Plenarprotokoll 19/219

Deutscher

Stenografischer Bericht

219. Sitzung

Berlin, Freitag, den 26. März 2021

Inhalt:

Absetzung der Tagesordnungspunkte 34 a dete Kinos, Filmverleihe und Filmpro- und b ...... 27709 B duktionen sicher durch die Krise brin- Erweiterung der Tagesordnung ...... 27727 A gen Drucksache 19/25066 ...... 27712 D

Zusatzpunkt 21: in Verbindung mit Beratung der Beschlussempfehlung des Ver- mittlungsausschusses zu dem Gesetz zur An- Zusatzpunkt 22: passung der Regelungen über die Bestands- Antrag der Abgeordneten Dr. , datenauskunft an die Vorgaben aus der Martin Erwin Renner, Dr. Götz Frömming, Entscheidung des Bundesverfassungsge- weiterer Abgeordneter und der Fraktion der richts vom 27. Mai 2020 AfD: Den deutschen Film erfolgreicher ma- Drucksachen 19/25294, 19/26267, 19/27300, chen – Das Filmfördersystem neu ausrich- 19/27900 ...... 27709 B ten (AfD) ...... 27709 B Drucksache 19/27871 ...... 27712 D Stefan Müller (Erlangen) (CDU/CSU) ...... 27710 D in Verbindung mit Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) ...... 27712 A Zusatzpunkt 23: Tagesordnungspunkt 29: Antrag der Abgeordneten Thomas Hacker, , , weiterer a) Erste Beratung des von der Bundesregie- Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Zu- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- kunft für großes Kino – Deutsche Filmför- zes zur Änderung des Filmförderungs- derung im europäischen Kontext reformie- gesetzes ren Drucksache 19/27515 ...... 27712 C Drucksache 19/27822 ...... 27713 A b) Antrag der Abgeordneten , Dr. , Simone in Verbindung mit Barrientos, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Filmförde- rungsgesetz reformieren – Für Vielfalt, Zusatzpunkt 24: Transparenz, Chancengleichheit, künst- Antrag der Abgeordneten Thomas Hacker, lerische Qualität und gute Arbeit Katja Suding, Grigorios Aggelidis, weiterer Drucksache 19/27315 ...... 27712 D Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Die c) Antrag der Abgeordneten Doris Leinwand bleibt unersetzbar – Für ein Achelwilm, Dr. Petra Sitte, Simone Überleben der deutschen Film- und Kino- Barrientos, weiterer Abgeordneter und branche der Fraktion DIE LINKE: Existenzgefähr- Drucksache 19/27823 ...... 27713 A II Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021

Monika Grütters, Staatsministerin BK ...... 27713 A Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 27724 A Dr. Marc Jongen (AfD) ...... 27713 D (CDU/CSU) ...... 27724 C (SPD) ...... 27714 D (SPD) ...... 27725 B Thomas Hacker (FDP) ...... 27716 A Alexander Hoffmann (CDU/CSU) ...... 27726 A Doris Achelwilm (DIE LINKE) ...... 27716 D Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 27717 B (CDU/CSU) ...... 27718 A Tagesordnungspunkt 31: Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) ...... 27718 D a) Antrag der Abgeordneten , , Franziska Tagesordnungspunkt 30: Gminder, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der AfD: Deutsche Landwirt- a) Erste Beratung des von der Bundesregie- schaft stärken – Bäuerliche Familienbe- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- triebe in Deutschland nachhaltig schüt- zes zur Anpassung des Urheberrechts an zen und erhalten die Erfordernisse des digitalen Binnen- Drucksache 19/27699 ...... 27727 A marktes Drucksache 19/27426 ...... 27719 C b) Antrag der Abgeordneten Stephan Protschka, Stephan Brandner, Peter Felser, b) Antrag der Abgeordneten , weiterer Abgeordneter und der Fraktion , Dr. , wei- der AfD: Deutsche Landwirtschaft stär- terer Abgeordneter und der Fraktion der ken – Herkunftskennzeichnung von AfD: Den Gesetzentwurf zur Anpassung Lebensmitteln, um Bürgern eine selbst- des Urheberrechts an die Erfordernisse bestimmte und transparente Kaufent- des digitalen Binnenmarktes zurückzie- scheidung zu ermöglichen hen und Upload-Filter herausfiltern Drucksache 19/27698 ...... 27727 B Drucksache 19/27853 ...... 27719 C c) Antrag der Abgeordneten Dr. Petra Sitte, c) Antrag der Abgeordneten Stephan Doris Achelwilm, , wei- Protschka, Peter Felser, Franziska terer Abgeordneter und der Fraktion DIE Gminder, weiterer Abgeordneter und der LINKE: Rechtssicherheit für Forschung Fraktion der AfD: Deutsche Landwirt- und Lehre – Bildungs- und Wissen- schaft stärken – Versorgung mit frisch- schaftsschranken im Urheberrecht ent- em Obst und Gemüse gewährleisten fristen Drucksache 19/27697 ...... 27727 B Drucksache 19/14155 ...... 27719 D d) Beschlussempfehlung und Bericht des d) Antrag der Abgeordneten Simone Ausschusses für Ernährung und Land- Barrientos, Dr. Petra Sitte, Doris wirtschaft zu dem Antrag der Abgeord- Achelwilm, weiterer Abgeordneter und neten Stephan Protschka, Berengar Elsner der Fraktion DIE LINKE: Verleihbarkeit von Gronow, , weiterer Digitaler Medien durch Bibliotheken Abgeordneter und der Fraktion der sichern AfD: Lebensmittelverschwendung in Drucksache 19/14370 ...... 27719 D Deutschland nachhaltig reduzieren Drucksachen 19/26222, 19/27899 ...... 27727 C in Verbindung mit in Verbindung mit Zusatzpunkt 25: Antrag der Abgeordneten Thomas Hacker, Katja Suding, Grigorios Aggelidis, weiterer Zusatzpunkt 26: Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Aus- Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- leihe digitaler Güter in öffentlichen Biblio- schusses für Ernährung und Landwirtschaft theken zu dem Antrag der Abgeordneten Friedrich Drucksache 19/23303 ...... 27720 A Ostendorff, Renate Künast, , wei- , Bundesministerin terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- BMJV ...... 27720 A NIS 90/DIE GRÜNEN: Landwirtschaft eine Joana Cotar (AfD) ...... 27721 A Zukunft geben – EU-Agrarpolitik neu aus- richten und ambitioniert umsetzen (CDU/CSU) ...... 27721 D Drucksachen 19/25796, 19/26782 (neu) ...... 27727 C Roman Müller-Böhm (FDP) ...... 27722 C Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) ...... 27723 B in Verbindung mit Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021 III

Zusatzpunkt 27: Menschen mit Behinderungen deutlich verbessern und Selbstbestimmungs- Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- recht garantieren schusses für Ernährung und Landwirtschaft Drucksache 19/27299 ...... 27741 B zu dem Antrag der Abgeordneten , , Harald , Parl. Staatssekretärin BMAS . 27741 B Ebner, weiterer Abgeordneter und der Frak- (AfD) ...... 27742 B tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Grün- land- und Klimaschutz verbessern, Acker- (CDU/CSU) ...... 27743 A status bei dauernder Grünlandnutzung (FDP) ...... 27744 A erhalten Sören Pellmann (DIE LINKE) ...... 27744 D Drucksachen 19/25006, 19/25421 ...... 27727 D Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/ Stephan Protschka (AfD) ...... 27727 D DIE GRÜNEN) ...... 27745 C (CDU/CSU) ...... 27728 C Angelika Glöckner (SPD) ...... 27746 C Dr. (FDP) ...... 27729 D (CDU/CSU) ...... 27747 C (SPD) ...... 27730 C Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/ Dr. (DIE LINKE) ...... 27732 A DIE GRÜNEN) ...... 27748 B Harald Ebner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 27733 B (CDU/CSU) ...... 27734 A Tagesordnungspunkt 33: Franziska Gminder (AfD) ...... 27735 A Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs (SPD) ...... 27735 D eines Gesetzes zur Errichtung der Bundes- (FDP) ...... 27736 D stiftung Gleichstellung (CDU/CSU) ...... 27737 C Drucksache 19/27839 ...... 27748 D (BÜNDNIS 90/ Franziska Giffey, Bundesministerin BMFSFJ . 27749 A DIE GRÜNEN) ...... 27738 D (AfD) ...... 27749 D (CDU/CSU) ...... 27739 C (CDU/CSU) ...... 27750 D Nicole Bauer (FDP) ...... 27751 D Doris Achelwilm (DIE LINKE) ...... 27752 B Tagesordnungspunkt 32: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 27753 A a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Ge- (SPD) ...... 27753 C setzes zur Stärkung der Teilhabe von (CDU/CSU) ...... 27754 C Menschen mit Behinderungen sowie zur landesrechtlichen Bestimmung der Träger der Sozialhilfe (Teilhabestär- Tagesordnungspunkt 34: kungsgesetz) Drucksache 19/27400 ...... 27740 D c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität b) Antrag der Abgeordneten Jens Beeck, und Geschäftsordnung zu dem Antrag der , Johannes Vogel (Olpe), Fraktion DIE LINKE: Änderung der Ge- weiterer Abgeordneter und der Fraktion schäftsordnung des Deutschen Bundes- der FDP: Volle und wirksame Teilhabe tages für Menschen mit Behinderung durch hier: Änderung der Verhaltensregeln ein Assistenzhundegesetz für Mitglieder des Deutschen Bundesta- Drucksache 19/14503 ...... 27741 A ges (Anlage 1 der Geschäftsordnung) c) Antrag der Abgeordneten Sören Pellmann, Drucksachen 19/12, 19/22782 ...... 27755 B , Doris Achelwilm, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion DIE in Verbindung mit LINKE: Tierische Assistenz ermögli- chen – Assistenzhunde für Menschen mit Behinderungen gesetzlich garantie- Zusatzpunkt 28: ren Erste Beratung des von den Abgeordneten Drucksache 19/27316 ...... 27741 A , Ulrike Schielke-Ziesing, Jens d) Antrag der Abgeordneten Sören Pellmann, Maier, weiteren Abgeordneten und der Frak- Susanne Ferschl, Doris Achelwilm, weite- tion der AfD eingebrachten Entwurfs eines rer Abgeordneter und der Fraktion DIE … Gesetzes zur Änderung des Gesetzes LINKE: Gesellschaftliche Teilhabe von über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder IV Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021 des Deutschen Bundestages (Abgeordne- Dr. (CDU/CSU) ...... 27765 D tengesetz) – Verbot von entgeltlicher Lob- (DIE LINKE) ...... 27766 C bytätigkeit durch Abgeordnete, Verbot von Optionen als Entgelt für Nebentätigkei- Marco Bülow (fraktionslos) ...... 27768 A ten von Abgeordneten und Reform der (SPD) ...... 27768 D Transparenzregeln des Bundestages (CDU/CSU) ...... 27770 A Drucksache 19/27850 ...... 27755 B Dr. (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 27770 C in Verbindung mit (DIE LINKE) ...... 27771 A

Zusatzpunkt 29: Namentliche Abstimmung ...... 27772 B Antrag der Abgeordneten Thomas Seitz, Ulrike Schielke-Ziesing, , weiterer Ergebnis ...... 27780 C Abgeordneter und der Fraktion der AfD: Änderung der Geschäftsordnung des Deut- schen Bundestages, Anlage 1 Verhaltensre- Zusatzpunkt 38: geln für Mitglieder des Deutschen Bundes- Einspruch gegen eine Ordnungsmaßnahme tages gemäß § 39 der Geschäftsordnung hier: Anzeigepflicht von Optionen Drucksache 19/27857 ...... 27755 C Tagesordnungspunkt 35: in Verbindung mit Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Zusatzpunkt 30: Stärkung des Fondsstandorts Deutschland und zur Umsetzung der Richtlinie Erste Beratung des von den Abgeordneten (EU) 2019/1160 zur Änderung der Richtli- Dr. , , nien 2009/65/EG und 2011/61/EU im Hin- Grigorios Aggelidis, weiteren Abgeordneten blick auf den grenzüberschreitenden Ver- und der Fraktion der FDP eingebrachten Ent- trieb von Organismen für gemeinsame wurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Anlagen (Fondsstandortgesetz – FoStoG) Abgeordnetengesetzes − Aktienoptionen Drucksache 19/27631 ...... 27772 D und vergleichbare Vermögenswerte Vortei- , Parl. Staatssekretärin BMF . 27773 A le für Mitglieder des Bundestages anzeige- pflichtig machen (Abgeordnetengesetz – (AfD) ...... 27774 A AbgG) Fritz Güntzler (CDU/CSU) ...... 27775 A Drucksache 19/27836 ...... 27755 C Dr. Andreas Pinkwart, Minister (Nordrhein- Westfalen) ...... 27776 A in Verbindung mit Jörg Cezanne (DIE LINKE) ...... 27776 D Zusatzpunkt 31: Dr. (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 27777 C Antrag der Abgeordneten Britta Haßelmann, Dr. (SPD) ...... 27778 C , Dr. Manuela Rottmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- (CDU/CSU) ...... 27779 A NIS 90/DIE GRÜNEN: Transparenz, Nach- Nadine Schön (CDU/CSU) ...... 27779 D vollziehbarkeit und Offenlegung – Für eine transparente saubere Politik Drucksache 19/27872 ...... 27755 D Tagesordnungspunkt 36: (CDU/CSU) ...... 27755 D Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- Thomas Seitz (AfD) ...... 27757 A schusses für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunen (Erfurt) (SPD) ...... 27758 A – zu dem Antrag der Abgeordneten Marc Dr. Marco Buschmann (FDP) ...... 27758 D Bernhard, , Udo Theodor Jan Korte (DIE LINKE) ...... 27760 B Hemmelgarn, weiterer Abgeordneter und Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ der Fraktion der AfD: Innenstädte als DIE GRÜNEN) ...... 27761 D Heimatraum – Lebensfähigkeit entwi- ckeln, Verödung stoppen Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) ...... 27763 B – zu dem Antrag der Abgeordneten Marc Stephan Brandner (AfD) ...... 27764 B Bernhard, Udo Theodor Hemmelgarn, Dr. (SPD) ...... 27765 A Frank Magnitz, weiterer Abgeordneter Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021 V

und der Fraktion der AfD: Innenstädte Dr. (AfD) ...... 27792 C erhalten, Umnutzung von Gewerbeim- (CDU/CSU) ...... 27793 B mobilien erleichtern (FDP) ...... 27794 C – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann, (DIE LINKE) ...... 27795 A , , Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 27795 D weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Neuer Schwung für unsere Dr. (SPD) ...... 27796 B Innenstädte Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) ...... 27797 C – zu dem Antrag der Abgeordneten , , Dr. Gesine Lötzsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Tagesordnungspunkt 38: DIE LINKE: Innenstädte retten – Ge- Erste Beratung des von der Bundesregierung mischte und lebenswerte Nachbarschaf- eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur ten schaffen begleitenden Ausführung der Verordnung – zu dem Antrag der Abgeordneten Daniela (EU) 2020/1503 und der Umsetzung der Wagner, Christian Kühn (Tübingen), Richtlinie EU 2020/1504 zur Regelung Claudia Müller, weiterer Abgeordneter von Schwarmfinanzierungsdienstleistern und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Schwarmfinanzierung-Begleitgesetz) und NEN: Unsere Innenstädte fit für die Zu- anderer europarechtlicher Finanzmarkt- kunft machen vorschriften Drucksachen 19/24658, 19/24661, 19/25296, Drucksache 19/27410 ...... 27798 B 19/25258, 19/23941, 19/27919 ...... 27783 B (CDU/CSU) ...... 27783 C in Verbindung mit Udo Theodor Hemmelgarn (AfD) ...... 27784 B Zusatzpunkt 32: (SPD) ...... 27785 B Antrag der Abgeordneten Tabea Rößner, Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) . 27786 C Stefan Schmidt, , weiterer Abgeord- Caren Lay (DIE LINKE) ...... 27787 B neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE (BÜNDNIS 90/ GRÜNEN: Effektiver Verbraucherschutz DIE GRÜNEN) ...... 27788 A bei Restschuldversicherungen Drucksache 19/14386 (neu) ...... 27798 B (CDU/CSU) ...... 27788 D Sarah Ryglewski, Parl. Staatssekretärin BMF . 27798 C (SPD) ...... 27789 D (AfD) ...... 27799 C (CDU/CSU) ...... 27790 C Dr. (CDU/CSU) ...... 27800 C Frank Schäffler (FDP) ...... 27801 C Tagesordnungspunkt 37: Jörg Cezanne (DIE LINKE) ...... 27802 B a) Erste Beratung des von der Bundesregie- Stefan Schmidt (BÜNDNIS 90/ rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- DIE GRÜNEN) ...... 27802 D zes zur Stärkung des Verbraucherschut- zes im Wettbewerbs- und Gewerberecht Ingrid Arndt-Brauer (SPD) ...... 27803 C Drucksache 19/27873 ...... 27791 C Sebastian Brehm (CDU/CSU) ...... 27804 A b) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Änderung des Bürgerlichen Tagesordnungspunkt 39: Gesetzbuchs und des Einführungsgeset- a) Erste Beratung des von den Abgeordneten zes zum Bürgerlichen Gesetzbuche in Renate Künast, Friedrich Ostendorff, Umsetzung der EU-Richtlinie zur besse- , weiteren Abgeordneten ren Durchsetzung und Modernisierung und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- der Verbraucherschutzvorschriften der NEN eingebrachten Entwurfs eines Geset- Union und zur Aufhebung der Verord- zes zur Änderung des Strafgesetzbuches nung zur Übertragung der Zustän- und des Tierschutzgesetzes digkeit für die Durchführung der Ver- Drucksache 19/27752 ...... 27805 A ordnung (EG) Nr. 2006/2004 auf das b) Beschlussempfehlung und Bericht des Bundesministerium der Justiz und für Ausschusses für Ernährung und Landwirt- Verbraucherschutz schaft zu dem Antrag der Abgeordneten Drucksache 19/27655 ...... 27791 D Dr. Gero Clemens Hocker, , Christian Lange, Parl. Staatssekretär BMJV . . 27792 A , weiterer Abgeordneter VI Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021

und der Fraktion der FDP: Einhaltung von Dittmar, , , Tierschutzrecht wirksam und effizient , , Hiltrud kontrollieren Lotze, Isabel Mackensen, Dr. Matthias Drucksachen 19/6285, 19/10790 ...... 27805 A Miersch, , , Josephine Ortleb, , René in Verbindung mit Röspel, , Axel Schäfer (Bochum), , (Spandau), , , Zusatzpunkt 33: , und Gülistan Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- Yüksel (alle SPD) zu der namentlichen schusses für Ernährung und Landwirtschaft Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag der Abgeordneten Stephan des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität Protschka, Peter Felser, Franziska Gminder, und Geschäftsordnung zu dem Antrag der weiterer Abgeordneter und der Fraktion der Fraktion DIE LINKE: Änderung der Ge- AfD: Verbesserung der Tierschutzkontrol- schäftsordnung des Deutschen Bundestages len in der landwirtschaftlichen Nutztierhal- hier: Änderung der Verhaltensregeln für Mit- tung glieder des Deutschen Bundestages (Anlage 1 Drucksachen 19/16055, 19/17201 ...... 27805 B der Geschäftsordnung) Renate Künast (BÜNDNIS 90/ (Tagesordnungspunkt 34 c) ...... 27814 B DIE GRÜNEN) ...... 27805 B Silvia Breher (CDU/CSU) ...... 27806 B (AfD) ...... 27807 C Anlage 3 (SPD) ...... 27808 B Erklärungen nach § 31 GO zu der namentli- chen Abstimmung über die Beschlussempfeh- Dr. Gero Clemens Hocker (FDP) ...... 27809 C lung des Ausschusses für Wahlprüfung, Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) ...... 27810 B Immunität und Geschäftsordnung zu dem An- Hans-Jürgen Thies (CDU/CSU) ...... 27811 A trag der Fraktion DIE LINKE: Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages Nächste Sitzung ...... 27812 C hier: Änderung der Verhaltensregeln für Mit- glieder des Deutschen Bundestages (Anlage 1 der Geschäftsordnung) Anlage 1 (Tagesordnungspunkt 34 c) ...... 27815 A Entschuldigte Abgeordnete ...... 27813 A Dorothee Martin (SPD) ...... 27815 A (SPD) ...... 27815 D Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Anlage 4 , Dr. , Dr. Karl- Heinz Brunner, Dr. , Sabine Amtliche Mitteilungen ...... 27817 C Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021 27709

(A) (C)

219. Sitzung

Berlin, Freitag, den 26. März 2021

Beginn: 9.00 Uhr

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: schlossen waren. Wir waren nicht einbezogen. Aber Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Bitte offenbar trägt meine intensive Schelte der letzten Jahre nehmen Sie Platz. Die Sitzung ist eröffnet. gute Früchte. Deshalb vorab mein ehrlicher Dank an Staatssekretär Krings – er ist heute nicht da; aber Sie Der Ältestenrat ist gestern einvernehmlich übereinge- mögen es ihm ausrichten – für das faire Verfahren, die kommen, dass die reguläre Präsenzpflicht am Dienstag AfD hier erstmalig von Anfang an einzubeziehen, auch in der nächsten Sitzungswoche aufgehoben wird. Nach die stundenlangen Telefonkonferenzen zu nächtlicher § 14 Absatz 1 Satz 2 des Abgeordnetengesetzes bestimme Stunde. Ich frage mich: Warum nicht immer so? Es geht ich deshalb, dass der Dienstag, 13. April 2021, nicht als doch. Also vielen Dank zunächst an Staatssekretär Sitzungstag gilt. Damit entfällt unter anderem die Pflicht, Krings. sich an diesem Tag in die Anwesenheitslisten einzutra- gen. (Beifall bei der AfD) (B) Die Tagesordnungspunkte 34 a und b werden abge- (D) setzt. Im Ergebnis können wir allerdings dem Vermittlungs- vorschlag nicht zustimmen, obwohl er – das ist zuzuge- Jetzt rufe ich den Zusatzpunkt 21 auf: ben – viel Wichtiges und auch einiges Richtiges enthält. Beratung der Beschlussempfehlung des Vermitt- Unsere Abwägung zwischen den Belangen der Sicher- lungsausschusses zu dem Gesetz zur Anpassung heitsbehörden und der inneren Sicherheit auf der einen der Regelungen über die Bestandsdatenaus- und dem Inkrafttreten des gänzlich inakzeptablen, weil kunft an die Vorgaben aus der Entscheidung verfassungswidrigen Lambrecht’schen Hass- und Hetze- des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Mai gesetzes – Frau Lambrecht ist ja Gott sei Dank da – auf 2020 der anderen Seite führt für uns von der AfD zu einem klaren Nein zu diesem Ergebnis des Vermittlungsaus- Drucksachen 19/25294, 19/26267, 19/27300, schusses. 19/27900 Berichterstatter im Bundestag: Abgeordneter Stefan Warum, will ich Ihnen kurz erläutern, wobei wir uns Müller. Berichterstatter im Bundesrat: Minister Boris Pis- zunächst einmal die Geschichte dieses Reparaturgeset- torius. zes, das im Zusammenhang mit dem Lambrecht’schen Hass- und Hetzegesetz steht, anschauen müssen. Letzt- Mir wurde mitgeteilt, dass das Wort für Erklärungen eres – also das Hass- und Hetzegesetz von Frau nach § 10 Absatz 2 der Geschäftsordnung des Vermitt- Lambrecht – offenbart noch immer eindrucksvoll die lungsausschusses gewünscht wird. Fehlbesetzung des Justizministeriums mit dieser Dame, Das Wort hat Herr Kollege Brandner. die mit Justiz offenbar nichts am Hut hat, dafür aber umso mehr mit Genderquatsch, bunten Träumereien, Einfluss- (Beifall bei der AfD) nahme auf die Besetzung von Gerichtsspitzen und dem Krampf gegen rechts beschäftigt ist. Ihr Scheitern bei Stephan Brandner (AfD): diesem Gesetz war also nicht nur der Idee zu diesem Guten Morgen, Herr Präsident! Guten Morgen, meine Gesetz geschuldet, sondern auch der Machart. Dieses Damen und Herren! Bisher hat jede meiner Reden zu den Gesetz wird verfassungswidrig bleiben. Ergebnissen des Vermittlungsausschusses mit strafenden Worten an die Konsensparteien und an die Regierung Und das sage nicht nur ich als Stephan Brandner von begonnen, weil wir als AfD als immerhin stärkste Oppo- der AfD hier vorne, das stellte sogar – oh Wunder – auch sitionsfraktion in diesem Hause bisher von diesen Vorge- Bundespräsident Steinmeier fest, der es ja, wie allgemein sprächen zum Vermittlungsausschuss immer ausge- bekannt, gelegentlich an präsidialer Distanz insbesondere 27710 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021

Stephan Brandner (A) zu linksradikalem und gewaltverherrlichendem Gedan- Wir werden das als AfD weiterhin tun, wir werden (C) kengut – Stichwort „Feine Sahne Fischfilet“ und weiterhin gegen jede Art von Extremismus vorgehen, „KIZ“ – fehlen lässt. egal ob Frau Lambrecht ihre Gesetze in die Welt setzt oder nicht. Jetzt kann man sagen, gut, das sei die öffent- (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Es reicht liche Nörgelei der AfD als Oppositionspartei, aber im jetzt!) Vermittlungsausschuss haben wir festgestellt: Keine ein- zige Oppositionsfraktion hier in diesem Hause wird heute Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: diesem Reparaturgesetz zustimmen. Herr Kollege Brandner, bitte kritisieren Sie unser (Zuruf des Abg. Christian Dürr [FDP]) Staatsoberhaupt nicht. Ich sage insoweit: AfD wirkt! (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Für die Opposi- des Abg. Dr. Götz Frömming [AfD]) tion können Sie schon mal gar nicht in Gänze sprechen!) Abschließend bedanke ich mich bei den Linken, bei Stephan Brandner (AfD): Ich lobe es jetzt sogar. – Dennoch verweigerte sogar den Grünen und bei der FDP für die konstruktive Zusam- Herr Steinmeier dem Hass- und Hetzegesetz von Frau menarbeit im Kampf gegen dieses Reparaturgesetz. Lambrecht seine Unterschrift – eine Klatsche für Frau ( [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Lambrecht. Das hätte in jeder funktionierenden Demo- NEN]: Nehmen Sie mehr davon!) kratie zu einem Rücktritt als Justizministerin geführt, Vielen Dank. nicht so aber in Deutschland – leider. Und überhaupt, dass ein Bundespräsident ein Gesetz nicht unterzeichnet, (Beifall bei der AfD – Christian Dürr [FDP]: ist seit 1949 erst ein paar Mal vorgekommen. Zusammenarbeit mit Ihnen? Wovon träumen Sie nachts? Was für eine bescheuerte Rede! (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Unfassbar!) NEN]: Es geht um das Abstimmungsverhalten im Vermittlungsausschuss!) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Und weil Justizministerin Lambrecht so krachend ver- Jetzt hat das Wort nach § 10 Absatz 2 der Geschäfts- sagt hat, beauftragte man auch nicht etwa sie mit dem ordnung des Vermittlungsausschusses der Kollege Stefan Reparaturgesetz, sondern das Innenministerium – also Müller, CDU/CSU. (B) eigentlich die nächste Klatsche. (D) (Beifall bei der CDU/CSU) (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Es geht um Erklärungen zum Abstim- Stefan Müller (Erlangen) (CDU/CSU): mungsverhalten!) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Trotzdem – und das muss uns Frau Lambrecht vielleicht Brandner wollte ja eigentlich die Gelegenheit nutzen, einmal erklären – zeigt sie sich nun erfreut über dieses sein Abstimmungsverhalten zu erklären. Davon war jetzt Gesetz, ist sehr dankbar, dass nun endlich der Weg für ihr nicht allzu viel zu hören. Aber dafür gibt es Gründe; dazu Traumpaket gegen rechts und Hass frei sei. Aber seien komme ich gleich gerne. Sie gewiss – das sage ich Ihnen von hier vorne; Sie Gut ist, dass wir heute dieses Gesetz zur Bestandsda- können es gerne überprüfen –: Auch das nun beabsich- tenauskunft beschließen können – auch, weil damit ein tigte Gesetz wird vor dem Bundesverfassungsgericht kei- weiteres wichtiges Gesetz in Kraft treten kann, nämlich nen Bestand haben. Es verstößt nämlich gegen Artikel 5 das zur Bekämpfung von Hasskriminalität im Netz. Dem Absatz 2 des Grundgesetzes, weil es eben kein allgemei- vorausgegangen sind intensive Beratungen, die in einer nes Gesetz ist. Es wird zwar behauptet, es sei gegen Hass Arbeitsgruppe stattgefunden haben, die der Vermittlungs- und Rechtsextremismus ausgerichtet, es ist aber nichts ausschuss eingerichtet hat. An dieser Arbeitsgruppe anderes als ein Zensurgesetz gegen alles Bürgerliche haben Vertreter der Bundesregierung teilgenommen, und gegen alles Vernünftige. aber auch Vertreter der Länder und aller Bundestagsfrak- (Beifall bei der AfD) tionen. Deswegen will ich zunächst die Gelegenheit nut- zen und mich herzlich bedanken bei allen Kolleginnen Einig sind wir uns, meine Damen und Herren, dass und Kollegen, die sehr intensiv in dieser Arbeitsgruppe gegen Rechtsextremismus vorgegangen werden muss – mitgewirkt haben und mit dafür gesorgt haben, dass heute und ja, auch intensiv vorgegangen wird. Warum Sie aber dieses Gesetz und in Folge dann eben auch ein weiteres nicht – wie allein die AfD – gegen sämtliche Arten des Gesetz in Kraft treten kann. Vielen Dank für diese gute Extremismus, also auch gegen den linken und vor allem Zusammenarbeit! auch gegen den höchstgefährlichen religiösen, also isla- mistisch motivierten Extremismus vorgehen können, vor- Ich sage das deswegen, weil es sich um ein ganz regu- gehen wollen oder vorgehen dürfen, das bleibt Ihr läres Verfahren gehandelt hat. So kommen wir immer zu Geheimnis. Vermittlungsergebnissen. Der Vermittlungsausschuss wird angerufen, dann tagt er und soll anschließend einen (Beifall bei der AfD – Zuruf der Abg. Dr. Petra Vermittlungsvorschlag präsentieren. Ich finde, dieser Sitte [DIE LINKE]) Hinweis ist deswegen so wichtig, weil sich Herr Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021 27711

Stefan Müller (Erlangen) (A) Brandner, wie er gerade selber eingeräumt hat, sonst (Stephan Brandner [AfD]: Fragen Sie mal FDP, (C) immer hierhinstellt und sagt, das sei in irgendwelchen Linke und Grüne, warum die nicht zustim- Kungelrunden ausgemauschelt worden. men!) (Stephan Brandner [AfD]: Ja, war ja bisher Wenn es darum geht, hier Polizeibeamte zu würdigen, die auch so! Das hat sich geändert!) den Sturm auf den Reichstag verhindert haben, verwei- Herr Brandner, ich gratuliere Ihnen herzlich zu der gern Sie diese Würdigung. Was Sie sagen, ist nicht glaub- Einsicht, dass alles, was Sie bisher gesagt haben, offen- würdig. Die Tatsache, dass Sie dem Gesetzentwurf heute sichtlich nicht korrekt war. Ich weiß nicht, wie Sie zu nicht zustimmen, spricht für sich, liebe Kolleginnen und dieser Einsicht gekommen sind, aber nur für den Fall, Kollegen. dass Sie vielleicht Zweifel bekommen, dass es regulär (Beifall bei der CDU/CSU) zustande gekommen sein könnte, habe ich Ihnen etwas mitgebracht, nämlich eine Gesetzessammlung. Darin ent- Dass Sie das Gesetz vor allem deshalb ablehnen, weil halten sind das Grundgesetz, die Geschäftsordnung des damit effektiver gegen Hass und Hetze im Netz vorge- Bundestages und auch die Geschäftsordnung des Vermitt- gangen werden kann, ist nachvollziehbar; denn es ist ja lungsausschusses. Ich habe der Einfachheit halber die gerade die AfD, die sich durch Hass und Hetze im Netz einschlägigen Stellen schon einmal markiert, damit Sie besonders hervortut, wenn es darum geht, Andersdenken- nachschauen können. Also, ich stelle sie Ihnen sehr, sehr de zu diffamieren, politische Gegner anzugehen oder gerne zur Verfügung. unsere demokratischen Institutionen zu diskreditieren. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Dr. Götz Frömming [AfD]: Daher weht der neten der SPD – Stephan Brandner [AfD]: Vie- Wind, oder was? – Stephan Brandner [AfD]: len Dank! Können Sie gleich vorbeibringen! Ein Anti-AfD-Gesetz!) Sie wissen ja, wo ich sitze!) Insofern kann ich nur sagen: Sie sind genau der Grund, Auffallend ist, dass die AfD sich hier immer mit beson- weshalb es solche Gesetze braucht. Sie sind die geistigen ders wortreichen Erklärungen hervortut, sich in den Brandstifter für vieles, was in diesem Land und was im Arbeitsgruppensitzungen aber umso stummer verhält. Internet an Hass und Hetze passiert. (Beifall bei der CDU/CSU – Tabea Rößner (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!) bei Abgeordneten der LINKEN und des Die Vertreter meiner Fraktion jedenfalls sagen mir, dass BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) der anwesende AfD-Vertreter sich an der eigentlichen (B) Abschließend möchte ich Josef Schuster zitieren, den (D) Sacharbeit nicht beteiligt hat. Präsidenten des Zentralrates der Juden in Deutschland. (Stephan Brandner [AfD]: Die waren vertrau- In einem Gastbeitrag im „Handelsblatt“ schreibt er: lich! Ich weiß gar nicht, was Sie daraus jetzt Dem Ausschuss bietet sich am Mittwoch die letzte ausplaudern! Soll ich mal plaudern, was da los Chance, das Gesetzespaket gegen Hasskriminalität war?) und Rechtsextremismus noch in dieser Legislatur- Ich glaube, das Einzige, was er geäußert hat, war eine periode zu verabschieden. Bemerkung zur Frisur einer Kollegin, die es wohl noch Gelingt das nicht, hätten die Betroffenen von Hass nicht geschafft hatte, zum Friseur zu gehen. Das war der und Hetze im Netz den Schaden. Die Juden darüber einzige Sachbeitrag. hinaus auch ganz real, wenn sie weiter damit leben Man kann zusammenfassen: Wie so oft blasen Sie hier müssten, dass der gegen sie gerichtete Hass sich groß die Backen auf, aber wenn es um die Sacharbeit nicht ausdrücklich in der Strafbemessung widerspie- geht, sind Sie ein Totalausfall. gelt. In Zeiten rechten Terrors wäre ein Scheitern des Gesetzespakets ein wahrhaft fatales Signal. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie Dem ist nichts hinzuzufügen. der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]) Herzlichen Dank. Die Sache selbst ist aber natürlich schon bemerkens- wert: Sie lehnen den Gesetzentwurf heute ab, obwohl Sie (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie doch sonst immer behaupten, die Arbeit unserer Sicher- der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE] – Abg. heitsbehörden, die ja durch dieses Gesetz gestärkt wer- Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU] begibt den, sei Ihnen ja so total wichtig. sich zum Platz des Abg. Stephan Brandner [AfD]) (Stephan Brandner [AfD]: Das habe ich erwähnt, wenn Sie mir zugehört haben!) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Das kann ich auch deswegen nicht erkennen, Herr Herr Kollege Müller, das Buch muss desinfiziert wer- Brandner, weil es nicht glaubwürdig ist. Immer dann den, bevor Sie es übergeben. – Ja, man kann auch durch nämlich, wenn es darum geht, die Arbeit unserer Polizei- Berührung das Virus übertragen. beamtinnen und -beamten zu würdigen, fallen Sie ja aus: Vertreter Ihrer Fraktion provozieren öffentlich Polizeibe- (Stephan Brandner [AfD]: Ich hätte da keine amte und brüsten sich anschließend damit. Bedenken gehabt!) 27712 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble (A) Zu einer weiteren Erklärung nach § 10 Absatz 2 der der Vermittlungsausschuss beschlossen, dass im Deut- (C) Geschäftsordnung des Vermittlungsausschusses hat das schen Bundestag über die Änderungen gemeinsam abzu- Wort die Kollegin Dr. Lötzsch, Die Linke. stimmen ist. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses? (Beifall bei der LINKEN) (Stephan Brandner [AfD]: Nur die GroKo! Die Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE): ganze Opposition dagegen!) Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr geehrten Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dage- Damen und Herren! Ich habe mich gemeldet, um mich gen? – AfD, FDP. Wer enthält sich? – Bündnis 90/Die ganz klar vom ersten Redner zu distanzieren und mich Grünen, Die Linke. dagegen zu verwahren, dass der Kollege oder das Mit- glied der AfD es sich herausnimmt, für die gesamte (Dr. Götz Frömming [AfD]: Keine Meinung ist Opposition zu sprechen. auch eine Meinung!) (Beifall bei der LINKEN, der FDP und dem Die Beschlussempfehlung ist mit den genannten Mehr- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) heiten angenommen. Das tut er nicht. Es gibt einen großen Unterschied zwi- Damit rufe ich die Tagesordnungspunkte 29 a bis 29 c schen Ihnen und uns, das will ich Ihnen ganz deutlich sowie die Zusatzpunkte 22 bis 24 auf: sagen. 29 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung Es gibt natürlich auch einen Unterschied im Abstim- eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur mungsverhalten. Sie haben ja suggeriert, wir würden hier Änderung des Filmförderungsgesetzes alle gemeinsam mit Ihnen stimmen. Das ist mitnichten so. Drucksache 19/27515 Wir werden uns enthalten. Wir anerkennen, dass in der Überweisungsvorschlag: Arbeit der Arbeitsgruppe, an der ich ja auch beteiligt war, Ausschuss für Kultur und Medien (f) Fortschritte erreicht worden sind. Die Fortschritte sind Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz für uns aber nicht ausreichend. b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ich will Ihnen nur ein Beispiel nennen, das uns beson- Doris Achelwilm, Dr. Petra Sitte, Simone ders auf der Seele brennt: Wir finden, dass der Schutz von Barrientos, weiterer Abgeordneter und der Berufsgeheimnisträgerinnen und -trägern, zum Beispiel Fraktion DIE LINKE von Journalistinnen und Journalisten, durch die Gesetzes- Filmförderungsgesetz reformieren – Für änderung nicht ausreichend gewährleistet ist. Das ist für Vielfalt, Transparenz, Chancengleichheit, (B) uns ein wichtiger Punkt; darum werden wir uns enthalten. (D) künstlerische Qualität und gute Arbeit Hier wurde gesagt, es gebe Extremismus auf allen Sei- Drucksache 19/27315 ten. Daher will ich noch mal in aller Deutlichkeit sagen: Wir, Die Linke, stehen gegen Rechtsextremismus. Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien (Stephan Brandner [AfD]: Und für Linksext- c) Beratung des Antrags der Abgeordneten remismus!) Doris Achelwilm, Dr. Petra Sitte, Simone Wir stehen gegen die AfD, und ich verwahre mich dage- Barrientos, weiterer Abgeordneter und der gen, dass Sie hier im Bundestag, vor den Augen der Fraktion DIE LINKE Öffentlichkeit versuchen, den Eindruck zu erwecken, Existenzgefährdete Kinos, Filmverleihe wir würden mit Ihnen zusammenarbeiten. Das tun wir und Filmproduktionen sicher durch die nicht. Krise bringen (Zuruf des Abg. Stephan Brandner [AfD]) Drucksache 19/25066 Wir versuchen, alles dafür zu tun, dass eine Partei wie die Überweisungsvorschlag: Ihre im nächsten Deutschen Bundestag keinen Platz mehr Ausschuss für Kultur und Medien (f) finden wird. Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Arbeit und Soziales Herzlichen Dank. ZP 22 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Marc (Beifall bei der LINKEN und der SPD sowie Jongen, Martin Erwin Renner, Dr. Götz bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und Frömming, weiterer Abgeordneter und der Frak- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – tion der AfD Dr. Götz Frömming [AfD]: Auslaufmodell!) Den deutschen Film erfolgreicher machen – Das Filmfördersystem neu ausrichten Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Drucksache 19/27871 Wir kommen nun zur Abstimmung über die Beschluss- empfehlung des Vermittlungsausschusses auf der Druck- Überweisungsvorschlag: sache 19/27900 zur Anpassung der Regelungen über die Ausschuss für Kultur und Medien Bestandsdatenauskunft an die Vorgaben aus der Entschei- ZP 23 Beratung des Antrags der Abgeordneten Thomas dung des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Mai 2020. Hacker, Katja Suding, Grigorios Aggelidis, wei- Gemäß § 10 Absatz 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung hat terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021 27713

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble (A) Zukunft für großes Kino – Deutsche Filmför- Einige notwendige gesellschaftspolitische Verände- (C) derung im europäischen Kontext reformieren rungen wollten wir aber zumindest auch in dieses Über- Drucksache 19/27822 gangsgesetz hineinschreiben, Stichwort „Klima- und Umweltschutz“. Die Filmbranche muss hier Vorbild Überweisungsvorschlag: sein; das will sie auch. Deshalb verpflichtet der Regie- Ausschuss für Kultur und Medien (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz rungsentwurf die Filmwirtschaft, bei der Filmproduktion ökologische Maßnahmen umzusetzen und auch eine ZP 24 Beratung des Antrags der Abgeordneten Thomas Klimabilanz zu erstellen. Stichwort „Gleichstellung“: In Hacker, Katja Suding, Grigorios Aggelidis, wei- sämtlichen Gremien der FFA sollen künftig weitgehend terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP zu gleichen Teilen Frauen und Männer vertreten sein. Die Leinwand bleibt unersetzbar – Für ein Überleben der deutschen Film- und Kinobran- (Beifall bei der CDU/CSU und der LINKEN) che Weitere Schritte für mehr Diversität und Inklusion ste- Drucksache 19/27823 hen auf der Agenda für die nächste FFG-Novelle 2024, die wir noch 2021, also in diesem Jahr, mit einer Bran- Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien (f) chenanhörung einleiten wollen. Dann werden wir natür- Ausschuss für Wirtschaft und Energie lich auch über die Weichenstellungen für die Förder- und Haushaltsausschuss Abgabestruktur diskutieren, in der Hoffnung, dass wir Für die Aussprache ist eine Dauer von 30 Minuten den Flurschaden, den diese Pandemie da angerichtet beschlossen. hat, dann ein bisschen besser beziffern können. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der Zumindest für die nächsten Monate werden die NEU- Staatsministerin Monika Grütters. START-Hilfen – ich habe sie eben erwähnt – aber noch (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. die Hauptrolle in der Filmförderung spielen, unter ande- Martin Rabanus [SPD]) rem für die Wiedereröffnung der Kinos. Im Rahmen des Zukunftsprogramms „Kino III“ – die Zukunftsprogram- me I und II gab es schon – stehen aktuell noch mal Monika Grütters, Staatsministerin bei der Bundes- 50 Millionen Euro für Betriebskostenzuschüsse bereit; kanzlerin: denn Kino hat Qualitäten, die man sich selbst mit einem Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und neuen 65-Zoll-Bildschirm nicht nach Hause auf die Kollegen! In normalen Zeiten hätte die Novelle des Film- Couch holen kann. Kino macht dann doch Filmstoff zu förderungsgesetzes in den vergangenen Monaten sicher- Gesprächsstoff und bringt Menschen miteinander in (B) lich die Hauptrolle in der Filmpolitik gespielt. In der Berührung. Deshalb tun wir alles dafür, damit es nach (D) Coronakrise, die Filmkünstlerinnen und -künstler wie einem für die Filmwirtschaft niederschmetternden Jahr auch Unternehmen in ihrer wirtschaftlichen Existenz nun endlich wieder aufwärts geht. bedroht, hat die Bundesregierung das Drehbuch für die Filmförderung ein wenig umschreiben müssen. Jedenfalls danke ich Ihnen allen, liebe Kolleginnen und Kollegen, für Ihre Unterstützung in dieser Ausnah- Die Hauptrolle spielt im Moment immerhin – und zum mesituation und hoffe auch bei der FFG-Novelle 2022 Glück – unser Zukunftsprogramm NEUSTART KUL- auf Ihre konstruktive Begleitung. TUR. Mit diesem Programm haben wir die deutsche Filmförderlandschaft bisher mit Coronahilfen in Höhe Vielen Dank. von 180 Millionen Euro unterstützt, insbesondere durch einen mit 50 Millionen Euro unterlegten Ausfallfonds. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Das sind Absicherungshilfen pandemiebedingter Produk- ordneten der SPD) tionsrisiken. Für die Filmförderungsanstalt, die FFA, haben wir 19 Millionen Euro bereitgestellt, damit sie Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: ihren gesetzlichen Auftrag überhaupt weiterhin erfüllen Jetzt hat das Wort der Kollege Dr. Marc Jongen, AfD. kann. Von diesen und weiteren Coronahilfen profitieren dann auch alle anderen Filmförderbereiche, Kreative, (Beifall bei der AfD) Produktionen, Kinos und Verleih. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung Dr. Marc Jongen (AfD): des Filmförderungsgesetzes steht natürlich im Zeichen Herr Präsident! Meine Damen und Herren! der Pandemie. Er ist deshalb als Übergangsgesetz mit Ein amerikanischer Produzent ist pleite, wenn sein kurzer Laufzeit konzipiert und stellt mit der Flexibilisie- Film floppt. Ein deutscher Produzent stellt den rung der Fördervoraussetzungen, Mittelverwendung und nächsten Förderantrag. den Sperrfristen vor allem die Handlungsfähigkeit der FFA in Krisensituationen sicher. Eine große Novelle ist So brachte der „Spiegel“ das Elend der deutschen Film- derzeit keine Option, weil wir wegen der Auswirkung der förderung auf den Punkt. Über die Jahrzehnte hat sich Coronakrise auf die Filmwirtschaft einfach keine belast- eine Maschinerie entwickelt, die sich in erster Linie bare Datengrundlage haben, aus der sich die weitere selbst reproduziert und quasi nebenbei auch noch Filme Marktentwicklung ablesen ließe. Damit fehlt auch die abwirft, etwa 250 im Jahr, von denen der Großteil unter Basis für wesentliche Änderungen an der Förder- und der Wahrnehmungsschwelle und damit auch defizitär Abgabestruktur. bleibt. 27714 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021

Dr. Marc Jongen (A) Der renommierte Filmkritiker Georg Seeßlen sprach Kriterien die ökonomischen Erfolgsaussichten eines (C) von einem zombihaften System, das strukturell unfähig Films viel deutlicher als bisher einbezogen werden. Es ist, hochwertige originelle Filme hervorzubringen, die sollten weniger, dafür erfolgversprechende Filme mit das Publikum auch sehen will. Stattdessen: politische mehr Mitteln gefördert werden, damit auch die notorische Korrektheit und öde Vorhersehbarkeit im sogenannten Unterfinanzierung der Filme aufhört, und die Beiträge Gremienfilm. Um gefördert zu werden, muss ein Film privater Investoren sollten den Beteiligungen des öffent- nämlich nicht mehr publikums- und marktorientiert lich-rechtlichen Rundfunks gleichgestellt werden. sein, sondern den Erwartungen der Fördergremien ent- (Erhard Grundl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sprechen. NEN]: Das entscheiden Sie?) (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Ihr wollt doch – Wir fordern das, Herr Grundl. auch deutsche Heimatfilme sehen!) Die völlig enttäuschende Gesetzesnovelle der GroKo Eine besonders unrühmliche Rolle spielt in diesen Gre- kennt nur ein „Weiter so“ und stellt darüber hinaus die mien der öffentlich-rechtliche Rundfunk, der das Niveau Weichen in Richtung von mehr Geschlechtergerechtig- der Filme durch das ständige Schielen auf ein fiktives keit und Diversität; wir haben es eben von Frau Grütters Fernsehpublikum herabdrückt. gehört. (Beifall bei der AfD) ( [CDU/CSU]: Sehr Das führt dazu, dass „die Guten ihr Talent nicht mehr gut!) einbringen können“, wie das ehemalige Vorstandsmit- glied des Verbands Deutscher Drehbuchautoren Knut Diese ideologischen Zielvorgaben werden die künstler- Boeser feststellt. Eine relativ kleine Gruppe einflussrei- ische Qualität und die Kosteneffizienz des deutschen cher Leute bestimmt über die Vergabe von in Bund und Films garantiert nicht heben, meine Damen und Herren. Ländern zusammengerechnet rund 450 Millionen Euro (Beifall bei der AfD) jährlich. Oft herrschen Interessenkonflikte, weil die Jury- mitglieder zugleich selbst Antragsteller sein können. Das Diese gesellschaftspolitischen Auflagen sind ein direkter darf nicht so bleiben, meine Damen und Herren. Angriff auf die Kunstfreiheit wie auch die unternehmer- ische Freiheit. (Beifall bei der AfD) Dass Sie von der FDP jetzt in Ihrem Antrag in dasselbe Die Mentalität in diesen Kreisen kann man beispielhaft Horn von Geschlechtergerechtigkeit und Diversität sto- daran ablesen, dass der Geschäftsführer der Hessischen ßen, ist eine Bankrotterklärung für eine ehemals liberale Filmförderung, Hans Joachim Mendig, nach einem priva- Partei und verdirbt Ihren ansonsten in Teilen sehr guten (B) ten Treffen mit AfD-Bundessprecher Jörg Meuthen von Antrag. (D) seinem Posten zurücktreten musste. Was für eine selbst- gerechte Engstirnigkeit! Vielen Dank. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der AfD – Christian Dürr [FDP]: Warum sollten wir nicht für Geschlechterge- Von alledem ungerührt verkündeten Sie, Frau Kultur- rechtigkeit sein? Schwachsinn! Mit der Rüge staatsministerin Grütters, vor Kurzem, wie erfolgreich werde ich wunderbar leben!) die deutsche Filmförderung trotz der Coronapandemie angeblich sei: es würden hohe volkswirtschaftliche Effekte erzielt, das Einkommen von Kreativen werde Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: gesichert. Damit haben Sie unfreiwillig bestätigt, dass Nächster Redner ist der Kollege Martin Rabanus, SPD. dieses Fördersystem offensichtlich nur eines garantiert, (Beifall des Abg. Carsten Schneider [Erfurt] nämlich staatlich gesponserte Arbeitsplätze. [SPD]) Welche Auswüchse dieses System abhängiger Staats- künstler hervorbringen kann, das zeigt beispielhaft der Martin Rabanus (SPD): Antifa-Film „Und morgen die ganze Welt“, in dem eine Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mei- fiktive faschistische Partei unzweideutig mit der einzigen ne sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregie- echten Opposition in unserem Land, nämlich der AfD, rung hat heute den Entwurf der Novelle für das Film- assoziiert wird. Die Regisseurin will in ihrem Propagan- förderungsgesetz vorgelegt. Herzlichen Dank dafür an dastreifen die guten Seiten und das Wertvolle der Antifa die BKM, herzlichen Dank auch schon an meine Kolle- betonen, wie sie sagt. ginnen und Kollegen aus der Koalition für die konstruk- (Zuruf des Abg. Erhard Grundl [BÜNDNIS 90/ tive Erarbeitung dieses Entwurfs. Herzlichen Dank sage DIE GRÜNEN) ich insbesondere an Johannes Selle, den ich sehe, aber auch an . Der Film schied als deutscher Beitrag im Rennen um den Auslands-Oscar bereits in der Vorauswahl aus – eine Ohr- Eigentlich, liebe Kolleginnen und Kollegen, wollten feige für die Jury, die ihn vorgeschlagen hat. wir eine umfangreichere Novelle vorlegen; das ist deut- lich geworden. So hatten wir als Koalition den Prozess (Beifall bei der AfD) mit einem gemeinsamen Eckpunktepapier auch angelegt. Die Filmförderpraxis in Deutschland muss also grund- Aber dann hat uns Corona da einen Strich durch die legend reformiert werden. Wir fordern ein Verfahren der Rechnung gemacht. Denn durch Lockdown, fortwähren- Mittelvergabe, in dem neben künstlerisch-ästhetischen de Schließungen der Kinos und die gesamten Einschrän- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021 27715

Martin Rabanus (A) kungen in der Filmbranche ist auch die Evaluierung aus Es sind – ja, tatsächlich – die Aspekte von Diversität und (C) 2019, die Grundlage der FFG-Novelle sein sollte, Maku- Geschlechtergerechtigkeit, auch in der FFA, die wir mit latur. diesem Gesetzentwurf stärken wollen. Aktuell geht es vorrangig nach wie vor um den Ge- (Beifall bei der SPD) sundheitsschutz einerseits und um die Existenzsicherung Wir können uns als SPD-Fraktion da auch noch weitere in der Filmbranche andererseits. Deswegen unterstützen Schritte vorstellen. Lassen Sie uns das im parlamentari- wir als Koalition und als Bundesregierung auch die Bran- schen Verfahren einfach in aller Ruhe miteinander be- che umfangreich mit Überbrückungshilfen, mit den ver- sprechen. Es ist ja so: Wer soll denn gegen faire Arbeits- schiedenen Systemen – der Novemberhilfe, der Dezem- bedingungen sein? Wer soll denn etwas dagegen haben, berhilfe, aber auch der Neustarthilfe –, und später werden dass Filmschaffende vor und hinter der Kamera die glei- Wirtschaftlichkeitsbeihilfen und Ausfallabsicherungen chen Chancen haben, egal welches Geschlecht sie haben, hinzutreten müssen. egal wie alt sie sind, egal welche Hautfarbe sie haben und Dabei ist immer die Perspektive des Rückwegs des auch egal, welche anderen Merkmale sie haben? Kulturbetriebs aus dem Lockdown heraus unser Ziel. Ich weiß, die AfD hat etwas dagegen; das hat Herr Deshalb haben wir auch das Programm NEUSTART Jongen ausgeführt, und das steht auch in ihrem Antrag. KULTUR aufgelegt und mit einer zweiten, weiteren Mil- Das disqualifiziert sich aber selbst. – Und Zwischenfra- liarde in diesem Frühjahr für 2021 ausgestattet. gen lasse ich keine zu. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) der CDU/CSU) Ich will an dieser Stelle Danke an alle Kultur- und Wir wollen den Film auch nachhaltiger machen. Wir Medienschaffenden sagen, herzlichen Dank auch für werden deswegen die Produktionen stärker dem Klima- Ihre Geduld. Auch wir im Parlament hätten uns ge- schutz verpflichten und eine Reihe von weiteren Maß- wünscht, dass die Auszahlung der Hilfen schneller statt- nahmen treffen, um das Filmfördersystem krisenfester findet. zu machen, als wir es jetzt erlebt haben. (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Aber es ist so: Es ist ein Übergangsgesetz; es ist ein NEN]: Lieber spät als gar nicht!) schlankes Gesetz. Es ist richtig, wie auch Frau Staats- Herzlichen Dank aber vor allen Dingen auch für Ihre ministerin ausgeführt hat, im Grunde schon jetzt in die Kreativität und Ihre Mitarbeit bei der Frage, wie Öff- Debatte über die große Novelle einzutreten. Wir sind für nungskonzepte erarbeitet werden können. Es liegen viele die Beratungen bereit. (B) gute Hygiene- und Öffnungskonzepte für Kultureinrich- (D) In vielen Anträgen der Oppositionsfraktionen ist rich- tungen – auch für Kinos – vor. Mein herzlicher Appell an tig adressiert, dass wir Fragen haben, die wir klären müs- die Bundesregierung, insbesondere an das Bundeskanz- sen. Natürlich ist im Zentrum die Frage: Wie bekommen leramt, aber auch an die Staatskanzleien der Länder lau- wir die Qualität des deutschen Films in der Breite weiter tet, diese Dinge aufzugreifen und nun auch tatsächlich gehoben? Wie bekommen wir es hin, dass wir angemes- produktiv werden zu lassen. sene Budgets haben, dass wir uns auf Produktionen kon- (Beifall bei der SPD) zentrieren können, die am Ende erfolgversprechend sein Nun liegt also in Notzeiten nur eine schlanke Version können? eines Filmförderungsgesetzes vor. Es ist ein Übergangs- Wir müssen die Fördersysteme von Filmförderungs- gesetz. Wir werden es nicht wie üblicherweise auf fünf anstalt, Bund und Ländern noch besser aufeinander Jahre befristen, sondern nur auf zwei Jahre, und wir wer- beziehen, noch wirksamer machen. Ich will daran erin- den eine neue Grundlage brauchen, eine neue Evaluie- nern, dass der Bund rund 200 Millionen Euro im System rung, um dann eine umfangreichere Novelle machen zu für Filmförderung hat, und Landesmittel in etwa gleicher können. Höhe treten hinzu. Das muss produktiv gehoben werden. Dennoch wollen wir auch mit diesem schlanken Ge- Wir müssen natürlich auch berücksichtigen, wie sich setzentwurf den deutschen Film als Wirtschafts- und Kul- die verändernden Seh- und Konsumgewohnheiten in der turgut stärken. Deswegen ist der Schwerpunkt, dass wir digitalen Welt auswirken. zunächst natürlich am Herzstück festhalten, an der Film- abgabe, die im Filmförderungsgesetz abgesichert ist. Das Schlussendlich müssen wir sicherstellen, dass der Kul- solidarische System, das kurz gesagt heißt: „Jeder, der turort Kino erhalten bleibt, insbesondere in der Fläche. von einem geförderten Film profitiert, gibt auch etwas Wir müssen schauen, was gegebenenfalls staatlicherseits wieder zurück in die Förderung für nächste Produktio- zu besorgen ist. Es ist völlig klar: Auch Stadt- und Staats- nen“, ist gut und hat sich im Kern bewährt. Wir werden theater schreiben keine schwarze Null nur durch Ticket- natürlich etwas an den Abgaben verändern, sie marktge- verkäufe. Auch hier müssen wir klar überlegen, wie wir recht anpassen, insbesondere im Bereich Bezahlfernse- das machen. hen. Diese und viele andere Fragen, meine sehr verehrten Aber wichtig sind mir die inhaltlichen Punkte, die wir Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ste- auch in dieser Novelle mit absichern. Es sind die fairen hen an; die wollen wir diskutieren. Jetzt gehen wir ins Arbeitsbedingungen, die wir stärken wollen. Es ist die parlamentarische Verfahren zum Übergangsgesetz. Stärkung der Belange von Menschen mit Behinderung. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. 27716 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021

Martin Rabanus (A) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Was macht die Branche bis dahin? Die Zeit bis zur rich- (C) der CDU/CSU) tigen Reform darf nicht ungenutzt bleiben. Stellen wir doch die richtigen Fragen für die Zukunft des Films: Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Nach den Veränderungen des digitalen Zeitalters und Thomas Hacker, FDP, ist der nächste Redner. der Konsumgewohnheiten: Ist da die Verengung der För- derungen auf Kinofilme noch zeitgemäß? Ist unsere För- (Beifall bei der FDP) derung im europäischen Rahmen wettbewerbsfähig? Ist unser Rechtsrahmen europäisch vergleichbar, oder scha- Thomas Hacker (FDP): det er eher unserem Standort? Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Um wettbewerbsfähig zu bleiben, braucht es Planbar- Kollegen! Zum Ende des Jahres läuft das Filmförde- keit, Rechtssicherheit und einen vergleichbaren Rechts- rungsgesetz aus. Als es 2016 verabschiedet wurde, war rahmen. Es braucht die Bereitschaft zu Neuem. Der Ge- es noch problemlos möglich, Filme ohne Maskenpflicht setzentwurf zum Urheberrecht bietet genau das alles am Set zu produzieren, als Zuschauer Oscar-Gewinner im nicht. Der dort vorgeschlagene deutsche Sonderweg Kino zu genießen und nicht zuerst auf dem Handy oder schreckt internationale Produktionen ab; wir diskutieren am Fernseher. das im Anschluss. Geld allein gleicht Standortnachteile Fünf Jahre sind seitdem vergangen. Eine große Reform nicht aus. der Filmförderung wurde angekündigt; aber erst fehlte es Liebe Kolleginnen und Kollegen, schaffen wir Zukunft der Großen Koalition an Ideen, und dann liefen ihr der für großes Kino – reformieren wir die deutsche Filmför- Elan und die Zeit davon, sodass jetzt ein Minireförmchen derung in einem europäischen Kontext! Mit unseren übrig geblieben ist. Im Kern: Sie verlängern die bestehen- Anträgen – letzter Satz, Herr Präsident – haben wir Freie den Regelungen um zwei Jahre. Dabei bräuchte die Film- Demokraten Ideen für die nächsten Beratungen in einer industrie nach 15 Monaten Pandemie Klarheit und Per- neuen Bundesregierung geliefert. Das Popcorn für die spektive, bräuchten die Kulturschaffenden und die Kinos Beratungen bringen wir dann gerne mit! gerade jetzt neuen Mut, Hoffnung und einen Weg, der ihnen das Überleben und den Neustart sichert. (Beifall bei der FDP) Deutschlands Kampf gegen die Pandemie ähnelt aber eher einem grotesken Stummfilm als einem vielver- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: sprechenden Blockbuster. Seit Monaten sind Kinos ge- Doris Achelwilm, Die Linke, ist die nächste Rednerin. schlossen, laufende Produktionen wurden gestoppt, welt- (Beifall bei der LINKEN) (B) weit erwartete und schon produzierte Filme wurden aus (D) Angst vor weiteren wirtschaftlichen Schäden zurückge- Doris Achelwilm (DIE LINKE): zogen. Die Kino- und Filmlandschaft kämpft mit dem Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Aus, genauso wie der Rest der Kulturbranche. Filmförderungsgesetz ist ein ziemlich verkrustetes Werk Der Wunsch nach einer nachvollziehbaren wie greif- mit einem Fundament aus den 1960ern. Es braucht wirk- baren Öffnungsperspektive ist für die Branche genauso lich eine grundlegende Reform. groß wie für uns alle. Das Kino braucht ein breites Film- (Beifall bei der LINKEN) angebot und Zuschauer, um bestehen zu können. Kino ist mehr als zwei Stunden Ruhe auf samtbezogenen Sesseln – Filmschaffende kämpfen mit bürokratischen und teils nein, es ist ein wichtiger Teil eines kreativen Wirtschafts- ungerechten Regelungen. Entsprechend groß waren die zweigs. Erwartungen an die Politik, dass die jetzt anstehende Novelle des Filmförderungsgesetzes ab 2022 ein stark (Beifall bei der FDP) verbessertes Gesetz mit sich bringt. Filmverleiher können nicht immer wieder aufs Neue Der Entwurf der Bundesregierung ist nun aber leider Filme bewerben, deren Kinostart mit der nächsten MPK eine sehr kleine Lösung geworden. Als Grund dafür wird schon wieder einkassiert wird. Sie brauchen effektive die Pandemie angegeben: viel los; wir machen bei der Unterstützung. Diese finanzielle Abwärtsspirale ist nicht nächsten Novelle dann mehr. – Wir haben es gehört. endlos – das muss uns doch klar sein. Wir brauchen aber gerade jetzt einen Aufbruch und kei- Wir reden immer ehrfürchtig und leidenschaftlich von nen Aufschub wirklich notwendiger Neuerungen. der großen Leinwand, dem Kulturort Kino. Wir freuen (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- uns genauso auf die Internationalen Hofer Filmtage wie neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) auf die Berlinale. Warum profitieren dann aber mittel- Die Zeiten sind auch im Filmwesen sehr hart. Während ständische und größere Kinobetriebe nicht vom Zu- die großen Streaminganbieter ihren Umsatz letztes Jahr kunftsprogramm Kino Ill? deutlich steigern konnten, mussten die Kinosäle und -kas- Kurios ist auch die Anpassung der FFG-immanenten sen leerbleiben. Der Umsatz brach um 70 Prozent ein. Sonderabgabe; denn höhere Abgaben zahlt nur ein Un- Wir als Linke fordern in unserem Antrag, der hier neben ternehmen, nämlich Sky. unserem Kinorettungsantrag vorliegt, eine Solidaritätsab- Als Lehren aus der Pandemie, Frau Grütters, planen gabe der Streamingdienste. Sie Flexibilisierungen in Fällen höherer Gewalt. Richtig! (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Doch diese Regelungen greifen erst im nächsten Jahr. neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021 27717

Doris Achelwilm (A) Ausnahmesituationen erfordern Ausnahmemaßnahmen, Hygienekonzepte entwickelt und in Filteranlagen inves- (C) und Krisengewinner müssen einen Ausgleich leisten; tiert hat. Meine Anerkennung gilt daher der gesamten sonst kommen wir hier nicht vernünftig durch. Branche für ihr Durchhaltevermögen. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Weil die Krise auch die Filmfördertöpfe belastet, muss und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten sichergestellt werden, dass nicht noch mehr auf explizit der SPD) kommerzielle Stoffe, Personen und Formate gesetzt wird. Aber es wäre zu einfach, alles auf die Pandemie zu Als Linke freut es mich natürlich, dass ein Film über ein schieben. Wir diskutieren heute über Änderungen der kommunistisches Känguru letztes Jahr zum großen Kino- Filmförderung, allerdings coronabedingt in homöopathi- erfolg wurde, scher Dosis. Dabei war schon die letzte FFG-Novelle (Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN) ziemlich unmutig. aber auch weniger populäre Stoffe und der filmische Die Förderung dient laut § 1 der kreativ-künstlerischen Nachwuchs müssen Raum bzw. Mittel bekommen. Qualität des deutschen Films als Voraussetzung für sei- nen Erfolg im In- und Ausland. Dann folgen 171 Para- (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- grafen, die diese Idee eher konterkarieren. Wir brauchen NIS 90/DIE GRÜNEN) daher kein Reförmchen; wir brauchen eine echte Reform. Für gerechtere Arbeitsbedingungen ist nun vorgese- hen, dass die Filmförderungsanstalt Selbstverpflichtun- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gen anstößt. Auf Freiwilligkeit zu setzen, ändert aber sowie der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [DIE LIN- erfahrungsgemäß sehr wenig an prekären Arbeitsverhält- KE]) nissen, wie sie in der Filmbranche massiv verbreitet sind. Dass die große Reform erst kommen soll, wenn klar ist, Hier braucht es mehr Offensive statt nur Appelle. was die Branche nach der Krise braucht: Geschenkt! Wir (Beifall bei der LINKEN) müssen dann aber die nächsten zwei Jahre sinnvoll nut- zen, die Filmförderung neu und zukunftsfest auszurich- Die Lohnunterschiede und Hierarchien zwischen den ten. Immer wieder wird kritisiert, dieses Fördersystem Geschlechtern sind beim Film sehr hoch. Nur jede zweite bringe zu viel Mittelmaß hervor. Was wir brauchen, Absolventin einer Filmhochschule arbeitet anschließend sind mehr anregende, wertvolle und vor allen Dingen in ihrem Beruf. Das Bündnis „Vielfalt im Film“ hat ge- mutige Filme. rade über 6 000 Filmschaffende über Diversität in ihrer Branche befragt. Acht von zehn Frauen haben berichtet, Der Film ist nicht tot. Das sehen wir aktuell. Allabend- lich schauen Menschen aller Altersgruppen vom heim- (B) im Arbeitskontext bereits sexuell belästigt worden zu (D) sein. Zwei Jahre nach #MeToo ist hier offenbar erschre- ischen Sofa aus so viele Filme wie nie. Streaminganbieter ckend wenig passiert. Gegen diesen strukturellen Sexis- schießen durch die Decke, während die Kinobranche ums mus muss eben auch das Filmförderungsgesetz aktiver Überleben kämpft. Wieso geht man hier eigentlich nicht werden als bisher. auf die Streamingdienste zu und fordert einen Solidarbei- trag ein? Das wäre doch mal eine echte Maßnahme. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Geschlechterparitätische Gremien reichen da nicht aus. Apropos Streaming. Über Auswertungsfenster von Fil- In Schweden werden Fördergelder geschlechtergerecht men werden wir in den nächsten Jahren intensiv disku- vergeben; das muss auch hier möglich sein. tieren müssen. Kurzum: Wir wollen, dass die Beratungen zu einer Doch Pandemie hin oder her, manches kann eben nicht umfassenden Verbesserung des Filmförderungsgesetzes warten: mehr Chancengerechtigkeit zum Beispiel, damit wieder aufgenommen werden. Diese Vorlage wird den vielfältige Perspektiven im Film zu sehen sind. Und es Anforderungen nicht annähernd gerecht. reicht nicht, die Gremien quotiert zu besetzen. Wir brau- Vielen Dank. chen bei der Fördermittelvergabe Zielquoten für einen höheren Frauenanteil. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Und: Wir brauchen mehr Plätze für Kreative in den Tabea Rößner, Bündnis 90/Die Grünen, ist die nächste Fördergremien. Die prekäre Lage vieler Filmschaffenden Rednerin. muss angegangen werden. Soziale Standards beginnen eben bei einer fairen Förderung. Wir müssen die Stoff- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) entwicklung stärker in den Fokus nehmen und das Refe- renzpunktesystem fairer gestalten. Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was wir auf jeden Fall machen müssen: Wir müssen Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Film- diejenigen deutlich stärker unterstützen, die ihren ökolo- branche geht es schlecht. Seit Monaten lebt sie in Unge- gischen Fußabdruck auch im Film verkleinern wollen. wissheit und im Wechselbad der Gefühle – zwischen Dafür gibt es viel mehr Vorschläge, als jetzt im Gesetz- Hoffnung auf Filmstarts in wiedergeöffneten Kinos und entwurf vorhanden. Machen Sie bitte mehr daraus! Enttäuschung über die Verlängerung der Beschränkungen und ausbleibende Coronahilfen, und das, obwohl sie gute (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 27718 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021

Tabea Rößner (A) Unabhängig vom FFG: Zahlen Sie die Coronahilfen hältnissen. Es gilt, die Einnahmen zu sichern und flexible (C) endlich aus, und verstetigen Sie die! Denn bei der Film- Bedingungen zu schaffen, zum Beispiel dadurch, dass kultur geht es nicht um irgendwelches Chichi – anstatt einer Premiere im Kino die Erstaufführung über Streamingdienste erfolgt, aber die Kinos an den Erträgen Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: beteiligt werden. Frau Kollegin. Mit den vorliegenden Gesetzesänderungen werden Flexibilisierungen und die Ausnahmen möglich gemacht, Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): die wir in diesen Krisenzeiten brauchen. Dazu muss die – ich komme zum Schluss –, Rechtssicherheit geschaffen werden. Ebenso bedarf es Bestimmungen, die die Besetzung und die Zusammen- setzung von Gremien, zum Beispiel der Förderkommis- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: sionen, regeln, wenn die Berufung turnusgemäß enden Bitte. würde. Die Branche zeigt uns, dass sie mit guten Hygienekon- Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): zepten Filme produzieren und auf die Leinwand bringen sondern es geht um unseren gesellschaftlichen Reso- kann. Die Politik ist angehalten, diesen Anstrengungen nanzrahmen. Den werden wir nach der Krise deutlich Rechnung zu tragen; denn im Kino kann zum Beispiel ein stärker brauchen als zuvor. größerer Abstand für zwei Stunden leichter sichergestellt Vielen Dank. werden als in der Bahn. Zu den notwendigen und stren- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) gen Einschränkungen gehört auch der Mut, mit Augen- maß und in der Vergleichbarkeit mit ähnlichen Sachver- halten Öffnungsschritte zu wagen. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Jetzt erhält das Wort der Kollege Johannes Selle, CDU/ (Beifall der Abg. Elisabeth Motschmann CSU. [CDU/CSU]) (Beifall bei der CDU/CSU) Das befördert die Akzeptanz in Gänze. Das Kino wird schmerzlich vermisst. Kino und Restau- Johannes Selle (CDU/CSU): rant rangieren gleichauf bei den Sehnsüchten der Men- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kollegen! Selten schen nach Normalität. Ich rufe dazu auf, dass in der sprechen wir hier über das Filmförderungsgesetz. Dem nächsten Runde der Ministerpräsidenten erste Öffnungs- (B) steht gegenüber, dass Millionen Menschen täglich Filme schritte dazu beschrieben werden, und verstärke damit, (D) schauen und in der Filmbranche 125 000 Menschen be- was Kollege Rabanus vorhin schon eingebracht hat: Wir schäftigt sind. wollen, dass Deutschland Filmland bleibt, dass es unse- Deutschland ist Filmland. Das begann in der Geschich- ren Filmschaffenden ermöglicht wird, ihr Können zu zei- te, und in den letzten Jahren haben wir uns mit deutschen gen. Filmen auch immer besser präsentiert. Deutschland ist Herzlichen Dank. beliebter Filmproduktionsstandort, nicht nur in den Zent- ren, sondern auch im Kindermedienland Thüringen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Die Gültigkeit des aktuellen Gesetzes endet am Martin Rabanus [SPD]) 31. Dezember dieses Jahres; denn seine Laufzeit ist auf fünf Jahre begrenzt. Der deutsche Film bedarf der Förde- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: rung, so wie es in den anderen europäischen Ländern Voraussichtlich letzter Redner in dieser Debatte ist der auch ist. Deshalb brauchen wir ein fortentwickeltes Film- Kollege Dr. Volker Ullrich, CDU/CSU. förderungsgesetz. Denn auch die Erhebung der Abgaben und damit die Grundlage der Finanzierung würden enden. (Beifall bei der CDU/CSU) Demgegenüber steht nun, dass wir nicht, wie es einge- übte Praxis war, aus den aktuellen Erfordernissen das Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Gesetz in Abstimmung mit den Filmschaffenden novel- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- lieren können. Die Branche ist von den Einschränkungen, ren! Die Zeit für den Film ist im Augenblick noch die durch Corona notwendig sind, mit am meisten betrof- schwierig, und es ist nicht ganz absehbar, wie sich das fen. Allein der Filmförderungsanstalt fehlen 2020 20 Mil- weiterentwickelt. Wir wollen – heute ist die erste Le- lionen Euro an Einnahmen. Die gesamte Filmbranche sung – das Filmförderungsgesetz für weitere zwei Jahre erleidet einen Einbruch von 70 Prozent, circa 7 Milliarden fortführen, um damit der Unsicherheit zu begegnen. Euro. Aber ganz generell: Filme sind mit die wirkmächtigste Zusätzlich erhöhen sich die Kosten durch Hygieneauf- Kunst- und Kulturform. Sie sind ein Spiegel der Gesell- lagen, dann, wenn ein ganzes Set in Quarantäne gehen schaft und halten der Gesellschaft den Spiegel vor. Die muss, Schlüsselpositionen ausfallen, die Premieren nicht Kunst ist frei, und Filme kann man nicht allein in ökono- stattfinden können und in der Folge auch keine Einnah- mischen Dimensionen messen. Wir brauchen auch die men generiert werden. Deshalb trägt dieser Gesetzent- Förderung für Film, so wie wir eine Förderung von Kunst wurf den Charakter einer Brücke hin zu gewohnten Ver- und Kultur insgesamt in unserem Kulturstaat anstreben. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021 27719

Dr. Volker Ullrich (A) Die Coronapandemie hat den Film in eine Krise ge- Ich rufe die Tagesordnungspunkte 30 a bis 30 d sowie (C) bracht. Es sind Produktionen abgedreht, die nicht sofort Zusatzpunkt 25 auf: ins Kino kommen können. Die Frage ist aber, ob sie auf Streamingdiensten tatsächlich wirkungsvoll zur Geltung 30 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung kommen können oder ob das das richtige Format ist, viel- eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur leicht auch, weil der Dialog und die Begegnung nach dem Anpassung des Urheberrechts an die Film fehlen. Erfordernisse des digitalen Binnenmark- tes Ich bin überzeugt: Der Film braucht das Kino. – Aber Drucksache 19/27426 ein Aspekt ist ebenso wichtig: Ohne Lichtspielhäuser fehlt etwas in unseren Städten. Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab- schätzung Martin Rabanus [SPD]) Ausschuss für Kultur und Medien Ausschuss Digitale Agenda Das ist ein wichtiger Aspekt der sozialen Begegnung, des Diskurses und der Kultur. Ich will allen in dieser Branche b) Beratung des Antrags der Abgeordneten zurufen, dass wir hohen Respekt haben vor den Hygiene- Joana Cotar, Uwe Schulz, Dr. Michael maßnahmen, vor den Regelungen und vor den Vorsichts- Espendiller, weiterer Abgeordneter und der maßnahmen, die diese Branche eingeführt hat. Wenn es Fraktion der AfD sich bewahrheiten sollte, dass bei einer Teilbesetzung, Den Gesetzentwurf zur Anpassung des mit Luftfilteranlagen und Schnelltests eine Ansteckungs- Urheberrechts an die Erfordernisse des gefahr in den Kinos gering ist, dann müssen auch Kinos digitalen Binnenmarktes zurückziehen wieder in den Öffnungsplan aufgenommen werden; denn und Upload-Filter herausfiltern auch Kultur ist etwas, was den Menschen Perspektive und Hoffnung gibt. Drucksache 19/27853 Überweisungsvorschlag: (Beifall bei der CDU/CSU) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ich will noch auf einen Aspekt in diesem Gesetzent- Ausschuss für Kultur und Medien wurf eingehen, der mir wichtig ist: Neben den entscheid- Ausschuss Digitale Agenda enden Themen Geschlechtergerechtigkeit und Klima- c) Beratung des Antrags der Abgeordneten (B) schutz geht es auch um faire Arbeitsbedingungen. Das Dr. Petra Sitte, Doris Achelwilm, Simone (D) ist, glaube ich, etwas, was die Menschen, die an den Film- Barrientos, weiterer Abgeordneter und der sets arbeiten, erwarten können: dass sie sich nicht nur von Fraktion DIE LINKE prekärem Engagement zu prekärem Engagement hangeln müssen, sondern dass sie auch ein Stück weit mehr Pla- Rechtssicherheit für Forschung und Leh- nungssicherheit haben. Wir müssen eines deutlich ma- re – Bildungs- und Wissenschaftsschran- chen in der Gesellschaft: Auch diejenigen, die Kunst ken im Urheberrecht entfristen und Kultur schaffen, müssen von ihrer Arbeit gut leben können. – Das muss eine Gesellschaft auch wertschätzen, Drucksache 19/14155 meine Damen und Herren. Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und schätzung (f) der Abg. Martin Rabanus [SPD] und Erhard Ausschuss für Kultur und Medien Ausschuss Digitale Agenda Grundl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Federführung strittig Lassen Sie uns mit diesen Gedanken das Filmförde- d) Beratung des Antrags der Abgeordneten rungsgesetz jetzt fortführen und dann in der Zukunft Simone Barrientos, Dr. Petra Sitte, Doris über die große Novelle sprechen. Achelwilm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Herzlichen Dank. Verleihbarkeit Digitaler Medien durch (Beifall bei der CDU/CSU) Bibliotheken sichern Drucksache 19/14370

