Begräbnis-Pop Und Die Heilige Stromgitarre
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Begräbnis-Pop und die heilige Stromgitarre Musik | Toms Plattencheck »Es war entsetzlich kalt; es schneite, und der Abend dunkelte bereits; es war der letzte Abend im Jahre, Silvesterabend. In dieser Kälte und in dieser Finsternis ging auf der Straße ein kleines, armes Mädchen mit bloßem Kopfe und nackten Füßen.« So beginnt die märchenhafte Kurzerzählung ›Das kleine Mädchen mit den Schwefelhölzern‹ von Hans-Christian Andersen. Und wo bleibt jetzt die Musik? Von TOM ASAM An eine musikalische Umsetzung des 1845 entstandenen Werks wagen sich die schwedische Musikerin und Sängerin Anna von Hausswolf und ihr Landsmann Matti Bye, gemeinsam: Hydras Dream. Bye ist erfolgreicher Filmmusiker (Soundtracks zu ›Fargo‹ oder nun zur Verfilmung des Bestsellers ›Der Hundertjährige, der aus dem Fenster…‹). Schon bei Hausswolfs Solo-Platten taten sich durchwegs begeisterte Kritiker schwer, das Gehörte zu beschreiben. Die Künstlerin selbst nannte ihr Tun einmal »Funeral pop«. Das sagt nicht viel aus, klingt aber gut und ist auch für ›The little match girl‹ nicht unpassend, handelt es sich bei dem Märchen doch um die Schilderung eines tragischen Erfrierungstodes. ›Hydras Dream‹ versuchen die surreale, düstere Schilderung in erster Linie durch Improvisation zu beschreiben, wobei sie sich der Wiederholung von musikalischen Mustern bedienen. Irgendwo zwischen Neo- Klassik, Ambient und einer ganz eigenen Art von Dream Pop entsteht ein sehr eigenständiges Werk, in dem Hausswolfs magische Stimme pointiert eingesetzt wird. Das Album soll in fast unglaublich kurzen drei Tagen geschrieben und aufgenommen worden sein, der Hörer wird deutlich länger davon fasziniert sein. Eine Band, die sich auf die 60’s bezieht und mit einem Yardbirds-Song aufwartet. Da geht schnell die Bluesrock-Alarmglocke an, vor dem inneren Auge ziehen bärtige Männer im sogenannten besten Alter vorbei, die sich in Mehrzweckhallen in Kreisstädten die Beine in die Bierwampe stehen und über Lieblings-Klampfer und Gitarrenverstärker diskutieren. Weiß man, dass die Bands um die es hier geht, Coogans Bluff, aus dem hohen Nordosten der Republik kommt, versucht man sich die Begräbnis-Pop und die heilige Stromgitarre Mehrzweckhallen in Brandenburg oder Meckpomm vorzustellen, wozu einem im Süden der Republik womöglich schon die Namen potenzieller Kreisstädte nicht einfallen wollen. Was aber auch alles völlig egal ist. Denn erstens spielen Coogans Bluff nach ihrem vierten Album längst erfolgreich in der ganzen Republik und darüber hinaus (in renommierten Live-Clubs), und – wichtiger – ist das alles andere als Gitarren-Gegniedel für Ewiggestrige. Natürlich besinnen sich Coogans Bluff, wie so viele andere, auf bewährte Kost, aber sie sind in der Lage, eigene Rezepte auszuprobieren bzw. frische Zutaten zu verwenden. Entscheidend: Diese Musiker haben erkannt, dass es Ende der 60er Bands gab, die wie selbstverständlich verschiedene Stile miteinander verbanden. Auf ›Gettin‘ Dizzy‹ hören wir Rock, der sich selbstverständlich auf Blues bezieht, der zudem psychedelische wie jazzige Konnotationen findet, ohne dabei Funk, Folk und Country aus den Augen zu verlieren. Zu einer tollen Rhythmussektion gesellt sich hier nicht nur die heilige Stromgitarre, die hin und wieder auch zu ihrem Feedback-Ausritt kommt (ohne, dass das überbetont wird), sondern auch mehrstimmige Bläsersätze, Chöre oder ein Mellotron. Man höre und staune etwa bei ›Money & Mess‹, wie Gitarrenpower und Saxophon / Trompete schön zusammenkommen. Coogans Bluff rocken, haben Sinn für unkitschige musikalische Schnörkel und dazu auch noch ein Gespür für Hooklines und Melodien. Könnte fast eine der schier endlosen Reinkarnationen der ewig tollen Norweger Motorpsycho sein. Ach ja: Das Yarbirds-Cover ist ›Heart full of soul‹ – und weiß ebenso zu gefallen! Alle Jahre wieder fragt man sich, ob das ewige 80s-Revival, das unglaublich viele Teile der Musik- und Modewelt schon so lange bestimmt, auch mal aufhört. Jüngere Jahrgänge können ja gar keine Zeit zwischen den 80s und ihrer Wiederauferstehung erinnern. Logischerweise müssten den 80er Jahren ja die 90er folgen. In Ausschnitten passiert das durchaus, aber mehr als ein