16 er Nr. 11 März1998 6. Jahrgang

LA 000 F/ 59 1,

Herausgegeben von Gerhard Leuschner und Gerhard Wittenberger ForumForum Supervision - www.beratungundsupervision.de KA

FoRuM Supervision Inhalt 6. Jahrgang, Heft 11, März 1998

Herausgeber: Vorwort Gerhard Leuschner und Gerhard Wittenberger Beiträge Redaktion: a Thomas Behler (Essen) — Werner Bohnert (Harsewinkel) — Klaus-Peter Krahl (Lauterbach) Mechthild Zeul — Angelica Lehmenkühler-Leuschner (Münster) — Franz Leinfelder (Wiesbaden) — Inge Die Supervisionsbeziehung im Spiegel der Balint-Gruppe Zimmer (Wiesbaden) Franz Leinfelder Verantwertliche RedakteurInnen für Heft 11: Der Gruppenprozeß in der Balintgruppe. Zur Integration Franz Leinfelder, Sauerbruchstr. 3, 65203 Wiesbaden gruppendynamischer Elemente Inge Zimmer, Sauerbruchstr. 3, 65203 Wiesbaden in ein psychoanalytisches Konzept 22 Ständige MitarbeiterInnen: Angelica Lehmenkühler-Leuschner Max Bartel (Biel) — Maria Barutzky-Jürgens (Dortmund) — Annemarie Bauer () Die institutionsanalytische Balintgruppe: Zum Verstehen — Sabine Behrend (Bielefeld) — Annette Bertrams (Kandern) — Albert Bremerich-Vos psychosozialer Dynamik des Unbewußten in beruflich- (Aachen) — Ursula Dennig (Gelsenkirchen) — Paul Fortmeier (Odenthal) — Renata Fox institutionellen Situationen 33 Düsseldorf) — Elisabeth Gast-Gittinger (Neuenbürg) -- Jörg Gogoll (Marburg) — Elfi Gorges Krefeld) — Bernadette Grawe (Warburg) — Katharina Gröning (Essen) — Antonius Holz Barbara Wiese (Haltern) — Angela Klüsche (Freiburg) — Mechtild Midderhoff (Pratjau) — Eva Motamedi (Mühltal) — Jürgen Peters (Düsseldorf) — Sabine Reese (Odenthal) — Renate Reuß-Schroeder „. und jetzt auch noch die Balintgruppe!“ (Klein-Wesenberg) — Helmut Schlosser (Göttingen) — Michaela Schumacher (Köln) — Zur Funktion von Balintgruppen in der Supervisionsausbildung 58 Siegfried Sommer (Emden) Peter Musall Redaktionsanschrift: Balintgruppenarbeit — ein p s y c h o a n a l y t i s c h e s Supervisionskonzept. FORUM SUPERVISION, Emsstr. 58, 48145 Münster Anmerkungen z u r Ausbildung von BalintgruppenleiterInnen 69

Verantwortlich für die Rubrik „Neue Projekte“: Gerhard Leuschner und Gerhard Wittenberger Dr. Werner Bohnert, Reichenbacher Str. 14, 33428 Harsewinkel Verantwortlich für die Rubrik „Rezensionen“: Balintgruppenarbeit im psycho-sozialen Feld Thomas Behler, Lohmühiental 37, 45276 Essen der Sozial- und Bildungsarbeit 79 Verantwortlich für Veranstaltungsankündigungen: Inge Zimmer, Sauerbruchstr. 3, 65203 Wiesbaden Mario Erdheim Die Hintergründe drängen sich (un-)heimlich auf. Erscheinungsweise und Bezug: Zur Dimension der Unbewußtheit i n institutionellen Vorgängen 97 FORUM SUPERVISION erscheint halbjährlich (März undOktober). Preis des Einzeiheftes: DM 18,— Interview Jahresabonnement: DM 28,- (2 Hefte) zuzüglich Versandkosten. Das Abonnement verlängert sich jeweils um 1 Jahr, wenn es nicht bis zum 31.12. des Ein Gespräch über Michael Balint mit Margarete Mitscherlich-Nielsen 107 laufenden Jahres gekündigt wird. Bestellungen nimmt jede Buchhandlung entgegen oder der Verlag. Rezensionen 117

Verlag: AutorInnen UB BIELEFELD 126 edition diskord, Schwärzlocher Str. 104/b, D-72070 Tübingen Vorschau 16674267168 83°99 127 Herstellung: Computer-Satz: Arıne Schweinlin, Tübingen

V e a t u n g n PN 28 Druck: Fuldaer Verlagsanstalt un © 1998 edition diskord, Tübingen ISSN 0942-0045 ForumForum SupervisionSupervision -- www.beratungundsupervision.de

Vorwort 3

Vorwort zichten, auch weiterhin unsere eigenen supervisorischen Konflikte in einer Balintgruppe zu analysieren. Das Thema war uns also vertraut und inter- essierte uns aus unterschiedlichen Rollen. Wir freuen uns, daß die vielfälti- Ihren Namen hat die Balintgruppe von Michael Balint, einem ungarischen gen Aspekte dieser Gruppenarbeit durch die verschiedenartigen Schwer- Arzt und Psychoanalytiker, der gemeinsam mit seiner Frau Enid in den 50er punkte der einzelnen AutorInnen in diesem Heft repräsentiert sind: Die Jahren an der Tavistock Clinic in Diskussions- und Forschungs- historische Einbettung von Balintgruppen für Ärzte und von Balintgruppen gruppen für Ärzte leitete, in denen Fälle aus den ärztlichen Praxen der für SupervisorInnen, das psychoanalytische Konzept von Übertragung und TeilnehmerInnen besprochen wurden, um die psychischen Probleme der Gegenübertragung, konzeptionelle Erweiterungen durch Gruppendynamik Patienten besser zu verstehen und dieses Verstehen therapeutisch zu nutzen. und Institutionsanalyse, Balintgruppen als Bestandteil der Supervisoren- Inzwischen hat sich die Methode der Balintgruppe auch außerhalb der ausbildung und ein Ausbildungskonzept für BalintgruppenleiterInnen. Medizin in vielen Berufsbereichen, in denen eine professionelle Gestaltung Ein wesentliches Anliegen von Balintgruppen ist es, Unbewußtes einer Beziehung wesentlicher Inhalt ist, aufder ganzen Welt etabliert. bewußt zu machen, um zu verstehen, was in der Beziehung zwischen In die supervisorische Szene wurde sie 1976 an der GHK Kassel SupervisorIn und SupervisandInnen eine produktive Zusammenarbeit eingeführt. Dort gab es im Zusatzstudiengang „Supervision für soziale behindert. Mechthild Zeul stellt in ihrem Aufsatz dar, wie die Deutung der Berufe“ eine Kommission Supervision, in der Gerhard Wittenberger die Übertragungsbeziehung und unauflösbar damit verbunden die Nutzung der Idee entwickelte, Balintgruppen als Forschungsinstrument für Lehrsupervi- Gegenübertragung (das zentrale Mittel ihrer Wahl zum Verständnis fremd- sion zu nutzen. Dieter Eicke, ein Balintschüler, setzte diese Idee in die Tat psychischen Verstehens in der Psychoanalyse) auf die Balintgruppe über- um und leitete von 1976 an viele Jahre im Rahmen der Supervisoren- setzt werden kann. Sie vermittelt einen anschaulichen Eindruck von der ausbildung eine Balintgruppe für LehrsupervisorInnen. Gerhard Leuschner Möglichkeit, unter Nutzung der Gegenübertragung den unbewußten Grup- führte dann einige Zeit später im Einvernehmen mit dem damaligen penprozeß zu deuten und auf diesem Weg die Reinszenierung der Supervi- geschäftsführenden Direktor Wolfgang Weigand Balintgruppen für Aus- sor-Supervisanden-Beziehung zu erkennen und zu verstehen. bildungskandidatInnen einer Supervisorenausbildung an der Akademie für Im Anschluß an diese grundlegende Beschreibung des psychoana- Jugendfragen in Münster ein. Gerhard Leuschner und Gerhard Wittenber- lytischen Instrumentariums in Balintgruppen weisen Franz Leinfelder und ger waren dann auch die ersten Balintgruppenleiter in einer solchen Angelica Lehmenkühler-Leuschner mit ihren Texten auf methodische Ausbildungsgruppe, die selbst Supervisoren waren und die im DAGG mit Erweiterungen des Konzeptes für Balintgruppen mit SupervisorInnen hin. Eicke entwickelten Kriterien für Balintgruppenleiter erfüllten. Franz Leinfelderbegründet, warum es auch in psychoanalytisch orientier- In dieser Zeit gab es heftige Kontroversen, ob Balintgruppen nicht den ten Gruppen Situationen geben kann, die sinnvollerweise gruppendyna- Psychoanalytikern vorbehalten bleiben müßten, ob Balintgruppen, die um misch betrachtet und geklärt werden sollten, und er illustriert dies an zwei eine institutionsanalytische und gruppendynamische Dimension erweitert Szenen aus Ausbildungsgruppen für SupervisorInnen. wurden, überhaupt noch Balintgruppen genannt werden durften, ob dies Angelica Lehmenkühler-Leuschner betont mit ihrer Arbeit die Bedeu- das Konzept grundlegend verändere oder nur erweitere u.ä. m. Die mögli- tung des institutionellen Kontextes supervisorischer Szenen und die Not- chen unterschiedlichen Antworten auf diese Fragen implizieren unter- wendigkeit, supervisorische Konflikte in ihrer persönlichen und institutio- schiedliche Entscheidungen, etwa für die geforderten Kompetenzen von nellen Bedeutung zu analysieren, um so den subjektiven Faktor in seinen BalintgruppenleiterInnen in der Supervisorenausbildung. So gibt es Aus- institutionellen Zusammenhängen zu deuten. bildungsinstitute, in denen Balintgruppen von Psychoanalytikern geleitet Die beiden folgenden Aufsätze setzen sich mit Ausbildungsfragen werden, während z.B. im FIS ausschließlich SupervisorInnen mit psycho- unterschiedlicher Art auseinander. Barbara Wiese reflektiert die Bedeutung analytischer und gruppendynamischer Kompetenz die Balintgruppen im von Balintgruppen als Ausbildungsangebot im Rahmen der Supervisoren- Rahmen der Ausbildung leiten. ausbildung und bewertet diese als wichtige Unterstützung bei der Entwick- Bei den Vorbereitungen zu diesem Heft wurde uns bewußt, daß Balint- lung einer supervisorischen Identität und der damit einhergehenden Er- gruppen von Anfang an unsere supervisorische Tätigkeit begleiteten. kenntnis, daß man sich als SupervisorIn in einen „unendlichen“ Lern- und Inzwischen leiten wir selbst Balintgruppen, ohne deshalb darauf zu ver- Veränderungsprozeß begeben hat. ForumForum SupervisionSupervision -- www.beratungundsupervision.de 4 Vorwort

Das Anliegen, BalintgruppenleiterInnen für die Arbeit mit SupervisorIn- Mechthild Zeul nen auszubilden, war Inhalt einer Kommission im DAGG unter Leitung von Dieter Eicke. Dort scheiterte die Entwicklung einer solchen Aus- bildung an unterschiedlichen berufspolitischen Interessen der Berufsgrup- Die Supervisionsbeziehung im Spiegel der Balint-Gruppe pen. Danach wurde in Absprache zwischen Dieter Eicke, Gerhard Leu- schner, Wolfgang Weigand und Gerhard Wittenberger eine Ausbildung zum Balintgruppenleiter für SupervisorInnen an der Akademie für Jugend- Zusammenfassung: Die Autorin vertrittdie Auffassung, daß die Gruppe, (die fragen geplant. Aufgrund einer schweren Erkrankung von Dieter Eicke und Analytikerin) und der vortragende Supervisor die unbewußte Beziehungs- struktur reinszenieren, die sich ursprünglich zwischen ihm und seinem Klienten institutionellen Trennungen wurde auch dieses Projekt nicht weitergeführt. hergestellt hatte. Mit Hilfe der Gegenübertragung deutet die Analytikerin den Geblieben sind aus dieser Zeit die in der DAGG-Kommission entwickelten unbewußten Gruppenprozeß. Die Autorin konkretisiert dieses methodische Qualitätsstandards für BalintgruppenleiterInnen. Vorgehen anhand von Fallmaterial. Peter Musall beschreibt in seinem Aufsatz die Rolle des Balintgruppen- leiters als eine „dienende“ Rolle, die eine psychoanalytische Grundhaltung und ein damit verknüpftes hohes Maß an Wahrnehmungs-, Einfühlungs- 1. Vorbemerkung und Verstehenspotential braucht. Wie diese Kompetenzen im Burckhardt- Haus erworben werden können, stellt er anhand des dort praktizierten Dievon Balint insbesondere in den fünfziger Jahren inaugurierten Gruppen Ausbildungsmodells dar. mit praktischen Ärzten, die der Erforschung dieses konkreten Berufsfeldes Zwei Beiträge in diesem Heft weisen auf die historische Dimension hin. und der Ausbildung der Ärzte für das Verständnis bewußt und unbewußt Margarete Mitscherlich-Nielsen läßt uns in dem Interview zu Michael ablaufender seelischer Prozesse zwischen sich und ihren Patienten dienten, Balint ein wenig teilhaben an den Londoner Jahren, in denen Michael und fanden innerhalb der deutschen Psychoanalyse, zunächst insbesondere im Enid Balint in einer psychoanalytisch an- und aufregenden Umgebung ihre Frankfurter Sigmund-Freud-Institut, damals noch unter der Leitung Alex- Forschungsgruppen für Ärzte durchführten. Daß dabei am Rande auch ander Mitscherlichs, eine begeisterte Aufnahme. Neben den Gruppen für Margarete und Alexander Mitscherlich und andere uns ausder Literatur praktische Ärzte boten das Sigmund-Freud-Institut und niedergelassene bekannte Pioniere der Psychoanalyse sichtbar werden, macht das Interview Analytiker auch Balint-Gruppen für Theologen, Lehrer und Juristen an zu einem interessanten Stück Psychoanalysegeschichte. (vgl. insbes. Argelander, 1972).' Die Einrichtung von Balint-Gruppen ist In der Geschichte der Supervision und der Balintgruppen für Superviso- prinzipiell überall dort indiziert, wo es in der Berufsausübung zu zwischen- rInnen ist der Aufsatz von Gerhard Leuschner und Gerhard Wittenberger menschlichem Austausch innerhalb einer je spezifischen institutionellen ein wichtiges Dokument. Es ist die überarbeitete Fassung eines Vortrages, Einbindung kommt. Eine Analyse dieser beruflich bedingten Beziehung der bereits im Supervisionskurs 1981-1983 der Akademie für Jugendfragen offenbart nicht selten einen unbewußt wirksamen Konflikt, der die Zu- gehalten wurde. Sowohl die Begründungen, mit denen die Autoren Balint- sammenarbeit von zwei Personen oder Gruppen erschwert. gruppen als spezifische Methode der Supervision ausweisen, als auch ihre Es ist insbesondere Argelanders (vgl. 1972) Verdienst, anhand von berufspolitischen Reflexionen scheinen uns wenig von ihrer Aktualität ausführlichen Tonbandprotokollen sein Vorgehen bei der Interpretation der eingebüßt zu haben. Beziehung zwischen dem praktischen Arzt und seinem Patienten — er stellt Das Heft wird abgerundet durch einen Aufsatz von Mario Erdheim, der nur eine Theologen-Gruppe vor — dargelegt zu haben. Er unterscheidet zwar nicht spezifischen Bezug zu Balintgruppen nimmt, aber mit seiner streng zwischen dem sich entwickelnden vorbewußten und bewußten Auseinandersetzung mit der Dimension der Unbewußtheit in institutionellen Lernprozeß und dem unbewußten Gruppenprozeß und betont, daß letzterer Vorgängen nahtlos anschließt an die Diskussion der konzeptionellen Erweite- nicht Gegenstand der Analyse in Balint-Gruppen sein könne. Wie später rung des Balintschen Konzeptes durch institutionsanalytische Elemente. auszuführen sein wird, nehme ich eine solche Unterscheidung nicht vor, im Gegenteil, ich vertrete die Auffassung, daß mit Hilfe der Deutung des Franz Leinfelder Inge Zimmer unbewußten Gruppenprozesses das Verständnis für das unbewußte Bezie- hungsgeschehen zwischen dem vortragenden Supervisor und seinem ForumForum SupervisionSupervision -- www.beratungundsupervision.de Die Supervisionsbeziehung im Spiegel der Balint-Gruppe 7

6 Mechthild Zeul

Klienten oder seinem Ausbildungskandidaten möglich wird. Die Stellen, an untereinander erfüllte mich mit Sorge, obgleich ich darinprinzipiellkein denen der unbewußte Gruppenprozeß scheinbar den Lernprozeß zu hindern Hindernis für unsere zukünftige Arbeit sah. Trotzdem fürchtete ich zu- scheint, sind für mein Dafürhalten die wertvollsten. Die konsequente nächst, daß die vielfältigen „außergruppalen“ Beziehungen unsere Arbeit in Analyse des hier sich aufbauenden Widerstands führt zu einem erweiterten, der Gruppe negativ beeinflussen könnten. Im Laufe der gemeinsamen neuen Verständnis des unbewußten Arrangements zwischen dem Supervi- Arbeit stellte sich jedoch diese Beunruhigung als unbegründet heraus. sor und seinem Klienten. Es war Freud, der erkannte, daß die Deutung des Offenbar wirkten sich die überwiegend positiv gefärbten Beziehungen, die Widerstands in der Übertragung zu einer Bereicherung analytischen die Gruppenmitglieder außerhalb unserer Sitzungen miteinander verbanden, Verstehens führte. Ich möchte hinzufügen, daß Ähnliches fürdie Gegen- prinzipiell eher positiv auf die Gruppenarbeit aus im Sinne der Herstellung übertragungswiderstände zutrifft, die es nicht aus dem Wege zu räumen von Identifizierungen untereinander und mit mir in meiner Rolle als oder zu überwinden gilt, die vielmehr konsequent in den Verstehensprozeß Leiterin. Die hohe Identifizierungsbereitschaft, gepaart mit einer starken einzubeziehen sind. bewußten und unbewußten Motivation, unbewußt wirksame Prozesse Die Gruppe, von der ich heute berichten werde, besteht seit ca. 8% aufzuklären, die die supervisorische Arbeit mit Ausbildungskandidaten und Jahren. Sie trifft sich regelmäßig ungefähr sechs bis sieben Male im Jahr mit Klienten behinderten, stellten eine wesentliche Voraussetzung für das in meiner Praxis in . Sie besteht aus 8 Teilnehmerinnen und Gelingen meiner interpretativen Deutungsarbeit dar und ermöglichten die Teilnehmern, die überwiegend als Lehr-Supervisoren in der Ausbildung Entstehung eines kreativen Lernprozesses. Die Gruppenteilnehmer ihrer- und in eigener Praxis tätig sind. Eine Teilnehmerin ist Ärztin in freier seits setzten sich mit meiner eher aktiv zupackenden, aber gänzlich un- Praxis und eine andere Gymnasiallehrerin. Die Zusammensetzung ist im autoritären interpretatorischen Vorgehensweise auseinander, die sie im Verlauf der vielen Jahre immer gleich geblieben. Die berufliche Nicht- Verlauf unserer langjährigen Arbeit schätzen lernten und mit der sie sich, Homogenität der Gruppe hat sich fürdie Fallarbeit nicht als nachträglich einige mehr undandere weniger, identifizierten. Ich kann mit Recht sagen, erwiesen, im Gegenteil, sie ist von den Teilnehmern vielmehr als Bereiche- daß die Gruppe ein Klima entwickelte, in dem sich der einzelne an- und rung empfunden worden. Neugierig und interessiert, machten sich die aufgehoben fühlte. Dieses positive Gruppenmilieu ermöglichte dem Vor- tragenden, Situationen, die er als beschämend erlebte, mit Hilfe der Deu- Supervisoren kundig, was sich in einer ärztlichen Praxis und im Kollegium einer großen Schule an zwischenmenschlichen und institutionellen Kon- tung des unbewußten Gruppenprozesses in Einsicht in seine unbewußte flikten bewußt und unbewußt zutrug und umgekehrt lernten die Ärztin und Verwicklung mit dem Klienten umzuwandeln, so daß ein kreativer Lern- die Lehrerin die Praxis der institutionell organisierten Supervision kennen. prozeß entstand. Es kam immer wieder vor, daß ein Vortragender unbe- Die Nicht-Homogenität der Gruppe stellte allerdings an die Fähigkeit, wußt das Abwehrverhalten seines Klienten mitmachte und es auch noch Bereitschaft und die Flexibilität der Analytikerin, ihre Wahrnehmungsein- „unbekümmert“ in der Gruppe reproduzierte und erst im Verlauf der stellung den Gegebenheiten der verschiedenen Berufsfelder anzupassen, gemeinsamen Aufklärungsarbeit sich dieser unbewußten Identifizierung erhöhte Ansprüche. Da das Verständnis der unbewußt konstellierten bewußt wurde. Konfliktsituationen — und darum handelte es sich überwiegend in unserer Gruppenarbeit — sich eingebettet in die je berufliche Praxis vollzieht, 2. Die Bedeutung von Übertragung und Gegenübertragung mußte sich meine Wahrnehmung auch auf die konkrete Berufssituation richten, in der sich der oder die Vortragende befand. für die Deutung des Gruppenprozesses Vom Beginn unserer gemeinsamen Arbeit an etablierte sich ein wech- selseitiger Lernprozeß zwischen den Gruppenmitgliedern und mir. Für In jedem menschlichen Beziehungsaustausch laufen beständig Übertra- mich bedeutete der Umstand, daß sich die Gruppe als Ganze an mich gungssprozesse ab. Es ist bekanntlich das Verdienst Freuds, die Entwick- gewendet hatte und ich nicht, wie ich dasaus meiner eigenen psychoanaly- lung der Übertragung in der psychoanalytischen Behandlung systematisch tischen Praxis mit Gruppen kannte, die einzelnen Teilnehmer aussuchte, beobachtet und ihre Deutung im Dienst des Verstehens von fremdpsychi- eine neue Erfahrung, der ich interessiert abwartend gegenüberstand. Die schem, unbewußt determiniertem Erleben systematisch verwendet zu Existenz einer Fülle vonberuflichen und persönlichen, teilweise langjäh- haben. Fetscher (1997) verweist einerseits auf die Verankerung des Freud- schen Verständnisses von Übertragung in äußerer Realität, die sich in der rigen Kontakten der Mehrzahl der Mitglieder der neu gegründeten Gruppe ForumForum SupervisionSupervision -- www.beratungundsupervision.de 8 Mechthild Zeul Die Supervisionsbeziehung im Spiegel der Balint-Gruppe 9

Realitätsunangemessenheit der Übertragung (ebd., S.200) manifestiere und Haß reagiert hatte. Um nun diese durch die professionell hergestellte auf ihre genetische Ausrichtung. Daß Übertragung in Gang kommt, geht Lockerung der eigenen Abwehr im Bewußtsein erfahrbaren Gefühle für auf die Wirksamkeit unbewußt virulenter, verdrängter infantiler Wünsche das Verständnis unbewußter Vorgänge im anderen einsetzen zu können, und Phantasien zurück, die sich in der Übertragung in entstellter Form bedarf es einer mühevollen Übersetzungsarbeit von eigenem unbewußtem manifestieren. In Gruppenprozessen laufen selbstverständlich auch bestän- in unbewußtes Erleben des Patienten, um von dort ausgehend, Hypothesen dig Übertragungsprozesse ab, die sich die psychoanalytisch geschulte formulieren zu können. Nun bestimmt aber dessen Angebot, unter welcher Leiterin für die Interpretation des Beziehungsgeschehens des jeweils der verschiedenen unbewußten Motivationen die Analytikerin auszuwählen Vortragenden zunutze macht. Nun sind aber in einer Gruppe die Über- hat, die— um beim gewählten Beispiel zu bleiben — unbewußt ihren Haß tragungsprozesse vielfältiger Natur und es bedarf deshalb eines bestimmten ausgelöst haben. Sie muß in der Lage sein, zwischen unbewußten Kon- methodischen Vorgehens, um sie systematisch für das Verständnis der flikten, die durch den Kontakt mit dem Patienten in ihr mobilisiert werden, unbewußten Konfliktkonstellation verwenden zu können. zu unterscheiden und anderen, die nur mit ihrem eigenen unbewußten Im Gegensatz zu Freud ist für mich neben der Interpretation der Über- Erleben zu tun haben. Racker (1982) hat diese Prozesse behandlungs- tragungsbeziehung und tatsächlich mit dieser unauflösbar verbunden die technisch mit den Begriffen der konkordanten und der komplementären Gegenübertragung das Mittel der Wahl bei der Erkenntnis und der Deu- Gegenübertragung beschrieben und implizit auchanalog zum Freudschen tung fremdpsychischen Erlebens. Freud (1910) hatte bekanntlich die Übertragungs-Konzept einen genetischen Aspekt und das Realitätskriterium Gegenübertragung als neurotische Antwort des Analytikers auf seinen eingeführt. Im Kontext mit der komplementären Gegenübertragung hatte Patienten verstanden, die entweder als Widerstandsphänomen durchgängig Racker ausgeführt, daß der „Analysand innere Objekte des Analytikers die psychoanalytische Arbeit behindert oder aber durch bestimmte Über- vertritt (ebd., S.160) und in der konkordanten Gegenübertragung eigene tragungsangebote ausgelöst wird. Das von mir verwendete Gegenüber- Kindheitserfahrungen „als Antwort auf vom Analysanden ausgehende tragungs-Konzept geht auf den von Paula Heimann (1950) in die psycho- Reize“ (ebd., S.160) wiederhole. Während die unbearbeitete konflikthafte analytische Behandlungstheorie eingeführten weitgefaßten Gegenüber- Vergangenheit den Patienten veranlaßt, Übertragung herzustellen, so wird tragungs-Begriff zurück, der gekennzeichnet ist durch alle Antworten des die Gegenübertragung nicht durch die unerledigte Vergangenheit des Analytikers auf seinen Patienten. Heimann hatte ausgeführt: „Unsere Analytikers, sondern durch die Gegenwart, nämlich den unbewußt determi- Grundannahme besteht darin, daß das Unbewußte des Analytikers das nierten Kontakt in der psychoanalytischen Behandlung, ausgelöst. Was nun Unbewußte des Patienten versteht. Dieser unmittelbare Rapport in einer das Verhältnis der Gegenübertragung zur Realität anlangt, dann leben zwar tiefen Schicht kommt in Form von Gefühlen an die Oberfläche, die der alte, realitätsunangemessene Erfahrungen im Austausch mit dem Patienten Analytiker in Antwort auf seinen Patienten wahrnimmt, in seiner ‚Gegen- wieder auf. Die Notwendigkeit aber, sich im Sinne der Erkenntnis von übertragung‘“ (ebd., S.82). Ich möchte an dieser Stelle die Herkunft der fremdpsychischem Erleben davon zu distanzieren, gleichsam den Patienten Gefühle aus dem Unbewußten betonen, die in der Gegenübertragung im und die eigene Reaktion beobachtend einzuschätzen, situieren den Analyti- Analytiker ausgelöst werden, weil in der jüngeren Literatur häufig ein ker in ungleich umfangreicherem Ausmaß in äußerer Realität. falsches Gegenübertragungs-Konzept vertreten wird, mit dessen Hilfe, Die Verwendung von Übertragung und Gegenübertragung, so wie sie unmittelbar vom bewußten Erleben des Analytikers aufdas des Patienten uns ausder psychoanalytischen Einzelbehandlung vertraut ist zum Zweck geschlossen wird. Wenn beispielsweise in der Analytikerin im Kontakt mit. der Entschlüsselung unbewußt wirksamer, verdrängter Wünsche und dem Patienten ein Gefühl von Haß entsteht, dann verweist dieses nicht Phantasien des Patienten, soll nun auf ihre Brauchbarkeit innerhalb unserer notgedrungen auf den Haß im Patienten. Die Betonung der Herkunft der Balint-Gruppenarbeit untersucht werden. Im Verlauf der gemeinsamen Gegenübertragung aus dem Unbewußten impliziert vielmehr, daß durch Gruppensitzungen kristallisiert sich folgende Vorgehensweise heraus, die eine bestimmte Reaktion, Haltung oder Äußerung des Patienten in der ich im Anschluß an diese Ausführungen anhand von „Fallmaterial“ anrei- Analytikerin Gefühle von Haß auftauchen, die zunächst mit ihren unbe- chern und verdeutlichen möchte.” Die Aufmerksamkeit der Analytikerin ist wußten primären Objektbeziehungen verbunden sind und eigene alte, bei ihrem interpretativen Vorgehen auf die wechselseitigen Übertragungs- längst verdrängte Situationen virulent werden lassen, in denen sie aufgrund und Gegenübertragungsprozesse, diedie Beziehung des Vortragenden zu von übermäßiger Abhängigkeit oder starken Frustrationen mit kindlichem seinem Klienten bestimmen, gerichtet. Nun ist ja nicht ohne weiteres im ForumForum SupervisionSupervision -- www.beratungundsupervision.de 10 Mechthild Zeul Die Supervisionsbeziehung im Spiegel der Balint-Gruppe 11

über die Rekonstruktion Sinne eines unbewußten Evidenzerlebens verständlich, was sich zwischen Aspekt der Übertragung, der in der Einzelanalyse den beiden Gesprächspartner auf einer unbewußten Ebene zuträgt. Um infantil sexueller Wünsche und Phantasien dem je e i n z e l n e n konkreten Patienten i n s Bewußtsein gerufen wird, muß zugunsten der Interpretation Zugang zu dieser Dynamik zu gewinnen, gehe ich davon aus, daß der oder eines beziehungsgenetischen Aspekts aufgegeben werden. Die Interpretin die Informantin, die einen „Fall“ in die Gruppe einbringt, mit diesem auf interessiert s i c h demnach für d i e Geschichte des Paares, das der Gruppe vielfältige Weise, mit seinen bewußten und oder unbewußten Anteilen, mit vorgestellt wird und nicht f ü r die je einzelne Biographie der Partner. unbewußten inneren Objekten oder aber auch mit seiner Abwehr identifi- An diese Überlegungen schließen s i c h e i n e Reihe weiterer methodisch ziert ist. Der Vortragende fordert nun die Gruppe unbewußt, manchmal die wechselseitigen Ü b e r - aber auch bewußt auf, bei der Reinszenierung dieser Beziehungskonstella- technischer Fragen an. Nun werden natürlich tion mitzuwirken. Die Gruppe und der Vortragende stellen dann gleicher- tragungs und (Gegen)übertragungsprozesse des Paares gespeist aus den je maßen in gemeinsamer unbewußter Inszenierung die Beziehungsstruktur individuellen unbewußten, verdrängten und deshalb virulenten infantilen bereits weiter dar, die sich innerpsychisch vorher zwischen dem Vortragenden und Wünschen. Eine systematische Deutung — d a r a u f habe i c h ist jedoch in der Regel in der seinem Klienten hergestellt hatte. Auch ich übernehme eine Rolle als v o r n e verwiesen — dieser infantilen Szenarien Mitspielerin in dieser Aufführung, allerdings distanziere ich mich in einem Balint-Gruppe ausgeschlossen. Die vom Klienten in die Gespräche mit zweiten Schritt von meinem affektiven Eingebundensein in den Gruppen- dem Supervisor eingebrachten (infantilen) biographischen Zusammenhänge prozeß zum Zweck der Interpretation, so wie dies in der Gegenübertragung gilt es vielmehr immer als unbewußte oder bewußte Beziehungsangebote diesem Vorgehen ist nur im Dienst des Verständnisses von fremdpsychischem Erleben geschieht. zu verstehen und zu deuten. Ein Abweichen von Dieses methodische Vorgehen in der Gruppe fordert selbstverständlich dann möglich, wenn auch nach wiederholten Versuchen der Deutung des Modifikationen im Kontext mitder Wahrnehmungseinstellung der Analyti- Beziehungsgeflechts, das s i c h zwischen der Gruppe und dem Vortragenden kerin und ihrer konkreten Interpretationsarbeit im Vergleich mit der ana- hergestellt h a t t e , ein Verständnis für die unbewußt determinierte affektive Iytischen Einzelbehandlung. Der innerpsychische unbewußte Konflikt, der Verwicklung zwischen dem Supervisor und seinem Klienten ausbleibt. hier eine nur unwesentliche Darstellung außerhalb von sprachlicher Ver- Dann kann es schon e i n m a l vorkommen, daß der Gegenübertragungswider- w i r d , was natürlich die ständigung erfährt, wird in der Gruppe dramatisiert und mit verteilten s t a n d des Supervisors zum Gegenstand der Analyse mit einschließt. Diese Rollen eindringlich vorgeführt. Nun habe ich bereits darauf verwiesen, daß Rekonstruktion von infantil genetischem Material Veränderung der w e i t e r oben beschriebenen Interpretationsmethode sollte ich davon ausgehe, daß die Gruppe mit dem Vortragenden die unbewußte jedoch auf e i n Minimum beschränkt b l e i b e n . Dieses Vorgehen verlangt ein Beziehungsstruktur wiederholt, die vorher zwischen ihm und seinem untereinander Klienten bestanden hatte. Darüber bildet sich eine Übertragungsfläche, auf h o h e s Maß an Taktgefühl der einzelnen Gruppenmitglieder d i e in diedie Analytikerin mit ihrer Gegenübertragung reagiert. Da die Gruppe und Flexibilität und Einfühlungsvermögen von der Analytikerin, in Psychoanalyse aber nicht eine unbewegliche Einheit darstellt, sondern ein sich beständig solchen Augenblicken ihre Rolle als „Unterrichtende“ in Bewegung befindliches Gebilde ist, in dem die einzelnen Mitglieder verläßt und zur Therapeutin wird. immer wechselnde Rollen übernehmen, gehe ich davon aus, daß die In bezug auf die Realitätsverankerung von Übertragung l ä ß t s i c h folgen- in der s i c h Ü b e r - Gruppe nicht immer als Ganze überträgt, daß vielmehr in bestimmten kon- des formulieren: Anders als in der Einzelbehandlung, Entstehung aber insbeson- kreten Situationen einige Mitglieder sich mit der Funktion der Analytikerin tragungsprozesse zwar spontan herstellen, d e r e n der Analyse, nämlich der identifizieren und ähnlich wie diese, sich vom unmittelbaren Geschehen di- dere in Hinblick auf die Ausrichtung auf das Ziel systematisch g e f ö r d e r t stanzierend, Probeidentifizierungen formulieren. In beiden Fällen, sowohl Aufdeckung unbewußter Erlebniszusammenhänge in der Einzelbehandlung als auch in der Gruppenarbeit besteht das Ziel wird, ist die Realitätsverzerrung der Übertragungsvorgänge in e i n e r Balint- darin, das unbewußt Inszenierte in Worte zu fassen, undihm einen Sinn zu Gruppe u n g l e i c h geringer. Ihre Realitätsverankerung entspricht ungefähr dem Grad derjenigen, die s i c h in der Gegenübertragung der Analytikerin verleihen. Das Resultat scheint demnach identisch zu sein, nur der Weg, w i r d , und der zur Formulierung von Deutungen führt, ist verschieden. Aber auch das manifestiert, die durch den Kontakt mit der Gruppe ausgelöst nicht durch unbewältigte, verdrängte, nach bewußter Darstellung strebender Ergebnis der psychoanalytischen Interpretationsarbeit des Gruppenprozes- der Realitätsverzerrung ses, so wie er sich im Austausch mit dem Vortragenden konstelliert, infan t i l e r sexueller Konflikte. Der geringere Grad von Supervision unterscheidet sich von dem in der Einzelanalyse. Der individualgenetische der Übertragung h ä n g t aber auch mit der Zielsetzung ForumForum SupervisionSupervision -- www.beratungundsupervision.de 12 Mechthild Zeul Die Supervisionsbeziehung im Spiegel der Balint-Gruoppe 13

einerseits und mit der B a l i n t - G r u p p e n a r b e i t andererseits zusammen, sind len, andererseits seisie ihr auch sympathisch. Die weiteren Informationen d o c h b e i d e d a r a u f ausgerichtet, Konflikte in einem umschriebenen berufs- nahmen dann weder die Gruppe noch die Analytikerin für Frau I. ein, und institutionsbezogenen Bereich zu untersuchen. sondern brachten insbesondere einige Gruppenmitglieder, offenbar stellver- tretend für eine abgewehrte Seite in Frau F., gegen sie auf. Frau 1. sei ungeschickt in der „Akquisition“ von geeigneten Supervisanden, halte sich 3. Die Funktion der Gruppe mehr damit auf, ar Computer Prospekte für deren Anwerbung zu entwer- im psychoanalytischen Verstehensprozeß fen als das Telefon in die Hand zu nehmen oder persönliche Kontakte zu knüpfen, führte Frau F. weiter aus. Ihre Freizeit verbringe sie in einem Aus den oben angeführten Überlegungen ergibt es sich, daß der Gruppe im Fitneß-Studio, wo sie auch eine Funktion innehabe. Als sie partout keinen Erkenntnisprozeß des unbewußten Konfliktgeschehens zwischen dem geeigneten Supervisanden oder geeignete Supervisandin fand, fragte sie Vortragenden und s e i n e m Klienten eine besondere Bedeutung zukommt. kurzerhand die Vorsitzende des Studios, die Leiterin eines Gymnasiums Wie bereits weiter vorne a u s g e f ü h r t , orientiert sich die Interpretationsarbeit war, ob sie nicht ihre Supervisandin werden wollte. Diese willigte ein. der Analytikerin — dies wird auch a n h a n d des hier zusammengestellten Aber die Supervisionsstunden gestalteten sich als äußerst kompliziert, denn Materials deutlich — überwiegend an diesem s i c h unbewußt konstellieren- die Supervisandin ließ sich nichts von Frau I. sagen, redete vielmehr den Beziehungsgeschehen. beständig und wußte alles besser. In einer der letzten Supervisionsstunden Zum besseren Verständnis unseres methodischen Vorgehens s e i a n g e - habe ihr Frau I. gesagt, daß sie es mit der Gymnasiallehrerin „satt habe“, merkt, daß wir a n dem P r o b l e m , mit dem ein Vortragender oder e i n e berichtete Frau F. Diese hatte auf einem der Feste, diedie Mitglieder des Vortragende die Gruppe k o n f r o n t i e r t , immer so l a n g e arbeiten, b i s er oder Fitneß-Studios mit ihren Angehörigen in regelmäßigen Abständen feierten, s i e selbst, die Gruppe und die Analytikerin zu dem Schluß kommen, die lauthals vor den Versammelten von ihren Erfahrungen aus den Supervi- unbewußte Konfliktdynamik t a t s ä c h l i c h verstanden zu h a b e n . Manchmal sionsstunden berichtet, gleichsam zur „Gaudi“ aller Anwesenden. Als Frau e r f a h r e n wir in e i n e r späteren Sitzung, wie es nach unseren Interventionen F. dies erzählte, verstärkte sich das bereits vorher ihre Erzählung begleiten- „Weitergegangen ist“, in den meisten Fällen jedoch nicht. Es bleibt dem de, erstaunte, mißbilligende Schweigen in der Gruppe.Aus einer der jeweiligen Gruppenmitglied anheim gestellt, ob es uns in e i n e r späteren Teilnehmerinnen brach dann auch die Empörung heraus, die sich gegen Sitzung weitere Informationen gibt oder nicht. Frau F. richtete. Wie es möglich sei, daß sie diesen Unfug mitmachen könne, ob sie denn nicht ihre Supervisandin darauf aufmerksam gemacht 3 . 1 . Die Gruppe als strafendes Überich habe, sich eine für Supervision geeignete Person zu suchen. Andere Teilnehmer und Teilnehmerinnen stimmen ihr zu, offenbar habe Frau I. Bei der Festlegung der Reihenfolge der V o r t r a g e n d e n z u Beginn e i n e r nicht verstanden, was Supervision sei, meinten sie aufgebracht. Auf diese unserer Gruppensitzungen h a t t e Frau F . ihr Interesse angemeldet, u n m i t t e l - heftigen Einwände ausder Gruppe reagierte ich einerseits innerlich irritiert, bar nach der Mittagspause von e i n e r Lehrsupervisandin zu berichten. Sie weil ich fürchtete, Frau F. könne sich durch die Attacken verletzt fühlen, ließ dann a b e r zunächst e i n e r anderen Teilnehmerin den Vortritt, d i e „nur und es tauchte in mir das Bedürfnis auf, sie vor den Anschuldigungen in e i n e n kurzen Nachtrag“ z u einem bereits zwei Male besprochenen Problem Schutz zu nehmen. Gleichzeitig erinnerte ich aber auch, daß sie eingangs mit einem Klienten einbringen wollte. Ich überlegte, ob Frau F. mit i h r e m vom affenähnlichen Gang ihrer Supervisandin gesprochen hatte, worin sich Vortrag zögerte, weil s i e e t w a s zu verbergen h a t t e . T a t s ä c h l i c h mußten wir ja ein gerütteltes Maß an aggressiver Entwertung von Frau I. verbarg. Ich d a n n aus Zeitmangel d i e endgültige Klärung auf d i e nächste S i t z u n g , die sagte deshalb, es sehe so aus, als könne die Gruppe problemlos ihrer vier Wochen s p ä t e r stattfand, v e r s c h i e b e n . Aggression Ausdruck verleihen, die es auch in der Beziehung zwischen Frau F. erzählte f ü r ihre V e r h ä l t n i s s e zögernd und verhalten von i h r e r Frau F. und Frau IL gebe, die dort aber nicht ausbrechen dürfe, weil es Lehrsupervisandin. Sie s e i Geschäftsführerin in e i n e r kleinen Einrichtung sonst möglicherweise zu einem ähnlichen Streit kommen könne wie für Blinde. Vom e r s t e n Kontakt mit i h r berichtete s i e Widersprüchliches. zwischen Frau I. und ihrer Supervisandin. Einerseits sei ihr der eigenartig ungraziöse, e h e r a n e i n e n A f f e n als e i n e n Frau F. meinte darauf hin, sie empfinde tatsächlich auch Sympathie mit Menschen erinnernde Gang von Frau I, der Lehrsupervisandin, aufgefal- Frau I, die aus einfachen bäuerlichen Verhältnissen stamme, in denen der ForumForum SupervisionSupervision -- www.beratungundsupervision.de 14 Mechthild Zeul Die Supervisionsbeziehung im Spiegel der Balint-Gruppe 15

Großvater, einem unumschränkten Herrscher gleich, bestimmt habe, was darüber informieren müssen. Sie selbst schien sich schuldig dafür zu gut und was schlecht fürdie Familie sei. Ihr Vater verstarb alssie noch ein fühlen, dies unterlassen zu haben, denn sie hatte mitder Präsentation ihrer Kind war. Mit Unterstützung der Lehrer habe sie dann später ein Gymnasi- Arbeit mit Frau I, gezögert. Aber das überichhafte Auftrumpfen der um besucht und studiert. Eine Teilnehmerin schwenkte auf diese Wendung Gruppe machte mich stutzig, und ich versuchte dem Grund auf die Spur zu ein und fragte Frau F., ob Frau 1. verheiratet sei. Ja, sie sei verheiratet und kommen, der für diese Spaltung in überichhaft vorgebrachte Vorwürfe habe zwei Kinder. Aber offenbar nehme siees mit der Treueihrem Ehe- einerseits und Eigenwilligkeit andererseits verantwortlich war, denn Frau F. partner gegenüber nicht so genau. In jedem der Seminare, an dem sie hatte sich bestimmt auch etwas dabei gedacht, alssie die einmal begonne- teilgenommen habe, legte sie sich einen Liebhaber zu. Ihr Mann habe ihr ne Supervision nicht abbrach. Es schien mir deshalb wichtig, herauszufin- verboten, noch einmal ein Seminar in X. zu besuchen, denn dort habe sich den, worin diese Eigenwilligkeit wohl bestehe. eine intensive, ihm auch bekannte Liebesaffäre zugetragen. Das werfe dann Frau F. überraschte die Gruppe und mich, alssie uns in der nächsten aber ein neues Licht auf ihre Unfähigkeit der „Akquisition“ von Supervi- Sitzung einleitend darüber informierte, daß eigentlich nicht mehr viel zu sanden. Vielleicht fürchte sie, sich zu verlieben und unterließe es deshalb, besprechen sei, sie habe inzwischen eine Supervisionsstunde mit Frau 1. intensiv zu suchen, wirft eine Teilnehmerin ein. Die Gruppe beginnt nun, gehabt, in der sie mit dieser alles geklärt habe. Sie sei einverstanden damit, sich Gedanken um Frau I.s Liebesabenteuer zu machen, die scheinbar daß sieihr die 10 Stunden, die sie bereits miteinander supervidiert hatten, menschenscheue Frau, die ewig vor dem Computer sitzt, um neue Anwer- nicht anerkennen werde, und daß die offizielle Anerkennung erst dann beprospekte zu entwerfen, bekommt neue Züge. Einige Teilnehmer fragen beginne, wenn sie eine geeignete Person gefunden habe. Sie sei nunauch Frau F, ob sie sich vorstellen könnne, daß Frau I. wirklich so viele bereits auf der Suche und werde sicherlich auch bald jemanden finden. Sie Liebesaffären hatte. Als die Gruppe darüber spricht, entfaltet sich jedoch habe sich in diesem Gespräch davon überzeugen können, daß Frau I. eine keinerlei libidinöse Atmosphäre. Ich halte nun diese widersprüchlichen intelligente Frau sei — in der vergangenen Sitzung hatte eine der Gruppen- Beobachtungen gegeneinander, daß Frau F. von Frau I.s Liebesabenteuern teilnehmerinnen Zweifel an ihrer Intelligenz geäußert. Nun hatte Frau F. spreche, die Gruppe aber nicht damit anstecke, ob möglicherweise Frau L. die Überich-Haltung eingenommen und wies die Gruppe in ihre Schran- und in Identifizierung mit ihr auch Frau F. das Reden vom Fremdgehen ken. Ähnlich gescholten wie sie sich in der vorangegangenen Stunde dazu diene, von etwas Anderem abzulenken. Etwas, was mit Sympathie vorgekommen war, so schalt sie nun die Gruppe und beschuldigte sie, zwischen den beiden zu tun habe, dieses „Etwas“ wolle aber Frau F. nicht einfühlungslos mit ihr umgegangen zu sein und noch umzugehen. Sie warf preisgeben. den Gruppenmitgliedern vor, ihnen sei alles nicht recht. Sie machte dies Da sie auf meine Deutung schwieg, regte sich in der Gruppe erneut daran fest, daß einzelne Teilnehmer die Auffassung äußerten, es gehe bei Kritik. Frau F. habe doch dafür zu sorgen, ihrer Supervisandin die best- der plötzlichen Einsicht von Frau I. nicht mit rechten Dingen zu. möglichen Lernbedingungen zur ermöglichen, diese seien mit der ewig Als eine Teilnehmerin fragte, was denn nun tatsächlich passiert sei, besserwisserischen Gymnasiallehrerin sicherlich nicht gegeben. Auf diese brach es plötzlich aus Frau F. heraus. Frau I. sei ein „Arschloch“, sie habe Anschuldigungen reagierte Frau F. mit einer Mischung aus Rechtfertigung sie in diese unmögliche Situation gebracht, tatsächlich verachte sie sie aufs und Beschämung. Ja, ja, das habe sie schon getan, sagte sie eilfertig. Frau Tiefste für ihr blödsinniges Engagement im Fittneß-Studio. Außerdem habe I. werde diese unfruchtbare Arbeit beenden und denke nun daran, die sie Angst, daß sie in die (Ausbildungs-)Welt hinausposaunen könne, daß Kassiererin des Fittneß-Studios in Supervision zu nehmen. Da habe siees Frau F. eine dubiose Supervision zugelassen habe. Sie fürchte, sie könne aber mit ihr, Frau FE, zu tun bekommen. Sie habe ihr klar gemacht, daß sie ihren Ruf schädigen. Auf diesen plötzlichen Wutausbruch reagierte die damit die bereits gemachte Erfahrung mit der Vorsitzenden des Fittneß- Gruppe mit Erleichterung, plötzlich entspannte sich die Atmosphäre. Es Studios wiederholen werde. Das habe dann Frau I. auch eingesehen, sie war als hätte sie ihren Ärger dort deponiert, wohin er gehörte, nämlich bei werde nun nach einer geeigneten Person Ausschau halten. In der Gruppe Frau F. Die Entspannung und die Ruhe, die sich unter den Gruppenmit- machte sich aber weiter Unmut breit, sie gab sich mit den Erklärungen von gliedern breit machte, ermöglichte es einer Teilnehmerin daran zu erinnern, Frau F. nicht zufrieden, sie müsse doch ihre Supervisandin darüber auf- daß sie gänzlich aus den Augen verloren hätten, daß Frau I. ja als Leiterin klären, worum es bei der Supervision gehe, meinten einige Mitglieder. Auf in einer Einrichtung für Blinde arbeitete. Frau F., die ebenfalls einen der bewußten Ebene hatte die Gruppe natürlich recht, Frau F. hätte Frau I. entspannten Eindruck machte, fiel es nun wie Schuppen von den Augen. ForumForum SupervisionSupervision -- www.beratungundsupervision.de 16 Mechthild Zeul Die Supervisionsbeziehung im Spiegel der Balint-Gruppe 17