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Überweisungsvorschlag: Damit schließe ich die Aussprache. Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Ausschuss für Kultur und Medien (f) Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab- Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf schätzung den Drucksachen 19/27515, 19/27315, 19/25066, Ausschuss Digitale Agenda 19/27871, 19/27822, 19/27823 an die in der Tagesord- Federführung strittig nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es ZP 25 Beratung des Antrags der Abgeordneten Thomas weitere Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ver- Hacker, Katja Suding, Grigorios Aggelidis, wei- fahren wir wie vorgeschlagen. terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP 27720 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble (A) Ausleihe digitaler Güter in öffentlichen Biblio- Regelung eine echte Verbesserung; denn sie stärkt ihre (C) theken Verhandlungsposition gegenüber diesen sehr mächtigen Plattformen. Drucksache 19/23303 Überweisungsvorschlag: (Beifall bei der SPD) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für Kultur und Medien Zugleich behalten wir auch die Interessen der Nutz- Ausschuss Digitale Agenda erinnen und Nutzer im Blick; denn die neuen Pflichten Für die Aussprache ist eine Dauer von 30 Minuten für die Plattformen dürfen nicht dazu führen, dass auch beschlossen. erlaubte Inhalte blockiert werden. Wenn Sie bitte wieder Platz nehmen. Ich eröffne die Auf einer Linie mit der der Europäischen Kommission Aussprache und erteile das Wort der Bundesjustizminis- haben wir deshalb, wie ich finde, ein sehr innovatives terin Christine Lambrecht. Konzept entwickelt, nämlich das Institut der mutmaßlich erlaubten Nutzungen. Wie soll das aussehen? Geringfü- (Beifall bei der SPD) gige Nutzungen fremder Werke dürfen die Plattformen nicht vorsorglich schon blockieren. Diese Inhalte müssen Christine Lambrecht, Bundesministerin der Justiz zuerst einmal ins Netz gehen. Das Gleiche gilt für Inhalte, und für Verbraucherschutz: die von Nutzerinnen und Nutzern beim Hochladen als Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- erlaubt gekennzeichnet werden. Ich finde, das ist eine ren! Wir beraten heute Morgen eine sehr besondere ausgewogene Lösung, die zwischen diesen unterschied- Reform, nämlich die Reform des Urheberrechts. Sie erin- lichen Positionen die Balance hält und auch in Europa auf nern sich: 2019 haben das Europäische Parlament und der großes Interesse stößt. Rat die DSM-Richtlinie beschlossen – ein längst über- fälliges Update für das europäische Urheberrecht. Diese Darüber hinaus enthält unser Entwurf noch weitere Richtlinie setzen wir jetzt um. Ich kann Ihnen sagen: Das wichtige Regelungen. Dazu gehört, dass Urheberinnen ist eine höchst anspruchsvolle Aufgabe. und Urheber in Zukunft einen Direktvergütungsanspruch gegenüber den Plattformen erhalten. Ein Direktvergü- Viele von Ihnen erinnern sich vielleicht noch an die tungsanspruch! Das bedeutet, es darf nicht sein, dass aus- Bilder aus 2019, als Nutzerinnen und Nutzer, als viele gerechnet die Kreativen – wir haben in der Debatte davor aufgeregte Bürgerinnen und Bürger auf die Straße gegan- gehört, wie angespannt die Situation dort ist – auf der gen sind, gekämpft haben, weil sie Sorge hatten, dass Strecke bleiben, wenn die Verwertungsketten lang und (B) genau diese Richtlinie dazu führen wird, dass die Mei- kompliziert sind. Gerade bei digitalen Verwertungen ist (D) nungsfreiheit im Netz eingeschränkt wird, ihr Verhalten das extrem der Fall. im Netz reglementiert wird. Deswegen müssen wir zum einen dafür sorgen, dass (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Elisabeth diese Freiheit der Kommunikation im Netz erhalten Motschmann [CDU/CSU]) bleibt – beispielsweise die Freiheit des Zitats, die Freiheit Darüber hinaus passen wir noch das Urhebervertrags- der Karikatur, die Freiheit der Parodie –, aber wir müssen recht an. Wir sorgen da nämlich für mehr Transparenz, zum anderen auch dafür sorgen, dass Kreative und Krea- mehr Fairness und bessere Rechtsdurchsetzung, und wir tivwirtschaft besser an der Wertschöpfung im digitalen stärken den urheberrechtlichen Schutz der Presseverlage. Raum beteiligt werden, meine Damen und Herren. Das Wir erleichtern den Zugriff auf vergriffene Bücher, und zusammenzubringen, ist eine große Herausforderung. wir stellen sicher, dass die Verwertungsgesellschaft Wir sind sie angegangen, und ich bin der Meinung: Mit WORT fortbestehen kann. unserem Gesetzentwurf, den wir vorlegen, ist es uns auch gelungen. Meine Damen und Herren, es ist höchste Zeit, dass wir (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Tankred unser Urheberrecht an die veränderten technologischen Schipanski [CDU/CSU]) und ökonomischen Rahmenbedingungen anpassen. Ich sage es ganz offen: Manche unserer Regelungen stammen Unser Gesetz wird die Position der Kreativen und der noch aus der Steinzeit des Internets. – Mit diesem Ent- Kreativwirtschaft stärken und gleichzeitig die Freiheit im wurf haben wir jetzt ein Update vorgelegt, einen fairen Netz bewahren und auch in Einklang stehen mit den Kompromiss. Ich freue mich auf konstruktive, auf span- europäischen Vorgaben. nende Diskussionen, die sicherlich anstehen werden. Große Uploadplattformen wie Youtube und Facebook Vielen Dank. sind künftig für alle Inhalte, die sie zugänglich machen, urheberrechtlich verantwortlich. Das heißt ganz konkret: (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Wenn Plattformen geschützte Inhalte wiedergeben, dann der CDU/CSU) müssen sie von den Rechteinhabern diese Lizenzen erwerben – absolut neu, aber absolut notwendig. Wenn Rechteinhaber mit der Wiedergabe ihrer Werke nicht ein- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: verstanden sind, dann müssen die Plattformen verhin- Nächste Rednerin ist die Kollegin Joana Cotar, AfD. dern, dass diese geschützten Inhalte abrufbar sind. Für die Kreativen und die Kreativwirtschaft bringt diese (Beifall bei der AfD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021 27721

(A) Joana Cotar (AfD): Generell nicht geschützt sind Werke, die mehr als (C) Herr Präsident! Werte Kollegen! Vorneweg drei Zitate: 50 Prozent von einem anderen Werk enthalten. Das heißt „Eine Verpflichtung von Plattformen zum Einsatz von Memes, Mashups, Fan Art sind nicht mehr per se sicher. Upload-Filtern … lehnen wir als unverhältnismäßig Auch sie können eingeschränkt werden; auch hier haben ab.“ Koalitionsvertrag von der Union und der SPD, Sie nicht Wort gehalten. März 2018. – „Uploadfilter müssen verhindert werden.“ Der Europäische Gerichtshof hat bereits festgestellt, Jens Zimmermann, SPD, März 2019. dass eine Durchleuchtung aller Uploads auf etwaige (Zuruf von der SPD: Guter Mann!) Urheberrechtsverletzungen die Meinungs- und Informa- „Es wird in der nationalen Umsetzung keine Uploadfilter tionsfreiheit und die unternehmerische Freiheit der Platt- formanbieter ungebührlich einschränkt. Polen klagt jetzt geben.“ , CDU, März 2019. – Und was machen wir heute? Wir debattieren den Regierungsent- gegen diese Richtlinie, ausgerechnet Polen, das Land, auf wurf zur Urheberrechtsreform. Und was enthält er? das Sie so gerne mit dem Finger zeigen. Vielleicht retten die ja auch die Meinungsfreiheit in Deutschland, wenn Uploadfilter! Meine Damen und Herren von den Regie- rungsparteien, klarer kann man ein Wahlversprechen diese Regierung sie schon abschaffen möchte. nicht brechen. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der AfD) Meine Damen und Herren, im vorliegenden Entwurf Die Abgeordneten, die sich vor einiger Zeit so vehe- fehlt die Balance zwischen Nutzerrechten und den Rech- ment gegen diese Filter ausgesprochen haben, stehen nun ten der Urheber, und er greift tief in die Grundrechte ein. am Mikrofon und verteidigen sie. Liebe Kollegen, wir Die AfD hat daher einen Antrag vorgelegt, der eine digi- haben in der letzten Sitzungswoche über verlorenes Ver- talfreundliche Regulierung des Urheberrechts fordert, trauen in die Politik gesprochen. Vertrauen verliert man ohne Uploadfilter, der von einer Vergütungspflicht für nicht nur durch Maskendeals und Selbstbereicherung; Zitate absieht, kleine Diensteanbieter wirksamer schüt- Vertrauen verliert man auch mit gebrochenen Verspre- zen will und der die Bagatellgrenzen so ausweiten will, chen. dass eine Beschneidung der Meinungsfreiheit und Over- blocking ausgeschlossen werden. Neben einer Transpa- (Beifall bei der AfD) renzpflicht der Diensteanbieter wollen wir auch einen Und jammern Sie jetzt bitte hier nicht rum, dass es nicht ordentlichen Pre-Flagging-Mechanismus für die User anders möglich wäre, man müsse nun die ungewollten und einiges mehr. Denn eines steht fest: Die AfD steht Vorgaben aus der EU umsetzen. Ihre Parteien haben auf für ein freies Internet und für die Meinungsfreiheit – ohne EU-Ebene zugestimmt. Es lag in Ihrer Hand, die Upload- Netz-DG, ohne Uploadfilter und ohne Zensur. Bitte hel- (B) filter zu verhindern. Ein einfaches Nein hätte genügt. fen Sie uns dabei, und stimmen Sie unserem Antrag zu. (D) (Beifall bei Abgeordneten der AfD) Vielen Dank. Aber Ihnen sind die Proteste der jungen Leute, die zu (Beifall bei der AfD – Elisabeth Motschmann Zehntausenden auf die Straße gegangen sind, um für ihr [CDU/CSU]: Ganz sicher nicht!) freies Netz zu protestieren, einfach egal. Stattdessen schieben Sie sich jetzt gegenseitig den Schwarzen Peter Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: zu. Liebe CDU, wenn Sie das lockerer handhaben wollten Ansgar Heveling, CDU/CSU, hat jetzt das Wort. als die SPD, warum ist dann der Regierungsentwurf, der im Moment vorliegt, härter als der Diskussionsentwurf (Beifall bei der CDU/CSU) aus dem SPD-geführten Justizministerium? Ihr jetziger Entwurf gefährdet die Grundrechte auf Meinungsfreiheit Ansgar Heveling (CDU/CSU): in diesem Land, meine Damen und Herren. Sie haben Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heu- zum Beispiel die Bagatellgrenzen, also die Ausschnitte, te vor zwei Jahren hat das Europäische Parlament die die ein User hochladen darf, ohne dass sein Beitrag sofort DSM-Richtlinie, die Richtlinie zum digitalen Binnen- gefiltert und geblockt wird, weil die Rechtefrage nicht markt, verabschiedet. Nun, zwei Jahre später, beginnt geklärt ist, noch einmal heruntergeschraubt: für Film die finale Phase der Umsetzung in unser nationales und Ton maximal 15 Sekunden, für Fotos und Grafiken Recht. Erklärtes Ziel der EU ist es, mit der Richtlinie maximal 125 KB und für einen Text maximal 160 Zei- Anpassungen des Urheberrechts an die neuen Realitäten chen. 160 Zeichen! Das ist weniger als ein Tweet. Selbst vorzunehmen, Rechteinhaber besser zu schützen und eine der Name dieses Gesetzes ist länger. Wie weltfremd kann Zersplitterung des Urheberrechts in den Mitgliedstaaten man denn sein? Ihr Gesetzentwurf übertrifft mit seinen zu verhindern. Stichworte in diesem Zusammenhang Einschränkungen deutlich die Vorgaben der EU-Richtli- sind: die Förderung von Lizenzen und das Schließen nie. des sogenannten Value Gaps, der Wertschöpfungslücke bei digitaler Verwertung. Gut, gesetzlich erlaubt – wir haben es gehört – sind nun Parodien, Karikaturen und Pastiches, aber nur „sofern die Unsere Aufgabe als Deutscher Bundestag ist es nun, Nutzung in ihrem Umfang durch den besonderen Zweck das Umsetzungsgesetzeswerk daran zu messen, ob es gerechtfertigt ist.“ Was der besondere Zweck ist, das diesen Zielen der Richtlinie gerecht wird. Die Bundesre- kann noch nicht einmal das Justizministerium beantwor- gierung hat ein umfangreiches Gesetzeswerk einge- ten. Das sollen irgendwann mal die Gerichte klären. Mei- bracht, um die Richtlinie in deutsches Recht zu transfor- ne Damen und Herren, so macht man doch keine Gesetze. mieren. Es ist deutlich erkennbar und anzuerkennen, dass 27722 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021

Ansgar Heveling (A) sie mit dem Gesetzentwurf die unterschiedlichen Rechte Zeit, und haben wir dabei stets das besondere Ziel der (C) auszutarieren versucht. Dafür gilt der Bundesregierung Richtlinie im Auge, den Schutz der Rechteinhaber zu der herzliche Dank. verbessern. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung ist dafür aber eine gute Grundlage. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Martin Rabanus [SPD]) Vielen Dank. Schauen wir uns nun die Ziele der Europäischen Union (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. an, und stellen wir sie als Fragen an den Gesetzentwurf: Martin Rabanus [SPD]) Werden durch das Gesetz Anpassungen an die neuen Realitäten vorgenommen? Eindeutig ja. Mit den Rege- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: lungen etwa für Text- und Data-Mining wird ein Rechts- Nächster Redner ist der Kollege Roman Müller-Böhm, rahmen für neue Entwicklungen geschaffen. Mit dem FDP. Urheberrechts-Diensteanbieter-Gesetz wird neben das Urheberrechtsgesetz und das Verwertungsgesellschaften- (Beifall bei der FDP) gesetz ein neues Gesetzeswerk gestellt, das spezielle Re- gelungen für das Urheberrecht im Zusammenhang mit Roman Müller-Böhm (FDP): dem Internet enthält. Hier ist es wichtig, dass wir darauf Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen achten, dass trotz unterschiedlicher Gesetze ein Rechts- und Kollegen! Heute beraten wir die Modernisierung des rahmen bestehen bleibt. Geistiges Eigentum muss überall Urheberrechts in der digitalen Welt, wie ich finde, ein gleichermaßen rechtlich geschützt sein, egal ob die geis- ausgesprochen wichtiges Thema. Es ist gut, dass wir tigen Schöpfungen in der realen oder der digitalen Welt nun endlich dazu kommen. ihren Niederschlag finden. Aber, liebe Bundesregierung, ich muss mich dann (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und schon fragen – damit kommen wir direkt zum ersten des Abg. Martin Rabanus [SPD]) Thema, das die meisten Leute ja auch so bewegt –: Wie Werden durch die gesetzlichen Regelungen Rechtein- haben Sie das eigentlich geschafft? Sie haben sich in haber besser geschützt, und wird das Value Gap geschlos- Ihrem Koalitionsvertrag – damals, vor drei Jahren – ex- sen? Hier ist auf jeden Fall zunächst einmal positiv fest- plizit gegen die Einführung von Uploadfiltern bei Platt- zuhalten, dass durch das Urheberrechts-Diensteanbieter- formen ausgesprochen. Dann haben Sie sich vor zwei Gesetz erstmals Ansprüche auf Vergütung im Netz kon- Jahren im Beratungsprozess auf der EU-Ebene noch ein- stituiert werden. Insofern: Ja, es gibt Ansätze, das Value mal dafür starkgemacht, und auch hier im Plenum haben Gap zu schließen, und das Schutzniveau wird insgesamt Sie damals große Reden gehalten, dass Sie es verhindern (B) erhöht. wollen, dass solche Instrumentarien eingeführt werden. (D) Nun wissen wir es besser. Heute wissen wir ganz ein- Aber gleichzeitig wird natürlich auch mit den mutmaß- deutig: Es werden Uploadfilter kommen. Das ist schlecht. lich erlaubten Nutzungen eine neue Kategorie von Recht Da haben Sie klar das Versprechen an die Bürgerinnen geschaffen. Das Urheberrecht wird zwar materiellrecht- und Bürger dieses Landes gebrochen. lich nicht verändert, aber es wird eine mutmaßliche Erlaubnis konstruiert. Diese ist zwar vergütungspflichtig, (Beifall bei der FDP) aber es findet ohne Zweifel eine Beschränkung von Ich gestehe Ihnen zu: Eine ausdrückliche Verpflich- Exklusivrechten dadurch statt. Hier stellt sich zum einen tung für Plattformen, Uploadfilter zu verwenden, ist im die Frage nach dem Urheberpersönlichkeitsrecht; denn Gesetzentwurf nicht enthalten. für die Dauer der Vermutung wird das ausschließliche Recht des Urhebers natürlich beschränkt. Zum anderen (Elisabeth Motschmann [CDU/CSU]: Eben!) ist die Frage, ob sich daraus eine Kollision mit dem Allerdings – da können Sie auch jeden aus der Praxis erklärten Ziel der Förderung von Lizenzen ergeben fragen – ist es schwer vorstellbar, wie denn Uploadfilter kann. Ziel muss es sein, ein Gesetz zu verabschieden, umgangen werden sollen nach der Konstruktion, die Sie das die kritische Masse erzeugt, die etwa Plattformen nun vorgelegt haben. Deswegen können wir klar konsta- zum Abschluss von Lizenzen bewegt. Das ist aber auf tieren: Es werden Uploadfilter kommen. – Also haben Sie jeden Fall in dem Gesetz angelegt. das Versprechen gebrochen. Schließlich: Wird eine Zersplitterung des Urheber- (Beifall bei der FDP sowie der Abg. Dr. Götz rechts in den Mitgliedstaaten verhindert? Hier ist die Ant- Frömming [AfD] und Dr. Petra Sitte [DIE LIN- wort wohl eher nein; denn das deutsche Umsetzungsge- KE]) setz wählt andere Wege als das anderer europäischer Wir Freien Demokraten stehen dazu, dass natürlich Länder. Das kann eine Richtlinie aber auch nicht grund- auch im Internet die Urheberrechte geschützt werden legend verhindern, lässt sie eben doch immer Spielraum müssen. Es ist nur leider so, dass nach Ihrem Gesetzent- für nationale Regelungen. wurf jeder hochgeladene Inhalt grundsätzlich erst mal Da die Richtlinie umfassende Veränderungen im Urhe- einem Generalverdacht unterstellt wird und dass auch berrecht vornimmt, geschieht dies auch im deutschen die bloße Behauptung, dass etwas urheberrechtlich ge- Umsetzungsgesetz. Schlagworte seien genannt: Urheber- schützt sei, schon zu einer Sperrung führen kann. Genau vertragsrecht, Presseleistungsschutzrecht, Verlegerbetei- diese ungerechtfertigte Beeinträchtigung der Kunst- und ligung und vieles mehr. Uns stehen also intensive Bera- Meinungsfreiheit im Internet lehnen wir als FDP klar und tungen in den nächsten Wochen bevor. Nutzen wir die entschieden ab. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021 27723

Roman Müller-Böhm (A) (Beifall bei der FDP) Verletzung der EU-Richtlinie nicht dafür, dass die Sper- (C) Ich würde gerne noch auf einen weiteren Punkt ein- rung erlaubter und entsprechend gekennzeichneter Inhal- gehen, der nämlich quasi genau das Gegenteil darstellt: te durch automatisierte Filter verhindert wird. Diesen Auf der einen Seite versuchen Sie, die Nutzung von Missstand kann die Union nun nicht mehr wegdiskutie- Inhalten, die von Kreativen geschaffen worden sind, ren. Und wie haben Sie – das fand ich ja sehr putzig – irgendwie künstlich zu erschweren, teilweise auch darauf reagiert? Nicht etwa mit Korrektur, nee, nee. Ihre gerechterweise zu erschweren, auf der anderen Seite ma- erste Reaktion war, frühere Versprechen gegen den Ein- chen Sie es aber auch den Kreativen schwerer, indem Sie satz von Uploadfiltern von Ihrer Homepage zu löschen. jetzt nämlich die Einführung eines Direktvergütungsan- Liebe Freunde des Widerstandes, soweit es öffentliche spruches planen, der so in der Form auf europäischer Blamagen betrifft, hat die Union derzeit einen richtig Ebene eigentlich gar nicht gedacht war. Also bemängeln guten Lauf. wir an der Stelle nicht nur, dass er überhaupt kommt, sondern vor allem auch den nationalen Alleingang. Er (Beifall bei der LINKEN, der AfD und der FDP ist wahrscheinlich auch in der aktuellen Ausgestaltung sowie der Abg. Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/ verfassungswidrig, weil es nämlich ein massiver Eingriff DIE GRÜNEN]) in die Vertragsfreiheit und in die Urheberpersönlichkeits- Nicht genug damit: In der Protokollerklärung waren rechte ist, der aus unserer Sicht aktuell nicht gerechtfer- auch angemessene Vergütungen für Kreative verspro- tigt ist. chen. Nun sind die neuen Transparenzregeln und Direkt- (Beifall bei der FDP) vergütungsansprüche von Urheberinnen und Urhebern gegenüber Plattformen also durchaus sinnvolle Ansätze. Wir werden die Beratungen natürlich konstruktiv Dennoch wird am Kern des Problems nichts geändert. begleiten, haben allerdings nicht viel Hoffnung auf Ver- Kreative bekommen zu wenig, weil sie Verwertern und besserung durch Sie. Deswegen werden wir auch noch Plattformbetreibern in den Verhandlungen eben nicht auf weitere Vorschläge im Beratungsverfahren selbst einbrin- Augenhöhe gegenüberstehen. Einzeln hat man eh keine gen. Chance, und wenn man klagt, ist man raus, bekommt Vielen Dank. keine Angebote bzw. Aufträge mehr. Das muss aufhören. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Daher muss das Urhebervertragsrecht dringend ge- Petra Sitte, Die Linke, ist die nächste Rednerin. stärkt und erweitert werden, mehr als im Gesetz. Wir (B) brauchen das Verbandsklagerecht und verbindliche allge- (D) (Beifall bei der LINKEN) meine Vergütungsregeln, damit Kreative ihre Rechte kol- lektiv durchsetzen können. Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor zwei (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Tabea Jahren hat die Bundesregierung die EU-Urheberrechtsre- Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) form einerseits mitgetragen, andererseits eine Protokoll- erklärung hinterlegt. Mein Kommentar dazu damals: Meine Damen und Herren, leider bleibt mir keine Zeit, Die Bundesregierung hat mit ihrer ausschlaggeben- zu den von der Bundesregierung nicht berücksichtigten den Stimme den Weg frei gemacht für Uploadfilter. Erfordernissen von Bibliotheken, Bildungs-, Wissen- Niemand wird in Zukunft behaupten können, Union schafts- und Kultureinrichtungen zu sprechen. Sie haben und SPD hätten es nicht so gewollt … für dieses Gesetz – Frau Lambrecht hat selber gesagt, dass es eine sehr besondere Reform ist – 30 Minuten (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Debatte vorgesehen. Ich habe das Gefühl, Sie wollen Das Feigenblatt einer Protokollerklärung ändert damit Kritik ausblenden; „Fluchtverhalten“ nenne ich daran nicht viel. das. Stellen Sie sich öffentlich der Debatte, indem ange- messene parlamentarische Zeiten für diese Debatten vor- (Beifall bei der LINKEN) gesehen werden. Dem habe ich heutzutage nichts hinzuzufügen. Wis- send, dass Plattformen verpflichtet werden, Uploadfilter (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- einzusetzen, hat die Bundesregierung versprochen, diese neten der AfD – Martin Rabanus [SPD]: Strin- Uploadfilter weitestgehend unnötig zu machen. Das Ver- genter kann man doch gar nicht diskutieren! – sprechen haben Sie aber nicht nur gebrochen, nein, jetzt Gegenruf der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LIN- werden Uploadfilter sogar erweitert eingesetzt. Es ist völ- KE]: Ihr habt ja auch sieben Minuten! Da kann lig klar, dass es daran auch heftige Kritik gibt, vor allem ich auch ganze Romane erzählen!) von jenen, die damals zu Tausenden in Europa protestiert haben. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Drei Vorläufer hatte der heutige Gesetzentwurf. Man Tabea Rößner, Bündnis 90/Die Grünen, ist die nächste kann deshalb sehr gut sehen, welche Lobbyisten erfolg- Rednerin. reich waren, nämlich die Plattformvertreter und die Ver- werterindustrie. So sorgt nun die Bundesregierung unter (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 27724 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021

(A) Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Zum Presseleistungsschutzrecht – das ist ja in (C) Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zwei Jahre Deutschland krachend gescheitert – nur ein Satz: Wenn und viele Entwürfe hat es gedauert, bis der Gesetzentwurf es jetzt über die EU wiederkommen muss, dann bitte so, zur EU-Urheberrechtsreform auf dem Tisch lag. Dass die dass die Urheber/-innen mit einer Mindestquote daran Diskussion darüber gerade wieder sehr emotional und partizipieren. nicht immer ganz sachlich geführt wird, ist vor allem (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ein Verschulden dieser Bundesregierung. Sie haben die sowie der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]) Kulturschaffenden in der Krise im Regen stehen lassen. Skandalös ist die Verwässerung der Wissenschafts- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) schranke. Die vollständige Entfristung ist für Biblio- Damit schaden Sie dem wichtigen Anliegen, das Urhe- theken, Bildungs- und Forschungseinrichtungen wichtig. berrecht für das digitale Zeitalter fit und fair für alle zu Das sehen wir gerade in Zeiten von Corona. gestalten. Als Kultur- und Netzpolitikerin betone ich, dass vom neuen Urheberrecht in erster Linie die Kreati- Unser Fazit: Die aktuelle Schieflage muss beseitigt ven profitieren müssen. Aber genauso wenig dürfen die werden. Wir werden dazu Änderungsanträge einbringen. Rechte der Nutzer/-innen auf der Strecke bleiben. Die Vielen Dank. Informations- und Meinungsfreiheit darf im Netz keinen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Schaden nehmen. sowie der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir Grüne wollen eine angemessene Vergütung der Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Urheber/-innen. Dazu haben wir immer wieder Vorschlä- Nächster Redner ist der Kollege Tankred Schipanski, ge, gerade zum Urhebervertragsrecht, vorgelegt. Deshalb CDU/CSU. begrüßen wir auch, dass nun erweiterte Kollektivlizenzen und eine Auskunftspflicht samt Geltendmachung durch (Beifall bei der CDU/CSU) Verbände eingeführt werden. Tankred Schipanski (CDU/CSU): In einigen wichtigen Punkten gelingt der ausgewogene Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kol- Interessenausgleich allerdings nicht, und das ist die Folge leginnen und Kollegen! Mit dieser Novelle wollen wir Ihres unsäglichen Rumgeeieres zum Artikel 17. das Urheberrecht in das digitale Zeitalter führen. Jede (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Urheberrechtsnovelle – wir erleben das ja auch in dieser sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Debatte – ist mit einer lauten Begleitmusik unterlegt. Seit (B) Erst wollten Sie die Uploadfilter verhindern, dann damp- Monaten sind wir selbstredend mit den Betroffenen im (D) fen Sie ausgerechnet die Instrumente, die Missbrauch und Dialog. Overblocking abwenden, wie zum Beispiel das Pre-Flag- Im Urheberrecht – das hat Ansgar Heveling dar- ging, auch noch wieder ein. Sie haben Ihr Versprechen gestellt – geht es um einen Interessenausgleich. Der gebrochen, und das muss man hier auch ganz deutlich vorliegende Kompromissvorschlag ist ein solcher Inte- sagen. ressenausgleich, ein Ausgleich von Interessen von Nut- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zern, von Urhebern, also den Rechteinhabern, und den und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten Plattformen. Nutzer bekommen Rechtssicherheit bei der der FDP) Frage, wann und wie sie geschützte Inhalte nutzen und veröffentlichen dürfen. Bagatellausnahmen und das Pre- Statt Internetgiganten einzuhegen, werden diese Flagging ermöglichen es, Uploads als legal zu kennzeich- begünstigt, weil sie mit ihren Filtersystemen ihre Markt- nen und die erlaubte Nutzung von geschützten Inhalten macht jetzt auch noch ausbauen können. Zudem befürch- sicherzustellen. Autoren, Künstler, Kreative, Musiker, ten 19 renommierte Professorinnen und Professoren Journalisten und andere Urheber können ihr geistiges einen Dammbruch mit unüberschaubaren Risiken für Eigentum wesentlich besser und einfacher schützen und die Presse-, Kunst- und Meinungsfreiheit, wenn der ihr Recht durchsetzen; denn sie haben einen Anspruch über 50 Jahre alte Konsens zum Umgang mit Zitaten, auf faire Vergütung ihrer Leistung auch in der digitalen Parodien, Karikaturen aufgekündigt wird und diese nun Welt. Die Plattformen werden als dritter Player in die vergütet werden sollen. Dies kann weder im Sinne der Pflicht genommen und erhalten gleichzeitig selbst Kreativen noch unseres Rechtsstaats sein, der sich aus Rechtssicherheit. Sie müssen einen fairen Anteil ihrer dem freiheitlichen Meinungsbildungsprozess speist. Gewinne an die tatsächlichen Urheber weitergeben. Auf (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Urheberrechtsverletzungen aufgebaute unfaire Ge- Auf gar keinen Fall darf der Direktvergütungsanspruch schäftsmodelle werden unterbunden. wegfallen. Dieser ist notwendig, damit auch Bands und Die Rahmenbedingungen für diese Reform kommen Filmurheber/-innen angemessen vergütet werden, egal an aus Brüssel. Nicht alle haben sich über diese Vorgaben welcher Stelle sie in der Lizenzkette stehen. Er sollte aus Brüssel gefreut. Daher bin ich dankbar, dass die Bun- daher auf die ausübende Kreativbranche begrenzt wer- desregierung seinerzeit, im Frühjahr 2019, eine Pro- den. Verwerter brauchen diesen Schutz nämlich nicht. tokollerklärung zur Verabschiedung der Richtlinie ab- Die vorgesehene Verbandsklagemöglichkeit muss zudem gegeben hat und klarstellt, dass wir insbesondere die prozessrechtlich nachgebessert werden, damit die Kreati- Nutzerinteressen anerkennen und die Wirkung von ven ihre Rechte auch wirklich durchsetzen können. Uploadfiltern verhindern wollen. Ich denke, von dieser Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021 27725

Tankred Schipanski (A) Maxime wird auch die Entscheidung des EuGH zu der Uploadfilter dies nicht der Fall wäre, entsprechen nicht (C) Urheberrechtsrichtlinie, die wir für Sommer erwarten, den Tatsachen. Geringfügige Nutzungen für nutzergene- geprägt sein. rierte Inhalte werden erlaubt, und die urheberrechtliche Liebe Kolleginnen und Kollegen, unser Anliegen, Schrankenregelung wird um Karikatur, Parodie und Pas- Uploadfilter komplett unnötig zu machen, konnten wir tiche erweitert. Gleichzeitig – das ist wichtig zu betonen – nicht vollständig umsetzen; ja, das ist so. Aber das ist müssen aber auch diese Nutzungsformen von den Platt- doch kein gebrochenes Versprechen. Es ist uns gelungen, formen vergütet werden. die Wirkung von Uploadfiltern weitgehend zu verhin- Es ist in diesem Zusammenhang wichtig, zu betonen, dern. Wir vermeiden mit diesem Gesetzentwurf das dass es explizit auch Inhalt und Zielsetzung der EU- befürchtete Overblocking, also das Blockieren von lega- Richtlinie ist, die Interessen der Nutzerinnen und Nutzer len Inhalten. auf der einen Seite, aber auch der Rechteinhaber auf der (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – anderen Seite, also beide Seiten, im Blick zu haben, was Joana Cotar [AfD]: Das glauben Sie doch oftmals in der Debatte vergessen wird. Es ist kein selbst nicht!) Geheimnis, dass insbesondere die SPD hier natürlich die Künstlerinnen und Künstler, die Kreativen, also die Daher gehen die Vorwürfe mit Blick auf die Meinungs- eigentlichen Urheber, im Blick hat und sicherstellen will, freiheit und Ähnliches völlig fehl. dass diese tatsächlich ein angemessenes und faires Stück Ich kann nur uns gemeinsam raten, allen voran denen, vom Kuchen abbekommen. die hier diese Begleitmusik machen, das ohne Kampf- (Beifall bei der SPD) rhetorik zu tun. Worte wie „Beschränkung der Meinungs- freiheit“, „Enteignung der Rechteinhaber“ oder gar „das Durch den Direktvergütungsanspruch – das wurde ja ge- Leugnen von Nutzerinteressen im Netz“ tragen zu dieser rade von der Linken kritisiert – werden Kreative gestärkt. Debatte nicht bei. Es gibt einen Direktvergütungsanspruch, und das ist auch (Beifall des Abg. Florian Oßner [CDU/CSU]) zu begrüßen. Lassen Sie mich noch mal ausdrücklich feststellen: Natürlich – das gebe ich zu, wir sind ja hier in der Jede Schrankenregelung wird entschädigt. Dies gilt ersten Lesung, und wir finden diesen Gesetzentwurf pri- auch für die mutmaßlich erlaubten Nutzungen, durch ma und hervorragend – gibt es auch einige Punkte, bei die wir insbesondere die Netzkultur erhalten werden. denen wir noch Beratungsbedarf haben und versuchen werden, nachzubessern. Es muss gewährleistet sein, Jeder Gesetzentwurf erfährt Verbesserungen im parla- dass der Direktvergütungsanspruch den unterschiedli- mentarischen Verfahren, so auch dieser; davon bin ich (B) chen momentan vorherrschenden Lizenzierungsmodellen (D) überzeugt. Insofern freue ich mich auf die bevorstehen- nicht entgegensteht. den Beratungen, die wir selbstverständlich, Frau Kollegin Sitte und Frau Kollegin Rößner, auch mit der Opposition In den Transparenzvorschriften muss sichergestellt intensiv führen werden. sein – das wurde in der Debatte auch schon betont –, dass über die gesamte Verwertungskette Transparenz Vielen Dank. herrscht, wenngleich ich wiederum den Einwand von (Beifall bei der CDU/CSU) Sendern, auch öffentlichen, die sich an uns gewandt haben, verstehe, dass man hier auch auf Angemessenheit Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: und Praktikabilität achten muss. Das wird uns aber gelin- gen. Wir haben das im Blick. Wir sind hier auf einem Florian Post, SPD, ist der nächste Redner. guten Weg. Es ist ja, wie gesagt, erst die erste Lesung, (Beifall bei der SPD) und wir sind hier noch im parlamentarischen Verfahren. Zum Schluss möchte ich noch auf das Verbandsklage- Florian Post (SPD): recht eingehen. Es ist wichtig für die Rechtsdurchset- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und zung. Wir brauchen hier ein echtes Verbandsklagerecht. Kollegen! Wir haben es hier mit einem äußerst komple- Das heißt, die Vereinigungen müssen auch im eigenen xen Gesetzesvorhaben zu tun. Es geht um nichts anderes – Namen klagen können. Ich habe heute früh in einem die Frau Ministerin und viele meiner Vorrednerinnen und dpa-Ticker gelesen, dass hier eine Zwangskollektivierung Vorredner haben es schon betont – als um die Anpassung drohe. Das ist nicht der Fall. Auch hierzu werden wir des Urheberrechts an das digitale Zeitalter. Fast jeder von noch mal unseren Standpunkt deutlich machen und im uns ist in irgendeiner Art und Weise von diesem Urheber- weiteren Verfahren darüber reden. Im Übrigen werden recht betroffen, sei es als Rechteinhaber, sei es als Nutzer. wir auch über die Ausgestaltung des Red Buttons reden, Mit diesem Gesetzesbeschluss und -vorhaben findet ein um Missbrauch zu verhindern. Auch Verbesserungen für Paradigmenwechsel statt. Das ist auch die Grundlage für Wissenschaft und Forschung haben wir im Blick. Hier eine faire und angemessene Vergütung. Die Plattformen sind wir in guten Beratungen auch mit der Opposition. werden erstmals verpflichtet, Lizenzen zu erwerben, und Ich glaube, wir sind hier auf einem sehr, sehr guten Weg. Kreative erhalten einen Direktvergütungsanspruch. Danke für die Aufmerksamkeit. Auch Kollege Schipanski von der Union hat es gerade betont: Overblocking wird verhindert; damit wird auch (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten die Kommunikations- und Meinungsfreiheit gesichert. der CDU/CSU – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Alle Behauptungen, dass durch den Einsatz sogenannter Da sind wir mal guter Hoffnung!) 27726 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021

(A) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Ich will zu Uploadfilter noch etwas sagen. Sie sind (C) Voraussichtlich letzter Redner in dieser Debatte ist der nicht vorgeschrieben. Eine kleine Plattform schafft es Kollege Alexander Hoffmann, CDU/CSU. locker ohne Software, diesen Sorgfaltsanforderungen gerecht zu werden. Wenn Sie aber jetzt mit Feuer und (Beifall bei der CDU/CSU) Schwert gegen Varianten kämpfen, die Youtube, Face- book, Google zurate ziehen müssen, um dieser Sorgfalts- Alexander Hoffmann (CDU/CSU): pflicht gerecht zu werden, dann machen Sie Politik für Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und die großen Plattformen, Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Unsinn!) Urheberrechtsschutz ist Eigentumsschutz. Geistiges Ei- gentum ist in diesem Land genauso werthaltig und schüt- und dann müssen Sie sich schon fragen lassen, wie ernst zenswert wie Sacheigentum. Sie Urheberrechte, Autorenrechte, Künstlerrechte in die- sem Land nehmen. (Beifall der Abg. Elisabeth Motschmann (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. [CDU/CSU]) Martin Rabanus [SPD]) So wie jemand bei der Schöpfung einer Sache muss eben Ich freue mich auf die Beratungen. auch ein Autor, ein Musiker, ein Künstler vom Erfolg seines geistigen Eigentums profitieren können. Dieser Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. Schutz des geistigen Eigentums gilt in der digitalen (Beifall bei der CDU/CSU) Welt ebenso wie in der analogen Welt. Aber es gibt Besonderheiten im Netz, und dieser Ge- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: setzentwurf soll genau diesen Besonderheiten gerecht Damit schließe ich die Aussprache. werden. Ich will Ihnen ein Beispiel nennen: Ich bin Tagesordnungspunkte 30 a und b sowie Zusatz- begeisterter Karnevalist, war Karnevalsprinz. Mein Kar- punkt 25. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen nevalsverein macht dreimal im Jahr eine Veranstaltung. auf den Drucksachen 19/27426, 19/27853, 19/23303 an Da treten Büttenredner auf, Musiker, Garden, Männer- die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge- ballett. Oftmals ist das hinterlegt mit einer Musik, die schlagen. Gibt es weitere Vorschläge? – Das ist nicht der nicht lizenzfrei ist. Fall. Dann verfahren wir wie vorgeschlagen. (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Männer- Tagesordnungspunkt 30 c. Interfraktionell wird Über- ballett!) weisung der Vorlage auf der Drucksache 19/14155 an die (B) (D) Mein Karnevalsverein löst diese Lizenzrechte wie selbst- in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge- verständlich ab, weil er ja davon profitiert. Er betreibt schlagen. Die Federführung ist strittig. Die Fraktionen eine Bar, er verkauft Essen, er verkauft Getränke, er der CDU/CSU und SPD wünschen Federführung beim legt ein Abendprogramm auf, das mit Annoncen finan- Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz. Die Frak- ziert wird. tion Die Linke wünscht Federführung beim Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung. Wenn aber dann die Jugendgarde, die bei dieser Ver- Ich lasse zuerst abstimmen über den Überweisungsvor- anstaltung auftritt, ein paar Wochen später privat ent- schlag der Fraktion Die Linke. Wer stimmt für diesen scheidet: „Unser Tanz war so toll, alle haben sich gefreut, Vorschlag? – Die Linke, Bündnis 90/Die Grünen. Wer wir nehmen den auf und stellen ihn auf Youtube“, dann stimmt dagegen? – Die übrigen Fraktionen. Der Überwei- muss die Jugendgarde damit rechnen, dass, wenn der sungsvorschlag ist abgelehnt. Rechteinhaber der Musik bei Youtube anklopft und sagt: „Da ist meine Musik auf deiner Plattform ge- Dann lasse ich abstimmen über den Überweisungs- streamt“, Youtube den Rechteinhaber zur Jugendgarde vorschlag der Koalitionsfraktionen: Federführung beim schickt und sagt: Die Jugendgarde vom RCC Retzbach Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz. Wer stimmt ist zuständig, setz dich mit denen auseinander. dafür? – Die Koalitionsfraktionen, AfD, FDP. Wer stimmt dagegen? – Die Linke und Bündnis 90/Die Grü- Da sagen wir ganz klar: Das ist eine Schieflage. Das nen. Der Überweisungsvorschlag ist angenommen. können wir nicht hinnehmen, weil der Satz gelten muss: Der, der profitiert – das ist Youtube in dem Fall –, muss Tagesordnungspunkt 30 d. Die Vorlage auf Drucksache sich doch auch bitte um die Rechteverwertung kümmern. 19/14370 soll an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse überwiesen werden. Auch hier ist die Feder- (Beifall bei der CDU/CSU) führung strittig. Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD Wir haben im Netz eine Schieflage. Über 80 Prozent wünschen Federführung beim Ausschuss für Recht und aller Uploads von Musik und anderen künstlerischen Dar- Verbraucherschutz. Die Fraktion Die Linke wünscht bietungen finden auf den großen Plattformen statt: Youtu- Federführung beim Ausschuss für Kultur und Medien. be, Google, Facebook, Instagram. Bis heute lösen diese Ich lasse wieder zuerst über den Überweisungsvor- Plattformen nur einen marginalen Bruchteil der tatsäch- schlag der Fraktion Die Linke abstimmen. Wer stimmt lichen Lizenzrechte ab. Wenn wir Marktmacht durch dafür? – Die Linke. Wer stimmt dagegen? – Wer enthält Alleinstellungsmerkmale verhindern wollen – wie das sich? – Dann ist der Überweisungsvorschlag gegen die gelingt, hat Australien kürzlich demonstriert –, dann ist Fraktion der Linken mit den Stimmen des übrigen Hauses dieser Gesetzentwurf die einzig richtige Antwort. abgelehnt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021 27727

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble (A) Ich lasse jetzt abstimmen über den Überweisungsvor- d) Beratung der Beschlussempfehlung und des (C) schlag der Koalitionsfraktionen: Federführung beim Aus- Berichts des Ausschusses für Ernährung und schuss für Recht und Verbraucherschutz. Wer stimmt Landwirtschaft (10. Ausschuss) zu dem An- dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Keine. trag der Abgeordneten Stephan Protschka, Dann ist der Überweisungsvorschlag gegen die Stimmen Berengar Elsner von Gronow, Franziska der Fraktion Die Linke mit den Stimmen des übrigen Gminder, weiterer Abgeordneter und der Hauses angenommen. Fraktion der AfD Der Abgeordnete Stephan Brandner hat fristgerecht Lebensmittelverschwendung in Deutsch- Einspruch gegen einen in der letzten Sitzung erteilten land nachhaltig reduzieren Ordnungsruf eingelegt. Der Einspruch wird als Unter- Drucksachen 19/26222, 19/27899 richtung durch den Präsidenten verteilt. Gemäß § 39 der Geschäftsordnung ist der Einspruch auf die heutige ZP 26 Beratung der Beschlussempfehlung und des Tagesordnung zu setzen. Der Bundestag hat über den Berichts des Ausschusses für Ernährung und Einspruch ohne Aussprache zu entscheiden. Die Ent- Landwirtschaft (10. Ausschuss) zu dem Antrag scheidung über den Einspruch wird als Zusatzpunkt 38 der Abgeordneten Friedrich Ostendorff, Renate nach Tagesordnungspunkt 34 und den Zusatzpunkten 28 Künast, Harald Ebner, weiterer Abgeordneter bis 31 – das ist voraussichtlich gegen 14.15 Uhr – aufge- und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN rufen. Landwirtschaft eine Zukunft geben – EU- Jetzt rufe ich die Tagesordnungspunkte 31 a bis 31 d Agrarpolitik neu ausrichten und ambitioniert sowie die Zusatzpunkte 26 und 27 auf: umsetzen 31 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Drucksachen 19/25796, 19/26782 (neu) Stephan Protschka, Peter Felser, Franziska ZP 27 Beratung der Beschlussempfehlung und des Gminder, weiterer Abgeordneter und der Berichts des Ausschusses für Ernährung und Fraktion der AfD Landwirtschaft (10. Ausschuss) zu dem Antrag Deutsche Landwirtschaft stärken – Bäuer- der Abgeordneten Friedrich Ostendorff, Gerhard liche Familienbetriebe in Deutschland Zickenheiner, Harald Ebner, weiterer Abgeordne- nachhaltig schützen und erhalten ter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN Drucksache 19/27699 Grünland- und Klimaschutz verbessern, (B) Überweisungsvorschlag: (D) Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f) Ackerstatus bei dauernder Grünlandnutzung Ausschuss für Wirtschaft und Energie erhalten Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Drucksachen 19/25006, 19/25421 b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Für die Aussprache wurde eine Dauer von 60 Minuten Stephan Protschka, Stephan Brandner, Peter beschlossen. Felser, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der AfD Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Stephan Protschka, AfD. Deutsche Landwirtschaft stärken – Her- kunftskennzeichnung von Lebensmitteln, (Beifall bei der AfD) um Bürgern eine selbstbestimmte und transparente Kaufentscheidung zu ermög- Stephan Protschka (AfD): lichen Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Grüß Gott, liebe Gäste, zu Hause am Fernseh- Drucksache 19/27698 gerät und vor allem auch an unsere Bauern draußen auf Überweisungsvorschlag: der Straße! Seit mittlerweile zwei Jahren sind die deut- Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz schen Bauern regelmäßig auf der Straße, um gegen die bauernfeindliche Agrarpolitik der schwarz-roten Bundes- c) Beratung des Antrags der Abgeordneten regierung zu protestieren. Diesen Dienstag waren wieder Stephan Protschka, Peter Felser, Franziska Hunderte Bauern in Berlin. In der „Tagesschau“ wurde Gminder, weiterer Abgeordneter und der das übrigens schon wieder verschwiegen. An dieser Stel- Fraktion der AfD le einen freundlichen Gruß an alle Bauern, die es am Deutsche Landwirtschaft stärken – Ver- Dienstag nach Berlin geschafft haben, und an alle, die sorgung mit frischem Obst und Gemüse in Berlin bleiben, um weiter zu demonstrieren. Haltet gewährleisten durch, wir stehen an eurer Seite! Drucksache 19/27697 (Beifall bei der AfD)

Überweisungsvorschlag: Es war mir und meiner Fraktion deshalb eine Herzensan- Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f) gelegenheit, die heutige Debatte im Deutschen Bundes- Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit tag zu beantragen und gleich vier wichtige Anträge zur Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Stärkung der deutschen Landwirtschaft einzureichen. 27728 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021

Stephan Protschka (A) Sehr geehrte Damen und Herren, worum geht es Artur Auernhammer (CDU/CSU): (C) eigentlich bei den Bauernprotesten? Es geht um die feh- Verehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen lende Zukunftsperspektive. Die bäuerlichen Familienbe- und Herren! Ja, es gibt Bauerndemonstrationen. Es gab triebe sind seit Jahren einem massiven wirtschaftlichen sie auch in den letzten Jahren; es gab sie schon immer. Druck ausgesetzt, und das Problem ist leider hausge- Auch ich war vor meiner Zeit im Deutschen Bundestag macht. Sie, liebe Kollegen von der Bundesregierung, las- öfter aktiv an solchen Demonstrationen beteiligt, und ich sen sich seit Jahren von Kampagnen der millionenschwe- stehe dazu. ren Umwelt-NGOs vor sich hertreiben und belasten die Bauern in immer kürzeren Abständen mit neuen Aufla- (Rainer Spiering [SPD]: Hört! Hört! Jetzt wis- gen und Verboten. Erkennen Sie denn gar nicht, dass es sen wir, woher das kommt! – Frank Sitta diesen NGOs gar nicht um wissenschaftliche Fakten und [FDP]: Wilde Zeiten! – Umweltschutz geht? Es ist ein Geschäftsmodell. Mit [CDU/CSU]: Damals gegen Rot-Grün! Ist Fake News und emotionalen Schauermärchen lassen doch klar!) sich nun mal sehr viel mehr Spendengelder abgreifen. – Bevor Sie sich richtig aufregen: Ich sage jetzt nicht, Deutschland ist aber keine abgeschottete Insel, meine gegen wen oder wofür ich demonstriert habe. Damen und Herren. Während Sie mit Ihren Verboten die In diesem Jahr waren an einem Tag, an dem wir hier im landwirtschaftlichen Produktionskosten immer weiter in Deutschen Bundestag der dunkelsten Zeit der deutschen die Höhe treiben, müssen sich unsere Bauern dem inter- Geschichte gedacht haben, dem Holocaust-Gedenktag, nationalen Wettbewerb stellen. Sie müssen mit billigen auch Landwirte unterwegs – mit fragwürdigen Symbolen Dumpingimporten konkurrieren, bei deren Erzeugung an ihren Traktoren. Sie fuhren am Holocaust-Mahnmal Umweltschutz, Tierschutz und Arbeitsschutz in der Regel vorbei. Sie fuhren an der Stelle vorbei, wo die Neue keine Rolle spielen. Das ist nicht fair, meine Damen und Reichskanzlei stand. Sie fuhren dort laut hupend vorbei. Herren! An der Seite dieser Demonstranten stehe ich nicht; ich (Beifall bei der AfD) will mich klipp und klar von solchen Demonstrationen distanzieren. Viel zu hohe Kosten und viel zu niedrige Erlöse bedeu- ten niedrige Gewinne. Kein Wunder also, dass jedes Jahr (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der Tausende landwirtschaftliche Familienbetriebe ihre Hof- LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- tore für immer schließen müssen. Das wollen wir ändern. NEN) Helfen Sie uns dabei, die bäuerlichen Familienbetriebe zu Ich hatte schon immer ein Problem damit, wenn mit retten! Wir müssen weg von planwirtschaftlichen Ansät- der ehrlichen Arbeit unserer Bäuerinnen und Bauern (B) zen und Verbotspolitik und uns wieder auf die soziale populistische Politik gemacht wird, egal von welcher (D) Marktwirtschaft zurückbesinnen. Wir fordern weniger Seite oder welcher Fraktion dieses Hauses. Unsere Bäue- Bürokratie, größere unternehmerische Entscheidungs- rinnen und Bauern arbeiten fleißig und ehrlich, und sie spielräume und europäische Wettbewerbsgleichheit. Die haben unseren Respekt und unsere Anerkennung ver- Kosten müssen runter, und gleichzeitig müssen wir die dient. Das vermisse ich. Vermarktung heimischer Lebensmittel mit marktwirt- schaftlichen Instrumenten stärken. Eine große Mehrheit (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Deutschen wünscht sich heimische Lebensmittel, der SPD) kann die Herkunft im Supermarkt aber meist gar nicht erkennen. Deshalb fordern wir eine verpflichtende Her- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: kunftskennzeichnung aller Lebensmittel. Herr Kollege Auernhammer, der Kollege Protschka (Beifall bei der AfD) würde gerne eine Zwischenfrage stellen. Sehr geehrte Damen und Herren, ich bin der festen Überzeugung, dass nachhaltiger Umweltschutz, Tier- Artur Auernhammer (CDU/CSU): schutz und Artenschutz nur gemeinsam mit wirtschaftlich Nein, bitte nicht noch mehr. starken bäuerlichen Familienbetrieben möglich ist, die ihre eigene Scholle bewirtschaften. Helfen Sie uns dabei, (Beifall der Abg. Albert Stegemann [CDU/ die deutsche Landwirtschaft zu schützen und bäuerliche CSU] und [BÜNDNIS 90/DIE Familienbetriebe zu erhalten. Vergessen wir bitte nicht: GRÜNEN]) Stirbt der Bauer, stirbt das Land! Man bringt Anträge in den Deutschen Bundestag ein, Danke schön, meine Damen und Herren. die schön klingen und sich draußen vielleicht gut ver- markten lassen, die aber mit der Realität wenig am Hut (Beifall bei der AfD) haben. Es ist schön, wenn man soziale Marktwirtschaft verlangt. Gut, wir haben die soziale Marktwirtschaft ein- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: geführt. Nächster Redner ist der Kollege Artur Auernhammer, (Zuruf des Abg. Franziska Gminder [AfD]) CDU/CSU. Aber auch die Marktpreisentwicklung hat ihre eigene (Beifall bei der CDU/CSU – Albert Stegemann Dynamik. [CDU/CSU]: Schaff mal ein bisschen Klarheit, Artur!) (Franziska Gminder [AfD]: Ach!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021 27729

Artur Auernhammer (A) Und wo wir hinkommen, wenn wir zu sehr in Markt- Dafür brauchen wir Bagatellgrenzen, gerade für klein- (C) systeme eingreifen, haben wir in der Vergangenheit gese- und mittelbäuerliche Betriebe, die ehrlich arbeiten. Da hen: Milchseen, Butterberge, volle Fleischlager. Diese brauchen wir wirklich effektive Erleichterungen. Dinge müssen wir anders regulieren. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Wenn die AfD hier Anträge einbringt, ist das ihr demo- neten der FDP – Dr. Gero Clemens Hocker kratisches Recht. Aber ich will schon sagen: Es sollte [FDP]: Denn man zu!) auch inhaltlich richtig sein. Ich wäre froh, wenn alle, die in den letzten Tagen die (Franziska Gminder [AfD]: Ist es!) Verhandlungen bei der Agrarministerkonferenz blockiert haben, etwas mehr Sachverstand und weniger Emotionen In einem Ihrer Anträge steht, der Deutsche Bundestag in die Diskussion einbringen würden. Dann wären wir habe das Insektenschutzgesetz bereits beschlossen. Nur mit der Entscheidung zur Gemeinsamen Agrarpolitik mal so zum demokratischen Ablauf: Die Bundesregie- schon wesentlich weiter und hätten schon eine wesentlich rung bringt einen Gesetzentwurf in den Bundestag ein. bessere Grundlage für die Zukunft. Wir beraten diesen in erster Lesung, dann in den Aus- schüssen, machen vielleicht noch eine öffentliche Anhö- Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn wir, rung dazu und beschließen dann darüber in zweiter und gerade nach dieser Coronapandemie, ein hohes Interesse dritter Lesung. Das alles machen wir in diesem Fall nach an einer guten Selbstversorgung mit Lebensmitteln, aber Ostern. Der Deutsche Bundestag hat die Vorlage des Bun- auch anderen Produkten in Deutschland haben, dann deskabinetts zum Insektenschutzgesetz noch nicht be- müssen wir gerade unsere bäuerliche Landwirtschaft stär- schlossen. Das zu Ihrer Information. ken. Dafür müssen wir die Instrumente in die Hand neh- men, die uns die Gemeinsame Agrarpolitik gibt. Ich bin (Dieter Stier [CDU/CSU]: Da steht sozusagen zuversichtlich, dass uns das in nächster Zeit, in den letz- was Falsches drin!) ten Tagen dieser Legislaturperiode, noch gelingen wird. Ich glaube, man muss hier auch mal das eine oder andere Diskussionen zur Agrarpolitik sind immer sehr leiden- klarstellen. schaftlich. Das ist gut so; denn unsere Bäuerinnen und (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Bauern arbeiten auch mit Leidenschaft. ordneten der SPD) Danke schön. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ja, es wäre (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- wunderschön, wenn der deutsche Verbraucher nur deut- neten der SPD – Rainer Spiering [SPD]: Artur, sche Lebensmittel kaufen und essen würde. Es wäre auch hast du gut gemacht! Und ich rechne dir hoch (B) schön, wenn die Menschen in Niederbayern nur die nie- an, dass du auch zu den Demonstranten gehört (D) derbayerischen Autos und keine anderen Autos kaufen hast!) würden (Zuruf der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/ Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: DIE GRÜNEN]) Nächster Redner ist der Kollege Dr. Gero Hocker, FDP. und wenn keine niederbayerischen Autos zum Beispiel (Beifall bei der FDP) nach Mittelfranken exportiert würden. Wäre das wirklich so schön? Also bitte, ich habe daran Zweifel. Dr. Gero Clemens Hocker (FDP): (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Werter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kolle- Dr. [SPD]) gen! Die AfD fordert ja immer, dass man sich mit ihren Anträgen fachlich und inhaltlich auseinandersetzt. Ich Es gehört auch dazu, dass wir in Deutschland eine verspreche Ihnen, dass ich genau dies in den kommenden Vielfalt an Nahrungsmitteln haben. Wir können dankbar Minuten tun werde und sehr deutlich machen werde, dass sein für diese Vielfalt. Wenn wir hier zu wenig Obst und das, was Sie fordern, den landwirtschaftlichen Praxistest Gemüse anbauen, hat das vielleicht auch damit zu tun, zu keiner Sekunde besteht und dass das, was Sie hier dass Südfrüchte und Zitrusfrüchte wie Bananen und aufgeschrieben haben, Herr Kollege Protschka, diametral Orangen noch nicht in Deutschland wachsen. Gut, jetzt den Forderungen entgegensteht, die die AfD sonst hier leugnen Sie den Klimawandel; vielleicht ändert sich erhebt. Ihnen geht es darum, sozusagen wie ein Staub- daran noch etwas. Aber Bananen und Orangen haben sauger all diejenigen, die zu Recht mit der Landwirt- auch einen Migrationshintergrund. Wahrscheinlich haben schaftspolitik dieser Bundesregierung unzufrieden sind, Sie deswegen ein Problem damit. einzusammeln. Aber ich sage Ihnen: Die Landwirte in (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU so- Deutschland sind viel zu schlau, um diesem rückwärts- wie bei Abgeordneten der SPD und des gewandten Irrsinn auf den Leim zu gehen. BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Meine sehr verehrten Damen und Herren, ja, ich weiß der CDU/CSU) auch um das wahnsinnige Bürokratiemonster. Wenn man Sie widmen einen ganzen Antrag der Frage, wie man Landwirtschaft betreibt, dann sitzt man verdammt noch es erleichtern kann, dass Saisonarbeitskräfte aus Südeu- mal viel zu lange am Schreibtisch und zu wenig auf dem ropa und Osteuropa – Stichwort „Arbeitsmigration“ – Traktor oder ist zu wenig im Stall unterwegs, um sich um nach Deutschland kommen, hier untergebracht und ein- seine Tiere zu kümmern. Daran muss sich etwas ändern. gesetzt werden können. Ausgerechnet Sie, die Sie sonst 27730 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021

Dr. Gero Clemens Hocker (A) keine Gelegenheit auslassen, Arbeitsmigration nach Mit Ihrer Agrarpolitik – das haben Sie von der AfD (C) Deutschland zu diskreditieren, und immer wieder be- heute wieder sehr deutlich gemacht – propagieren Sie haupten, dass es die Ausländer sind, die für alles, was geschlossene Grenzen, was eigentlich niemand will, am in unserem Land vielleicht nicht ganz gerade läuft, ver- allerwenigsten die Landwirtschaft in Deutschland. antwortlich sind! Ausgerechnet Sie, die Sie in Ihrem Pro- gramm fabulieren, dass Grenzen umgehend geschlossen Herzlichen Dank. werden sollten, um Massenmigration in unser Land und (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten seine Sozialsysteme durch überwiegend beruflich unqua- der CDU/CSU – Albert Stegemann [CDU/ lifizierte Asylbewerber sofort zu beenden! Ausgerechnet CSU]: Stimmt! Sehr gut!) Sie, wo doch Ihr Kollege Curio noch vor zwei Tagen, als wir hier die Bundeskanzlerin über das pandemische Geschehen in Deutschland befragt haben, insinuiert hat, Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: dass die steigenden Inzidenzen darauf zurückzuführen Nächste Rednerin ist die Kollegin Ursula Schulte, sind, dass es zu viele Ausländer in Deutschland gibt! SPD. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich sage es (Beifall bei der SPD) hier in aller Öffentlichkeit: Hier macht sich der Bock selber zum Gärtner. Ursula Schulte (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der Kollegen! Wir beraten heute verschiedene Anträge der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNIS- AfD und der Grünen, die sich alle mit dem Thema SES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. „Ernährung und Landwirtschaft“ befassen. Ich will Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]) mich auf den Antrag zum Thema Lebensmittelver- schwendung konzentrieren, erstens weil das, wie ich fin- Herr Kollege Protschka, es ist doch quasi die DNA de, ein wichtiges Thema ist, zweitens weil mir das Thema Ihrer Partei, den Leuten weiszumachen, man müsse nur am Herzen liegt und drittens weil ich – in Anlehnung an zurück ins Jahr 1954 – Sie haben es eben selber noch mal die Rede von Artur Auernhammer – eine gewisse Leiden- gesagt –, als der deutsche Bauer seine Scholle bewirt- schaft für dieses Thema entwickelt habe. schaftet und sich selber versorgt hat, am Samstag auf den Wochenmarkt gefahren ist und das verkauft hat, Ich denke, Sie werden mir alle zustimmen, wenn ich was er übrig hatte, und vielleicht noch einen Hofladen sage, Lebensmittelverschwendung dürfte es eigentlich hatte. Das würde Lebensmittelautarkie in Deutschland nicht geben. Lebensmittelverschwendung ist ein großes (B) erwirken. Was für ein Irrsinn, meine sehr verehrten Da- Problem, und zwar eines, das viel zu lange von uns allen (D) men und Herren! Wir sind in Deutschland darauf ange- vernachlässigt wurde. wiesen, dass Menschen zu uns kommen, die den Spargel (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ernten oder die Erdbeeren vom Feld holen, weil das eine der CDU/CSU und des Abg. Stephan Protschka gesellschaftliche Bereicherung ist und weil es eine volks- [AfD]) wirtschaftliche Notwendigkeit ist. Das, was Sie propagie- ren, gehört ins vorletzte Jahrhundert und hat nichts in Je nach Studie landen in Deutschland pro Jahr zwischen diesem Deutschen Bundestag zu suchen. 12 und 18 Millionen Tonnen Lebensmittel im Müll und damit genau dort, wo sie ganz bestimmt nicht hingehören. Da sehr viel Obst und Gemüse weggeworfen wird, spie- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten gelt sich darin auch die Wertschätzung für die Arbeit der der CDU/CSU) Landwirte wider. Das, denke ich, ist ein besonderes Argu- ment, um gegen die Lebensmittelverschwendung anzu- Ich sage Ihnen ganz ausdrücklich: Unsere Aufgabe ist gehen. es nicht, über nationalstaatliche Lösungen zu fabulieren und darüber, dass Grenzen wieder geschlossen werden Dieser Zustand ist aus mehreren Gründen nicht hin- müssen. Es ist ja gerade ein Problem, dass wir zu viel nehmbar. Zum einen ist eine Gesellschaft, in der ein- Nationalstaatlichkeit in Deutschland haben und wir häu- wandfreie Nahrungsmittel massenhaft weggeworfen wer- fig auf all das, was aus Europa kommt, noch etwas oben- den, ethisch auf dem falschen Weg. Man muss sich doch drauf setzen. Im Gegenteil, unsere Aufgabe ist es, dafür vor Augen halten, dass 700 Millionen Menschen auf der zu streiten, dass es in einem europäischen Binnenmarkt Welt hungern – Tendenz steigend, auch bedingt durch die zu einer Angleichung von Wettbewerbsstandards kommt. Coronapandemie –, während wir in Deutschland Brot Gegenwärtig haben wir die Situation, dass der Landwirt aussortieren, weil es vom Vortag ist, oder Tomaten, weil aus Südeuropa oder aus Osteuropa zu viel niedrigeren sie eine Macke haben. Was für ein Luxus, was für eine Standards produzieren kann und deswegen natürlich Verschwendung! Zum anderen verursacht Lebensmittel- einen Wettbewerbsvorteil hat. Es ist unsere Aufgabe als verschwendung hierzulande etwa 4 Prozent der gesamten Parlamentarier, im europäischen Kontext, aber auch bei Treibhausgasemissionen und befeuert damit den Klima- Freihandelsabkommen wie Mercosur dafür zu sorgen, wandel. In jedem produzierten Lebensmittel stecken dass es ein fairer Wettbewerb ist. Es kann doch nicht wertvolle Ressourcen: Wasser, Boden, Energie, Arbeits- sein, dass wir Rinderhälften aus Südamerika importieren kraft. Das alles war sozusagen für die Katz, wenn das und dafür der Regenwald abbrennt. Hier müssen wir ver- Lebensmittel am Ende nicht konsumiert, sondern wegge- handeln. schmissen wird. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021 27731

Ursula Schulte (A) Was müssen wir also tun, liebe Kolleginnen und Kol- (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. (C) legen, wenn wir unser Ziel erreichen wollen, bis 2030 die [SPD]) Lebensmittelverschwendung zu reduzieren? Zum einen Kein Mensch sollte so arm sein, dass er auf den Gang zur brauchen wir verlässliche Daten. Wir haben zwar seit Tafel angewiesen ist. Anfangs stand bei der Tafelbewe- 2019 mit der sogenannten Baseline-Studie des Thünen- gung auch nicht die Bekämpfung der Armut im Vorder- Instituts eine Grundlage, anhand derer wir künftige Erfol- grund, sondern die Lebensmittelrettung. Die Tafeln sind ge messen können. Doch selbst die Autoren der Studie für mich die Kompetenzzentren in Sachen Lebensmittel- gestehen ein, dass vieles auf Schätzungen beruht, deren rettung schlechthin. Und ich wünsche mir, dass auch die Aussagekraft eben begrenzt ist. Deshalb muss sich die Kundinnen und Kunden der Tafel ein anderes Selbstbe- Datenlage verbessern, auch durch mehr Transparenz der wusstsein entwickeln. Schließlich bewahren sie Jahr für Unternehmen. Jahr über 260 000 Tonnen kostbare Lebensmittel vor der Liebe Kolleginnen und Kollegen, Daten sind das eine. Vernichtung und tun damit Gutes für die Umwelt und für Wir müssen aber vor allem entlang der gesamten Wert- das Klima. Wir sollten vielleicht einmal gemeinsam schöpfungskette Lebensmittelverluste reduzieren oder, schauen, wie wir diesen Aspekt stärker in den Vorder- wenn möglich, vermeiden. Das fängt auf dem Acker an grund rücken können, ohne den Kampf für soziale Ge- und hört bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern auf. rechtigkeit aufzugeben. Jede und jeder Einzelne von uns kann da etwas tun, indem (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der er überlegter einkauft, besser lagert und Reste verwertet. LINKEN) Verschwendung im eigenen Haushalt wird so vermieden. Der gute alte Einkaufszettel – analog oder digital – kann Ohne die Tafeln – davon bin ich zutiefst überzeugt – da sehr hilfreich sein. werden wir unser Ziel, die Lebensmittelverschwendung zu halbieren, nicht erreichen. Deswegen ärgert es mich Allerdings, finde ich, macht man es sich zu einfach, auch maßlos, dass immer wieder ganze Lkw-Ladungen wenn man die Schuld nur bei den privaten Haushalten mit gespendeten Lebensmitteln abgelehnt werden müs- sucht. Stattdessen müssen auch alle anderen Bereiche in sen, weil es den Tafeln an Lager-, Kühl- und Transport- die Verantwortung genommen werden, möglichkeiten fehlt. Im Haushalt 2021 haben wir deshalb (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- auf SPD-Initiative Mittel bereitgestellt, um die Tafeln neten der SPD und der Abg. Renate Künast hier zu unterstützen. Das ist ein weiterer wichtiger Schritt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) hin zu weniger Lebensmittelverschwendung. von der Primärproduktion über die Verarbeitung bis hin Liebe Kolleginnen und Kollegen, leider kann unser zum Handel und zur Außer-Haus-Verpflegung. Mit der derzeitiger Lebensabschnittsgefährte dem gesetzlichen (B) Nationalen Strategie zur Reduzierung der Lebensmittel- Wegwerfstopp für Lebensmittel, wie ihn Frankreich (D) verschwendung hat die Bundesregierung deshalb einen 2016 eingeführt hat, nichts abgewinnen, dabei ist das Ansatz entwickelt, der alle Stufen der Wertschöpfungs- Gesetz durchaus positiv zu bewerten. Das finde ich sehr kette umfasst. Das ist gut. Ich will auch nicht in Abrede schade. Das werden wir natürlich, wenn wir die Wahlen stellen, dass von Dialogforen und freiwilligen Zielver- gewinnen und dann an der Regierung beteiligt sind, einbarungen – das sind die wesentlichen Säulen der Stra- wovon ich fest ausgehe, ändern. tegie – Impulse ausgehen können. Erfahrungen aus ande- (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Harald ren Zusammenhängen zeigen aber klar und deutlich, dass Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: mit freiwilligen Selbstverpflichtungen a) die Ziele in der Genau!) Regel nicht erreicht werden und b) zu viel Zeit ungenutzt verstreicht. Wer etwas wegwirft oder Sachen unbrauchbar macht, sollte Strafe zahlen. Das ist unsere Losung. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und Es gibt noch viele weitere Stellschrauben. Obwohl ich der Abg. Martin Rabanus [SPD] und Renate sieben Minuten Redezeit hatte, läuft mir die Zeit davon. Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich will nur an die eco-Plattform und an eine Studie zum Beispielhaft genannt seien hier Sorgfaltspflichten in der sogenannten Lebensmittelcoaching erinnern. Auch intel- Lieferkette, unlautere Handelspraktiken oder die Reduk- ligente Verpackungen unterstützen wir schon finanziell. tion von Zucker, Fett und Salz in Fertigprodukten. Des- Und zum Mindesthaltbarkeitsdatum mache ich noch ein- halb plädieren wir als SPD für entschlossenere Schritte. mal darauf aufmerksam, dass viele Verbraucherinnen und So sollten wir auch endlich aufhören, den vielen enga- Verbraucher Mindesthaltbarkeitsdatum und Verbrauchs- gierten Lebensmittelretterinnen und -rettern die Arbeit datum oft verwechseln. „Zu gut für die Tonne!“ ist ein unnötig zu erschweren. Wir müssen dringend haftungs- wunderbares Mittel, um noch mehr Wertschätzung für die rechtliche Hürden für die Weitergabe von Lebensmitteln Lebensmittel zu erreichen. Auch die EU-Vermarktungs- abbauen, etwa indem gemeinnützige Organisationen, die normen sind wir schon angegangen. 26 Vermarktungs- Lebensmittelspenden entgegennehmen, als Endverbrau- normen sind 2009 abgeschafft worden. Auch das spre- cher definiert werden. chen Sie in Ihrem Antrag an. Liebe Kolleginnen und Kollegen, jetzt komme ich zu Mein Fazit: In dieser Legislaturperiode haben die Bun- einem etwas heiklen Thema: Die Tafeln brauchen finanz- desregierung und die sie tragende Koalition sehr viel im ielle Unterstützung für den Aufbau ihrer Infrastruktur. Bereich Lebensmittelverschwendung auf den Weg ge- Dabei – und das ist mir ganz wichtig – sollen sie nicht bracht. Davon bin ich total überzeugt, und darauf bin die Defizite des Sozialstaates ausgleichen. ich auch ein bisschen stolz. Ich möchte mich vor allem 27732 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021

Ursula Schulte (A) bei den vielen Helferinnen und Helfern der Tafel, aber Solche Gremien werden aber nur erfolgreich sein, (C) auch der anderen Initiativen bedanken. Hier sind es vor wenn alle bereit sind, erstens die Herausforderungen allen Dingen junge Frauen, die sich dem Thema Lebens- wirklich ernst zu nehmen, zweitens auf Augenhöhe mit- mittelrettung verschrieben haben. Wir würden einiges einander zu diskutieren und drittens die Ergebnisse auch gerne noch verbindlicher regeln, aber wie gesagt: Dafür umzusetzen. brauchen wir andere Mehrheiten. (Beifall bei der LINKEN) Ich finde, der AfD-Antrag ist überholt. Viele der 15 Deshalb ist es zumindest irritierend, wenn der Verbrau- Forderungen sind schon abgearbeitet oder auf den Weg cherzentrale Bundesverband am Ende das Ergebnis der gebracht. Wir werden den Antrag also ablehnen. Borchert-Kommission nicht mittragen konnte oder aktu- Herzlichen Dank. ell Greenpeace die Zukunftskommission verlassen hat. Das gilt vor allem, wenn die Kritik auch von Beteiligten (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Artur geteilt wird, die in den Gremien verblieben sind. Deshalb Auernhammer [CDU/CSU]) dürfen die Ausstiegsgründe eben nicht ignoriert werden, selbst wenn man die Entscheidung selbst falsch findet; denn Scheitern ist hier verboten. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Kirsten (Beifall bei der LINKEN) Tackmann, Die Linke. Unbeantwortete Zukunftsfragen lösen sich doch nicht von allein, sondern sie spitzen sich weiter zu, und das (Beifall bei der LINKEN) muss verhindert werden. Natürlich gehört dazu, dass möglichst viel Geld aus der EU-Agrarförderung – zu- Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): künftig möglichst alles – für nachhaltige Landwirtschaft Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin- zur Verfügung steht. Aber es muss doch auch da ankom- nen und Kollegen! Agrardebatten – das wurde schon men, wo es dringend gebraucht wird, und Maßnahmen gesagt – sind aktuell sehr emotional und polarisiert. unterstützen, die Probleme wirklich lösen. Aber es geht auch um viel, zum Beispiel um die Zukunft (Beifall bei der LINKEN) vieler Agrarbetriebe. Viele Konflikte spitzen sich gerade gleichzeitig und deswegen auch bedrohlich zu, auch weil Dafür haben die Landschaftspflegeverbände mit der Probleme viel zu lange ausgesessen wurden, und das Gemeinwohlprämie, wie ich finde, einen sehr guten Vor- muss sich ändern. schlag gemacht. Aber für wirkliche Dynamik bei den notwendigen Veränderungen müssen die Agrarbetriebe (B) (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. zwingend zu Verbündeten werden. Das gelingt umso (D) Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) leichter, je mehr richtiges Handeln belohnt wird. Und wenn diese Belohnung wirklich gegen internationale Je nach Hintergrund der Diskutierenden ist einmal die Handelsregeln verstoßen sollte, dann wird es höchste Klimakrise, einmal die biologische Vielfalt oder die so- Zeit, diese Handelsregeln zu ändern. ziale Krise in der Landwirtschaft vorrangig. Dabei wird oft übersehen, dass sich diese Krisen nicht nur gegen- (Beifall bei der LINKEN) seitig bedingen, sondern sogar verstärken. Alle diese Kri- Aber auch kostendeckende Erzeugerpreise müssen Teil sen haben eine gemeinsame Ursache, nämlich ein System der Lösung sein, wie auch lebendige ländliche Räume, der ruinösen Konkurrenz auf Kosten von Mensch und gleichwertige Lebensbedingungen, mehr regionale Ver- Natur. arbeitung und Vermarktung, mehr Tierschutz usw. Agrar- förderung muss eben zwingend sozial, ökologisch und Aber es darf doch nicht dabei bleiben, dass zum Bei- klimaschützend wirken. spiel wenige Lebensmittelkonzerne oder landwirtschafts- fremde Investoren in diesem System gewinnen, aber viele (Beifall bei der LINKEN) Agrarbetriebe verlieren. Der Druck, möglichst billig zu Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung produzieren, führt doch gerade zur Belastung von Boden, „Globale Umweltveränderungen“ formuliert seine Emp- Luft und Wasser und gefährdet damit nicht nur unsere fehlung in einem aktuellen Landwendegutachten sehr Lebensgrundlage, sondern auch die Produktionsgrundla- drastisch: Im Zentrum soll stehen, die Zerstörung der ge der Landwirtschaft. Wer das ausblendet, riskiert das Ökosysteme zu Land zu beenden. – Wir hatten dazu vor- Scheitern, und das darf nicht passieren. gestern im Ausschuss eine sehr interessante Diskussion (Beifall bei der LINKEN) mit den beiden Vorsitzenden des Beirats, den Professorin- nen Pittel und Schlacke. Mehrgewinnstrategien für die Die sozialen Probleme in der Landwirtschaft dürfen Landwirtschaft sind einer ihrer Lösungsvorschläge. aber gleichzeitig keine Ausrede sein; denn Zögern beim Aber im Streit um die besten Lösungen darf nicht ver- Schutz des Klimas oder der biologischen Vielfalt wäre gessen werden, dass eine Destabilisierung der Ökosyste- genauso fatal. Auf Bundesebene gibt es gleich zwei Gre- me und des Klimas eben auch schwerwiegende soziale mien, die sich mit den Zukunftsfragen in einem breiten Folgen hat, auch für die Landwirtschaft. Wachsende Ern- Dialog beschäftigen: die Zukunftskommission, die gera- terisiken durch Extremwetter sind doch längst durchlitte- de den Zwischenstand öffentlich diskutiert hat, und die so ne, existenzbedrohende Realität – nach einem Binnen- genannte Borchert-Kommission, die Vorschläge zum hochwasser 2017 und Dürre und Spätfrost in allen drei Umbau der Tierhaltung vorgelegt hat. darauffolgenden Jahren. Wer weiter davon träumt, dass Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021 27733

Dr. Kirsten Tackmann (A) ein deregulierter Weltagrarmarkt die soziale, ökologische Was wir jetzt brauchen, ist ein Aufbruch, der das Insek- (C) und Klimakrise löst, der muss schnell aufwachen. Sonst ten- und das Höfesterben aufhält. Wir müssen jetzt die wird das für uns alle zum Albtraum. Gemeinsame Agrarpolitik so gemeinwohlorientiert aus- richten, dass naturverträgliche Landwirtschaft endlich (Beifall bei der LINKEN) tatsächlich und wirklich auskömmlich wird. Der Beirat spricht sich übrigens ausdrücklich für soli- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) darische und kooperative Lösungen aus. Das unterstützt Die Linke natürlich sehr. Nur, das aktuelle Wirtschafts- Aber Frau Klöckner hat in Brüssel das Gegenteil davon system funktioniert doch nach dem Prinzip „Teile und verhandelt. Sie will weiter den Großteil der Gelder für die herrsche“. Kooperation gelingt doch nur, wenn man soli- Fläche bezahlen, obwohl ihre wissenschaftlichen Beiräte darisch oder wenigstens auf Augenhöhe agiert, und hier zu einem Systemwechsel raten. Genau diesen System- stößt man eben an Systemgrenzen. Die Duldung der wechsel blockiert sie. Übermacht von Lebensmittelkonzernen muss deshalb (Kees de Vries [CDU/CSU]: Nein!) aufhören, auch die Duldung der Landnahme durch land- Green Deal, Ökolandbau und Pestizidreduktion hat sie wirtschaftsfremdes Kapital, das Agrarbetrieben ihre Pro- links liegen gelassen. duktionsgrundlage, den Boden, entzieht. (Kees de Vries [CDU/CSU]: Nein!) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten der AfD) Ausgerechnet diesen schlechten Deal will sie jetzt in aller Eile noch schnell vor der Bundestagswahl in nationales Der Kampf für eine zukunftsfähige EU-Agrarförde- Recht gießen. Das hilft weder Verbraucherinnen und Ver- rung ist wichtig, aber längst nicht ausreichend. Mehr brauchern noch Bäuerinnen und Bauern noch der Bereitschaft zu Solidarität und Kooperation ist aber Umwelt. auch innerhalb der Landwirtschaft dringend notwendig. Solange zum Beispiel Milchviehhaltende hoffen, dass die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Nachbarn schneller scheitern als sie selbst, scheitern am Diese plötzliche Hast ist ja auch ganz neu in der Amts- Ende viele. Auch die Afrikanische Schweinepest muss zeit von Frau Klöckner: Die Düngeverordnung hat sie solidarisch bewältigt werden. Freilandhaltungen sind erst nach angedrohter Strafzahlung angepackt. Die Zu- doch keine Verhandlungsmasse zur Sicherung von Ex- kunftsstrategie Ökologischer Landbau ihres Vorgängers portinteressen. hat sie die ganze Legislatur in genau der Schublade liegen lassen, in die sie Christian Schmidt hineingelegt hat, und (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. beim Glyphosatausstieg wartet sie, bis die EU es endlich Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- irgendwann verbietet. (B) NEN]) (D) (Albert Stegemann [CDU/CSU]: Das ist doch Meine Fraktion hat deshalb diese Woche einen runden juristisch gar nicht anders möglich! Das wissen Tisch zur Zukunft der Freiland- und Weidetierhaltung Sie doch!) beantragt; denn diese Tierhaltung gehört zur zukunftsfä- higen Landwirtschaft. Wir werden diesen Antrag in der Überall da hatte sie Zeit; aber mit dem vorgezogenen kommenden Ausschusssitzung diskutieren. nationalen Strategieplan zur GAP drängt sie nun die Län- der seit Wochen dazu, das Weiter-so in der Agrarpolitik Aus linker Sicht bleibt am Ende: Landwirtschaft muss zu zementieren, Kollege Stegemann. Sie wollte maximal wieder versorgen und nicht möglichst billig Waren pro- 28 Prozent der Gelder für ökologische Leistungen fest- duzieren. schreiben. Zum Glück ist diese Rechnung bis heute nicht Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. aufgegangen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten der AfD) Hätten die grünen Agrarministerinnen diesem Deal vor Wochen schon zugestimmt, stünden wir heute richtig Vizepräsidentin : schlecht da. Gut, dass sich jetzt eine deutlich bessere Einigung in Richtung der Hälfte der Gelder fürs Gemein- Vielen Dank. – Das Wort hat geht an Harald Ebner von wohl abzeichnet und sogar eine Weidetierprämie dabei der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ist! Das ist gut so. Wir verlangen, dass Frau Klöckner (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Sie von der Koalition die Weidetierprämie und diese sowie des Abg. Rainer Spiering [SPD]) Einigung dann auch umsetzen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Harald Ebner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): sowie der Abg. Dr. Kirsten Tackmann [DIE Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und LINKE]) Kollegen! Reden wir doch einmal über den weißen Ele- Das ist noch nicht das, wo wir hinmüssen, aber es ist ein fanten hier im Raum: Zur Stunde tagt die Agrarminister- himmelweiter Unterschied zu dem, was von Frau Klöck- konferenz zur Gemeinsamen Agrarpolitik, und die Union ner und den A- und B-Ländern vorgelegt wurde. hinterlässt ein agrarpolitisches Desaster. Wir werden uns weiter für eine gemeinwohlorientierte (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Agrarpolitik einsetzen. Wir wollen mindestens 50 Prozent sowie des Abg. Stephan Protschka [AfD]) Gemeinwohlziele bis Ende der Förderperiode erreichen 27734 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021

Harald Ebner (A) und mit der höchstmöglichen Umschichtung von Mitteln wenn man es denn nur will. Das ist falsch, das geht nicht, (C) aus der ersten in die zweite Säule sicherstellen, dass und das wissen Sie genau. Trotzdem sind Sie sich nicht zu Agrarumweltmaßnahmen und der Ausbau des Ökoland- schade, auf diesen Effekt zu setzen. baus auch wirklich finanziert werden können. Seien Sie Komplexe, über Jahre gewachsene Rechtsvorschriften sich sicher, dass wir das anpacken werden. auf nationaler und europäischer Ebene binden uns. Sie Danke schön. stehen einfachen Lösungen, die jeder, auch ich, sehr ger- ne hätte, gleich vielfach entgegen. Das nur am Rande: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Seit Jahren setzen wir Agrarpolitiker der Unionsfraktion uns permanent dafür ein, den Bürokratieabbau voranzu- Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: bringen und für mehr Praxisnähe bei den Vorschriften zu Vielen Dank. – Das Wort geht an Dieter Stier von der sorgen. Wir kämpfen auch regelmäßig dafür, dass der CDU/CSU-Fraktion. Ministerialbürokratie nicht die Pferde durchgehen, wenn es lediglich darum geht, die Eins-zu-eins-Umset- (Beifall bei der CDU/CSU) zung einer EU-Richtlinie auf den Weg zu bringen.

