Politischer Jahresbericht Juli 2003 – Juli 2004

Regionalbüro

Axel Harneit-Sievers, Büroleiter

Inhalt:

I. Zusammenfassung S. 2

II. Zentrale Entwicklungen S. 3

Wirtschaftssituation und Reformpolitik S. 4 Politisches System und politische Kultur S. 9 Frauen in der nigerianischen Politik S.14 Gewaltsame Konflikte S.16

III. Ausblick S.19

IV. Anhänge Anhang 1: Chronologie S.21 Anhang 2: Übersicht zu Programmschwerpunkten der HBS S.23 Anhang 3: Publikationen und Website des Büros S.26 Anhang 4: Weitere Anlagen (Fotos, Zeitungsausschnitte) S.29 Heinrich-Böll-Stiftung, Politischer Jahresbericht Nigeria 2004

Zusammenfassung Die „zweiten Wahlen“ im demokratischen Transitionsprozess Nigerias, die im Frühjahr 2003 – von Unregelmäßigkeiten, Manipulation und teilweise auch Gewaltanwendung begleitet – stattgefunden hatten, warfen einen langen Schatten. Wahlanfechtungen vor eigens eingerich- teten Tribunalen zogen sich bis ins Jahr 2004, blieben aber weit- gehend erfolglos. Es bleibt ein Legitimationsdefizit des wiedergewählten Präsidenten , das die in den Parlamenten vertretenen Oppositi- onsparteien ebenso wie die in zahlreichen Gruppen und Allianzen or- ganisierte „außerparlamentarische Opposition“ Nigerias beständig be- klagen. Die Gegner Obasanjos kritisieren zunehmend autoritäre Ten- denzen des Präsidenten; die nach schweren ethnisch-religiösen Kon- flikten im Mai 2004 erfolgte Ausrufung des Ausnahmezustands im Pla- teau State diente nur mehr als weiterer Beleg für diese Tendenz. Die Opposition fordert weiterhin eine Nationalkonferenz, die die Grund- lagen des nigerianischen Staats neu verhandeln soll. Allerdings bleibt einer solche Konferenz aufgrund des Widerstands der Regierung unwahrscheinlich. Derweil wurden bereits die politischen Stratageme im Vorfeld der nächsten Wahlen 2007 sichtbar, die voraussichtlich eine „Rückkehr der Präsidentschaft“ nach Nord-Nigeria bringen werden – womöglich mit dem ehemaligen Militärherrscher als gewähltem Präsidenten. Seit Sommer 2003 weckte Präsident Obasanjo durch die Einsetzung ei- nes neuen „Wirtschaftsteams“ – mit Finanzministerin Ngozi Okonjo- Iweala als markanter Spitzenfrau – Erwartungen an eine stringentere Wirtschaftsreformpolitik, die angesichts der äußerst begrenzten „De- mokratiedividende“ seit 1999 auch überfällig erschien. Die ange- strebten Reformen konzentrieren sich auf Privatisierung der extrem ineffizienten Staatsbetriebe, grundlegende Reformen des Öffentlichen Dienstes sowie die Verbesserung der Transparenz bei Staatshaushalten und öffentlicher Auftragsvergabe. Dies sind auch die Schwerpunkte der im März 2004 veröffentlichten National Economic Empowerment and Development Strategy (NEEDS), die unter dem Primat der Armuts- bekämpfung steht. Die weitverbreitete grundsätzliche Skepsis – wenn nicht Zynismus – gegenüber der Regierung und ihrer Politik wurde dadurch allerdings kaum gedämpft. Die sozial und politisch dramatischen Folgen der Re- formpolitik zeigten sich vor allem in den Konflikten um den Benzin- preis, die seit Mitte 2003 bereits zweimal zum Generalstreik führ- ten. Die im Oktober 2003 erfolgte Deregulierung der Benzinpreise führte zwar erstmals seit Jahren zu einer landesweit weitgehend ge- sicherten Versorgung. Doch trieb der globale Ölpreisboom die Preise im Mai 2004 auch in Nigeria soweit in die Höhe, dass die Deregulie- rungspolitik suspendiert und Benzin erneut massiv subventioniert werden musste. Dies droht die Reformpolitik insgesamt zu gefährden. Nigeria erlebte erneut zahlreiche gewaltsame Konflikte – im Niger Delta, wo bereits seit Jahren eine Bürgerkriegssituation herrscht, ebenso wie an zahlreichen anderen lokalen Konfliktherden. Solche lo- kalen Konflikte drohen immer dann weiter zu eskalieren und nationale Ausstrahlung zu erhalten, wenn sie als islamisch-christliche Ausein- andersetzungen erscheinen. Dies geschah im Frühjahr 2004 in Yelwa () und in Kano. Gemessen an solchen Ausbrüchen blieb der Konflikt um die Sharia-Einführung in den nördlichen Bundesstaa-

2 Heinrich-Böll-Stiftung, Politischer Jahresbericht Nigeria 2004 ten, der Nigeria seit 2000 erschüttert hatte, in den vergangenen zwölf Monaten eher im Hintergrund.

Zentrale Entwicklungen Nigeria bietet ein klassisches Beispiel für das „Ressourcenparado- xon“: Einerseits gehört das mit rund 130 Millionen Einwohnern bevöl- kerungsreichste Land Afrikas seit den 1970er Jahren zu den wichtigs- ten Erdölexporteuren der Welt. Die Produktion stieg 2004 auf ca. 2,5 Mio. Barrel pro Tag (bpd). Andererseits befindet sich Nigeria seit nunmehr zwei Dekaden in einer Wirtschaftskrise; daran hat auch die seit 1999 amtierende Zivilregierung unter Präsident Olusegun Obasan- jo bisher nichts ändern können. Inzwischen leben rund zwei Drittel der Bevölkerung Nigerias unterhalb der Weltbank-definierten Armuts- grenze (1 USD pro Kopf und Tag). Ölreichtum und Massenarmut stellen – in Nigeria wie auch in zahlreichen anderen Ölexportstaaten der Dritten Welt – nur zwei Seiten derselben Medaille dar. Das Ressourcenparadoxon hat ökonomische und politische Ursachen. Die Erdölproduktion, die in Form von Joint Ventures zwischen transnatio- nalen Ölfirmen und der staatlichen Ölgesellschaft Nigerian National Petroleum Corporation (NNPC) erfolgt, stellt eine Enklavenwirtschaft dar. Sie ist kapitalintensiv, beschäftigt wenig Arbeitskräfte, und ihre Vernetzung mit dem Rest der nigerianischen Volkswirtschaft ist gering. Öl hat schon in den 1970er Jahren die traditionellen Agrar- exportgüter verdrängt, zu einer massiven Urbanisierung ohne beglei- tende industrielle Entwicklung sowie zu einer hohen Importabhängig- keit selbst bei Nahrungsmitteln geführt („Dutch Disease“). Doch die negativen Auswirkungen der Ölabhängigkeit reichen über „rein wirtschaftliche“ Folgen weit hinaus. Aus der Ölproduktion er- zielt der nigerianische Staat „Renten“-Einkommen, die heute den Lö- wenanteil der Staatseinnahmen ausmachen und in zentralisierter Form anfallen. Sobald eine einzelne, alle anderen überragende Quelle ge- sellschaftlichen Reichtums zentral akkumuliert und politisch kon- trolliert wird, entstehen Korruption und Nepotismus in großem Maß- stab. Politik degeneriert zum Kampf um Zugang zu dieser einen Res- source und der Verteilung des „nationalen Kuchens“, so der nigeria- nischen Sprachgebrauch. Die Besetzung eines politischen Amts wird zum Zielpunkt „politischer Unternehmer“, die ihre „Investitions- kosten“ durch die private Aneignung öffentlicher Mittel amortisie- ren. Zugleich entstehen heftige Verteilungskonflikte, häufig in ge- waltsamer Form. Rohstoff- und speziell Ölrenten haben in allen Ländern, außer in den stabilsten, institutionell gefestigtsten und am stärksten demokra- tisch legitimierten Staaten, zu schweren Verwerfungen geführt. Sie haben ohnehin schwache Institutionen korrodiert und die gesamt- wirtschaftliche Entwicklung eher behindert als gestärkt. In zahlrei- chen Ländern fördert und verlängert das Vorhandensein von Ölrenten gewaltsame Konflikte. Angesichts der rasch wachsenden Bedeutung der Region West- und Zent- ralafrika für die Welterdölförderung – bis 2015 werden Steigerungs- raten von 50% und mehr erwartet – drohen auch weitere Länder der Re- gion zu Opfern des „Ressourcenfluchs“ zu werden. Nigeria ist dabei weiterhin das wichtigste einzelne Förderland und bietet aufgrund seiner bereits über 30jährigen Ölexport-Erfahrung für die skizzier- ten Probleme reichliches Anschauungsmaterial. 3 Heinrich-Böll-Stiftung, Politischer Jahresbericht Nigeria 2004