äußerstes Nischendasein bleibt etwa Grunge-Revival-Kapellen kaum. Etwas deutlicher auf dem Radar sind vielleicht Versuche, den Trip Hop aus seligen Bristol-Zeiten aufleben zu lassen. Das macht auch Produzent und Songwriter Neil Davidge; das heißt, er ist seinen Vorlieben wohl einfach treu geblieben. Schließlich ist dieser Mann selbst aus Bristol und hat tatsächlich auch den Sound von Vorzeigeband Massive Attack von ›Mezzanine‹ bis hin zu ›Heligoland‹ mitgeprägt; bei Letzterem hat er gar einen Großteil der Songs mitgeschrieben. Nach langen Jahren im Hintergrund (auch als erfolgreicher Soundtrack-Komponist) veröffentlicht Davidge nun tatsächlich mit ›Slo Light‹ sein erstes eigenes Album, auf dem ihm zahlreiche GastsängerInnen zur Seite stehen. Der titelgebende Opener führt die New Yorkerin Stephonik Youth ein und führt gleich mal Richtung Downbeat und Massive Attack-Wurzeln. ›Sleep Walking‹ (feat. Emi Green) verneigt sich hingegen eher vor John Barry und den nicht minder wunderbaren Portishead. Barry wiederum huldigt mit seinem Projekt Beak übrigens dem guten alten Krautrock, ein Einfluss der ebenfalls auf ›Slo light‹ hinzukommt – etwa auf ›Gallant Foxes‹ (feat. Cate Le Bon), das ebenso Freak-Folk-Bezüge aufweist. Bei einigen düster-schönen Stücken fühlt man sich dann wiederum eher an die Glanzzeiten des 4AD Labels und Bands wie Dead Can Dance, erinnert. ›Slo Light‹ ist ein blitzsauber durcharrangiertes und produziertes Album, das wie ein Bewerbungsmäppchen für Begräbnis-Pop und die heilige Stromgitarre weitere potenzielle Auftraggeber Davidge’s wirkt. Seine Solokarriere wird er vermutlich nicht mit der höchsten Priorität versehen; um wirklich aufzufallen, fehlen dem wirklich gelungenen Scheibchen vielleicht auch die Überraschungsmomente und nach vorne weisenden Ideen. Bereits vor Jahresfrist an dieser Stelle empfehlen konnte ich das Album ›Kokoyinaka‹ der in Ghana geborenen Schweizerin Joy Frempong aka OY. Das erfrischende Stück Musik, das Electronica, eingängig-fröhlichen Pop und afrikanische Elemente perfekt vereint, taucht nun noch einmal in etwas veränderter Form neu auf. Drei Songs wurden ausgetauscht, die Tracklist etwas umgestaltet und der Titel verändert. Der Hintergrund: OY hat nun einen Plattendeal mit dem renommierten belgischen Label Crammed Disc, was dem tollen Album nun hoffentlich zur verdienten Aufmerksamkeit verhilft. Die Idee zu ›No Problem Saloon‹, wie es nun heißt, entstand übrigens auf diversen Reisen durch Mali, Burkina Faso, Ghana und Südafrika, auf denen OY nicht nur inspirierende Menschen und Geschichten traf, sondern auch O-Töne per Field Recording sammelte. In einem Berliner Studio, in dem das Album in Zusammenarbeit mit Schlagzeuger und Produzent Lleluja-Ha vollendet wurde, wurde dann schon mal eine zuknallende Taxitür zum »Schlagzeug«, eine ratternde Waschmaschine zum Bass-Sound. Ebenfalls erst ein paar Monate her ist die Veröffentlichung Smoke von Dapayk & Padberg. Die Tracks zeigten sich stellenweise eher neblig-düster als verraucht. Zwischen poppigem House und Dubstep-Anklängen fand das Duo einen Weg, Beats und Vocals gekonnt in Einklang zu bringen. Nun gibt es die ›Smoke Family Remixes‹, wobei 9 der 14 Tracks eine Bearbeitung durch Labelkollegen bei Mo’s Ferry erfuhren. Die Ausrichtung ist klar: Die leicht düsteren Zwischentöne verschwanden weitgehend, die Tracks sind in den Remix-Varianten straighter und deutlich mehr Richtung Clubtauglichkeit gestrickt. Das verträumte ›Dance in your Flame‹ kommt in der Bearbeitung von Douglas Greed in einem fluffig-leichten Flow, aus dem ursprünglich melancholisch angehauchten ›Now words‹ wird ein Club-Stampfer. Von ›Gingembre‹ hören wir sogar drei verschiedene interessante Remix-Varianten, von Begräbnis-Pop und die heilige Stromgitarre denen die von Sebastian Russel heraussticht. Insgesamt eine nette Ergänzung, die Smoke natürlich nicht ersetzt, denn das Ausgangsmaterial funktioniert als komplettes Album einfach besser. | TOM ASAM Titelangaben Hydras Dream: The little match girl – Denovali Records / Cargo Coogans Bluff: Gettin‘ dizzy – Noisolution Davidge: Slo light – 7Hz Recordings/ Alive OY: No problem saloon – Crammed Disc / Indigo/Pias Dapayk & Padberg: Smoke family remixes – Mo’s Ferry Prod. /WordandSound/RTD/Finetunes.