Dieter Stier (CDU/CSU): (Stephan Protschka [AfD]: Seit 15 Jahren an Sehr geehrter Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und der Regierung!) Kollegen! In der heutigen Zeit Landwirt zu sein, das Lassen Sie mich ein paar Worte noch zu den Anträgen erfordert nicht nur Geduld, sondern auch viel Optimis- der Grünen sagen. Auch hier wurde mit diversen Vor- mus und Beharrlichkeit. Ich weiß, von unseren Landwir- schlägen nicht gespart. Liest man das alles, so findet ten wird gegenwärtig viel erwartet, ständig etwas Neues man leider die alten Parolen. Auffällig ist: Sie kultivieren gefordert und immer mehr abverlangt. Der Anpassungs- Ihr wohlbekanntes Feindbild von der industriellen Land- druck ist hoch und oft an der Schmerzgrenze des Zumut- wirtschaft, dem ganz großen Übel. Die schnelle Lösung baren; die abermaligen Proteste in dieser Woche zeigen zur Beseitigung haben Sie auch gleich parat: Man solle das. Wir wissen sehr wohl, mit welchen Belastungen doch einfach alle nur denkbaren Möglichkeiten des Euro- Inhaber landwirtschaftlicher Betriebe zu kämpfen haben. parechts ausnutzen, um eine radikale Agrarwende her- Dass sie sich dennoch täglich diesen Herausforderungen beizuführen, also noch mehr Regulierung, noch mehr stellen, dass die Regale in unserem Land trotzdem voll Bürokratie, noch mehr Kosten aus Brüssel; das ist Ihre sind, jetzt auch noch erschwert durch die Coronapande- Antwort! mie, das verdient höchsten Respekt und unser aller Dank und Anerkennung. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist das, was die wissenschaftlichen Beiräte (B) (D) (Beifall bei der CDU/CSU) vorschlagen!) Bei persönlichen Gesprächen mit Landwirten erlebe Niemand, meine Damen und Herren, bezweifelt ernst- ich den Frust über die Politik und die noch größere Ent- haft die Notwendigkeit von Natur-, Umwelt- und Arten- täuschung über die oft verzerrte Darstellung der Land- schutzmaßnahmen. Das ist heute Konsens; das ist unver- wirtschaft in der Gesellschaft. Der Landwirt soll es allen rückbar. recht machen: der EU, den Tierschützern, den Klima- und Umweltaktivisten, und nie ist es genug. Zu allem Über- ( [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: fluss hört man noch, da sei wohl viel mehr möglich – sagt Das sagen Sie mal der CDU in Sachsen- zum Beispiel der Kollege Ebner –, wenn man den Bauern Anhalt!) endlich einmal härter rannehmen würde. Eine radikale Agrarwende, wie Sie sie wollen, die eine moderne Landwirtschaft unmöglich machen soll – das (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: sage ich Ihnen mit Blick auf die großflächigere Landwirt- Was? Da haben Sie aber was missverstanden, schaft bei uns in den neuen Ländern und die anstehenden Herr Kollege! Da haben Sie nicht zugehört!) Beratungen zur GAP –, wird meine Zustimmung nicht Nein, meine Damen und Herren, an dieser Eskalation finden, vor allem deshalb, weil eine moderne, digitali- sollten und dürfen wir uns nicht beteiligen. Deswegen sierte Landwirtschaft noch viel besser und präziser sein sage ich: Die heute vorliegenden Oppositionsanträge wird. sind wenig hilfreich, und sie sind erst recht kein Beitrag Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss zur Beruhigung der aktuellen Lage. und möchte Ihnen eines noch mit auf dem Weg geben: (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Ihre Rede ist Wer mit alten Parolen in die Debatte einsteigt, der kann auch nicht hilfreich!) nicht ernsthaft erwarten, unser Dialogpartner für die Zu- Jetzt zu den Anträgen. Beim Blick in den AfD-Antrag kunft zu sein. fallen mir viele Schlagworte auf, die bei den meisten (Zuruf von der LINKEN: Oh!) Landwirten, mich eingeschlossen, sofort breite Zustim- Die vorliegenden Anträge lehnen wir entsprechend der mung finden könnten: Deregulierung, Freiwilligkeit, Pla- mehrheitlichen Empfehlung des Ausschusses für Ernäh- nungssicherheit, weniger Produktionskosten, mehr Ge- rung und Landwirtschaft ab. winn für bäuerliche Familienbetriebe. Das klingt alles super. Doch das Fatale ist, dass Sie den grotesken Ein- Ich wünsche uns und Ihnen, dass Sie auch in Zukunft druck vermitteln, man könne das alles ganz einfach mit noch einige heimische Produkte genießen können. Essen einem Federstrich über Nacht und ohne Probleme lösen, Sie einmal ein Ei vom Landwirt von nebenan. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021 27735

Dieter Stier (A) (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: auf Dauer. Wir wollen keine von Lebensmittelspenden (C) Das machen wir ständig!) abhängige Gesellschaftsgruppe heranziehen, sondern anständige Renten für unsere alten Bürger, und wir wol- Frohe Ostern heute schon, weil wir ja vor Ostern nicht len den freien Bürger, der in der Lage ist, seinen Lebens- noch einmal zusammenkommen, und Ihnen allen einen unterhalt selbst zu erarbeiten, ohne durch die höchsten schönen Tag! Steuern in Europa geschröpft zu werden. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Petra Sitte (Beifall bei der AfD) [DIE LINKE]: Kann ich eines vom Huhn haben?) Als Mitglied der unmittelbaren Nachkriegsgeneration habe ich eine völlig andere Wertschätzung für Lebens- – Na klar. mittel entwickelt, im Gegensatz zur heutigen Wohl- standsgeneration, die keinen Hunger mehr kennt – Gott Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: sei Dank – und leicht bereit ist, Lebensmittel zu ver- Danke schön. – Das Wort geht an Franziska Gminder schwenden und wegzuwerfen. von der AfD-Fraktion. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der AfD) Darf ich noch einen Satz sagen, Frau Präsidentin? Ich Franziska Gminder (AfD): möchte gerne einen Appell an die Frau Bundeskanzlerin Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und richten: Sie möge sich doch bitte die Ministerpräsidentin Herren! Ich komme zur Lebensmittelverschwendung in von Neuseeland, Ardern, zum Vorbild nehmen und mit- Deutschland zurück, die wir nachhaltig reduzieren wol- samt ihrem ganzen Kabinett für die nächsten sechs Mona- len. In Deutschland – wir haben es schon von Frau te, bis zum Ende der Legislaturperiode, auf 50 Prozent Schulte gehört – landen jährlich circa 11 Millionen Ton- ihrer Diäten verzichten. nen Lebensmittel im Wert von 25 Milliarden Euro im Müll. Davon entsteht allerdings circa die Hälfte, 48 Pro- (Josephine Ortleb [SPD]: Das können Sie ja zent, bereits auf dem Acker, bei der Ernte, bei der auch machen! – [CDU/CSU]: Verarbeitung, beim Transport und bei der Lagerung in Machen Sie das auch? – Renate Künast Landwirtschaft, Industrie, Handel und Gastronomie. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vormachen!) Der Verbraucher allein hat auf diese Hälfte der Verluste Das hätte eine bessere Wirkung als ihre Entschuldigung. nämlich so gut wie keinen Einfluss. Ich werde dies auch so handhaben und hoffe, dass es (B) In unserem Antrag zeigen wir Möglichkeiten auf, wie einige von den Parlamentariern ebenfalls machen wer- (D) gemeinschaftliche Bemühungen den beim Verbraucher den. entstehenden Verlust verringern können. Wir begrüßen Vielen Dank. die nationale Strategie von Februar 2019 „Zu gut für die Tonne“. Unsere Wunschliste wäre: eine Förderung (Beifall bei der AfD – Josephine Ortleb [SPD]: unserer Landwirte durch eine landwirtschaftliche Direkt- An wen spenden Sie denn?) vermarktung. Kurze Wege vom Erzeuger zum Verbrau- cher und zu Hofläden sind unumgänglich. Eine Renatio- Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: nalisierung der Landwirtschaft zur Selbstversorgung, um Danke. – Das Wort geht an Rainer Spiering von der uns unabhängiger von Importen und Lieferketten zu ma- SPD-Fraktion. chen, ist wünschenswert. (Beifall bei der SPD) Plastikverpackungen bleiben aus hygienischen Gründ- en und zur Verlängerung der Haltbarkeit verderblicher Nahrungsmittel weiter in Verwendung, bis Alternativen Rainer Spiering (SPD): zur Verfügung stehen. Auf EU-Ebene wünschen wir uns Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kol- eine Abschaffung der Mindesthaltbarkeitsdauer für lang- legen! Zum Thema Lebensmittelverschwendung. Ich for- lebige Lebensmittel unter Beachtung der Produktsicher- dere das BMEL nachdrücklich auf, mir, dem Parlament heit. Die Bundesregierung sollte zusammen mit den Län- und der deutschen Bevölkerung angesichts der hohen, der dern noch stärker die Ernährungsbildung in den Schulen massenhaften Verschwendung von Lebensmitteln endlich fördern und damit die Wertschätzung der Lebensmittel die Zahlen hierzu mitzuteilen, die Sie mir seit drei Jahren erhöhen. Die Förderung der KI-Technologien würde schuldig sind. Wie viel Energie geht verloren, wie viel eine bessere Warenbedarfsplanung der Supermärkte er- Wasser geht verloren, wie viel Substanz in der Energie- möglichen und eine deutliche Reduzierung der ablaufen- wirtschaft geht verloren dadurch, dass Lebensmittel den Lebensmittel bewirken. verschwendet werden? Geben Sie mir nach drei Jahren endlich die Zahlen! Wir halten es für zielführend, die Haftungsrisiken bei Lebensmittelspenden zu reduzieren. Für deren richtige (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Lagerung sollten nicht die Spender verantwortlich sein, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) sondern die empfangenden Wohltätigkeitsorganisatoren, Zur AfD und Herrn Protschka. Ich bin Artur wie zum Beispiel die Tafeln. Dabei muss aber auch eines Auernhammer zutiefst dankbar über die Richtigstellung, klar sein – im Gegensatz zu Frau Schulte –: Die Förde- die er gemacht hat. Sie propagieren die schwarze Fahne rung der Tafeln ist aus unserer Sicht keine ideale Lösung der Landvolkbewegung. Artur Auernhammer war nicht 27736 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021

Rainer Spiering (A) ganz korrekt: Das war nicht 1954, das war 1927 mit der Verbände umzusetzen, und zwar gegen die wirtschaft- (C) darauffolgenden Politik. Die schwarze Landvolkfahne lichen Verbände wie Raiffeisen-Genossenschaften, wie mit rotem Schwert in schwarzem Boden steht für „Blut Agravis, wie BayWa, dann werden wir eine veränderte und Boden“. Und so etwas propagieren Sie in einem Agrarpolitik in Deutschland haben, dann werden Ökosys- international geachteten Land! Das ist rückwärtsgerichtet temleistungen in diesem Land endlich honoriert und auf die Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg. bezahlt. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Stephan (Beifall bei der SPD) Protschka [AfD]: Klare Lüge!) Zu den Grünen. Das, was Sie in Ihrem Antrag geschrie- Zu Ihrem Umgang mit den Menschen, die Sie für die ben haben, haben wir 2018 als Bundestagsfraktion bereits Ernte hierhin holen wollen. Hier zeigen Sie, wessen Geis- verabschiedet. tes Kind Sie sind. Sie zeigen Ihre Missachtung gegenüber (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: diesen Menschen, von denen Sie annehmen, dass sie Wir waren schon immer vor euch!) nicht deutschen Geblütes sind, und sagen, wie Sie mit ihnen umgehen wollen. Sie lassen mit diesem Antrag Insofern geht es völlig in Ordnung, dass Sie das schrei- Ihre Maske fallen! ben. Ein Hinweis sei mir aber gestattet, weil Sie in Ihrem Antrag direkt auf Digitalisierung eingehen. Dabei ma- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten chen Sie einen großen Fehler. Sie schreiben dort nämlich, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE dass man sich bitte nicht auf die technische Präsenz ver- GRÜNEN – Stephan Protschka [AfD]: Alles lassen sollte, sondern in Details etwas löst. Umgekehrt Lüge!) wird ein Schuh daraus! Nur durch Digitalisierung, nur Zur Wissenschaft. Ich habe Sie schon mehrfach darauf durch das Erfassen von Daten, nur durch das Beherrschen hingewiesen: Seien Sie vorsichtig im Umgang mit Wis- von Daten bekommen wir Bürokratie in den Griff, und senschaft. Sie verstehen das nämlich nicht. Wir haben am zwar gut. Wir müssen die Landwirtinnen und Landwirte Mittwoch einen Vortrag zum Anthropozän gehört, in dem ausstatten, sowohl mit der Soft- als auch mit der Hard- die Wissenschaftlerinnen gesagt haben, es solle eine ware. Wir müssen die Bildungsinstitute und die wissen- Abkehr von der industriellen Landwirtschaft stattfinden, schaftlichen Institute stark machen, um das zu liefern; ich Agrarsubventionen sollten immer an ökologische Verbes- nenne nur die Leibniz-Gemeinschaft, das Fraunhofer- serungen geknüpft werden, Direktzahlungen sollten in Institut, die Helmholtz-Gemeinschaft. Wir haben das Zahlungen für Ökosystemleistungen umgewandelt wer- alles. Aber wir müssen Lösungen den Bäuerinnen und den. Wer Wissenschaft anführt, wer Wissenschaft zitiert, Bauern auch tatsächlich zur Verfügung stellen. Dann der sollte zumindest in der Lage sein, Wissenschaft zu wird ein Schuh daraus. Dann wissen wir anhand der (B) verstehen. Sie sicherlich nicht! Datenlage, wo was wann auf den Acker gebracht wird. (D) Dann wissen wir anhand der Datenlage, wo wann wie (Dr. [AfD]: Wie arrogant!) Antibiotika verabreicht werden. Alles das können wir Zu dem Ergebnis der Agrarministerkonferenz zur unter Kontrolle bringen. Agrarwende – das hat eben Harald Ebner angeführt – Wir werden eine Landwirtschaft haben – das ist meine und zu dem, was Wissenschaft in diesem Zusammenhang feste Überzeugung –, die im besten ökologischen Sinne, anführt. Wir haben heute Morgen um 4 Uhr die Agrar- aber auch im besten soziologischen Sinne den Zukunfts- ministerkonferenz beendet. beitrag für diese Nation leisten wird. Vor allen Dingen: (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie kann es, sie will es! Wir müssen ihr dabei helfen. Nein! – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE Heute Nacht sind Grundlagen dafür geschaffen worden, GRÜNEN]: Nein, unterbrochen!) die mich sehr hoffnungsfroh machen. Zwischenmeldung: Geeint sind die Agrarminister dabei, Schlussbemerkung: Machen Sie die Digitalisierung nicht klein, machen Sie sie groß! Machen Sie mit der leider durchaus nicht mit Zustimmung der Bundesminis- Digitalisierung deutsche Landwirtschaft stark! Vor allem: terin: Konditionalität als Voraussetzung in Höhe von Machen Sie deutsche Landmaschinentechnologie wett- 5 Prozent; gekoppelte Zahlungen, und zwar auch Mutter- kuhprämien, in Höhe von 2 Prozent, Ökoregelungen in bewerbsfähig in der Welt! Höhe von 25 Prozent und Umschichtung aus der ersten in Herzlichen Dank. die zweite Säule bis 2027 auf 15 Prozent. Wir haben als (Beifall bei der SPD) SPD Anfang Januar 2021 genau diese Zahlen eingefor- dert. Wir kommen mit diesen Zahlen auf eine Umschich- tung von 47 Prozent bis 2027, also etwa innerhalb von Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: fünf Jahren. Das haben wir als Ziel proklamiert und Danke sehr. – Das Wort hat Nicole Bauer von der FDP- haben es aufgrund der Weisheit aller Agrarminister heute Fraktion. Morgen um 4 Uhr erreicht. Jetzt liegt es tatsächlich an der (Beifall bei der FDP) Bundesministerin, das, worauf sich die Agrarminister geeinigt haben, in nationale Politik umzusetzen. Nicole Bauer (FDP): Ich sage Ihnen: Nach der neuen EU-Verordnung ist das Werte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! möglich. Wir haben nämlich in der EU den Spielraum, Lassen wir doch einmal die Landwirtschaftspolitik der genau das in der nationalen Gesetzgebung zu machen. letzten dreieinhalb Jahre Revue passieren. 2017: das Wenn die Bundesministerin die Kraft hat, das gegen die Ende der Ferkelkastration. Das wurde von der Bundesre- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021 27737

Nicole Bauer (A) gierung komplett verschlafen. Selbst jetzt gibt es noch abbau müssen wir vorantreiben, unabhängig davon, ob (C) Betriebe, die keine zufriedenstellende Lösung haben. das beim Grünlandumbruch ist oder bei der Direktver- 2018: Gemeinsame Agrarpolitik, GAP. Weniger Büro- marktung. Neue Technologien, Digitalisierung müssen kratie wurde den Landwirten versprochen. Fehlanzeige! wir fördern und müssen zeitnah auch Pflanzenschutzmit- 2019: das Agrarpaket. Ich dachte, dass die Herumeierei tel zulassen. Denn das brauchen unsere Bauern – der Union bei der Ferkelkastration schon die Spitze gewesen war. Aber nein, Sie haben noch einmal eines Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: draufgesetzt! Erinnern Sie sich noch an die bundesweiten Kommen Sie bitte zum Ende. Bauernproteste, damals vor Corona? Dann 2020: die Düngeverordnung. Mit wissenschaftlicher Erkenntnis hatte Ihr Gesetzentwurf wirklich nicht das Geringste zu Nicole Bauer (FDP): tun. – im ganzen Bundesgebiet. Dafür machen sich die (Beifall bei der FDP) Freien Demokraten stark. Wettbewerbsfähigkeit, Unabhängigkeit, Planungssicher- Herzlichen Dank. heit, Zuverlässigkeit, nichts, aber auch gar nichts davon findet sich in Ihren Gesetzen. (Beifall bei der FDP – Harald Ebner [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Viel Show, aber Und jetzt 2021 der neueste Schildbürgerstreich der wenig drin!) Bundesregierung: Insektenschutzprogramm – ohne jeg- liche wissenschaftliche Grundlage, ohne Mehrnutzen weder für die Biene noch für den Bauern. Mir fehlen Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: echt die Worte. Das Wort hat Ingrid Pahlmann von der CDU/CSU- Fraktion. (Beifall bei der FDP) Sie wollen diesen Berufsstand ruinieren, anders kann ich (Beifall bei der CDU/CSU) mir Ihre realitätsferne Politik nicht vorstellen. Und nur so nebenbei: Ich kann Ihnen versichern, werte Ingrid Pahlmann (CDU/CSU): Kollegen der Union, dieses grüne Mäntelchen steht Ihnen Sehr geehrte Frau Bundestagspräsidentin! Liebe Kol- nicht. leginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir (Beifall bei der FDP) beraten über verschiedene Anträge der AfD- und der Grünenfraktion. In ihren Anträgen bemühen sie sich (B) Ihre Heuchelei ist – wo ist Artur Auernhammer? – geht darum, den landwirtschaftlichen Berufsstand zu stärken. (D) mir gegen den Strich: Hier im Bundestag beschließen Sie Da sind wir natürlich gern dabei; gar keine Frage. Die das Agrarpaket, und zu Hause im Wahlkreis geben Sie Frage ist allerdings, wie. Durch überzogene Vorgaben dann den Landwirten recht. Oder noch besser: Bei den wird die Stärkung der Landwirtschaft kaum gelingen. Bauerndemos wettern Sie gegen die Düngeverordnung, und zugleich stimmen Sie bei der namentlichen Abstim- Ein gutes Beispiel, wie sie gelingen kann, möchte ich mung für die Düngeverordnung. Das ist scheinheilig! Ihnen heute liefern. Ich komme aus Niedersachsen. Dort Wort geben und Wort halten, das wäre angebracht, meine haben Akteure der Landwirtschaft, von Naturschutzver- Damen und Herren. bänden und Politik gezeigt, dass es gehen kann, nämlich (Beifall bei der FDP) gemeinsam. Sie haben in einem – zugegebenermaßen mühsamen – Prozess eine vorbildliche Allianz für mehr In Bayern ist die Landwirtschaft noch ein fester Natur-, Arten- und Gewässerschutz, für mehr Bio- Bestandteil des täglichen Lebens und das Rückgrat des diversität geschlossen. Das ist der sogenannte nieder- ländlichen Raums, ein Produzent von hervorragenden sächsische Weg. Dieser zeigt, dass es möglich ist, durch Lebensmitteln, und das zu höchsten Standards. Viele gemeinsame Beschlüsse einer gesellschaftlichen Forde- Familien führen ihren Betrieb von Generation zu Genera- rung nachzukommen, voranzugehen und gleichzeitig die tion fort und entwickeln ihn weiter. Wollen Sie das wirk- wirtschaftliche Seite nicht zu vergessen. Dieser nieder- lich kaputt machen? Wollen Sie die Lebensmittelerzeu- sächsische Weg kann ein Beispiel für andere Bundeslän- gung ins Ausland jagen? Wollen Sie unsere Heimat, der sein; Bayern und Baden-Württemberg haben Ähnli- unseren ländlichen Raum zerstören? Ich sage es einmal ches auf den Weg gebracht. ganz deutlich: Hoamat, des is ned nur ein Wort, sondern a Gfui! A Lebensgfui, a Lebensraum – aber ned mit Ihrer Es geht um vertraglich gesicherte Anstrengungen für Politik! den Umweltbereich, gepaart mit einem finanziellen Aus- gleich für Ertragseinbußen. Das ist der richtige Weg. Die- (Beifall bei der FDP) ser Weg ist zukunftsweisend. Er baut gegenseitiges Ver- Deshalb: Wir brauchen ganz klar einen Neuanfang. Mit trauen und Verständnis auf. Diese Kooperation gilt es nun uns Freien Demokraten wird es zukünftig eine wettbe- zu schützen, und dafür setze ich mich auch hier in Berlin werbsfähige, eine zukunftsfähige Landwirtschaftspolitik ein. Deswegen unterstütze ich auch einen Gesetzesantrag geben, in der wissenschaftlich fundiert gearbeitet wird, Niedersachsens – die Initiative ging von der niedersächsi- die ergebnisorientiert ist sowohl beim Insektenschutzpro- schen Landwirtschaftsministerin Barbara Otte-Kinast gramm als auch bei der Düngeverordnung. Tierwohl aus –, der heute im Bundesrat behandelt wird. Die Minis- müssen wir europäisch statt national denken. Bürokratie- terin strebt an, eine absolut wasserdichte Rechtssicherheit 27738 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021

Ingrid Pahlmann (A) für kooperative Länderlösungen für mehr Insektenschutz um 25 Prozent zu reduzieren. Das sind wichtige Kompo- (C) zu schaffen. Es geht darum, dass Ordnungsrecht nicht nenten im Kampf gegen die Lebensmittelverschwen- länderspezifische Regeln untergräbt. dung. Der kooperative Weg ist ein Baustein, um landwirt- Das ist alles richtig und gut. Eines ist mir bei diesem schaftlichen Familien zukünftig mehr Verlässlichkeit, Thema aber besonders wichtig – seit Langem formuliere Anerkennung und auch Sicherheit bei der Finanzierung ich diese Forderung in diesem Haus auch immer wieder –: ihrer zusätzlichen Umweltleistung zu geben. Und, liebe Wir müssen auch die Ernährungsbildung in unserer Frau Bauer, die Düngeverordnung haben wir hier im Gesellschaft vorantreiben. Wir müssen Ernährungsbil- Bundestag überhaupt nicht verabschiedet; das nur als dung auch in den Schulen stärken. Hier sind natürlich Hinweis. auch und eigentlich sogar vorrangig die Länder gefragt. Der Bund bietet wirklich schon vielfältige Unterstützung (Beifall bei der CDU/CSU) an. Sehr geehrte Damen und Herren, ein weiterer Antrag, Was wir neben unserer verstärkten Wertschätzung der der heute vorliegt, befasst sich mit der Gemeinsamen Lebensmittel brauchen, ist ganz einfach fundiertes Wis- Agrarpolitik, der GAP. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grü- sen. Das ist Voraussetzung, um Einkaufsentscheidungen nen fordert einen ziemlich radikalen Umbau des nationa- treffen zu können, Mindesthaltbarkeitsdaten von Ver- len Strategieplans. Sie glauben mit Ihrem Plan die Land- fallsdaten zu unterscheiden und auch wieder zu lernen, wirtschaft zu retten. Doch dieser wird in der vorliegenden seinen eigenen sensorischen Fähigkeiten zu vertrauen. Form, so wie Sie sich das vorgestellt haben, nicht weni- Auch das ist verloren gegangen. Noch – das dürfen wir gen Betrieben die Grundlage nehmen und ihre Verunsi- nicht vergessen – fällt mehr als die Hälfte der Lebens- cherung noch weiter verstärken. mittelverschwendung in privaten Haushalten an. Das sind über 50 Prozent. Der Berufsstand ist momentan zutiefst verunsichert. Schon heute sprechen mich Junglandwirte an und fragen: Was soll ich eigentlich machen? Soll ich überhaupt noch Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: weitermachen? – Was soll ich diesen motivierten jungen Kommen Sie bitte zum Ende. Leuten denn erzählen? Sie brauchen langfristige und vor allen Dingen verlässliche Rahmenbedingungen. Ingrid Pahlmann (CDU/CSU): Es sind die grünen Agrarminister der Länder gewesen, Regulatorische Maßnahmen auf Bundesseite sind die eine ambitionierte, fristgerechte Ausgestaltung der eines. Selbst mit der nötigen Umsicht und breitem Wissen und Können mit Nahrungsmitteln umzugehen, das ist die (B) GAP bislang auf nationaler Ebene blockiert haben. Die (D) von CDU/CSU, SPD, FDP und den Linken geführten andere Seite der Medaille, und da haben wir absoluten Länder haben gute Angebote auf den Tisch gelegt, auch Nachholbedarf. Kompromisslinien aufgezeigt. Die Grünen beharrten aber Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. bislang auf Maximalforderungen. Bereits zwei Sonder- agrarministerkonferenzen sind an den Grünen geschei- (Beifall bei der CDU/CSU) tert. Noch läuft der dritte Versuch, eine Einigung zu errei- chen. Ich kann nur hoffen, dass das im Interesse der Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: landwirtschaftlichen Betriebe auch gelingt. Das Wort geht an Oliver Krischer von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Abschließend noch ein paar Worte zu einem weiteren wichtigen Thema, das heute auch zur Debatte steht: die Problematik der Lebensmittelverschwendung. Ange- Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): sichts der Unmengen an Lebensmitteln, die jedes Jahr Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! immer noch weggeworfen werden – immerhin sprechen Ich muss noch mal auf den weißen Elefanten zurückkom- wir von 75 Kilo pro Person –, müssen wir die ganze men, den Harald Ebner hier eben angesprochen hat. Ich Lebensmittelversorgungskette in den Fokus nehmen. finde, es sollte im Jahr 2021 eigentlich eine absolute Das tut die Bundesregierung mit vielfältigen Maßnah- Selbstverständlichkeit sein, dass die Milliarden, die wir men. Eine wichtige Rolle dabei spielen auch digitale aus Brüssel für die Agrarpolitik bekommen, an Klima- Technologien und intelligente Verpackungen. Dazu wird und Umweltstandards gekoppelt werden und nicht dem mit Bundesmitteln auch kräftig geforscht. Klima- und Umweltschutz zuwiderlaufen; denn das tun sie bis heute. Bausteine wie die Aktion „Zu gut für die Tonne“, die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) „Beste Reste-App“, die praktische Rezepttipps zur Ver- wertung übriggebliebener, aber noch guter Nahrungsmit- Dass die Agrarministerkonferenz unterbrochen, abge- tel liefert, wie auch die Beste-Reste-Boxen für Restau- brochen und vertagt werden musste, weil acht Agrar- rants, in denen Gastronomen ihren Gästen deren Reste minister, die übrigens nicht Bündnis 90/Die Grünen mitgeben sollen, sind da gute Beispiele. Ein weiteres Bei- angehören, blockieren und sich an die Seite von Julia spiel ist die Errichtung von etlichen Modellbetrieben der Klöckner stellen, die bestenfalls ein Viertel der Mittel Außerhausverpflegung, die es in ihrem Bereich immerhin für Umwelt- und Klimastandards bieten will, empfinde schon geschafft haben, ihre Lebensmittelverschwendung ich als Skandal. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021 27739

Oliver Krischer (A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: (C) Kollege Spiering, die SPD hat ja noch einen Agrar- Kommen Sie bitte zum Ende. minister – zu mehr reicht es ja nicht mehr –: Till Backhaus. Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Rainer Spiering [SPD]: Reinhold Jost ist auch Sie verlieren zu Recht an Rückhalt auch im ländlichen Agrarminister!) Raum. Der steht in der Einheitsfront der Agrarminister von Danke. CDU/CSU, FDP, Sozialdemokratie und Linken gegen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) die Grünen und gegen mehr Klima- und Umweltschutz. Ein Skandal ist, dass das, was Sie hier als Erfolg verkauft haben, gegen die SPD erreicht worden ist und nicht dank Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: der SPD. Es muss an der Stelle mal klar gesagt werden, Zum Abschluss der Debatte spricht Kees de Vries von wer hier die Erfolge erzielt hat. der CDU/CSU-Fraktion. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – (Beifall bei der CDU/CSU) Rainer Spiering [SPD]: Kollege Krischer, könnten Sie den Finger von mir nehmen? Das Kees de Vries (CDU/CSU): ist Bedrohung!) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kollegin- Frau Tackmann, ich höre Ihre Reden hier immer sehr nen und Kollegen! Normalerweise reagiere ich nicht. gerne; da ist oft vieles Richtige dabei. Aber ich war, Aber, Herr Krischer: Auch wenn Sie noch lauter werden, ehrlich gesagt, fassungslos, als ich gesehen habe, dass wird es nicht wahrer, und vielleicht müssen Sie sich damit Ihr Agrarminister in Thüringen – er nennt sich Hoff – abfinden, dass Ihre Meinung immer noch nicht gesell- eine gemeinsame Position mit den drei anderen in der schaftlich mehrheitsfähig ist. Das ist das Problem. Einheitsfront vertritt, indem er sich in der Agrarminister- (Beifall bei der CDU/CSU und der AfD) konferenz an die Seite von Julia Klöckner, an die Seite der Blockierer und Verhinderer stellt, die sich gegen die Über die vorliegenden Anträge ist, glaube ich, alles Grünen durchsetzen wollen. Wenn der danach auch noch gesagt. Mir machen sie klar, dass die Kompetenz für eine Pressemitteilung herausgibt und die Kampagne der verantwortungsvolle Landwirtschaftspolitik eigentlich Umweltverbände mit der Unterschriftenkampagne von nur bei der CDU/CSU-Fraktion zu finden ist Herrn Koch zur doppelten Staatsbürgerschaft aus dem (B) Jahre 1999 vergleicht, dann müssen Sie sich ehrlich fra- (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der (D) gen, wo Sie eigentlich stehen. FDP: Na komm! Das glaubst du selber nicht!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und dass deshalb die Aufgabe, die Zukunft unserer Be- triebe zu sichern, bei uns in den besten Händen ist. Gerne Ich möchte klar und deutlich sagen: Es sind Bünd- will ich diese Debatte nutzen, um meine Sicht auf eine nis 90/Die Grünen, die hier dafür kämpfen – und das ist zukunftsfähige Landwirtschaft für Deutschland und Eu- unser Ziel –, dass endlich das Insekten- und das Höfester- ropa zu skizzieren. ben aufhören. Darum geht es. Durch die hervorragende Arbeit unserer Bundesland- (Dr. Gero Clemens Hocker [FDP]: Das sind wirtschaftsministerin Julia Klöckner haben wir aktuell in alles Krokodilstränen!) mehreren Bereichen spannende Gestaltungsmöglichkei- Wir brauchen eine Agrarpolitik, die nachhaltig wird, die ten. Anfangen möchte ich mit den Chancen, welche die die Umwelt schützt, die das Klima schützt und die den GAP-Verhandlungen bieten. Wichtig dabei ist natürlich, Landwirten eine Perspektive gibt. dass überall in Europa bei Produktions- und Umweltstan- dards gleiche Bedingungen gelten. Es war dann auch ein (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) richtiger Schritt vorwärts, dass sich alle Mitgliedstaaten Dafür kämpfen wir hier im Deutschen Bundestag und auf verpflichtet haben, von den Direktzahlungen mindestens Länderebene in der Agrarministerkonferenz, und es ist 20 Prozent für Eco-Schemes, also Umweltmaßnahmen, bedauerlich, dass alle anderen Parteien das offensichtlich zur Verfügung zu stellen. Ich finde, das war ein riesiger ganz anders sehen. Erfolg der deutschen Ratspräsidentschaft. Gestatten Sie mir, zum Schluss noch etwas in Richtung (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Union zu sagen – auch das muss mal deutlich zum Aus- Dabei ist unsere deutsche Landwirtschaft gut beraten, druck kommen –: Armin Laschets Frau für die Agrar- den von unserer Gesellschaft geforderten und von Minis- lobby, das ist Ulla Heinen-Esser, die ich sonst auch sehr terin Klöckner eingeleiteten Systemwechsel weiter vo- schätze. Sie hatte zu dem Thema nichts anderes zu sagen, ranzutreiben. Dem Prinzip „öffentliche Gelder für öffent- als dass Klima- und Umweltschutz „Bullerbü“ sind. Da liche Aufgaben“ müssen wir gerecht werden. Ich glaube steht die Union ganz offensichtlich. Sie haben im fest daran, dass ein Teil der Lösung ein neuer Produk- Jahr 2021 immer noch nicht verstanden, worum es geht, tionszweig „Umweltleistungen“ für unsere Betriebe sein was die Herausforderung der Zukunft ist. wird. Voraussetzung dafür ist jedoch, einen finanziellen (Albert Stegemann [CDU/CSU]: Sie haben es Anreiz für die Landwirte zu schaffen, und zwar über eine nicht verstanden!) einfache Entschädigung hinaus. Nur so können wir land- 27740 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021

Kees de Vries (A) wirtschaftliche Einkommen stabilisieren, die gesell- Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: (C) schaftlichen Wünsche erfüllen und der Landwirtschaft Vielen Dank. – Ich schließe die Aussprache. eine sichere Zukunft ermöglichen. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) den Drucksachen 19/27699, 19/27698 und 19/27697 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge- Das Produkt „Umweltleistungen“ kann vielfältig sein, schlagen. Gibt es weitere Überweisungsvorschläge? – zum Beispiel der von Kollegin Pahlmann vorgeschlagene Das sehe ich nicht. Dann verfahren wir genau so. niedersächsische Weg, ebenso die Agroforstsysteme, die Gemeinwohlprämie oder, wie in Sachsen-Anhalt, das Tagesordnungspunkt 31 d. Wir kommen zur Abstim- Projekt „Kooperativer Naturschutz“. Wichtig ist, dass mung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für solche Maßnahmen auch wirklich kommen und dass sie Ernährung und Landwirtschaft zu dem Antrag der Frak- in Zusammenarbeit mit den Landwirten umgesetzt wer- tion der AfD mit dem Titel „Lebensmittelverschwendung den. in Deutschland nachhaltig reduzieren“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – 19/27899, den Antrag der Fraktion der AfD auf Druck- Rainer Spiering [SPD]: Ach, Herr de Vries!) sache 19/26222 abzulehnen. Wer stimmt für diese Be- schlussempfehlung? – Das sind die Fraktionen der Denn nur so werden erforderliche Maßnahmen zum Linken, der SPD, von Bündnis 90/Die Grünen, CDU/ Schutz von Natur, Artenvielfalt und Insekten erfolgreich CSU und FDP. Wer stimmt dagegen? – Das ist die Frak- sein können. Aber auch hier ist die Voraussetzung, eine tion der AfD. Gibt es Enthaltungen? – Das sehe ich nicht. ausreichende Kompensation für die finanziellen Nachtei- Die Beschlussempfehlung ist angenommen. le der Landwirte sicherzustellen. Nur dann wird eine aus- gewogene Balance zwischen Ökologie und Ökonomie Zusatzpunkt 26. Abstimmung über die Beschlussemp- erreicht. fehlung des Ausschusses für Ernährung und Landwirt- schaft zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- Eine weitere Chance hat die Landwirtschaft mit den nen mit dem Titel „Landwirtschaft eine Zukunft geben Vorschlägen der Borchert-Kommission. Diese Vorschlä- – EU-Agrarpolitik neu ausrichten und ambitioniert ge sind eine einmalige Möglichkeit, die Tierhaltung lang- umsetzen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschluss- fristig zukunftsfähig zu machen. Entscheidend für die empfehlung auf Drucksache 19/26782 (neu), den Antrag Akzeptanz der Landwirte wird auch hier sein, ob es der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache gelingt, dafür zu sorgen, dass die Mehrkosten für die 19/25796 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschluss- gesellschaftlich geforderten Anpassungen durch die empfehlung? – Das sind die Fraktionen der SPD, der (B) Gesellschaft getragen werden. CDU/CSU, der FDP und der AfD. Gegenprobe! – Frak- (D) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) tion Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltungen? – Fraktion Die Linke. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Die Zustimmung der Menschen in unserem Land zur Zusatzpunkt 27. Abstimmung über die Beschlussemp- Übernahme dieser Kosten werden wir erhalten, wenn fehlung des Ausschusses für Ernährung und Landwirt- wir die Tierwohlstufen glaubwürdig gestalten und nicht schaft zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die nur auf ein Maßband, auf bestimmte Maße in den Ställen Grünen mit dem Titel „Grünland- und Klimaschutz ver- reduzieren. Die Dauer der Nutzung von Milchkühen zum bessern, Ackerstatus bei dauernder Grünlandnutzung Beispiel sagt sehr viel über das Tierwohl aus. erhalten“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschluss- Meine letzte Bemerkung. Wenn wir wirklich eine lang- empfehlung auf Drucksache 19/25421, den Antrag der fristig gesellschaftlich akzeptierte Landwirtschaft wol- Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache len, dann muss auch über Strukturen gesprochen werden. 19/25006 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschluss- Ich kann mich hier nur wiederholen: Nachhaltige Land- empfehlung? – Das sind die Fraktionen der SPD und der wirtschaft heißt für mich Kreislaufwirtschaft. Wenn wir CDU/CSU. Gibt es Gegenstimmen? – Die Fraktion das wirklich realisieren wollen, dann müssen wir es Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltungen? – Die Fraktionen schaffen, den Tierbestand in Deutschland besser über der Linken, der FDP und der AfD. Die Beschlussempfeh- Deutschland zu verteilen. lung ist damit angenommen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich rufe die Tagesordnungspunkte 32 a bis 32 d auf: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung Nicht zuletzt im Sinne der Bodengesundheit bedeutet das, eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stallneubau in Ostdeutschland zu unterstützen, ja zu for- Stärkung der Teilhabe von Menschen mit cieren. – Ich bin gleich fertig. Behinderungen sowie zur landesrechtli- Sie sehen, die Landwirtschaft hat viele Chancen und chen Bestimmung der Träger der Sozial- Möglichkeiten, und gerade stehen die Fenster für politi- hilfe (Teilhabestärkungsgesetz) sche Entscheidungen offen. Ich hoffe, dass viele diese Drucksache 19/27400 Chancen nutzen wollen, um die Landwirtschaft in Deutschland und Europa zukunftsfähig aufzustellen. Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ich danke für die Aufmerksamkeit. Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit (Beifall bei der CDU/CSU) Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021 27741

Vizepräsidentin Dagmar Ziegler (A) schätzung Die Bundesregierung hat in ihrem Gesetzentwurf folgen- (C) Ausschuss Digitale Agenda Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunen de Maßnahmen zur Stärkung der Teilhabe von Menschen Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO mit Behinderungen vorgesehen: b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jens Erstens. Mit einer Änderung des Gesetzes zur Gleich- Beeck, Michael Theurer, Johannes Vogel stellung von Menschen mit Behinderungen wird explizit (Olpe), weiterer Abgeordneter und der Frak- geregelt, dass Menschen mit Behinderungen mit ihrem tion der FDP Assistenzhund Zutritt zu öffentlichen und privaten Volle und wirksame Teilhabe für Men- Räumlichkeiten bekommen. Neben den Blindenhunden, schen mit Behinderung durch ein Assis- die schon bekannt sind und deren Führung gesetzlich tenzhundegesetz geregelt ist, werden damit auch andere Assistenzhunde zur Unterstützung von Menschen mit Behinderungen Drucksache 19/14503 anerkannt. Außerdem unterstützen wir die Ausbildung Überweisungsvorschlag: von 100 Assistenzhunden finanziell. Damit werden Bar- Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) rieren abgebaut. Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Zweitens. Menschen mit Behinderungen sind einem Sören Pellmann, Susanne Ferschl, Doris erhöhten Gewaltrisiko ausgesetzt, besonders Mädchen Achelwilm, weiterer Abgeordneter und der und Frauen. Deshalb müssen künftig die Erbringer von Fraktion DIE LINKE Teilhabeleistungen geeignete Maßnahmen treffen, um Tierische Assistenz ermöglichen – Assis- den Schutz von Menschen mit Behinderungen vor Ge- tenzhunde für Menschen mit Behinderun- walt zu gewährleisten. Mit dieser Gewaltschutzregelung gen gesetzlich garantieren setzen wir auch eine Verpflichtung aus Artikel 16 der UN-Behindertenrechtskonvention um. Drucksache 19/27316 Drittens. Wir erweitern das Budget für Ausbildung, das Überweisungsvorschlag: denjenigen, die in Werkstätten für behinderte Menschen Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend arbeiten, eine Berufsausbildung auf dem ersten Arbeits- Ausschuss für Gesundheit markt ermöglicht. Ein solches Budget für Ausbildung d) Beratung des Antrags der Abgeordneten und damit eine Berufsausbildung wird künftig auch für Sören Pellmann, Susanne Ferschl, Doris die im sogenannten Arbeitsbereich tätigen Menschen Achelwilm, weiterer Abgeordneter und der möglich sein. (B) (D) Fraktion DIE LINKE (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Gesellschaftliche Teilhabe von Menschen Unser Ziel ist, mehr Menschen mit Behinderungen in mit Behinderungen deutlich verbessern Ausbildung und Arbeit zu bringen. Das ist ein guter und Selbstbestimmungsrecht garantieren Schritt dafür. Drucksache 19/27299 Viertens. Menschen, die arbeitslos und gleichzeitig auf

Überweisungsvorschlag: Rehabilitation angewiesen sind, haben bei der Wiederein- Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) gliederung in Arbeit mit mehr Schwierigkeiten zu kämp- Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend fen als andere. Mit diesem Gesetz verbessern wir die Ausschuss für Gesundheit Betreuungssituation für Rehabilitandinnen und Rehabili- Für die Aussprache ist eine Dauer von 30 Minuten tanden in den Jobcentern spürbar. Sie erhalten jetzt zum beschlossen. – Ich bitte darum, die Plätze schnell zu Beispiel auch Hilfen wie Schuldnerberatung und Sucht- wechseln. beratung. Vor allem können sie die Möglichkeiten der Wir kommen zur Aussprache. Es beginnt die Parla- aktiven Arbeitsförderung nutzen. Damit werden die Ein- mentarische Staatssekretärin Kerstin Griese. gliederungschancen für Rehabilitandinnen und Rehabili- tanden in den Arbeitsmarkt erhöht. (Beifall) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Kerstin Griese, Parl. Staatssekretärin beim Bundes- Fünftens. In den Leistungskatalog zur medizinischen minister für Arbeit und Soziales: Rehabilitation werden digitale Gesundheitsanwendungen Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und aufgenommen. Unser Ziel ist, die Digitalisierung im Be- Kollegen! Meine Damen und Herren! Eine inklusive reich der medizinischen Reha in Zukunft stärker zu nut- Gesellschaft, das ist das Ziel, auf das wir hinarbeiten zen und die Versorgung um diese wichtige Komponente und das wir immer wieder mit Leben füllen müssen. zu ergänzen. Sechstens. Sprache prägt das Bewusstsein, auch die Der Entwurf des Teilhabestärkungsgesetzes enthält Sprache in unseren Gesetzen. Deshalb wollen wir im eine Vielzahl von gesetzlichen Änderungen, mit denen Gesetz die Wortwahl für die Menschen mit Behinderun- wir die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen im gen, die zum leistungsberechtigten Personenkreis in der Alltag verbessern werden. Damit kommen wir dem Ziel Eingliederungshilfe gehören, verändern. Bisher stehen einer inklusiven Gesellschaft ein gutes Stück näher. noch Begriffe im Gesetz, die von den Betroffenen als (Beifall bei der SPD) diskriminierend empfunden werden. Das ändern wir. 27742 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021

Parl. Staatssekretärin Kerstin Griese (A) Wir orientieren uns dabei am modernen Verständnis von in manchen Teilbereichen geben werden, aber für tatsäch- (C) Behinderung, das die Teilhabe an der Gesellschaft zum liche Teilhabe oder gar Inklusion in allen Lebensberei- Ziel hat. chen keinen großen Schritt vorwärts darstellen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Lassen Sie mich auf einzelne Teilpunkte eingehen, zum Beispiel auf die lückenhafte Verbesserung im Jeder Mensch ist zur Teilhabe fähig, und wir müssen Umgang mit Assistenzhunden. Die Einführung eines die Bedingungen dafür schaffen und Behinderungen und Qualitätsstandards für die Ausbildung von Assistenzhun- Barrieren abbauen. Neben der Stärkung der Teilhabe von den ist zu unterstützen. Gut, dass Assistenzhunde dann Menschen mit Behinderungen wird mit dem Gesetzent- auch dort Zugang erhalten, wo ansonsten allgemeines wurf zudem das Bildungs- und Teilhabepaket in der Hundeverbot herrscht. Sozialhilfe gesichert. Das ist aufgrund eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts nötig. (Dr. [CDU/CSU]: Wo Ihr Zu guter Letzt: Der pandemiebedingt starke Anstieg Fraktionsvorsitzender doch so eine schöne der Anzahl von Anträgen auf Kurzarbeitergeld hat zu Hundekrawatte hat!) einer hohen Arbeitsbelastung bei den Arbeitgebern und Als ein klares Manko sehe ich allerdings, dass keine der Bundesagentur für Arbeit geführt. Um das Antrags- klare Regelung für die Ermöglichung und Finanzierung verfahren zu beschleunigen und eine Entlastung zu errei- eines Assistenzhundes getroffen wurde. Während der chen, kann die Übermittlung der Anträge auf Kurzarbei- Blindenhund anerkannt und größtenteils auch problemlos tergeld zukünftig auch elektronisch über die bestehenden finanziert wird, sieht das für andere Behinderungen ganz Meldeverfahren erfolgen. anders aus. Assistenzhunde zum Beispiel für Epileptiker oder für Kinder und Jugendliche mit Diabetes Typ 1 hel- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten fen, lebensgefährliche Anfälle oder Unterzuckerung zu der CDU/CSU) vermeiden. Lassen Sie mich zusammenfassen: Dieses Gesetz hilft vor allem Menschen mit Behinderungen. Es bedeutet Dennoch wird die Kostenübernahme durch die Kran- mehr Inklusion im Alltag. Darüber hinaus leistet es einen kenkassen in der Regel abgelehnt. Bei Kosten von circa weiteren Beitrag zur Stärkung und Modernisierung unse- 10 000 Euro aufwärts ist die Finanzierung für die Betrof- res Sozialstaats. Ich bitte Sie deshalb um gute Beratung fenen natürlich unerschwinglich. Da wünsche ich mir und um Unterstützung des vorliegenden Gesetzentwurfs, mehr Weitsicht aus dem Bundessozialministerium; denn damit wir dem Ziel einer inklusiven Gesellschaft einen in der Kosten-Nutzen-Rechnung schneiden Assistenz- hunde positiv ab. In diesem Zusammenhang muss ich (B) guten Schritt näher kommen; denn die Pandemie darf (D) nicht zur Inklusionsbremse werden. den Antrag der Fraktion der FDP zu einem Assistenz- hundegesetz positiv hervorheben und vollumfänglich un- (Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- terstützen. NEN]: Das ist sie schon! Das ist sie längst!) Mit der geplanten Ausbildungsförderung für Men- Vielen Dank. schen mit Behinderung in Werkstätten sowie der Verbes- serung der Betreuung von Rehabilitanden in SGB II und (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) SGB III wurden wieder einmal kleinschrittige Verände- rungen vorgenommen, die in der realen Arbeitsvermitt- Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: lung von Menschen mit Behinderungen allerdings mal Vielen Dank. – Das Wort geht an Uwe Witt von der wieder keine deutlichen Verbesserungen nach sich ziehen AfD-Fraktion. werden. (Beifall bei der AfD – Dr. Matthias Zimmer (Beifall bei der AfD) [CDU/CSU]: Hoffentlich wird die Rede so Eines hat Sozialminister Heils Haus allerdings völlig schick wie der Anzug!) außer Acht gelassen: die Folgen der Maßnahmen zur Ein- dämmung des Coronavirus. Das letzte Jahr mit dem ers- Uwe Witt (AfD): ten Lockdown und dem inzwischen zum Dauerzustand Danke, Herr Kollege. – Frau Präsidentin! Verehrte gewordenen zweiten Lockdown hat gerade die Menschen Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer! Wieder mit Behinderungen besonders hart getroffen, die in Werk- einmal bin ich über einen vorgelegten Gesetzentwurf stätten gearbeitet haben oder in besonderen Einrichtun- aus dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales ent- gen für Menschen mit Behinderungen leben. täuscht. Hier trifft mal wieder soziale Augenwischerei auf nicht vorhandene Kompetenz, wie leider üblich im Seit einem Jahr können diese Menschen weder ihrer Hause Heil. für sie so wichtigen Arbeit nachgehen, noch gibt es irgendwelche Lohnersatzzahlungen für einen sowieso Mit diesem sogenannten Teilhabestärkungsgesetz wird schon am Existenzminimum angesiedelten Hungerlohn. die Situation für Menschen mit Behinderungen nicht gra- Sämtliche sozialen Kontakte sind auf einem Nulllevel vierend verbessert, geschweige denn die Teilhabe ge- eingefroren. Doch welche Anstrengungen unternimmt stärkt. Ich sehe hier eine technokratische Umsetzung Herr Heil für unsere Mitbürger mit Behinderungen? – längst gefasster und daher endlich umzusetzender Be- Die gleichen wie für unsere obdachlosen Mitbürger, näm- schlüsse und Verordnungen, die zwar Rechtssicherheit lich fast keine. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021 27743

Uwe Witt (A) Das Einzige, was an der SPD noch sozial ist, ist die (Sören Pellmann [DIE LINKE]: Hoffnung (C) Verstrickung mit Sozialverbänden und Gewerkschaften, reicht da nicht!) wenn es um die lukrative Verteilung von Posten und die Aufschluss über die Kosten für Anschaffung, Aus- Ämtern für die Genossen geht. bildung und Haltung von Assistenzhunden liefern soll, (Beifall bei der AfD) sodass wir dann entsprechend nachlegen können. Herr Heil, Sie wissen genau, dass die Uhr für Ihren Job Ein weiterer Inhalt des Gesetzes ist – ein in meinen als Arbeits- und Sozialminister tickt. Sie haben noch Augen ebenfalls ganz besonders wichtiges Thema – das genau sechs Monate. Nutzen Sie die Zeit, echte Teilhabe Budget für Ausbildung. Das Budget für Ausbildung wer- zu ermöglichen, statt 76 Seiten Bundestagsdrucksache den wir attraktiver gestalten, indem wir dieses Budget auf für ein Gesetz zu produzieren, dessen Verbesserung und Menschen im Arbeitsbereich der Werkstätten für behin- Stärkung der Teilhabe nicht das Papier wert ist, auf dem derte Menschen ausweiten und auch andere Leistungs- es steht. anbieter über das Budget für Ausbildung verfügen Danke schön. können, um entsprechend ein lebenslanges Lernen zu ermöglichen. (Beifall bei der AfD) Verbesserungen wird es auch bei der Betreuung von Rehabilitanden in Jobcentern geben, und zwar insbeson- Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: dere bei der speziellen Förderleistung von Jobcentern Das Wort geht an Wilfried Oellers von der CDU/CSU- neben Rehabilitationsleistungen und -verfahren. Es soll Fraktion. auch eine bessere Koordinierung der Leistungen zwi- (Beifall bei der CDU/CSU) schen den Rehabilitationsträgern auf der einen Seite und den Jobcentern auf der anderen Seite erfolgen, damit diese Leistungen optimiert werden können. Das ist ver- Wilfried Oellers (CDU/CSU): bunden mit der Möglichkeit, die aktiven Arbeitsförde- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und rungen für Rehabilitanden insgesamt auszubauen. Damit Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In werden wir für Rehabilitanden eine größere Eingliede- meiner Bürgersprechstunde im Wahlkreis erhalte ich rungschance in den ersten Arbeitsmarkt erreichen. Dafür des Öfteren Besuch von einer jungen Dame. Die junge bin ich an dieser Stelle sehr dankbar. Dame ist in Begleitung eines Hundes, der Hündin Hilda. Sie bildet mit der Hündin Hilda gemeinsam ein „Team“ – (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- so nennt sie es immer –, und die Hündin Hilda hilft ihr, ihr ordneten der SPD) (B) Leben zu gestalten, weil die junge Dame an einem Asper- Im SGB IX werden wir – Frau Staatssekretärin Griese (D) ger-Syndrom leidet und daher Unterstützung braucht, um hat es bereits angesprochen – dafür sorgen, dass Leis- im gesellschaftlichen Leben mitwirken zu können. Aber tungsträger Gewaltschutzmaßnahmen für behinderte das Team steht immer vor einer Schwierigkeit: Weil Menschen einführen, damit diese bei der Erbringung Assistenzhunde nicht so bekannt sind, wie es bei Blin- von Teilhabeleistungen entsprechend geschützt sind, so denhunden der Fall ist, und weil es für Assistenzhunde wie es die UN-Behindertenrechtskonvention fordert. keine Regelung gibt. (Zuruf der Abg. Corinna Rüffer [BÜND- Da machen wir heute den ersten Schritt – ich bin sehr NIS 90/DIE GRÜNEN]) dankbar dafür, dass wir diesen Schritt gehen können –, indem wir für Assistenzhunde Regelungen schaffen, da- Darüber hinaus stellen wir die gesetzliche Grundlage mit diese in der Gesellschaft akzeptiert werden und für den leistungsberechtigten Personenkreis der Einglie- Bekanntheit erlangen, sodass Probleme, die im öffentli- derungshilfe klar und passen diesen an die Definition der chen oder privaten Raum entstehen, zum Beispiel durch UN-Behindertenrechtskonvention an. Dazu ergänzen wir Besuche von Restaurants oder Cafés mit Assistenzhund, aber auch den Leistungskatalog zur medizinischen Reha- beseitigt werden können. bilitation um digitale Gesundheitsanwendungen im Rah- men der gesetzlichen Krankenversicherung, aber auch Ich danke daher ganz herzlich Herrn Minister Heil und um digitale Pflegeanwendungen aus dem Bereich der Frau Staatssekretärin Griese – Sie sind hier, aber ich darf Pflegeversicherung im Bereich „Hilfe zur Pflege“. meinen ganz herzlichen Dank auch der Kollegin Kramme ausrichten, die dieses Thema intensiv mitbegleitet hat –, Ein parlamentarisches Verfahren ist dafür da, einen dass wir heute diesen ersten Schritt im Teilhabestär- Gesetzentwurf der Bundesregierung noch besser zu ma- kungsgesetz gehen können. chen. Deswegen wollen wir auch im weiteren gesetzge- berischen Verfahren schauen, dass wir im Bereich des Was machen wir? Wir werden regeln, dass Assistenz- Budgets für Ausbildung noch weitere Verbesserungen hunde Zutrittsrechte haben. Wie es für Blindenführhunde erzielen können, um Menschen in Werkstätten für behin- bereits anerkannt ist, werden wir die Ausbildung regeln, derte Menschen mit Blick auf die Coronasituation wirt- also die Qualifikation und die Standards der Ausbildung schaftlich besserzustellen. für diese Hunde, damit auch die Akzeptanz in der Gesell- schaft vorhanden ist. Das, was wir heute leider nicht Als letzten Punkt nenne ich die Einrichtung einer Lot- regeln, ist die Finanzierung; der Punkt klang bereits an. senstelle und Beratungsstelle für Menschen mit Behinde- rung, damit sie auf dem ersten Arbeitsmarkt besser Fuß (Sören Pellmann [DIE LINKE]: Aha!) fassen können und die Unternehmen besser beraten und Aber da setze ich große Hoffnung in die geplante Studie, begleitet werden können. 27744 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021

Wilfried Oellers (A) Ich denke, alles in allem ein guter Entwurf. Ich freue (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Sören (C) mich auf die Beratung. Pellmann [DIE LINKE]) Danke für Ihre Aufmerksamkeit. Dann freue ich mich sehr, dass sich jetzt auch die (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Linken, nachdem die FDP-Fraktion im Jahr 2019 bean- ordneten der SPD) tragt hat, ein Assistenzhundegesetz umfassend auf den Weg zu bringen, dem anderthalb Jahre später angeschlos- sen haben und nun auch das Ministerium dieses Thema in Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: den Blick nimmt. Die Regelungen bleiben allerdings weit Das Wort geht an Jens Beeck von der FDP-Fraktion. hinter dem zurück, was erforderlich ist: Die 100 Hund- (Beifall bei der FDP) Mensch-Gemeinschaften, die Sie finanzieren wollen, sind weniger als das, was jedes Jahr ehrenamtliche Ver- eine und Verbände leisten. Das ist nicht mal ein Zehntel Jens Beeck (FDP): dessen, was die Bundeswehr ihren versehrten Soldaten Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und regelmäßig zur Verfügung stellt. Da brauchen wir viel Kollegen! Herr Minister Heil! Frau Staatssekretärin mehr. Der Weg ist richtig, aber wir müssen an dieser Griese! Auch ich vermisse Frau Staatssekretärin Stelle viel mehr aufs Tempo drücken. Kramme, weil das ja ein Thema ist, das sie immer sehr interessiert hat. Immerhin – sechs Sitzungswochen haben Wir müssen zur Anerkennung von Assistenzhunden wir noch – das erste Gesetz aus dem Hause Heil, das nicht als Teilhabeleistung kommen, zu einer klaren Finanzie- durch internationale Vereinbarungen oder als Reparatur- rung. Bei der Evaluierung – Frau Präsidentin, ich komme gesetz für das Bundesteilhabegesetz versucht, in der Teil- zum Ende – dürfen wir eben nicht nur den Blick darauf habe etwas zu machen. Das kommt spät, aber wir nehmen richten, was so ein Assistenztier eigentlich kostet. Dass hier mal den guten Vorsatz dazu. das in unser aller Interesse liegt, wird deutlich, wenn wir zeitgleich in den Blick nehmen, was ein solches Tier dem Was dieses Gesetz dann allerdings erreicht, darüber Sozialstaat an anderer Stelle einspart. Ich bin fest davon kann man lange streiten; das werden wir in der Anhörung überzeugt, dass wir dann zu der Erkenntnis kommen, dass und in der Ausschussberatung noch tun. Es werden ohne jeder Assistenzhund in Deutschland im Laufe seines Frage wichtige Themen adressiert. Dazu gehört insbeson- Lebens 100 000 Euro einspart. Vor diesem Hintergrund dere der Gewaltschutz. Vergegenwärtigen wir uns einmal wird es uns allen viel leichter fallen, diese Tiere auch zu die Anklage, die aktuell im Raum steht, gegen mehr als finanzieren. 140 Beschuldigte im Kreis Minden-Lübbecke, die über lange Zeit strukturelle Gewalt, etwa durch den Einsatz Frau Präsidentin, herzlichen Dank. (B) von Pfefferspray, gegen Menschen in einer Eingliede- (Beifall bei der FDP) (D) rungshilfeeinrichtung ausgeübt haben sollen. Wenn sich das bewahrheiten sollte, dann ist das Staatsversagen in diesem Land. Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: Vielen Dank. – Das Wort geht an Sören Pellmann von (Beifall bei der FDP sowie der Abg. Corinna der Fraktion Die Linke. Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) (Beifall bei der LINKEN) Da nützt es auch nichts, in dieses Gesetz zu schreiben: Die Leistungserbringer müssen Vorkehrungen treffen. – Vielmehr brauchen wir hier klare Vereinbarungen mit den Sören Pellmann (DIE LINKE): Ländern und klare Zuständigkeiten der staatlichen Auf- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! sichten an dieser Stelle. Wenn wir die Schwächsten in der Zum heutigen zwölften Geburtstag der UN-Behinderten- Gesellschaft, die in unserer Obhut sind, nicht schützen rechtskonvention können, dann machen wir unseren Job hier falsch. (Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der FDP) NEN]: Endlich sagt es mal einer!) Adressiert wird auch – das haben Sie angesprochen – hätte ich mir in einem solchen Gesetzentwurf tatsächlich das Budget für Ausbildung. Das ist, Herr Kollege Oellers, mehr Inhalt gewünscht. tatsächlich eine sehr positive Entwicklung. Warum aber (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- nicht zeitgleich das Budget für Arbeit mit angefasst wird, neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) erschließt sich mir überhaupt nicht. Auch hier müssen wir endlich zu dem kommen, was in der ganzen Diskussion An diesem heute zu beratenden Gesetzentwurf erkennt um das Bundesteilhabegesetz 2016 im Grunde Konsens man, dass die Legislaturperiode langsam zu Ende geht gewesen ist: Personenzentriertheit unserer staatlichen und die Koalition versucht, sich noch irgendwie bis ans Leistung. Wir nehmen den Menschen mit Behinderung Ziel zu retten. Wie steht es um die Teilhabe denn im in den Blick und orientieren uns an seinen Bedürfnissen, tatsächlichen Leben? Bei der letzten Pressekonferenz sodass er in den Genuss voller Teilhabe kommt. Wenn der Bundeskanzlerin nach der Ministerpräsidentenkonfe- wir das ernst nehmen, müssen wir die Leistungen zusam- renz war zum Beispiel hinsichtlich Barrierefreiheit völli- menführen und nicht immer neue Hürden aufbauen, ge Fehlanzeige. sodass man entweder nur das eine oder das andere ma- Auf zwei positive Dinge will ich zu Beginn eingehen: chen kann und sich entscheiden muss. Also hier ist auch Erstens. Die Erweiterung der Leistungsberechtigten des für die Beratung im Ausschuss noch viel Luft nach oben. Budgets für Ausbildung und die Regelung zum leistungs- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021 27745

Sören Pellmann (A) berechtigten Personenkreis begrüßen wir ebenso wie (Beifall bei der LINKEN) (C) zweitens die minimalen Verbesserungen bei der Betreu- Ebenso bleiben die Qualitätsstandards im Gesetz unklar. ung der Rehabilitandinnen und Rehabilitanden im SGB II Assistenzhunde retten Leben und machen die Bewäl- und III. tigung des Alltags erst möglich; deswegen sind sie zu Bis zur Beschlussfassung, Herr Oellers – ich bin Ihnen fördern – nicht nur 100 Hunde, sondern deutlich mehr. sehr dankbar, dass Sie es schon angeführt haben –, gibt es (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) noch viele Punkte, wo nach unserer Auffassung nachge- steuert werden muss. Abschließend: Es muss grundlegend, flächendeckend und themenübergreifend teilhabeorientiert gedacht wer- (Beifall der Abg. Corinna Rüffer [BÜND- den. Meine Empfehlung, liebe Koalition: Nutzen Sie die NIS 90/DIE GRÜNEN]) Zeit bis zum Beschluss hier im Hohen Hause! Reden Sie kündigte zum Beispiel im Dezember des mit Interessenvertreterinnen und Interessenvertretern! Da vergangenen Jahres an, die Erhöhung der Ausgleichsab- geht noch eine Menge. Als Geburtstagsversprechen zum gabe zu formulieren. Im vorliegenden Entwurf? Fehlan- heutigen zwölften wäre es ein erster Anfang. zeige! Vielen Dank. Verpflichtende und verbindliche Regelungen für Leis- (Beifall bei der LINKEN) tungserbringer und Rehaträger beim Gewaltschutz? Lei- der nicht vollumfänglich erfüllt. Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: Umfassende Verbesserung und barrierefreie Beratung Vielen Dank. – Das Präsidium würde sich tierisch und Vermittlung, die einheitlich durch die Bundesagentur freuen, wenn sich alle an ihre Redezeiten halten würden. für Arbeit zu erfolgen hat? Fehlanzeige! Das Wort geht an Corinna Rüffer von der Fraktion Barrierefreiheit bei den geplanten digitalen Gesund- Bündnis 90/Die Grünen. heitsanwendungen im SGB IX? Fehlanzeige! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Und etwas geht gar nicht: Das Zwangspooling hat weiterhin Bestand. – Das geht so nicht! Wo wird hier Teilhabe gestärkt? Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Demokratinnen (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. und Demokraten! Wenigstens Sören Pellmann hat es Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- erkannt: Heute vor zwölf Jahren war ein großartiger NEN]) Tag in diesem Land! Es war die Geburtsstunde der Ver- (B) (D) Die Linke fragt daher bei der Erarbeitung ihrer Anträge pflichtung zu einer menschenrechtsorientierten Politik auch: Wie sieht denn die Realität der Betroffenen aus? für Menschen mit Behinderungen in Deutschland. Die Beispiel Assistenz: Betroffene berichten vom Hickhack UN-BRK hat damals eine enorme Wucht entfaltet. Sie bei der Mitnahme von Assistenzkräften in Krankenhäu- hat Menschen mit Behinderungen, ihre Freunde und ser, zur Reha oder in Hospizeinrichtungen. Familien dazu ermutigt, sich endlich offensiv für ihre Rechte einzusetzen. Erstens. Assistenzen kennen die Betroffenen am besten und können insbesondere in lebensbedrohlichen Situatio- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nen Sicherheit vermitteln. und bei der LINKEN) Zweitens. Die Zuständigkeiten zwischen Bundesmi- Nun stehen wir heute in diesem Hohen Haus, mitten in nisterium für Arbeit und Soziales und Bundesministe- der Pandemie, in der Menschen mit Behinderungen weit- rium für Gesundheit müssen sofort geklärt werden. Lö- gehend vergessen und, ja, auch ignoriert worden sind. sung könnte sein, die Finanzierung wie bei anderen Viele von ihnen haben die letzten 13 Monate in absoluter Assistenzleistungen über das SGB IX zu formulieren. Isolation verbracht, weil sie schwere Verläufe von Covid- 19 befürchten mussten – und sie warten bis heute auf eine (Beifall bei der LINKEN) Impfung. Zu häufig endet Teilhabe leider an der falschen oder (Zuruf des Abg. Sören Pellmann [DIE LIN- fehlenden Infrastruktur. Erstens. Wir wollen flächende- KE]) ckend in eine soziale, inklusiv ausgestaltete Infrastruktur investieren. Zweitens. Inklusive und barrierefreie Wohn- Von Inklusion also in dieser Zeit wirklich keine Spur. Nix angebote und öffentliche Räume müssen vorranging Teilhabestärkung! Sämtliche Entscheidungen, die Men- gefördert werden. Das wäre echte Teilhabestärkung. schen mit Behinderungen betreffen, sind in den letzten 13 Monaten über ihre Köpfe hinweg gefällt worden. (Beifall bei der LINKEN) Nichts mit dem zentralen Leitmotiv der Konvention: In dem Zusammenhang verweise ich zumindest schon Nichts über uns ohne uns! einmal auf unseren Teilhabeantrag. Angesichts dieser Tristesse, hätte ich heute zu gerne Zum Schluss noch etwas zu unserem tierisch guten über ein Gesetz gesprochen, das etwas Reue erkennen Antrag. Wir begrüßen die Regelungen zu den Assistenz- lässt, das wirklich die Mängel des Bundesteilhabegeset- hunden. Leider wird die Finanzierung erneut nicht gesi- zes in den Blick nimmt und jetzt beherzt die Lösungen chert. Und dass in der Studie nur 100 Hunde berücksich- angeht und schlicht ein Versprechen einlöst: Nach dem tigt werden sollen: Das ist deutlich zu wenig. Gesetz ist vor dem Gesetz. – Stattdessen erkenne ich aber 27746 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021

Corinna Rüffer (A) nur zaghafte Schritte. Es geht zwar nicht in die völlig Vielen Dank. (C) falsche Richtung; aber es geht eben nicht beherzt in die richtige Richtung, und das wäre jetzt nötig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie des Abg. Jens Beeck [FDP]) Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: Danke. – Das Wort geht an Angelika Glöckner von der Es gibt ein paar Punkte, die auch ich gut finde, zum SPD-Fraktion. Beispiel dass das Budget für Ausbildung weiterentwi- ckelt wird, damit die jungen Menschen nicht in Werk- (Beifall bei der SPD) stätten festhängen, sondern einen richtigen Platz in dieser Gesellschaft bekommen. Die Leute wollen das. Angelika Glöckner (SPD): (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und und bei der LINKEN) Kollegen! Wir beraten heute in erster Lesung das Teil- Aber wo bleibt die spürbare Anhebung der Ausgleichs- habestärkungsgesetz. Ich finde, dieses Gesetz hat den abgabe für Unternehmen, die trotz Verpflichtung keinen Namen auch verdient. einzigen Menschen mit Behinderung einstellen? (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Abg. Wilfried Oellers [CDU/CSU] – Sören und bei der LINKEN) Pellmann [DIE LINKE]: Na ja!) Sie haben es versprochen, Herr Heil. Sie lösen es nicht Wir bringen viele Verbesserungen für Menschen mit ein. Behinderungen in vielen Lebensbereichen auf den Weg, Warum findet sich keinerlei Ansatz, die Privatwirt- wir stärken Teilhabe. Mein Dank geht dabei an Hubertus schaft zur Barrierefreiheit zu verpflichten? Das fordern Heil, der es ermöglicht hat, dass wir heute darüber bera- alle großen Verbände. Warum passiert das nicht? ten können, und an das gesamte Haus für die Vorlage dieses Gesetzentwurfs. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Frau Staatssekretärin Griese hat bereits die umfassen- den Verbesserungen ausgeführt. Ich möchte mich auf drei Warum müssen Menschen mit Behinderungen weiter- Punkte beschränken. hin mit ihrem Einkommen und Vermögen einstehen für die Assistenz, die sie brauchen und auf die sie ein Recht Erstens. Wir erweitern das Budget für Ausbildung. (B) haben? Herr Beeck, für uns als Sozialdemokratinnen und Sozial- (D) demokraten steht immer eine qualifizierte Ausbildung im Wie sollen behinderte Menschen sich ehrenamtlich Vordergrund. Natürlich muss das auch für Menschen mit engagieren, auch in der Politik, wenn sie die Unterstüt- Behinderungen gelten. Deswegen bin ich sehr froh, dass zung nicht bekommen, die sie brauchen? wir da einen wesentlichen Schritt vorankommen. Wenn Und warum stellen wir nicht klipp und klar fest, dass sich Menschen in Werkstätten oder bei sogenannten jeder Mensch – auch mit Behinderungen – selbstver- anderen Leistungsanbietern dem allgemeinen Arbeits- ständlich ein Recht darauf hat, zu entscheiden, wo und markt zuwenden wollen, indem sie eine qualifizierte Aus- mit wem er lebt? bildung machen wollen, dann ermöglichen wir ihnen das; (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und zwar ist das ganz im Sinne lebenslangen Lernens, und bei der LINKEN) wenn Menschen eben erst später zu der Einsicht kom- men, dass sie eine Ausbildung machen wollen. Das ist Alle hier im Haus wissen ganz genau, dass Mädchen ein Riesenfortschritt. Das Glas ist aus Ihrer Sicht halb und Frauen mit Behinderungen Schutz brauchen, da sie leer, aber aus unserer Sicht halb voll. so sehr von Gewalt bedroht sind. Legen Sie endlich ein konsequentes Konzept vor, das diese Menschen schützt! (Beifall bei der SPD – Jens Beeck [FDP]: Dann machen wir es doch zusammen voll! – Sören Und ganz zum Schluss: Das Geschacher um die Assis- Pellmann [DIE LINKE]: Volles Glas wäre bes- tenz im Krankenhaus finde ich mittlerweile unerträglich. ser!) Ich sage Ihnen heute: Wir werden nicht ruhen, bis dafür im Laufe diese Legislaturperiode eine Lösung gefunden Ich will auch noch mal betonen, was hier von keinem wurde. der Rednerinnen und Redner bisher gesagt wurde: Wir stärken die Ausbildung natürlich auch dadurch, dass es Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: uns gelungen ist, Ausbildungsvergütungen über die ge- setzlich festgelegte Mindestausbildungsvergütung hinaus Kommen Sie bitte zum Ende. dann zu unterstützen, wenn im Betrieb gute Tarife gezahlt werden. Das ist ein richtiger Fortschritt Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Denn diese Menschen schweben in Lebensgefahr, weil (Beifall bei Abgeordneten der SPD) ihnen dieses Recht nicht gewährleistet wird. und ein Riesenanreiz für die jungen Menschen, um die es Herzlichen Glückwunsch zum zwölften Geburtstag der überwiegend geht. Das bietet auch Perspektiven, gerade UN-Behindertenrechtskonvention! in diesen schwierigen Zeiten, die wir haben. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021 27747

Angelika Glöckner (A) Weil das Assistenzhundegesetz angesprochen wurde, Stephan Stracke (CDU/CSU): (C) was Sie im Sinn haben, will ich noch mal sagen: Wir Grüß Gott, Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten schaffen jetzt klare Vorgaben und stärken die Regelungen Damen und Herren! Gleiche Chancen und gleiche Teil- für Assistenzhunde. Das ist ein Riesenfortschritt. Assis- habe für Menschen mit Behinderungen in allen Bereichen tenzhunde sind wichtige emotionale Begleiter im Leben der Gesellschaft ist eine zentrale gesellschaftliche Auf- von Menschen mit Behinderungen. Und natürlich erhö- gabe. Wir sind mit dem Bundesteilhabegesetz bereits hen sie auch die selbstbestimmte Mobilität. Das ist ein einen großen Schritt gegangen: mehr individuelle Selbst- toller Fortschritt, wenn es uns so gelingt, Zutritt zu er- bestimmung, mehr Hilfen aus einer Hand, stärkere indi- möglichen. Dann müssen sich die Menschen nämlich viduelle Unterstützung für ein selbstbestimmtes Leben. nicht mehr mit Gesetzen bzw. Gerichten herumärgern Mit dem Teilhabestärkungsgesetz knüpfen wir daran an bezüglich der Frage, wo sie mit dem Assistenzhund Zu- und wollen den nächsten Schritt in Richtung einer inklu- gang haben und wo nicht. Wir nehmen das den Menschen siven Gesellschaft beschreiten. ab. Das ist ein richtig großer Fortschritt. Ich jedenfalls bin Ja, das Ziel haben wir sicherlich noch lange nicht sehr stolz darauf. erreicht; aber die Strecke, die wir auf dem Weg dorthin (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des zurückgelegt haben, finde ich doch beachtlich, denn es ist Abg. Wilfried Oellers [CDU/CSU]) ermutigend, dass mehr Menschen mit Behinderungen einen Job haben; es ist ermutigend, dass die Arbeitslosen- Ich will auch noch einmal betonen: Natürlich stärken quote von Menschen mit Behinderungen bis zum Beginn wir auch den Gewaltschutz. Darum geht es doch insbe- der Coronapandemie gesunken ist, und es ist auch ermuti- sondere. Denken wir an Frauen und jungen Mädchen mit gend, dass beispielsweise Barrieren in Bus und Bahn Behinderungen. Es ist doch ein wichtiger Punkt, wenn deutlich geringer geworden sind. Das ist auch das zen- wir die Leistungserbringer, die diese Teilhabeleistungen trale Ergebnis des Dritten Teilhabeberichtes über die anbieten, jetzt dazu verpflichten, weitergehende Konzep- Lebenslagen von Menschen mit Beeinträchtigungen, te aufzulegen, damit wir hier einen ganz deutlichen den das Bundeskabinett vor drei Wochen beschlossen Schritt nach vorne kommen. hat. Also hat sich in den letzten Jahren vieles positiv (Zuruf der Abg. Corinna Rüffer [BÜND- bewegt – natürlich liegt noch viel Wegstrecke vor NIS 90/DIE GRÜNEN]) uns –; daran knüpfen wir jetzt mit dem Teilhabestär- kungsgesetz an. Ich will aber auch sagen: Für uns als SPD-Fraktion – und hier stehe ich als Vertreterin der SPD-Fraktion – gibt Ein wichtiger Punkt ist aus meiner Sicht die gesetz- es bei diesem Thema noch offene Punkte. Wir beraten liche Neudefinition des leistungsberechtigten Personen- (B) heute in erster Lesung. Ich würde mir wünschen, dass kreises. Wir haben ja alle noch die Diskussion beim Teil- (D) wir beim Thema Krankenhausassistenz einen Riesen- habestärkungsgesetz in den Knochen. Da wurde zu Recht schritt vorankommen. Ich will an der Stelle auch mal deutlich gemacht, dass es erhebliche Zugangseinschrän- sagen: Das BMAS bemüht sich seit Monaten regelrecht kungen gegeben hätte, wenn das, was das Bundesarbeits- um gute Gespräche und Konzepte mit dem Bundesminis- ministerium damals vorgelegt hat, Realität geworden terium für Gesundheit; wäre. Deswegen haben wir das gemeinsam, Union und SPD, vom Tisch genommen. Das, was jetzt vorliegt, sorgt (Zuruf der Abg. Corinna Rüffer [BÜND- tatsächlich für Rechtssicherheit und Rechtsfrieden. Die NIS 90/DIE GRÜNEN]) notwendigen Detailregelungen zur Konkretisierung der aber es gehören nun mal – das ist eben Realität, wenn Leistungsberechtigung werden jetzt zusammen mit den man in der Regierung ist – mehr als nur eine Regierungs- Ländern getroffen und werden auch vorab evaluiert. Ich fraktion dazu; das ist nun mal so. Ich wünsche mir sehr, finde, das ist ein wesentlicher Fortschritt hin zum Kon- dass es uns gelingt, hier zu Fortschritten zu kommen. sens, zum Miteinander und nicht zur Konfrontation, die entstanden wäre, wenn das, was das Bundesarbeitsminis- (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zurufe terium ursprünglich einmal vorhatte, Realität geworden von der CDU/CSU: Oh!) wäre. – Das sage ich einfach so, weil das so ist; Sie müssen sich Mit dem Budget für Arbeit und dem Budget für Aus- auch mal dazu bekennen. – Das ist ein wichtiger Punkt. bildung haben wir bereits die Chancen für Menschen mit Dafür kämpfen wir. Wir haben gute Chancen, im Zuge Behinderungen ausgebaut, um ihnen den Start im bzw. der Beratungen zu guten Lösungen zu kommen. den Wechsel in den ersten Arbeitsmarkt zu erleichtern. Herzlichen Dank. Das Budget für Ausbildung wird noch wenig genutzt. Das wollen wir ändern. Wir bauen es jetzt für diejenigen (Beifall bei der SPD – [CDU/ aus, die im Arbeitsbereich einer Werkstätte sind. Das ist CSU]: Parteitagsrede! – Gegenruf des Abg. sicherlich gut. Sören Pellmann [DIE LINKE]: Die kommt jetzt!) Wir brauchen auch noch einen stärkeren Bewusstseins- wandel in den Betrieben. Es gibt hier immer noch Be- Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: denken und Unsicherheiten gegenüber Menschen mit Behinderungen. Die Beschäftigung von Menschen mit Vielen Dank. – Als letzten Redner hören wir in dieser Behinderungen geht nur zusammen mit den Betrieben, Debatte Stefan Stracke von der CDU/CSU-Fraktion. nicht gegen sie. Deshalb wollen wir die bestehenden (Beifall bei der CDU/CSU) Beratungs- und Unterstützungsangebote verbessern. Wir 27748 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021