Wirtschaftssituation und Reformpolitik Die Feststellung, die „Demokratiedividende“ sei ausgeblieben, gehört heute zu den Allgemeinplätzen des politischen Diskurses in Nigeria. Tatsächlich haben sich die wirtschaftliche Situation und die Lebens- verhältnisse der breiten Bevölkerung in den inzwischen fünf Jahren der Regierung Obasanjo nicht merklich verbessert; viele Nigeriane- rInnen sind der Überzeugung, es gehe ihnen heute schlechter als je zuvor. Die – allenfalls – begrenzten wirtschaftlichen Erfolge und die ausgesprochen negative Wahrnehmung der Situation durch weite Teile der Bevölkerung stellen heute das größte Legitimitätsdefizit des Demokratisierungsprozesses in Nigeria dar. Dieser generell negativen Wahrnehmung hält die Regierung statisti- sche Daten entgegen, die eine Trendwende zum Besseren signalisieren sollen. So bezifferte der im Frühjahr 2004 veröffentliche erste Ent- wurf des National Economic Empowerment and Development Program (NEEDS) das jährliche Wirtschaftswachstum in Nigeria im Zeitraum zwischen 1999 und 2003 auf 3,6%, was allerdings auch NEEDS zufolge nicht zum Abbau der Massenarmut ausreiche. Die Reallöhne im öffent- lichen Dienst seien seit 1999 wieder gewachsen und erreichten etwa das Niveau wie Anfang der 1990er Jahre. Die Arbeitslosenzahl sei im selben Zeitraum von 18% auf 11% gesunken, die Kapazitätsauslastung der nigerianischen Industrie von 29% auf über 60% gestiegen. Die Re- gierung weist außerdem auf Erfolge bei der Einwerbung von Auslands- investitionen hin, die meisten davon im Telekommunikationssektor. Die meisten NigerianerInnen betrachten solche Zahlen mit einiger Skepsis, soweit sie sie überhaupt zur Kenntnis nehmen. Allein in einem Bereich wurde ein auch im Alltag sichtbarer Fort- schritt erzielt: Nach der Liberalisierung des Telekommunikations- marktes 2001 und dem großangelegten Einstieg von Mobiltelefonunter- nehmen aus dem Südlichen Afrika in den nigerianischen Markt stieg die Zahl der Telefon-„Anschlüsse“ in vier Jahren von 400.000 auf rund drei Millionen – und dies trotz zahlloser Klagen über überhöhte Preise und schlechte Verbindungsqualität. Telefonbüros finden sich inzwischen an allen Straßenecken großer und mittlerer Städte; der Verkauf von Telefonkarten hat zahllose Arbeitsplätze im informellen Sektor geschaffen. In anderen Bereichen der Infrastruktur sind dage- gen kaum Verbesserungen spürbar; nach zwischenzeitlicher Verbesse- rung ist die Stromversorgung in den ersten Monaten des Jahres 2004 wieder auf rund 3.000 Megawatt gefallen; eine Verbesserung wird erst von der noch vor Jahresende angestrebten Aufteilung und Kommerziali- sierung der staatlichen National Electric Power Authority (NEPA) er- wartet. Zwar hatte Präsident Obasanjo bereits in seiner ersten Amtszeit ei- nen Wirtschaftsreformkurs eingeschlagen, aber erst nach seiner Wie- derwahl 2003 erhielt die Wirtschaftspolitik durch einige markante Personalentscheidungen eine neue Dynamik. Die Superstars des neuen „Core Economic Team“ sind Ngozi Okonjo-Iweala, eine vormalige Welt- bank-Vizepräsidentin und im Juli 2003 zur Finanzministerin ernannt, und der Präsidentenberater in Wirtschaftsfragen, Charles Soludo, der im Mai 2004 zum neuen Zentralbankchef ernannt wurde. Beide Zentral- figuren der Reformpolitik sind ausgewiesene Fachleute und Technokra- ten, die ohne eigene politische Constituency direkt vom Präsidenten abhängig sind. Wirtschaftspolitisch stehen sie im Grundsatz für Li- beralisierung und „Weltbankrezepte“; entsprechend deutliche Rücken- deckung erhielt das „Core Economic Team“ durch den Weltbankpräsiden- 4 Heinrich-Böll-Stiftung, Politischer Jahresbericht Nigeria 2004 ten James Wolfensohn, der im Frühjahr das Land besuchte, ebenso wie durch Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz. NEEDS, das am 15.3.2004 zur öffentlichen Debatte freigegebene neue Wirtschafts- und Entwicklungsprogramm, trägt die Handschrift der Wirtschaftsreformer; zugleich wird es, offenbar um die Akzeptanz im Land zu vergrößern, als „hausgemachte“ Alternative zum Weltbank- Modell Poverty Reduction Strategy Process (PRSP) „verkauft“. NEEDS formuliert in drei Hauptteilen wirtschaftliche, institutionelle und soziale Reformziele parallel zueinander; dabei liegt zumindest rhe- torisch ein Schwergewicht auf Armutsbekämpfung. Die Analyse Nigerias als Rentenstaat prägt das Dokument in vielen Aspekten. NEEDS identi- fiziert nicht nur die institutionellen Verwerfungen (wie die allge- genwärtige Korruption, den aufgeblähten öffentlichen Dienst und die ineffektiven Staatsbetriebe) als Objekte des Reformprozesses, son- dern betont auch die konfliktträchtige Dimension des Rentenstaats. Auch der Privatsektor bleibt nicht ungeschoren, ihm wird vor allem die zu starke Konzentration auf den Staat vorgeworfen, eine stärkere Marktorientierung wird dringend gefordert. Wie nicht anders zu erwarten, wurden NEEDS und das „Core Economic Team“ von vielen Seiten kritisiert. Eine Kampagne gegen das von Okonjo-Iweala bezogene hohe, in US-Dollar berechnete Gehalt ebbte nach einigen Wochen wieder ab. Kritische Stimmen aus dem Universi- tätsbereich und aus NRO richteten sich vor allem gegen die als „neo- liberal“ bezeichneten Reformkonzepte. Bei aller Skepsis schienen re- levante Teile der „linken“ Zivilgesellschaft Nigerias jedoch zu- nächst einmal zu kritischer Kooperation mit den Reformern bereit und drängten in die von der Regierung sehr kurzfristig gemachten Konsul- tationsangebote. Denkbar erschien eine pragmatische Koalition zwi- schen Reformern auf Regierungsseite und staatsunabhängigen Kriti- kern; beide Seiten vereint zumindest die Gegnerschaft zu Ineffi- zienz, Machtmissbrauch und (vor allem) Korruption im Staatsapparat. Insofern stellte das Frühjahr 2004 einen „Honeymoon“ der Reformpoli- tik dar. Nach Bewertung vieler Beobachter haben die Reformer zwei Jahre Zeit, um Erfolge vorzuweisen, ihre fortgesetzte politische Rückendeckung durch Präsident Obasanjo vorausgesetzt – denn spätestens Mitte 2006 dürfte die nigerianische Politik wieder primär durch taktische Erwä- gungen im Vorfeld der 2007 anstehenden Wahlen dominiert werden. Ob dieser Zeitraum für sichtbare Erfolge in zumindest einigen Kern- bereichen (insbesondere bei der „epileptischen“ Stromversorgung) ausreicht? Die Mehrheit der NigerianerInnen geht ohnehin davon aus, dass anderswo erprobte und erfolgreiche Rezepte in Nigeria grund- sätzlich nicht funktionieren (“Nigerian factor“). Sie setzen statt- dessen ihre Hoffnung auf eine bessere „Führung“ (wobei Präsident Obasanjo diesen Kredit inzwischen verspielt hat) – und auf Gott. Einen Schwerpunkt der Wirtschaftsreformen bildete die zweite Phase der Privatisierungspolitik, wobei seit der gescheiterten Privatisie- rung der staatlichen Telekommunikationsfirma NITEL im Jahre 2001 erstmals auch wieder die Zerlegung, Kommerzialisierung und (Teil-) Privatisierung eines großen Infrastrukturbetriebs, nämlich des Stromversorgers NEPA, ansteht. Auch einzelne Bundesstaaten haben staatseigene Betriebe zum Verkauf angeboten; Partnerschaften mit dem Privatsektor im auf bundesstaatlicher Ebene organisierten Wassersek- tor stehen allerdings selbst im in dieser Hinsicht fortgeschrittenen Lagos erst am Anfang. 5 Heinrich-Böll-Stiftung, Politischer Jahresbericht Nigeria 2004

Mit der Einrichtung spezieller Agenturen versucht die Bundesregie- rung, einzelne markante soziale und wirtschaftliche Probleme jen- seits der ineffizienten ministerialen Strukturen anzugehen. Die po- pulärste von ihnen ist die National Agency for Food and Drug Admi- nistration and Control (NAFDAC), die mit großer Publizität offenbar recht erfolgreich gegen Substandard-Produkte vorgeht. Auf NAFDAC- Chefin Dora Akunyili wurde Weihnachten 2003 ein Anschlag verübt und Wochen später brannten mehrere NAFDAC-Büros nieder. Bei der Bekämp- fung von Wirtschaftsverbrechen („419“-Betrug, benannt nach dem nige- rianischen Paragraphen 419) konnte die Economic and Financial Crimes Commission (EFCC) unter Nuhu Ribadu einige spektakuläre Erfolge ver- buchen und seit Jahren bekannte, aber bislang unbehelligte Großbe- trügerInnen vor Gericht bringen, die offenbar ihre politische Pro- tektion verloren haben – nicht zuletzt weil die Weltbank inzwischen diese Betrugsformen, für die Nigeria über die Jahre hinweg interna- tional berüchtigt ist, als wesentliches Hindernis für Auslandsinves- titionen betrachtet. Die wohl umfassendste Gruppe von Reformprojekten betrifft Struktur und Verfahren der Staatsausgaben. Die Finanzministerin zielt auf ei- ne deutliche Verkleinerung des öffentlichen Dienstes auf Bundesebene (gegenwärtig 350.000 Personen, ohne Lehr- und Polizeipersonal) und eine Vergrößerung des Kapital-Haushalts gegenüber den wiederkehren- den Ausgaben (recurrent budget), die in den vergangenen Jahren rund 80% des Bundesbudgets ausmachten (dieser Betrag entspricht etwa den gesamten Öleinnahmen des Landes!). Im Öffentlichen Dienst bereitge- stellte Gehaltsergänzungen sollen im Interesse größerer Transparenz „monetarisiert“, d.h. beziffert und in Geldzahlungen umgewandelt werden. Angesichts der allgemein als gering bewerteten Erfolge der Anti- Korruptionspolitik seit 1999 steht das Stichwort „Transparenz“ heute an prominenter Stelle im Programm der Regierung Obasanjo. Nigeria hat seine Bereitschaft erklärt, sich an der Extractive Industries Transparency Initiative (EITI) zur Offenlegung von Öleinnahmen zu beteiligen. Das Budget-Büro des Präsidenten, geleitet von Obi Ezek- wesili, der Gründerin der nigerianischen Sektion von Transparency International, versucht systematisch „due process“-Regeln für die staatliche Auftragsvergabe durchzusetzen. Dies hat nach verbreiteter Einschätzung erste Erfolge gebracht, auch wenn es bei Großprojekten wie der Durchführung des panafrikanischen Sportfests COJA im Oktober 2003 Skandale bei der Auftragsvergabe gab, in die auch Vizepräsident Atiku Abubakar verwickelt war. Ebenfalls im Bemühen um Transparenz veröffentlicht die Finanzministerin seit Anfang 2004 die monatlichen Zahlungen an die Bundesstaaten und Lokalverwaltungen aus dem Federa- tion Account, der vor allem durch die Öleinnahmen gespeist wird. Dies ist ein durchaus umstrittenes Novum in einer Gesellschaft, die sich daran gewöhnt hat, die Kontrolle öffentlicher Gelder als quasi privates (und deshalb vertraulich gehandhabtes) Vorrecht der jewei- ligen Amtsinhaber zu betrachten, wobei die private Aneignung von Mitteln mit einer guten Portion Zynismus als zwar bedauerlich, aber geradezu selbstverständlich angesehen wird. An vielen dieser Reformprozesse sind zivilgesellschaftliche Gruppen beteiligt. Sie versuchen die bisher eher legitimatorischen Zwecken dienenden Konsultationsangebote der Regierung inhaltlich zu füllen. Insbesondere die Zahl von NRO-basierten Initiativen, die auf Trans- parenz bei der Erstellung öffentlicher Budgets und Monitoring der 6 Heinrich-Böll-Stiftung, Politischer Jahresbericht Nigeria 2004