Plötzlich wußte s i e , worin ihre S y m p a t h i e für Frau I. t a t s ä c h l i c h bestand. tigte. Ihr Stellvertreter hatte sich hinter ihrem Rücken an die Verantwort- Sie meinte, die Art und Weise, wie Frau I. ihre A r b e i t versche, h a b e e t w a s lichen im Gemeinderat gewendet, um sie dort schlecht zu machen und Faszinierendes. Ohne daß die Institution d i e s von ihr v e r l a n g t e , denn e s sein Interesse anzumelden, ebenso weisungsbefugt zu sein wie sie. In gehörte n i c h t zu ihrer Funktion a l s Leiterin, h a t t e Frau I. die Blindenschrift diesem Gremium habe man sich darauf geeinigt, daß er ihr zwar nach erlernt und tauschte sich darüber mit den Blinden in i h r e m Heim aus. Nun außen weiterhin unterstellt bleibe, daß er aberim Innenverhältnis (in- erinnerte Frau F. a u c h , mit welch herzlicher Anteilnahme und Einfühlung nerhalb des Kollegiums) die gleichen Machtbefugnisse haben solle wie Frau I . von „ihren“ Blinden gesprochen hatte. Sie b e w e g e sich demnach in Frau P. Worin diese im einzelnen konkret bestanden, war nicht in Erfah- zwei Welten, in der der Sehenden und in der der Blinden, sagte Frau F. rung zu bringen, ebenso wenig wie der Inhalt der Klagen des stellvertre- Ihre Schuldgefühle, eine Supervision akzeptiert zu h a b e n , die i h r e r Klientin tenden Leiters überFrau P. dem Gemeinderat gegenüber. Herr R. teilt der kein optimales L e r n e n e r m ö g l i c h t e , hatte s i e b l i n d gemacht für ihre A n g s t , Gruppe mit, er finde sich in diesem „Durcheinander“ der mangelnden Ab- es könne herauskommen, daß Frau I. sie f a s z i n i e r e . D i e s e Sichtweise der grenzung der Kompetenzen nicht zurecht. Es sei nichtnur unklar, wer nun Dinge rückte die Bedeutung des Konflikts an den Platz, der ihm gebührte: eigentlich das Sagen habe, Frau P. oder ihr Stellvertreter. Es gebe noch t a t s ä c h l i c h h a t t e er o f f e n b a r Frau Es supervisorische A r b e i t behindert. Ihm eine weitere Merkwürdigkeit an der Schule. Die Sekräterin unterhalte kam aber n i c h t die z e n t r a l e Bedeutung zu, von der Frau F. und die Gruppe neben ihren schulischen Verpflichtungen ein Reisebüro und verkaufe in z u n ä c h s t ausgegangen waren, Wie der Verlauf der beiden Sitzungen zeigte, ihrer Dienstzeit Billigtickets für Israel-Flüge. Damit habe sie natürlich hatte d i e Gruppe d i e Abwehr von Frau F. dramatisch in Szene gesetzt. Erst einen großen Erfolg. Er vermutet, daß der Gemeinderat davon weiß, aber ihre Durcharbeitung h a t t e zu dem E r g e b n i s geführt, daß n i c h t 10 S u p e r v i - nicht dagegen einschreitet, sondern das Geschäft der Sekräterin sogar sionsstunden mit e i n e r angeblich „ungeeigneten“ Person verborgen bleiben noch mit Wohlwollen verfolge. sollten. Frau F. wollte vielmehr d i e verführerische F a s z i n a t i o n , die von Der Gruppe ist das Verhalten der Rektorin unverständlich. Sie tappt i h r e r Supervisandin ausging, vor s i c h selbst und den Gruppenmitgliedern ähnlich wie Herr R. im Dunkeln. Sie will zunächst Ordnung in das geheim halten. „Durcheinander“ bringen, indem sie versucht, die „wirklichen“ Beweg- gründe für den Supervisionswunsch von Frau P. herauszufinden. Herr R. 3 . 2 . Ein Konflikt zwischen Überich und Ich präzisiert, er glaube, es gehe ihr darum, sich mit Hilfe der Supervision einen Handlungsspielraum am Arbeitsplatz zu eröffnen, denn sie fühle sich Herr R. berichtet aus der Supervision mit Frau P, der L e i t e r i n e i n e r jü- den Ereignissen dort ausgeliefert, ohne recht zu wissen, wie sie reagieren dischen Schule in e i n e r bundesrepublikanischen S t a d t . E i n e r s e i t s habe solle. Sie habeihm bereits mitgeteilt, daß sie angesichts des Drucks, der Frau P. im ersten Gespräch r e c h t allgemein das Z i e l , das sie mit Super- auf sie ausgeübt werde, nicht wisse, ob sie „weitermachen“ könne und vision anstrebe, formuliert, nämlich an ihrem Arbeitsplatz sicherer werden wolle. Ich gebe zu bedenken, daß die Gruppe doch offenbar vermute, daß zu wollen. Zugleich s c h i l d e r t e sie Herr R. eine r e c h t komplizierte das „Durcheinander“ in Frau P. und weniger in ihrer Umgebung zu suchen Situation, mit der sie s i c h in der Schule k o n f r o n t i e r t sah, In Jüngster Z e i t sei. Auf meine Intervention hin beginnen sich einige Gruppenmitglieder zu h ä t t e s i c h ein großer Teil des Kollegiums zusammengeschlossen, um ein fragen, wie man sich Frau Ps Haltung ihrem Stellvertreter gegenüber Mitspracherecht b e i schulischen Angelegenheiten zu fordern, einem erklären müsse. Es sei doch recht merkwürdig, daß sie dessen Machen- Personalrat in staatlichen Schulen v e r g l e i c h b a r . D i e s e Form der kolle- schaften nicht stoppe. Sie machen sich außerdem Gedanken über ihre gialen Organisation sei jedoch innerhalb der jüdischen Schule, die d i r e k t Fähigkeit, aktiv Leitung zu übernehmen, da sie sich kampflos der Ent- dem jüdischen Gemeinderat unterstellt s e i , aufgrund ihres Status als scheidung der Verantwortlichen innerhalb des Gemeinderats gebeugt, sich P r i v a t s c h u l e ausgeschlossen. Als Frau P. die Kollegen von diesem Sach- unterworfen habe, anstatt zu kämpfen. Die Gruppe rätselt dann auch noch verhalt u n t e r r i c h t e t e , gaben sie i h r e n ursprünglichen P l a n auf und be- an einem andern Detail herum. Einige Mitglieder fragen sich, woher Frau gannen, a l s Gruppe fachliche Themen zu diskutieren. Aus der Erzählung P. ihre Informationen über die Funktionen des Personalrats an staatlichen von Herrn R . wird nicht r e c h t k l a r , ob Frau P. d i e s e Treffen w e i t e r h i n als Schulen habe. Außerdem unterscheide sich ihr aktives Verhalten, mit dem Bedrohung ihrer Position empfindet. Im Fortgang i h r e r Gespräche mit ihm sie eindeutig Stellung bezogen habe, als sie die Kollegen über die Un- unterrichtete sie ihn von einem weiteren Problem, das sie sehr beschäf- möglichkeit einer politischen Vertretung im Sinne eines Personalrates ForumForum SupervisionSupervision -- www.beratungundsupervision.de 18 Mechthild Zeul Die Supervisionsbeziehung im Spiegel der Balint-Gruoppe 19

aufklärte, von ihrer unklaren, ja unterwürfigen Haltung, als es darum ging, von Frau P. sei strikt gegen die Supervision, er habe ihr auch bereits ange- ihren Stellvertreter in seine Schranken zu weisen. deutet, daß es wohl besser sei, sie so bald als möglich zu beenden — tat- Der Hinweis der Analytikerin auf das „Durcheinander“ in Frau P. hatte sächlich hatte die Supervisandin auch in der letzten Zeit die Stundenfre- in der Gruppe einen Klärungsprozeß in Gang gesetzt, der es nun Herm R. quenz verringert — kommt in mir die Phantasie auf, daß Herr R. ganz ermöglichte, mit Hilfe einiger wesentlicher biographischer Daten einen sicherlich nicht den jüdischen Halbbruder darstelle, sondern den nicht-jüdi- ersten Hinweis auf den Grund für ihr passives Verhalten in der Schule zu schen, früh verstorbenen leiblichen Vater von Frau P. Die von ihr in das geben. Frau P. sei keine Jüdin. Weder ihre Mutter noch ihr leiblicher Vater Gespräch mit Herrn R. eingebrachte Diskrepanz zwischen ihrem Wunsch seien Juden. Ihr Vater habe Selbstmord begangen, alssie ca. 5 Jahre alt nach Supervision und der ablehnenden Haltung ihres Mannes diesem ge- war. Später heiratete die Mutter wieder — diesmal einen jüdischen Mann genüber hatte mich auf diese Idee gebracht. Es sprachen aber noch eine und konvertierte zum Judentum. Aus der zweiten Ehe ging ein Halbbruder Reihe anderer Details für diese Annahme. Herr R. kannte sich in jüdischen hervor. Ihr Stiefvater, den sie angebetet und verehrt habe, adoptierte sie Angelegenheiten nicht aus, er erlebte die schulische Organisation als jedoch nicht. Die Gruppenmitglieder begannen, sich Gedanken über die „Durcheinander“. Es fiel ihm auchschwer, die Kompetenzen der jüdischen Beziehung zwischen Frau P. und ihrer Mutter zu machen, die eine neue Organisationen, die Stellung der Schule, die des Gemeinderates einzuord- Familie gegründet habe — wovon sie allerdings ihre Tochter ausschloß. nen. Da aber die Gruppe in Identifizierung mit Herm R. weiter über ihre Herr R. steuerte nun eine weitere biographische Facette bei. Frau P. habe Beziehung zum Halbbruder nachdachte, hielt ich zunächst meine Überle- auch einen jüdischen Mann geheiratet und gehöre der jüdischen Gemeinde gung zurück, um den geeigneten Augenblick für diese Intervention ab- ihrer Stadt an. Die habe ihr die Stelle als Rektorin an der jüdischen Schule zuwarten. angeboten. Bis dahin sei sie Lehrerin an einer staatlichen Schule gewesen. Obwohl die Gruppenmitglieder zuvor einen möglichen Konflikt zwi- Die Gruppe stellt nun die Überlegung an, ob Frau P. mit ihrer eigenen schen Mutter und Tochter erwogen hatten, erschien ihnen das Verhalten Heirat die Kränkung durch ihre Mutter habe wettmachen wollen. Als ihr des Stiefvaters, der Frau P. nicht adoptiert hatte, nicht als hinterfragens- die Steile der Rektorin an der jüdischen Schule angeboten wurde, über- wert. Die Gruppe begann nun vielmehr über die möglichen Motive für den trumpfte sie sogar die Mutter, dienie berufstätig war. Mit ihrer Heirat und Selbstmord des leiblichen Vaters von Frau P. zu spekulieren. Es tauchte der Stellenübernahme hatte sie endlich den begehrten Zugang zur (jüdi- sogar die Phantasie auf, daß er möglicherweise aufgrund einer unbewältig- schen) Familie gefunden. ten Nazi-Vergangenheit Selbstmord begangen habe. Die Gruppenmitglieder Ich wies die Gruppe darauf hin, daß Frau P. an ihrem Arbeitsplatz stellten dann auch Überlegungen darüber an, ob der Stellvertreter von Frau überwiegend Probleme mit Männern habe, gegen die sie nicht aufbegehren P. für sie Züge des verstorbenen Vaters habe. Der Hintergrund für diese könne, deren Entscheidungen sie sich vielmehr unterwerfe. Vielleicht Reflexion bestand in einer vage vermuteten Täterschaft des toten Vaters, sollten wir unseren Informanten, Herm R., befragen, wie er denn die Su- Die Schwierigkeit der Gruppe, sich von einer ihm unterstellten Nazi- pervisandin erlebe und ob er denn glaube,daß sich die Gruppe auf der Vergangenheit zu distanzieren, ruhte auf einem durch den Nazi-Terror richtigen Fährte befinde. Dieser meint, er erlebe Frau P. als angenehm, sie verursachten, von Schuldgefühlen gespeisten Philosemitismus auf, für den sei eher schmal und zierlich und sehe jünger aus, alssie tatsächlich sei. Er die Zuordnung von Opfer und Täter als unverrückbar feststand. Ich sagte glaubt, sich zu erinnern, daß sie Mitte bis Ende 40 sei, wenn er allerdings deshalb an dieser Stelle, daß sich die Gruppe offenbar aufgrund der von ihrem Äußeren ausgehe, dann könne sie durchaus auch erst 35 Jahre bewußt/unbewußten Teilhabe an diesem kollektiven Bewußtsein, das sich alt sein. Er beginnt nun von Frau Ps Beziehung zu ihrem Halbbruder zu bei einem Teil der deutschen Bevölkerung in Auseinandersetzung mit der sprechen, den sie einerseits vergöttert und bewundert habe, dem sie sich Jüngsten deutschen Vergangenheit herausgebildet habe, schwer täte, Frau aber auch hoffnungslos unterlegen fühlte, gehörte er doch zur Familie, sie P.s Probleme an der Schule zu verstehen. Nun fragte ich Herm R., ob er aber nicht. Aus den weiteren Einfällen von Herm R. wird deutlich, daß er sich nicht vorstellen könne, für Frau P. den früh verstorbenen toten Vater davon ausgegangen war, für seine Supervisandin diesen bewunderten Halb- zu repräsentieren, an den sie sich unbewußt mit der Bitte wende, ihr aus bruder zu repräsentieren. Die Gruppe folgte ihm in dieser Annahme, es ihrer pathologisch begründeten Unterwerfung unter die Juden in ihrer spreche ja einiges dafür, vor allem die überwiegend positive Beziehung Umgebung, den Stiefvater, den Stellvertreter, die Gemeindemitglieder zwischen Herrn R. und Frau P. Als dieser dann aber berichtet, der Mann herauszuhelfen, nach deren Liebe und Anerkennung sie sich sehne, zu ForumForum SupervisionSupervision -- www.beratungundsupervision.de 20 Mechthild Zeul Die Supervisionsbeziehung im Spiegel der Balint-Gruppe 21

deren Familie sie gehören wolle, die sie aber zugleich auch unbewußt als Das hier zusammengetragene Material verdeutlicht, wie unbewußte Angreifer erlebe. Wir erarbeiteten gemeinsam, daß das Motiv fürdie Konflikte ein angemessenes Arbeiten in der Supervision behindern und in Supervision sich demnach überwiegend aus diesem unbewußten Konflikt manchen Fällen sogar unmöglich machen. Das Wissen der Supervisoren speise. Die Art und Weise, wie Frau P. den Problemen an der Schule um die unbewußte Determinierung bewußten Erlebens und Handelns begegne, müsse man als Symptom eines gravierenden Identitätskonflikts schärft die Eigen- und Fremdwahrnehmung, eröffnet eine kritische Distanz verstehen. Offenbar vermute sogar ihr Mann bereits, daß ihr Supervisions- der eigenen Reflexion und eigenem Handeln gegenüber und schützt vor wunsch eher aus unbewußten Motiven heraus erklärbar sei, als daß er sich übereilter psychologischer Klassifizierung der Gesprächspartner. einer sachlichen Überlegung verdanke; deshalb wolle er sie ja auch ver- anlassen, die Supervision zu beenden. Anschrift der Verf.: Mechthild Zeul, Pza. Ciudad de Viena, 6, Apto. 1017, E-28040 Madrid Es fällt Herrn R. zunächst schwer, in sich den toten Vater von Frau P. anzuerkennen, auch die Guppe hatte Probleme damit, von dem kollektiv vermittelten Verständnis vom Verhältnis von Opfern und Tätern Abstand Anmerkungen zu nehmen, um den unbewußten Konflikt der Rektorin verstehen zu können. An der Schwierigkeit der Gruppenmitglieder, sich von dieser 1. Es ist hier nicht der Ort, auf die Weiterentwicklung des Balint-Gruppenkonzepts innerhalb der bundesrepublikanischen Psychoanalyse einzugehen. Ich möchte deshalb historisch begründeten Opfer-Täter-Beziehung zu distanzieren, um Ver- den interessierten Leser auf die Arbeit von Becker (1991) verweisen, in der sich eine ständnis für die unbewußten Konflikte von Frau P. zu mobilisieren, läßt Menge bibliographischer Hinweise findet. sich ansatzweise das Ausmaß der unbewußten Verstrickung von Herm R.s 2. Aus Diskretionsgründen kann ich leider meine theoretisch-methodischen Hypothesen zur Supervisandin ablesen, die sich ihrerseits zum Opfer der Opfer machte und psychoanalytischen Interpretationsarbeit in Balint-Gruppen nicht mit der Fülle des Materials belegen, die diese Überlegungen anschaulich gemacht hätte. ihnen damit die Täterrolle zuschob. Offenbar war die Verunsicherung, die durch die Supervision ausgelöst worden war, obgleich keines der weiter oben erwähnten Themen angesprochen worden war, oder besser gesagt, Literatur weil sie nicht aufgegriffen wurden, für sie so unerträglich, daß sie sich einmal mehr der Initiative der (jüdischen) Männer in ihrer Umgebung Argelander, H. (1972): Gruppenprozesse. Wege zur Anwendung der Psychoanalyse in Be- unterwarf, um auf diese Weise ihr bedrohtes innerpsychisches Gleichge- handlung, Lehre und Forschung. Reinbek (Rowohlt TB). wicht nicht noch weiter zu labilisieren. In einem Gespräch mit Herm R. Becker, H. (1991): Balint-Gruppen. Eine psychoanalytische Kritik. Psyche, 45, 38-60. einige Wochen nach dieser Gruppensitzung erfuhr ich, daß Frau P. auf das Fetscher, R. (1997): Übertragung und Realität. Psyche, 51, 195-238. „Betreiben ihres Mannes“ hin die Supervision beendet habe, Freud, S. (1910): Die zukünftigen Chancen der psychoanalytischen Therapie. G. W. VII, 103-115. Heimann, P. (1950): On . Int. J. Psycho-Anal., 13, 81-84. 3.3. Abschließende Überlegungen Racker, H. (1982): Übertragung und Gegenübertragung. München, Basel (Reinhardt).

Die beiden weiter oben dargestellten Beispiele beleuchteten das m e t h o - disch-interpretative Vorgehen der Analytikerin in den Balint-Gruppen- sitzungen. Im Zentrum ihrer Aufmerksamkeit steht das durch unbewußte Motive konstellierte dramatisch aufgeführte Beziehungsgeschehen zwi- schen der Gruppe und einem o d e r einer Vortragenden. Psychoanalytisch strukturhypothetisch verstanden, geht es im e r s t e n Beispiel um einen Konflikt des Überichs mit verpönten Es-Impulsen, dem das Ich hilflos ausgeliefert ist. Das zweite Beispiel verdeutlicht, wie kollektives Bewußt- sein, das sich u.a. aus unbewußten Schuldgefühlen speist, individuelles Verstehen b e h i n d e r t . Strukturell formuliert, s p i e l t s i c h d i e s e r Konflikt zwischen dem Überich und dem Ich ab. ForumForum SupervisionSupervision -- www.beratungundsupervision.de 22 Der Gruppenprozeß in der Balintgruppe 23

Franz Leinfelder zu nutzen sind, oder ob es notwendig scheint, einen Klärungsprozeß auf der realen gruppendynamischen Ebene zu initiieren, um sich dann an- Der Gruppenprozeß in der Balintgruppe schließend wieder freier dem Fall zuwenden zu können. Ich möchte in diesem Aufsatz ein paar Grundgedanken M. Balints zur Zur Integration gruppendynamischer Elemente Zielsetzung und Arbeitsweise der nach ihm benannten Gruppen darstellen, in ein psychoanalytisches Konzept um dann verschiedene Umgangsweisen mit der Beziehungs- und Kon- fliktdynamik in Balintgruppen für SupervisorInnen zu beschreiben. Dabei beschränke ich mich mit 2 Szenen aus je einer Balintgruppe auf Zusammenfassung: Der Autor stellt das psychoanalytische Konzept Michael Situationen, in denen aktuelle Gruppenkonflikte geklärt wurden. Einen Balints für Fallbesprechungsgruppen mit Ärzten dar, um anschließend die kon- weiteren Aspekt zur Integration gruppendynamischer Elemente vernachläs- zeptionelle Ergänzung mit gruppendynamischen Elementen in Balintgruppen für sige ich, möchte ihn aber nicht unerwähnt lassen: In Gruppen und Teams, SupervisorInnen zu beschreiben. Mit zwei exemplarischen Szenen aus Ausbil- von denen die SupervisorInnen in der Balintgruppe berichten, spielen sich dungsgruppen für SupervisorInnen begründet er die Notwendigkeit, in aktuellen ebenfalls konflikthafte gruppendynamische Prozesse ab, zu deren Diagnose Konfliktsituationen gruppendynamische Klärungsprozesse zu ermöglichen. eine gruppendynamische Blickrichtung notwendig sein kann. Sowohl durch diesen diagnostischen Aspekt als auch durch das Verstehen und die Klä- Gruppendynamische Prozesse ereignen sich in jeder Gruppe, selbstver- rung aktueller Balintgruppenkonflikte lernen die TeilnehmerInnen für ihre ständlich auch in Balintgruppen. Die klassische Balintgruppe, etwa für Gruppen- und Teamsupervisionen. Ärzte, setzt jedoch Bedingungen, die eine vonden vorgetragenen Fällen Michael Balint konzentrierte seine Forschungsgruppen auf Ärzte in unabhängige Beziehungsdynamik möglichst wenig fördert: Die Teilnehmer niedergelassenen Praxen, deren Ziel also die Heilung von Krankheiten war. sind Ärzte in niedergelassener Praxis und sollen nicht in beruflicher Sie waren in medizinischen Sinne diagnostisch und therapeutisch geübt. Beziehung stehen, sie treffen sich ausschließlich für die Zeit der gemein- Balint ging es in denvon ihm ins Leben gerufenen Gruppen auch um eine samen Fallarbeit, und diese ist begrenzt auf wöchentlich oder vierzehntägig Diagnose, aber diesmal nicht um eine Krankheits-, sondern um eine Bezie- zwei Stunden. Der Leiter, die Leiterin bemüht sich um ein angst- und hungsdiagnose. Er ging davon aus, daß die Symptomatik eines Patienten in rivalitätsminderndes Klima. In diesem Setting versteht der Balintgruppen- einem nahen Zusammenhang mit einer bestimmten, konflikthaften Art der leiter — ein ausgebildeter Psychoanalytiker — die Interaktionen der Teil- Beziehung zu seinen Bezugspersonen, letztlich zu den Eltern (psychoanaly- nehmerInnen untereinander und in der Beziehung zum Leiter als einen tisch ausgedrückt zu den Objekten der primären Sozialisationsphase) steht, Spiegel des vorgetragenen Falles und nutzt ihre Deutung zum Verstehen daß also psychische und psychosomatische Symptome eine Funktion in der der vorgestellten Arzt-Patient-Beziehung. Objektbeziehung haben (Loch 1995, S.110). Dabei nutzte er Sigmund Balintgruppen für Supervisorlnnen unterscheiden sich von diesen Freuds grundlegende Entdeckung, daß Objektbeziehungen, wenn sie krank Arztgruppen und es ist daher naheliegend, daß es auch einer konzeptionel- machen, auch gesund machen können. Aufdiesem Hintergrund hatte Freud len Veränderung und Weiterentwicklung bedurfte. Ärzte stellen einzelne die psychoanalytische Kur mit einer bestimmten Technik, einem festgeleg- Patienten vor — SupervisorInnen arbeiten vorrangig mit Gruppen oder ten Setting, Ritualen und einer bestimmten Haltung entwickelt. Michael Teams, und die vorgetragenen Fälle spielen sich in einem institutionellen Balint und seine Frau Alice beschreiben in ihrem Aufsatz zu „Übertragung Kontext ab. Außerdem gibt es häufig private, berufliche oder ausbildungs- und Gegenübertragung“ (zit. aus: Nedelmann/Ferstl 1989, S.22) die bedingte Beziehungen der GruppenteilnehmerInnen außerhalb der Balint- Analyse nicht nur als eine Technik, die sich auf den Patienten richtet, gruppe. Die Dynamik innerhalb der Gruppe wird also sowohl von den sonder vor allem als eine Beziehung zwischen zwei Personen, so daß eben vorgetragenen Fällen als auch von fallunabhängigen Beziehungsvariablen diese Beziehung in den Mittelpunkt der Betrachtung rückt. Voraussetzung beeinflußt. Ein psychoanalytisch und gruppendynamisch ausgebildeter dafür ist eine gründliche Ausbildung von Psychoanalytikern mit einer Leiter steht also vor der Aufgabe, immer wieder situativ entscheiden zu langjährigen eigenen Lehranalyse. müssen, ob die konflikthaften Interaktionen in der Gruppe zur Deutung Ferenczi weist 1933 darauf hin, daß eigentlich auch ein Arzt eine und Analyse der unbewußten Beziehungsdynamik im vorgetragenen Fall „unermüdliche Empfänglichkeit fürdie Gefühle und unbewußten Vorgänge ForumForum SupervisionSupervision -- www.beratungundsupervision.de 24 Franz Leinfelder Der Gruppenprozeß in der Balintgruppe 25

im Inneren des Patienten“ braucht, und daß er, um dieser Forderung zu als konflikthafte soziale und institutionelle Beziehungsprobleme zu sehen, genügen, selbst „eine biegsame, plastische Seele“ (zit. nach Nedelmann von denen die SupervisandInnen nicht nur berichten, sondern die sie auch 1989, S.21ff.) besitzen müsse. Er beschreibt das Dilemma, daß eine auf den Supervisor oder die Supervisorin übertragen. solche psychische Haltung eigentlich nur durch eine Eigenanalyse erreicht Es gibt eine kontroverse Diskussion über die Frage, ob Gruppen, die werden könne, daß aber Ärzte üblicherweise keine Psychoanalyse machen. sich im Setting deutlich von den Forschungsgruppen Balints unterscheiden, Wie also der zukünftige Mediziner eine solche vertiefte Selbsterkenntnis nicht besser einen anderen Namen bekämen (Nedelmann 1989, S.44 mit erlangen könne, weiß er auch nicht. den Hinweisen auf Max B.Claine und Enid Balint). Es scheint jedoch Balints Forschungsgruppen waren ein Angebot,diesem Dilemma zu sinnvoll, durch die Bezeichnung Balintgruppe, diese psychoanalytisch entrinnen. Mit Hilfe der Balintgruppe will er dem Arzt ermöglichen, etwas orientierten Gruppen für SupervisorInnen von anderen Formen der Kon- von der erforderlichen Einstellungsveränderung („change of personality“) trollsupervision abzugrenzen. Trotz eines veränderten Settings und kon- auch ohne lange Analyse zu erreichen, indem die Gegenübertragung des zeptioneller Erweiterungen bleibt das wesentliche Moment der von Balint Arztes auf seinen Patienten als wichtigster Bereich der Fortbildung genutzt konzipierten Gruppen, nämlich die Beziehungsdiagnose aufder Basis des wurde. Das heißt nicht, daß die Person des Arztes in den Mittelpunkt Übertragungs-/Gegenübertragungsgeschehens, erhalten, und die Teilnehme- gestellt wurde, vielmehr sollte die Analyse der Gegenübertragung einen Innen üben sich in einer Haltung, die eine nichtzensierende freischweben- Zugang zur Übertragung des Patienten und zu der „emotionalen Bewe- de Aufmerksamkeit ermöglicht und eigene emotionale Reaktionen neugie- gung“ (Nedelmann 1989, S.23) in der Beziehung zwischen Arzt und rig untersucht. Die von Balint geforderte Haltung des Balintgruppenleiters, Patient ermöglichen. Der Arzt soll „zuhören lernen“, was der Patient sagt zu der auch „Mut zur eigenen Dummheit“ gehört, bezieht er auf die und wie er es sagt, verbal und nonverbal. Das erfordert Geduld, keine Doppeleigenschaft seiner Rolle als Analytiker: mehr Wissen in bestimmten ständigen Eingrenzungen durch Fragen, die Bereitschaft, Mitteilungen Hinsichten, bei wenig Wissen auf anderen Gebieten. Diese Doppelfunktion wirken zu lassen und eigene unbewußte Reaktionen zuzulassen — mit dem offen zu legen, verhindert, den Mythos vom allwissenden Spezialisten Ziel, den Patienten in einem umfassenden Sinne zu verstehen. Dazu muß (gleichgültig ob Arzt, Analytiker oder Supervisor) zu nähren. Nach seiner eine Haltung entwickelt werden, die es ermöglicht, eigene aufkommende Ansicht muß es in Balintgruppen möglich sein, die (häufigen) Fehler des Gefühle und Impulse nicht gleich in Handlung umzusetzen, sondern sie zu Leiters, der Leiterin genauso kritisch in denBlick zu nehmen wie die der untersuchen, und Patienten nicht zu beraten, ehe man nicht ihr wirkliches TeilnehmerInnen. Dies gilt gleichermaßen für Balintgruppen mit Supervi- Problem versteht. sorInnen. Vieles von dem, was Ferenczi und Balint für die spezifischen Anforde- Eine Veränderung erfährt das Balintsche Konzept einerseits durch eine rungen an den Arzt und seine professionellen Voraussetzungen beschrei- vertiefte Einbeziehung institutioneller Bezüge (siehe A. Lehmenkühler- ben, trifft auch auf SupervisorInnen zu. Auch sie müssen eine Sensibilität Leuschner in diesem Heft) und andererseits durch eine Integration grup- für Übertragungs-/Gegenübertragungsprozesse entwickeln. Um Supervisan- pendynamischer Elemente. Balint selbst nahm eine abgrenzende Haltung dInnen verstehen zu können, bedarf es einer ähnlichen Haltung, wie der gegenüber der Wahrnehmung der Gruppendynamik in seinen Seminaren von Balint beschriebenen: die Bereitschaft zuzuhören, die Fähigkeit zu ein. Nach M. Sapir (zit. nach Nedelmann 1989, S. 50) gab es in der zwei- Introspektion und Einfühlung, die Geduld, über lange Strecken nicht zu ten Hälfte der 50er Jahre eine lebhafte Konkurrenz und Kontroversen über verstehen, ohne vorschnell zu handeln und zu strukturieren, die Möglich- konzeptionelle Veränderungen zwischen Balint und anderen Gruppenleitern keit, eigene Übertragungsbereitschaften kennenzulernen und die Bereit- in der Tavistock Klinik in London, wo Balint seine Seminare durchführte, schaft, auch verpönte Gefühle und Gedanken zu akzeptieren. Eine Haltung P. Turquet etwa betonte stark den gruppendynamischen Charakter der also, von der Ferenczi sagt, zu ihrer Entwicklung bedürfe es einer eigenen Balintseminare, während Balint selbst einen strikten Standpunkt einnahm, Psychoanalyse. Ähnlich wie beim Arzt ist eine solche Analyse aber nicht aus Sorge, die Fallbesprechungsseminare könnten zu Selbsterfahrungs- Bestandteil der Ausbildung. Was liegt also näher, als auch für Superviso- $ruppen werden. Ob allerdings Balints Trennung von der Tavistock Klinik, tinnen Balintgruppen in Aus- und Fortbildung zu installieren, um so zu die etwa in diese Zeit fiel, mit diesen Auseinandersetzungen zusammen- dem notwendigen. „change of personality“ beizutragen und dem Supervi- hing, ist unklar. Wie Nedelmann (S.50) aber betont, steht im Vordergrund sor, der Supervisorin dabei zu helfen, die Probleme der SupervisandInnen der Auseinandersetzung nicht der Selbsterfahrungsanteil, sondern die Frage ForumForum SupervisionSupervision -- www.beratungundsupervision.dewww.Beratungundsupervision.de 26 Franz Leinfelder Der Gruppenprozeß in der Balintgruppe 27

der Zielsetzung von Balintgruppen. In Balintgruppen für SupervisorInnen selbst vertreten wurde, erst besprochen werden, ehe man wieder an Fällen steht eindeutig d i e Diagnose der im vorgetragenen Fall wirksamen Bezie- weiterarbeiten konnte. Eine junge Ärztin hatte diesen Konflikt über den hungsdynamik mit i h r e n psychischen, sozialen und institutionellen Kom- Fall einer Patientin „eingeschmuggelt“, und der Leiter war in der Lage, p o n e n t e n im Vordergrund. Die Bearbeitung gruppendynamischer P r o z e s s e durch eine Umkehr der herkömmlichen Arbeitsweise in der Falldarstellung im „ H i e r und J e t z t “ der Balintgruppe hat immer die Funktion, d i e weitere eine Widerspiegelung eines realen Gruppenkonfliktes zu erkennen und fallbezogene A r b e i t von aktuellen Gruppenkonflikten z u befreien und aufzugreifen. Er empfiehlt daher eine zwischen Patientenzentrierung und unbelasteter fortzuführen. Sie ist also Mittel zum Zweck und nicht Ziel der Gruppenzentrierung oszillierende Wahrnehmungshaltung. Er hält es für Balintgruppenarbeit. Wenn der Balintgruppenleiter, die Leiterin hier in notwendig, die Einflüsse der sozialen Realität in den Deutungsprozeß mit Zielsetzung und entsprechender Haltung klar i s t , h a l t e ich d i e von B a l i n t einzubeziehen, so wie Parin (1975) dies für den analytischen Prozeß skizzierte Gefahr, daß e i n e Selbsterfahrungsgruppe entstehen könne, für gefordert hat. Er beschreibt — in Anlehnung an Parins Theorie der An- außerordentlich gering. passungsmechanismen — daß die Ideologien sozialer Rollen von den In- Grundsätzlich könnte man s a g e n , daß es zwei Möglichkeiten g i b t , stitutionen, denen sie zugehören, vordefiniert werden und so auf die Interaktionen in der Balintgruppe z u nutzen: als Spiegelungsphänomene für Rollenträger als unbewußte Angebote wirken. Sich mit ihnen zu identifi- unbewußte Beziehungsaspekte im vorgetragenen Fall oder als Ausdruck zieren heißt, sie in das eigene Ich aufzunehmen. Jeder beruflichen Rolle ist gruppendynamischer P r o z e s s e zur aktuellen Konfliktklärung. Es gibt eine entsprechende Rollenideologie zugeordnet. Die professionellen Fähig- durchaus auch aus psychoanalytischer Sicht K r i t i k a n der in ÄArztegruppen keiten werden in einem Lern- und Ausbildungsprozeß erworben, die gängigen Praxis, alle Phänomene eines Beziehungs- bzw. Gruppenprozes- Rollenideologie durch Identifikation. Am Ende steht das, was man berufli- ses willkürlich auf die Dynamik der Arzt-Patient-Beziehung und d a m i t che Identität nennt. letztlich auf d i e Pathologie der Patienten hin zu interpretieren. Hans-Jörg Ein Beispiel aus einer Balintgruppe für SupervisorInnen in Ausbildung Becker (1991) belegt mit anschaulichen Beispielen, daß d i e s die psycho- kann verdeutlichen, wie soziale Ausbildungsrealität zu Konflikten in analytische Absicht der Balintgruppenarbeit — das Bewußtmachen von diesem beruflichen Identitätsprozeß führen kann und sich in der Balint- Unbewußtem — in i h r Gegenteil verkehren k a n n . Er w e i s t d a r a u f h i n , daß gruppe niederschlägt. Die Balintgruppe, in der sich die folgende Szene bereits durch die Vernachlässigung der Person des A r z t e s eine Zensierung abspielte, war Teil einer supervisorischen Ausbildung. Die TeilnehmerIn- stattfindet, durch die die freischwebende Aufmerksamkeit eingeschränkt nen saßen also nicht nur gemeinsam in der Balintgruppe, sondern hatten w i r d . Er geht so weit zu konstatieren, daß d u r c h diese methodisch begrün- durch die Kursabschnitte einen breiten gemeinsamen Erfahrungshinter- dete partielle Einschränkung der gleichschwebenden Aufmerksamkeit eine grund. Die Leitung dieses Ausbildungskurses hatte sich einige Zeit zuvor Bruchstelle und zugleich ein Übergang von e i n e r psychoanalytischen zu konflikthaft, u.a. wegen konzeptioneller Kontroversen, von dem Aus- einer pädagogischen Methode skizziert wird, und daß so bestimmte The- bildungsinstitut getrennt, aber bereit erklärt, diesen Kurs noch zu Ende zu matiken systematisch aus dem bewußten Diskurs herausgehalten werden führen. An diesem Balinttag wurden mehrere Teamsupervisionen vor- und in Form der „Wiederkehr des Verdrängten“ den Gruppenprozeß s t a r k gestellt, in denen es konflikthafte Trennungen gab. Entweder waren beeinflussen können. In der A r b e i t mit Medizinern im praktischen Jahr Teammitglieder aus undurchsichtigen Gründen entlassen worden, oder sie zeigt er, wie s t a r k etwa d i e besonderen institutionellen Bedingungen, in hatten mit vielen Affekten ihren Institutionen die Mitarbeit aufgekündigt. denen dieses praktische J a h r stattfand, in der individuellen und beruflichen Die Falldarstellungen ermöglichten unterschiedliche Identifikationen mit Sozialisation wirksam werden und — wenn sie n i c h t besprochen und damit den Teammitgliedern undden jeweiligen Institutionsleitungen, die in der bewußt werden — die Hinwendung zum Patienten blockieren und in der Balintgruppe auch kontrovers wahrgenommen wurden. In der Gruppe ent- Balintgruppe für eine depressive Verstimmtheit sorgen, daß a l s o d i e Wickelte sich zeitweise ein feindliches Klima, und es entstanden scheinbar systematische Ausblendung anderer a l s patientenzentrierter Thematiken unauflösliche Opfer-Täter Konstellationen. Die Balintgruppenleiterin — auch einen hemmenden und destruktiven Einfluß auf d i e Gruppenarbeit selbst Mitarbeiterin des Ausbildungsinstituts — entwickelte während der ausüben kann. Die massiven Einflüsse aus der sozialen R e a l i t ä t - hier aus Fallbesprechungen (aufgrund der thematischen Häufung von institutionel- der medizinischen Hierarchie e i n e r Klinik — mußten, entgegen der patien- len Trennungssituationen und wegen eigener ungewohnt heftiger Gegen- tenzentrierten Ideologie der Balintgruppe, die am Anfang von dem Leiter übertragungsgefühle) die Phantasie, daß die vortragenden Gruppenmit- ForumForum SupervisionSupervision -- www.beratungundsupervision.de 28 Franz Leinfelder Der Gruppenprozeß in der Balintgruppe 29

glieder unbewußt supervisorische Szenen ausgewählt hatten, die einen Aspekt war in der vergangenen Sitzung nicht genügend bedacht worden, Gruppenkonflikt widerspiegelten. Sie war überrascht, daß kein Gruppen- und d i e Gruppe arbeitete d i e s s o z u s a g e n noch nach. Danach berichtete die mitglied die aktuelle Ausbildungssituation mit den Fällen in Beziehung erste Teilnehmerin ihren F a l l : Sie arbeitet mit einem Team von Sozial- brachte. Nach einer längeren fallbezogenen Arbeitsphase bot sie ihre arbeiterInnen, die offene Jugendarbeit in einem sozialen Brennpunkt Deutung, daß sich in den besprochenen Teamkonflikten ein unbewußtes anbieten. D i e s e Arbeit g e s t a l t e t s i c h sehr mühsam, die Angebote der Gruppenthema als Folge des institutionellen Ausbildungskonfliktes spiege- SozialarbeiterInnen erreichen die Klientel kaum, herkömmliche Animation le, der Gruppe an. Nach ersten Abwehrversuchen konnte sich die Gruppe versagt in Anbetracht der desolaten Verhältnisse in der Umgebung der auf diese Sichtweise einlassen und es wurde herausgearbeitet, daß die Jugendlichen. Meist s i t z e n die „Profis“ alleine in ihrem auch etwas ver- unterschiedlichen Identifikationen der TeilnehmerInnen mit Kursleitung wahrlosten Büro und warten, ja erwarten g e f a ß t ihre Niederlagen in Form oder Institutsleitung zu heftigen Verunsicherungen und Aggressionen des Versetztwerdens. Der Leiter der „Truppe“ ist in die J a h r e gekommen, untereinander geführt hatten und daß alle unbewußt bemüht waren, die absolut resigniert und nicht fähig, den jüngeren Kollegen entsprechend den Balintgruppe aus dem Konflikt herauszuhalten und als einen gemeinsamen Verhältnissen auch Rückendeckung, Mut und neue I d e e n zu geben und konfliktfreien Ausbildungsort zu erhalten. Daß dies nicht möglich war, zusammen zu entwickeln. Resignation allenthalben. Die Gruppe war s c h o n zeigten die Falldarstellungen. Die Gruppe und ihre Leiterin nahmen sich einmal k u r z in der Balintgruppe vorgestellt worden und hatte d a m a l s schon Zeit, um die realen institutionellen Verflochtenheiten, die individuellen Resignation und Hoffnungslosigkeit einerseits, Aggression und Kampfes- Betroffenheiten und die Positionen von Gruppenmitgliedern und Leiterin in lust a n d e r e r s e i t s ausgelöst. Die Supervision f i n d e t in der neuen P r a x i s der diesem Konflikt zu klären. Beim nächsten Treffen gab es noch einen Supervisorin statt und sie wird beneidet, daß sie es „geschafft“ hat. Sie war kurzen Nachbesprechungsbedarf, danach konnte wieder zu Fallbesprechun- s e l b s t auch Sozialarbeiteterin, auch Jugendarbeiterin gewesen, hat der gen übergegangen werden, ohne daß sich die aggressive und feindliche Sozialarbeit den Rücken gekehrt und e i n e n attraktiven Job in der Fort- Atmosphäre wiederholte. bildungsabteilung eines großen Industrieunternehmens bekommen und Auch die zweite Szene spielte sich in einer Ausbildungsbalintgruppe für bildet s i c h nun zur Supervisorin aus. Dies a l l e s erregt den besonderen Neid SupervisorInnen ab. Es war das 5. Treffen der Gruppe. Alle waren pünkt- i h r e r Supervisandinnen, denen s i e sich einerseits sehr n a h e fühlt, anderer- seits erlebt s i e gerade a n ihnen, lich da, außer dem Leiter, der wegen einer Zugverspätung (die auch schon daß sie noch rechtzeitig den Absprung zweimal vorher den Beginn kurzzeitig verzögert hatte) etwa 20 Minuten geschafft h a t , worüber sie dankbar und froh i s t . Sie b e r i c h t e t nun in dieser später kam. Der Leiter wurde freundlich aufgenommen, die Gruppe S i t z u n g , daß es i h r u n m ö g l i c h i s t , mit dieser Gruppe — ihrem e r s t e n Team knüpfte scheinbar nahtlos an die letzte Sitzung an, in der es um eine = professionell zu arbeiten. Es geht nie pünktlich los, einmal kommt der Teamszene gegangen war. In der Teamsupervision der Ausbildungskandi- e i n e , dann fehlt die andere usf. An e i n e kontinuierliche, ernsthafte Arbeit datin in einer Einrichtung der stationären Altenhilfe kam es auf dieser ist überhaupt nicht zu denken! Alles hat sie ausprobiert: Vereinbarungen Station mehrfach zu Diebstählen, bei denen sowohl Geld von Bewohnerln- gründlich kontraktiert, auf die Wichtigkeit der Kontinuität und der Ein- nen als auch Geld von MitarbeiterInnen auf rätselhafte Weise abhanden haltung bestimmter Arbeitsnormen hingewiesen, auch i h r Mitgefühl f ü r die kam. Die Leitung hielt es für nötig, die Kriminalpolizei einzuschalten. Dies belastende A r b e i t s s i t u a t i o n ausreichend kundgetan: a l l e s hilft nicht! Sie hatte das Team nachhaltig „geschockt“, das bislang ohne erkennbare versteht die von den Gruppenmitgliedern g e n a n n t e n Gründe für das Hierarchie und vermeintlich sehr harmonisch die schwere Arbeit ver- Zuspätkommen, kann deshalb keinen Zugang zu ihren aggressiven Gefüh- richtete und auch die Zusammenarbeit ohne größere Konflikte zu Wege len f i n d e n und resigniert. In den Fallbesprechungen werden Bezüge zur brachte. Durch diesen Vorgang und die Intervention der Leitung brach Situation der Sozialarbeiter mit i h r e r Klientel und zur beruflichen Biogra- vieles schlagartig zusammen. Die Supervisorin hatte alle Hände voll zu p h i e der Supervisorin erarbeitet. tun, die Arbeitsfähigkeit der Gruppe zu erhalten und hatte darüber ausführ- Der z w e i t e Fall an diesem Balinttag wird von einer Teilnehmerin lich in der letzten Balintgruppe berichtet. Dabei blieb unentdeckt, daß eingebracht, d i e am weitesten zur Gruppe a n r e i s t . Sie hat großen Druck, neben all den realen Konflikten, Verdächtigungen und Untersuchungen der ihr Team aus e i n e r Behinderteneinrichtung in den neuen Bundesländern eigentliche Schock des Vorgangs darin bestand, daß dieses ideale Team vorzustellen. Es geht d a b e i darum, daß auf der stationären Einrichtung — entidealisiert wurde: evtl. ein Krimineiler in den eigenenReihen! Dieser „Haus Harmonie“ — ein Bewohner besondere Mühen kostet: er k o t e t ein ForumForum SupervisionSupervision -- www.beratungundsupervision.dewww.Deratungundsupervision.de 30 _ Franz Leinfelder Der Gruppenprozeß in der Balintgruppe 31