Stephan Stracke (A) stellen uns hier einheitliche Ansprechstellen vor, die Stephan Stracke (CDU/CSU): (C) aktiv auf die Arbeitgeber zugehen, die Lotsen durch die Frau Kollegin, das, was Sie hier ansprechen, ist in der Bürokratie sind, durch den Wust an Antragsformularen, Tat ein ganz wichtiges Thema. Das ist kein Thema der den es da oftmals gibt. Hierzu sind wir, glaube ich, inner- SPD, das ist ein Thema der gesamten Regierung und der halb der Koalition in guten Gesprächen, um uns das viel- gesamten Koalition. Wir gehen das gemeinsam an. Der- leicht auch gemeinsam vornehmen zu können. zeit finden dazu Gespräche auf Ebene der Regierung statt. Ich glaube, diese Gespräche verlaufen konstruktiv. Auch Wir wollen zudem die Betreuungssituation in den Job- ich erhoffe mir, dass jetzt Ergebnisse in dem Bereich centern verbessern, um zukünftig allen erwerbsfähigen vorgelegt werden. Auch wir als Union wollen eine Lö- Leistungsberechtigten die gleichen Fördermöglichkeiten sung in diesem Bereich, weil wir die Thematik sehen, zukommen zu lassen. dass Menschen mit Behinderungen auf Hilfen angewie- Auch der digitale Fortschritt soll natürlich möglichst sen sind. Deswegen streben wir hier eine Lösung an. Das allen zugutekommen. Wir schaffen Anreize, die Versor- ist ein gemeinsames Thema der gesamten Koalition gung mit digitalen Gesundheitsanwendungen auszu- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- bauen. Die Potenziale des digitalen Fortschritts sollen neten der SPD – Sören Pellmann [DIE LIN- auch Menschen mit Behinderungen im Bereich der medi- KE]: Wir werden Sie daran erinnern!) zinischen Rehabilitation und im Rahmen der Hilfe zur Pflege zugänglich gemacht werden. Der digitale Fort- und nicht nur der SPD, wie das hier vorhin dargestellt schritt muss für alle nutzbar sein. Dafür sorgen wir ent- wurde. – Deswegen danke ich Ihnen ganz herzlich für sprechend vor. die Gelegenheit zur Klarstellung. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine sehr verehrten Damen und Herren, das jetzige Gesetzesvorhaben legt viele Regelungen auf den Tisch. Assistenzhunde sind für viele Menschen mit Behinde- Ich glaube, das sind gute Regelungen, die wir uns jetzt rungen ein notwendiger Begleiter im Alltag. Sie helfen vorgenommen haben. Ich freue mich auf weitere kon- dabei, ein selbstbestimmtes Leben führen zu können. Wir struktive Vorschläge aus dem parlamentarischen Raum stärken das Recht der Betroffenen auf Begleitung durch im Rahmen der Beratungen. einen Assistenzhund. Das ist richtig und auch ein wichti- ges Thema in diesen Bereichen. In diesem Sinne ein herzliches Dankeschön! Ich glau- be, wir haben hier einen guten Aufschlag vor uns. Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Ulla Herr Abgeordneter, erlauben Sie eine Zwischenfrage Schmidt [Aachen] [SPD]) (B) von der Kollegin Rüffer? (D) Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: Stephan Stracke (CDU/CSU): Danke sehr. – Ich schließe die Aussprache. Ja. – Herzlich gerne, Frau Kollegin. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 19/27400, 19/14503, 19/27316 und Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): 19/27299 an die in der Tagesordnung aufgeführten Aus- Weil ich Sie entsprechend einschätze, würde ich Ihnen schüsse vorgeschlagen. Gibt es weitere Überweisungs- gerne eine Frage stellen, die mir sehr am Herzen liegt. vorschläge? – Das sehe ich nicht. Dann verfahren wir Wir haben gerade in der Rede der Kollegin Glöckner wie vorgeschlagen. gehört, dass die SPD ein echtes Interesse daran hat, die Assistenz im Krankenhaus endlich so gesetzlich zu Ich rufe den Tagesordnungspunkt 33 auf: regeln, dass diejenigen, die diese Unterstützung brau- Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/ chen, um im Krankenhaus behandelt werden zu können, CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines sie auch bekommen. Das ist eine ganz existenzielle Fra- Gesetzes zur Errichtung der Bundesstiftung ge. Sie ist im Zweifelsfall wirklich überlebenswichtig – Gleichstellung gerade in der Pandemie, aber nicht nur in der Pandemie. Sie wissen, wie die Zugänge im medizinischen System Drucksache 19/27839 sind: Sie sind nicht barrierefrei, im Gegenteil. Menschen Überweisungsvorschlag: werden abgewiesen, es wird zur Voraussetzung gemacht, Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) dass sie die Assistenz mitbringen. Diese Leute brauchen Ausschuss für Inneres und Heimat Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz die Assistenz auch, um das Vertrauen zu haben, dass sie Ausschuss für Wirtschaft und Energie gut behandelt werden, und um verstehen zu können, wie Ausschuss für Arbeit und Soziales sie behandelt werden. Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO Für die Aussprache ist eine Dauer von 30 Minuten Jetzt frage ich Sie: Dürfen wir, die wir mindestens ein beschlossen. – Ich bitte um zügigen Platzwechsel. Jahrzehnt an dieser Frage herumdoktern, Hoffnung haben, dass in den nächsten Monaten endlich eine Lö- Ich eröffne die Aussprache mit der Bundesministerin sung für dieses Winzproblem gefunden wird und die Franziska Giffey. Menschen diese wichtige Sicherheit bekommen? (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021 27749

(A) Franziska Giffey, Bundesministerin für Familie, Se- vernetzen und unterstützen. Drittens. Wir wollen das (C) nioren, Frauen und Jugend: Wissen über Gleichstellungsfragen vergrößern und auch Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen mit Bürgerinnen und Bürgern eine Diskussion dazu und Herren! Heute ist ein guter Tag für die Gleichstel- anstoßen. lung. Wir machen uns in der Politik ja ständig Gedanken Konkret soll das gelingen, indem die Stiftung es Inte- darüber, wie wir Verbesserungen für unser Land errei- ressierten eben einfach leichter macht, sich zu informie- chen können, in welcher Gesellschaft wir leben wollen, ren, ins Gespräch zu kommen. Wir haben unseren Gleich- in welchem Land wir leben wollen und wie wir dazu stellungsatlas, der anhand von 41 Indikatoren einen guten beitragen können. Wir haben kürzlich im Ministerium Überblick über die Gleichberechtigung in Politik, Ar- eine Umfrage zum Thema Gleichstellung gemacht, die beitswelt und Gesellschaft gibt. Ziel ist, darüber zu spre- zum Ergebnis hatte: Eine breite Mehrheit ist davon über- chen. zeugt, dass tatsächliche Gleichstellung unserer Gesell- schaft nützt. Frauen und Männer wollen und sollen Wir wollen Fortschritte machen. Wir wollen mehr gleichberechtigt, selbstbestimmt leben können. Tempo beim Thema Gleichstellung. Wir werden mit der Stiftung auch andere unterstützen, ihre eigenen Aktions- Aber die Befragten sagen auch, dass wir noch nicht am pläne für mehr Gleichstellung voranzubringen, egal ob Ziel sind. Nur 14 Prozent haben geantwortet, dass die das in der Zivilgesellschaft ist, in der Wirtschaft oder in Gleichstellung bisher tatsächlich erreicht ist – nur 14 Pro- der Verwaltung und Politik. zent. Wir werden Innovationswettbewerbe anschieben kön- Die anderen, die deutlich sehen, wo noch Unterschiede nen, um so gute Ideen für mehr Gleichstellung zu unter- sind, haben auch recht. Frauen erhalten immer noch einen stützen, damit diese Schule machen, überall im Land. Es um 18 Prozent niedrigeren Bruttolohn pro Stunde. gibt viele Ideen, es gibt viele Menschen, die dieses The- (Thomas Ehrhorn [AfD]: Das ist nachweislich ma wichtig finden. Ein Erfolg der vergangenen Jahre ist falsch!) auch, dass gerade in der jungen Generation dieses Thema Sie leisten eineinhalb Mal so viel familiäre Sorgearbeit als sehr wichtig eingestuft wird. wie Männer, und sie sind viel seltener in Führungsposi- Die Gleichstellungsstiftung des Bundes wird ein tionen zu finden. Sie haben aufgrund der geringeren Löh- Forum sein, um diese Themen voranzubringen, ein Ort ne und häufigeren Arbeit in Teilzeit auch ein geringeres der gegenseitigen Unterstützung und Vernetzung. Wir Alterseinkommen. Die Rentenlücke liegt bei etwa 53 Pro- schaffen ein Haus für die Gleichstellung, und Sie alle zent. haben dazu beigetragen. Es ist ein weiterer Schritt, damit eben Frauen und Männer die gleichen Chancen haben, ihr (B) Wir haben in den letzten Jahren viel unternommen, um (D) genau dagegen anzugehen. Ich erinnere an das Ent- Leben nach ihren Wünschen selbstbestimmt und frei, gelttransparenzgesetz, das Zweite Führungspositionen- gleichberechtigt, so wie es unsere Verfassung vorsieht, Gesetz, den großen Ausbau der Anzahl der Kinderkran- auch gestalten zu können. kentage, den Ausbau des Elterngeldes und des Partner- (Beifall bei der SPD) schaftsbonus und an all die Flexibilisierungen, die zur Gleichstellung beitragen sollen. Wir setzen uns aktuell Für eine offene und vielfältige Gesellschaft. ein für eine bessere Bezahlung von Frauen und Männern Deshalb vielen Dank, und ich freue mich auf die Bera- in systemrelevanten sozialen Berufen, im Kampf gegen tungen. Gewalt und für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Das sind Fragen der Gleichstellung, aber auch von mehr der CDU/CSU) Partnerschaftlichkeit. Wir haben zum allerersten Mal in der Geschichte der Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: Bundesrepublik eine Gleichstellungsstrategie auf den Weg gebracht, die alle Ressorts verpflichtet – nicht nur Vielen Dank. – Das Wort geht an Thomas Ehrhorn von das Frauenressort –, sich um dieses Thema zu kümmern. der AfD-Fraktion. Und heute gehen wir mit der Bundesstiftung Gleichstel- (Beifall bei der AfD) lung den nächsten Schritt nach vorne. Daran haben Sie, meine Damen und Herren Abgeordnete, tatkräftig mitge- Thomas Ehrhorn (AfD): wirkt. Sie haben die Grundsatzentscheidung getroffen, Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe diese Stiftung zu gründen, und mein Haus um eine Zuschauer! Der hier vorliegende Gesetzentwurf zeigt Formulierungshilfe gebeten. Ganz viele engagierte Par- wieder einmal in eindrücklicher Weise, wie weit sich lamentarierinnen und Parlamentarier haben dafür ge- diese Bundesregierung im Allgemeinen und wie weit kämpft, dass wir heute hier sein können. Dafür möchte sich die Sozialdemokratie im Besonderen von jeglicher ich Ihnen allen ganz besonders danken. Lebenswirklichkeit und den tatsächlichen Problemen der (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Menschen in diesem Lande entfernt hat. Wir befinden uns der CDU/CSU) doch gerade in einer Situation, in der der Dauer-Lock- down die finanziellen Reserven von Hundertausenden Wir verfolgen mit dieser Stiftung drei Ziele. Erstens. Gewerbetreibenden in diesem Land vernichtet hat. Wir wollen zeigen, wo es noch mehr Gleichstellung braucht. Wir wollen gute Lösungen dafür entwickeln. (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Zweitens. Wir wollen Engagierte für die Gleichstellung NEN]: Was hat das mit Gleichstellung zu tun?) 27750 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021

Thomas Ehrhorn (A) Wir befinden uns in einer Situation, in der diese Men- Es heißt weiter: Es ist ein Ort, an dem sich wissen- (C) schen nach Ende des Lockdowns feststellen werden, schaftlich fundiert der gerechten Partizipation von Frauen dass sich ihre Existenz, für die sie jahrelang gearbeitet in der Gesellschaft gewidmet wird. – Man will also den und geschuftet haben, über Nacht in Luft aufgelöst hat. immer gleichen Sud von angeblichen gläsernen Decken, strukturellen Benachteiligungen, von Ähnlichkeitsprin- Aber damit nicht genug: Diese Bundesregierung hat ja zip und Gender Pay Gap und sonstigen pseudowissen- auch noch die Gunst der Stunde genutzt, um im Schatten schaftlichen Halb- und Unwahrheiten immer weiter auf- von Covid-19 ein lange geplantes Projekt umzusetzen, kochen, um dann diesen grünen Brei einer möglichst welches unter anderen Bedingungen niemals möglich ahnungslosen Bevölkerung unterzujubeln, gewesen wäre, nämlich die Weichenstellung für die end- gültige und totale Vergemeinschaftung europäischer (Beifall bei der AfD) Schulden, für deren Tilgung man den deutschen Steuer- das allerdings natürlich erst, nachdem man sich in einem zahler in Zukunft weiter und weiter enteignen wird. Stuhlkreis darauf geeinigt hat, ob Bürgersteige nicht in (Beifall bei der AfD – Josephine Ortleb [SPD]: Zukunft „Bürger/-innensteige“ heißen müssten. Thema verfehlt!) (Zurufe von der SPD und der LINKEN) Mit anderen Worten: Diese Bundesregierung hat gerade Der „Focus“ schreibt dazu: Tatsächlich soll „die ‚Stif- die eigene Bevölkerung so schnell über den Tisch gezo- tung Gleichstellungʼ feministische Lobbygruppen mit gen, dass so mancher die dabei entstehende Reibungshit- Macht und Geld“ ausstatten. ze möglicherweise sogar als Nestwärme empfinden wird. (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der AfD – Dr. Petra Sitte [DIE NEN]: Sie haben bei Frau Kelle abgeschrieben! LINKE]: Sind Sie sich sicher, dass Sie nicht Noch nicht einmal selber formuliert!) die falsche Rede halten?) Man könnte auch sagen: Hier werden weitere Versor- gungsposten für arbeitslose linke Geschwätzwissen- Fast könnte man sagen, dass es dann in diesem Kontext schaftler geschaffen. Sei’s drum. Kümmern Sie sich auf ein paar weitere Millionen für feministische Ideolo- weiter um Gendersternchen und darum, deutsches Volks- gieprojekte auch nicht mehr ankommt, eigentum in Europa zu verteilen! Wir, die AfD, haben (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Ach ja, jetzt andere Prioritäten; denn wir sind die Partei der arbeiten- kommt das wieder! – [SPD]: den Menschen. Sie sollten sich schämen!) Vielen Dank. (B) Projekte wie die Bundesstiftung Gleichstellung. Aber das (Beifall bei der AfD – Dr. Petra Sitte [DIE (D) Problem liegt doch schon darin, dass man gleich am LINKE]: Da sind auch Frauen drunter, unter Anfang Begrifflichkeiten wie „Gleichberechtigung“ und den Arbeitenden! Mann, so ein Kerl! Null „Gleichstellung“ in völlig unzulässiger Weise, und zwar Ahnung! – Anke Domscheit-Berg [DIE LIN- offenkundig absichtsvoll, miteinander vermengt, dass KE]: Kein Wunder, dass Frauen euch nicht man nicht einsehen will oder kann, dass die im Grund- wählen und bei euch da drüben keine sitzen! – gesetz garantierte Chancengleichheit eben nicht zur Er- Gegenruf von der AfD: Noch ein Witz!) gebnisgleichheit führen kann und muss, (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Das ist nicht Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: wahr!) Das Wort geht an Silvia Breher von der CDU/CSU- Fraktion. also nicht zu einer 50-prozentigen Parität an jeder Stelle und überall. (Beifall bei der CDU/CSU)

(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Wer jahrhunder- Silvia Breher (CDU/CSU): telang Vorteile hatte, für den ist Gleichberech- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! tigung natürlich ein Nachteil!) Ich habe überlegt, was ich zu der Rede der AfD sagen Will man sich nun der Frage nähern, welches nun kann; aber mir fällt einfach nichts ein. eigentlich der Sinn dieser sagenumwobenen Stiftung ist, (Zurufe von der SPD und der LINKEN: Gar findet man immer wieder den gleichen Satz – hören Sie nichts! – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Lassen!) gut zu –: – Das lassen wir. (Josephine Ortleb [SPD]: Auf keinen Fall! – Ich würde sagen: Heute ist Endspurt. Wir haben im [SPD]: Nicht erträglich!) Koalitionsvertrag vereinbart: Die Stiftung wird ein offenes Haus werden, so heißt es, in Wir wollen eine Bundesstiftung gründen, die sich dem sich Menschen treffen, vernetzen und bestärken. – wissenschaftlich fundiert insbesondere Fragen der Na, das ist doch mal was Tolles. Das sollte doch dem gerechten Partizipation von Frauen in Gesellschaft, deutschen Steuerzahler einen zweistelligen Millionenbe- Politik, Wirtschaft und Wissenschaft widmet. trag in den nächsten Jahren wert sein. Es hat ein bisschen gedauert, aber heute kommen wir (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Es sind auch zum Endspurt und zur ersten Lesung. Denn unser Grund- Frauen darunter!) gesetz gibt uns in Artikel 3 vor: „Männer und Frauen sind Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021 27751

Silvia Breher (A) gleichberechtigt.“ Das ist richtig. Rechtlich haben wir On top werden wir die Geschäftsstelle für die Gleich- (C) unser Ziel erreicht. Aber tatsächlich, im Alltag, im nor- stellungsberichte, die bislang im Ministerium angesiedelt malen Leben – jeder wird es bestätigen – haben wir eben ist, in diese Stiftung überführen. immer noch Unterschiede. Männer und Frauen haben es Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere Gleichstel- unterschiedlich schwer oder leicht, ihre Wünsche und lungspolitik, unser Ansatz beruht auf Artikel 3 im Grund- Träume zu verwirklichen. Frauen treffen oftmals auf Vor- gesetz. Gleichstellung bedeutet für uns die Herstellung urteile und Hindernisse. gleicher Chancen, nicht nur auf dem Papier, sondern tat- Ein paar Stichworte sind auch von der Frau Ministerin sächlich. Es heißt eben nicht Gleichmacherei und im schon genannt worden. Immer noch liegt der größere Teil Ergebnis 100 Prozent Gleichheit in allen Punkten, son- der Fürsorge, der Hausarbeit, der Familienarbeit bei den dern tatsächlich die Durchsetzung von wirklicher Chan- Frauen. Wir haben noch immer die Lohnlücke und daraus cengleichheit. Alles andere würde unserem Menschen- folgend Altersarmut vor allem bei den Frauen. Die Füh- bild nicht entsprechen. rungspositionen sind in der Regel männlich besetzt; das Was wir wollen, ist nicht nur die Gleichheit nach der zieht sich durch sämtliche Bereiche unserer Gesellschaft. Rechtslage, sondern eine tatsächliche Chancengleichheit. Sexismus ist im Alltag noch immer präsent, und Gewalt In diesem Sinne werden wir die Stiftung – so ist es im gegen Frauen ist ein großes Thema. Direktorium angelegt – auch paritätisch besetzen, mit Ich bin eigentlich immer ein sehr, sehr positiver einem Mann und mit einer Frau. Das Parlament soll durch Mensch. Deswegen sage ich nicht, was wir alles nicht Vertreter im Stiftungsrat die Stiftung in ihrer Arbeit eng erreicht haben, sondern: Wir haben bei diesen Themen begleiten. schon ganz, ganz viel erreicht. Aber oft ist eben nicht Wir sind davon überzeugt, dass diese Stiftung einen der große gesetzgeberische Wurf erforderlich, sondern, wesentlichen Beitrag für die Gleichstellung, für die Wei- dass wir auf Zwischentöne, auf die leisen Töne hören terentwicklung der Gleichstellungspolitik in Deutschland müssen, wenn wir etwas ändern wollen. Solange wir liefern wird. noch nicht alles erreicht haben, müssen wir weiter- Der erste Gesetzentwurf liegt vor. Wir gehen in die machen. Denn unser Grundgesetz verpflichtet uns in Beratung. Wir werden noch eine Anhörung haben. Aber Artikel 3: „Der Staat fördert die tatsächliche Durch- ich glaube, wir haben alle gemeinsam gut vorgearbeitet, setzung der Gleichberechtigung …“ – nicht nur die und ich freue mich auf diese weiteren Beratungen. Wir rechtliche, sondern die tatsächliche Durchsetzung der werden in Kürze auch zur zweiten und dritten Lesung Gleichberechtigung – „und wirkt auf die Beseitigung be- kommen; davon bin ich – ich gucke mal meine Kollegin stehender Nachteile hin.“ Frau Ortleb an – und sind wir überzeugt. Ich freue mich (B) Wir wollen nicht nur die rechtliche Gleichberechti- auf die weiteren Gespräche zu diesem Thema. (D) gung auf dem Papier; wir wollen auch die tatsächliche Vielen, vielen Dank. Gleichberechtigung. Dazu machen wir mit dieser Stif- tung den nächsten Schritt. Die Stiftung soll die Gleich- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- stellung von Frauen und Männern in Deutschland stärken ordneten der SPD) und fördern. Auf den ganz verschiedenen Ebenen passiert schon viel, aber – und das ist entscheidend – die Zusam- Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: menführung fehlt. Das soll am Ende mithilfe dieser Stif- Vielen Dank. – Das Wort geht an Nicole Bauer von der tung erfolgen. FDP-Fraktion. Die Aufgaben der Stiftung lassen sich wie in einem (Beifall bei der FDP) Vier-Säulen-Modell wie folgt aufsplitten: Sie soll erstens Informationen bereithalten, also Daten und Fakten Nicole Bauer (FDP): zusammentragen und für die Öffentlichkeit aufbereiten – Werte Präsidentin! Sehr geehrte Frau Ministerin! Liebe der Gleichstellungsatlas wurde schon genannt –, For- Kolleginnen und Kollegen! Formal genießen Frauen und schungslücken aufdecken – sie soll also nicht selber for- Männer in Deutschland gleiche Rechte. Die großen Mei- schen – und gegebenenfalls ergänzende Forschung in lensteine für die Gleichberechtigung haben wir gesetzt. Auftrag bringen. Aber das allein ist nicht genug. Gleichberechtigung muss Zweitens soll diese Stiftung Gleichstellung vor Ort in erlebbar sein und auch gelebt werden, ganz konkret für der Praxis stärken, also Beratung von Zivilgesellschaft, jede und jeden im Alltag. Die Bundesstiftung Gleichstel- Verwaltung, Wissenschaft und Wirtschaft anbieten, als lung soll hierzu einen Beitrag leisten. Deshalb freue ich Bindeglied zwischen diesen Akteuren fungieren und mich darüber, dass wir heute genau das diskutieren. Wir einen Dialog herstellen. Freie Demokraten haben ganz viele Ideen, wie wir Chan- cenverwirklichung für jede und jeden ermöglichen kön- Drittens. Sie soll innovative Ideen für die Gleichstel- nen, wie wir zukunftsweisende Ansätze und Initiativen lungspolitik entwickeln und deren Umsetzung begleiten. aus den verschiedensten Bereichen des Zusammenlebens Viertens. Sie soll ein offenes Haus der Gleichstellung zusammenbringen und wie wir Veränderung tatsächlich sein, also Akteuren, die schon aktiv sind, aber auch neuen gestalten können. einen Raum für Vernetzung und einfach eine Möglichkeit Ich stelle mir dabei aber etwas ganz Lebendiges vor, der Begegnung und der Zusammenführung von allem etwas, das atmet, das pulsierend ist. Umso mehr finde ich geben. den Vorschlag, der vorgelegt wurde, etwas einfallslos, 27752 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021

Nicole Bauer (A) etwas starr und ernüchternd. Wir setzen hingegen auf sehr vieles im Ungefähren. Mehr parlamentarische und (C) etwas Neues, auf etwas Agiles, auf etwas Mutiges: auf öffentliche Auseinandersetzung über enge Zirkel hinaus so etwas wie einen Innovationsinkubator für echte Chan- wäre sehr sinnvoll gewesen, auch weil das ganze Unter- cenverwirklichung, fangen eine breite Rückendeckung und dafür Transpa- (Beifall bei der FDP) renz und Klarheit braucht. auf einen Innovationsinkubator für Vielfalt und Perspek- (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Ulle tivenwechsel. Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Noch bei der Gleichstellungsstrategie haben Sie sich Was kann und muss diese Gleichstellungsstiftung leis- damit gerühmt, dass das Ganze als Querschnittsaufgabe ten? Laut Koalitionsvertrag von 2018 soll sie sich wissen- zu begreifen ist. Doch ein Jahr später ist davon nichts schaftlich fundiert Fragen der gerechten Beteiligung von mehr zu sehen. Bei der Besetzung des Stiftungsrats ist Frauen in Gesellschaft, Politik, Wirtschaft und Wissen- keine Rede mehr von unterschiedlichen Ministerien schaft widmen. Beackern soll dieses weite Feld nun eine oder einem wechselnden Vorsitz. Wir wollen doch genau Einrichtung, die das BMFSFJ, seine Verwaltung und das Gegenteil. Wir wollen raus aus der Blase, rein in gleichstellungspolitische Netzwerke berät. Eine eigen- verschiedene Blickwinkel und Verantwortlichkeiten, ständige, tonangebende Rolle, eine Anwaltsfunktion der meine Damen und Herren. Wir wollen einen chancenpo- Bundesstiftung für Gleichstellungsfragen wird nach mei- litischen Innovationsinkubator, der Erfolgsmotor mit ner Leseweise nicht eingeräumt, es geht eher um Öffent- Wechselwirkung ist. Wir wollen Bewegung hineinbrin- lichkeitsarbeit und Kooperation im Sinne des zuständigen gen. Ministeriums. Der erste Eindruck ist: Das Ganze soll aus (Beifall bei der FDP) GroKo-Sicht ein wichtiges überfälliges Signal setzen, aber auch nicht wehtun, kein Hebel sein, der Regierungs- Dazu brauchen wir aber Visionen, liebe Kolleginnen handeln im Sinne einer ernsthaften Selbstkontrolle unter und Kollegen, und vor allem den richtigen Treibstoff. Es Druck setzt. Ich finde, hier sollte geschaut werden, die braucht den Austausch, die Vernetzung und die gegen- Kompetenzen zu schärfen. seitige Inspiration. Es braucht den Transfer von Ideen, Methoden und Konzepten und ein ständiges Voneinan- (Beifall bei der LINKEN) der-Lernen und Weiterkommen. So bringen wir tatsäch- lich die PS gelebter Gleichberechtigung auf die Straßen Es braucht für diese Stiftung und ihren dienstleisten- und in den Alltag, meine Damen und Herren. Wir brau- den Charakter eine politischere Zielsetzung. Sie muss chen einen chancenpolitischen Innovationsinkubator, der zum Beispiel stärker darauf ausgerichtet werden, Ge- wirkt – und zwar messbar. setzgebung zu begleiten und mit einer systematischen (B) Folgenabschätzung Handlungsbedarfe deutlicher heraus- (D) (Beifall bei der FDP) zustellen. Wenn es so was gäbe, wäre das zahnlose Ent- Deshalb plädieren wir ganz klar für Evaluationskrite- gelttransparenzgesetz vielleicht schon erneuert oder er- rien mit Zielgrößen von Anfang an: Wo geht die Reise gänzt worden, und das wäre ja tatsächlich sehr gut. hin? Was wollen wir erreichen? Und an welchen Kenn- Was nicht passieren darf: dass künftig bei Aufgaben, zahlen wollen wir denn das messen? Denn wir sind nur die mit F wie Frauen oder G wie Gender anfangen, auto- dann erfolgreich, wenn der Erfolg tatsächlich messbar matisch an die Stiftung verwiesen wird. Sie darf kein wird. Hierbei muss definitiv nachgebessert werden. Nebengleis werden, um zentrale Gleichstellungsaufga- Was wir brauchen, ist auch mehr Diversity, mehr ben dorthin zu delegieren oder kreisen zu lassen, während Durchlässigkeit im System, damit wir echten Fortschritt der Rest weitermacht wie bisher. gestalten können. Schaffen wir die Form, die es dafür braucht, nämlich einen Innovationsinkubator für echte (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Ulle Chancenverwirklichung. Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Herzlichen Dank. Sie muss alle Frauen im Blick haben, vor allem Prekari- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten sierte, mehrfach Benachteiligte. Sie muss kritisches, der SPD) feministisches Wissen und dessen Umsetzung fördern. Viele Fragen sind offen, etwa, für welche Gleichstel- Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: lungsthemen eigenständige Referate eingerichtet werden Danke sehr. – Ich gebe das Wort an Doris Achelwilm sollen. Was ist mit Stiftungsrat, Stiftungsbeirat? Wer gibt von der Fraktion Die Linke. was vor? Wie werden Forschungslücken und Prioritäten identifiziert? (Beifall bei der LINKEN) Ausreichend Zeit zu beraten, bleibt leider nicht. Umso Doris Achelwilm (DIE LINKE): wichtiger, dass sie für Überarbeitung und Antworten auf Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! berechtigte Fragen intensiv genutzt wird. Nach der Aus- Die Bundesstiftung Gleichstellung wird schon sehr lange schussberatung wissen wir mehr, und darauf freue ich gefordert, geplant und hinter den Kulissen vorbereitet. mich auch. Aber die konkrete Ausgestaltung blieb in dieser Legisla- Vielen Dank. turperiode dann doch ein Mysterium. Der heute debat- tierte Gesetzentwurf kam vor drei Tagen und belässt (Beifall bei der LINKEN) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021 27753

(A) Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: möchten weiterkommen bei flexiblen Arbeitszeitmodel- (C) Danke sehr. – Das Wort geht an Ulle Schauws von der len für Frauen und Männer, bei den Auswirkungen Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. geschlechterspezifischer und digitaler Gewalt, bei der vollständigen Umsetzung der Istanbul-Konvention und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) den Auswirkungen der Einschränkung reproduktiver Selbstbestimmung von Frauen. Wir Grüne wollen eine Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Gesellschaft, in der alle gleichberechtigt, selbstbestimmt Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine Damen und und solidarisch miteinander leben. Herren! Wie sinnvoll es ist, eine Bundesstiftung Gleich- Eine Bundesstiftung, die mehr Wissen, mehr Aktion stellung zu begründen, darüber kann es hier wohl keinen und mehr Innovationen bringt, ist überfällig. Aber die Zweifel geben. Denn solange Macht, Geld und Zeit unter- Diskussion darüber, wie die Besetzung und das Verfahren schiedlich zwischen den Geschlechtern verteilt sind, ist dazu laufen sollen, sollte klar und deutlich unter mehr der Auftrag des Grundgesetzes, die tatsächliche Durch- Beteiligung aller Akteurinnen erfolgen; darüber wird zu setzung der Gleichberechtigung durch den Staat zu för- reden sein. Dazu geben Sie sich, dazu geben Sie uns dern, nicht erfüllt. Eine Bundesstiftung, die diese Förde- kaum Zeit; das ist sehr bedauerlich. Ich finde, das ist rung unterstützt, ist notwendig. wirklich unprofessionell. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Aber, meine Damen und Herren – jetzt kommt ein Den Beginn einer guten Idee hätten wir Grüne uns anders dickes Aber –: Was in diesem Gesetzentwurf aufgeschrie- gewünscht. Deswegen kann ich nur sagen: Gut, dass wir ben wurde, darüber muss man doch nicht drei Jahre nach- es machen, aber schade, wie es läuft. denken. Die Bundesstiftung hätte direkt zu Beginn der Legislaturperiode gegründet und mit Aufträgen gefüllt (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) werden können. Das haben Sie, Frau Giffey und Sie von der Koalition, versäumt. Längst hätte dies Ihrem Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: Regierungshandeln in der Gleichstellungspolitik neue Danke sehr. – Das Wort geht an Josephine Ortleb von Impulse verleihen können. Sie hätten das heute gute der SPD-Fraktion. oder starke oder wie auch immer Gleichstellungspolitik nennen können. Haben Sie aber nicht, und das kritisieren (Beifall bei der SPD) wir. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Josephine Ortleb (SPD): (B) sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und (D) Kollegen! Die junge Schülerin, der empfohlen wird, statt Denn, meine Damen und Herren, diese Krise hat doch dem Mathekurs den Kunstleistungskurs zu belegen, die unübersehbar harte und negative Auswirkungen gerade Verkäuferin, die aufgrund tradierter Rollenbilder zu Hau- auf Frauen – Stichwort „Retraditionalisierung“. Die ist se bleibt, um sich um den Haushalt zu kümmern, der im Alltag von Frauen und Männern längst angekommen. Familienvater, dem mit Kündigung gedroht wird, falls Die Bundesstiftung hätte die Auswirkungen der Pande- er sich für eine längere Elternzeit entscheidet, die Jour- mie auf die Geschlechtergerechtigkeit unter die Lupe nalistin, die ihr ganzes Berufsleben auf eine Führungs- nehmen und Ihnen für ein Entgegenwirken längst Emp- position hinarbeitet und dann an der gläsernen Decke fehlungen geben können. Das versäumen wir gerade, und scheitert, und die ehemalige Köchin, die aufgrund jahr- das ist ärgerlich. zehntelanger geringerer Bezahlung heute unter einer klei- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) nen Rente leidet – diese Lebensrealitäten zeigen uns: Die Gleichstellung in Deutschland ist unvollständig. Empfehlungen wären auch an anderer Stelle notwen- dig gewesen, liebe Kolleginnen und Kollegen; denn die (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Bundesregierung hat sogar versäumt, in der Krise von der CDU/CSU) Anfang an beratende Gremien divers zu besetzen und Klar ist aber auch: Benachteiligungen treffen vor allem geschlechtersensible Aspekte zu diskutieren. Frauen: in allen gesellschaftlichen Bereichen, auf allen Wir Grüne begrüßen die Idee des offenen Hauses für Ebenen, im Privaten wie im Beruf. Dabei sind es nicht Gleichstellung ausdrücklich. Aber eine intersektionale die Frauen und ihre individuellen Entscheidungen, es Dimension gehört doch selbstverständlich dazu. Ohne sind die Strukturen unserer Gesellschaft, die diese Un- den Blick auf Mehrfachdiskriminierung und Vielfalt gleichheiten erzeugen. Das zeigt uns die Coronapande- von Frauen kann eine chancengerechte Gleichstellung mie auch noch mal ganz besonders. nicht gelingen. Ohne echte Diversität auch nicht. Allein Wegen dieser Lebensrealitäten und für diese Menschen diese Gedanken fehlen hier schon; da muss dringend brauchen wir diese Bundesstiftung Gleichstellung; denn nachgebessert werden. mit ihr setzen wir den strukturellen Benachteiligungen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eine strukturelle Antwort entgegen. sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, es freut mich wirk- Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Stiftung sollte lich besonders, dass wir heute mit der Umsetzung dieses Herzensprojekts der SPD starten können. mutige Konzepte für wirksame Veränderungen aufneh- men: von Verbänden, von Wissenschaftlerinnen etc. Wir (Beifall bei der SPD) 27754 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021

Josephine Ortleb (A) Mit viel Druck haben wir vor knapp vier Jahren die (Beifall bei der CDU/CSU) (C) Gründung dieser Stiftung in den Koalitionsvertrag hineinverhandelt. Mit demselben Druck haben wir in Martin Patzelt (CDU/CSU): den bisherigen Verhandlungen dafür gesorgt, dass die Frau Präsidentin! Frau Ministerin Giffey! Liebe Kolle- Bundesstiftung auch wirklich gegründet wird. ginnen und Kollegen! Ich bin in den Debatten hier sehr Und nun sind wir auf der Zielgeraden, endlich eines häufig der Letzte in der Runde, und deswegen wechsle der wichtigsten gleichstellungspolitischen Vorhaben des ich mal die Perspektive; denn über die Stiftung wurde ja Koalitionsvertrags umzusetzen. Mit der Gründung der schon genug informiert. Bundesstiftung durch die Koalitionsfraktionen bekennen Vor etwa 8 000 Jahren wurde in den Schöpfungs- wir uns als Parlament zum Staatsauftrag in Artikel 3 bericht – nach heutiger Übersetzung – Folgendes ge- Absatz 2 Grundgesetz und senden damit ein klares Zei- schrieben: Und Gott schuf die Frau als eine ebenbürtige chen: Wir lassen uns nicht aufhalten, wenn es um die Gefährtin des Mannes. – Ebenbürtig! 8 000 Jahre hat es vollständige Gleichstellung der Geschlechter geht. gedauert, und wir haben mit dieser Ebenbürtigkeit immer (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Bettina noch nicht genug angefangen, obwohl die großen mono- Margarethe Wiesmann [CDU/CSU]) theistischen Religionen – das Judentum, der Islam und auch das Christentum – sich genau auf dieses Buch beru- Wir überwinden die Hürden der strukturellen Benach- fen. teiligung, indem wir das vorhandene Wissen darüber, wie dringend notwendig Gleichstellung ist, in die Köpfe aller Damit, die Ebenbürtigkeit zu erkennen, haben wir aber Menschen bringen – wobei ich mir angesichts der Aus- tatsächlich immer noch große Probleme. Ich hebe das sagen von Herrn Ehrhorn nicht sicher bin, ob wir das bei Erkennen deshalb hervor, weil wir in unserer Perspektive allen schaffen –, immer sehr von Geld und von Macht geprägt werden. Wenn wir die Macht und das Geld teilen – so sind ja (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von auch viele unserer Vorlagen und Bemühungen –, dann der AfD: Zum Glück nicht!) denken wir immer, wir hätten für die Frauen schon das indem wir dort, wo die Strukturen besonders verhärtet Beste getan. Frauen wollen aber nicht Männer werden. sind, beraten und Lösungen finden – das gilt für Politik, (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wirtschaft und Wissenschaft – und indem wir zentrale Ach? Das ist ja eine Erkenntnis!) Akteurinnen und Akteure miteinander vernetzen und in den Austausch bringen. Deswegen ist es gut, dass die Genauso wie ich es als Mann schwer habe, mich in Stiftung ihren Sitz in Berlin haben wird; denn die Ver- meiner neuen Rolle zurechtzufinden (B) netzung muss dort stattfinden, wo die politischen Ent- (D) scheidungen gefällt werden. (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Holla! Holla! Wir sind im 21. Jahrhundert!) Wir wollen aber auch eine Vernetzung vom Bund bis in die Kommune, also von Berlin bis zum Beispiel in meine – lassen Sie mich mal ausreden; hören Sie einfach mal zu; Heimatstadt Saarbrücken. Das stärkt die wichtige Arbeit das tut Ihnen gut –, vor Ort; denn wir wissen: In der Praxis entstehen oft die (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: innovativsten Ideen. Wir wollen genau das: dass mutige Nee, das ist schwer, das anzuhören! Wirklich!) Initiativen eine Chance haben und Innovationen verwirk- licht werden. Auch dabei wird die Stiftung unterstützen. so müssen wir auch einmal die Leistungen der Frauen über die vielen Jahrhunderte hinweg sehen. Wenn Frauen Gleichstellungspolitische Erfolge sind immer Erfolge sich verweigern würden, wenn sie keine Kinder mehr zur einer gesamten Gesellschaft, Erfolge, die innerhalb und Welt bringen würden, wenn sie nicht mit dem hohen Maß außerhalb des Parlamentes vorbereitet und umgesetzt an Empathie ausgestattet tatsächlich Gesellschaft und werden. Deswegen geht ein großer Dank an die vielen Welt zusammenhalten würden, Vertreter/-innen der Zivilgesellschaft, die mit großem Einsatz, Engagement und Expertise für diese Bundesstif- (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: tung gekämpft haben. Ich möchte mich zudem bei meiner Reden Sie über Männer! Das ist besser!) Kollegin Silvia Breher für die gute Zusammenarbeit so- was wäre denn dann? wie bei Franziska Giffey und ihrem Haus für die Unter- stützung bedanken. Ich freue mich nun auf die Anhörung (Beifall des Abg. Klaus-Dieter Gröhler [CDU/ und würde mich freuen, wenn wir nach der Anhörung CSU]) diese Stiftung mit einer großen parlamentarischen Mehr- Daran sehen wir, dass Frauen über die lange Zeit der heit auch wirklich gründen. Geschichte eine unerhörte Leistung erbracht haben. Ich Vielen Dank. denke, genau daran müssen wir uns jetzt ausrichten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: der CDU/CSU) Das müssen Sie überhaupt nicht! Sie haben es nicht verstanden!) Vizepräsidentin : Wir müssen der Frau die Rolle zuerkennen in unserem Das Wort hat der Kollege Martin Patzelt für die CDU/ gesellschaftlichen Zusammenleben, die ihr gebührt, und CSU-Fraktion. diese auch anerkennen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021 27755

Martin Patzelt (A) Dafür ist die Stiftung ein gutes Instrument, denke ich; Überweisungsvorschlag: (C) denn sie kann durchaus, Frau Bauer, genau dieses atmen- Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung (f) Ausschuss für Inneres und Heimat de System sein. Die Satzung, so wie sie jetzt ist, gibt ihr Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz durchaus die Möglichkeit. Ich halte sie für ein Signal- ZP 29 Beratung des Antrags der Abgeordneten Thomas system, das tatsächlich am Puls der Gesellschaft auf- Seitz, Ulrike Schielke-Ziesing, Jens Maier, wei- nimmt: Wo haben wir Handlungsbedarf? In einem großen terer Abgeordneter und der Fraktion der AfD Kommunikationssystem verortet, kann sie dann auch die Kommunikation zwischen Regierung und Parlament Änderung der Geschäftsordnung des Deut- immer wieder herstellen. Der Gleichstellungsbericht schen Bundestages, Anlage 1 Verhaltensregeln wird dort verortet sein, und es soll nicht nur ein Bericht für Mitglieder des Deutschen Bundestages sein, sondern ein lebendiges Bemühen, dass die Frauen hier: Anzeigepflicht von Optionen das sind, was ich mir wünsche und Gott sei Dank immer erfahren habe: Drucksache 19/27857 Überweisungsvorschlag: (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung Wir möchten nicht sein, was Sie sich wün- schen! Das ist ja wohl der Hammer! Gehen ZP 30 Erste Beratung des von den Abgeordneten Sie zurück ins letzte Jahrhundert! – Abg. Ulle Dr. Marco Buschmann, Stephan Thomae, Schauws meldet sich zu einer Zwischenfrage.) Grigorios Aggelidis, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Ent- eine wunderbare Gefährtin in meinem Leben. wurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Abgeordnetengesetzes − Aktienoptionen und (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) vergleichbare Vermögenswerte Vorteile für Mitglieder des Bundestages anzeigepflichtig Vizepräsidentin Petra Pau: machen (Abgeordnetengesetz – AbgG) Zu spät, Kollegin Schauws. Ich konnte nicht ahnen, Drucksache 19/27836 dass der Kollege Patzelt seine Redezeit nicht aus- Überweisungsvorschlag: schöpft. – Ich schließe die Aussprache. Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung (f) Ausschuss für Inneres und Heimat Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz auf Drucksache 19/27839 an die in der Tagesordnung ZP 31 Beratung des Antrags der Abgeordneten Britta aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es weitere Haßelmann, Katja Keul, Dr. Manuela Rottmann, Überweisungsvorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann (B) weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- (D) verfahren wir wie vorgeschlagen. NIS 90/DIE GRÜNEN Ich rufe den Tagesordnungspunkt 34 c sowie die Transparenz, Nachvollziehbarkeit und Offen- Zusatzpunkte 28 bis 31 auf: legung – Für eine transparente saubere Politik 34 c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Drucksache 19/27872 Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung (1. Aus- Über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für schuss) zu dem Antrag der Fraktion DIE Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung zu dem LINKE Antrag der Fraktion Die Linke werden wir später nament- lich abstimmen. Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages Für die Aussprache wurde eine Dauer von 60 Minuten beschlossen. hier: Änderung der Verhaltensregeln für Ich bitte, zügig die Plätze zu wechseln. – Hier vorn im Mitglieder des Deutschen Bundestages Präsidium geschieht das auch. Ich danke den Schriftfüh- (Anlage 1 der Geschäftsordnung) rern, die gerade ihre Schicht beendet haben. Drucksachen 19/12, 19/22782 Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege ZP 28 Erste Beratung des von den Abgeordneten Patrick Schnieder für die CDU/CSU-Fraktion. Thomas Seitz, Ulrike Schielke-Ziesing, Jens (Beifall bei der CDU/CSU) Maier, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der AfD eingebrachten Entwurfs eines … Geset- zes zur Änderung des Gesetzes über die Patrick Schnieder (CDU/CSU): Rechtsverhältnisse der Mitglieder des Deut- Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und schen Bundestages (Abgeordnetengesetz) – Herren! Mitglied dieses Hohen Hauses zu sein, ist Ehre Verbot von entgeltlicher Lobbytätigkeit durch und Verpflichtung zugleich. Wer dieses Mandat ausüben Abgeordnete, Verbot von Optionen als Entgelt darf, muss sich dabei allein am Nutzen für das Gemein- für Nebentätigkeiten von Abgeordneten und wohl orientieren. Haltung, Anstand und Integrität sind Reform der Transparenzregeln des Bundesta- unverzichtbare Voraussetzungen für die Tätigkeit als ges Bundestagsabgeordneter, eine Tätigkeit im Übrigen – auch das muss man an dieser Stelle sagen –, die ange- Drucksache 19/27850 messen und vor allem ausreichend bezahlt ist. 27756 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021

Patrick Schnieder (A) Für die ganz überwältigende Mehrheit der Kolleginnen Handwerker in unseren Reihen im Bundestag sind. Was (C) und Kollegen der Unionsfraktion kann ich sagen, dass sie wir nicht wollen, ist ein reines Beamtenparlament oder diesen Anspruch lebt und sich tagtäglich mit viel Einsatz nur noch Politiker, die aus dem Hörsaal, vielleicht über im besten Sinne für das Wohl unseres Landes engagiert. den Umweg der Mitarbeit bei einem Abgeordneten, im Zur Wahrheit gehört aber auch, dass einige frühere Plenarsaal landen. Mitglieder unserer Fraktion (Beifall bei der CDU/CSU) (Zuruf von der LINKEN: Einige ist gut! – Worauf haben wir uns mit der SPD konkret verstän- [AfD]: Ganz schön viele!) digt? Wir wollen in Zukunft anzeigepflichtige Einkünfte diesem Anspruch nicht gerecht geworden sind und das aus Nebentätigkeiten und Unternehmensbeteiligungen Vertrauen, das Wählerinnen und Wähler in sie gesetzt betragsgenau auf Euro und Cent veröffentlichen. Ein- haben, schwer enttäuscht haben. Dass die Menschen in künfte sind nicht anzuzeigen, wenn sie im Monat unter unserem Land darüber empört sind, kann ich gut nach- 1 000 Euro bzw. in der Jahressumme unter 3 000 Euro vollziehen. Ich kann Ihnen versichern: Mir und den ande- liegen. Beteiligungen an Aktiengesellschaften und Betei- ren Mitgliedern meiner Fraktion geht es genauso. ligungen an sonstigen Gesellschaften sollen ab 5 Prozent Schlimm ist, dass es auf alle abfärbt – auf die Anständi- angezeigt und veröffentlicht werden. Einkünfte aus an- gen, auf die Politik insgesamt, auf die Institution Bundes- zeigepflichtigen Unternehmensbeteiligungen, zum Bei- tag. Deshalb sollte man das Fehlverhalten Einzelner auch spiel Dividenden und Gewinnausschüttungen, sollen nicht als systemisch darstellen. Wir alle nehmen dann in ebenfalls anzeige- und veröffentlichungspflichtig wer- unserer Demokratie noch mehr Schaden. den. Auch Aktienoptionen unterfallen der Anzeige- und Veröffentlichungspflicht, und zwar unabhängig von der (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Frage, ob sie einen bezifferbaren Wert haben. Das soll Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]) auch für vergleichbare Finanzinstrumente gelten. Aber – auch das gehört zur Wahrheit – ich hätte mir das, Ein zentraler Punkt, bezogen vor allem auf die inkri- was jetzt bekannt geworden ist, beim besten Willen nicht minierten Fälle, wenn ich so sagen darf: Bezahlte Lobby- und nicht in diesem Ausmaß vorstellen können. tätigkeit von Abgeordneten für Dritte gegenüber der (Zuruf von der AfD: Wir schon!) Bundesregierung oder dem Bundestag soll gesetzlich ver- boten werden. Es ist klar, dass wir im Einzelfall noch Ich habe eben beschrieben, was ich von einem Abge- genaue Abgrenzungsarbeit zu leisten haben, damit wir ordneten des Deutschen Bundestages erwarte. Für mich zum Beispiel Tätigkeiten im ehrenamtlichen Bereich ist das eigentlich selbstverständlich. Daher bedurfte es gegen Aufwandsentschädigung nicht grundsätzlich aus- bisher auch keiner gesetzlichen Regelung dafür. Leider (B) schließen. (D) musste ich mich, mussten wir uns eines Besseren beleh- ren lassen. Wir haben jedenfalls verstanden, dass wir Der Missbrauch der Mitgliedschaft im Deutschen Bun- ohne deutliche und klare Gesetzesverschärfungen nicht destag zu geschäftlichen Zwecken ist heute schon unzu- mehr auskommen. Es gilt, jetzt diese Dinge schnell und lässig. Wir wollen das aber gesetzlich verbieten und mit entschieden anzugehen und zu lösen. Daher haben wir als Sanktionen versehen. Auch Honorare für Reden und Vor- Union früh – das heißt, kurz nach Bekanntwerden der träge von Abgeordneten sollen verboten werden. Das ist ersten Fälle – eine Transparenzoffensive beschlossen. eine Kerntätigkeit, die mit dem Mandat verbunden ist, für (Zuruf von der LINKEN) die wir keine zusätzliche Bezahlung und Honorierung erwarten können. Die Koalition hat sich, wie Sie vielleicht schon den Medien entnehmen konnten, auf dieser Grundlage auf (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) einen gemeinsamen Maßnahmenkatalog verständigt, Wir wollen die Möglichkeit der Abschöpfung verbote- den wir jetzt zeitnah in einen gemeinsamen Gesetzent- ner Einnahmen schaffen. Wer aus unzulässigen Geschäf- wurf gießen wollen. ten Einnahmen hat, muss diese abführen; zusätzlich kann Was ist unser Maßstab? Erstens. Transparenz ist kein ein Ordnungsgeld verhängt werden. Schließlich wollen Selbstzweck. Es geht darum, mögliche Interessenkonflik- wir den § 108 e Strafgesetzbuch verändern. Hochstufung te bei Tätigkeiten von Abgeordneten offenzulegen bzw. zum Verbrechen ist das Stichwort. Auch die Entgegen- auszuschließen. Allerdings sind dabei die Freiheit des nahme von Geldspenden durch Abgeordnete soll in Zu- Mandats und die Berufsfreiheit, also Artikel 38 und Arti- kunft verboten werden. kel 12 Grundgesetz, zu beachten. Meine sehr geehrten Damen und Herren, an die Oppo- Zweitens. Wenn es einen politischen und gesellschaft- sition gerichtet will ich sagen: Sie sehen, unsere Vor- lichen Konsens gibt, dass eine bestimmte Art von schläge gehen noch einmal über das hinaus, was Sie vor- Geschäften der Abgeordneten per se unmoralisch und gelegt haben. Wir werden unsere Vorschläge in der mit Blick auf damit verbundene Interessenkonflikte Koalition jetzt zügig umsetzen und einen entsprechenden gefährlich ist, ist es nur logisch und konsequent, diese Gesetzentwurf erarbeiten. Ich lade alle demokratischen auch gesetzlich zu verbieten und Verstöße hart zu sank- Fraktionen ausdrücklich ein, sich daran konstruktiv zu tionieren. beteiligen. Wir sind für Gespräche immer offen. Wir müssen aber aufpassen, dass wir nicht das Kind Ich denke, unsere Vorschläge innerhalb der Koalition mit dem Bade ausschütten. Die Union ist stolz darauf, sind die richtige Antwort auf die Vorfälle, die in den dass Freiberufler, Unternehmer, Ärzte, Landwirte und letzten Wochen bekannt geworden sind. Sie können Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021 27757

Patrick Schnieder (A) dazu beitragen, verlorengegangenes Vertrauen zurückzu- (Beifall bei der AfD) (C) gewinnen und für die Zukunft sicherzustellen, dass so etwas möglichst nicht mehr passiert. Zweitens. Mit der Lobbytätigkeit von Abgeordneten muss Schluss sein. Jeder muss sich entscheiden, ob er (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- sich als Mietmaul verdingen oder ob er Vertreter unseres ordneten der SPD) Volkes sein will. Beides geht nicht. (Beifall bei der AfD) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Abgeordnete Thomas Seitz für die Drittens. Aktienoptionen als Entgelt für Tätigkeiten AfD-Fraktion. von Abgeordneten müssen verboten und das Halten von Optionen muss veröffentlichungspflichtig werden. (Beifall bei der AfD – Renate Künast [BÜND- Warum? Anders als bei einem fixen Geldbetrag steht NIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist mit der Spen- der Wert von Optionen nicht exakt fest und kann beein- de an Frau Weidel? – Zuruf von der SPD: Jetzt flusst werden. Als ich anlässlich der Affäre um Philipp mal eine richtige Maske!) Amthor in der Rechtstellungskommission das Thema Optionen angesprochen habe, hat der verstorbene Vize- Thomas Seitz (AfD): präsident der kruden Unionsthese, Sehr geehrte Frau Präsidentin! Ich bin von den Aus- die damals noch vertreten wurde, dass Optionen ja gar führungen des Kollegen sehr angetan gewesen, aber ich keinen Wert hätten, zu Recht heftig widersprochen und will das erst einmal schwarz auf weiß sehen und abwar- gerade Optionen wegen der Gefahr des damit verbunde- ten, ob nicht, wie gestern beim Lobbygesetz, nachher eine nen Moral Hazard als besonders problematisch bezeich- Regelung kommt, die mehr verdunkelt als erhellt. net. Auch das Halten von Optionen im Rahmen der priva- Meine Damen und Herren, meine gestrige Warnung ten Vermögensverwaltung ist nicht unproblematisch, da vor der Kripo im Plenarsaal erfolgte nicht ohne Grund. aufgrund der Hebelwirkung eine Beeinflussung des Kur- Im Verfahren gegen MdB Nüßlein und MdL Sauter ses hochlukrativ ist und nicht mit der normalen Rendite- erging der erste Haftbefehl, zwar nur gegen einen erwartung von Wertpapieren im Verhältnis zum einge- Geschäftspartner, aber die Einschläge kommen näher. setzten Kapital vergleichbar ist. Es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis der erste Haft- (Beifall bei der AfD) befehl gegen ein Mitglied des Hohen Hauses folgt. Der Bürger hat deshalb ein Recht, zu wissen, welcher Anträge für strengere Regeln werden – so war es in der Abgeordnete Aktienoptionen auf Hersteller von Wind- Vergangenheit – durch die Bank abgelehnt – auch durch kraftanlagen erworben hat. (B) die Regierungsbank. Aber warum eigentlich? Können Sie (D) das den redlichen Abgeordneten in Ihren Reihen über- Abschließend noch eine Anmerkung: Sie können es haupt erklären? Leider scheint deren Zahl ja permanent sich sparen, so wie gestern, zur Ablenkung Fehler im zu schrumpfen. Zuletzt wurden über den CDU-Abgeord- Umgang mit Spenden bei der AfD zu zitieren. Eine fal- neten verstörende Einzelheiten berich- sche Behandlung von Sachspenden ist der Unerfahrenheit tet. So sei sein Wahlkreisbüro auch Telefonzentrale für einer jungen Partei geschuldet gewesen zwei der drei von ihm neben dem Mandat gegründeten Unternehmen und so bessere er sein Tageshonorar von (Lachen bei der SPD und der LINKEN) 3 000 Euro netto mit der Untervermietung seines Wahl- und nicht im Ansatz mit Geldkoffern von Waffenhänd- kreisbüros auf. lern zu vergleichen. Oder was meint Herr Schäuble dazu? Angesichts der jüngsten Ereignisse bin ich einfach Die dubiosen Überweisungen aus der Schweiz betreffen schockiert, und ich bin zornig: schockiert, dass der Sau- ein laufendes Verfahren. Sollte es sich gerichtlich bestä- stall noch viel schlimmer ist, als ich mir je träumen ließ, tigen, dass es sich um eine unzulässige Parteispende und zornig, weil der Bürger dieses Gebaren seit Jahren gehandelt hat, habe ich keine Zweifel, dass die Verant- ohnmächtig beobachten muss. wortlichen die notwendigen Konsequenzen ziehen. (Beifall bei der AfD) (Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Ist das Jetzt noch zu drei wesentlichen Gesichtspunkten der dann Rücktritt?) heute debattierten Anträge. Das ist für die AfD als Rechtsstaatspartei selbstverständ- Erstens. Bei der Veröffentlichung der Nebeneinkünfte lich. ist es nicht entscheidend, dass diese auf den Cent genau angegeben werden. (Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Meinen Sie Rücktritt?) (Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Aha!) Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Ich hätte kein Problem damit – null ist null, egal wie veröffentlicht wird –, aber notwendig ist es nicht. Die (Beifall bei der AfD – Steffi Lemke [BÜND- Stufenregelung in den Verhaltensregeln ist im Grunde NIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben schon wie- sinnvoll, nur müsste ab Stufe sieben unbedingt nachge- der Ihre Maske vergessen! – Martin Reichardt bessert werden. Selbstverständlich hört Transparenz [AfD], an BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nicht bei 250 000 Euro auf, wie es bisher der Union ge- gewandt: Sie wissen sowieso nicht, wovon nügt hat. Das sind wir den Bürgern schuldig. Sie reden!) 27758 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021

(A) Vizepräsidentin Petra Pau: Aus diesem Grunde haben wir uns geeinigt: Wir wer- (C) Herr Seitz, setzen Sie bitte die Maske auf. – Das Wort den in der nächsten Sitzungswoche einen Gesetzentwurf hat der Kollege Carsten Schneider für die SPD-Fraktion. vorlegen, der das Abgeordnetengesetz neu strukturiert und die verschiedenen Verhaltensregeln, die wir haben, (Beifall bei der SPD) unter einen Hut bringt, sie transparenter macht. Wir wer- den eine niedrige Grenze von 1 000 Euro im Monat oder 3 000 Euro im Jahr festlegen, bei deren Unterschreitung Carsten Schneider (Erfurt) (SPD): man nur den Auftraggeber angeben muss. Ansonsten Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! wird die Forderung, die wir von Anfang an hatten, näm- Wir haben gestern Abend gegen 22 Uhr nach langer Bera- lich eine Pflicht, auf Heller und Cent offenzulegen, woher tung im Bundestag das Lobbyregister beschlossen. Es gilt Nebeneinkünfte kommen, umgesetzt. Das ist wichtig, ab den nächsten Tagen: Wer in Deutschland lobbyiert und dafür danke ich. Ich glaube, wir werden dafür eine gegenüber dem Bundestag und auch der Bundesregierung große Mehrheit hier im Hause finden. und so Einfluss nimmt, muss dies offenlegen. Diese Form der Transparenz ist entscheidend, um Vertrauen in die (Beifall bei der SPD) Demokratie zu erhalten und in Teilen zurückzugewinnen. Es geht hierbei auch um den Punkt einer möglichen Unternehmensbeteiligung. Ich komme aus Thüringen; (Beifall bei der SPD) der Fall des ehemaligen Abgeordneten Hauptmann geht Heute kommen wir zu einem zweiten Punkt. Aufgrund durch die Republik. Man sieht mit Entsetzen, wie er eines Antrags der Linksfraktion debattieren wir über Fra- wirklich schamlos an der Krise verdient hat, und zwar gen, die uns Abgeordnete selbst betreffen: Was steht im über die Beteiligung an einem Unternehmen. Er hatte Mittelpunkt unseres Mandats? Was sind möglicherweise die Ehrenerklärung der Unionsfraktion unterschrieben. Nebentätigkeiten, die von Kolleginnen und Kollegen aus Das ging nur, weil der Gewinn des Unternehmens versch- unterschiedlichen Gründen ausgeübt werden? Gibt es leiert wurde. darüber Transparenz? Von daher ist für uns entscheidend, dass wir eine Wir hätten uns als SPD-Fraktion vorstellen können, Anzeigepflicht für den Fall einführen, dass ein Abgeord- dies transparent zu machen, uns schon sehr viel früher neter oder eine Abgeordnete an einem Unternehmen darüber zu einigen und es auch dem Bundestag vorzu- beteiligt ist, und zwar ab einer Beteiligungsquote von legen. Das war bisher mit der Unionsfraktion nicht mög- 5 Prozent. Das heißt: Sind sie an einer AG, einer lich. Ich bedauere sehr, dass das erst jetzt gelingt. Aber GmbH, einer GbR, einer OHG oder woran auch immer ich habe Ihre Rede, Herr Kollege Schnieder, gehört und beteiligt, müssen sie es offenlegen. Das ist auch ein (B) auch sehr ernst genommen. Ich will grundsätzlich meinen Schritt zur Transparenz, der für uns zwingend notwendig (D) Respekt dafür zollen, dass Sie sich als Fraktion sehr ein- ist, weil sonst über Thesaurierung natürlich auch Gewin- deutig und schnell entschlossen haben, sich von den Kol- ne verschleiert und erst nach dem Ende der Abgeordne- leginnen und Kollegen zu trennen, tentätigkeit ausgezahlt werden könnten. Das wollen wir nicht. (Beifall der Abg. Marianne Schieder [SPD]) Wir wollen ein Verbot der Lobbytätigkeit von Bundes- die wahrscheinlich korrupt waren oder in einer Aasgei- tagsabgeordneten neben ihrem Mandat. Wir wollen die ermanier mit der Krise Geschäfte gemacht haben, wie es Einstufung der Abgeordnetenbestechung als Verbrechen. moralisch nicht anständig ist. Von daher will ich nur Das alles sind notwendige Schritte, die hoffentlich sagen: Gut, dass das jetzt gelingt, gut, dass wir einen dazu führen, dass die Verfehlungen Einzelner, der ver- Schritt gehen können! Ich bestätige hiermit die Einigung, lorene moralische Kompass Einzelner, nicht auf das gan- die Sie eben genannt haben, zu den Fragen der Transpa- ze Haus abfärben, sondern das ganze Haus letztendlich renz, der Offenlegung von Nebentätigkeiten. die Reputation zurückgewinnen kann, die durch Abge- ordnete der Unionsfraktion leider in Mitleidenschaft Ich empfinde es – das will ich auch mal klar sagen – als gezogen wurde. eine große Ehre, als Abgeordneter hier sein zu dürfen. Meinen Wahlkreis, Erfurt und Weimar, hier vertreten zu Vielen Dank. dürfen, ist eine große Ehre; aber ich begegne dem auch (Beifall bei der SPD) mit Respekt. Ich habe immer verteidigt, dass wir eine die Unabhängigkeit sichernde Bezahlung bekommen, näm- lich 120 000 Euro im Jahr brutto als Diät, also sehr viel Vizepräsidentin Petra Pau: Geld. Damit gehören wir zu den Top 10 Prozent der Ver- Das Wort hat Dr. Marco Buschmann für die FDP-Frak- diener in Deutschland; das muss man wissen. Und dann, tion. finde ich, ist es nur angemessen, wenn die Bevölkerung (Beifall bei der FDP) klar weiß, dass – erstens – das Mandat im Mittelpunkt steht und – zweitens – niemand sonst noch Einfluss auf Dr. Marco Buschmann (FDP): den Abgeordneten oder die Abgeordnete nimmt. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Schwere (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Astrid Verfehlungen hat es gegeben. Deshalb ist es gut, dass wir Mannes [CDU/CSU]) die Dinge aufbereiten. Dass sich allerdings die Abgeord- neten der AfD im Zusammenhang mit staatsanwaltschaft- Das gehört zusammen. lichen Ermittlungsverfahren hier als Saubermänner gerie- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021 27759

Dr. Marco Buschmann (A) ren, entbehrt doch nicht einer gewissen Komik; denn lösen das Problem umfassend und nicht nur punktuell. (C) wenn man allgemein zugängliche Quellen zurate zieht, Ich werbe deshalb um Zustimmung für unseren Gesetz- dann erkennt man, dass die einsamen Spitzenreiter bei entwurf. den staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren Ihre (Beifall bei der FDP) Kollegen sind, Herr Seitz. Das gehört auch zur ganzen Wahrheit. Was das Gesamtthema angeht, ist hier schon viel Klu- ges und Richtiges gesagt worden. Es ist unerträglich, (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD, wenn einige hier, manchmal sogar ohne Beruf und ohne der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE Geschäft, in den Bundestag kommen und dann aus der GRÜNEN – Zuruf des Abg. Stephan Brandner Gewährung politischen Zugangs einen Beruf oder ein [AfD]) Geschäft machen wollen, um ihr Mandat zu versilbern. Viele Kolleginnen und Kollegen, die vor mir gespro- Das ist heute schon ein Verstoß gegen die Verhaltens- chen haben, haben zu allem Möglichen gesprochen, nur pflichten, und wenn das nicht ausreicht, finde ich es nicht zu dem Antrag, der uns vorliegt. Deshalb erlaube auch richtig, die Regeln zu verschärfen und auch zu sank- ich mir auch, kurz etwas zu dem Antrag zu sagen, der uns tionieren. Solche Kollegen schaden dem Ansehen des vorliegen sollte. Die Fraktion Die Linke hat einen Ge- Deutschen Bundestages. setzentwurf erstellt. Man muss diesem Gesetzentwurf (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD, nicht in jedem Punkt zustimmen, man kann ihn sogar der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE ablehnen. Aber wenn man hier über Transparenz spricht, GRÜNEN) dann hätte die Öffentlichkeit die Transparenz darüber verdient, wie man in der Sache steht. Wir müssen aber am Ende auch auf eines aufpassen: Es gibt genauso – und das ist die große Vielzahl – Kollegen, (Jan Korte [DIE LINKE]: Sehr richtig!) die selbstständige Handwerksmeister sind, die eine Frei- Diesen Gesetzentwurf intransparent zu versenken, wird beruflerpraxis haben, die Unternehmer sind, die sich vor dem Transparenzanspruch nicht gerecht. dem Einzug in den Bundestag anständig und legal einen (Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem eigenen Geschäftsbetrieb aufgebaut haben. Ich will in BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Erinnerung rufen: Die durchschnittliche Verweildauer des Abgeordneten in diesem Haus beträgt acht Jahre. Damit nicht zu viel Harmonie zwischen FDP und Lin- Einige glauben ja, es sei irgendwie erstrebenswert, hier ke aufkommt, erst im Pensionsalter rauszugehen, aber die Wahrheit ist: (Heiterkeit bei der LINKEN – Jan Korte [DIE Die durchschnittliche Verweildauer beträgt acht Jahre. LINKE]: Keine Gefahr!) (B) Nach diesen acht Jahren kehrt der Beamte auf seinen (D) will ich zum Antrag in der Sache hier eines sagen: Dass alten Dienstposten zurück, und das ist auch richtig und der Bundestagspräsident ohne Ausnahme demnächst gut so. Nach diesen acht Jahren kehrt der Angestellte in dafür sorgen soll, dass beispielsweise auch Anwälte die seine alte Position zurück; das ist richtig und gut so. Des- Branchen ihrer Mandanten angeben, ist vermutlich in 90, halb muss auch der anständige Selbstständige, der anstän- vielleicht sogar in 99 Prozent der Fälle in Ordnung. Da, dige Handwerksmeister, der anständige Unternehmer finde ich, kann man das auch machen. Aber Sie erinnern eine Möglichkeit haben, nach acht Jahren in seinen auf- sich: Vor dem Bundesverfassungsgericht sind genau die- gebauten Geschäftsbetrieb zurückzukehren, und deshalb jenigen Fälle verhandelt worden, in denen die Angabe muss er die Möglichkeit haben, ihn am Leben zu erhalten, einer bestimmten Branche, die oligopol- oder monopol- meine Damen und Herren. artig strukturiert ist, im Prinzip das Mandatsgeheimnis (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten aufhebt. Deshalb wäre beispielsweise eine Sollregelung der CDU/CSU und der SPD und der Abg. besser gewesen als eine Mussregelung, und deshalb leh- Canan Bayram [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nen wir Ihr Anliegen ab. Das Anliegen im Kern ist gut, NEN]) man muss es aber handwerklich besser machen, meine sehr geehrten Damen und Herren. Wir haben nicht zu viel unternehmerischen Sach- verstand in diesem Haus, wir haben zu wenig. Deshalb (Beifall bei der FDP) verbitte ich mir jede pauschale Diskriminierung und Wir haben diesem Haus auch einen eigenen Gesetzent- Inkriminierung unserer Kollegen, die einen anständigen wurf vorgelegt, der eines der vielen Probleme hier an- Geschäftsbetrieb aufgebaut haben. geht – es ist verschiedentlich angesprochen worden –: (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten das Thema der Aktienoptionen. Was die Aktienoptionen der CDU/CSU) angeht, gibt es Gott sei Dank Einigkeit; denn in der Tat ist die Option verführerischer als ein fixer Geldbetrag. Wir Diese Kollegen stellen übrigens in ihrer ganz großen sollten aber nicht nur punktuell die Probleme, die jetzt Mehrheit das Mandat in den Mittelpunkt; ich habe das aufgetaucht sind, lösen, sondern das gesamte Problemge- früher in der Fraktion erlebt, ich erlebe das jetzt. biet angehen. Es gibt nicht nur Aktienoptionen; es gibt Ein ehemaliger Kollege von mir war Bäckermeister. Er auch andere sogenannte incentivierende Finanzderivate – hat einen anderen Bäckermeister angestellt. Da blieb am so würden es die Fachleute sagen –, die Anreizmechanis- Ende des Jahres nicht viel übrig, aber der angestellte men auslösen. Deshalb haben wir Ihnen einen Gesetzent- Bäckermeister hat den Betrieb am Leben erhalten und wurf vorgelegt, der nicht nur die Aktienoptionen regelt, hat dafür gesorgt, dass die Angestellten noch einen Job sondern auch andere Derivate wie Future-Kontrakte. Wir hatten. Der Kollege hat sich ganz dem Mandat gewidmet. 27760 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021

Dr. Marco Buschmann (A) Das erkennt man an den Nebeneinkünften nicht. Zur (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- (C) Belohnung darf der Kollege die Umsätze angeben; ich neten der SPD – Carsten Schneider [Erfurt] finde, das ist in Ordnung. Wir sollten aber aufhören, mit [SPD]: Da hat er recht gehabt!) dem Finger auf die bloßen Umsätze zu zeigen und daraus einen Rückschluss auf den Anstand der Kolleginnen und Während sich Pflegekräfte, Ärzte und Kassiererinnen Kollegen zu ziehen. und Kassierer im wahrsten Sinne des Wortes krummma- chen, und das jeden Tag, und Menschen in Kurzarbeit (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten nicht wissen, wie sie durch den Monat kommen, gibt es der CDU/CSU) einige Abgeordnete – insbesondere die CDU/CSU ist hier auffällig geworden –, die sich ohne Ende die Taschen Wer Sauereien betreibt, der gehört angeprangert, aber vollstopfen: Hauptmann, Löbel, Nüßlein, Pfeiffer, Sauter. nicht pauschal. Ich habe eben gelesen, dass sich auch der ehemalige Kollege Peter Gauweiler noch nebenbei ein kleines Meine Damen und Herren, es gibt ja nicht nur dieses Taschengeld dazuverdient hat, während er hier Abgeord- Beispiel. Die Kollegen der Union haben viel Prügel ein- neter gewesen ist. Das kriegen die Menschen mit. Dass gesteckt, deswegen will ich ein lobendes Beispiel brin- das alles wahrscheinlich nur Einzelfälle sind? – Ich glau- gen: Der Kollege ist Ehrenämtler. Er ist be mittlerweile nicht mehr daran. Präsident der Bundesvereinigung des THW, und ich finde es gut, dass das so ist; ich will nicht, dass sich das Parla- Sie müssen überlegen: Wie wirkt das auf die Men- ment von der Gesellschaft entkoppelt. Dieser Kollege hat schen? Und vor allem: Wie wirkt das auf die Menschen bei der Befragung der Bundeskanzlerin Fragen, die auch in dieser Situation? Deswegen kann man sich keinen das THW betreffen, gestellt. Das kann man als Lobbyis- schlanken Fuß machen, sondern man muss sagen: Jetzt mus bezeichnen, aber er hat es transparent vor aller ändern wir mal irgendwas. Seit Jahren, Legislaturperiode Öffentlichkeit gemacht. Ich finde, wir müssen bei allen um Legislaturperiode, werden hier entsprechende Ver- Regeln, die jetzt notwendig sind, aufpassen, dass wir besserungen vorgeschlagen, und es ist immer wieder an nicht das Ehrenamt und die Selbstständigkeit systema- Ihnen gescheitert. Das ist die Wahrheit, und das muss so tisch aus diesem Parlament vertreiben; das jedenfalls ist ausgesprochen werden. mit den Freien Demokraten nicht zu machen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten NIS 90/DIE GRÜNEN) der CDU/CSU und der AfD) Vielleicht, liebe Kolleginnen und Kollegen der CSU, müssen Sie, wenn Sie für diese wirtschaftlichen Verqui- (B) Vizepräsidentin Petra Pau: ckungen gar kein Gespür mehr haben, für die Unmengen (D) Das Wort hat der Kollege Jan Korte für die Fraktion an Kohle, die dort fließen – es ist für normale Menschen Die Linke. überhaupt nicht vorstellbar, um was für Beträge es geht –, einfach mal darüber nachdenken, in was für einer Umge- (Beifall bei der LINKEN) bung Sie sich eigentlich aufhalten. Das scheint wirklich abzufärben. Das ist, glaube ich, ein ganz großes Problem. Jan Korte (DIE LINKE): (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine Damen und NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne- Herren! Wir haben heute einen Antrag vorgelegt. Herr ten der AfD) Buschmann, ich lade auch Sie ein – mach mit, mach’s nach, mach’s besser –, dass wir hier handwerklich noch Ich will jetzt nicht auf irgendwelche Positionspapiere etwas Besseres hinbekommen; aber immerhin haben wir zu sprechen kommen, wie sie jetzt hier gerade von heute etwas vorgelegt, über das wir entscheiden können. Carsten „Genosse“ Schneider großartig vorgetragen wor- den sind. Die kommen immer, wenn wieder irgendetwas Ich möchte etwas Grundsätzliches zu der Situation gewesen ist; das kennen wir schon. Ich glaube erst daran, sagen, in der wir über dieses Thema diskutieren. Es ist dass etwas passiert, wenn hier etwas schwarz auf weiß entscheidend, zu verstehen, warum das Thema in der vorliegt. Öffentlichkeit solche Wellen schlägt. Man muss einord- nen, was gesellschaftspolitisch gerade in diesem Land (Beifall bei der LINKEN, der FDP und dem passiert. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir haben auf der einen Seite, bedingt durch Corona, Kollegin Haßelmann hat es letztens deutlich gesagt: Ge- gerade das Impfdesaster, das Testdesaster und schwerste schwätzt wurde genug. Legt jetzt auch endlich was vor! persönliche Einschränkungen, die die Menschen in Kauf Wir haben einen Antrag vorgelegt; dem können Sie nehmen und in Kauf nehmen müssen, sowie ein völliges heute zustimmen. Sie könnten sich die ganzen komischen Chaos in der Bundesregierung; so nehmen die Leute die Runden abends um 22 Uhr sparen, indem Sie einfach Situation wahr. Auf der anderen Seite nehmen sie im zustimmen; denn der Inhalt unseres Antrags entspricht selben Zeitraum wahr, dass der Bundesgesundheitsminis- ja offensichtlich Ihrer Intention, wie auch Kollege ter auf einem Spendendinner abhängt und dort zufällig Schnieder hier vorgetragen hat. alle Gäste 9 999 Euro an seinen Kreisverband spenden. Man muss wirklich sagen: Da stimmt der Kompass voll- (Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Wir machen ständig nicht. mehr als Sie!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021 27761

Jan Korte (A) Genau das liegt heute zur namentlichen Abstimmung vor: Sie haben, finde ich, eine große Chance vertan. Wir haben (C) die Nebeneinkünfte auf Euro und Cent auszuweisen und Ihnen sozusagen eine kleine Hilfestellung gegeben, und vor allem Branchenangaben einzuführen. Das können wir wir hätten gemeinsam eine Regelung verabschieden kön- heute hier beschließen. nen. (Beifall bei der LINKEN) Ich habe im Übrigen vor zwei Wochen an Ihre Frak- tion, an alle Fraktionen, einen Brief geschrieben, und Sparen Sie sich Zeit und Ärger. Und vor Ostern wäre das gefragt, ob wir uns nicht interfraktionell einigen könnten; das richtige Signal an die Bürgerinnen und Bürger. denn ich weiß, dass Sie sehr ideologisch sind In dem Zusammenhang will ich etwas gegenüberstel- (Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Das sagen Sie len, damit man einfach mal versteht, wie das wirkt; das gerade!) ist, finde ich, nämlich eine ganz zentrale Frage. Von und grundsätzlich selbst den klügsten Anträgen der jedem Hartz-IV-Empfänger erwartet man – und man setzt Linken nicht zustimmen, weil „Die Linke“ draufsteht. es durch –, dass er alles offenlegt. In der „Berliner Zei- tung“ war dazu ein wirklich guter Artikel – ich möchte (Lachen des Abg. Dr. Götz Frömming [AfD]) daraus vortragen, damit man sieht, worüber wir hier Ich habe in einem Brief an Sie, an die SPD und die CDU/ reden –: CSU, geschrieben, dass wir bereit wären, unseren An- Von denen, die am wenigsten haben, wird aus trag – weil Sie mit dem Einreicher ideologische Probleme Gründen der Kontrollierbarkeit die größtmögliche haben – zugunsten einer gemeinsamen Regelung zurück- Transparenz verlangt – während man denjenigen, zuziehen, die wir hier und heute hätten beschließen kön- die das Volk im Parlament vertreten, offenbar zu- nen. Ich habe von beiden Fraktionen nicht mal eine Ant- traut, mit Nebeneinkünften verantwortungsvoll um- wort bekommen. zugehen. Die Erfahrung der letzten Wochen zeigt: ( [DIE LINKE]: Das ist ja unglaub- Es ist vielmehr umgekehrt. lich! – Weiterer Zuruf von der LINKEN: Pfui!) ( [DIE LINKE]: So ist es!) Das ist schlechter Stil! Das ist der Kern, um den es hier geht, liebe Kolleginnen (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- und Kollegen. Deswegen sollten wir heute hier handeln. NEN]: So ist es!) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Da wir höfliche Menschen sind, Kollege Schnieder: neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sie haben uns, die demokratischen Fraktionen, eben ein- geladen, dass wir gemeinsam etwas machen können. Wir (B) Jetzt will ich noch mal eines deutlich sagen – das hat nehmen die Einladung sehr gerne an und werden kon- (D) der Kollege Buschmann hier angesprochen –: Glauben struktiv mitarbeiten. Sie nicht, dass Sie hier einfach so rauskommen. Ein groß- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- es blaues Auge wird bei Ihnen bleiben. Wir als Links- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) fraktion haben vor Wochen einen eigenen Gesetzentwurf in den Deutschen Bundestag eingebracht mit dem Ziel, Mal gucken, ob es wieder nur Geschwätz ist oder was da bezahlte Lobbytätigkeit von Abgeordneten schlicht zu kommt. verbieten. Seit Wochen liegt der im Parlament. Wir haben In diesem Sinne. in den letzten beiden Sitzungswochen, Kollege Sensburg, darum gebeten, im Geschäftsordnungsausschuss und im (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Rechtsausschuss endlich eine Beschlussempfehlung zu neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) formulieren, damit wir heute – wir hätten sogar schon letzte Woche darüber entscheiden können – entsprechend Vizepräsidentin Petra Pau: abstimmen können. Sie sind ja jetzt offenbar dafür. Das Wort hat die Kollegin Britta Haßelmann für die (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Zweimal – das müssen die Bürgerinnen und Bürger wis- sen, damit sie einordnen können, was hier für Reden Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): gehalten werden – wurde er, und zwar mithilfe der Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Her- SPD – das ist übrigens besonders bitter –, von der Tages- ren! Ich knüpfe an die Rede von Herrn Korte an. Auch ordnung des Geschäftsordnungsausschusses genommen, wir haben der Fraktion der SPD, der Fraktion der CDU/ und zwar nur aus einem Grund: damit wir hier und heute CSU, der Fraktion der FDP und der Linken geschrieben. nicht darüber entscheiden können. Wir haben die Generalsekretäre und die Ersten Parlamen- tarischen Geschäftsführer angeschrieben – schon vorletz- (Zurufe von der LINKEN: Pfui!) te Woche, nach Bekanntwerden der ersten Skandale – und Das ist das Allerletzte, das ist schäbig. So geht es nicht. darum gebeten, dass wir im Parlament gemeinsam etwas Das lassen wir Ihnen nicht durchgehen. beschließen, weil durch die Bestechung, durch die Kor- ruption, durch die Geschäftemacherei Einzelner eine tiefe (Beifall bei der LINKEN, der FDP und dem Vertrauenskrise entstanden ist. Diese Vertrauenskrise hat BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge- das ganze Parlament getroffen. Deshalb haben wir Sie ordneten der AfD) angeschrieben, genau wie die Linken. Wir haben von 27762 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021