Staatsausgaben auf allen drei Verwaltungsebenen abzielen, ist 2003- 04 stark angewachsen. Diese positiven Ansätze im Bereich Wirtschafts- und Strukturreform sind vor allem auf die Bundesebene in Abuja konzentriert; in vielen Bundesstaaten haben sich die intransparenten Usancen des politischen Betriebs und speziell das Finanzgebaren der Gouverneure bisher wenig verändert. Aber auch auf Bundesebene bleiben Inkonsistenzen zwischen den großen Linien der Reform und der Alltagspraxis der Wirtschafts- politik: So hat die Regierung den Import ausgewählter Güter (vor allem im Nahrungsmittelbereich) mit dem Argument untersagt, dass die betreffenden Produkte ebenso in Nigeria selbst produziert würden be- ziehungsweise produziert werden könnten. Diese Importverbote stehen klar im Gegensatz zu den auch von Nigeria unterzeichneten WTO- Regeln, die Nigeria allein deshalb ungestraft verletzen kann, weil seine Exporte größtenteils aus Erdöl bestehen, gegen die es kaum Sanktionen geben wird; der propagierten Förderung von Nicht-Öl- Exporten dürften solche Praktiken mittelfristig wenig zuträglich sein. Darüber hinaus ist das Zustandekommen solcher Entscheidungen selbst problematisch. Sie gehen offenbar vor allem auf erfolgreiches Lobbying einzelner nigerianischer Unternehmer zurück, die ihren prä- ferentiellen Zugang zum Präsidenten nutzen, ohne dass weitergehende Konsultationsprozesse stattfänden. Was die Verbesserung der Lebensbedingungen der nigerianischen Bevöl- kerung betrifft, waren zur Jahresmitte 2004 kaum konkrete Erfolge der Wirtschaftsreformpolitik sichtbar. Ihre Probleme wurden zwi- schenzeitlich aber um so deutlicher, vor allem in der Benzinpreispo- litik. Der Benzinpreis bildet in Nigeria seit Jahren ein Politikum ersten Ranges. Mehr als jeder andere Faktor bestimmt der Benzinpreis Trans- port- und Nahrungsmittelkosten und damit den Lebensstandard breiter Bevölkerungsschichten. Aus Sicht vieler NigerianerInnen stellt ein niedriger, subventionierter Benzinpreis quasi ein „Grundrecht“ dar – den einzigen spürbaren Nutzen, den sie aus dem Ölreichtum ihres Lan- des ziehen. Allerdings führte die Benzinpreissubventionierung nicht nur zu Verschwendung, sondern auch zu permanenter Verknappung, vor allem wegen der verfallenden Raffinerie-Kapazitäten und wegen Schmuggels billigen Benzins in die Nachbarländer. Bis in den Herbst 2003 hinein waren lange Schlangen vor den Tankstellen in Lagos und Abuja regelmäßig auftretende Phänomene; in ganzen Landesteilen war Benzin seit Jahren nie an Tankstellen, sondern nur auf dem Schwarz- markt kanisterweise am Straßenrand (und zu weit höheren als den of- fiziellen Preisen) erhältlich. Im Juni 2003 erhöhte die Regierung Obasanjo den Benzinpreis von 26 auf 40 Naira (0,16 respektive 0,25 Euro) pro Liter – ein marktge- rechter Preis, so argumentierte sie, sei der einzige Weg, kurzfris- tig Benzinimporte zu finanzieren und längerfristig private Investi- tionen in die maroden Raffinerien zu ermöglichen. Der Gewerkschafts- dachverband Nigerian Labour Congress (NLC) rief daraufhin, wie schon mehrfach in der Vergangenheit, einen achttägigen Generalstreik aus, der das Land effektiv lahm legte und zu einem Kompromiss mit 34 Nai- ra pro Liter führte. In seiner Rede zum Unabhängigkeitstag am 3.10.2003 kündigte Obasanjo daraufhin die Deregulierung der Benzin- preise an, was in den folgenden Tagen zu Preiserhöhungen auf 38-40 Naira führte. Der NLC kündigte einen weiteren Streik an, sagte ihn nach massivem politischem Druck der Regierung, die die Durchführung 7 Heinrich-Böll-Stiftung, Politischer Jahresbericht Nigeria 2004 der prestigeträchtigen All-African Games in Abuja gefährdet sah, wieder ab. Ein weiterer Streik wurde Anfang Januar 2004 abgesagt, nachdem die Regierung eine angekündigte Steuer auf Benzin von 1,50 Naira pro Liter zurückgenommen hatte. Seit Oktober 2003 zeigte sich, dass die Deregulierung der Benzin- preise ein wichtiges Ziel – nämlich die konsistente Versorgung des ganzen Landes – erreichte: Erstmals seit Jahren konnte man Benzin wieder an Tankstellen in Nord-Nigeria kaufen. Allerdings schlugen nun (weil rund die Hälfte des Bedarfs importiert werden mußte) die im Frühjahr 2004 stark steigenden internationalen Ölpreise auch auf den deregulierten nigerianischen Binnenmarkt durch. Ende Mai stieg der Benzinpreis auf rund 50 Naira, was einen weiteren dreitägigen Streik nach sich zog. An dessen Ende stand ein ausgesprochen fauler Kompromiss: Die Regierung sagte zu, sich an ein Gerichtsurteil zu halten, das die Wiederherstellung des alten Preises forderte – ein absurdes politisches Signal an potentielle Investoren, das zugleich Entscheidungsschwächen der Regierung offen legte, ohne jedoch das Misstrauen der Bevölkerung gegenüber der Regierungspolitik abzubau- en. Zur Jahresmitte 2004 war die Lage im Benzinsektor sehr unübersicht- lich. Die unabhängigen Vermarkter importierten fast kein Benzin mehr, während die staatliche Ölgesellschaft NNPC nach eigenen Anga- ben täglich 2-3 Millionen US-Dollar dafür verwendete, um importier- tes Benzin soweit herunter zu subventionieren, dass die Vermarkter es zu einem Literpreis von rund 41 Naira verkaufen konnten. Trotz der unerwartet hohen Einnahmen des nigerianischen Staats aus dem Öl- export schien diese Subventionierung nicht lange finanzierbar. Die Auseinandersetzungen um die Benzinpreisderegulierung zeigten nicht zuletzt schwerwiegende Defizite im Politikstil der Regierung auf. Die Regierung – und Präsident Obasanjo ganz persönlich – er- laubt es sich nach wie vor, weitreichende Entscheidungen nicht nur ohne vorhergehende breite öffentliche Debatte und Konsultation zu treffen. Sie macht nicht einmal den ernsthaften Versuch, diese Ent- scheidungen der Öffentlichkeit gegenüber im Nachhinein verständlich zu begründen, und zeigt sich dann konzeptionslos, wenn es zu massi- vem öffentlichen Widerstand wie im Juni-Streik kommt. Umgekehrt bestätigt die zumindest kurzfristige Durchsetzung der NLC- Forderungen die Bevölkerung im Beharren auf ihrem „Recht“ auf nied- rige, vom Staat fixierte Benzinpreise – trotz jahrelanger negativer Erfahrungen mit dieser Politik. Solange die nächste Versorgungs- oder Preiskrise nicht eintritt, wird kaum Anstoß an der politischen und ökonomischen Widersinnigkeit der aktuellen Situation genommen; sobald sie jedoch kommt, droht erneut hektische Konzeptlosigkeit. Solange solche Politikmuster weiter verfolgt werden, besteht für die Wirtschafts- und Strukturreformpolitik Nigerias wenig Hoffnung.

8 Heinrich-Böll-Stiftung, Politischer Jahresbericht Nigeria 2004

Politisches System und politische Kultur Die Wahlen im Frühjahr 2003, die mit der Wiederwahl Obasanjos und der meisten Gouverneure sowie einer wachsenden Dominanz der Regie- rungspartei People’s Democratic Party (PDP) geendet hatten, sind aufgrund schwerwiegender Wahlmanipulationen sowie Gewaltanwendung und -androhungen bis heute umstritten. Muhammed Buhari, der wich- tigste Herausforderer Obasanjos, versuchte bis in den Sommer 2003 hinein vergeblich, durch Mobilisierung in Nigeria, aber auch durch Kontakte zu internationalen Organisationen, die Legitimität der Wie- derwahl Obasanjos infrage zu stellen. Zahlreiche Einsprüche gingen vor Wahltribunale; während die meisten schon aus verfahrenstechni- schen Gründen abgewiesen wurden, erregte die Annullierung des Ergeb- nisses der Gouverneurswahlen in im März 2004 einiges Aufsehen, auch wenn eine letztinstanzliche Entscheidung noch nicht gefallen ist und Gouverneur vorerst weiter im Amt bleibt. Kaum waren die Wahlen vorüber, begannen Spekulationen und Schachzüge im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen 2007. Da Obasanjo – jedenfalls den geltenden verfassungsmäßigen Bestimmungen nach – nicht ein drit- tes Mal antreten kann, gelten heute sein Stellvertreter, Vizepräsi- dent Atiku Abubakar, und der ehemalige Militärherrscher Ibrahim Ba- bangida (1985-93) als aussichtsreichste Bewerber für das PDP- Präsidentschaftsmandat; daneben ist Buba Marwa im Gespräch, der sich als Militäradministrator von bis 1999 eine Reputation als effektiver Manager erwarb und auch über Unterstützung im Niger Delta verfügt. Aufgrund seines Reichtums und seiner Reputation als Meister politischer Schachzüge muss Babangida als aussichtsreichster Kandidat gelten – trotz der Tatsache, dass er durch die Annullierung der Präsidentschaftswahlen 1993 für Nigerias schwerste politische Krise seit dem Bürgerkrieg und damit indirekt auch für die Militär- herrschaft Sani Abachas bis 1998 verantwortlich ist. Die Diskussion um die Präsidentschaftskandidatur wird primär nach ethnisch- regionalen Kriterien geführt – alle drei genannten potenziellen Kan- didaten stammen aus Nord-Nigeria, wo man die „Rückkehr“ der Präsi- dentschaft nach acht Jahren Obasanjo für unumgänglich hält. Rufe aus dem Südosten nach einer „Igbo Presidency“ werden wohl auch weiter erfolglos bleiben, da ihnen kaum mehr als die ethnische Begründung zugrunde liegt und sich zumindest derzeit nicht einmal ein profi- lierter Kandidat findet, auf den sich „der Südosten“ einigen könnte. Die eigentlich schon für 2002 anstehenden Wahlen auf der dritten Ebene des nigerianischen Föderalismus – den Gemeinderäten in den Lo- cal Government Areas (LGA) – waren mehrfach verschoben worden; zwi- schenzeitlich wurden Staatskommissare eingesetzt. Im Juni 2003 hatte der Präsident ein Technisches Komitee eingesetzt, das Vorschläge zur Neuordnung des als besonders korrupt und ineffizient geltenden Ge- meinderatssystems erarbeiten sollte; viele Kritiker befürchteten be- reits eine „geheime Agenda“, durch die mit dem Argument „exzessiver Kosten“ demokratische Wahlen auf der lokalen Ebene überhaupt abschaffen werden sollten. Diese Befürchtung erwies sich als unbe- gründet, als das Komitee im November 2003 seinen Bericht vorlegte, denn es empfahl die Anwendung „parlamentarischer“ Wahlprinzipien. Eine Vergrößerung der Anzahl der LGA über die in der Verfassung von 1999 festgelegte Zahl von 774 hinaus lehnten aber sowohl das Komitee als auch die Bundesregierung ab. Zwischenzeitlich hatten einige Bun-

9 Heinrich-Böll-Stiftung, Politischer Jahresbericht Nigeria 2004 desstaaten (darunter Lagos) jedoch neue LGA geschaffen, begründet durch lokale Forderungen nach besserer Repräsentation, wohl aber auch in der Hoffnung, höhere Finanzzuteilungen für die Lokalebene zu erhalten. Die mit geringer Wahlbeteiligung am 27.3.2004 durchgeführ- ten Gemeinderatswahlen standen unter der Kontrolle der Regierungen der jeweiligen Bundesstaaten, die Kandidatenauswahl und Wahlprozess dominierten und oft auch manipulierten, und brachten keine Überra- schungen. Allerdings verweigert die Bundesregierung seither denjeni- gen Bundesstaaten, die Wahlen in den von ihnen neu eingerichteten LGA durchführten, die Auszahlung der für die Lokalverwaltung be- stimmten monatlichen Mittel aus dem Federation Account. Das Schicksal der Gemeinderatswahlen warf auch ein Schlaglicht auf die Machtverhältnisse im nigerianischen Föderalismus. Den Gouverneu- ren der Bundesstaaten dienen die lokalen Verwaltungsstrukturen als Instrument zur Stärkung der eigenen Machtbasis, in der sie weitge- hend unumschränkte Kontrolle besitzen und in die die Bundespolitik nicht direkt eingreift. Das Verhältnis zwischen Bundesregierung und Gouverneuren ist weit weniger eindimensional. Mit der Demokratisierung 1999 ging gegenüber der Militärherrschaft effektiv eine Dezentralisierung einher. Präsi- dent Obasanjo hatte im Vorfeld der Wahlen 2003 seine Kandidatur in- nerhalb der PDP und damit den Sieg in den Wahlen selbst nur dadurch sichern können, dass er (mit einer Ausnahme) den PDP-Gouverneuren ebenfalls die Unterstützung für die Wiederwahl anbot. Damit wurden auch einige in ihrem politischen und finanziellen Gebaren ausgespro- chen fragwürdige Gouverneure im Amt gehalten – mit bisweilen katast- rophalen Auswirkungen, wie die gewaltsamen Konflikte im Plateau Sta- te im Frühjahr 2004 zeigten, wo schließlich der Gouverneur entmach- tet und der Ausnahmezustand ausgerufen wurde. Die neue Machtbalance zwischen Bund und Staaten wird nicht zuletzt auch durch Verschiebungen bei der Mittelverteilung aus dem Federati- on Account deutlich. Der Bund erhält nach Angaben des Finanzministe- riums inzwischen nur mehr 45%; der Rest geht an Bundesstaaten und Lokalverwaltungen und wird somit effektiv von den Gouverneuren kon- trolliert. Nach langen Debatten um „Resource Control“ erhalten die- jenigen Bundesstaaten, auf deren Territorium Ölförderung stattfin- det, inzwischen 13% der daraus entspringenden Einnahmen vor der all- gemeinen Umverteilung. Mit der Unterzeichnung der “Allocation of Re- venue (Abolition of Dichotomy in the Application of Principle of De- rivation) Bill” durch den Präsidenten am 17.2.2004 wurde dieses Prinzip auch auf die Einnahmen aus der Offshore-Ölproduktion ausge- dehnt. Die wichtigsten ölproduzierenden Staaten (vor allem Delta, Rivers, Bayelsa) erhalten dadurch inzwischen zwei- bis dreimal höhe- re monatliche Zuweisungen als die Staaten im Hinterland. Auseinandersetzungen zwischen Bund und Staaten entstanden darüber hinaus um den Überschuss aus den seit Anfang 2004 in die Höhe ge- schossenen Öleinnahmen – während das Finanzministerium zumindest Teile dieser Mittel für einen Finanzausgleich für schlechtere Zeiten einfrieren will, beharren die Gouverneure auf ihrem verfassungsmäßi- gen Recht auf sofortige Umverteilung aus dem Federation Account. Die Verwendung der stark angewachsenen Mittelzuflüsse in den Bundes- staaten bleibt nach wie vor sehr intransparent. Anfang Mai 2004 be- schuldigte die Staatsministerin im Finanzministerium, Nenadi Usman, die nigerianischen Gouverneure generell, Teile der den Staaten mo-

