20. Juli 1944 Legende Und Wirklichkeit
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Daniil Melnikow 20. Juli 1944 Legende und Wirklichkeit VEB DEUTSCHER VERLAG DER WISSENSCHAFTEN BERLIN 1964 Titel der russischen Originalausgabe: 3arossop 20 mojia 1944 ro^a B TepMaHHM JlereHssa H flewcTBHTejibHocTb Ins Deutsche übertragen von Fritz Rehak Bildnachweise: VEB DEFA, Studio für Wochenschau und Dokumentarfilme; Zentralbild Oberst Claus Graf Schenk von Stauffenberg ES 14 E 1. Auflage Alle Rechte vorbehalten VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften, Berlin 1964 Printed in the German Democratic Republic Lizenz-Nr.: 206-435/144/64 Einband und Schutzumschlag: H. Unzner, Berlin Gesamtherstcllung: Sachsendruck Plauen Eingescannt mit OCR-Software ABBYY Fine Reader EINLEITUNG Die bürgerliche Geschichtsschreibung schenkt der Verschwörung des 20. Juli 1944 viel Beachtung. In Westdeutschland beinhalten neun Zehntel aller Arbeiten zur Geschichte des zweiten Weltkrieges diese Verschwörung. In den USA, in England und Frankreich sind un- zählige Bücher erschienen, in denen die Ereignisse beschrieben wer- den, die zu dem Attentat auf Hitler geführt haben. Dieses starke Interesse ist keineswegs zufällig. Die bürgerlichen Historiker versuchen, die dramatischen Geschehnisse des 20. Juli 1944 zur Begründung ihrer politischen Schlussfolgerungen zu benut- zen. Insbesondere reaktionäre westdeutsche Historiker sind bemüht, die geschichtlichen Tatsachen im Zusammenhang mit der Verschwö- rung gegen Hitler so darzustellen, dass sie zur Rechtfertigung des deutschen Militarismus benutzt werden können. Die Apologeten des deutschen Militarismus nehmen zuweilen sogar zu unverblümter Geschichtsfälschung Zuflucht. Sie versuchen auf diese Weise, die Verschwörung gegen Hitler als Beweis dafür heranzuziehen, dass das Hitlerregime vom deutschen Militarismus «abgelehnt» worden sei und dass es einen «Fremdkörper» für den deutschen Imperialis- mus dargestellt habe. Die Verschwörung wird von diesen Histori- kern als «höchster Ausdruck» der antifaschistischen Bewegung in Deutschland, als Zeugnis des «Edelmutes», der Tapferkeit und des «Demokratismus» der Führungsspitzen der deutschen Kriegsma- schine, des Finanzkapitals und der Aristokratie der Grundbesitzer gerühmt. Die amerikanischen und englischen Historiker vertreten im wesent- lichen die Meinung ihrer westdeutschen Kollegen, doch legen sie in ihren Werken das Schwergewicht auf die aussenpolitische Sphäre der Tätigkeit der Verschwörer. Ihr Interesse gilt in erster Linie den Ver- bindungen der Verschwörer zu amerikanischen und englischen reak- tionären Kreisen und den Versuchen der Hitlergeneräle, eine ge- meinsame Front aller reaktionären Kräfte zum Kampf gegen die Sowjetunion und andere friedliebende Völker der Welt zu schaffen. Die meisten Historiker der USA und Englands, die sich mit der Erforschung der Ereignisse des 20. Juli beschäftigten, wollen mit ihren Arbeiten die Verbindung der herrschenden Kreise der USA und Englands mit dem westdeutschen Militarismus rechtfertigen und die historischen Wurzeln einer solchen Politik herausstellen. 5 Deshalb muss die Wahrheit über die Verschwörung gezeigt und ihr wahres Wesen aufgedeckt werden. In diesem Buch werden die Ereignisse des 20. Juli im Zusammen- hang mit der militärischen und politischen Lage in Deutschland geschildert. Es stellt somit eine Fortsetzung der Arbeiten über die Ereignisse jener Jahre dar, die von sowjetischen Historikern und auch vom Verfasser selbst bereits veröffentlicht worden sind. Der Verfasser sieht in der Verschwörung den Ausdruck einer «Krise der oberen Schichten» des faschistischen Deutschlands, die sich unter dem unmittelbaren Einfluss der Niederlagen der Hitlerarmee an der deutsch-sowjetischen Front anbahnte. Um diese Hauptthese zu be- weisen, untersucht er gründlich das Programm, die näheren Um- stände der Verschwörung und deckt die Verbindungen der Ver- schwörer zum Ausland, ihre Pläne und Absichten auf. Er versucht, das Wesen der Verschwörung zu enthüllen, ihren erzreaktionären, imperialistischen Charakter sichtbar zu machen. Gleichzeitig wird der Beantwortung zweier wichtiger Fragen grosse Aufmerksamkeit geschenkt, die in der Geschichtsliteratur sehr um- stritten sind. Erstens der Frage, welchen Umfang die Verschwörung angenommen hatte und wie weit sie in den verschiedenen Bevöl- kerungsschichten verbreitet war. Eine Reihe von Historikern nimmt an, dass die Einflusssphäre der Verschwörung sehr begrenzt war, dass von ihr nur bestimmte Gruppen des Offizierskorps erfasst und die Verschwörung lediglich das Werk einer Handvoll Leute aus der Umgebung Hitlers gewesen sei, die eine «Palastrevolution» planten. Solche Anschauungen finden in der weitverbreiteten Darstellung der Verschwörung als «Generalsverschwörung» gegen Hitler ihren Ausdruck. Andere Historiker – zu ihnen