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SPOTLIGHT #01

ISRAELS SICHERHEIT UND DIE SIEDLUNGEN MOLAD, THE CENTER FOR THE RENEWAL OF ISRAELI DEMOCRACY | 2017

Die israelische Öffentlichkeit geht davon aus, dass die Siedlungen im Westjor- danland eine Schlüsselrolle für Israels Sicherheit spielen. Die folgende Studie zeigt nun allerdings, dass die zivilen Siedlungen dort nicht nur wenig zur Sicher- heit beitragen, sondern gar eine Sicherheitsbelastung für den israelischen Staat darstellen.

Nach sorgfältiger Analyse kommt diese Untersuchung zu folgenden Schlussfolgerungen:

. Zwischen ziviler israelischer Präsenz in den Gebieten (Siedlungen) und militärischer israeli- scher Präsenz in den Gebieten (IDF und Shin Bet) muss klar unterschieden werden. . Spätestens vor 15 Jahren haben die Prämissen des Allon-Plans (1967) ihre strategische Re- levanz verloren. . Die Siedlungen erschweren den Schutz israelischer Staatsbürger vor palästinensischem Ter- ror. . Die Siedlungen verlängern die Grenzlinie, die von israelischen Truppen verteidigt werden muss. . Die IDF muss die Hälfte ihrer Truppen im Westjordanland stationieren; in gewissen Zeiten sind es sogar zwei Drittel. . Im Gegensatz zur weit verbreiteten Annahme, befassen sich die im Westjordanland statio- nierten Truppen mehrheitlich nicht mit Terrorbekämpfung. Sie wenden weniger den Terror gegen die Zivilbevölkerung innerhalb Israels ab, als dass sie die Siedlungen schützen. . Die Sperranlage hat erwiesenermaßen zu mehr Sicherheit geführt. Und dennoch verhindert die Führung der Siedlerbewegung ihre Fertigstellung aus politischen Gründen.

Verfasst von:

SPOTLIGHT – 2017 MOLAD – The Center for the Renewal of Israeli Democracy | ISRAELS SICHERHEIT UND DIE SIEDLUNGEN

ISRAELS SICHERHEIT UND DIE SIEDLUNGEN

Forschung und Text: Avishay Ben Sasson-Gordis Text und Redaktion: Yonatan Levi Recherchen: Shai Agmon Begleitung und Redaktion: Avner Inbar und Assaf Sharon

© Sämtliche Rechte sind Molad vorbehalten, Molad – the Center for the Renewal of Israeli Democracy, Ltd. 2017

Lloyd George St. 6, Jerusalem [email protected]

2017

SPOTLIGHT – 2017 1 MOLAD – The Center for the Renewal of Israeli Democracy | ISRAELS SICHERHEIT UND DIE SIEDLUNGEN

Inhaltsverzeichnis Seite

Einleitung und wesentliche Forschungsergebnisse ...... 3

Kapitel 1: Von Strategie zum Vorwand: Zur Geschichte des Sicherheitsarguments ...... 5

Kapitel 2: Siedlungen als Sicherheitslast ...... 9

Kapitel 3: Sicherheit ohne Siedlungen ...... 17

Zusammenfassung: Der Kampf um die Sicherheit ...... 26

Anhang: Generalmajor der Reserve Gershon HaCohen: Mehr Sicherheit durch Siedlungen – eine Stellungnahme ...... 27

SPOTLIGHT – 2017 2 MOLAD – The Center for the Renewal of Israeli Democracy | ISRAELS SICHERHEIT UND DIE SIEDLUNGEN

Einleitung und Forschungsergebnisse den Gebieten. Selbstverständlich haben die Be- fürworter der Siedlungen ein Interesse an der Der israelisch-palästinensische Konflikt ist Israels Verwischung beider Aspekte, denn ohne eine zentrale Sicherheitsherausforderung. Die eigentli- scharfe Trennung lässt sich keine verantwor- che Komponente dieses Konflikts ist territorial, tungsbewusste Debatte über die sicherheitspoliti- wenngleich sich dieser Konflikt nicht auf ein ein- schen Konsequenzen der israelischen Präsenz im zelnes Element reduzieren lässt. Schon seit Jah- Westjordanland, der Verewigung (durch Annektie- ren lässt sich der territoriale und eigentliche rung des Westjordanlands), oder Beendigung der Aspekt des Konflikts nicht mehr von der Frage der Präsenz (durch einseitigen Rückzug oder durch Siedlungen trennen. Obwohl Sicherheitsfragen in Rückzug im Zuge eines Abkommens) führen. Die im Mittelpunkt öffentlicher Debatten stehen, Herausarbeitung dieser Trennung ist somit eines wird trotz der zentralen Rolle, die den Siedlungen der Hauptanliegen dieses Dokumentes. bei einer zukünftigen Lösung des Konflikts zu- Wie aus diesem Dokument hervorgeht, trägt die kommt, seit Jahren nicht mehr verantwortungs- Präsenz israelischer Zivilisten in den Gebieten in bewusst über die Konsequenzen der Siedlungen keinster Weise zur Sicherheit Israels bei, sondern für Israels nationale Sicherheit debattiert. Das ist stattdessen eine schwere Sicherheitsbelastung vorliegende Dokument soll diese Lücke anhand für den Staat. Die Annahme, dass die Siedlun- von umfassenden, auf Zahlen und Fakten basie- gen in den Gebieten zur Sicherheit Israels bei- renden Analysen schließen, die auf Konsultatio- tragen, mag in der Vergangenheit richtig nen mit Sicherheitsexperten beruhen. Dabei will gewesen sein. Heute trifft sie längst nicht dieses Dokument die Debatte keineswegs ab- schließen, sondern vielmehr wiederbeleben in der mehr zu. So lautet der fast ungebrochene Hoffnung, dass es selbst im politischen Klima der Konsens unter führenden israelischen Mili- Rechten möglich sein wird, zum Wohl aller Bürger tärs. Die israelischen Staatsbürger, die über das Israels ausgewogen und sachlich zu diskutieren. gesamte Westjordanland verstreut leben, tragen nicht zur Sicherheit des Landes bei. Sie sind eine Zurzeit sind die Siedlungen im Westjordanland für Belastung für die israelischen Sicherheitskräfte. viele Israelis im Hinblick auf die Sicherheit positiv Sie verschlingen einen beachtlichen Teil der behaftet. Der Mythos, demnach die Siedlungen Sicherheitsressourcen und verlängern die Vertei- die „kugelsichere Weste der Dan Region“, also digungslinien, wodurch unzählige Reibungspunkte des Zentrum Israels 1 seien, ist weit verbreitet. entstehen. Der Schutz israelischer Bürger inmit- Über die Hälfte der Israelis messen dem Sied- ten von palästinensischen Gebieten stellt zusätz- lungswerk auf der anderen Seite der Grünen Linie liche Sicherheitsanforderungen an die eine sicherheitspolitische Bedeutung bei.2 Dieses israelischen Streitkräfte, oft mit negativen Folgen Image resultiert unserer Meinung nach aus einer für die Verteidigung israelischer Staatsbürger vor Verschmelzung von zwei separaten Komponen- palästinensischem Terror. ten. In der politischen Fantasie vieler Israelis ver- mischen sich militärische und zivile Präsenz in Selbstverständlich ist es das gute Recht der israe- lischen Öffentlichkeit, sich für die Sicherheitslast der Siedlungen zu entscheiden, doch sollte ein solcher Beschluss überlegt gefällt werden. Die 1 Beispielsweise im Channel 20: „Israels kugelsichere Weste“, Juni Diskussion hierüber sollte auf einer ernsthaften 2016: http://bit.ly/2ny9qn. Yedioth Ahronoth: „Die Dan Region ist terrorfrei, weil Atniel den Terror abfängt“, Juli 2016: Analyse und einer korrekten Darstellung von Fak- http://bit.ly/2mONaZA; Webseite des Siedlerrates: „Siedlungen ten fußen. gegen Raketen“: http://bit.ly/2o5CBRH. 2 Siehe beispielsweise Molad-Umfrage von 2015: 52% der Befragten Nach sorgfältiger Analyse kommt dieses Doku- sind der Meinung, dass die Siedlungen zur Sicherheit Israels beitra- ment zu folgenden Schlussfolgerungen: gen, während nur 35% meinen, dass sie Israels Sicherheit beein- trächtigen (S.18): http://bit.ly/2mOWAEz. Die Molad-Umfrage von  Zwischen ziviler israelischer Präsenz in 2015 zeigt aber auch, dass es in der israelischen Bevölkerung eine den Gebieten (Siedlungen) und militäri- Mehrheit für ein Abkommen mit den Palästinensern gibt (S.6). Zu scher israelischer Präsenz in den Gebieten einem ähnlichen Ergebnis kommt auch eine neuere Umfrage vom Tami Steinmetz Center for Peace Research (2017), derzufolge 55% (IDF und Shin Bet) muss klar unterschie- der Israelis eine Zweistaatenlösung befürworten: den werden. Oftmals vermischt die Siedler- http://bit.ly/2ofBNHn. lobby diese beiden Formen der Präsenz, weil

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so der irreführende Eindruck entsteht, als ge-  Die IDF muss die Hälfte ihrer Truppen im be es eine zwingende Korrelation zwischen Westjordanland stationieren; in gewissen militärischem Vorgehen, Terrorbekämpfung Zeiten sind es sogar zwei Drittel der Kampf- und Siedlungen auf der anderen Seite der truppen. In den Gebieten werden demnach Grünen mehr Truppen benötigt als an allen restlichen Linie. In Wirklichkeit verhält es sich jedoch Fronten zusammen (Libanon, Syrien, Gaza- genau umgekehrt. Es sind nicht die Siedlun- streifen und Arava-Tal). Siedlungen lassen gen, die sich nur mit großem Truppenaufgebot wirk- für die israelischen Sicherheitskräfte arbeiten, sam schützen. Das ergibt sich aus dem be- sondern die israelischen Streitkräfte für die sonderen Charakter der Mission. Denn die Siedlungen. israelische Bevölkerung im Westjordanland lebt in einem ihr feindlich gesinnten Umfeld.  Spätestens vor 15 Jahren haben die Prä- missen des Allon-Plans (1967) ihre strategi-  Im Gegensatz zur weit verbreiteten Annahme, sche Relevanz verloren. Die ursprüngliche befassen sich die im Westjordanland statio- Verknüpfung von Siedlungen und Sicherheit nierten Truppen mehrheitlich nicht mit Terror- erfolgte unmittelbar nach dem Sechstagekrieg bekämpfung. Sie wenden weniger den Terror im Rahmen des Allon-Plans. Im Grunde hat gegen die Zivilbevölkerung innerhalb Israels der Plan das Siedlungs- und Sicherheitsratio- ab, als dass sie die Siedlungen schützen. nal, das von der Zionistischen Bewegung bis Schätzungen zufolge beschäftigen sich 80% zur Staatsgründung verfolgt worden ist, ganz der Truppen in den Gebieten mit der Bewa- einfach fortgesetzt. Doch selbst wenn eine chung von Siedlungen, während sich nur die solche Position Ende der Sechziger Jahre verbleibenden 20% auf den Schutz des Staa- sicherheitspolitisch noch sinnvoll gewesen tes entlang der Grenzen von 1967 konzentrie- sein mag, hat diese Auffassung heute ange- ren. sichts der geopolitischen Veränderungen im

Nahen Osten, der Stärke der israelischen Ar-  Die Sperranlage hat erwiesenermaßen zu mee und der veränderten Rolle, die der Zivil- mehr Sicherheit geführt. Und dennoch ver- bevölkerung in Kampfsituationen zukommt, hindert die Führung der Siedlerbewegung ihre seine Gültigkeit verloren. Fertigstellung aus politischen Gründen. Mit

dem Bau der Sperranlage wurde bereits vor  Die Siedlungen erschweren den Schutz 15 Jahren begonnen, aber noch immer sind israelischer Staatsbürger vor palästinensi- 40 Prozent der Anlage nicht fertiggestellt. schem Terror. Siedlungen beeinträchtigen die Sicherheit. Dies kommt sowohl auf strate-  Siedlungen beeinträchtigen die Vorbereitung gischer (eine umfassende staatliche Politik) der israelischen Streitkräfte für den Notfall. wie auch auf operativer Ebene (der Einsatz Sie sind eine finanzielle Belastung für den von Truppen vor Ort) zum Tragen. Sicherheitsapparat. Zwischen den Interessen

der Siedler und den fachlichen Erwägungen  Siedlungen verlängern die Grenzlinie, die des Militärs kommt es zu ständigen Ausei- von israelischen Truppen verteidigt wer- nandersetzungen. Die IDF muss sich mit jüdi- den muss. Durch die Siedlungen wird die schen Terrorgruppierungen Trennlinie zwischen Israel und dem Westjor- auseinandersetzen, die der Einheit der Ge- danland selbst extrem konservativen Schät- sellschaft schaden. zungen zufolge mindestens um das Fünffache verlängert. Der Schutz von Zivilis- Dem Dokument liegen Recherchen von Avishay ten inmitten von palästinensisch bevölkerten Ben Sasson-Gordis, Reservemajor im Nachrich- Gebieten auf der anderen Seite der Grünen tendienst, zugrunde. Ben Sasson-Gordis ist Pro- Linie erschwert die Arbeit der israelischen motionsstudent im Bereich Governance an der Armee merklich. Universität Harvard und ist Research Fellow am Molad-Center. Bei der Analyse professioneller Inhalte mit Sicherheitsbezug hat sich Molad auf

SPOTLIGHT – 2017 4 MOLAD – The Center for the Renewal of Israeli Democracy | ISRAELS SICHERHEIT UND DIE SIEDLUNGEN

Gespräche mit Experten für Sicherheit und Stra- Damals schlug Allon die Gründung von Siedlun- tegie gestützt. So haben wir mit General der Re- gen in den Gebieten um Jerusalem sowie im öst- serve Amos Malka, General der Reserve Moshe lichen Teil der Westbank als Antwort auf Israels Kaplinsky, General der Reserve Gadi Shamni, „schmale Taille“ und die militärische Bedrohung Generalmajor der Reserve Tibon und Bri- von Osten vor. Mit Ausnahme der Zufahrtsstraße gadegeneral der Reserve Baruch Spiegel gespro- nach Jerusalem sollten jüdische Siedlungen nur in chen. Wir danken ihnen und anderen dünn besiedelten palästinensischen Gebieten ge- Gesprächspartnern für die Bereitschaft, uns ihre gründet werden. Allons Plan verfolgte jedoch Zeit und Fachkenntnisse zur Verfügung zu stellen. noch ein weiteres Ziel. Im Hinblick auf zukünftige Gebietsverhandlungen wollte er Fakten vor Ort schaffen. Ein Teil der Siedlungen sollte im Ge- Kapitel 1 genzug für eine politische Lösung zurückgegeben werden.3 Selbst wenn der Allon-Plan von der Re- Von Strategie zum Vorwand: Zur Geschichte des gierung nie offiziell ratifiziert worden ist, so hat er in den ersten zehn Jahren nach dem Krieg meh- Sicherheitsarguments reren Maarach-Regierungen bei der Siedlungs- gründung als Grundsatzpapier gedient. Gush Vom ersten Tag an war das Siedlungswerk nicht Emunim hat mehrmals versucht, in vom Allon- sicherheitspolitisch, sondern religiös und ideolo- Plan nicht erfassten Gebieten wie Samaria oder gisch motiviert. Der Glaube an den alleinigen An- Efrata zu siedeln, was beim damaligen Minister- spruch auf das Land hat die Anhänger von präsidenten Yitzhak Rabin auf heftigen Wider- Rabbiner Zvi Yehuda Kook unmittelbar nach dem stand stieß.4 Sechstagekrieg in Hebron und Gush Ezion sie- deln lassen. Dieselbe Kraft treibt die Führungs- Die politische Wende des Jahres 1977 brachte spitze der Siedler bis zum heutigen Tag an. Den auch ein scharfes Umdenken der israelischen ursprünglichen Bezug zwischen Siedlungen und Regierung in Bezug auf die Siedlungspolitik mit Sicherheit stellte die Maarach-Regierung her, die sich. Unter Landwirtschaftsminister Ariel Sharon einen Teil der im Krieg besetzten Gebiete besie- wurde in sämtlichen Teilen der Westbank massiv deln wollte, um die israelische Position bei der gebaut. Zu diesem Zeitpunkt waren die Überle- nächsten Runde kriegerischer Auseinanderset- gungen, die dem Siedlungswerk zugrunde lagen, zungen zu stärken oder Israels Position im Hin- schon nicht mehr militärischer, sondern vor allem blick auf zukünftige Verhandlungen mit politischer Natur und stark vom Palästinenserkon- arabischen Staaten zu verbessern. flikt geprägt. Die nächste Siedlungswelle baute vor allem auf Bergrücken, im Jordantal und um 1967 legte Yigal Allon einen Plan zur umfangrei- die palästinensischen Viertel von Ostjerusalem chen Besiedlung von Gebieten auf der anderen herum. Ihr Ziel war es, die zukünftige Gründung Seite der Grünen Linie auf den Regierungstisch. eines Palästinenserstaates zu verhindern. Im Ge- Obgleich Allon das Ressort des Arbeitsministers gensatz zur Vergangenheit wurden Siedlungen innehatte, galt er aufgrund seiner Erfahrung als nun nicht mehr an Orten von militärischer Rele- Palmach-Kommandant und IDF General in puncto vanz gegründet, sondern tief landeinwärts in der Sicherheit als Autorität. Der Allon Plan knüpft an Nähe von arabischen Dörfern oder an sehr ge- die zionistischen Einstellung zum Siedlungswerk fährlichen Orten.5 vor Staatsgründung an. Die Josef Trumpeldor zugeschriebene Äußerung drückt diese Haltung am besten aus: „Unsere Grenze verläuft dort, wo der letzte jüdische Pflug seinen Graben zieht.“ Um ein Territorium zu beherrschen, müssen also Zivilisten in ihm leben. Eine solche Einstellung lässt sich oft bei jungen Nationalbewegungen fin- 3 Yeshayahu Volman, Die Geschichte der Sperranlage – Menschen den, die staatlich noch nicht organisiert sind und sich selbst überlassen?, Carmel Verlag, 2004. sich in einer territorialen Auseinandersetzung mit 4 Volman, S.32. Im Weiteren siehe: Akiva Eldar und Edith Zertal, Die einer anderen nationalen Bewegung befinden. Herren des Landes: Die Siedler und der Staat Israel 1967-2004, Kinneret Verlag, Zmora Bitan, Dvir, 2004, S.294-299. 5 Volman, S.4-33.