10 Heinrich-Böll-Stiftung, Politischer Jahresbericht Nigeria 2004 natlich zugewiesenen Mittel innerhalb weniger Tage zum Aufkauf von Devisen zu verwenden und diese ins Ausland zu transferieren. Wütende Gouverneure forderten daraufhin konkrete Beweise – oder aber eine Entschuldigung. Beides blieb bislang aus, doch verweisen bekannt ge- wordene Umstände im Vorfeld der Ausrufung des Ausnahmezustands im Plateau State auf genau diese Praktiken: Als es dort Anfang Mai zu schweren Unruhen kam, hielt sich Gouverneur Zeitungs- berichten zufolge gerade in London auf, konnte aber deshalb nicht umgehend nach Nigeria zurückkehren, weil ihn die britische Polizei eine Woche lang festhielt, um ihn über eine Summe von 1,3 Millonen Pfund in bar zu befragen, die ein Mittelsmann auf Dariyes britisches Konto hatte einzahlen wollen. Dariye selbst dementierte diese Be- richte später unter Hinweis darauf, er habe sich in London einer me- dizinische Behandlung unterzogen. Dies war und ist in Nigeria ein gängiges Argument, das ein Amtsinhaber zur Rechtfertigung seiner zahlreichen Auslandsreisen geben kann – bevor es jüngst populär wur- de, solche Reisen als Werbung für Auslandsinvestitionen zu deklarie- ren. Inzwischen beschwerte sich das britische Außenministerium offi- ziell darüber, dass nigerianische Gouverneure unter Umgehung der De- visenbestimmungen häufig große Summen außerhalb des Bankensystems nach London transferieren (ThisDay, 21.5.2004). Diese systemischen Konflikte zwischen Bundesregierung und Gouverneu- ren werden durch die Tatsache, dass zumeist beide Seiten der Regie- rungspartei PDP angehören, kaum entschärft. Eine ausgleichende Funk- tion spielt die PDP allenfalls in extremen, persönlichkeitsbestimm- ten Konfliktfällen – so, als der PDP-Gouverneur von , , im März 2004 den Vorsitzenden des PDP Board of Trustees, Tony Anenih, beschuldigte, ihm nach dem Leben zu trachten. Wie die Wahlen 2003 erneut gezeigt hatten, dienen Parteien in Nige- ria (und allen voran die PDP) nicht so sehr der programmatischen po- litischen Willensbildung, sondern primär der Etablierung politischer Unternehmer und ihrer Machtstrategien. Für diese ist die PDP die er- folgversprechendste Option, einfach weil sie bereits die größte Zahl politischer Unternehmer integriert; demjenigen, der zur entsprechen- den Investition bereit und in der Lage ist, verspricht sie Erfolg schon allein durch ihre Masse sowie die Tatsache, dass ein PDP-Mann in Abuja herrscht. Die größte Oppositionspartei All Nigeria’s Peo- ples Party (ANPP) war durch die Wahlen im Frühjahr 2003 auf eine Kernzone im islamischen, Sharia-implementierenden Nordwesten redu- ziert worden, auch wenn sie im Südosten ebenfalls eine gewisse Un- terstützung genoss. Während der Nordwesten, vertreten durch seine Gouverneure, am ehesten eine grundlegende Opposition zur Regierung in Abuja darstellte, war die ANPP als Partei 2004 kaum mehr wahr- nehmbar. Die Yoruba-basierte Alliance for Democracy (AD) hatte 2003 ihre Mehrheiten in allen südwestlichen Bundesstaaten außer Lagos eingebüßt und verlor sich anschließend in internen Konflikten. Bola Ahmed Tinubu, der AD-Gouverneur von Lagos State, versuchte sich als neuer Führer der Yoruba-Politik zu etablieren. Weil er den ökono- misch wichtigsten Staat Nigerias kontrolliert, der als einziger nicht primär von den Finanzuweisungen aus Abuja abhängig ist, ist er gegenüber Abuja konfliktfähiger als alle anderen Gouverneure. Aller- dings drohte sich die Staatsregierung Mitte 2004 in Auseinander- setzungen mit der Bundesregierung über Hoheitsrechte in Lagos (Mana- gement von Bundeseigentum und Straßen in der ehemaligen Hauptstadt; Neugründung von LGA) und bundesstaatliche Autonomie aufzureiben.

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Die Probleme der vom politischen Unternehmertum geprägten politi- schen Kultur Nigerias wurden wenige Monate nach den Wahlen 2003 in drastisch deutlich. In einer Aktion am 10.7.2003, die weithin mit dem Begriff „Putsch“ bezeichnet wurde, wurde der gerade erst gewählte PDP-Gouverneur von der Polizei festgesetzt und seine schriftliche Rücktrittserklärung vom Staatsparlament ak- zeptiert. Dahinter stand der politische „Godfather“ des Anambra Sta- te, Chris Uba, der gegen Zusagen, bestimmte Kandidaten auf politi- sche Ämter zu heben, Ngiges Wahlkampf gesponsert hatte. Als Ngige sich nach seiner Wahl den Wünschen Ubas verweigerte, setzte Uba die Polizei in Bewegung. Ngige rettete sich am Ende durch einen Telefon- anruf beim Vizepräsidenten, der daraufhin die Polizei zurückpfiff. Besonders pikant am „Putsch“-Versuch in Anambra war allerdings die Tatsache, dass die dem Staatsparlament vorgelegte Rücktrittserklä- rung Ngiges offenbar echt war – „Godfather“ Uba hatte sie sich be- reits vor den Wahlen von Ngige unterzeichnen lassen. Der verbreitete „Godfatherism“ wird seither als beängstigendes Phänomen der nigeria- nischen Politik öffentlich diskutiert. Anambra State kam über Monate nicht zur Ruhe; Ngiges Polizeischutz wurde aus ungeklärten Gründen abgezogen, und es kam zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Anhängern beider Seiten. Derweil bemühte sich die PDP, Senatspräsi- dent Adolphus Wabara und lokale Gruppen um eine „Versöhnung“ zwi- schen den Kontrahenten; Ubas Forderungen an Ngige wurden in der Presse auf 3 Mrd. Naira (rund 18 Mio. Euro) beziffert. Die Ereignis- se in Anambra haben bislang keine strafrechtlichen Konsequenzen ge- habt. Die Unsicherheit in Anambra, aber auch mehrere politische Morde und Mordversuche (so der Angriff auf den Konvoi des Gouverneurs von Be- nue State) führten im März 2004 zu einer regelrechten Sicherheits- hysterie in der politischen Elite des Landes. Im Folgemonat kam es erstmals seit langem wieder zu Putschgerüchten auf nationaler Ebene, nachdem Hamza al-Mustapha, der ehemalige Sicherheitschef des Abacha- Regimes, in einer Blitzaktion vom Gefängnis in Lagos nach Abuja ver- legt worden war. Die Regierung dementierte dies allerdings und be- tonte, die Verlegung sei aufgrund eines bisher offiziell nicht näher beschriebenen Sicherheitsverstoßes erfolgt. BBC berichtete von Vor- bereitungen eines Versuchs, al-Mustapha durch von ivorischen Rebel- len beschaffte Waffen aus dem Gefängnis zu befreien (Guardian, 6.5.2004). Die politische Kultur Nigerias und speziell die großen Parteien bleiben weiterhin von „rent-seeking“, Korruption, politischem Unter- nehmertum, Wahlmanipulationen und Gewalt geprägt. Die versuchen im- mer wieder diesen Politikstil zurück zu drängen, etwa durch Reformen bei Wahlrecht, Wahltribunalen und Parteienfinanzierung, die meisten solcher Reformprojekte befinden sich jedoch allenfalls in den An- fängen; und der „dunklen Seite“ der nigerianischen Politik ist mit aufklärerischen Impulsen und institutionellen Veränderungen allein wohl kaum beizukommen. Entsprechend düster nahmen und nehmen sich denn auch viele Aussagen und Proteste derjenigen Personen und Gruppen aus, die man vielleicht als die „außerparlamentarische Opposition“ in Nigeria bezeichnen könnte. Ihr Spektrum reicht vom Gewerkschaftsdachverband NLC über nicht in den Parlamenten vertretenen Parteien (wie die National Conscience Party des Menschenrechtsanwalts Gani Fawehinmi) und Bünd- nisse wie die Conference of Nigerian Political Parties (CNPP) bis

12 Heinrich-Böll-Stiftung, Politischer Jahresbericht Nigeria 2004 hin zu bekannten Persönlichkeiten wie dem Literaturnobelpreisträger Wole Soyinka. Sie erkennen diktatorische Tendenzen im oft autoritä- ren Stil Obasanjos; den Wahlausgang 2003 werteten sie als Versuch der PDP, einen Einparteienstaat herbei führen zu wollen; und die Ausrufung des Ausnahmezustands im Plateau State im Mai 2004 erschien aus dieser Perspektive als weiterer Baustein auf dem Weg in die Dik- tatur. Seit Mitte 2003 hat die Regierung mehrfach ausgesprochen ner- vös auf angekündigte Demonstrationen reagiert und die Polizei Trä- nengas einsetzen und Aktivisten in Lagos und Abuja kurzfristig ver- haften lassen. Die einzige Organisation, die die Regierung wirklich herauszufordern vermag, war jedoch der Gewerkschaftsdachverband NLC. Im Juni 2004 legte die Regierung einen Gesetzesentwurf vor, der die bisher geltende Zwangsmitgliedschaft im NLC beenden soll. So richtig eine solche Reform prinzipiell ist, so stellt sie im konkreten Kon- text auch einen Versuch dar, den NLC nach zwei großen Streiks inner- halb nur eines Jahres entscheidend zu schwächen. Die Gruppen der „außerparlamentarischen“ Opposition, aber auch die ANPP und AD sind sich in ihrer Kritik an Obasanjos Führungsstil und der „Insensitivität“ seiner Reform- und Benzinpreispolitik gegenüber der Lage der breiten Bevölkerung einig. Breite Übereinstimmung gibt es hier auch in der Forderung nach Einberufung einer Nationalkonfe- renz, die (im Gegensatz zur von der Militärregierung 1999 oktroyier- ten Verfassung) die Grundlagen der staatlichen Existenz Nigerias neu verhandeln soll. Im Laufe des letzten Jahres hat die Unterstützung für diese bereits Jahre alte Forderung noch zugenommen, gerade in Nord-Nigeria und selbst in Teilen der PDP. Obasanjo scheint aller- dings weiterhin strikt dagegen, denn er fürchtet wohl zu Recht eine unkontrollierbare politische Dynamik, sobald eine solche Konferenz erst einmal zustande kommen sollte. Tatsächlich haben die wenigsten Akteure, die eine Nationalkonferenz fordern, ihre inhaltlichen Vor- stellungen offengelegt – jedenfalls nicht über Allerweltsformeln wie der Forderung nach einem „wahren Föderalismus“ hinaus. Manche von ihnen verfolgen unter dem Stichwort „Föderation“ wohl eher eine se- paratistische Agenda. Die verbreitete Idee, eine Nationalkonferenz solle sich aus RepräsentantInnen „ethnischer Nationalitäten“ zusam- mensetzen, erscheint besonders problematisch, droht sie doch die zahlreichen ethnisch-regionalen und religiösen Konflikte im Land durch deren Institutionalisierung eher noch zu verstärken. Im Gegensatz zur Konflikt- und Krisenhaftigkeit der nigerianischen Innenpolitik zeichnete sich die Außenpolitik des Landes durch Mäßi- gung und die Bereitschaft aus, Beiträge zur Deeskalation regionaler Konflikte zu leisten. Dies gilt zum Beispiel für Nigerias Diplomatie im Konflikt in Liberia. Einzelmaßnahmen wirken allerdings bisweilen erratisch, insbesondere das in Nigeria selbst heftig umstrittenen Exil für den vormaligen Warlord und liberianischen Präsidenten Charles Taylor in Calabar. Beobachter sehen dieses Exilangebot auch als Resultat der Tatsache, dass zu den Frauen Obasanjos auch eine Schwester Taylors gehört. Tatkräftige Maßnahmen zur Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität wurden im Fall Benins erst er- griffen, nachdem eine Tochter Obasanjos Opfer eines Überfalls eines in Benin residierenden Kriminellen wurde; und es bedurfte der kurz- fristigen Schließung der Grenzen zum Nachbarland, um dessen Regie- rung zur Auslieferung des Täters zu bewegen. Im Konflikt um die Grenze zum Nachbarland Kamerun – der Internationale Gerichtshof hat- te im Oktober 2002 die Bakassi-Halbinsel im Südosten sowie Gebiete im Tschadseeraum Kamerun zugesprochen – bemühte sich die Regierung 13 Heinrich-Böll-Stiftung, Politischer Jahresbericht Nigeria 2004

Obasanjos um eine friedliche Übergabe und unterstützte Entschädigun- gen für die von Umsiedlung betroffenen Bevölkerungsgruppen. Von Pro- testen vor allem aus Bakassi begleitet, soll die Übertragung an Ka- merun vor Ende des Jahres 2004 abgeschlossen werden.