genutzt, sondern die unbewußt ausgewählten Themen der Fallszenen und s c h m i e r t mit s e i n e m Kot Wände, Möbel, Wäsche a n und ist nur mit dienten dem Verstehen eines Gruppenkonfliktes. Die Einschätzung des rigorosen Maßnahmen von s e i n e m Tun abzuhalten. Er wird letztendlich Balintgruppenleiters, der Leiterin, daß eine aktuelle Gruppensituation f i x i e r t , wahrscheinlich auch geschlag e n . Die Supervisorin ist „geschockt“, besprochen werden solle, ist aber nicht immer die Folge spezifischer hilflos und empört, und es bedarf e i n e s l ä n g e r e n , geduldigen Prozesses, bis Szenenangebote der Gruppe. In Gesprächen mit BalintgruppenleiterInnen, sie die näheren Umstände des g a n z e n Dramas in der Gruppe „auswickelt“. die einen konzeptionell ähnlichen Umgang mit gruppendynamischen Z.B. kommt erst sehr s p ä t zum Vorschein, daß d i e s e r Patient ausgegrenzt, Elementen vertreten, tauschten wir Erfahrungen darüber aus, was inhaltli- fixiert und vermutlich auch geschlagen wird. Sie will es zunächst der che und prozessuale Bedingungen sein können, die zu der Entscheidung Gruppe und s i c h ersparen, wo s i e da g e l a n d e t ist im Rahmen i h r e s zweiten führen, den Gruppenprozeß auf einer realen Ebene anzusprechen. Als Ausbildungsprozesses. Es h a t ja zunächst ganz gut angefangen im „Haus erstes fielen uns Gruppensituationen ein, in denen entweder keine Fälle Harmonie“, b i s sie dahinter kam, wieviel Gewalt, Ekel und Ohnmacht auf mitgebracht wurden, oder in denen bei vielen Fallangeboten keine Eini- dieser Station herrschte. Es war auffallend, daß auch in dieser Szene gung auf die zu besprechenden Fälle erzielt werden konnte. Dann berichte- Aggressionen n i c h t gefühlt wurden, obwohl e s gewalttätige Handlungen ten KollegInnen von Situationen, in denen es institutionelle Verflochtenhei- g a b . Der Balintgruppenleiter fühlte sich während der drei Besprechungen ten der verschiedenen TeilnehmerInnen gegeben hatte: z.B. hatten sich in immer wieder auf merkwürdige Weise t a n g i e r t . Er entwickelte Identifika- einem Fall mehrere SupervisorInnen aus einer Balintgruppe bei der glei- tionen mit den jeweiligen „Tätern“ in den Fällen und vermutete aufgrund chen Institution als SupervisorInnen vorgestellt, und einer von ihnen hatte der Themen (Entidealisierung, unterdrückte Aggression) und seinen f a l l - die Supervision bekommen. In einer anderen Balintgruppe saßen Teil- b e z o g e n e n Phantasien von massiven Strafen f ü r die T ä t e r , daß die Aus- nehmerlInnen, die aus verschiedenen Ausbildungsinstituten kamen. Bei den wahl und die Art der Bearbeitung der Fälle mit der unbewußten R e a k t i o n Fallbesprechungen wurden immer wieder wechselseitige Vorurteile und der Gruppe auf sein Zuspätkommen z u tun habe. Er s p r a c h dies an und Unterstellungen spürbar, die erst auf den „gruppendynamischen Tisch“ ermöglichte damit der Gruppe einen Zugang zu teilweise heftigen Ag- mußten, bevor sie die Zusammenarbeit nicht mehr destruktiv behinderten. gressionen, die b i s zu d i e s e m Zeitpunkt n i c h t bewußt gefühlt werden In einer Gruppe war ein Teilnehmer schwer erkrankt, und die unbewußte durften, da der Leiter ja a n der Zugverspätung unschuldig war. E r s t Angst um sein Leben und die damit verbundene Tabuisierung nachdem die vorhandenen Aggressionen fühlbar wurden, konnte a u c h von Fragen und emotionalen Reaktionen lähmte die Gruppe. Einige LeiterInnen g e s a g t werden, daß er ja — z u m i n d e s t nach zwei Zugverspätungen = aus erzählten von Situationen, in denen während einer Fallbesprechung Ag- Sicherheitsgründen e i n e n früheren Zug h ä t t e nehmen können, s e i n e bisher gressionen von Teilnehmern untereinander spürbar wurden, die nicht mit definierte Unschuld so ihre Grenze erfuhr. Die Möglichkeit, diesen Kon- dem Fall in Einklang gebracht werden flikt mit den dazugehörenden aggressiven Gefühlen besprechen zu können, konnten. Das Ansprechen dieses Phänomens enthüllte jeweils unterschiedliche Konflikte. In einem Fall ohne die Arbeitsbeziehung zu zerstören, ermutigte einige TeilnehmerInnen hatten zwei Gruppenmitglieder einen Beziehungskonflikt von außen n o c h andere angesammelte Enttäuschungen auszusprechen. Die Arbeits- mitgebracht, in einer anderen Situation „saß“ eine Teilnehmerin noch auf beziehungen zwischen Leiter und Gruppe wurden klarer, und die Atmo- einer Kränkung von der letzten Sitzung. Diese Beispiele reichen sicher aus, s p h ä r e entspannte sich für w e i t e r e s fruchtbares Zusammenarbeiten. um mögliche Situationen zu illustrieren, die BalintgruppenleiterInnen zu Die beiden Szenen zeigen, daß sowohl d u r c h soziale institutionelle der Entscheidung führen können, die aktuelle Beziehungsdynamik anzu- R e a l i t ä t „von außen“ als auch d u r c h Geschehnisse „von i n n e n “ ein Klä- Sprechen. rungsbedarf auf e i n e r realen gruppendynamischen Ebene entstehen k a n n . Zusammenfassend kann gesagt werden, daß eine Balintgruppe als In beiden Situationen war d i e s e gruppendynamische Klärungsphase zeitlich „dynamische Ganzheit“ (Lewin 1953) nicht nur einen Resonanzboden für b e g r e n zt, führte zu e i n e r Wiederherstellung einer entspannten Arbeits- fallbezogene Beziehungsprozesse bietet, sondern auch ein eigenes soziales atmosphäre und stellte die Balintsche Zielsetzung der fallbezogenen System darstelit, das je nach Zusammensetzung der Gruppe, institutionel- Beziehungsdiagnose n i c h t in Frage. Man könnte sagen, daß s i c h in diesen lem Kontext und sozialen Einflüssen eine fallunabhängige Konfliktdyna- beiden Situationen das für Balintgruppen beschriebene Spiegelungsphäno- mik entwickeln kann. Im Interesse der gemeinsamen men und s e i n e diagnostische Nutzung „umgekehrt“ darstellten: N i c h t die Fallarbeit ist es m. E. notwendig, solche Konflikte — falls sie unbewußt sind — bewußt zu machen Reaktionen der Gruppenmitglieder wurden zur Deutung e i n e s Falles ForumForum SupervisionSupervision -- www.beratungundsupervision.de 33 32 Franz Leinfelder und ggf. mit den Mitteln gruppendynamischer Konfliktbearbeitung z u Angelica Lehmenkühler-Leuschner klären: unterschiedliche Bedürfnisse, Interessen und Positionen mit i h r e n faktischen und emotionalen Anteilen benennen, wechselseitig verstehen Die institutionsanalytische Balintgruppe: und situativ verhandeln! (Leuschner 1993 und Zimmer 1996.) Dabei bleibt Zum Verstehen psychosozialer Dynamik des Unbewußten d i e fallbezogene Beziehungsdiagnostik das erklärte Z i e l der Gruppe. Die in beruflich-institutionellen Situationen Integration gruppendynamischer Elemente stabilisiert d i e Gruppe, e r h ö h t die Identifikation der einzelnen (im S i n n e e i n e s Lewinschen „festen Bodens“) und unterstützt s o m i t d i e gemeinsame analytische Arbeit. Zusammenfassung: Die institutionsanalytische Balintgruppe wird konzeptionell vorgestellt als ein Reflexionsort psychischer und kultureller Konflikte im Anschrift d e s V e r f . : Franz Leinfelder, Sauerbruchstr. 3, 6 5 2 0 3 Wiesbaden Rollen-und Strukturgefüge von Institutionen. Sie bewegt sich im Spannungs- feld zwischen Individuum und Institution analog zur supervisorischen Arbeit. Die verborgene institutionelle Dynamik und Institutionskultur werden in der Literatur Beziehungsgestaltung zur SupervisorlIn sichtbar. Das kulturspezifische Verhalten der Supervisanden findet in der institutionsanalytischen Balintgruppe einen Resonanzboden. Hier werden institutionelle Übertragungen und Gegenüber- Balint, M. (1965): Der Arzt, s e i n Patient und die Krankheit, Stuttgart (Klett). tragungen als Ausdruck der institutionsspezifischen Kultur verstanden. Im B a l i n t , M. ( 1 9 7 0 ) : Therapeutische Aspekte der Regression, Stutigart. Becker, H . - J . ( 1 9 9 1 ) : Balint-Gruppen. Psyche 1 / 1 9 9 1 Stuttgart (Klett-Cotta). letzten Teil werden unbewußte Rollenarrangements in beruflichen Situationen Eicke, D./Wittenberger G. (1983): Konflikte in d e r Balintgruppe. In: Supervision Heft auf dem Hintergrund eines Selbstwertregulationsmodells von Mentzos in den 4/1983, Münster (Akademie für Jugendfragen). Blick genommen. Die Ausbalancierung des narzißtischen Gleichgewichts ist ein Leuschner, G. (1993): Wechselseitige Abhängigkeit und Diskurs-Aspekte angewandter zentrales Thema, um supervisorisches Lernen zu ermöglichen. Das Modell der Gruppendynamik in der Supervisorenausbildung. In: Forum Supervision Heft1/1993, Selbstwertregulation dient gleichzeitig als Verstehensmatrix in der Beziehungs- Tübingen (edition diskord). diagnostik. - (1983): Übersetzungen -- aus d e r Balintgruppenarbeit eines Supervisors. In: Supervision Münster (Akademie für Jugendfragen). Heft. 4/1983, Die Balintgruppe bietet Supervisorinnen und Supervisoren die Möglichkeit, Lewin, K. (1953): Die Lösung s o z i a l e r Konflikte, Bad Nauheim. Loch, W . ( 1 9 9 5 ) : Theorie und Praxis von Balintgruppen, Tübingen ( e d i t i o n diskord). ein tieferes Verständnis für die psychosoziale Dynamik des Unbewußten in Nedelmann, C./Fersti, K. (Hrsg.) (1989): Die Methode d e r Balintgruppe. Stuttgart (Klett- der Beziehung zu ihren Supervisanden und zur Institution zu gewinnen. Cotta), Supervisorinnen in einer Balintgruppe bearbeiten Szenen aus ihrer Praxis, Psyche 29, 97-117. Parin, P . (1975): Gesellschaftskritik im Deutungsprozeß. in der sie schwierige oder konflikthafte Beziehungen erleben. Sie erzählen = ( 1 9 7 7 ) : Das Ich und die Anpassungsmechanismen. Psyche 31, 481-515. Rappe-Giesecke, K. ( 1 9 8 6 ) : Gruppendynamik in Balintgruppen. In: Zeitschrift G r u p p e n - Episoden, die ihnen unverständlich geblieben sind, die sie im nachhinein dynamik 1/1986, Paderborn (Leske). noch länger beschäftigen und die sie als unabgeschlossen erleben. Das Roth, J . K . ( 1 9 8 4 ) : Hilfe für H e l f e r : Balintgruppen. München (Piper). „Unerledigte“ und „Unverständliche“ wird nicht als ein Ausdruck man- Handbuch d e r Schmidbauer, W. ( 1 9 9 0 ) : D i e Supervision der Supervisoren. In: Pühl (Hrsg.): gelnder Kompetenz betrachtet, sondern vor allem als ein Verwicklungs- (Marhold). “ Supervision Band I, problem innerhalb der beruflich/institutionellen Beziehung aufgrund einer Wittenberger, G. ( 1 9 8 4 ) : Supervision z w i s c h e n Psychoanalyse und Sozialarbeit. In: Supervi- sion Heft 6, Münster (Akademie für Jugendfragen). nicht bewußten Übertragungs- und Gegenübertragungsdynamik. Das Zimmer, I. (1996): Soziale Konflikte in Gruppen- und Teamsupervision. In: FoRuM Verwicklungsproblem äußert sich häufig darin, daß der Supervisorin die Supervision, Heft 8, 1996, Tübingen (edition diskord). Beziehung kompliziert und problematisch erscheint, daß sie sich in ihren Verhaltensmöglichkeiten unfrei, eingeengt und gehemmt fühlt, oder verspannt, angestrengt und überaktiv. Der Supervisand scheint oft nicht erreichbar, die Nähe oder die Distanz scheint fürdie Arbeit nicht förder- lich. Diese oder ähnliche emotionale Befindlichkeiten lassen die Superviso- rin zur „Fallvortragenden“ oder zum Erzähler werden. Die Balintgruppe versucht, die unbewußten Hintergründe zu erarbeiten. Unbewußt deshalb, ForumForum SupervisionSupervision -- www.beratungundsupervision.dewww. beratungundsupervision.de 34 _ Angelica Lehmenkühler-Leuschner Die institutionsanalytische Balintgruppe 35

weil sie in der Beziehung nicht bewußt zur Kenntnis genommen werden Beteiligung, Erinnerung an eigene ähnliche Episoden, situative Identifika- und dennoch wirksam geworden sind. Die unbewußte Dynamik ergibt sich tionen, Gefühle, Stimmungen, Körperempfindungen. Auf diese Weise wird sowohl aus unbewältigten inneren Konflikten der Beteiligten, sie können die Erzählung angereichert durch die Kommentare der Gruppenmitglieder, jedoch auch das Ergebnis von institutionellen Verdrängungsvorgängen aus denen dann gemeinsam diagnostische Schlußfolgerungen gezogen sein, die in institutionellen Fehlleistungen und Tabus oder institutionellen werden. Warum muß der Supervisand in der Erzählerin und den Gruppen- Phantasien zum Ausdruck kommen. Oft entwickelt sich die unbewußte mitgliedern diese verschiedenen Reaktionen auslösen? Welche Rollenarran- psychosoziale Dynamik durch eine Verbindung der persönlichen Psycho- gements entwickeln sich, welche Beziehungsdynamik wurde zwischen der dynamik mit institutionellen Strukturen.Die Unbewußtheit in Beziehungen Erzählerin und dem Supervisanden und der Erzählerin und der Gruppe ist ein wesentlicher Kommunikationsbestandteil, der weder zu verhindern ausgelöst und erlebt? In den zusammengetragenen subjektiven Eindrücken ist, noch vermieden werden kann. Unbewußtheit ermöglicht eine besondere erlebt die Gruppe die verborgen gebliebenen Anteile der erzählten kon- Art der Verständigung, die in der Balintgruppe in einem kreativen Prozeß flikthaften Beziehung zwischen Supervisorin und Supervisand. Die Balint- genutzt wird. gruppenmitglieder nehmen also nicht nur kognitiv den Inhalt der erzählten Wie vollzieht sich die Arbeit in der Balintgruppe? Supervisionsszene auf, sondern reagieren emotional antwortend auf unaus- Der zuhörenden Gruppe wird frei erzählt: eine Episode ausder Bezie- gesprochene Beziehungsaspekte, die die Erzählerin angeboten hat. hung zum Supervisanden, diedie manifeste und latente Frage der Supervi- sorin verdeutlicht. Die Fallvortragende erzählt auf verschiedenen Sprach- ebenen, in der Alltagssprache, gemischt mit psychologisch-soziologischer Fachsprache, analog begleitet durch nonverbale Mitteilungen. Sie erzählt in 1. Zum Verstehen unbewußter Beziehungsmuster ihrer Alltagssprache spontan und ungeordnet, in verschiedenen zeitlichen Zusammenhängen, mit Pausen, Vor- und Rückgriffen, schnell oder lang- Sowohl bei SupervisorInnen wie bei Supervisanden strukturieren unbewuß- san, zögernd,lebendig „unterhaltend“ mit anschaulichen Bildern und te Beziehungsmuster die Beziehung. Einen Zugang zu dieser Ebene findet gestischer Imitation des Supervisanden oder diffus und strukturlos. Aus man über die Frage, welche spezifischen grundlegenden Probleme und dem „freien“ Gedächtnis entwickelt sich beim Sprechen die besondere Affekte sich im Fallvortrag und in der Gruppe zeigen. Die Probleme, die Supervisionsgeschichte. Es wird kreativ in der Situation des Erzählens alles in der Fallbesprechung sichtbar werden, lassen sich als Folge des Zu- zusammengetragen, was emotional und kognitiv, bewußt und unbewußt sammentreffens von unbewußten Vorgängen begreifen. Heigl-Evers u. von Bedeutung ist. Supervisorinnen sind oft selbst erstaunt, was ihnen im Heigl meinen: „Das soziale Interaktionsfeld wirkt ständig auf latente Prozeß dieses „Vortragens“ alles eingefallen ist. Von Bedeutung ist hierbei intrapsychische Konflikte ein, je nachdem mobilisierend und verstärkend natürlich auch die Geduld und Zuhörbereitschaft, diedie Gruppenmit- oder immobilisierend abschwächend oder auch scheinbar ohne Effekt ... glieder signalisieren. Die Zuhörenden lernen, sich mit Gelassenheit der Dieses so beeinflußte Verhalten des Konfliktirägers wirkt wiederum auf Erzählung zu überlassen und sich im Sinne der gleichschwebenden Auf- das soziale Interaktionsfeld, d.h. auf das Verhalten der Interaktionspartner merksamkeit Freuds innerlich einzustellen, sich dem eigenen Erleben beim zurück, es hat soziale oder interaktionelle Konsequenzen (Heigl-Evers u. Zuhören zu öffnen. „Man halte alle bewußten Einwirkungen von seiner Heigl 1975, S.243). In der Erzählung desFalls sindeine Vielzahl von Merkfähigkeit ferne und überlasse sich völlig seinem ‚unbewußten Ge- Übertragungs- und Gegenübertragungselementen der Erzählerin enthalten. dächtnisse‘, oder rein technisch ausgedrückt: Man höre zu und kümmere Gemeinsam wird in der Gruppe nach einem vertieften Verständnis des sich nicht darum, ob man sich etwas merke (Freud 1912e, GW VII, geschilderten Beziehungsproblems gesucht, indem die Hinweise auf S.378). konflikthafte Themen untersucht werden, die in der Gegenübertragung der Die Zuhörer hören bewußt und unbewußt zu. Ebenso reagieren sie Zuhörer beantwortet werden. Manche Zuhörer neigen zur konkordanten sowohl aufdas bewußt als auch auf das unbewußt Mitgeteilte. Nach dem Gegenübertragung: sie reagieren spiegelgleich zu dem emotionalen Erleben Anhören der Erzählung werden die Rollen gewechselt, der Erzähler hört der Erzählerin; andere Zuhörer bilden in der komplementären Gegenüber- zu, was seine Zuhörer bei seinem Vortrag erlebt haben undnun ihrerseits tragung das Erleben des abwesenden Supervisanden ab. Nach Racker erzählen: ihr inneres Verweilen, ihre Einfälle, ihre Gedanken, ihre Art der (1982) beruht eine konkordante Gegenübertragung auf einer gleichlauten- ForumForum SupervisionSupervision -- www.beratungundsupervision.dewww,beratungundsupervision.de 36 Angelica Lehmenkühler-Leuschner Die institutionsanalytische Balintgruppe 37

den, übereinstimmenden Identifizierung, bei der SupervisorInnen ähnliche und sind somit als diagnostisches Material erwünscht, bekommen soziale Gefühle, Wahrnehmungen und Einstellungen entwickeln wie der Supervi- Anerkennung und Aufmerksamkeit. Es gibt kein „richtig“ oder „falsch“. sand. In der Identifikation ist demnach die Supervisorin mit dem Teil des Die eingebrachten Selbstanteile werden in ihrer „eigenartigen“ Unter- psychischen Apparats verbunden, der den Supervisanden gerade bestimmt: schiedlichkeit als Teile eines Ganzen aufgenommen. Die gemeinsame mit Es-Impulsen, Ich-Aspekten oder Forderungen des Über-Ich. Geht es Arbeit besteht darin, die unterschiedlichen individuellen Reaktionen im bei der konkordanten Gegenübertragung um eine „Subjektidentifikation“, Spektrum der konkordanten und komplementären Gegenübertragungen für kann man bei der komplementären Gegenübertragung von einer „Objekt- das szenische Verstehen des Falls nutzbar zu machen. Dieses Grundver- identifikation“ sprechen: es geht um die Identifizierung mit den Objekten ständnis hat gleichzeitig eine entlastende Wirkung in Hinblick auf Rivali- einer Übertragung. Die Supervisorinnen fühlen dann wie ein früheres tätsängste der Gruppenmitglieder. Gegenüber, wie die Mutter, der Vater, Geschwister, der Chef usw. Zeigen In jeder Erzählung werden viele unbewußte Phantasien angestoßen. sich in der Balintgruppe überwiegend Solidaritätsgefühle, Einklang oder Dieser Prozeß ist in seiner Rückbezüglichkeit zur eigenen Struktur und Parteilichkeit, kann man konkordante Gegenübertragungen vermuten; Geschichte meist nicht einsichtig oder für uns nicht erkennbar. Gleichzeitig zeigen sich überwiegend konfrontative Gefühle und gegenteilige Differenz- entwickelt sich ein Zusammenspiel unbewußter Kräfte, ein Beziehungs- positionen, sind komplementäre Gegenübertragungen wirksam, das heißt: arrangement, das in seinem Bedeutungsgehalt unbewußte Kräfte und die Supervisorinnen sind unbewußt eingeladen, sich wie ein früheres Konflikte des Supervisanden repräsentiert. Das Gefühl der Überanstren- Gegenüber zu verhalten. gung und Ermüdung, das sich z.B. als Grundstimmung bei den Zuhörern Die unterschiedlichen Gegenübertragungsbereitschaften in einer Balint- manifestiert, bei den einen mit aggressiv-gereizter Beimischung, bei den gruppe lassen sich gut mit dem Bild eines Orchesters verdeutlichen. In anderen mit deprimiert-gelähmten oder selbstzweiflerischen Obertönen, einem Orchester gibt es verschiedene Instrumente mit unterschiedlichen sagt uns etwas über die Überforderung und Entwertungsängste des Super- Höhen und Tiefen, verschiedenen Klangfarben und unterschiedlichem visanden oder des Erzählers als Katalysator. Es entwickeln sich gruppen- Klangvolumen. Alle Gruppenmitglieder reagieren wie Musikinstrumente dynamische Interaktionsgestalten, die als Auswirkung intrapsychischer mit ihren spezifischen Resonanzmöglichkeiten, determiniert durch die Prozesse zu verstehen sind. eigene lebensgeschichtlich erworbene Struktur und situative Verfassung und in enger Bezogenheit aufeinander. Wenn ein Gruppenmitglied mit traurig-in-sich-gekehrter Stimmung in die Gruppe kornmt, so wird es den 2. Die institutionsanalytische Balintgruppe vorgetragenen Fall und davon angeregten Gruppenprozeß mit dieser Wahrnehmungsfolie aufnehmen. Seine mitgebrachte Traurigkeit ist sein Im klassischen Grundverständnis der Balintgruppenarbeit ist der Fokus die Instrument, das es dem „Balintorchester“ zur Verfügung stellt und mit Beziehung zwischen Arzt und Patient. Da Balint überwiegend mit nieder- seiner speziellen Klangfarbe ins Schwingen gebracht wird. In ähnlicher gelassenen Ärzten arbeitete, mußte er weniger die Auswirkungen institutio- Weise lassen sich die Stimmungen und Befindlichkeiten, aber auch die neller Rahmenbedingungen auf die Beziehung zwischen Arzt und Patient stabilen Persönlichkeitszüge der Gruppenmitglieder als Instrument ver- berücksichtigen. Balintgruppenarbeit mit Supervisorinnen unterscheidet stehen, das in dem Gruppenprozeß zum Fallverstehen spezifisch beiträgt. sich dadurch, daß ihre Arbeit wesentlich von institutionellen Bedingungen Das spezifische Reagieren — sei es mit Langeweile, depressiven Gefühlen, beeinflußt wird. Die Supervisanden werden in ihrer beruflichen Tätigkeit ärgerlichen Reaktionen, streng-normierenden Impulsen — kann als positiver als Rollenträger im institutionellen Kontext in den Blick genommen, ihre Verstehensbeitrag gewertet werden. Müdigkeit und Langeweile, die es im professionellen Beziehungen, ihre Aufgaben, ihr Status sind institutionell Erleben von Alltagsbeziehungen eher als peinlich zu verstecken gilt, geprägt. In der Supervision und Balintgruppe geht es um die Bearbeitung können in diesem szenischen Grundverständnis als positiv. erlebt werden. von Konflikten, Anstrengungen und Kämpfen, die Supervisanden in Sie finden im gemeinsamen Selbstverständnis der Balintgruppe mit Hilfe Organisationen mit Kollegen, Vorgesetzten und Klienten austragen müssen. des Leiters oder der Leiterin eine andere soziale Wertung: Alle Gefühle, Ebenso geht es um die Auseinandersetzung mit ihren Aufgaben und insti- Stimmungen, Phantasien und Einfälle der Balintgruppenmitglieder werden tutionellen Rahmenbedingungen, Rollenerwartungen, Zielvorgaben, Geld- als Bearbeitung der vom Supervisanden ausgehenden Impulse betrachtet mitteln und institutionellen/gesellschaftlichen Veränderungen. Um dieser ForumForum SupervisionSupervision -- www.beratungundsupervision.dewww beratungundsupervision.de 38 Angelica Lehmenkühler-Leuschner Die institutionsanalytische Balintgruppe 39

Komplexität gerecht zu werden, kann in einer Balintgruppe für Superviso- seitig aufeinander einzustellen, bewirkt Anpassungsleistungen und Wider- rInnen nicht ausschließlich die Beziehungsdynamik SupervisorIn — Super- stände, also eine psychische Dynamik, die durch die Zugehörigkeit zu visand fokussiert werden. Die institutionsanalytische Balintgruppe berück- einer oder verschiedenen Gruppen in der Institution entsteht, und zwar sichtigt die Dynamik um eine dritte Dimension: die Institution. Es geht um zusätzlich zur lebensgeschichtlich-individualpsychologischen Dynamik. Beziehungsdiagnostik im erweiterten Sinn. Es geht um das Dreieck Super- Bei der soziologischen Betrachtungsweise werden die manifesten und visorIn — Supervisand — Institution. latenten institutionellen Realitäten bei der Arbeit berücksichtigt. Welche In einer institutionsanalytischen Balintgruppe für SupervisorInnen geht formellen Regeln und welche institutionellen Beziehungen steuern das es nicht allein darum, intrapsychische und interpsychische Bedeutungs- Verhalten? Von Interesse sind sowohl die formellen institutionellen Struk- gehalte in Beziehungsszenen zu verstehen. Es werden auch gesellschaftli- turen, als auch das informelle, beziehungsgesteuerte Geschehen. Die Frage che und institutionelle Rahmenbedingungen betrachtet, um berufliche/ realer Macht- und Abhängigkeitsverhältnisse ist z.B. in den Blick zu soziale Szenen zu erfassen; Berufssozialisationsprozesse mit den jeweiligen nehmen, wenn ein Supervisand oder ein Team innerhalb der Einrichtung Prägungen werden in ihrem Einfluß auf die persönliche und berufliche Positionen bezieht, die institutionell unerwünscht sind. Es ist dann wichtig Entwicklung hinterfragt; Rolleneinengungen und berufliche Spielräume zu verstehen, in welchem Rahmen z.B. Autonomiewünsche entstehen. werden auf diesem Hintergrund gesehen und psychosoziale Probleme Gibt es sozial reale Gefahr, den Arbeitsplatz zu verlieren? werden im institutionellen und gesellschaftlichen Bedingungszusammen- Die institutionsanalytische Balintgruppe bewegt sich im Spannungsfeld hang analysiert. zwischen Individuum und Institution. Was können SupervisorInnen in In Balintgruppen für SupervisorInnen werden nicht nur einzelne Super- einer Balintgruppe zur Stärkung ihrer supervisorischen Haltung in Organi- visanden vorgestellt, sondern auch Teams und größere Gruppen, die in sationen lernen? (Ausführliche Erörterung zur supervisorischen Haltung in Institutionen eingebettet sind. Das heißt, es geht um die Analyse des Organisationen vgl. Lehmenkühler-Leuschner u. Leuschner 1997.) Auf- Spannungsfeldes zwischen den Ansprüchen der Klienten, der Institution grund ihrer Ausbildung und ihrer spezifischen Tätigkeit, in Institutionen zu und der Eigendynamik des zu beratenden Teams. Neben der Externalisa- arbeiten und ständig mit Institutionalisierungen umzugehen, haben Supervi- tion verinnerlichter Beziehungen, die in selektiv verzerrten Wahrnehmun- sorInnen ein feines Gespür für institutionelle Bedingungen und Gegeben- gen zum Ausdruck kommt, bestehen reale Rollenbeziehungen zwischen heiten entwickelt. Sie haben ein Gespür für die Schnittstellen, an denen den Beteiligten. Die äußere institutionelle Realität verbindet oder vermischt sich gesellschaftliche — institutionelle und persönliche Entwicklungen sich mit den inneren Bildern. treffen. Ihre institutionelle Reflexionsfähigkeit läßt sie immer wieder Die Betrachtungsweisen in der institutionsanalytischen Balintgruppe institutionelle Widersprüche thematisieren. Um das Orchesterbild noch lassen sich gedanklich auf drei Ebenen unterscheiden: eine individual- einmal aufzugreifen, sie haben als Berufsgruppe eine feine Schwingungs- psychologische, eine sozialpsychologische und eine soziologisch/institu- fähigkeit für institutionelle Verwicklungen. Sie spüren in einer Fallbespre- tionsanalytische. chung sehr schnell, wenn die fallvortragende Supervisorin ihre Eigen- Individualpsychologische Beiträge bewegen sich in eine intrapsychische ständigkeit und ausreichende Distanz verloren hat, oder wenn die Fähigkeit Richtung: wie mag sich der Supervisand innerhalb seiner Institution zu oszillierender Aufmerksamkeit, pendelnd zwischen den verschiedenen fühlen? Was fürchtet er, was erhofft er sich, was muß er abwehren? Positionen, gefährdet ist. Das hat zur Folge, daß Interessens-Identifikatio- Latente Konflikte, die im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit mobilisiert nen, sei es mit einzelnen Supervisanden, mit Gruppen, Teams oder der werden, stehen im Mittelpunkt des Verstehens. Die Aufmerksamkeit gilt gesamten Organisation immer thematisiert werden bzw. daß in der Gruppe seiner psychischen Struktur, die er lebensgeschichtlich erworben hat und mit Sicherheit unbesetzte Rollen und Perspektiven übernommen werden. die seine selektive oder verzerrte Wahrnehmung bewirkt und sein Verhal- Institutionelle Anpassungsleistungen wie Konformismus, Unterwerfung, ten den Kollegen und der Institution gegenüber strukturiert. Verleugnung der eigenen Interessen werden ebenso in den Blick genom- Sozialpsychologische Beiträge fokussieren die psychische Dynamik, die men wie institutionelle Feindbilder. Die supervisorische Wahrnehmungs- in einer Gruppe oder einem Team innerhalb einer Institution entsteht. Die einstellung berücksichtigt z. B. folgende Fragen: Arbeitsbeziehungen werden in konkreten Interaktionen gelebt und bewir- Wie angemessen sind die institutionellen Strukturen in Hinblick auf die ken dabei psychische und soziale Konflikte. Das Erfordernis, sich wechsel- institutionellen Ziele und wie werden menschliche Bedürfnisse und Inter- ForumForum SupervisionSupervision -- www.beratungundsupervision.de 40 Angelica Lehmenkühler-Leuschner Die institutionsanalytische Balintgruppe 41 essen berücksichtigt? Welche unbewußten Wünsche, Ängste, Aggressio- Die emotional-kognitiven Reaktionen in der Gruppe und der sich daraus nen, Autonomie- und Schamgefühle bestimmen die institutionelle Struk- entwickelnde Prozeß helfen uns nicht nur, die Beziehungssituation zwi- tur, beeinflussen die Rollenarrangements? Die kognitiv-emotionalen schen SupervisorIn und Supervisand besser zu verstehen, sondern auch die Reaktionen der SupervisorInnen in der Balintgruppe beziehen sich auf die sozialpsychologisch-gruppendynamische Einbindung des Supervisanden äußere und innere Realität in sozialen, kulturellen und geschichtlichen kann im Hier-und-Jetzt erlebbar werden. Die Einbeziehung der Gruppen- Zusammenhängen. Die Wahrnehmungsfähigkeit für diese Schnittstellen dynamik führt uns zu dem Blickwinkel, in welchem sozialen Kräftefeld wird in der gemeinsamen Berufsgruppe trainiert, die Sensibilität fürdie sich der Supervisand bewegt. Werden in der Gruppe z.B. Konflikte Schnittstellen von Biographischem, Institutionsgeschichtlichem, Individu- ausgetragen, kann es sein, daß sie konflikthafte Kräfte des Supervisanden ellemund Gesellschaftlichem, wird weiterentwickelt. Die Analyse dieses darstellen. Gruppenmitglieder mit anspruchsvoll — vorwurfsvoll getönten Dreiecks SupervisorIn — Supervisand — Institution kann sowohl aus einer Beiträgen und Mitglieder mit unterstützenden-verständnisvollen Beiträgen Außenperspektive erfolgen mit vorwiegendem Bezug auf Struktur- und können dann unmittelbar erlebbar werden lassen, wie anspruchsvoll-strenge Systemaspekte, als auch aus einer Innenperspektive, um latente Bedeu- Über-Ich-Aspekte des Supervisanden mit großzügig-gewährenden Teilen tungsstrukturen zu erschließen. Die äußere Perspektive beinhaltet z.B. im Kampf liegen. Fragestellungen wie: welche Rollen und Aufgabennimmt der Supervisand in seiner Organisation wahr?Wie ist er mit den institutionellen Bedingun- gen verwoben? Welche Rollenübernahme in der Institution entspricht 3. Psychoanalytische Institutionsanalyse sowohl den Fähigkeiten des Supervisanden, als auch den sozialen-in- stitutionellen Anforderungen? Wenn der Leiter einer Institution darüber Psychoanalytische Institutionsanalyse setzt sich zum Ziel, die innere klagt, sich seinen Aufgaben nicht gewachsen zu fühlen, ist nichtnur zu Realität des Unbewußten im individuellen und institutionellen Handeln, untersuchen, wie förderlich dieserLeiter die beruflichen Beziehungen wie es sich in der äußeren Realität zeigt, zu verstehen. Wenn man die gestaltet bzw. welche persönlichen Schwächen ihn in seiner Rolle behin- institutionelle Struktur und Dynamik der Organisation des/der Supervisan- dern, sondern in gleicher Weise ist das institutionelle Umfeld mit seinen den, die nicht unmittelbar kognitiv und affektiv zugänglich ist, erforschen Besonderheiten in den Blick zu nehmen. Es ist zu untersuchen, welche und verstehen will, kann die Beziehung der Supervisorin zur Organisation institutionellen Interessen zu welchen institutionellen Bedingungen (z.B. ein Medium sein, in dem die Art zum Ausdruck kommt, wie die Institu- Ausstattungen im Verwaltungsapparat und im Kompetenzgefüge) geführt tion die Beziehung zum Supervisanden bzw. zur Supervisorin als Katalysa- haben (vgl. Kernberg 1988, S.268-280) und welche institutionellen torin gestaltet. Die Supervisionsbeziehung ist eine Art Projektionsfläche für Interessen mit den individuellen Bedürfnissen des Supervisanden korre- die verborgene institutionelle Dynamik und Struktur. Um sozial festgelegte spondieren oder ihnen widersprechen. Parin hat besonders darauf hinge- Bedeutungsstrukturen in einer Organisation zu verstehen, ist die Innenper- wiesen, daß Institutionen ihren Rollenträgern insbesondere bei lukrativen spektive der Beteiligten zu erschließen und zu interpretieren. Ein psycho- Leitungsrollen eine Anpassung anbieten und abverlangen, die Zugehörig- analytisches Konzept zum Verstehen fremder Kulturen und Institutionen keit zur Institution kann dazu führen, daß die Rolle das Ich ersetzt (vgl. finden wir in der ethnopsychoanalytischen Forschung, wie Maya Nadig sie Parin 1992, S. 112 ff.). Solche institutionellen Anpassungsmechanismen zu in „Die verborgene Kultur der Frau“ beispielhaft verdeutlicht hat. Hier verstehen, ist eine wichtige Funktion der Balintgruppe. Dabei nehmen wir geht es um die ständige Aufmerksamkeit fürdie Entwicklung der unmittel- eine Innenperspektive ein: Wie nimmt der Supervisand die institutionelle baren Beziehung zwischen der Forscherin und den Mitgliedern der anderen Realität wahr, wie ist er verschmolzen mit den Leitbildern der Einrich- ‚Kultur. Das Konzept der ethnopsychoanalytischen Beziehung basiert auf tung? Wie zeigt sich seine Beziehung zur Institution in der Balintgruppe? der Gegenübertragungsanalyse von Gesprächen mit Angehörigen einer Welche institutionellen Rollenträger finden hier Resonanz, wie zeigen sich anderen Kultur und geht davon aus, daß Menschen aus verschiedenen institutionelles Klima und besondere Tabus? Wo bewirkt der Fallvor- Kulturen als Fremde kulturspezifisch aufeinander reagieren. Die in der tragende bei den Mitgliedern der Balintgruppe Denk- und Gefühlsverbote? Beziehung ausgelösten Affekte, Wahrnehmungen und Handlungsimpulse Wie stellt sich das institutionelle Netz des Supervisanden in der Gruppe werden von der jeweiligen Kultur bestimmt. Die kulturell geprägten dar? Rollen, Erlebens- und Wahrnehmungsweisen und die kulturspezifischen ForumForum SupervisionSupervision -- www.beratungundsupervision.de 42 Angelica Lehmenkühler-Leuschner Die institutionsanalytische Balintgruppe 43

Kommunikationsmuster stoßen aufeinander. Unerwartete — weil kultur- Institutionen und fremde Kulturen, die sowohl lebensgeschichtlich als auch spezifische — Aktionen und Reaktionen lösen Verunsicherungen und Irrita- kulturell bestimmt sind und mit den Erfahrungen zusammenhängen, die tionen aus. Irritationen sind Reaktionen auf einen Gegensatz zweier Posi- man mit bestimmten Institutionen und Organisationen gemacht hat und die tionen oder auf Widersprüchliches oder Brüche. Solche Irritationen werden häufig unbemerkt die Wahrnehmungs- und Handlungsweisen in Supervi- von der Forscherin affektiv und kognitiv beantwortet und verarbeitet: sion und Balintgruppe bestimmen. Institutionelle Gegenübertragungungen sowohl mit Affekten, Identifikationen, Abwehrmechanismen wie mit sind die Reaktionen der Supervisoren auf die Übertragungen des/der assoziativen Einfällen, Erklärungen und Theorien. Das.im Beziehungs- Supervisanden auf die Institution oder bestimmte Mitglieder der Institution erleben „Fremde“ ist Gegenstand der Reflexion und Selbstreflexion und (vgl. Wellendorf 1991, S.58). Eine wichtige Voraussetzung, um institutio- ermöglicht einen Zugang zur kulturspezifischen Psychodynamik und zur nelle Gegenübertragungen von eigenen institutionellen Übertragungen fremden Kultur. Ziel ist, die kulturspezifische Dynamik des Handelns in unterscheiden zu können, sind reflexive Gespräche und selbstreflexive ihren Bedeutungsstrukturen zu verstehen. Das bedeutet, sich auf einen Arbeit. reflexiven und selbstreflexiven Prozeß einzulassen, indem man sich über die eigene kulturelle Geprägtheit wie die des Gegenübers bewußt wird. Fallvignette Das „Fremde“ im Beziehungserleben wird nicht pathologisiert, sondern Vorgestellt wird die Supervision in einem Altenheim mit konfessioneller Träger- wahrgenommen als bedeutsamer Ausgangspunkt der Verstehenssuche in schaft. Die Supervisorin ist irritiert darüber, daß die Supervision immer mit einem zwischen Identifikation und Abgrenzung oszillierenden Prozeß. Mit 1lOminütiger Verspätung beginnt, weil noch vordringlich wichtige Arbeit mit den Maya Nadigs Worten: „Das Aufeinanderstoßen zweier kultureller Kom- alten Leuten oder wegen unaufschiebbarer institutioneller Aufgaben zu erledigen ist, Die regelmäßige Verspätung entschuldigen die Supervisanden selbstbewußt und munikationsmuster löst bei der Ethnologin subjektive Irritationen aus, die mit gleichzeitigen Schuldgefühlen der Supervisorin gegenüber. Gleichzeitig vermit- sie unweigerlich in den oszillierenden Prozeß der empathisch-identifikatori- teln sie eine gewisse Genugtuung oder klammheimliche Freude beim Zuspätkom- schen Annäherung und des reflexiv abgrenzenden Rückzuges hineinführen. men, Im Laufe des Prozesses werden mehrmals kurzfristig Supervisionstermine Ohne diesen Oszillationsprozeß könnte sie die kulturspezifische Umgangs- abgesagt wegen wichtiger institutioneller Verpflichtungen. Bei der Supervisorin weise des Gegenübers gar nicht wahrnehmen, sie müßte sie — aus Selbst- wechseln Verärgerungsgefühle auf die Supervisanden und Verunsicherung mit Ak- schutz — als neurotische und individuelle Abwehrformen deuten“ (Nadig zeptanz der Supervisanden und Ärger auf die Einrichtung ab. In den Supervisions- 1997, S.49). gesprächen werden immer wieder Arbeitsüberlastung und Überstunden themati- Diesen Mechanismus kennen wir auch ausder Supervisionsarbeit in uns siert. Die Balintgruppenmitglieder konzentrieren sich auf die erzählten Phänomene als fremden Institutionskulturen. Dieser Oszillationsprozeß bildet sich auf einer symbolische Darstellungsmöglichkeiten der Teammitglieder, die äußere institutio- anderen Ebene ebenfalls in der Balintgruppenarbeit ab. Das heißt: Die nelle und gleichzeitig innere Vorgänge repräsentieren. Es werden Einfälle dazu ethnopsychoanalytische Kulturanalyse läßt sich auch auf das Verstehen von gesammelt, welche kulturspezifische/institutionelle Bedeutung sich im Zuspätkom- Institutionskulturen übertragen. Der spezifische Institutionszusammenhang men und kurzfristigen Terminabsagen ausdrücken und wie das kontinuierlich auf- des/der Supervisanden mit tradierten Wertvorstellungen und Rollenerwar- gegriffene Thema der Arbeitsüberlastung auf sie wirkt. Während die einen das tungen soll erschlossen werden. Welchen institutionskulturspezifischen Zuspätkommen als eine persönliche Abwehr gegenüber der Supervision vermuten, Umgangsformen begegnen mir bei dem/den Supervisanden? andereobjektive gesellschaftliche Veränderungen und Konkurrenzdruck von Alten- In der Balintgruppe ist das „Befremdende“, das zunächst Unverständli- heimen mit privaten Anbietern in denBlick nehmen, empfinden wieder andere das che, Ausgangspunkt der Arbeit. Die latente Dynamik der Institutionskultur, Phänomen als ambivalente Nähe-Distanz-Regulierung in der Beziehung zur Super- visorin. Deren Fallvortrag lenkt die Aufmerksamkeit auf die Selbstpräsentation der die im Fallvortrag reinszeniert wird, kann in der Gruppe ausschnittweise Teammitglieder, die sich als unentbehrlich darstellen und den Bedürfnissen ihrer miterlebt und miterkannt werden. Sie zeigt sich in der emotionalen, psychi- Klienten immer den Vorrang geben müssen. Sie zeigen sich als Diener(-innen) der schen und kognitiven Bewegung der Gruppe, die durch „Irritationen“ Einrichtung, indem sie sich dringend und unverzüglich um gewichtige institutionel- ausgelöst werden. Die durch den Fallvortrag ausgelösten emotionalen und le Belange kümmern müssen. Persönliche Absprachen, Verbindlichkeiten des kognitiven Bewegungen sind auch Abbild der institutionellen Übertragun- Tears mit der Supervisorin sind immer untergeordnet, In der Identifikation mit gungen und institutionellen Gegenübertragungen. Mit institutionellen der.Supervisorin wird erlebt, wie die „Größe“ der Supervisorin schrumpft, wie Übertragungen meine ich die eigenen Übertragungsbereitschaften auf auch sie sich den institutionellen Bedingungen anpassen muß. Einige erleben den ForumForum SupervisionSupervision -- www.beratungundsupervision.dewww.Beratungundsupervision.de

44 Angelica Lehmenkühler-Leuschner Die institutionsanalytische Balintgruppe 45

strukturellen Bemächtigungswunsch der Supervisanden, die der Supervisorin im- Sie haben die Frage, ob die Supervisorin sie in ihrer beruflichen Tüchtig- mer wieder „ihre“ Struktur aufzwingen, entgegen den gleichzeitig immer wieder keit und Kompetenz bestätigen wird oder ob sie sie überwiegend in ihren bestätigten zeitlichen Absprachen und der Bekräftigung des Wunsches, die Defiziten und Unsicherheiten wahrnimmt. Diese Unsicherheit korrespon- Supervision fortsetzen zu wollen. Andere Balintgruppenmitglieder erleben als diert mit der institutionellen Gegenübertragung der Supervisorin, die sich Supervisorin die Angst,von den Supervisanden nicht genügend geschätzt zu professionell auch noch nicht angenommen fühlt, sich von der Institution werden oder fühlen sich in ihrer Kompetenz bzw. in in ihrem Wert fürdie sowohl eingeladen als auch ausgeladen fühlt. Das Bedrohungsgefühl, das Einrichtung in Frage gestellt. Demgegenüber vergrößern sich die Supervisanden, indem sie sich mit der Allmacht der Institution identifizieren, ihre Größen- und durch die Supervision mit den fremdartigen Normen entsteht, führt jedoch Tüchtigkeitsphantasien mit der Arbeit verknüpfen, die sie als wichtiger als die nicht zum Supervisionsabbruch. Der Supervisorin werden einerseits Gren- Supervisionsarbeit demonstrieren. In der Reaktion verspüren die SupervisorInnen zen aufgezeigt, andererseits die Fortsetzung der Supervision bestätigt. Ärger auf die „verschlingende“ Einrichtung. Sie fühlen sich verkleinert und Warum muß sich die Supervisorin einerseits symbolisch der Institution entwertet. Die fallvortragende Supervisorin ergänzt, daß ihr die Supervisanden beugen und wird andererseits als außenstehende Beraterin, die symbolisch verdeutlicht haben, daß sie die Supervisorin nicht kränken wollen, daß sie jedoch Autonomie der Institution gegenüber repräsentiert, weiterhin in Anspruch ihren beruflichen Wert und ihre Sicherheit aus der 150 %igen Identifikation mit genommen? Im Zuge des gesellschaftlichen Umbruchs im Gesundheits- der Arbeitsaufgabe und letztlich dem institutionellen Sich-Unterordnen beziehen. wesen sieht sich die Institution Altenheim mit gravierenden strukturellen Veränderungsnotwendigkeiten konfrontiert, um in der Konkurrenz mit anderen Einrichtungen überleben zu können. Gleichzeitig ist die kirchliche 4. Analyse der institutionellen Übertragungen Einrichtung Traditionen von Mitmenschlichkeit und Altruismus verpflich- und Gegenübertragungen als Ausdruck tet, die jedoch mit wirtschaftlich/ökonomischen Notwendigkeiten im der institutionsspezifischen Kultur Interessenskonflikt liegen. Die bewährten Lösungsstrategien, die Arbeits- komplexität über die Verinnerlichung der kirchlich/institutionellen Ideale Als institutionskulturspezifische Phänomene und Umgangsformen begeg- zu bewältigen, reichen meist nicht mehr aus;die Individualitätsinteressen nen der Supervisorin die ständige Arbeitsüberlastung, das gehäufte Zuspät- und Selbstbezogenheit vieler Mitarbeiter werden größer und bewirken hohe kommen, die Demonstration, daß der Umgang mit der Zeitstruktur allein Fiuktuation unter den Mitarbeitern. Gleichzeitig muß im Stellenplan institutionell bestimmt wird und andere Verbindlichkeiten wie Supervi- gespart werden, es kommt eher zu Kündigungen bei Nicht-Akzeptanz der sionszeitabsprachen, Familie und persönliche Freizeitbedürfnisse sich dem institutionellen Spielregeln. Auf diesem Hintergrund wird die vielschichtige unterzuordnen haben. Die Institutionskultur des Vorrangs von pragmati- Ambivalenz der Mitarbeiter verständlich. Die Supervisorin soll die in- scher Aktion, der Notwendigkeit der täglichen Arbeitsbewältigung durch stitutionellen Spielregeln spüren, erleiden und akzeptieren. Andererseits Handeln gegenüber der Institutionskultur der Supervision, in der die soll sie als autonome Beraterin in dem Interessenskonflikt vermitteln und Reflexionsnotwendigkeit als wesentliche Grundlage der Arbeitsbewältigung den Supervisanden bei der Bewältigung der brennenden institutionellen betont wird, treffen aufeinander und bedrohen sich gegenseitig. Die in- Probleme helfen. In der Ambivalenz, die in der Beziehungsgestaltung der stitutionelle Sicherheit, die den Supervisanden berufliches Selbstbewußtsein Altenheimmitarbeiter zur Supervisorin sichtbar wird, kommt auch die gibt, kann gegenüber der „Fremdheit“ der Supervisionskultur, die zu ambivalente Einstellung der Supervisanden zu ihrer Selbstaufgabe fordern- Verunsicherungen und „Verkleinerungs“-Ängsten geführt hat, steuernd und den, vereinnahmenden Einrichtung zum Ausdruck. Diese Dynamik be- ausgleichend eingesetzt werden. Die Beziehungsgestaltung zur Supervisorin kommt die Supervisorin im eigenen Erleben zu spüren.Die „institutionelle ist Ausdruck einer Organisationskultur, in der persönliche Gefühle dem Gegenübertragung“ der Supervisorin, in der sie sich instrumentalisiert und „größeren Ganzen“ untergeordnet werden. Indem sich die Supervisanden nach Bedarf stehengelassen fühlt, läßt auf Auseinandersetzungswünsche, mit den institutionellen Normen identifizieren, erleben sie eine Vergröße- ‚Autonomiebedürfnisse und Wünsche, in der eigenen Individualität und im rung und institutionelle Zugehörigkeit, die sie mit narzißtischer Stärkung beruflichen Selbstwert anerkannt zu werden, schließen. Die Dynamik der und Anerkennung entschädigt. So wie die Supervisanden sich institutionel- Einrichtung, ihre Ideologie von Selbstaufopferung, Aufgabe von Individua- le Anerkennung verschaffen, versuchen sie auch, sich der Supervisorin lität zugunsten des Gemeinwohls und der tradierte Wert des Dienens bei gegenüber zu zeigen. Sie sind sich ihrer Anerkennung noch nicht sicher. gleichzeitigen Ausbeutungstendenzen oder Rücksichtslosigkeiten den ForumForum SupervisionSupervision -- www.beratungundsupervision.dewww beratungundsupervision.de 46 Angelica Lehmenkühler-Leuschner Die institutionsanalytische Balintgruppe 47