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Der Allon-Plan (1967) heit, sondern die Sicherheit dient den Siedlungen.

Mit der freundlichen Genehmigung von Shaul Wie der Allon-Plan seine Relevanz verlor Arieli Das Sicherheitskonzept des Allon-Plans mag in Um den Siedlungsbau voranzutreiben, wurde das der Vergangenheit zugetroffen haben. Allerdings Sicherheitsargument nach außen auch weiterhin hat es in den Jahrzehnten nach seiner Formulie- bedient. Seit der Gründung von Kiriat Arba im rung an Relevanz verloren. Drei historische Ent- Jahr 1971 schob man das Argument der „Sicher- wicklungen haben dem Sicherheitsargument der heit“ vor allem zur Rechtfertigung der Landnahme Siedlungen den Boden unter den Füßen wegge- von Gebieten in palästinensischem Privatbesitz zogen. vor, auf denen Siedlungen errichtet werden soll- 1. Von gefährlicher Grenze zu bedeutungslo- ten. Bei einem Teil der Fälle wurde das Vorgehen ser Front: Die konventionelle Bedrohung von der Siedler vom Obersten Gericht unter dem Ver- weis genehmigt, dass die Siedlungen der israeli- Osten ist verschwunden schen Armee ein „verlässliches Hinterland“ Israel brauchte einen Sicherheitsgürtel, der den bereiteten. Diese Haltung des Gerichts änderte Vormarsch arabischer Truppen von Osten, aus sich 1979 im Fall von Allon Moreh.6 Im Rahmen dem Irak oder aus Jordanien, hinauszögern sollte. von Sharons Siedlungsplan wurde privates Land Aus diesem Grund hatte Israel ursprünglich an in der Gegend von Nablus beschlagnahmt, um der Westbank festhalten wollen. Die Regierung einer Gruppe von Gush Emunium-Anhängern die hatte ihre Lektion aus den Erfahrungen im Unab- Verwirklichung ihrer Vision zu ermöglichen, in hängigkeits- und Sechstagekrieg gelernt und woll- Samaria zu siedeln. Die palästinensischen Land- te die „enge Taille“ der Landesmitte verbreitern, besitzer wandten sich ans Oberste Gericht, das um eine strategische Tiefe zu schaffen, die es die Räumung der Siedlung anordnete. Die Richter Israel ermöglicht, feindliche Truppen rechtzeitig waren zu der Überzeugung gelangt, dass die aufzuhalten. Siedler rein ideologisch und nicht, wie behauptet, sicherheitspolitisch motiviert waren. Zu diesem Aufgrund geopolitischer Veränderungen im Nahen historischen Urteil trug ein Gutachten des einsti- Osten besteht eine solche Bedrohung mittlerweile gen Generalstabchefs Chaim Bar-Lev, General- längst nicht mehr. Seit Unterzeichnung eines bis leutnant der Reserve, und von General der heute stabilen Friedensabkommens gehört Jor- Reserve Chaim Mati Peled bei, die davon ausgin- danien nicht mehr zum Kreis der Konfrontations- gen, dass die Siedlung nicht zur Sicherheit beitra- staaten.7 Mit der Besatzung des Irak im Jahr 2003 gen, sondern eine größere Sicherheitslast für die durch eine internationale, von den Vereinigten IDF darstellen würde. Staaten angeführte Koalition ist auch die Bedro- hung durch die irakische Armee nicht länger exis- Das Argument der Sicherheit geht auf das Sied- tent. Iranische Raketen sind Israels letzte lungskonzept zur Zeit der Staatsgründung zurück. verbleibende Gefahr aus Richtung Osten. Doch Im Laufe der Jahre hat diese Argumentation dann bietet eine Besatzung des Westjordanlanges kei- allerdings an Inhalt verloren und wurde zu einem nen Schutz vor Raketen.8 Folglich hat die Sicher- zynischen Mittel reduziert, das die Aneignung von heitslogik des Allon-Plans in den letzten zehn privatem palästinensischem Grundbesitz ermög- Jahren, vielleicht sogar schon vorher, ihre Gültig- lichte. keit verloren. Die jahrelange Bedienung des Sicherheitsjargons Allerdings scheint das den Vorsitzenden der Par- zum Zweck der Beschlagnahmung von palästi- nensischem Grundbesitz hat den weit verbreiteten assoziativen Bezug zwischen Siedlungen und 7 Sicherheit verstärkt. Die Wirklichkeit sieht jedoch Schon zuvor war die Bedrohung aus dem Irak größer; aber nach anders aus. Siedlungen dienen nicht der Sicher- dem Friedensabkommen mit Jordanien blieb sie als einzige relevan- te Bedrohung. 8 Siehe Arbeitspapier von Avner Simhoni, „Strategische Tiefe und Israels östliche Front: Die Konfrontation der Bedrohung von Osten 6 Oberstes Gericht 390/90 – Davidka gegen den Staat Israel und und die militärische Präsenz in der Westbank“, Universität Tel Aviv, andere. Juni 2016. http://bit.ly/2oOut9o.

SPOTLIGHT – 2017 6 MOLAD – The Center for the Renewal of Israeli Democracy | ISRAELS SICHERHEIT UND DIE SIEDLUNGEN tei „Jüdisches Heim“, Naftali Bennett, wenig zu sich die IDF nicht mit konventionellen militäri- stören. In einem populären Werbespot mit dem schen Angriffen konfrontiert, sondern mit der Ver- Titel „Beruhigungsplan“ präsentiert er ein Schre- eitelung von Anschlägen gegen israelische ckensszenario. Ein iranischer Panzer donnert Staatsbürger. Jede Siedlung mit israelischen über Jordanien in Richtung Israel. 9 Im strategi- Staatsbürgern östlich der Grünen Linie ist eine schen Handbuch des Jüdischen Heims bleiben Schwachstelle. Im Kampf gegen den Terror helfen Siedlungen für Israels Sicherheit von essenzieller Siedlungen der israelischen Armee nicht. Das Bedeutung. Auf den Rücken samarischer Berge Gegenteil ist der Fall. Sie haben eindeutig negati- werden sie zukünftig die iranischen Panzer auf- ve Auswirkungen auf das militärische Vorgehen. halten. Zur Aussage des Films: Entweder verfü- In unmittelbarer Nähe zu palästinensischen Ort- gen Bennett und seine Anhänger über eine schaften sind die Siedler mobile Zielscheiben. besorgniserregende Unkenntnis der Lage oder sie Das Eindringen in die Siedlungen ist nicht schwie- haben überhaupt kein Problem damit, die israeli- rig; Informationen für einen Terroranschlag lassen sche Öffentlichkeit anzulügen. Ein Panzerangriff sich leicht sammeln. Statt durch eine geordnete aus dem Iran ist kein plausibles Szenario. Der Grenze geschützt zu werden, wie das bei Ort- Iran verfügt über wesentlich effizientere Wege, schaften innerhalb Israels der Fall ist, liegen die Israel anzugreifen. Dazu müssen sich iranische Siedlungen tief im feindlichen Terrain. Aus der Truppen nicht erst der israelischen Grenze nä- Sicht von Terrororganisationen „rentiert“ sich das hern10. Damit werden auch israelische Zivilisten Eindringen in eine Siedlung extrem, weil dies so- im Westjordanland überflüssig. wohl im Bewusstsein der israelischen wie auch der palästinensischen Öffentlichkeit als Versagen Doch nehmen wir einmal an, dass der Iran eines der israelischen Armee gewertet wird.12 Der ehe- schönen Morgens beschließt, seine veralteten malige Generalstabchef Ehud Barak erklärte zu Panzerdivisionen über Tausende von Kilometern diesem Punkt in einem Artikel vom Mai 2017: "Der in Richtung Dan Region (das Zentrum Israels) „blind spot“ in der rechten Ideologie bezüglich des rollen zu lassen. Lange bevor sie Israel erreicht Zusammenhang zwischen der israelischen Prä- hätten, würden sie vom israelischen Nachrichten- senz in den palästinensischen Gebieten und der dienst gesichtet und von der IDF vernichtet wer- Sicherheit Israels betrifft den Aspekt der Terror- den. Sie würden gar nicht erst in die Region bekämpfung. Sie behaupten, dass die militärische gelangen. Doch der Siedlerrat warnt. Ohne Sied- Kontrolle der palästinensischen Gebiete keinen lungen werden feindliche Panzer bis tief ins israe- Preis hat, was die Terrorbekämpfung angeht. Die lische Hinterland vordringen. „Im anfälligen Bauch Wahrheit ist genau umgekehrt.13 des Staates wird Israel einen Blitzkrieg führen müssen.“11 Ein solches Szenario ist eine absolute Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Irreführung der Öffentlichkeit. Die IDF würde den Präsenz israelischer Zivilisten mitten in feindli- iranischen Panzerangriff nicht erst kurz vor Kfar chem Gebiet die Herausforderungen für die israe- Saba (israelische Stadt im Osten Israels) bemer- lische Armee drastisch erhöht. Es entstehen ken und mit Sicherheit nicht geduldig in den Vo- unendlich viele Reibungspunkte, die wiederum rorten der Dan Region warten. Schon heute ist die israelische Armee in der Lage, einen breit ange- legten Bodenangriff von Osten lange vor Grenz- nähe aufzuhalten. Selbst wenn es zu einer 12 Oberstleutnant Avi Dehan, „Verteidigung in Zeiten begrenzter konventionellen Bodenschlacht in den Gebieten Konfrontation“, Maarachot, Ausgabe 402, 2005: der Westbank kommen sollte, hätten zivile Sied- http://bit.ly/2niHjqu. Zwei Beispiele für das Eindringen von Terroris- lungen in so einem Kampf keine Aufhaltefunktion. ten in Siedlungen, die in der israelischen Öffentlichkeit große Wel- len geschlagen haben: Am 11.3.2011 drangen zwei Terroristen in die Aber zurück zur Realität. Im Westjordanland sieht Siedlung Itamar ein und töteten fünf Angehörige der Familie Vogel (siehe: http://ly/2nCwcN3 ); am 30.6.2016 drang ein Terrorist nach Kiriat Arba ein. Dort ermorderte er die 13-jährige Hillel Jaffa Ariel. http://bit.ly/2mROvlv. 9 Kurzfilm „Der Beruhigungsplan“ (1:09) http://bit.ly/1JnDcDR 13 Haaretz "Buchrezension von Ehud Barak; der Unterschied zwi- 10 Zum Beispiel, Raketenbeschuss, Ausbildung und Finanzierung von schen rechts und links - Wie der Unterschied zwischen Stellvertretertruppen, am Beispiel der Hisbollah. Evolutionanhäger und Leugner", Mai 2017: 11 Siehe Dokument des Siedlerrates: „Von essenzieller Bedeutung https://www.haaretz.co.il/literature/study/.premium-MAGAZINE- für Israels Sicherheit“: http://but.ly/2nCCts9 1.4083765

SPOTLIGHT – 2017 7 MOLAD – The Center for the Renewal of Israeli Democracy | ISRAELS SICHERHEIT UND DIE SIEDLUNGEN das Potential zur Eskalation der Lage bergen.14 Keine Armee der Welt führt Zivilisten mit sich, um sie tief im feindlichen Gebiet anzusiedeln. Dafür Der frühere General für Israels Landesmitte, Gadi gibt es einen guten Grund. Jeder Zivilist im Shamni: „Wir können den Staat heute auch ohne Kampfgebiet stellt eine Belastung dar. Dies hat Siedlungen verteidigen. Zu Kriegszeiten ist es uns zu zwei Schlussfolgerungen geführt. Zu- sogar so, dass wir die Bewohner gefährdeter nächst einmal bestehen strukturelle Widersprüche Siedlungen evakuieren und ins Hinterland brin- zwischen den einzelnen Aufgabenfeldern der Ar- gen.“ mee in den Gebieten. Die IDF muss die Bewoh- ner der Siedlungen schützen, aber auch den 2. Vom Outpost zur Sicherheitslast - Israeli- Bürgern im israelischen Kernland maximale Si- sche Siedlungen in Kriegszeiten cherheit bieten. Israels Sicherheitsinteresse ist Der Allon-Plan basiert auf der Annahme, dass die von höchster Priorität. Um es zu wahren, sollte so Bewohner der Siedlungen der israelischen Armee scharf wie möglich zwischen Zivilbevölkerung und helfen und die feindlichen Armeen bis zum Ein- Soldaten getrennt werden, wobei sich die Zivilis- treffen von Reserveeinheiten, die das Gros der ten hinter einer eindeutig festgelegten und ge- israelischen Streitkräfte bilden, aufhalten. 15 Im schützten Grenze befinden sollten. zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts klingt 3. Vom Sherman Panzer zur F-35I - Ausbau dieser Gedanke selbst für israelische Ohren des Militärpotentials fremd, wenngleich ein solches Vorgehen einst durchaus üblich gewesen ist. Früher hatten sich Doch was passiert, werden Skeptiker nun zu israelische Ortschaften in Kriegszeiten zu ver- Recht einwenden, wenn es in Zukunft dennoch zu schanzen; sie mussten dem Feind das Vorrücken einer konventionellen Bedrohung von Osten 16 erschweren. Doch hat sich die Kriegsführung kommen sollte? Selbst dann wäre eine perma- der israelischen Armee in den letzten Jahrzehnten nente Kontrolle des Westjordanlandes nicht not- drastisch verändert. Heute kommen solche Erwar- wendig. „Die IDF hat in den letzten Jahrzehnten tungen in den militärischen Plänen der Armee moderne Feuerwaffen erhalten. Sie können vor- nicht mehr vor. In einem Interview aus dem Jahr dringende Panzereinheiten lange vor der israeli- 2016 erklärt der ehemals für Israels Landesmitte schen Grenze stoppen. Dazu muss die IDF die zuständige General der Reserve Gadi Shamni die Straßen, die zu den Hügelrücken hinaufführen, Veränderungen: nicht täglich kontrollieren“, erklärt der ehemalige stellvertretende Generalstabschef Moshe „Das Siedeln aus Sicherheitsgründen ist irrelevant Kaplinsky. geworden. Wir können den Staat heute auch oh- ne Siedlungen verteidigen. Im Gegenteil. In „Siedlungen dienen der Sicherheit. Dieses State- Kriegszeiten werden die Bewohner gefährdeter ment ist anachronistisch. Zur Zeit der Staatsgrün- Siedlungen ins Hinterland gebracht. Bei der dung Israels mag es zugetroffen haben. Damals nächsten Konfrontation mit der Hamas erwägen hat es noch keine klar definierten Grenzen gege- wir die Evakuierung grenznaher Siedlungen. Im ben. In den ersten Jahrzehnten nach Staatsgrün- zweiten Libanonkrieg haben wir Teile des Nor- dung haben wir nicht über die Technologie dens geräumt. Es hat Pläne gegeben, Teile der verfügt, die uns heute zur Verfügung steht, um für Golanhöhen und weitere Orte zu evakuieren. Zivi- unsere Sicherheit zu sorgen. Für einen Staat, der listen an der Front können wir nicht gebrau- zu jedem beliebigen Zeitpunkt drei Satelliten be- 17 chen.“ treibt, über Eliteeinheiten wie Unit 8200 und ande- re geheimdienstliche Einheiten verfügt, ist es völlig unwichtig, ob einige seiner Bürger auf die- 14 13 Ein Beispiel hierfür ist die Entführung von drei Jugendlichen sem oder jenem Hügel sitzen. Nicht darin liegt aus Gush Ezion im Juni 2014, die zur Gaza-Offensive (Zuk Eitan) unsere militärische Stärke begründet, nicht das geführt hat. Siehe Dr.Assaf Sharon: „Das Ende der Illusion des Kon- macht unser Abschreckungsvermögen oder unse- fliktmanagements“, 3.8.2014: http://tinyurl.com/nb344de. 18 15 re Frühwarnsysteme aus.“ 14 Arie Shalev, Die Verteidigungslinie in Judäa und Samaria, Hakibbutz HaMeuchad, 1983. 16 15 Simhoni, S.19-20. 17 Interview mit Karlonia Landsman, „Die Kunst der Besatzung nach Gadi Shamni“, Haaretz, Oktober 2016 http://bit.ly/2nOqMPs 18 Im Gespräch mit den Forschern von Molad, Januar 2017.