Frauen in der nigerianischen Politik Einzelne Frauen haben in der nigerianischen Politik des vergangenen Jahres eine bemerkenswert prominente Rolle gespielt: Finanzministe- rin Ngozi Okonjo-Iweala, ihre Staatsministerin Nenadi Usman, die Präsidentenberaterin für Budgetfragen Obi Ezekwesili und die NAFDAC- Chefin Dora Akunyili wurden in der öffentlichen Wahrnehmung zu Rep- räsentantinnen eines dynamischen und bisweilen aggressiven, auf Re- form und Transparenz ausgerichteten Handlungsstils in der Politik. Dies hat ihnen Sichtbarkeit und Anerkennung eingetragen, obwohl ge- rade die vom Finanzministerium vorangetriebene Reformpolitik nicht unbedingt populär ist. Das Wochenmagazin TELL (5.4.2004) versammelte auf seinem Titelfoto die genannten vier als „Iron Ladies“ im „Kampf gegen die nigerianische Mafia“ (siehe Anhang 4). Trotz dieser Prominenz an markanten Stellen sind Frauen in der nige- rianischen Politik nach wie vor stark unterrepräsentiert. Auf Bun- desebene sind seit den Wahlen 2003 nur 21 Frauen (5,8%) unter den 360 Mitgliedern des House of Representatives, und nur 3% im Senat. In den Parlamenten der Bundesstaaten liegt der Frauenanteil durch- schnittlich ebenfalls nur bei 3,8%. Allerdings ist er in einzelnen Staaten deutlich höher, vor allem in christlich geprägten Landestei- len im Middle Belt (Benue 17,2%, Plateau 8,3%) und im Südosten (Anambra 13,3%, Abia 8,3%), während in den stark konservativ- islamisch geprägten Staaten des Nordwestens überhaupt keine Frauen in den Staatsparlamenten vertreten sind. Manche der Hindernisse, denen Frauen beim Versuch eines Eintritts in Politik und politische Ämter begegnen, basieren auf recht traditio- nellen Vorstellungen über die Rolle von Frauen in einer bei allen Modernisierungsschüben noch immer wesentlich patriarchalisch gepräg- ten Gesellschaft, zum Beispiel Vorstellungen über eine vor allem häusliche Funktion von Frauen sowie die Idee, eine Frau benötige die Zustimmung ihres Ehemanns, bevor sie in der öffentlichen Sphäre ak- tiv werden könne. Doch es gibt auch andere Faktoren, die eher spezi- fisch aus der politischen Kultur Nigerias resultieren, etwa die Rol- le von Korruption und Gewalt im politischen (Wahl-)Prozess, wofür Frauen auch in Nigeria als weniger anfällig oder geeignet gelten. Darüber hinaus existieren spezifische, teilweise auch gesetzlich oder als Verwaltungspraxis gefasste Regeln, die den Eintritt von Frauen in ein politisches Amt erschweren, insbesondere das Prinzip der „Indigenität“ (indigenity). Danach besitzt jede/r NigerianerIn prinzipiell eine (üblicherweise ländliche) Herkunftsgemeinde und da- mit einen Herkunfts-Bundesstaat (state of origin) – selbst wenn er oder sie in einer der großen Städte geboren wurde und die Familie bereits in der dritten Generation dort lebt. Aus dieser Zugehörig- keit resultieren verschiedenste Rechte – vom Landzugang bis zur Mög- lichkeit der Beschäftigung im Öffentlichen Dienst – die von Region zu Region unterschiedlich gehandhabt werden. Frauen verlieren bei einer Heirat üblicherweise die Zugehörigkeit zu ihrer Herkunfts- gemeinde nicht vollständig. Aber für viele Belange werden sie eher dem Herkunftsort bzw. -staat ihres Ehemanns zugerechnet. Zugleich

14 Heinrich-Böll-Stiftung, Politischer Jahresbericht Nigeria 2004 haben sie es dort häufig schwerer, als vollständige „Indigenes“ an- erkannt zu werden, was eine wesentliche Voraussetzung dafür sein kann, auch im politischen Leben anerkannt zu werden. Alle diese Re- geln gelten nicht absolut, sondern werden im sozialen und politi- schen Leben Nigerias als Argumente in Aushandlungsprozessen aller Art genutzt. Ein Beispiel ist die Ernennung der Finanzministerin Okonjo-Iweala, die für Abia State auf der (nach Herkunftsstaats- Proporz organisierten) Ministerliste Obasanjos stand. Aus der PDP des Abia State kamen zunächst heftige Proteste gegen diese Ernen- nung, denn Okonjo-Iweala selbst stammt aus , hat aber nach Abia geheiratet, und die PDP des Staats hätte ihren Wahlkampf- organisator als Minister in Abuja vorgezogen. Bei aller Dominanz patriarchalischer Stereotypen in der nigeriani- schen Gesellschaft existieren durchaus emanzipatorische Diskurse und Praktiken, vor allem in den großen Städten. Zumindest in Lagos, Abu- ja und den Städten des Südens gehört weibliche Berufstätigkeit zur Alltagserfahrung – nicht nur im ohnehin klassischen Arbeitsfeld der Händlerin, sondern auch unter den Professionals im formellen Sektor. In den Medien wird oft über „Frauen und Beruf“ und „Frauen und Poli- tik“ debattiert. Selbst Frauenquoten im politischen Betrieb sind diskussionsfähig, auch wenn ihre Implementierung in absehbarer Zukunft eher unwahrscheinlich erscheint. Immerhin lassen sich solche Quoten durch ein Nigeria-spezifisches Argument besonders gut begrün- den: In einem Land, das zahlreiche Formen der Quotierung nach regio- nal-ethnischen, religiösen und „Indigenitäts“-Kriterien kennt, soll- te die Einführung einer Frauenquote keine allzu schwierige Innovati- on darstellen. Trotz der hier skizzierten positiven Ansätze bleibt die Lebenssitua- tion der meisten nigerianischen Frauen allgemein nicht nur von Ar- mut, sondern auch von Formen direkter oder subtiler Diskriminierung oder Vernachlässigung geprägt. Der im Januar 2004 vorgelegte Shadow Report zum Nigeriabericht der Vereinten Nationen im Kontext der „Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination a- gainst Women“ (CEDAW) verzeichnete unter anderem Formen der Benach- teiligung im Gesundheitsbereich (gerade im islamischen Kerngebiet Nord-Nigerias, wo Frauen mancherorts die Genehmigung des Ehemanns brauchen, um zum Arzt zu gehen) und trotz gestiegener Zahlen von Studentinnen im Bildungssektor (Women’s Aid Collective 2004). Frauen werden vielerorts durch als „traditionell“ legitimierte Prak- tiken diskriminiert, etwa beim Landzugang und beim Erbrecht, auch wenn NRO-Initiativen vor allem in Süd-Nigeria inzwischen versuchen, durch Überzeugungsarbeit bei traditionellen Autoritäten und Geset- zesänderungen Verbesserungen zu erreichen. In den nördlichen zwölf Bundesstaaten, die seit 2000 das Sharia- Strafrecht eingeführt und die älteren „area courts“ durch Sharia- Gerichte ersetzt haben, erscheint der Zugang zu Recht für Frauen weiterhin besonders problematisch. Zwar sollte die von der Einrich- tung von Sharia-Gerichten erwartete Reduktion der Korruption im Jus- tizbereich es auch ihnen erleichtern, beispielsweise ihre unter is- lamischem Recht bestehenden Versorgungsansprüche im Scheidungsfall eher durchzusetzen als in der Vergangenheit. Zugleich aber verletzen Aspekte des Sharia-Rechts unmittelbar den Grundsatz der Gleichheit der Geschlechter vor Gericht, etwa indem Zeugenaussagen von Frauen geringer bewertet werden als diejenigen von Männern. Darüber hinaus bleibt die Tatsache bestehen, dass die Todesstrafe (durch Steini- 15 Heinrich-Böll-Stiftung, Politischer Jahresbericht Nigeria 2004 gung) für Ehebruch in allen Sharia-Gesetzbüchern Nord-Nigerias wei- ter existiert; und Schwangerschaft bleibt in der Praxis der einzig mögliche Beweisgrund. Zwar kam es bei Amina Lawal im zweiten bekannt gewordenen Fall dieser Art seit 2000 am 25.9.2003 zum Freispruch vor dem Sharia Court of Appeal, dennoch kann nicht aus- geschlossen werden, dass in Zukunft weitere solche Verfahren eröff- net werden und die nigerianische wie die internationale Öffentlich- keit aufrütteln – auch wenn Staatsregierungen im Norden darum bemüht scheinen, solche Skandalprozesse und -urteile durch verbesserte Aus- bildung von Sharia-Richtern und verstärkte Kontrolle der Gerichte durch die jeweiligen Justizministerien noch im Vorfeld zu verhin- dern.

Gewaltsame Konflikte Auch in den vergangenen zwölf Monaten war Nigeria wieder von einer Serie schwerer, gewaltsam ausgetragener Konflikte betroffen. Das Niger Delta bildet den größten zusammenhängenden Konfliktherd des Landes. Es befindet sich praktisch in einer Bürgerkriegssituati- on. Im Delta bestehen mehrere Konfliktmuster nebeneinander: Zum ei- nen gibt es zahlreiche Auseinandersetzungen zwischen lokalen Ge- meinschaften (vor allem deren „Jugend“, das heisst militanten Akti- visten) und den Ölunternehmen. Mit friedlichen Protesten, aber auch Besetzungen von Ölförderanlagen üben sie Druck auf die Firmen aus, Entschädigungszahlungen für Landnutzung und Umweltschäden zu leis- ten, Arbeitsplätze für die lokale Bevölkerung zu schaffen und allge- mein zur Entwicklung der Region beizutragen. Aus dieser Szene ist eine Vielzahl lokaler Organisationen entstanden, die allerdings we- nig koordiniert und auf nationaler Ebene politisch nicht relevant sind. Zum zweiten gibt es kriminelle Aktivitäten von Banden, deren Zusammensetzung nicht immer von den Gruppen von Jugendaktivisten zu trennen ist. Sie sind in das Geschäft mit gestohlenem Öl (verbunden mit der Beschädigung von Ölanlagen) verwickelt, das nach Angaben von Shell inzwischen 10% der Gesamtproduktion der Firma ausmacht; auch sind sie an Entführungen von Mitarbeitern der Ölgesellschaften und Lösegelderpressung beteiligt. Viele dieser Gruppen sind schwer be- waffnet. Zum dritten gibt es Konflikte zwischen lokalen Gemeinschaf- ten des Deltas untereinander, die sich meist an der Kontrolle über Land und den damit verbundenen Nutzungs- und Entschädigungszahlungen von Ölgesellschaften entzünden. Viele NigerianerInnen machen dafür letztlich auch die Ölgesellschaften verantwortlich, denen sie „divi- de-and-rule“-Strategien im Umgang mit den lokalen Gemeinschaften vorwerfen – selbst wenn sie zugleich kommunale Entwicklungsprojekte fördern. Der schwerwiegendste Konfliktherd dieses dritten Typs ist Warri, die Ölmetropole des Delta State, wo es seit Mitte 2003 wieder vermehrt zu schweren Unruhen kam, denen zahlreiche Menschen zum Opfer fielen. Aufgrund dieser Unruhen wurde die Ölproduktion phasenweise um rund 150.000 bpd reduziert. Der Konflikt in Warri ist zugleich ein ethni- scher Konflikt zwischen Ijaw und Itsekiri um die territoriale und politische Kontrolle der Stadt. Der Konflikt im Niger Delta eskalierte parallel zum intensivierten Einsatz von Militär im Raum Warri, der seit Juli/August 2003 mit Spezialeinheiten unter dem Namen „Operation Restore Hope“ erfolgt. Im April 2004 wurden erstmals zwei Ausländer von Banden ermordet.

