwohl er bedeutende Bildwerke christlichen Inhaltes schuf. Er sah sich berufen zu einem Leben und zur Arbeit als Künstler, dem das Suchen nach einer ″ewigen Wahrheit″ zugrunde lag. Auf der Suche nach solch einer allen Dingen zugrunde liegenden Wahrheit setzte er sich mit christlichen Inhalten auseinander. Für ihn als gläubigen Christen wäre es unvorstellbar gewesen, sich christlichen Bildthemen zu verschließen. Im Gegenteil: Er begründete sein Kunstwollen und seine gegenständlich – figürliche Bildsprache aus dem Schöpfungsakt Gottes heraus, der die Welt in konkreten Dingen, vielgestaltigster Variation und Aussehens, schuf. Hinter diese unendliche Fülle und Vielfalt durfte ein Künst- ler seiner Auffassung nach nicht zurück fallen, indem er sich selbst dem Ungegenständlichen verschrieb. Viel eher, als dass Otto Pankok als ″christlicher Künstler″ zu bezeichnen ist, war er ein Mensch, mit einer zutiefst christlichen Gesinnung, die sich in allen seinen Bildwerken äußert, nicht nur in denen, die explizit christliche Bildthemen bearbeiten. Das ermöglicht, gemeinsam mit Schülerinnen und Schülern im Religionsunterricht herauszuarbeiten, was das spezifisch Christliche seiner Bildwerke ausmacht und worin der Kern ihrer christlichen Bot- schaft zu sehen ist. Solch fragendes Herangehen an Bildwerke fördert und stärkt die herme- neutische Kompetenz der Mädchen und Jungen. Die am Anfang dieser Arbeit stehende Frage ″Warum Bilder im Religionsunterricht?″ lässt sich mit Blick auf die exemplarisch für den Religionsunterricht bearbeiteten Bildwerke beantworten: Werke der bildenden Kunst bieten Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit, Eintritt in einen Denkraum zu erhalten, der sich durch seine Struktur von sonst üblichem schulischen Leistungs- und Zeitdruck abhebt. Als ein solcher Raum müssen Werke der bil- denden Kunst vom unterrichtenden Lehrer oder der Lehrerin geschützt werden. Sie dürfen nicht dem Zeitdiktat untergeordnet werden, sodass sie als weiteres Bild innerhalb einer un- überschaubaren alltäglichen Bilderflut unterzugehen drohen. Die Maßgabe der Entschleuni- gung von Unterrichtsgeschehen zählt in diesem Fach vielleicht noch stärker als anderswo.

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Zeitgenössische Kunst entwickelt sich immer im Spannungsfeld von Tradition und In- novation. Der Anteil von künstlerischen Bestandteilen, die sich der Tradition bedienen oder die stark innovativ sind, ist bei jedem Künstler unterschiedlich ausgeprägt. Otto Pankok greift für die Umsetzung seiner Bildwerke auf tradierte Bildgegenstände (z.B. Engel, Jesus Christus, Maria, das Kruzifix usw.) und Bildthemen (z.B. Kreuzigung, Verspottung usw.) zurück, die er in seiner individuellen Bildsprache künstlerisch umsetzt. Die christlichen Motive, die er künstlerisch bearbeitet, sind in seinen Schriften inhaltlich nachvollziehbar. Vor allem auf sie wurde in dieser Arbeit zurückgegriffen, um Bildthemen zu verifizieren und historisch einbin- den zu können. So beschäftigte ihn das Motiv der ″Sünde″, das Motiv des ″Bösen″ oder der ″Liebe″ nicht nur als künstlerisch relevanten Gegenstand, sondern Themen wie diese trieben ihn als gläubigen Christen um. Solcherart Symbiose von Glauben und Werk ließ ihn an tra- dierten Bildgegenständen festhalten. Seiner Intention entsprach es nicht, christliche Aussagen möglichst künstlerisch innovativ darzustellen, wie es beispielsweise Joseph Beuys immer wieder tat, was exemplarisch an seinen Kreuzesdarstellungen nachvollziehbar wird1266. Im Gegenteil, selbst in seinem künstlerisch innovativsten Bild, dem Holzschnitt Christus zer- bricht das Gewehr (WH 344) von 1950, bedient sich Otto Pankok einer starken traditionellen Bildsprache. Wahrscheinlich ist es diese Verwurzelung in traditionellen Bildformen, die im- mer wieder den Wert seiner christlicher Bildwerke verkennen ließ. Seine Kunst wird innova- tiv, wenn es um ihre inhaltliche Aussage geht. Das ist neben dem oben angesprochenen Holz- schnitt augenfällig in dem Kohlebild Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen? Bild Nr. 54 der Passion und in dem Holzschnitt Verspottung (WH 340). Alex Stock ist der Ansicht, dass über Bildungsinhalte zu entscheiden beinhalten muss, eine Auswahl solcher Bildwerke zu treffen, die der nachwachsenden Generation nahe ge- bracht und mit auf den Weg gegeben werden sollen1267. Erst in der Aneignung der nachfol- genden Generation können Bildwerke zu einem dauerhaften Bestandteil des kulturellen Ge- dächtnisses werden. Dabei ist selten eindeutig nachvollziehbar, warum das bei einem be- stimmten Kunstwerk gelingt und bei einem anderen nicht. Solcherart Aneignung und Überlie- ferung kann über Schullehrbücher und im Unterricht geschehen. Der schulische Unterricht kann für Kinder und Jugendliche zu einem Ort werden, an dem es zu einer Erstbegegnung mit Kunstwerken kommen kann. Dafür ist eine begrenzte Auswahl und die intensive Wahrneh- mung Voraussetzung, betonen zahlreiche Autoren. Dass gerade in der Auseinandersetzung mit dem bildnerischen Werk Otto Pankoks Chancen für den Religionsunterricht liegen, konnte in dieser Arbeit nachgewiesen werden und

1266 Vgl. dazu Hans Markus Horst, Kreuz und Christus. 1267 Vgl. dazu Alex Stock, Bilder in der Bildung des Christentums, 98.