SPOTLIGHT – 2017 8 MOLAD – The Center for the Renewal of Israeli Democracy | ISRAELS SICHERHEIT UND DIE SIEDLUNGEN

Kapitel 2 schen Hinterland merklich verbessert hat 19. Der Erfolg ist eindeutig auf die anhaltende Zusam- Siedlungen als Sicherheitslast menarbeit mit den Sicherheitskräften der Palästi- nensischen Autonomiebehörde zurückzuführen. Die Siedlungen haben, wie wir gesehen haben, In den letzten zehn Jahren ist diese Sicherheits- das Sicherheitspotenzial, das sie in der Vergan- kooperation immer enger geworden und hat genheit vielleicht einmal gehabt haben, verloren. selbst sehr angespannte Zeiten überstanden. So- Doch können wir es nicht beim Verweis auf eine fern israelische Ermittlungen zu Verdächtigen überholte militärische Strategie belassen. Die überflüssig sind, leiten IDF und Schin Bet die ih- Präsenz von Zivilisten bis weit in die Westbank nen vorliegenden Informationen an ihre Kollegen hinein hat ihre Konsequenzen. Die Armee, die bei der Palästinensischen Autonomiebehörde wei- israelische Bürger maximal vor Terror schützen ter, die die Festnahmen dann eigenständig durch- soll, wird in ihrer Handlungsfähigkeit beeinträch- führen. Neben der Reaktion auf israelische tigt. Sicherheitsmaßnahmen ergreift die palästinensi- sche Behörde auch eigene Initiativen und geht Es ist zunächst einmal wichtig, dass wir uns die gegen Terrororganisationen und oppositionelle Ziele von Terrororganisationen vor Augen halten Kräfte vor. Die gemeinsamen Anstrengungen von und uns vergegenwärtigen, auf welche Szenarien IDF und den palästinensischen Sicherheitskräften sich israelische Sicherheitskräfte einstellen müs- haben zusammen mit der Sperranlage dazu ge- sen. Die in den Gebieten agierenden Terrororga- führt, dass Terrororganisationen heute nur in sehr nisationen verfolgen im Wesentlichen drei begrenztem Maße agieren können. operative (im Unterschied zu strategischen) Ziele: Sie wollen die Siedler, die israelische Armee und Wieso beeinträchtigen Siedlungen die Sicher- Menschenansammlungen innerhalb der Grünen heit? Grenze treffen. In nächster Zukunft wird sich Israels Sicherheits- Zum Schutz dieser drei Zielgruppen verfolgt die apparat in der Westbank nicht mit der Bedrohung israelische Armee eine dreigliedrige Verteidi- durch konventionelle Armeen regionaler Staaten, gungsstrategie. Sie kontrolliert die Grenzlinien, sondern vor allem mit Terrororganisationen zu die die Westbank umgeben. Dazu gehören auch beschäftigen haben. An dieser Aussage muss die Sperranlage und der Grenzzaun zu Jordanien. sich auch der Beitrag der Siedlungen zur israeli- Die Einfuhr von Waffen, die Einreise von Experten schen Sicherheit messen. Im Folgenden werden mit militärischem Knowhow ins Westjordanland wir ausführen, wie die Siedlungen die israelische und das Vordringen von Terroristen nach Israel Sicherheit auf strategischer (umfassende Regie- soll verhindert werden. Als zweites Glied der mili- rungspolitik) wie auf operativer Ebene (Einsatz tärischen Strategie braucht die IDF verfügbare von Truppen vor Ort) beeinträchtigen. Geheimdienstinformationen. Die diversen Ge- 1. Verlängerte Verteidigungslinien heimdienststellen der Armee verfügen zusammen mit dem Schin Bet über eine Reihe von Mitteln, Durch den besonderen Charakter der Westbank – mit denen sie geheimdienstliche Informationen die israelische Zivilbevölkerung lebt mitten in ei- sammeln können: Abhörmaßnahmen (SIGINT), nem ihr feindlich gesinnten Gebiet – lassen sich Informanten und visuelle Informationen, die von die Siedlungen nur durch ein starkes Truppenauf- Aufzeichnungen oder Flugkörpern stammen. Als gebot wirksam schützen. drittes Glied in der strategischen Kette ist die IDF tief in palästinensischem Gebiet aktiv. Diese ope- Im Westjordanland ist die IDF mit sieben regiona- rativen Maßnahmen können von israelischen Mili- len Divisionen vertreten, denen Kampfeinheiten täreinheiten oder von palästinensischen (reguläre und Reservetruppen) zugeordnet sind. Sicherheitskräften durchgeführt werden. Darüber hinaus sind Schin Bet, Grenzschutz, die israelische Polizei, die Luftwaffe und Sonderein- Insbesondere in den letzten 13 Jahren konnten israelische Sicherheitskräfte bei der Vereitelung von Terroranschlägen aus den Gebieten enorme 19 Erfolge verzeichnen, was die Situation im israeli- Allgemeiner Wehrdienst, „Jahresbilanz 2015“: http://bit.ly/2ok467J

SPOTLIGHT – 2017 9 MOLAD – The Center for the Renewal of Israeli Democracy | ISRAELS SICHERHEIT UND DIE SIEDLUNGEN heiten in den Gebieten aktiv. Zu den Aufgaben Weshalb erfordert der Schutz der Siedlungen der Sicherheitskräfte gehören der Schutz von derart umfangreiche Sicherheitsvorkehrungen? Siedlungen und illegalen Stützpunkten, die Siche- Zunächst einmal verlängern Siedlungen die Ver- rung von Verkehrsknotenpunkten, die Begleitung teidigungslinien, entlang derer die IDF stationiert von Siedlern in Gebieten außerhalb der Siedlun- sein muss. Die Verteidigungslinie in der Westbank gen, der Schutz von Betenden sowie der Schutz besteht aus der Sperranlage, den Verkehrsach- von palästinensischem Eigentum vor Angriffen sen um die Siedlungen herum, den Straßen, die durch ‚Aktion Preisschild‘-Aktivisten. zu den Siedlungen führen, und der Begleitung von Siedlern in Gebieten außerhalb ihrer Siedlungen. Aufgrund der besonderen Herausforderungen Und je länger diese Verteidigungslinie wird, desto liegt die Stärke der Truppen, die die Armee in mehr Anstrengungen sind erforderlich, um sie zu der Westbank benötigt, bei über der Hälfte, schützen, desto mehr Schwachstellen entstehen, manchmal sogar bei zwei Dritteln der gesam- die der Feind ausnutzen könnte, um Soldaten und ten Streitkräfte20. In den Gebieten werden also Zivilisten zu treffen.23 mehr Streitkräfte benötigt als zur Verteidigung aller anderen Fronten zusammengenommen „Wir waren im Libanon stationiert, um den Ort- (Libanon, Syrien, Gazastreifen, Sinai und schaften in Grenznähe räumliche Tiefe zu bieten. Arava). Im Gegensatz zur weit verbreiteten Wir haben knapp vor der Grenze bereits im liba- Annahme befasst sich der Großteil der im nesischen Hoheitsgebiet gesessen, um Hisbollah Westjordanland stationierten Truppen nicht daran zu hindern, bis an den Grenzzaun von mit der Vereitelung von terroristischen Aktivi- Metulla vorzurücken. Aber dort waren nur so viele täten gegen Zivilisten im israelischen Kern- Truppen stationiert, wie wir brauchten, um die Hisbollah auf Distanz zu halten. Kein Soldat hat land, sondern mit dem Schutz der Siedlungen. sich dort rund um die Uhr um israelische Bürger „Wenn die Siedlungen nicht wären, hätte die IDF auf libanesischem Territorium kümmern müssen, keinen Grund, sich (in der Westbank) aufzuhalten. die auf den Straßen der Gegend fahren, die auf Die IDF befindet sich im Westjordanland, weil is- dem Dach des Beaufort ihre Hochzeit feiern oder raelische Siedler dort leben, die geschützt werden am Litani-Grab beten gehen“, 24 erklärt General müssen. Das ist die Pflicht einer Armee. Gäbe es der Reserve Kaplinsky den grundsätzlichen Un- weniger jüdische Siedler in den Gebieten, so hät- terschied zwischen der Stationierung von Truppen te die IDF auch weniger Grund, in Bevölkerungs- entlang einer normalen Grenze und der engen zentren präsent zu sein. Lassen Sie mich ein ständigen Bewachung von Zivilisten, die mitten in Beispiel geben. Im Norden von Samaria gibt es feindlichem Territorium leben. keine Siedlungen. In der gesamten Region von Ash-Sha-Nur und dort, wo Siedlungen geräumt Die Länge der Verteidigungslinie lässt sich aus unterschiedlichen Gründen nicht exakt berech- worden sind, ist das Militär deutlich weniger prä- nen. Und doch lässt sie sich indirekt veranschau- sent. Sobald es weniger Israelis und weniger lichen. Die Verteidigungslinie beginnt bei der Siedlungen gibt, werden natürlich auch weniger Sperranlage. Die Grüne Linie ist ca. 320 km lang. Sicherheitskräfte gebraucht.“21 Dagegen beträgt der Verlauf der Sperranlage, der Schätzungen zufolge sind 80% der Sicherheits- kräfte in den Gebieten mit der Bewachung von Siedlungen beschäftigt. Die restlichen 20% Molad gegeben (Januar 2017), wie auch von anderen Sicherheits- konzentrieren sich auf die Verteidigung von stellen im Verlauf weiterer Gespräche. Israelis innerhalb der Grenzen von 1967. 22 23 Eine wichtige Konsequenz des Siegs im Sechstagekrieg war bei- spielsweise, dass die Verteidigungslinie der IDF gegenüber arabi- schen Armeen von 985 km auf nur 650 km verkürzt wurde. Dadurch konnte die Truppenstärke entlang der Grenze reduziert werden. Aus 20 Äußerungen von General der Reserve Noam Tibon auf dem Kon- einem Artikel von Brigadegeneral Yehoshua Raviv, „Die israelische gress des Instituts for National Security Studies (INSS) im Januar Sicherheit im dritten Jahr nach dem Sechstagekrieg“, Maarachot, 2017. Ausgabe 204, S.4, Januar 1970: http:77bit.ly/2oXTdZ6. Der Wider- 21 Haaretz: „Die Kunst der Besatzung nach Gadi Shamni“, Oktober stand von Ariel Sharon gegenüber dem Allon-Plan basierte auf der 2016: http://bit.ly/2nOqMPs. Verlängerung der Grenzlinien, zu der eine offizielle Annahme des 22 Diese Einschätzung wurde unter anderem von General der Reser- Plans geführt hätte. ve Mosh Kaplinsky im Verlauf eines Gesprächs mit Forschern von 24 Gespräch mit Forschern von Molad, Januar 2017.

SPOTLIGHT – 2017 10 MOLAD – The Center for the Renewal of Israeli Democracy | ISRAELS SICHERHEIT UND DIE SIEDLUNGEN an gewissen Stellen von der Grünen Linie ab- tens fünfmal so lang wie sie es ohne Siedlungen weicht, ca. 700 km, was mehr als das Zweifache wäre.27 Die Notwendigkeit, Bürger zu schützen, ist. 25 Die Differenz, die bei annähernd 400 km die inmitten von palästinensisch bevölkerten liegt, geht auf einen politischen Beschluss der Gebieten leben, stellt eine deutliche Mehrbe- Regierung zurück, der Dutzende Siedlungen lastung der israelischen Armee dar und er- durch Schlängelungen des Grenzverlaufs auf der schwert den Schutz von israelischen Bürgern westlichen Seite der Sperranlage belässt, was westlich der Grünen Grenze.28 dazu führt, dass die IDF für die Bewachung der Die Siedlungen bieten mehr Schutz als die Grüne Sperranlage zusätzliche Truppen benötigt. Die Linie oder die Sperranlage, wird manchmal ge- Siedlungen in unmittelbarer Nähe zur Sperranlage sagt. Allerdings ist diese Behauptung aus einem verlangen zusätzliche operative Wachsamkeit und ganz einfachen Grund haltlos. An den Berüh- wesentlich mehr finanzielle Mittel als dies bei ei- rungspunkten entlang der Grenzlinien ist der Ein- ner Bewachung der Grenze ohne Siedlungen der fluss der IDF begrenzt. Nicht einmal die Fall wäre. israelische Regierung hat hier wirkliche Kontrolle. Oft bestimmen die Siedler, wo neue Siedlungen Doch hat die IDF nicht bloß die Gegend entlang errichtet werden. Sie gründen trotz des Wider- der Sperranlage zu verteidigen. Die Hauptan- stands von Regierung und Sicherheitsapparat strengungen der israelischen Streitkräfte werden mehr und mehr illegale Stützpunkte. Demnach in die Wahrung der laufenden Sicherheit von ca. sind es die führenden Köpfe der Siedler, die der 80.000 Israelis investiert, die in annähernd 70 israelischen Regierung die Siedlungspolitik in den Siedlungen östlich der Sperranlage leben. Darü- Gebieten und den Verlauf der Grenzlinie vorge- ber hinaus hat die IDF über 90 illegale Stützpunk- ben. Die IDF muss ihren Vorgaben folgen, selbst te zu schützen, von denen viele an Orten liegen, wenn diese der eigenen Sicherheitslogik wider- die sicherheitstechnisch sehr heikel sind. Dort sprechen. leben weitere 7000 Israelis.26 Die Bewachung von Bürgern inmitten eines ihnen feindlich gesinnten Ein hoher Offizier im Ruhestand, der die Gegend Gebietes ist ein kompliziertes und kostspieliges bestens kennt, hat das Phänomen mit einer klei- Unterfangen. Im jüdischen Teil von Hebron leben nen Geschichte veranschaulicht: beispielsweise nicht mehr als 800 Israelis, von denen 250 Schüler an einer Talmudschule sind. „Sambish führt mich an einen bestimmten Ort. Wir Um diese Menschen zu schützen, unterhält die fahren vier Stunden lang mit dem Jeep. ‚Da‘, stößt IDF in Hebron ein ganzes Infanteriebataillon so- er plötzlich aus. ‚Das da! Das ist der wichtigste wie drei Grenzpolizeikompanien mit insgesamt mehr als 650 Soldaten.

27 Neben der Sperranlage und den Siedlungen Die Länge der Sperranlage und der Verkehrsachsen in der West- schützt die IDF die Verkehrsachsen um die Sied- bank (ca. 2000 km) im Vergleich zur Länge der Grünen Linie (ca. 320 km). lungen herum und die Zufahrtsstraßen zu den 28 Ähnliche Argumente zu den militärischen Konsequenzen der Siedlungen. Die Länge der gepflasterten Straßen Siedlungen für den Verlauf der Sperranlage lassen sich im Artikel in C-Gebieten, die vor allem den Siedlern dienen, von Brigadegeneral der Reserve Shlomo Brom finden, „Der Sicher- beträgt 1450 km. Hinzu kommt die Länge von heitszaun – Lösung oder Hindernis“. Dort schreibt er: „Die politi- Umgehungsstraßen, die die IDF ebenfalls sichert. schen Veränderungen im Verlauf des Zauns haben folgende Konsequenzen gehabt: Der Verlauf ist viel länger und gewundener Zusammenfassend lässt sich Folgendes sagen: geworden. Dies erhöht die Kosten für Bau und Instandhaltung. Es werden mehr Soldaten entlang des Zauns stationiert werden müs- Selbst bei konservativer Schätzung und ohne Be- sen. Er wird weniger wirksam sein. Der Zaun beeinträchtigt den rücksichtigung von Umgehungsstraßen und un- Alltag von Hunderttausenden Palästinensern ganz wesentlich und gepflasterten Straßen ist die Trennlinie zwischen wird das auch in Zukunft tun. Damit hat der Zaun den Widerstand Israel und der Westbank mit Siedlungen mindes- der Palästinenser geweckt und ist ein bequemes Instrument für anti-israelische palästinensische Propaganda. Im internationalen Bewusstsein herrscht die Auffassung, dass der Zaun nicht der Si- cherheit, sondern politischen Zwecken dient. Der Zaun wollte Fak- 25 Die Webseite von Shaul Arieli, „Der Verlauf der Sperranlage“: ten schaffen, die Einfluss auf die Zukunft der Gebiete haben. Mit http://bit.ly/2oaNRMF ihm werden den Palästinensern Gebiete genommen.“ Aus: Institute 26 Website von Shalom Achshav, „Die Zahl der Siedler im Vergleich for National Security Studies (INSS), Strategischer Update, Bd.6, zur Zahl der Bewohner Israels“: http://bit.ly/2mRKsTv. Ausgabe 4, S.9, Januar 2004: http://bit.ly/2nCB6tq.

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Punkt in Judäa und Samaria.‘ – ‚Wieso?‘, frage Sicherheitskräfte frei von politischen Erwägungen ich. ‚Weil ihr, wenn ihr diesen Punkt schützen vorgegeben hatten, nachdem sich herausstellte, wollt, das gesamte Gebiet drum herum bewachen dass eine Siedlungserweiterung illegal gewesen müsst‘, antwortet er. Mit anderen Worten, wenn wäre.32 Derartige Grenzkorrekturen haben mehre- Sambish beschließt, sich an diesem Punkt nie- re Millionen Shekel gekostet. derzulassen, ist Zahal [die IDF] verpflichtet, nicht nur dort, sondern in der gesamten Region präsent Drittens ist die Sperranlage an drei Stellen ganz zu sein, was nach Meinung von Sambish zur Si- bewusst nicht fertig gestellt worden. In Gush cherheit Israels beiträgt. Sein Argument ließe sich Ezion, im südlichen Teil des Berges Hebron und selbstverständlich im Nu zerschlagen.“29 in der Gegend von Maalei Adumim gibt es große offene Stellen. Allwöchentlich gelangen Schät- 2. Die Sperranlage darf nicht fertig gestellt zungen zufolge Tausende Palästinenser durch werden diese Öffnungen unkontrolliert nach Israel. Die meisten von ihnen wollen in Israel arbeiten, aber In vieler Hinsicht ist die Sperranlage für den stei- einige kommen auch, um Anschläge zu ver- len Rückgang von Terroranschlägen in Israel ver- üben.33 antwortlich. 30 Allerdings hat die Sperranlage ihr volles Potenzial längst nicht erreicht. Heute, 15 15 Jahre nach Baubeginn sind erst 60% der Jahre nach Beginn der ersten Arbeiten, sind erst Sperranlage fertiggestellt worden. Das hat politi- 60% des genehmigten Verlaufs umgesetzt wor- sche Gründe: Die Führungsspitze der Siedler ver- den. 31 Die großen Lücken in der Sperranlage hindert die Schließung der Grenze, um die werden immer wieder von Terroristen und Krimi- Siedlungen nicht von Israel zu trennen. nellen genutzt. Durch diese Lücken gelangen sie nach Israel, wo sie Waffen kaufen, die sie auf Im Fall von Gush Ezion wollte die Regierung fast demselben Wege wieder in die Westbank zurück- den gesamten Siedlungskomplex mit einem Zaun schmuggeln. Der Grund für diese riesigen Lücken umgeben. Bis auf einige kurze Teilstrecken wurde ist politischer Natur und von den Siedlern im die Sperranlage dort dann allerdings nicht errich- Westjordanland gewollt. tet, da sich die Führungsspitze der Siedler ganz energisch gegen den Bau ausgesprochen hatte. An gewissen Stellen widerspricht der Verlauf der Eine Schließung der Lücken, befürchten sie, Sperranlage dem professionellen Rat der Sicher- könnte eine Ausweitung der Siedlungen in dieser heitskräfte und weicht vom geplanten Kurs ab, nur Gegend stoppen und „Gush Ezion von Israel um bestehenden Siedlungen eine zukünftige Er- trennen“ 34 Anders ausgedrückt, ist es der politi- weiterung zu ermöglichen. Solche Abweichungen sche Druck durch die Siedlerlobby, der die Effek- gibt es beispielsweise in der Gegend zwischen tivität der Sperranlage seit Jahren beeinträchtigt. Tulkarem und Kalkilja, in der sich auch die Sied- Im Fall des südlichen Hebronberges resultieren lungen Sla‘it und Zofin befinden. In einigen Fällen die beiden Hauptlücken aus dem Unwillen der musste die Regierung den Verlauf der Linie revi- Regierung, eine Entscheidung über die Zukunft dieren und auf den Verlauf zurückkehren, den der Gebiete zu fällen, auf denen die Sperranlage verlaufen soll. Gebiete, die westlich der Sperran- lage liegen, werden im Rahmen eines zukünftigen 29 Gespräch mit Forschern von Molad, 2017. Abkommens höchstwahrscheinlich annektiert 30 Der zahlenmäßige Rückgang der Anschläge auf israelischen Gebiet werden. In den letzten zehn Jahren sind israeli- ist auf mehrere Faktoren zurückzuführen. Allerdings sind sich sche Regierungen vor Veränderungen des Sicherheitskreise beim Beitrag des Zauns zur Verhinderung von Grenzverlaufs aus Angst vor internationalen Re- Infiltration von Terroristen nach Israel einig. Siehe Vollman, S. 322- 812. Siehe des Weiteren auch Allgemeiner Wehrdienst, „Analyse aktionen zurückgeschreckt. Nicht weniger fürch- der Terror-Charakteristika in den letzten zehn Jahren“ mit Bezug auf ten sie sich vor den Reaktionen der Siedler, die den zahlenmäßigen Rückgang der Anschläge auf israelischem Gebiet seit Baubeginn der Sperranlage: http://bit.ly/2TkO8Q8. Weitere relevante Daten sind im Artikel von Tal Alovitz zu finden, „Anit- 32 Haaretz, „Die Kosten der Gier“, Juli 2011: http://txt.ly/2oBnMTK. Terror-Zaun“, Maarachot, Ausgabe 458, 2014, S.10-17. 33 Ynet, „Die Unterlassung der Lücken im Zaun: Der Anschlag hätte http://txt.ly/2nOgGhu. vermieden werden können“, Oktober 2015: http://bit.ly/2nCzXln. 31 Von der Webseite ‚Kommandanten für die Sicherheit Israels‘, 34 Walla News, „Palästinensische Entschlossenheit, der komplexe „Anhang zum Sicherheitszaun und seine Lücken“: Verlauf und die Politik: Die Probleme auf dem Weg zum Zaun um http://bit.ly/2nLRrAo. Jerusalem herum“, März 2016: http://bit.ly/2nyagkk.