Mitarbeitern gegenüber kommt also in der Art zum Ausdruck, wie die spontanen Reaktionen auf den Supervisanden genau wahrzunehmen, Institution bzw. die Teammitglieder als Angehörige der Institution die andererseits eine Verzögerung auf der Handlungsebene bewirkt, indem B e z i e h u n g zur Supervisorin gestalten. Die der Supervisorin unbewußt reflexiv die emotional-kognitiven Reaktionen als Hinweise auf Gegenüber- vermittelte Angst, in der Institution nicht geschätzt z u werden, durch tragungsreaktionen untersucht werden. Die SupervisorInnen lernen, sich in willkürlich erlebte Terminabsagen korrespondiert mit der unbewußten Beziehungskonflikte nicht hineinziehen zu lassen, sondern sie als ver- Angst der Mitarbeiter, von der Institution willkürlich und wenig wert- äußerlichte Konflikte des Supervisanden zu verstehen, die häufig gleichzei- schätzend behandelt zu werden. Der Wertewandel in der Einrichtung mit tig mit institutionellen Problemen korrespondieren. Die Balintgruppe den P o l e n Altruismus und Mitmenschlichkeit und ökonomische Effizienz versucht also auch, institutionelle Probleme nicht zu psychologisieren und f ü h r t zu einer Verringerung der institutionellen Glaubwürdigkeit. Es fällt scheinbar persönliche Probleme in ihrer institutionellen Bedingtheit zu den Mitarbeitern schwerer, i h r e Größenphantasien und ihre Sinnorientie- verstehen bzw. bei VerflechtungenDifferenzierungen zu erarbeiten. Die rung an die Arbeit in der kirchlichen Einrichtung z u binden. Das berufliche SupervisorInnen lernen wahrzunehmen und zu beobachten Identitätsgefühl ist in der Krise. Die Supervisorin wird geprüft, ob sie —. was der/die Fallvortragende erzählt und wie er/sie es erzählt hierin einen Ausweg findet. Es e n t s t e h t die F r a g e , ob Beziehungsorientie- — wie er/sie selbst auf das Erzählte reagieren und rung und wirtschaftliche Effizienz unvereinbare Gegensätze s e i n müssen. — welche kulturellen Kommunikationsmuster aufeinanderstoßen Auf einer allgemeinen Ebene zusammengefaßt: Die verborgene in- = welche Irritationen ausgelöst werden stitutionelle Dynamik und Institutionskultur werden in der Beziehungs- - welche Beziehungsgestaltung der Fallvortragenden zur Institution gestaltung zur Supervisorin sichtbar. Das kulturspezifische Verhalten der sichtbar wird Supervisanden führt zur Irritation. Die institutionellen Übertragungen und = welche Beziehungsgestaltung des/der Supervisanden zur Fallvortragen- Gegenübertragungen werden a l s Ausdruck der institutionsspezifischen den spürbar wird Kultur verstanden. Die Wahrnehmung des Anders-Seins wird als „ b e - — wie die anderen Gruppenmitglieder und der/die Leiter/in reagieren. deutsam“ wahrgenommen und f ü h r t zum gegenüberstellendem (konfronta- Sie lernen gleichzeitig, eine suchende Haltung einzunehmen und Zusam- t i v e n ) und gleichzeitig verstehenwollenden Gespräch mit dem Ziel, die menhänge zu dem vorgetragenen Fall zu erkennen und den Supervisanden institutionskulturellen Besonderheiten ins Bewußtsein zu heben. Das in Hinblick auf seine „Objekte“ und inneren Konflikte zu betrachten, die er Verstehen von unbewußten Ängsten der Supervisanden ermöglicht ein in der Art der Gestaltung seiner sozialen Beziehungen (zu Berufskollegen, bewußtes Benennen der psychosozialen Dynamik und schafft e i n e B a s i s zur Institution, zur Supervisorin und zu den Balintgruppenmitgliedern) zur Konfliktbearbeitung. vermittelt durch den/die Fallvortragenden zum Ausdruck bringt. Sie lernen, sich zu fragen, wozu das Verhalten des Supervisanden dienen könnte. Sie erwerben eine Kompetenz in Beziehungsdiagnostik und werden dafür 5. Was wird besonders in der institutionsanalytischen sensibilisiert, welche Art von Beziehung jemand häufig herstellt, welche Balintgruppe gelernt? Beziehungskonstellationen jemand bevorzugt oder auch meist vermeidet, welche Beziehungssituationen für den Supervisanden schwierig zu bewälti- Wenn Supervisanden über beruflich schwierige Situationen berichten, die gen sind. Der Bezug zur persönlichen Lebensgeschichte erleichtert das Supervisorin sich ein Bild gemacht hat von der sozialen/institutionellen Verstehen von Rollenfixierungen, Einschränkungen im beruflichen Bewe- Situation, entwickelt sich in der Regel bei der Supervisorin, die sich in den gungsspielraum sowie das Verstehen, warum der Supervisand die Supervi- Supervisanden und die Situation einfühlt, der Impuls, sich auf die eine sorin immer wieder bewegt, eine bestimmte Rolle einzunehmen. Sobald oder andere Seite zu stellen. Das übermittelte Bild des Supervisanden wird ich eine bestimmte Haltung des Supervisanden, die mich reizt, ungeduldig als objektive Realität übernommen. Im Sinne einer elterlichen Gegenüber- öder aggressiv macht, als „sinnvolles“ defensives Verhaltensmuster ver- tragung stellt sich z.B. der Wunsch ein, dem Supervisanden mit einem stehe, mit dem der Supervisand einen inneren Konflikt zu bewältigen gutgemeinten Ratschlag oder einer schnellen Konfrontation zu „helfen“. versucht, werde ich als Supervisorin ruhiger, entspannter, sachlicher und Der Gefahr des „Mitagierens“ wirkt die Balintgruppe entgegen, indem sie toleranter. Das bessere Verständnis ermöglicht der Supervisorin eine durch ihr Setting mit den speziellen Spielregeln einerseits ermutigt, die Überwindung der Gegenübertragung. Dasbewirkt ein besseres Zuhören, ForumForum SupervisionSupervision -- www.beratungundsupervision.dewww eratungundsupervision.de 48 Angelica Lehmenkühler-Leuschner Die institutionsanalytische Balintgruppe 49 treffenderes Fragenstellen auf der Grundiage e i n e r akzeptierenden Bezie- 6. Institutionelle Abwehr auf dem Hintergrund h u n g . Wenn z . B . e i n e Lehrsupervisorin in der Balintgruppe herausfinden eines Selbstwertregulations-Modells möchte, wozu es ihrer Lehrsupervisandin wohl dienen könnte, keinen eigenen Supervisanden zu f i n d e n und für längere Z e i t in der Akquisition Psychoanalytische Sichtweisen enthalten Verstehensgrundlagen für in- erfolglos zu bleiben, eröffnen s i c h allein d u r c h die Fragestellung und das stitutionelle Anpassungs- und Abwehrmechanismen. Dazu gehören rollen- Sammeln von Einfällen dazu neue Perspektiven. Empfinde i c h als M i t g l i e d gebundene Abwehrformen in dyadischen Beziehungen und Gruppen, insti- der Balintgruppe die vorgestellte Lehrsupervisandin als antriebslos, als tutionelle Abwehr als von der Institution gebildete Abwehrstrukturen. Kol- ängstlich oder als trotzig-aggressiv? Wie wirkt s i c h meine Wahrnehmung lektive institutionelle Abwehrkonstellationen als Arrangements, d i e aus auf meine Gefühlslage und Beziehung zur Lehrsupervisandin aus? Weiche psychosozialen und institutionellen Abwehrstrukturen gebildet werden, Beziehung s t e l l t sie zur Lehrsupervisorin her, welche zu den Ausbildungs- werden b e i Lapassade (1972) und P a g e s (1974) beschrieben. Mentzos hat leitern? Werden d i e Ausbildungsleiter als strenge, fordernde Lehrer darge- sich besonders mit der Konfliktdynamik Institution und Individuum ausein- stellt, denen die Lehrsupervisorin gegenüber ausgleichend g ü t i g sein sollte andergesetzt. Institutionen, die Normen, Werte und Ideologien prägen und oder möchte? Wie ist die Beziehung der Ausbildungskandidatin zur Individuen Berufs-Identität und Selbstwertgefühl „verleihen“, s i n d beson- Ausbildungsinstitution? Zu welcher institutionellen Gegenübertragung d e r s geeignet, die unbewußte Dynamik, d . h . die neurotischen und regressi- werde i c h bzw. die Lehrsupervisorin eingeladen? (Mit institutioneller ven Tendenzen ihrer Mitglieder aufzugreifen und d i e s e zu Abwehrzwecken Gegenübert r a g u n g meine ich die Reaktionen der Lehrsupervisorin auf die zu.nutzen (Mentzos 1 9 7 6 , S. 80). Die Institution s t e l l t den besonderen Be- Übertragungen der Ausbildungskandidatin zur Ausbildungsinstitution.) zugsrahmen, der zu der unbewußten Dynamik einlädt. Den psychodynami- Welche Beziehung zur Institution w i r d mir vermittelt, w e l c h e Rolle soll schen Hintergrund für die „ i n s t i t u t i o n a l i s i e r t e Abwehr“ möchte ich genauer die Lehrsupervisorin in dem Dreieck übernehmen? G i b t es b e i den drei mit dem von Mentzos 1 9 9 5 dargestellten Selbstwertregulationsmodell Parteien wechselnde Koalitionen o d e r werde i c h Rollenteilhaber in einem beschreiben, weil er ein differenzierteres Verstehen der institutionalisierten strengen Eltern/Kind/Arrangement? Möchte ich d i e Lehrsupervisandin am Abwehr ermöglicht. Das Modell, das er das „Drei-Säulen-Modell“ nennt, liebsten wegschicken? Fängt s i e an, an ihrer Fähigkeit, Supervisorin scheint mir nützlich für d i e Beziehungsdiagnostik in der institutionsanalyti- werden zu können, zu zweifeln? I s t sie o d e r bin ich in der Identifikation s c h e n Balintgruppe wie f ü r die supervisorische Arbeit überhaupt. mit i h r enttäuscht, daß alle Ermutigungen zu offensiveren Akquisitions- Zur b e s s e r e n Anschaulichkeit h i e r ein S c h a u b i l d ( M e n t z o s 1 9 9 5 , S. 40): bemühungen nichts „gefruchtet“ haben? Fürchtet s i e , „erfolglose“ Lehrsu- pervisorin zu werden? Könnten s o l c h e Gefühle mit Selbstwertzweifeln der Lehrsupervisandin in Zusammenhang stehen? Oder will sie den Lehrern beweisen, daß die Anforderungen zu hoch s i n d ? Oder konstelliert sie eine schulische Situation, die zum Versagen führt? Warum kann d i e Lehrsuper- visandin die i n n e r e Haltung „ i c h bin wertvoll“, mit mir lohnt eine ( b e r u f l i - che) Beziehung nicht einnehmen? Es ist zwar nicht völlig auszuschließen, daß d i e „Erfolglosigkeit“ primär d u r c h e i n e schwierige Marktlage bestimmt i s t . Es hat sich jedoch o f t gezeigt, daß sich die äußere S i t u a t i o n und die institutionellen Rahmenbe- dingungen auf verschiedenste Weise mit der Psychodynamik der akquirie- renden Supervisorin (in Ausbildung) verbinden. Sobald die Lehrsupervisorin beginnt, durch in der Balintgruppe geäußerte Vermutungen und Hypothesen Möglichkeiten zu sehen, wie die Supervisandin z u verstehen i s t , ohne.dabei die institutionelle Einbindung der Supervisandin aus dem B l i c k zu verlieren, verändert s i c h ihre Gegenübertragungskonstellation, und sie kann wieder zugewandter und hoffnungsvoller mit der Supervisandin arbeiten. m, Y. ForumForum SupervisionSupervision -tw www.beratungundsupervision.de beratungundsupervision.de 50 Angelica Lehmenkühler-Leuschner Die institutionsanalytische Balintgruppe 51

Eine gute, stabile Seibstwertregulation basiert auf dem Gleichgewicht von „Lehrgeld“ bei Fehlern, Entschädigungen an andere, Anpassungsleistungen drei Kräften: der Selbst-Repräsentanz mit dem inneren Bild von sich in persönlichen und beruflichen Beziehungen, Unterwerfung unter in- selbst, der Objekt-Repräsentanz mit frühen Elternbildern, Leitbildern, stitutionelle Bedingungen. Dieses psychische „Giro-Konto“ ist gleichzeitig „Ideal-Objekten“ und der Über-Ich-Repräsentanz oder dem Gewissen. das Über-Ich-Konto und wird von der dritten Säule repräsentiert. Im Mentzos vergleicht ein sicheres Selbstwertgefühl mit der Tragfähigkeit oberen Drittelder Säule steht das reife Gewissen, das entwicklungsmäßig eines Dreifußes, der von drei Beinen oder drei Säulen getragen wird. Er zurückgeht aufdas archaische oder unreife Über-Ich und das ödipale Über- nennt sein Modell der Selbstwertregulation das „Dreisäulenmodell“. Zwei Ich im Mittelbereich. Die Stärkung der Säule basiert auf Anerkennung von der drei Säulen veranschaulicht er mit einer Metapher aus dem Wirt- Leistung und Pflichterfüllung. schaftsleben: dem Giro-Konto und dem Grundkapitalkonto als zwei Die zweite Säule repräsentiert die verinnerlichten Idealobjekte. Sie wird intrapsychische Bankkonten, die die Selbstwertdynamik wesentlich bestim- anfänglich in der symbiotischen Abhängigkeit zu den frühen Bezugs- men. Er geht also davon aus, daß jeder Mensch zwei seelische Bankkonten personen gespeist durch Identifikationsprozesse, die zu idealisierten Eltern- hat, Das Grundkapitalkonto, die erste Säule, wird gespeist durch die bildern führen (Basis der Säule). In der weiteren Entwicklung bilden sich Großzügigkeit der Eltern oder der ersten wichtigen Bezugspersonen. Die dann über Identifikationsprozesse und Internalisierungen Leitbilder (mitt- Menschen, die das Glück hatten, erwünscht zu sein, Bestätigung und lerer Teil der Säule). Darauf aufbauend entsteht durch Introjektion und Aufmerksamkeit zu bekommen, in ihrem Selbst-Wert gespiegelt und Assimilation das reife Idealobjekt (oberer Teil der Säule). Gutartige anerkannt worden sind und auch eine gute körperliche Grundausstattung internalisierte Objekte sind mit einer narzißtischen Stärkung verbunden und bekommen haben wie Gesundheit und Schönheit, konnten einen Fundus an ermöglichen zunehmend eine kritische und realistische Selbsteinschätzung. Sicherheit, Selbstvertrauen, Urvertrauen und eine gesunde Eigenliebe Das Selbstwertgefühl wird also sowohl vom äußeren, realen Objekt regu- erwerben. Die narzißtische Zufuhr der Eltern bildet das Grundkapital und liert, die Stärkung erfolgt durch Spiegelung (erste Säule), als auch vom bewirkt einen Vorrat an positiven Selbst-Bildern. Die in der frühen Kind- internalisierten Objekt, wobei die Stärkung über externe Stärkung durch heit auftretenden Größengefühle und Phantasien von Omnipotenz, die von Anerkennung erfolgt (3. Säule). den Eltern befriedigend aufgegriffen werden, schaffen die Voraussetzung Eine gute und stabile Selbstwertregulation basiert auf einer ausgegliche- für kreative, gestaltende Kraft, ein Grundkapital an Selbstbewußtsein, die nen Struktur und intakten Funktionsweise aller drei Säulen. Das Gleichge- umgebende Umwelt beeinflussen und gestalten zu können. Die erste Säule, wicht in der Selbstwertregulation wird beeinträchtigt, wenn die Statik der die diesem Grundkapitalkonto entspricht, hatdie Entwicklung des Größen- drei Säulen erschüttert wird. Zu einer Störung des Gleichgewichts kommt Selbst zur Grundlage, aufder sich später lebenslang vorhandene halb- es also bei Defiziten auf einer oder allen drei Säulen. Auf der dritten Säule bewußte Größenbilder entwickeln. Diese Größenbilder sind es, die zum kommt das Selbstwertgefühl aus dem Gleichgewicht, wenn dasIch ver- Lernen und Arbeiten motivieren und ein Zutrauen zu sich selbst voraus- unsichert wird durch Kritik, Verurteilung oder Bestrafung wegen nicht setzen, die Welt durch eigene gestaltende Kraft zu verändern; gleichzeitig erbrachten oder mangelhaften Leistungen oder bei „sündhaftern“ Verhalten. ermöglichen die Größenbilder von sich selbst eine ausreichende Unsi- Gibt es vorübergehend bei derdritten Säule Defizite, z.B. bei schulischen cherheits- und Mißerfolgstoleranz. An der Spitze der Säule steht das reife oder beruflichen Leistungseinbrüchen, können diese Defizite auf dem Ideal-Selbst: es beinhaltet realistisch korrigierte, positive Vorstellungen von „Über-Ich-Konto locker oder gewährend hingenommen oder verarbeitet sich selbst. Diese bieten ein ausreichendes Sicherheitspolster, das eine werden, wenn die erste Säule stabil und kräftig genug ist. Die erste Säule Gelassenheit ermöglicht, Fehler zu machen und eine Kränkungstoleranz, mit ausreichendem Grundkapital kompensiert Niederlagen und Mißerfolge die es erleichtert, Kritik entgegenzunehmen und zu verarbeiten. der dritten Säule, gibt sozusagen ausgleichenden Kredit. Ist die erste Säule Die andere Säule, in Mentzos’ Modell die dritte Säule, entspricht dem jedoch wenig stabil, gibt es wenig stärkende verinnerlichte Idealselbst- Girokonto, auf dem die Entlohnung für alle Leistungen gesammelt wird. Bilder, kann man sich wenig Defizite auf der ersten Säule leisten. Man Die eigene und soziale Anerkennung, die durch Arbeit oder sozialen kann wenig Risiken eingehen, scheut, sich auf unsicheres Terrain zu Erfolg, Kreativität, Pflichterfüllung, Ordentlichkeit und Fleiß erreicht wird, begeben, wie es beim Lernen zwangsläufig nötig ist, und muß gleichzeitig wird auf diesem Konto angehäuft. Gleichzeitig werden von diesem Konto angestrengt dafür sorgen, daß auf dem Über-Ich-Konto keine Schulden alle „Lebenskosten“ bezahlt, soziale Verpflichtungen, Hilfsbereitschaft, gemacht werden. Es muß möglichst alles „richtig“ gemacht werden. Damit ForumForum SupervisionSupervision -- www.beratungundsupervision.dewwW.beratungundsupervision.de 52 Angelica Lehmenkühler-Leuschner Die institutionsanalytische Balintgruppe 53

die erste Säule Kompensationsaufgaben fürdie zu schwache dritte Säule wesentliche Quelle der inneren Selbst-Stärkung aus. Das hat eine verstärkte übernehmen kann, muß sehr hart gearbeitet werden. Die Überschüsse auf Abhängigkeit von äußeren Objekten, von realen Bezugspersonen zur diesem Konto werden dann derdritten Säule zugeleitet, das Grundkapital Folge. Im Bereich des Lernens führt es zu einer Überängstlichkeit und im Größenselbst wird angereichert. Wie beim Monopoly ist es jedoch eingeschränktem Handlungs- und Experimentierspielraum. Im Beziehungs- wesentlich leichter, risikoreicher mit Gewinnmöglichkeiten zu experimen- bereich wird ein besonders hohes Maß an Bestätigung gebraucht und tieren, wenn es ein gutes Grundkapital als Polster gibt, auf dem Verluste erwünscht, gleichzeitig wird Ablehnung, Verurteilung und Strenge befürch- abgefedert werden können. Das langsame oder verzögerte Lerntempo tet und provoziert. In der Gegenübertragung wird man dazu gebracht, das mancher Supervisanden steht also häufig im Zusammenhang damit, mit Zutrauen zum lernenden Supervisanden zu verlieren, ungeduldiger und wieviel Risiko sie sich „Fehler“ leisten können. weniger gewährend als üblich zu werden. In Lebensabschnitten, die mit Belastungen und Krisen verbunden sind, Wird die dritte Säule bei einer Destabilisierung der beiden anderen in denen schwere Kränkungen am Arbeitsplatz zu verarbeiten sind, Bezie- Säulen kompensatorisch aktiviert, kann es im Extrem entweder zu Über- hungs- und Anerkennungsverluste, wo sich das Selbst-Bild und das Grö- anstrengungen kommen oder zur starken Regression auf die Basis der Benseibst verändert durch Krankheiten oder altersbedingte Veränderungen, Säule. Das strenge Über-Ich wird dann so verstärkt, daß es zu zwanghaf- wo es weniger narzißtische Zufuhr gibt durch Leistungsabfall im Beruf ten, übergewissenhaften Einschränkungen kommt bis hin zur Schuld- oder bei Stellenkürzungen die Erfahrung, nicht mehr gebraucht zu werden, Depression und Psychose. jahrelang erworbene berufliche Kompetenz nicht mehr gefragt ist, in Bela- stungssituationen in der beruflichen Aus- und Fortbildung, wo große Leistungsängste zu bewältigen sind, in diesen Zeiten ist man vorwiegend 7. Psychosoziale Arrangements in Organisationen auf die erste Säule, das Grundkapitalkonto, angewiesen. Wenn das Gutha- zur unbewußten Aussteuerung des Selbstwertgefühls ben hier nicht reicht, sind Kompensationen über Leistung und Anpassung gefragt, so daß es eine Ausgleichsmöglichkeit über soziale Anerkennung Die Ausbalancierung des Selbstwertgefühls findet nicht nur i n t r a p s y c h i s c h gibt. durch die Dynamik zwischen und innerhalb der drei Säulen statt, sondern Bei einer drohenden Selbstwertdekompensation, die nicht mehr über f i n d e t auch in der äußeren Wirklichkeit in psychosozialen Arrangements vermehrte Leistung ausgeglichen werden kann, kommt es zu regressiven ausgleichende Möglichkeiten. Die psychosoziale Dynamik des Unbewußten Bewältigungsformen. Je tiefer und anhaltender die Regression ist, und der in beruflichen Beziehungen zeigt s i c h — wie s c h o n oft beschrieben — in der Versuch der Selbst-Stärkung sich anhaltend im unteren Bereich der drei unbewußten Auswahl und G e s t a l t u n g der sozialen Beziehungen. D.h., es Säulen bewegt, desto eher führt die Seibstwertregulation in den psychopa- werden Beziehungsmöglichkeiten konstelliert, in denen die innere Dyna- thologischen Bereich. mik e x t e r n a l i s i e r t wird. So kann d i e drohende Destabilisierung des Selbst- Wird das frühe Entwicklungsstadium der ersten Säule aktiviert, also das wertgefühls vermindert oder ausgeglichen werden, indem r e a l e Bezie- Größenselbst an der Basis der ersten Säule, kommt es zu einer künstlichen hungspersonen, z . B . Berufskollegen oder Vorgesetzte, entlastende F u n k t i o - Aufblähung des Größenselbsts. Das Grundkapitalkonto wird scheinbar nen bekommen. Die Arbeit der dritten Säule, das Über-Ich-Konto, kann vergrößert und das Über-Ich wird ausgeschaltet — es kommt zur manischen entlastet werden, wenn es gelingt, einen strengen, strafenden oder an- Selbstüberschätzung. Eine Regression auf der zweiten Säule, die über sprüchlichen Partner zu finden. Die Dynamik der unbewußten Partnerwahl, Selbststärkungsversuche durch zeitweise Identifikation mit Leitbildern oder der Kollusionen, der unbewußten Einladung ( o d e r Provokation), eine Größen-Objekten tiefer zur Basis geht, führt zu symbiotischer, infantiler komplementäre R o l l e zu übernehmen, ist im familiären und Partnerschafts- Abhängigkeit und/oder einer Identifikation mit dem idealisierten Objekt. bereich schon o f t beschrieben worden (z.B. H . - E . Richter o d e r J. Willi). Das kann die Grundlage für eine Abhängigkeits-Depression sein. Die psychosoziale Dynamik wird in ähnlicher Weise in beruflichen Situa- Wenn die zweite Säule mit den Objektrepräsentanzen nicht gut ausge- tionen im institutionellen Gefüge wirksam. stattet ist, kommt es ebenfalls zu Selbstwertregulationsstörungen. Wenn In M e n t z os’ „Drei-Säulen-Modell“ wird die dritte S ä u l e e n t l a s t e t , indem also die verinnerlichten Objekte nicht überwiegend gutartig sind, sondern das eigene strenge Über-Ich externalisiert wird. Die Kollegen werden dann streng, verachtend oder schnell abwertend und verurteilend, fällt eine a l s ü b e r m ä ß i g a n s p r u c h s v o l l erlebt, der Chef hat nur strenge, überfordern- ForumForum SupervisionSupervision -- www.beratungundsupervision.dewwW.beratungundsupervision.de 54 Angelica Lehmenkühler-Leuschner Die institutionsanalytische Balintgruppe 55 de Seiten. Eine andere Kompensationsmöglichkeit besteht d a r i n , daß die dazu bringen, all das unbewußt zu machen, was den institutionellen eigene Über-Anstrengung in einem realen Beziehungsarrangement in Szene Interessen widerspricht (vgl. Erdheim 1995). Das Individuum bindet seine gesetzt wird. Größenphantasien an die Institution. Je größer eine Institution ist, je Psychosoziale Arrangements, die der zweiten Säule mit den Objektre- bedeutsamer und je höher das gesellschaftliche Ansehen, desto mehr lädt präsentanzen zuzuordnen sind und kompensatorisch eine stärkende Funk- sie Individuen ein, sich mit der Institution zu identifizieren und sich in ihre tion übernehmen, sind in der Zugehörigkeit zu positiv besetzten Gruppen Hierarchie einzupassen. Der geforderte Gehorsam (z.B. in Bundeswehr, zu finden. In der Organisation kommt es zu Gruppen- oder Untergruppen- Ordenseinrichtungen, bei der Polizei) wird durch die besondere Bedeutung bildungen, die eine Stärkung durch Identifikation mit dem kollektiven Ich und Größe der Institution gerechtfertigt. Erdheim vermutet, daß es diean zur Folge hat: wir Mitarbeiter der Firma X fahren mit unserem Betriebs- eine Institution gebundenen Größenphantasien sind, die das Individuum l e i t e r nach Frankreich und besuchen unsere Kooperationspartner; wir blind ausführen lassen können, was vonihm erwartet wird. Die Bedeutung Polizisten s i n d h a r t e Burschen; wir Lehrer f ü r Erziehungswissenschaften an und Größe der Institution ermöglicht die Regulation ihres Selbstwert- der Schule X setzen uns konsequent f ü r unsere Werte e i n ; wir Superviso- gefühls über Identifikation bzw. Überidentifikation. In bezug auf Institu- rInnen haben eine eigene differenzierte Fachsprache und s i n d auf dem tionsrollen kennen wir die Mitarbeiter, die sich ganz für ihre Einrichtung Organisationsentwicklungskongreß in X gern gesehene G ä s t e ; wir M i t - einsetzen und mit Vorliebe zentrale Rollen in ihrer Arbeitsorganisation arbeiterinnen aus dem Frauenhaus machen gesellschaftlich unersetzliche wahrnehmen, die ihnen Unentbehrlichkeit und außerordentliche Wichtig- Arbeit. Die Kompensation der n i c h t ausreichend g u t e n eigenen Objektre- keit garantieren. Zur Balancierung ihres schwachen Selbstwertgefühls präsentanzen erfolgt über die Identifikation und meist auch Idealisierung haben sie die erste Säule übermäßig entwickelt. Sie müssen sich übermäßig realer Bezu g s p e r s o n e n und Bezugsgruppen. Die Idealisierung und Identifi- vergrößern. Wenn sie am Anfang ihrer Berufsausbildung sind oder bei der kation der Sprechstundenhelferinnen mit „ihrem“ Arzt hat eine stabilisie- Übernahme einer neuen Berufsrolle auf wenigErfahrung zurückgreifen rende Wirkung auf das Selbstwertgefühl, indem die z w e i t e Säule gestärkt können, insofern selbstverständlich mit Unsicherheiten konfrontiert sind, wird, müssen sie die Realität verleugnen. Scham- und Inkompetenzgefühle Psychosoziale Arrangements im Bereich der ersten S ä u l e beinhalten a l l e bedrohen das Selbstwertgleichgewicht so sehr, daß sie ihr Ich regressiv Formen sozial-kollektiver Unterstützung von Größenphantasien. Die aufblähen oder ihr Größenselbst auf einer regressiven Stufe mobilisieren Zugehörigkeit zu einer „idealen“, höherwertigen Gruppe, zu den Besten, müssen. In der Gegenübertragung können wir „großmäulige“ Supervisan- Tüchtigsten füllt die mangelhaft entwickelte erste S ä u l e mit der Gruppen- den nicht leiden, sie enthalten uns ihre Anerkennung als „erfahrene Super- Größensubstanz a u f . Das Ich-Ideal verschmilzt mit dem der „ausgewähl- visoren“ vor, wir fühlen uns nicht gebraucht und übersehen, wir bekom- t e n “ Gruppe. Das Selbstwertgefühl wird g e s t ä r k t , indem das Ich identifika- men keine narzißtische Gratifikation. Um die Gegenübertragung zu über- torische Verbindungen eingeht mit Größenphantasien ermöglichenden winden, ist es nützlich, sich zu vergegenwärtigen, daß diese Supervisanden Gruppen. Die reale Zugehörigkeit zu einem A d e l oder bei den Juden zum solche Gefühle vielleicht selbst erlitten haben, so daß sie kein wirklich „auserwählten“ Volk k a n n dieses Arrangement ebenso ermöglichen wie die stabiles Größenselbst entwickeln konnten. Die künstliche Aufblähung ist Zugehörigkeit von Stipendiaten der Deutschen Studienstiftung als zukünfi- ein Kompensationsversuch, der ein Leiden überwinden helfen soll. Die ge Elite oder die Zugehörigkeit zu einem Betriebsrat mit den engagierte- verstehbare Aussage, die in ihrem Verhalten zum Ausdruck kommt, ist s t e n Sozialarbeitern. Auch der Wunsch mancher Österreicher, d i e Zu- vielleicht: nur wenn ich mich riesengroß und perfekt zeige, habe ich eine gehörigkeit zur a l t e n k.u.k.-Monarchie wiederherzustellen, d r ü c k t eine Chance, Anerkennung zu finden.Bei dieser Übersetzung könnte sich das identifikatorische Größenverbindung aus. Daß nach der Einführung demo- ablehnende Gegenübertragungsgefühl vielleicht entspannen. Das Ver- kratischer Strukturen in manchen Ländern die Tradition, einen König und ständnis, wie sehr dieser Supervisand es nötig hat, sein Gesicht zu wahren, eine Königin zu haben, fortgeführt wurde, wenn auch ohne Machtbefugnis- bewahrt uns vor dem Impuls,ihm konfrontativ die Maske zu entreißen und se, z e i g t auch, daß wichtige unverzichtbare Bedürfnisse in der Zugehörig- behutsamer und kränkungssparsamer mit ihm zu arbeiten. keit zu einem Königreich befriedigt werden. Psychosoziale Arrangements im Zusammenhang mit der zweiten Säule Bezogen auf unseren Supervisionsbereich f a l l e n mir Institutionen e i n , finden wir bei Supervisanden, bei denen die zweite Säule wenig ausgeprägt die Größenphantasien von Mitarbeitern ansprechen und sie gleichzeitig ist. Sie sind kaum in der Lage, Bindungen an andere Menschen einzugehen ForumForum SupervisionSupervision -- www.beratungundsupervision.de Die institutionsanalytische Balintgruppe 57 5 6 Angelica Lehmenkühler-Leuschner

oder kolle g i a l e Beziehungen zu entwickeln. I n der Organisation zeigen sie Literatur s i c h a l s Einzelgänger, die s i c h immer wieder aus dem Teamzusammenhang Bauer, A./Gröning, K. (1995): Institutionskonzepte in der Supervision. In: Bauer, A,- lösen. Es fällt i h n e n sehr schwer, sich mit i h r e n Lehrern zu identifizieren, Gröning, K. (Hg): Institutionsgeschichten, Institutionsanalysen. Tübingen. und eine Zugehörigkeit zu Berufskolle- berufliche Leitbilder z u entwickeln Erdheim, M. (1995): Die Symbolisierungsfähigkeit und der Antagonismus zwischen Familie gen z u finden. Sie können auch häufig zu der Organisation, in der s i e ar- und Kultur. In: Schneider, G. u. Seidler, H. (Hg): Internalisierung und Strukturbildung. beiten, keine innere Zugehörigkeit oder Identifikation entwickeln, finden 8. 116-132. Opladen. oft k e i n e berufliche Heimat, wechseln häufig ihre Arbeitsplätze oder be- Freud, $. (1912e): Zur Dynamik der Übertragung. GW Bd. 8. Heigl-Evers A., Heigl F, (1975): Zur tiefenpsychologisch fundierten oder analytisch Aufgaben mit schnellem Wechsel von menschlichen Beziehun- vorzugen orientierten Gruppenpsychotherapie des Göttinger Modells. In: Gruppenpsychother. gen. Sie s i n d auch zu keiner vorübergehenden Idealisierung von wichtigen Gruppendynamik 9, S. 237-266. Göttingen. Menschen fähig, können in Lernprozessen kaum Abhängigkeiten e r t r a g e n . Kernberg, O. (1988): Regression in Organisationen. In: Kernberg, O. F,, Innere Welt und Sie können s i c h auch nicht v o r ü b e r g ehend a n die Supervisorin oder eine äußere Realität. S. 268-288. München-Wien. idealisierte Person anlehnen und darüber Selbst-Stärkung beziehen. Sie ver- Lehmenkühler-Leuschner, A, Leuschner G. (1997): Zur supervisorischen Haltung. In: Forum Supervision 9/97, 48-71. von starken Objekten. Die z w e i t e S ä u l e zichten auf eine Anhänglichkeit Mentzos, S. (1976): Interpersonale und institutionalisierte Abwehr. Frankfurt. s t e h t i h n e n wenig zur Balancierung eines geschwächten Selbstwertgefühls Mentzos, S. (1995): Depression und Manie. Psychodynamik und Therapie affektiver zur Verfügung. Störungen. Göttingen-Zürich. Supervisanden, b e i denen die dritte Säule schwach entwickelt i s t , haben Nadig, M. (1997): Die verborgene Kultur der Frau. Ethnopsychoanalytische Gespräche mit Bäuerinnen in Mexiko. Frankfurt. Mühe, sich anzustrengen. Es fällt i h n e n schwer, über-ich-orientierte große Parin, P. (1992): Das Ich und die Anpassungsmechanismen. In: Parin, P.: Der Widerspruch zu Leistungen und Anpassungen zu erbringen. Manche neigen deshalb im Subjekt. Hamburg. Hochstapeleien oder Betrügereien im Leistungsbereich, sie haben zu wenig Racker, H. (1982): Übertragung und Gegenübertragung. München. über-ich-bestimmte Hemmungen. Kompensatorische Möglichkeiten der Wellendorf, F. (1991): Supervision als Institutionsanalyse. In: Pühl, H. u. Schmidbauer, W Säule drei können sie nicht mobilisieren und nutzen. (Hg.): Supervision und Psychoanalyse. Frankfurt. Zusammenfassend: In der Balintgruppe werden psychische und kulturel- le Konflikte im Rollen- und Strukturgefüge von Institutionen wahrneh- mungserweiternd besprochen. Institutionen bieten Menschen Möglichkei- t e n , ihr Selbstwertgefühl auszubalancieren: d u r c h d i e Wahl und Gestaltung institution e l l e r Rollen, die Zugehörigkeit zu selbstwerterhöhenden Grup- pen, durch unbewußte Rollenarrangements zur Abwehr von Ängsten. Insti- tutionen s i n d Orte, an denen Ängste gebunden werden und Ängste ge- schaffen werden, wo Machtbedürfnisse und Größengefühle geweckt und verwirklicht werden können und wo Ängste vor Ohnmacht und Bemächti- gung ausgelöst werden. Institutionen s i n d O r t e , wo Sicherheits- und Zuge- hörigkeitsgefühle und Geborgenheitssehnsüchte befriedigt werden, wo aber auch Vereinnahmungs- und Abhängigkeitsängste hervorgerufen werden und wo die Entfremdung von der Person gefordert und belohnt w i r d . Die institutionsanalytische Balintgruppe ist der Ort, an dem die innere Realität der institutionellen Einbindung betrachtet wird und persönliche und institu- tionelle Bedeutungen in i h r e r Verschränkung herausgefunden werden. Die institutionsanalytische Balintgruppe ist ein Ort der Aufmerksamkeit f ü r die Bedeutung des subjektiven Faktors in institutionellen Zusammenhängen.

Anschrift d e r V e r f . : Angelica Lehmenkühler-Leuschner, Emsstr. 58, 4 8 1 4 5 Münster ForumForum SupervisionSupervision -- www.beratungundsupervision.dewww .beratungundsupervision.de 58 „... und jetzt auch noch die Balintgruppe!“ 59