330 wird im Folgenden nochmals unter (a) bis (k) thesenartig zusammengefasst. Hinter den nach- folgenden Ausführungen steht die Leitfrage: Welche Chancen ergeben sich für Schülerinnen und Schüler im Fach Religion in der Auseinandersetzung mit Otto Pankoks Bildwerken? Seine eigene Berufung zum Künstler verband er mit einer lebenslangen Mission, die sich in seinem Werk mit einem hohen Wahrheitsanspruch verband. Er versuchte in seinen Bildern einer Wahrheit nachzuspüren, die allen Dingen eigen ist. In diesem Suchen element- arisierte er für sich als Künstler alles Geschehen und Erlebte und bringt es in kompensierter Form, umgesetzt in seine Bildsprache, in Bildform (vgl. dazu z.B. Schmerzensmann). Für den Religionsunterricht ergibt sich daraus (a) die Chance, dass mit den Bildwerken Otto Pankoks Bilder elementarisierten Inhaltes vorliegen, die in konzentrierter Form christliche Erfahrungen verdichten. Den Zeitgeist versuchte er aus seinem künstlerischen Werk weitestgehend fernzuhal- ten. Ästhetischen Trends verweigerte er sich konsequent. Im Umgang mit seinen Bildwerken ergibt sich für das Fach Religion aus diesem Grund (b) die Chance, die ästhetischen Kompe- tenzen der Schülerinnen und Schüler weiterzuentwickeln. Ästhetische Kompetenz meint da- bei, dass Kinder und Jugendliche die Fähigkeit ausbilden, neben anderen ästhetischen Äuße- rungen u.a. mit Werken der bildenden Kunst adäquat umzugehen. Das Fach Religion sollte seinen Beitrag zur ästhetischen Erziehung der Schülerinnen und Schüler leisten, um der rei- chen christlichen Bildtradition mit ihrer Fülle an christlichen Bildwerken gerecht zu werden, was in den zu erwerbenden Kompetenzen ausgewiesen ist1268. So kann das Fach Religion zum Ort werden, an dem neben der fortwährend eingeforderten Textlesekompetenz eine Bildlese- kompetenz ausgebildet wird. Bildwerke Otto Pankoks eignen sich dafür, da sie in ihrem zwar expressiven aber stets im Figürlichen verhafteten Realismus, die Sehgewohnheiten der Schü- lerinnen und Schüler nicht überfordern. In diesem Sinne muss das Sehen nicht völlig neu ge- lernt, sondern vielmehr intensiviert, verlangsamt und geschärft werden, sodass sich der Blick der Schülerinnen und Schüler neu ausrichtet. Bildwerke des Künstlers sind damit auch für junge Schülerinnen und Schüler angebracht, da Bildzeichen auf einer ersten Verstehensebene relativ eindeutig aufgeschlüsselt werden können, wie aus der Passion beispielsweise Das Gleichnis vom guten Hirten zeigt und wie am Bildbeispiel der Mantelmadonna nachgewiesen werden konnte. Das fördert und stärkt die hermeneutische Kompetenz der Mädchen und Jun- gen. Otto Pankok motivierte seine Freunde beim Anbrechen der NS-Diktatur, dass ein Künstler mit dem nötigen Ernst in solchen Zeiten an seinem Werke arbeiten müsse, in denen

1268 Vgl. dazu neben vielen anderen Margarete Luise Goecke–Seischab, Christliche Bilder verstehen, Kösel: München 2004.

331 keiner seine Kunst sehen wolle1269. Damit sah er den Künstler als Idealisten inmitten einer gewissen Einsamkeit unter seinen Mitmenschen, von denen es den meisten in erster Linie pragmatisch um Anpassung und Überleben ging. Sein künstlerisches Arbeiten gegen den Strom der Zeit richtete er an universellen Themen aus, wie sie die christliche Tradition bereit- hält. Gerade der, der sich den Beruf des Künstlers wählt, müsse dem Menschen mit seiner Kunst verpflichtet sein und kann weder einem menschenverachtenden Regime, noch der Ob- erflächlichkeit der Zeit dienen. Der Künstler trägt gegenüber den Menschen Verantwortung und dürfe sich nicht vom Zeitgeist blenden lassen, sondern müsse gegen den Strom derer schwimmen, die den Demagogen folgten und unbeirrt Bilder dieser tieferen Wahrheit malen, die allen Zeiten eigen ist1270. Die Begründung einer solchen Wahrheit fand Otto Pankok vor allem in der biblischen Überlieferung der Botschaft Jesu von einem Reich, das da kommen wird und in den Worten Johannes des Täufers1271. In diesem Sinn sprach er dem Künstler, als einem Überbringer zeitunabhängiger universeller Wahrheiten, prophetische Eigenschaften zu. Er war sich sicher: auch wenn in seiner Zeit keiner diese Wahrheiten hören wolle, so wird es in irgendeiner Zeit so weit sein, dass Menschen (wieder) darauf hören werden. Im Bewusst- sein einer solchen Aufgabe scheute er sich nicht, in seinem künstlerischen Werk christliche Themen zu bearbeiten, die zu Lebenszeiten des Künstlers wenig populär schienen – sei es sein stetes Mahnen zur Bewahrung der Schöpfung, das Reden von der Sünde, vom Bösen, von menschlicher Schuld und Einsamkeit. Desgleichen erzählt es vom Ideal des wahren Men- schen, dem Problem der Vermassung und der heilenden Kraft der Liebe. Im Erfassen seiner Bildwerke und in Auseinandersetzung mit seiner Persönlichkeit und seiner Lebensgeschichte kann deshalb die Selbstkompetenz der Schülerinnen und Schüler vertieft werden. Mit seinen Bildthemen erweist sich Otto Pankok als Verbündeter der Theologen, die in Zeitnähe zum Schaffen des Künstlers forderten, schwierige theologische Begriffe nicht aufzugeben und aus der Sprache zu verbannen, sondern zu erhalten, da sie in der klassischen Literatur und der Liturgie vorkommen1272. Theologische Topoi sind Bestandteil unserer Kul- tur und müssen von nachfolgenden Generationen verstanden werden, damit die Kommunika- tion mit und über sie nicht abreißt. Mit dieser Forderung von Seiten der Theologie ist eine Parallele zu Otto Pankoks Hoffnung zu finden, dass der Künstler seine Bilder auch in solchen

1269 „Der Landweg bringt Meditation, Pflanzen und Bäume schweigen ihre Welt. Hier keimt in uns die stille Ekstase. Wir sind auf uns selbst gestellt.“, aus Otto Pankok, Die Richtung, in Rudolf Dehnen, Schriftenreihe der Otto-Pankok-Gesellschaft „Haus Esselt“, o. J., o. S. 1270 Vgl. dazu Otto Pankok, Die Richtung, in Rudolf Dehnen, Schriftenreihe der Otto-Pankok-Gesellschaft „Haus Esselt“, o. J., o. S. 1271 Otto Pankok, Die Richtung, in Rudolf Dehnen, Schriftenreihe der Otto-Pankok-Gesellschaft „Haus Esselt“, o. J., o. S. 1272 So z.B. Paul Tillich, Systematische Theologie, Bd II, 54.