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Gerüchte, US-amerikanische Truppen würden in der Nähe des Deltas stationiert, wurden regelmäßig dementiert. Die Lage im Delta bleibt weiter instabil; die deutlich gestiegenen Finanzflüsse für die Öl- förderregionen aus dem Federation Account haben zumindest in dieser Kernregion der Ölproduktion nicht zu Stabilisierung und einem Abbau der Gewalt geführt. Neben dem Konflikt im Niger Delta kam es zu zahlreichen anderen ge- waltsamen Konflikten, von denen die zumeist weit weniger bekannt wurden. Es sind Ressourcenkonflikte, oft um Land, bisweilen um poli- tische Ämter, und häufig sind „lokale politische Größen“ involviert. Einige Beispiele seit Anfang 2004 mögen dies illustrieren: Im Januar starben zehn Menschen in Irawo () in lokalen Kämpfen, die sich an der Position des lokalen traditionellen Herrschers entzünde- ten (ThisDay 14.1.2004). Am 21.3.04 kam es zu Ausschreitungen in Ma- kurdi, als Auseinandersetzungen zwischen Tiv und Minda um Land (nach unterschiedlichen Quellen) zwischen sechs und 20 Opfer forderten. Am gleichen Tag kam es zu einem Angriff im Grenzgebiet zwischen Cross River und , der ebenfalls mehrere Tote forderte (Guardian, 23.3.2004). Nach den Gemeinderatswahlen im März 2004 sol- len Kämpfe zwischen PDP- und ANPP-Anhängern in Kwande Local Govern- ment () allein an einem Tag (16.5.2004) 50 Tote gefordert haben. Eine dazu einberufene Untersuchungskommission machte den ge- genwärtigen Innenminister Iyorchia Ayu und den ehemaligen Minister für die Stahlindustrie Paul Unongo sowie den ANPP-Gouverneurskandi- daten für Benue State als Hintermänner wesentlich für den Konflikt mit verantwortlich (Guardian 19.5.2004, ThisDay 25.6.2004). So schwerwiegend Konflikte dieser Art oft sind, so bleiben sie doch meist lokalisiert, so lange keine religiöse Dimension hinzukommt – in allen eben genannten Fällen spielten Religionsunterschiede keine Rolle, da es sich um religiös homogene, meist christliche Landestei- le handelt. Selbst bei den für den sogenannten Middle Belt typischen Auseinandersetzungen zwischen christlichen Bauern und islamischen Fulani-Nomaden und Hausa-Bauern geht es primär um Landnutzungsrechte (z.B. in Numan, Adamawa State, und bei diversen Konflikten in Pla- teau State). Hier spielt die Tatsache hinein, dass die „indigenen“ Bauern unter Hinweis auf ihre älteren Rechte den zugewanderten „Fremden“ (in Nigeria meist als „strangers“ oder „settlers“ titu- liert) Land auch dann verweigern können, wenn letztere schon seit vielen Jahren vor Ort präsent sind. Die „Fremden“ verwenden ihre is- lamische Identität dazu, um die ethnische Argumentationsweise der „Indigenes“ zu kontern, und im Gegenzug betonen letztere zunehmend ihre christliche Identität (Harnischfeger 2004). Lokale Ressourcenkonflikte erhalten so eine religiöse Färbung – und sie können auf die nationale Ebene durchschlagen, wenn religiöse Führer den Konflikt weiter anheizen. Dies zeigte sich im Frühjahr anhand der Ereignisse in Yelwa und anderen Orten des Shendam Local Government in Plateau State. Dort wurden allein im Februar über 100 Menschen, darunter auch Polizisten, in einem bereits langanhaltenden Konflikt zwischen christlichen Tarok und islamischen Hausa und Fula- ni (zu deren Milizen angeblich auch Personen aus Niger und dem Tschad gehörten) getötet. Rund 50 Personen starben allein in einem Massaker in einer Kirche am 24.2.2004 in Yelwa. Anfang März sagten Sprecher der Christian Association of Nigeria (CAN), „islamische Fundamentalisten“ hätten das Massaker begangen, und warnten, diese besäßen kein Monopol auf Gewalt (ThisDay 8.3.2004). In den folgenden

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Wochen gab es weitere Gewalttaten, und am 2.5. kam es zu einem Mas- saker in Yelwa, das von Tarok-Milizen an Moslems begangen wurde; nach offiziellen Angaben forderte es 67 Tote, doch das Rote Kreuz sprach von bis zu 630 Toten. Eine Woche später fand eine vom Vorsit- zenden des Council of Ulama, Sheik Umar Kabo, geleitete Demonstration gegen die Morde an Muslimen in Yelwa in Kano statt. Im Anschluss daran kam es zu mehrtägigen Ausschreitungen gegen Christen in Kano – einer Stadt, die bereits eine lange Geschichte von musli- misch-christlichen Gewaltkonflikten hat. Lokale Quellen in der Stadt berichteten, die Mordopfer seien zielgerichtet ausgesucht worden. Am 13.5.2004 besuchte Präsident Obasanjo Plateau State; in einem viel diskutierten Gespräch mit dem CAN-Vorsitzenden des Staats griff er diesen scharf an, als letzterer ihm vorwarf, er habe sich erst dann ernsthaft um die Situation im Plateau State gekümmert, als Mus- lime getötet worden seien. Am 18.5.2004 rief der Präsident den Aus- nahmezustand in Plateau State aus, suspendierte den Gouverneur Da- riye und setzte den vormaligen Militärgouverneur Chris Alli als Ad- ministrator ein. Die Ausrufung des Ausnahmezustands wurde vom Bun- desparlament gebilligt, von NRO- und Oppositionsseite allerdings scharf als ein demokratiegefährdender Schritt des Präsidenten kriti- siert. Manche, vor allem christlich orientierte Beobachter, forder- ten, auch Kano hätte unter Ausnahmezustand gestellt werden sollen. Andere Kommentatoren sahen in der Plateau-Entscheidung zugleich eine letzte Warnung an die Gouverneure von Kano und Delta State, endlich eine vermittelnde und konflikt-deeskalierende Rolle in ihren Staaten wahrzunehmen. Die Gouverneure Nord-Nigerias gaben eine Erklärung ab, in der sie zur Versöhnung zwischen „Indigenes“ und „Settlers“ auf- riefen und darauf hinwiesen, dass viele große Söhne Nord-Nigerias „Settlers“ gewesen seien – darunter der Begründer des Sokoto- Kalifats, Uthman dan Fodio, der einen zentralen Referenzpunkt für den Islam in Nord-Nigeria bildet, zumal zeitgleich das mit großem Aufwand gefeierte 200jährige Jubiläum des Sokoto-Kalifats stattfand. Die Verwandlung eines lokalen Ressourcenkonflikts in einen nationa- len Konflikt zwischen den Großreligionen, wie im Falle des Plateau State zu beobachten, ist erschreckend. Sie stellt für die Zukunft Nigerias eine weitere schwere Belastung dar. Doch verstellt eine al- lein auf Yelwa, Kano und die Erklärung des Ausnahmezustands in Pla- teau State gerichtete Perspektive den Blick für die Komplexität der Konfliktkonstellationen: Die Mehrzahl der Konflikte, unter denen die NigerianerInnen leiden und in denen manche von ihnen sterben, sind nicht in erster Linie lokale Widerspiegelungen eines globalen Kon- flikts zwischen Islam und Christentum, auch wenn Propagandisten auf beiden Seiten dies der Öffentlichkeit gerne weismachen möchten. Vielmehr ist und bleibt die religiöse Dimension des Konflikts ein Sekundärphänomen – sie wird in den Vordergrund gerückt, sobald es religionspolitischen Akteuren opportun erscheint. Angesichts der tiefen Religiosität, die fast alle NigerianerInnen verspüren, liegt die politische Instrumentalisierung und Manipulation religiöser Emp- findungen nahe, doch ist sie nicht unausweichlich. Auch unter den schwierigen gegenwärtigen Bedingungen bleibt es ermu- tigend, festzustellen, dass der Konflikt um die Sharia-Einführung, der das Land seit dem Jahr 2000 in Atem gehalten hat, 2003 nicht zu einem nationalen Wahlkampfthema wurde. Auch in den nationalen poli- tischen Konflikten des Jahres 2004 hat das Thema keine direkt desta- bilisierende Rolle gespielt. Dennoch schreitet die politische Mobi-

18 Heinrich-Böll-Stiftung, Politischer Jahresbericht Nigeria 2004 lisierung unter islamischen Vorzeichen in den Sharia-implementieren- den Bundesstaaten voran, wie sich insbesondere beim Konflikt um die von der Weltgesundheitsorganisation betriebene Polio-Impfkampagne zeigte. Einige nördliche Gouverneure und der Nationale Sharia-Rat widersetzten sich der Kampagne mit dem Argument, die Impfstoffe trü- gen gesundheitliche Risiken und seien womöglich mit Wirkstoffen ver- setzt, die die Fortpflanzungsfähigkeit von Frauen beeinträchtigten – in der Wahrnehmung zahlreicher Nord-NigerianerInnen eine weitere Ma- nifestation der gegen „den Islam“ gerichteten weltweiten Verschwö- rung des Westens. Nach langen öffentlichen Auseinandersetzungen und Verhandlungen schien der Import von Impfstoffen aus „glaubwürdige- ren“ Quellen in Asien Mitte 2004 einen Ausweg aus dem Konflikt anzu- bieten, doch ist zumindest mit weiteren Verzögerungen bei der Impf- kampagne zu rechnen.