SPOTLIGHT – 2017 12 MOLAD – The Center for the Renewal of Israeli Democracy | ISRAELS SICHERHEIT UND DIE SIEDLUNGEN verhindern wollen, dass der Verlauf der Sperran- für militärische Übungen und die Ausrichtung auf lage dem professionellen Rat des Militärs folgt mögliche Kriegsszenarien ist unzureichend. Die und damit auf Gebiete verzichtet. 35 In der Zwi- Truppen befinden sich in einem schädlichen schenzeit zahlen die Ortschaften auf der anderen Spannungsfeld. Sie sind zwischen der Verrich- Seite der Linie und die Bürger Israels einen hohen tung alltäglicher polizeilicher Aufgaben, die Zu- Preis. Sie werden Opfer von Terroristen, die rückhaltung und Mäßigung im Umgang mit der durch die Lücken im Sicherheitszaun nach Israel örtlichen Zivilbevölkerung verlangen, und ihrer gelangen.36 militärischen Ausbildung, die den Einsatz massi- ver Kraft gegen einen bewaffneten Feind verlangt, 3. Beeinträchtigung militärischer Vorbereitun- hin- und hergerissen. Artillerie und Panzereinhei- gen für den Notfall ten agieren in den Gebieten wie Bodentruppen. Zwischen den Aktivitäten, die sie im Westjordan- Die oben skizzierte Realität zwingt die IDF zur land ausüben, ihrem ursprünglichen Bestim- ständigen Beschäftigung mit der laufenden Si- mungszweck und dem Einsatz im Notfall gibt es cherheit. Dadurch werden militärische Vorberei- keinerlei Bezug. Insbesondere während des Zwei- tungen für den Notfall beeinträchtigt. Bis 2002 ten Libanonkrieges wurde der scharfe Kontrast haben sich Kampfeinheiten zu gleichen Teilen mit zwischen tagtäglicher Routine und dem Einsatz militärischen Übungsmanövern und operativen der Truppen zu Kriegszeiten deutlich. Nach jahre- Einsätzen beschäftigt. Seitdem ist dieses Gleich- langer Bewachungstätigkeit in den Gebieten gewicht ins Schwanken geraten. Heute werden musste sich die Armee innerhalb kürzester Zeit Dreiviertel eines Jahres für operative Aktionen auf den Kampf gegen die Hisbollah umstellen.38 aufgewandt, die zur Hälfte in den Gebieten statt- 37 finden. Jede von der IDF zu schützende Siedlung nimmt der Armee die Kraft für andere Sicherheitsbelan- Ein hoher Beamter im Verteidigungsministerium: ge. Statt Siedlungen zu beschützen, könnte die „Es gäbe viel zu tun. Wir müssten uns auf den operative Einsatzbereitschaft verbessert und die Krieg gegen Hisbollah vorbereiten. Leider können Vorbereitung auf den Notstand geübt werden. wir das nur begrenzt tun. Ein beachtlicher Teil der Äußerungen dieser Art werden von Zeit zu Zeit Truppenstärke wird in Judäa und Samaria ge- auch im Sicherheitsapparat laut. Im Juni 2016 braucht.“ wies eine hohe Stelle im Verteidigungsministeri- Soldaten verbringen den Großteil ihrer Zeit mit um darauf hin, dass es bei der Vorbereitung auf der Wahrung der laufenden Sicherheit. Dabei den Krieg gegen die Hisbollah noch viel zu tun handelt es sich vom Charakter her nicht um militä- gäbe. Aber leider seien die Ressourcen für militä- rische, sondern um polizeiliche Aufgaben. Die Zeit rische Übungen und eine verbesserte Einsatzbe- reitschaft begrenzt, da ein beachtlicher Teil der Truppen in Judäa und Samaria eingesetzt wer- 39 35 Schon vor der Sperranlage hat sich die Leitung der Siedler der de. Dies ist, wie gesagt, zu jedem beliebigen Errichtung eines Grenzzauns widersetzt. So hat sich der damalige Zeitpunkt die Hälfte bis zwei Drittel aller Kampf- Geschäftsführer des Siedlerrates, Adi Minz, schon 2002 gegen die truppen. Errichtung eines Zauns stark gemacht. In einem Interview gegen- über Haaretz (14.6.2002) sagte er: „Wir verlangen, dass es keine Mit der freundlichen Genehmigung von Shaul feste Grenzlinie und erst recht kein Zaun ist.“ Weiter sagte er: „Mit Arieli einem Zaun entlang der Grünen Linie wird der Terror belohnt. Auf der anderen Seite des Zauns entsteht so ein Palästinenserstaat.“ 4. Eine finanzielle Belastung für den Sicher- http://bit.ly/2niEbe0. Benzi Liberman, damals Vorsitzender des Siedlerrates, drohte: „Sollte ein Zaun errichtet werden, bringen wir heitsapparat die Koalition zum Fall.“ Ariel Sander, Mitglied des Elkana-Rates, sagte im Juni 2002: „Ein Land, das die Siedlungen mit einem Zaun Wie bereits ausgeführt, erfordern die Siedlungen vom Landeszentrum trennt, zieht Zehntausende seiner Bürger aus in den Gebieten die Stationierung von wesentlich dem Konsensus“: http://bit.ly/2n0pMuS. 36 Es gibt viele Beispiele für das Eindringen von Terroristen durch die Lücken in der Sperranlage, darunter die Messerattacken in Petach 38 Bericht des Ermittlungsausschusses zum Zweiten Libanonkrieg, S. Tikva und Kiriat Gat am 7.10.2015. http://bit.ly/2nCzXIn, oder der 550-552. Anschlag am Sarona Market in Tel Aviv am 8.6.2016: 39 Ynet, „Eine hohe Stelle im Verteidigungsministerium: Die nächste http://bit.ly/2obgitY. Konfrontation im Gazastreifen wird für Hamas die letzte sein“, Juni 37 Ofer Shelach, Mut zum Sieg, Yedioth Sfarim, 2015, S. 150. 2006: http://bit.ly/2ob4glx.

SPOTLIGHT – 2017 13 MOLAD – The Center for the Renewal of Israeli Democracy | ISRAELS SICHERHEIT UND DIE SIEDLUNGEN mehr Truppen im Westjordanland. Nur so lassen werden. sich die dort lebenden israelischen Bürger schüt- zen. Für die Gebiete werden enorme Ressourcen 5. Gezielte Sabotage militärischer Aktionen zur Verfügung gestellt. Die IDF muss Stabsoffizie- Der Schutz von Zivilisten auf feindlichem Terrain rinnen und Stabsoffiziere, die eine teure militäri- ist ein kompliziertes und kostspieliges Unterfan- sche Ausbildung erhalten haben, für die Gebiete gen. In den letzten Jahren müssen die IDF und freistellen. Darunter sind Offiziere aus den Berei- der Grenzschutz nun noch zusätzliche Zeit und chen Geheimdienst, IT oder Adjutanten. Jährlich Energie auf gewaltbereite Siedlergruppierungen werden viele Arbeitsstunden auf den Schutz von verwenden, die militärische Aktivitäten ganz ge- Siedlungen verwandt, ohne dass die spezielle zielt stören. Ausbildung dieser Soldaten genutzt würde. Die IDF ist gezwungen, Reservisten in großem Um- Der Terror von Preisschild-Aktivisten ist gegen fang zu mobilisieren, weil reguläre Wehrdienst- israelische Sicherheitskräfte und palästinensische soldaten für andere Aufgaben abgezogen werden Bürger gerichtet.41 Durch Vergeltungsmaßnahmen müssen (dies war beispielsweise 2014 während gegen die IDF und Racheakte an Palästinensern der Militäroperation „Protective Edge“ im Gaza- soll die öffentliche Ordnung gestört und Politiker 40 streifen der Fall) . Eine massive Mobilmachung vor der Räumung von Siedlungen und illegalen von Reservisten schadet wiederum der israeli- Stützpunkten gewarnt werden. Israelis kennen die schen Wirtschaft enorm. gewalttätigen Bilder, die in Abständen von einigen Wochen von den Hügeln Samarias kommen. In Der Schutz von Zivilisten und Siedlungen gehört diesem Zusammenhang sollten wir uns unbedingt zu den zentralen Aufgaben einer jeden Armee, vor Augen halten, dass es in Israel keine andere koste es, was es wolle. Doch ist die Situation in jüdische Bevölkerungsgruppe gibt, die sich der der Westbank eine andere: Bei sämtlichen Ver- israelischen Armee gegenüber derart gewalttätig handlungsrunden mit den Palästinensern und verhält, selbst wenn ihr Dinge, die sie zu verrich- auch in den Zeiträumen zwischen den einzelnen ten hat, missfallen. Runden hat Israel jedes Mal aufs Neue bestätigt, dass ein beachtlicher Teil der Siedlungen im Bei Aktion Preisschild handelt es sich um undis- Rahmen eines zukünftigen Abkommens geräumt ziplinierte, spontan zusammengekommene Ju- werden wird. Demnach bewacht Israel heute gendliche, meinen viele Israelis. Allerdings sieht Siedlungen, die, wie es selbst ausdrücklich er- die Realität anders aus. In den ersten Jahren klärt, zukünftig nicht mehr Teil von Israel sein wurde das Vorgehen von Aktion Preisschild vom werden. Trotz der Meinungsverschiedenheiten um Establishment der Siedler, den Kommunen in den die Siedlungen, die geräumt oder von Israel an- Gebieten, weitgehend akzeptiert, ja sogar von nektiert werden sollen, herrscht ein breiter öffent- ihnen gesteuert. Die den Preisschild-Aktivitäten licher Konsens, der eine ernsthafte öffentliche zugrunde liegende Strategie ist vor zehn Jahren Debatte über den Preis ermöglichen würde, den von den Siedlerräten in Samaria und Binyamin die israelische Gesellschaft für den Schutz von entwickelt worden. Statutarisch handelt es sich Siedlungen zahlt, die unter keinen Umständen bei diesen Räten um Privatorganisationen. Doch Teil des Staates sein werden. In Zeiten, in denen wurden sie letztlich auf Initiative und mit der Fi- die IDF ihre Kampftruppen reduzieren muss und nanzierung der Regionalverwaltungen von Sama- mit ernsthaften Bedrohungen an den anderen ria und Binyamin zur Durchführung von Aktionen Grenzen des Landes konfrontiert ist, ist der gegründet, die diese als öffentliche, vom Staat Schutz von Siedlungen, von denen der Staat finanzierte Organe nicht selbst ausführen dürfen. selbst sagt, dass sie nicht Teil seines Staatsge- Siedlerräte leben von Steuergeldern und fungie- biets sein werden, eine schreckliche Vergeudung ren in jeder Hinsicht wie Kommunen. von Geldern und Personal, die von anderen Stel- len, die sie wesentlich nötiger hätten, abgezogen

41 Generalleutnant der Reserve und ehemaliger Verteidigungsminis- 40 Israel HaYom: „Das Telefon klingelt. 5 Minuten später gehe ich ter Bogi Yaalon hat das Vorgehen von ‚Aktion Preisschild‘ Aktivisten aus dem Haus“, Juli 2004: http://bit.ly/2nOw201. Oder: Mako: „Auf mehrmals als Terror bezeichnet, zum Beispiel in Israel Defense: dem Weg zur Bodenoffensive? - Kabinett genehmigt die Mobilma- „Yaalon: Das Vorgehen von ‚Aktion Preisschild‘ ist Terror in jeder chung von 40.000 Reservisten“, http://bit.ly/2nOuXeO Hinsicht“, Januar 2014, http://bit.ly/2nyhpRN

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Ein Blick in offizielle Veröffentlichungen des Sied- haben geheimdienstliche Informationen von IDF- lerrates von Samaria verdeutlicht die Strategie Einheiten durchsickern lassen, um militärische hinter dieser Erscheinung. „Wir sollten die Strate- Eingriffe zu verhindern. gie unseres Kampfes endlich ändern“, war im Blatt des Siedlerrates von Samaria bereits vor Direkte Gewalt gegen militärische Truppen ist All- zehn Jahren zu lesen. „Wir müssen solange an tag geworden. Für Siedler, die in der Armee einen mehreren Fronten gleichzeitig kämpfen, bis die Feind sehen, müssen zusätzliche Energien und Regierung die Kontrolle verliert.“42 Ein führendes Ressourcen aufgewendet werden. Es kommt zu Mitglied des Rates sprach davon, „die Regierung Konfrontationen mit einer Bevölkerung, die die in die Knie zu zwingen.“43 2008 unterbreitete der Armee obendrein noch schützen muss. Doch Rat den Aktivisten mehrere mögliche Vorgehens- werden nicht bloß israelische Sicherheitskräfte weisen, die sich die Zermürbung der Armee zum Opfer dieser Gewalttaten. Der jüdische Terror Ziel gesetzt hatten. „Statt punktuell um einen richtet sich auch gegen Palästinenser, gegen pa- Stützpunkt zu kämpfen, muss der Kampf so weit lästinensisches Eigentum und gegen palästinen- wie möglich ausgeweitet werden ]...[. Wir werden sische Olivenhaine. Preisschild-Anhänger Kreuzungen blockieren, neue Stützpunkte errich- schießen auf Palästinenser, bewerfen sie mit ten und zeitgleich mehrere Ausflüge von Jugend- Steinen und setzen palästinensische Häuser samt lichen an entlegene Orte organisieren. Damit sind ihrer Bewohner in Brand. Diese Art der Gewalt ist die Abrisstruppen (IDF) überfordert. Im Laufe der in den Gebieten zur Routine geworden, was die Zeit werden sie einsehen, dass sie sich so nicht israelische Armee dazu zwingt, ihre Ressourcen mehr verhalten können.“ 44 Darüber hinaus hat nicht nur auf den Schutz von Siedlern vor palästi- der Rat Maßnahmen zur Störung der öffentlichen nensischem Terror, sondern auch auf den Schutz Ordnung ergriffen und Ausschreitungen sowie die von Palästinensern vor jüdischem Terror zu ver- Gründung weiterer illegaler Stützpunkte initiiert wenden. oder unterstützt. Die Leiter der Organisation ha- 6. Siedlerinteressen versus Militär ben die Zerstörung von palästinensischem Eigen- tum gepriesen und zu Übergriffen auf unschuldige Häufig prallen die politischen Interessen der Sied- 45 Palästinenser aufgerufen. ler auf die professionellen Einschätzungen des Militärs. Dabei werden die Forderungen der Sied- Diese Geisteshaltung der Führungsspitze ist bei ler von einer starken politischen Lobby unter- den Aktivisten schnell angekommen. Heute wer- stützt. Nicht selten müssen sich hohe Militärs den israelische Soldaten und Polizisten verletzt. gegenüber Politikern rechtfertigen, bevor sie mili- Fast bei jeder Räumung eines Stützpunktes wer- tärische Entscheidungen durchsetzen können. den Fahrzeuge und teure militärische Ausrüstung Selbstverständlich sollen Armeen politischen beschädigt. Preissschild-Aktivisten haben in den Weisungen folgen. Allerdings fällt die Regierung letzten Jahren eine Reihe ganz unterschiedlicher oftmals Entscheidungen, die auf fremden Erwä- Gewalttaten verübt. Sie haben Hunde auf Solda- gungen starker, gut organisierter Interessengrup- ten gehetzt, die Reifen von Militärfahrzeugen zer- pen fußen und der Sicherheit des Landes nicht stochen, Einsatzfahrzeuge zertrümmert, sind in dienen. militärische Stützpunkte eingebrochen, haben Polizisten und Soldaten mit Steinen beworfen und Das beste Beispiel hierfür sind die illegalen Stütz- punkte. Sie wurden mit Wissen der Siedlerfüh- rung, aber ohne militärische Erlaubnis und ohne 42 Anzeige des Siedlerrates von Samaria: „Wir bürgen füreinander. die Genehmigung durch die Regierung gegründet. Das ist unser Schlüssel zum Sieg“, Juni 2008, Nach Errichtung eines Stützpunktes steht die Ar- http://tinyurl.com/nqal545. 43 Die vollständigen Äußerungen von Yitzhak Shadmi, Vorsitzender mee vor vollendeten Tatsachen. Sie ist verpflich- des Binyamin Siedlerrates, sind unter den Angaben von ‚Einund- tet, dort Soldaten zu stationieren, um die dort sechzig‘ einzusehen. http://sixtyone.co.il/price-tag. lebenden israelischen Bürger zu schützen. Dies 44 Anzeige des Samaria Siedlerrates: „Wir bürgen füreinander. Das gilt auch für Stützpunkte an gefährlichen Orten. ist unser Schlüssel zum Sieg“, Juni 2008, http://tinyurl.com/nqal545. Dort wird die Armee gezwungen, zusätzliche Sol- 45 Der vollständige Text ist in den Recherchen von Liat Shlezinger, daten und Ressourcen abzustellen, was eine Be- der Geschäftsführerin von Molad, nachzulesen: „Um jeden Preis – Öffentliche Gelder finanzieren ‚Preisschild-Aktivitäten‘“, Juli 2015. einträchtigung anderer Aufgaben nach sich zieht. http://bit/ly/2fsR5ot.