332

Zeiten malen soll, in denen keiner will und versteht – eines Tages werden sie wichtig sein. Ausgehend von und im Dialog mit seinen Bildwerken ergibt sich daher für den Religionsun- terricht die Chance, (c) über theologisch wichtige, aber schwer fassbare Begriffe mit Kindern und Jugendlichen ins Gespräch zu kommen, um ihre inhaltliche Dimension zu erschließen, wie in dieser Arbeit am Beispiel der ″Sünde″, des ″Bösen″, der ″Liebe″, den ″wahren Men- schen″ und der ″Schuld″ thematisiert wurde. Das vertieft im Wesentlichen die Fachkompe- tenz der Schülerinnen und Schüler aus. Otto Pankok fand durch seinen Glauben an Gott, den Schöpfer und Vater von Jesus Christus die Kraft, in seiner künstlerischen Arbeit unbeirrt einen Sonderweg zu gehen, der in vielerlei Hinsicht wenig populär und zeitweise gefährlich war. Sein christlicher Glaube befä- higte ihn dazu, an einem Ideal festzuhalten, das von christlichen Wertevorstellungen geprägt war. Damit wurde er sensibel für die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen seiner Zeit und immun gegen die großen Verführer der Massen. Hierin wird deutlich, dass er für sich auf eindeutige Werte zurückgreifen konnte, die ihm Halt und seiner Kunst Fundament ga- ben1273. Sein Glaube verhalf ihm in einer unglaublich zerrissenen Zeit, in der traditionelle Werte ausgehoben wurden,1274 einen eigenständigen Lebensweg zu gehen, der synchron zu seinem künstlerischen Schaffen verlief. Für den Religionsunterricht kann solch ein Lebens- entwurf von Interesse sein, wenn es darum geht, (d) christliche Lebensentwürfe1275 hinsicht- lich ihrer Zeitgemäßheit und Vorbildwirkung zu reflektieren und Fragen nach gelingendem und authentischem Leben zu stellen1276. Das stärkt in hohem Maße die Selbstkompetenz der Mädchen und Jungen. Dass für Fragen dieser Art der Religionsunterricht Raum bietet, dafür zeichnet sich das Fach aus. Die Kunstwerke Otto Pankoks können dazu in vielfältiger Hin- sicht Anregung und Gesprächsmotivation geben. Für den Religionsunterricht wird das von Bedeutung, wenn auf der Metaebene mit Schülerinnen und Schülern darüber nachgedacht wird, warum ein Künstler in den Zeiten der Naziherrschaft Bilder jüdischen Lebens, Zigeu- nerbilder oder Bilder des Lebens Jesu schuf. Eingebettet in den zeitgeschichtlichen Rahmen

1273 Otto Pankok in einem Brief von 1934 an den befreundeten Jesuitenpater Friedrich Muckermann, abgedruckt in Rainer Zimmermann, Otto Pankoks „Passion“, 15. Friedrich Muckermann war von Otto Pankok gebeten wor- den, das Vorwort für die Erstausgabe der „Passion“ 1936 zu schreiben. In diesem Vorwort zitiert Muckermann den Brief Otto Pankoks. 1274 Otto Pankok, An meine Freunde (1937), Nachdruck von 1968, 10f. 1275 Vgl. dazu Astrid Erll, Biographie und Gedächtnis, 79. Die Autorin weist auf die Bedeutung von Biographien in unserer Erinnerungskultur hin. Kulturelle Ursprünge, Identitäten und Wertstrukturen können am Beispiel konkreter Lebenswege dargestellt werden. 1276 Vgl. dazu Erich Fromm, Authentisch leben, Herder, Basel/Wien 2000. Der Psychotherapeut und Sozialwis- senschaftler Erich Fromm (1900-1980) vertrat die These, dass authentisch leben bedeutet, zu wissen, was die eigene Person ausmacht, sich nicht von außen leiten zu lassen und das Leben bewusst aus eigenen Quellen zu gestalten. Erich Fromm mahnt an, dass Menschen angesichts virtueller Wirklichkeiten das brauchen, was authen- tisch ist.

333 ist dabei von Interesse, inwiefern die historischen Geschehnisse, die künstlerischen Motive Otto Pankoks beeinflusst haben. Die Auseinandersetzung mit Problemen dieser Art befördert die Sozialkompetenz der Schülerinnen und Schüler. Konstituierend für dessen Wertevorstellung war eindeutig sein christlicher Glaube in Auseinandersetzung zu einer immer brutaler werdenden Umwelt. Sein Glaube an Gott, den Schöpfer allen Lebens, und an Jesus Christus, als den Überbringer der göttlichen Botschaft, bildete ein so starkes Fundament, dass es den Künstler zum einen ein Leben lang trug und zum zweiten nach seinem Kirchenaustritt infolge der Auseinandersetzung mit der Amtskirche von Bestand blieb. In Auseinandersetzung mit seinem christlichen Glauben konnte er für sich eindeutige Werte formulieren, die ihm als unerschöpfliches Reservoir für Bildthemen dienten. Diese (e) Werte gemeinsam mit Schülerinnen und Schülern herauszuarbeiten, zu benennen und hinsichtlich ihres gegenwärtigen und universalen ″Wertes″ zu beurteilen, kann ihre ethi- sche und ihre soziale Kompetenz positiv fördern. Otto Pankok erkannte vor allem in den Randständigen und Ausgestoßenen der Gesell- schaft wahrhaftige, unverfälschte Menschen. Die Mitglieder des ziehenden Volkes der Sinti und Roma anerkannte er, völlig entgegen dem Zeitgeist der 30er Jahre des 20. Jahrhunderts, der diese Menschen kriminalisierte, als seine Nächsten. Diesen Nächsten brachte er nicht nur Achtung und Respekt entgegen, sondern eine hohe Wertschätzung ihrer Kultur und ihrer Ei- genart. In ihrer sozialen Struktur, ihrem Leben in Großsippen und ihrer Zuneigung zu ihren Kindern, erkannte der Künstler eine Natürlichkeit und Unverfälschtheit, die ihn von den „kindlichsten Menschen Europas“ sprechen ließ1277. Mit dem Bild vom Kind verbindet sich bei ihm eine Wertschätzung gegenüber diesen Menschen, die damit für ihn noch zu den weni- gen ″wahren Menschen″ gehören. In seinem Werk „Stern und Blume“ (1930) schreibt der Künstler nieder, in welchen Situationen und Lebenslagen er authentische menschliche Begeg- nung für möglich hielt und fand. Der Schriftsteller und Publizist Ralph Giordano, selbst mit seinen Eltern Verfolgter der NS-Diktatur, würdigte 2004 genau diesen Wesenszug Otto Pan- koks:

„Was mich ansprach, war die Bindung an die Schattenseiten des Lebens, an die Verlorenen, die Vergessenen, die Bedrohten – so wie ich mich in jenen zwölf Jahren verloren, vergessen und bedroht gefühlt hatte. Otto Pankok, das war ein Bundesgenosse […]“1278

Für den Religionsunterricht ergibt sich daraus die pädagogische Chance, bei Schülerinnen und Schülern im Umgang mit den Bildwerken Otto Pankoks und in Auseinandersetzung mit sei-

1277 Otto Pankok, Zigeuner (1958), 9. 1278 Ralph Giordano anlässlich der Winterausstellung mit Werken Otto Pankoks am 6. November 2004 abge- druckt in Mitteilungen 2004/2005 der Otto-Pankok-Gesellschaft, 27 – 37.

334 nen schriftlichen Hinterlassenschaften (in Form von Textauszügen) (f) die Bereitschaft für das Verständnis und die Unterstützung von Minderheiten und Unterdrückten zu fördern1279. Ein solches Verständnis beeinflusst positiv die Selbstkompetenz der Mädchen und Jungen. Otto Pankok setzte sich als Künstler ein Leben lang mit der Friedensbotschaft Jesu, mit Nächstenliebe und der Demut des Einzelnen, sowie der Bewahrung der Schöpfung kreativ auseinander. Er formulierte in seinen Texten eindeutige Wertevorstellungen, die in seinen Bildwerken bildnerische Form bekamen. Dadurch hat seine Kunst einen hohen moralischen Anspruch, wie das vor allem in seinen Bildern jüdischen Lebens und seinen Zigeunerbildern deutlich wird. Durch die widrigen politischen Umstände seiner Zeit getrieben, sah er sich ge- zwungen, sich zu positionieren. Deshalb steckt in seinem Werk in vielerlei Hinsicht Potential, (g) Schülerinnen und Schülern die Vielfältigkeit ethischer Handlungsmöglichkeiten und Stel- lungnahmen zu vergegenwärtigen. Zum Bilderverbot des Dekalogs, verstanden als einem Verbot, statische Gottesbilder zu entwickeln – seien es materielle oder verbale –, verhielt er sich in seinem künstlerischen Werk und in seinen Texten sehr unterschiedlich. Gleichwohl für ihn als frommen Christen Gott eine wesentliche Bezugsgröße in seinem Leben darstellte, lässt sich in seinem bildneri- schen Werk keine Gottesdarstellung finden. Viel öfter als von Gott sprach er von Jesus Chris- tus. Durch ihn und seine Person wird am ehesten Otto Pankoks Gottesbild deutlich. Ganz an- ders dagegen in den Texten. In ihnen entwickelte der Künstler ein anthropomorphes Gottes- bild, das er nicht auf eine männliche Dominanz festlegte. Im Vorwort zu seiner Passion schreibt er über Gott:

„Die Lüfte ruhten, und die Ewigkeit lauschte im Licht der steigenden Sonne. Gott hatte gesiegt, Gott, des Men- schen Vater und Freund, Mutter und Freundin und Geliebte.“1280

Im Spannungsfeld dieser Divergenz erscheint es auf vielfältige Weise möglich, (h) mit Schü- lerinnen und Schülern im Religionsunterricht über Gottesvorstellungen und Gottesbilder ins Gespräch zu kommen und diese zu reflektieren, was eine Erweiterung ihrer Fachkompetenz zur Folge hat. Da jede Kohlezeichnung und jedes druckgrafische Blatt als eigenständiges Kunstwerk betrachtet werden muss, kann der Inhalt eines jeden Bildes nur in ungefährer hermeneutischer Nähe zu biblischen Erzählungen und theologischen Problemstellungen gesehen werden. Er illustrierte mit seinen Bildwerken keine biblischen Geschichten, sondern schuf eigenständige Kunstwerke, in die er seine individuelle Theologie, seine Spiritualität, sein Menschenbild und

1279 Dieser Anspruch, der bereits einem Lernziel gleichkommt, wird auch formuliert im museumspädagogischen Konzept des Otto-Pankok-Museums „Haus Esselt“ in Hünxe/Drevenack. 1280 Vgl. dazu Otto Pankok, Vorwort zur Erstausgabe der „Passion“, o.S.

335 seine Weltsicht hineinmalte. Damit ist jedem Werk eine interpretatorische Offenheit inhärent, die den Schülerinnen und Schülern variierende Zugänge zu einer Vielzahl ganz verschiedener Themen des Religionsunterrichts ermöglichen kann. Durch das bewusste Hereinholen ausge- wählter Kunstwerke in das Unterrichtsgeschehen, kann sich den Schülerinnen und Schülern (i) ein weiterer, andersartiger Blick auf den Unterrichtsinhalt eröffnen. Das ist eine Einladung zum Perspektivenwechsel und eröffnet den Zugang zu einer Fremdperspektive. Dabei muss nach Günter Lange für den Religionsunterricht gerade der Moment fruchtbar gemacht wer- den, der das Bild vom überlieferten biblischen Text unterscheidet:

„Das ′Wie′ seiner Gestaltung und das Neue in Bezug auf die bisherige ikonographische Tradition, machen den Reiz des Kunstwerkes aus […].“1281