Barbara Wiese 1. Die Teilnahme an der Gruppe ist verpflichtend, die Anwesenheit wird dokumentiert. 2. Die Gruppe ist Teil eines Ausbildungsganges. 3. Die „... und jetzt auch noch die Balintgruppe!“* TeilnehmerInnen kennen sich. Die. von Michael Balint entwickelte Methode sah im Gegensatz dazu 1. „Freiwilligkeit“ vor, die TeilnehmerInnen waren 2. zu einer „Fortbildung“ Zur Funktion von Balintgruppen motiviert („training cum research“), und schließlich waren die Gruppen, in der Supervisionsausbildung „Seminare“ genannt, 3. gedacht für praktizierende Hausärzte, die sich üntereinander nicht oder kaum kannten. Das gewährleistete weitgehend die Einhaltung der Spezifität der Metho- Zusammenfassung: Die Autorin vergleicht die klassische Balintgruppen-Metho- de: ein vorgestellter Fall konnte mit Hilfe der in der Gruppe entstehenden de für Ärzte mit den Möglichkeiten, die dieser Ansatz für supervisorische Phantasien und Gefühle, über das „Spiegelungsphänomen“ (Loch 1969), das Arbeit und insbesondere für die Ausbildung von SupervisorInnen leistet. Sie Verstehen sog. „Flashs“ und des „Prismaeffekts“ (Loch 1972) in seiner erläutert die erforderliche Haltung in der Leitung solcher Gruppen und die Beziehungsdynamik und seinen unbewußten Dimensionen verstanden Modifikationen, die sich aus dem Einbezug des Gesellschaftlichen und In- werden. Alles, was in der Gruppe an Dynamik entstand, wurde strikt auf stitutionellen ergeben. Sie begründet die Notwendigkeit von Balintgruppen- den Fall bezogen, gruppendynamische Phänomene der betreffenden Gruppe Teilnahme für die Entwicklung und Aufrechterhaltung supervisorischer Identität selbst nicht einbezogen. Der Selbsterfahrungsanteil und für den Zugang zum Unbewußten. für die TeilnehmerInnen wurde jedoch implizit vorausgesetzt, gerade Balint und einige seiner Nach- folger verbanden einen „umstrukturierenden“ Effekt mit der kontinuierlichen Teilnahme an einer Balintgruppe, und zwar dort, wo eine psychoanalytische Einleitung Weiterbildung bei weitem nicht den TeilnehmerInnenkreis erreicht hätte und zu aufwendig wäre. Dies gilt analog zu den Ärzten auch für die Ausbildung Von TeilnehmerInnen einer Supervisionsausbildung ist der oben zitierte von SupervisorInnen. Balint schreibt (1955, S. 118): „Wir denken, daß wir Seufzer häufiger dann zu hören, wenn in ihrem Ausbildungsverlauf die Bil- es dem Arzt ermöglichen, etwas von der erforderlichen ... Einstellungs- dung von begleitenden Balintgruppen ansteht. Oft realisieren sie an dieser änderung auch ohne lange eigene Analyse zu erreichen, wenn wir die Stelle die Belastungen und Verpflichtungen, die sie mit ihrem Ausbildungs- Gegenübertragung des Arztes auf seine Patienten als den wichtigsten kontrakt eingegangen sind. Sie haben wahrgenommen, wie sehr sie sich von Bereich der Fortbildung nutzen.“ Nedelmann und Ferstl (1989) machen Profession und Person her in Frage stellen müssen, sind verunsichert und darauf aufmerksam, daß in den Originaltexten von Balint von „change in suchen nachOrientierung. Die sogenannte „neue Rolle“ SupervisorIn hat the personality“ als Fortbildungsziel der Balint-Seminare gesprochen wird, sich als komplexer Veränderungsprozeß herausgestellt, dessen Bewältigung was meist als „Persönlichkeitsveränderung“ übersetzt worden ist. Die mehr erfordert als das Eriernen von Techniken der Beratung. Autoren votieren an dieser Stelle für den Begriff der „Einstellungsände- Viele AusbildungsteilnehmerInnen haben von der vorgesehenen Arbeit rung“, weil ihnen der andere zu sehr mit Psychopathologischem verknüpft in einer solchen Gruppe nur vage Vorstellungen, die wenigsten bringen zu sein scheint. Mir scheint, als zeige sich an dieser Übersetzungsschwierig- Erfahrungen oder Kenntnisse mit. (Ich beziehe mich, weil ich sie am keit genau das Problem der Zielsetzung für die Arbeit in Balintgruppen: wie besten kenne, auf die Ausbildungsgänge des FIS e. V. Münster.) können emotionale und kognitive Veränderungen erreicht werden, die Die Ausbildungs-Balintgruppe konstituiert sich dort im Zusammenhang dauerhaft, d.h. „persönlichkeitsimmanent“ werden? mit einer Kurswoche als bedeutsamer gruppendynamischer Prozeß. Krite- Im Zusammenhang mit dem o.g. Zitat von Balint möchte ich auf ein rien fürdie Wahlentscheidungen der TeilnehmerInnen sind hierbei: regio- Problem hinweisen, das immer dann entsteht, wenn mit dem Konzept der nale Gesichtspunkte, die Person der Leiterin oder des Leiters und Sym- Gegenübertragung gearbeitet wird: ohne Kenntns der eigenen, eben unbe- pathie- und Kompetenzzuschreibungen unter den zukünftigen Mitgliedern. wußten Übertragungsbereitschaften können psychoanalytische Laien nicht Hiermit sind bereits drei wesentliche Unterscheidungsmerkmale im öhne weiteres von Gegenübertragung sprechen, ohne u.U. in „wilde Vergleich zu „klassischen“ Balintgruppen benannt: Analyse“ (Freud 1910) zu verfallen. Warum ich trotzdem die Balintgrup- ForumForum SupervisionSupervision -- www.beratungundsupervision.de 60 Barbara Wiese „... und jetzt auch noch die Balintgruppe!*“ 61 pen-Arbeit in der Supervisionsausbildung f ü r immens wichtig erachte, Praxis e inzuführen“ (E. Balint, 1976, $.105). Es war von der „Sprech- möchte ich später begründen. Stundenpsychotherapie“ (Loch 1 9 7 2 ) die Rede, von der „Droge Arzt“ In der P r a x i s beginnt die erste Sitzung e i n e r Supervisionsausbildungs- (E. Balint 1 9 7 6 ) , e i n e F o r m u l i e r u n g , d i e anknüpft an die traditionelle Balintgruppe mit dem Aushandeln und Festlegen der vorgesehenen Termi- Heilkunde des Arztes, erweitert um das Beziehungsverständnis der Psycho- ne. Die Dynamik des vorausgegangenen Kursgeschehens ist meist spürbar, analyse. aber selten ergibt s i c h hier bereits die Notwendigkeit e i n e r Interpretation Wolfgang Loch hat in vielen seiner Beiträge erläutert, wie in der oder Deutung dieses Vorgangs. Rivalitäten und Geltungsprobleme, Macht- Falldarstellung in einer Balintgruppe s i c h „ p r i s m a t i s c h “ , d . h . in s e i n e fragen und Profilierungsstrategien werden m.E. deshalb in der Regel Bestandteile zerlegend, dasjenige Spektrum eröffnet, das der/die Vor- benigne von den TeilnehmerInnen gehandhabt, weil sie gerade wegen der t r a g e n d e in seiner Verstricktheit n i c h t hat sehen können ( L o c h 1972, 1 9 7 3 , Möglichkeit zur Sympathiewahl ihre Kooperationsfähigkeit zeigen möch- 1 9 8 4 , 1 9 8 9 ) . Eindrucksvoll haben er und andere Autoren das „ F l a s h “ - ten. Der sorgfältig durchgeführte gruppendynamische P r o z e ß im K u r s - phänomen beschrieben, das blitzartige Einrasten der „beiden seelischen system begünstigt die Bereitschaft der TeilnehmerInnen, Kompromisse ein- Apparate von Arzt und Patient“ (Balint zit. nach Loch 1972), das, wenn es zugehen. Regressive Tendenzen t r e t e n zunächst in den Hintergrund. Die reflektiert, d . h . auch sprachlich faßbar w i r d , ein t i e f e r e s Verständnis des Leiterin ode r der Leiter ist den meisten TeilnehmerInnen nur vom Namen zugrundeliegenden Konflikts ermöglicht. Bezogen auf die Gruppe wird vor her bekannt, selbstverständlich s i n d Phantasien und Gerüchte über die a l l e m das „Spiegelphänomen“ a l s Charakteristikum genannt. Damit ist d i e Person im Umlauf bzw. in den Köpfen. V o r s i c h t und Neugier überwiegen, psychische Resonanz der Gruppe auf die verschiedenen Dimensionen der der anwachsende Leistungsdruck der Ausbildung jedoch l i e g t in der Luft. vorgestellten Arzt-Patient-Beziehung gemeint, zum Teil abgebildet im Hier soll es nun besonders „psychoanalytisch“ zugehen. In der Regel ist Umgang der Gruppe miteinander. dies ambivalent besetzt. Durch ihre Erfahrungen in K l e i n s t - , Klein- und Körner und Rosin (1988) befassen s i c h in i h r e r Arbeit „Einsicht in der Großgruppen im Kurssystem haben die TeilnehmerInnen Z u g a n g dazu Balintgruppenarbeit“ mit zwei Arten von Einsicht in Psychotherapie und bekommen, „daß individuelle und institutionelle Interessen in einem Balintgruppe. Sie entwickeln, daß in der Balintgruppenarbeit sowohl komplexen Verhandlungs- und Austauschverfahren aufeinander abgestimmt „objektivierende ( k o g n i t i v e ) E i n s i c h t , die wir dem naturwissenschaftlichen werden müssen“ (Wittenberger 1996, S.95). Sie haben Bewertungen ihrer P a r a d i g m a zuordneten, a l s auch subjekthaft (emotionale) E i n s i c h t , die eher ersten Supervisionstätigkeiten erfahren und darin die Komplexität und dem hermeneutischen Paradigma zugehört“ (8.76), zu beobachten seien. Verschränktheit der Ebenen des Individuellen, des Institutionellen und des Damit ist gemeint, daß die S i c h t auf das Übertragungs- und G e g e n ü b e r - Gesellschaftlichen reflektiert. In ihrer Lehrsupervision vertiefen die Aus- tragungsgeschehen, die Spiegelung in der Gruppe Z u g a n g zu den Sog. bildungsteilnehmerInnen i h r e n rollenbezogenen und persönlichen Prozeß „Standardreaktionen“ erbringt, a l s o zu denjenigen Reaktionsmustern, mit des L e r n e n s . All d i e s g e h t mit Aufweichen und Verändern der Persönlich- denen wir a n der unbewußten Inszenierung mit anderen (Patienten, Klien- keits- und Abwehrstruktur e i n h e r (vgl. Wittenberger 1993, Wiese 1997). ten, Supervisanden) b e t e i l i g t sind. Dies s e i , s o Körner/Rosin, zu den Die theoretische Auseinandersetzung mit relevanten Themen u.a. aus ö b j e k t i v i e renden Einsichten zu zählen. Kommen d u r c h die Arbeit am Psychoanalyse, Gesellschaftswissenschaften, Sozialpsychologie und In- „Fall“ zudem subjekthafte, emotionale Einsichten zustande, z.B. biographi- stitutionenkunde erfolgt in sogenannten „Studiengruppen“. Es werden sche Verknüpfungen mit den sie begleitenden Gefühlen, seien d i e s e im zudem schriftliche Auswertungsarbeiten eingefordert. „... und jetzt auch Sinne Balints als Persönlichkeitsveränderungen zu verstehen. noch die Balintgruppe!“ Loch ( 1 9 7 2 ) bemerkt, daß er in Übereinstimmung mit Balint, Teil- nehmerInnen von sog. „Tavistock-Seminaren“ e r s t nach etwa zwei Jahren i n : d e r Lage sieht, „Sprechstundentherapie“ zu betreiben — ein k l a r e r Ver- Die Methode Balints w e i s auf den Prozeß- und Entwicklungscharakter in der A r b e i t mit dem Balintschen Ansatz. „Balintgruppenarbeit ist eine Anwendungsform der psychoanalytischen Balint (1966/1989 S . 1 5 9 ) betont allerdings: „In unseren Fortbildungs- Methode“ (Argelander, 1988, S.59). Der ursprünglicheAnsatz von serninaren nehmen wir größte Rücksicht auf die Würde, die Unabhängig- Michael Balint sah vor, „ein Stück Psychotherapie in die normale ärztliche keit und die reife V e r a n t w o r t u n g teilnehmender Ärzte; ... daher befassen ForumForum SupervisionSupervision -- www.beratungundsupervision.de 62 Barbara Wiese „... und jetzt auch noch die Balintgruppe!“ 63 s i c h u n s e r e Deutungen f a s t nie mit den verborgenen Beweggründen im ja auch n i c h t um eine Gruppenanalyse. Einleuchtend erscheinen mir seine therapeutischen Verhalten des Arztes, mit dem Bereich, den wir s e i n e Einwände gegen die ausschließliche Perspektive der „Patientenzentriertheit“ ‚ p r i v a t e Übertragung‘ zu nennen gewohnt sind.“ Zum Gegenstand der und sein Votum für e i n e „oszillierende Wahrnehmungsweise“ zwischen Arbeit wird jedoch das, was Balint „öffentliche Gegenübertragung“ nennt, patientenzentrierter und g r u p p e n z e n t r i e r t e r Perspektive (S. 49). vielleicht besser beschreibbar als das, was „veröffentlicht“ werden kann, Die Leitung der Gruppe unterliegt nicht der gleichen ( p a r t i e l l e n ) Regres- ohne daß GruppenteilnehmerInnen sich entblößt fühlen. Der Umgang mit s i o n wie die T e i l n e h m e n d e n , d i e sich selbstverständlich emotional b e t e i l i g t der Nahtstelle zwischen Selbsterfahrung und „fallbezogener Reflexion“ äußern sollen, mit Ä r g e r , Mitgefühl, Kritik, Neid, Triumph, in Identifika- e r f o r d e r t hier - wie immer — Fingerspitzengefühl b e i der L e i t u n g . tion o d e r Abgrenzung mit dem oder der Vortragenden. Deshalb ist die Funktion der Leiterin oder des Leiters zunächst ein Aufnehmen der E i n - fälle in der Gruppe und dann e i n s i c h Beschäftigen mit Aspekten der Die Haltung beim Leiten von Balintgruppen Abwehr, des Widerstandes, der Dynamik des „ F a l l e s “ und der der Gruppe. Der Gruppenleitung kommt Modellfunktion zu in verschiedener Hinsicht: Mit dieser kurzen Beschreibung von Elementen der Balintgruppenarbeit ist sie hält z . B . möglichst l a n g e die Unklarheiten und Verwirrungen aus, die jedoch noch nicht a l l e s ü b e r wesentliche Unterschiede zu anderen Formen mit dem Nicht-Verstehen des Vorgetragenen einhergehen müssen. Sie zeigt der Reflexion beruflichen Handeins gesagt. auf, daß auch d i e „abwegigsten“ Einfälle und ausgelösten Gefühle b e i Die Haltung von BalintgruppenleiterInnnen muß eine psychoanalytische TeilnehmerInnen das Verstehen diagnostisch weiterbringen können. Sie s e i n , bei der Leitung von Gruppensupervision ist dies nicht zwingend. wertet n i c h t und unterstützt dadurch die Referentin/den Referenten, die Balint gibt uns Hinweise, das vorgestellte Material in der Balintgruppe sei sich im Fallvortrag exponiert haben. wie „Traummaterial“ zu behandeln (Balint 1964). Wenn — wie in der rite- Warum sollen d i e s e Erfahrungen nun bereits in einer Supervisionsaus- Psychoanalyse gilt — Träume lege artis am besten ü b e r d i e Einfälle der bildung gemacht werden? Reicht es nicht, die zukünftigen KollegInnen auf Träumenden zu erschließen sind, kann der „Fall“ nur ü b e r d i e Einfälle der die Möglichkeit späterer Teilnahme an solchen Gruppen aufmerksam zu Gruppe erschlossen werden. D i e s impliziert e i n e v ö l l i g andere Einstellung machen unter dem Stichwort „Qualitätssicherung“? der Leitung zum vorgebrachten Material: nicht gegenseitige Beratung von Ich s e h e mehrere Begründungen, von denen ein Teil mit Aspekten von Experten ist etwa zu moderieren und durc h Kommentare aus der Sicht der Abwehr und narzißtischen Mechanismen zu tun h a t : Im Ausbildungsprozeß „Erfahreneren“ zu ergänzen. Der sich entwickelnde Prozeß ist der Weg, s e l b e r richten die TeilnehmerInnen verständlicherweise den B l i c k a u f s das „Subjekt“ des Geschehens. „Zertifikat“. Sie wissen z w a r , daß s i e nicht „fertig“ im S i n n e von „ausge- Wie in der psychoanalytischen Behandlung ist e i n e Haltung vonnöten, lernt“ s i n d , aber daß sie s i c h in einen „unendlichen“ Veränderungsprozeß die mit „freischwebender Aufmerksamkeit“ Bericht und Assoziationen, begeben haben, e r f a h r e n s i e am ehesten in der Balintgruppe. Hier erleben Gedanken und Empfindungen, B i l d e r etc. a u f n i m m t , ohne zu sortieren und sie z.B. durch die Vielfalt der m i t g e t e i l t e n Einfälle und Komentare, daß zu werten. Auf der Seite der Gruppenmitglieder gilt dies gleichermaßen als i h r e eigenen S i c h t - und Reaktionsweisen nur einen Ausschnitt des Gesche- Anregung, s i c h in dieser Weise „unzensiert“ mitzuteilen, also „frei* zu hens repräsentieren. Hier wird i h n e n deutlich, wie sie b e i der Vorstellung assoziieren. Es geht um eine Haltung, d i e nicht auf Wirksamkeit bedacht verschiedenster „Fälle“ auf das gleiche emotionale Problem bei s i c h ist und doch wirkt, im S i n n e der o.g. kognitiven und emotionalen Ein- stoßen, d . h . wo das pauschale „mein Gegenübertragungsgefühl war . . . “ sichten, die sich — in Abhängigkeit von Abwehr und Widerstand bei Teil- eine Differenzierung e r f a h r e n kann und muß. Hier wird den Überraschun- nehmerInnen und Leitung — einstellen. gen, d i e das Unbewußte bereithält, mehr Raum gegeben als dem Bekann- B e c k e r ( 1 9 9 1 ) entwickelt hierzu, daß es s i c h um e i n e „modifizierte ten. Hier werden die zu geflügelten Worten gewordenen S ä t z e Balints mit Grundregel“ handele, weil die Person des Arztes „aus methodischen und Leben erfüllt, z.B. der „Mut zur eigenen Dummheit“ (Balint 1954) a l s didaktischen Gründen systematisch vernachlässigt werde“ und deshalb von notwendige Voraussetzung des Verstehens, oder s e i n dictum, „Wer Fragen einer „fokussierenden Wahrnehmungseinstellung“, e i n e r „partiell zentrierten stellt, erhält Antworten, a b e r sonst n i c h t viel“ (Balint 1965). Aufmerksamkeit“ auszugehen s e i . Dies stehe im Widerspruch zur gleich- Für SupervisorInnen ist diese Art der Neugier auf das Unbekannte Be- schwebenden Aufmerksamkeit (S. 41). Das ist s i c h e r richtig. Es handelt s i c h dingung und Herausforderung gleichzeitig, deshalb sollten fundierte Super- ForumForum SupervisionSupervision -- www.beratungundsupervision.dew .beratungundsupervision.de 64 Barbara Wiese „.. und jetzt auch noch die Balintgruppe!'“ 65 visionsausbildungen i h r e n TeilehmerInnen die Anstrengung abverlangen, Zum Konzept von Kontroll- oder Gruppensupervision begleitend an Balintgruppen teilzunehmen. I n der R e g e l w i r d die zunächst empfundene Belastung relativiert vor dem Hintergrund der Erfahrung, daß In der Broschüre der Deutschen Gesellschaft für Supervision e.V. ver- s i c h d o r t d i e spannendsten und lohnendsten Perspektivenwechsel ereignen. gleiche ich, was unter den Stichworten „Balintgruppe“ und „Kontrollsuper- P o i n t i e r t gesagt, ist die E r f a h r u n g mit dem Unbewußten in einer Aus- vision“ zu finden ist. Es wird auf „unterschiedliche konzeptionelle Prägung“ bildungs-Balintgruppe in der Regel beeindruckend genug, daß die Krän- von Kontrollsupervision verwiesen und Balintgruppe als „psychoanalytisch kung, die im „Nicht-Wissen“ besteht, besser ausgehalten werden k a n n . geprägtes Modell zur Fallbesprechung“ gekennzeichnet. „Gruppensupervisi- Die Ausbildungs-Balintgruppe fungiert zudem a l s Ergänzung, ggf. als on“ wiederum wird durch den TeilnehmerInnenkreis skizziert: „Verschiede- Korrektiv zur Lehrsupervision, hier wird nicht nur das Spektrum von der ne Personen kommen hier nur zum Zweck der Supervision zusammen.“ Zwei-Personen-Beziehung hin zur Gruppe erweitert, hier wird die A r b e i t Aus der Sicht eines Berufsverbandes mag es hier um nebeneinander- der AusbildungsteilnehmerInnen ohne Berichtspflicht der Leitung gegen- stehende Konzepte gehen, jemand arbeitet dann „systemisch“ oder mehr über dem Ausbildungsinstitut reflektiert, was die TeilnehmerInnen als „analytisch“. Ich teile diese Auffassung nicht, weil sie die Spezifität des entlastend empfinden. In ihrer Enwicklung werden s i e durch die Erfahrun- Ansatzes in der Balintgruppenarbeit nicht berücksichtigt. Der Umgang mit gen mit einem bedeutsamen Dritten unabhängiger, es beginnt der notwen- dem Unbewußten kann nicht als Versatzstück verwendet werden, die mit dige Prozeß der „Entidealisierung“ der Lehrsupervisorin/des Lehrsupervi- Balintgruppenarbeit intendierte dauerhafte Veränderung der Einstellungen s o r s , ohne den sie auf der Stufe der Imitation stehenbleiben k ö n n t e n . und der Person ist nicht mit technischer Erweiterung der Handlungskom- Wolfgang Loch hat in einem 1974 erschienenen Aufsatz vom „Analyti- petenzen gleichzusetzen. ker als Gesetzgeber und Lehrer“ gesprochen. Das klingt sehr streng. Ich kann aus diesem Grund auch nicht der Definition von Balintgrup- Gemeint s i n d die festen Rahmenbedingungen, „ohne w e l c h e der psycho- penarbeit von Rappe-Giesecke (1994, S.75) zustimmen: „Balintgruppen- analytische Prozeß nicht sein könnte“ (Loch, 1974, S.454), und das arbeit ist eine Form von Gruppensupervision, in der Angehörige einer Einführen ode r Erweitern der Sprache, im Sinne der „Sprachwerdung“ des Profession, die beruflich und privat unabhängig voneinander sind, sich mit Unbewußten. Beides kann mit dem Konzept der Triangulierung in Ver- Hilfe eines/einer psychoanalytisch psychotherapeutisch gebildeten Leiters/ bindung gebracht werden (siehe h i e r z u Abelin 1 9 7 5 , Rotmann 1978). Die Leiterin mit der Analyse von Professional-Klient-Interaktionen befassen.“ Balint-Gruppe für angehende SupervisorInnen wirkt triangulierend durch Gruppensupervision kann mit psychoanalytischen Mitteln betrieben wer- den Verstehenszugang zum Unbewußten, zu pathologischen Beziehungs- den, aber Balintgruppe ist keine „Form der Gruppensupervision“, sondern und Machtstrukturen. Sie etabliert das „Dritte“, manchmal in dem Moment ein eigenständiger Prozeß. Der Raum für den Umgang mit Einfällen, des „Innehaltens“, wenn deutlich wird, daß e t w a s „fehlt“, sei es e t w a s aus Phantasien, mit dem Unbewußten ist nicht beliebig, er benötigt zur Entfal- der inneren o d e r äußeren Realität. Sie transferiert Primärprozeßhaftes in tung die umfassendere Dimension der persönlichen Entwicklung und bietet den Sekundärprozeß, und benötigt dazu genauso äußere Struktur, ihren damit mehr als ein „Professionalisierungsprogramm“. Die Autorin favori- festgelegten, begrenzenden Rahmen, in dem sich dann Deutungsarbeit und siert anscheinend die „psychoanalytisch orientierte Gruppensupervision“, Widerstandsanalyse — bezogen auf den vorgestellten Supervisionsprozeß — weil sie — wie ich meine, willkürlich — definiert: „ Von der Balintgruppen- abspielen. Ein weiteres Ziel in der Balintgruppenarbeit mit SupervisorInnen arbeit unterscheidet sich die Gruppensupervision durch die Einführung der in Ausbildung ist deshalb, d i e s e Dialektik von „Strenge“ im Rahmen institutionellen Perspektive“ (S. 76). Dies wird aus meiner Sicht dem nicht einerseits und „Offenheit“ in der inhaltlichen Arbeit andererseits erfahrbar gerecht, was institutionsanalytisches Denken und Vorgehen als Bestandteil zu machen, wie sie in der supervisorischen A r b e i t s i c h als „äußerer“ und der Balintgruppenarbeit beinhaltet — natürlich nur dann, wenn sie sich „innerer“ Kontrakt mit SupervisandInnen darstellt. darauf einstellt. Der Balintsche Ansatz enthielt bereits implizit eine Kritik In Analogie zu Argelander ( 1 9 8 8 , S.61), der betont, die Balintgruppe der „verkürzten“, „technizistischen“, d.h. „reduzierten“ Medizin, wie es diene der „Erforschung der ärztlichen Berufspraxis“, wüßte ich kein Später formuliert wurde, hatte also einen institutionskritischen Grundgedan- besseres Instrument zur Erforschung supervisorischer Berufspraxis, weil ken. Ich habe an dieser Stelle eher die Vermutung, daß es sich um ein diese nicht ohne „Beziehungsdiagnostik“ auskommt. Ressentiment handelt gegen das, was an psychoanalytischem Vorgehen Nicht im mainstream der „Zielgerichtetheit“ liegt. ForumForum SupervisionSupervision -- www.beratungundsupervision.dew .beratungundsupervision.de 66 Barbara Wiese „.. und jetzt auch noch die Balintgruppe!“ 67

Thea Bauriedl hat in ihren Arbeiten zu den psychoanalytischen Per- Mit Mentzos (1976) und P a r i n ( 1 9 9 2 ) beziehen wir interpersonale und spektiven in der Supervision (1994) und zur Balintgruppenarbeit mehrfach i n s t i t u t i o n a l i s i e r t e Abwehr, Berufsrollenidentifikationen und Anpassungs- deutlich gemacht, daß es sich um das Durcharbeiten eines Konflikts mechanismen selbstverständlich e i n . Das bedeutet, wir b e f a s s e n uns a l s handelt und nicht um „Strategiebildung“ (S. 57), daß die „Hilfe“ durch eine Balintgruppenleiterin ebenso mit der äußeren wie der inneren Realität. Daß Balintgruppe so beschrieben werden kann: „Sie besteht in der Aufhebung dies in Psychoanalysen, theoretisch und behandlungstechnisch gesehen, von Unbewußtheit, im Bewußtmachen oder Bewußt-werden-lassen derjeni- s e h r differenziert gesehen w e r d e n muß, expliziert V o g t (1988), aber gen Beziehungsanteile, die in der Verklammerung aus Sicherheitsgründen Setting, Inhalt und Methode von Psychoanalyse und Balintgruppe s i n d ausgeschaltet oder verdrängt waren“ (1993, S. 109). n i c h t gleichzusetzen. Allerdings kann die Teilnahme an einer Balintgruppe, auch über einen Für die Balintgruppenarbeit ist d i e Erweiterung der Perspektive um Ge- langen Zeitraum hinweg, nicht Ersatz sein für eine fundierte und gründli- s e l l s c h a f t l i c h es unumgänglich. Mit d i e s e m Grundverständnis ist nun e i n e che Selbsterfahrung. Wenn Kollegen und Kolleginnen es ernst meinen mit Modifizierung des „klassischen“ Modells e r f o l g t , die s i c h in der Grundhal- dem Ansatz, in psychoanalytischer Orientierung Supervision machen zu tung einer Balintgruppen-Leitung für SupervisorInnen, insbesondere f ü r wollen, müssen sie sich früher oder später — am besten früher — in psycho- diejenigen in Ausbildung, zeigen muß. In s e i n e r ausführlichen K r i t i k an der analytische Selbsterfahrung begeben. herkömmlichen Praxis der Balintgruppe verbindet auch Becker ( 1 9 9 1 ) ausdrücklich das Erforschen geselischaftlicher Apassungsmechanismen mit der Balintgruppen-Methode. (Seltsamerweise erscheint z w a r der Aufsatz im Eine notwendige Erweiterung des Selbstverständnisses Heft der F a c h z e i t s c h r i f t , nicht aber der T i t e l auf dem Deckblatt.) und der Methodik von Balintgruppen für SupervisorInnen? Daß, wie K u t t e r ( 1 9 8 3 ) betont, in B a l i n t g r u p p e n das Sprechen über institutionelle Probleme auch der Abwehr von Ängsten dienen k a n n , die Nach den bisherigen Erörterungen scheint s i c h die A r b e i t und Reflexion mit der psychischen Dynamik des „Falles“ zusammenhängen, verweist auf mit der Balintschen Methode ausschließlich auf das innerpsychische die hohen Anforderungen an die Leitung solcher Gruppen. Geschehen im Patienten und auf die unbewußte und bewußte Interaktion Die Supervisionsausbildung begleitenden Balintgruppen unterstützen mit dem Arzt zu beziehen. Supervisorisches Verstehen bezieht s i c h darüber nachhaltig das Entwickeln einer „supervisorischen Identität“, nach Beendi- hinaus und in Verschränkung damit auch auf institutionelle und gesell- gung der Ausbildung s i n d s i e zur Weiterentwicklung und Erhaltung schaftliche Gegebenheiten. Vgl. auch Leuschner (1983). derselben unu m g ä n g l i c h . Petri (1982) untersucht Balintgruppen mit Kliniksärzten und kommt zu dem Schluß, daß „jede fallzentrierte Arbeit im Sinne Balints e i n e n Selbst- ‚Anschrift der Verf.: Dipl. P s y c h . Barbara Wiese, Liebigstr. 46, 3 5 0 3 7 Marburg erfahrungsprozeß impliziert“ (5.840). Er weist auf d i e mögliche Labilisie- rung von TeilnehmerInnen h i n , aber auch auf die Berechtigung, e i g e n e Literatur Konflikte bearbeiten zu können. Der Autor formuliert einige spezielle Ziel- vorstellungen für Balintgruppen für Kliniksärzte, von denen ich drei heraus- Abelin, E.L. ( 1 9 7 5 ) : Some f u r t h e r observations and comments on t h e e a r l i e s t r o l e of the greife: „vertiefte Diagnostik psychosozialer und psychosomatischer Zusam- father, Int. Journal of Psycho-Anal., 56, Int. Univ. Pr., New York Argelander, menhänge“, „verbessern“ der „therapeutischen Kompetenz d u r c h Einbe- H. (1988): Balint-Gruppen — ein Fortbildungs- und Forschungskonzept, in: Die Balintgruppe in Klinik und Praxis, 1/1988, Springer Verlag, Berlin/Heidelberg. ziehung der subjektiven Dimension des Patienten und der Arzt-Patient-Be- B a l i n t , E. (1976): Michael Balint und die D r o g e „Arzt“, in: Psyche 2/1976, Klett Verlag, ziehung“ und — interessanterweise — n e n n t Petri auch den „Einblick in grup- Stuttgart. pendynamische Prozesse“, der „das Verständnis für institutionelle Konflik- B a l i n t , M. (1954): Psychotherapeutische Fortbildung des praktischen Arztes, in: Nedelmann te“ e r w e i t e r e und „ e i n e teamzentrierte Arbeit“ erleichtere ($. 844 ff.). u. Ferstl (1989) (1955): Die Gruppenkonferenz, in: Nedelmann u. F e r s t l ( 1 9 8 9 ) . Es wird d e u t l i c h , daß der Autor in seinem Balintgruppen-Verständnis ( 1 9 6 4 ) : Der Arzt, s e i n P a t i e n t und die Krankheit, in: dass, ( 1 9 7 0 ) , Klett V e r l a g , Stutt- Kliniksärzte zusammen mit ihren PatientInnen in den institutionellen Rah- gart.

men stellt, ohne den der „ F a l l “ nicht tiefergehend verstanden werden k a n n . [ (1965): Die t h e r a p e u t i s c h e Funktion des A r z t e s , in: Nedelmann u. Ferstl (1989). Diese Auffassung kommt dem, was wir u n t e r Supervision verstehen, nahe. ( 1 9 6 6 ) : Psychoanalyse und m e d i z i n i s c h e Praxis, in: Nedelmann u. Ferstl (1989). ForumForum SupervisionSupervision -- www.beratungundsupervision.dew beratungundsupervision.de 68 Barbara Wiese 69

Bauriedi, Th. (1984): Die Auflösung von Beziehungsstörungen in Balintgruppen, in: Peter Musall Akademie für Jugendfragen (Hrsg.), Münster, Supervison, Heft 6/1984. — (1993): Veränderungsprozesse in Balintgruppen, in: Pühl, H, u. Schmidbauer, W. {Hrsg.): Supervision und Psychoanalyse, Fischer Verlag, Frankfurt/M. Balintgruppenarbeit — — (1994): Auch ohne Couch, Psychoanalyse als Beziehungstheorie und ihre Anwendungen, ein psychoanalytisches Supervisionskonzept Verlag Internationale Psychoanalyse. Becker, Hansjörg (1991): Balint-Gruppen. Eine psychoanalytische Kritik, Psyche 1/1991, Anmerkungen zur A u s b i l d u n g Klett Cotta, Stuttgart. von BalintgruppenleiterInnen Fellermann, J. u. Weigand, W. (1996): in: DGSv e. V. (Hrsg.), Supervision — professionelle Beratung zur Qualitätssicherung am Arbeitsplatz. Freud, S. (1910): Über wilde Psychoanalyse, GW Bd. 8, Fischer, Frankfurt/M. Zusammenfassung: Der Autor beschreibt Balintgruppen und ihr psychoana- Körner, J. u. Rosin, U. (1988): Einsicht in der Balint-Gruppenarbeit, in: Körner, J., Neubig, Iytisches Konzept als eine M ö g l i c h k e i t der fokussierten Selbsterfahrung auf H., Rosin, U. (Hrsg.), Die Balint-Gruppe in Klinik und Praxis, Springer Verlag, Berlin/- indirektem Weg und als Empathietraining. Er benennt wesentliche Merkmale Heidelberg. der Balintgruppenarbeit und beschreibt d i e Rolle d e s Balintgruppenleiters, um Kutter, P. (1983): Psychoanalytische Supervisions-Gruppen an der Hochschule, Psyche dann am Ausbildungskonzept d e s Burckhardthauses zu zeigen, wie Superviso- 3/1983, Klett Cotta, Stuttgart. rinnen diese R o l l e erlernen können. Leuschner, G. (1983): Übersetzungen — aus der Balintgruppenarbeit eines Supervisors, in: Supervision Heft 4/1983, Hrsg. Akademie für Jugendfragen Münster. Zwei Beobachtungen am Anfang: Loch, W. (1972): Sprechstunden-Psychotherapie: Training in Balint-Gruppen, in: Zur 1. Der Versuch, einen Platz in einer Balintgruppe zu finden, ist offenbar Theorie, Technik und Therapie der Psychoanalyse, Fischer Verlag, Frankfurt/M. genauso schwer, wie TeilnehmerInnen für eine Balintgruppe zu — (1973): Die Balint-Gruppe — Möglichkeiten zum kontrollierten Erwerb psychosomati- gewinnen. 2. Balintgruppenarbeit wird unter schen Verständnisses, in: Nedelmann u. Ferstl (1989). SupervisorInnen primär wahrgenommen als — (1974): Der Analytiker als Gesetzgeber und Lehrer, in: Psyche 5/1974, Klett Verlag eine gute Möglichkeit zur Kontrolle supervisorischer Praxis, weniger aber Stuttgart. als ein brauchbares Konzept für die Supervisionsarbeit mit/in Gruppen. - (1984): Balint-Seminare: Zweck, Methode, Zielsetzung und Auswirkung auf die Praxis, Begründungen für dieses Erscheinungsbild gibt es sicherlich viele. Aber sie in: Nedelmann u. Fersti (1989). sind kaum zu verallgemeinern, weil sie empirisch nicht überprüft werden. — (1995): Theorie und Praxis von Balint-Gruppen, Gesammelte Aufsätze, edition diskord, Denn obwohl das von Michael Tübingen. Balint und seiner Frau Enid entwickelte Mentzos, S. (1976): Interpersonale und institutionalisierte Abwehr, Suhrkamp, Frankfurt/M. Modell eines der ältesten Supervisionskonzepte ist, ist die Kenntnis dar- Nedelmann, C. u. Ferstl, H. (1989) Hrsg: Die Methode der Balint-Gruppe, Klett-Cotta, über, wie Balintgruppenarbeit geschieht, was sie bewirkt und wo ihre Stuttgart. Möglichkeiten und Grenzen liegen, nur wenig oder unzureichend bekannt. Parin, P. (1992): Der Widerspruch im Subjekt, EVA, Hamburg. Das mag zum einen darin begründet sein, daß das Modell der Balint- Petri, H. (1982): Balint-Gruppen mit Kliniksärzten, in: Psyche 9/1982, Klett-Verlag, Sruppenarbeit das ausgeprägteste Supervisionsmodell Stuttgart. auf psychoanalyti- Rappe-Giesecke, K. (1994): Gruppensupervision und Balintgruppenarbeit, in: Handbuch der scher Grundlage ist — und das Verstehensmodell der Psychoanalyse ist ja Supervision 2, Pühl, H. (Hrsg.), Edition Marhold, Berlin. schon oft als „Auslaufmodell“ an den Pranger gestellt oder für tot erklärt Rotmann, M. (1978): Über die Bedeutung des Vaters in der ‚Wiederannäherungsphase‘, worden. Zum anderen erscheint das Balintmodell als Supervisionsmodeli Psyche 32/1978, Klett-Cotta, Stuttgart. deshalb weniger attraktiv, weil in ihm die institutionelle Ebene bzw. der Vogt, R. (1988): Innere undäußere Realität in Psychoanalysen, Psyche 8/1988, Klett-Cotta, Organisationsbezug keinen Platz hat. Stuttgart. Ein weiterer Grund Wiese, B. (1997): Zum Verhältnis von Selbsterfahrung und Rollenlernen in der Lehrsuper- mag auch die Tatsache sein, daß das, was bisweilen vision, Vortrag auf der LehrsupervisorInnentagung des FIS Münster in Schwerte. unter dem Etikett der Balintgruppenarbeit (auch von PsychoanalytikerIn- Wittenberger, G. (1993): Über die Verwundbarkeit in der Supervisionsausbildung, in: nen) angeboten wird, nur wenig mit dem zu tun hat, was Balint vertrat Forum Supervision Heft 1/1993, edition diskord, Tübingen. öder auf der Grundlage seines Konzepts von seinen Schülern analog der — (1996): Das Irrationale in Gruppen, in: Forum Supervision, Sonderheft 1/1996, edition Weiterentwicklung der Psychoanalyse selbst entwickelt wurde. Und es mag diskord, Tübingen. letzten Endes daran liegen, daß die Arbeit in/mit Balintgruppen die kreativ- ste und lustvollste Form psychoanalytischen Arbeitens ist, so daß damit ein großer Freiraum der Varianten verbunden wird — mit dem Ergebnis sehr „individueller“ Ausprägungen des ursprünglichen Balint-Konzepts. ForumForum SupervisionSupervision -- www.beratungundsupervision.dew .beratungundsupervision.de

70 Peter Musall Balintgruppenarbeit — ein psychoanalytisches Supervisionskonzept 71

Was macht nun das Balint-Konzept Selbsterfahrung und ein Empathietraining, das sowohl dem Berichterstatter für die Supervisionsarbeit so interessant? wie seinem Patienten/Klienten hilft.

gebracht: s e i n e Einfachheit, sein Pragmatismus und Auf e i n e n Nenner Besonderheiten der Balintgruppenarbeit? s e i n e immer wieder überraschende Genialität. Balints Idee war äußerst pragmatisch: einerseits galt es, in der praktischen War Balintarbeit in Deutschland bisher — und dafür s t e h e n auch die Grund- Arbeit von Hausärzten neben der medizinischen/somatischen Dimension die sätze der Deutschen Balintgesellschaft — auf den S t a n d der Ä r z t e bezogen, B e d e u t u n g der Arzt-Patient-Beziehung („Droge Arzt“) zu untersuchen und s o hat s i c h mehr und mehr der s c h o n durch Enid Balint vertretene Ansatz, bedeutsam werden z u lassen; andererseits g a l t es, dies für die TeilnehmerIn- Balintgruppen auch mit Angehörigen sozialer Berufsfelder durchzuführen, nen der Gruppen so voraussetzungslos und zeitökonomisch z u gestalten, daß Raum verschafft. So wenig wie das Verstehensmodell der Psychoanalyse über den Weg der Beziehungsdiagnostik d u r c h die gemeinsame „Forschung- auf die t h e r a p e u t i s c h e Arbeit von (zumeist) ärztlichen Psychoanalytikern be- sarbeit“ s o w o h l Selbsterfahrung wie Fortbildung erfolgen konnte. Denn Ziel schränkt werden k a n n , so wenig l ä ß t s i c h die Balintgruppenarbeit auf d i e der am eingebrachten Fallmaterial orientierten Beziehungsanalyse war und ist Arbeit im medizinischen oder psychotherapeutischen Feld eingrenzen. Viel- nicht zuerst und hauptsächlich die „Lösung“ der zumeist unbewußt gebliebe- mehr: Balintgruppenarbeit ist möglich mit a l l e n Berufsgruppen, in denen die nen Beziehungsanteile, die A u f l ö s u n g „erstarrter Beziehungen“ und „ V e r - Beziehung zum Gegenüber (Patient, Klient, Schüler, Seelsorgefall) e i n we- klammerungen“ (Bauriedi) zwischen A r z t und Patient (Sozialarbeiter und sentliches Charakteristikum beruflichen Handelns i s t . Und so wird Balint- Klient), sondern d i e grundlegende „Befreiung“ des Arztes oder Sozialarbei- gruppenarbeit in modernen K o n z e p t e n ja auch v o r r a n g i g a l s „Beziehungs- ters von dem, was in der konkreten Beziehung zu Patienten oder Klienten diagnostik“ ( z . B . Bauriedi, Kutter) beschrieben, So zutreffend Beziehung oder Verstehen in der Beziehung erschwert/behindert. d i e s im großen und ganzen auch i s t , ist diese Kennzeichnung Denn wenn dem/der BerichterstatterIn in der Balintgruppe gerade auch in der Gefahr der Verkürzung. Was verloren gehen könnte, ist das, diese(r) Klient(in) einfällt, so hat das n i c h t nur zu tun mit dem, was der was Balint s e l b s t mit den Begriffen wie „Forschungsarbeit“, „gemeinsame Arzt oder Sozialarbeiter von seinem Gegenüber noch n i c h t „verstanden“ Entdeckungsarbeit“ ö d e r „ E r o b e r u n g s a r b e i t “ b e s c h r i e b . Denn — und das ist eine h a t , sondern es ist zugleich eine Form der (indirekten) Selbstthematisierung wesentliche Be- sonderheit — Balintgruppenarbeit ist n i c h t zuerst eigener, persönlicher Problematik des/der Berichtenden u n t e r den Bedin- z i e l - oder lösungsorientiert, sie ist v e r s t e h e n s o r i e n t i e r t . Und was „verstanden“ gungen dieser Balintgruppe, in der er/sie TeilnehmerIn ist (vgl. Seidler, werden soll, sind die un- bewußten Motive und Steuerungen, Zur Theorie der Balintgruppe, in: Gruppenpsychotherapie und Gruppen- die das Verstehen in einer professio- dynamik 3/1995, S. 264-280). tiellen B e z i e h u n g behindern oder gar verhindern können und s o m i t auch d i e erlemte Fachlichkeit (als Wenn ein(e) BerichterstatterIn am Ende e i n e r Balintsitzung s e i n e n Patien- A r z t o d e r S o z i a l a r b e i t e r z.B.) trüben. Doch auch die nachstehenden Merkmale ten/Klienten „besser“ versteht, so ist dies n i c h t a l l e i n ein kognitiver Zuge- kennzeichnen das Besondere der Balintgruppenarbeit gut und zutreffend: winn a u f g r u n d der Beschäftigung mit dem Fall d u r c h d i e übrigen Gruppen- Zusammensetzung der mitglieder und die Deutungen des Balintgruppenleiters, vielmehr: der Be- Gruppe: d i e Gruppe soll homogen s e i n bezüglich des Berufes/der beruflichen richterstatter hat i n d i r e k t e t w a s ü b e r sich erfahren können, das in Beziehun- Erfahrungen, des Arbeitsfeldes, des Alters und Geschlechts (bzw. der Alters- gen wie zu dem von ihm eingebrachten Patienten/Klienten bedeutsam ist. und Geschlechtsmischung). Teilnehmer mit behandlungsbedürftiger Balintgruppenarbeit eignet sich a l s o besonders d a n n , wenn Supervisan- psychischer Problematik s i n d n i c h t zuzulassen. Was auf den ersten B l i c k rigide den d a r a u f aus s i n d , in besonderer Weise d i e sonst unbewußt (weil un- und k ü n s t l i c h erscheint, dient der Begün- Stigung e i n e s gelebt und un-erlebt) wirksamen „blinden Flecken“ in der Beziehung zu Gruppenklimas, das weniger von „Vorsicht“ g e k e n n z e i c h n e t ist, s e i n e n Patienten/Klienten k e n n e n z u l e r n e n und die in der Praxis entwickel- und der Minderung des Widerstandes (z.B. gegenüber der Regel des ten professionellen Kompetenzen besser und wirkungsvoller nutzen zu f r e i e n Assoziierens). können. Die vorhandene fachliche Kompetenz erfährt s o eine Erweiterung Voraussetzungsiosigkeit: die Teilnehmer brauchen weder psychoanalyti- d u r c h zunehmende Selbstkompetenz und Beziehungskompetenz. Durch den sche Vorerfahrungen noch psychodiagnostische Kompetenzen. S t a t t auf die besonderen, psychoanalytischen Umgang mit dem eingebrachten F a l l - mitgebrachte Kompetenz wird auf den „Mut zur eigenen Dummheit“ und a u f . . d i e m a t e r i a l erfolgt auf indirektem Wege eine fokussierte ( w e i l falibezogen) Bereitschaft/Fähigkeit gesetzt, e i g e n e Einfälle ohne K o n t r o l l e ForumForum SupervisionSupervision -- www.beratungundsupervision.dewwW.beratungundsupervision.de 72 _ Peter Musall Balintgruppenarbeit — ein psychoanalytisches Supervisionskonzept 73

mitteilen und — in der Position des Berichterstatters — auch kritische Patienten wie diesem unbewußt wirksam war und das Verstehen erschwerte. Hinweise einstecken zu können. Das „Ergebnis“ ist grundsätzlicher Natur und so auch verallgemeinerbar. Die Gruppe als „Medium“: in der Balintgruppenarbeit ist auch der Hier erweist sich auch der Selbsterfahrungscharakter und die damit ver- gruppendynamische Prozeß nie für sich Gegenstand der Bearbeitung. bundene Selbstthematisierungstendenz für den Berichterstatter als evident Eventuelle S t ö r u n g e n können wohl vom Balintgruppenleiter bemerkt und und effektiv. Sie wird möglich, weil die Mitglieder nur indirekt mit ihm benannt werden, doch zuerst und vor a l l e m werden sie genutzt zum befaßt sind, was zunächst weniger bedrohlich erscheint; ja sie wird begün- Verstehen des eingebrachten F a l l e s und der durch den Berichterstatter stigt durch die Freiheit und Spontaneität der Gruppe, die weder für sich (indirekt und unbewußt) eingeführten Beziehungsproblematik mit dem selbst noch für den Berichterstatter Sorge zu tragen hat. abwesenden Patienten/Klienten. D i e s hat — darauf weisen schon Argelander und K u t t e r ( u n d j ü n g s t S e i d i e r ) hin — zu tun mit der A n n a h m e , daß der eingebrachte Fall unbewußt zu T a g e gefördert wurde durch die aktuelle Was kennzeichnet die Rolle des Balintgruppenleiters? Situation in der Gruppe (und natürlich auch durch die Befindlichkeit des Berichterstatters). Sicherlich wäre es auch spannend, die Falleinbringung Wie die Rolle des Supervisors kann auch die Rolle des Balintgruppen- und den Bezug der Gruppe zum Fall zum Verstehen der Beziehungs- leiters nicht durch eine berufliche Grundausbildung erworben werden. Wer dynamik der Gruppe zu nutzen, doch der Prozeß des freien Assoziierens Balintgruppenleitung erlernen will, braucht neben der reflektierten Erfah- wäre dadurch unterbrochen, die Empathie wäre abgezogen vom Bericht- rung in seinem Grundberuf auch eine beraterische/supervisorische Zusatz- erstatter und seiner Beziehung zum Klienten. qualifikation, die ihrerseits durch regelmäßige Praxis und Praxiskontrolle Der Bezugspunkt des Balintgruppenleiters ist nicht der Fall und auch gesichert ist. Doch darüber hinaus sind psychoanalytische Kenntnisse nicht die Gruppe als Gruppe. Im Sinne der freischwebenden Aufmerksam- sowie fundierte Erfahrungen im Umgang mit angewandter Psychoanalyse k e i t und einer oszillierenden Grundhaltung erweist sich die R o l l e des Ba- {psychoanalytische Selbsterfahrung; eigene Erfahrung als Mitglied einer lintgruppenleiters nicht dadurch e f f e k t i v , daß er zielgerichtet fokussiert, son- Balintgruppe oder einer gruppenanalytischen Gruppe) von hervorragender dern dadurch, daß er d i e freie Phantasie der Gruppe fördert d u r c h Einfälle, Bedeutung. Denn die Rolle des Balintgruppenleiters ist nicht vorstellbar B i l d e r und Deutungen, die er mit dem eingebrachten Fallmaterial und den ohne die psychoanalytischen Grundhaltungen (Abstinenz und freischwe- freien, unkontrollierten E i n f ä l l e n der Gruppe gewinnt. Der Balintgruppenlei- bende Aufmerksamkeit), Erfahrungen im Umgang mit Übertragung/Gegen- ter achtet nicht z u e r s t auf das, was gesagt w i r d , sondern darauf, wie etwas übertragung und die nicht nur theoretische Möglichkeit der Widerstands- g e s a g t wird, weiche Wirkungen das Erzählte und das daraufhin Assoziierte analyse. Der freie und auch aktive Umgang mit dem psychoanalytischen in der Gruppe erfährt: Was w i r d aufgenommen, was weggelassen? Welche Denk- und Verstehensmodell sowie der psychoanalytischen Methode Gefühle l ö s t der Bericht in der Gruppe aus? Worauf w i r d Bezug genom- braucht dies als Voraussetzung, damit der Balintgruppenleiter seiner Rolle men? Wie (mit welchen Gefühlen) ist die Gruppe b e i ihrer Aufgabe? auch dann sicher sein kann, wenn er selbst sich einläßt auf die phantasie- Der fremde Blick: damit s i n d n i c h t allein die Bilder, G e f ü h l e , Einfälle voli-kreative Forschungsarbeit der Gruppe. und Assoziationen der Gruppenteilnehmer zum eingebrachten Fall und Ein Streitfall ist die Frage der Feldkompetenz. Die Deutsche Balint- dem daraufhin in der Gruppe entstehenden Prozeß g e m e i n t . Vielmehr: der Gesellschaft behauptet sie in ihren Richtlinien als Voraussetzung/Bedin- fremde Blick, das ist der „neue Blick“, der es dem Berichterstatter möglich gung: nur Ärzte können Ärzte begleiten und verstehen. Doch auch die macht, das besser zu fühlen und zu erleben, was bisher in der Beziehung andere Sichtweise, daß Feldkompetenz die notwendige Distanzierung zu seinem Patienten/Klienten un-gelebt und un-erlebt geblieben i s t . beeinträchtigen könnte undvon daher „Feldwissen“ (mit Kompetenzzu- Die „Ergebnisse“ von Balintgruppensitzungen haben nicht selten den Cha- wachs durch den Gruppenprozeß mit kompetenten Spezialisten ihres r a k t e r eines „Flash“-Effektes — als handele es sich um „Zauberei“. Mit Hilfe Feldes) für ausreichend erachtet wird, findet ihre erfahrenen Befürworter. des Balintgruppenleiters entsteht aus den (unbewußten) Spiegelungen der b i s - Auch der Balintgruppenleiter muß ein Gefühl dafür entwickeln, daß her unbewußt gebliebenen M o t i v e des Falles ein Spiegelbild, in dem der Be- Beziehung im Kontext eines Krankenhauses anders erfahren wird als im richterstatter (und bis zu einem gewissen Grade auch die übrigen Gruppen- Zweiergespräch in einer Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle der teilnehmer) Zugang erfährt zu dem, was in seiner Beziehung zu Klienten/ Kirche(n). ForumForum SupervisionSupervision -- www.beratungundsupervision.dewwW.beratungundsupervision.de 74 Peter Musali Balintgruppenarbeit — ein psychoanalytisches Supervisionskonzept 75

Da Schweigephasen in einer Gruppe immer anstrengend sind, w i r d von zuerst, aber auch den Mitgliedern der Gruppe über den Weg dieser speziel- Teilnehmern einer Balintgruppe oft „erfreulich“ registriert, daß der Balint- len Fallbesprechung zu grundlegenden Erfahrungen und Einsichten verhilft gruppenleiter v i e l aktiver als ein Analytiker sonst s e i und sich bisweilen und deren Integration anregt. Diese Begleiter-Rolle, die mit der Kompetenz auch partnerschaftlich-aktiv an der Forschungsarbeit der Gruppe beteilige. und Mündigkeit der Gruppenteilnehmer auch dann rechnet, wenn diese Das kann so sein, und das ist s o , weil der Balintgruppenleiter ja nicht der zunächst gar nicht gefragt ist, ist grundiegend eine „dienende“ Rolle — eine Begleiter e i n e s therapeutischen Prozesses, sondern einer „professionellen Rolle, die ein hohes Maß an Wahrnehmungs-, Einfühlungs- und Ver- Forschungsgruppe“ ist. Dies ermöglicht eine aktivere Mit-Gestaltung der stehenspotential erfordert. Realbeziehung, ohne daß damit die psychoanalytische Abstinenz aufgegeben wird. Und dies kann so sein, weil der Balintgruppenleiter direkt auf sich ge- Und so kann man die Rolle des Balintgruppenleiters lernen ... richtete Übertr a g u n g e n nicht angeht, sondern sich auf die Untersuchung der Arzt-Patient-Beziehung im Spiegel der Gruppe beschränkt und auch s e i n e Für Supervision mit psychoanalytischer Kompetenz (Theorie und Selbst- Gegenübertragungen nur darauf bezieht und gegebenenfalis veröffentlicht. erfahrung) sind die vorgestellten Aspekte der Balintarbeit und der Rolle Nachfolgend werden einige Merkmale der Balintleiterrolle genannt, die des Balintgruppenleiters sicherlich vertraut oder leicht nachzuvollziehen. auch auf die Rolle von Supervisoren z u t r e f f e n k ö n n t e n , für den Balint- Und doch zeigt die Erfahrung, daß das allein nicht reicht: die Rolle des gruppenleiter aber unabdingbar sind. Balintgruppenleiters muß erarbeitet/erworben werden — über einen längeren Zu Beginn jeder Sitzung — zumal wenn sich Gruppen (anders a l s Balint Zeitraum — aufbauend auf einem Fundament gesicherter Theorie und dies praktizierte) nur in Monatsabschnitten treffen — ist d u r c h Klärung der reflektierter, auch durch Selbsterfahrung vertiefter Praxis. Denn es gilt eine Befindlichkeit, Nachfragen n a c h Resten oder Wirkungen/Ergebnissen e i n neue Rolle zu erlernen, die durchzuhalten oft schwer oder unverständlich Klima herzustellen, das Widerstände mindert und so das freie Assoziieren erscheint, weil sie scheinbar so leicht und gar nicht „glänzend“ ist. Denn fördert. der Balintgruppenleiter in der Rolle des „Spezialisten für Beziehung“ Überhaupt ist eine wesentliche Aufgabe des Balintleiters, die Gruppe erscheint weder als glänzender Diagnostiker, noch als Allroundspezialist, immer wieder in ihren Assoziationen zu fördern und neu anzuregen, d a m i t sondern als der dienende Begleiter, der neben allem, was er auch können das Unbewußte eine „Chance“ bekommt und die Sitzung nicht zum und wissen muß, eines besonders braucht: die unerschütterliche Gewißheit, daß sich das unbewußte Thema der Beziehung und die unbewußte Selbst- Fachgespräch ü b e r unterschiedliche Deutungen e n t a r t e t . thematik des Berichterstatters im Hier und Jetzt der Gruppe ereignen und Abweichend von Balint selbst (der eher protagonistenzentriert w a r ) , aber so dem Verstehen zugänglich gemacht werden kann. stärker orientiert an Enid Balint ist der Balintgruppenleiter in aktuellen Konzepten, die s i c h auch an der Gruppendynamik bzw. Gruppenanalyse (Foulkes, Eicke und andere) orientieren, gruppenorientiert. Während die Das Ausbildungsmodell des Burckhardthauses Gruppe den Fall im B l i c k h a t , richtet der Balintgruppenleiter s e i n e n Blick und s e i n Gespür auf d i e Gruppe — ohne deshalb den Fall o d e r den Bericht- Bereits seit 1983 bietet das Burckhardthaus ausgebildeten und langjährig erstatter zu vergessen. Hier geht es a l s o um „szenisches Verstehen“ (Lo- praktizierenden SupervisorInnen die Möglichkeit der Weiterbildung zum/ renzer, Argelander), um die „dritte“ Informationsebene, d i e am ehesten zur BalintgruppenleiterIn an. Dabei hat sich das Balintkonzept als Supervi- Zugang zum Unbewußten verspricht. sionskonzept für homogene Berufsgruppen als besonders brauchbar erwie- Deutungen werden zunächst gegeben, um das Assoziieren der Gruppe sen. Denn Balintgruppenarbeit hilft in verblüffender Weise, das unbewußte neu anzuregen, was sich auch deshalb anbietet, weil sie sich auf das H i e r Geschehen in der Beziehung zwischen dem/der HelferIn und einemjeiner und Jetzt der Gruppe beziehen. E r s t in der Schlußphase einer S i t z u n g , wenn Hilfesuchenden besser zu verstehen und wirksamer zu gestalten. Gegen- es um die Verknüpfung des Gruppenprozesses mit dem Fall und dem stand sind Fallbeispiele ausder eigenen Berufspraxis, die mit der psycho- Berichterstatter geht, werden die Deutungen unter Umständen noch einmal analytischen Methode untersucht werden. fallbezogen spezifiziert und im Gruppengespräch (unter Kollegen) v e r t i e f t . Ziel der Weiterbildung im Burckhardthaus ist die Erweiterung psycho- Der Balintgruppenleiter ist n i c h t so sehr Leiter o d e r gar nur Moderator, analytischen Verstehens und die Entwicklung der eigenen Anwendungs- sondern Begleiter und Anreger e i n e s Prozesses, der dem Berichterstatter kompetenz in der Leitung von Balintgruppen. ForumForum SupervisionSupervision -- www.beratungundsupervision.dewwW.beratungundsupervision.de 76 Peter Musail Balintgruppenarbeit — ein psychoanalytisches Supervisionskonzept 77