Britta Haßelmann (A) Ihnen noch nicht einmal eine Antwort erhalten, meine Alfred Sauter, CSU, offenbar tief verstrickt in die Mas- (C) Damen und Herren! So ist die Lage. Und dann sagen kenaffäre, blickt auf eine 40-jähige Parteikarriere in der Sie heute mit großer Geste: Wir laden Sie alle ein. Kurz CSU. Es reicht! Politiker Ihrer Partei machen sich den vor der Debatte haben wir das Eckpunktepapier an die Staat zur Beute, mitten in der Pandemie. Es geht längst „Tagesschau“ lanciert. – Ich hätte anderes erwartet nach nicht mehr nur um Transparenz und Offenlegung von dem Gesprächsangebot, das wir Ihnen gemacht haben. Lobbyarbeit, es geht um das Vertrauen in unsere Demo- kratie, es geht um das Ansehen von Politik insgesamt, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, und es geht verdammt noch mal auch um Anstand. bei der FDP und der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Am Dienstag in der Geschäftsführerrunde haben wir sowie bei Abgeordneten der LINKEN) noch einmal insistiert, noch einmal gefragt, ob wir nicht reden sollen. Der Kollege Schneider hat nach dreimaliger Hören Sie endlich auf, meine Herren und Damen von Aufforderung geantwortet. Herr Grosse-Brömer hat uns der CDU/CSU, von Einzelfällen zu reden. Das wäre der erklärt, nein, jetzt mit uns zu reden, ginge auf keinen Fall, erste Anknüpfungspunkt für Besserungen. Das wäre der das würden sie erst in der Koalition, dann kämen sie erste Anknüpfungspunkt für Änderungen. Die CDU/CSU irgendwann auf uns zu. So sieht Zusammenarbeit aus? hat ein strukturelles Problem, und das wissen Sie ganz Ich habe davon eine andere Vorstellung, vor allen Dingen genau. in einer solch kritischen Frage. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, sowie bei Abgeordneten der LINKEN) bei der FDP und der LINKEN) Ein Blick in die Vergangenheit und ein Blick in die Gegenwart machen das deutlich: Schwarze Kassen, Ami- Nun weiter in der Sache. Nüßlein, Löbel, Hauptmann, go-Affäre, Affäre um Scheinselbstständigkeit von Ver- Sauter, allesamt von der CDU/CSU, bereichern sich per- wandten, Amthor-Affäre, Aserbaidschan-Connection, sönlich im Rahmen der Maskenaffäre und betreiben Maskengeschäftemacherei, Vorwürfe zu Bestechung, Geschäftemacherei in und durch die Coronakrise, wäh- Korruption und Bereicherung, die im Raum stehen, poli- rend gleichzeitig so viele Menschen, Unternehmen, tische Landschaftspflege als Alltagsmodell sowie Vet- Familien und Kinder unter der Pandemie leiden. Das ist ternwirtschaft. Das ist ein strukturelles Problem, das hat zutiefst unanständig, und das spüren die Menschen. Das System, und das haben Sie geduldet. Sie haben das min- ist schäbig, meine Damen und Herren! destens geduldet. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (B) bei der FDP und der LINKEN) und bei der LINKEN) (D) Eduard Lintner von der CSU, , Tobias Sie haben ein massives Problem bei der Frage des Ver- Zech, allesamt sind sie in die Aserbaidschan-Affäre ver- hältnisses von wirtschaftlicher Macht, Geld, Einfluss zu strickt. Auch das wissen die Menschen inzwischen. Die sauberer Politik und Gemeinwohl. Das müssen Sie erken- Menschen nehmen das wahr. Das sind keine Einzelfälle. nen. Warum haben Sie denn die letzten Jahre geschwie- Gauweiler, bis 2015 CSU-Bundestagsabgeordneter, gen? Sie wussten doch, dass es solche Abgeordneten gibt hat während seiner Zeit im Bundestag in den Jahren wie den Kollegen Pfeiffer, die 15 Nebenjobs haben und 2008 bis 2015 Beraterhonorare in Höhe von 11 Millionen mehr. Da kann man doch nicht sagen, es ginge um Euro kassiert. Es gab offenbar – so die Pressebericht- Berufstätigkeit Einzelner! Auch wir sind dafür; denn erstattung – regelmäßig Rechnungen über vereinbarte nicht alle sind im öffentlichen Dienst gewesen, und viel- Pauschalhonorare von oder an einen gewissen Herrn leicht will der eine oder andere in seinen Beruf zurück- Finck. Der Name Finck kam uns zuletzt im Zusammen- kehren. Aber bei 15 Nebeneinkünften und mehr hört es hang mit dem Parteispendensumpf der AfD unter. Da auf! wurde der Name Finck genannt, und jetzt bei Gauweiler (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wieder. und bei der LINKEN) Im Übrigen hat die AfD aus meiner Sicht längst jede Oder nehmen Sie die Beratungshonorare, meine Da- Glaubwürdigkeit in dieser Frage verloren, men und Herren. Die Höhe der Beratungshonorare von Herrn Ramsauer beträgt 500 000 Euro. Finden Sie das (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, normal? Nein, ich finde es nicht normal, dass man neben bei der FDP und der LINKEN) seinem Abgeordnetenmandat hier im Bundestag, das im ja, sie hat sie nie gehabt. 500 000 Euro Strafzahlungen Mittelpunkt der Tätigkeit steht, so viel Geld verdient. haben die Herren und Damen von der AfD bisher ent- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN richtet. Weitere Verfahren sind in Prüfung. Also, Leute, und bei der LINKEN) die sich nicht an Recht und Gesetz halten, haben hier dem Parlament keine Ratschläge zu erteilen, meine Damen Wir können so weitermachen. Gauweiler war in der und Herren. letzten Legislaturperiode bei über der Hälfte der nament- lichen Abstimmungen nicht da. Hat Sie das interessiert? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, War das einmal Thema in Ihrer Fraktion? Tun Sie doch bei der FDP und der LINKEN sowie bei Abge- bitte nicht so, als seien das Einzelne, die jetzt aus Ihrer ordneten der CDU/CSU und der SPD) Partei ausgetreten sind. Sie haben da ein Problem. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021 27763

Britta Haßelmann (A) Was wir jetzt nicht brauchen, sind ein freiwilliger Ver- Im Interesse der parlamentarischen Demokratie insge- (C) haltenskodex, eine Ehrenerklärung. Das sehen Sie ja samt bitte ich aber auch darum, sich immer daran zu daran, dass auch Herr Hauptmann eine Ehrenerklärung erinnern, dass es keinen Generalverdacht und keine unterschrieben hat. Ja, er hat vor zwei Wochen noch Mithaftung gibt. Das Fehlverhalten mancher darf nicht eine Ehrenerklärung unterschrieben. zum Vertrauensverlust aller führen. (Zuruf der Abg. Ulla Jelpke [DIE LINKE]) Vizepräsidentin Petra Pau: In jeder Fraktion gibt es Kolleginnen und Kollegen, die Frau Kollegin Haßelmann. sich mit großem Einsatz (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Amthor, Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): oder was?) Wir brauchen jetzt konkrete Initiativen. Entgeltliche und hohem persönlichen Commitment für das Mandat im Lobbyarbeit muss endlich gestoppt werden, und wir brau- Wahlkreis und im Bundestag einsetzen. Das muss betont chen viele weitere Punkte zur Verschärfung der Parteien- werden, weil wir nicht wollen, dass durch diese Vor- finanzierung. Dazu haben wir heute einen Antrag vorge- kommnisse das Vertrauen in die Demokratie insgesamt legt. zerstört wird. Es ist wichtig, dass jetzt Konsequenzen gezogen wer- Vizepräsidentin Petra Pau: den. Ausgangslage ist das Grundgesetz. Abgeordnete Kollegin Haßelmann, es tut mir leid. Sie müssen zum sind nur ihrem Gewissen unterworfen. Schluss kommen. (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Manche haben keins!) Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Aber man muss sich eben auch vor seinem eigenen Wissen Sie, dass wir heute darüber abstimmen? Wir Gewissen prüfen, wie stark man sich für das Mandat ein- haben einen Antrag hier vorliegen, über den wir sofort setzt. Wer immer die Ehre hat, hier im Deutschen Bun- abstimmen können, der sämtliche Forderungen zu Trans- destag als Abgeordneter dienen zu dürfen – ich betone parenz und Veröffentlichungspflichten enthält. das Wort „dienen“ –, der sollte das mit Respekt und Dankbarkeit tun, der sollte nicht daran denken, was er Vizepräsidentin Petra Pau: nebenher verdienen kann, sondern wie er sich Verdienste Die können bitte bis zur Abstimmung noch nachge- um die Bevölkerung erwerben kann, meine Damen und (B) lesen werden, aber nicht mehr vorgetragen werden. Herren. (D) (Beifall bei der CDU/CSU) Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Entscheidend ist, dass das Mandat absolut im Mittel- Darüber können wir heute abstimmen. punkt steht. Eine Vermischung des Mandats mit eigen- wirtschaftlichen Interessen ist künftig zu unterbinden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir wollen und werden einen Gesetzentwurf vorlegen zum Verbot bezahlter Interessenvertretung. Einkünfte Vizepräsidentin Petra Pau: aus Nebentätigkeiten sollen abgesehen von denen unter einer Bagatellschwelle komplett auf Euro und Cent ange- Das Wort hat Dr. Volker Ullrich für die CDU/CSU- geben werden müssen. Fraktion. Wir wollen diese Transparenz, damit klar und deutlich (Beifall bei der CDU/CSU) wird: Wer immer etwas neben dem Mandat hinzuver- dient, muss darüber Rechenschaft ablegen – vor dem Bundestag und vor der Öffentlichkeit. Durch diese Trans- Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): parenz stellen wir Vertrauen wieder her. Und es ist auch Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und nicht unzumutbar. Im Europäischen Parlament und im Herren! Es gibt nichts zu beschönigen: Es ist eine schwie- Europarat ist das übrigens auch nach der Aufarbeitung rige Situation. Ich verstehe die Wut und die Empörung der Aserbaidschan-Affäre mittlerweile gang und gäbe. vieler Menschen über grobes Fehlverhalten. Es ist richtig Es ist richtig, dass jeder sieht, was sich ein Kollege dazu- und angemessen, dass die betroffenen Kollegen Konse- verdient. quenzen gezogen haben. Von denjenigen, deren Konse- quenzen noch nicht hinreichend bestimmt genug sind, (Jan Korte [DIE LINKE]: Das erzählen Sie seit also Mandatsniederlegung und Parteiaustritt, fordern Jahren!) wir, dass sie diese Konsequenzen auch noch ziehen. Klar ist aber auch: Wir wollen Nebentätigkeiten nicht Wer sich in einer Notsituation persönlich bereichert, han- ganz verbieten, weil wir ein Parlament für alle sein wol- delt ohne Anstand und ist dieses Bundestages unwürdig. len. Wenn im Deutschen Bundestag nur noch Angehörige des Öffentlichen Dienstes säßen, dann hätten wir hier nur (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Abgeordnete, die mittelbar zu der Exekutive gehören – der SPD – Matthias W. Birkwald [DIE LIN- der Öffentliche Dienst wird ja der Exekutive zugeord- KE]: Das ist aber ein mauer Beifall bei der net –, die sie am Ende ja selbst kontrollieren wollen. Union!) Wir wollen hier auch Selbstständige, Ärzte und Hand- 27764 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021

Dr. Volker Ullrich (A) werker haben, die sich selbstverständlich um ihr Mandat den Bereich der Dämmstoff- und Zigarettenindustrie. (C) kümmern. Wichtig ist aber, dass wir kein reines Beamten- Und wer einen Lobbyjob nicht erreicht, intellektuell und Angestelltenparlament sind, sondern eine Vertretung oder mental, wer aber trotzdem viel Geld braucht, der des gesamten deutschen Volkes. borgt es sich bei dubiosen Darlehensgebern; ich sage (Dr. [BÜNDNIS 90/DIE nur Cem Özdemir. GRÜNEN]: Da hat ja niemand was dagegen!) (Beifall bei der AfD) Entscheidend ist auch, dass wir über die Abgeordne- So weit die Vergangenheit. Nun hängt die Korruption, tenbestechung sprechen, und zwar über den Tatbestand meine Damen und Herren, seit einigen Wochen wie ein und über die Strafrahmenhöhe. Ich meine, es ist angemes- Damoklesschwert über den Parteien, zuvörderst über sen, dass wir deutlich machen: Wer einen Abgeordneten CDU und CSU. Spötter sagen bereits, das C stünde für besticht, begeht ein Verbrechen, Mindeststrafe ein Jahr. Clankriminalität. Aber stimmt das? Sind Amthor, Es geht darum, dass wir die Integrität des parlamentari- Nüßlein, Spahn, die Familien Laschet und Baumüller- schen Verfahrens insgesamt schützen. Söder, Sauter, Löbel, Fischer, Bareiß, Gauweiler, Zech, Wir müssen auch über den Tatbestand sprechen. Bei Pfeiffer – mit drei f –, Frau Hohlmeier – die Strauß- der Beamtenbestechung geht es nur darum, dass man Tochter –, Frau Tandler – die Tochter des ehemaligen einen Vorteil annimmt; das genügt. Bei Abgeordneten bayerischen Finanzministers –, Herr Hauptmann aus handelt es sich um einen ungerechtfertigten Vorteil. Viel- dem engsten Thüringer Mohring-Umfeld, Herr Lintner, leicht kann man das angleichen, sodass die Voraussetzun- Herr Caffier, Herr Imhoff, Herr Straub, Herr Rieger und gen wesentlich schärfer werden. wie sie alle heißen tatsächlich nur Einzelfälle, die gar nichts mit Korruption zu tun haben? Ich tendiere zu der Das alles wollen wir in einem Gesetzespaket vorstel- Auffassung, dass es keine Einzelfälle sind; denn Korrup- len. Dahinter steckt eine klare Erwartung an uns selbst tion und Bestechlichkeit sind typisch für ein System, in und an das Parlament. Wir wissen um die Vorfälle und um dem immer die Gleichen irgendwo regieren und an den unsere Pflicht, diese aufzuarbeiten. Wir werden aber auch Schaltstellen der Macht sitzen. deutlich machen, worauf es ankommt: auf Respekt, Integrität und Anstand, auf die Würde des Hauses und (Beifall bei der AfD) auf Vertrauen in die Demokratie. Das werden wir durch Jahrzehntelange immer gleiche Regierungsbeteiligungen ein kraftvolles Paket wiederherstellen und stärken, damit wecken Interessen bei Bestechern und Begehrlichkeiten klar und deutlich wird: Es ist eine Ehre, hier im Deut- auf der anderen Seite. schen Bundestag arbeiten zu dürfen. Das sollte man mit Meine Damen und Herren, wir sehen an diesen seiner ganzen Kraft tun, vom ersten bis zum letzten Tag (B) Geschichten: Die Maxime „Dem deutschen Volke“, die (D) seines Mandats. draußen am Reichstag steht, gilt für Sie nicht mehr. Für Herzlichen Dank. Sie gilt die Maxime: „Wer wird Millionär?“ Und das ist (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. verdammt schäbig, das sage ich Ihnen von hier vorne. Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]) (Beifall bei der AfD) Interessant ist ja: Bei den ganzen Korruptionsfällen in Vizepräsidentin Petra Pau: diesem System, die jetzt bei den Jungspunden und Hinter- Das Wort hat der Abgeordnete Stephan Brandner für bänklern aus CDU/CSU herauskamen, sind Millionenbe- die AfD-Fraktion. träge geflossen. Mich persönlich würde mal interessie- ren: Wie sieht es denn mit den Leuten aus, die vorne (Beifall bei der AfD) sitzen, die bei Ihnen tatsächlich Einfluss haben? Geht es da um sechs- oder um siebenstellige Summen? Da wird Stephan Brandner (AfD): noch einiges zutage kommen; davon bin ich überzeugt. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Korrup- tion kommt heute meistens subtiler daher als früher. Frü- Zum Antrag selber. Um diesen Missständen beizukom- her waren es 100 000 Mark im Koffer, heute geht es men, helfen gesetzliche Vorschriften nur bedingt, und anders. Heute bekommt man lukrative, einflussreiche Ehrenerklärungen – ich sage nur: Hauptmann – helfen Posten oder Pöstchen für systemkonformes Verhalten schon mal gar nicht. Gegen solche Auswüchse, gegen oder postpolitisches Schweigen: die Präsidentenstelle kleptokratische Anwallungen helfen nur ein grundlegen- beim Bundesverfassungsgericht, einen Vorstandsposten der Politikwechsel und viele Jahre der Altparteien in der bei der Deutschen Bahn, oder man wird Präsidentin einer Opposition. Daran, meine Damen und Herren, arbeiten Bundesanstalt; dazu fallen einem gleich die Namen Har- wir. Dafür arbeiten wir jeden Tag, von hier vorne und barth, Pofalla und Nahles ein. auf den Straßen. Aber auch die Grünen, Frau Haßelmann, lassen sich Vielen Dank. nicht lumpen und gerne einkaufen: fliegende Wechsel zu (Beifall bei der AfD) Lobbyverbänden von Ihren früheren Vorsitzenden Gunda Röstel und ; Letztere wurde Hauptge- Vizepräsidentin Petra Pau: schäftsführerin bei einem Bundesverband. Das gehört ebenso zum guten grünen Ton wie die Wechsel des ehe- Das Wort hat Dr. Matthias Bartke für die SPD-Frak- maligen Staatssekretärs Berninger in die Süßwaren- tion. industrie oder der ehemaligen Staatssekretärin Tritz in (Beifall bei der SPD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021 27765

(A) Dr. Matthias Bartke (SPD): nahmen müssen künftig an den Bundestag abgeführt wer- (C) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! den. Ach, hätten wir diese Regelung doch bloß schon Man muss es ja mal aussprechen: Die Skandale in der vorher gehabt! CDU und vor allem in der CSU haben auch ihr Gutes. Den Missbrauch der Mitgliedschaft im Deutschen Die von der linken Seite dieses Hauses immer schon Bundestag zu geschäftlichen Zwecken werden wir ge- erhobenen Forderungen nach mehr Transparenz bei Ab- setzlich verbieten. In dem Zusammenhang wollen wir geordneten finden nun endlich Gehör. auch Honorare für Vorträge untersagen. Da fallen mir (Beifall bei der SPD) spontan mindestens zwei Abgeordnete ein, deren Ge- schäftsmodell dadurch schwer ins Wanken geraten dürfte. Das ist schön und traurig zugleich. Es bedarf eben immer irgendwelcher Skandale; das haben wir auch beim Lob- (Zuruf aus der AfD: Herr Lauterbach!) byregister gesehen. Die Gespräche dümpelten zunächst Wir werden die Mindeststrafe bei Abgeordnetenbeste- so vor sich hin. Erst der Fall Amthor beschleunigte das chung auf ein Jahr erhöhen. Abgeordnetenbestechung Ganze ungemein, und die Maskenaffäre war dann ein und Abgeordnetenbestechlichkeit sind damit Verbrechen. regelrechter Turboverstärker für die Einigung. Manche Abgeordnete haben Bestechung ja in der Ver- Das Gleiche gilt für die Abgeordnetentransparenz. Die gangenheit ganz offenbar als Kavaliersdelikt angesehen. SPD hat hier vor zwei Wochen einen Zehnpunkteplan Die Zeiten sind nun endgültig vorbei. vorgelegt. Daraufhin hat die CDU einen Zehnpunkteplan Wir werden dabei schauen, ob wir uns nicht auch ein- vorgelegt, und dann kam auch die CSU mit einem Zehn- mal den objektiven Tatbestand des § 108 e Strafgesetz- punkteplan. Das war ein richtiger Überbietungswettbe- buch angucken. Wenn er nämlich wirklich greifen soll, werb, großartig! Man ist geneigt, zu sagen: Es geht doch. dann muss er ein schärferes Schwert werden. Ich habe Heute haben wir es beschlossen, und die Pläne werden mich gefreut, dass das in der gestrigen Debatte auch bei umgesetzt. Die Nachricht des Tages ist – man kann es einigen Unionsrednern angeklungen ist. nicht oft genug wiederholen –: Wir haben uns bei der Lieber Herr Korte, Sie werden es verstehen, dass wir Anzeigepflicht für Nebentätigkeiten geeinigt. Einkünfte Ihrem Antrag nicht zustimmen werden. aus Nebentätigkeiten und Unternehmensbeteiligungen müssen künftig beitragsgenau auf Euro und Cent veröf- (Jan Korte [DIE LINKE]: Nein!) fentlicht werden, Er ist einfach nicht weitgehend genug. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Lachen (B) und zwar dann, wenn sie den Betrag von 1 000 Euro im (D) Monat oder bei ganzjährigen Tätigkeiten den Betrag von bei der LINKEN – Zuruf vom BÜNDNIS 90/ insgesamt 3 000 Euro übersteigen. Also: Jeweils DIE GRÜNEN]: Das ist ja mal ein Argument!) 1 000 Euro im Januar, Februar, März, April sind schon Liebe Kolleginnen und Kollegen, abschließend will zu viel und müssen angezeigt werden. ich sagen: Gestern das Lobbyregister, heute die Transpa- (Beifall bei der SPD) renzregelung – ich finde, das war eine richtig gute Woche. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist eine geradezu revolutionäre Veränderung, die man gar nicht hoch genug Ich danke Ihnen. einschätzen kann. (Beifall bei der SPD – Jan Korte [DIE LINKE]: Die nächste gravierende Veränderung: Unternehmens- Sie können sich jetzt richtig reinbeißen! Aber beteiligungen müssen künftig ab 5 Prozent der Gesell- ist ja Osterpause! Ich könnte jetzt mal richtig schaftsanteile veröffentlicht werden, egal ob es sich um ausplaudern! – Dr. Franziska Brantner [BÜND- Kapital- oder Personengesellschaften handelt. Ganz NIS 90/DIE GRÜNEN]: Da sind wir gespannt wichtig: Auch die daraus resultierenden Einkünfte müs- auf den weiter gehenden Antrag! – Weitere sen angezeigt und veröffentlicht werden. Herr Zurufe) Buschmann, Sie haben recht: Einkünfte sind nicht Um- sätze; die derzeitige Regelung ist nicht gut und muss Vizepräsidentin Petra Pau: geändert werden. Wir werden sie auch ändern. Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der Dr. Patrick Sensburg das Wort. FDP) (Beifall bei der CDU/CSU) Aktienoptionen werden künftig anzeige- und veröf- fentlichungspflichtig sein. Das gilt unabhängig von der Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): Frage, ob sie einen bezifferbaren Wert haben. Man sieht, Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und der Fall Amthor hatte auch sein Gutes. Kollegen! Es ist gut, dass wir heute über Nebeneinkünfte, Einkünfte, Verhaltensregeln, Ändern des Abgeordneten- Bezahlte Lobbytätigkeiten von Bundestagsabgeordne- gesetzes und der Geschäftsordnung und die Transparenz ten gegenüber Bundesregierung oder Bundestag werden reden. gesetzlich verboten. Fälle, in denen Abgeordnete ihre Mitgliedschaft missbrauchen und dadurch Einnahmen (Zuruf von der LINKEN: Reden allein genügt erzielen, wird es bald nicht mehr geben; denn diese Ein- nicht!) 27766 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021

Dr. Patrick Sensburg (A) Und ich kann auch Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen Jan Korte (DIE LINKE): (C) der Fraktion Die Linke, verstehen, dass Sie das auf die Danke, Frau Präsidentin. – Danke, dass Sie die Zwi- Tagesordnung gesetzt haben wollen. schenfrage zulassen. Also, das will ich jetzt schon noch mal von Ihnen detailliert hier dargestellt bekommen. (Jan Korte [DIE LINKE]: Das wollten Sie Wir haben – man kann uns als Opposition gut finden verhindern!) oder blöd finden; das ist ja jedem unbenommen – unsere Es ist auch gut, dass wir heute alle das kritisiert haben, Arbeit gemacht und vor Wochen einen Gesetzentwurf alle Fraktionen, was als Verhalten in den letzten Wochen eingebracht, was zur Arbeit von Parlamentariern und völlig inakzeptabel war. Da war Konsens in diesem Haus, Fraktionen gehört. Und wir haben zweimal darum gebe- und das ist gut so. ten, diesen Gesetzentwurf im Geschäftsordnungsaus- schuss zu diskutieren und über ihn dann hier abstimmen Es ist auch gut so, dass die Kollegen, die das gemacht zu lassen. haben, die Konsequenzen gezogen haben. Das war das richtige Zeichen, das war das zwingende Zeichen, und Und jetzt will ich Sie mal fragen – denn Sie müssen das ist auch gut so. den Leuten jetzt noch mal genau sagen, ob Sie das wirk- lich so meinen –: Nur weil Sie es nicht hinbekommen, nur (Zuruf von der AfD: Da sitzt noch einer!) weil Sie seit 20, 30 Jahren hier rumpennen und Ihre Geschäftemacher schützen wollen, hindern Sie die Oppo- Ich würde mir, meine Damen und Herren von der Frak- sition an ihrer Arbeit, einen Gesetzentwurf hier einzu- tion der AfD – ich will auf Ihre Anträge und Ihre Aus- bringen? führungen gar nicht groß eingehen; aber Sie haben ja Sie verhindern also die Arbeit. Und das erklären Sie gerade pauschal über alle Parteien, über alle Fraktionen doch jetzt mal allen Ernstes. Nur weil Sie ankündigen, die Kritik ausgeschüttet –, dann auch wünschen, dass dies vielleicht mal irgendwann was vorzulegen, sorgen Sie als Selbstkritik mal in der eigenen Fraktion ankommen dafür, dass über einen Vorschlag – den kann man gut würde. Sie haben nämlich in vielen Fällen auch viele finden oder schlecht finden – hier nicht abgestimmt wer- Fehler gemacht, und dann ist es manchmal auch gut, den kann. Das ist wirklich durch und durch volle Kanne wenn man sich selbst mal im Spiegel betrachtet und daneben. Das erklären Sie mal bitte. Selbstkritik übt. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne- SPD, der FDP, der LINKEN und des BÜND- ten der FDP) NISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Marco (B) (D) Buschmann [FDP]: Er muss es wissen! Er ist Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): Vorsitzender des Immunitätsausschusses!) Lieber Kollege Korte, das ist nicht voll daneben. Es ist auch gut, dass wir zeitnah – der Kollege Bartke (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Doch! Genau hat es gerade gesagt – eine sehr umfassende, eine sehr das! – Weitere Zurufe) detaillierte Regelung bekommen werden, die noch über den Antrag oder die Anträge der Fraktion Die Linke und Es ist gut, wenn mehrere Fraktionen Vorschläge haben, auch über die Anträge der anderen Fraktionen hinaus- die Fraktionsvorschläge auch gemeinsam beraten und geht; das ist zu begrüßen. diskutieren zu können, nicht einen vorab zur Abstim- mung zu bringen. Zweimal – Herr Kollege Korte, das ist völlig richtig – (Lachen der Abg. Dr. Franziska Brantner war es im Geschäftsordnungsausschuss. Es ist allerdings [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) nicht von der Tagesordnung abgesetzt, sondern vertagt worden; das ist ein kleiner Unterschied. Wir werden vielleicht Expertenanhörungen haben, wir werden vielleicht über alle Vorschläge – – (Jan Korte [DIE LINKE]: Ja, ja, komm! Nicht (Jan Korte [DIE LINKE]: Ja, soll ich jetzt auch noch hier verarschen! – immer auf Sie warten, oder wie? – Weitere [DIE LINKE]: Klingt ja sehr elegant!) Zurufe von der LINKEN) Wir haben es diskutiert. Der Unterschied liegt darin, dass Auch die anderen Fraktionen haben übrigens Ideen und die Koalition in der Sitzung mehrmals gesagt hat: Es wird Vorschläge – hören Sie ruhig zu; vielleicht interessiert es Vorschläge geben; bitte lassen Sie uns doch die Vorschlä- ja –, und dann macht es auch Sinn, gemeinsam diskutie- ge der Koalition mit einbeziehen. – Und es ist, glaube ich, ren zu können und vielleicht gemeinsam das Beste daraus auch wichtig, dass man die Dinge gemeinsam diskutiert. machen zu können. (Jan Korte [DIE LINKE]: Jetzt müssen wir Vizepräsidentin Petra Pau: warten, bis Sie was machen, oder wie?) Kollege Sensburg, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Korte? Vielleicht zu meiner Antwort noch, wenn es Sie inte- ressiert: Ich habe ja mit Interesse wahrgenommen, dass Sie „Mach mit, mach’s nach, mach’s besser“ mit Adi – Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): Sie kennen es vielleicht noch; deswegen haben Sie es Sehr gerne. auch gerade angesprochen – zitiert haben. Die Schul- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021 27767

Dr. Patrick Sensburg (A) olympiade der DDR, die war interessant sonntagmorgens die Themen „Lobbyregister“, „legislativer Fußabdruck“, (C) im Fernsehen. Ich habe sie übrigens auch ab und zu mal „Verhaltensregeln“ und „Regeln in dem Abgeordne- gesehen. tengesetz und der Geschäftsordnung“. Wir haben gestern (Zuruf von der LINKEN: Das hatte mit Schul- das Lobbyregister geregelt. Das ist gut so. olympiade nichts zu tun!) (Beifall des Abg. Dr. Volker Ullrich [CDU/ Aber von Transparenz war da überhaupt nichts, da war CSU]) gar nichts. Wir regeln heute – wir haben die Vorschläge gerade auf (Zuruf der Abg. Kerstin Kassner [DIE LIN- den Tisch gelegt, Kollege Schnieder hat es gemacht –, KE]) (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Das war intransparent, da wurde im Hintergrund gekun- NEN]: Sie regeln heute gar nichts!) gelt, wenn Sie wissen, wie es mit Adi war. Also, von daher: Das jetzt als Beispiel zu bringen, kann ja nur der die Verhaltensregeln, die Nebeneinkünfte und, und, und; Schluss gewesen sein: Mach’s besser. ich will nicht alles wiederholen, was Kollege Schnieder und Kollege Dr. Bartke gesagt haben. ( [DIE LINKE]: Das ist euer bestes Argument, oder was? – Weitere Zurufe (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- von der LINKEN: Zum Thema!) NEN]: Sie regeln heute gar nichts!) Und Ihr Antrag – ich komme gleich darauf; denn der ist Und wir werden auch weiter darüber debattieren, ob ja Gegenstand – ist, es in vielen Punkten besser zu ma- wir einen legislativen Fußabdruck wollen. Ich hatte es bei chen. Aber die Logik kann doch nicht sein: „Jetzt stim- meiner Rede zum Lobbyregister angesprochen. Das wird men wir dagegen, beziehen es gar nicht ein“, sondern ein Thema sein, bei dem wir alle zusammenarbeiten sollte sein, doch besser alle vorgelegten Anträge gemein- können. Aber wenn, dann bitte richtig und nicht nur als sam zu diskutieren. – Das war die Intention, so wurde exekutiver Fußabdruck, nicht nur dann, wenn es in der auch im Geschäftsordnungsausschuss diskutiert. Und Regierung und im Parlament ist. Vielmehr müssen wir die Argumente, wenn Ihr Antrag so gut ist, können Sie grundsätzlich darüber diskutieren und auch die Arbeit ja weiter aufrechterhalten. schon mit Beginn von Koalitionsverhandlungen anfan- gen lassen. Dazu bin ich gerne bereit. Ich glaube, das (Jan Korte [DIE LINKE]: Dafür sind Sie ist auch notwendig. bekannt!) So weit die Antwort. Ich glaube, dass wir heute mit den ersten Vorschlägen wirklich gute Vorschläge gemacht haben. (B) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (D) (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Und dann kommen wir doch mal zu dem Antrag der NEN]: Ich kenne die gar nicht!) Fraktion Die Linke. Da ist ein wesentlicher Punkt drin; das ist die genaue Ausweisung der Einkünfte. Gut, das Die genaue Ausweisung nach Euro und Cent ist Konsens, scheint ja Konsens zu sein. Das ist schon mal gut. habe ich den Eindruck. Die Beteiligung an Gesellschaften ist ein wesentlicher Punkt. Ich nenne die Einkünfte aus Das Zweite sind die Berufsgeheimnisträger. Dazu, dass anzeigepflichtigen Unternehmensbeteiligungen. Wir ge- Sie da in Ihrem Antrag sehr ungenau sind, bestimmte hen auch da weiter: beispielsweise nicht nur Aktienoptio- Dinge gar nicht einbeziehen und andere Dinge zu tief nen; das geht bis hin zu Derivaten und anderen Erschei- einbeziehen, hat der Kollege Buschmann schon relativ nungen. Wir wollen ja nicht beim nächsten Mal wieder viel gesagt. Über die Berufsgeheimnisträger werden wir sagen: Das haben wir nicht geregelt. – Da gehen wir also noch mal nachdenken müssen. deutlich weiter. Die bezahlte Lobbytätigkeit wird verbo- Aber auch der Entwurf der Fraktion der FDP ist nicht ten werden. Das ist ein guter Ansatz. perfekt; er geht über eine konkretere Definition in § 44 a Abgeordnetengesetz nicht hinaus. Und weil es eben auch schon vom Kollegen Buschmann erwähnt worden ist: Es ist auch gut, dass (Jan Korte [DIE LINKE]: Der perfekte kommt wir ehrenamtliche Tätigkeit beibehalten können; denn ja bald!) so haben wir die Verbindung in die Gesellschaft, die Da müssen wir, glaube ich, deutlich mehr machen. Und wir auch haben wollen. ich glaube, wir können auch an vielen Punkten einen Ein wesentlicher Punkt – und dann komme ich auch Konsens finden; denn wir wollen Nebentätigkeiten nicht zum Schluss – ist, dass es bei Missbrauch auch die Mög- gänzlich verbieten. Aber wir möchten schon gerne, dass lichkeit gibt, verbotene Einnahmen abzuschöpfen – so das, was wir in den letzten Wochen und Monaten erlebt bleibt auch nichts mehr – und dann noch als Zusatz ein haben, nie wieder stattfindet. Ordnungsgeld zu verhängen. Dadurch wird wirklich ver- Und dann komme ich zum Antrag und auch zu den hindert, dass so etwas noch einmal vorkommt. Ideen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. – Sie ver- Ich hoffe, dass wir in den Beratungen und Debatten, mischen in Ihrem Antrag immer noch – ich hatte es mehr- die sich jetzt anschließen werden, dies im Konsens ma- mals gesagt, auch zum Thema Lobbyregister – chen. Und wenn sich das wiederfindet, was Sie in Ihrem (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Antrag haben, dann können Sie ja sogar zustimmen – so NEN]: Den anderen Antrag! Das Lobbyregister hatte ich Sie eben verstanden; das haben Sie ja sogar hatten wir gestern schon!) angekündigt; 27768 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021

Dr. Patrick Sensburg (A) (Jan Korte [DIE LINKE]: Wir entscheiden den Ministerien; was das für eine Bürokratie ist, wenn wir (C) immer nach Sachfragen!) alle unsere Lobbytermine auflisten und dann auch noch sagen, wer das finanziert. die AfD wird nicht zustimmen –, und das unterscheidet dann vielleicht auch von der AfD. Ich hoffe, dass wenigs- Da ist die Bürokratie zu viel, aber wenn Hartz-IV- tens Die Linke zustimmt. Bei der AfD sehe ich da keine Empfänger mit Sanktionen belastet und mit einem riesi- Hoffnung. gen bürokratischen Apparat kontrolliert werden, dann ist das völlig in Ordnung, auch wenn es nur um einige Cents Danke schön. geht! (Beifall bei der CDU/CSU – Jan Korte [DIE (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- LINKE]: Na, wenn wir Ihre letzte Hoffnung NIS 90/DIE GRÜNEN) sind! – Heiterkeit bei der LINKEN) Auch das ist eben nicht glaubwürdig. Wenn man es denn wirklich ernst meint, dann sollte Vizepräsidentin Petra Pau: man insgesamt eine Diskussion führen. Ich glaube, diese Das Wort hat der fraktionslose Abgeordnete Marco Diskussion sollte eine Bürger/-innenversammlung füh- Bülow. ren; denn wenn man seine eigenen Regeln macht, dann (Beifall der Abg. Ulla Jelpke [DIE LINKE]) ist man immer befangen. Wenn wir also eine Bürger/- innenversammlung brauchen, dann zu diesem Thema – eine Versammlung, die Vorgaben macht. Ich glaube, dann Marco Bülow (fraktionslos): haben wir eine Chance, hier wirklich etwas umzusetzen, Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen über Parteigrenzen und über Fraktionsgrenzen hinweg. und Herren! Viele schöne Reden, die wir hier hören. Ich bin jetzt 18 Jahre im Bundestag und hätte mir gewünscht, Das ist das nächste Problem. Wenn es nicht wieder nur von solchen Reden mehr gehört zu haben. Ich frage mich: um Parteitaktik gehen würde, dann würden Sie heute Wie glaubwürdig sind diese Reden, wenn in diesen diesem Antrag zustimmen oder den anderen Anträgen, 18 Jahren nichts passiert ist, die von den Grünen und von anderen Fraktionen gekom- men sind. Es geht aber wieder nur um Parteitaktik, um (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- möglichst über den Wahlkampf zu kommen. Und das ist NIS 90/DIE GRÜNEN) eben keine Glaubwürdigkeit. wenn alles blockiert worden ist an Anträgen, was zum Stimmen Sie den anderen Anträgen zu! Stimmen Sie Beispiel von den Grünen und den Linken gekommen auch den Petitionen zu! Es gibt mittlerweile fünf oder (B) ist, und wenn jede Offensive, jede Petition immer nur sechs Petitionen genau zu diesem Thema, die schon (D) abgelehnt worden ist? über 50 000 Unterschriften haben. Dann beschäftigen Sie sich mal mit diesen Petitionen und mit diesen Grup- Und wenn Ihnen der Antrag nicht weit genug geht, pen! Herr Dr. Bartke, dann stimmen Sie doch heute zu und machen dann noch einen besseren Antrag! Warum haben Sie nicht den Parteikodex unterschrie- ben, den ich mit dem Kollegen Schick vor sieben Jahren (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) ausgearbeitet habe? Wenn Sie glaubwürdig sein wollen, dann machen Sie bei den Initiativen mit und reden hier Aber das werden Sie nicht tun. Sie könnten heute bewei- nicht so schön, sondern handeln endlich! sen, wie ehrlich Sie es meinen. Das wird aber wieder nicht passieren. Vielen Dank. Schauen wir uns das noch mal an. Wie glaubwürdig ist (Beifall bei der LINKEN) es denn, das Thema Lobbyregister zum Beispiel nach dem Fall Amthor auszugraben und es dann wieder in Vizepräsidentin Petra Pau: der Versenkung verschwinden zu lassen, um es jetzt mit Das Wort hat der Kollege Dirk Wiese für die SPD- den Korruptionsfällen auf einmal wieder aufs Tableau zu Fraktion. setzen? Wie glaubwürdig ist das, vor allen Dingen, wenn dieser Herr Amthor Platz eins der Landesliste besetzt und (Beifall bei der SPD) sozusagen Spitzenkandidat wird? Wo ist denn dann die Glaubwürdigkeit? Dirk Wiese (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- Kollegen! Nach der gestrigen Verabschiedung des NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne- Lobbyregisters und der heutigen Einigung der Koali- ten der AfD – Zuruf von der AfD: Coole Par- tionsfraktionen hin zu mehr Transparenz, hin zu mehr tei!) Veröffentlichungspflichten, auch für anzeigepflichtige Wenn Sie Regeln schaffen wollen, dann müssen Sie die Einkünfte, ist das, glaube ich, heute ein guter Tag. auch anwenden! Wir haben gestern über das Lobbyregis- Ich muss sagen, dass ich gerade dem Kollegen ter gesprochen. Wie glaubwürdig ist es, wenn da zum Matthias Bartke und dem Kollegen Schnieder wirklich Beispiel Sachen fehlen wie die Finanzierung der Lob- dankbar bin, dass wir nicht nachgelassen haben. Ich byisten? Und dann sagte ein Unionskollege gestern bei will hier aber anmerken, lieber Kollege Schnieder: Ich der Debatte: Ja, damit können wir nicht ankommen bei hatte in den Verhandlungen manchmal den Eindruck, Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021 27769

Dirk Wiese (A) (Jan Korte [DIE LINKE]: Aha!) Dazu hätte ich mir von Ihnen einige Ausführungen ge- (C) wünscht. Stattdessen haben Sie dazu nichts formuliert. dass der eine oder andere Kollege in den Fraktionen Sie in den letzten Wochen und Monaten manchmal auch ein Lieber Kollege Korte, ich habe Ihren Antrag gelesen. bisschen bremsen wollte. Ich glaube aber, dass sich die Ich finde das gut, und das ist richtig, was Sie da auf den Hartnäckigkeit – dabei schaue ich zum Kollegen Bartke – Weg gebracht haben. Aber ich habe bei Ihnen den Ein- wirklich ausgezahlt hat und dass wir durch diese Eck- druck – und darum stimmen wir heute Ihrem Antrag nicht punkte hier in der nächsten Zeit etwas Gutes auf den zu –: Das fehlt auch bei Ihnen. – Ich weiß nicht, was da Weg bringen werden. bei den Beratungen bei Ihnen stattgefunden hat. Eines hat mich aber ein bisschen gestört bei Ihrer Rede: (Jan Korte [DIE LINKE]: Gucken Sie mal auf Diese paar Fälle, über die wir heute reden und aus denen das Datum, Sie Vogel!) wir Konsequenzen ziehen, sind nicht erst seit einigen Genosse Korte sitzt in seinem Büro, will mehr Transpa- Wochen da, sondern die gibt es schon länger. Da wurde renz. Genosse Gregor klopft an die Tür und sagt: Lieber lange Zeit nichts unternommen und nichts getan, und das Jan, bei Vorträgen, Honoraren, da machst du lieber nichts; muss sich die Unions-Bundestagsfraktion heute auch vor- da wollen wir keine Transparenz. – Darum stimmen wir halten lassen. Ihrem Entwurf heute nicht zu. (Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Patrick (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie Schnieder [CDU/CSU]) bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE Ansonsten warten wir die Gespräche ab. Das Team Merz GRÜNEN – Jan Korte [DIE LINKE]: Haben hat aus meiner Sicht noch nicht getwittert oder erneut Sie mal auf das Datum des Antrags geguckt? eine Klage beim Bundesverfassungsgericht eingereicht. Da haben Sie noch gepennt!) Von daher werden wir uns das mal genau anschauen. – Lieber Kollege Korte, ich freue mich, wenn Sie mit Der Kollege Seitz hatte gestern Abend zum Lobbyre- Genosse Gregor darüber sprechen, dass Vortragshonorare gister eine relativ substanzlose Rede gehalten. Ich war zukünftig nicht mehr zulässig sind. Ich halte das für rich- überrascht, als er vorhin anfing mit: Haftbefehl, Festnah- tig, und wir werden das umsetzen. men, Aufdeckung des Spendensumpfs usw. Ich hatte die ganze Zeit gedacht, er rede über den Landesverband der (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten AfD in Baden-Württemberg. der CDU/CSU) Liebe Kollegin Haßelmann, ich stimme Ihnen in allen (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ Punkten zu, die Sie heute gesagt haben. Das ist ja nicht CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- (B) immer so bei unseren Debatten, die wir hier haben. Ich (D) NEN – Zuruf von der AfD: Sie sind ja witzig!) finde einen Punkt ganz besonders gut, nämlich den Wenn das Ihre Redeintention gewesen wäre, dann hätte Punkt 13 in Ihrem Antrag, wo Sie sagen: Beschränkung ich gesagt: Hut ab! Selbsterkenntnis – richtig gut. Leider von Spenden an Parteien auf natürliche Personen mit war das auch an dem Punkt wieder verfehlt. einer jährlichen Obergrenze von 100 000 Euro pro Per- son. Ich finde es gut, dass Sie sicher gleich den Pharma- Herr Kollege Buschmann, wir beide hatten gestern Erben Antonis Schwarz anrufen, der Ihrer Partei Abend schon zum Lobbyregister eine kleine Diskussion. 500 000 Euro als Einzelspende hat zukommen lassen. Ich finde einen Punkt richtig, den Sie angesprochen haben: nicht nur auf Aktienoptionen zu schauen, sondern (Zuruf von der FDP: Hört! Hört!) auch auf andere Unternehmenswerte, die sich auf Deri- Ich denke, diesen Betrag, also die 400 000 Euro Diffe- vate und andere Konstellationen beziehen. Das haben wir renz, wird die Partei Bündnis 90/Die Grünen bis Montag auch in unseren Eckpunkten mit aufgenommen; das ist zurücküberweisen, damit Sie Ihre Glaubwürdigkeit vollkommen richtig. Ich hoffe da auch auf Ihre Zustim- behalten. mung, wenn es in die konkreten Verhandlungen geht. Ich hätte mir allerdings von Ihnen gewünscht, dass Sie (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- auch etwas dazu sagen oder es vielleicht auch gut finden, NEN]: Die SPD ist sich inzwischen für nichts dass wir Honorare für Vorträge untersagen. Wer Abge- zu schade!) ordneter des Deutschen Bundestages ist, der hält Reden. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. Hierfür bekommt er eine Abgeordnetendiät; das ist viel, viel Geld. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN – (Dr. Marco Buschmann [FDP]: Steinbrück hat Zuruf des Abg. Jan Korte [DIE LINKE]) über 1 Million Rednerhonorare abgerechnet, Herr Kollege!) Vizepräsidentin Petra Pau: Das System Ihres Fraktionsvorsitzenden Christian Während das Pult vorbereitet wird, ein Hinweis an den Lindner ist dadurch gefährdet; das ist mir vollkommen Kollegen Korte, der mir bitte mal seine Aufmerksamkeit bewusst. Aber noch mal: Wer Reden hält, der bekommt schenkt: Es entspricht nicht ganz den parlamentarischen eine Abgeordnetendiät, und das muss es letztendlich sein. Gepflogenheiten, Kollegen hier mit „Sie Vogel“ anzu- sprechen. (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Heiterkeit) 27770 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Sollte sich das wiederholen, werde ich das entsprechend schöpfungsmöglichkeiten schaffen. Damit ist sicherge- (C) sanktionieren. stellt, dass diese Umgehungsmöglichkeiten zukünftig nicht mehr existieren. (Jan Korte [DIE LINKE]: „Spaßvogel“ meinte ich!) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Thorsten Frei für die CDU/ Kollege Frei, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung CSU-Fraktion. der Kollegin Rottmann? (Beifall bei der CDU/CSU) Thorsten Frei (CDU/CSU): Bitte schön. Thorsten Frei (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Dr. Manuela Rottmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Kollegen! Es ist eine große Ehre, dem Deutschen Bun- NEN): destag angehören zu dürfen, und es ist ein Privileg, für Sehr geehrter Herr Kollege Frei, vielen Dank, dass Sie Deutschland und seine Bürgerinnen und Bürger arbeiten die Frage zulassen. – Ich möchte an dieser Stelle in der zu können. Es ist klar, dass die Vorfälle der vergangenen Debatte einmal den Blick weiten. Es sind ja nicht nur die Woche einen enormen Vertrauensverlust, insbesondere Abgeordneten, die bestechlich sind, sondern es gibt auch für unsere Fraktion, bedeutet haben, aber auch für die Bestecher. Es gibt Menschen in der Wirtschaft, die zu parlamentarische Demokratie insgesamt, für die Ent- diesem Instrument greifen. scheidungs- und Willensbildungsprozesse und ihre Legi- timität. Es ist notwendig, dass wir alle Anstrengungen Wir warten seit vielen Wochen auf das Unternehmens- unternehmen, um dieses Vertrauen, das verloren gegan- sanktionsgesetz. Es ist vom Kabinett verabschiedet. Es gen ist, zurückzugewinnen. steht im Koalitionsvertrag. Es taucht aber nicht im Rechtsausschuss auf. Wir warten auf die Umsetzung der Genau dem dienen unsere Vorschläge, und zwar in Whistleblower-Richtlinie. Viele dieser Skandale sind mehreren Schritten. Ich will auch noch mal sagen, dass durch Hinweisgeber aufgedeckt worden. in dieser Debatte vieles durcheinandergekommen ist. Wir haben gestern Abend abschließend das Lobbyregisterge- Sehen Sie es ebenfalls so, dass es zur Glaubwürdigkeit setz verabschiedet für entgeltliche Interessenvertretung, gehört, dass die Union auch da die Bremsen löst, um nicht nur beim Deutschen Bundestag, sondern auch bei diejenigen, die dieses Instrument auf der anderen Seite der Bundesregierung. Wir haben es darüber hinaus ver- benutzen, also die Abgeordnetenbestechung, endlich (B) pflichtend gemacht und sanktionsbewehrt – ein gutes unter Kontrolle zu bringen? (D) Gesetz, wie ich finde, das sich auch im internationalen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Vergleich absolut sehen lassen kann. sowie der Abg. Dr. Barbara Hendricks [SPD]) Lieber Herr Bartke, ich hatte nicht den Eindruck, dass sich die Gespräche hingeschleppt hätten. Wir haben ja Thorsten Frei (CDU/CSU): bereits im letzten Sommer gemeinsam, in Übereinkunft Liebe Frau Kollegin Dr. Rottmann, schauen Sie ein- in der Koalition zu diesem Thema gefunden, haben das mal: In § 108e Strafgesetzbuch geht es um die Abgeord- der Öffentlichkeit auch gemeinsam gesagt. Das darf man, netenbestechlichkeit und die Abgeordnetenbestechung. glaube ich, nicht hintanstellen. Dass wir es jetzt noch Wir weiten natürlich diesen Blick: Wir packen diesen besser gemacht haben, ist nicht zuletzt auch Ihnen zu Paragrafen an, um ihn wirklich wirkungsvoll zu machen – verdanken, Herr Dr. Bartke. – Vielleicht erspare ich Ihnen darauf ist eingegangen worden – und das zukünftig als damit den Zwischenruf. Verbrechen zu bestrafen. Das heißt, wir schauen in beide Richtungen: auf diejenigen, die bestechen, und auf dieje- (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) nigen, die bestechlich sind. Ihrem Anliegen ist damit Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist ja deutlich Genüge getan. geworden, dass wir nicht nur Einzelfälle unter die Lupe Sie haben zwei weitere Themen angesprochen: das nehmen möchten, sondern dass wir letztlich umfassend Unternehmenssanktionsrecht und die Umsetzung der sicherstellen möchten, dass es in Zukunft nicht mehr Whistleblower-Richtlinie. An diesen Punkten arbeiten möglich ist, bestehende Regelungen zu umgehen. Und wir. Aber Sie wissen ganz genau, dass es in der Politik das bedeutet eben insbesondere, Aktienoptionen oder nicht ausreicht, Schlagworte in den Raum zu werfen; wir auch Derivate so wie Einkünfte zu behandeln. Das be- müssen es auch gut machen. Sinn und Zweck müssen deutet, klarzustellen, dass man dann, wenn man hier im erfüllbar sein. Es muss umsetzbar sein, und zwar nicht Deutschen Bundestag arbeitet, nicht gleichzeitig für be- nur – das wird man jetzt gleich dazwischenrufen – im stimmte Gruppen entgeltlich tätig sein kann. Also, die Bereich der Wirtschaft, sondern auch in den Landesjus- entgeltliche Interessenvertretung durch Abgeordnete tizverwaltungen muss das umsetzbar sein. Uns reicht es geht nicht. nicht, Schlagworte in den Raum zu werfen, Dinge ins Schaufenster zu stellen, Auch die Vermischung von Abgeordnetenmandat und persönlichen wirtschaftlichen Interessen darf es nicht (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE geben, darf es auch heute schon nicht geben. Wir werden GRÜNEN]: Die EU-Richtlinie ist doch kein es aber sanktionsbewehrt machen, und wir werden Ab- Ding im Schaufenster! Das ist auch kein Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021 27771

Thorsten Frei (A) Schlagwort! Das ist eine europäische Richtli- Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist darüber ge- (C) nie, Herr Frei!) sprochen worden, dass wir in vielen einzelnen Punkten Transparenz- und Antikorruptionsregeln entsprechend aber in Wahrheit am Ende nicht liefern zu können. Des- anpassen werden. Ich will an dieser Stelle vor allen Din- wegen werden wir es richtig machen. Deshalb beraten wir gen noch mal darauf hinweisen: Was sind die leitenden diese Themen in der Koalition. Seien Sie versichert: Es Prinzipien bei dieser Frage? Worum geht es im Wesent- wird am Ende in jedem Fall zu einem guten Ergebnis lichen? Es geht darum, Transparenz zu schaffen. Es geht führen. darum, klarzulegen, dass eine Vermischung von persön- (Beifall bei der CDU/CSU) lichen Interessen einerseits und Mandatsinteressen ande- rerseits nicht möglich ist. Das heißt, wir möchten die Unabhängigkeit der Abgeordneten sicherstellen. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Frei, es gibt einen zweiten Wunsch nach einer Auf der anderen Seite – das muss auch vollkommen Frage oder Bemerkung, nämlich vom Kollegen klar sein; darauf ist der Kollege Dr. Buschmann einge- Straetmanns. Das wäre dann allerdings die letzte, die gangen –: Wir möchten am Ende nicht ein Parlament ich innerhalb Ihres Redebeitrags zulassen würde, wenn haben, das mit der Lebenswirklichkeit und der Gesell- Sie sie zulassen. schaft in Deutschland nichts mehr zu tun hat. Deswegen kommt es tatsächlich auch auf die Einzelheiten an. Des- wegen muss man ganz genau schauen, wo man ansetzt. Thorsten Frei (CDU/CSU): Wir brauchen diejenigen, die auch jenseits des Staates An mir soll das nicht scheitern, Frau Präsidentin, wenn Geld verdient haben. Wir brauchen auch diejenigen, für Sie damit einverstanden sind. die nicht das persönliche Modell gilt: Kreißsaal, Hörsaal, Plenarsaal. Friedrich Straetmanns (DIE LINKE): (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Danke sehr, dass Sie die Bemerkung zulassen; mein ordneten der AfD und der FDP]) Dank geht auch an die Frau Präsidentin. – Ein kurzer Punkt. Die GRECO, die Staatengruppe gegen Korrup- Wir brauchen diejenigen, die auf andere Art und Weise in tion, der Deutschland auch angehört, hat Deutschland ihren normalen zivilen Berufen ihr Geld verdienen. Wir wiederholt angemahnt, weil es nämlich seinen eigenen brauchen auch deren Expertise für die Gesetzgebung; das Verpflichtungen aus diesem Bündnis nicht nachkommt, will ich ganz ausdrücklich sagen. Deswegen muss es mehr gegen Korruption von Abgeordneten zu tun. auch zukünftig möglich sein, dass ein Landwirt hier im Deutschen Bundestag Landwirtschaftspolitik betreibt. Es (B) Führend in der Blockadehaltung ist ja der jetzt nicht muss auch zukünftig möglich sein, dass ein Rechtsanwalt (D) anwesende Herr Grosse-Brömer – zumindest sehe ich ihn Rechtspolitik betreibt. Und es muss auch zukünftig mög- nicht –, der hier massiv interveniert hat. Ich will noch mal lich sein, dass ein Physiotherapeut und Sportwissen- ganz bewusst den leider verstorbenen Kollegen Thomas schaftler im Gesundheitsausschuss sitzt und dort seine Oppermann erwähnen, der sich im Ältestenrat und in der Arbeit macht, dort seine Expertise einbringt. Rechtsstellungskommission mit Herrn Grosse-Brömer sehr angelegt hat. Sein Ziel teilen wir: GRECOs Forde- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- rungen müssen erfüllt werden, und zwar von uns, von ordneten der SPD) Deutschland, keinem anderen. Wir möchten Transparenz – um das klarzustellen –, aber wir möchten auch nicht das Kind mit dem Bade (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. ausschütten. Und wir möchten nicht ein Parlament, das Dr. Barbara Hendricks [SPD]) nur aus Beamten besteht oder aus solchen, die zeit ihres Berufslebens nicht aus dem Bannkreis einer Partei Thorsten Frei (CDU/CSU): herausgetreten sind und sich damit natürlich auch in Herr Kollege Straetmanns, ich will es in Anbetracht Abhängigkeiten befinden. Das möchten wir nicht. der fortgeschrittenen Zeit kurz machen. Ich glaube, dass Ich bin davon überzeugt, dass es gelingen wird, einen wir vieles unternehmen, um genau diese Punkte zu adres- klugen Weg zu finden, und dass wir entsprechend diesem sieren und umzusetzen. Ich habe vom Lobbyregisterge- Ziel den Menschen immer glaubwürdig klarmachen kön- setz gesprochen. Wozu ich jetzt noch gar nicht gekom- nen: Wir arbeiten für das deutsche Volk, für die Men- men bin, ist, auch darüber zu sprechen, dass wir die schen in Deutschland, für dieses Land. Darum geht es, Transparenz- und Antikorruptionsregeln entsprechend und das muss die Zielsetzung bleiben. verschärfen und anpassen. (Jan Korte [DIE LINKE]: Weniger CDU- Wir werden diesen Weg konsequent gehen. Sie werden Abgeordnete!) sehen, dass wir dem Deutschen Bundestag auch entspre- chende Vorschläge machen werden. Damit, glaube ich, Herzlichen Dank. tun wir alles, um Glaubwürdigkeit sicherzustellen, um (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Integrität und damit auch die Verlässlichkeit der parla- ordneten der FDP) mentarischen Demokratie gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern sicherzustellen; das ist unser Maßstab. Vizepräsidentin Petra Pau: (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich schließe die Aussprache. 27772 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussemp- Koalitionsfraktionen, die AfD-Fraktion und Teile der (C) fehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? – und Geschäftsordnung zu dem Antrag der Fraktion Die Die FDP-Fraktion und Teile der Fraktion Die Linke. Gibt Linke mit dem Titel „Änderung der Geschäftsordnung es Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die des Deutschen Bundestages; hier: Änderung der Verhal- Überweisung so beschlossen. Damit stimmen wir heute tensregeln für Mitglieder des Deutschen Bundestages über den Antrag auf Drucksache 19/27872 nicht in der (Anlage 1 der Geschäftsordnung)“. Sache ab. Es liegen mir mehrere Erklärungen zur Abstimmung Ich rufe den Zusatzpunkt 38 auf: nach § 31 der Geschäftsordnung vor. Entsprechend unse- ren Regeln nehmen wir diese ins Protokoll dieser Sitzung Einspruch gegen eine Ordnungsmaßnahme auf.1) gemäß § 39 der Geschäftsordnung Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- lung auf Drucksache 19/22782, den Antrag der Fraktion Es handelt sich um einen Einspruch des Abgeordneten Die Linke auf Drucksache 19/12 abzulehnen. Wir stim- Stephan Brandner gegen einen in der letzten Sitzung men über die Beschlussempfehlung auf Verlangen der erteilten Ordnungsruf. Der Einspruch wurde als Unter- Fraktion Die Linke namentlich ab. Die Abstimmung richtung verteilt. erfolgt in der Westlobby. Ich weise ausdrücklich darauf hin, dass auch in diesem Teil des Plenarbereichs die Der Bundestag hat über den Einspruch ohne Ausspra- Pflicht zum Tragen einer medizinischen Mund-Nasen- che zu entscheiden. Bedeckung besteht. Ich bitte die Schriftführerinnen und Wir kommen daher gleich zur Abstimmung. Wer Schriftführer, hierauf zu achten. Verstöße werde ich mit stimmt für den Einspruch? – Das ist die AfD-Fraktion. den Mitteln des parlamentarischen Ordnungsrechts ahn- Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Ein- den. spruch ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, Sie haben zur Abgabe Ihrer Stimmkarte nach Eröff- der FDP-Fraktion, der Fraktion Die Linke und der Frak- nung der Abstimmung 30 Minuten Zeit. Bitte gehen Sie tion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der AfD- nicht alle gleichzeitig zur Abstimmung, und vermeiden Fraktion zurückgewiesen. Sie Pulkbildung. Es stehen acht Urnen zur Abstimmung zur Verfügung. Es folgen jetzt gleich noch weitere Ich rufe Tagesordnungspunkt 35 auf: Abstimmungen nach Eröffnung der namentlichen Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- Abstimmung. Bleiben Sie daher bitte noch einen Moment gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stär- (B) hier im Plenarsaal. kung des Fondsstandorts Deutschland und (D) Die Schriftführerinnen und Schriftführer bitte ich, die zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2019/1160 vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Mir wird signal- zur Änderung der Richtlinien 2009/65/EG und isiert, dass das schon geschehen ist. Ich eröffne die na- 2011/61/EU im Hinblick auf den grenzüber- mentliche Abstimmung über die Beschlussempfehlung schreitenden Vertrieb von Organismen für auf Drucksache 19/22782 zu dem Antrag der Fraktion gemeinsame Anlagen (Fondsstandortgesetz – Die Linke. Die Abstimmungsurnen werden um 15 Uhr FoStoG) geschlossen. Das bevorstehende Ende der namentlichen Drucksache 19/27631 Abstimmung wird Ihnen rechtzeitig bekannt gegeben.2) Überweisungsvorschlag: Wir setzen die Abstimmungen fort. Finanzausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Zusatzpunkte 28 bis 30. Interfraktionell wird Überwei- Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sung der Vorlagen auf den Drucksachen 19/27850, Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO 19/27857 und 19/27836 an die in der Tagesordnung auf- Ich gehe davon aus, dass alle wissen, worum es geht, geführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es weitere und uns die Rednerinnen und Redner im Laufe der De- Überweisungsvorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann batte noch weiter kundig machen, vor allen Dingen die verfahren wir wie vorgeschlagen. Zuhörerinnen und Zuhörer. Zusatzpunkt 31. Wir kommen nun zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache Für die Aussprache ist eine Dauer von 30 Minuten 19/27872 mit dem Titel „Transparenz, Nachvollziehbar- beschlossen. keit und Offenlegung – Für eine transparente saubere Ich bitte nun, die Plätze einzunehmen und, wenn Sie Politik“. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wünscht bedauerlicherweise nicht an den weiteren Beratungen Abstimmung in der Sache. Die Fraktionen der CDU/CSU teilnehmen können, uns zu verlassen. Ich bitte, notwen- und SPD wünschen Überweisung an den Ausschuss für dige Gespräche, wenn sie denn stattfinden müssen, außer- Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung. Wir halb des Plenums zu führen, den Geräuschpegel noch zu stimmen nach ständiger Übung zuerst über den Antrag senken und Platz zu nehmen. auf Ausschussüberweisung ab. Ich frage deshalb: Wer stimmt für die beantragte Überweisung? – Das sind die Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Parla- mentarische Staatssekretärin Sarah Ryglewski. 1) Anlagen 2 und 3 2) Ergebnis Seite 27780 C (Beifall bei der SPD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021 27773

(A) Sarah Ryglewski, Parl. Staatssekretärin beim Bun- erneuerbaren Energiequellen. Das ist etwas, was bisher (C) desminister der Finanzen: ein großer Hemmschuh war. Ich finde es gut, dass es Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Es ist in der Tat gelungen ist, sich darauf zu einigen. schade, dass so viele Kolleginnen und Kollegen den (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Raum verlassen haben. Es ist ein Gesetz, bei dem es der CDU/CSU) sich lohnen würde, wenn mehr Kolleginnen und Kollegen zuhören würden, vielleicht auch diejenigen, die sich nicht Auch ein weiterer Aspekt soll noch mit in die Beratun- originär mit Finanzpolitik beschäftigen. gen eingebracht werden, nämlich die Frage, wie wir die Akzeptanz von Windparkanlagen erhöhen. Das soll ins- (Beifall bei der SPD) besondere dadurch geschehen, dass Standortkommunen Der Fondsstandort Deutschland hat sich in den letzten einen höheren Gewerbesteueranteil aus dem Betrieb von Jahren weiterentwickelt. Aber im europäischen Vergleich Windrädern erhalten. liegen wir noch zurück, und wir schöpfen auch nicht alle (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Potenziale, die wir haben, aus. Deshalb wollen wir mit der CDU/CSU – Marianne Schieder [SPD]: dem jetzt vorliegenden Gesetz vorhandene Barrieren wei- Sehr gut!) ter abbauen und den Standort Deutschland noch wettbe- werbsfähiger und attraktiver machen, ohne dabei das vor- Aber noch mal zurück zum Thema „Fondsstandort und handene Schutzniveau abzusenken. Das gehen wir mit Mitarbeiterkapitalbeteiligungen“, also zu dem, was den dem jetzt vorgelegten Fondsstandortgesetz an – mit regu- Kern des Gesetzes darstellt. Hier geht es, wie gesagt, latorischen, aber eben auch mit steuerlichen Maßnahmen. darum, Mitarbeiterkapitalbeteiligungen attraktiver zu machen. Das erreichen wir insbesondere durch die Anhe- Worum geht es? Wir wollen Mitarbeiterkapitalbeteili- bung des steuerfreien Höchstbetrags. Und wir lösen das gungen für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter insbesonde- Problem des sogenannten Dry Income. Die Problematik re von Start-ups attraktiver machen und damit die Wett- besteht aktuell darin, dass zu dem Zeitpunkt, zu dem die bewerbsfähigkeit deutscher Start-ups im internationalen Vermögensbeteiligung am Unternehmen auf den Arbeit- Vergleich stärken. Viele junge Unternehmen sind häufig nehmer übertragen wird, Steuer fällig wird, obwohl zu in der Anfangsphase in der Konkurrenz um gute Mit- diesem Zeitpunkt noch kein Zufluss passiert, noch keine arbeiter noch nicht in der Lage, so hohe Löhne zu zahlen Liquidität vorhanden ist. Wir sagen: Das macht das Gan- wie bereits etablierte Unternehmen. Wir wollen mit der ze unattraktiv. Dem begegnen wir, indem wir die Besteu- Mitarbeiterkapitalbeteiligung ein attraktives Angebot ge- erung nach hinten schieben; in der Regel wird das der rade für junge Unternehmen schaffen, damit sie in der Zeitpunkt der Veräußerung sein. Das heißt, dann, wenn Konkurrenz besser bestehen können. wirklich Geld zufließt, wird besteuert. (B) (D) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD) der CDU/CSU) Wir glauben, dass das im Wettbewerb um internationale Um den Fondsstandort Deutschland für junge innova- Arbeitskräfte – in diesem Wettbewerb stehen halt auch tive Unternehmen gezielt zu fördern, soll eine Erwei- Start-ups – eine erhebliche Verbesserung darstellt. terung der Umsatzsteuerbefreiung auf die Verwaltung von Wagniskapitalfonds zur Finanzierung von Start-up- Ein weiterer wichtiger Punkt betrifft die Frage der Unternehmen erfolgen. Finanzierung von Start-ups. Deswegen haben wir vor, im Umsatzsteuergesetz die Umsatzsteuerbefreiung für Mit dem Gesetz wollen wir außerdem die Richtlinie die Verwaltung von Sondervermögen auf Wagniskapital- zum grenzüberschreitenden Fondsbetrieb umsetzen so- fonds auszudehnen. Damit wollen wir einen weiteren wie Anpassungen an die Offenlegungs- und Taxonomie- Anreiz setzen, dass zukünftig mehr Wagniskapitalfonds verordnungen aus dem Sustainable-Finance-Aktionsplan in Deutschland gegründet werden, die Start-ups in der EU-Kommission vornehmen. Deutschland und Europa mehr privates Kapital zur Ver- (Beifall bei der SPD) fügung stellen. Das wollen wir nutzen. Wir haben schon eine gute Finanzierungsszene in Deutschland. Durch Darüber hinaus schaffen wir mehr Gestaltungsmög- Banken und Sparkassen ist sie in Deutschland ein biss- lichkeiten für Fondsverwalter, erweitern deren Produkt- chen anders aufgestellt als in anderen Ländern. Hiermit palette und unternehmen weitere Schritte zur Ent- wollen wir zusätzliches, weiteres privates Kapital rein- bürokratisierung. Das führt zu Kostenersparnissen bei holen. Das halten wir für wichtig für die Attraktivität Investmentfondsanlegern. Darüber hinaus fördern wir unseres Standorts. mit diesem Gesetz auch die Digitalisierung der Finanz- aufsicht. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. [CDU/CSU]) (Beifall bei der SPD) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich hoffe, ich habe Sie sehen: ein Gesetz, das es in sich hat. Wie ich ver- einen kleinen Einblick in das gegeben, was wir hier ma- nommen habe, haben sich die Koalitionsfraktionen heute chen wollen, und das Thema auf die Agenda gehoben. Ich auch noch darauf verständigt, eine Regelung mit auf- freue mich auf jeden Fall auf die Beratungen. Wir sind ja zunehmen, wo es um steuerliche Maßnahmen zur schon tief eingestiegen, auch wenn das heute die erste Förderung erneuerbarer Energien geht. Durch eine Ge- Lesung ist. Ich bin mir sicher, dass wir hier zu einem werbesteueränderung erleichtern wir für Wohnungsunter- guten Ergebnis kommen, das unsere Start-up-Szene wirk- nehmen die dezentrale Erzeugung von Mieterstrom aus lich voranbringt. 27774 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021

Parl. Staatssekretärin Sarah Ryglewski (A) (Marianne Schieder [SPD]: Ganz bestimmt!) von jungen Unternehmen. Meine sehr verehrten Damen (C) Vielen Dank. und Herren, die Steuerfreibeträge, die hier aufgerufen werden, sind immer noch weit geringer als im westeuro- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten päischen Normalmaß, vor allem verglichen mit unseren der CDU/CSU) Nachbarn in Europa, wo es um einige Tausend Euro geht. Wir könnten uns eine weit höhere Beteiligung von Mit- Vizepräsidentin Petra Pau: arbeitern an Unternehmen vorstellen. Wir sollten bei die- Ich komme zurück zur Abstimmung zu Zusatzpunkt ser Gelegenheit diesen Weg gehen und nicht nur so eine 31. Hier war strittig, ob in der Sache abgestimmt wird zögerliche Anhebung von 360 auf 720 Euro vorsehen. oder aber der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- Rechnen Sie das hoch, rechnen Sie das auf ein Erwerbs- nen in die Ausschüsse überwiesen wird. Die Fraktion leben von 30 Jahren hoch; schauen Sie, was Sie dann für Bündnis 90/Die Grünen hat gerade dem Präsidium ein Kapital haben und was Sie damit für Ihr Alter errei- gegenüber erklärt, dass sie natürlich für die Abstimmung chen können. Das ist ein kleines Spiel. in der Sache und damit gegen die Ausschussüberweisung (Beifall bei der AfD) votiert hat. Das war also offensichtlich ein Versehen bei einigen Kolleginnen und Kollegen, was ihr Abstim- Mehr Mut wäre gut. mungsverhalten betraf. Wir halten das so im Protokoll Die Nachlagerung der Besteuerung ist richtig, damit fest. Insgesamt ändert das nichts am Beschluss, dass diese die Steuerzahlung erst ausgelöst wird, wenn der Mitarbei- Vorlage in die Ausschüsse überwiesen wurde. ter tatsächlich Erlöse aus der Veräußerung seines Vermö- Wir fahren in der Debatte fort. Das Wort hat der Abge- gens erzielt. Das sollte man so tun. Trotzdem ist bei der ordnete Albrecht Glaser für die AfD-Fraktion. Verzahnung von Arbeitsentgelt und Kapitalvermögen immer große Sorgfalt anzuraten, um Mitnahmeeffekte (Beifall bei der AfD) zu verhindern und nicht Lohnzahlungen als Vermögens- beteiligungen zu verschleiern, zu verkaufen, umzuetiket- Albrecht Glaser (AfD): tieren. Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Tat hat der Gesetzentwurf einen sehr sperrigen Text. Als ich Ob mit dem Gesetz auch innovative Beteiligungsfor- ihn zum ersten Mal las, habe ich bei „grenzüberschrei- men gefördert werden, wie es im Begründungstext des tendem Vertrieb von Organismen“ gedacht, es gehe viel- Gesetzentwurfs heißt, werden wir erst im Rahmen der leicht um den Handel mit Tierorganen oder so was. Aber öffentlichen Anhörung herausfinden müssen. Das können das ist alles nicht der Fall. wir im Moment so nicht feststellen. (B) (D) Das Abkaufen von Bürgerwiderstand gegen Windräder Das gilt auch für andere Fragen, wie zum Beispiel: steht bisher noch nicht im Gesetzentwurf, Frau Staats- Wie kann man Mitarbeiter nicht nur durch entspre- sekretärin. Das ist ein völlig neuer Gesichtspunkt, der chende Zuwendungen durch den Arbeitgeber am Unter- bisher noch gar nicht auf der Agenda ist. nehmen beteiligen, sondern auch über ihr eigenes Geld? Meine sehr verehrten Damen und Herren, es geht tat- Ein hochinteressanter Aspekt, den man bei der Gelegen- sächlich um Kapitalanlagemöglichkeiten in Deutschland. heit aufrufen muss. Das ist ein Artikelgesetz mit über 100 Einzelziffern; das Wie können Mitarbeiterbeteiligungen an Unternehmen kann man hier flächendeckend in vier Minuten erörtern, gefördert werden, die nicht Aktiengesellschaften sind? das ist gar kein Problem. Das dürfte sogar in den meisten Fällen, wenn man sich Es wird behauptet, der deutsche Standort sei im euro- die Zahl der Mitarbeiter anschaut, so sein. Also, dort päischen Vergleich zurückgeblieben und würde sein Po- muss irgendwie eine Lösung gefunden werden, die jen- tenzial nicht ausschöpfen. Barrieren sollten abgebaut seits der Welt der Aktiengesellschaft funktioniert. werden, alles sollte irgendwie besser gemacht werden Muss die steuerbegünstigte Mitarbeiterbeteiligung für zum Zweck eines nachhaltigen Steigerns des Wirtschafts- alle Mitarbeiter in gleicher Weise angeboten werden, wachstums. Ob das damit geschieht, lassen wir mal oder schränkt man dadurch die Flexibilität gerade von dahingestellt sein, das ist sicher besser, als eine Schulden- kleinen Unternehmern ein? Eine sehr sensible und sehr politik zu betreiben, die dem Wirtschaftswachstum ganz heikle Frage. Die muss sauber gelöst werden. Im Moment sicher entgegensteht. Aber ob das Ziel mit dem, was wir sehen wir das nicht. hier auf dem Tisch haben, erreicht wird, ist fraglich. Wir lassen uns aber überraschen, vor allen Dingen wollen wir Weshalb gilt die nachgelagerte Besteuerung nur für die Anhörung abwarten. Dem Ziel als solchem kann man Unternehmen, die nicht älter als zehn Jahre sind? Das sich natürlich nicht verschließen. Dem werden wir mit erschließt sich uns überhaupt nicht. Wohlwollen gegenüberstehen. Genauso wie wir den Vermögensaufbau im Bereich der Ein weiteres großes Thema ist die steuerliche Förde- Wohnimmobilien unterstützen, so liegt uns natürlich auch rung von Mitarbeiterbeteiligungen an Kleinstunterneh- der Vermögensaufbau im Bereich der Unternehmensbe- men und mittelgroßen Unternehmen. Das ist politisch in teiligung sehr am Herzen. Mit privatem Engagement der Tat ein interessanter Punkt. Man plant die Verdoppe- etwas Wirksames für die eigene Altersversorgung zu lung der steuerbegünstigten Vermögensbeteiligung – von tun, ist ein hohes Ziel. Wir sollten alles tun, dass wir 360 auf 720 Euro – sowie die Einführung der nachge- das wirkungsvoll erreichen. In diesem Sinne werden wir lagerten Besteuerung für diese Beteiligungen im Falle weiter an den Beratungen teilnehmen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021 27775