Wären Bild und biblischer Text identisch, so verlöre das Bild seinen speziellen Wert, da das geschriebene Wort traditionell im Christentum Vorrang genießt1282. Für solch einen gebote- nen kontroversen – kontrastierenden Einsatz von Kunst im Religionsunterricht, scheinen die Bildwerke Otto Pankoks geeignet. Die in ihrem theologischen Inhalt teilweise provokanten Bildwerke, wie z.B. die drastischen Christusdarstellungen und Kreuzigungsszenen des Passi- onszyklus Christus an der Säule und Sie würfeln um seinen Rock, oder die Lithografie Toter Christus (WM 15, 1952) bieten für Schülerinnen und Schüler mit ihrer speziellen Ikonografie genügend Möglichkeiten (j) der bildhermeneutischen Auslegungen, in Folge dessen es zu weiterführenden existenziellen Gesprächen im Unterrichtsgeschehen kommen kann. In Aus- einandersetzung damit bauen die Schülerinnen und Schüler ihre kommunikative und ihre her- meneutische Kompetenz aus. Die expressive Formensprache Otto Pankoks verweist immer auf den Inhalt seiner Bildthemen. Zugleich fokussiert die reduzierte Farbigkeit seiner Kohlemalerei, oder seiner ein- bzw. zweifarbigen Holzdrucke, den Blick des Betrachters unabgelenkt auf das Wesentli- che. Das ist bei ihm immer der Bildgegenstand. Damit können ausgehend von seinen Bild- werken vielfältige Bezüge zu theologischen und ethischen Themen im Religionsunterricht gezogen werden, wie in dieser Arbeit anhand exemplarischer Beispiele erarbeitet wurde. Abschließend soll auf eine weitere Möglichkeit hingewiesen werden, die sich aus der Auseinandersetzung mit dem künstlerischen Werk Otto Pankoks ergibt. Ausgehend von ex- emplarisch ausgewählten Bildwerken lassen sich (k) vielfältige fächerübergreifende Bezüge

1281 Günter Lange, Umgang mit Kunst, 249. 1282 Günter Lange, Umgang mit Kunst, 247.

336 herstellen1283. Nahe liegend sind Bezüge zu den Unterrichtsfächern Kunst, Philosophie, Ge- schichte, Deutsch und Sozialkunde. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die tiefe Religiosität des Künstlers, die Sensibilität gegenüber seiner Umwelt und seine Feinsinnigkeit ihn die von ihm erlebte Welt als Ganzes begreifen ließen. Zu diesem Ganzen gehörten die physikalischen Phänomene und Gesetzmäßigkeiten der Natur genauso wie das Unerklärliche, das Nebulöse und das Mysti- sche. In dieses Ganze hinein gehörten die winzigsten Lebewesen genauso wie der Mensch, gehörten die Kräfte der Elemente und die Gesetzmäßigkeiten der Natur. Zu diesem Ganzen gehörten in seinen Augen der Glaube an Gott und die Überlieferung der Grenzen überwin- denden Liebe eines Jesus von Nazareth.

1283 Vereinzelt wird das versucht, wie Unterrichtsmaterialien für das Fach Geschichte zeigen, so in Hildegard Vieregg, Kunst im Nationalsozialismus, Unterrichtsmaterialien Geschichte, 65f.

337

11. Bildanhang

Warnender Christus (1933) Kohlebild (100 x 118 cm), befindlich im Magazin des Otto-Pankok-Museums Hünxe/Drevenack

338

Kopiervorlage des Schülerarbeitsblattes zum Kohlebild Das Gleichnis vom guten Hirten

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Beispiel eines ausgefüllten Schülerarbeitsblattes zum Kohlebild Das Gleichnis vom guten Hir- ten von einer Schülerin der Klasse 6

340

12. Abkürzungsverzeichnis

AdA - Anmerkung der Autorin Bd - Band bzw. - beziehungsweise d. Ä. - der Ältere d.h. - das heißt KatBl - Katechetische Blätter. Zeitschrift für Religionsunterricht, Gemeindekatechese und kirchliche Jugendarbeit o. J. - Literatur ohne Jahresangabe o. S. - Literatur ohne vermerkte Seitenzahlen (üblich vor allem in Katalogen ) sog. - so genannt TRE - Theologische Realenzyklopädie, hg. von G. Krause/G. Müller, Berlin/New York 1976ff. u.a. - unter anderem u.ö. - und öfter usw. - und so weiter uvm. - und viele(-s) mehr v.a. - vor allem vgl. - vergleiche dazu WA - Weimarer Ausgabe, kritische Gesamtausgabe von 1908 der Schriften Martin Lu- thers WH - Werkverzeichnis der Holzschnitte Otto Pankoks WL - Werkverzeichnis der Lithografien Otto Pankoks WR - Werkverzeichnis der Radierungen Otto Pankoks WSt - Werkverzeichnis der Steinätzungen und Monotypien Otto Pankoks z.Z. - zurzeit

13. Literaturverzeichnis

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Otto Pankok. Kohlegemälde – Graphik – Plastik. Ausstellung vom 7. Juni bis 30. Juni 1978 in zwei Häusern. Im Regierungspräsidium und im Sparkassenhochhaus der Stadt Düsseldorf. Veranstalter: der Regierungspräsident und die Stadt – Sparkasse Düsseldorf. Rheinisch – Bergische Druckerei GmbH, Düsseldorf 1978.

Otto Pankok. Jewish Fate. Pictures of an Exhibition, Cincinnati/Ohio 1984, ohne Verlagsangabe, ohne Ort, 1984.

Otto Pankok 1893 – 1966. 13. April – 11. Mai 1986 im Alten Rathaus der Stadt Göttingen, hg. von Kunstverein Göttingen und Kulturamt der Stadt Göttingen in Verbindung mit dem Otto-Pankok-Museum „Haus Esselt“, Göttingen 1986.

Otto Pankok in Dötlingen, Kreishaus Wildeshausen 08. 10. 94 – 04. 11. 94, hg. vom Landkreis Olden- burg/Gemeinde Dötlingen, Wildeshausen 1994.

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342

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P a n k o k, Eva (Hg.): Otto Pankok. Die Pressezeichnungen, Werkverzeichnis Band 4, bearb. von F e n n er, Wolfgang, Droste Verlag: Düsseldorf 2002.