Kursorganisation: (weiterhin) einer regionalen Balintgruppe an. Die Gruppenteilnehmer Die Weiterbildung erstreckt sich auf einen Zeitraum von vier Jahren. Sie sollten SupervisorInnen sein. Die regionale Balintgruppe soll innerhalb von umfaßt Theorie-Praxis-Seminare, psychoanalytische Selbsterfahrung, Teil- vier Jahren 80 Sitzungen (& 90 Minuten) umfassen undvon einem/einer nahme an einer regionalen Balintgruppe und eigene Balintgruppenleitung. BalintgruppenleiterIn geleitet werden. Theorie-Praxis-Seminare: Eigene Balintgruppenleitung: Pro Jahr werden zwei Theoriewochenenden angeboten. Diese Seminare die- Mit Beginn des zweiten Weiterbildungsjahres ist die Leitung einer eigenen nen der Vertiefung psychoanalytischer Theorie und (theoriebezogen) der prak- Balintgruppe oder die Übernahme der Co-Leitung in einer Balintgruppe tischen Balintgruppenarbeit. Besondere Bedeutung erhalten dabei die Aus- möglich. Der/die BalintgruppenleiterIn muß vom Institut anerkanntwerden. wertung der Phänomene, der Leiterinterventionen und der Gruppendynamik. Die Zulassung zur Übernahme einer eigenen Balintgruppe oder zur Co-Lei- Themen und Inhalte der Theorie-Praxis-Seminare sind ausgewählte tung erfolgt durch die Kursleitung.Der Gruppenprozeß soll über zwei Jahre Grundfragen psychoanalytischer Theorie in ihrer Relevanz für die Balint- gehen (ca. 30 Sitzungen ä 90 Minuten). Für die eigenständige Gruppenlei- gruppenarbeit: tung ist begleitende Supervision (mindestens 20 Sitzungen) bei einemjeiner — Balintgruppenarbeit — ein Supervisionskonzept / Indikation anerkannten Balintgruppenleiterln gefordert; bei der Co-Leitung wird sie — Rolle und Persönlichkeit des/der BalintgruppenleiterIn empfohlen, da ansonsten vom kollegialen Austausch zwischen dem/der Ba- — Theorie des Unbewußten (Freud) lintgruppenleiterIn und dem/der AusbildungskandidatIn ausgegangen wird. — Rolle als LeiterIn / Co-LeiterIn in der Balintgruppenarbeit Der Abschluß der Weiterbildung erfolgt im Rahmen eines Kolloquiums — Handhabung von Übertragung und Gegenübertragung und ist erst möglich, wenn alle Ausbildungsteile vollständig abgeschlossen — Handhabung der Abstinenzregel werden. Über die Zulassung entscheidet die Kursleitung unter Hinzuzie- — Beziehungsdiagnose hung der für die Ausbildungsteile (Selbsterfahrung, regionale Balintgruppe, — Widerstand und Regression Kontroll-Supervision für eigene Balintgruppenleitung) verantwortlichen — Interventionen in der Balintgruppenarbeit Leiter. Das Kolloquium wird als kollegiales Fachgespräch durchgeführt. — Spiegelungsphänomen. Außer den Teilnehmern sind die mitarbeitenden DozentInnen, Mitglieder Die Theorie wird anhand von Arbeitspapieren vermittelt/erarbeitet. Außer- dem werden zu den Wochenendseminaren zu ausgewählten Einzelfragen des fachlichen Beirats für die BalintgruppenleiterInnenausbildung (zumeist GastdozentInnen eingeladen. Desgleichen werden unterschiedliche Modelle ausder AG Balintgruppenleitung am Burckhardthaus) und die Kursleitung der Balintgruppenarbeit durch renommierte Fachleute live demonstriert und beteiligt. reflektiert. Hier ist es gelungen, eine gute Zusammenarbeit mit wesentli- Der erfolgreiche Abschluß wird durch das Zertifikat des Burckhardt- chen Repräsentationen der Balintgruppenarbeit aufzubauen. Und weitere hauses bescheinigt. Es berechtigt die AbsolventInnen zur Leitung von Kontakte sind bereits erfolgversprechend angebahnt. Innerhalb der Weiter- Balintgruppen im nichtärztlichen Bereich. Doch gegenwärtig wird — auch bildung sind mindestens acht aufeinanderfolgende Theorie-Praxis-Seminare im Kontakt mit der Deutschen Balint-Gesellschaft — geprüft, ob diese Be- zu absolvieren. schränkung aufgehoben werden soll/kann. Psychoanalytische Selbsterfahrung: Die Voraussetzungen zur Teilnahme sind so beschrieben, daß auch die Am Ende der Weiterbildung sind 20 Tage mit jeweils 4 Sitzungen nachzu- Weiterbildung selbst sich an den Grundsätzen der Homogenität der Kurs- weisen. Bei entsprechender Größe der Kursgruppe wird die Selbsterfahrung gruppe orientiert: als kursinterne Gruppenanalyse organisiert. Ziel/Gegenstand ist die Ver- Die Weiterbildung ist konzipiert für ausgebildete, praktizierende Super- tiefung der eigenen Introspektionsfähigkeit und die Erweiterung der visorInnen. Die Anerkennung durch die DGSv ist nachzuweisen. Wahrnehmungsfähigkeit im Umgang mit dem Unbewußten und seinen Nachzuweisen sind darüber hinaus: Manifestationen (Widerstand, Regression, Übertragung/Gegenübertragung). a) psychoanalytische Selbsterfahrung (Richtwert: 100 Stunden) — die Unabhängig davon wird im Programm des Burckhardthauses kontinuierlich zuvor auch im Burckhardthaus erworben werden kann. Selbsterfahrung angeboten, die für die Weiterbildung anerkannt wird. b) Kenntnisse der psychoanalytischen Theorie (ggf. auch eine Falldar- Regionale Balintgruppe: stellung aus der eigenen supervisorischen Praxis oder ein Fachge- Jede(r) Ausbildungskandidat(in) gehört während der Ausbildungszeit auch spräch mit der Kursleitung vor Beginn der Weiterbildung). ForumForum SupervisionSupervision -- www.beratungundsupervision.dew .beratungundsupervision.de 78 Peter Musall 79

c) Kontrollsupervision für die bisherige eigene Supervisorinnenpraxis Gerhard Leuschner und Gerhard Wittenberger (mindestens 10 Prozesse: Einzel-, Gruppen-, Teamsupervision). d) Erfahrungen als TeilnehmerIn einer Balintgruppe unter Leitung eines Balintgruppenarbeit im psycho-sozialen Feld entsprechend qualifizierten Balintgruppenleiters (z. B. Psychoanalyti- derSozial- und Bildungsarbeit’ kerIn mit Zusatzqualifikation oder psychoanalytisch ausgebildete/r BalintgruppenleiterIn). Richtwert: 40 Sitzungen innerhalb von zwei Jahren. Eine schriftliche Reflexion der TeilnehmerInnenerfahrung ist Zusammenfassung: Es werden sowohl die historischen und berufspolitischen bei der Bewerbung einzureichen. Bedingungen der Balintgruppenarbeit im Feld der Sozial- und Bildungsarbeit Vorgespräch mit dem Leiter der Ausbildung oder einem Mitglied des im Unterschied zur klassischen, patientenorientierten Balint-Gruppen-Arbeit im Beirats fürdie BalintleiterInnen-Ausbildung am Burckhardthaus. medizinischen Feld aufgezeigt, als auch die theoretischen und methodischen Begründungen skizziert, die die Balintgruppenmethode als spezifische Methode der Supervision ausweisen, Einschätzungen und Erfahrungen Ohne Zweifel hat Michael Balint bei der Entwicklung seiner Lehr- und Das vorgestellte Konzept hat nicht immer so bestanden, es hat sich aus Forschungsmethode, der Beziehungsdiagnostik, vor allem die Arzt-Patien- bisher drei abgeschlossenen Ausbildungsdurchgängen (gegenwärtig läuft ten-Beziehung gesehen und dabei an den medizinischen Bereich gedacht, der 4. Kurs; Ende 1998 startet der 5. Durchgang) so entwickelt — aus Erfah- dem er von Kindesbeinen an (sein Vater war Hausarzt) angehörte. Und rungen, kritischer Begleitung durch die mitarbeitenden Spezialisten und die dennoch begannen „seine Vorarbeiten mit Sozialarbeitern ausder Ehebera- weitergehende Forschungs- und Theorie-Entwickiungsarbeit in der Arbeits- tung“ (Eicke, 1978a, S.3). Erst danach wandte er sich mit seiner Frau den gemeinschaft praktizierender BalintgruppenleiterInnen. Seit dem 4. Durch- psychologischen Problemen der hausärztlichen Praxis zu (Luban-Plozza, gang wird das Ausbildungsprogramm begleitet durch einen ständigen 1974, 8.14). Was dieses Faktum bedeutet, ist weder von Balint noch von fachlichen Beirat. seinen Schülern interpretiert worden. Es war bisher nicht notwendig. Eine Balintgruppen so zu bilden und zu etablieren, wie das durch die Aus- einfache Erklärung wäre — sie würde Balints Grundhaltung sehr entspre- bildung vermittelt wurde/wird, war anfangs nicht leicht. Doch die Akzep- chen: weil er von Sozialarbeitern in der Eheberatung lernen konnte,daß tanz ist gewachsen. So gibt es heute — geleitet von AbsolventInnen der und wie wichtig das „verstehende Zuhören“ für den Nicht-Analytiker im Ausbildung in unserem Haus — Balintgruppen mit ganz unterschiedlichen Bereich der beratenden und natürlich auch der medizinischen Betreuung Berufsgruppen, die dieses Modell der Reflexion ihrer Berufsrolle unter ist. dem Blickwinkel der Erwartung von Beziehungskompetenz und Selbst- Daß daraus der Anspruch geworden ist, die Balintgruppenarbeit ist eine kompetenz gerne nutzen (LehrerInnen, LeiterInnen von Kindertagesein- „klinische Methode“(Loch 1969, Loch und Luban-Plozza, 1980, S. 65)? richtungen, PfarrerInnen, Krankenhaus- oder GefängnisseelsorgerInnen, und, daß die „Balintarbeit eine Sache der Analytiker“ sei, mag hier SchuldnerberaterInnen, Pflegepersonal in Krankenhäusern oder Heimen, festgehalten, aber nicht interpretiert werden, hatte damals eher berufs- SozialarbeiterInnen im Anerkennungsjahr u. a. m.). Besonders gefragt sind politische als sachliche Bedeutung. Gleichwohl bekommt der/die Psycho- aber auch Balintgruppen als Instrument der Kontrolle für SupervisorInnen analytiker/in Schwierigkeiten mit „der Supervision“ dann, „wenn es um die und BeraterInnen. Es besteht Grund zur Hoffnung, daß sich das Modell der problematische Frage der Vermittlung seiner/ihrer therapeutischen Technik Balintgruppenarbeit — mit seinen Möglichkeiten und seiner spezifischen im nicht-klassischen Setting geht. Er/sie zeigt dann ängstlich-besorgte Fokussierung — weiter etablieren wird als ein tragfähiges, seriöses Modell Abschirmung, als ob er/sie sich gegen eine chaotische Sturmflut abdäm- der Supervision mit Gruppen. men müsse (Ohlmeier 1984a, S. 812). Anschrift des Verf.: Peter Musall, c/o Burckhardthaus, Evangelisches Institut für Jugend-, Da analytische Balintgruppenleiter schon lange nicht mehr nur im Kultur-und Sozialarbeit e. V., Herzbachweg 2, 63571 Gelnhausen, medizinischen Bereich arbeiten (Argelander mit Theologen, Furrer mit Tel. 06051/89-239, Fax 06051/89--200. Lehrern, Eicke mit Krankenhauspflegepersonal, Sozialarbeitern, Superviso- ren und Juristen, Knoepfel mit Berufsoffizieren usw.), sondern auf weite ForumForum SupervisionSupervision -- www.beratungundsupervision.dew .beratungundsupervision.de 80 Gerhard Leuschner und Gerhard Wittenberger Balintgruppenarbeit im psycho-sozialen Feld 81

Bereiche des sozialen Feldes und des Bildungsbereiches vorgedrungen Medizin zu einer technologischen Wissenschaft gemacht, Darin unter- sind, wäre zu fragen scheiden sich Verständnispraktiken in der Sozialarbeit und der Sozial- a) was ist das Kriterium, nach dem auch außerhalb des medizinischen therapie, aber auch im Bildungsbereich überhaupt nicht, die Problemiösun- Bereichs nach der Balintmethode gearbeitet werden kann und gen über Handlungstechniken, sprich Sozialtechniken herbeizuführen b) was können einige der Spezifika der Balintgruppenarbeit im sozialen suchen und Diagnostik ausschließlich am Verhalten orientieren und somit und Bildungsbereich sein. die Erkenntnisse über zwischenmenschliche Abläufe auf empirische Daten Balint ging davon aus, daß der Arzt eine „Gesamtdiagnose“ für seine reduzieren. Patienten erstellen muß, die sowohl die somatische wie auch psychische Daß das Balintmodell auf den nicht-medizinischen Bereich übertragbar und soziale Situation umfaßt (Balint, 1957/1980, S.85 u. ö., Luban-Plozza, ist, haben zahlreiche Analytiker gezeigt (s. 0.). Es bedarf aber einer weite- 1974, S.23). Der Arzt soll also die „Gesamtverantwortung für Körper und ren Übersetzung. Nämlich der, daß die ausder psychoanalytischen Praxis Psyche“ übernehmen bzw. einkalkulieren, damit aus diesen Bereichen und Theorie gewonnenen Erkenntnisse, einer Praxis und Theorie, diedie stammende Probleme die Diagnose beeinflussen. Diese idealtypische Beziehung zwischen einem Analytiker und einem Patienten — also einem Anforderung ist für den Bereich der Supervision in der Sozial- und Bil- sehr engen bzw. überschaubaren und kleinen Setting — umfaßte, übertragen dungsarbeit unzutreffend. werden müssen auf den Umgang mit Gruppen. Und letztendlich bedarf es Wie läßt sich nun eine Definition oder eine allgemeinere Bestimmung noch einer Übertragung von psychoanalytischen Vorstellungen über das beschreiben, die Balintgruppenarbeit identifizierbar macht? Nicht jede „Lernen“ auf die Lernform, die das Balintmodell anzielt. Es gibt zwar Arbeit mit Gruppen ist Balintgruppenarbeit, auch dann nicht, wenn das noch keine explizite psychoanalytische Lernpsychologie oder -theorie, aber Bemühen um die mitmenschlichen Beziehungen in Gruppen erfolgt. Versuche einer Vermittlung von psychoanalytischen Aussagen über das Balintgruppenarbeit basiert auf psychoanalytischer Erkenntnisgrundiage Lernen und einer lerntheoretischen Interpretation von Lernen in der Thera- und ist das in Gruppen stattfindende „gemeinsame Erforschen der Bezie- pie (vgl. F.S. Heigl und A. Triebel, 1977). Es drängt sich die Einsicht auf, hung ..., wo Menschen mit Menschen arbeiten“ und Beziehungsprobleme daß die psychoanalytische Theorie weit mehr an Aussagen machen kann, auftreten, die im Blick auf das Ziel der Arbeit sich als störend erweisen als ihre Praxis der Einzeltherapie vermuten läßt (den Bereich der psycho- (Knoepfel, 1980, S.61). Erst wenn das Arbeitsziel nicht mehr verfolgt analytischen Kunst- und Literaturinterpretation einbezogen). werden kann, weil aufgrund einer Beziehungsstörung das Ziel der Arbeit Das Balintmodeil ist eine Methode, die zum Gebiet der angewandten sekundärer Inhalt des Umgangs miteinander wird, ist die Beziehungs- Psychoanalyse gehört. Wir wollen diese Methode auf den Bereich der diagnose wichtig und unentbehrlich. Dann ist Balintgruppenarbeit eine Sozial- und Bildungsarbeit übertragen, wie dies bereits in der psychoanaly- Methode des Verstehenlernens, ein Mittel zum Zweck. tisch orientierten Einzelsupervision (Wittenberger, 1980) praktiziert wird. Bezieht man diese Definition auf die Praxis der Gruppensupervision in Die Balintmethode ist nicht zwingend eine klinische und auch nicht der sozialen Arbeit oder in der Bildungsarbeit, dann heißt das, daß dort, zwingend von Analytiken durchzuführende Lernmethode. Ebenso ist wo Supervision nach dem Balintmodell stattfindet, ein Supervisionsmodell herauszuarbeiten, daß die Übertragung der Methode auf das soziale Feld praktiziert wird, dessen theoretischer Hintergrund auf psychoanalytischen nicht einfach eine Okkupation darstellt, es soll gezeigt werden, welche Arbeitshypothesen beruht. Dies wirft Probleme auf, die von entscheidender Aspekte bei der Übersetzung aus dem medizinischen Bereich besonders Bedeutung sein können. Einmal muß das medizinisch orientierte Balintmo- berücksichtigt werden müssen bzw. sich ganz anders darstellen als dort, dell auf den nicht-medizinischen Bereich übertragen werden. Das heißt, wo die Balintgruppenarbeit als Methode bisher angezeigt war. D.h. wir daß sich der Fokus dieser Gruppenarbeit vom streng somatischen Diagno- fragen nach den Indikationen auf seiten der Teilnehmer und der Leitung, sestellen und dendabei ablaufenden Interaktionsprozessen zwischen Arzt die vorhanden sein müssen, damit eine sinnvolle Arbeit zu erwarten ist. und Patient auf eine andere inhaltliche Ebene verschiebt. Die folgenden Ansätze zur „Übersetzung“ der Balintmethode begrenzen Es karın am Rande bemerkt werden, daß die Beziehung zwischen Arzt sich auf grundsätzliche Überlegungen. Das heißt, spezifische Themen, wie und Patient im Blick auf die Krankheit in der Schulmedizin kaum beachtet z.B. die Leitungstechnik oder der Umgang mit der Gegenübertragung als wird, resp. hinter dem technischen Aspekt des Diagnosestellens und Interventionskriterium usw., bleiben hier unberücksichtigt (vgl. hierzu Therapierens rangiert. Dieses Zurücktreten des Beziehungsaspektes hatdie Wittenberger, G. und I. Zimmer, 1988). ForumForum SupervisionSupervision -- www.beratungundsupervision.dewwW.beratungundsupervision.de 82 _ Gerhard Leuschner und Gerhard Wittenberger Balintgruppenarbeit im psycho-sozialen Feld 83

Der größte Teil sozialer Hilfeleistung ist heute, selbst in den Bereichen, Dort wo die Praxis und das Bewußtsein nicht übereinstimmen, dort die durch Gesetzesauftrag abgesteckt sind, mehr Beratungstätigkeit als entstehen die Brüche zwischen Individuum und Gesellschaft. Dort wird die bürokratisch-verwaltende Tätigkeit. Und dort, wo Bürokratismus über- Produktion zur bewußtlosen Herstellung von Lebens- und Sozialbeziehun- wiegt, ist die Konfrontation mit psycho-sozialer Not besonders groß und gen, in denen Symptome entstehen. Solche Symptome können mit Hilfe soll womöglich mit Hilfe bürokratischer Verfahren auf Distanz gehalten, der politischen Ökonomie als eine kritische Theorie der Gesellschaft und also abgewehrt werden. mit Hilfe der Psychoanalyse als einer kritischen Theorie des Subjekts Eine Übertragung des Balintmodells in den Rahmen der sozialen Arbeit analysiert werden. Zum Beispiel stehen die Individuen den konjunkturellen hinein hat sich also nicht nur darauf zu beziehen, was die konkreten Krisenzyklen der Wirtschaft in ähnlicher Weise geängstigt, befremdet und Unterschiede in den Diagnose- und Interventionsformen sind, sondern sie hilflos gegenüber wie dem zwanghaften, routinemäßigen Ablauf institutio- muß auch über das medizinisch orientierte Balintmodell hinaus den gesell- neller und bürokratischer Vorschriften und Regeln oder den Zwangshand- schaftlichen Kontext sozialer Interventionsformen einbeziehen. lungen des Neurotikers. So wie eine nur medizinische Orientierung der Balintmethode zu Gleichsam einem Naturgesetz unterworfen wiederholen Individuen ihre kritisieren ist (Schmidbauer, 1977, S.200), so muß auch eine nur psycho- „neurotischen Reaktionen“ aufgrund undurchschaubarer (unbewußter) logische Orientierung Kritik hervorrufen. Deshalb sollen einige Gedanken institutioneller Regeln in einer Art „Bewußtlosigkeit der Beteiligten“ zur sozial-psychologischen Orientierung des Balintmodells vorausgeschickt (Engels). werden. Solchen Quasi-Naturgesetzen, die die Verdinglichung psychischen und Die psychoanalytische Kulturkritik ist, solange sie die spezifische sozialen Lebens darstellen, also zur Starrheit und Lähmung von Dynamik Struktur unserer modernen Gesellschaft aus dem Erleben der Individuen entarten, gilt es durch eine kritisch-reflektierende Praxis auf die Spur zu erschließen will, gesellschaftsblind (Schülein, 1978). Diepolitsche Ökono- kommen, Dies geschieht im Diskurs (Gaertner und Wittenberger, 1979), mie andererseits identifizierte die Klassen-Individuen mit ihrer ökonomi- der die wirklichen Bedingungen der beruflichen Praxis aufdeckt, um von schen Funktion („Charaktermaske“) und meinte, daß Sozialisation und einem bewußtlosen beruflichen Handeln jedenfalls den Teil dem Bewußt- Psychologie der Klassen-Individuen historisch (d.h. geschichtlich) unbe- sein wieder zugänglich zu machen, der durch den Zwang der Symptome in deutend sei. Die treibende Kraft der Geschichte ist die Ökonomie. Sie ist der zur Verselbständigung entarteten Institution verschüttet ging. die Grundlage für die „eine“ Wissenschaft, die Geschichte (Marx, 1964, Damit ist angezeigt, wo die Balintarbeit im psycho-sozialen Tätigkeits- S. 245). Selbstverständlich meint Marx hier den „historischen Materialis- feld ansetzt. War im medizinischen Modell die Arzt-Patient-Beziehung der mus“ als Geschichtswissenschaft. Wir teilen diese Engführung des Begriffs Fokus der Beziehungsdiagnostik, ist es hier die Helfer-Institution-Klient- „Geschichte“ nicht. Beziehungsdiagnose. Erst unter Einbeziehung der Dimension „Institution“ Beiden Theorien gemeinsam ist die Erforschung des Widerspruchs kann die Forderung nach der Einbeziehung der „sozialen Situation“ in die zwischen den Einzelnen und der Gesellschaft. Denn der Einzelne ist Diagnose (vgl. Ohlmeier, 1984a) verwirklicht werden. Nur dort, wo die „virtuell ein Feind der Kultur“ (Freud, 1974, S. 140). Und die politische soziale Situation nicht nur als die des Patienten betrachtet wird, sondern als Ökonomie meint, daß „der Mensch als gegenständliches Wesen ... nicht die, in die die Interaktionspartner insgesamt eingewoben sind, kann die nur Naturwesen, sondern auch menschliches Naturwesen, d.h. ... Gattungs- psycho-soziale Situation des Ratsuchenden aus der Gefahr der stigmatisie- wesen ist“. Insofern kann „weder die Natur objektiv noch die Natur renden Verobjektivierung (als „Verhaltensgestörter“, „Kranker“ usw.) subjektiv ... unmittelbar dem menschlichen Wesen adäquat vorhanden herausgehalten werden. (sein)“ (Marx, a.a. O., S. 275). Die daraus entstehende „Geschichte“ ist die Damit verändert sich der Fokus der Balintgruppenarbeit ein weiteres Geschichte der Versuche zur Lösung des Widerspruchs zwischen dem Mal. Er bezieht sich nun auf die psycho-soziale Situation des Gruppenteil- Einzelnen und der Gesellschaft. Eine Geschichte der Veränderung der nehmers und nicht nur auf die seines Klienten. Nicht die Helfer-Person an Naturdurch Produktion und Sozialisation, durch Ökonomie und Erziehung. sich, sondern die Person in einem spezifischen Arbeitszusammenhang ist Beide Formen, die geselischaftliche und die individuelle Praxis können zur Gegenstand der Balintgruppenarbeit. Aufrechterhaltung aber auch zur Veränderung etablierter Lebensformen Der Grund für diese Fokusverschiebung ist nicht nur eine simple befähigen. Erweiterung des medizinischen Modells. Sie steht auch für eine Reaktion ForumForum SupervisionSupervision -- www.beratungundsupervision.dew beratungundsupervision.de 84 Gerhard Leuschner und Gerhard Wittenberger Balintgruppenarbeit im psycho-sozialen Feld 85

darauf, daß die nachfreudsche Geschichte der Psychoanalyse sich vor- Technik angewandt“ wie in der Balintgruppenarbeit, obwohl „der Begriff wiegend mit ihrer Etablierung in den Naturwissenschaften befaßte, was zu nur selten benützt wird“. Eicke (a.a.O. S. 3) stellt weiterhin fest, daß die einer „Medizinalisierung“ (Parin, 1978, S.13) führte. Dadurch wurde unter Tätigkeit der Gruppenleitung bei Ärzten und Lehrern vorwiegend von der Hand das Balintmodell wieder von einer, an der krankheitsorientierten Psychoanalytikern übernommen wurde, aber bei der „Sozialarbeit von Medizin interessierten Psychoanalyse okkupiert. Einer Psychoanalyse, die, spezialisierten, gesondert ausgebildeten Sozialarbeitern“. Weil „Psychoana- nach Ihrer „Anwendung“ ausschauhaltend, kultiviert wird durch eine Iytiker daran leiden, daß sie nur historisch denken und die aktuellen veröffentlichte Sorge, die sich um die richtige Technik dreht. Aber ihre sozialen Bezüge noch nicht erkennen“, zieht Eicke den Schluß, daß auf- eigentliche kritische Aufgabe, wie die Modifikation der „menschlichen grund seiner Erfahrungen aus der Sozialpsychiatrie — wo man „weitgehend Naturwesen“ konkret durch die Geschichte ihres Verkehrs mitgesell- auf ... Supervisionsgruppen, wie sie die Balintgruppen darstellen, angewie- schaftlichen Institutionen erfolgt, aus dem Blick geraten läßt. Freuds sen (ist)“ — in allen Berufen, die helfend mit Menschen tätig sind, ... die kritische Theorie der Kultur, in Bernfelds Arbeiten (Bernfeld, 1929/1971, Methode (anwenden kann)“. In den psycho-sozialen Interventionsformen S.198-211) erstmals sozial-psychologisch vorangetrieben, ist aufgegeben, spielen die „aktuellen und sozialen Bezüge“ immer eine entscheidende wenn sie „mehr und mehr in Frieden (lebt) mit allen außerhalb ihres Rolle. Sie umfassend zu verstehen, ist nur dann möglich, wenn sie auch eigenen wohlabgegrenzten Bereichs“ und zu einer „Hilfswissenschaft“ im „historisch“ durchdacht und gesehen werden können. Insofern ist die Frommschen Sinne wird, die eigentlich nur dann gebraucht wird, wenn die Psychoanalyse unverzichtbar. Sie liefert die historisch-kritische Theorie, Anpassungsarbeit — so schmerzlich sie sein mag für den Einzelnen, für das die die Geschichte als Lebensgeschichte des Einzelnen verstehen hilft, Gesamt aber doch letztlich gut — nicht ohne Brüche vollzogen worden ist, währenddessen die kritische Gesellschaftstheorie die Ansatzpunkte liefert, wenn gesellschaftliches Interesse und individuelle Bedürfnisse nicht die die aktuellen und sozialen Bezüge interpretierbar machen. Deshalb ist kongruent sind. Bernfelds Alternative zu Fromm ist, daß er die Freudsche es erstaunlich, daß die Balintmethode medizinalisiert auf den klinischen und Marxsche Ideologiekritik als zwei Konzepte akzeptiert, die jede für Bereich verkürzt werden konnte. Ein Grund dafür scheint zu sein, so stellte sich, die Wirklichkeit der vergesellschafteten Individuen arbeitsteilig, Eicke fest, daß man „bisher über ein gewisses Maß von Orientierung in einander ergänzend und korrigierend, erfassen, von einer Integration der Technik solcher Supervision oder Balintgruppenarbeit“ noch nicht absieht und mit Hilfe beider Konzepte den „sozialen Ort“ durch alternie- hinaus gekommen ist. Das heißt, erst unter Einbeziehung der aktuellen rende Erforschung der soziologischen, „objektiven“ gesellschaftlichen sozialen Situation, wie sie sich in der Gruppe darstellt, lassen sich die Entwicklungen und der psychoanalytischen Erforschung der individuellen Voraussetzungen schaffen, die es ermöglichen, den vorgetragenen Fall- Lebensgeschichte bestimmen möchte. Dadurch wird der „soziale Ort“, die bericht und den Referenten zu verstehen. Die Erweiterung des medizini- Konkretion des „Realitätsprinzips“, immer von neuem bestimmbar. Er ist schen Modells erfolgt also durch die Einbeziehung der Gruppendynamik. ein historisch spezifischer, eine sich verändernde Größe. Das Realitäts- Die Bedeutung der Gruppendynamik in einer Balintgruppe führt zur prinzip unterliegt somit dem historischen Wandel. Die Begriffe „Gesund- unterschiedlichen Bewertung. Giesecke und Rappe-Giesecke ziehen aus heit“ oder „Normalität“ etc. sind weder psychoanalytisch noch gesell- dieser Tatsache, daß Balint die Gruppendynamik unterbewertete (Giesecke schaftlich feststehende Größen. Würde man aber davon ausgehen wollen, und Rappe-Giesecke, 1997, S.476) den Schluß, daß dieses Setting „unfle- daß die gesellschaftlichen und psychoanalytischen Begriffevon „gesund“ xibel” sei (ebd., S.472) und sich von „moderner Supervision“ (Rappe- und „normal“ zusammenfallen müssen, kongruent sein müssen, dann Giesecke, 1995, $.35) unterscheide. Psychoanalyse und Gruppendynamik degeneriert Psychoanalysezum Anpassungsinstrument, das eine bewußtlo- bieten das theoretische und technische Reservoir, das die Balintmethode se Praxis aufder Couch praktiziert. Auf diese Gefahr hat Parin eindring- aus der Begrenzung des klinischen Bereichs herausführen könnte, sofern lich hingewiesen und seinen „Zunft-Kollegen“ sagen müssen, daß der diese nicht dogmatisch einseitig, gegenseitig verabsolutiert werden. Als „zweite Auftrag (Freuds) ... von Außenstehenden wahrgenommen und von Ausdruck der Mangelhaftigkeit in bezug auf die „Orientierung in (Fragen) „außen“ an unsere soziale Gruppe herangetragen“ (Parin, 1978, S.17) der Technik“ ist es ohne weiteres möglich, „daß Leute ohne eine ent- wurde. Zu dieseri „Außenstehenden“ zählen die analytisch orientierten sprechende Vorbildung sich bereiterklären, eine Balintgruppe zu über- Supervisoren, die ihre Gruppensupervision im Sinne der Balintmethode nehmen und dafür auch akzeptiert werden“. Diese Feststellung Eickes trifft praktizieren. Inhaltlich wird in dieser Berufsgruppe „oft (die) gleiche sowohl auf Nichtanalytiker zu als auch auf Analytiker, die oft mangelhaft ForumForum SupervisionSupervision -- www.beratungundsupervision.dew beratungundsupervision.de 86 Gerhard Leuschner und Gerhard Wittenberger Balintgruppenarbeit im psycho-sozialen Feld 87 und manchmal überhaupt nicht über gruppendynamische Selbsterfahrung fen, die h u m a n - und sozialwissenschaftlich ausgebildeten Fachkräften eine verfügen. Daß es dennoch so wie beschrieben ist, hängt wahrscheinlich Ausbildung zum Balintgruppenleiter ermöglicht. Die Initiativgruppe damit zusammen, daß es — vergleichbar mit der Psychoanalyse-Szene, wo erzielte Übereinstimmung darin, daß die Ausbildung zum Balintgruppen- es die „wilde Analyse“ gibt, die „heilende“ Funktion haben kann (was auf leiter eine längere psychoanalytische und gruppendynamische Selbsterfah- seiten der Psychoanalytiker nicht zuletzt zur Beschäftigung mit den sog. rung, sowie eine mehrjährige Teilnahme in einer Balintgruppe mit an- Selbsthilfegruppen führte) — in der Balintgruppenarbeit „Erfolge“ gibt, weil schließender Co-Leitung bzw. Leitung u n t e r Supervision b e i n h a l t e n muß, die TeilnehmerInnen ein erhebliches Potential an Fähigkeit besitzen, das Psychoanalytische und gruppendynamische Theorie- und Methodenkennt- sie sich gegenseitig zur Verfügung stellen. Nichtsdestotrotz ist die ver- n i s s e wurden als selbstverständlich v o r a u s g e s e t z t . Aus berufspolitischen antwortliche Leitung solcher Gruppen erforderlich, weil der Umgang mit Gründen wurde der f a c h l i c h e Konsens der Initiativgruppe im DAGG n i c h t Übertragungen und Gegenübertragungen, mit individuellen und psychoso- als Regelwerk für Balintgruppenleiterausbildung übernommen.’ zialen Abwehrphänomenen, sowie den entsprechenden Widerständen auch Ein interessantes B e i s p i e l f ü r d i e Anwendungsmöglichkeit liefert K u t t e r und gerade in diesen Gruppen von entscheidender Bedeutung für das u . a . (1979). Die dort gegebene Aufzählung sozialwissenschaftlicher Lernen ist. Lernen in solchen Gruppen ist nur dann möglich, wenn die Disziplinen macht noch kein Modell. Leicht könnte der Eindruck ent- TeilnehmerInnen bereit sind, „eine begrenzte, aber wesentliche Verände- stehen, daß h i e r d i e psychoanalytische Priorität zur Kolonisation r ü c k - rung der Persönlichkeit“ (Balint, 1957/1980, S. 379) zuzulassen. Zu diesem ständiger sozialwissenschaftlicher Gebiete dienen s o l l . Eine noch b ö s e r e Selbsterfahrungsaspekt in der Balintgruppe sagt Eicke, daß er „ein Stück Vermutung w ä r e , ob hier die Bemühungen um ein sozialwissenschaftliches Therapie“ ist (a.a.O., S.9). Bisher wurde in der Litaratur vor allem die V e r s t ä n d n i s der Psychoanalyse klischeeartig r e z i p i e r t werden soll. Denn Abgrenzung zur Selbsterfahrung und Therapie betont (Ciyne,1974, S. 59, weder der Kohärenz der e i n z e l n e n sozialwissenschaftlichen Aspekte in Ohlmeier, 1984b). Hier wird nun eine inhaltliche — von Balint selbst diesem „pluridisziplinären Ansatz“, noch ihre s p e z i f i s c h e I m p l i k a t i o n in formulierte — Zielvorstellung hervorgehoben, die mit dem, was Schmidbau- ein psychoanalytisches Konzept werden dargestellt. Dennoch h a t d i e s e r er (s.0.) von der klinisch-psychologischen, gruppentherapeutischen Seite Beitrag f ü r d i e Supervision im psycho-sozialen Feld eine Bedeutung. Er und Leuschner von der psycho-sozialen, sozialpsychologisch-gruppen- z e i g t nämlich, wie V e r t r e t e r der Psychoanalyse und der Sozialwissen- dynamischen Seite her als erste ins allgemeine Bewußtsein gehoben s c h a f t e n gemeinsam an einem Projekt unserem Anliegen ( L e u s c h n e r , 1 9 7 9 , haben. Sowohl bei Schmidbauer als auch bei Leuschner sind Grenzüber- S . 5 0 ) nachzukommen versuchen und wie sie eine Erklärung i h r e r Hand- schreitungen feststellbar, die von unterschiedlichen Fachbereichen ausge- lungs- (Beratungs-)vollzüge in der Balintgruppenarbeit mit Studentenbera- hend, das gemeinsame Ziel haben, die psychoanalytischen Sichtweisen des tern d a r z u s t e l l e n s i c h bemühen. D a r i n besteht ohne Zweifel ein V e r d i e n s t Einzelnen und der Kulturerscheinungen ausder Enklave herauszuholen, in dieses Beitrags, der s i c h wesentlich unterscheidet von der Mehrzahl streng die sich die Psychoanalyse durch ihre „Medizinalisierung“ selbst gebracht psychoanalytischer Beiträge zur Balintgruppenarbeit.° Die Gefahr bei hat. Lorenzers und anderer Bemühungen sind — wie Parin einmal sagte — K u t t e r u.a. i s t , daß die s p e z i f i s c h e n Imponderabilien der institutionellen Bemühungen von Exoten. Die Mehrzahl der Standesvertreter in den Bedingungen u n t e r dem Primat der psychoanalytischen B e t r a c h t u n g s - und psychoanalytischen Vereinigungen haben reaktionäre Interessen. Insofern Wahrnehmungsweise gesehen werden. Die Übersetzung psychoanalytischer ist es erstaunlich, daß es in England, von wo die Balintmethode zu uns K o n s t r u k t e in eine n e u e , n i c h t - a n a l y t i s c h e , sondern soziale Praxis und den kam, ein Absinken des Interesses an der Balintgruppenleitung von seiten dazugehörigen „Berufskulturen“ ( v g l . L e u s c h n e r , 1 9 8 3 , S. 56 ff.), verlangt der Psychoanalytiker gibt, so daß die Gruppenleitung zunehmend von aber das Setzen e i n e s neuen Paradigmas, von dem aus sowohl die indivi- praktischen Ärzten übernommen wird, „die über eine lange Gruppen- duellen Aspekte e i n e s Problemzusammenhangs a l s auch die gesellschaftli- erfahrung verfügen“. chen abgeleitet und durchdekliniert werden können. Als e i n solches Die „einzige Regel“ der internationalen Balint-Gesellschaft, in der nur Paradigma l a s s e n s i c h alle gesellschaftlich r e l e v a n t e n Institutionen ver- Ärzte Mitglieder sind, besteht darin, daß „ein Gruppenleiter längere Zeit stehen. Mit i h n e n hat das Individuum j e d e r z e i t z u tun ( z . B . d u r c h Normen Mitglied oder Co-Leiter in mehreren Balintgruppen gewesen sein muß und Regeln) s o w i e d i e Gesellschaft a l s Ganzes, die Organisationen s c h a f - (Eicke, 1978a, S. 10f.). Bereits 1978 hat eine fachliche Initiativgruppe im fen muß, um d u r c h s i e und in i h n e n Normen und R e g e l n zur Geltung DAGG unter der Leitung von Dieter Eicke Ausbildungsstandards entwor- bringen zu können, d i e das gesellschaftliche Leben als s t e u e r b a r e s garan- ForumForum SupervisionSupervision -- www.beratungundsupervision.dew beratungundsupervision.de 88 Gerhard Leuschner und Gerhard Wittenberger Balintgruppenarbeit im psycho-sozialen Feld 89

tieren. Die in dieser paradigmatischen Sicht enthaltene Anthropologie soll diagnose zu erstellen und die daraus zu ziehenden Konsequenzen durch- hier unberücksichtigt bleiben. Hier interessiert nur der Hinweis auf den zuführen. Es geht also darum, dem Supervisor eine Beziehungsdiagnostik- Weg zu den gesellschaftlichen Institutionen, den sowohl die Psychoanalyse Kompetenz zu vermitteln, die es ihm ermöglicht, in seiner Supervision als auch die Sozialwissenschaften gehen müssen, um dann wieder in nicht nur eine bessere Handhabung einzelner Fälle zu ermöglichen, son- umgekehrter Richtung das Individuum resp. die Gesellschaft verstehen zu dern vor allem eine andere Einstellung zu seinen Supervisanden zu errei- können, so wie es Devereux (1978) in seiner ethnoanalytischen Studie chen. Wenn sich Supervision in der Regel über längere Prozesse erstreckt, darlegte.’ Ein Programm, das in differenzierte Weise zu entfalten wäre, ist ist davon auszugehen, daß der Supervisor ein relativ großes Wissen über von uns hier nicht zu leisten. Nur so viel soll angedeutet werden, daß es seine Supervisanden hat. Es geht in der Balintgruppenarbeit darum, dieses nicht darum gehen kann, den Widerspruch zwischen Individuum und Wissen zu aktivieren und so einzusetzen, daß es den Supervisanden hilft. Gesellschaft mit Hilfe der „Institution“ auflösen zu wollen. Es geht darum, Dieses Wissen über die Supervisanden kommt dadurch zustande, daß der mit Hilfe von „Institutionellem“ den Vermittlungsprozeß zwischen Indivi- Supervisor wöchentlich oder vierzehntägig ein bis zwei Stunden mit ihnen duum und Gesellschaft ein Stückaufzuhellen. Individuum und Gesellschaft zusammensitzt und über ihre Probleme und Erfahrungen spricht. Die sind nicht antithetisch, sondern sind dialektische Kategorien, deren Kon- daraus entstehende Beziehung ist vom Supervisor genau zu beobachten. kretionen sich in Institutionen niederschlagen. Das heißt, sowohl die Dazu gehört es, die Beachtung der eigenen emotionalen Reaktion auf den Individuen machen, brauchen und gebrauchen Institutionen als auch die Supervisanden zu beachten. Oft werden ja in den Supervisionen Bezie- Gesellschaft macht, braucht und gebraucht Institutionen. Diese müssen mit hungskonflikte geschildert mit Klienten, Mitarbeitern oder dem Chef, die jenen nicht identisch sein. Ihre Wirkung aufeinander ist allemal konkreti- scheinbar schwierig oder gar nicht zu verstehen sind. Fürden Supervisor sierbar. Mit der Einführung der Kategorie „Institution“ in die Balintgrup- ist es nun wichtig, sich nicht in die Beziehungskonflikte seiner Supervisan- penarbeit ist — wie. weiter oben bereits hingewiesen — eine Fokusverschie- den hineinziehen zu lassen. Da der Supervisor geneigt ist, aufgrund objek- bung eingetreten, die das klassische Modell nicht berücksichtigte. Damit tiver gesellschaftlicher und institutioneller Bedingungen Partei zu ergreifen haben wir die Frage nach dem Kriterium, nach dem außerhalb des medizi- (Wittenberger, 1974) gerät er in die Gefahr, sich in die traumatisierenden nischen Bereichs gearbeitet werden muß, angedeutet. Wie sich aber zeigt, Beziehungen seiner Supervisanden verwickeln zu lassen und somit dem ist die „Institution“ für den Bereich der Medizin (Eicke, 1978b) ebenso Wiederholungszwang derselben zu unterliegen. Gesunder Menschenver- wichtig wie z.B. für die Familienfürsorge (heute ASD genannt). Es läßt stand und eine Helferideologie sind die Fallstricke für das sogenannte sich leicht nachweisen, daß die Institutionen „Klinik“ und „Amt für soziale Mitagieren. Ohne es zu wollen, und ohne es zu merken, gerät der Supervi- Dienste“ zwar soziologisch anders strukturiert sind, aber psycho-sozial die sor durch eine falsch verstandene Parteinahme in eine leiderzeugende gleichen Wirkungsmechanismen haben. Der Grund, warum die Medizin Beziehung. Kann er jedoch diese Beziehungsstörung seines Supervisanden bisher glaubte, ihre Institutionen, also Kliniken, Standesvertretungen, erkennen, so bleibt als erste Möglichkeit der Verzicht auf das Mitagieren. Berufsverbände usw., tabuisieren zu können (selbst die Medizinsoziologie Dieses Mitagieren drückt sich in der Sozialarbeit z.B. in oft blinden steckt hier in den Anfängen), hängt wahrscheinlich damit zusammen, daß Institutionsfeindlichkeiten aus. In der Balintgruppenarbeit geht es nicht sie in unserer Gesellschaft eine unumschränkte Macht hatte und ihre darum, objektivierbare institutionelle Probleme zu psychologisieren und zu Lobby in Bereichen der Wirtschaft und Politik sehr groß ist. Währenddes- individualisieren, z.B. als Probleme der Supervisoren oder ihrer Supervi- sen die Angehörigen der sonstigen „Helfer-Berufe“ gerade an ihrer in- sanden, sondern um die Analyse der objektiven und der individuellen stitutionellen Ohnmacht leiden und deshalb hier besonders sensibel sind. Anteile bei den sich darstellenden Problemlagen. In der Balintgruppen- Bei den folgenden Überlegungen denken wir, daß die Balintgruppen- arbeit wird es also immer um die Trennung und um die Zusammenschau arbeit für Supervisoren eine besonders geeignete Form zur Begleitung und dieser Komplexität gehen. Qualitätsentwicklung ihrer Berufspraxis darstellt. Bei der Untersuchung der Der Supervisor soll nun in der Balintgruppe erst einmal über das Supervisorentätigkeit stellen sich Parallelen zu Balint her, die dieser bei berichten, was er an Beobachtbarem darstellen kann. Um in der Balint- der Untersuchung der Arzt-Patient-Beziehung gefunden hat. Die Möglich- gruppe einen Supervisionsprozeß darstellen zu können, muß der Supervisor keiten eines Supervisors, seinen Supervisanden beruflich und persönlich zu in seiner Supervision zuhören können. Das heißt, er soll nicht gezielt fördern, liegen u.a. darin, die Fähigkeit zu entwickeln, eine Beziehungs- fragen, sondern er soll gelassen zuhören. Dies bedarf einer Umorientierung ForumForum SupervisionSupervision -- www.beratungundsupervision.dew .beratungundsupervision.de 90 Gerhard Leuschner und Gerhard Wittenberger Balintgruppenarbeit im psycho-sozialen Feld 91