Albrecht Glaser (A) Herzlichen Dank. Ein weiterer wichtiger Punkt, den die Kollegen schon (C) angesprochen haben, ist die Mitarbeiterbeteiligung. Start- (Beifall bei der AfD) ups brauchen diese Mitarbeiter, um sich zu entwickeln. Sie haben meistens nicht das Geld, um die Mitarbeiter Vizepräsidentin Petra Pau: gleich angemessen zu bezahlen. Die Mitarbeiter haben Das Wort hat der Kollege Fritz Güntzler für die CDU/ ein Interesse daran, an dem Unternehmen mitzuwirken, CSU-Fraktion. es zu entfalten und ihren Beitrag zum Geschäftswert zu leisten. Von daher ist es wichtig, dass wir da was tun. Der (Beifall bei der CDU/CSU) „Deutsche Startup Monitor 2020“ hat ermittelt, dass 28 Prozent der Start-ups sagen: Das ist das wichtigste Fritz Güntzler (CDU/CSU): Thema. – Von daher ist es richtig, dass dieses Gesetz es Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und adressiert. Wir haben hier wirklich gute Ansätze; aber ich Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir leben mitten in glaube, wir sollten noch mal etwas näher hingucken, ob der Pandemie, und diese Pandemie hat Auswirkungen auf es nicht noch besser und zielgenauer in manchen Punkten das volkswirtschaftliche Einkommen, auf die Wirt- geht. schaftsleistung unseres Landes. Die Hilfestellungen, die wir geben, in Milliardenhöhe, wirken – zum Glück –, Wir haben zwei Wegbereitungen: sodass die Auswirkungen nicht so fatal sind, wie sie sonst Das eine ist der Freibetrag; das ist angesprochen wor- eigentlich wären. den. Die Koalition hat sich mittlerweile darauf verstän- Dennoch ist es gut, darüber nachzudenken, wie wir den digt, diesen Betrag von 360 Euro zu vervierfachen auf Neustart wirtschaftlich hinbekommen. Von daher ist es 1 440 Euro, auch ein klares Signal. Es kann immer ein wichtig, hier steuerlich flankierend tätig zu werden. Wir bisschen mehr sein – der Vergleich mit dem Ausland müssen zurückkehren zu einem Wachstumspfad. Dieses zeigt, dass es auch andere Beträge gibt –; aber ich sage Fondsstandortgesetz kann meines Erachtens einen guten mal: Die Anteilsübertragung an den Mitarbeiter ist ja Beitrag dazu leisten. eigentlich ein Surrogat für normalen Arbeitslohn. Wir haben also auch eine Gerechtigkeitsdebatte zu führen, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und ob der Liquiditätszufluss als Arbeitslohn tatsächlich so der SPD) viel schlechter behandelt werden kann als eine Beteili- Es geht um die Stärkung des Fondsstandorts Deutsch- gung. Auch da müssen wir einen Ausgleich zwischen land, um den Abbau von Bürokratie bei Fondsanlagen, den Mitarbeitern finden. um die Ausweitung der Angebotspalette, insbesondere (Beifall bei der CDU/CSU) (B) um die Ausweitung von Infrastrukturfonds. Wichtige In- (D) vestitionen in unsere Infrastruktur sollen also besser Zweitens haben wir das sogenannte Dry Income; die möglich gemacht werden. Es geht um die Steigerung Frau Staatssekretärin hat darauf hingewiesen. Wir wollen des Innovations- und des Wachstumspotenzials der deut- verhindern, dass der Zufluss von Beteiligungen direkt zu schen Wirtschaft. Dazu tragen im entscheidenden Um- einer Besteuerung führt. Das ist gut angelegt in dem Ge- fang auch die sogenannten Start-ups bei, Unternehmen, setz. Da gibt es so ein paar Kleinigkeiten, an die wir die neu am Markt sind, die mit viel Risikobereitschaft an herangehen müssen, damit – so sagt man umgangssprach- den Markt gehen, meist mit viel Engagement, mit wenig lich – dieses Gesetz auch fliegt. Wir haben da nämlich Kapital, aber mit einer tollen Idee. Sie setzen die richtigen noch Hürden aufgebaut beim Zeitpunkt, wann denn die Impulse für unser gesamtes wirtschaftliches Leben. Besteuerung anfängt. Es ist mittlerweile zwingend nach zehn Jahren vorgesehen. Da könnten wir uns längere Zei- Wir haben Nachholbedarf beim Wachstumskapital- träume vorstellen. Es geht darum, welche Beteiligungs- markt. Von daher ist es richtig, dass wir einen Zukunfts- formen wirklich gefördert sind, wie die Bewertung statt- fonds aufgelegt haben – mit mittlerweile 10 Milliarden zufinden hat. Euro –, um diese Unternehmen in deren Wachstumsphase zu unterstützen, in der dieser hohe Kapitalbedarf besteht. Es sind also noch einige Stellschrauben, die wir drehen Also: Wir zeigen auch in diesem Punkt Verantwortung, könnten. Ich freue mich auf die gemeinsamen Beratungen meine Damen und Herren. und darauf, dass wir aus diesem guten Gesetzentwurf ein noch viel besseres Gesetz machen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Herzlichen Dank. Aber neben dem öffentlichen Geld geht es auch darum, dass wir privates Geld mobilisieren, das in diesen Markt (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- investiert wird. Von daher ist es richtig, dass wir die ordneten der SPD) umsatzsteuerlichen Hindernisse ausräumen und dass wir die umsatzsteuerliche Befreiung für die sogenannten Vizepräsidentin Petra Pau: Verwaltungsleistungen für Wagniskapitalfonds schaffen, Ich komme zurück zu Tagesordnungspunkt 34 c. Die damit diese Wagniskapitalfonds nicht nur im Ausland, Zeit für die namentliche Abstimmung ist gleich vorbei. sondern auch in Deutschland aufgelegt werden. Ein wich- Sollte also ein Mitglied des Hauses seine Stimme noch tiger Beitrag für den Fondsstandort Deutschland, meine nicht abgegeben haben, dann wäre jetzt der Zeitpunkt Damen und Herren. herangerückt, zu den Abstimmungsurnen zu schreiten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Ich erinnere daran: Um 15 Uhr wird diese Abstimmung der SPD) geschlossen. 27776 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Wir fahren in der Debatte fort. Das Wort hat der Lan- Tech Gründerfonds sehen. Da haben Sie eine Haltedauer, (C) desminister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung die darüber hinaus reicht. Ferner werden die Sozialver- und Energie, Dr. Andreas Pinkwart. sicherungsbeiträge auch sofort fällig. Hier müssen Sie beim Dry Income wirklich noch nachbessern: beim (Beifall bei der FDP) Betrag und bei der freien Wahl der Ausreichung von Beteiligungen. Dr. Andreas Pinkwart, Minister (Nordrhein-Westfa- len): Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind in Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und einer schwierigen wirtschaftlichen Phase. Wir müssen Herren! Es ist sicherlich gut, dass wir die Fonds usw. schnell aus dieser Krise wieder herausfinden. Wir müssen stärken wollen und dass der Staat hier auch zusätzliche mehr auf Chancen setzen. Wir müssen mehr daraufset- Impulse setzt. Aber es macht alles nur dann Sinn, wenn zen, dass Unternehmen sich auch entfalten können. Hier wir gute Start-up-Unternehmen haben. Das ist die Kern- können wir doch von anderen lernen. Wenn wir uns mal voraussetzung. Unternehmertum ist gefragt. Und wann die Erfolgsstory von PayPal anschauen, dann sehen wir, haben wir gute, schnell wachsende, erfolgreiche Start- dass frühere Mitarbeiter im PayPal-Team wie Peter Thiel ups? Wenn wir gute Ideen haben, gute Köpfe und das oder Elon Musk danach mit ihrem Beteiligungskapital, notwendige Chancenkapital, und das muss gerade am das sie als Mitarbeiter erworben haben, selbst wieder Anfang auch von privater Seite zur Verfügung gestellt Unternehmen gegründet haben. Sie haben ein Ecosystem werden. Das haben wir gerade bei BioNTec, das haben ausgebaut. Und heute freuen wir uns darüber, dass Elon wir bei CureVac, das haben wir bei all den anderen Un- Musk in Brandenburg Zigtausende hochqualifizierte ternehmen, die wir jetzt feiern, gesehen. Ohne private Arbeitsplätze bereitstellt. Initiative hätten wir die Erfolge hier nie feiern können, (Beifall bei der FDP) meine sehr verehrten Damen und Herren. (Beifall bei der FDP) Wir brauchen diese Start-up-Unternehmer auch in unserem Land, und wir brauchen Mitarbeiter, die so viel Damit das in der Aufbauphase besser gelingt, wo Start- Erfolg in ihrem Unternehmen erzielen können, dass sie ups Fach- und Führungskräften eben noch nicht die Spit- selbst dann auch wieder Unternehmer werden können. zengelder zahlen können, sollte ihnen die Möglichkeit Ich glaube, an dem Entwurf muss noch manches nachge- eingeräumt werden, sie am Unternehmen besser zu betei- bessert werden. Der Bundesrat beteiligt sich gerne daran. ligen. Dann gewinnen sie beides: Köpfe und Kapital. Darauf sind wir im internationalen Wettbewerb angewie- Herzlichen Dank. sen. (B) (Beifall bei der FDP) (D) Deutschland hat hier nicht viel zu bieten. Nun kommt die Bundesregierung und will das ändern. Das ist schon Vizepräsidentin Petra Pau: mal sehr gut. Aber was sie vorlegt an der Stelle, ist ein Ich nutze die Gelegenheit, um darauf hinzuweisen, Rohrkrepierer; das muss man ganz klar sagen. dass die Abstimmungsurnen in drei Minuten geschlossen (Beifall bei der FDP) werden, das heißt die Abstimmung in drei Minuten endet. Sollte noch ein Mitglied des Hauses anwesend sein, das Selbst wenn Sie jetzt beim Freibetrag noch mal nachbes- seine Stimme nicht abgegeben hat, dann ist jetzt in diesen sern: Ja, was sind denn 1 440 Euro, wenn Österreich drei Minuten die Möglichkeit dazu. zwischen 4 500 und 7 500 Euro und Spanien 12 000 Euro zu bieten hat? Wie wollen wir denn da mit- Das Wort hat der Kollege Jörg Cezanne für die Frak- halten, liebe Bundesregierung? tion Die Linke. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der LINKEN) Hier muss man schon etwas mehr tun. Aber viel wichtiger als der Freibetrag selbst ist die Jörg Cezanne (DIE LINKE): Frage, ob der Staat gleich noch mit vorgeben muss, an Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das wen denn diese Beteiligung alles ausgereicht werden Schöne bei so einem Sammelgesetz ist ja: Es kann sich muss. Das regeln Sie dann über § 3 Nummer 39 des Ein- jeder was raussuchen. Ich fange mal mit dem großen Ein- kommensteuergesetzes und legen fest, dass die Unterneh- stieg an: Dieses Gesetz steht in der unrühmlichen Tradi- men alle Mitarbeiter beteiligen müssen, ob sie das wollen tion des Standortwettbewerbs und der Finanzstandorti- oder nicht; sonst kommen sie gar nicht in den Genuss deologie: Deutschland müsse immer noch attraktiver für dieser Regelung. Ja, meine sehr verehrten Damen und internationales Kapital werden. Herren, das ist komplett praxisfern. So wird kein Start- up-Unternehmen das nutzen können. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ja!) (Beifall bei der FDP) Weitgehend ausgeblendet bleiben dabei die zunehmen- den Risiken, die von immer weiter wachsenden Finanz- Das Gleiche gilt auch für die Dry-Income-Thematik. märkten und deren immer weiter wachsender Komplexi- Das wollten Sie auch lösen. Sie lösen es nur bei den tät ausgehen. Finanzstandort zu sein, ist und darf kein Steuern, und Sie lösen es nur bis zu zehn Jahre, obwohl Selbstzweck sein. Sie wissen, dass viele Unternehmen danach erst ihren Exit haben. Das können Sie an Ihrem eigenen High- (Beifall bei der LINKEN) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021 27777

Jörg Cezanne (A) Mit dem Gesetz soll die Palette der laut Kapitalanlage- Vizepräsident : (C) gesetzbuch zulässigen Immobilienfonds erweitert wer- Vielen Dank, Herr Kollege Cezanne. – Wir kommen den. Die klassische Unterscheidung zwischen geschlos- jetzt zur namentlichen Abstimmung zu Tagesordnungs- senen und offenen Fonds wird durchbrochen und neue punkt 34 c; sie steht kurz vor dem Ende. Wir haben Fondstypen wie geschlossene Sondervermögen oder 15.01 Uhr. Ich frage ein letztes Mal: Ist noch ein Mitglied offene Infrastruktursondervermögen zugelassen. des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben (Fritz Güntzler [CDU/CSU]: Sehr gut!) hat? – Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und – Ja, da kommen wir jetzt zu. – Die Einführung der Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das geschlossenen Sondervermögen geht auf den Zentralen Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt Immobilien Ausschuss, ZIA, der Immobilienwirtschaft gegeben.1) zurück. Jochen Schenk, Vizepräsident des ZIA, begrün- det das so: Jetzt kehren wir zurück zu Tagesordnungspunkt 35. Nächster Redner ist der Kollege Dr. Danyal Bayaz, Bünd- Der Kunde will Convenience. nis 90/Die Grünen. Das ist das englische Wort für Bequemlichkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das ist das Stichwort unserer Zeit. Gut, das lassen wir jetzt mal so stehen. Dr. Danyal Bayaz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Daher wollen wir ein Vehikel anbieten, das in die Moin, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kolle- Beratungslandschaft der Banken passt und digital- gen! Ein kluger Mensch hat mal gesagt: „Wer einen Feh- fähig ist. ler gemacht hat und nicht korrigiert, begeht einen zwei- Das Problem ist nur: Die Bequemlichkeit der einen kann ten.“ Was die Kanzlerin diese Woche offenbar begriffen leicht zum Risiko für das Gesamtsystem werden. hat, muss dem Kanzlerkandidaten noch lange nicht ein- leuchten. Andernfalls kann ich nicht verstehen, warum (Zuruf von der LINKEN: Genau! Das ist das das Finanzministerium die vielen Verbesserungsvor- Problem!) schläge zu diesem Gesetzentwurf bislang ignoriert hat. Unter Risikogesichtspunkten ist zum Beispiel die An- Es gab viele Hinweise aus der Anhörung. Man muss ja hebung der zulässigen Kreditaufnahme bei Immobilien- nicht alles übernehmen; aber Sie haben quasi nichts Rele- spezialfonds von 50 auf 60 Prozent kritisch. Zusammen vantes übernommen. Deswegen muss man sagen, dass mit dem bereits bestehenden Überangebot an Finanzins- das Gesetz leider seinen Zweck verfehlt, meine Damen (B) trumenten, dem stets sich erweiternden Angebot an und Herren. (D) Fonds und dem Bestreben, diese auch noch immer größer (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu machen, schafft diese erweiterte Kreditaufnahme mak- sowie bei Abgeordneten der FDP) roökonomische Risiken und gefährliche Spekulationsbla- sen. Das wollen wir nicht. Wir wollen Start-ups eine Heimat geben, in der sie (Beifall bei der LINKEN) wachsen können, und da ist die Beteiligung von Mitarbei- terinnen und Mitarbeitern ein wichtiges Thema. Das hat Hinzu kommt: Offene Immobilienfonds, die andere übrigens auch etwas mit der Demokratisierung von Un- Seite sozusagen, betreiben keinen Neubau, sondern legen ternehmen zu tun. Ich möchte an der Stelle mal sagen: Ich ihre Gelder nur im Bestand an. Das treibt eher die Immo- würde mir wünschen, Herr Pinkwart, dass diejenigen, die bilienpreise nach oben und verstärkt den Druck auf Mie- immer gerne über Mitarbeiterbeteiligung sprechen, auch ten; denn die Anleger wollen für ihr eingesetztes Geld ja über betriebliche Mitbestimmung in Start-ups sprechen. eine Rendite erhalten. Das führt jedenfalls nicht zu mehr Wohnungsbau. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) (Caren Lay [DIE LINKE]: So ist es!) Positiv ist immerhin, dass nach dem Gesetzentwurf – Nicht zu früh klatschen! Also die in der Mitte, ja! Die Fondsmanager verpflichtet werden, über die Klima- und anderen nicht zu früh. – Diejenigen, die gerne über Nachhaltigkeitsrisiken ihrer Anlagen zu informieren. Das betriebliche Mitbestimmung sprechen, sollten sich auch hat in den Prospekten zu erfolgen, die zur Information der über das Instrument der Mitarbeiterbeteiligung Gedanken Anleger und der Öffentlichkeit erstellt werden. Auch die machen. Beides gehört zur sozialen Marktwirtschaft, und Jahresberichte müssen Angaben zu sozialen und ökologi- über beides müssen wir sprechen, meine Damen und Her- schen Aspekten sowie zu guter Unternehmensführung ren. enthalten. Schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Lassen Sie uns doch lieber, so mein Vorschlag, einen sowie bei Abgeordneten der SPD – Mechthild Wettbewerb darüber entfalten, wer den stabilsten Finanz- Rawert [SPD]: Das machen wir!) platz organisiert und wer die gerechteste Vermögensver- teilung auf den Platz kriegt, anstatt Finanzstandort um Wir kennen Beteiligungsmodelle aus Ländern wie den jeden Preis zu werden. USA, wie Frankreich, wie Israel. Leider liegt Deutsch- land da im internationalen Vergleich weit abgeschlagen. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) 1) Ergebnis Seite 27780 C 27778 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021

Dr. Danyal Bayaz (A) Und ich glaube, dass wir mit diesem Gesetz eben nicht Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (C) aufholen werden. Ich möchte Ihnen dafür drei Gründe Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Bayaz. – Nächste Red- nennen, meine Damen und Herren. nerin ist die Kollegin Dr. Wiebke Esdar, SPD-Fraktion. Erstens. Die Anteile sollen nach zehn Jahren besteuert (Beifall bei der SPD) werden oder eben dann, wenn Mitarbeiterinnen und Mit- arbeiter das Unternehmen verlassen. Das soll verhindern, Dr. Wiebke Esdar (SPD): dass sie für ihre Anteile Geld bezahlen müssen. Aber Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das „t3n“- auch nach zehn Jahren sind viele Unternehmen eben Magazin beschrieb das moderne Start-up-Märchen kürz- noch nicht verkauft, gerade die erfolgreichen. Das alte lich so – ich zitiere –: Problem bleibt also bestehen. Die Steuern fallen dann an, wenn beispielsweise Menschen das Unternehmen ver- Statt kräftigen Konzernlöhnen bekommen Mitarbei- lassen. Das zwingt die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ter in Start-ups Anteile am Unternehmen, die Idee quasi dazu, ein Leben lang im selben Unternehmen zu geht durch die Decke, es kommt zum Verkauf oder bleiben. Das sind ja genau die Karrierewege aus dem Börsengang – und alle machen ordentlich Kasse. letzten Jahrhundert. Machen Sie sich also darüber Gedan- Was das Magazin in blumigen Worten beschreibt, hat ken, korrigieren Sie das, und besteuern Sie wirklich erst prominente internationale Vorbilder. Es soll zukünftig dann, wenn die Menschen die Anteile verkaufen und zu auch in Deutschland gelten, und zwar durch eine bessere Geld machen, meine Damen und Herren! steuerliche Förderung von Mitarbeiterkapitalbeteiligung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Chefinnen und Chefs, die ihre Mitarbeitenden mit Antei- len am Unternehmen beteiligen, profitieren dabei dop- Zweitens. Sie wollen nur Start-ups steuerlich fördern, pelt: Sie können auf der einen Seite Kapital beschaffen, die jünger sind als zehn Jahre. Aber man muss ja wissen, und sie können die Motivation im Unternehmen steigern. dass neun von zehn dieser Unternehmen scheitern. Gera- (Beifall des Abg. [Heidelberg] de die, die sich langfristig bewähren, die nachhaltig am [SPD]) Markt erfolgreich sind, gehen an der Stelle also leer aus. Das wird doch gerade dann fatal, wenn Unternehmen Für die Beschäftigten wiederum bringt die Kapitalbetei- stark expandieren, international wachsen wollen und ligung die Chance auf Teilhabe am Unternehmenserfolg. skalieren wollen. Deswegen: Korrigieren Sie das, und Diese mögliche Win-win-Situation wollen wir zukünftig verzichten Sie auf die zeitliche Begrenzung! besser steuerlich fördern. Das ist gerade für Start-ups und kleine KMUs in der Gründungsphase entscheidend, um (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sich bei der Suche nach hochqualifizierten Fachkräften (B) Dritter Punkt. Die Erleichterungen gelten nur für soge- im Wettbewerb durchsetzen zu können. (D) nannte echte Anteile an Unternehmen. Drei von vier (Beifall bei der SPD) Start-ups beteiligen aber ihre Mitarbeiter mit sogenann- ten virtuellen Anteilen. Für die gibt es überhaupt keine Das Fondsstandortgesetz enthält darum zwei wesent- Förderung. Das heißt, diese Regelung geht an der großen liche Maßnahmen, um Mitarbeiterkapitalbeteiligung at- Mehrheit der Unternehmen vorbei. Auch das sollten Sie traktiver zu machen. Erstens wird mit Wirkung zum korrigieren. Berücksichtigen Sie auch virtuelle Anteile, 1. Juli 2021 der steuerfreie Höchstbetrag für Vermögens- meine Damen und Herren! Wir wollen weltweit – beteiligungen von 360 Euro auf 1 440 Euro vervierfacht. Ich bin sicher, dass das schon mal einen großen Effekt haben wird. Zweitens kümmern wir uns um das Problem Vizepräsident Wolfgang Kubicki: des sogenannten trockenen Einkommens, des Dry Inco- Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss, bitte. me. Derzeit liegt nämlich ein Problem darin, dass Mitar- beitende ihre Anteile bereits versteuern müssen, wenn sie Dr. Danyal Bayaz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): die Unternehmensanteile bekommen; aber die entsprech- – ein Standort für mehr Talente sein. Deswegen sollten enden Geldmittel fließen dann ja noch gar nicht. Darum wir mit diesem Gesetz auch einen Beitrag dazu leisten. sollen zukünftig Vermögensbeteiligungen an Unterneh- Da wird aktuell eine wichtige Chance vertan. men zunächst nicht besteuert werden, sondern erst dann, wenn die Beteiligung veräußert wird, oder nach Zum Stichwort „Fehlerkultur“, das wir aus der Start- zehn Jahren oder bei einem Arbeitgeberwechsel. up-Welt kennen. Meine Damen und Herren, uns ist klar, dass Verbände und Unternehmen noch deutlich weiter gehende Vor- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: schläge im Bereich der Mitarbeiterkapitalbeteiligung Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss. haben. Die sollten wir auch im parlamentarischen Ver- fahren diskutieren. Ich bin zuversichtlich, dass wir noch Dr. Danyal Bayaz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): die eine oder andere Verbesserung zum Entwurf bekom- Das sollte auch für die Politik gelten. Korrigieren Sie men. Nur, Kollege Bayaz, wie ein Ministerium eine das! Machen Sie das Gesetz besser! Dann können wir das Anhörung, die in Zukunft stattfinden wird, schon vorab gerne unterstützen. in der ersten Lesung berücksichtigen soll, ist mir an die- ser Stelle nicht klar. Ich freue mich auf jeden Fall auf die Herzlichen Dank. Anhörung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021 27779

Dr. Wiebke Esdar (A) Für ein ehrliches Gesamtbild sollten wir aber neben wir entbürokratisieren, und zusätzlich gibt es mehr Mög- (C) den Chancen auch die möglichen Risiken im Blick behal- lichkeiten bei den sogenannten Spezial-AIFs, also den ten; denn die Realität bei Start-ups ist, auch wenn viele es alternativen Investmentfonds. nicht hören wollen: Neun von zehn Start-ups scheitern. Zweitens wird die Mitarbeiterbeteiligung für Arbeit- Im Falle der Insolvenz ist dann nicht nur der Arbeitsplatz nehmerinnen und Arbeitnehmer bei Start-ups deutlich der Beschäftigten, sondern eben auch die Unternehmens- verbessert, und zwar in zwei Bereichen. Erstens erfolgt beteiligung vernichtet. Das ist das doppelte Risiko für die eine Anhebung des Freibetrages – das wurde schon dis- Beschäftigten. kutiert –; denn der Erfolg dieser jungen und tollen Unter- In diesem Sinne freue ich mich auf eine ehrliche De- nehmen hängt davon ab, Mitarbeiter zu gewinnen. Zwei- batte, auf den weiteren Austausch mit Ihnen und den Ver- tens schaffen wir in § 19a Einkommensteuergesetz bänden in der Anhörung, die noch kommt. Lassen Sie uns Regelungen für das sogenannte Dry Income, also für Ein- gemeinsam das moderne Start-up-Märchen in die Realität künfte aus der Übertragung von Kapitalbeteiligungen holen, indem wir die Chancen verwirklichen, ohne die ohne Geldfluss; denn Geld fließt erst, wenn die Kapital- möglichen Risiken aus dem Blick zu verlieren. beteiligung verkauft wird. Bislang beträgt der Zeitraum, ab wann versteuert werden muss, zehn Jahre. Auch die Herzlichen Dank. Regelungen bei Arbeitgeberwechsel sind für meine (Beifall bei der SPD) Begriffe derzeit noch zu streng. Hier müssen wir in der parlamentarischen Diskussion noch nacharbeiten. Wir brauchen eine bessere Perspektive. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Ich freue mich auf die Diskussion in den Ausschüssen Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächster Redner ist der und hoffe, dass wir das für die jungen Unternehmen Kollege Sebastian Brehm, CDU/CSU-Fraktion. schaffen. Wir brauchen diese jungen Unternehmen in (Beifall bei der CDU/CSU) Deutschland; denn die jungen Unternehmen von heute sind die großen Unternehmen von morgen. Lassen Sie es uns gemeinsam angehen! Sebastian Brehm (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Herzlichen Dank. Kollegen! Deutschland hat eine tolle und agile Start-up- (Beifall bei der CDU/CSU) Szene. Gerade die Bereiche „künstliche Intelligenz“ und „digitale Prozesse“ haben im vergangenen Jahr im Zuge der Pandemie noch einmal erheblichen Schub bekom- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (B) men. Im internationalen Vergleich liegen wir aber trotz Vielen Dank, Herr Kollege Brehm. – Als letzter Red- (D) des Wachstums in den vergangenen Jahren, insbesondere nerin zu diesem Tagesordnungspunkt erteile ich der Kol- im Bereich B2B, gegenüber den USA, China und anderen legin Nadine Schön, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. europäischen Ländern noch weit zurück. (Beifall bei der CDU/CSU) In einer aktuellen Studie von McKinsey, die über 120 000 Start-ups in den letzten fünf Jahren untersucht Nadine Schön (CDU/CSU): hat, konnten drei wesentliche Standortvorteile im euro- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und päischen und vor allem im deutschen Markt herausge- Kollegen! Olaf Scholz hat im Herbst, als er die Regelung arbeitet werden: Erstens. Wir verfügen über hervorragen- zur Mitarbeiterkapitalbeteiligung vorgestellt hat, gesagt: de Bildungs- und Forschungseinrichtungen. Zweitens. Eine blühende Start-up-Szene ist wichtig für unser Wir haben eine hohe Industrieexpertise. Und drittens. Land, sie stärkt die Innovationsfähigkeit der Wirt- Deutschland hat eine hohe Kapitaleffizienz, also das, schaft. was aus einem eingesetzten Euro herauskommt. Die Kapitaleffizienz ist 2,4-mal so hoch wie in anderen Län- So weit, so gut und auch so richtig. Allerdings: Wenn dern, insbesondere in den USA. man blühende Landschaften haben will, wenn man Blu- men haben will, dann muss man diese Blumen auch gie- (Beifall des Abg. Lothar Binding [Heidelberg] ßen. Bei Minister Scholz hat man eher den Eindruck, er [SPD]) steht auf dem Gartenschlauch. Wir als Unionsfraktion Aber zahlreiche Finanzinvestoren, die in deutsche müssen ständig versuchen, ihn mit Leibeskräften von Start-ups investieren, kommen nicht aus Deutschland, diesem Gartenschlauch wegzubewegen. sondern aus dem Ausland. Deswegen muss Deutschland (Beifall bei der CDU/CSU) neben den bestehenden Förderinstrumenten – der Kollege Güntzler hat den Wagniskapitalfonds angesprochen – und Auch wir wollen blühende Start-up-Landschaften und anderen Möglichkeiten für Start-ups noch attraktiver haben dafür in dieser Legislaturperiode auch einige werden. Das wollen wir mit dem Fondsstandortstär- Instrumente auf den Weg gebracht; der Zukunftsfonds kungsgesetz erreichen. ist bereits genannt worden. Es war , der das in die Koalitionsverhandlungen eingebracht, auf Wir brauchen zwei Dinge. Wir brauchen erstens eine dem Koalitionsgipfel gefordert und auch durchgesetzt Erleichterung und Verbesserung der Finanzierung für hat. Nur deshalb stehen jetzt 10 Milliarden Euro zur Ver- Start-ups. Dafür sorgen wir mit den gesetzlichen Anpas- fügung, die wir mit privatem Kapital auf gut 30 Milliar- sungen: Wir vereinfachen, wir schaffen digitale Prozesse, den Euro heben wollen. Auf dieses Wachstumskapital 27780 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021

Nadine Schön (A) warten die Start-up-Unternehmen in unserem Land. Da- November 2020 stand das Geld dann haushalterisch zur (C) mit gießen wir dieses Ökosystem und bringen es zum Verfügung, doch bis heute hat der Finanzminister das Blühen. Geld nicht freigegeben. (Beifall bei der CDU/CSU – Johannes Schraps [SPD]: Sie haben eine verzerrte Wahrneh- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: mung!) Frau Kollegin, achten Sie auf die Zeit. Es war die Union, die auch die Mitarbeiterkapitalbetei- ligung gefordert hat. Allerdings ist das, was aus dem Finanzministerium kommt – das wurde in der Debatte Nadine Schön (CDU/CSU): von vielen angesprochen –, wirklich nur ein dünnes Rinn- Das Konzept des BMBF liegt dafür vor. Wir warten sal. Wir müssen hier nachbessern. Die Start-up-Szene darauf, dass das Geld jetzt auch für den Innovationsstand- sagt das ganz deutlich. Die Kollegen haben die Einzel- ort Deutschland nutzbar gemacht wird. Ich freue mich auf heiten ausgeführt; wir müssen hier wirklich nachbessern, die Beratungen zum Fondsstandortgesetz, damit wir die- damit es auch ein Erfolg wird. Eine tolle Überschrift ses besser machen können. bringt nichts, wenn dann nur gekleckert wird. Wir müssen klotzen, damit aus den jungen innovativen Unternehmen (Beifall bei der CDU/CSU) in unserem Land große erfolgreiche Unternehmen wer- den. Sie sind die Wachstumsmotoren der Zukunft, sie Vizepräsident Wolfgang Kubicki: sichern unseren Wohlstand in der Zukunft, sie sichern Vielen Dank, Frau Kollegin Schön. – Mit diesen Wor- Arbeitsplätze und sorgen dafür, dass wir unser Land als ten beenden wir die Aussprache. Ganzes modernisieren. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs (Beifall bei der CDU/CSU) auf Drucksache 19/27631 an die in der Tagesordnung Leider stehen das Finanzministerium und teilweise das aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es weitere Justizministerium auch in anderen Bereichen auf der Überweisungsvorschläge? – Das erkenne ich nicht. Dann Bremse. Als Fraktion haben wir 2019, vor zwei Jahren, verfahren wir wie vorgeschlagen. die Forderung nach digitalen Wertpapieren gestellt. Dann hat es erst einmal ewig gedauert, bis etwas vorgelegt Bevor ich den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufe, wurde, und auch das ist leider nicht ausreichend. komme ich zurück zu Tagesordnungspunkt 34 c und gebe Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern (Beifall bei Abgeordneten der FDP) ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung (B) Um die Reihe fortzusetzen: Im August letzten Jahres hat über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für (D) sich die Koalition mit den Ländern darauf verständigt, Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung (1. Aus- 90 Millionen Euro in einen digitalen Bildungsraum, in schuss) zu dem Antrag der Fraktion Die Linke „Ände- Bildungskompetenzzentren zu investieren; denn wir rung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages, sehen doch alle, wie wichtig die digitale Bildung in unse- hier: Änderung der Verhaltensregeln für Mitglieder des rem Land ist, wie wichtig es ist, dass wir alle Menschen in Deutschen Bundestages (Anlage 1 der Geschäftsord- unserem Land, nicht nur die Schülerinnen und Schüler, nung)“, Drucksachen 19/12 und 19/22782, bekannt: im Bereich der digitalen Bildung fitmachen. Deshalb abgegebene Stimmkarten 568. Mit Ja haben gestimmt haben wir als Bund entschieden, noch mal richtig Geld 383, mit Nein haben gestimmt 118, Enthaltungen 67. in die Hand zu nehmen. Das war im August 2020. Im Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen.

Endgültiges Ergebnis Hansjörg Durz Abgegebene Stimmen: 567; Dr. André Berghegger davon Dr. Dr. h. c. Monika Grütters ja: 382 Hermann Färber Fritz Güntzler nein: 118 enthalten: 67 Dr. Jürgen Hardt Ja Thorsten Frei CDU/CSU Dr. Michael Brand (Fulda) Hans-Joachim Fuchtel Dr. Silvia Breher Ingo Gädechens Sebastian Brehm Dr. (Chemnitz) Mark Helfrich Ralph Brinkhaus Dorothee Bär Dr. Carsten Brodesser Thomas Bareiß Ursula Groden-Kranich Ansgar Heveling Hermann Gröhe Klaus-Dieter Gröhler Dr. Heribert Hirte (Börde) Michael Donth Michael Grosse-Brömer Alexander Hoffmann Marie-Luise Dött Astrid Grotelüschen Dr. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021 27781

(A) Frank Junge (C) Ingrid Pahlmann Albert H. Weiler Oliver Kaczmarek Martin Patzelt Dr. Joachim Pfeiffer (Hamburg) Torbjörn Kartes Dr. Cansel Kiziltepe Dr. Stefan Kaufmann Dr. Christoph Ploß Peter Weiß Eckhard Pols (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Michael Kießling Christine Lambrecht Dr. Alois Rainer Marian Wendt Christian Lange (Backnang) Dr. Annette Widmann-Mauz Bettina Margarethe Wiesmann Johannes Röring Elisabeth Winkelmeier- Kirsten Lühmann Carsten Körber Dr. Norbert Röttgen Becker Alexander Krauß Erwin Rüddel Emmi Zeulner Isabel Mackensen Dr. Günter Krings Paul Ziemiak Rüdiger Kruse Dr. Matthias Zimmer Dorothee Martin Dr. Roy Kühne Dr. Wolfgang Schäuble Katja Mast Dr. Dr. h. c. Karl A. Lamers SPD Dr. Ulrich Lange Tankred Schipanski Susanne Mittag Dr. Christian Schmidt (Fürth) Ingrid Arndt-Brauer Dr. Claudia Moll Dr. Patrick Schnieder Siemtje Möller Dr. Nadine Schön Ulrike Bahr Detlef Müller (Chemnitz) Nezahat Baradari Michelle Müntefering Dr. Klaus-Peter Schulze Dietmar Nietan Dr. Uwe Schummer Dr. Matthias Bartke Josephine Ortleb Torsten Schweiger Sören Bartol Mahmut Özdemir (B) Dr. Jan-Marco Luczak Bärbel Bas (Duisburg) (D) Johannes Selle Lothar Binding Aydan Özoğuz Dr. Dr. Patrick Sensburg (Heidelberg) Dr. Eberhard Brecht Yvonne Magwas Björn Simon Dr. Thomas de Maizière Dr. Karl-Heinz Brunner (Minden) Dr. Dr. Dr. Dr. Albert Stegemann Bernhard Daldrup Martin Rabanus Hans-Georg von der Dr. Mechthild Rawert Marwitz (Rostock) Dr. Karamba Diaby (Altötting) Dr. Christian Frhr. von Stetten René Röspel Dieter Stier Dr. Wiebke Esdar Susann Rüthrich Dr. h. c. (Univ Kyiv) Hans Yasmin Fahimi Bernd Rützel Michelbach Stephan Stracke Dr. Johannes Fechner Sarah Ryglewski Dr. Dr. Johann Saathoff Dr. Hermann-Josef Axel Schäfer (Bochum) Karsten Möring Tebroke Dr. Elisabeth Motschmann Hans-Jürgen Thies Marianne Schieder Axel Müller Angelika Glöckner Sepp Müller Timon Gremmels Dr. Carsten Müller Kerstin Griese (Aachen) (Braunschweig) Dr. Volker Ullrich Michael Groß (Wetzlar) Stefan Müller (Erlangen) Carsten Schneider (Erfurt) Johannes Schraps Dr. (Kleinsaara) Hubertus Heil (Peine) Swen Schulz (Spandau) Kristina Nordt Kees de Vries Frank Schwabe Wilfried Oellers Dr. Johann David Dr. Barbara Hendricks Stefan Schwartze Florian Oßner Wadephul Gabriele Hiller-Ohm Rainer Spiering 27782 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021

(A) Petra Pau Cem Özdemir (C) Sonja Amalie Steffen Christian Sauter Sören Pellmann Lisa Paus Kerstin Tack Frank Schäffler Tabea Rößner Dr. Tobias Pflüger (Augsburg) Matthias Seestern-Pauly Dr. Manuela Rottmann Markus Töns Frank Sitta Corinna Rüffer Carsten Träger Dr. Marie-Agnes Strack- Eva-Maria Schreiber Marja-Liisa Völlers Zimmermann Dr. Petra Sitte Ulle Schauws Dirk Vöpel Helin Dr. Dr. Katja Suding Friedrich Straetmanns Stefan Schmidt Bernd Westphal Dr. Kirsten Tackmann Kordula Schulz-Asche Dirk Wiese Stephan Thomae Dr. Dr. Wolfgang Strengmann- Gülistan Yüksel Manfred Todtenhausen Kuhn Dagmar Ziegler Dr. Dr. Andreas Wagner Dr. Jens Zimmermann Jürgen Trittin Katharina Willkomm Dr. AfD Sabine Zimmermann Daniela Wagner Nein (Zwickau) Beate Walter-Rosenheimer Franziska Gminder AfD BÜNDNIS 90/ Fraktionslos FDP Dr. Rainer Kraft DIE GRÜNEN Marco Bülow Christine Aschenberg- DIE LINKE Dugnus Doris Achelwilm Dr. Danyal Bayaz Enthalten Jens Beeck Gökay Akbulut Canan Bayram Dr. Dr. Dr. Franziska Brantner AfD (Rhein-Neckar) Lorenz Gösta Beutin Dr. (Südpfalz) Matthias W. Birkwald Dr. Sandra Bubendorfer-Licht -Förster Dr. Dr. Marco Buschmann Ekin Deligöz (B) Katharina Dröge Stephan Brandner (D) Carl-Julius Cronenberg Dr. Birke Bull-Bischoff Harald Ebner Jürgen Braun Bijan Djir-Sarai Jörg Cezanne Marcus Bühl Christian Dürr Sevim Dağdelen Matthias Büttner Dr. Dr. Katrin Göring-Eckardt Joana Cotar Daniel Föst Anke Domscheit-Berg Erhard Grundl Dr. Thomas Hacker Nicole Gohlke Britta Haßelmann Thomas Ehrhorn Dr. Dr. Bettina Hoffmann Berengar Elsner von Dr. André Hahn Dr. Gronow Heike Hänsel Dieter Janecek Dr. Michael Espendiller Matthias Höhn Dr. Kirsten Kappert- Peter Felser Dr. Gero Clemens Hocker Gonther Dr. Manuel Höferlin Ulla Jelpke Dr. Christoph Hoffmann Kerstin Kassner Katja Keul Dr. Götz Frömming Dr. Maria Klein-Schmeink Dr. Sylvia Kotting-Uhl Albrecht Glaser Dr. Jan Korte Oliver Krischer Wilhelm von Gottberg Christian Kühn (Tübingen) Dr. Caren Lay Renate Künast Mariana Iris Harder-Kühnel Markus Kurth Dr. Roland Hartwig Carina Konrad Wolfgang Kubicki Sven Lehmann Udo Theodor Hemmelgarn Dr. Gesine Lötzsch Steffi Lemke Thomas Lutze Dr. Dr. Heiko Heßenkemper Pascal Meiser Dr. (Heilbronn) Amira Mohamed Ali Claudia Müller Cornelia Möhring Beate Müller-Gemmeke Dr. Dr. Jürgen Martens Dr. Leif-Erik Holm Dr. Norbert Müller (Potsdam) Dr. (Lausitz) Dr. Alexander S. Neu Dr. Marc Jongen Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021 27783

(A) Stefan Keuter Dr. Birgit Malsack- Martin Reichardt (C) Winkemann Norbert Kleinwächter Martin Erwin Renner Dr. Hansjörg Müller Ulrike Schielke-Ziesing Volker Münz Dr. Christian Wirth Jörn König Jörg Schneider Thomas Seitz Steffen Kotré Fraktionslos Rüdiger Lucassen Tobias Matthias Peterka Dr. Frank Magnitz Paul Viktor Podolay René Springer Jens Maier Jürgen Pohl Dr. Lothar Maier Stephan Protschka Dr. Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der entschuldigten Abgeordneten (Anlage 1) aufgeführt.

Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 36 auf: Torsten Schweiger (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mei- Beratung der Beschlussempfehlung und des ne sehr geehrten Damen und Herren! Unsere Innenstädte Berichts des Ausschusses für Bau, Wohnen, haben in den letzten zwei Jahrzehnten einen Transforma- Stadtentwicklung und Kommunen (24. Aus- tionsprozess durchlaufen und mussten sich an veränderte schuss) wirtschaftliche und gesellschaftliche Rahmenbedingun- – zu dem Antrag der Abgeordneten Marc gen anpassen. Diese Anpassungen sind in der Vergangen- Bernhard, Frank Magnitz, Udo Theodor heit nicht immer gut gelungen. Zudem erhöht der rasant Hemmelgarn, weiterer Abgeordneter und wachsende Online- und Versandhandel den Druck auf der Fraktion der AfD den stationären Einzelhandel. Immer mehr Menschen las- sen sich ihre Produkte bequem nach Hause liefern. Als Innenstädte als Heimatraum – Lebensfä- Folge davon hat sich der Einzelhandel mit inhabergeführ- higkeit entwickeln, Verödung stoppen ten Fachgeschäften stark verringert; stattdessen sind – zu dem Antrag der Abgeordneten Marc zunehmend die einschlägig bekannten Filialunternehmen Bernhard, Udo Theodor Hemmelgarn, Frank zu finden. Magnitz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der AfD Zusätzlich zu den bereits laufenden Veränderungspro- (B) zessen wirkt die Pandemie geradezu wie ein Brandbe- (D) Innenstädte erhalten, Umnutzung von schleuniger. Die Einschränkungen des öffentlichen Gewerbeimmobilien erleichtern Lebens durch die Coronamaßnahmen haben die Heraus- – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Marie- forderungen, mit denen die Innenstädte schon vor der Agnes Strack-Zimmermann, Manfred Krise zu kämpfen hatten, extrem verschärft. Allein der Todtenhausen, Hagen Reinhold, weiterer Ab- Online- und Versandhandel verzeichnete im letzten Jahr geordneter und der Fraktion der FDP ein Wachstum von über 30 Prozent. Es ist zu erwarten, dass dieser Anteil auch in Zukunft deutlich über dem Neuer Schwung für unsere Innenstädte Niveau vor der Pandemie liegen wird. – zu dem Antrag der Abgeordneten Caren Lay, Pascal Meiser, Dr. Gesine Lötzsch, weiterer Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Hei- Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE mat und das Bundeswirtschaftsministerium haben ver- schiedene Initiativen zur Stärkung der Innenstädte gest- Innenstädte retten – Gemischte und le- artet und die Innenstadtentwicklung zu einem deutlichen benswerte Nachbarschaften schaffen Schwerpunkt gemacht. Dazu gehört zum Beispiel die – zu dem Antrag der Abgeordneten Daniela Initiative Nationale Stadtentwicklungspolitik. Dazu ge- Wagner, Christian Kühn (Tübingen), Claudia hört auch die Städtebauförderung, die als laufendes Müller, weiterer Abgeordneter und der Frak- Instrument ein Erfolgsgarant auch für die Innenstädte tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist. Auch das Programm „Lebendige Zentren“ erfährt einen Aufwuchs und ist im Moment sehr beliebt. Das Unsere Innenstädte fit für die Zukunft Programm „Anpassungen urbaner Räume an den Klima- machen wandel“, ein relativ neues Programm, hat ebenfalls dazu Drucksachen 19/24658, 19/24661, 19/25296, beigetragen, hier einiges auf den Weg zu bringen. Und 19/25258, 19/23941, 19/27919 nicht zu vergessen: Der zweiten Projektaufruf „Smart Citys“ hat inzwischen stattgefunden. Für die Aussprache ist eine Dauer von 30 Minuten beschlossen. Besonders hervorheben möchte ich den 2020 vom Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red- BMI eingerichteten runden Tisch zum Thema „Innen- ner dem Kollegen Torsten Schweiger, CDU/CSU Frak- stadt- und Zentrenentwicklung“ mit dem Beirat Innen- tion, das Wort. stadt. Hier kommen viele Akteure zusammen und er- arbeiten Handlungsstrategien, um gemeinsam mit den (Beifall bei der CDU/CSU) Kommunen die richtigen Konzepte zu finden. 27784 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021

Torsten Schweiger (A) Die vorliegenden Anträge durchzieht die Forderung Gleichzeitig machen Internetkonzerne wie Amazon, (C) nach mehr Geld für Sonder- und sonstige Förderprogram- Apple, Google und Facebook traumhafte Gewinne, für me. Pauschal ausgereichte Gelder werden, denke ich, das die sie in Deutschland praktisch keine Steuern zahlen. Problem nicht lösen; das ist nicht zielführend. Die Mittel Wo ist hier das Konzept der Bundesregierung für mehr müssen zielgenau dort ankommen, wo sie gebraucht wer- Steuergerechtigkeit? den, um zukunftsfähige Strukturen zu fördern. Darüber, wo das ganz konkret ist, werden wir sicherlich gemein- (Beifall bei der AfD) sam noch sehr ausgiebig diskutieren und möglicherweise Sehr geehrte Damen und Herren, während ein großer auch streiten. Teil der Coronahilfen nicht bei den Betroffenen an- Städte und Gemeinden in Deutschland sind unglaub- kommt, die sie wirklich brauchen, zahlt diese Regierung lich vielfältig. Die Probleme sind extrem unterschiedlich, die Hilfen großzügig an Betrüger aus, unter den Letztge- sodass man ganz genau hinschauen muss, um zu erken- nannten wahrscheinlich nicht wenige, die man schon vor nen, welche Bereiche gestützt und gefördert werden sol- Jahren hätte abschieben müssen und die hauptberuflich len. Eine Lösung für diese spezifischen Probleme kann vermutlich Teil der sogenannten Party- und Eventszene nur auf kommunaler Ebene gefunden werden; da sind wir sind. Ein Stück aus dem Irrenhaus! uns sicher. Das Prinzip Gießkanne wird also hier nicht (Beifall bei der AfD) funktionieren. Doch wie werden die Innenstädte und Zentren zukünf- In dieser Zeit machen korrupte Unionsabgeordnete mit tig aussehen? Ich bin davon überzeugt, dass die Markt- Maskendeals Kasse, der Gesundheitsminister sitzt in sei- plätze der Zukunft weniger vom Handel geprägt sein ner Millionenvilla oder ist gerade bei einer Spendengala, werden, sondern viel mehr von der Gastronomie, der während der Einzelhändler um seine Existenz fürchtet. Kultur, vom Tourismus, von medizinischen Angeboten Paradox! Die Auswirkungen dieser katastrophalen Poli- und Dienstleistungen. Die Innenstadt der Zukunft wird tik sieht man in den Innenstädten immer deutlicher. Den ein Ort der Begegnung, der Gastronomie, der Naherho- Bürgern unseres Landes wird immer mehr bewusst, dass lung und des Erlebens sein. mit den Innenstädten ein großer Teil ihrer Lebensqualität verloren geht. Bereits vor der Pandemie lag ein Schwerpunkt auf der Revitalisierung der Innenstädte. Jetzt geht es darum, Wir haben Ihnen in unseren Anträgen erklärt, was zur zusätzlich zu diesen Herausforderungen die pandemiebe- Rettung der Innenstädte notwendig ist: Handel, Gastro- dingten Schäden zu reparieren. nomie, ein gutes Citymanagement, Erreichbarkeit auch und gerade mit dem Auto, Parkmöglichkeiten, Sicherheit, Damit ende ich und sage: Viel getan, aber vieles bleibt (B) Ambiente, Atmosphäre und vor allen Dingen Kultur. Die (D) zu tun. vorliegenden Anträge der Linken, der Grünen und der Vielen Dank. FDP bieten davon nichts. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Der Antrag der FDP ist ein Etikettenschwindel, weil er ordneten der SPD) zur eigentlichen Problematik kaum etwas sagt, sondern in erster Linie eine Förderung des freien Unternehmertums Vizepräsident Wolfgang Kubicki: fordert. Sicherlich richtig! Für die Wiederbelebung der Vielen Dank, Herr Kollege Schweiger. – Nächster deutschen Innenstädte ist das aber viel zu wenig. Interes- Redner ist der Kollege , AfD-Fraktion. sant ist auch: Eine stärkere Besteuerung der Internetkon- zerne fordert die FDP gerade nicht. (Beifall bei der AfD) (Stefan Keuter [AfD]: Hört! Hört!) Udo Theodor Hemmelgarn (AfD): Die Änderungen des Baurechts sind eher punktueller Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin- Natur und wohl kaum der große Durchbruch. Das Grund- nen und Kollegen! Liebe Besucher auf der Tribüne und problem liberaler Politik unserer Tage ist: Wer gedank- an den Bildschirmen! Wir haben an dieser Stelle zuletzt lich im Mainstream des Great Reset mitschwimmt, der im November letzten Jahres über die deutschen Innen- wird dieses Land und vor allem unseren Mittelstand nicht städte gesprochen. Die Lage war schon damals schwierig. erhalten können. Sie hat sich durch die dilettantischen, unausgegorenen Coronamaßnahmen dieser Bundesregierung noch mal Die Anträge der Linken und der Grünen ähneln sich. dramatisch verschlechtert. Mietendeckel oder Mietpreisbremse wird gefordert, jetzt auch für Gewerbemieten. Das Vorkaufsrecht der Kom- (Beifall bei Abgeordneten der AfD) munen soll weiter gestärkt werden, wobei die Linken Die Bundesregierung ist offenbar fest entschlossen, dem das Vorkaufsrecht natürlich so verstehen, dass die Kom- Mittelstand, dem Kleingewerbe und damit auch den munen nur noch einen sozialverträglichen Ertragswert Innenstädten endgültig den Garaus zu machen. Gastrono- zahlen sollen – also faktisch eine Enteignung mit dem mie, Hotels und weite Teile des Einzelhandels in unserem Feigenblatt einer Entschädigung. Wenn man das liest, Land sind durch die Maßnahmen dieser Bundesregierung fragt man sich, ob die Stadtplanung von Linken und Grü- an den Rand des Ruins und darüber hinaus getrieben nen demnächst in Nordkorea entworfen wird. worden. (Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: Ha, ha, (Bernhard Daldrup [SPD]: So ein Blödsinn!) ha! Sehr witzig!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021 27785

Udo Theodor Hemmelgarn (A) Weiterhin möchten die Grünen in den Innenstädten stationärem Handel, die Digitalisierung, die Notwendig- (C) gemeinnützige Institutionen ansiedeln, natürlich mit keit, die Innenstädte barrierefrei zu machen, der Klima- 500 Millionen Euro Steuergeld. Man kann sich das bunte wandel usw. und damit eben auch der ökonomische Treiben am Seniorentreff lebhaft vorstellen, gerade wenn Druck, der durch Konzentration im Handel und gleicher- man die Innenstadt nur mit dem Fahrrad oder zu Fuß maßen im Immobiliensektor entsteht. Diese Liste lässt erreichen kann. sich problemlos verlängern. Dennoch will ich an dieser All das entfernt sich immer weiter von der seit Jahr- Stelle sagen: Im Vergleich zu vielen anderen europä- hunderten bestehenden Funktion der Innenstädte als Orte ischen Städten sind die Innenstädte in Deutschland leben- des Handels, der Dienstleistungen, des sozialen Aus- dig. tauschs. Das alles scheint politisch gewollt. Innenstädte (Beifall der Abg. Emmi Zeulner [CDU/CSU]) leben von ihrer Besucherfrequenz. Keiner der vorliegen- Sie sind nicht dem Untergang geweiht. Entgegen allen den Anträge von Linken, Grünen oder FDP nimmt das Unkenrufen: Handel ist Wandel. Daran müssen wir zur Kenntnis. Sie alle huldigen einer vermeintlichen immer denken. neuen Nach-Corona-Ära. Wie diese insgesamt aussehen soll, sagen Sie den Bürgerinnen und Bürgern nicht. Ich will festhalten: Ja, Corona ist nicht nur Brandbe- schleuniger, sondern hat viele Existenzen tatsächlich Sehr geehrte Damen und Herren, sicher ist: Wenn sich bedroht, und die Lage der Kommunen hat sich ver- die Vorschläge zur Rettung der Innenstädte nicht an den schlechtert. Nach all dem, was Herr Hemmelgarn eben Bedürfnissen, sondern an ideologischen Wunschvorstel- an Unsinn gesagt hat, will ich hier sagen: Der Bund – bei lungen orientieren, werden unsere Innenstädte schon in aller Kritik im Detail – hat geholfen, massiv und fortge- wenigen Monaten leer und verödet sein. setzt, und die Hilfen sind angekommen – ich weiß, wovon Vielen Dank. ich rede; ich habe das überprüft – wie in keinem anderen Land. (Beifall bei der AfD – Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: So ein Quatsch!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Torsten Schweiger hat auf unterschiedliche Program- Vielen Dank, Herr Kollege Hemmelgarn. – Nächster me hingewiesen, mit denen zum gegenwärtigen Zeit- Redner ist der Kollege Bernhard Daldrup, SPD-Fraktion. punkt geholfen wird. Was müssen wir also tun? (Beifall bei der SPD) 50 Jahre lang Städtebauförderung, von Willy Brandt in der Zeit seines ersten Kabinetts begründet, mittlerweile (B) sind Hilfestellungen in Höhe von 19 Milliarden Euro (D) Bernhard Daldrup (SPD): geflossen. Dies zeigt, dass wir auf Bundesseite den Kom- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es munen helfen, wenn es um Strukturwandel geht. Das ist wie immer: Hemmelgarn reimt sich auf Seemanns- machen wir. garn. Wir wissen, Innenstädte sind die Visitenkarte einer (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD – Stefan Stadt. Deswegen gibt es dafür auch in diesem Jahr Keuter [AfD]: Jetzt nicht persönlich werden!) 790 Millionen Euro. Das ist eine Rekordsumme und nicht Das ist alles, was man dazu sagen muss, ehrlich gesagt. so selbstverständlich, wie die Kollegin Wagner das geg- Mehr lohnt nicht. laubt hat. Ganz im Gegenteil, es ist das Ergebnis politisch wichtiger Entscheidungen. Wir haben hier eine ganze Reihe von Anträgen, fünf in der Summe, die ich nicht alle im Einzelnen ergründen (Beifall bei der SPD) will. Das wird jeder für sich tun. Jedenfalls ist allen Wenn sich Strukturwandel beschleunigt, dann stehen Anträgen gemeinsam, dass sie Hilfen für die Innenstädte wir an der Seite der Kommunen. Ich will an dieser Stelle wollen. Das ist im Grunde genommen auch okay. sagen: Ich gehe davon aus, dass wir mit dem Koalitions- Wir haben uns angewöhnt, das Bild der Innenstädte partner im Zusammenhang mit der Verabschiedung des mehr und mehr in düsteren Farben zu malen. Das wird Nachtragshaushaltes noch einmal über die Frage disku- durch die Ankündigung des Handels von über tieren werden, wie wir den Innenstädten durch Förderung 50 000 Insolvenzen eher noch unterstützt. Corona – das konkret helfen können. ist vom Kollegen Torsten Schweiger eben schon gesagt (Beifall bei Abgeordneten der SPD) worden – wirkt wie ein Brandbeschleuniger. Aber die Debatte über die Lage der Innenstädte ist mindestens so Aber wenn wir das tun, dann darf das kein Strohfeuer alt wie die Einweihung einer der ersten Fußgängerzonen werden, dann darf nicht temporäre Anmietung, um Leer- in Kiel vor fast 50 Jahren. stände zu überbrücken, allein sinnvoll sein, sondern es muss mit der Debatte um das Gewerbemietrecht verbun- Mit anderen Worten: Filialisierung und Banalisierung den werden. der Innenstädte, Verlust von Bildungseinrichtungen, des Handwerks oder des Wohnens, die Überlastung des (Beifall der Abg. Mechthild Rawert [SPD]) öffentlichen Raums durch Pkw, fehlende Flächen für Wir müssen Mut zum Experiment haben. Deswegen den Umweltverbund, das alles ist überhaupt nicht neu. haben wir im Haushalt 25 Millionen Euro für Reallabore Tatsächlich neu hinzugekommen sind weitere Anforde- zur Verfügung gestellt, um innovative Impulse mit Krea- rungen, beispielsweise das Verhältnis von Online- und tiv- und Digitalwirtschaft, mit Start-ups, mit sozialen Ini- 27786 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021

Bernhard Daldrup (A) tiativen zu ermöglichen und daraus zu lernen. Wir brau- Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP): (C) chen wieder mehr Gemeinwohl in den Städten. Das ist ein Herr Präsident, ob das die Fußgängerzone besser ganz wichtiger Gesichtspunkt macht, weiß ich nicht. (Beifall bei der SPD) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: für Klimaschutz, Stadtgrün, Umweltverbund. Dass der Hallo? öffentliche Raum wieder Geltung bekommt, ist dabei wichtig. Wir brauchen auch eine größere Vielfalt. Han- del, Wohnen und Arbeiten gehören in die Stadt und nicht Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP): vor die Stadt. Auch das ist ein wichtiger Gesichtspunkt. Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Präsident! Die Verödung der Innenstädte ist kein neues Phänomen. Das (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Problem hat sich seit Jahren kontinuierlich entwickelt der CDU/CSU) und hat aus vielen individuellen Einkaufsstraßen mit Ja, finanzielle Förderung ist wichtig – das ist überhaupt Lokalkolorit fade austauschbare Orte gemacht, in denen gar keine Frage; Programme auch –, aber wir müssen sich vor allem viele Tauben wohlfühlen. In den Fußgän- auch fragen, ob unsere gesetzlichen Instrumente ausrei- gerzonen die gleichen Ketten, gleiche Schaufenster, glei- chen: vom Baugesetzbuch bis hin – das ist schon richtig – che Gerüche, Handyladen, Trinkhallen, Fastfood und in zu der Frage, – der dunklen Jahreszeit ab 17 Uhr tote Hose. Zuerst gingen die Kaufhäuser als Ankermieter, dann folgte der Einzel- handel, und jetzt bekommen die Innenstädte durch die Vizepräsident Wolfgang Kubicki: desaströse Coronapolitik der Bundesregierung den Rest, Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss. weil sie seit November trotz ausgefeiltem Hygienekon- zept keine Chance haben, zu öffnen. Bernhard Daldrup (SPD): (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten – wie der Onlinehandel und der stationäre Handel so der AfD) zusammengeführt werden können, dass auch die großen Plattformen ihre Beiträge zur Infrastruktur mitfinanzie- Meine Damen und Herren, lebendige Ortskerne sind ren. essentiell für unser gesellschaftliches Miteinander. Warum fühlen sich eigentlich Menschen zum Beispiel (Beifall bei Abgeordneten der SPD) in Oberitalien auf den Plätzen so wohl? Weil der histori- sche Städtebau Handel, Wohnen und Gastronomie ge- (B) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: paart mit toller Architektur zu einem Erlebnisraum (D) Herr Kollege. gemacht hat. Angesichts des Innenstadtsterbens ist es auch völlig falsch und rückwärtsgewandt, wenn, wie zum Beispiel in Berlin, die Grünen die Vergangenheit Bernhard Daldrup (SPD): beschwören. Meine Damen und Herren, Erinnerung an Das ist eine wichtige Aufgabenstellung. Wir werden Vergangenheit erinnert auch daran, um 18.30 Uhr in über die Stadt der Zukunft weiter diskutieren. den Laden zu hetzen, weil er gleich schließt. Das will Herzlichen Dank. nicht nur keiner mehr, es entspricht auch nicht dem heu- tigen Einkaufsverhalten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der FDP) Meine Damen und Herren, Menschen kaufen vor Ort Vizepräsident Wolfgang Kubicki: und online. Das werden die Geschäfte überleben, die Vielen Dank, Herr Kollege Daldrup. – Die Menschen attraktive Produkte auf beiden Vertriebswegen anbieten. in Schleswig-Holstein würden es mir nicht verzeihen, Der kleine Musikladen nebenan überlebt nicht, weil wir wenn ich Sie nicht darauf hinweisen würde, dass die ihn wichtig finden, er überlebt, wenn wir dort auch regel- Holstenstraße nicht erst seit 30 Jahren, sondern seit mäßig einkaufen. Wir als Gesetzgeber im Bund und in 1957 Fußgängerzone ist. den Ländern sollten die Voraussetzungen dafür schaffen, dass die Rathäuser handeln können, um die lokalen Pro- (Bernhard Daldrup [SPD]: Das ist ja fast so alt, bleme zu lösen, denn die Kommunen wissen selbst am wie Sie sind!) besten, wie sie mit den Problemen umzugehen haben. – Ja, das hat doch mit mir nichts zu tun. Also, das hat (Beifall bei der FDP) nichts mit meinem Alter zu tun. In der Krise liegt die Chance, neu zu denken. Deswe- (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU gen brauchen wir Gesetzesinitiativen, insbesondere ein und der SPD – Michael Grosse-Brömer viertes Bürokratieentlastungsgesetz, für einen Abbau [CDU/CSU]: Ausnahmsweise mal nichts mit von Bürokratie für Handel – übrigens auch für Hand- ihm!) werk –, die vollständige Abschaffung des Solis, um Per- Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Marie-Agnes sonenunternehmen, wie sie übrigens gerade auch im Strack-Zimmermann, FDP-Fraktion. Fachhandel vorkommen, zu entlasten und ihnen so wie- der zu mehr Liquidität für Investitionen, Technologie, (Beifall bei der FDP) Ausstattung und Personal zu verhelfen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021 27787

Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann (A) (Beifall bei der FDP) dramatischen Sinkflug. Die schnelle Öffnung erscheint (C) Wir müssen gemeinsam mit den Ländern und Kommu- vielen leider als der einzige Ausweg. Herr Altmaier, nen die raumordnende Anforderung an Sortimente bei Herr Scholz – beide leider nicht anwesend –, aber das der Ansiedlung von Einzelhandel mit dem Ziel einer ist auch Ihr Werk. Die verfehlte Coronapolitik stürzt Tau- großen kommunalen Planungshoheit überarbeiten. Die sende Händler/-innen tiefer in die Krise, und das ist wirk- Baunutzungsverordnung gehört endlich auf den Prüf- lich ein Trauerspiel. stand mit dem Ziel, dass Gemeinden lokal, bedarfsge- (Beifall bei der LINKEN) recht und flexibel Flächengrößen von Handelsbetrieben anpassen können. Ein ganz entscheidendes Momentum sind die Gewer- bemieten. Das Bautzener Kornmarkt-Center in meinem (Beifall bei der FDP) Wahlkreis hat die Mietzahlung im Lockdown freiwillig Wir sollten eine Experimentierklausel zur technischen um 50 Prozent reduziert. Das ist vorbildlich. Aber nicht Anleitung zum Schutz gegen Lärm einführen, welche jeder hat das Glück, solch faire Vermieter zu haben. Viele eine stärkere Durchmischung bestehender Quartiere Gewerbetreibende müssen staatliche Hilfen bekommen möglich macht. und sie quasi vollständig für die Gewerbemiete weiter- reichen, oder sie müssen vor Gericht ziehen. Wir haben Es stehen Verhandlungen zur Verhaltensvereinbarung gesehen: Auf der jetzigen Rechtsgrundlage unterscheiden Städtebauförderung an. Beim Programm „Lebendige die Gerichte unterschiedlich. Gleichzeitig bleibt vielen Zentren und Quartiere“ müssen wir darauf drängen, Händlerinnen und Händlern kein Geld, ihre eigene Miete dass Kommunen in Zukunft flexibler auf Veränderungen zu zahlen oder ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Das reagieren können und die gesamte Abwicklung der Städ- ist nicht gerecht. Wir brauchen Klarheit. Wir brauchen tebauförderung auch alleine managen können. Lassen wir einen Mietenschnitt! zu, dass Startups und traditioneller Einzelhandel sich ver- netzen und Prozesse endlich digitalisiert werden können. (Beifall bei der LINKEN) Meine Damen und Herren, es wird Zeit, die kommu- Und ja, die Krise der Innenstädte begann schon lange nale Selbstverwaltung zu paaren mit kommunaler Eigen- vor der Pandemie. Insbesondere in ostdeutschen Klein- verantwortung. Unsere Pflicht ist es hier und in den Län- städten stehen viele schöne Ladenlokale in den Innen- dern, bestehende Regeln zu entrümpeln. Nur so werden städten leer. Alles fährt raus zur neugebauten Mall am Städte und Gemeinden die Herausforderungen bestehen, Stadtrand. In den Großstädten können sich nur noch Ket- und nur so verhindern wir auf Dauer die Zerstörung der ten und Filialen die Miete leisten. Tante Emma muss für Innenstädte. Starbucks weichen. Immer mehr Innenstädte veröden zu herzlosen Konsummeilen. Das ist das Ergebnis von Spe- (B) (D) (Beifall bei der FDP) kulation und einer verfehlten Stadtentwicklungspolitik. Lassen Sie uns das endlich ändern! Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (Beifall bei der LINKEN) Vielen Dank, Frau Kollegin Strack-Zimmermann. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Caren Lay, Fraktion Wenn jetzt das Innenministerium einen Beirat Innen- Die Linke. stadt gegründet hat, dann ist das natürlich gut. Aber wenn die Immobilienlobby gleich mit mehreren Sitzen im Bei- (Beifall bei der LINKEN) rat vertreten ist, aber die Seite der Mieterinnen und Mie- ter gar nicht, dann kann das nicht gut gehen, meine Da- Caren Lay (DIE LINKE): men und Herren. Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- ren! Auch ich habe die letzte Wahlkreiswoche dafür (Beifall bei der LINKEN) genutzt, mich mit den Händlerinnen und Händlern in Wir, Die Linke, fordern ein Kündigungsmoratorium meinem Wahlkreis auszutauschen. für Ladenbesitzer/-innen in der Pandemie. Wir wollen (Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: ein soziales Gewerbemietrecht für danach. Wir wollen Das wurde aber auch Zeit!) ein ausgeweitetes und preislimitiertes Vorkaufsrecht für die Kommunen und, ja, auch Geld, damit die Kommunen – Verehrte Frau Strack-Zimmermann, mit Sicherheit leerstehende Ladenlokale erwerben und sozial vermieten nicht das erste Mal. können. (Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: (Beifall bei der LINKEN) Das ist ja beruhigend!)

Ich glaube, angesichts des Lockdowns sind wir alle in Vizepräsident Wolfgang Kubicki: der Verantwortung, uns in dieser schwierigen Situation Frau Kollegin, kommen Sie zum Schluss, bitte. mit den Menschen, mit den Händlerinnen und Händlern regelmäßig auszutauschen. Caren Lay (DIE LINKE): (Beifall bei der LINKEN) Zu guter Letzt, meine Damen und Herren: Es kann Sehr viele trifft der Lockdown, trifft die Pandemie hart. nicht sein, dass einige große Konzerne sich an der Krise Viele klagen über ausbleibende Hilfszahlungen, über eine goldene Nase verdienen und nicht dafür besteuert hohe bürokratische Hürden. Die Zustimmung zur Coro- werden. Amazon und die anderen Gewinner dieser Krise napolitik der Bundesregierung befindet sich in einem müssen endlich besteuert werden. 27788 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021

(A) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: verkehr, mehr Platz für öffentliche Verkehrsmittel, für (C) Frau Kollegin. Räder. So erreicht man Aufenthaltsqualität – und nicht, wie die AfD behauptet, indem man noch mehr Autos in Caren Lay (DIE LINKE): die Stadt holt. Das ist völlig aus der Zeit gefallen. Auch das ist ein Beitrag für mehr Steuergerechtigkeit (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und dafür, dass Tante Emma bleiben kann. sowie des Abg. Bernhard Daldrup [SPD]) Vielen Dank. Ja, attraktive Innenstädte sind lebenswerte Orte mit (Beifall bei der LINKEN) hoher Aufenthaltsqualität. Von dem Stadtplaner und Architekten Jan Gehl ist das Zitat überliefert: Eine le- benswerte Stadt ist wie eine gute Party – man will nur Vizepräsident Wolfgang Kubicki: kurz vorbeschauen und verweilt viel länger als geplant. – Vielen Dank, Frau Kollegin Lay. – Nächste Rednerin Lassen Sie uns darangehen, unsere Städte in eine gute ist die Kollegin Daniela Wagner, Fraktion Bündnis 90/ Party zu verwandeln. Die Grünen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Zuruf von der AfD: Und sie schaffen beides nicht!) Daniela Wagner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Kollegen! Die Krise der Innenstädte ist weit älter als Vielen Dank, Frau Kollegin Wagner. Corona; das wissen wir alle. Corona hat sie lediglich offengelegt und beschleunigt. Und die Bundesregierung (Abg. Emmi Zeulner [CDU/CSU] erhebt sich hat bis heute keine Impf- und Teststrategie auf die Beine und wartet auf die Worterteilung) gebracht, die irgendwie geholfen hätte. Das ist das Pro- – Moment, Frau Kollegin Zeulner, noch rufe ich auf. blem. (Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Pure Leidenschaft!) Was wir jetzt brauchen, verehrte Kolleginnen und Kol- legen, ist die Einrichtung eines Städtebaunotfallfonds, Nächste Rednerin ist die Kollegin Emmi Zeulner, wie er auch richtigerweise von Handel und kommunalen CDU/CSU-Fraktion. Spitzenverbänden vorgeschlagen wurde, der mindestens (Beifall bei der CDU/CSU) (B) mit einer halben Milliarde Euro ausgestattet sein muss. (D) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Emmi Zeulner (CDU/CSU): Wir brauchen neue rechtliche Instrumente wie Kultur- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und und Gewerbeschutzgebiete – Fehlanzeige, machen Sie Kollegen! Liebe Kollegen von der SPD, Sie haben jetzt nicht –, eine substanzielle Erhöhung der Städtebauförde- gehört: Die Kollegen von den Grünen fordern auch mehr rung für die krisenbedingten städtebaulichen Herausfor- Handwerk in der Innenstadt. Das heißt dann automatisch, derungen – auch Fehlanzeige. Wir brauchen dringend dass wir bei der TA Lärm noch einmal liefern müssen. eine Entbürokratisierung der Hilfsprogramme und eine Das betrifft das Umweltministerium, das liegt in Ihrer Senkung der Antragshürden und einen Unternehmerlohn. Verantwortung, und ich freue mich, wenn es noch vor Ende der Legislatur geschafft wird, eine Reform der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) TA Lärm ins Kabinett einzubringen. Ich würde das sehr Wir brauchen Nutzungsvielfalt, die rechtlichen Vor- begrüßen. aussetzungen für Nutzungsvielfalt in den Innenstädten (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- jenseits des reinen Shoppings. Wir brauchen nichtkom- ordneten der FDP) merzielle Nutzungen, die Kinder und Jugendliche adres- sieren. Wir brauchen Kleingewerbe, Kultur, Handwerk, Was muss das Ziel für unsere Innenstädte sein? Das Wohnen, Stadtgrün, faire Gewerbemieten. Das bringt Ziel – das wurde hier vielfach besprochen – muss Auf- weit mehr gegen Verödung als verkaufsoffene Sonntage, enthaltsqualität sein. Wir müssen in unseren Städten die sowieso nur die großen Filialisten durchstehen. Lebensoasen schaffen. Wir wollen keine zugepflasterten Städte der Zukunft, wir wollen keinen Donuteffekt, dass (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN außenherum alles passiert und die Mitte leer bleibt. Des- und bei der LINKEN) wegen sind die Antworten, die wir geben und die wir von Wir brauchen Mittel für innovative digitale Projekte, Bundesseite her unterstützen müssen, immer regional, sie zum Beispiel in der Städtebauförderung verankert, sind immer vor Ort verankert, und die Kommunen sind wenigstens 290 Millionen Euro. Sie helfen dem Einzel- der Schlüssel. Deswegen bin ich dankbar, dass wir nach handel nämlich, hybrid zu arbeiten, online und stationär. fast vier Jahren sagen können – und zwar mit Stolz –: Das ist entscheidend, damit er gegen die großen Online- Diese Große Koalition trägt hier im Parlament eine händler bestehen kann. Regierung, die die Kommunen so sehr unterstützt hat wie keine Regierung vorher. Wir brauchen Platz und Sicherheit für alle Menschen, die im öffentlichen Raum unterwegs sind, durch neue (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Mobilitätskonzepte, weniger motorisierten Individual- Bernhard Daldrup [SPD]) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021 27789

Emmi Zeulner (A) Die Forderungen sind klar: Wir wollen mehr Natur in Vielen Dank, meine Damen und Herren und Herr Bun- (C) unseren Innenstädten, wir wollen ein Miteinander von destagsvizepräsident. Handel, von Handwerk, von Arbeit, von Wohnen, von Gastronomie ermöglichen. Wir wollen aber auch ein Mit- (Beifall bei der CDU/CSU) einander der Generationen. Das heißt, neben der Natur muss die Barrierefreiheit eines der zentralen Themen Vizepräsident Wolfgang Kubicki: sein. Sie wissen, ich schätze Sie sehr; aber Aufrufe sollten (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Sie vielleicht doch befolgen. Wir wollen dafür aber eben auch ganz tief gehen und müssen Strukturen verändern. Das heißt, Strukturpolitik Emmi Zeulner (CDU/CSU): ist neben der kommunalen Verankerung einer der Schlüs- Na ja, wegen der Sache mit der Kanzlerin bin ich schon sel. Beispielsweise haben wir in meiner Heimat, in Ober- noch ein bisschen sauer auf Sie. Das muss ich jetzt schon franken, in den letzten Jahren zwei Hochschulstandorte sagen. aus den Ballungsgebieten heraus verlagert und somit das (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU geschaffen, was Innenstädte zwingend brauchen, nämlich und der LINKEN) Leben – durch zusätzliche Studenten, aber auch durch zusätzliche Arbeitsplätze. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Dafür brauchen wir aber meiner Meinung nach nicht Ich habe es nicht ganz verstanden. zwingend irgendwelche neuartigen, großen Strukturen. Wir haben sehr viele Programme, die gut sind. Der (Mechthild Rawert [SPD]: Sie ist sauer!) Schlüssel zu diesem Thema ist und bleibt die Städtebau- – Sie ist sauer auf mich? förderung; denn das Schöne an der Städtebauförderung ist im Vergleich zu manch anderen Programmen, dass sie (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Kön- eine breite Akzeptanz findet – das haben wir hinbekom- nen wir trotzdem jetzt mit den Reden weiter- men – und das vor allem auch die Mittel in großem Maße machen?) abgerufen werden. Das hat den schönen Nebeneffekt, dass jeder Euro, der in die Städtebauförderung investiert Ich habe ihr doch gar nichts getan. Ich war im Gegensatz wird, mittlerweile 7 Euro weitere private Investitionen sogar sehr großzügig, Frau Zeulner. auslöst. Das finde ich bemerkenswert und zeigt: Wenn Nächste Rednerin ist die Kollegin Dorothee Martin, alle Ebenen gut zusammenarbeiten, auch die Öffentlich- SPD-Fraktion. (B) keit und der private Sektor, dann können Dinge gut gelin- (D) gen. (Beifall bei der SPD) (Beifall des Abg. Bernhard Daldrup [SPD]) Dorothee Martin (SPD): Mir ist es ein großes Anliegen, zu betonen, dass die Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- große Herausforderung für unseren kleinen Einzelhandel ren! Ja, viele Innenstädte und Einkaufsstraßen stehen ak- natürlich der Onlinehandel ist. Der Umsatz ist in den tuell kurz vorm Herzinfarkt, und wir müssen da jetzt den letzten zehn Jahren auf das Dreifache gestiegen, von Defibrillator ansetzen. 20 Milliarden auf jetzt 60 Milliarden Euro. Deswegen muss unser Ziel in diesem Bereich eine faire Besteuerung Mir ist bei der ganzen Diskussion wichtig – das kommt sein – denn so, wie es jetzt angelegt ist, hat unser kleiner mir bislang doch zu kurz –, dass wir eben nicht nur auf die Einzelhandel keine Chance –, und da wollen wir hinge- Eins-a-Lagen in den Großstädten schauen, sondern uns hen. auch um die vielen kleineren Städte und ganz besonders um die Stadtteilzentren und lokalen Einkaufsquartiere kümmern. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss. (Beifall des Abg. Bernhard Daldrup [SPD]) Denn das sind nicht nur Orte der Nahversorgung; das sind Emmi Zeulner (CDU/CSU): wichtige soziale Treffpunkte, das sind Orte, die ganz ent- Deswegen freue ich mich, dass wir in einem Land scheidend für die Lebensqualität sind, und das sind eben leben, in dem die Herausforderungen im Bereich der auch Orte, an denen es noch den inhabergeführten Ein- Innenstädte erkannt sind, in dem wir miteinander Lösun- zelhandel gibt, den wir uns doch alle so wünschen. gen finden, in dem wir Stadt und Land zusammen be- trachten und nicht gegeneinander ausspielen. (Beifall des Abg. Bernhard Daldrup [SPD]) Gerade kleine Händlerinnen und Händler sowie Gastro- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: nomen in den Quartieren – ich habe ungefähr 20 davon in Frau Kollegin. meinem Wahlkreis im Hamburger Norden – benötigen doch jetzt schnelle Hilfe jenseits von langen Gesetz- gebungsprozessen, sie benötigen jetzt Perspektiven. Sie Emmi Zeulner (CDU/CSU): wollen wir als SPD ganz besonders unterstützen. Deswegen freue ich mich auf die weitere Beratung zu diesem wichtigen Thema. (Beifall bei der SPD) 27790 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021

Dorothee Martin (A) Was braucht also etwa der Kinderspielzeugladen bei Eckhard Pols (CDU/CSU): (C) mir um die Ecke oder die Buchhandlung oder das Café? Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will das Ich möchte als Anregung einige konkrete Maßnahmen Gesagte aufgreifen. Es ist schon viel Richtiges gesagt zur Stärkung von solchen kleinen Einkaufsquartieren worden, aber als Handwerksmeister muss ich dazusagen: nennen, an denen wir auf Landesebene gerade in Ham- Das Handwerk, das Sie wieder in die Stadt holen wollen – burg arbeiten bzw. die wir auch schon umsetzen. wenn es nicht schon verloren ist –, das ist nicht nur der Schuster oder der Schneider, sondern das ist auch der Es wird dort ein Neustartfonds aufgelegt, aus dem die Tischler, das ist der Glaser; das sind auch andere Hand- Interessengemeinschaften der Quartiere Gelder für Ak- werke. Ich kann aus meiner Erfahrung sagen: Durch die tionen, Veranstaltungen oder auch Marketing erhalten. Innenstadtentwicklung meiner Heimatstadt wurde ich aus Zur Vermeidung von Geschäftsleerstand wird es städt- der Innenstadt gejagt. ische Mietzuschüsse bei lokaler, kultureller oder kreati- ver Zwischennutzung geben, es wird die Nutzung von Außenflächen für Gastro und Verkauf erleichtert, und (Daniela Wagner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- auch die Gebühren fallen weg. Das ist schon eine große NEN]: Ja, eben!) Hilfestellung. Vor Kurzem ist ein Programm „Hamburger Ich konnte mich in der Innenstadt einfach nicht mehr Digitalbonus“ gestartet worden, mit dem kleinere Unter- entwickeln. Das sind negative Entwicklungen, denen nehmen beim Ausbau ihrer digitalen Angebote finanziell wir entgegenwirken müssen; denn wir sind ein Teil der unterstützt werden; das sind nur einige Beispiele an Maß- Daseinsvorsorge. Wenn ich oder meine Mitarbeiter mit nahmen. Durch sie wird schnelle Hilfe geleistet und Per- dem Firmenfahrzeug nicht mehr in die Innenstadt kom- spektiven geschaffen. Aber dazu gehört noch mehr – es men bzw. ich mir teure Ausnahmengenehmigungen von wurden eben schon ein paar Punkte genannt –: Natürlich der Stadtverwaltung erkaufen muss, dann geht das nicht brauchen wir auch eine attraktive Platzgestaltung, Barrie- nur zulasten meines Einkommens, sondern auch zulasten refreiheit, gute Erreichbarkeit, vor allem mit ÖPNV, oder der Kunden, die wir bedienen. Ganz so einfach ist es also auch ein eigenes Quartiersmanagement. nicht. Wir müssen uns sehr gut überlegen, wie wir das am (Beifall bei der SPD) besten lösen. Kurzum: Es gibt weiterhin sehr viel zu tun. Wir alle – Ich höre immer: „böse Vermieter“. Dreiviertel des ich glaube, da sind wir uns einig – wollen lebendige öffentlichen Lebens findet in Kleinstädten und auf dem Städte, Marktplätze und Quartiere. Wir wollen, dass sie Lande statt. In den Kleinstädten gibt es den Privatver- Treffpunkte bleiben. Deswegen sind alle gemeinsam mieter. Ein Geschäftshaus ist auch eine Altersvorsorge gefordert, anzupacken und nicht gegeneinander zu arbei- für diese Bürger. Wenn wir die Miete kürzen – einfach (B) ten: Bund, Länder, Kommunen, Immobilienbesitzer, gesetzlich sagen: der Bund muss hier etwas machen; wir (D) Akteure vor Ort und auch die Zivilgesellschaft. Wir als kürzen die Miete meinetwegen um die Hälfte, um ein SPD – das sagte mein Kollege schon – wollen konkrete, Drittel, wie auch immer; das ist völlig egal –, dann schnell umsetzbare Hilfe und Unterstützung im Nach- kann der Privatvermieter am Ende seinen eigenen tragshaushalt des Bundestages verankern. Das ist ein Lebensunterhalt nicht mehr bestreiten, Frau Lay, und ganz wichtiger Punkt für uns. auch sein Gebäude nicht mehr erhalten. Dann haben wir (Beifall bei der SPD) irgendwann eine Entwicklung – das sage ich jetzt ein bisschen bösartig –, wie wir sie in der ehemaligen DDR Ein Appell zum Schluss: Die Zukunft unserer Städte hatten. Damals sind die Häuser verkommen, weil es nicht wird nicht allein von uns in der Politik, von den Händlern mehr rentabel war, sie zu unterhalten; ganz einfach, so ist oder von den Immobilienbesitzern entschieden. Sie wird es. Viele Kollegen, die aus den neuen Bundesländern auch ganz klar von den Bürgerinnen und Bürgern ent- kommen, wissen ganz genau, wie die Innenstädte ausge- schieden; denn jeder und jede kann mit dem eigenen Ein- sehen haben. Wir wollen keine solche Entwicklung. Wir kaufsverhalten dazu beitragen, dass es auch in Zukunft wollen schöne Innenstädte, in denen die Bürger sich wie- lebendige Quartiere gibt. der wohlfühlen, in denen sich die Bürger gerne aufhalten.

Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (Beifall bei der CDU/CSU) Frau Kollegin. Dazu braucht es Gastronomie und mit Kultur – das ist alles richtig gesagt worden –, aber trotzdem muss man Dorothee Martin (SPD): auch die andere Seite betrachten. Buy local – das gilt mehr denn je. Natürlich haben sich die Gewerbemieten in den ver- Vielen Dank. gangenen Jahren schlecht entwickelt, so will ich einmal (Beifall bei der SPD) sagen. Deswegen ist auch viel in die Ketten gegangen. Aber noch einmal: Wir leben in Deutschland vielfach in Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Klein- und Mittelstädten. Es geht um Vielfalt, das ist gerade das Schöne daran. Ich komme aus der Stadt Lüne- Vielen Dank, Frau Kollegin Martin. – Als letztem Red- burg, einer 75 000-Einwohner-Stadt mit einer tausend- ner zu diesem Tagesordnungspunkt erteile ich dem Kol- jährigen Geschichte. Das atmet sie auch. Sie hat Charme. legen Eckhard Pols, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. Das wollen wir erhalten; aber dazu brauchen wir Vermie- (Beifall bei der CDU/CSU) ter, die ihre Gebäude unterhalten können. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021 27791

Eckhard Pols (A) Was wir noch brauchen: Wir brauchen wieder Leben in Unter Buchstabe d seiner Beschlussempfehlung emp- (C) der Innenstadt. Wir wollen Licht nicht nur unten, wo der fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Frak- Laden drin ist, während der erste oder der zweite Stock tion Die Linke auf Drucksache 19/25258 mit dem Titel oder vielleicht das Dachgeschoss dunkel sind. Wir wollen „Innenstädte retten – Gemischte und lebenswerte Nach- nach 18 Uhr oder nach 18.30 Uhr keine „dunklen Augen“ barschaften schaffen“. Wer stimmt für diese Beschluss- haben, empfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält (Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: sich? – Keiner. Dann stelle ich fest, dass diese Beschluss- 17!) empfehlung gegen die Stimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen mit den Stimmen der übri- sondern wir wollen, dass dort auch wieder gewohnt wird, gen Fraktionen des Hauses angenommen wurde. dass wieder Leben in den Innenstädten ist, dass die Leute Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe e nach dem Feierabend in die Stadt gehen und Leben in die seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags Innenstadt bringen, meine Damen und Herren. Hier muss der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache viel getan werden. Vielleicht ist es das Einzige, was 19/23941 mit dem Titel „Unsere Innenstädte fit für die Corona Positives gebracht hat: Wir merken, wie sich Zukunft machen“. Wer stimmt für diese Beschlussemp- der Strukturwandel, den wir schon seit 25 Jahren haben, fehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Dann auswirkt. stelle ich fest, dass diese Beschlussempfehlung gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Ent- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: haltung der Fraktion Die Linke mit den Stimmen der Kommen Sie bitte zum Schluss. übrigen Fraktionen des Hauses angenommen wurde. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 37 a und 37 b auf: Eckhard Pols (CDU/CSU): a) Erste Beratung des von der Bundesregierung Nun müssen wir endlich in Gang kommen, dass wir eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur wieder lebendige Innenstädte bekommen. Stärkung des Verbraucherschutzes im Vielen Dank. Wettbewerbs- und Gewerberecht (Beifall bei der CDU/CSU) Drucksache 19/27873

Überweisungsvorschlag: Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Vielen Dank, Herr Kollege Pols. – Damit schließe ich Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union die Aussprache. Haushaltsausschuss (B) (D) Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussemp- b) Erste Beratung des von der Bundesregierung fehlung des Ausschusses für Bau, Wohnen, Stadtentwick- eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur lung und Kommunen auf Drucksache 19/27919. Der Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuchs Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschluss- und des Einführungsgesetzes zum Bürger- empfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der lichen Gesetzbuche in Umsetzung der AfD auf Drucksache 19/24658 mit dem Titel „Innenstäd- EU-Richtlinie zur besseren Durchsetzung te als Heimatraum – Lebensfähigkeit entwickeln, Ver- und Modernisierung der Verbraucher- ödung stoppen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- schutzvorschriften der Union und zur lung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Dann Aufhebung der Verordnung zur Übertra- stelle ich fest, dass gegen die Stimmen der AfD mit den gung der Zuständigkeit für die Durchfüh- Stimmen der übrigen Fraktionen des Hauses die Be- rung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 schlussempfehlung angenommen wurde. auf das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung emp- fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Frak- Drucksache 19/27655 tion der AfD auf Drucksache 19/24661 mit dem Titel Überweisungsvorschlag: „Innenstädte erhalten, Umnutzung von Gewerbeimmobi- Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur lien erleichtern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- Ausschuss Digitale Agenda lung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Ich Ein wunderbarer Titel, finde ich. stelle fest: Gegen die Stimmen der AfD-Fraktion ist mit den Stimmen der übrigen Fraktionen des Hauses die Be- (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ein schlussempfehlung angenommen. bisschen lang vielleicht!) Des Weiteren empfiehlt der Ausschuss unter Buchsta- – Also, das ist leichte Sprache, würde ich sagen. be c seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Für die Aussprache ist eine Dauer von 30 Minuten Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 19/25296 beschlossen. mit dem Titel „Neuer Schwung für unsere Innenstädte“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red- stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist diese ner dem Parlamentarischen Staatssekretär Christian Beschlussempfehlung gegen die Stimmen der FDP-Frak- Lange für die Bundesregierung das Wort. tion bei Enthaltung der Fraktion der AfD mit den Stim- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten men der übrigen Fraktionen des Hauses angenommen. der CDU/CSU) 27792 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021

(A) Christian Lange, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- len diese Gesetzentwürfe ihren Beitrag leisten. Ich setze (C) ministerin der Justiz und für Verbraucherschutz: auf Ihre Unterstützung der beiden Gesetzentwürfe der Vielen Dank, Herr Präsident. Ich werde den Titel auch Bundesregierung. nicht wiederholen. – Nicht erst in Coronazeiten schließen Herzlichen Dank. Verbraucherinnen und Verbraucher mehr und mehr Ver- träge über das Internet ab. Liebe Kolleginnen und Kol- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten legen, das Internet eröffnet uns einen schnellen und direk- der CDU/CSU) ten Zugang zu einer großen Vielfalt an Angeboten. Damit Verbraucherinnen und Verbraucher in diesem Meer von Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Möglichkeiten den Überblick behalten, brauchen wir mehr Transparenz auf Onlinemarktplätzen, Vergleichs- Vielen Dank, Herr Staatssekretär. – Nächster Redner plattformen und bei anderen Vermittlungsdiensten. ist der Kollege Professor Lothar Maier, AfD-Fraktion. Gleichzeitig müssen wir – und das gilt nicht nur für das (Beifall bei der AfD) Internet – die Verantwortlichkeit der Unternehmen für ihre Werbeaussagen stärken. Hierfür sollen die beiden Gesetzentwürfe, die wir Ihnen heute vorlegen, sorgen. Dr. Lothar Maier (AfD): Dabei setzen wir zu einem Großteil die Vorgaben der Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- sogenannten Modernisierungsrichtlinie um, setzen aber ren! Der Gesetzgeber ergänzt und präzisiert in diesem auch eigene wichtige verbraucherschützende Akzente. Gesetzentwurf zur Änderung des BGB – ich sage mal so: würde ich den vollen Namen verlesen, würde mich Ob Bücher, Schuhe oder Reisen: Onlinemarktplätze, das meine halbe Redezeit kosten; der Herr Präsident hat Buchungs- und Vergleichsplattformen bieten sich im es mir ja auch schon abgenommen – in Umsetzung einer Internet als scheinbar neutrale Wegweiser zu dem für EU-Richtlinie eine Reihe von verbraucherschützenden uns besten Angebot an. Aber warum eigentlich taucht Bestimmungen. ein bestimmtes Produkt ganz oben im Ranking auf? Han- Die Richtlinie entspricht dem Prinzip der Vollharmo- delt es sich um ein besonders beliebtes oder qualitativ nisierung, das aus unserer Sicht nur akzeptabel ist, wenn hochwertiges Produkt, oder zahlt der Anbieter für seine ausreichende Spielräume für nationale Modifikationen in Topposition im Ranking? Und die begeisterten Verbrau- Gestalt von Öffnungsklauseln vorgesehen sind. cherbewertungen? Wurde geprüft, ob es sich um echte Empfehlungen oder nur um gekaufte Fake-Bewertungen (Beifall der Abg. Franziska Gminder [AfD]) handelt? Das scheint hier nur sehr eingeschränkt der Fall. Immer- (B) Die neu geschaffenen Transparenzpflichten stellen hin wird im Gesetzentwurf darauf verzichtet, die neuen (D) sicher, dass Verbraucherinnen und Verbraucher über sol- EU-Regelungen auch dort anzuwenden, wo etablierte che und andere relevante Punkte in Zukunft besser infor- und bewährte deutsche Strukturen im Verbraucherschutz miert sind. Für Transparenz und Rechtssicherheit sorgt bestehen, so besonders im Bereich der außergerichtlichen der Gesetzentwurf auch im Hinblick auf das Influencer- Streitschlichtung. Marketing. Der Entwurf stellt klar, in welchen Fällen Unklarheiten über Zuständigkeiten und Abläufe beste- Beiträge von Influencerinnen und Influencern als Wer- hen dennoch. So ist zum Beispiel der Kompetenzbereich bung gekennzeichnet werden müssen. des neuen Bundesamts für Justiz nicht klar genug beschrieben. Soll es nur einzelne, sektorale Funktionen Aber, meine Damen und Herren, Transparenz allein im Verbraucherschutz übernehmen, oder soll es zur Ver- genügt nicht. Greifen Unternehmen zu unlauteren Metho- braucherschutzbehörde im eigentlichen Sinne werden, den, um ihre Produkte zu bewerben, müssen sie auch die dann auch Aufgaben der Marktüberwachung über- Verantwortung übernehmen, wenn Verbrauchern hieraus nimmt? Dem Bundesrat ist zuzustimmen, wenn er eine ein Schaden entsteht. Deshalb schaffen wir einen neuen, Debatte über diese Frage vermisst. individuellen Schadensersatzanspruch für Verbraucher. Aus Verbrauchersicht bedeutsam sind vor allem fol- Missbräuchliche Verkaufspraktiken finden aber nicht gende Bestimmungen. Zunächst stellt die neue Regelung nur – das wissen wir – im Internet statt. Immer noch des Widerrufs eine absolute Verschlimmbesserung dar. kommt es viel zu häufig vor, dass Seniorinnen und Seni- Der neue § 357a BGB ist so formuliert, dass zum Beispiel oren auf sogenannten Kaffeefahrten über den Tisch ge- Handwerker keinen Anspruch auf Wertersatz haben, zogen werden. Hier erweitern wir nicht nur die Anzeige- wenn auch nur eine der folgenden drei Voraussetzungen und Informationspflichten der Veranstalter, sondern erfüllt ist: verbieten auch den Verkauf von Medizinprodukten und Erstens. Der Verbraucher hat von dem Unternehmer Nahrungsergänzungsmitteln und erhöhen die maximale nicht ausdrücklich verlangt, vor Ablauf der Widerrufs- Bußgeldhöhe für gewerberechtliche Verstöße um das frist mit der Arbeit zu beginnen. Das aber ist im Bau- Zehnfache, meine Damen und Herren. gewerbe, wenn der Vertrag auf der Baustelle mündlich geschlossen und über ein Widerrufsrecht gar nicht ge- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) sprochen wurde, der Regelfall. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein modernes und Zweitens. Der Verbraucher hat den Auftrag nur münd- durchsetzungsstarkes Verbraucherschutzrecht bedarf lich und nicht schriftlich bzw. in Textform erteilt. Genau ständiger Überarbeitung und Fortentwicklung. Dazu sol- das geschieht auf der Baustelle normalerweise aber. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021 27793

Dr. Lothar Maier (A) Drittens. Der Unternehmer hat den Verbraucher nicht dungshilfen für ihren Vertragsabschluss auf den Online- (C) durch eine Musterwiderrufsbelehrung informiert. Das ist marktplätzen. Ein paar Punkte möchte ich dazu näher abwegig, weil hochgradig praxisfremd und -feindlich skizzieren. gegenüber den KMU. Der wesentliche Inhalt bei diesem Thema – das hat der (Beifall bei der AfD) Herr Staatssekretär Lange schon gesagt – sind die Trans- parenzpflichten für die Onlinemarktplätze. Die Informa- Hiergegen hat die AfD schon bei der letzten Änderung tionspflichten für die Betreiber beziehen sich nunmehr einen eigenen Änderungsantrag eingebracht – leider auch vor allen Dingen – das ist, glaube ich, ganz wichtig – damals erfolglos. Das sind Regelungen, die den Zweck auf die Offenlegung der Hauptparameter für die Ran- haben, den Leuten das Leben schwerzumachen – sonst kings – man will ja auch wissen, warum ein Produkt nichts. oben steht oder eben nicht –, auf Angaben über die Unter- Die Informationspflichten der Anbieter sind im Ge- nehmereigenschaft und die Unternehmer, die dort Waren setzentwurf umfangreich geregelt. Das ist zwar wün- und Dienstleistungen anbieten, und auf die Anwendbar- schenswert, aber der Gesetzentwurf weist noch einige keit des Verbraucherschutzrechts. Schwachstellen auf. Daneben werden die Betreiber aber eben auch zu Infor- Zu begrüßen ist, dass bei Angeboten für Waren und mationen über Umstände verpflichtet, die für die Ent- Dienstleistungen, die online auf Marktplattformen und scheidung über den Vertragsabschluss durchaus von Vergleichsportalen angeboten werden, irreführende Ran- Bedeutung sein können, und da gibt es ein Thema, das, kings nicht mehr zulässig sein sollen und Ergebnisse für glaube ich, relativ wichtig ist, nämlich die Frage der Ver- Suchanfragen, die durch bezahlte Produktplatzierungen flechtung zwischen dem Onlinemarktplatz und dem entstanden sind, nur noch dann zulässig sein sollen, anbietenden Unternehmen. Ich glaube, es ist eine Selbst- wenn dies den Verbrauchern auch mitgeteilt wird. Es verständlichkeit, dass der Verbraucher auch wissen muss, dürfte allerdings nicht lange dauern, bis die betreffenden ob da eine Beteiligung und, wenn ja, in welcher Höhe Portale diese Informationen so formulieren, dass der besteht. Missbrauch nicht mehr erkennbar ist. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Insgesamt bleibt der Eindruck, dass der Gesetzentwurf Bei Vergleichsportalen wollen wir natürlich auch wis- der Bundesregierung ein weiterer Baustein ist, durch den sen, wie bei der Erstellung des Angebots für den Ver- das Verbraucherschutzrecht im BGB und im EGBGB braucher vorgegangen wird, und bei Ticketbörsen – ich eigentlich kaum noch überschaubar wird. Ich würde glaube, das ist auch eine nicht ganz unwichtige Geschich- mich sehr wundern, wenn irgendein Amtsrichter in te – wollen wir wissen, wie der Originalpreis für die Ein- (B) Deutschland durch diesen Wust an Spezialregelungen trittskarte gewesen ist. Ich glaube, wir alle wissen, über (D) und Verweisungen noch durchsieht. welche Größenordnungen wir da zum Teil reden, wenn wir dann wieder in der Zeit sind. Für Juristen ist es zu zersplittert, für Unternehmen kaum noch beherrschbar und für Verbraucher sowieso Es gibt noch ein paar weitere Regelungen, die in dem zu kompliziert. Aus diesem Grunde werden wir nicht Gesetzentwurf mit umfasst sind: Sanktionen, Einführung zustimmen können. von Informationspflichten bei Preispersonalisierung. – Der Spielraum ist nicht so groß, aber ich denke, wir (Beifall bei der AfD) werden im Rahmen des Prozesses und der Anhörung noch gucken, ob man hier noch ein klein wenig weiter Vizepräsident Wolfgang Kubicki: schärfen muss. Vielen Dank, Herr Kollege Maier. – Als weiteren Red- Der zweite Teil betrifft die Stärkung des Verbraucher- ner rufe ich auf den Kollegen Sebastian Steineke, CDU/ schutzes im Wettbewerbs- und Gewerberecht und sieht CSU-Fraktion. hier insbesondere im Kontext digitaler Geschäftsmodelle (Beifall bei der CDU/CSU) noch weitere Schärfungen vor. Dabei geht es noch mal um das Thema Onlinemarktplätze, Rankings, Verbrau- cherbewertungen. Wir haben ja gerade gehört, dass die Sebastian Steineke (CDU/CSU): Frage von sogenannten Fake-Bewertungen eine große Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei Rolle spielt. Es muss durch die Unternehmen offengelegt Verträgen auf Onlinemarktplätzen, bei Vergleichsporta- werden, ob und in welcher Form es sich tatsächlich um len, bei Werbung von Influencern und beim leidigen The- ehrliche Verbraucherbewertungen handelt. ma Kaffeefahrten: Überall stellt sich seit Jahren eine Vielzahl von verbraucherschutzrechtlichen Fragen. Wir (Beifall des Abg. Dr. Volker Ullrich [CDU/ beraten daher heute gleich zwei Gesetzentwürfe, deren CSU]) Titel ich glücklicherweise auch nicht mehr vorlesen – Da hat der Kollege Ullrich recht: Das ist ganz wichtig. muss und die Verbesserungen in diesen Bereichen für Auch wenn Vermittlungsplattformen Verbrauchern die den Verbraucherschutz vorsehen. Suche nach Waren oder Dienstleistungen verschiedener Da ist zunächst die Umsetzung der Modernisierungs- Anbieter ermöglichen, wird das Thema Ranking noch richtlinie. Die Richtlinie sieht Anpassungen an die EU- einmal relevant. Wir haben eben schon darüber gespro- Verbraucherschutzrichtlinie vor. Die Verbraucherinnen chen, dass Verbraucherbewertungen ein wesentliches und Verbraucher brauchen klare und deutliche Entschei- Thema sind. 27794 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021

Sebastian Steineke (A) Ein Thema, das in Deutschland vielleicht nicht immer (Beifall bei der FDP) (C) eine so große Rolle spielt, aber von dem man immer wieder aus anderen Ländern hört und das deswegen Katharina Willkomm (FDP): auch mitgeregelt wird, ist das Dual-Quality-Verbot. Es Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und soll sicherstellen, dass Produkte, insbesondere im Le- Kollegen! Mit den vorliegenden Entwürfen soll der Ver- bensmittelbereich, gleiche oder vergleichbare Wertigkei- braucherschutz im digitalen Raum verbessert werden. So ten aufweisen, und die Frage klären, ab wann es sich um im Grundsatz ist das ganz prima. Anders als die Bundes- Irreführung handelt, wenn ein Produkt mit unterschied- regierung und die Ministerpräsidenten wissen die Ver- lichen Aufbereitungen im gleichen Kontext vermarktet braucherinnen und Verbraucher die Vorteile des Internets, wird. Als Beispiele seien da bestimmte Nussnugatcremes von Apps und Onlinemarktplätzen zu nutzen. Sie nutzen oder Fischstäbchen genannt. Auch das regeln wir. Am sie sogar aus eigenem Antrieb, zum Beispiel, um schnell Ende des Tages wird es auch noch die Einführung eines und günstig Coronaselbsttests zu kaufen. Dementspre- individuellen Schadensersatzanspruches im UWG geben, chend wächst der E-Commerce, und Onlineunternehmen ergänzend zu den bestehenden Regelungen. wie Delivery Hero steigen in den DAX auf. Ein relativ wichtiger Punkt – der Kollege Ullrich wird Wir Freien Demokraten sehen im Digitalen immer ihn gleich noch aufgreifen – ist das Thema der Influencer mehr die Chancen statt die Bedenken: und Blogger: Wie und wann müssen bestimmte Beiträge von ihnen als kommerziell markiert werden? Da gibt es (Beifall bei der FDP) eine unterschiedliche Rechtsprechung. Ich glaube, eine Klarstellung unsererseits ist hier relativ wichtig und Chancen für eine bürgernahe Verwaltung, eine bessere wird von den Verbraucherinnen und Verbrauchern erwar- Produktauswahl für Verbraucher und innovative Ge- tet. schäftsmodelle von Start-ups. Deshalb sehen wir hier auch, dass dieses Gesetz zwar Hoffnung auf einen besse- Wir beschäftigen uns in unserem Gesetzentwurf aber ren Verbraucherschutz weckt, aber auch mehr Bürokra- auch mit einem etwas analogeren Thema, nämlich mit tielast für die Unternehmen garantiert. den Kaffeefahrten. Diese sind zurzeit nicht so das große Thema, weil es keine Fahrten gibt; aber trotz vieler Warn- Aber klar: Je mehr Menschen online Tickets buchen, ungen in den letzten Jahren fallen immer noch und immer einkaufen oder daten, desto mehr Gelegenheit gibt es, noch viel zu viele, vor allem – das muss man leider Verbraucher online zu täuschen oder zu betrügen. Wir sagen – ältere Verbraucherinnen und Verbraucher auf alle kennen Berichte über gekaufte Amazon-Sterne oder zum Teil durch verbrecherische Art und Weise erzielte feuerfangende Teddybären aus China – und selten ist ein Verkäufe bestimmter Produkte herein, von Kaffeedecken Händler greifbar. Insofern ist es sinnvoll, wenn Betreiber (B) bis zu vielen anderen Dingen. von Onlinemarktplätzen Verbrauchern nicht nur aus Kun- (D) denfreundlichkeit mitteilen, wie sie zu erreichen sind, (Zuruf der Abg. Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/ und die Unternehmen nennen, für die sie tätig werden. DIE GRÜNEN) Es wäre sinnvoll, wenn Betreiber nicht nur Telefon- – Ja, abwarten! Deswegen will der Gesetzgeber hier ja nummer und E-Mail-Adresse nennen müssten, sondern auch handeln. Es gibt dazu auch einen Entwurf aus wenn Chatdienste auch so anzubieten sind, dass die Kor- Bayern; er liegt dem Bundesrat vor. Er sieht eine Ver- respondenz auf einem Dauerdatenträger gespeichert wer- schärfung in diesem Bereich schon vor. den kann. Das Gleiche gilt auch für Informationen über Wir reden über Kaffeefahrten zu sogenannten Wander- Lieferbedingungen, Personal Pricing und Gesamtpreise. lagern; das ist auch so ein schöner Begriff aus dem Es ist gut, dass nun zumindest ein Gesamtpreis angege- Gewerberecht. Wir erweitern die Anzeigepflicht, insbe- ben werden muss; das kommt unserem Antrag auf Anga- sondere bei Fahrten ins Ausland. Es gelten verschärfte be eines Durchschnittspreises bei Dauerverträgen sehr Informationspflichten und – das ist jetzt schon vorgese- nah. hen – ein Verbot für den Vertrieb von Medizinprodukten (Beifall bei der FDP) und Nahrungsergänzungsmitteln. Auch in Bezug auf die- sen Gesetzentwurf gibt es noch weitere Wünsche; die Denn Transparenz und Erreichbarkeit sind wichtige Vor- muss man sich angucken. aussetzungen, damit mündige Verbraucher ihre Rechte kennen und durchsetzen können. Man könnte hier viel Die Entwürfe haben viele Facetten. Ich glaube, da mehr Punkte aufzählen, wie die Pflichtangaben zum Ran- können wir in der öffentlichen Anhörung im April noch king von Produkten oder über Unternehmereigenschaften eine Menge mitnehmen und kommen dann hoffentlich eines Anbieters. – Für all das ist jedoch nicht der Bun- zügig zu guten Ergebnissen für die Verbraucherinnen desregierung zu danken; denn sie setzt nur das um, was und Verbraucher. der europäische Gesetzgeber ihr vorschreibt. Vielen Dank. (Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Wer ist Teil (Beifall bei der CDU/CSU) des europäischen Gesetzgebers?) Auf der anderen Seite ist der Bundesregierung vorzu- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: werfen, dass ein Onlinehändler bei Verstößen mit drasti- Vielen Dank, Herr Kollege Steineke. – Nächste Red- schen Bußgeldern von bis zu 4 Prozent seines Jahres- nerin ist die Kollegin Katharina Willkomm, FDP-Frak- umsatzes rechnen muss; denn diese Bundesregierung tion. hat im Rat der EU dieses Damoklesschwert gerne mitge- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021 27795

Katharina Willkomm (A) schmiedet. Das kommt dabei heraus, wenn man Unter- Leider macht die Bundesregierung zudem keinen (C) nehmerinnen und Unternehmern grundsätzlich misstraut Gebrauch von der Möglichkeit, die Widerspruchsfrist und das Internet immer noch Neuland geblieben ist. für Verträge zu verlängern. Derzeit beträgt sie 14 Tage. Eine Verlängerung auf 30 Tage wäre möglich. Bestimmte Vielen Dank. Gruppen von Verbraucherinnen und Verbrauchern, bei- (Beifall bei der FDP) spielsweise ältere Menschen, brauchen beim Widerruf eines Vertrages oft Unterstützung. Dafür benötigen sie Vizepräsident Wolfgang Kubicki: genügend Zeit, um die Verträge kündigen zu können, ohne unter Druck gesetzt zu werden. Gerade wenn es Vielen Dank, Frau Kollegin Willkomm. – Nächster um die Wahrung der Selbstbestimmung geht, bedarf es Redner ist der Kollege Thomas Lutze, Fraktion Die Lin- einer Verlängerung dieser Widerspruchsfrist von 14 auf ke. 30 Tage. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Nichtsdestotrotz sind die vorliegenden Gesetzentwürfe Thomas Lutze (DIE LINKE): eine deutliche Verbesserung im Verbraucherschutz. Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle- gen! Mit den zwei vorliegenden Gesetzentwürfen möchte Wir werden auch wegen der genannten Kritikpunkte die Bundesregierung europäisches Recht in nationales als Linksfraktion leider nicht zustimmen können; wir Recht umsetzen. Grundsätzlich bewertet Die Linke beide werden uns enthalten. Gesetzentwürfe positiv. So wird nun endlich ein allgem- (Sebastian Steineke [CDU/CSU]: Wir stimmen einer Schadensersatzanspruch eingeführt, wenn einzelne doch noch gar nicht ab!) Verbraucherinnen und Verbraucher Nachteile durch Rechtsverletzungen erleiden. Das war überfällig und ist Trotzdem wünsche ich ein schönes Wochenende und ein dringend erforderlich. herzliches Glückauf! (Beifall bei der LINKEN) Danke schön. (Beifall bei der LINKEN) Auch die neu eingeführten Informationspflichten für Betreiberinnen und Betreiber von Onlinemarktplätzen werden zu einer Verbesserung des Verbraucherschutzes Vizepräsident Wolfgang Kubicki: führen. Vielen Dank, Herr Kollege Lutze. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Tabea Rößner, Fraktion Bündnis 90/Die Wir wären jedoch keine gute Opposition, wenn wir (B) Grünen. (D) hier so einfach alles durchwinken würden. Bedauerlicher- weise nutzt die Bundesregierung den Spielraum, der ihr (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) hier geboten wird, nicht aus, sondern belässt es beim Klein-Klein. Auch wenn die Rede des Staatssekretärs Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): etwas emotionaler war, hat man ein bisschen das Gefühl, Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Komfort, dass der ein oder andere auf der Regierungsbank etwas Zeitersparnis, Bequemlichkeit und Corona, das sind regierungsmüde ist. Gründe, warum der digitale Handel boomt. 57 Millionen Wieso ist es denn weiterhin nicht möglich, einen Ver- Menschen in Deutschland kaufen online ein. Der Umsatz trag, der durch unlautere Geschäftspraktiken zustande von Waren im E-Commerce ist im vergangenen Jahr um gekommen ist, einfach zu beenden? Wir alle kennen 14,6 Prozent auf über 83 Milliarden Euro explodiert. Kri- doch die Berichte von Verbraucherinnen und Verbrau- sengewinnler sind Unternehmen wie Amazon, ausge- chern, die versehentlich in eine vertragliche Abhängig- rechnet die Plattformen, die bereits über eine immense keit gerutscht sind. Marktmacht verfügen. Seit Jahren bestehen hier gravie- rende Mängel im Verbraucherschutz. Aber genau diese (Sebastian Steineke [CDU/CSU]: Was heißt Mängel werden nicht behoben – ein Trauerspiel für den „versehentlich“?) Verbraucherschutz. Sie werden dann zu immer mehr und höheren Zahlungen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) aufgefordert. Transparenzverstöße, falsche Bewertungen, Schleich- Mitunter geben die vermeintlichen Unternehmer/- werbung, dieser Realität hinken EU-Richtlinie und Ihr innen, die schlichtweg Betrüger sind, sich auch gerne Gesetzentwurf deutlich hinterher. Die neuen Transpa- als Polizei aus, um Geld zu erpressen. Eine unkompli- renzverpflichtungen für Onlinemarktplätze, zu Rankings zierte Beendigungsmöglichkeit würde den schützenswer- und Bewertungen sind längst überfällig. Vor allem sind ten Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher sie ausbaufähig. gerecht werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der LINKEN) Es reicht eben nicht, wenn Verbraucher/-innen lesen kön- Sie würde auch dazu führen, dass es Anbieterinnen und nen, dass Provisionszahlungen Einfluss auf Rankings Anbietern nicht mehr möglich ist, Geschäftspraktiken mit haben. Sie sollten sich darauf verlassen können, dass der Absicht anzuwenden, Vorteile aus unrechtmäßig Rankings nur nach objektiven Kriterien zustande kom- angebahnten Vertragsverhältnissen zu ziehen. men. 27796 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021

Tabea Rößner (A) (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- online ein, informieren sich vermehrt über Vertragsge- (C) SES 90/DIE GRÜNEN) staltungen und Angebote. Deswegen ist ganz klar, dass Plattformen sollten verpflichtet werden, gegen Fake- wir für mehr Fairness und für mehr Transparenz bei Bewertungen vorzugehen und Prüfmechanismen einzu- Onlinegeschäften sorgen müssen, liebe Kolleginnen und führen, damit Falschdeklarationen und Irreführungen Kollegen, und das machen wir mit diesem Gesetz. unterbunden werden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Das alles kann jedenfalls nur ein Anfang sein. Der Denn wenn man sich im Internet nach solchen Ange- Digital Services Act bietet nun die Chance, Plattformen boten erkundigt, dann stößt man oft auf Rankings. Stu- stärker in die Verantwortung zu nehmen. Ich fordere die dien zeigen, dass die Rankings einen ganz erheblichen Bundesregierung auf: Setzen Sie sich auch auf EU-Ebene Einfluss auf das Konsumverhalten der Verbraucherinnen mit Nachdruck für starke Verbraucherrechte ein! und Verbraucher haben: Je höher ein Angebot steht, desto (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) eher wird es geklickt und angenommen. Verbesserungen gibt es endlich bei den Kaffeefahrten, Deswegen ist eines ganz klar: Wir brauchen faire und auch wenn der Gesetzentwurf aus Bayern schon seit Jah- transparente Regeln, wie diese Rankings zustande kom- ren vorliegt und nichts getan wurde. Doch hier springt die men. Insbesondere müssen wir verhindern, dass sich Bundesregierung auch wieder zu kurz. Gut wäre es, wenn Anbieter ein Ranking erkaufen können, dass also das auch Finanzdienstleistungen und Pauschalreisen nicht Ranking manipuliert ist. Es muss ganz klar sein, ob für auf Kaffeefahrten vertrieben werden dürften. Die haben ein bestimmtes Ranking Geld geflossen ist, liebe Kolle- da auch nichts zu suchen. ginnen und Kollegen. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) SES 90/DIE GRÜNEN Sebastian Steineke [CDU/CSU]: Die Bundesregierung ist ja auch Und wir sorgen auch dafür, dass wir bei den Online- nicht der Bundestag!) tickethändlern, wo einiges im Argen liegt, mehr Transpa- Ein fortlaufendes Ärgernis für viele Verbraucher/- renz bekommen. Kleines Beispiel: Gestern, 17 Uhr, star- innen sind Überrumpelungen an der Haustür, gerade in tete der Vorverkauf für die „Die Ärzte“-Tournee – die Coronazeiten. Aber gegen aggressive Haustürgeschäfte beste Band der Welt, wie wir alle wissen – für nächstes unternehmen Sie nichts. Wenigstens eine verlängerte Jahr. Um 17 Uhr ging es los, und 10 Minuten später war Widerrufsfrist oder eine Deckelung bei Sofortzahlungen alles ausverkauft. Und 13 Minuten später wurde auf der hätten hier drin sein müssen. Plattform viagogo das Ticket, das eigentlich 40 Euro (B) gekostet hätte, für fast 7 000 Euro angeboten. (D) (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN) Bei solchen Preisexplosionen können alle Musikfans und Sportfans nicht zuschauen. Da haben sie zu Recht die Ganz und gar nicht im Sinne des Verbraucherschutzes Erwartung, dass wir regulieren, und das tun wir. ist die Rolle rückwärts beim neuen Schadensersatzan- spruch, wenn Unternehmer Verbraucher/-innen in die (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Irre führen. Wenn ich an Haftungsfälle von Onlineplatt- formen oder Anlagebetrug denke, sehe ich: Bei Massen- Wir verbieten, dass softwareunterstützt diese Tickets auf- schäden läuft dieses Rechtsmittel bei sechs Monaten Ver- gekauft werden können. Ich finde, wir sollten noch einen jährungsfrist weitgehend leer. Der Dieselskandal sollte Schritt weitergehen und auch einen Deckel einziehen, uns allen da doch eine Lehre sein. sodass diese Tickets nur zu einem bestimmten höheren Prozentsatz weiterverkauft werden dürfen. Und es muss (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) auch angegeben werden: Wo kommen diese Tickets Im Koalitionsvertrag hatten Sie klare Regeln für die eigentlich her? Das werden wir tun; diesem Treiben wer- digitale Welt versprochen. Am Ende der Legislaturperio- den wir ein Ende bereiten, liebe Kolleginnen und Kol- de sind da noch ganz schön viele Leerstellen. Bessern Sie legen. also nach im Sinne eines Verbraucherschutzes, der diesen (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Namen auch wirklich verdient hat. Vielen Dank. Es mag etwas skurril anmuten, dass wir uns hier ange- sichts der Inzidenzzahlen und der Auslastung des Ge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sundheitswesens über Kaffeefahrten unterhalten. Aber die EU-Richtlinie sieht dies eben vor, und es ist auch Vizepräsident Wolfgang Kubicki: richtig, dass wir das in Deutschland umsetzen. Hoffent- Vielen Dank, Frau Kollegin Rößner. – Nächster Red- lich bald werden wir alle wieder Kaffeefahrten machen ner ist der Kollege Dr. Johannes Fechner, SPD-Fraktion. können, (Beifall bei der SPD) (Sebastian Steineke [CDU/CSU]: Kommst du mit?) Dr. Johannes Fechner (SPD): und dann muss dafür Sorge getragen werden, dass dort Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lie- keine Abzocke stattfindet. be Zuhörerinnen und Zuhörer! Nicht erst seit den Coro- nazeiten kaufen die Bürgerinnen und Bürger vermehrt (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021 27797

Dr. Johannes Fechner (A) Das Entscheidende ist, dass wir dort insbesondere bei (Beifall bei der CDU/CSU) (C) einem Punkt für Verbraucherschutz sorgen; denn oftmals ist es ja so, dass die Veranstalter von Kaffeefahrten keine Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Adresse angegeben haben, nur ein Postfach. Das war das Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- entscheidende Manko. Das ändern wir jetzt. Die Veran- ren! Heute werden zwei Gesetze zu mehr Verbraucher- stalter von Kaffeefahrten werden zukünftig eine zustel- schutz in den Deutschen Bundestag eingebracht. Es geht lungsfähige Adresse angeben müssen. Wer hier die Ver- um die Frage der Umstände eines Vertragsschlusses. braucher, gerade die Seniorinnen und Senioren, abzockt, der kann sich nicht mehr hinter einem Postfach im Aus- Nach unserer Rechtsordnung sollen diejenigen, die land verstecken. Die Seniorinnen und Senioren, die abge- einen Vertrag schließen, alle wesentlichen Elemente zockt wurden, können zukünftig in Deutschland ihren über den Vertrag kennen. Das ist eine Frage von Objek- Schadenersatz einklagen. Das ist ein ganz wichtiger Fort- tivität und Fairness. Überall dort, wo diese Informationen schritt bei den Kaffeefahrten, liebe Kolleginnen und Kol- nicht vorliegen, sprechen Ökonomen von sogenannten legen. Informationsasymmetrien. Liegen Informationsasymme- trien vor, liegt auch nach der reinen Lehre Marktversagen (Beifall bei der SPD) vor. Gegenüber Marktversagen muss die Ordnungspolitik Einen Punkt möchte ich auch noch nennen. Wir wer- tätig werden, und das werden wir. den das Influencer-Marketing stärker regulieren. Denn oft ist es ja so, dass gerade junge Follower sehen, dass Es geht zum einen um die Frage: Welche Produkte hier Influencer/Influencerinnen Produkte anbieten. Dann werden auf Onlinemarktplätzen dargestellt? Meist ist es sollte schon klar sein: Ist es nur ein Tipp, ein gutgemein- so, dass man, schon aus Bequemlichkeit, gar nicht durch ter Ratschlag, oder stecken finanzielle Interessen dahin- die zig Seiten blättert, sondern zu den ersten Angeboten ter? Ist es Marketing? Ist es bezahlte Werbung? – Des- greift. Aber die Frage ist erlaubt: Wie kommen denn die wegen ist es gut, dass wir hier jetzt für Influencer und Produkte auf die ersten Seiten? Was liegt dem zugrunde, Influencerinnen eine Kennzeichnungspflicht regeln. Sie dass manche Produkte vorne und manche hinten gerankt müssen zukünftig darstellen, ob sie bei ihren Produkthin- sind? Da müssen die Verbraucher klar und deutlich wis- weisen bezahlte Werbung machen. Auch das, glaube ich, sen: Stecken da weitere, auch finanzielle Kriterien dahin- ist ganz wichtig, gerade für die jüngeren Followerinnen ter? Nach welchen Maßstäben werden Produkte gerankt? und Follower. Das ist eine Sache von Klarheit und Wahrheit, und die werden wir jetzt deutlich regeln. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Es geht zum anderen um die Frage: Wie werden denn Ich finde, wir sollten noch einen Schritt weitergehen (B) Bewertungen zukünftig betrachtet? Wir alle kennen es (D) und bei den Gesetzesberatungen prüfen – letzter Gedan- aus dem alltäglichen Leben: Meistens stellt man sich ke –, ob wir nicht auch kennzeichnungspflichtig machen, doch bei der längeren Schlange an; denn da, wo bereits wenn nicht für ein Unternehmen, sondern etwa für einen viele Menschen stehen, kann es ja nicht so schlecht sein, bestimmten Staat geworben wird, wenn etwa Länder, wo und dort, wo niemand kauft, ist es vielleicht schwierig. es offensichtlich Menschenrechtsverletzungen gibt, dann Ähnlich verhält es sich mit den Sternen im Internet. Bei von Influencern gegen Bezahlung viel zu positiv darge- einer Bewertung mit viereinhalb oder fünf Sternen wird stellt werden. Auch das soll uns in den weiteren Beratun- eher gekauft als bei einer mit drei oder zwei Sternen. gen beschäftigen. Aber die Frage muss doch erlaubt sein: Wie kommt es zu den vier oder fünf Sternen? Welche finanziellen Inte- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: ressen stecken dahinter? Wie werden diese Ratings ermit- Herr Kollege. telt? Verbraucher haben einen Anspruch darauf, das zu wissen. Das werden wir jetzt regeln, und das ist ein wesentlicher Fortschritt beim Verbraucherschutz. Dr. Johannes Fechner (SPD): Also, alles in allem ein sehr gutes Gesetz für den Ver- Entscheidend ist auch, dass wir die Frage der Kaffee- braucherschutz. Verweisen wir es in die Ausschüsse, und fahrten angehen. Ich finde, es ist nach wie vor ein Skan- stimmen wir dem dann zu. dal, wenn hier vor allen Dingen ältere Menschen im wahrsten Sinne des Wortes abgezockt werden. Ich meine, Vielen Dank. man sollte die Freuden an einer Kaffeefahrt niemandem (Beifall bei der SPD) nehmen, aber es muss deutlich gemacht werden, dass keine wirtschaftliche Übervorteilung auf solchen Fahrten mehr zugelassen wird. Deswegen bin ich dafür, dass wir Vizepräsident Wolfgang Kubicki: die Palette der Produkte, die auf Kaffeefahrten nicht mehr Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Fechner. – Vielleicht angeboten werden können, weil sie nicht preistransparent sollten wir bei den von Ihnen genannten Ticketpreisen genug sind, ausdehnen. Nahrungsergänzungsmittel und für den Auftritt der „Ärzte“ darauf hinweisen, dass das Medizinprodukte sind ein wichtiger Anfang, aber lasst nicht mit einer Impfung verbunden ist. – 7 000 Euro? uns das doch noch ausweiten auf Finanzprodukte und (Sebastian Steineke [CDU/CSU]: Dafür krie- Ähnliches. All das, wobei Intransparenz möglich ist, soll- gen Sie BioNTech!) te nicht auf Kaffeefahrten angeboten werden dürfen. Jetzt kommt der letzte Redner in dieser Debatte. Das ist (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- der Kollege Dr. Volker Ullrich, CDU/CSU-Fraktion. neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – 27798 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021

Dr. Volker Ullrich (A) Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (Beifall bei der SPD sowie des Abg. (C) Da sind wir sofort dabei!) Dr. Carsten Brodesser [CDU/CSU]) Ein letzter Satz zum Thema Influencer-Marketing. Ich glaube, hier müssen wir auf der einen Seite Rechtssicher- Sarah Ryglewski, Parl. Staatssekretärin beim Bun- heit schaffen, gerade auch für solche Menschen, die ohne desminister der Finanzen: wirtschaftliches Interesse aus einer reinen Äußerung von Vielen Dank, Herr Präsident! Vielen Dank auch dafür, Meinung heraus über ein Produkt reden. Für sie darf das dass Sie noch einmal den genauen Titel des jetzigen Wettbewerbsrecht, wenn sie kein finanzielles Interesse Tagesordnungspunktes vorgelesen haben. Wie Sie sehen, haben, nicht in gleichem Maße gelten. Da dürfen wir beraten wir hier einen ganzen Schwarm von Gesetzen gerade auch junge Influencer nicht unter einen General- und europarechtlichen Vorgaben, die wir in nationales verdacht stellen. Auf der anderen Seite aber müssen all Recht umsetzen wollen. Und wie das so ist bei einem diejenigen, die in einem starken Maße davon wirtschaft- Schwarm: Jedes einzelne Element ist wichtig, aber erst lich profitieren und auf Hunderttausende junge Menschen zusammen sind sie wirksam. Einfluss haben, stärker vom Wettbewerbsrecht kontrol- liert werden. Das werden wir mit diesem Gesetzentwurf Im Vordergrund – auch das wird aus dem Titel des regeln. jetzigen Tagesordnungspunktes deutlich – steht die euro- päische Verordnung über Schwarmfinanzierungsdienst- Ich freue mich auf die Ausschussberatungen. leistungen. Und weil sich vielleicht nicht jeder unter die- sem Begriff etwas vorstellen kann, noch einmal zur (Beifall bei der CDU/CSU) Einordnung: Schwarmfinanzierung ist eine alternative Finanzierungsform, bei der eine Vielzahl von Investoren Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Kapital für einzelne Projekte, die meistens über eine Vielen Dank, Herr Dr. Ullrich. – Damit schließe ich die Plattform oder ein Onlineportal angeboten werden, Aussprache. bereitstellen. Interfraktionell wird Überweisung der Gesetzentwürfe Wir sind hier also bei einem ähnlichen Thema wie auf den Drucksachen 19/27873 und 19/27655 an die in vorhin beim Fondsstandortgesetz. Auch hier geht es der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla- darum, wie wir Kapital gerade für jüngere und wachs- gen. Gibt es weitere Überweisungsvorschläge? – Das ist tumsstarke Unternehmen zur Verfügung stellen. Das erkennbar nicht der Fall. Dann verfahren wir so. Ganze ist ein hochdynamischer Markt, und deswegen muss hier immer wieder regulatorisch nachgesteuert wer- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 38 sowie den Zusatz- den. (B) punkt 32 auf: (D) Mit der Verordnung werden einheitliche Aufsichtsbe- 38 Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- stimmungen für diese Plattform geschaffen. Die Erbrin- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur beglei- gung dieser Dienstleistung ist künftig EU-weit unter Nut- tenden Ausführung der Verordnung (EU) zung des sogenannten Europäischen Passes möglich. 2020/1503 und der Umsetzung der Richtlinie Dadurch verbessern sich einerseits die Finanzierungs- EU 2020/1504 zur Regelung von Schwarmfi- möglichkeiten vor allem kleinerer Unternehmen; zu- nanzierungsdienstleistern (Schwarmfinanzie- gleich werden aber auch neue Anlagemöglichkeiten rung-Begleitgesetz) und anderer europarecht- eröffnet. licher Finanzmarktvorschriften Wie Sie sehen, konzentrieren wir uns beim Thema Drucksache 19/27410 Start-up-Förderung und Unternehmensförderung nicht Überweisungsvorschlag: nur auf ein Gesetz, sondern die Bundesregierung hat Finanzausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz schon in der Vergangenheit mit einer Vielzahl von Geset- Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union zen proaktiv reagiert und tut es auch heute wieder. ZP 32 Beratung des Antrags der Abgeordneten Tabea (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Michael Rößner, Stefan Schmidt, Lisa Paus, weiterer Ab- Grosse-Brömer [CDU/CSU]) geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wir behalten aber auch den Anlegerschutz im Blick. Ich glaube, dass beide Punkte untrennbar miteinander Effektiver Verbraucherschutz bei Restschuld- verbunden sind; denn nur, wenn man der Meinung ist, versicherungen dass man sicher investieren kann, nimmt man diese Drucksache 19/14386 (neu) Angebote auch wahr. Inhaltlich verpflichtet die europä- ische Verordnung über Schwarmfinanzierungsdienstleis- Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) tungen dazu, solche Dienstleistungen nur auf der Grund- Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz lage einer Zulassung anzubieten. Zum Schutz der Anleger werden Informations- und Offenlegungspflich- Für die Aussprache ist eine Dauer von 30 Minuten ten für ein Anlageinformationsblatt festgeschrieben. beschlossen. Zugunsten der Anleger besteht eine Haftung für dort Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red- gemachte Angaben. Das halte ich auch für richtig; denn nerin der Frau Parlamentarischen Staatssekretärin Sarah es geht darum, dass man mit diesem Produktinforma- Ryglewski für die Bundesregierung das Wort. tionsblatt, das im Bereich der Schwarmfinanzierung häu- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021 27799

Parl. Staatssekretärin Sarah Ryglewski (A) fig das einzige Informationsmedium ist – die Prospekt- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (C) pflicht ist hier ja teilweise eingeschränkt –, überprüfen Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. – Als nächster kann, ob die Angaben richtig sind. Redner hat das Wort der Kollege Stefan Keuter, AfD- (Beifall bei der SPD) Fraktion. Der Gesetzentwurf enthält zudem Regelungen, die die (Beifall bei der AfD) Verordnung über ein Paneuropäisches Privates Pensions- produkt, das sogenannte PEPP, ausführen. Bei PEPP han- Stefan Keuter (AfD): delt es sich im Wesentlichen um ein Produkt, mit dem wir Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- auch die Mobilität innerhalb Europas stärken wollen. ren! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Wir beraten Man kann seine Altersvorsorge dann ohne Probleme heute einen Gesetzentwurf der Bundesregierung zur beim Umzug in einen anderen Mitgliedstaat mitnehmen. Schwarmfinanzierung, auch Crowdfunding genannt. Hiermit wollen wir langfristiges Sparen fördern und Das ist ein ziemlich altes Finanzierungsinstrument, das europaweit dazu beitragen. Dafür werden hier noch es eben nicht nur in der neuen Form über das Internet Sanktionsregelungen festgelegt, wenn gegen die Verord- gibt. Es gibt verschiedene Arten der Schwarmfinanzie- nung, die das Ganze organsiert, verstoßen wird. rung: für Spenden, für Eigenkapital und für Darlehen. Außerdem beinhaltet der Gesetzentwurf Anpassungen Dann gibt es noch ein paar Sonderformen, auf die ich der Vorschriften zur Sanierung und Abwicklung von nicht eingehen will. Dieses Instrument ist also nicht zentralen Gegenparteien im Sanierungs- und Abwick- neu: Bereits im 18. Jahrhundert ist der Aufbau der ame- lungsgesetz an europäische Vorgaben. Zentrale Ge- rikanischen Freiheitsstatue durch 160 000 Einzelspenden genparteien nehmen eine Schlüsselfunktion auf den ermöglicht worden. Eine sehr frühe Form des Crowdfun- Finanzmärkten ein, indem sie bei Transaktionen mit ver- dings. schiedenen Finanzinstrumenten als Intermediäre zwi- Was sind die Vorteile? Es gibt bei diesen Produkten schen die Vertragsparteien treten. Im Falle einer Krise häufig eine bessere Rendite, als wenn ich ein Produkt kommt es also darauf an, dass eine zentrale Gegenpartei über eine Bank erwerbe. Das liegt einfach daran, dass saniert und abgewickelt werden kann, ohne dass Störun- hier teure Intermediäre ausgeschaltet werden. Außerdem gen des Finanzsystems verursacht werden. Die europä- habe ich es mit kleineren Einzelrisiken zu tun. Ein prak- ischen Vorgaben sorgen nun für einen einheitlichen Rah- tisches Beispiel: Wenn ein Unternehmer eine bahn- men innerhalb der Europäischen Union. brechende Idee hat, für die Finanzierung dieser (Beifall bei der SPD) 10 000 Euro braucht, wird er, wenn er die entsprechenden Sicherheiten nicht hat, diese 10 000 Euro von einer Bank (B) Der Gesetzentwurf sieht – neben Änderungen im Wert- schwerlich bekommen. Für Venturecapital-Gesellschaf- (D) papiererwerbs- und Übernahmegesetz – außerdem ten ist diese Summe viel, viel zu klein. Hier bietet es gesetzliche Anpassungen vor, die die Aufsicht über Fac- sich an, 100 Personen zu finden, die auch an diese toring- und Leasinginstitute stärken sollen. Wir haben in Geschäftsidee glauben, und von denen jeweils 100 Euro der jüngsten Vergangenheit gesehen, dass hier Nachjus- einzusammeln. Damit sind wir bei 10 000 Euro. Das tierungsbedarf besteht. Wir alle sind immer davon ausge- funktioniert also. Wir haben es also, wie der Bänker gangen, dass Factoring ein relativ risikoarmes Geschäft sagt, mit einem für alle Seiten sehr positiven Delta zu ist, haben aber gesehen, dass auch das nicht vor Miss- tun; einer Win-win-Situation. brauch und Betrug gefeit ist. Deswegen wollen wir hier die Aufsicht verschärfen. Durch die Anwendung von Re- Wie funktioniert diese Anbahnung und Abwicklung gelungen, die unter anderem bereits für Kreditinstitute heutzutage? Wie die Staatsekretärin es eben versucht hat- gelten, zum Beispiel das Vieraugenprinzip, sollen Scha- te zu erklären: meistens über Internetplattformen. Hier densfälle früher erkannt und Gefahren besser abgewehrt finden Kapitalsuchende und Kapitalgeber zusammen. werden können. Das erfordert heute schon sehr viel Papierkram und Büro- kratie. Natürlich müssen bestehende Gesetze auch heute (Beifall bei der SPD) schon im Internet eingehalten werden. Das Kreditwesen- Meine sehr verehrten Damen und Herren, darüber gesetz, das Wertpapierhandelsgesetz, die Verbraucher- hinaus wollen wir mit diesem Gesetzentwurf noch ein schutzgesetze: Wir sind also schon sehr, sehr gut regu- paar andere Punkte in das Gesetzgebungsverfahren ein- liert. Aber diese Plattformen haben die Rechnung ohne bringen, worüber wir mit den Koalitionsfraktionen schon Brüssel gemacht. Die EU in ihrer gnadenlosen Regulie- in gutem Austausch stehen. Dazu werden sicherlich rungswut hat hier eine EU-Richtlinie und eine EU-Ver- gleich die Kollegen noch etwas sagen. ordnung erlassen, die die Bundesregierung jetzt mit die- sem Gesetzentwurf in nationales Recht umsetzen möchte. Es wird aber deutlich, glaube ich, dass das ein wichti- ges Gesetz zum einen für die Stärkung des unternehmer- Was möchte die EU machen? Sie möchte die Plattfor- ischen Schaffens in Deutschland, zum anderen aber auch men zulassungspflichtig machen. Sie möchte sie unter für die Finanzmarktregulierung und einen wirksamen eine europäische Aufsichtsbehörde stellen, und sie möch- Anleger- und Verbraucherschutz ist. Ich freue mich auf te die Informations- und Offenlegungspflichten erwei- die Beratung. tern. Wir als AfD sind ganz eindeutig gegen diesen Regu- lierungswahn. Wir als Parlament sehen uns nicht in der Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Rolle, diese Regulierungen aus Brüssel und die Gesetze, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten die dort auf den Weg gebracht worden sind, hier nur noch der CDU/CSU) durchzuwinken. 27800 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021

Stefan Keuter (A) (Zuruf des Abg. Stefan Schmidt [BÜND- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (C) NIS 90/DIE GRÜNEN]) Vielen Dank, Herr Kollege Keuter. – Nunmehr erhält das Wort Dr. Carsten Brodesser, CDU/CSU-Fraktion. Außerdem sehen wir die riesige Gefahr, dass das Markt- eintrittsrisiko für zusätzliche Plattformen erschwert wird, (Beifall bei der CDU/CSU) dass Marktanbieter verschwinden, und wir sehen die Ge- fahr der Oligopolbildung. Hier sind wir ganz klar dage- gen. Dr. Carsten Brodesser (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Frau Staatssekretärin! (Beifall bei der AfD) Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vielen Dank erst mal für den tosenden Applaus am Freitagnachmittag – sicher- Ich möchte aber inhaltlich nicht tiefer auf dieses The- lich nicht für mich, sondern als Vorschusslorbeeren für ma eingehen. Wir sind hier in der ersten Lesung. Wir den vorliegenden Gesetzentwurf. Wir werden im Laufe werden dieses Thema in den Ausschüssen noch beraten. der parlamentarischen Beratung feststellen, ob die Vor- Damit soll es hier gut sein. schusslorbeeren auch gerechtfertigt sind. Wir haben dann noch einen von den Grünen dazuge- Wir beraten in erster Lesung den Entwurf eines stellten Antrag über Restschuldversicherungen. Was das Schwarmfinanzierung-Begleitgesetzes. Wie der Name inhaltlich mit Schwarmfinanzierungen zu tun hat, vermuten lässt, geht es um Schwarmfinanzierung. Der erschließt sich mir nicht. Gut, da der Antrag von den Entwurf umfasst aber auch einen ganzen Schwarm diver- Grünen dazugestellt ist, möchte ich darauf noch kurz ein- ser EU-Rechtsakte aus verschiedenen Bereichen zur gehen. nationalen Umsetzung und weitere wichtige Regelungen. Dies ist ein ganz klarer ideologischer Antrag. Ihre Alle geplanten gesetzlichen Regelungen haben aber eins Strukturvertriebsrhetorik in dem Antrag stört uns ganz gemeinsam: Sie machen die Finanzplätze in Deutschland gewaltig. Sie haben offensichtlich als Grüne den Schuss und in ganz Europa leistungsfähiger und sicherer für den nicht gehört. Die deutsche Wirtschaft fährt vor die Wand, Verbraucher. Gerade in Bezug auf die steigende Zahl von und Sie haben nichts Besseres zu tun, als sich mit einem Start-up-Unternehmen, die sich oftmals durch sogenann- ganz kleinen Nebenprodukt von Krediten zu beschäfti- te Schwarmfinanzierungen auf den Weg machen, ist eine gen, europaweit einheitliche Regelung elementar wichtig. Kernbereich der EU-Verordnung sind Crowdinvesting- (Lachen des Abg. Stefan Schmidt [BÜND- Dienstleistungen, die sich mit der Vermittlung und dem NIS 90/DIE GRÜNEN]) individuellen Portfoliomanagement von Krediten sowie (B) nämlich den Restschuldversicherungen. der Anlagevermittlung und der Platzierung von übertrag- (D) baren Wertpapieren befassen. Mit der Verordnung wird (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- vor allem im Bereich des Wertpapierhandelsgesetzes eine NEN]: Wenn Ihnen nichts Besseres einfällt zivilrechtliche Haftung der Dienstleister eingebaut, wenn als Argument! – Stefan Schmidt [BÜND- sie gegenüber ihren Kunden irreführende oder sogar NIS 90/DIE GRÜNEN]: Ahnungslos!) unrichtige Informationen abgegeben haben; darauf hat die Parlamentarische Staatssekretärin bereits verwiesen. Wir als AfD sind gegen den staatlichen Eingriff in Märkte. Wir wollen diese Risikoprämien nicht reguliert Wir dürfen aber nicht verkennen, dass viele dieser jun- wissen. Ja, aus subjektiver Sicht mögen Restschuldver- gen Unternehmen nicht nur auf deutschen, sondern auch sicherungen vielleicht schon mal teuer erscheinen. Sie auf europäischen Finanzierungsplattformen unterwegs decken allerdings auch ein sehr hohes Risiko ab, nämlich sind, um sich Kapital zu besorgen. Neben ihrem Herzblut das Ausfallrisiko. Wenn ein Kreditnehmer ausfällt oder stecken sie meist auch schon mit ihren Ersparnissen in arbeitslos wird, – diesen Projekten, sodass wir aufpassen müssen, nicht durch eventuelles Gold-Plating den Haftungsbogen zu überspannen. Ansonsten würden uns in Deutschland Vizepräsident Wolfgang Kubicki: nämlich viele innovative Ideen und Unternehmen durchs Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss. Netz gehen. Wir regeln in dem Begleitgesetz aber auch die natio- Stefan Keuter (AfD): nale Umsetzung der Verordnung beim Paneuropäischen – dann decken diese Versicherungen dieses Risiko ab. Privaten Pensionsprodukt, kurz PEPP. In der Verordnung soll die zuständige Aufsichtsbehörde – bei uns ist das die (Stefan Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- BaFin – in ihrer Schlagkraft gestärkt werden. Sie umfasst NEN]: Sie müssen auch mal ein bisschen auf- die Regelung verwaltungsrechtlicher Sanktionen und passen!) anderer Maßnahmen bei Verstößen gegen die PEPP-Ver- An dieser Stelle bleibt mir nur noch, Ihnen ein frohes ordnung. Osterfest und ein schönes Wochenende zu wünschen. Was finden wir denn noch in diesem Schwarmfinanzie- Vielen Dank und alles Gute. rungsnetz? Da wäre unter anderem noch die Umsetzung der Verordnung zur Einführung von Sondervorschriften (Beifall bei der AfD – Zuruf des Abg. Johannes für die Sanierung und Abwicklung von zentralen Gegen- Schraps [SPD]) parteien. Ferner finden wir Anpassungen im Wertpapier- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021 27801

Dr. Carsten Brodesser (A) übernahmegesetz sowie Änderungen zum Börsengesetz Meine Damen und Herren, ich freue mich daher auf die (C) und anderer damit verbundener europarechtlicher weiteren Beratungen dieses Gesetzesnetzes. Über die Finanzmarktvorschriften. Größe der Maschen und den unerwünschten Beifang müssen wir allerdings noch reden. Lassen Sie uns im Der Gesetzentwurf zeigt aber auch, wie zeitnah wir als parlamentarischen Verfahren etwas Vernünftiges daraus Gesetzgeber auf Krisen reagieren können, indem er die machen! Stärkung der Factoring- oder Leasingaufsicht als Reak- tion auf Aufsichtsdefizite vorsieht, die sich für uns aus Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und frohe der AvP-Insolvenz ergeben haben; darauf wird der Kolle- Feiertage schon an dieser Stelle. Vielen Dank. ge Brehm später noch eingehen. Dadurch sollen Scha- densfälle und Schräglagen frühzeitiger identifiziert wer- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- den können. ordneten der SPD) Einen wichtigen Beifang, wenn ich mal in diesem Bild Vizepräsident Wolfgang Kubicki: bleiben darf, den wir ebenfalls mit dem Schwarmfinan- zierung-Begleitgesetz abfischen wollen, ist die Regelung Vielen Dank, Herr Kollege Brodesser. – Nunmehr der Provisionen bei Restschuldversicherungen. Rest- erhält das Wort der Kollege Frank Schäffler, FDP-Frak- schuldversicherungen sichern die Ratenzahlungen bei tion. Verbraucherdarlehen im Falle des Todes, der Arbeitsun- (Beifall bei der FDP) fähigkeit oder der Arbeitslosigkeit des Darlehensnehmers ab. Verbraucherschützer beklagen aber schon seit Jahren zu Recht überhöhte Provisionen in den Beiträgen zur Frank Schäffler (FDP): Restschuldversicherung. Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- ren! Das Schwarmfinanzierung-Begleitgesetz ist eher ein Die BaFin hatte selbst in zwei Marktuntersuchungen Sammelsurium an Gesetzen und weniger ein Schwarm, festgestellt, dass einzelne Anbieter Abschlussprovisionen der in die richtige Richtung geht. Es ist vielmehr eher ein von weit über 50 Prozent, in der Spitze sogar 79 Prozent, Hühnerhaufen. aufweisen. In vielen Fällen standen Vermittlungsleistung und Vergütung in keinem realistischen Verhältnis, und am Erstens geht es um die Schwarmfinanzierung an sich, Ende musste der Verbraucher die Zeche zahlen. so wie es der Name schon sagt. Hier müssen wir auf- passen, dass wir das Kind nicht mit dem Bade ausschüt- Wir hätten uns diesen ordnungspolitisch sicherlich dis- ten, sondern dass es gleiche Haftungsregeln für diese kutablen Eingriff in die freie Preisbildung gerne erspart. Kreditplattformen gibt und darüber hinaus nicht diese (B) Wir hätten es auch als besser empfunden, wenn die wichtigen Instrumente der Unternehmensfinanzierung (D) Anbieter auf die Marktuntersuchungen reagiert und im in Deutschland im Keim erstickt werden. Rahmen einer Selbstverpflichtung angemessene Ab- schlusskosten kalkuliert hätten. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Das Zweite ist: Die grenzüberschreitenden Altersvor- ordneten der SPD) sorgeprodukte sollen stärker geregelt werden. Das ist bis- lang ein großer Rohrkrepierer in Europa; denn dafür feh- Ferner hätten wir es als angebracht angesehen, wenn die len die sozialversicherungsrechtlichen Voraussetzungen BaFin im Rahmen ihrer Möglichkeiten gemäß § 48a VAG und auch die steuerlichen Voraussetzungen, dass es diese eingegriffen und die schwarzen Schafe oder, um wieder Produkte überhaupt gibt. in dem Bild zu bleiben, die faulen Fische aus dem Markt bzw. dem Netz genommen hätten. Da aber weder das eine Drittens geht es um die Folgen der AvP-Pleite, der noch das andere passiert ist, haben wir als Union im Sinne Pleite des Apothekenfinanzierers. Auch hier müssen der Verbraucher eine gesetzliche Regelung angemahnt, wir, finde ich, aufpassen, dass wir das Kind nicht mit die nun Teil dieser Beratung ist. dem Bade ausschütten. Denn wenn Sie, wie Sie es vor- haben, hier verbindlich zwei Geschäftsführer für Facto- Wir konnten in der Koalition eine grundsätzlich kon- ring-Unternehmen einführen, führt das zu einer ganz sensfähige Regelung finden, die sicher noch nicht jeden massiven Marktbereinigung. 80 Prozent der Factoring- glücklich macht, aber einen gangbaren Weg aufzeigt. Unternehmen in Deutschland sind Klein- und Kleinstun- Hier haben wir, um in der Bildsprache zu bleiben, das ternehmen. Wenn Sie denen einen zweiten Geschäftsfüh- Netz engmaschiger geknüpft und einen Provisionsdeckel rer aufs Auge drücken, dann werden die vom Markt ver- für den Abschluss von Restschuldversicherungen vorge- schwinden, obwohl sie überhaupt nicht systemrelevant nommen. Dabei darf die zu beschließende Regelung sind, zugleich aber in der Branche eigentlich eine ganz jedoch nicht dazu führen, dass entsprechende Versiche- wichtige Funktion – auch der Unternehmensfinanzie- rungen zukünftig nicht mehr angeboten werden oder der rung – erfüllen. Versicherungsschutz ausgehöhlt wird. Viertens. Sie regeln das Thema Restschuldversiche- Schließlich gibt es im vorliegenden Gesetzesschwarm rung. Das ist eigentlich, finde ich, das wirklich Proble- noch eine Regelung, welche die Pensionskassen, also die matische an diesem Gesetz; denn Sie machen etwas, was betriebliche Altersvorsorge, betrifft. Dort werden ganz völlig unnötig ist. wichtige und richtige Vorschläge unterbreitet, um die sicherlich schwierige Situation der Pensionskassen etwas (Johannes Schraps [SPD]: Wegen der hohen zu erleichtern. Provision, oder weshalb?) 27802 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021

Frank Schäffler (A) Unnötig deshalb, weil das alles schon gesetzlich geregelt Ein weiteres Thema – die Frau Staatssekretärin hat es (C) ist. auch angesprochen – ist die sogenannte Europarente, PEPP genannt, womit eine private, kapitalgedeckte (Johannes Schraps [SPD]: Dann hätte es vorher Altersvorsorge europaweit attraktiv gemacht werden ja geklappt!) soll, ein Europa-Riester sozusagen. Im Vergleich zu bis- – Nein, leider nicht. Es hat leider nicht geklappt. Es hat herigen Produkten hat dieses Modell sogar einige Vor- deshalb nicht geklappt, weil die BaFin, die dafür zustän- teile. Es gibt ja tatsächlich Menschen, die keinen Zugang dig ist, nicht einschreitet. Herr Brodesser hat es richtig- zur umlagefinanzierten gesetzlichen Rente haben; für sie erweise gesagt: § 48a VAG regelt, dass die BaFin bei der wäre so etwas hilfreich. Vertriebsvergütung, wenn sie falsche Anreize setzt, heute Trotzdem ist auch PEPP letztlich vor allen Dingen ein schon eingreifen kann. – Sie hat es nie gemacht, obwohl Goldesel für die Versicherungsbranche: In der EU wer- sie es hätte tun können. Da frage ich mich: Passt das nicht den Vorsorgeprodukte in Höhe von gut 700 Milliarden in die große Geschichte, die die BaFin in den letzten Euro verwaltet. Bis 2030 soll dieser Wert mithilfe der Wochen und Monaten in Deutschland dargelegt hat? PEPP auf bis zu 2,1 Billionen Euro steigen, also eine (Beifall bei der FDP) Verdreifachung erfahren. Gerade die großen Kapitalorga- nisatoren wie BlackRock oder Vanguard versprechen sich Dass sie eben im entscheidenden Moment nicht eingreift, hier ein Riesengeschäft. Das wird zu weiteren Ungleich- nicht handelt. gewichten auf den Finanzmärkten führen – eine proble- Wir brauchen deshalb nicht ständig neue Gesetze, son- matische Entwicklung. dern wir haben vor allem ein Vollzugsdefizit, unter ande- (Beifall bei der LINKEN) rem bei der BaFin. Sorgen Sie dafür, dass die BaFin da entsprechend tätig wird, dann brauchen wir nicht diese Und zahlreiche Untersuchungen zeigen die Schwächen tiefen Markteingriffe, die Sie hier vorschlagen. privatwirtschaftlicher Altersvorsorgeprodukte: hohe Kosten, geringe Rendite, fehlender sozialer Ausgleich Vielen Dank. sowie eine starke Abhängigkeit von konjunkturellen (Beifall bei der FDP) und spekulativen Schwankungen. Da helfen auch die zusätzlichen Regelungen im Detail in diesem Gesetzent- wurf nicht. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Danke schön. Vielen Dank, Herr Kollege Schäffler. – Nächster Red- ner ist der Kollege Jörg Cezanne, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) (B) (Beifall bei der LINKEN) (D) Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: Vielen Dank. – Das Wort geht an Stefan Schmidt von Jörg Cezanne (DIE LINKE): der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Schwarm- finanzierungen haben nichts mit der vielerorts betriebe- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) nen Schwarmintelligenz zu tun. Crowdfunding – der viel- leicht verbreitetere englische Name – kann allerdings vor Stefan Schmidt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): allem im Anfangsstadium eines Start-ups oder eines Pro- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und jektes eine nützliche alternative Finanzierungsquelle Kollegen! Zum Schwarmfinanzierung-Begleitgesetz sein. Für solche Start-ups oder kleine und mittlere Unter- wurde jetzt schon eine ganze Reihe von wichtigen Details nehmen sind Bankkredite oft schwer zu bekommen. Des- benannt. Schwarmfinanzierungsdienstleister sollen in halb ist hier eine verlässliche Regulierung gut und wich- Zukunft unkompliziert EU-weit tätig sein dürfen. Das tig. ist gut, und zwar nicht nur für junge, innovative Unter- Es geht in der Regel aber nicht um die Finanzierung nehmen, die neue Finanzierungswege suchen. Das ist eines Dorfladens, sondern um Beträge in Millionenhöhe – auch gut für Anlegerinnen und Anleger, die ihr Geld in diesem Gesetzentwurf bis zu 5 Millionen Euro; es gibt grenzüberschreitend in crowdfinanzierte Projekte stecken auch noch größere Investitionen. Und weiter: Investitio- wollen. nen im Bereich der Schwarmfinanzierung sind riskant, Ich frage mich aber – das müssen wir in der Anhörung weil ohne Einlagenfinanzierung eigentlich immer ein sicherlich noch vertieft diskutieren –: Reichen die Totalverlust droht. Auf dem deutschen Markt kam es Schutzmechanismen aus, um insbesondere weniger von 2011 bis 2019 zu kumulierten Ausfallraten von erfahrene Anlegerinnen und Anleger ausreichend zu 30 Prozent – ein weiterer Grund für eine gute Regulie- schützen? Denn gerade bei risikoreichen Vermögensan- rung. lagen sollten wir genau hinschauen und ordentlich prü- Aus unserer Sicht sollte am besten ein präventives fen. Instrument – sagen wir mal: ein Plattform- oder Projekt- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- träger-TÜV – eingeführt werden. Zumindest aber muss SES 90/DIE GRÜNEN) die BaFin, über die die Zulassung läuft, laufende Trag- fähigkeits- und Mittelverwendungskontrollen durchfüh- Das sind wir den vielen Anlegerinnen und Anlegern schuldig. ren. Das gilt insbesondere für noch größere Emissionen als die hier in diesem Gesetz geregelten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021 27803

Stefan Schmidt (A) Wir diskutieren nicht nur das Schwarmfinanzierung- Ingrid Arndt-Brauer (SPD): (C) Begleitgesetz, sondern die Koalition hat da auch noch Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und das Thema Restschuldversicherung drangehängt. Sie Kollegen! Meine Damen und Herren! Das Schwarmfi- müssen jetzt aufpassen, Herr Keuter; dann lernen Sie nanzierung-Begleitgesetz – das wurde von vielen Vorred- noch ein bisschen, wie die parlamentarischen Prozesse nern schon erwähnt – ist die Umsetzung verschiedener so sind. Bereits vor zwei Jahren gab es schon mal einen EU-Rechtsakte. Referentenentwurf zur Deckelung von Abschlussprovi- Die zivilrechtliche Haftung der Dienstleister in der sionen. Der verschwand dann lange Zeit in der Schub- Schwarmfinanzierung soll eingeführt werden. Ich finde lade. Jetzt kommt er wieder raus – zum Glück, sage ich. das ganz wichtig. Wenn irreführende oder unrichtige Allerdings: „Was lange währt, wird endlich gut“, trifft Informationen gegeben worden sind oder es unterlassen hier nicht ganz zu. Da fehlt es noch ein bisschen. Denn wurde, Informationen mitzuteilen, die für sinnvolle Anla- ein Provisionsdeckel von 2,5 Prozent der Darlehenssum- geentscheidungen erforderlich sind, dann wird es eine me ist aus unserer Sicht zu hoch und begrenzt nur unzu- zivilrechtliche Haftung geben. Ich finde, das ist eine reichend, dass falsche Anreize für Versicherungsvermitt- sehr wichtige Regelung, die wir schaffen werden. ler gesetzt werden. (Beifall bei der SPD) Für uns ist klar: Für echten Verbraucherschutz reicht ein Provisionsdeckel bei Restschuldversicherungen allein Auch soll die Factoring- und Leasingaufsicht gestärkt nicht aus; es braucht noch mehr. Das will ich kurz dar- werden. Darüber hinaus dient der Gesetzentwurf der Um- stellen: setzung weiterer EU-Rechtsakte im Bereich Finanz- marktrecht; das ist schon angesprochen worden. Erstens. Wir brauchen ein doppeltes Preisschild. Wir Das Schwarmfinanzierungsgesetz ist eine Finanztech- haben das in unserem Antrag näher ausgeführt. nologielösung, die kleinen und mittleren Unternehmen, Zweitens. Kredit und Restschuldversicherung müssen vor allem Start-ups und expandierenden Unternehmen, zeitlich voneinander entkoppelt werden. Derzeit wird der einen alternativen Zugang zu Finanzmitteln bieten soll. Versicherungsvertrag oft zusammen mit dem Kreditver- Wir wissen alle, dass sich Banken immer mehr rauszie- trag abgeschlossen. Da wundert es doch wirklich nieman- hen aus der Finanzierung der kleinen und mittleren Un- den, dass viele den Eindruck haben, dass es den Kredit ternehmen. Ich denke, es ist wichtig für diesen Bereich, nur zusammen mit der Restschuldversicherung gibt. Dass dass wir da eine Lösung schaffen. Restschuldversicherungen freiwillig sind, das müssen wir (Beifall bei der SPD) allen Menschen klarmachen. (B) Wir müssen bei der Haftungsfrage vielleicht ein biss- (D) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) chen aufpassen, dass wir die Intention des Gesetzes nicht konterkarieren. Wir wollen nicht, dass die Haftung so Der dritte Punkt, der fehlt: Die Restschuldversicherung gestrickt ist, dass es für Firmen unattraktiv wird, sich sollte nicht aus dem Kredit finanziert werden, sondern hier in Deutschland niederzulassen und hier zu agieren; durch einen monatlichen Versicherungsbeitrag. Das ent- das ist ganz klar. Aber ich denke, da werden wir in der lastet die Verbraucherinnen und Verbraucher, weil für die Beratung alle drauf achten. Versicherungsbeiträge keine Zinsen anfallen. Restschuld- versicherung und Kredit, das sind doch zwei Paar Stiefel, Am Ende einer Legislaturperiode ist es üblich, dass und die müssen auch so behandelt werden. man Restanten, die man noch irgendwo hatte, draufpackt; alle, die länger hier sind, wissen das. Deswegen haben (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) wir drei Restanten draufgepackt: Erster Zusatz. Wir werden den Provisionsdeckel für All diese wichtigen Forderungen müssen neben dem die Restschuldversicherung anfassen und die Abschluss- Provisionsdeckel erfüllt sein. Sie können sich in unserem provision auf 2,5 Prozent der Vertrags- und Darlehens- Antrag bedienen; da haben wir das, glaube ich, im We- summe begrenzen. Ich finde, das ist ein wichtiges Vor- sentlichen sehr gut auf den Punkt gebracht. Dann müssen haben. Sie die Restschuldversicherung auch nicht mehr so ein bisschen verschämt hinter dem Schwarmfinanzierung- Der zweite Zusatz. Wir werden den Pensionskassen die Begleitgesetz verstecken. Ich freue mich auf die Beratun- Möglichkeit eröffnen, durch eine Satzungsänderung die gen. Rahmenbedingungen für Unterstützungszahlungen – Nachschüsse – von Arbeitgebern zu verbessern. Ich danke Ihnen. Schönen Tag, schönes Wochenende und schöne Feiertage! Last, not least soll als dritter Zusatz eine Änderung des Zahlungskontengesetzes eingebracht werden, und zwar dahin gehend, dass die BaFin mit dem Betrieb einer staat- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) lichen Vergleichswebseite für Zahlungskonten beauftragt wird. Wir haben hier schon mehrmals darüber diskutiert, Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: dass es ohne vergleichende Zahlungskontenwebseite für Vielen Dank. – Das Wort hat Ingrid Arndt-Brauer von die Verbraucher schwierig ist, Kredite zu vergleichen, der SPD-Fraktion. Kreditsituationen zu vergleichen und sich die Kredite ent- sprechend zu verschaffen. Deswegen ist es gut, dass wir (Beifall bei der SPD) das hier regeln. 27804 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021

Ingrid Arndt-Brauer (A) Ich denke, alles in allem haben wir einen guten Gesetz- fälschlich aufgeführt sind. Es ist notwendig, dass wir von (C) entwurf vorgelegt. Wir werden ihn im Rahmen der Bera- Anfang an für Vertrauen in diese Finanzierungsformen tungen vielleicht noch verbessern können. Deswegen bin sorgen. Das tun wir heute mit dem Gesetzentwurf. ich sicher, wir werden am Ende ein sehr gutes Gesetz für die Verbraucherinnen und Verbraucher zuwege bringen. Lassen Sie mich noch zwei Punkte ansprechen. Worü- ber wir, glaube ich, noch diskutieren müssen, ist die bis- Vielen Dank. herige Höchstgrenze von 5 Millionen Euro als Gesamt- investment und die bisherige Ausklammerung von (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten GmbH-Anteilen in dieser Form. Darüber müssen wir, der CDU/CSU) glaube ich, noch mal diskutieren, weil das den Markt unnötig beschränkt. Deswegen würden wir im parlamen- Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: tarischen Verfahren darüber noch einmal reden wollen. Vielen Dank. – Als letzten Redner in der Debatte hören wir Sebastian Brehm von der CDU/CSU-Fraktion. Ein weiteres, den Gesetzentwurf begleitendes und aus meiner Sicht sehr wichtiges Vorhaben ist die Stärkung der (Beifall bei der CDU/CSU) Factoring- und Leasingaufsicht. Hier gab es ja in der jüngeren Vergangenheit einige Fälle, nicht zuletzt die Insolvenz der Apotheken-Abrechnungsstelle AvP. Wir Sebastian Brehm (CDU/CSU): wollen die Erfahrungen aus genau diesem Verfahren, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! aus der Insolvenz des Zahlungsdienstleisters AvP, durch Heute ist ein guter Tag für alle Start-ups in Deutschland. die die Apothekerinnen und Apotheker einen erheblichen Gerade vor einer Stunde haben wir mit der ersten Lesung Schaden erlitten haben, in die Beratungen einbringen und das Fondsstandortgesetz in das parlamentarische Verfah- für die Zukunft ein sicheres System schaffen. Dafür sind ren gegeben. Dabei geht es um Finanzierungsformen für drei Schritte notwendig: erstens die Einführung eines institutionelle Anleger und Venturecapital-Fonds, also Vieraugenprinzips, also zwei Geschäftsführer oder Wagniskapitalgeber. Jetzt geben wir mit der ersten Le- Geschäftsleiter, zweitens die Erweiterung der Instrumen- sung das sogenannte Schwarmfinanzierunq-Begleitge- te zur Aufsicht durch die BaFin und drittens die Prüfung, setz in das parlamentarische Verfahren. in welchen Bereichen Treuhandkonten für die Kunden Wir regeln jetzt die Finanzierung von kleinen Vorha- geführt werden müssen. Aber hier ist – der Herr Kollege ben über viele Beteiligte, das sogenannte Crowdfunding. Schäffler hat richtigerweise darauf hingewiesen – Augen- Schwarmfinanzierung ist – das haben wir heute schon maß gefragt. Wir wollen nicht alle Formen von Leasing, gehört – nichts anderes als Crowdfunding. Crowdfunding alle Formen von Factoring und alle Gesellschaften in (B) ist Neudeutsch: Das ist das Einsammeln von Kapital über einen Topf werfen, sondern wir tun das dort, wo das not- (D) Internetplattformen für viele kleine Projekte bei vielen wendig ist, dort, wo zu regulieren ist. Deswegen müssen Kleinanlegern. Diese Finanzierungsmöglichkeiten beste- wir im parlamentarischen Verfahren entsprechende Mög- hen abseits von konventionellen Banken und Kapital- lichkeiten schaffen. Gleichzeitig müssen wir aber auch marktmöglichkeiten und abseits vom klassischen Kredit- Missbrauch verhindern, damit so was wie bei der AvP geschäft. nicht mehr passiert. Wir brauchen diese mutigen Start-up-Unternehmer, Ich habe noch 45 Sekunden, die verschenke ich. und wir brauchen genauso diese mutigen Investoren, die hier investieren; denn die jungen Unternehmen von heute (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der sind vielleicht die großen Player von morgen. Deswegen SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- müssen wir auch am Standort Deutschland sicherstellen, NEN) dass es auf diese Art und Weise einen Zugang zu Eigen- Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende und im Vor- kapital gibt. griff schon mal ein gesegnetes Osterfest. Herr Kollege Keuter, Sie haben gesagt, es wird alles Vielen Dank. komplizierter. Sie haben, glaube ich, den Gesetzentwurf nicht zu 100 Prozent gelesen. Wir setzen mit diesem (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Gesetzentwurf zahlreiche EU-Richtlinien um und schaf- neten der SPD – Michael Grosse-Brömer fen Klarheit durch Bürokratieabbau, durch ergänzende [CDU/CSU]: Jetzt waren es nur noch 30 Sekun- Klarstellungen, durch bessere Kontrollmöglichkeiten, den, aber immerhin!) aber natürlich auch durch entsprechende Straftatbestände und konsequente Strafen bei Missbrauch. Aus meiner Sicht ist das ein wichtiger Punkt in diesem Gesetzentwurf Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: zur Umsetzung der Richtlinie. Wir danken auch. Herzlichen Dank. – Ich schließe die Aussprache. Aufgrund dieser relativ jungen Branche liegen die Herausforderungen eben in einer sinnvollen, gleichzeitig Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf bürokratiearmen, aber dennoch notwendigen Regulie- den Drucksachen 19/27410 und 19/14386 (neu) an die rung. Der Gesetzentwurf setzt dieses um. Deswegen füh- in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge- ren wir auch die zivilrechtliche Haftung für die Angaben schlagen. Gibt es weitere Überweisungsvorschläge? – im Basisinformationsblatt zu Anlageprodukten ein und Das sehe ich nicht. Dann verfahren wir wie vorgeschla- entsprechende Bußgeldtatbestände, wenn dort Angaben gen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021 27805