P a n k o k, Eva: Eva Pankok zur Eröffnung der Sommerausstellung 2003, ,in: Mitteilungen 2002/2003 der Otto – Pankok – Gesellschaft e.V., Selbstverlag: Hünxe/Drevenack 2002, S. 44 – 55.

P a n k o k, Eva: Mein Leben, Droste Verlag, Düsseldorf 2007.

P a n k o k, Hulda/P a n k o k, Eva (Hg.): Otto Pankok zum 90. Geburtstag, Schriftenreihe des Otto – Pankok – Museums Hünxe – Drevenack, (Selbstverlag): Hünxe – Drevenack 1983.

P a n k o k, Hulda/P a n k o k, Eva (Hg.): Otto Pankok. Die Holzschnitte, Werkverzeichnis Band 1, bearb. von Z i m m e r m a n n, Rainer, Droste Verlag: Düsseldorf 1985.

Pankok, Hulda: Else Lasker – Schüler. Vortrag von Hulda Pankok gehalten am 19. April 1969 in Haus Esselt, in: Hulda Pankok zum 100. Geburtstag, Sonderdruck des Otto – Pankok – Museums Hünxe/Drevenack 1995, o.S.

P a n k o k, Hulda: Die abenteuerliche Geschichte des Passionswerkes von Otto Pankok. Ausgestellt im Mülhei- mer Museum, in: Jahrbuch 1975 Mülheim an der Ruhr, hg. vom Verkehrsverein Mülheim a. d. Ruhr e. V., Druck- und Verlagsgesellschaft mbH, S. 85 – 89.

P a n k o k, Hulda: Hulda Pankok erzählt im Gespräch „Aus meinem Leben mit Otto Pankok“, aufgenommen im Herbst 1976 im Haus Esselt – Drevenack, Hörbuch – Verlag Rudolf Dehnen, Düsseldorf 1976. (60 Minuten)

P a n k o k , Hulda/P a n k o k , Eva: Otto Pankok. Kohlegemälde, Holzschnitte, Radierungen, Plastiken, Selbstver- lag des Otto – Pankok – Museums “Haus Esselt” Hünxe/Drevenack, o.J. (ca. 1982)

P a n k o k , Otto: Die Passion in 60 Bildern von, eingeleitet von H ü l s e w i g , Jutta, Rudolf Dehnen Verlag: Düs- seldorf 1982.

P e s e, Claus: Die Künstler der „Verschollenen Generation“ – Ein qualitatives oder ein quantitatives Problem für die Kunstgeschichte, in: S c h e e l, Werner/B e r i n g, Kunibert (Hg.): Umbrüche. Maler einer verschollenen Generation, Reimer Verlag, Berlin 1998, S. 181 – 214.

P e r o t t i, Berto: Begegnung mit Otto Pankok, Progress – Verlag Johann Fladung, Düsseldorf 1959.

P l i e t h , Martina: Kind und Tod. Zum Umgang mit kindlichen Schreckensvorstellungen und Hoffnungsbildern, Neukirchener: Neukirchen Vluyn 2009 (4. Aufl.).

R a u c h e n b e r g e r, Johannes: Biblische Bildlichkeit. Kunst – Raum theologischer Erkenntnis, Schöningh: Paderborn 1999

R a u c h e n b e r g e r, Johannes/P ö l z l, Birgit/H o e p s, Reinhard (Hg.): Mein Bild – Meine Religion. Aspek- te der Religion zu Bildern der Kunst, Wilhelm Fink Verlag: München/Paderborn 2007.

R e i c h l i n g , Philipp: Vom Umgang mit Bildern im Religionsunterricht, in: B e h r i n g , Kunibert/N i e h o f f , Rolf: Vom Bilde aus …. Beiträge des Faches Kunst für andere Fächer, Athena Verlag: Oberhausen 2007.

R o e p s t o r f f, Jens: Die Ächtung und Verfolgung von Künstlern im Nationalsozialismus am Beispiel Otto Pankok, in: E r m a c o r a, Beate/B a u e r, Anja (Hg.): Die geistige Emigration. Arthur Kaufmann – Otto Pan- kok und ihre Künstlernetzwerke, Kerber Art: Bielefeld/Leipzig 2008, S. 40 – 49.

R o h m a n n, Klaus: Rock´n´ Satan. Was sollen wir vom „Satanismus“ in der jugendlichen Musik halten?, in: F r i e m e l, Franz Georg/S c h n e i d e r, Franz (Hg.): “Ich bin ein Kind der Hölle”. Nachdenken über den Teufel, Pastoral – katechetische Hefte, Heft 74, Benno – Verlag, Leipzig 1996, S. 152 – 172.

R o m b o l d, Günter: Der Glaube und seine Bilder, in: V o l p, Rainer/B e c k, Rainer u.a. (Hg.): Die Kunst und die Kirchen. Der Streit um die Bilder heute, Pantheon Colleg, Verlag F. Bruckmann, München 1984, S. 230 – 242.

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R o m b o l d, Günter: Bilder – Sprache der Religion, LIT – Verlag, Münster 2004.

R o m m e l, Herbert: Ethische Bildung ohne die Frage nach Gott? Zum Verhältnis zwischen Ethik- und RU im Ausgang von moralischen Phänomenen, in: R o m m e l, Herbert/T h a i d i g s m a n n, Edgar (Hg.) Religion und Werteerziehung. Beiträge zu einer kontroversen Debatte, Verlag Hartmut Spenner, Waltrop 2007, S. 109 – 139.

R o s i n s k i, Rosa: Künstlerinitiativen in der Zeit des „Kalten Krieges“, in: Zwischen Krieg und Frieden. Ge- genständliche und realistische Tendenzen in der Kunst nach 45, hg. vom Frankfurter Kunstverein, Elefanten Press, Berlin (West) 1980, S. 86 - 95.

R u m p f, Horst: Schule als Kunst – Raum, in: B i e h l, Peter/B i z e r, Christoph/D e g e n, Roland u.a.: Kunst und Religion. Jahrbuch der Religionspädagogik (JRP). 13. Jg. (1996), Neukirchener: Neukirchen – Vluyn 1997, S. 129 – 143.

Sander-Gaiser, Martin: Lernen als Spiel bei Martin Luther, Haag + Herchen: Frankfurt a.M. 1996.

S c h ä d l e, Georg: Bilder aus der Kunst im Religionsunterricht. Nachforschungen in Theologie, Kunstgeschich- te und Religionspädagogik, LIT: Berlin 2008.

