Rundbrief Nr. 27(August 2013)
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HISTORISCHE KOMMISSION FÜR NIEDERSACHSEN UND BREMEN ARBEITSKREIS GESCHICHTE DER JUDEN Sprecher: Dr. Werner Meiners, Oldenburg; Stellvertretende Sprecherin: Dr. Marlis Buchholz, Hannover; Schriftführer: Dr. Jürgen Bohmbach, Stade, Mozartstraße 54a, 21682 Stade; E-Mail: [email protected] Rundbrief Nr. 27 (August 2013) Sprecher-Neuwahlen und Perspektive des Über Anregungen und Hinweise von Ihnen Arbeitskreises würde sich das Sprecherteam freuen. Alles weitere am 18. September in Hannover. Werner Meiners Liebe Mitglieder des Arbeitskreises Geschichte der Juden! Wieder einmal stehen im September Tagung des Arbeitskreises in Bremen Sprecher-Neuwahlen an. Nach neunjähriger am 13. März 2013 Tätigkeit werden Frau Buchholz und ich nicht wieder kandidieren; Herr Bohmbach ist bereit, Der Vorsitzende begrüßt die Anwesenden erneut für das Schriftführer-Amt zu und dankt für die Möglichkeit, die Tagung kandidieren. erstmals auch im Staatsarchiv Bremen durch- Nun stehen wir vor der Aufgabe, Nachfolger führen zu können. zu finden, die zum einen der Historischen Herr Dr. Elmshäuser stellt den Tagungsort Kommission angehören müssen und zum an- und seinen Bezug zum Thema vor. Bremen hat deren noch nicht die Altersgrenze von 65 Jah- erstaunlich geringe Bedeutung für die jüdische ren überschritten haben. Die Altersgrenze gilt Geschichte. im HIKO-Ausschuss, in dem der Arbeitskreis- Sprecher vertreten ist. Themenplanung, Projekte und Was die Perspektive des Arbeitskreises an- Informationen geht, so erscheint mir offensichtlich, dass ein Arbeitsschwerpunkt in der Ausweitung der Herr Meiners verweist auf das Projekt „Reise Zusammenarbeit mit anderen Institutionen ins jüdische Ostfriesland“, an dem sich anläss- und Gremien (wie bereits mit der Stiftung lich der 75. Wiederkehr der Pogromnacht eine niedersächsische Gedenkstätten praktiziert) große Zahl von Einrichtungen beteiligen. liegen muss, und dies über die Landesgrenzen Herr Banse legt eine Broschüre zu „Stolper- hinaus (wie schon in Ansätzen mit Fachkolle- steinen in Uelzen“ aus. gen in Westfalen und Hamburg). Innerhalb der Der dritte Teil der Tagung „Juden in Nieder- HIKO sollte die inhaltliche Kooperation mit sachsen“ wird wohl erst in 2014 stattfinden. den anderen Arbeitskreisen vertieft werden. Die Stiftung niedersächsische Gedenkstätten Um diese Ziele erreichen zu können, benö- plant eine umfassende Veröffentlichung. tigt der AK ein engagiertes Leitungsteam, das Im September 2013 muss das Sprecher- sich dieser Aufgabe stellt. Ein Hauptproblem gremium neu gewählt werden; Frau Buchholz ist in diesem Zusammenhang, dass dem AK die und Herr Meiners werden nicht kandidieren. personelle Verankerung an den Hochschulen Der Stamm der kontinuierlichen Mitarbeiter verlorengegangen ist und auch nicht zu sehen des Arbeitskreises wird geringer. ist, wie sich dies kurzfristig ändern lässt. Herr Dörfler regt an, sich mit den Themen Wir finden zwar immer wieder Referenten Zionismus und Antisemitismus in Niedersach- unter jüngeren Wissenschaftlern. Diese haben sen zu beschäftigen. aber einen relativ engen thematischen Schwerpunkt und sind kaum zu einer per- manenten Mitarbeit zu bewegen. 