Ausblick Wie immer bleibt die politische Entwicklung in Nigeria unvorherseh- bar. Plötzliche Krisen und schwere Gewaltausbrüche werden vermutlich auch in den nächsten zwölf Monaten die Berichterstattung der inter- nationalen Medien über das Land dominieren. Sie werden, wie schon in der Vergangenheit, grundsätzliche Fragen über Stabilität und Überle- bensfähigkeit Nigerias aufwerfen. Ebenso wahrscheinlich ist aller- dings auch, dass trotz aller Krisen der schon allzu oft prognosti- zierte Zusammenbruch (oder das Auseinanderfallen) des Landes aus- bleiben wird. Nigeria und die NigerianerInnen haben sich so weit an die fundamentalen Inkompatibilitäten ihres Landes gewöhnt, dass in- mitten der permanenten Krise die wenigsten von ihnen an den finalen Kollaps oder die finale Eskalation glauben. Wahrscheinlicher als ei- ne solche Extrementwicklung ist das weitere „Aussitzen“ der (im ge- gebenen Rahmen) letztlich unlösbaren Grundsatzkonflikte über Res- sourcenverteilung, Religion, Ethnizität usw. Dies wird von aggressi- ven Gebärden begleitet, aber auch von der beständigen Bereitschaft zur Neuverhandlung: „The world is a marketplace“ (Igbo-Sprichwort). Bei aller Kritik am Zustand des Landes und seinen Machtverhältnissen ist im Blick zu behalten, dass nicht nur das Interesse der politi- schen Eliten am fortgesetzten Zugriff auf die Öleinnahmen aus dem Niger Delta das Land vor dem Auseinanderbrechen schützt. Zusammenge- halten wird Nigeria zugleich auch vom Interesse der „kleinen Leute“, für die das große Land weitergehendere Möglichkeiten des Lebens (und Überlebens) bereit hält, als kleinere Einheiten es könnten: Das Be- stehen Nigerias ermöglicht dem armen Bauern aus dem Nordwesten die Lohnarbeit in der Metropole Lagos, am anderen Ende des Landes. Er erlaubt dem unter Landknappheit leidenden Igbo-Bauern im Südosten die saisonale Arbeit als Fischer am Cross River. Nigeria schafft die Möglichkeit für millionenfache Binnenmigration, und diese ist – trotz aller Konflikte, die sie zugleich auch provoziert – eine wert- volle Ressource, gerade in den Überlebensstrategien der Armen. Angesichts der relativen Stärke Obasanjos im formalen politischen Raum steht zu erwarten, dass die von vielen Oppositionellen gefor- derte Nationalkonferenz nicht zustande kommen wird. Allerdings wird die Position des Präsidenten weiterhin (und womöglich in verstärktem Maße) durch die Gouverneure der Bundesstaaten herausgefordert, die sich in den vergangenen Jahren eine immer stärkere Position erarbei- tet haben und weit weniger unter Beobachtung und Druck einer kriti-

19 Heinrich-Böll-Stiftung, Politischer Jahresbericht Nigeria 2004 schen Öffentlichkeit und internationaler Organisationen stehen als die nigerianische Bundesregierung. Die weitere politische Unterstützung der ReformerInnen durch den Präsidenten vorausgesetzt, bestehen gute Chancen, dass die seit Mit- te 2003 dynamisierte Wirtschaftsreformpolitik weiter forciert wird. Die ReformerInnen haben ungefähr zwei Jahre Zeit, in zumindest eini- gen kritischen Bereichen (zum Beispiel bei der Strom- und Benzin- versorgung, Inflation) einige so sichtbare Fortschritte vorzuweisen, wie sie der Telekommunikationssektor seit Ende 2001 hervorgebracht hat. Wenn ihnen dies gelänge, bräche womöglich auch der Bann, der bisher weite Teile der Bevölkerung überhaupt nicht mehr an eine Bes- serung der Verhältnisse glauben lässt. Die Behandlung des Benzinpreis-Problems bleibt kritisch für den Re- formprozess insgesamt: Ohne Deregulierung ist keine dauerhafte Ver- besserung der Versorgungslage zu erwarten; mit ihr (und steigenden Weltmarktpreisen) einhergehende Preissteigerungen sind sozial und politisch aber kaum akzeptabel. Integrales Moment der Reformpolitik ist auch die Bekämpfung von Korruption und anderen Fehlentwicklungen im Staatssektor. Moralisch argumentierende Anti-Korruptions-Kampag- nen haben sich als wirkungslos erwiesen; es wird zusätzlich der öf- fentlichen Abstrafung einer größeren Zahl prominenter Fälle von Re- gelverletzungen bedürfen, um den Zynismus gegenüber der im Großen und Kleinen allgegenwärtigen Korruption zu brechen. Die Heinrich-Böll-Stiftung in Nigeria wird den demokratischen Tran- sitionsprozess in Nigeria weiterhin vornehmlich durch Förderung zi- vilgesellschaftlicher Strukturen unterstützen. Dabei liegt ein Schwerpunkt inzwischen auf Maßnahmen, die das kritische und zugleich konstruktive Engagement zivilgesellschaftlicher Organisationen ge- genüber staatlicher Politik (vor allem der Wirtschaftsreformpolitik und ihren sozialen Auswirkungen) fördern. Neben der bereits traditi- onellen Unterstützung von Projekten, die der Durchsetzung von Frau- enrechten dienen, wird das Länderbüro sein weiteres Engagement im Bereich „Konfliktmanagement“ fortsetzen.

Literaturhinweise: • NEEDS: National Economic Empowerment and Development Strategy (March 2004) http://www.nigerianeconomy.com/needs.htm • Harnischfeger, Johannes (2004): Sharia and Control over Terri- tory: Conflicts between ‘Settlers’ and ‘Indigenes’ in Nigeria. African Affairs 103/412, 431-452. • Women’s Aid Collective (2004): Status of CEDAW Implementation in Nigeria: A Shadow Report; January 2004

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Anhang 1: Chronologie: 30.6.-8.7.03 Generalstreik gegen die Benzinpreiserhöhung 10.7.03 „Putsch“-Versuch in Anambra State gegen Gouverneur Chris Ngige 15.7.03 Annahme von 29 Minister-Ernennungen durch den Senat, darunter Ngozi Okonjo-Iweala (Finanzministerin), Ne- nadi Esther Usman (Staatsministerin im Finanzminis- terium) und Nasir el-Rufai (Minister für Abuja), Mitgliedern des „Core Economic Team“ für die Wirt- schaftsreformpolitik 12.8.03 Ankunft des vormaligen Präsidenten Liberias, Charles Taylor, im Exil in Calabar (Südost-Nigeria) 25.9.03 Freispruch Amina Lawals vor dem Katsina State Sharia Court of Appeal 1.10.03 Unabhängigkeitstag; Ankündigung der Benzinpreis- Deregulierung 2.10.03 BBC-Bericht über eine Studie des World Values Sur- vey, NigerianerInnen seien die „glücklichsten Men- schen der Welt“ 4.10.03 Eröffnung der All African Games (COJA) in Abuja 9.10.03 Absage des drohenden Streiks gegen Benzinpreis- Deregulierung 5.12.03 Eröffnung des Commonwealth Heads of Government Sum- mit in Abuja 25.12.03 Mordversuch an Dora Akunyili, Chefin der Nahrungs- mittel- und Medikamenten-Kontrollbehörde NAFDAC 21.1.04 Absage eines Streik gegen die Einführung einer Ben- zin-Steuer nach Rücknahme der Steuer durch die Re- gierung 17.2.04 Unterzeichnung der „Onshore-Offshore Dichotomy Bill“ durch Präsident Obasanjo; ölproduzierende Bundes- staaten erhalten zukünftig einen höheren Anteil aus den Einnahmen 3.3.04 Angriff auf den Konvoi des Gouverneurs von Benue State; Ausbruch einer Sicherheitshysterie nach die- sem und anderen Anschlägen und Morden 15.3.04 Offizielle Einführung von NEEDS (National Economic Empowerment and Development Strategy) 18.3.04 Besuch von Weltbankpräsident James Wolfensohn in Ni- geria, der Nigerias wirtschaftspolitisches Reform- team als „superb“ bezeichnet 24.3.04 Annullierung des Gouverneurs-Wahlergebnisses in Ada- mawa State durch ein Wahltribunal 27.3.04 Wahlen zu den Gemeinderäten (Local Governments), weitgehend unter Kontrolle der jeweiligen Regierun- gen der Bundesstaaten 3.4.04 Verlegung des vormaligen Sicherheitschefs des Aba- cha-Regimes, Hamza al-Mustapha, vom Kirikiri- 21 Heinrich-Böll-Stiftung, Politischer Jahresbericht Nigeria 2004

Gefängnis in Lagos nach Abuja, begründet mit einem „security breach“; Gerüchte über einen Putschversuch 18.5.04 Ausrufung des Ausnahmezustands in Plateau State und Entmachtung des Gouverneurs nach schweren Unruhen in Yelwa sowie Kano 9.-11.6.04 Generalstreik gegen erhöhte Benzinpreise

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Anhang 2: Übersicht zu Programmschwerpunkten und Schwerpunkt- themen der Heinrich-Böll-Stiftung in Nigeria (einschließlich überregionaler Programme)

Thema Lauf- Partner- Stiftungs- zeit organisa- übergrei- tion fendes Schwer- punktthema

Nigeria-Länderprogrammschwerpunkt: Frauenrechte und Empowerment

Gender in der Verfassungsdiskussion: Seit Gender and Erarbeitung von Materialien zur verbes- 2001 Development serten Berücksichtigung der Gender- Action (La- Dimension in der Diskussion über Ver- gos) fassungsreform und im politischen Pro- zess; Advocacy- und Trainingsmaßnahmen mit ParlamentarierInnen Gender-Budgeting: Trainingsmaßnahmen Seit Centre for Internatio- zur bisher unbekannten gendergerechten 2002 Democracy and nales Frau- Budgeterstellung und –verwendung, v.a. Development enprogramm in den Bereichen Bildung und Landwirt- (Abuja) schaft, Einrichtung eines Netzwerkes, Advocacy Arbeit mit ParlamentarierInnen und auf MinisterInnenebene Gender-Audit der Wahlen 2003: Analyse 2003 Women’s der strukturellen und sozialen Hinder- Adovcate and nisse, die Frauen einen aktiven Zugang Research De- zur Politik verwehren, mit Schwerpunkt velpment Cen- auf Gender-Interesse der an den Wahlen tre (Lagos) beteiligten Parteien Politisches Bildungsprogramm auf Kommu- Seit Civil Re- nalebene zu den Themen Demokratie, 2000 source Devel- Frauen- und Menschenrechte, Good Gover- opment and nance sowie Paralegal Trainingsprogramm Documentation und kostenlose Rechtsberatung für Frau- Centre(Enugu) en in dörflichen Gemeinden Research- und Advocacy-Programm zu lo- Seit Centre for Finanziert kalen Eigentums- und Erbschaftsrechten 2002 Training and aus Akti- von Frauen auf Länderebene mit dem Ziel Development onsprogramm einer gender-gerechten Gesetzesinitia- Activities 2015 tive und Veränderung der traditionellen (Calabar) benachteiligenden Gegebenheiten Bildungsprogramm zu Frauenrechten ge- Seit Centre for richtet an Frauen und Männer dörflicher 2001 Womens’ Stud- Gemeinden sowie Einführung eines ies and In- Rechtshilfe-Programms mit kostenloser tervention Rechtsberatung für Frauen (Abuja) Research, Trainingsmaßnahmen und Advo- Seit Guidance, Internatio- cacy zur Budgettransparenz und gender- 2003 Counseling & nales Frau- gerechten Verteilung von Ressourcen im Development enprogramm Gesundheits- und Bildungsbereich, so- Association wohl auf Landes- als auch auf Kommunal- (Gombe) ebene Vortragsveranstaltungen zu Problemen 2003 (HBS-Büro) der Weltwirtschaft, unter spezieller

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Berücksichtigung der Gender- Internatio- Perspektive. Themen: „Gender und GATS“; nales Frau- Weltsozialforum 2003 enprogramm

Nigeria-Länderprogrammschwerpunkt: Demokratie & gute Regierungsführung, mit Schwerpunkt auf „Economic Literacy“

Nigeria im Globalisierungsprozess: Ca- 2004 Development Globalisie- pacity Building für nigerianische NGOs Information rungs- mit dem Ziel, bei ihnen das Verständ- Network (La- programm; nis der Rolle Nigerias in der Weltwirt- gos) auch: In- schaft und der Probleme gegenwärtiger ternatio- Globalisierungsprozesse zu verbessern, nales Frau- um sie zu einer qualifizierteren Ausei- enprogramm nandersetzung mit nigerianischer (Au- ßen-)Wirtschaftspolitik zu befähigen

„Privatization Observatory“: Capacity Seit Socio- Globalisie- Building, Informationsvermittlung und 2003 Economic rungs- Durchführung von Kampagnen zur kriti- Rights Ini- programm schen Begleitung der Privatisierungspo- tiative (La- litik der nigerianischen Regierung gos)

Erstellung einer Studie zur Auswirkung 2003 Center for Globalisie- der Privatisierung von Basis- Public-Priv- rungs- Infrastruktur auf die Armutssituation ate Coopera- programm tion (Ibadan)