in der Vorstellung, sich nur dann ein Urteil bilden zu können, wenn man verschont. Auch er kann aus seiner Rolle fallen und mitmachen, was nach viele Informationen habe. In der Balintgruppe wird also geübt, wie man Balint nicht schadet, wenn er Kritik an seinem Verhalten erlaubt. So kann zuhört. Das setzt voraus, daß der vortragende Kollege sich aussprechen es geschehen, daß in Gruppen Konflikte ausgetragen werden, die das kann und alle Beiträge verwendet werden — auch solche, die anscheinend Problem der Supervisanden unmittelbar darstellen (Argelander, 1972, unpassend sind. Wie die Supervisoren ihre Supervisanden ermuntern, sich $.118), die dann sowohl eine lebendige emotionale als auch kognitive frei auszusprechen, so werden auch die Teilnehmer einer Balintgruppe Lernmöglichkeit bieten. So kann in der Gruppe durch unmittelbares aufgefordert, in einen „offenen Dialog“ (Tränkel), in einer freien Aus- Erleben geübt werden, wie Gefühle verstanden werden können und was sprache ihre Beobachtungen vorzutragen und begutachten zu lassen. Diese sich aus diesem Verstehen für Möglichkeiten ergeben, um den Supervisan- Beobachtungen beziehen sich sowohl auf verbale als auch auf nicht- den und seiner Persönlichkeit und seiner beruflichen Situation gerecht zu verbale Äußerungen der Supervisanden. Die Supervisoren werden nun eine werden. Dieses unmittelbare Erleben konstituiert sich ausder Darstellung Fülle von Material zusammentragen, und je größer der Erfahrungsschatz des vortragenden Supervisors, seinem Verhalten und der Reaktion von und die Beobachtungen sind, um so schwerer sind sie zu organisieren und Gruppe und Leiter. An diesen drei Konstitutionselementen des Interak- zu verstehen. Zentraler diagnostischer Bestandteil sind dabei die reaktiven tionstableaus in der Balintgruppe kann überprüft werden, ob das Beobach- Gefühle des Supervisors auf den Supervisanden bzw. die Supervisions- tete sowohl auf den vorgetragenen Fall paßt als auch auf das Verhalten des gruppe. Diese introspektive Wahrnehmung als Gegenübertragung ver- vortragenden Supervisors. Dadurch erfolgt eine bessere Einprägung des standen, führt zu der diagnostischen Frage: „Warum veranlaßt mich der wiederholt Beobachteten und ein In-Zusammenhang-Bringen mit vorheri- Supervisand zu diesem Gefühl?“ Wichtig ist dabei auch, daß diese gefühls- gen Beobachtungen. Die Frage ist also: Stimmt unsere Einfühlung mit dem mäßigen Reaktionen selbstkritisch wahrgenommen werden, was nur unter gesprochenen und beobachteten Verhalten überein und paßt das Gruppen- Verzicht auf Verurteilung erlernbar ist. Nur wenn der Supervisor in der geschehen in der Balintgruppe dazu? Können wir dies bejahen, so haben Balintgruppe auf Verstehen zählen darf, ist ihm zuzumuten, sich so zu wir schon eine gewissse Wahrscheinlichkeit, richtig zu verstehen. Diese explorieren, daß seine Beziehung zu seinen Supervisanden offen dargelegt Überprüfung der Beobachtungen und Einfühlungen mit denen über die wird. Aber selbst bei dem guten Willen vorurteilslos zuzuhören, spielen vielen Stunden des Supervisionsprozesses können eine weitere Absiche- doch die eigenen Werturteileund Wertvorstellungen der teilnehmenden rung unserer Diagnose sein. Gelingt es dem Supervisor, seinen Supervisan- Supervisoren eine Rolle, so daß es ohne Verurteilung der Gruppe beim den durch die Balintgruppe besser zu verstehen, hat er eine neue Möglich- vortragenden Supervisor selbst zu unausgesprochenen Verurteilungen keit, ihm in seiner Weiterarbeit zu begegnen. Dieses neue Verstehen kornmt, da er vor sich selbst Vorstellungen über einen guten Supervisions- bedeutet erst einmal einen Fortschritt auf seiten des Supervisors. Es mag prozeß und von einem guten Supervisor hat. Gerade bei gutem Einfüh- sein, daß lediglich er der ist, der besser versteht, nicht aber sein Supervi- lungsvermögen sind solche Selbstverurteilungen oft spürbar. Der Supervi- sand. Selbst dann wird der Supervisor ein Verhalten des Supervisanden sor muß nicht nur lernen zuzuhören, sondern auch anzunehmen, zu ver- leichter ertragen, wenn er es nicht versteht oder gar glaubt, unter Druck — stehen, was den Supervisanden betrifft und ihn selbst. der, wie wir gesehen haben, mit dem neurotischen Anteil des Supervisan- Zum Nachdenken über sich selbst ist Anlaß durch das Beobachtete in den zusammenhängt —, sich für eine Parteinahme bewegen lassen zu müs- der Gruppe, d.h. die Reaktionen der Gruppe auf das Verhalten des vor- sen. Da Parteinahme auf seiten des Supervisors meist aus Angst, Schuld tragenden Supervisors und sein Verhalten in dieser Situation. In der Regel oder Scham entsteht, führt sie nur zur Verstärkung der Störungen des wiederholt der Supervisor in seinem Vortrag vor der Gruppe oder in der Supervisanden. Leicht wäre es, könnte man dem Supervisor empfehlen, anschließenden Diskussion denjenigen Verhaltensteil seines Supervisanden, jede emotionale, affektive Forderung, diedie institutionellen Bedingungen der ihm selbst unklar geblieben ist. Dieses „Spiegelungsphänomen“ (Heigl- und die Erwartungen des Klienten an seinen Supervisanden stellen, unbe- Evers und Hering, 1970) ist der Teil des Supervisanden, den der Supervi- rücksichtigt zu lassen. Das hätte zur Folge, daß Supervision zur Sozialtech- sor in der Balintgruppe agiert. Dies muß aber nicht nur dem vortragenden nik werden würde. Supervisor so gehen, sondern jedes Gruppenmitglied kann einen Teil des Nun zeigt sich aber gerade in der Balintgruppe für Supervisoren, daß Konfliktes des Supervisanden übernehmen und in der Diskussion vertreten. deren Supervisanden nicht nur fachliche Probleme mit ihren Klienten zu Der Gruppenleiter ist von diesen induzierten Spontanphänomenen nicht besprechen haben, sondern auch solche, die aus ihren Lebens- und Arbeits- ForumForum SupervisionSupervision -- www.beratungundsupervision.dew beratungundsupervision.de 92 _ Gerhard Leuschner und Gerhard Wittenberger Balintgruppenarbeit im psycho-sozialen Feld 93 realitäten stammen. Solche Anliegen machen auf seiten der Supervisoren, thesen n i c h t überein, muß entweder die H y p o t h e s e geändert — oder d i e aber auch auf der Seite der Supervisanden Unbehagen. Die Frage nach der Beobachtung überprüft werden. Der Wert der B a l i n t g r u p p e n a r b e i t besteht aufzeigbaren Grenze in bezug auf das, was Supervision leisten könne, n i c h t darin, gesicherte Erkenntnisse zu vermitteln, sondern Denkanstöße zu taucht auf. Diese kann nun aber keineswegs leicht gezogen werden. Es gibt geben, Mut zum eigenen Versuch zu machen und in der Kritik nach Supervisanden, die sich vor sich selbst, ihren Ansprüchen und Forderun- b e s s e r e n Lösungen zu forschen. In der Supervisionspraxis tauchen ja viele gen, fürchten. Die sich fürchten, irgendwelche Grenzen zwischen Supervi- psychisch-individuelle und psycho-soziale, gesellschaftliche Probleme auf, sion und Therapie zu überschreiten. Selten gelingt es den Supervisoren, die nie in der Praxis eines Psychotherapeuten landen. Die Balintgruppen- dann eine Vermittlung zwischen Therapie und Lerninteressen herzustellen. a r b e i t kann s o m i t f ü r die Supervisoren ein Forum s e i n , in dem sie Mut Vielmehr fühlen sie sich durch die Ambivalenz ihrer Supervisanden finden, auf ihre Weise d i e i h n e n geeignete Form und Methode der Bera- attackiert und neigen zur Überweisung an therapeutisch kompetentere t u n g zu entwickeln. Persönlichkeiten. Hier kann die Balintgruppenarbeit eine wesentliche Hilfe Für d i e Konstituierung e i n e s produktiven Lernklimas ist es wichtig, wie sein, um einen „berufsrollenbezogenen Therapieprozeß“ zu ermöglichen. die Balintgruppe geleitet w i r d . Hier wird noch n i c h t auf die e i n z e l n e n Da im Alltag der Helfer-Berufe die zwischenmenschlichen Beziehungen Details der Leitungstechnik eingegangen, aber einige grundlegende Gedan- das Medium der Arbeit sind, läßt sich nicht ausschließen, daß persönliche, ken zur Gruppenleitung werden dargestellt. Das bisher Dargestellte könnte neurotische Strukturen den Arbeitsvollzug mitbestimmen. Von diesen sind e i n e n Hinweis auf die „Haltung“, mit der eine Balintgruppe geleitet w i r d , die institutionellen zu trennen und deshalb aber nicht wesentlich leichter g e b e n . Man könnte die Haltung des Gruppenleiters a l s e i n e permessive wahrzunehmen. Dargestellt werden die unterschiedlichsten Problemlagen verstehen. Die Konsequenz wäre eine passive Gruppenleitung, die auf insofern unterschiedlich, als die individuellen eher in einer aggressiven Führung v e r z i c h t e t . Es würde ein lebhafter Gruppenprozeß e n t s t e h e n , bei Stimmung ihren Niederschlag finden. Leidet der Supervisand in der dem viele Emotionen geweckt werden, aber wenig H i l f e zum Verarbeiten Supervision vornehmlich an seinem persönlichen Anteil, dann läuft der d i e s e r Emotionen geboten wird. Die Folgen sind Unruhe, Frustration und Supervisionsprozeß wahrscheinlich mehr individuumzentriert als in einer Verunsicherung. In der Balintgruppe ist der Gruppenleiter verpflichtet, Supervision, bei der es besonders um Mitarbeiter oder andere Institutions- seinen Beitrag zur Beziehungsdiagnostik z u leisten, d . h . die Gesamtgruppe probleme geht. Auf jeden Fall ist die Persönlichkeit der Supervisanden in ist an der Beziehungsanalyse beteiligt. Ein zu aktiver Gruppenleiter erliegt bezug auf seine „Objekte“ hin zu betrachten. Und somit ist das, was in der der Gefahr, seine am Beginn v o r h e r r s c h e n d e Unsicherheit, die gekenn- Balintgruppe mit Hilfe der Falidarstellung zur Sprache kommt, ein Be- z e i c h n e t ist d u r c h das Gefühl, der Aufgabe a l s Gruppenleiter n i c h t gewach- trachten und Erkennen von Beziehungen und damit eine Beziehungs- sen zu sein, dadurch z u ü b e r s p i e l e n , daß er meint, den v o r g e t r a g e n e n Fall diagnostik. Es geht also in der Balintgruppenarbeit darum, daß wir die a l l e i n l ö s e n zu müssen, um der Gruppe die Arbeit abzunehmen. Das heißt, zwischenmenschlichen Beziehungen, die wir bei unseren Supervisanden er unterliegt dem Zwang, d i e Psychodynamik des F a l l e s alleine durch sein antreffen, unter Vermeidung des sogenannten Mitagierens, d.h. durch Wissen lösen zu wollen. Gelingt es hingegen dem Gruppenleiter zuzuhören spontanes, unbedachtes Handeln, erkennen lernen. Wenn man in der bis der Supervisor s e i n e Darstellung beendet h a t , seine Unsicherheit a l s o Balintgruppe gelernt hat, die Beziehungen der Supervisanden auf ihre auszuhalten, wird e r der Gruppe den Raum lassen, der n ö t i g i s t , um den Störungen hin genau zu beobachten und zu diagnostizieren, in einer vorgetragenen Fall diagnostisch erfassen zu können. Wichtig für den Gesamtdiagnose zusammenzuschauen, hat man eine neue Chance, mit den Gruppenleiter s o l l t e s e i n , daß er genau so wenig wie der vortragende Supervisanden zu arbeiten. Man kann schädliches Mitagieren vermeiden, Supervisor verpflichtet i s t , j e d e s Problem, jeden Fall und jede o f f e n e F r a g e wird schwieriges Verhalten der Supervisanden besser ertragen, da man es l ö s e n zu müssen. versteht, und bekommt ab und zu eine Gelegenheit, es zu ändern. Die Beobachtungen, die man in der Balintgruppe macht, werden aber nie ohne A n s c h r i f t der Verf.: Gerhard Leuschner, Emsstr. 58, 4 8 1 4 5 Münster hypothetische Voraussetzungen über das zu erwartende Beobachtungsgut Dr. Gerhard Wittenberger, Korbacher Str. 245 D, 3 4 1 3 2 K a s s e l vollzogen. Die Arbeitshypothesen führen zu Beobachtungen und diese werden durch die Hypothesen verifiziert oder falzifiziert, d.h. über das Beobachtete wird nachgedacht. Stimmen dann Beobachtungen und Hypo- ForumForum SupervisionSupervision -- www.beratungundsupervision.dew beratungundsupervision.de 94 Gerhard Leuschner und Gerhard Wittenberger Balintgruppenarbeit im psycho-sozialen Feld 95

Anmerkungen Literatur

Fassung eines Vortrags im Supervisionskurs 1981/83 d e r Akademie für 1 Überarbeitete Argelander, H. (1972): Gruppenprozesse. Wege zur Anwendung der Psychoanalyse in Be- Jugendfragen. handlung, Lehre und Forschung. Reinbek. 5 aus der 2 Über Modifikationen auch im ärztlichen Bereich berichtet z . B . der Band Balint, M . (1957): Der Arzt, s e i n Patient und d i e Krankheit. 5, Aufl. S t u t t g a r t 1980. Bastiaans, Reihe „Patientenbezogene Medizin“, Drees, A. u.a, 1982; vgl. besonders Bastiaans, J . (1982): Der P r o z e ß z u r Verbesserung der K o n t a k t - K a p a z i t ä t des A r z t e s in der 1982 und Drees, 1982. Kant Gruppe. In: Drees, A, u.a. (Hg.): Sprache des Kranken — Sprache d e s Arztes, 3 Diskussionsbeitrag von Frau Melitta Mitscherlich bei der intersektionellen Tagung d e s 39-47. DAGG 1979 in München. Bernfeld, S. (1929/1971): Der soziale O r t und seine Bedeutung für Neurose, Verwahrlosung beschäftigt und 4 Vgl. Leuschner (1979, S. 6 5 ) , der s i c h m i t der Lehrsupervisorenrolle und P ä d a g o g i k . In: von Werder, L., W o l f f , R. (Hg.) ( 1 9 7 1 ) : A n t i a u t o r i t ä r e Erziehung d a r a u f aufmerksam macht, d a ß die Lehrsupervision „Selbsterfahrung und methodisches und Psychoanalyse. Bd. 1, Frankfurt. integrieren“ und als einen aneinander „gekoppelt(en)“ Lernprozeß organisieren Lernen Clyne, M.B. (1974): Ausbildung praktischer Ärzte i n der Arzt-Patienten-Beziehung. In: in der Psychoanalytiker-Ausbildung, wo „die kontrollierende Beratung m u ß . Anders wie Luban-Plozza, B. (Hg.): Praxis der Balintgruppen, a. a. O., S. 59. Eigenproblematik“ des Ausbildungskandidaten ... getrennt (ist) von der Bearbeitung der Dahmer, H. ( 1 9 8 0 ) (Hg.): Analytische Sozialpsychologie. Bd. 2, F r a n k f u r t . Lehranalyse). Leuschners Schlußfolgerung i s t , daß der Lernprozeß in (in K o n t r o l l - und Devereux, G. (1978): Ethnopsychoanalyse. Die komplementarische Methode in den der Lehrsupervision ein „berufsrollenbezogener Therapieprozeß ist“. Wissenschaften vom Menschen. F r a n k f u r t , war Mitglied dieser Initiativgruppe im DAGG und hat d i e d o r t erarbeiteten 5 Leuschner Drees, A. (1982): Erfahrungsbericht a u s einer Balint-Gruppe. In: Drees, A., E. Gebhard und Kriterien für Balintgruppenleiterausbildung mit einigen Ergänzungen ins Fortbildungs- B. Luban-Plozza (Hg.) (1982): Sprache d e s Kranken — Sprache des A r z t e s . Patientenbe- i n s t i t u t für Supervision e. V, ( F I S ) übernommen. zogene Medizin 5, S. 49-60. mit dem Beitrag von A. Hellwig (1979), d e r in strenger Anlehnung an B a l i n t 6 Es begann Eicke, D. (19783): Vom psychiatrischen Krankenhaus zur sozialtherapeutischen Station. und Argelander Teile der persönlichen und institutionellen Realität der Teilnehmer Probleme-Konflikte-Einsichten. Göttingen. einfach ausgrenzt, indem er Bewerber durch ein Interview auswählte (S. 266). Schien für - ( 1 9 7 8 b ) : Der berufspolitische Standort der B a l i n t g r u p p e n . (Unveröffentlichtes Manu- Balint dieses Verfahren notwendig, um überhaupt zu einer abgesicherten neuen Methode skript), K a s s e l . doch nunmehr eher rigid als angemessen. Solche Auswahl- zu kommen, so ist das w o h l Freud, S. (1974): Die Zukunft einer Illusion. Studienausgabe. Bd. 9, F r a n k f u r t . interviews heute noch anzuwenden scheint deshalb problematisch, weil einmal d e r Gaertner, A, u n d G. Wittenberger (1979): Supervision und der institutionelle Diskurs. In: n u r bei wenigen Balintgruppenleitern eine Rolle s p i e l t — und Forschungsgesichtspunkt Akademie für Jugendfragen Münster (Hg.): Supervision im Spannungsfeld zwischen damit das Anliegen Balints wegfällt — und, weil da wieder nur eine k l e i n e Zahl Bevor- Person und Institution. Freiburg. anderes zugte Auserwählte sind. Damit wird d a s Dilemma d e r Analyse auf ein völlig Giesecke, M . und K. Rappe-Giesecke (1997): Supervision als Medium kommunikativer Arbeitsfeld übertragen und ähnlich w i e einige Freudianer freudistischer sind als Freud, Sozialforschung. Frankfurt/M. Balintanhänger zu „Balintoiden“ werden. Es ist doch gerade für die, die erst einmal nun Hellwig, A. (1979): Balintgruppenarbeit m i t Lehrern. In: Gruppenpsychotherapie und über den Weg der „nur“ beruflichen Problematik gehen können, eine Chance, ein Gruppendynamik, Bd. 14, H. 3/4, S. 263-275. „Stück“ Selbsterfahrung machen zu können, ohne dabei d e n stigmatisierenden Begrün- Heigl, ES. und A. Triebel (1977): Lernvorgänge i n psychoanalytischer Therapie. Die können, ohne daß der Betroffene direkt mit den dungen — die formuliert werden Technik d e r Bestätigung — eine empirische Untersuchung. Bern/Stuttgart/Wien. Ablehnungskriterien konfrontiert w i r d — h ö r e n zu müssen, daß bei ihm Hopfen und Malz Heigl-Evers, A. und A. Hering ( 1 9 7 0 ) : Die „Spiegelung“ einer Patientengruppe durch eine verloren sei. Smpeuen-Kontrollgruppe. In: Gruppenpsychotherapie und Gruppendynamik. H. 4, 7 Vgl. d o r t besonders S. 112. und S, 1 1 5 . Dort stellt D. Grundsätzlich fest, „daß zwischen und dem sozio-kulturellen (kollektiven) Verstehen dem psychologischen (individuellen) K n o e p f e l , H.-K. (1980): Einführung in die Balint-Gruppenarbeit. Patientenbezogene Komplementaritätsverhältnis besteht ... (Wonach) eines gegebenen Phänomens ein echtes Medizin 3, hrsg. von E, Balint und B. Luban-Plozza. Stuttgart/New York. es ... logisch unmöglich {ist), gleichzeitig in zwei verschiedenen Bezugsrahmen zu K u t t e r , P., A. Laimböck und J . K. R o t h (1979): Balint-Gruppenarbeit m i t Studentenberatern. denken ... ( w a s ) die außerordentliche Kompliziertheit vieler P r o b l e m e e r k l ä r t ... (die die) In: Gruppenpsychotherapie und Gruppendynamik, B d . 14, H. 3/4, S. 248-264. Dazu Dahmer Sozialpsychologie (hat). Dies entspricht dem Bernfeldschen Denkansatz. Leuschner, 6. ( 1 9 7 9 ) : Gedanken z u r Rolle d e s Lehrsupervisors. In: Akademie für Jugend- ( 1 9 8 0 ) , S. 680. fragen Münster (Hg.): Supervision i m Spannungsfeld zwischen Person und Institution, 8 In e i n e m politischen Magazin der ARD wurde 1979 dargestellt, daß vor allem Zahnärzte Freiburg. die finanzielle Absicherung t r a g e n , die für eine in Afrika stationierte Anlage zur - Ü 983): „bersetzungen — a u s der Balintgruppenpraxis eines Supervisors. In: supervision. Entwicklung einer europäischen Trägerrakete d i e n t . Dieses P r o j e k t geht a u f Privat- aterialien für berufsbezogene Beratung in s o z i a l e n , pädagogischen und th tisch initiativen zurück und wird von d e r Bundesregierung nicht finanziell unterstützt. Arbeitsfeldern. H. 4, S. 52-70. PEROR en Luban-Piozza, B. (1974): Über die Entwicklung d e r Balint-Gruppen. In: Luban-Plozza, B. (Hg): Praxis der Balint-Gruppen. Beziehungsdiagnostik und Therapie, München. Loch, W. ( 1 9 6 9 ) : Balint-Seminare: Instrumente zur Diagnostik und Therapie p a t h o g e n e r ForumForum SupervisionSupervision -- www.beratungundsupervision.dewwß.beratungundsupervision.de 96 _ Gerhard Leuschner und Gerhard Wittenberger 97

zwischenmenschlicher Verhaltensmuster. In: Dräger, K. u. a.: Jahrbuch der Psychoanaly- Mario Erdheim se. Bd. VI, Bern/Stuttgart/Wien. S. 141-156. Wiederabdruck in: Ders. (1995): Theorie und Praxis von Balint-Gruppen. Gesammelte Aufsätze, S. 61-77. Tübingen. — (1972): Sprechstunden Psychotherapie: Training in Balintgruppen. In: Ders. (1974): Zur Die Hintergründe drängen sich (un-)heimlich auf. Theorie, Technik und Therapie der Psychoanalyse, Frankfurt/M. — und Luban-Plozza, B. (1980): Einige Hinweise zur Praxis und Problematik der Balint- gruppenleitung. In: Knoepfel, H.-K. (Hg.) (1980): Einführung in die Balintgruppenarbeit. Zur Dimension der Unbewußtheit Stuttgart/New York. in institutionellen Vorgängen“ Marx, K. (1964): Nationalökonomie und Philosopie. In: Landshut, S. (Hg): Die Früh- schriften, Stuttgart. Ohlmeier, D. (1984a): Psychoanalyse und Sozialarbeit. In: Eyferth, Otto, Thiersch (Hg.): Zusammenfassung: Am Beispiel von Kirche und Handbuch der Sozialarbeit/Sozialpädagogik. Darmstadt/Neuwied. Supervision untersucht der Autor zwei — (19846): Supervision — Balintarbeit — Therapie. Was sie verbindet, was sie trennt und was Aspekte von Unbewußtheit: einerseits Unbewußtheit als Verdrän- — oft — von ihnen erwartet wird. In: Lippenmeier, N. und J. Sondermann (Hg.): Beiträge gung von dem, was man in d e r Realität nicht aushält, und a n d e r e r s e i t s Unbe- zur Supervision. Arbeitskonferenz zur Theorie der Supervision WS 83/84. Gesamthoch- wußtheit a l s Quelle kreativer Prozesse. schule Kassel. Parin, P. (1978): Warum die Psychoanalytiker so ungern zu brennenden Zeitproblemen Mit Unbewußtheit bezeichne ich e i n e n Zustand, in dem ein Subjekt e t w a s , Stellung nehmen. In: Ders.: Der Widerspruch im Subjekt. Ethnopsychoanalytische das e s betrifft, nicht bewußt zur Kenntnis nehmen Studien. Frankfurt/M. kann. Dafür kann es Rappe-Giesecke, K. (1995): Stichwort: Balintgruppenarbeit. In: supervision. Zeitschrift für verschiedene Gründe geben: neurotische Gründe, die s i c h aus der jeweili- berufsbezogene Beratung. H. 27, S. 34-36. gen Lebensgeschichte ergeben und die das unbewußt werden lassen, was Schmidbauer, W. (1977): Die hilflosen Helfer. Über die seelische Problematik der helfenden das Subjekt in schwer zu bewältigende innere Konflikte stürzen könnte. Berufe. Reinbek. Unbewußtheit kann aber auch ein Produkt von institutionellen Schülein, J. A. (1978): Das Geselischaftsbild der Freudschen Theorie. Frankfurt/New York. Vorgängen Wittenberger, G. (1974): Neutralität oder Parteilichkeit in der Supervision. In: Neue Praxis. s e i n , die zum Beispiel a l s Tabuisierungen in Erscheinung treten, wonach in H. 4, S. 339-343. der Institution nicht ist, was n i c h t sein darf. In beiden Fällen ist Unbewußt- — (1980): Die psychoanalytischen Theorien der Depression, ihre Relevanz für das „Helfer- h e i t ein Produkt der Verdrängung und erscheint als e i n zu vermeidender Syndrom“ psychosozialer Berufe und einige technische Probleme der Supervisionspraxis. b z w . zu überwindender Z u s t a n d . Diplom-Arbeit. Gesamthochschule Kassel. — und I. Zimmer (1988): Introspektion und Gegenübertragung als diagnostische Mittel in Aber so einfach ist das a l l e s nicht, denn das Unbewußte gehört zum der Supervision. In: Kersting, H.J., Krapohl, L., Leuschner, G. (Hg.): Diagnose und Menschen und k a n n ebensowenig abgeschafft werden wie das Träumen. Intervention in Supervisionsprozessen. Aachen. Unbewußtheit ist s o g a r e i n e unvermeidliche und notwendige Qualität sozialen Lebens. Wie Freud am Beispiel des W i t z e s erläuterte, g e h ö r t das Eintauchen ins Unbewußte auch zum kreativen Prozeß. Die F r a g e ist also, ob Unbewußtheit lediglich der Verdrängung dessen dient, was man in der R e a l i t ä t nicht a u s h ä l t , oder ob Unbewußtheit auch als Quelle kreativer Prozesse wirken k a n n . Ich möchte diese Funktionen der Unbewußtheit im folgenden von drei Seiten her beleuchten: 1. Aistorisch, indem i c h auf die v e r s c h i e d e n e n Bedeutungen von Unbewußtheit in Tradition und Moderne verweise; 2 . s t r u k t u r e l l , indem ich vor allem den Zusammenhang zwischen Kommuni- kation und Unbewußtheit untersuche, und 3. psychologisch, indem ich

* Als Vortrag am 17.2.1997 gehalten bei einer Veranstaltung zum Thema „Kirche und Supervision“ in Mainz. ForumForum SupervisionSupervision -- www.beratungundsupervision.dew .beratungundsupervision.de 98 _ Mario Erdheim Die Hintergründe drängen sich (un-)heimlich auf 99 insbesondere die R o l l e der Omnipotenzphantasien in Institutionen und ihre Diese Anstrengung wird um s o größer, a l s die von der Tradition bereit- Bedeutung für die Produktion von Unbewußtheit betrachten werde. gestellten Kategorien, um s i c h in der Gegenwart orientieren zu können, durch den Kulturwandel ausgehöhlt worden s i n d . Traditionen umfassen immer auch Lösungsstrategien, d i e überliefert werden, weil sie s i c h be- 1. Tradition und Moderne währt h a b e n . Der beschleunigte Kulturwandel hat jedoch zunehmend neue und andersartige Probleme zur Folge, die mit Hilfe von traditionellen „Supervision und Kirche. Begegnung zweier Institutionen “ lautet der T i t e l Methoden n i c h t mehr in Angriff genommen werden können. Für die dieser Tagung. Bereits d i e s e Bezeichnung d e u t e t auf interessante Probleme Kirche, die notwendigerweise traditionsorientiert s e i n muß, eröffnet sich in h i n . Handelt es sich hier tatsächlich um die Begegnung zweier gleichwerti- dieser Situation ein schwer anzugehendes Dilemma: s i e sollte einerseits an ger Institutionen, ähnlich jener Begegnung zwischen dem Heiligen Antoni- i h r e n Traditionen festhalten und deren Ü b e r l i e f e r u n g absichern, anderer- us und Paulus, die Grünewald s o eindringlich gemalt h a t ? Betrachten wir seits sollte sie s i c h aber auch an der Ausarbeitung von Lösungsvorschlägen also kurz d i e beiden Institutionen, die einander hier in Mainz begegnen. für die anstürmenden Probleme der Gegenwart beteiligen. Von Traditionen Die Supervision besteht in der Regel in der Analyse der Beziehungen g e p r ä g t , sollte s i c h d i e Kirche a l s o in einem Feld bewegen, in welchem zwischen den Mitarbeitern einer Institution im H i n b l i c k auf die Bewälti- diese Traditionen nicht mehr unmittelbar greifen können. Und die Kirche gung der Aufgaben d i e s e r Institution. Sie ist a l s o ein Dienstleistungs- muß s i c h in diesem F e l d bewegen, weil sie sonst für die in der Gegenwart angebot von außen. Die Supervision mag zwar selbst auch institutionali- lebenden Menschen bedeutungslos würde. s i e r t sein, indem sie eigene Normen und Standards bestimmt (wie zum In diesem Dilemma scheint nun die Supervision einen Ausweg a n z u b i e - B e i s p i e l psychoanalytische oder systemische), sie ist aber dennoch keine ten, indem s i e zwischen den Traditionen und den gegenwärtigen Proble- Institution, die mit kirchlichen oder staatlichen Institutionen gleichrangig men vermitteln s o l l . An den Traditionen sollte d a b e i möglichst n i c h t wäre, und zwar deshalb nicht, weil s i e über k e i n e institutionalisierte Macht g e r ü t t e l t und den brennenden Problemen dennoch n i c h t ausgewichen verfügt, auf Grund d e r e r sie ihre Vorschläge durchsetzen kann. Die Super- werden. Hiermit wird das Dilemma der Kirche nun zum Dilemma der vision k a n n i h r e Vorschläge lediglich anbieten, und die betreffenden Supervision, denn diese ist bekanntlich ein Abkömmling des Modernisie- Institutionen können d i e s e nutzen oder auch nicht. rungs- und des Rationalisierungsprozesses. Das Ziel der Supervision ist in Geht man von diesen Überlegungen aus, s o kann man sich fragen, wie e r s t e r Linie Effizienz, und aus diesem Grund h a t sie e i n , wenn man so die Supervision im Titel dieser Tagung in eine so prominente Position, s a g e n darf, pietätloses Verhältnis zu den Traditionen. Die Supervision prüft gleichrangig mit derjenigen der Kirche, gelangen konnte. Die Beförderung die Traditionen hinsichtlich ihrer Effizienz, und d i e s e E f f i z i e n z allein, n i c h t in diese Position mag den Größenphantasien der Supervision zwar schmei- aber die Würde der Traditionen, wird das Kriterium sein, ob e i n tradiertes cheln, zugleich könnte es sich a b e r auch nur um eine h ö f l i c h e G e s t e der Lösungsangebot beibehalten werden soll oder nicht. einladenden Institution, der Kirche, handeln. In beiden F ä l l e n müßte man Solche Überlegungen sind zwar grundsätzlich r i c h t i g , aber s i e stimmen fragen, weshalb e s zu dieser symbolischen Verbeugung k o m m t . S u p e r v i - doch nur zum T e i l . Wir müssen nämlich mitberücksichtigen — und das ist sion — „etwas von oben her betrachten“ — ist eine relativ neue Einrichtung, ebenfalls e i n Produkt des b e s c h l e u n i g t e n Kulturwandels — , daß auch der die in einem vielfältigen Zusammenhang mit der Beschleunigung des Modernisierungsprozeß in eine Krise geraten i s t . Die Infragestellung auto- Kulturwandels steht. Bereits ein oberflächlicher Blick auf die moderne ritärer, aber traditionsgestützter Strukturen, die Rationalität der Entschei- Gesellschaft zeigt, in welchem Maße diese Beschleunigung die sozialen dungen, die I d e a l i s i e r u n g von Autonomie und Freiheit verstehen s i c h heute Probleme verschärft. Kaum ist eine L ö s u n g für e i n Problem in S i c h t , n i c h t mehr von selbst. Tendenzen werden s i c h t b a r , auf Grund d e r e r Bezie- haben sich die Verhältnisse schon wieder so verändert, daß man nach hung statt Effizienz oder Geborgenheit statt Leistung als wünschenswert neuen Lösungen suchen muß. Jürgen Habermas hat mit dem treffenden erscheinen. Dieser Wertewandel b r i n g t auch die Supervision in e i n e Krise: Begriff der „neuen Unübersichtlichkeit“ die Verwirrung bezeichnet, die mit die Kriterien, die s i e einst a n l e i t e t e n , sind h e u t e schwankend geworden. der Beschleunigung des Kulturwandels einhergeht. Supervision stellt den Einsicht und Glaube lassen s i c h nicht immer auf e i n e n Nenner bringen. Versuch d a r , in dieser Unübersichtlichkeit wenigstens halbwegs d i e Über- Welche Lösung man auch immer anstreben will, s i c h e r ist l e d i g l i c h , daß sicht zu behalten. sich sowohl Kirche als auch Supervision in einer K r i s e b e f i n d e n . Vielleicht ForumForum SupervisionSupervision -- www.beratungundsupervision.dewwW.beratungundsupervision.de 100 Mario Erdheim Die Hintergründe drängen s i c h (un-)heimlich auf 101 ist es s o g a r diese Krise, w e l c h e d i e beiden Institutionen in gewisser Während ich a l s o in einer I n s t i t u t i o n darüber spreche, was für mich Hinsicht ähnlich macht. Unter Umständen erwarten s i e voneinander s o g a r wichtig und problematisch i s t , muß ich gleichzeitig die Voraussetzungen H i l f e , um ihre K r i s e zu überwinden. Eine Kooperation ist unter solchen schaffen, um die Probleme, die wir in d i e s e r I n s t i t u t i o n gemeinsam haben, Umständen zwar möglich, a b e r es könnten s i c h d a r a u s auch massive zu lösen. D i e s e Art von Kommunikation bedarf immer auch e i n e r gewis- Enttäuschungen ergeben. . u sen Unbewußtheit. Traditio- Die Supervision könnte zum Beispiel beginnen, die Werte und Während e s im e r s t e n Teil vor a l l e m darum g i n g , daß die Moderne auf nen der Kirche zu idealisieren. Sie müßte s i c h nun als eine Art T r a n s - d i e Reflexion und die Bewußtheit s e t z t , um den Kulturwandel voranzutrei- formator verstehen zwischen der religiösen Haltung und dem praktischen ben, geht es j e t z t um d i e Unbewußtheit als Voraussetzung von Kommuni- Handeln. Die Gefahr besteht in d i e s e m Fall d a r i n , daß die Supervision kation. Daß uns in der R e g e l d i e grammatikalischen Regeln, auf Grund machtblind wird und in den Dienst der Indoktrination von fundamen- derer wir S ä t z e p r o d u z i e r e n , unbewußt sind, ist bekannt. Aber ich meine talistischen Positionen geraten kann. Eine andere Konstellation könnte s i c h nicht diese Unbewußtheit. Wer mit einer anderen Person oder Gruppe ergeben, wenn die Kirche — oder sagen wir vorsichtiger: kirchliche Strö- kommuniziert, sagt — ohne es zu wissen, das h e i ß t unbewußt — immer mungen — die Supervision idealisieren würden in der Hoffnung, den An- m e h r , als e r s a g e n möchte. Auch d a n n , wenn man s i c h vornimmt, nur über schluß an die Modernisierungsprozesse zu finden. Hier d r o h t die Gefahr, Belanglosigkeiten zu reden, etwa über das Wetter, fließen oft unkontrolliert die Dostojewski in seiner Geschichte vom Großinquisitor beschrieben h a t . ganz andere Informationen mit ein. V e r s u c h t nun jemand, s i c h soweit unter Er stellt dort e i n e Kirche d a r , d i e ganz und gar u n t e r die Macht der Super- Kontrolle z u halten, daß er immer nur das sagt, was er s a g e n will ( u n d ja vision geraten i s t . A l l e s ist u n t e r Kontrolle, und zwar so gut, daß J e s u s nur nichts m e h r ) , dann wird er nur in abstrakten Formeln reden können. Wir noch als Störenfried in Erscheinung t r e t e n kann. kennen d i e s e Art Sprache zum B e i s p i e l aus bürokratischen und juristischen Wir sehen, welche Gefahren wirksam werden können bei einer Koopera- Verlautbarungen. Wer kommunizieren will, muß aber normalerweise aus e i n e r anta- tion zwischen einander idealisierenden Instanzen. Aber auch ertragen, daß er mehr mitteilt, als er eigentlich möchte, und einsehen, daß gonistischen Position zwischen Kirche und Supervision resultieren charakteri- gerade dieses Mehr d i e Kommunikation im Fluß h ä l t . Der Zuhörer r e a g i e r t stische Probleme. Verleugnet die Supervision ihre eigene Krise, so w i r d sie sowohl auf das bewußt a l s auch auf das unbewußt Mitgeteilte, und zwar d i e s e auf die Kirche zu projizieren versuchen: n i c h t die supervisorische Ta- ebenfalls auf den beiden Ebenen: er h ö r t bewußt und unbewußt zu. Der tigkeit und i h r e Normen s i n d dann fragwürdig, sondern lediglich die k i r c h l i - Informationsfluß ist a l s o n i c h t beherrschbar, und das weckt vielerlei che Institution. Die Supervision w i r d dann s o w o h l ihre eigene Macht als Ängste: Angst vor den unbewußten Mitteilungen des anderen, aber auch auch die K r i s e der Kirche überschätzen und s i c h in aussichtsiosen Macht- A n g s t , e i g e n e Informationen preiszugeben, d i e vom Zuhörer ausgenützt kämpfen verausgaben. Oder aber es ist die Kirche, d i e i h r e Krise verleugnet, werden könnten. Dieser Informationsfluß ist notwendig, weil er K r e a t i v i t ä t und zwar indem sie d i e Supervision verdächtigt, daß sie die institutionelle ermöglicht, die am Schluß e i n e r Diskussion manchmal überraschende und Krankheit schaffe, die s i e angeblich heilen w o l l e . Die Supervision würde in unerwartete Perspektiven und d a m i t auch andere L ö s u n g s m ö g l i c h k e i t e n diesem Fall zum Feind deklariert und d i e Kirche würde hoffen, daß wieder sichtbar macht. Eine Aufgabe der Supervision besteht nun darin, diesen Ruhe in die Institution einkehrt, sobald nur d i e Supervision abgeschafft ist. mit dem Unbewußten zusammenhängenden Überfluß a n Informationen u n t e r den Angehörigen der I n s t i t u t i o n zu sichern, und das h e i ß t zugleich die Unbewußtheit der Kommunikation zu schützen. Eine paradoxe S i t u a - 2. Kommunikation und Unbewußtheit tion stellt si c h e i n : Die Supervision, deren Aufgabe doch die Aufklärung ist, soll nun die Unbewußtheit der Kommunikation schützen. „Schützen“ Kommunikation interessiert mich hier vor allem als ein wichtiges Instru- bedeutet hier in erster L i n i e , die Ängste, die d i e s e r unbewußte Teil der ment, um innerhalb der Institution Probleme zu lösen. Das Charakteristi- Kommunikation auslöst, erträglich zu machen, indem sie benannt werden. sche der Kommunikation innerhalb der Institution ist der Umstand, daß Man muß s i c h bewußt werden, daß man sich auch den unbewußten An- diese Kommunikation auch e i n e Art Gemeinschaft herstellen muß. Kom- t e i l e n der Kommunikation a u s s e t z e n muß. Dabei tritt nun oft eine be- munizieren innerhalb der Institution bedeutet a l s o nicht nur Austausch von stimmte Art der Abwehr auf: die Teilnehmer von S u p e r v i s i o n s g e s p r ä c h e n Informationen, sondern auch Herstellung von K o n s e n s . lassen s i c h zum B e i s p i e l auf Begriffsdiskussionen ein und versuchen ihre ForumForum SupervisionSupervision -- www.beratungundsupervision.deww.beratungundsupervision.de 102 Mario Erdheim Die Hintergründe drängen sich (un-)heimlich auf 103

Ängste zu bannen, indem sie es unternehmen, Begriffe genauer zu definie- Individuums anspricht, verlockt sie es dazu, all das unbewußt zu machen, ren. Ob diese Definitionen etwas bringen oder nicht, mag sich erweisen, was den Interessen der Institution widerspricht. sicher ist jedoch, daß in diesem Augenblick der Kommunikationsprozeß In einem Aufsatz habe ich mich ausführlich mit der Rolle der Omnipo- zusammengebrochen ist. Denn Definitionen blockieren den unbewußten tenzphantasien beschäftigt (Erdheim 1995a). Diese gehören, zusammen mit Bereich der Kommunikation. der Sexualität, zu den wichtigsten Motivationsquellen des Menschen. Daß bei einer Blockierung ihres unbewußten Bereichs die Kommunika- Ähnlich wie die Sexualität haben auch die Größenphantasien ihre Genese tion zusammenbricht, will jedoch umgekehrt nicht heißen, daß Unbewußt- und ihre Transformationen. heit eine hinreichende Bedingung sei, um Kommunikation zu ermöglichen. hat auf die bereits in der frühen Kindheit auftretenden Unbewußtheit im Sinne von „etwas nicht zur Kenntnis nehmen dürfen“ Gefühle und Phantasien von Omnipotenz verwiesen. Die Allmacht dient kann die Kommunikation unter Umständen auch zerstören. Eine charak- dem Kleinkind einerseits als Abwehr, andererseits kann sie aber auch zur teristische Situation, die zum Zerfallder Kommunikation führt, ist die Quelle von Angst werden. Verbunden mit „guten Objekten“ vermittelt die paranoide Situation. Sie stellt sich dann ein, wenn in einer Institution, Allmacht Schutz und Geborgenheit; verknüpft sie sich jedoch mit den welche die unzureichende oder fehlende Erfüllung ihrer Aufgaben verleug- „bösen Objekten“, so löst sie Angst und Verzweiflung aus. nen muß, die Glaubwürdigkeit eines einzelnen oder einer Gruppe infrage- Winnicott brachte die Allmacht mit der Fähigkeit des Säuglings in gestellt wird. Die Kommunikation wird dann in jeder Hinsicht verrückt. Zusammenhang, „ein Objekt zu schaffen, sich auszudenken, zu erfinden, Weil sich jeder von Feinden umzingelt fühlt, kann niemand mehr sagen, zustande zu bringen, hervorzubringen“ (1958: 301). Dazu ist der Säugling was er tatsächlich meint. Und niemand kann auf das, was jemand sagt, aber auf die Mutter angewiesen, die auf seine Omnipotenzgefühle eingeht adäquat reagieren, weil alle annehmen müssen, der andere sage nicht die und sie in einem gewissen Maß auch begreift. Das befriedigende Erlebnis Wahrheit, sondern stelle lediglich eine „strategische Behauptung“ auf. Auf von Omnipotenz wird für den Säugling eine entscheidende Voraussetzung diese Weise wird die Konfusion immer größer. für die Einsetzung eines Realitätsprinzips, das die Welt nicht starr und Es ist schwierig, in der Supervision Verleugnungen, welche die Voraus- unveränderlich, sondern als der Kreativität zugänglich erscheinen läßt. „In setzungen einer paranoiden Situation sind, zu behandeln, und zwar wegen diesem frühen Stadium“, schrieb Winnicott, „verschafft die fördernde des Zusammenhangs zwischen Verleugnung und Macht. Oft beruht die Umwelt dem Säugling das Erlebnis der Omnipotenz; damit meine ich Macht gewisser Personen auf der Verleugnung grundlegender Probleme mehr als magische Steuerung; für mich schließt der Ausdruck den kreati- der Institution, so daß die Aufdeckung der Verleugnung diese Macht- ven Aspekt der Steuerung mit ein“ (1965: 235). Wesentlich an Winnicotts verhältnisse tangieren würde. Verleugnungen aufzudecken bedeutet im Ausführungen ist der Blick auf eine veränderbare Welt. Daß die Welt Rahmen der Supervision, sie in die Kommunikation einzubeziehen, um durch Kreativität veränderbar ist, ist nämlich keine selbstverständliche deren Verrückungen verständlich zu machen. Dies kann jedoch die Macht- Annahme, und Winnicott macht einsehbar, daß eine Voraussetzung für strukturen in der Institution infragestellen. Da die Supervision jedoch keine diese Annahme das positive Erlebnis der Omnipotenz ist. Macht anstreben sollte — sonst würde sie Teil der Institution und ihrer Wie aber kann das Individuum seine Omnipotenzphantasien retten Machtkämpfe werden - ist es ihr verwehrt, gleichsam das „Machtwort“ zu angesichts einer Realität, die diese Omnipotenz — nicht zuletzt durch das sprechen, um die alten Strukturen aus den Angeln zu heben. Faktum des Todes — ständig widerlegt? Wenn wir die Entwicklung der Omnipotenz mit derjenigen der Sexualität vergleichen, so entspricht die Funktion der Autoerotik für die Sexualität derjenigen der Phantasie für die 3. Omnipotenzphantasien, Unbewußtheit und Institution Omnipotenz. So wie die sexuelle Lust sich in die kindliche Autorerotik rettet, so flüchten sich die Omnipotenzgefühle in den Bereich der Phantasie Wenn von Macht die Rede ist, sind die Allmachtsphantasien nicht fern. und können dort überleben. Die Phantasie vermag das kleinste Stück Macht in den Schein von All- Der Funktion der Latenzphase in der zweizeitigen Entwicklung der macht zu hüllen und institutionelle Konflikte in homerische Schlachten zu Sexualität, während der sexuelle Strebungen in zärtliche umgewandelt verwandeln. Solche Situationen sind in der Regel mit Produktion von werden, entspricht die Möglichkeit der Verschiebung der Omnipotenz auf Unbewußtheit verbunden. Indem die Institution die Größenphantasien des die idealisierten Eltern. So kann sich das Omnipotenzgefühl des Kindes ForumForum Supervision -- www.beratungundsupervision.dewwwW.beratungundsupervision.de 104 Mario Erdheim Die Hintergründe drängen sich (un-)heimlich auf 105 trotz aller Infragestellungen und Einschränkungen durch die Realität bis in Dienst der Kulturentwicklung und ihrer Beschleunigung stellen zu können. die Adoleszenz grundsätzlich erhalten. Die Adoleszenzphase muß verlängert werden, damit die Größenphantasien Es sind verschiedene Szenarien des Zusammenwirkens der kindlichen mit der Ich-Entwicklung gekoppelt werden können, und dafür gibt es nur Allmacht mit den Eltern möglich. Es kann zum Beispiel eine allmähliche eine Möglichkeit: die Arbeit. Der Arbeitsprozeß ermöglicht eine — oft mit Übertragung stattfinden: die Omnipotenz des Kindes spricht dabei die Schmerzen verbundene — Annäherung zwischen Wunsch und Realität. Größenphantasien seiner Eltern an, und die idealisierten Eltern, als Erben Die traditionellen Kulturen bevorzugten im Umgang mit den Größen- der kindlichen Allmacht, geben dem Kind das Gefühl der Teilhabe an ihrer phantasien eine andere Lösung. Die Omnipotenzphantasien wurden von eigenen Omnipotenz. Oft vermischen sich diese gemeinsamen Phantasien den Eltern und anderen Bezugspersonen auf die erweiterte Familie, den mit dem Familienmythos, der von der Größe und Einzigartigkeit der Clan undden Stamm übertragen (vgl. Erdheim 1995b). Im Heiligtum, das jeweiligen Familie kündet. der Stamm hütete, mußte das Subjekt seine Omnipotenz deponieren und es Eine andere Form des Zusammenwirkens der kindlichen Omnipotenz konnte von diesem Heiligtum nur Hilfe erwarten, indem es sich als Ange- mit seinen Eltern kann aber auch ein gewaltsames Brechen der kindlichen höriger des Stammes auswies. Die Initiationsfeiern, welche die Pubertät Omnipotenz sein, etwa durch Schläge mit der Begründung, man müsse strukturierten, waren die Zeremonien, dank dererdiese Delegation der dem Trotz des Kindes entgegenwirken. „Der Wille des Kindes muß Größenphantasien auf den Stamm und seine Institutionen möglich wurde. gebrochen werden“, heißt es in einer Enzyklopädie des gesamten Erzie- Ich führe diese Überlegungen nicht aus exotischem Interesse an, sondern hungs- und Unterrichtswesens (erschienen 1876-87), „das heißt es muß weil sie uns auch die psychische Problematik im Verhältnis zwischen lernen, nicht sich selbst, sondern einem anderen zu folgen. Daß eine solche Individuum und moderner Institution verständlich machen können. In Notwendigkeit vorliegt, ist ein Beweis von der angeborenen Verderbnis vielerlei Hinsicht haben nämlich die Institutionen von heute das Erbe der des menschlichen Wesens. Anders würde es nicht zu einem Brechen des Stämme von einst angetreten. So wie das Individuum einst seine Größen- Willens kommen müssen, sondern nur zum Verknüpfen desselben mit dem und Allmachtsphantasien an den Stamm delegierte, so tut es heute dasselbe stärkeren und besseren Willen“ (zit. n. Rutschky 1977: 377). In diesem in bezug auf die Institutionen. Je mehr Prestige einer Institution anhaftet, je Fall setzen die Eltern bzw. die Erzieher eine unüberbrückbare Distanz schwieriger sich der Zugang zu ihr gestaltet, desto stärker spricht sie die zwischen sich und das Kind. Dieses wird zu überleben versuchen, in dem Omnipotenzphantasien an. Der Glanz der Institutionen und die Einpassung es seine masochistischen Tendenzen fördert sowie Lust an der Unter- in deren Hierarchie vertiefen die Identifikation mit der Institution, die dann werfung und an der dadurch ermöglichten Teilhabe an der Omnipotenz der leicht zu dem Gerüst wird, auf Grund dessen das Ich des in ihr tätigen Erwachsenen entwickelt. Individuums überhaupt funktionieren kann. Der Schweizer Historiker Schließlich ist auch denkbar, daß die Omnipotenz der Eltern auf Grund Jakob Burckhardt sagte einmal: „Größe ist das, was wir nicht sind.“ In ihrer Geschichte, etwa durch Flucht und Emigration, so zerstört worden ist, Anlehnung an diesen Satz könnte man von der Institution sagen, daß sie daß die Eltern die Übertragung der kindlichen Allmacht nicht ertragen und zunehmend über die Größe und Bedeutung verfügt, welche sie den in ihr diese auf das Kind zurückwerfen. Es wird dann von den Symbolisierungs- tätigen Individuen entzogen hat. Auf diese Weise kann die Institution auch fähigkeiten des Kindes abhängen, ob es mit seiner Omnipotenz allein fertig im psychischen Bereich eine geradezu existentielle Bedeutung für das wirdoder nicht. Individuum bekommen; die Vorstellung, es bahne sich ein Konflikt an, der Wir können annehmen, daß diese undähnliche Szenarien Grundtypen womöglich zu seiner Trennung von der Institution führen könnte, wird darstellen, die von Kultur zu Kultur undvon Klasse zu Klasse variieren vom Individuum oft nicht nur ökonomisch, sondern auch psychisch als und den sozialen Charakter ihrer Angehörigen prägen. Katastrophe erlebt. Während der Adoleszenz kommt es zu einer Reorganisation der Omni- Institutionen funktionieren in der Regel auf Grund von Disziplin, das potenz. Mit der Verstärkung der narzißtischen Strebungen blühen auch die heißt einer Struktur von Befehl und Gehorsam. Die Größenphantasien sind Größenphantasien auf, und das Individuum muß die Delegationsstruktur in dieser Struktur aufgehoben, einerseits in der Machtposition des Befeh- neu definieren. Ein Charakteristikum unserer Kultur, die nicht zufälliger- lenden, andererseits aber auch beim Gehorchenden, dessen Gehorsam weise die Adoleszenzphase zunehmend verlängert, besteht darin, die durch die Bedeutung und Größe der Institution legitimiert wird. Ich Omnipotenzphantasien ins Individuum zurückzuverlagern, um sie in den vermute, daß es diese an eine Institution gebundenen Größenphantasien ForumForum SupervisionSupervision -- www.beratungundsupervision.dew .beratungundsupervision.de 106 Mario Erdheim 107