2 Einführung in das Schwerpunktthema: missverstanden, vom Senat aber als bis 1820 Jüdisches Leben im Weserraum vom 16. begrenzte Zwischenlösung gemeint wurde. Jahrhundert bis Anfang des 19. Jahrhunderts Schon im Jahre 1819 beauftragte der Senat eine Kommission aus den eigenen Reihen mit Herr Meiners umreißt zu Beginn die Frage der Vorbereitung der endgültigen Ausweisung, nach Gemeinsamkeiten und das Problem einer musste aber erneut die kritischen Fragen der Grenzziehung zu anderen Räumen. übrigen Bundesstaaten, besonders der Nach- In den Jahren 1550 und 1564 gibt es erste barn Hannover und Oldenburg berücksichti- Ansiedlungsversuche in Bremen. Wohl beson- gen, die besorgt waren, die aus Bremen aus- ders wegen der Unterstützung der Erzbischöfe gewiesenen Juden könnten sich in ihren Staa- wurden die Juden jedoch von der Stadt abge- ten niederlassen und fragten, wo die bremi- wiesen, stand die Stadt doch seit langem in schen Juden denn schließlich bleiben sollten. einem Souveränitätskonflikt mit den Erzbi- Eine Frage, die dem Senat gar nicht gekom- schöfen, die zu dieser Zeit immer noch, wenn men war, da er etwas naiv davon ausgegangen auch mit wenig Erfolg, die Landesherrschaft war, diese würden einfach an ihre früheren über die Stadt reklamierten. Wohnorte zurückkehren können. Aus Furcht vor einem diplomatischen Eklat Vortrag 1 im Bundestag schlug der Senat anstelle der Andreas Lennert: rigiden Ausweisung einen flexibleren Weg ein, Die Judenpolitik des Bremer Senats unter ohne sein grundsätzliches Ziel aus den Augen Johann Smidt und ihr Nachhall in Bremen bis zu verlieren: Den christlichen Hausbesitzern in die Gegenwart wurden Mietverträge mit jüdischen Familien Nachdem Bremen über Jahrhunderte die untersagt, Juden sollten mit der Androhung, Ansiedlung von Juden verhindert hatte, muss- anderenfalls ihre Warenlager und Kontore zu te die Stadt sich im Jahre 1803 verpflichten, schließen, zur Lösung einer Fremdenkarte anlässlich der Übernahme bis dahin hannover- verpflichtet werden und die „Polizey“ wurde scher Dörfer auch einige hannoversche beauftragt, mit den jüdischen Familien jeweils Schutzjuden mit ihren Familien zu überneh- individuelle Ausreisetermine zu vereinbaren. men, erlaubte ihnen aber keine Ansiedlung in Schließlich wurden die seit 1803 „bremischen“ der Stadt selber. Erst in der Zeit der französi- Juden zur Rückkehr in ihre Dörfer aufgefor- schen Okkupation ließen sich bis 1813 ca. 30 dert. jüdische Familien bzw. einzelne Juden in der Schon ein halbes Jahr später, 1821, musste Stadt selbst nieder. sich der Senat das Scheitern seiner Anstren- Sobald die Stadt ihre alte Freiheit wieder- gungen eingestehen: Die Hausbesitzer, unter gewonnen hatte, war die Rückführung dieser ihnen ein Mitglied des Senats, weigerten sich, Juden in das bremische Landgebiet und die ihre jüdischen Mieter auf die Straße zu setzen, Ausweisung der nichtbremischen Juden un- einige forderten vom Senat Mietausfallent- umstrittenes Ziel des Senates. Über mehrere schädigung. Jahrzehnte beschäftigte ihn der Wunsch, Bre- Die Juden missachteten die Auflage der men wieder zu einer judenfreien Stadt zu ma- Fremdenkarte, und der Senat musste zuge- chen. ben, dass sie auch mit der