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Ein weiteres Beispiel aus der letzten Zeit ist die und ganz unterstützt; die militärische Kontrolle Forderung der Siedler, Palästinensern die Nut- über die Gebiete wird allerdings nicht anerkannt zung öffentlicher israelischer Verkehrsmittel in und kritisiert. Seit den ersten Tagen nach Staats- den Gebieten zu verbieten. Die letzte Terrorwelle gründung war klar, dass Israels sicherheitspoliti- hat im Oktober 2015 begonnen. Seitdem werden sches und wirtschaftliches Überleben von starken Forderungen nach einer kollektiven Bestrafung internationalen Beziehungen abhängt. Diese Kon- der palästinensischen Bevölkerung laut. Und die takte sollten den Staat für seine schwierigen geo- Spitze der Partei Jüdisches Heim droht mit einer politischen Bedingungen entschädigen.48 Regierungskrise, sollte die IDF palästinensischen Sicherheitskräften zu viele Kompetenzen übertra- Die Führung der Siedler schlägt den Bürgern Is- gen. raels nun offen und unverhohlen vor, zugunsten von Judäa und Samaria auf die Beziehungen zu Die Führung der Siedler mischt sich häufig in in- alten, strategischen Bündnispartnern zu verzich- terne militärische Angelegenheiten ein. So übt sie ten. Dies wäre eine drastische Abweichung vom beispielsweise Druck aus, um die Beförderung traditionellen Sicherheitskurs Israels, der dem von Offizieren zu verhindern, die sich nur „halb- Land zu militärischen Errungenschaften verholfen herzig für die Interessen der Siedler einsetzen“ und seine Existenz garantiert hat. Es wäre zudem und verlangen von der IDF, in den Gebieten keine ein sehr oberflächliches Verständnis von Sicher- Offiziere einzusetzen, denen das „Verständnis für heit, selbst wenn man Sicherheit nur aus einem Siedlerbelange“ fehlt. 46 Ein andermal wollen sie rein militärischen Blickwinkel beleuchten würde. an militärischen Entscheidungen beteiligt werden, Denn Israels militärische Macht fußt auch auf stellen Forderungen und verlangen die Stationie- Bündnispartnern. Dies gilt für sein militärisches rung besonderer Bataillone. Ein ehemaliger, jah- Vermögen wie für die Legitimierung von seiner relang in der Westbank stationierter Offizier hat militärischen Macht im Notfall auch Gebrauch zu dies bestätigt. So hat die Leitung der Siedler in machen. Israels internationale Position und die Hebron beispielsweise die Stationierung von Friedensabkommen mit Jordanien und Ägypten Nachal-Bataillonen in der Gegend zu verhindern geben der IDF eine wichtige, strategische Tiefe, versucht, da diese den Siedlern nicht wohl ge- die die räumliche Tiefe der Westbank nicht zu sonnen seien.47 bieten vermag, sagte uns ein ehemaliger hoch- rangiger israelischer Offizier, mit dem wir im 7. Beeinträchtigung der nationalen Sicherheit Rahmen der Arbeit an diesem Dokument gespro- im weiteren Sinn chen haben.

Die heute gebräuchliche Definition des Begriffs Die Präsenz der Siedler in den Gebieten nagt sys- „nationale Sicherheit“ umfasst viele, nicht bloß tematisch an der Rechtsstaatlichkeit Israels. Seit rein militärische Aspekte. Wenn heute von natio- seinem Bestehen hat das Siedlungswerk gewisse naler Sicherheit die Rede ist, so sind auch Israels staatliche Gesetze missachtet. Angefangen beim internationale Position, seine Rechtsstaatlichkeit Abend des Pessachfests im Park Hotel in Hebron, sowie die gesellschaftliche Einheit des Landes über den Marsch nach Sebastia bis hin zum Pro- gemeint. Das Siedlungswerk schadet all diesen jekt der illegalen Stützpunkte. Dokumente werden Aspekten. gefälscht, Behörden hinters Licht geführt, Gesetze grob und stolz überschritten. Ohne ein solches Die Siedlungen sind der Hauptgrund für die Vorgehen wäre weder die massive Landnahme in schweren internationalen Einbußen des israeli- der Westbank, noch das Schattenkabinett mög- schen Ansehens. Israel tut sich heute schwer, lich, das den Siedlungen fern vom öffentlichen seine Interessen in internationalen Foren durch- Auge öffentliche Gelder zuschanzt.49 Darüber hin- zusetzen. In den letzten Jahrzehnten hat sich ein internationaler Konsens gebildet. Israel wird voll

48 Der ausführliche Text ist in der Molad-Forschung einzusehen: „Isolierung und internationales Ansehen: Bündnis in der Krise“, 46 Walla News: „Allon wird zum Kommandanten für das Landeszent- Dezember 2013: http://bit.ly/13kq669. rum – eine Kriegserklärung“, Dezember 2011: 49 Der ausführliche Text ist in der Molad-Forschung einzusehen: http://txt.ly/2nOn2gK. „Geheimkasse rechter Siedler“, September 2004: 47 Gespräch mit Molad-Forschern, Oktober 2013. http://bit.ly/1AesxH6

SPOTLIGHT – 2017 16 MOLAD – The Center for the Renewal of Israeli Democracy | ISRAELS SICHERHEIT UND DIE SIEDLUNGEN aus führt der Druck, den Siedler auf Soldaten in matik getrennt werden. Selbst diejenigen, die die den Gebieten ausüben, zu operativen Normen, Position vertreten, dass es nie zu einem Abkom- die im Widerspruch zu Befehlen und dem Ethos men mit den Palästinensern kommen wird, sollten der israelischen Armee stehen. Die Existenz der die Unterscheidung zwischen militärischer und Siedlungen schafft tägliche Reibungspunkte mit ziviler Präsenz in den Gebieten befürworten, so- der palästinensischen Bevölkerung. Dies wiede- fern ihnen die Sicherheit des Landes am Herzen rum spielt denjenigen in die Hände, die bei den liegt. Palästinensern gewalttätigen Widerstand wecken und ein verhandeltes Abkommen verhindern wol- Auf den kommenden Seiten werden wir uns mit len. Ein solches Abkommen wird von sämtlichen einem ganz anderen Szenario beschäftigen. In Regierungen Israels auf beiden Seiten des politi- ihm soll es um die zivile Neustrukturierung der schen Spektrums, einschließlich von Benjamin Westbank auch ohne ein Abkommen mit den Pa- Netanjahu, als von essentieller Bedeutung für die lästinensern gehen, während die israelische Ar- Sicherheit Israels angesehen. mee in den Gebieten verbleiben wird. Wir wollen keineswegs einen neuen detaillierten Plan erstel- len, sondern hier lediglich die groben Züge eines Kapitel 3 möglichen Szenarios skizzieren. Ein verhandeltes Abkommen halten wir in jeder Hinsicht für besser Sicherheit ohne Siedlungen als dieses Szenario, einschließlich seiner Sicher- heitsaspekte. Bei einem Friedensabkommen wer- Die detaillierte Analyse der vorherigen Kapitel hat den Übereinkünfte zum militärischen und zivilen den hohen Preis gezeigt, den die Siedlungen der Rückzug aus den Gebieten getroffen, wenngleich israelischen Sicherheit abverlangen. Daraus ab- beide nicht zeitgleich erfolgen müssen. Und doch leitend ergeben sich zwei Schlussfolgerungen. ist das hier skizzierte Szenario nicht bloß eine Die klare Trennung zwischen der militärischen Fantasievorstellung. Es wird bereits heute in poli- und zivilen Präsenz Israels in den Gebieten. Wäh- tischen Kreisen diskutiert. Sicherheitspolitisch rend die Armee die Sicherheit des Staates ge- wäre es der gegenwärtigen Situation vorzuziehen. währleistet, wird die Sicherheit durch die Für unsere Argumentation ist es wichtig, weil es Siedlungen beeinträchtigt. Die Führung der Sied- die grundsätzliche Differenzierung zwischen mili- ler versucht schon seit Jahren, die Unterschiede tärischer und ziviler Präsenz noch einmal deutlich zwischen militärischer und ziviler Präsenz zu ver- hervorhebt. wischen, die militärischen Errungenschaften für 1. Szenario: Evakuierung der Zivilbevölkerung sich zu verbuchen und die Nachteile, die die Sied- lungen für die Sicherheit bringen, zu verbergen. Sobald es östlich der Trennungslinie keine israeli- Es ist durchaus legitim, das Siedeln in den Gebie- sche Zivilbevölkerung mehr gibt, wird die israeli- ten aus religiösen oder ideologischen Gründen zu sche Armee bei seinen Operationen nur noch befürworten. Doch ist die Bedienung des Sicher- zwei zeitliche Komponenten berücksichtigen heitselements, welches Soldaten, Sicherheitsap- müssen. Kurzfristig wird sich Israels Bedrohungs- parat und Zivilisten miteinander vermischt, bloße lage nicht wesentlich ändern (mit Ausnahme der rhetorische Manipulation. Gefahren für Siedler). Langfristig liegt ein stabiler, Israel nicht feindlich gesinnter Palästinenserstaat Solange es noch kein Abkommen mit den Paläs- auf der anderen Seite der Grenze im israelischen tinensern gibt, so die zweite Schlussfolgerung, Interesse. Zu diesem Staat wird Israel wirtschaftli- liegt der Abzug der Zivilbevölkerung aus Siedlun- che und vor allem auch gesunde sicherheitspoliti- gen, die auf gar keinen Fall Teil von Israel sein sche Beziehungen unterhalten. Unsere Analyse werden, im Sicherheitsinteresse Israels. Dies wird sich zunächst auf die kurzfristige sicherheits- würde sich, unabhängig von einem zukünftigen politische Antwort konzentrieren, ohne die Sicher- Friedensvertrag, positiv auf Israels Sicherheit heitsvorkehrungen, die Teil des verhandelten auswirken. Darüber hinaus könnte ein solcher Friedensvertrags sein werden, zu berücksichti- Schritt auch den Boden für ein Abkommen berei- gen. ten. Die Frage, was für ein Abkommen angestrebt werden sollte und ob es sich mit den Palästinen- Auf den kommenden Seiten werden wir ein Sze- sern schließen lässt, sollte von der Siedlungsthe- nario präsentieren, das sich die Sicherheit israeli-

SPOTLIGHT – 2017 17 MOLAD – The Center for the Renewal of Israeli Democracy | ISRAELS SICHERHEIT UND DIE SIEDLUNGEN scher Staatsbürger unter Berücksichtigung der nehmen Gebrauch machen. Der fundamentale Herausforderungen in der Westbank zum Ziel ge- Unterschied dieser Alternativen liegt darin, dass setzt hat. Damit sollen die Voraussetzungen für Israel bei der ersten Variante die Verantwortung die Gründung eines stabilen souveränen und Is- für die Sicherheit der gesamten Westbank behält. rael nicht feindlich gesinnten Palästinenserstaates Die palästinensischen Sicherheitskräfte werden im Westjordanland geschaffen werden. nur dann aktiv, wenn Israel es ihnen erlaubt. Bei der zweiten Variante haben die palästinensischen Das hier dargelegte Szenario berücksichtigt die Sicherheitskräfte Handlungsfreiheit. Israel mischt Lehren aus den missglückten, von Netanjahu ge- sich nur ein, wenn es unbedingt erforderlich ist. führten Friedensverhandlungen und dem geschei- Wir würden die erste Variante vorziehen. Die Pa- terten Versuch der Osloer Verträge, anhand von lästinenser hätten Zeit, sich auf die zweite Version Interimsabkommen zum Einvernehmen zu gelan- einzustellen, bei der sich die israelischen Streit- gen. Unser Szenario nimmt Veränderungen an kräfte auf die Grenzlinie zurückziehen. Israel der schädlichsten Komponente der gegenwärti- könnte die Fortschritte bei den Palästinensern im gen israelischen Politik in den Gebieten – der Auge behalten und besser beurteilen, inwieweit Siedlungspolitik – vor. Ein weiteres Zwischenab- die Palästinenser die Gebiete unter Kontrolle ha- kommen wird vermieden. Ihm würden die Palästi- ben. nenser ohnehin nicht zustimmen, da es nur den Weg für erneute Kursveränderungen bahnt, die Erste Alternative: Israel behält uneinge- mit dem Verweis auf eventuelle Nichteinhaltungen schränkte von vertraglichen Vereinbarungen und das Kontrolle über die Westbank schleppende Tempo der Implementierung ge- rechtfertigt würden. Bei unserem Szenario handelt Ein großes Truppenaufgebot, das die Palästinen- es sich um einen Schritt, der dem endgültigen ser nur verärgern würde, scheint ohne Siedlungen Friedensvertrag vorausgeht, aber keineswegs von keinen Sinn zu machen. Soldatenleben werden ihm abhängt. Deshalb wird sich der Sicherheits- unnötig gefährdet. Auch wäre damit der internati- apparat allein von israelischen Interessen leiten onalen Argumentation gegen die israelische Be- lassen. Um politisch auf einen Friedensvertrag satzung nicht der Wind aus den Segeln hinzuarbeiten, sollten für die Palästinenser zu- genommen. Die Räumung der Siedlungen würde nächst einmal die entsprechenden Bedingungen eine Reduzierung der Truppenstärke im Westjor- geschaffen werden, selbst wenn diese nicht im danland erlauben. Allerdings wird eine bedeu- Rahmen eines Abkommens erfolgen. Israel sollte tungsvolle israelische Militärpräsenz vor Ort jedoch nicht im Alleingang handeln. Die beste- solange von Vorteil sein, wie es keinen gefestig- hende Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich ten palästinensischen Souverän in der Westbank sollte auch nach der Neuaufstellung der israeli- gibt. Durch die kontinuierliche Präsenz israeli- schen Armee in den Gebieten beibehalten wer- scher Soldaten in den Gebieten lässt sich der Ter- den. ror einfacher und effektiver bekämpfen. Soldaten müssen nicht erst zu gezielten Aktionen oder Handlungshorizonte - Kontrolle über die ge- schwierigen Kommandounternehmen ins palästi- samte Westbank oder das Sammeln der nensische Gebiet eindringen. 50 Solange die Be- Streitkräfte entlang der Grenzlinie fugnisse für die Sicherheit in den Händen der IDF bleiben und nur graduell an die Palästinenser In der Übergangszeit von der Räumung der Sied- übergehen, wird es kein Sicherheitsvakuum ge- lungen in den Gebieten zu der Implementierung ben. Ein solches Vakuum könnte entstehen, wenn der von Israel und den Palästinensern vereinbar- die IDF sich bereits zum jetzigen Zeitpunkt in gro- ten Sicherheitsvorkehrungen gibt es zwei Wege ßem Umfang aus den Gebieten zurückzieht. Noch zur Gewährleistung der israelischen Sicherheit. Die militärischen Aktivitäten werden wie bisher fortgesetzt, wobei die Last der Bewachung von 50 Zu Beginn der Zweiten Intifada standen die IDF und Israels politi- Siedlungen wegfallen würde. Eine zweite Mög- sche Führung vor einem solchen Dilemma, als sie über den Einsatz lichkeit wäre die Kontrolle der Grenzen im West- israelischer Truppen in A-Gebieten entscheiden mussten. Während jordanland. Dabei darf die IDF, falls erforderlich, der „Schutzschild Offensive“ (Defensive Shield, 2002) griffen israeli- auch von Schusswaffen und Kommandounter- sche Truppen in A-Gebieten ein, bis die IDF die Zentren der palästi- nensischen Städte wieder unter Kontrolle hatte.