S c h i f n e r, Kurt: Otto Pankok. Eingeleitet und mit Schriften von und über Otto Pankok, VEB Verlag der Kunst, Dresden 1962.

S c h i f n e r, Kurt: Appell an das Gewissen. Zum 80. Geburtstag von Otto Pankok (1893 - 1966), in: Bildende Kunst 8/1973 hg. vom Verband Bildender Künstler der DDR, Dresden 1973, S. 397 – 400.

S c h i l l e r, Gertrud: Ikonographie der christlichen Kunst, Band 1, Inkarnation – Kindheit – Taufe - Versu- chung – Verklärung – Wirken und Wunder Christi, Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn: Gütersloh 1966.

S c h i l l e r, Gertrud: Ikonographie der christlichen Kunst, Band 2, Die Passion Jesu Christi, Gütersloher Ver- lagshaus Gerd Mohn: Gütersloh 1968.

S c h i l l e r, Gertrud: Ikonographie der christlichen Kunst, Band 4.2, Maria, Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn: Gütersloh 1980.

S c h m i d, Paul Ferdinand: Geschichte der modernen Malerei, Stuttgart 1952.

S c h m i d t, Diether: Otto Dix im Selbstbildnis, Henschelverlag der Kunst, Berlin 1981 (2. Aufl.).

S c h m i e d, Wieland: Spiritualität in der Kunst des 20. Jahrhunderts, in: V o l p, Rainer/B e c k, Rainer u.a. (Hg.): Die Kunst und die Kirchen. Der Streit um die Bilder heute, Pantheon Colleg, Verlag F. Bruckmann, Mün- chen 1984, S. 112 – 135.

S c h n e i d e r, Jan Heiner: Bilder des Bösen. Eine Skizze mit Blick auf die Praxis des Religionsunterrichts, in: B i z e r, Christoph/D e g e n, Roland/E n g l e r t, Rudolf u.a.: Die Gewalt und das Böse. Jahrbuch der Religi- onspädagogik (JRP). 19. Jg. (2003), Neukirchener: Neukirchen – Vluyn 2003, S. 170 – 178.

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S o l y m á r, Mónika: Wer ist Jesus Christus? Eine theologisch-didaktische Analyse der Schulbuchreihe „Kurs- buch Religion“, V&R unipress: Göttingen 2009.

S t o c k, Alex: Strukturale Bildanalyse, in: W i c h e l h a u s, Manfred/S t o c k, Alex: Bildtheologie und Bild- didaktik. Studien zur religiösen Bildwelt, Patmos: Düsseldorf 1981, S. 36 – 43.

S t o c k, Alex: Gesicht bekannt und fremd. Neue Wege zu Christus durch Bilder des 19. und 20. Jahrhunderts, Kösel: München 1990.

S t o c k, Alex: Ist bildende Kunst ein locus theologicus?, in: S t o c k, Alex (Hg.): Wozu Bilder im Christentum? Beiträge zur theologischen Kunsttheorie, EOS Verlag: St. Ottilien 1990, S. 175 - 181.

S t o c k, Alex: Zwischen Tempel und Museum. Theologische Kunstkritik, Positionen der Moderne, Schöningh: Paderborn 1991.

S t o c k, Alex: Die Ehre der Bilder. Thomas von Aquin – Johannes von Damaskus, in: S t o c k, Alex: Keine Kunst. Aspekte der Bildtheologie, Schöningh: Paderborn 1996, S. 45 – 51.

S t o c k, Alex: Bilder in der Bildung des Christentums, in: S t o c k, Alex: Bilderfragen. Theologische Gesichts- punkte, Schöningh: Paderborn 2004, S. 91 – 105.

S t o c k, Alex: Poetische Dogmatik. Gotteslehre. 3. Bilder, Schöningh: Paderborn 2007.

S t o c k, Konrad: Grundlegung der protestantischen Tugendlehre, Gütersloher Verlagshaus: Gütersloh 1995.

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T a u t z, Monika: Interreligiöses Lernen im RU. Menschen und Ethos im Islam und Christentum, Kohlhammer: Stuttgart 2007.

T h e i ß e n, Gerd/M e r z, Annette: Der historische Jesus, Ein Lehrbuch, V&R, Göttingen 2001 (3. Aufl.).

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Tillich, Paul: Systematische Theologie, Bd I, Evangelisches Verlagswerk Stuttgart, Stuttgart 1956 (3. Aufl.).

Tillich, Paul: Systematische Theologie, Bd II, Evangelisches Verlagswerk Stuttgart, Stuttgart 1958 (3. Aufl.).

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V o l p , Rainer: Kunst als Gestaltungskompetenz. Zur Ästhetik kirchlicher Praxis, in: V o l p , Rainer/B e c k, Rainer u.a. (Hg.): Die Kunst und die Kirchen. Der Streit um die Bilder heute, Pantheon Colleg, Verlag F. Bruckmann: München 1984, S. 259 – 273.

V o r g r i m l e r , Herbert: Neues Theologisches Wörterbuch, Herder: Freiburg im Breisgau 2008 (Neuausgabe).

W a c h i n g e r, Lorenz: Gespräche über Schuld. Die Sprache der Versöhnung suchen, Matthias Grünewald Verlag: Mainz 1988.

W a l p e r, Sabine: Elternverlust durch Tod, in: O e r t e r, Rolf/M o n t a d a, Leo (Hg.) Entwicklungspsycholo- gie, Beltz – PVU: Weinheim/Basel/Berlin 2002 (5. Aufl.), S. 828 – 832.

W e i c h e r t, Sonja: Gott ist kein Spießer. Leben und Werk der Jüdin Else Lasker – Schüler, hg. von der Gesell- schaft für Christliche – Jüdische Zusammenarbeit, Minden (Westf.) 2009.

Weimarer Ausgabe der Schriften Martin Luthers, Sonderedition der Kritischen Gesamtausgabe von 1918, Teil 2, Bd 18, Verlag Hermann Böhlaus Nachfolger: Weimar 2004.

W e r m k e , Michael (Hg.): Bildungsstandards und Religionsunterricht. Perspektiven aus Thüringen, edition Paideia: Jena 2005.