Verpflichtung zur Anfangs hinderten ihn die noch offenen Fremdenkarte so wenig aus der Stadt wären Verhandlungen über die Bundesakte und die wie ohne. Eine Bereitschaft der Herkunftsorte Stellung der Juden im zu gründenden Deut- zur Wiederaufnahme der Juden war ebenfalls schen Bund und entschiedene Interventionen nicht zu erreichen. der drei Großmächte Österreich, Preußen und Die angedrohte Beschlagnahme der Waren- Russland zugunsten der bremischen Juden an lager blieb so lange wirkungslos, wie sich einer radikalen Ausweisung. Im Jahre 1814 christliche Kaufleute als Vertreter und Ge- gewährte man den jüdischen Familien ein auf schäftsführer für jüdische Kollegen fanden. So sechs Jahre befristetes Bleiberecht, das von musste sich der Senat auf eine Politik der ju- den Juden als Beginn eines jeweils der Verlän- denfeindlichen Nadelstiche verlegen: Dienst- gerung bedürftigen dauernden Aufenthalts boten, alleinstehende Kaufmannsgehilfen und Arbeiter, z. B. in den Zigarrenmanufakturen 3 wurden polizeilich ausgewiesen, die wohlha- Bürgermeister den Kontrollverlust über eine benden Kaufleute, denen das Leben schwer Bevölkerungsgruppe mit eigener Gemein- gemacht wurde, verließen nach und nach die destruktur und autonomen Sozialeinrichtun- ungastliche Stadt. gen. Übrig blieben die Vermögens- und Einkom- Lange Zeit hat die Judenaustreibung im menslosen, die nirgendwo anders einen Woh- Bremer Gedenken an Johann Smidt keine Rol- nort fanden. Die Macht des Senats scheiterte le gespielt. Mit Recht galt er als der bedeu- gerade an den Ärmsten. Die notwendige Rück- tendste bremische Staatsmann des 19. Jahr- sicht auf die übrigen Bundesstaaten hinderte hunderts und wurde als solcher gefeiert. den Senat daran, sie einfach über die Grenze Erst 1921 erschien die erste umfassende Be- zu schicken. In Einzelfällen scheute der Senat schreibung der Judenpolitik des Bremer Se- aber auch keine Kosten. So finanzierte er z. B. nats und Smidts unter dem Titel „Bürgermei- noch 1841 einer minderbemittelten Familie ster Smidt und die Juden“ von Richard Rüth- die Überfahrt nach Nordamerika einschließlich nick. Allerdings handelte es sich um die Schrift eines „Eingliederungsgeldes“ – gegen die eid- eines antisemitischen Lokalpolitikers, der dem liche Zusage, nie wieder nach Deutschland Ruhme Smidts ein weiteres Blatt hinzufügen zurückzukehren. wollte. Dementsprechend erschien eine zwei- Als Motor und Repräsentant dieser juden- te Auflage im Jahre 1934. feindlichen Politik gilt gemeinhin Johann Selbst nach dem 2. Weltkrieg fand die bre- Smidt. Die Akten zeichnen aber das Bild eines mische Judenvertreibung keine weitere Er- sich in dieser Frage weitgehend einigen Se- wähnung, auch nicht anlässlich des Staatsak- nats. Smidt ist derjenige, der diese Politik als tes zu seinem 100. Todestag im Jahre 1957. Vertreter Bremens sowohl auf dem Wiener Erst anlässlich des 200. Geburtstages von Kongress als auch im Deutschen Bundestag Smidt im Jahre 1973 kam es zur öffentlichen vertreten muss. Nicht zuletzt deshalb liegen Auseinandersetzung und zum Eklat. Herbert umfangreiche schriftliche Berichte dazu aus Weichmann, der ehemalige hochangesehene seiner Hand vor. Bürgermeister Hamburgs, lehnte die Bitte des Fragt man