Roundtable “Wasser und Privatisierung Mai (HBS-Büro) in Lagos” 2004

Budget-Transparenz: Capacity Building, Seit Socio- Errichtung eines Netzwerkes, Informati- 2002 Economic onsbereitstellung und Öffentlichkeits- Rights Ini- arbeit mit dem Ziel a)relevante Regie- tiative rungsstellen für eine offene Beteili- (SERI, Lagos) gung der Zivilgesellschaft am Budget- prozess zu gewinnen, sowie b)die Zivil- gesellschaft zu befähigen, kritisch an einer gerechten und transparenten Bud- geterstellung und –implementierung mit- zuwirken

Capacity Building Workshop “Budget Nov. (HBS-Büro) Transparency and Monitoring by Civil 2003 Society Organizations”

Kritische Begleitung zweier von der Re- 2004 SERI und Hu- gierung initiierten Wirtschafts- und rilaws (La- Transparenzprogramme (NEEDS und Öffent- gos) liches Beschaffungswesen) durch die Zi- vilgesellschaft

Trainings- und Advocacy-Programm über Seit African Net- transparente Ausgabenpolitik der Ölein- 2003 work for En- nahmen zweier Bundesstaaten und ihrer vironment and Kommunen sowie Untersuchung, inwieweit Economic Jus- die korrupte Verwendung der Öleinnahmen tice (Benin) für die lokalen Konflikte verantwort-

24 Heinrich-Böll-Stiftung, Politischer Jahresbericht Nigeria 2004 lich ist

Restrukturierung und Transparenz der Seit Hurilaws (La- Kommunalverwaltung: Erarbeitung eines 2003 gos) Handbuches für gewählte Kommunalvertre- ter, Trainingsworkshops

Initiative zur Reform der Parteienfi- Seit Centre for nanzierung 2003 Law and So- cial Action (Lagos)

Bildungsprogramm für Gefängnisinsassen Seit Centre for zu Good Governance, Gewaltvermeidung 1998 Excellence und Reintegration and Literacy Education (Ile Ife)

Nigeria-Länderprogrammschwerpunkt: Krisenprävention

Lokales Konfliktmanagement im urbanen seit Centre for Sicher- Raum: Aufbau lokaler Krisenpräventions- Herbs Development heitspoli- Strukturen unter Beteiligung lokaler t and Conflict tik informeller FührerInnen; Training in 2002 Management Konfliktmediation Studies (Ife); Inter- Ethnic Forum (Lagos)

Sharia Information and Documentation Seit Development Sicher- Project: Forschung, Dokumentation und 2003 Research and heitspoli- Bildungsveranstaltungen zu Fragen sozi- Projects Cen- tik aller Gerechtigkeit unter dem islami- tre (Kano) schen Recht

Debatten über Menschen- und Frauenrech- Seit Women’s Aid te unter dem Sharia-Recht: Begegnungen Herbs Collective zwischen Menschenrechtsorganisationen t (Enugu); und SpezialistInnen für Islamisches 2002 Women’s Advo- Recht cates Re- search and Documentation Centre (La- gos)

Minoritätenrechte: Research und Advoca- 2004 League for Sicher- cy Programm im nigerianischen Middle Human Rights heitspoli- Belt zur Beanstandsaufnahme von Benach- (Jos) tik teiligungen ethnischer oder religiöser Minoritäten, Vermittlung bei Konflikten und Advocacy für Gesetzesänderungen

25 Heinrich-Böll-Stiftung, Politischer Jahresbericht Nigeria 2004

Anhang 3: Publikationen und Website des Büros Die im Frühjahr 2003 eingerichtete Website des Büros mit eige- ner Domain – http://www.boellnigeria.org – wurde regelmäßig gepflegt und ist ein wichtiges Kommunikationsmittel des Büros geworden. Neben Selbstdarstellung und Nachrichten zu aktuellen Veranstaltungen des Büros – und (teilweise) von Partnerorgani- sationen - bemüht sich die Website um eine möglichst umfas- sende Dokumentation von Publikationen, vor allem von Büchern und umfangreicheren Broschüren, die im Rahmen geförderter Pro- jekte entstanden sind. Die Mehrzahl dieser Publikationen steht im Volltext zum Download zur Verfügung.

Joy Ngozi Ezeilo, Muhammed Tawfiq Ladan & Abiola Afolabi-Akiyode (eds.): Sharia Implementation in Nigeria. Issues & Chal- lenges on Women's Rights and Access to Justice. Enugu: Women's Aid Collective (WACOL) / Lagos: Women's Advocates Research and Documentation Cen- tre (WARDC) 2003. ISBN 978-36242-4-5. (xxxv+278 pp.)

Abiola Akiyode-Afolabi & 'Lanre Arogundade (eds.): Gender Audit 2003 Elections and Issues in Women's Political Par- ticipation in Nigeria. Lagos: Women's Advocates Research and Documentation Centre (WARDC), 2003. ISBN 978-062-029-X. (x+141 pp.)

Joy Ngozi Ezeilo & Abiola Afolabi (eds.): Sharia and Women's Human Rights in Nigeria. Strategies for Action. Lagos: Women's Advocates Research and Documen- tation Centre (WARDC) / Women`s Aid Collective (WACOL), 2003 ISBN 978-8051-03-0. (iv+140 pp.)

26 Heinrich-Böll-Stiftung, Politischer Jahresbericht Nigeria 2004

Olisa Agbakoba & Hilary Ogbonna: Local Government Administration & Development in Nigeria (A Capacity Building Manual) Lagos: Human Rights Law Service, January 2004 ISBN 978-36705-2-2. (xvii+109 pp.)

Ndubisi Obiorah (ed.): Political Finance and Democracy in Nigeria Lagos: Centre for Law and Social Action, 2004. ISBN 978-36705-3-0. (xii+92 pp.)

From PRSP to NEEDS: A New Façade. A Report of the African Network for Environment and Eco- nomic Justice (ANEEJ). Benin City: ANEEJ, December 2003. ISBN 978-062-270-5 (36pp.)

African Network for Environment and Economic Justice (ANEEJ): Report on National NGO Consultative Conference on Water and Sanitation (3-4 Decem- ber 2003) [Benin-City]: ANEEJ, 2004. ISBN 978-062-270-5. (36 pp.)

Eze Onyekpere (ed.): Readings on Privatisation Lagos: Socio-Economic Rights, December 2003. ISBN 978-34830-4-8. (vii+140 pp.)

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Bola Akanji, Zwaku Bonat & Amina Salihu: Gender-Aware Analysis of the Federal Budgets in Nigeria (1995-2002): Focus on the Education and Agriculture Sectors Lagos: Centre for Democracy and Development, 2003.

Amadu Sesay, Charles Ukeje, Olabisi Aina & Adetanwa Odebiyi / Centre for Development and Conflict Manage- ment Studies (eds.): Ethnic Militias and the Future of Democracy in Nigeria. Ile-Ife: Obafemi Awolowo University Press 2003. ISBN 1596-731X. (xvi+151 pp.)

African Network for Environment and Economic Justice (ANEEJ): Oil of Poverty in Niger Delta [Benin-City]: ANEEJ, 2004. ISBN 978-062-270-0. (vi+76 pp.)

Nankin Bagudu (ed.): Linguistic Minorities and Inequal- ity in Nigeria. Jos: League for Human Rights, 2003. ISBN 978-34272-6-1. (xvi+249 pp.)

Veröffentlichungen des Büroleiters Axel Harneit-Sievers: (1) “Der Fluch des schwarzen Goldes. Nigeria, Angola, Kongo: Wie löst man das Ressourcen-Paradoxon?” In: Das Parlament, 54, 10, 1.3.2004, S. 8. http://www.das-parlament.de/2004/10/Thema/013.html (2) „Ethnizität“ & „Traditionelle Herrschaft“. In: Rolf Hofmei- er & Andreas Mehler (Hg.): Kleines Afrika-Lexikon: Politik, Wirtschaft, Kultur. München: C.H. Beck 2004, 92-94,297-299. (3) “Encounters and No-Go Areas in the Nigerian Debate about Sharia”. In: (1) Daily Trust (Abuja), 30.1.2004; (2) afrika spectrum 38, 3, 2003, 415-420; (3) http://www.gamji.com/NEWS3276.htm (4) “Jihad vs. Miss World: Politik, Religion und Geschichte in Nigeria”. In: Bundesweiter Friedensratschlag in Kassel (Website), 1.10.2003 http://www.uni- kassel.de/fb10/frieden/regionen/Nigeria/harneit.html 28 Heinrich-Böll-Stiftung, Politischer Jahresbericht Nigeria 2004

Anhang 4: Weitere Anlagen

1. Die „Iron Ladies“ Nigerias: Politikerinnen an der Spitze der Wirtschaftsreform

Quelle: TELL Magazi- ne, No. 14, 5.4.2004, Titel

2. Müssen wir uns NigerianerInnen als glückliche Menschen vor- stellen? Am 2.10.2003 sorgte ein BBC-Bericht für Schlagzeilen und zahl- reiche Kommentare in Nigeria. Die EinwohnerInnen des Landes, so ergab eine Studie des World Values Survey (http://www.worldvaluessurvey.org), seien die glücklichsten Menschen der Erde, noch vor Mexiko und Venezuela. Im Weltmaß- stab am unglücklichsten seien die Menschen in Rumänien, Arme- nien und Russland. Angesichts der Zustände in Nigeria reagier- ten viele mit Unglauben, Lachen oder auch Verärgerung: Sollte dies ein schlechter Witz sein, oder gar eine Beleidigung? Sol- che Reaktionen lagen auf der Hand. Weniger vorhersehbar jedoch war, dass – auf einen zweiten Blick, im längeren Gespräch, in einigen Zeitungskommentaren – bemerkenswert reflektierte Ver- suche unternommen wurden, das unglaubliche Umfrageergebnis zu 29 Heinrich-Böll-Stiftung, Politischer Jahresbericht Nigeria 2004 verstehen und einzuordnen. Und dabei zeigte sich, dass es tat- sächlich gute Gründe gibt, wann und warum NigerianerInnen sich als glücklich betrachten, jedenfalls in spezifischem Sinne. Oft genannt wurden: die Sicherheit, die man in (bei aller Kri- tik noch immer funktionierenden) Familien- und Gemeinschafts- zusammenhängen finde; die Tatsache, dass angesichts großer Un- sicherheit und Unkalkulierbarkeit der Verhältnisse eine Kultur des Sich-Sorgens erst gar nicht entstehe; schließlich die Ge- nugtuung, gesund zu sein, Krisen überlebt zu haben und sich als von Gott beschützt zu wissen. Reuben Abati, der Herausge- ber der angesehenen Tageszeitung The Guardian, schrieb am 5.10.2003, der World Values Survey verwechsele womöglich „Glück“ mit „Unverwüstlichkeit“ (resilience). Und angesichts der überall in Nigeria erfahrbaren Lebensfreude und Überle- benskraft fragte er: „But is it likely that the researchers have mistaken our ebullience for happiness? If we are truly happy, would we be so greedy as we are?” Dass in einem Land mit Platz 148 (2002) im Ranking des Human Development Index Menschen glücklich sind, jedenfalls in ihrem eigenen Sinne, ist nicht überraschend. Dass in einem solchen Land aber auch qualifizierte Diskussionen über den Glücksbegriff geführt wer- den, hätte Albert Camus gewiss mit Wohlwollen betrachtet. (Quelle: Axel Harneit-Sievers, Lagos, im Oktober 2003)

3. Heinrich Böll im nigerianischen Gefängnis

Heinrich Böll Reading Room, eröffnet 2003, im Gefängnis von Umuahia (Quelle: Centre for Excellence in Literacy and Literacy Education, CELLE) 30 Heinrich-Böll-Stiftung, Politischer Jahresbericht Nigeria 2004

Essenswagen “Heinrich Böll Foundation” im Gefängnis von Umuahia, A- bia State: Offizielle Übergabe anläßlich des Besuchs des HBS- Evaluations-Teams Christine Essien und Peter Ay, 2003 (Quelle: CELLE)

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4. „Globalisierung Gestalten“ in Nigeria

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