W e t z e l , Tanja: Bilder lesen. Anregungen zur Entdeckung des Symbolgehalts in Arbeiten von Max Beckmann, in: K i r c h n e r , Constanze/K i r s c h e n m a n n , Johannes: „Wenn Bilder lebendig werden …“. Anstöße zum Umgang mit Kunstwerken, BDK-Verlag, Hannover 1996, S. 88 - 91.

W i c h e l h a u s, Barbara: Künstlerisch-ästhetische Bildung – Anspruch und Realität aus institutioneller Sicht, in: K i r s c h e n m a n n, Johannes/W e n r i c h, Rainer/Z a c h a r i a s, Wolfgang (Hg.): Kunstpädagogisches Generationengespräch. Zukunft braucht Herkunft, kopaed: München 2004, S. 236 – 239.

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W ü p p e r, Antje: Wahrnehmen lernen – Aspekte religionspädagogischer Bildbetrachtung am Beispiel religiö- ser Kunst des Expressionismus. Ein Beitrag zum religionspädagogischen Umgang mit Kunst, LIT – Verlag: Münster 2000.

W ü s t, Jürgen/W ü s t, Ruth: Arbeiten mit Kunst in Kindergarten & Grundschule, Calwer: Stuttgart 1996.

Zenger, Erich: Die Bücher der Prophetie, in: Z e n g e r , Erich u.a.: Einleitung in das Alte Testament, Kohl- hammer: Stuttgart/Berlin/Köln 1995 (u.ö.), S. 293 – 432.

Z e i d l e r, Jürgen: Lithographie und Steindruck in Gewerbe und Kunst. Technik und Geschichte, Ravensbur- ger: Ravensburg 1994.

Z e r b s t, Marion/W a l d m a n n, Werner: Zeichen und Symbole. Herkunft – Bedeutung – Verwendung, Du- Mont: Köln 2006.

Z i l l e ß e n, Dietrich: Thronfolger. Umgang mit einem Kunstwerk von Albrecht Genin in religionspädagogi- scher Absicht, in: B i e h l, Peter/B i z e r, Christoph/D e g e n, Roland u.a.: Kunst und Religion. Jahrbuch der Religionspädagogik (JRP). 13. Jg. (1996), Neukirchener: Neukirchen – Vluyn 1997, S. 35 – 44.

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Z i m m e r m a n n , Rainer: Im Widerstand gegen die Zeit. Anmerkungen zur Kunst Otto Pankoks, Sonderdruck der Otto – Pankok – Gesellschaft für ihre Mitglieder und Freunde im Dezember 1973, Gesamtherstellung G. Braun: Karlsruhe 1973.

Z i m m e r m a n n , Rainer: Antwort auf die Schöpfung. Zur Kunst Otto Pankoks, Schriftenreihe des Otto – Pan- kok – Museums Haus Esselt, (Selbstverlag): Hünxe – Drevenack 1981.

Z i m m e r m a n n , Rainer: Otto Pankok. Das Buch der Holzschnitte, Rudolf Dehnen Verlag: Düsseldorf 1982 (2. Aufl.).

Z i m m e r m a n n , Rainer: Die Holzschnitte Otto Pankoks, in: Die Holzschnitte. Werkverzeichnis Bd 1, hg. von P a n k o k, Hulda/P a n k o k, Eva, Droste Verlag: Düsseldorf 1985.

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4. Nachschlagewerke

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Geschichte der deutschen Kunst, 1918 – 1945, hg. von O l b r i c h, Harald u.a., E. A. Seemann Buch- und Kunstverlag Leipzig: Leipzig 1990.

G r ä b, Wilhelm: Art. Sünde VIII. Praktisch – theologisch, in: TRE Studienausgabe Teil III, Bd 32, hg. von M ü l l e r, Gerhard u.a., Walter de Gruyter: Berlin/New York 2006 u.ö., S. 436 – 442.

Hygen, Johan B.: Art. Das Böse, in: TRE Studienausgabe Teil I, Bd 7, hg. von M ü l l e r, Gerhard u.a., Walter de Gruyter: Berlin/New York 1993 u.ö., S. 8 - 17.

Kürschners Graphiker Handbuch. Deutschland, Österreich, Schweiz, hg. von F e r g g – F r o w e i n, Charlotte, Walter de Gruyter: Berlin 1967 (2. Aufl.).

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Lexikon der christlichen Ikonographie, hg. von K i r s c h b a u m, Engelbert/B a n d m a n n, Günter u.a., Her- der: Freiburg (Breisgau) 1971.

Lexikon christlicher Kunst. Themen, Gestalten, Symbole, hg. von S e i b e r t, Jutta, Herder: Freiburg (Breisgau) 1980.

Lexikon der Kunst. Architektur, Bildende Kunst, Angewandte Kunst, Industrieformgestaltung, Kunsttheorie, hg von A l s c h e r, Ludger/F e i s t, Günter u.a., E. A. Seemann Verlag: Leipzig 1975.

Lexikon der Kunst. Malerei, Architektur, Bildhauerkunst, hg. von S t a d l e r, Wolf u.a. , Herder: Freiburg (Breisgau) 1990.

Lexikon philosophischer Grundbegriffe der Theologie, hg. von F r a n z, Albert/B a u m, Wolfgang/K r e u t z e r, Karsten, Herder: Freiburg (Breisgau) 2007 (2. korr. Aufl.).

RGG (Religion in Geschichte und Gegenwart), hg. von B e t z, Hans Dieter/B r o w n i n g, Don S. u.a., Mohr Siebeck: Tübingen 2002 (4. Aufl.).

Sauer Allgemeines Künstlerlexikon. Bio – bibliographischer Index A – Z, hg. von M e i ß n e r , Günter, Sauerver- lag: München/Leipzig 2000.

S p a r n , Walter: Art. Leiden IV. Historisch/Systematisch/Ethisch, in: TRE Studienausgabe Teil II, hg. von M ü l - l e r , Gerhard u.a., Walter de Gruyter: Berlin/New York 2000 u.ö.

Internetseiten: http://www.art-magazin.de/szene/24095/vatikan_kunst. (Stand: 21. 11. 2009, 15:00 Uhr) http://www.ekd.de./EKD-Texte/10_thesen_religionsunterricht. (Stand: 23. 01. 2010; 14:33 Uhr) http://www.minoritenkulturgraz.at/johannes_rauchenberger.htm. (Stand: 08. 03. 2009, 13:45 Uhr)