SPOTLIGHT – 2017 18 MOLAD – The Center for the Renewal of Israeli Democracy | ISRAELS SICHERHEIT UND DIE SIEDLUNGEN ist der palästinensische Sicherheitsapparat nicht würden sie gegen Terroristen vorgehen und sich darauf eingestellt, den gegen Israel gerichteten um die Wahrung von Ruhe und Ordnung in B- Terror zu bekämpfen oder sich mit internen feind- und C-Gebieten kümmern, bis diese in den Zu- lichen Kräften auseinander zu setzen. ständigkeitsbereich der palästinensischen Sicher- heitskräfte übergehen. Die israelischen Truppen Streng genommen ließe sich natürlich argumen- wären in Stützpunkten in der Nähe von palästi- tieren, dass Israel die Besatzung unter diesen nensischen Städten stationiert, wodurch sie im Vorsätzen nicht beendet hat. Allerdings würde Bedarfsfall leichter einsetzbar sind. selbst ein völliger Rückzug aus den Gebieten der Westbank international nicht das Ende der Besat- Zweite Alternative: Schneller Übergang zur zung bedeuten, solange ein solcher Rückzug Grenzkontrolle nicht im Rahmen eines Abkommens und begleitet von der Gründung eines Palästinenserstaates Bei diesem Szenario ließe sich der Umfang israe- erfolgt. Solange Israel sich nicht völlig auf die lischer Truppen im Westjordanland schneller re- Grenze von 1967 zurückzieht, wird eine internati- duzieren. Die IDF wäre nur für die Sicherheit der onale Anerkennung nicht erfolgen. In den Augen Grenzregion verantwortlich. Im Jordantal und an der internationalen Gemeinschaft dauert die Be- der westlichen Grenzlinie würde das israelische satzung solange an, wie es keine volle palästi- Truppenaufgebot verstärkt werden. Ähnlich wie nensische Souveränität über die Gebiete gibt und beim ersten Szenario und im Gegensatz zum ein- Israel in den Gebieten weiter nach eigenem Er- seitigen israelischen Rückzug aus dem Gazastrei- messen handelt.51 Gleichzeitig gehört es zu den fen, würde die israelische Armee nicht bloß so wichtigsten Lehren des einseitigen Rückzug aus tun, als gäbe sie die Verantwortung für die Si- dem Gazastreifen, dass ein Rückzug international cherheit in der Region ganz ab. Falls nötig, wird positiv aufgenommen und Israel Pluspunkte brin- die IDF auch weiterhin in den Gebieten tätig sein. gen wird, selbst wenn ein solcher Rückzug nicht Israelische Truppen wären jedoch vor allem ent- sofort zu einer Lösung führt. Israels Vorgehen lang des Grenzverlaufs stationiert. Gleichzeitig sollte jedoch unbedingt mit den Palästinensern würde sich Israel weiterhin um geheimdienstliche abgestimmt sein und nicht im Alleingang erfolgen. Informationen bemühen. Kommandounternehmen in den Gebieten würden auf ein Minimum redu- Selbst wenn die israelische Armee die absolute ziert. Die Bekämpfung von Terror würde durch Kontrolle über die Gebiete behalten sollte, wird Maßnahmen aus der Luft begleitet. Um den Ter- die dramatische Reduzierung von Bewachungstä- ror tief im Innern der Gebiete zu bekämpfen, wür- tigkeiten eine militärische Umstrukturierung mit den Eliteeinheiten eingesetzt werden oder auch geringerem Truppenaufgebot zulassen. Nach größere Truppen in die palästinensischen Gebiete Meinung hochrangiger Kommandanten in den eindringen. Gebieten würden vier statt der bisher sieben auf das Westjordanland verteilten Brigaden ausrei- Die Stationierung der israelischen Truppen ent- chen. 52 Sie wären für die Sperranlage und die lang der Grenzlinien ist für die Soldaten weniger Grenzgegend im Jordantal verantwortlich. Auf der gefährlich als das Patrouillieren in der Westbank, Grundlage von geheimdienstlichen Informationen bei der es zur ständigen Berührung mit der paläs- tinensischen Bevölkerung kommt. Allerdings birgt ein abrupter Abzug massiver Truppen aus den Gebieten auch Gefahren. Es ist fraglich, ob es der 51 Die internationale Gemeinschaft hat den Rückzug aus dem Gaza- palästinensischen Behörde gelingen wird, ihre streifen begrüßt, Israel gelobt und auf unterschiedlichste Weise entschädigt. Doch war immer auch klar, dass sie unter diesen Um- Kontrolle schnell und wirksam auf das gesamte ständen nicht von einem Ende der Besatzung sprechen würde (an- Gebiet der Westbank auszuweiten. Sobald eine ders als beim israelischen Rückzug auf dem Südlibanon im Jahr Linie gezogen wird, über die hinaus die IDF nicht 2000). mehr regelmäßig aktiv ist, wird diese Grenze 52 Ein möglicher Einsatz ist der einer Brigade, die die südlichen Heb- schwer zu überschreiten sein. Nur eine akute Be- ron Berge bis zu Gush Etzion kontrolliert; Eine Brigade, die Jerusa- drohung würde eine Grenzüberschreitung recht- lem und Ramallah kontrolliert; Eine Brigade, die palästinensische Städte im nördlichen Westjordanland kontrolliert und eine Brigade, fertigen. Sobald israelische Sicherheitskräfte nicht die für das Jordantal und Jericho verantwortlich ist. Die tatsächliche mehr vor Ort stationiert sind, beherrschen und Bereitstellung der Einsätze erfordert umfangreiche Planung, die in kennen sie die Gebiete weniger gut. Die Verfüh- diesem Dokument nicht ausgeschöpft werden kann.

SPOTLIGHT – 2017 19 MOLAD – The Center for the Renewal of Israeli Democracy | ISRAELS SICHERHEIT UND DIE SIEDLUNGEN rung, aus der Ferne zu schießen, wird groß sein. Jerusalems und Siedlungen unweit der Grünen Denn wenn Soldaten zur Terrorbekämpfung in Linie im Osten der Dan Region. Diese Gebiete, in feindliches Gebiet eindringen, bedeutet das im- denen 80% der Siedler wohnen, werden auf jeden mer auch eine Gefahr für ihr Leben. Der Be- Fall Teil von Israel bleiben. schuss aus der Ferne wird mehr Palästinensern das Leben kosten und eine erhöhte Gewaltbereit- Die Räumung von Siedlungen, die auf gar keinen schaft nach sich ziehen. Fall zu Israel gehören werden und in denen mo- mentan nur 20% der Siedler wohnen, sollte gra- Zumindest im ersten Stadium der Umsetzung duell vollzogen werden, damit die IDF die scheint es uns angesichts der Umstände ange- Kontrolle über die geräumten Siedlungen über- bracht, eine große israelische Militärpräsenz in nehmen kann. Die Räumung sollte mit Siedlungen den Gebieten zu belassen. Sollte sich mit der Zeit beginnen, bei denen der Abzug einer relativ klei- herausstellen, dass die routinemäßige militärische nen Zahl von Siedlern den Palästinensern ein Kontrolle durch Israel tief im Westjordanland über- recht großes Gebiet zur Verfügung stellt. So wur- flüssig geworden ist, können die Truppen auf die de bereits 2005 bei der Räumung des nördlichen Region entlang der Grenzlinie reduziert werden, Samarias verfahren. Damals waren vier kleine bevor den Palästinensern im Rahmen eines end- Siedlungen geräumt worden, was den Weg für die gültigen Abkommens die volle Verantwortung für wirtschaftliche Wiederbelebung der gesamten die gesamte Westbank übertragen wird.53 Nordregion von Samaria ebnete. Infolgedessen ging die Terrorbereitschaft in der Gegend zu- 2. Rückzug der israelischen Zivilbevölkerung rück. 54 Als nächster Schritt wird die Übergabe dichter besiedelter Gebiete an die israelische Ar- Umfang und Durchführung mee folgen. Im Laufe der Jahre hat es viele Vorschläge zum Begrenzte Loslösung Gebietetausch und dem Verlauf der Grenze zwi- schen Israel und dem zukünftigen Palästinenser- Israel kann und sollte sich heute nicht einseitig staat gegeben. Ein Teil dieser Pläne, unter ihnen vom gesamten Westjordanland lossagen. Zu- die Genfer Initiative und die Verhandlungen über nächst müssen sich die Beziehungen und Ab- den Grenzverlauf am Ende der Annapolis Konfe- sprachen zwischen Israel und den Palästinensern renz, waren fundiert und ernst zu nehmen. Ande- ändern. Eine völlige Trennung zwischen Israel re Pläne basierten weniger auf ernsten Debatten, und den Gebieten ist aber noch aus anderen als dass sie wie der Vorschlag, sämtliche C- Gründen unrealistisch: Gebiete zu annektieren, einem Wunschdenken entsprangen. Die absolute Mehrheit der mit der Noch ist die palästinensische Behörde nicht in Materie vertrauten Kreise geht davon aus, dass der Lage, die volle Verantwortung für die Si- es zwischen Israel und den Palästinensern einen cherheit zu übernehmen. Solange dies der Fall Gebietetausch geben wird. Bei einigen Regionen ist, wird die Verantwortung für die Sicherheit der sind sich sämtliche Beteiligte, auch die Palästi- Westbank bei Israel bleiben; allerdings sollte die nenser, einig. Dabei handelt es sich um Teile von Anzahl operativer israelischer Einsätze auf ein Gush Ezion, diverse Gebiete in der Umgebung Minimum reduziert werden.

Ein- und Ausreise aus der Westbank. Im ge- 53 Manche behaupten ohne die Präsenz von Zivilisten wird die israe- samten Westjordanland gibt es keinen Flughafen. lische Öffentlichkeit der Stationierung von Truppen nicht zustim- Die Grenzübergänge zu Jordanien werden nicht men. Deshalb sei ein solcher Ansatz nicht zu implementieren. Die von den Palästinensern kontrolliert. Palästinenser Situation im Libanon hat das Gegenteil bewiesen. Israelische Trup- werden, zumindest im ersten Schritt, über Israel pen waren dort fast 20 Jahre lang stationiert. Die Öffentlichkeit hat den Rückzug der Truppen letztlich nicht aufgrund fehlender ziviler aus der Westbank ausreisen oder die Grenzüber- Präsenz verlangt, sondern weil Hisbollah-Aktivitäten zu viele Solda- gänge nach Jordanien passieren, die von Israel tenleben gekostet haben und das in einem Gebiet, das nicht integ- kontrolliert werden. raler Bestandteil des israelischen Hoheitsgebietes ist. Im Anhang werden die Unterschiede zwischen der Situation im Südlibanon und der Westbank diskutiert. Sie erläutern, weshalb in nächster Zukunft in der Westbank nicht mit den Gefahren zu rechnen ist, die vom 54 Nrg, „Das Modell Jenin – Vom Terrornest zur florierenden Stadt“, Südlibanon oder Gaza her kommen. Juli 2010, http://bit.ly/2mRMUZP

SPOTLIGHT – 2017 20 MOLAD – The Center for the Renewal of Israeli Democracy | ISRAELS SICHERHEIT UND DIE SIEDLUNGEN

Ostjerusalem. Solange die Zuständigkeit für die Eine florierende palästinensische Wirtschaft sowie östlichen Viertel von Jerusalem, die auf der israe- geringere BIP-Diskrepanzen zwischen israeli- lischen Seite des Grenzzauns liegen, nicht bei der scher und palästinensischer Wirtschaft liegen im palästinensischen Behörde liegt und solange nicht Interesse Israels. (In Israel liegt das BIP heute bei sämtliche Bürger Ostjerusalems palästinensische 36.560 Dollar im Vergleich zu 3.661,70 Dollar in Staatsbürger sind, ist eine volle Trennung zwi- den Gebieten) 59 . Solange diese Kluft bestehen schen Israel und den Palästinensern in der Stadt bleibt oder sich womöglich noch vergrößern wird, unmöglich. wird die Frustration der Palästinenser wachsen und der Wunsch groß sein, Israel zu schaden, Wirtschaftliche Implikationen. Während sich die selbst bei denjenigen, die dies nicht für ihre religi- drei ersten Parameter im Rahmen eines endgülti- öse Pflicht halten. gen Friedensabkommens ändern könnten, wer- den die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Es wird dauern und hoher Investitionen in palästi- Israel und den Palästinensern eng bleiben. Ein nensische Produktionsbetriebe bedürfen, bis die plötzlicher Abbruch der wirtschaftlichen Zusam- palästinensische Wirtschaft ihre relativen Vorteile menarbeit würde die Struktur der palästinensi- entwickelt und eine eigenständige Wirtschaft auf- schen Wirtschaft stark erschüttern. gebaut hat. Kurz- und mittelfristig wird die palästi- nensische Wirtschaft in der Westbank auch Das Pariser Abkommen behandelt die wirtschaft- weiterhin darauf basieren, dass palästinensische lichen Aspekte des Osloer Friedensprozesses. Arbeitskräfte in Israel arbeiten und Baumaterialien Israel und die palästinensische Behörde werden und Lebensmittel an die Araber in Israel exportiert im Rahmen desselben Zollabkommens tätig sein. werden. Dies wird insbesondere für die Zeit zu- Israel wird Zölle und Steuern für die Palästinenser treffen, in der die Palästinenser ihren Außenhan- einziehen. Die Währung in den Gebieten ist der del noch nicht frei kontrollieren. 60 Eine israelische Shekel. Zwischen beiden Wirtschaften Verbesserung der Wirtschaftslage im West- existieren breit gefächerte und weit verzweigte jordanland wird die Bestrebungen extremistischer 55 Beziehungen. Neben der institutionellen Ver- Gruppierungen und Einzelpersonen, Terroran- knüpfung hängt auch die palästinensische Wirt- schläge in Israel oder gegen die eigene säkulare schaft ganz und gar von Israel ab. Im Jahr 2016 Regierung zu verüben, nicht völlig beseitigen. Al- haben 60.000 Palästinenser eine israelische Ar- lerdings wird eine Verschlechterung der wirt- beitserlaubnis erhalten, weitere 30.000 Palästi- schaftlichen Lage, und daran zweifeln nur wenige, nenser haben ohne Genehmigung in Israel viele Palästinenser in die Arme von Terrororgani- gearbeitet, und 27.000 Palästinenser sind in den sationen treiben oder zu selbstständig geplanten Industriegebieten in israelischem Besitz in der Terroranschlägen motivieren.61 Westbank angestellt. Israelische Sicherheitskreise und Regierungsvertreter befürworten eine Anhe- Selbst nach einer Umstrukturierung des zivilen bung der zusätzlichen Arbeitsgenehmigungen auf Lebens muss sichergestellt werden, dass palästi- insgesamt 100.000. 56 Der Großteil palästinensi- nensische Arbeitskräfte und palästinensische Wa- scher Exporte geht nach Israel.57 Auch nach der ren den Weg nach Israel finden. Das in den letzten Jahren geführten Boykott- Westjordanland darf nicht abgeriegelt werden, wie Kampagne gegen israelische Waren beträgt der es im Gazastreifen nach Israels einseitigem Import aus Israel noch immer 60 Prozent des ge- Rückzug geschehen ist. samten palästinensischen Imports.58

55 Siehe Molad-Projekt zum Pariser Abkommen, „Das Pariser Ab- kommen: Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft“, Februar 2013, http://bit.ly/2nCvFdX. 56 Haaretz: “Das Kabinett bewilligt weitere 30.000 palästinensische 59 Es handelt sich hier um OECD-Angaben für 2015 (Israel). Siehe: Arbeiter in Israel“, Februar 2016: http://bit.ly/2nCHYXK. http://bit.ly/1PMKop. Die Daten für die Westbank stammen von der 57 IDC Herzlia, „Strategiepapier – das beste Wirtschaftsprogramm Webseite PCBS und gelten für 2015: http://bit.ly/2ocTd7m. für Israel und die palästinensische Behörde“, Juni 2014: 60 Calcalist: „Die palästinensische Wirtschaft: Westbank-Export http://bit.ly/2nCEchs. sucht Ankurbelung in Israel“, Juni 2014: http://bit.ly/2nUYyf. 58 Weltbank: „Der wirtschaftliche Status des Koordinierungsaus- 61 Siehe zum Beispiel: Ynet, „Reise durch die Erschütterungsabfede- schusses – ein Bericht“, September 2005: http://bit.ly/2niZqNm. rungen der Intifda“, Oktober 2015: http://bit.ly/2nOw3Xr.

SPOTLIGHT – 2017 21 MOLAD – The Center for the Renewal of Israeli Democracy | ISRAELS SICHERHEIT UND DIE SIEDLUNGEN

Stärkung des palästinensischen Sicherheits- Rechtswesen an Schwäche, Unprofessionalität apparates und fehlendem öffentlichen Vertrauen,66 was der exekutiven Umsetzung von Urteilen schadet.67 Seit 2007 ist der palästinensische Sicherheitsap- parat unter der Leitung des früheren Ministerprä- Kurzfristig schaden diese Missstände der israeli- sidenten Salam Fayad grundlegend reformiert schen Sicherheit nicht, obgleich die Einstellung worden. Zwanzig ineffektive Sicherheitsarme, die der Bevölkerung zu den palästinensischen Raum für das Austragen gewalttätiger politischer Sicherheitskräften, die als Handlanger fremder Rivalitäten unter führenden Fatah-Mitgliedern bo- Interessen angesehen werden, die Effizienz der ten, sind zu acht Sicherheitsarmen zusammenge- Terrorbekämpfung beeinträchtigt. Hinzu kommt legt worden. Diese acht Sicherheitsarme sind die weit verbreitete Verletzung von Menschen- jeweils mit speziellen Sicherheitsbelangen be- rechten durch palästinensische Sicherheitskräfte. traut. Sie verfügen über neue, professionellere Auch sie untergräbt die Stabilität der palästinensi- Kommandostrukturen und werden unter amerika- schen Behörde, wenngleich die sofortige Unter- nischer oder europäischer Schirmherrschaft aus- bindung von Maßnahmen gegen oppositionelle gebildet und trainiert. Dies hat zu einer Kräfte vor allem der Hamas dienen würde. Israel effizienteren Bekämpfung von Terror geführt. Pa- muss begreifen, dass die Lösung der hier ange- lästinensische Proteste schwappen nicht automa- führten drei Herausforderungen bei den Palästi- tisch nach Israel über. Die öffentliche Ordnung nensern liegt. Israel kann lediglich die wird gewahrt.62 Bedingungen für eine solche Auseinandersetzung schaffen. Trotz gewisser Errungenschaften leiden sowohl der palästinensische Sicherheitsapparat als auch Es wäre ratsam, die Befugnisse der palästinensi- das Rechtswesen in der palästinensischen Be- schen Sicherheitskräfte in weiten Teilen der hörde an einigen strukturellen Problemen. Die Westbank graduell zu erweitern. Sobald in der palästinensischen Sicherheitskräfte werden von Westbank keine israelischen Zivilisten mehr le- der palästinensischen Öffentlichkeit als ein die ben, wird es der palästinensischen Behörde leich- Besatzung stärkender Apparat angesehen, der ter fallen, auch außerhalb von palästinensischen nicht organisch gewachsen, sondern durch Inter- Städten tätig zu werden, Truppen von einem Ein- vention von außen entstanden ist. 63 Durch die satzort zum anderen zu verlegen und in größerem Beschränkung der Befugnisse von palästinensi- Maße auch ohne Absprache mit Israel zu agieren. schen Sicherheitskräften auf A-Gebiete spitzt sich Dadurch werden sie eine bessere Kontrolle über diese Problematik weiter zu. Streng genommen die Gebiete erhalten, selbst als souveräner verfügen palästinensische Sicherheitskräfte nicht Sicherheitsarm dastehen und hoffentlich den ih- einmal in A-Gebieten über uneingeschränkte nen anhaftenden Makel von Kollaborateuren los- Kompetenzen. In den Augen der palästinensi- werden. 68 Diese Prozesse sollten von der schen Bevölkerung ermöglicht die palästinensi- Vermittlung zivilrechtlicher Werte in den Ausbil- sche Behörde Israel, in den Gebieten weiterhin dungs- und Trainingskursen für Kräfte der Inneren tätig zu sein, ohne hoheitliche Forderungen zu Sicherheit begleitet werden. Internationale Orga- stellen. 64 Zudem gehen palästinensische Sicher- nisationen sollten Maßnahmen unterstreichen, die heitskräfte systematisch gegen Kritiker des Re- auf eine graduelle Abwendung von einer Politik gimes und palästinensischer Politiker vor, womit der harten Hand ausgerichtet sind, mit der die erste demokratische Ansätze zerschlagen wer- palästinensische Behörde zurzeit gegen oppositi- den. 65 Genauso leidet das palästinensische onelle Kräfte in der Westbank vorgeht.