gehört der grösste Teil der reaktionären Historiker Westdeutschlands – versuchen, die Ver- schwörung als «antifaschistische Massenbewegung» hinzustellen. Diese Historiker behaupten, an der Verschwörung seien grosse Teile der deutschen Bevölkerung beteiligt gewesen und sie stelle den Höhe- punkt der antifaschistischen Bewegung im Lande dar. Die Frage nach der Verbreitung der Verschwörung ist selbstverständlich nicht einfach eine Frage der zahlenmässigen Zusammensetzung der Ver- schwörer. Die Beantwortung dieser Frage ist wichtig für die Klä- rung des Charakters der ganzen Verschwörung. Der Verfasser ver- sucht darzustellen, wie weit die Verschwörung in den verschiedensten Schichten der Führung Hitlerdeutschlands verzweigt war. Er gelangt 6 zu der Schlussfolgerung, dass der Kreis der Verschwörer keines- wegs auf das deutsche Offizierskorps begrenzt werden kann. Die weite Verbreitung der Verschwörung im herrschenden Lager des faschistischen Deutschlands zeugt gerade davon, dass sie Ausdruck einer allgemeinen Krise der oberen Schichten des Landes gewesen ist. Die Teilnahme vieler führender Persönlichkeiten Hitlerdeutsch- lands an der Verschwörung liefert aber keineswegs den Beweis für deren demokratischen Charakter. Im Gegenteil, gerade die Tatsache, dass Vertreter derjenigen Kreise, die Hitler an die Macht gebracht und ihn lange Zeit hindurch unterstützt hatten, an der Verschwörung teilnahmen, beweist, dass den Verschwörern jed- wede demokratischen Ideen völlig fremd sein mussten. Die Zusam- mensetzung der Verschwörer bestimmte weitgehend auch die Me- thoden der Verschwörung. Es war eine Palastrevolution hinter dem Rücken des Volkes, sie wurde vor ihm geheimgehalten. Die Ver- schwörung als Ausdruck der antifaschistischen Aktivität anzusehen hiesse demnach die historische Wirklichkeit zu verfälschen. Das Buch enthält reichhaltiges Material, das diese These erhärtet. Die zweite Frage, auf die das Buch Antwort zu geben versucht, ist die Frage nach den Ursachen für das Scheitern der Verschwörung; sie werden vom Verfasser unter Berücksichtigung des Charakters der Verschwörung, der Herkunft der Verschwörer und der allge- meinen Situation im faschistischen Deutschland analysiert. Der Ver- fasser charakterisiert eingehend den faschistischen Gewaltapparat, der zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht nur gegen die unmittel- baren Klassengegner – das Proletariat und seine kommunistische Avantgarde – in Gang gesetzt werden konnte, sondern auch gegen die sogenannte bürgerliche Opposition und sogar gegen ehemalige aktive Anhänger des Hitlerregimes, die sich im letzten Moment ent- schlossen hatten, Hitler zu opfern, um damit den deutschen Imperia- lismus vor der Katastrophe zu retten. Gegenwärtig haben in Westdeutschland dieselben Kräfte, die im faschistischen Deutschland am Ruder waren, wiederum führende Stellungen inne. Im Programm der KPdSU heisst es, dass der westdeutsche Imperialismus «zynische Revanche- und Annexions- ziele verkündet und einen Krieg gegen die sozialistischen Staaten und andere europäische Länder vorbereitet». Bei der ideologischen Vorbereitung eines neuen Krieges benutzen die deutschen Revan- chisten das ideologische Gepäck der reaktionären Führungsclique 7 der Verschwörung, die einen Kreuzzug gegen die Sowjetunion pro pagierte. Der Verfasser hofft, dass sein Buch dazu beitragen wird, die ver- fälschende Darstellung zu widerlegen, mit der die deutsche Reaktion verteidigt werden soll, indem der zutiefst volksfeindlichen Ver- schwörung «antifaschistische Ziele» zugeschrieben werden. Die Ent- hüllung des wahren Wesens der Verschwörung des 20. Juli 1944 wird auch die wirklichen Träger der antifaschistischen Bewegung im Lande, die Helden der antifaschistischen Illegalität, die unter der Führung der Kommunistischen Partei für eine lichte Zukunft des deutschen Volkes kämpften, deutlicher hervortreten lassen. 8 1. DEUTSCHLAND IN DEN JAHREN 1943 UND 1944 Die Auswirkungen der militärischen Niederlagen und aussenpolitischen Misserfolge auf die innenpolitische Lage in Deutschland Die Verschwörung vom 20. Juli 1944 ist eines jener Ereignisse wäh- rend des zweiten Weltkrieges, das in engem Zusammenhang mit der allgemeinen inneren und aussenpolitischen Lage des faschisti- schen Deutschlands betrachtet werden muss. Unter den Faktoren, die das Heranreifen, die Entstehung und Orga- nisierung der Verschwörung besonders stark beeinflussten, stehen die militärischen Niederlagen der Hitlerarmee an der deutsch-sowjeti- schen Front an erster Stelle. Das ist verständlich, zumal da sich jede Veränderung der militärischen Lage Deutschlands unausweichlich auf seine innere Entwicklung und auf die Gruppierung der Klassen- kräfte im Lande auswirken musste. In einer Analyse der Verschwö- rung muss deshalb der Einfluss der militärischen Faktoren unbedingt berücksichtigt werden. Zwischen