Vizepräsidentin Dagmar Ziegler (A) Ich rufe die Tagesordnungspunkte 39 a und 39 b sowie Unser Vorschlag ist deshalb, den Straftatbestand der (C) Zusatzpunkt 33 auf: Tierquälerei aus dem Tierschutzgesetz tatsächlich in das Strafgesetzbuch, also in das Kernstrafrecht, zu überfüh- 39 a) Erste Beratung des von den Abgeordneten ren und für einige Fälle einen höheren Strafrahmen vor- Renate Künast, Friedrich Ostendorff, Canan zusehen, meine Damen und Herren. Bayram, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ein- Es vergeht ja im Augenblick kaum ein Monat, in dem gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur wir nicht von massiven Verstößen gegen den Tierschutz Änderung des Strafgesetzbuches und des hören. Ich will zwei, drei Beispiele nennen: Tierschutzgesetzes Das eine ist der ganze Bereich der Tiertransporte; das Drucksache 19/27752 haben wir auch im Ausschuss mit vielen Fachleuten besprochen. Wir haben Fälle, in denen, sagen wir mal, Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f) 136 Rinder – gerade wieder bekannt geworden – im Lkw Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz von Aurich bis nach Marokko geschickt werden mit nur b) Beratung der Beschlussempfehlung und des einem Fahrer, wo eigentlich zwei hingehören und wo die Berichts des Ausschusses für Ernährung und Rinder am Ende in der Hitze der Wüste enden, ohne dass Landwirtschaft (10. Ausschuss) zu dem An- auf der Fahrt die Tierschutzregeln eingehalten werden, trag der Abgeordneten Dr. Gero Clemens was Fütterung, Kühlung usw. betrifft. Hocker, Frank Sitta, Carina Konrad, weiterer Ein zweites Beispiel ist die illegale Schächtung, meine Abgeordneter und der Fraktion der FDP Damen und Herren. Ein Fall in Nordrhein-Westfalen wurde Anfang der Woche gerade öffentlich, wo auf Einhaltung von Tierschutzrecht wirksam einem Schlachthof Rinder und Schafe bei lebendigem und effizient kontrollieren Leib an einer Kette aufgehängt und bei vollem Bewuss- Drucksachen 19/6285, 19/10790 tsein ausgeblutet werden. Das ist nicht zulässig. Es ist bekannt, dass diese kriminelle Energie in diesem ZP 33 Beratung der Beschlussempfehlung und des Schlachtbetrieb vorherrscht, und es wird nichts getan, Berichts des Ausschusses für Ernährung und meine Damen und Herren. Angeblich wird regelmäßig Landwirtschaft (10. Ausschuss) zu dem Antrag kontrolliert. Das darf so nicht weitergehen. der Abgeordneten Stephan Protschka, Peter Felser, Franziska Gminder, weiterer Abgeordne- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ter und der Fraktion der AfD Es gibt auch einen Schlachthof in Biberach, in dem (B) (D) Verbesserung der Tierschutzkontrollen in der Rinder kaum betäubt wurden, minutenlang Höllenqualen landwirtschaftlichen Nutztierhaltung aushalten mussten, unter Angst und Panik litten, und die Amtsveterinärin hat offenbar nicht eingegriffen, meine Drucksachen 19/16055, 19/17201 Damen und Herren. Für die Aussprache ist eine Dauer von 30 Minuten Ein letztes Beispiel wären die Stallbrände. Sicher kann beschlossen. Ich bitte um schnellen Platzwechsel. hier oder da mal die Technik komplett ausfallen. Aber Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Renate die, die die Ställe mit der entsprechenden Software her- Künast von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. stellen, sagen uns: Dann kriegst du die Meldung, dass der Kontakt verloren gegangen ist. – Meine Damen und Her- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ren, es gehört aber zur Fürsorgepflicht, in einem solchen Fall auch hinzugehen und zu gucken, was los ist. 5 000 Brände jedes Jahr in landwirtschaftlichen Betrie- Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): ben! Hunderte von Tieren, die sterben! Meines Erachtens Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! muss das strafrechtlich geahndet und mindestens als grob Tierquälerei gehört erstens überhaupt und zweitens stren- fahrlässig eingestuft werden. ger bestraft. Wir reden ja in Deutschland in den letzten Jahren sehr viel über Tierwohl. Aber dabei wird ganz oft (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) übersehen, dass der grundlegende Tierschutz oftmals gar Unser Vorschlag zur Durchsetzung des Tierschutzes, nicht gewährleistet ist. meine Damen und Herren, ist, dass wir erstens den Wir reden auf der einen Seite über die Borchert-Kom- Grundtatbestand des § 17 Tierschutzgesetz nehmen und mission und in dem Zusammenhang über die Honorie- ins Strafgesetzbuch überführen, damit er wirklich Teil rung besonderer Arbeit, eines besonderen Aufwandes; des Kernstrafrechts und für jeden Staatsanwalt und jede und das ist richtig. Staatsanwältin in der gesamten Ausbildung sichtbar ist. Die andere Seite der Medaille ist aber: Wer in Deutsch- Zweitens muss das Strafmaß erhöht werden. Wenn Sie land in der Nutztierhaltung oder beim Schlachten Tiere den Strafrahmen von drei Jahren mit vielen anderen Re- quält, kann immer noch ziemlich sicher sein, dass er oder gelungen vergleichen, sehen Sie, dass er zu niedrig ist, sie dafür von amtlichen Stellen nicht zur Rechenschaft meine Damen und Herren. Wir sagen diesen Menschen: gezogen wird, und das wollen wir ändern. Ihr dürft Tiere halten, auch Hunderte oder Tausende – wir nennen diese Tiere auch „Mitgeschöpfe“; sie brauchen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) artgerechte Haltung –, aber wir stellen auch Anforderun- 27806 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021

Renate Künast (A) gen und sagen: Du kannst nicht mit Tausenden von Tieren (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – (C) so umgehen. – Deshalb ist unser Vorschlag: Der Straf- Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- rahmen muss auf fünf Jahre hochgesetzt werden. NEN]: Sie müssen das lesen! Lesen!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie wollen jetzt erstens § 17 des Tierschutzgesetzes in § 141 Absatz 1 des Strafgesetzbuches überführen. Zu- Ich möchte sagen, für welche Fälle das gelten soll – es nächst einmal ist es rechtssystematisch schlichtweg soll nicht der Normalfall sein –: Für Amtsträger oder falsch, Spezialrecht in die Grundnormen zurückzuholen. Tierhalter, die solche Straftaten begehen, muss der Straf- Ich frage mich aber, warum Sie es wollen. Jetzt habe ich rahmen auf fünf Jahre hochgesetzt werden. Das Gleiche Ihren Gesetzentwurf hier und lese Ihre Begründung bzw. gilt, wenn sie bandenmäßig oder gewerbsmäßig began- Ihre Problembeschreibung. gen werden. Es stimmt: Wir haben in der gewerblichen und in der Wir brauchen auch eine Bestrafung der Fahrlässigkeit. landwirtschaftlichen Tierhaltung ein Problem, und zwar Manche fragen an dieser Stelle – das ist mein letzter im Vollzug. Gedanke, Frau Präsidentin –: Ist das ein Misstrauen gegenüber den Tierhalterinnen und Tierhaltern? Nein, (Dr. Gero Clemens Hocker [FDP]: Richtig!) meine Damen und Herren, das ist die andere Seite der Borchert-Idee. Wenn wir auf der einen Seite sagen: Wir haben Kontrolldefizite, Vollzugsdefizite. „Gute Haltung und Aufwand werden honoriert“, dann (Dr. Gero Clemens Hocker [FDP]: Dafür muss auf der anderen Seite auch klar sein, dass die, die brauchen wir keine neuen Gesetze!) mit Tieren strafbar umgehen, ein Entdeckungs- und Ver- urteilungsrisiko eingehen, statt wie bis heute einen Wett- Sie versuchen nicht mal, sich dem Problem zu nähern. Sie bewerbsvorteil zu haben. Deshalb bitten wir um Zustim- versuchen es nicht mal im Ansatz. Sie haben keine Idee, mung. keinen Lösungsvorschlag, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Dr. Gero Clemens Hocker [FDP]: Da hat sie recht, Frau Künast! Das stimmt schon!) Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: und ich sage Ihnen auch, warum: weil es Ländersache ist. Danke schön. – Das Wort geht an Silvia Breher von der Der Vollzug ist Ländersache. CDU/CSU-Fraktion. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der CDU/CSU) NEN]: Deshalb muss es ja auch ins Strafrecht!) (B) An dieser Stelle muss ich mal sagen, liebe Grünen: Sie (D) Silvia Breher (CDU/CSU): werden Ihrem eigenen Anspruch nicht gerecht. Ich habe Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen einen Ausdruck von Ihrer Internetseite. Da steht: und Kollegen! Nach diesen Worten möchte ich zunächst Wir wollen das Strafrecht ausschließlich zu seinen mal Danke sagen und meinen Respekt allen Landwirtin- eigentlichen Zwecken einsetzen: Strafrecht als nen und Landwirten aussprechen, die im Stall und auf schärfster Eingriff des Staates in die Freiheitsrechte dem Acker jeden Tag für unsere Lebensmittel arbeiten, darf nur letztes, nicht erstes Mittel der Politik sein. und das mit höchster Qualität und nach höchsten Stan- dards. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der FDP – Beifall der Abg. Renate (Beifall bei der CDU/CSU) Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Frau Künast, Sie können es einfach nicht lassen. Tier- Dr. Gero Clemens Hocker [FDP]: Gut recher- schutz ist nicht teilbar! Sie aber teilen ihn immer und chiert!) immer wieder. Sie müssen differenzieren, statt Keile zu Vielleicht denken Sie mal ganz kurz nach und werden treiben. In Ihrer Begründung führen Sie aus: Die land- Ihrem eigenen Anspruch gerecht. wirtschaftliche Tierhaltung und die gewerbliche Tierhal- tung, unsere Bäuerinnen und Bauern sind uns allesamt Sie, Frau Künast, wünschen sich zweitens Strafver- gleich viel wert, egal ob sie viel oder wenig Fläche haben schärfungen und in § 141 Absatz 2 dann entsprechend und ob sie Tiere halten; sie alle verdienen unseren Res- für Tierhalter, Tierbetreuer und Amtsträger eine Frei- pekt. heitsstrafe von bis zu fünf Jahren und Geldstrafen. Unab- hängig davon, dass Sie dann Tierquälerei der Körperver- Sie wollen jetzt § 17 des Tierschutzgesetzes in das letzung gleichstellen, denke ich tatsächlich, dass es Ihnen Strafgesetzbuch überführen. Nach Ihren Ausführungen nicht um die Sache geht. Es ist eine Abrechnung. Es ist habe ich ja gedacht, Sie wollen die Strafverschärfung wieder eine Anklage. nur für die landwirtschaftliche Tierhaltung und die gewerblichen Tierhalter. Und wissen Sie was? Ich denke (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- das immer noch. Wenn ich aber Ihren Gesetzentwurf lese, NEN]: Nein! 800 Schweine zu quälen, ist zeigt sich etwas anderes: In der Begründung steht näm- doch mindestens wie Körperverletzung!) lich drin, dass das selbstverständlich für alle Bürgerinnen Es ist wieder eine Anklage der landwirtschaftlichen Tier- und Bürger gilt. – Natürlich gilt das Strafgesetzbuch für haltung. alle Bürgerinnen und Bürger. Darüber sollten Sie viel- leicht noch mal ganz kurz nachdenken und es klarstellen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021 27807

Silvia Breher (A) Noch mal, Frau Künast: Sie fordern Strafverschärfun- Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: (C) gen. Jetzt messen Sie sich mal an Ihren eigenen Worten. Danke. – Das Wort an geht Wilhelm von Gottberg von Wir haben in dieser Woche hier im Haus Strafverschär- der AfD-Fraktion. fungen vorgenommen, und zwar für den Bereich der Kin- derpornografie und des Kindesmissbrauchs. (Beifall bei der AfD) (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Echt schwach!) Wilhelm von Gottberg (AfD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Ge- Ihre Worte, Ihre eigenen Worte, Frau Künast, als es im setzentwurf zum Tierschutz konstatiert erhebliche Män- vergangenen Jahr darum ging, lauteten – ich zitiere Sie –: gel bei der Einhaltung der Tierschutzbestimmungen. Das „Das reflexhafte Rufen nach mehr Strafen im Gesetzbuch ist die Sichtweise der grünen Partei und ihrer Mitglieder. hat noch kein Kind geschützt.“ Die AfD-Fraktion im Deutschen Bundestag hat eine (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- andere Sichtweise. NEN]: Ja! – Dr. Gero Clemens Hocker Die Wertschätzung der Landwirtschaft, insbesondere [FDP]: Hört! Hört! – Zuruf von der FDP: Das die der tierhaltenden Betriebe, leidet allgemein unter passt zu den Grünen!) den Einzelfällen, bei denen es zu Verstößen gegen gelten- Mir sind in diesem Fall die Kinder mehr wert. des Tierschutzrecht kommt. Bei einer Bestandsaufnahme aus dem Jahr 2017 wurden von knapp 30 000 kontrollier- (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: ten Betrieben 4 Prozent auffällig. Aber das waren nicht Das ist wohl das Letzte!) Bauern, das waren Hobbytierhalter. Deswegen wollen wir bei dieser Debatte den Hunderttausenden Bauern Sie fordern hier mehr Strafen, und an anderer Stelle leh- danken, die sich tagtäglich um ihre Tiere kümmern und nen Sie es ab. durch ihr erwirtschaftetes Einkommen eine tierschutzge- (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- rechte Nutztierhaltung dauerhaft ermöglichen. NEN]: Das ist ja eine AfD-Rede!) (Beifall bei der AfD) Überlegen Sie mal ganz kurz: Halten Sie sich an Ihre eigenen Aussagen? Aber klar ist auch: Um Tierschutz zu ermöglichen, müssen die ökonomischen Rahmenbedingungen in der (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Nutztierhaltung vorhanden sein. Es ist anzuerkennen, Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- dass Frau Klöckner mit dem Kompetenznetzwerk Nutz- (B) NEN]: Ich schäme mich für Ihre Rede! – tierhaltung diesen Aspekt im Auge hat. (D) Gegenruf des Abg. Dr. Gero Clemens Hocker [FDP]: Schämen Sie sich selbst!) (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Es kommt aber nichts! Ich sehe nichts!) Wir gehen tatsächlich einen anderen Weg. Wir haben einen Entschließungsantrag eingebracht, und die Agrar- Die behördlichen Kontrollen hinsichtlich Tierschutz ministerkonferenz folgt dem. Wir wollen nämlich die haben einen hohen gesellschaftlichen Stellenwert. Die Kontrollen vor Ort verbessern. Wir wollen die Länder Bediensteten der Kreisveterinärbehörden sind qualifiziert in ihren Zuständigkeiten bestärken, und erledigen diese Aufgabe zufriedenstellend. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Verehrte Antragsteller der grünen Partei, wir können NEN]: Wollen Sie jetzt das Strafgesetzbuch nicht erkennen, dass dieser Gesetzentwurf einen tatsäch- abschaffen, oder was? Sie reden ja wie ein lichen Mehrwert in der Sache bringen würde. Sie tragen Brummkreisel! Wollen Sie es abschaffen, doch in Ihrem Entwurf selbst vor, dass Sie im Grunde oder nicht?) lediglich § 17 des Tierschutzgesetzes in den derzeit unbe- setzten § 141 Strafgesetzbuch überführen wollen. Mit der damit wir tatsächlich zu besseren Kontrollen kommen. Verbannung des Straftatbestandes der Tierquälerei aus Und warum machen wir das? Aus einem komplett ande- dem Nebenstrafrecht Tierschutzgesetz und dessen Auf- ren Grund als dem, aus dem Sie es machen. Schauen Sie nahme in das Strafgesetzbuch betreiben Sie vor dem Hin- in Ihren Gesetzentwurf; da steht der entscheidende tergrund des Artikels 20a Grundgesetz mehr Deklara- Grund. In Satz 2 der Problemdarstellung steht: Die tionspolitik als Kreaturschutz, meine Damen und Herren. Recherchen investigativer Journalisten und Tierschutzor- ganisationen nehmen wir zum Anlass – sozusagen als (Beifall bei der AfD) Kronzeugen – für eine Strafverschärfung. Wir können uns jedenfalls nicht vorstellen, dass Wir versuchen, die Kontrollen zu verbessern und die potenziellen oder tatsächlichen Tierquälern durch die Vollzugs- und Kontrolldefizite zu beseitigen, um genau von Ihnen angedachte Maßnahme der Überführung in dem, nämlich Einbrüchen und Hausfriedensbruch von das Strafrecht die Knie schlottern, zumal Sie den Straf- Tierrechtsaktivisten, die Grundlage zu entziehen. Ihren rahmen im Grundtatbestand des § 141 Absatz 1 dieses Gesetzentwurf lehnen wir ab. Entwurfs unverändert aus dem Tierschutzgesetz überneh- men. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Gero Clemens Hocker [FDP]: So stört man die Grünen! Wenn (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- es zur Sache geht, haben die keine Ahnung!) NEN]: Muss man ja auch!) 27808 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021

Wilhelm von Gottberg (A) Inhaltlich diskutieren am vorliegenden Entwurf kann (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der (C) man die neu zu schaffenden Absätze 2 bis 6, aber bitte Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- im Kleid des Tierschutzgesetzes. NEN]) (Beifall bei der AfD) Wir haben ungefähr 700 bis 800 Verurteilungen wegen Meine Damen und Herren, der Gesetzentwurf sugge- Tierquälerei in Deutschland jährlich. Das ist nicht viel riert, dass bei Aufnahme des Tierschutzes in das Strafge- angesichts der großen Anzahl von Tieren, die wir in setzbuch Tierschutzverletzer von ihren Missetaten abge- ganz Deutschland haben, von ganz klein bis riesengroß. halten werden. Das ist eine blauäugige Illusion. Glauben Bei gut 80 Millionen Einwohnern und einem Mehrfachen Sie doch bitte nicht, dass der hier in Rede stehende Perso- an Tieren stellt sich aber die Frage: Wird eigentlich Tier- nenkreis ständig mit dem Strafgesetzbuch unter dem Arm quälerei ausreichend angezeigt? Wird weggeschaut? herumlaufen wird! Der frühere FDP-Bundesinnenminis- Wird ignoriert? Wird mal bewusst nicht wahrgenommen, ter Maihofer wusste schon vor 40 Jahren, dass der Ver- weil sie von Freunden begangen wird, von Bekannten, fassungsminister nicht jeden Tag mit der Verfassung von Nachbarn, von Verbands- und Arbeitskollegen? Es unter dem Arm herumlaufen kann. ist aber auch möglich, dass Behörden weggucken. Der Gesetzentwurf beinhaltet Detailversessenheit, Um das noch mal an Zahlen von 2012 bis 2016 zu Staatsgläubigkeit und Misstrauen gegenüber unseren verdeutlichen – neuere Zahlen gibt es nicht, aber groß- Tierhaltern. Er würde zu weiterem Bürokratieaufwand artig verbessert haben dürften die sich nicht –: Die Täter führen. wurden in 90 Prozent der Verfahren mit einer Geldbuße belegt. In 90 Prozent der restlichen Verfahren gab es eine Je mehr der Staat in die Hand nehmen will, desto kras- Bewährungsstrafe. Also gab es bei 1 Prozent Freiheits- ser werden die Schwächen allen staatlichen Handelns strafen. In keinem Falle ist der Rahmen von drei Jahren offenbar. Ziel muss es sein, eine Mehrbelastung bei den Freiheitsstrafe ausgeschöpft worden. Die Erhöhung der Betrieben zu verhindern und die bestehenden Kontroll- möglichen Freiheitsstrafe auf fünf Jahre reißt es nicht systeme effektiver zu nutzen. Effizienzsteigerung, Frei- wirklich raus, wenn in den früheren Jahren nicht mal heit und Vertrauen sowie Stärkung der Eigenverantwort- drei Jahre verhängt worden sind. Selbst wenn es inzwi- lichkeit sind unsere zielführenden Ansätze. schen ein-, zweimal passiert ist, scheint das nicht das Danke. richtige Mittel zu sein. Tierhaltungsverbote wurden viel zu wenig und viel zu kurzzeitig ausgesprochen. Auch da (Beifall bei der AfD) hätte man mehr machen können. Was kann man zur Verbesserung der Lage tun? Jeden- (B) (D) Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: falls geschieht das nicht mit diesen Vorlagen, denke ich Danke schön. – Das Wort geht an Susanne Mittag von mal. Die Kontrollintervalle erhöhen – das wurde erwähnt. der SPD-Fraktion. Ja, schön, aber es dürfte ja wohl allen bekannt sein, dass (Beifall bei der SPD) Kontrollen Ländersache sind. Das Prinzip der Konnexität dürfte auch allen bekannt sein: Wer die Musik bestellt, bezahlt sie auch. Wenn wir also mehr Kontrollen wollen, Susanne Mittag (SPD): müssen wir auch den Ländern die Möglichkeiten geben. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Tierquälerei ist durch gar nichts zu rechtfer- Dass es in den Ländern sehr unterschiedlich gehand- tigen, ist mir persönlich zuwider, und ich denke, so ziem- habt wird, wissen wir auch. Im Rahmen Ihrer politischen lich allen hier dürfte es genauso gehen. Aber es geht nicht Beteiligung an den Landesregierungen – in einigen nur um das Quälen durch Taten, sondern es geht auch um Bereichen ist das ja so – haben Sie auch die Möglichkeit, das Quälen durch Unterlassen. Da gibt es eine riesige darauf hinzuwirken. Das passiert unterschiedlich und Bandbreite, und es ist nicht klar definiert, wo Quälen auch mit unterschiedlichem Erfolg. Ich weiß, wie schwie- anfängt. Ich kann auch, ehrlich gesagt, die Ausreden nicht rig das ist; die lassen sich nicht gerne was vom Bund mehr hören: „Ich habe das nicht gesehen“, „Das wollte sagen. Aber die Möglichkeiten gibt es. ich nicht“, „Ich habe die Übersicht verloren“ oder „Es Wir können aber trotzdem noch einiges verbessern war eine Verkettung von ganz unglücklichen Umstän- – und die Anträge zeigen natürlich den Willen, noch den“. einiges zu verbessern –, und zwar mit gesetzlichen Fest- Die Frage stellt sich: Welche effektiven Stellschrauben schreibungen, mit einem echten, vollständigen Tierwohl- haben wir hier im Bundestag, Tierquälerei im Vorfeld zu label mit Kennzeichnungspflicht für alle Haltungs- verhindern oder zu ahnden? Das Strafmaß vielleicht? formen – Haltung, Transport und Schlachtung –, damit Dazu gibt es ja einen Vorschlag. Oder Kriterien? Was man weiß, wie Tierwohl überhaupt stattfindet – die Bor- ist eigentlich Tierquälerei? Zum Beispiel ist „Tierwohl“ chert-Kommission dürfte inzwischen allen ein Begriff gar nicht rechtlich definiert; da kann jeder alles hinein- sein –, mit der Einrichtung einer bundesweiten Tierge- interpretieren. Strafverfolgung? Das ist aber Landessa- sundheitsdatenbank mit einem Auswertungstool, gespeist che; das dürfte auch hier bekannt sein. Rechtsprechung? mit vorhandenen Daten für zielgerichtete Kontrollen, mit Das wäre natürlich schön, wenn man mehr Schwerpunkt- einer weiteren Kontrolle in der zweiten Ebene. Das würde staatsanwaltschaften in den Ländern hätte und auch eine auch die Veterinäre vor Ort stärken. Das ist kein extra Beschulung der Justiz stattfinden würde, um das Emp- Aufwand, wie immer gerne gesagt wird, sondern die finden zu schärfen. Daten liegen alle vor, aber sie müssen systematisiert Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021 27809

Susanne Mittag (A) und kontrolliert werden. Dann wüsste man auch, wo man von Tierquälerei, das wäre echter Tierschutz. Und falls es (C) zielgerichtet kontrollieren kann. Das wäre sogar hilfreich noch nicht allen klar ist: Tierschutz ist inzwischen Staats- für die Länder. ziel. Das sollte doch wohl hinzukriegen sein. Man kann etwas verbessern mit gesetzlichen Vorgaben Herzlichen Dank. zur Videoüberwachung in Schlachthöfen und bei Tier- (Beifall bei der SPD) transporten. Auch diese Daten gehören dann in eine Tier- gesundheitsdatenbank. Nicht nur Bedauern zeigen, wenn es mal wieder Filme im Fernsehen gibt, die zeigen, wie Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: schrecklich die Verhältnisse sind! Wir könnten sie hier Vielen Dank. – Das Wort geht an Dr. Gero Clemens ändern, wenn denn alle mitmachen. Hocker von der FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der SPD)

Die gesetzliche Umsetzung der Exopet-Studie – sie Dr. Gero Clemens Hocker (FDP): wurde vom Landwirtschaftsministerium in Auftrag gege- Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kol- ben und ist längst beendet – wäre wunderbar. Inzwischen leginnen und Kollegen! Verehrte Frau Künast, ich bin, kann man in Deutschland fast alle möglichen exotischen sage ich Ihnen ganz ehrlich, von der Fantasielosigkeit Tiere halten und keiner weiß, welche wo sind. Damit Ihres Antrags überrascht und erstaunt; denn üblicherwei- wäre eine Reglementierung, eine Rückverfolgbarkeit se sind es ja gerade Sie von den Grünen, die zu Recht – möglich. das sage ich ganz ausdrücklich – bekennen, dass eine Wir warten auch auf gesetzliche Regelungen gegen Verschärfung des Strafmaßes nicht dazu führt, dass Straf- den illegalen Welpenhandel: Nicht nur Gespräche führen taten gar nicht erst passieren. Deswegen habe ich den und Betrübnis äußern nach Sicherstellungen. Wir können Eindruck, dass es Ihnen hier sechs Monate vor der Bun- das gesetzlich regeln. destagswahl vor allem darum geht, sich in ein rechtes Licht zu rücken. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- DIE GRÜNEN) NEN]: Linkes!) Wir brauchen gesetzliche Vorgaben zur Tierhaltung in Mein Eindruck ist: Das ist alles Populismus, verehrte Zirkusbetrieben – viele EU-Länder sind erheblich weiter; Frau Künast. aber hier findet immer noch nichts statt – und natürlich eine stringentere Umsetzung der EU-Richtlinie zu Tier- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (B) (D) versuchen. Wir haben in diesem Haushalt den ersten Ein- der CDU/CSU) stieg zur Förderung der tierversuchsfreien Forschung Ich glaube nicht, dass nur ein einziger Fall von Tier- gemacht; darüber bin ich richtig froh, und darauf bin schutzvergehen und Nichtakzeptanz von Tierschutzge- ich stolz. Aber da ist noch richtig Luft nach oben. Auch setzgebung in den vergangenen Monaten oder Jahren da- könnte man nicht nur das Minimum dieser EU-Richtlinie durch verhindert worden wäre, dass man ein höheres umsetzen, sondern vielleicht auch mal ein bisschen drauf- Strafmaß verabschiedet hätte. Ganz im Gegenteil: Wenn packen. wir wirklich die wenigen schwarzen Schafe unter den Tierhaltern herausfiltern wollen – das wollen wir –, (Beifall bei der SPD) dann braucht man nicht ein höheres Strafmaß. Das wäre effektiv. Das wäre sehr präventiv, um Tierleid Frau Künast, man sollte übrigens auch auf keine – ich erst mal zu verhindern, bevor wir es strafrechtlich ver- sage mal – höchst fragwürdigen Organisationen, NGOs folgen müssen. Sinn der Sache ist doch, dass es gar nicht wie PETA oder andere hören, die auf illegale Weise zu- erst dazu kommt. stande gekommenen Filme oder Fotos gerne an Fernseh- Das alles ist noch bis zur Sommerpause umsetzbar. Wir sender weitergeben, anstatt Tierschutzverstöße unmittel- haben noch offene Vereinbarungen aus dem Koalitions- bar an die Behörden zu melden. Das wäre der richtige vertrag – die habe ich gerade alle aufgeführt –, es gibt Weg. einen Entschließungsantrag; da steht das auch alles drin. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Allerdings muss ich sagen: Es erfordert noch einiges an Denen sollten Sie nicht auf den Leim gehen, werte Frau Bewegung bei unserem Koalitionspartner. Darauf hoffe Künast. ich. Und bei der Landwirtschaftsministerin Frau Klöck- ner muss auch noch einiges passieren. Wir können das Ich sage es Ihnen ganz ausdrücklich: Diese verfolgen alles noch schaffen und umsetzen. ein Geschäftsmodell, das darauf basiert, Dramatisierung und Skandalisierung zu betreiben. Und es lässt tief bli- (Beifall bei der SPD) cken, sehr verehrte Frau Kollegin, wenn die sonst so staatsgläubigen Grünen hier solchen privatwirtschaftli- Es wäre natürlich auch schön, wenn Sie alle diese chen Organisationen das Feld bereiten. Sie leisten damit Maßnahmen unterstützen würden, dass sie von einer einen Beitrag zur Privatisierung des Rechts, und das kön- großen Mehrheit getragen werden. Das wäre gut! Es hilft nen wir Ihnen nicht durchgehen lassen. nicht weiter, nur endlos zu prüfen, zu problematisieren, zu verschleppen und als nicht umsetzbar zu deklarieren. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Wir können das hinkriegen, und das wäre Verhinderung der CDU/CSU) 27810 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021

Dr. Gero Clemens Hocker (A) Nach Ihrer Logik, Frau Künast, würde künftig nicht Studie wurden damals zwei Gruppendiskussionen von (C) mehr die Polizei die Geschwindigkeitskontrollen durch- Amtstierärztinnen und Amtstierärzten und Staatsanwäl- führen, sondern vielleicht der Verkehrsverein. Nach Ihrer tinnen und Staatsanwälten aus Hessen, Nordrhein-West- Logik würde der Betrieb von Windkraftanlagen nicht falen und Niedersachsen ausgewertet. Übereinstimmend mehr durch den Landkreis genehmigt werden, sondern wurden die Probleme benannt: Tierschutzverfahren wer- vielleicht von Betreibern von Kohlekraftwerken, den zu oft eingestellt, sie dauern zu lange, und die Straf- (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- maße sind zu gering. Als entscheidende Faktoren für die NEN]: Die schalten wir ab!) Ablehnung von Verfahren durch Staatsanwaltschaft und Richterschaft wurden genannt: wenig Engagement und die eventuell ein Interesse daran haben, dass keine zusätz- Interesse am Tierschutz, geringes Wissen zum Fachrecht lichen Windmühlen gebaut werden. oder zu den Bedürfnissen und Schmerzempfinden von (Beifall bei der FDP) Tieren, die schlechte personelle Ausstattung, die zu Arbeitsüberlastungen bei Staatsanwaltschaft und Richter- Und nach Ihrer Logik, Frau Kollegin Künast, würde das schaft oder auch zu Mängeln bei Gutachten und Doku- Verkehrszentralregister in Flensburg nicht mehr die Ver- mentationen von Veterinärämtern geführt hat. stöße gegen Verkehrsregeln nachhalten, sondern diejeni- gen, die am schnellsten Auto fahren können. Das kann (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Da nicht in Ihrem Interesse sein. helfen aber keine höheren Strafen!) Wir brauchen, meine sehr verehrten Kolleginnen und Gefordert wurden damals vom Thünen-Institut ein Kollegen, keine höheren Strafen, und wir brauchen auch besserer Informationsaustausch zwischen Veterinäräm- keine anderen als die bisher existierenden Strukturen bei tern und Justiz, Wissensaufbau bei den Juristinnen und Tierschutzkontrollen, die weitestgehend funktionieren. Juristen, Schwerpunktstaatsanwalt- und Richterschaften. Sie müssen aber effizienter, besser aufeinander abge- Tierschutz soll aus dem Nebenstrafrecht ins Strafgesetz- stimmt werden. Wir müssen aussagekräftigere Kontrol- buch – das ist Politikempfehlung – geschrieben werden. len durchführen. Meine Fraktion hat übrigens Anfang des Jahres bei unseren Haushaltsvorschlägen einen ent- (Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Hört! Hört! – sprechenden Antrag eingebracht, der 140 Millionen Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Euro vorsah, um genau das herbeiführen zu können. NEN]: Ach!) Wer hat dagegengestimmt? Die grüne Bundestagsfrak- Hinzu kommen höhere Strafen, und Fahrlässigkeitsdelik- tion und andere, meine Damen und Herren. te sollen strafbar gemacht werden. Zu dieser Studie habe (Beifall bei der FDP) ich damals ein Fachgespräch im Agrarausschuss initiiert. (B) (D) Ich sage Ihnen – das ist mein letzter Satz, verehrte Frau Das war auch sehr interessant; bloß geändert hat sich Präsidentin –: Populistische Anträge auf Strafverschär- danach eben nichts. Damit werden aber die Defizite wei- fung, die allerdings keinen Beitrag dazu leisten, dass es ter auf dem Rücken der Tiere ausgetragen, der vernünf- nur einem Tier in Deutschland besser geht, sollten Sie als tigen Tierhaltenden und auch der Vollzugsbehörden. Ich Grüne auch in einem Wahljahr aus Ihrem Repertoire finde, das kann so nicht weitergehen. streichen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- Vielen Dank. NIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Aber Vollzugsdefizite sind ja nur ein Teil des Prob- der CDU/CSU) lems. Es gibt auch Regelungslücken: Ganze Tierarten sind von gesetzlichen Regelungen gar nicht erfasst, ein Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: echtes Qualzuchtverbot fehlt weiterhin. Weil Tiertran- Vielen Dank. – Das Wort geht an Frau Dr. Kirsten sporte in Drittländer immer noch nicht verboten sind, Tackmann von der Fraktion Die Linke. müssen ganze Schiffsladungen von Rindern nach einer Odyssee durch das Mittelmeer notgetötet werden. Statt (Beifall bei der LINKEN) das Töten männlicher Küken aus Legelinien mit Zwei- nutzungshuhn-Rassen oder Bruderhahn-Initiativen zu Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): beenden, wird weiter auf Geschlechtsbestimmung im Ei Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In gesetzt. dieser Debatte geht es darum, wie das Staatsziel Tier- Der Tiefpunkt falscher Entscheidungen im Bundestag schutz endlich besser durchgesetzt werden kann. ist für mich: Die Koalition ließ es zu, dass die Schlacht- (Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: Genau!) konzerne den Ausstieg aus der chirurgischen Ferkelkast- Das ist für mich als Tierärztin natürlich ein sehr, sehr ration boykottieren, entgegen den ausdrücklichen Emp- wichtiges Thema. Ich weiß, ehrlich gesagt, gar nicht fehlungen aus der Politikberatung der Bundesregierung. mehr, wie oft ich darauf hingewiesen habe, dass es Rege- Dafür wurde gleich noch das Narkoseprivileg der Tier- lungs- und Vollzugsdefizite gibt, und zwar nicht nur bei ärzteschaft geschliffen. Ich finde, das tierschutzpolitische Nutztieren, sondern auch im Heim- und Haustierbereich. Sünderregister der Koalition ist lang, und das ist beschä- mend. Spätestens mit einer Studie des Thünen-Instituts – das ist Politikberatung der Bundesregierung – von 2015 (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- waren die Probleme auch sehr klar benannt. Für diese NIS 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021 27811

Dr. Kirsten Tackmann (A) Als Linke werden wir weiter alles unterstützen, was eine vermeintlich politisch-moralische Rechtfertigung. (C) dem Vollzug des Tierschutzes stärkt. Und wir werden Das sollten Sie nicht tun. für ein Tierschutzrecht kämpfen, das den Namen auch (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- wirklich verdient. neten der FDP – Renate Künast [BÜNDNIS 90/ Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. DIE GRÜNEN]: Das ist doch eine Unterstel- (Beifall bei der LINKEN) lung!) Meine Damen und Herren, der Gesetzentwurf der Grü- Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: nen ist rechtspolitisch und rechtsdogmatisch eine ganz dünne Suppe. Es ist eine ganz dünne Suppe, was Sie da Vielen Dank. – Zum Abschluss der Debatte spricht rechtsdogmatisch und rechtspolitisch auf den Weg brin- Hans-Jürgen Thies von der CDU/CSU-Fraktion. gen wollen. (Beifall bei der CDU/CSU) (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Ihre Rede ist eine ganz dünne Suppe!) Hans-Jürgen Thies (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn Sie das Tierschutzstrafrecht aus dem Schattenda- Die Bewahrung der Schöpfung ist eines der Kernanliegen sein befreien wollen, indem Sie einen § 141 Strafgesetz- der Unionsparteien. Tiere sind unsere Mitgeschöpfe. buch einfügen und diesen einbetten wollen zwischen dem Deshalb ist eine Förderung und Verbesserung des Tier- § 140, der die Billigung von Straftaten beinhaltet, und schutzes selbstverständlich eine Herzensangelegenheit dem § 142, der Fahrerflucht beinhaltet, für die Unionsfraktion. (Lachen bei Abgeordneten der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU) frage ich mich: Wie weit sind Sie von der Rechtswirk- lichkeit entfernt? Ich bin entsetzt, muss ich ganz ehrlich Die AfD und die FDP fordern in ihren Anträgen mehr sagen. staatliche Kontrollen in Nutzbetrieben. In der Tat gibt es da Vollzugsdefizite auf Länderebene. Hierüber haben wir (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) schon wiederholt auch im Ernährungsausschuss debat- Eine alte Weisheit sagt: Die Strafe muss auf dem Fuße tiert. folgen. Wir haben in den §§ 2 bis 16 Tierschutzgesetz Ich möchte näher eingehen auf den Gesetzentwurf der ganz dezidierte Regelungen zu den Ge- und Verboten. Grünen. Der Entwurf sieht vor, die strafrechtlichen (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Bestandteile aus dem Tierschutzgesetz in das Strafgesetz- NEN]: Das passiert aber ja nicht!) (B) buch und damit aus dem Nebenstrafrecht in das Kern- (D) strafrecht zu überführen. Außerdem sollen vermeintliche Da steht genau drin, wie wir als Menschen mit unseren Strafbarkeitslücken geschlossen und Strafschärfungen Mitgeschöpfen, den Tieren, umzugehen haben. eingeführt werden. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Interessant ist die Begründung der Grünen. Sie sagen NEN]: Passiert aber nicht!) nämlich, dass sie sich auf Recherchen investigativer Jour- Dann ist es ganz logisch und konsistent, wenn dann in den nalistinnen und Journalisten sowie von Tierschutzorgani- §§ 17 und 18, unmittelbar anschließend, die Sanktionen sationen stützen. Die Ergebnisse solcher Recherchen geregelt sind, sodass man genau weiß: Wer gegen die werden allerdings in der Gesetzesbegründung überhaupt vorgenannten Verbote verstößt, hat die und die Sanktio- nicht erwähnt. Genauso werden keine Quellen angege- nen und Strafen zu erwarten. ben. Man stützt sich sozusagen auf Rechtstatsachen, die (Zuruf des Abg. Oliver Krischer [BÜND- als solche überhaupt nicht benannt werden. NIS 90/DIE GRÜNEN]) Liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen, Sie wan- Das ist konsequent, nicht aber, es in ein anderes Gesetz zu deln hier auf sehr dünnem Eis. Das will ich Ihnen ganz verlagern. Das ist eine rechtssystematische Irrfahrt. deutlich sagen. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Zuruf der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/ NEN]: Nein! Das ist eine Klamaukrede, die DIE GRÜNEN]) Sie da halten!) Machen Sie sich hier bitte nicht zur Speerspitze einer Das muss ich Ihnen ganz deutlich sagen. militanten Gruppe von zum Teil kriminell handelnden Tierschutzaktivisten (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der AfD) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der AfD) Auch inhaltlich kann ich Ihrem Entwurf überhaupt nichts Gutes abgewinnen. Wer meint, staatliche Kontroll- und von fragwürdigen Skandalreportern! Sie bereiten dichten dadurch zu erhöhen, dass man amtlichen Vete- sonst den kriminellen Stalleinbrechern den Boden und rinären eine Beschützergarantenstellung sozusagen zu- geben diesen Elementen, die in Wirklichkeit mit dem weist und deren Untätigkeit strafschärfend auch noch Tierwohl überhaupt nichts im Sinn haben, pönalisiert, der irrt gewaltig. Noch viel mehr verschreckt (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- man die Amtsveterinäre, wenn man, wie es im Gesetz- NEN]: Können Sie einen Beleg vorlegen für entwurf der Grünen vorgesehen ist, bereits deren fahr- diese Äußerungen?) lässige Untätigkeit unter Strafe stellt. 27812 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021

Hans-Jürgen Thies (A) Tierquälerei ist rechtsdogmatisch ein Erfolgsdelikt. Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Aus- (C) Deshalb war bisher der bloße Versuch straffrei. Das wol- schusses für Ernährung und Landwirtschaft zu dem An- len Sie jetzt gern ändern. Das wirft aber in der Rechts- trag der Fraktion der FDP mit dem Titel „Einhaltung von praxis ganz schwierige Abgrenzungsfragen auf. Wo soll Tierschutzrecht wirksam und effizient kontrollieren“. Der im Tierschutzstrafrecht denn bei Unterlassungshandlun- Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf gen von Garanten der strafrechtliche Versuch beginnen? Drucksache 19/10790, den Antrag der Fraktion der FDP Machen Sie sich dazu mal Gedanken! Bereits die nicht auf Drucksache 19/6285 abzulehnen. Wer stimmt für die- artgerechte Haltung oder Fütterung eines Tieres könnte se Beschlussempfehlung? – Das sind die Fraktionen Die somit künftig schon ein strafbarer Versuch sein. Linke, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU. Wer stimmt dagegen? – Das sind die Fraktionen der FDP Der Gesetzentwurf der Grünen würde künftig jeden und der AfD. Gibt es Enthaltungen? – Das sehe ich nicht. Tierhalter in Deutschland, egal ob privat oder gewerblich, Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen. mit einem Bein ins Gefängnis stellen. Das geht uns ent- schieden zu weit. Das wollen wir nicht. Zusatzpunkt 33. Abstimmung über die Beschlussemp- fehlung des Ausschusses für Ernährung und Landwirt- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und schaft zu dem Antrag der Fraktion der AfD mit dem Titel der FDP) „Verbesserung der Tierschutzkontrollen in der landwirt- Deswegen lehnen wir Ihren Gesetzentwurf ab wie auch schaftlichen Nutztierhaltung“. Der Ausschuss empfiehlt die Anträge von FDP und AfD. in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/17201 , den Antrag der Fraktion der AfD auf Drucksache Vielen herzlichen Dank und Ihnen allen ein schönes 19/16055 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschluss- Osterfest. empfehlung? – Das sind die Fraktionen Die Linke, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU und FDP. Gegenpro- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- be! – Das ist die AfD. Gibt es Enthaltungen? – Das sehe ordneten der FDP) ich nicht. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesord- Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: nung. Vielen Dank. – Ich schließe damit die Aussprache. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes- Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs tages auf Mittwoch, den 14. April 2021, 13 Uhr, ein. auf Drucksache 19/27752 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es weitere Ich wünsche ein schönes Osterfest. Und bleiben Sie gesund! Die Sitzung ist geschlossen. (B) Überweisungsvorschläge? – Das sehe ich nicht. Dann (D) verfahren wir so. (Schluss: 17.46 Uhr) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021 27813

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage 1 Entschuldigte Abgeordnete Abgeordnete(r) Abgeordnete(r)

Amtsberg, Luise BÜNDNIS 90/ Lämmel, Andreas G. CDU/CSU DIE GRÜNEN Lechte, Ulrich FDP Barrientos, Simone DIE LINKE Miazga, Corinna AfD Brandl, Dr. Reinhard CDU/CSU Mindrup, Klaus SPD Bystron, Petr AfD Müller, Alexander FDP Ferschl, Susanne DIE LINKE Müller, Bettina SPD Freihold, Brigitte DIE LINKE Müller, Dr. Gerd CDU/CSU Gabelmann, Sylvia DIE LINKE Mützenich, Dr. Rolf SPD Gerster, Martin SPD Nastic, Zaklin DIE LINKE Gutting, Olav CDU/CSU Nissen, Ulli SPD Hagl-Kehl, Rita SPD Nölke, Matthias FDP Hampel, Armin-Paulus AfD Noll, Michaela CDU/CSU Hartmann, Verena fraktionslos Nolte, Jan Ralf AfD Hebner, Martin AfD Nord, Thomas DIE LINKE (B) (D) Henke, Rudolf CDU/CSU Nüßlein, Dr. Georg fraktionslos Herzog, Gustav SPD Ostendorff, Friedrich BÜNDNIS 90/ Höchst, Nicole AfD DIE GRÜNEN Hofreiter, Dr. Anton BÜNDNIS 90/ Otten, Gerold AfD DIE GRÜNEN Petry, Dr. Frauke fraktionslos Huber, Johannes AfD Pilger, Detlev SPD in der Beek, Olaf FDP Reinhold, Hagen FDP Irlstorfer, Erich CDU/CSU Remmers, Ingrid DIE LINKE Juratovic, Josip SPD Reusch, Roman Johannes AfD Kaiser, Elisabeth* SPD Rix, Sönke SPD Kamann, Uwe fraktionslos Schäfer (Saalstadt), Anita CDU/CSU Kessler, Dr. Achim DIE LINKE Schlund, Dr. Robby AfD Kindler, Sven-Christian BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Siebert, Bernd CDU/CSU Kluckert, Daniela FDP Staffler, Katrin CDU/CSU Kuffer, Michael CDU/CSU Stark-Watzinger, Bettina FDP Kuhle, Konstantin FDP Steffel, Frank CDU/CSU Lambsdorff, Alexander FDP Steinke, Kersten DIE LINKE Graf Tatti, Jessica DIE LINKE 27814 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021

(A) Die Koalitionsfraktionen werden daher in Kürze einen (C) Abgeordnete(r) Gesetzentwurf einbringen, der folgende Verbesserungen vorsieht: Tauber, Dr. Peter CDU/CSU 1. Anzeigepflichtige Einkünfte aus Nebentätigkeiten Theurer, Michael FDP und Unternehmensbeteiligungen werden künftig be- tragsgenau (auf Euro und Cent) veröffentlicht. Ein- Tiemann, Dr. Dietlind CDU/CSU künfte sind künftig anzeigepflichtig, wenn sie im Monat den Betrag von 1 000 Euro oder bei ganzjähri- Wagenknecht, Dr. Sahra DIE LINKE gen Tätigkeiten im Kalenderjahr in der Summe den Weber, Gabi SPD Betrag von 3 000 Euro übersteigen. Weeser, Sandra FDP 2. Beteiligungen sowohl an Kapitalgesellschaften als auch an Personengesellschaften werden künftig be- Wetzel, Wolfgang BÜNDNIS 90/ reits ab 5 Prozent (bislang: 25 Prozent) der Gesell- DIE GRÜNEN schaftsanteile angezeigt und veröffentlicht. Zdebel, Hubertus DIE LINKE 3. Auch Einkünfte aus anzeigepflichtigen Unterneh- mensbeteiligungen (zum Beispiel Dividenden, Ge- Zickenheiner, Gerhard BÜNDNIS 90/ winnausschüttungen) werden anzeige- und veröffent- DIE GRÜNEN lichungspflichtig. Zimmermann, Pia DIE LINKE 4. Aktienoptionen werden künftig anzeige- und veröf- fentlichungspflichtig sein, und zwar unabhängig von * aufgrund gesetzlichen Mutterschutzes der Frage, ob sie einen bezifferbaren Wert haben. Von der Anzeigepflicht sollen auch vergleichbare Wertpa- piere, etwa auf den Unternehmenswert bezogene De- rivate, umfasst sein. Die Regelung wird daher weit Anlage 2 gefasst. Erklärung nach § 31 GO 5. Von Dritten bezahlte Lobbytätigkeit von Bundestags- der Abgeordneten Ulrike Bahr, Dr. Eberhard abgeordneten gegenüber der Bundesregierung oder Brecht, Dr. Karl-Heinz Brunner, Dr. Karamba dem Bundestag wird gesetzlich verboten. Fragen der (B) Diaby, Sabine Dittmar, Timon Gremmels, Frank konkreten Abgrenzung und Definition müssen noch (D) Junge, Oliver Kaczmarek, Cansel Kiziltepe, Hil- im Gesetzgebungsprozess geklärt werden. Ehrenamt- trud Lotze, Isabel Mackensen, Dr. Matthias liche Tätigkeiten gegen Aufwandsentschädigung, Miersch, Claudia Moll, Dietmar Nietan, Josephine etwa im Vorstand eines Vereins, sollen erlaubt blei- Ortleb, Mechthild Rawert, René Röspel, Johann ben, sofern die Aufwandsentschädigung verhältnis- Saathoff, Axel Schäfer (Bochum), Marianne mäßig ist und eine noch zu bestimmende Grenze nicht Schieder, Swen Schulz (Spandau), Frank Schwabe, überschreitet. Stefan Schwartze, Kerstin Tack, Bernd Westphal 6. Der Missbrauch der Mitgliedschaft im Deutschen und Gülistan Yüksel (alle SPD) zu der namentli- Bundestag zu geschäftlichen Zwecken ist schon heute chen Abstimmung über die Beschlussempfehlung gemäß den Verhaltensregeln des Deutschen Bundes- des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und tages unzulässig, führt aber zu keiner Sanktion. Wir Geschäftsordnung zu dem Antrag der Fraktion werden das ändern und den Missbrauch künftig ge- DIE LINKE: Änderung der Geschäftsordnung des setzlich verbieten. In diesem Zusammenhang wollen Deutschen Bundestages wir auch Honorare für Vorträge verbieten. hier: Änderung der Verhaltensregeln für Mitglie- der 7. Abschöpfung verbotener Einnahmen: Wenn Abgeord- nete ihre Mitgliedschaft missbrauchen oder gegen das des Deutschen Bundestages (Anlage 1 der Ge- gesetzliche Verbot der entgeltlichen Interessenvertre- schäftsordnung) tung für Dritte verstoßen und hierdurch Einnahmen (Tagesordnungspunkt 34 c) erzielen, sind diese Einnahmen an den Bundestag abzuführen. Die SPD-Bundestagsfraktion setzt sich seit Jahren für eine deutliche Verschärfung der bestehenden Transpa- 8. Für die Fälle der Nummer 7 wird als zusätzliche Sank- renzregeln für Bundestagsabgeordnete ein. Die Ereignis- tion auch ein Ordnungsgeld verhängt. se der jüngsten Vergangenheit haben noch einmal bestä- tigt, dass eine umfassende Reform wichtiger denn je ist. 9. Reform des § 108e StGB (Abgeordnetenbestechung und -bestechlichkeit). Der vorliegende Antrag der Fraktion Die Linke ver- fehlt das Ziel, deutlich mehr Transparenz bei den Neben- 10.Die Entgegennahme von Geldspenden durch Abge- tätigkeiten, Nebeneinkünften und Unternehmensbeteili- ordnete wird verboten. Parteispenden, die der Abge- gungen von Bundestagsabgeordneten zu schaffen. Er ist ordnete erhält und an seine Partei weiterleitet, bleiben hierfür nicht weitgehend genug. zulässig. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021 27815

(A) 11. Die Koalition wird zeitnah Regelungen für mehr piere, etwa auf den Unternehmenswert bezogene De- (C) Transparenz im Parteiengesetz, insbesondere zu Ver- rivate, umfasst sein. Die Regelung wird daher weit öffentlichungsgrenzen von Parteispenden, zu Partei- gefasst. sponsoring und zu Werbemaßnahmen durch Dritte 5. Von Dritten bezahlte Lobbytätigkeit von Bundestags- (Parallelaktionen), vereinbaren. abgeordneten gegenüber der Bundesregierung oder Die von der Koalition geplante Reform der Verhaltens- dem Bundestag wird gesetzlich verboten. Fragen der und Transparenzregeln für Abgeordnete sind deutlich konkreten Abgrenzung und Definition müssen noch weitgehender und effektiver als der vorliegende Antrag im Gesetzgebungsprozess geklärt werden. Ehrenamt- der Fraktion Die Linke. Ich habe ihn daher abgelehnt. liche Tätigkeiten gegen Aufwandsentschädigung, etwa im Vorstand eines Vereins, sollen erlaubt blei- ben, sofern die Aufwandsentschädigung verhältnis- Anlage 3 mäßig ist und eine noch zu bestimmende Grenze nicht überschreitet. Erklärungen nach § 31 GO 6. Der Missbrauch der Mitgliedschaft im Deutschen zu der namentlichen Abstimmung über die Be- Bundestag zu geschäftlichen Zwecken ist schon heute schlussempfehlung des Ausschusses für Wahlprü- gemäß den Verhaltensregeln des Deutschen Bundes- fung, Immunität und Geschäftsordnung zu dem tages unzulässig, führt aber zu keiner Sanktion. Wir Antrag der Fraktion DIE LINKE: Änderung der werden das ändern und den Missbrauch künftig ge- Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages setzlich verbieten. In diesem Zusammenhang wollen wir auch Honorare für Vorträge verbieten. hier: Änderung der Verhaltensregeln für Mitglie- der 7. Abschöpfung verbotener Einnahmen: Wenn Abgeord- nete ihre Mitgliedschaft missbrauchen oder gegen das des Deutschen Bundestages (Anlage 1 der Ge- gesetzliche Verbot der entgeltlichen Interessenvertre- schäftsordnung) tung für Dritte verstoßen und hierdurch Einnahmen (Tagesordnungspunkt 34 c) erzielen, sind diese Einnahmen an den Bundestag abzuführen. Dorothee Martin (SPD): Die SPD-Bundestagsfrak- 8. Für die Fälle der Nummer 7 wird als zusätzliche Sank- tion setzt sich seit Jahren für eine deutliche Verschärfung tion auch ein Ordnungsgeld verhängt. der bestehenden Transparenzregeln für Bundestagsabge- 9. Reform des § 108e StGB (Abgeordnetenbestechung ordnete ein. Die Ereignisse der jüngsten Vergangenheit und -bestechlichkeit). (B) haben noch einmal bestätigt, dass eine umfassende (D) Reform wichtiger denn je ist. 10.Die Entgegennahme von Geldspenden durch Abge- ordnete wird verboten. Parteispenden, die der Abge- Der vorliegende Antrag der Fraktion Die Linke ver- ordnete erhält und an seine Partei weiterleitet, bleiben fehlt das Ziel, deutlich mehr Transparenz bei den Neben- zulässig. tätigkeiten, Nebeneinkünften und Unternehmensbeteili- gungen von Bundestagsabgeordneten zu schaffen. Er ist 11. Die Koalition wird zeitnah Regelungen für mehr hierfür nicht weitgehend genug. Transparenz im Parteiengesetz, insbesondere zu Ver- öffentlichungsgrenzen von Parteispenden, zu Partei- Die Koalitionsfraktionen werden daher in Kürze einen sponsoring und zu Werbemaßnahmen durch Dritte Gesetzentwurf einbringen, der folgende Verbesserungen (Parallelaktionen), vereinbaren. vorsieht: Darüber hinaus werde ich mich weiterhin für noch 1. Anzeigepflichtige Einkünfte aus Nebentätigkeiten mehr Transparenz und für strengere, für die Bürgerinnen und Unternehmensbeteiligungen werden künftig be- und Bürger nachvollziehbare Regeln einsetzen. Neben- tragsgenau (auf Euro und Cent) veröffentlicht. Ein- einkünfte sollten ab dem ersten Euro veröffentlichungs- künfte sind künftig anzeigepflichtig, wenn sie im pflichtig sein. Insgesamt ist die von der Koalition geplan- Monat den Betrag von 1 000 Euro oder bei ganzjähri- te Reform der Verhaltens- und Transparenzregeln für gen Tätigkeiten im Kalenderjahr in der Summe den Abgeordnete deutlich weitgehender und effektiver als Betrag von 3 000 Euro übersteigen. der vorliegende Antrag der Fraktion Die Linke. Ich 2. Beteiligungen sowohl an Kapitalgesellschaften als habe ihn daher abgelehnt. auch an Personengesellschaften werden künftig be- reits ab 5 Prozent (bislang: 25 Prozent) der Gesell- Johannes Schraps (SPD): Die SPD-Bundes- schaftsanteile angezeigt und veröffentlicht. tagsfraktion setzt sich seit Jahren für eine deutliche 3. Auch Einkünfte aus anzeigepflichtigen Unterneh- Verschärfung der bestehenden Transparenzregeln für mensbeteiligungen (zum Beispiel Dividenden, Ge- Bundestagsabgeordnete ein. Die Ereignisse der jüngsten winnausschüttungen) werden anzeige- und veröffent- Vergangenheit haben noch einmal bestätigt, dass eine lichungspflichtig. umfassende Reform wichtiger denn je ist. 4. Aktienoptionen werden künftig anzeige- und veröf- Nach vielen Jahren erbitterten Widerstands der Frak- fentlichungspflichtig sein, und zwar unabhängig von tion CDU/CSU, auch der FDP, ist es in dieser Woche der Frage, ob sie einen bezifferbaren Wert haben. Von endlich gelungen, ein Lobbyregistergesetz (LobbyRG) der Anzeigepflicht sollen auch vergleichbare Wertpa- zu verabschieden. Obwohl die Konservativen – allen 27816 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021

(A) voran das Bundeskanzleramt – die von der SPD-Bundes- Deshalb ist die offene Darlegung von Kontakten ein (C) tagsfraktion und den sozialdemokratischen Mitgliedern guter und wichtiger Schritt, um das durch die aktuellen der Bundesregierung geforderten weitergehenden Maß- Korruptionsaffären bei CDU/CSU zerstörte Vertrauen in nahmen bzw. eindeutigere Regelungen verhindert haben, die Arbeit des Deutschen Bundestages wiederherzustel- ist dieses Gesetz ein großer Schritt, weil ein Anfang. len. Leider wird Vertrauen in wenigen Minuten zerstört, Bedauerlich ist, dass diese Erkenntnis erst mit der Auf- und es braucht lange Zeit, es wieder aufzubauen. deckung einiger Skandale gewachsen ist. Ob CDU und CSU es ernst meinen mit der Bekämp- Mit dem LobbyRG kommen viele Verbesserungen für fung von unguten und – wie wir heute wissen – nicht frei die Transparenz der Arbeit von Politikerinnen und Politi- von Egoismus geprägten Vermischungen von Wirtschaft, kern: Verbänden und Politik, wäre leicht zu beweisen, indem sie sich zum Beispiel dem Vorschlag von Bundesjustiz- Erstens. Die bisherige „öffentliche Liste“ von Verbän- ministerin Christine Lambrecht zur Einführung des exe- den, die (ihre) Interessen gegenüber Bundestag und/oder kutiven Fußabdrucks anschließen oder ihre Nebenein- Bundesregierung vertreten, basiert auf der freiwilligen künfte, wie von Olaf Scholz gefordert, ab dem ersten Eintragung und hat deshalb einen Informationswert Cent offenlegen. Was für das Parlament recht ist -Trans- nahe null. Mit dem LobbyRG wird die Eintragung ver- parenz –, sollte für die Exekutive (also die Regierung, die bindlich und gesetzlich vorgeschrieben – ein Meilenstein Ministerien, die Verwaltungen) billig sein. Es muss uns des deutschen Parlamentarismus. Die Eintragung unter- wundern, warum sich CDU und CSU dieser Transparenz liegt nicht der sogenannten Diskontinuität, vorgenomme- so vehement verweigern. ne Eintragungen bleiben also über die Wechsel der Legis- laturperioden hinweg bestehen und müssen nicht nach Mit Blick auf die Nebeneinkünfte gilt es, den Blick auf jeder Wahl erneuert werden. den § 44a (1) Satz 1 Abgeordnetengesetz (AbgG) zu Zweitens. Das LobbyRG definiert eine breite Basis lenken: „Die Ausübung des Mandats steht im Mittelpunkt derjenigen, die sich in das Register eintragen müssen: der Tätigkeit eines Mitglieds des Bundestages.“ Für die Registrierungspflichtig sind grundsätzlich alle Lobbyis- Zukunft sollte überlegt werden, ob „Mittelpunkt der Tä- tinnen und Lobbyisten, die Kontakt mit dem Bundestag tigkeit“ noch der Mittelpunkt sein kann, wenn die Neben- (MdB, Organe, Fraktionen) oder mit der Bundesregie- einkünfte die Diäten als Haupteinkommen deutlich über- rung (ab Unterabteilungsleitung in Bundesministerien) steigen. Transparenz ist nicht teilbar. zum Zweck der unmittelbaren oder mittelbaren Einfluss- Spätestens seit der Gründung von der Initiative Lobby- nahme aufnehmen. Sämtliche Kontaktaufnahmen wie control, die sich seit 2005 intensiv für Transparenz und zum Beispiel persönliche Treffen, Briefe, E-Mails und Demokratie einsetzt, gehört es zum Allgemeinwissen, (B) Anrufe führen zur Registrierungspflicht. dass Lobbyismus zwei Seiten hat: eine gute Seite, wenn (D) Drittens. Das LobbyRG enthält umfassende Informa- es um transparente Informationen sowie Informantinnen tionspflichten: Die erforderlichen Angaben betreffen und Informanten geht, darum, bestimmte Sichtweisen sowohl die Identität und Tätigkeit des Interessenvertre- und spezielle Interessen unter fachlichen Gesichtspunk- ters als auch die Finanzierung der Interessenvertretung. ten kennenzulernen, und eine schlechte Seite, wenn es um Ein ganz wichtiger Punkt ist, dass Lobbyisten auch ihre Manipulation, Fehlinformation, Egoismus bis hin zu Auftraggeber benennen müssen. Die Angaben zur Finan- „Provisionen“ oder andere finanzielle Zuwendungen zierung können verweigert worden. Das ist ärgerlich. geht, um bestimmte Meinungsbildungen im Parlament Allerdings kommen Lobbyistinnen und Lobbyisten auf zu befördern oder zu behindern. eine „schwarze Liste”: Sie erhalten keinen Hausausweis, Deshalb braucht es deutlich mehr Transparenz bei den und sie werden nicht mehr zu öffentlichen Anhörungen Nebentätigkeiten, Nebeneinkünften und Unternehmens- des Bundestages eingeladen. Das ist erfreulich. beteiligungen von Bundestagsabgeordneten. Der vorlie- Viertens. Verstöße, also fehlende oder falsche Anga- gende Antrag der Fraktion Die Linke ist hierfür nicht ben, werden mit einem Ordnungsgeld von bis zu weitgehend genug. 50 000 Euro sanktioniert. Die Lobbyistinnen und Lob- Die Koalitionsfraktionen werden daher in Kürze einen byisten erhalten auch in diesem Fall keinen Hausausweis Gesetzentwurf einbringen, der neben dem Lobbyregister und werden nicht mehr zu öffentlichen Anhörungen ein- auch folgende Verbesserungen der Transparenzregelun- geladen. gen vorsieht: Interessenvertretung ist nicht grundsätzlich verwerf- 1. Anzeigepflichtige Einkünfte aus Nebentätigkeiten lich und ein Bestandteil der Meinungsbildung für Abge- und Unternehmensbeteiligungen werden künftig be- ordnete. Sich eine Meinung auf der Grundlage möglichst tragsgenau (auf Euro und Cent) veröffentlicht. Ein- vieler Sichtweisen zu bilden, macht gute Gesetzgebung künfte sind künftig anzeigepflichtig, wenn sie im möglich. Den Interessen einer Lobbygruppe oder eines Monat den Betrag von 1 000 Euro oder bei ganzjähri- Lobbyisten zu folgen, führt zu schlechter Gesetzgebung. gen Tätigkeiten im Kalenderjahr in der Summe den Die Transparenz über die Entstehung von Meinungen Betrag von 3 000 Euro übersteigen. hilft, die Ergebnisse der Gesetzgebungsverfahren zu ver- stehen und zu begründen. Auch der Einfluss ausländi- 2. Beteiligungen sowohl an Kapitalgesellschaften als scher Kräfte auf die Gesetzgebung im Deutschen Bun- auch an Personengesellschaften werden künftig be- destag würde so deutlich und könnte unterbunden reits ab 5 Prozent (bislang: 25 Prozent) der Gesell- werden. schaftsanteile angezeigt und veröffentlicht. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021 27817

(A) 3. Auch Einkünfte aus anzeigepflichtigen Unterneh- Anlage 4 (C) mensbeteiligungen (zum Beispiel Dividenden, Ge- winnausschüttungen) werden anzeige- und veröffent- Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung lichungspflichtig. Der Bundesrat hat in seiner 1001. Sitzung am 5. März 2021 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzu- 4. Aktienoptionen werden künftig anzeige- und veröf- stimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Absatz 2 fentlichungspflichtig sein, und zwar unabhängig von des Grundgesetzes nicht zu stellen: der Frage, ob sie einen bezifferbaren Wert haben. Von – Gesetz zur Einführung und Verwendung einer Identi- der Anzeigepflicht sollen auch vergleichbare Wertpa- fikationsnummer in der öffentlichen Verwaltung und piere, etwa auf den Unternehmenswert bezogene De- zur Änderung weiterer Gesetze (Registermodernisie- rivate, umfasst sein. Die Regelung wird daher weit rungsgesetz – RegMoG) gefasst. Der Bundesrat hat ferner die folgende Entschließung 5. Von Dritten bezahlte Lobbytätigkeit von Bundestags- gefasst: abgeordneten gegenüber der Bundesregierung oder Zu Artikel 1 (Anlage Nummer 44 IDNrG) dem Bundestag wird gesetzlich verboten. Fragen der konkreten Abgrenzung und Definition müssen noch Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, den Begriff im Gesetzgebungsprozess geklärt werden. Ehrenamt- Bauvorlagenberechtigungsverzeichnisse“ in der Anla- liche Tätigkeiten gegen Aufwandsentschädigung, ge Nummer 44 IDNRG – „Register nach § 1dieses etwa im Vorstand eines Vereins, sollen erlaubt blei- Gesetzes“ – nächstmöglich durch die Wörter „sämt- ben, sofern die Aufwandsentschädigung verhältnis- liche von den Architekten- und Ingenieurkammern der mäßig ist und eine noch zu bestimmende Grenze nicht Länder auf gesetzlicher Grundlage zu führenden Lis- überschreitet. ten, Verzeichnisse oder Register“ zu ersetzen. Begründung: 6. Der Missbrauch der Mitgliedschaft im Deutschen Der in der Anlage Nummer 44 IDNrG – „Register Bundestag zu geschäftlichen Zwecken ist schon heute nach § 1 dieses Gesetzes“ – genannte Begriff gemäß den Verhaltensregeln des Deutschen Bundes- „Bauvorlagenberechtigungsverzeichnisse“ ist tages unzulässig, führt aber zu keiner Sanktion. Wir unzutreffend und bedarf der Klarstellung. werden das ändern und den Missbrauch künftig ge- setzlich verbieten. In diesem Zusammenhang wollen Zum einen ist das Erfordernis der Bauvorlage- wir auch Honorare für Vorträge verbieten. berechtigung für die Änderung und Errichtung (B) bestimmter baulicher Anlagen in den Landes- (D) bauordnungen geregelt. Wer im Einzelnen bauvor- 7. Abschöpfung verbotener Einnahmen: Wenn Abgeord- lageberechtigt ist, ergibt sich dabei insbesondere nete ihre Mitgliedschaft missbrauchen oder gegen das aus den von den Länderkammern zu führenden gesetzliche Verbot der entgeltlichen Interessenvertre- Listen, deren Führung diesen Länderkammern als tung für Dritte verstoßen und hierdurch Einnahmen gesetzliche Aufgabe in den entsprechenden Kam- erzielen, sind diese Einnahmen an den Bundestag mergesetzen übertragen ist. Während die Inge- abzuführen. nieurkammern hierüber eigene Listen führen, ergibt sich bei den Architekten die Bauvorlagebe- 8. Für die Fälle der Nummer 7 wird als zusätzliche Sank- rechtigung unmittelbar aus der Eintragung in die tion auch ein Ordnungsgeld verhängt. Architektenlisten. Ein gesondertes Verzeichnis wird darüber hinaus nicht geführt. Darüber hinaus 9. Reform des § 108e StGB (Abgeordnetenbestechung ist die Beschränkung des Registerbegriffs auf die und -bestechlichkeit). Bauvorlageberechtigung zu eng gefasst, denn die Architektenkammern und die Ingenieurkammern führen weitere Listen beziehungsweise Verzeich- 10.Die Entgegennahme von Geldspenden durch Abge- nisse oder Register auf gesetzlicher Grundlage, ordnete wird verboten. Parteispenden, die der Abge- wie zum Beispiel die Listen der staatlich aner- ordnete erhält und an seine Partei weiterleitet, bleiben kannten Sachverständigen, die Listen der Trag- zulässig. werksplaner sowie im Ingenieurbereich die Listen der Prüfingenieure und Prüfsachverständigen, und 11. Die Koalition wird zeitnah Regelungen für mehr sind darüber hinaus im Bereich übertragener staat- Transparenz im Parteiengesetz, insbesondere zu Ver- licher Aufgaben in Verwaltungsverfahren einge- öffentlichungsgrenzen von Parteispenden, zu Partei- bunden. sponsoring und zu Werbemaßnahmen durch Dritte Insbesondere aus Gründen der Digitalisierung von (Parallelaktionen), vereinbaren. Baugenehmigungsverfahren haben sich die Bundesarchitektenkammer und Bundesingenieur- Die von der Koalition geplante Reform der Verhaltens- kammer bereits mit der Leitstelle XPlanung/XBau und Transparenzregeln für Abgeordnete ist deutlich auf die Bereitstellung einer zentralen Datenbank weitgehender und effektiver als der vorliegende Antrag verständigt, die die Listen aller Länderkammern der Fraktion Die Linke. Ich habe ihn daher abgelehnt. bündelt und die mittels einer Schnittstelle nach 27818 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021

(A) dem XBau-Standard in den digitalisierten Prozess kommt. Die Gesamtkosten für die Kommunen und (C) des Baugenehmigungsverfahrens eingebunden Länder bleiben daher unklar. Es handelt sich aller- werden soll. dings um erhebliche Kosten, die damit erneut den – Gesetz zur Erprobung weiterer elektronischer Ver- ohnehin von der COVID-19-Pandemie schon stark fahren zur Erfüllung der besonderen Meldepflicht belasteten Kommunen auferlegt werden. in Beherbergungsstätten Der Gesetzesbeschluss zieht erhebliche Mehrkosten – Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Ände- für Länder und Kommunen nach sich, die sich anhand rung von Familiennamen und Vornamen der darin beschriebenen Haushaltsausgaben nicht konkret nachvollziehen lassen. – Gesetz zur Verbesserung der strafrechtlichen Bekämpfung der Geldwäsche Der Bundesrat behält sich ausdrücklich vor, bei künf- tigen Gesetzgebungsverfahren durch eine Änderung – … Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches – des § 1 des Finanzausgleichsgesetzes eine dauerhafte Umsetzung der Richtlinie (EU) 2019/713 des Euro- Veränderung der Umsatzsteueranteile zugunsten der päischen Parlaments und des Rates vom 17. April Länder oder eine Erhöhung der Festbeträge zugunsten 2019 zur Bekämpfung von Betrug und Fälschung der Länder sicherzustellen und somit einen vollständi- im Zusammenhang mit unbaren Zahlungsmitteln gen Kostenausgleich für die Mehrkosten bei Ländern und zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses und Kommunen zu schaffen. 2001/413/JI des Rates – Drittes Gesetz zur Umsetzung steuerlicher Hilfsmaß- – Gesetz zur Verbesserung der Strafverfolgung hin- nahmen zur Bewältigung der Corona-Krise (Drittes sichtlich des Handels mit inkriminierten Gütern Corona-Steuerhilfegesetz) unter Nutzung von Postdienstleistern sowie zur Änderung weiterer Vorschriften Der Bundesrat hat ferner die folgende Entschließung gefasst: – Gesetz zum Aufbau einer gebäudeintegrierten Lade- und Leitungsinfrastruktur für die Elektromobilität 1. a) Der Bundesrat begrüßt die im Gesetz enthalte- (Gebäude-Elektromobilitätsinfrastruktur-Gesetz – nen steuerlichen Maßnahmen zur weiteren GEIG) Bekämpfung der Corona-Folgen und zur Stär- kung der Binnennachfrage. Dazu gehört, dass – Gesetz zur Regelung einer Einmalzahlung der Grund- angesichts der anhaltenden Belastungen von sicherungssysteme an erwachsene Leistungsberech- Familien mit Kindern infolge der pandemiebe- tigte und zur Verlängerung des erleichterten Zugangs dingten Einschränkungen auch im Jahr 2021 ein zu sozialer Sicherung und zur Änderung des Sozial- (B) Kinderbonus von 150 Euro für jedes kinder- (D) dienstleister-Einsatzgesetzes aus Anlass der COVID- geldberechtigte Kind gewährt werden soll. 19-Pandemie (Sozialschutz-Paket III) b) Die Kosten des Kinderbonus belaufen sich laut Der Bundesrat hat ferner die folgende Entschließung Gesetz auf insgesamt 2,14 Mrd. Euro, von de- gefasst: nen ein Anteil von 1,23 Mrd. Euro oder Der Bundesrat begrüßt die Einmalzahlung von 57,5 Prozent auf die Haushalte von Ländern 150 Euro für die im Sozialschutzpaket III genannten und Gemeinden entfällt. Eine Kompensation Leistungsberechtigten (unter anderem Leistungsbe- der durch den Kinderbonus bewirkten Minder- rechtigte des SGB XII), um die Folgen der Corona- einnahmen von Ländern und Gemeinden ist Pandemie abzumildern. Ausdrücklich bedauert der nicht vorgesehen. Der Bundesrat stellt fest, Bundesrat, dass im Bereich des SGB XII die Ausga- dass das Zweite Corona-Steuerhilfegesetz vom ben für die Einmalzahlung an Leistungsberechtigte Juni 2020, in dem ein Kinderbonus von des Dritten Kapitels SGB XII (Hilfe zum Lebensun- 300 Euro im Jahr 2020 geregelt worden war – terhalt) nicht vom Bund, sondern von den Kommunen ebenso wie bereits die Umsetzung des Kinder- oder Ländern getragen werden müssen. bonus im Zuge der Wirtschaftskrise des Jah- res 2009 –, eine vollständige Kompensation Im Rahmen des SGB XII erstattet der Bund den Leis- der Steuermindereinnahmen von Ländern und tungsträgern für die Leistungsberechtigten des Vierten Gemeinden mittels eines erhöhten Umsatz- Kapitels SGB XII (Grundsicherung im Alter und bei steuer-Festbetrags zugunsten der Länder und Erwerbsminderung) die für die Einmalzahlung ent- Gemeinden beinhaltete. stehenden Kosten als Nettoausgaben gemäß § 46a SGB XII (Bundesauftragsverwaltung). Die Kosten c) Der Bundesrat weist darauf hin, dass Länder für die Einmalzahlungen an Leistungsberechtigte des und Gemeinden schon im Jahr 2020 die fiska- Dritten Kapitels werden hingegen weit überwiegend lischen Belastungen aus den beschlossenen von den Kommunen getragen, zu einem geringen steuerlichen Erleichterungen (ermäßigter Anteil von den Ländern. Der Gesetzesbeschluss nennt Mehrwertsteuersatz in der Gastronomie, erwei- hierzu keine Gesamtkosten, sondern beschreibt ledig- terter Verlustrücktrag, Einführung einer degres- lich, dass es im Dritten Kapitel SGB XII bei siven Abschreibung, vereinfachte Stundung 100 000 Leistungsberechtigten außerhalb von Ein- von Steuern u. a.) zu einem beträchtlichen Teil richtungen zu Mehrkosten in Höhe von 15 Millionen mitgetragen haben. Gleiches gilt für die Finan- Euro und pro 10 000 Leistungsberechtigten in Ein- zierung der weiteren Maßnahmen im nun ge- richtungen zu Mehrkosten von 1,5 Millionen Euro planten Dritten Corona-Steuerhilfegesetz. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021 27819

(A) d) Der Bundesrat hält es vor diesem Hintergrund (Unfallverhütungsbericht Straßenverkehr (C) für erforderlich, dass eine vollständige Über- 2018/2019) nahme der Belastungen von Ländern und Ge- Drucksachen 19/26135, 19/26652 Nr. 2 meinden infolge des Kinderbonus durch den Bund geregelt und eine entsprechende Anpas- Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe sung der Umsatzsteuerfestbeträge in § 1 – Unterrichtung durch das Deutsche Institut für Men- Absatz 2 FAG zugunsten der Länder und Ge- schenrechte meinden vorgenommen wird. Jahresbericht 2019 2. Der Bundesrat begrüßt, dass auch in diesem Jahr Drucksache 19/24970 ein Kinderbonus gezahlt und das Kindergeld im Monat Mai um einen Einmalbetrag in Höhe von – Unterrichtung durch das Deutsche Institut für Men- 150 Euro für jedes Kind erhöht werden soll, um schenrechte die anhaltenden coronabedingten Belastungen von Bericht über die Entwicklung der Menschen- Familien mit Kindern auszugleichen. rechtssituation in Deutschland im Zeitraum Der Bundesrat bedauert jedoch, dass der Kinder- Juli 2019 bis Juni 2020 bonus unterhaltsrechtlich wie Kindergeld behan- Drucksache 19/24971 delt wird. Dies führt bei entsprechender Anwen- dung des § 1612b BGB zu einer Anrechnung und einer Verringerung des Unterhaltsanspruchs des Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben Kindes im Monat der Zahlung. Unterhaltsberech- mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Uni- tigte Kinder von alleinerziehenden Elternteilen, onsdokumente zur Kenntnis genommen oder von einer die keinen Unterhaltsvorschuss beziehen, werden Beratung abgesehen hat. damit benachteiligt. Das Ziel, mithilfe des Kinder- bonus einen zusätzlichen Nachfrageimpuls zur Ausschuss für Inneres und Heimat Drucksache 19/22367 Nr. A.6 Stärkung der Konjunktur bei Familien mit Kindern Ratsdokument 8991/20 zu schaffen, wird verfehlt, wenn der Kinderbonus Drucksache 19/26316 Nr. A.8 Ratsdokument 14133/20 nicht bei den Erziehenden ankommt, sondern Drucksache 19/26316 Nr. A.9 unterhaltsrechtlich zwischen getrennten Eltern Ratsdokument 14150/20 aufgeteilt werden muss. Ausschuss für Wirtschaft und Energie Drucksache 19/23079 Nr. A.38 Der Bundesrat fordert die Bundesregierung des- Ratsdokument 10435/20 (B) halb auf, sicherzustellen, dass der Kinderbonus Drucksache 19/27086 Nr. A.24 (D) Ratsdokument 5139/21 nicht gemäß § 1612b BGB auf den Unterhaltsan- Drucksache 19/27086 Nr. A.25 spruch anzurechnen ist. Auf diesem Wege kommt Ratsdokument 14242/20

der Kinderbonus auch bei den Alleinerziehenden, Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur die keinen Unterhaltsvorschuss erhalten, in vollem Drucksache 19/27086 Nr. A.31 Ratsdokument 5105/21 Umfang an. Zudem wird der deutliche Mehrauf- Drucksache 19/27086 Nr. A.32 wand bei den Beistandschaften in den Jugendäm- Ratsdokument 5268/21 Drucksache 19/27377 Nr. A.2 tern vermieden, der durch eine unterhaltsrechtli- Ratsdokument 5842/21 che Anrechnung entsteht. Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit – Gesetz zur Verlängerung der Geltungsdauer des Drucksache 19/25928 Nr. A.17 Ratsdokument 13451/20 Planungssicherstellungsgesetzes und der Geltungs- Drucksache 19/25928 Nr. A.18 dauer dienstrechtlicher Vorschriften Ratsdokument 13466/20 Drucksache 19/26316 Nr. A.26 Ratsdokument 13944/20

Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Die folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass sie Drucksache 19/25928 Nr. A.21 EuB-BReg 92/2020 gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von Drucksache 19/27086 Nr. A.34 einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen EP P9_TA-PROV(2020)0376 Drucksache 19/27086 Nr. A.36 absehen: EP P9_TA-PROV(2021)0014 Drucksache 19/27086 Nr. A.37 Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur EP P9_TA-PROV(2021)0018

– Unterrichtung durch die Bundesregierung Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Drucksache 19/16956 Nr. A.12 Bericht der Bundesregierung zur Verwendung der ERH 9/2019 Drucksache 19/22367 Nr. A.74 Regionalisierungsmittel durch die Länder im Ratsdokument 10063/20 Jahr 2017 Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Drucksachen 19/23670, 19/24132 Nr. 1.1 Drucksache 19/2623 Nr. A.26 Ratsdokument 8353/18 Drucksache 19/2623 Nr. A.27 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Ratsdokument 8354/18 Drucksache 19/2623 Nr. A.28 Bericht der Bundesregierung über Maßnahmen auf Ratsdokument 8355/18 Drucksache 19/2623 Nr. A.29 dem Gebiet der Unfallverhütung im Straßenverkehr Ratsdokument 8356/18 2018 und 2019 Drucksache 19/2623 Nr. A.30 27820 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. März 2021

(A) Ratsdokument 8357/18 Ratsdokument 8408/20 (C) Drucksache 19/2623 Nr. A.32 Drucksache 19/20810 Nr. A.29 Ratsdokument 8359/18 Ratsdokument 8137/20 Drucksache 19/20243 Nr. A.29 Ratsdokument 8142/20 Drucksache 19/20810 Nr. A.30 Drucksache 19/20243 Nr. A.36 Ratsdokument 8138/20

(B) (D)

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