Für die Stärkung palästinensischer Sicherheits- 62 http://bit.ly/2odASue. „Stability - The Evolution and Reform of kräfte zahlt Israel einen Preis. Israel wird zukünf- Palestinian Security Forces 1993-2013. 63 Ebd. 64 Siehe Bericht Nr.28 der Crisis Group International, “Der quadrati- sche Kreis – palästinensische Sicherheitsreformen unter der Besat- 66 The American task force on Palestine: “Palestinian Justice System zung“, September 2010, S.15-16l, http://bit.ly/2piesWz. Still Work in Progress”, März 2013. http://txt.ly/2oblofx. 65 Euro-Mediterranean Human Rights Monitor: “New report docu- 67 Shabak Webseite, “Festnahme von Hamas-Militär Aslam Hamed”, ments abusive detentions by bothe PA and Hamas to stifle freedom Oktober 2015, http://txt.ly/2nywram. of expression”, Febr. 2016: http://bit.ly/2nCEsMS. 68 S.11: http://bit.ly/2piesWt.

SPOTLIGHT – 2017 22 MOLAD – The Center for the Renewal of Israeli Democracy | ISRAELS SICHERHEIT UND DIE SIEDLUNGEN tig abwägen müssen, wann es eingreift und wann werden mit Hilfe Jordaniens abgeschwächt.69 Die es den palästinensischen Sicherheitskräften er- Beziehungen zu Jordanien helfen dem israeli- möglicht, eigenständig zu handeln. Im Zuge ver- schen Ansehen in der arabischen Welt. 70 Aller- besserter sicherheitspolitischer Absprachen hat dings dringt die gute strategische es derartige Fälle in der Vergangenheit bereits Zusammenarbeit nicht bis zum jordanischen Volk gegeben. Eine Veränderung der israelischen Hal- vor. Nicht selten ist die Stimmung in der Bevölke- tung wird sich langfristig auszahlen. Israel wird rung antiisraelisch. Der hohe Anteil von israel- von guten Sicherheitskräften auf der anderen Sei- feindlichen Palästinensern ist eine ständige te der Grenze profitieren, zu denen ein ständiger, Sorge. Die Befürchtung, das Regime des Königs auf gegenseitigem Vertrauen basierender Dialog könnte ins Schwanken geraten, ist seit dem Ara- unterhalten wird. Ein solcher Koordinierungsme- bischen Frühling und der Präsenz von ISIS in den chanismus hat mit dazu beitragen, dass die israe- Nachbarstaaten Jordaniens umso realer gewor- lisch-ägyptischen Beziehungen die politischen den. Veränderungen der letzten Jahre, ja selbst die Herrschaft der Muslimbrüder überstanden haben. Die israelischen Gegner eines Abkommens mit Eine solche Realität wird nur entstehen, wenn den Palästinensern verweisen zu Recht auf die Israel etwas von seiner Verantwortung für die Si- Instabilität des haschimitischen Königreichs. Soll- cherheit der Westbank abgibt und bestimmte re- te das jordanische Regime nach Gründung eines versible Risiken eingeht. Die hier Palästinenserstaates stürzen, würde Israel bei vorgeschlagenen Schritte sind von keiner politi- einem militärischen Einmarsch von Osten oder schen Lösung abgeleitet, sondern basieren auf beim Eindringen von Terroristen aus der West- 71 einer Einschätzung der Sicherheitslage. Sie unter- bank ohne Pufferzone dastehen. Die Gründung liegen keinem Ultimatum oder verpflichtendem eines stabilen Palästinenserstaates ist zentrales Zeitplan. Einzelne Regionen der Westbank ließen Interesse des haschimitischen Regimes. Das sich zudem auch separat behandeln. Überleben des Königshauses könnte davon ab- hängen. Allein die Sorge um die Stabilität des jor- 3. Sicherheit am Tag danach danischen Regimes sollte Israel motivieren, die Gründung eines Palästinenserstaates zu forcie- Man müsse nur die Besatzung beenden, sämtli- ren.72 che israelischen Truppen mit oder ohne Abkom- men aus der Westbank abziehen, dann werde der Der von uns vorgeschlagene Ansatz ist von die- palästinensische Terror quasi über Nacht ver- sen Entwicklungen nicht betroffen, da Israel sämt- schwinden, meinen manche linke Zirkel. Ein sol- liche ihm heute zur Verfügung stehenden Mittel ches Szenario ist unwahrscheinlich. Die Gefahren auch im extremen Fall eines Sturzes des für Israel werden sich nicht urplötzlich in Luft auf- haschimitischen Regimes behält. Die IDF kann lösen. Auch dann nicht, wenn die palästinensi- weiterhin frei im Jordantal agieren und zwischen sche Behörde den Terror weiter bekämpft. Die Israel und den Entwicklungen im Osten trennen. IDF sollte solange im Westjordanland bleiben und Dabei haben die Siedlungen im Westjordanland den Terror bekämpfen, bis die Palästinenser in keine Rolle zu spielen. Die Gefahr einer militäri- der Lage sein werden, sie zu ersetzen. Auch nach schen Invasion ist, wie wir gesehen haben, nicht der Neustrukturierung der Westbank wird es ne- länger relevant. Selbst im Fall einer Bodenoffen- ben Terror noch weitere Gefahren für Israel ge- sive würden die Siedlungen wenig helfen. ben, die eine Präsenz der israelischen Armee er- fordern. Hamas erobert die Westbank. Seit der Macht-

Fall des haschimitischen Regimes. Die jordani- sche Monarchie ist eins der Israel am freundlichs- 69 Ende 2015 halfen die Jordanier, die Spannungen um den Tempel- ten gesinnten Regime der Region. Die berg zu beruhigen. 70 Kooperation mit dem König dient fundamentalen Jordanien hat bei der Arabischen Initiative eine zentrale Rolle gespielt und sie seit Jahren gefördert. israelischen Interessen. Terroristen werden daran 71 Walla News, „Ein Muss – die sichere Grenze“, Januar 2006, gehindert, von Osten nach Israel einzudringen. http://bit.ly/2obmNB. Eventuelle Spannungen mit den Palästinensern 72Forum für regionales Denken (FORTH): „Jordanien, die palästinen- sischen Flüchtlinge und der Kerry-Plan: Gute Miene zum bösen Spiel“, Januar 2014: http://txt.ly/2nmek6g.

SPOTLIGHT – 2017 23 MOLAD – The Center for the Renewal of Israeli Democracy | ISRAELS SICHERHEIT UND DIE SIEDLUNGEN

übernahme im Jahr 2007 durch die Hamas ist der Fall einer Herrschaft der Hamas in der Westbank Gazastreifen Feindesland. Dies hat die israelische gegenüber sieht, würden durch die Präsenz von Sorge verstärkt, dass auch die Westbank militä- Hunderttausenden israelischen Zivilisten inmitten risch oder politisch in die Hände der Hamas fallen eines von der Hamas beherrschten Gebietes um könnte. 2007 war eine militärische Machtüber- ein Vielfaches schwieriger sein. Die Präsenz und nahme durch die Hamas in der Westbank ein un- der Ausbau von Siedlungen in der Westbank wahrscheinliches Szenario.73 In den neun Jahren, kommen einer politischen Niederlage der palästi- die seitdem verstrichen sind, haben die palästi- nensischen Behörde gleich. Die Siedlungen wer- nensischen Sicherheitskräfte ihre Lehren aus den den den Sieg der Hamas bei Wahlen nicht Entwicklungen im Gazastreifen gezogen und be- verhindern. Sie werden die Hamas vielmehr stär- kämpfen interne oppositionelle Kräfte wie Hamas ken. und Islamischer Djihad wesentlich effizienter. Doch selbst bei drastischen innerpalästinensi- Die Westbank wird zum Gazastreifen. Im Zuge schen Veränderungen wird die IDF in der Lage des israelischen Rückzuges aus dem Gazastrei- sein, die Hamas an einer gewalttätigen Macht- fen sind zwei zentrale regionale Bedrohungen übernahme in der Westbank zu hindern. Schließ- entstanden. Israel ist dem Raketenbeschuss aus lich sollen israelische Truppen bis zur dem Gazastreifen ausgesetzt und wird von unter- Neustrukturierung der palästinensischen Sicher- irdischen Tunneln bedroht. Die palästinensische heitskräfte in den Gebieten stationiert bleiben. Regierung in der Westbank wird einige Zeit brau- Zudem wird allein die Präsenz der IDF Hamas chen, bis sie wirksam gegen alle potenziellen Be- abschrecken, sich in diese Richtung zu bewegen. drohungen vorgehen kann. Daher ist ein Verbleiben der IDF, nicht aber der Siedlungen in Wahrscheinlicher als eine gewalttätige Macht- der Westbank unbedingt notwendig. Um Terrorak- übernahme durch die Hamas ist die politische tivitäten in der Westbank und Terror von der Eroberung der Westbank. Sollte Mahmud Abbas Westbank nach Israel zu verhindern, müssen is- seinen Posten ohne Wahlen räumen, liegt die raelische Truppen die Grenzgegend kontrollieren. Nachfolge bereits heute bei Hamas-Mitglied Aziz Zusätzlich wird die IDF Terrorzellen bis weit in die Duik, dem Vorsitzenden des palästinensischen palästinensischen Gebiete hinein, mit oder ohne Parlaments. Bei einer innerpalästinensischen Hilfe der palästinensischen Behörde, zerschlagen Versöhnung und der Abhaltung von Wahlen wäre müssen. Tunnel werden sich wesentlich schwieri- ein Sieg der Hamas ein plausibles Szenario. 74 ger von der Westbank nach Israel graben lassen. Danach sähe sich Israel auch im Westjordanland Beim Sinai handelt es sich um ein nur teilweise mit einem feindlichen Regime konfrontiert, das souveränes Territorium. Die Tunnel im Gazastrei- Terror nicht zwangsläufig aktiv forcieren wird, die fen werden durch Sand gegraben. Die Westbank Zusammenarbeit mit der IDF aber sicher einstel- grenzt an Jordanien und Tunnel in der Westbank len wird. müssten sich einen Weg durch hartes Felsgestein bahnen. Die Sicherheitsszenarien, denen sich Israel im Rückzüge sind mit Risiken verbunden. Der israe- lische Rückzug aus dem Gazastreifen ist das bes- 73 Es gibt allerdings Unterschiede zwischen der Westbank und Gaza, te Beispiel. Mit diesem Argument versuchen zum Beispiel die Israelische Militärkontrolle in der Westbank, aber rechte Wortführer jede Diskussion über eine auch die Tatsache, dass Hamas noch vor 2007 in Gaza relativ stark Räumung der Siedlungen in Judäa und Samaria war; auch die Größe der Westbank im Vergleich mit Gaza spielt eine Rolle. All diese Faktoren würden eine interne Kräfteverlagerung in abzuwürgen. Entgegen der Behauptungen massi- der Westbank, die die Machtergreifung der Hamas im Gazastreifen ver öffentlicher Kampagnen hat Israels einseitiger ermöglichte, sehr schwer machen. Rückzug aus dem Gazastreifen diejenigen ge- 74 Laut palästinensischer Umfragen aus der Westbank von Septem- stärkt, die eine Reduzierung der Verteidigungsli- ber 2015, genießt Hamas leicht größere Unterstützung, wenn es zu nien befürworten. Von 2000 bis zum Rückzug im parlamentarischen Wahlen kommen würde; so würde die Hamas 35% der Stimmen bekommen und Fatah 34%. Wenn es Präsident- Jahr 2005 sind jährlich 32 Israelis Opfer von Ter- schaftswahlen geben würde, bei denen Ismail Haniyeh gegen Abbas ror aus dem Gazastreifen geworden; die Tendenz kandidieren würde, würde Haniyeh deutlich mehr Stimmen be- war steigend. Seit dem israelischen Rückzug be- kommen. Der beliebteste Kandidat wäre allerdings Marwan läuft sich die Zahl der Terroropfer auf durch- Barghouti, der eine fünfmal lebenslängliche Haftstrafe im israeli- schnittlich 13 im Jahr. Obgleich diese Zahlen die schen Gefängnis verbüßt. http://www.pcpsr.org/en/node/621.

SPOTLIGHT – 2017 24 MOLAD – The Center for the Renewal of Israeli Democracy | ISRAELS SICHERHEIT UND DIE SIEDLUNGEN

Toten der letzten drei großen militärischen Offen- siven im Gazastreifen einschließlich von Tsuk Eitan beinhalten, bei der 73 Israelis ums Leben gekommen sind, ist der Trend rückläufig. 75 Im Gazastreifen hat Israel nicht nur die Siedlun- gen geräumt, sondern sich auch militärisch zurückgezogen. Im Fall der Westbank debat- tieren wir ausschließlich eine zivile Neustruk- turierung. Die Armee soll auch weiterhin in den Gebieten stationiert bleiben.

Wie bereits angesprochen birgt das Fortbestehen oder besonders auch der Ausbau der Siedlungen die Gefahr, die Hamas zu stärken statt sie zu schwächen. Denn für eine solche Entwicklung würde die palästinensische Behörde verantwort- lich gemacht, was ihrem Ansehen signifikant schaden würde.

Belohnung des Terrors. Ob eine zivile Neustruk- turierung von den Palästinensern als Errungen- schaft moderater Kräfte oder als Sieg des palästinensischen Terrors gewertet wird, hängt fast ausschließlich von der israelischen Taktik und dem Timing ab. Im Anschluss an eine weitere Terrorwelle oder nach einer neuen Intifada wird ein israelischer Rückzug aus den Gebieten Ter- rororganisationen in die Hände spielen und deren These belegen, dass Israel nur Gewalt versteht. Unser Vorschlag geht von einer rein israelischen Initiative aus, die nicht extern angetriebenen wor- den ist. Der israelische Rückzug erfolgt nicht in Reaktion auf palästinensische Gewalt, sondern ist, und das muss für alle sichtbar sein, in Abspra- che mit der palästinensischen Autonomiebehörde und unter Betonung der Tatsache erfolgt, dass ein solcher Rückzug israelischen Interessen dient. Auf diese Weise wird die palästinensische Behör- de mehr öffentliche Unterstützung für eine politi- sche Lösung des Konfliktes erhalten und der Verzweiflung entgegenwirken, die nach Ansicht führender israelischer Sicherheitsexperten zur letzten Terrorwelle und denen vor ihr beigetragen hat.76

75 Die Gegner des Rückzugs aus dem Gazastreifen stellen einen Bezug zwischen dem Rückzug, der Tsuk Eitan Offensive und ihren schlimmen Folgen her. Diese Verknüpfung ergibt sich nicht so zwangsläufig, wie sie den Anschein erwecken wollen. Offensive und Kriegsführung sind eher eine Folge der Regierungspolitk in den Jahren nach dem Rückzug aus dem Gazastreifen. Siehe auch: Molad: Tsuk Eitan: Das Ende der Illusion des Krisenmanagements“, August 2004: http://bit.ly/1xTTybT. rung):“Verzweifelung und Frustration bei den Palästinensern“, No- 76 Haaretz: „Der Leiter der Aman (Abteilung für militärische Aufklä- vember 2015. http://txt.ly/2njeeL9.

SPOTLIGHT – 2017 25 MOLAD – The Center for the Renewal of Israeli Democracy | ISRAELS SICHERHEIT UND DIE SIEDLUNGEN

Zusammenfassung einen großen Teil der Kampfeinheiten in die Ge- biete zu verlagern. In den Gebieten sind mehr Der Kampf um die Sicherheit israelische Kampftruppen stationiert als an allen anderen Fronten zusammen genommen. 77 Im Die Beilegung des israelisch-palästinensischen Gegensatz zur allgemein üblichen Ansicht sind Konflikts ist das wichtigste Problem, das die israe- bis zu 80% der in den Gebieten stationierten lische Gesellschaft zu bewältigen hat. Bei Wahlen Truppen mit der Bewachung von Siedlungen be- haben israelische Wähler meist die Sicherheit schäftigt. Nur 20% befassen sich mit dem Schutz ihres Landes vor Augen. Insofern wird Israel die von Ortschaften innerhalb der Grünen Linie.78 Beschäftigung mit diesem Thema regelrecht auf- gezwungen. Diese Schlussfolgerung mag trivial Die mentale Trennung zwischen ziviler und militä- klingen. Und doch hat Israels politische Mitte und rischer Präsenz in den Gebieten ist politisch sehr Linke in den letzten 15 Jahren große Anstrengun- wichtig. Israelische Rechtsparteien berufen sich gen unternommen, um das für Israel und die Be- nämlich gern auf das Sicherheitsargument. Wäh- wohner des Landes so wichtige Thema zu rend die Armee für Israels Sicherheit sorgt, beein- umgehen. Es beginnt mit dem einseitigen Rück- trächtigen die Siedlungen diese. Eine klare zug aus dem Gazastreifen, wird mit der atomaren Unterscheidung zwischen ziviler und militärischer Bedrohung durch den Iran fortgesetzt und endet Präsenz wäre auch als Grundlage für operative bei „Protective Edge“, Israels letzter militärischer Beschlüsse wichtig. Mit der in diesem Dokument Offensive im Gazastreifen. In allen drei Fällen hat vorgestellten zivilen Umstrukturierung der West- Israels politische Mitte und Linke keine klare, bank bei gleichzeitigem Verbleiben des Militärs selbstbewusste und eindeutige Position bezogen, wollen wir unser Argument veranschaulichen. Wir mit der sie sich deutlich von ihren Mitstreitern auf halten ein solches Szenario keinesfalls für opti- der rechten Seite des politischen Spektrums ab- mal. Ein Friedensabkommen wäre ihm vorzuzie- gehoben hätte. Dieses Verhalten stößt umso hen. Dennoch wäre es der gegenwärtigen mehr auf, wenn man sich vergegenwärtigt, dass Situation zweifellos vorzuziehen. In politischen die absolute Mehrheit des Sicherheitsapparates Kreisen wird es heute bereits diskutiert. die Grundhaltung, die in Mitte-links-Kreisen zu diesen Themen vorherrscht, fachlich voll und Seit fünfzig Jahren wird die Debatte um die Zu- ganz unterstützt. kunft der Gebiete geführt. Es ist ein verstrickter, komplexer und facettenreicher Streit. Allerdings Unmittelbar nach dem Sechstagekrieg erfolgte die werden heute selbst fundamentale Gegebenhei- erste Verknüpfung zwischen Siedlungen und Si- ten rhetorisch manipuliert, um die Öffentlichkeit zu cherheit durch den Allon-Plan. Ihr lag ein Sicher- täuschen. Die meisten Sicherheitsargumente heitsrational zugrunde, das die zionistische rechter Parteien sind in Wahrheit ideologischer Bewegung bis zur Staatsgründung geleitet hatte. oder religiöser Natur, formuliert im Sicherheitsjar- Ende der Sechziger Jahre mögen die Sicher- gon. Doch sobald man ihnen die Sicherheitshülle heitsannahmen, auf denen der Plan basierte, nimmt, tritt eine Auseinandersetzung um Werte noch ihre Berechtigung gehabt haben. Allerdings zutage, die Mitte-links-Parteien relativ leicht für haben sie heute aufgrund regionaler geopoliti- sich entscheiden könnten. Denn noch immer teilt scher Veränderungen und Israels gestiegenem die große Mehrheit der Israelis die messianische Militärpotenzial ihre strategische Relevanz verlo- Vision der Siedlerleitung nicht. ren.

Siedlungen sind sicherheitspolitisch bedeutungs- los. Für die israelischen Sicherheitskräfte in den Gebieten sind sie sogar eine Belastung. Sie be- finden sich mitten in feindlichem Gebiet und ver- längern die Verteidigungslinien, entlang derer die IDF stationiert ist, dramatisch. Konservativen Schätzungen zufolge ist die Grenzlinie durch die 77 Siehe Äußerungen von Reservegeneral Noam Tibon auf der jährli- Gebiete mit Siedlungen fünfmal so lang wie ohne chen Konferenz (2017) des Instituts für Sicherheitsforschun. Siedlungen. Das wiederum verlangt von der IDF, http://bit.ly/2mSae7W. 78 Siehe Anmerkung 25.

SPOTLIGHT – 2017 26 MOLAD – The Center for the Renewal of Israeli Democracy | ISRAELS SICHERHEIT UND DIE SIEDLUNGEN

Anhang von HaCohen hervorgehobenen Werte werden die Problematik seiner Argumentationsweise und Generalmajor der Reserve Gershon HaCohen: die ihr zugrunde liegende ideologische Motivation Mehr Sicherheit durch Siedlungen – eine Stel- deutlich. HaCohen behauptet, sich nur in den letz- lungnahme ten drei Abschnitten seines Vortrags mit der Wer- tedimension zu befassen. Allerdings nehmen Da es ihnen an schlagkräftigen Argumenten fehlt, wertorientierte Argumente bei HaCohen wesent- setzen rechte Kreise Siedlungen einfach mit mehr lich mehr Raum ein als sachliche Gründe, zwi- Sicherheit gleich, selbst wenn es in Wirklichkeit schen denen er zudem nicht sauber trennt. 81 die Armee ist, die in den Gebieten für Sicherheit HaCohen geht zunächst sehr ausführlich auf Igael sorgt. Erst wenn die Palästinenser die Hoffnung Allons Plan und die von Allon herausgearbeiteten, auf einen souveränen Staat völlig aufgegeben auf ganz Israel verteilten lebensnotwendigen haben, werden sie sich vom Terror lossagen, lau- Punkte ein, die aus fremden Händen in den Besitz tet HaCohens einziges Sicherheitsargument mit des jüdischen Volkes überführt werden sollten. direktem Bezug zu den Siedlungen. Siedlungen Hierbei handelt es sich eindeutig um eine wertori- seien das wirksamste Mittel zur Entmutigung der entierte Argumentation. Desweiteren befürwortet Palästinenser. Sie signalisierten ihnen, dass Isra- HaCohen die Mobilisierung ziviler Siedlungen bei el nicht vorhabe, sich jemals aus den von ihm be- der Verteidigung des Landes. Dabei hat er die setzten Gebieten zurückzuziehen, behaupten Eroberung weiterer Teile von Eretz Israel vor Au- rechte Politiker.79 Allerdings hat sich diese Argu- gen. Auch dies ist ein wertorientiertes Argument. mentation im Laufe der Geschichte bei nationalen Zwar könnte HaCohens angestrebte territoriale Bewegungen immer wieder als falsch erwiesen. Ausweitung für die Gründung neuer Siedlungen Und das gilt auch für den israelisch- sprechen, ist aber für sich genommen keine Ant- palästinensischen Kontext, wie die im Oktober wort auf die Frage, ob Siedlungen dem Staat 2005 ausgebrochene Terrorwelle bestätigt. Terror mehr Sicherheit bringen. wird es auch ohne Hoffnung auf einen Palästi- nenserstaat geben. Das hat die Realität immer In dem fachlich-sachlichen Teil seines Vortrags wieder bewiesen. bezweifelt HaCohen die Prämisse, dass kürzere Verteidigungslinien in Judäa und Samaria im Vor dem Hintergrund der wenigen siedlungsspezi- Sicherheitsinteresse Israels liegen. Eine größere fischen Argumente mit Sicherheitscharakter sind Anzahl von Berührungspunkten könne für die Gershon HaCohens Ausführungen im Rahmen stärkere Seite sogar von Vorteil sein, denn dort einer Vortragsreihe unter dem Titel „Was ist an könne Israel sich seiner Stärke bedienen. Die Be- nationaler Sicherheit national?“ von besonderer fürworter des einseitigen Rückzugs aus dem Ga- Bedeutung. HaCohen ist General der Reserve. zastreifen hätten sich 2005 viel von einer Seine Argumentation wird von bestimmten Sied- Verkürzung der Verteidigungslinien versprochen, lerkreisen gern übernommen. Doch richtet sich ruft uns HaCohen ins Gedächtnis. Allerdings be- HaCohen vor allem an diejenigen, die die Not- legt er nicht, weshalb deren damalige Haltung wendigkeit von Siedlungen bezweifeln, die in seine heutige Position bestärken soll. HaCohen Siedlungen, insbesondere in den Siedlungen an scheint vor allem auf die negative öffentliche Mei- der Konfrontationslinie, eine Belastung für die Si- nung gegenüber den Konsequenzen von Israels cherheit sehen und meinen, sie würden Sicher- einseitigem Rückzug aus dem Gazastreifen zu heitskräften die Arbeit erschweren.80 vertrauen, um die Argumente derer zu zerschla- 82 In seinem Vortrag unterscheidet HaCohen zwi- gen, die damals für den Rückzug gewesen sind. schen wertorientierten Dimensionen und fachli- Das Resultat des Rückzugs aus dem Gazastrei- chen Argumenten. Bei näherer Betrachtung der fen würde nämlich, wie oben ausgeführt, ausge- rechnet die Position derer stärken, die sich für eine Verkürzung der Grenzlinien aussprechen. 79 Für ein Beispiel zur Position der Rechten in diesem Zusammen- Seit dem israelischen Rückzug aus dem Gaza- hang siehe: Meida Webseite: „Hoffnung, nicht Verzweifelung führt zu Terror“, Oktober 2016: http://bit.ly“2mSClyX. 80 Gershon HaCohen, „Was ist an nationaler Sicherheit national?“, University on Air, Modan Verlag und Verteidigungsministerium, 81 Ebd. S. 110. 2014, S.99. 82 Ebd., ebed.

SPOTLIGHT – 2017 27 MOLAD – The Center for the Renewal of Israeli Democracy | ISRAELS SICHERHEIT UND DIE SIEDLUNGEN streifen im Jahr 2005 ist die Zahl der Israelis, die tet.85 HaCohens Vortrag führt in eine ideologische Opfer von Terroranschlägen aus dem Gazastrei- Debatte über die Rolle des Staates. Hat der staat- fen geworden sind, nämlich um 60 Prozent zu- liche Rahmen seinen Bürgern zu dienen oder ha- rückgegangen. 83 Das von HaCohen angeführte ben die Bürger ihrem Staat zu dienen? Im Argument gegen eine Verkürzung der Grenzlinien Rahmen ihres Pflichtwehr- und Reservedienstes stammt übrigens aus einem anderen Kontext, bei verbringen Israelis viele Jahre ihres Lebens mit dem es um militärische Auseinandersetzungen der Wahrung der Sicherheit ihres Landes. Sollte geht, bei denen sich Armeen gegenüber stehen. nicht der Staat in den verbleibenden Teilen ihres Dies ist jedoch nicht das Problem, mit dem sich Lebens dafür sorgen, dass sie sich frei entwickeln die IDF in Judäa und Samaria auseinanderzuset- können? Sicherlich sollten sie nicht auch noch den zen hat. Im Westjordanland muss die IDF die vie- Rest ihres zivilen Lebens mit der Unterstützung des len zivilen Punkte entlang einer langen Grenzlinie Militärs verbringen. schützen, die alle lebenswichtig sind und von de- nen kein einziger vernachlässigt werden darf.84 Die Siedlungen, so HaCohen, ergänzen die Trup- pen. Sie haben vor allem da ihre Funktion, wo die Die Gefahren für das israelische Hinterland seien IDF außerstande ist, die Gebiete zu halten. Sied- vielschichtig. Deshalb bedürfe es einer zivilen Be- lungen würden eine ‚Libanonisierung‘ der West- reitschaft. Im fachlich-sachlichen Teil seiner Aus- bank verhindern, womit HaCohen das führungen unterstreicht HaCohen in diesem Heranwachsen eines starken Feindes meint, der Zusammenhang die Bedeutung, die Siedlungen in die Mobilität in den Gebieten erschwere. Die Sied- Sicherheitsfragen zukommt. Die Annahme, die lungen gewährleisten eine Kontrolle über die IDF könne sich den Sicherheitsbedrohungen al- Westbank, die die IDF aufgrund begrenzter Trup- lein stellen, sei falsch. HaCohens Einschätzungen penstärke nicht leisten kann. Die IDF kann vor Ort basieren allesamt auf seiner kategorischen Wei- nicht die erforderliche Präsenz demonstrieren. gerung, zwischen zivilen Auseinandersetzungen Und ohne die Präsenz von Zivilisten würden an und militärischen Kämpfen zu trennen. Seine Verkehrsachsen Sprengsätze gelegt werden, wie Aussagen sind allgemeiner Natur und sprechen das im Südlibanon der Fall gewesen ist. von der Bereitschaft des Hinterlands, statt sich spezifisch auf die Siedlungen im Westjordanland Bei HaCohens Sicherheitsargumenten handelt es zu beziehen. sich im Grunde um in eine Sicherheitssprache verpackte ideologische Argumente. Seine restli- HaCohens Argumente entstammen keiner fun- chen Argumente basieren entweder auf irrelevan- dierten, rationalen Sicherheitskonzeption, sondern ten Vergleichen oder lassen sich faktisch nicht sind Teil einer von Werten geprägten Position. belegen. Zwar liege die Aufgabe von Sicherheitskräften in demokratischen Ländern beim Schutz von Zivilis- Für HaCohen unterscheidet sich die Lage der ten, denen ein Leben in Frieden ermöglicht wer- Westbank von der Situation im Libanon vor allem den soll. Doch widerspricht HaCohen dieser in durch die Präsenz israelischer Zivilisten. Sonsti- allen westlichen Ländern üblichen Sichtweise we- ge, ganz wesentliche Unterschiede, die es der nig später, indem er die Verwischung ziviler und Hisbollah möglich gemacht haben, die von der militärischer Verantwortungsbereiche befürwor- israelischen Armee benutzten Verkehrswege mit Sprengsätzen zu versehen, werden ignoriert. So hat Israel im Südlibanon beispielsweise nicht über geheimdienstliche Informationen wie in der West- 83 Die Gegner des Rückzugs aus dem Gazastreifen stellen einen bank verfügt. Denn Zadal, die südlibanesische Bezug zwischen der Tsuk Eitan Offensive und ihren schlimmen Fol- gen her. Diese Schlussfolgerungen sind nicht so zwangsläufig, wie Armee, mit der Israel mit Südlibanon zusammen- sie glauben machen. Offensive und Kriegsverlauf sind eher auf das gearbeitet hat, hat das Land nicht beherrscht. Au- Verhalten der israelischen Regierung in nächster Vergangenheit ßerdem hat die israelische Armee nicht den zurückzuführen. Siehe auch Artikel von Assaf Sharon: „Tsuk Eitan. gesamten Libanon, sondern nur einen schmalen Das Ende der Illusion des Konfliktmanagements“, Sicherheitsstreifen im Süden besetzt. Im Gegen- http://bit.ly/ixTTybT. Siehe auch Ben Sasson Gordis: „Die Sicher- heitsbilanz des Rückzugs aus dem Gazastreifen. satz zum Libanon sind die palästinensischen http://bit.ly/2bhtoxM. 84 Oberstleutnant Avi Dehan: „Verteidigung im Zeitalterm kleinerer Konfrontationen“, August 2005. http://bit.ly/2nHjbu. 85 HaCohen, S. 102.

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Streitkräfte die wesentliche Macht der Westbank, rungen gewandelt. 89 Seit 2014 ist die absolute die selbst in politisch höchst angespannten Zeiten Ruhe, die die Region charakterisierte, 90 wieder konsequent mit Israel zusammenarbeitet.86 Hinzu etwas eingebrochen, doch hat der Terror in der kommt, dass die terroristische Infrastruktur in der Region nicht annähernd die Dimensionen wie zu Westbank sehr schwach ist und die IDF überall Zeiten der Intifada. Sowohl die regionale Leitung dort, wo es notwendig ist, aktiv wird. Im Anschluss wie auch die palästinensische Behörde kämpfen an die Neustrukturierung wird es Aufgabe der is- energisch gegen Anschläge auf Israel.91 Anhand raelischen Sicherheitskräfte sein, die gegenwärtig dieses Beispiels wird erkenntlich, dass nicht die in den Gebieten herrschende Situation zu stärken, Siedlungen in der Gegend von Jenin, sondern um nicht wieder bei Null anzufangen. Die IDF pro- ihre Räumung den Terror bekämpft hat. Der Ab- fitiert heute von den im Allon-Plan genannten zug der Siedler hat nicht zu vermehrten Angriffen Punkten. Sie werden auch nach der zivilen Um- auf israelische Soldaten oder Zivilisten geführt. strukturierung entlang des hier vorgeschlagenen Ganz im Gegenteil. Der Abzug der Siedler hat das Modells weiterbestehen. 87 Angenommen, dass Modell Jenin möglich gemacht und den Weg für HaCohens Argumentation zutreffen sollte und wirtschaftliche, teils gemeinsame israelisch- dass die Existenz bestimmter Siedlungen Israel palästinensische Projekte geebnet, die der Bevöl- einen taktischen Vorteil gibt, so ließen sich dort kerung die Motivation, Anschläge in der Gegend solange noch Soldaten stationieren, wie Israel zu verüben, genommen hat. noch die Gebiete kontrolliert. Viele von HaCohens Sicherheitsargumenten sind Der Norden von Samaria kann uns als Testfall im Grund ideologischer Natur und nur im Sicher- dienen. Dort hat die Reduzierung der Siedler nicht heitsjargon formuliert. Wenige seiner Argumente zum Anstieg von Terror geführt. Während der beziehen sich tatsächlich auf Sicherheitsaspekte. Zweiten Intifada war Jenin Zentrum der Selbst- Damit nimmt er unter den Befürwortern der Sied- mordattentäter und eines der Terrorzentren der lungen eine Sonderposition ein. HaCohens Dar- Westbank. 2002, während der Operation Schutz- stellungen ziehen irrelevante Vergleiche wall, war die Stadt schwer umkämpft und Syno- (Libanon). Ihnen fehlt es an einer faktischen nym für den palästinensischen Terror. Als sich Grundlage (Jenin). Somit scheint es uns gerecht- Israel einseitig aus dem Gazastreifen zurückzog, fertigt, dass wir uns mit diesem Dokument der wurden auch vier isolierte Siedlungen im nördli- Mehrheitsmeinung unter Sicherheitsexperten an- chen Samaria geräumt. Der Abzug der Siedler hat schließen, die HaCohens Position nach sorgfälti- ein großes palästinensisches Gebiet geschaffen, ger Prüfung des Sachverhalts zurückgewiesen in dem die IDF nun ohne die Präsenz der israeli- haben. schen Zivilbevölkerung tätig ist. Aus der Zusam- menarbeit zwischen Israel und der Palästinensischen Autonomiebehörde unter Sa- lam Fayad ist 2008 das Modell Jenin entstanden. Jenin ist zu einem Vergnügungszentrum für Pa- lästinenser und israelische Araber geworden. Der Terror ist drastisch gesunken.88 „Jenin hat Modell- charakter“, schreibt die israelische Koordinie- rungsstelle in den Gebieten. „Die Stadt hat sich vom Terrorzentrum zu einer entwickelten Stadt mit vielen wirtschaftlichen und zivilen Verände-

86 Defense News: „Keeping ISIS Out Of Palestine“, Januar 2016. http://bit.ly/1KnwsBq 87 Sollten weniger oder keine Palästinenser mehr nach Israel kom- men, wird sich dies negative auf das Sammeln nachrichtendienstli- 89 Nrg: „Das Modell Jenin: Von Terrorzentrum zu aufblühender cher Informationen auswirken. Doch sobald die israelische Armee Stadt“, Juli 2010. http://bit.ly/2mRMUZP. nicht mehr Hunderttausende von Siedler bewachen muss, wird sich 90 http://bit.ly/2nCQEq3. The Times of Israel: Qabatiya finds itself auch der Bedarf an diesen Informationen ändern. back on the terror map”, Februar 2016. 88 : „Jenin: Von der Hauptstadt des Terrors zur Stadt der 91 Yedioth Ahronoth: „Ohne Messer“, März 2017. Markennamen“, April 2010. http://bit.ly/2mSbytt. http://bit.ly/2odL85H.

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