s i n d , die das Individuum b l i n d das ausführen lassen können, was von ihm INTERVIEW gefordert w i r d . Kommunikation, b e i der es um Einsichten und nicht um Disziplin g e h t , setzt den Größenphantasien immer auch Grenzen. Macht beansprucht zu Interview zu Michael Balint sprechen, zuzuhören ist eher mit Ohnmacht verbunden. Darüber hinaus mit Frau Dr. Margarete Mitscherlich-Nielsen s t e l l t das Unberechenbare der Kommunikation, bei der man nicht weiß, wohin sie führen wird, d i e Omnipotenz, die alles unter Kontrolle halten Gesprächsparinerinnen für FoRuM Supervision: möchte, auf eine h a r t e Probe, und o f t ist es d i e Kommunikation, w e l c h e an Inge Kähling und Inge Zimmer den Omnipotenzphantasien zerbricht. Beschränkt sich die Supervision auf das „Von-oben-her-betrachten“, dann können s i c h beim Supervisor n a t ü r - Forum Supervision: Im Namen von Forum Supervision gratulieren wir lich sehr schnell die Größen- und Allmachtsphantasien ausbreiten. Die Ihnen nachträglich zu Ihrem Geburtstag. Es ist schon eine ganze Weile Folge davon i s t , daß er es vorziehen w i r d , s e l b e r zu sprechen, s t a t t den her, aber trotzdem unsere herzlichen Glückwünsche fürdie nächste Zeit. anderen zuzuhören. Margarete Mitscherlich-Nielsen: Vielen Dank, FS: Wir haben uns sehr gefreut, daß Ihnen anläßlich dieses Ereignisses in Anschrift des Verf.: Dr. M a r i o Erdheim, Toblerstr. 6 0 , CH-8044 Zürich der Presse und mit einem „Geburtstagsheft“ der PSYCHE so viele Ehrun- gen zuteil wurden — zu Ihrer Person, Ihrer Arbeit und zu Ihrer Haltung, zu Ihrer unerschrockenen Haltung, mit der Sie so viele wichtige Themen und Literatur Probleme..... M.M.: Ich danke Ihnen, auch wenn solche Ehrungen verständlicherweise Erdheim, M. (19953): Zum kultur- und geschlechtsspezifischen Umgang mit Omnipo- manchmal ein bißchen peinlich sind. tenzphantasien. In: Heinemann, E. u. Krauss, G. (Hg.): Geschlecht und Kultur. Institut FS: Trotzdem ist es uns wichtig, auch hier noch einmal — ähnlich wie im für soziale und kulturelle Arbeit, Nürnberg: 190-207. Erdheim, M. (1995b): Die Symbolisierungsfähigkeit und der Antagonismus zwischen Editorial der PSYCHE — Ihre unerschrockene Haltung anzusprechen, mit Familie und Kultur. In: Schneider, G. u. S e i d l e r , H. ( H g . ) : Internalisierung und Struktur- der Sie immer für Ihr Verständnis für Psychoanalyse, für eine Aufarbei- bildung. Westdeutscher Verlag, Opladen: 116-132. . tung der nationalsozialistischen Zeit, fürdie Rechte der Frauen, für Eman- Rutschky, K. (Hg.) ( 1 9 7 7 ) : Schwarze Pädagogik. Quellen z u r Naturgeschichte der b ü r g e r l i - zipation in einem umfassenden Sinn gekämpft haben. Sie haben sich chen Erziehung, Frankfurt a. M . immer wieder in neue Diskussionen eingelassen, von denen viele nicht Winnicott, D.W. ( 1 9 5 8 ) : Von der Kinderheilkunde zur Psychoanalyse, Frankfurt a. M . 1985. angenehm waren und in heftigen Streit ausgeartet sind. Viele Menschen Winnicott, D. W. (1965): Reifungsprozesse und fördernde Umwelt, München 1974, haben Sie darum sehr geachtet, aber viele haben Ihnen auch Ablehnung entgegengebracht. Sie sind unerschrocken geblieben, und wir möchten Sie gerne fragen, wie das möglich war, daß Sie Ihre oft von den gegenwärti- gen Machtstrukturen und Normen abweichenden Meinungen durchsetzen konnten. M.M.: Ich würde bezweifeln, daß ich sie durchgesetzt habe. FS: Aber vertreten haben Sie sie! M.M.: Ich glaube, daß wir doch in einer sehr schwierigen Zeit leben, aber das ist hier nicht das Thema heute. Ich denke, daß jeder, der mit Psycho- analyse zu tun hat— und Sie haben ja auch selber beide genug mit diesem Fach im Sinne — sein Geld aus dem Fenster wirft, wenn er nicht versucht, das zu sagen, was er wirklich denkt. Daß man auch Falsches denkt und daß dann der andere kommt und sagt, „aber hören Sie mal, das haben Sie in mich hineinprojiziert“, ist völlig klar. Es geht um das Bemühen, seine ForumForum SupervisionSupervision -- www.beratungundsupervision.deww beratungundsupervision.de 108 Interview Interview 109 eigene Wahrheit zu sehen, und ich denke, wenn man die äußere Realität hat sie sich öfters kritisch über ihn geäußert, vor allem über seine „Balint- einigermaßen klar sehen will, muß man auch sehen, mit welchen Gefühlen gruppen“. Daswar für sie eine „verwässerte“, eine „verwilderte“ Psycho- man an diese äußere Realität herantritt, um dann zu verstehen, wie weit analyse. man durch die eigenen Gefühle und deren Projektion oder Verleugnung FS: Diese Ärztegruppen, ja? Und dafür wurde er so angegriffen? die innere wie die äußere Realität verdrehen kann. Das ist ja auch der Sinn M.M.: Oh ja, das schien vielen sehr zweifelhaft zu sein. Je mehr Bedeu- der Psychoanalyse, ein Stück mehr Erkenntnis seiner bewußten und tung den prägenitalen Stadien beigemessen wurde — und sie hatten in unbewußten Motive, seiner Gefühlswelt zu gewinnen, sonst hat es wenig Theorie und Praxis etwa von Melanie Klein einen hohen Stellenwert - um Sinn, sich mit der Psychoanalyse zu beschäftigen. so wichtiger wurde die frühe Mutter-Kind-Beziehung und um so länger FS: Insofern ist das auch für uns etwas Wichtiges, weil Sie damit eine dauerten Analysen. Auf diesem Hintergrund waren dann solche Gruppen- Haltung beschreiben, diefür Supervisoren und Supervisorinnen auch eine angebote eher unakzeptabel. Ja, er wurde von manchen seiner KollegInnen wünschenswerte ist, aber auch eine schwierige und insofern finden wir es sehr angegriffen! schon angemessen, noch einmal zu sagen, daß Sie als Repräsentantin für FS: Das muß ja überhaupt einesehr lebendige Zeit gewesen sein, diese eine Haltung, die nicht so leicht zu leben ist, ein Modell sind für viele — Zeit in England. Viele Schulen trafen aufeinander und unterschiedliche auch in unserem beruflichen Metier. Meinungen, das muß doch auch für Sie interessant gewesen sein, nachdem M.M.: Wenn man diesen Beruf ergreift, um — sagen wir — irgendetwas zu Sie aus Deutschland kamen, wo eigentlich immer nur eine Meinung vertreten, was einem von außen herangetragen wird, was man aber nach vertreten wurde. näherem Durchdenken nicht für wahr hält, was, wenn man so will, auch M.M.: Sowohl Balint wie Melanie Klein, auch Anna Freud (zeitweilig), den eigenen Gefühlen nicht entspricht, dann sollte man — glaube ich — haben am Berliner Institut gelehrt, dem ersten psychoanalytischen Aus- lieber den Beruf lassen, dann macht es ja auch keinen Spaß, wenn man bildungsinstitut überhaupt, dessen Gründer der von allen anerkannte nicht ein Stück mehr „erkenne dich selbst“ betreibt. Psychoanalytiker Abraham war. FS: Insofern hat es zwei Hintergründe, daß wir uns freuen, heute mit Sie haben mich aber etwas gefragt, jetzt habe ich die Frage nicht mehr Ihnen sprechen zu können. Einmal den, daß Sie eine Repräsentantin einer genau im Kopf? Richtung der Psychoanalyse sind, die wir für ganz bedeutsam halten und FS: Wir fragten, ob es nicht auch eine interessante Zeit war, damals. Sie als solche ein wichtiges Modell sind, und weil Sie Michael Balint M.M.: Ja, aber es warauch eine schmerzliche Zeit, eine sehr schwierige persönlich kannten und mit ihm gearbeitet haben. Zeit: Der Tod Freuds, das Ende der Nazizeit, während der sich die „ari- M.M.: Ich habe bei ihm Analyse gemacht, an einigen Gruppen mit Frauen schen“ Analytiker am Berliner Institut, ob manche es wollten oder nicht, — also mit Ärztinnen — teilgenommen und auch bei ihm Supervision ge- auch damit einverstanden erklärten, daß die jüdischen Analytiker nicht macht .... das ungarische Modell. In Wien gingen psychoanalytische Aus- mehr im Vorstand saßen und später dann überhaupt nicht mehr im — „Gö- bildungskandidatInnen zu einem anderen Analytiker, um, wie es damals ring-Institut“ genannten — Institut tätig sein durften; dort kam dann dieses hieß, Kontrolle zu machen, wenn sie selber im Rahmen der eigenen „Amalgam“ der verschiedenen psychotherapeutischen Schulen -— wie das Ausbildung Patienten behandelten. Ferenczi in Budapest — und Balint kam damals hieß — zustande. aus Budapest — hat sowohl Analyse als auch Supervision gemacht mit Ich denke, diese zwölf NS-Jahre, was die kaputt gemacht haben, ist nicht seinen LehranalysandInnen, auch ihre Fälle mit ihnen kontrolliert. Ähnlich zu fassen. Ich meine, die deutschsprachige Kultur in Europa ist nicht war es auch bei mir, ich habe im Liegen meine Patienten mit Balint einfach beiseite zu schieben, sie ist eine reiche Kultur. Irgendwie hat die besprochen. Jugend heute wenig Interesse an ihr. Das sogenannte Bildungsbürgertum FS: Wir haben aus einer Zeitung ein Bild von Michael Balint mitgebracht. im besten Sinne gibt es kaum noch. Wir haben gedacht, das ist auch eine gute Erinnerung. FS: Vermutlich ist es ja auch gerade ein Grund gewesen, warum Sie — ich M.M.: Ja, das ist ein sehr gutes, typisches Bild, finde ich. glaube 1954 —, nach London gegangen sind? FS: Er muß doch ein temperamentvoller Mann gewesen sein. M.M.: Ja. M.M.: Ich denke schon. Da er die Schule Ferenczis vertrat, hat er es nicht FS: Weil hier in Deutschland die Folgen des Nationalsozialismus auch in immer leicht gehabt. Auch Melanie Klein kam aus Ungarn, aber dennoch der Psychoanalyse wahrscheinlich nach wie vor spürbar waren. ForumForum SupervisionSupervision -- www.beratungundsupervision.deWW .beratungundsupervision.de 110 Interview Interview 111

M.M.: Ja, selbstverständlich. Ich glaube, wenn man sich so korrumpiert M.M.: Nein. Ich hatte ja in Deutschland schon Analyse gemacht. In hat, wie das in der Nazizeit der Fall war, haben sich später Analytiker fast London war ich nicht als Ausbildungskandidatin, ich war zur Weiterbil- zwanghaft verteidigen müssen. Wieso konnte man erlauben, daß Kollegen, dung da, wenn man so will. Denn sonst hätte ich mindestens vier Jahre von denen man sehr wohl wußte, daß sie auch Rivalen waren, die man bleiben müssen, was mir nicht möglich war. Das erwies sich in gewisser vielleicht als überlegen erlebte, möglicherweise der oder die eigene Lehr- Hinsicht als Vorteil: ich konnte nach Rücksprache mit den jeweiligen analytikerIn war, das Institut verlassen mußten. Je mehr man sich glaubte Lehrenden in die Seminare von Melanie Klein gehen, ich konnte bei Anna anpassen zu müssen, desto mehr mußte man sich offenbar nach dem Krieg Freud an Veranstaltungen teilnehmen etc. Wenn ich in London Ausbil- unentwegt verteidigen. dungskandidatin gewesen wäre, hätte ich mich für die A-, B- oder Middle- FS: Insofern war wahrscheinlich in London schon eine andere Situation. Group entscheiden müssen. A war Melanie Klein, B waren die Freudianer M.M.: Natürlich. und Middle-Group war Balint, Winnicott u.a. FS: Es war doch sicher auch schwer, wieder einen Anfang zu finden. FS: Sie haben die Analyse und die Seminare aus eigenem Fortbildungs- M.M.: Es war kein Anfang, Jones war ja da und andere bekannte engli- interesse gemacht? sche Analytiker.Jones hat sich dafür eingesetzt, daß Melanie Klein 1930 M.M.: So ist es. Ich war nicht befriedigt von dem, was ich bisher gelernt oder früher von Berlin nach London übersiedelte. Die englische Psycho- hatte. analyse hatte auch vorher schon sehr differenzierte Vertreter. Also, man FS: Und Balint hat doch gerade in diesen Jahren angefangen? kann von neuem Anfang nicht reden. Aber fürdie deutschen Emigranten M.M.: Was heißt angefangen, er hat, glaube ich, schon in Budapest damit war es in England schwierig, Fuß zu fassen. Auch wenn sie Juden waren, begonnen, Falbesprechungsseminare für Ärzte durchzuführen. waren sie während des Krieges „enemy aliens“. Sie waren Deutsche. Aber FS:: Das stimmt, ja. Ich meine die Arztgruppen in London. der psychoanalytische wissenschaftliche Austausch war sehr lebendig, M.M.: Er kam 1939 oder 1938 und er ist keineswegs direkt nach London wenn auch nicht immer einfach. Sie mußten sich zumindest weniger gegen gekommen. Jones mußte für viele Emigranten eine Möglichkeit finden, innere Schuldgefühle verteidigen, als sich gegen äußere Widrigkeiten damit sie die Erlaubnis erhielten, sich in England niederzulassen. Balint hat durchsetzen. Obwohl geistig sehr kreativ, gab es genügend kontroverse in Manchester zu arbeiten angefangen. Jones hatte es nicht leicht, denn die „Weltanschauungen“. Die Wiener, die Freudianer, die Engländer,von denen Engländer hatten Schwierigkeiten damit, so vielen Ärzten die Nieder- sich viele als Kleinianer fühlten, keine einfache, gewiß keine konfliktfreie lassung zu erlauben. Für die meisten Analytiker war London der bevor- Atmosphäre. zugte Ort. FS: Wir würden Sie gerne fragen, wie Sie Michael Balint kennengelernt FS: Und dann aber in den fünfziger Jahren hat er doch in der Tavistock- haben, ob Sie sich daran noch erinnern? Klinik ... M.M.: Ja, hab ich ihn überhaupt kennengelernt? Vor meiner Analyse, M.M.: Seine Zeiten als Mitarbeiter an der Tavistock-Klinik weiß ich nicht meine ich? Ich hatte ihn schon mehrfach auf Kongressen gesehen. Er war ganz genau. Dort bin ich auch viel gewesen, nur m.E. hat es die Tavi- ein sehroffener, kontaktbereiter Mensch. Ich weiß, daß Alexander Mit- stock-Klinik schon in den dreißiger Jahren gegeben. Sie war natürlich mit scherlich auf dem ersten Züricher Kongreß nach Kriegsende von dieser ihrem weitgespannten psychotherapeutischen Interesse für die „reine spontanen Art Balints berichtete. Balint kam aufihn zu. Wenn er jeman- Psychoanalyse“ auch nicht so ganz das Richtige undganz Wahre, aber es den sympathisch fand und sich gut mit ihm unterhalten konnte, dann hatte haben immer mehr Psychoanalytiker auch an deren Veranstaltungen als er keine Probleme, ob der nun Deutscher war oder nicht. Lehrende sowie an Einzel- oder Gruppentherapien teilgenommen. FS: Sie haben ihn dann in London erst näher kennengelernt? FS: Wir hatten gelesen, daß er etwa von 1950 bis 1956 an der Tavistock- M.M.: Ich hatte ihn schon auf mehreren Kongressen gesehen, ich war Klinik Ärztegruppen geleitet hat. auch auf dem Londoner Kongreß 1953 und hatte ihn dort erlebt. Bally war M.M.: Das hat er mit Sicherheit, ich glaube allerdings, daß er schon früher auch sehr angetan von der spontanen und selbständig denkenden Art von damit begonnen hatte. In Budapest hatte er ja mit seiner ersten Frau Alice Balint. Alexander und Bally haben dann vermittelt, so daß Balint mich Balint zusarnmengearbeitet. ohne größere Schwierigkeiten zur Analyse angenommen hat. FS: Haben Sie sie noch kennengelernt? FS:Als Lehranalysandin? M.M.: Nein, sie starb 1939 in Manchester, soviel ich weiß, ForumForum SupervisionSupervision -- www.beratungundsupervision.dewwW.beratungundsupervision.de 112 _ Interview Interview 113

FS: Und Sie haben dann Balint in der Arbeit mit seinen Ärztegruppen welchen Menschen gesprochen werden, was auch Ihnen in Ihrer Arbeit erlebt und mit ihm zusammengearbeitet? bestens bekannt ist. M.M.: Ja, ja, er war sehr offen dafür, und ich habe in einer Gruppe von FS: ....und auch eine Aufmerksamkeit für die eigenen Gefühle und Ärztinnen mitgearbeitet, die er leitete. Ich glaube, alle waren Gynäkologin- Reaktionen zu erlangen. nen. Er unterschied sehr klar zwischen Selbsterfahrungsgruppen undeben M.M.: Aber ganz genau, diese Fähigkeit, mit einer „Persona“, um einen Supervision, Fallbesprechungsgruppen für Ärzte. Ihm war auch die „flash- eher Jungschen Terminus zu gebrauchen, dem Patienten gegenüberzutreten. Therapie“, die er den praktischen Ärzten beibrachte, wo es um „four Das zu sehen und zu durchschauen und nicht nur der weiße Kittel zu sein, minutes forthe patient“ ging, wichtig. Alexander Mitscherlichs Sekretärin, der ewig glaubt, er müsse diese Haltung aufrechterhalten. Obwohl es eine sehr genaue und angenehme Person, hat in ihrer Übersetzung aus dem natürlich auch schwierig ist, den Patienten wirklich zu verstehen, eigentlich Englischen daraus 5 Minuten gemacht. Da waren beide Balints etwas auf die gleiche Stufe mit dem Patienten zu gehen und gleichzeitig muß irritiert, derin sie wollten gerade mit den ungewöhnlichen „four-minutes“ man ja auch, ob man will oder nicht, ihm dies oder jenes verordnen, darauf aufmerksam machen, daß es nicht um die Minuten ging, sondern müssen sie eine gewisse autoritative, wenn man so will, also zumindest die darum, in einem flash, in einem erhellenden Augenblick, den Patienten zu Haltung eines Elternteils einnehmen. Es war nicht immer leicht, dieses erreichen, so daß es diesem bewußt wurde, daß er oder sie verstanden Schwanken zwischen zwei Rollen. Die Patienten kommen oft wie Kinder, worden war. So kleine Sachen, daß man wirklich zugehört und emotional als hilfsbedürftige Schwache, und ihnen zu zeigen, wo sie sich selber nicht verstanden hat. zerstören sollten und wo sie nun leider aufgrund einer ganz bestimmten ES: Also, wir haben mal gehört, daß der Michael Balint ganz große Fähig- sachlich orientierten Medizin und darauf basierenden Diagnosen auch keiten gehabt hätte, zuzuhören. Und daß es ihm möglich gewesen sei, aus bestimmte Ratschläge oder Medikamente annehmen sollen. einer ganz kleinen Sequenz, die ein Teilnehmer gebracht hat, ganz viel FS: Und ich glaube, etwasganz Wesentliches war, einen Zugang dazu zu herauszuhören und herauszuarbeiten. Haben Sie das auch so aufgenommen? bekommen, daß auch eigene gefühlsmäßige Reaktionen etwas mit den M.M.: Wissen Sie, ich denke, das konnte nicht nur Balint, das ist ja Patienten zu tun hatten. . eigentlich unser Job. Natürlichwar Balint ein besonders begabter und M.M.: Aber ganz genau. Nur was er ablehnte, weil er meinte, das gäbe ein einfallsreicher Analytiker. einziges Durcheinander, waren Übertragungsdeutungen der Gruppe. Er FS: Sie meinen, das können alle guten Analytiker? wollte aufgar keinen Fall, daß seine Ärztegruppen zu Selbsterfahrungs- M.M.: Ja. Ich habeauch Winnicott gehört, ich war bei Bion, bei Turquet, gruppen wurden. es gab sehr viele differenzierte Leute, aber zum Teil waren die Gruppen, FS: Das haben wir gelesen, auch daß es diesbezüglich Kontroversen in der die sie leiteten, dann auch Selbsterfahrungsgruppen. Tavistock-Klinik gab. Turquet z.B. hat einen ganz anderen Ansatz ver- FS: Ferenczi hat für Ärzte die Notwendigkeit beschrieben, eine Haltung zu treten. entwickeln, die eigentlich nur über eine eigene Psychoanalyse zu entwik- M.M.: Turquet war ja lange, noch in der Zeit als ich da war, in Analyse keln sei. Ärzte haben aber meistens keine eigene Analyse. Man kann ja bei Balint. Und die beiden hatten dann ihre Auseinandersetzungen und vielleicht die Entwicklung der Fallbesprechungsseminare von Balint als ein Rivalitäten, vorher und nachher, nehme ich an. Angebot verstehen, einen entsprechenden „change of personality“ zu FS: Das finde ich sehr interessant. D.h. es war alles sehr verwoben ermöglichen und die Wahrnehmungsfähigkeit und ein Verständnis für damals? eigene Gefühlsreaktionen zu entwickeln. M.M.: Vielleicht, sicherlich nicht mehr als anderswo. M.M.: Ganz klar, zu erweitern, sagen wir mal. Also, das war dann sehr FS: Privatleben und Arbeit und Eigenanalyse, spannend. Ich habe gelesen, schwierig, weil viele Ärzte kamen, die auch gar keine Begabung dafür daß Balint einmal gesagt habe, wer einen Ungarn zum Freund habe, hatten. Man muß ja auch eine gewisse Offenheit dafür haben. Aber selbst- brauche keine Feinde. Hieß das, daß er auch ein sehr impulsiv aggressiver verständlich, das war natürlich auch genau die Aufgabe, zu verstehen und Mensch war, der auch in der Arbeit gut mit seinen aggressiven Seiten genau hinzuhören auf den Tonfali, die Stimmung etc. Es gibt ja so viele gelebt hat, oder? Nuancen, es ist ja nicht nur, daß man Worte hört, es kommt darauf an, M.M.: Was heißt aggressiv? Er wurde oft als aggressiv erlebt. Er war sehr wann die Worte und wie die Worte und mit welcher Betonung sie zu deutlich, also er war keiner, der harmoniesüchtig war. Er hat einem sehr ForumForum SupervisionSupervision -- www.beratungundsupervision.dewwW.beratungundsupervision.de 114 Interview Interview 115

genau gesagt, was man da eigentlich gemacht hat und wieso man das M.M.: Gegenübertragung war ja dann die große Mode. Über Gegenüber- eigentlich gemacht hat usw. Und wenn man einen falschen Ton hatte oder tragung hat Freud schon geschrieben, über Übertragung hat er sehr viel sich selbst gegenüber unaufrichtig war, das hat er sehr schnell kapiert. Das geschrieben, in den zwanziger und dreißiger Jahren — wenn ich mich hat er sehr deutlich und klar kundgetan. Auch in der Gruppe war Ge- richtig erinnere, noch vorher. Aber er hat die Gegenübertragung für sehr schwätz verpönt, es ging nicht sehr milde zu, wenn man so will. Aber es analysebedürftig gehalten, für etwas, was den Arzt dazu bringt, die Über- ging auch nicht im scharfen nur intellektuellen Sinn zu, er war ja sehr tragung des Patienten nicht zu verstehen, weil er zu viele eigene Gefühle lebhaft und emotional, aber gleichzeitig war Balint natürlich auch wenig hineinbringt. bereit „to suffer fools“, Narren zu ertragen. Er hätte nie Lust gehabt, FS: Da hat Balint eigentlich ein neues Verständnis entwickelt? glaube ich, eine Mördergrube aus seinem Herzen zu machen, M.M.: Ich will nicht einmal sagen, daß es nur Balint war, es lag in der FS: Er hat doch auch in Deutschland gearbeitet? Luft. Es lag auch in der Luft, daß man von Geburt an eine Beziehung zur M.M.: In Berlin, ja, am Berliner Institut. Mutter hat. Die primäre Liebe, das war Michael und Alice Balints Kon- FS: Hat er nicht auch mit Ihrem verstorbenen Mann zusammengearbeitet? zept. Also, daß primäre Liebe besteht und nicht primärer Haß — wenn man M.M.: Ach später, meinen Sie? Später, ja, er ist oft nach Heidelberg so will — und daß von vornherein eine Beziehung zwischen Mutter und gekommen. Auch noch in den fünfziger Jahren war er in Heidelberg. Hat Kind besteht und nicht der primäre Narzißmus, der Freuds Idee war und Vorträge gehalten, auch 1956 zur Hundertjahr-Feier von Freuds Geburts- nach wie vor auch die Überzeugung vieler ist, daß der Haß älter ist als die tag. Da gab es sowohl in Frankfurt viele wichtige Vorträge als auch in Liebe unddaß das Neugeborene noch gar keine Fähigkeiten hat, Beziehun- Heidelberg. gen zur Außenwelt aufzunehmen. Primäre Objektbeziehung ist natürlich FS: Wir haben gelesen, daß Ihr Mann, also Alexander Mitscherlich, und nicht im differenzierten Sinne als Möglichkeit zu verstehen, daß der Herr Loch gemeinsam — ich glaube 1960 — hier auch in Deutschland erste Säugling weiß, was der andere will, oder ihn genauer wahrzunehmen Balint-Gruppen für Ärzte durchgeführt haben? vermag, aber daß er dennoch reagiert auf die Gefühle, die ihm entgegen- M.M.: Ja, Loch, Lorenzer, viele waren dabei. Dr. Uhl und seineFrau, kommen. Da würde ich mit Balint übereinstimmen. Darüber hat er viel deren Kollegen und Kolleginnen iuden in den Taunus ein, wo auch Balint geschrieben, schon in den dreißiger Jahren. Daß man, und in welcher Form öfter dabei war. Nicht regelmäßig, aber er kam immer nach Frankfurt, hielt die Gegenübertragung nutzt, das denke ich, hat in differenzierter Form erst Vorträge und nahm an den Ärztegruppen teil. Paula Heimann mit ihrer Arbeit gebracht. FS: Und Sie haben gemeinsam mit Ihrem Mann nie solche Gruppen FS: Ist das die Arbeit, dieSie übersetzt haben? durchgeführt? M.M.: Ja, ich habe Sie dann für die PSYCHE übersetzt. Paula war mit M.M.: Nein, um Gottes willen. Es war für manche meiner Ausbildungs- dem einen oder anderen Teil nicht ganz zufrieden. Dann hat sie zu mir kandidatInnen schon schlimm genug, daß wir als Ehepaar am selben gesagt: „Margarete, das ist eine gute Idee, aber das ist nicht meine Idee!“ Institut arbeiteten. Daß das nicht mehr Konflikte und Probleme geschaffen Das werde ich nie vergessen. Aber sie hat in dieser Arbeit auch wirklich hat, das wundert mich heute noch. In Heidelberg war das merkwürdiger- dargestellt, daß man die Gegenübertragung nutzen kann, um den Patienten weise viel weniger konfliktträchtig. Da hatten wir genügend äußere Feinde, zu verstehen, daß es aber — und das hat sie später immer wieder betont — die davon zu überzeugen waren, daß man mit Psychoanalyse und Psycho- gefährlich ist, zu glauben, das so einfach zu können, nämlich, zu meinen, somatik etwas machen konnte und kein Scharlatan war. Aber es ist relativ daß die eigenen Gefühle auch unmittelbar die Gefühle des Patienten oder gut gegangen, daß wir in einem Institut zusammen arbeiteten. Da hab’ ich der Gruppe darstellen, vor allem der Gruppe, die ja aus vielfältigen Ele- sehr viel Ausbildung gemacht, aber ich wollte nicht auch noch an seinen menten besteht, daß das sehr gefährlich werden kann. Oft ist dieser Um- Balintgruppen teilnehmen. Michael Balint hat übrigens viele Gruppen gang mit der Gegenübertragung eine Mode geworden,zumindest in Euro- gemeinsam mit seiner Frau Enid geleitet. pa. Ich weiß nicht, ob es in England so durchgehend praktiziert wird wie FS: Balint wurde ja — neben den Gruppen, die nach ihm benannt sind —, es hier manchmal der Fall gewesen ist, daß der Gruppenleiter Gefühle, die auch für sein Konzept der primären Bezogenheit anstelle des primären die Gruppe in ihm erweckte, als Gruppengefühl deutet. Man hat so eine Narzißmus und für seine diagnostische Nutzung der Gegenübertragung gewisse Neigung zum autoritären Stil hier, zum Absoluten, und daß das bekannt. gefährlich ist, an den wirklichen Gefühlen der Gruppenmitglieder vorbei ForumForum SupervisionSupervision -- www.beratungundsupervision.dewwiW.beratungundsupervision.de 116 Interview 117

gehen kann, versteht jeder. Dann hört man nicht weiter zu und dannkann REZENSIONEN man nicht weiterforschen, was davon vielleicht stimmt, was aber auch nicht stimmt. FS: Man kann Gegenübertragungsgefühle auch mißbrauchen, sagen Sie Anton Bittler (Hg.) Frommer Mißbrauch? Zur Problematik katholisch kleri- damit? kaler Hilfen und Helfer, Tübingen 1993, 160 Seiten, DM 25,-, edition M.M.: Das kann man wohl sagen. Man sagt, da ich so fühle, mußt du diskord auch so fühlen, aus, zu Ende. FS: Man setzt sie als Machtinstrument ein. Als erste Orientierung wende ich mich dem Umschlagstext zu. Er gibt sach- M.M.: Nein, es ist vielleicht nicht einmal bewußt Machtinstrument, es ist lich Einblick in das Thema dieses Buches: Kirchliche Sozialarbeit und insti- Ideologie, wissen Sie. Diese Ideologie ist hier relativ weit verbreitet. Und tutionalisierte Hilfe durch die katholische Kirche. Die Autorenkennen die so ist es und fertig, und wenn du das nicht glauben willst, dann ist es eben Institution seit vielen Jahren, sie sind Betroffene und beschreiben als solche dein unbewußter Widerstand usw., usf. Ich denke, man muß immer weiter „den inneren Zustand eines reglementierenden Machtsystems“ und die in nachdenken, und da war Balint nie jemand, der die endgültige Wahrheit ihren Augen verhängnisvollen psycho-sozialen Auswirkungen auf alle Be- gefunden hatte und sagte: „Wenn das mein Gefühl ist, dann ist es auch teiligten, Kleriker, abhängig Beschäftigte und Klienten. „Helfer und Hilfsbe- dein Gefühl.“ Nein, er hat dann immer wieder neu zugehört. dürftige finden sich in eine Lebensweise eingezwungen, die entstellt und FS: Er hat eine fragende Haltung behalten? zerstört, was sie zu geben verspricht nämlich Zuwendung und Mensch- M.M.: Ja, dazu war er viel zu offen, dazu war er viel zu selbstkritisch, lichkeit“. Die Autoren möchten darstellen und reflektieren, „was Menschen wenn Sie so wollen, auch viel zu intelligent, denke ich. im katholischen Helfermilieu erlitten haben und täglich neu erleiden“. FS: Und Sie haben gesagt, humorvoll war er auch? Der Umschlagstext könnte Interesse wecken. Der Gedanke kommt auf, M.M.: Er war sehr humorvoll, wissen Sie. Humor und Selbstkritik. Er hier wird versucht, ausgehend von konkreten Situationen die Bedingungen hatte nicht diese Schärfe der Selbstkritik, wo man sich dann immer ver- kirchlicher Arbeitssysteme im sozialen Bereich zu analysieren. Der Zusatz, nichtet, wo man dann plötzlich gar nichts mehr ist, nein Selbstkritik was „Menschen im katholischen Milieu erlitten haben“, macht gleich wirklich im Sinne des „Auch-sich-selber-ertragen-Könnens“. Ich denke, wieder skeptisch. Um was geht es hier, um eine methodisch saubere und man muß sich auch selber ertragen lernen, um Humor zu haben, sonst nachvollziehbare Analyse oder um einen Feldzug? vernichtet man nur sich selbst mit seiner Selbstkritik undden anderen mit Beim Lesen des Vorwortes setzt sich die Ambivalenz von Interesse und der Kritik und verliert denBlick für das Komische in jedem von uns, das Skepsis verbunden mit Widerstand fort. Laut Vorwort schreiben Betroffe- in zahlreichen Situationen zum Ausdruck kommt. ne, die unter der Doppelmoral der Kirche, dem Reflexions- undAuf- FS: Das finden wir ein ganz schönes Schlußwort! Damit beschreiben Sie klärungsverbot leiden und ihre eigene Hilflosigkeit in der Auseinanderset- auch eine wünschenswerte Haltung für Balintgruppen und SupervisorInnen. zung mit der Institution Kirche spüren. Ihre Vorstellung oder ihr Traum Herzlichen Dank für das interessante und lebendige Interview! von einer anderen Kirche ist noch lebendig. An sich muß die Betroffenheit verbunden mit hoher Kenntnis der internen Vorgänge kein Hinderungs- grund sein, institutionelle Vorgänge zu beschreiben; reflektiertes Beschrei- ben. oder Aufarbeiten eigener Erfahrungen kann fachlich fundiert, wissen- schaftlich und gewinnbringend sein. Sie führen eine Erkenntnis Drewer- manns an, daß der Mensch in totalitär erlebten Systemen zur Opfer- und Märtyrerhaltung neigt, aber auch zwangsläufig versucht, „auch andere unbewußt zu Opfern zu machen und zum Opfern anzuhalten, um seine Einsamkeit und Hilflosigkeit auszugleichen“. Diese Erkenntnis wird nur wieder auf Ordensfrauen angewandt und scheinbar bestätigt. An sich ist dieses (eigentlich) eine interessante These, die es lohnt, in der Praxis der kirchlichen Sozialarbeit zu überprüfen. ForumForum SupervisionSupervision -- www.beratungundsupervision.dewwW.beratungundsupervision.de 118 _ Rezensionen Rezensionen 119

Weiter im Vorwort auf Seite 12 verändert sich mein Interesse in größer bedeuten“ ( S e i t e 33). Genau diese Vorgehensweise ist das Problem dieses werdende Skepsis, Abneigung, und ich bekomme einen Widerstand. Artikels. Thesen/Befunde Drewermanns werden nicht auf den Prozeß der A.Bittler schreibt: „und spätestens hier verbietet sich schmunzelndes institutionellen Hilfe oder auf den Prozeß zwischen Helfer und K l i e n t Achselzucken, niemand kann sich mehr um eine Stellungnahme herum- angewandt, sondern nahezu ausschließlich auf die Gruppe der Ordens- drücken“. Und weiter: „Wer aber protestiert, hat noch Hoffnung.“ Solche frauen, die z.B. in Institutionen der Jugendhilfe arbeiten. So auf Seite 33: kategorischen Sätze kenne ich aus meiner eigenen katholischen Sozialisa- Zitat Drewermann aus dem Buch „Kieriker“, „daß ein Kleriker, wo immer tion. Sie waren meist alternativlos. Der Eindruck verstärkt sich: es geht er auftaucht, ( . . . . ) allein durch den Status der Klerikerrolle (...) in e i n e nicht um Analyse, eher um einen Kreuzzug, in den ich mich einzureihen absolut vorrangige Bedeutung gerät“. Zitat Bittler: „und d i e s natürlich um habe. Meine Skepsis gegenüber diesem Buch war gewachsen. Sie begleite- so mehr, wenn er — und sei es an durchaus untergeordneter Stelle — den te mich selektiv beim Lesen und Durcharbeiten. Träger des Hauses (und d . h . die eigentliche M a c h t ) repräsentiert“. D a n a c h Das vorliegende Buch ist eine Aufsatzsammlung. A. Bittler verfaßte den geht es n i c h t weiter. Interessant wäre es z u erfahren, was in der Mitarbei- Artikel: „Vertrocknete Zisternen oder: vom Innenleben Schwarzer Hilfe“, terschaft einer solchen Einrichtung geschieht, welche Infrastruktur die Uta-Maria Heim schreibt über „Ich meine, im Bett ersticken zu müssen. Mitarbeiter s i c h schaffen, w e l c h e Auswirkungen dieses Phänomen auf d i e Eine Auseinandersetzung mit dem Arbeitgeber Kirche“, Stefanie David: A r b e i t mit den K l i e n t e n hat. „Jahre im Kloster oder: Verkümmern unter dem Deckmantel der Frömmig- Oder auf Seite 35: Eine Erzieherin beschreibt die Beziehung zur Leiterin keit“, und Helga Schauer-Seidensticker „Getünchte Grabmäler und Toten- des Hauses (Ordensfrau), sie fühle sich wie in Watte, die Autorität s e i gebein oder: Erfahrungen mit der krankmachenden Doppelmoral in der allgegenwärtig, aber nicht z u fassen, sie h a b e ständig das Gefühl im katholischen Kirche“. Die Titel klingen dramatisch, die benutzten Bilder Unrecht zu sein, oder erlebe sich oft als Kind mit dem ambivalenten sind drastisch, von existentiellen Bedrohungen begleitet. Meine Phantasie, Wunsch s i c h anzuvertrauen, aber genau das auch als Bedrohung der hier werde zum Kreuzzug geblasen, erhält weitere Nahrung. Gefühls- Selbständigkeit z u erleben. Diese Schilderung erlebe ich als Schuldzuwei- mäßige Betroffenheit, Entrüstung sind eigentlich die Konsequenz auf sung gegenüber der Leiterin, der institutionelle P r o z e ß wird nicht analysiert solche Ankündigungen, es sei denn, man hat schon vorher einen Wider- b z w . die Autoritätsproblematik der Erzieherin, und die wechselseitige stand. Interaktion und Beziehung wird n i c h t beschrieben. Die eingehende Besprechung aller Artikel möchte ich hier nicht vor- Die Befunde Drewermanns scheinen a l l e s zu e r k l ä r e n , w e i t e r darüber nehmen. Ich möchte eher meinen Eindruck beschreiben: Ich bin zum Teil hinaus wird n i c h t analysiert. Daß die Kirchen einiges davon verstehen, mit bewegt von den menschlichen Schicksalen, bei weniger gut verlaufener Macht umzugehen, ist nicht n e u . Auf die F r a g e , wie s i c h d i e s im sozialen eigener Biographie hätte der eine oder andere Weg auch meiner sein Hiüfs- und Arbeitsprozeß niederschlägt, g i b t es keine Antwort. Nur d i e können. Die Analyse der Vorgänge ist zu kurz gegriffen, die „Schuldigen“ Befindlichkeit der Ordensfrauen und einiger Erzieher/innen wird beschrie- stehen bereits vorab schon fest. Mein Verstand ist nicht gefragt, eher b e n . Es b l e i b t aber auf der individuellen Ebene. Daß Kollusion bzw. meine Solidarität bzw. meine Position dazu, wie die Autoren schon, wie Spannungen zwischen Arbeitnehmern/Arbeitnehmerinnen und dem bevor- oben zitiert, im Vorwort deutlich machten. zugten Arbeitsfeld bestehen, ist eigentlich auch nichts Neues: s o zum Schon an dieser Stelle bearbeite ich ungern dieses Buch weiter für die Beispiel auch zwischen dem Arbeitsfeld Supervision und den d a r i n han- Rezension. Im weiteren möchte ich exemplarisch auf zwei Artikel näher delnden Personen, An dieser S t e l t e läßt A. Bittler den Leser stehen. eingehen: zuerst auf den Artikel von A.Bittler: „Vertrocknete Zisternen“ Hatte ich an dieser S t e l l e sehr deutlich den Eindruck, zu einem Kreuz- und danach auf H. Fischedicks: „Die Angst vor dem Spiegel. Zum Verhält- zug bewegt werden zu sollen und Widerstand dagegen zu spüren, war ich nis von Kirche und Psychoanalyse“. Bittler schreibt, daß er bewußt sub- nun zwar wenig geneigt, a b e r dennoch gespannt auf den Beitrag Fische- jektiv vorgehe, der Leser könne dann entscheiden, ob die Darstellung dicks „Zum Verhältnis von K i r c h e und Psychoanalyse“. Herbert Fischedick seinen Erfahrungen entspricht. Methodisch soll so vorgegangen werden, nennt seinen Artikel „Die Angst vor dem Spiegel. Zum Verhältnis von „daß die einzelnen als besonders relevant für unsere Thematik erachteten Kirche und Psychoanalyse“. Kirche versucht, so s e i n e Position, die Psy- Befunde Drewermanns daraufhin untersucht werden, was sie jeweils für choanalyse als Hilfswissenschaft für die Theologie zu nutzen. Sie s i e h t in die in Rede stehende Personengruppe (Kinder, Angehörige, Erzieher) ihr die Möglichkeit, den Menschen besser zu verstehen. Ähnlich ist die ForumForum SupervisionSupervision -- www.beratungundsupervision.dewwW.beratungundsupervision.de 120 Rezensionen Rezensionen 121

Kirche auch mit der Philosophie oder mit anderen Humanwissenschaften U. Gintzel, E. Jordan, D. Kreft, I. Mielenz, J. Münder, R. Schone, G. Trauer- umgegangen. Vom Selbstverständnis her muß sie genau so verfahren. nicht (Arsg.): Jahrbuch der Sozialen Arbeit 1997, Münster, Votum Verlag, Seine Kritik ist, daß Kirche sich aber niemals selbst auf die Couch gelegt 204 Seiten, DM 34,80. hat, um ihre Gewordenheit und ihre Bedingungen zu erforschen. Dieser Gedanke ist der Wunsch, der diesen Artikel steuert, denn im weiteren Auchwenn es fürdie Supervision wichtig ist, stetig nach neuen Möglich- werden die Ängste und Probleme der Kirche und ihrer Amtsträger mit der keiten im Beschäftigungsmarkt zu suchen, ist der Blick auf das „Mutter- Psychoanalyse und gegenüber der Psychoanalyse in Thesenform beschrie- land“ der Supervision, der Sozialarbeit nicht zu vernachlässigen. Dieser ben. Blick wird uns u.a. durch das Jahrbuch der Sozialen Arbeit, ermöglicht. Freud habe herausgefunden, daß der Mensch nicht einmal Herr in Die 0. g., fachlich anerkannte Herausgebergruppe muß sich freilich nach seinem eigenen Hause sei und viele Schwierigkeiten und Probleme des ihren Motiven befragen lassen, wenn sie in bewußter Anknüpfung an die Menschen aus dem Unbewußten entstünden. Damit gerate die Psychoana- Tradition der Jahrbücher der Sozialarbeit aus den 70er Jahren (Hrsg.: Iyse in Konflikt mit der Moral, die darauf bestehen müsse, daß der Mensch Barabas, Blanke, Sachße, Stascheit) ab 1997 wieder Jahrbücher herausge- „frei ist, wenn sie ihm sein Handeln als Sünde anrechnen will“ (S. 21). Die ben will. In ihrem Vorwort geben die Herausgeber ihre politische Visiten- unbewußte Dynamik im Menschen setzt Fischedick bewußt gegen die karte ab, indem sie angesichts der immer weiter auseinanderlaufenden Moral ab, die nach seiner Meinung den freien Menschen voraussetzt. Schere zwischen Arm und Reich das Bekenntnis zur solidarischen Gesell- Dieser Gegensatz läßt sich nicht so leicht nachvollziehen, es sei denn, die schaft entgegensetzen, „die um Ausgleich bemüht ist und hierzu ein funk- Psychoanalyse und die Erkenntnisse über das Unbewußte werden als tionierendes Sozialleistungssystem erhält und weiterentwickelt, mit dem sie Abwehr eingesetzt. gesellschaftliche Ungleichheiten mildert und Menschen in materiellen und Angst vor dem Verlust des eigenen Haltes und der eigenen Sicherheiten sozialen Krisen Beratung, Hilfe und Unterstützung zu deren Überwindung bestimmten ebenfalls das Festhalten an Glaubenswahrheiten und die anbietet“ ($.8.). Dogmatisierung von Glaubensinhalten durch Instanzen der Kirche. Eben- Mich mit diesem Jahrbuch zu beschäftigen ist reizvoll und riskant — falls gebe es eine Abwehr gegen die Aufarbeitung der eigenen Geschichte, gehört doch einerseits die Herausgebergruppe zu meinen (fach)-politischen die vieles enthüllen und in Frage stellen würde. Die Integration des Unbe- Weggefährten, andererseits bekomme ich durch meine Arbeit im Profit- wußten bedeute auch eine Korrektur einer einseitig rationalen Lebensauf- Bereich immer auch die „andere Seite“ mit, d.h. die „Seite“, die, aus einer fassung. Perspektive heraus, z.B. für die Vernichtung von Arbeitsplätzen verant- Der Dialog mit der Psychoanalyse bedeutet so viel Unwägbarkeiten und wortlich gemacht wirdoder — so die andere Position — sich fürdie Über- Probleme, so die Ansicht Fischedicks, daß er auch in den nächsten Jahren lebensfähigkeit von Unternehmen einsetzt. trotz sinkender Mitgliederzahlen und Priestermangels nicht stattfinden Absicht des Jahrbuches sei es nicht, so die Herausgeber, „rückwärtisge- werde. wandte, längst verlorene Abwehrschlachten neu zu beleben, sondern Hinter allem ist immer wieder deutlich spürbar der Wunsch nach Bausteine dafür zu liefern, daß die Soziale Arbeit durch eine Repolitisie- Veränderung der real existierenden Kirche und die Sehnsucht nach einer rung sozialer Probleme bei einer gleichwertigen Qualifizierung der sozialen annehmenden Kirche. Auch da fehlt eine breitere Analyse, welcheSchwie- Praxis wieder eine stärkere Gestaltungsmacht bekommt und an einer rigkeiten haben Gemeindemitglieder mit der Kirche bzw. welchen Wider- gesellschaftlichen Perspektiventwicklung mitarbeitet“ (S. 10f.). stand haben sie gegen eine neue, nun tiefenpsychologisch aufgeklärte, Die Beiträge in dem Jahrbuch 1997 sind nach 3 Schwerpunkten geglie- Kirche. So nah mir auch einige Gedanken sind, so sehr schmeckt die dert: 1. Sozialpolitik und Sozialstaatsdebatte, 2. Jugendhilfe — Hilfe zur Richtung nach einer neuen aufgeklärten Glückseligkeit. Auch dann bleibt Erziehung, 3. Jugendhilfe in Ostdeutschland. eine Realität draußen. Grundlage der Sozialstaatsdebatte im Jahrbuch 1997 sind zwei Beiträge Das vorliegende Buch hat Widerstand erzeugtund mich fachlich nicht von Johanno Strasser. Dabei ist es für ein Jahrbuch ungewöhnlich, daß der überzeugt. erste Beitrag von Strasser: „Grenzen des Sozialstaats oder Grenzen kom- Theo Niederschmid pensatorischer Sozialpolitik?“ aus dem Jahrbuch 1977 stammt. Von den Herausgebern wird dasmit der Aktualität des damaligen Beitrags von ForumForum SupervisionSupervision -- www.beratungundsupervision.de 122 Rezensionen Rezensionen 123

Strasser legitimiert, als jemand, der schon früh die Zeiten der Zeit erkannt gen Vorsitzenden der IG Bergbau, zitiert, der als Achillesferse sozialde- hätte, was dann ja wohl auch rechtfertigt, daß ein weiterer Beitrag von mokratischer Sozialpolitik formuliert, „Wirtschaftswachstum ist eine Strasser: „Entläßt der Sozialstaat seine Kinder? Grenzen gesellschaftlicher unerläßliche Grundvoraussetzung der Sozialpolitik“ (S. 36). Daraus folgert Solidarität“ aus dem Jahrbuch 1996 abgedruckt wird. Strasser: „Wenn dies richtig ist, so müßte eine länger anhaltende Störung Mich interessiert an dieser Debatte und damit an den Beiträgen von des ökonomischen Wachstumsprozesses unweigerlich den Abbau von Strasser auch die grundsätzliche Haltung der SupervisorInnen. Wir sind ja Sozialleistungen zur Folge haben“ (S. 36). Dies ist Realität in Deutschland durch unsere permanente Präsenz im sozialen Feld geradezu herausgefor- 1997. Gleichzeitig war 1977 Realität und ist es nach wie vor, daß die dert, uns zu positionieren. Sind wir beobachtende Zaungäste oder Anwälte Finanzprobleme Ausdruck „enorm gestiegener Belastungen durch Arbeits- der Unterprivilegierten, die ihre schwache Stimme, durch uns verstärkt, in | losigkeit, Kostenexplosion im Gesundheitswesen, Verschlechterung des \ die öffentliche Diskussion einbringen könnten oder definieren wir uns auf Verhältnisses von Aktivbevölkerung zu Rentnern, etc. und gleichzeitig der geselischafts- und sozialpolitischen Ebene auch so, wie wir uns sonst | geringere Steuereinnahmen aufgrund der ökonomischen Krise ($. 39) sind. Nach soviel bekannter Analyse interessieren die 1977 von Strasser verstehen, nämlich Aufklärung zu leisten, blinde Flecken aufzuhellen und \ bei der Realisierung tragfähiger Lösungen mitzuhelfen. In dem Beitrag des angedachten „Wege aus der Krise der herkömmlichen Sozialpolitik“. ehemaligen Jusos Johanno Strasser aus dem Jahre 1977 fällt die beklem- Strasser schlägt eine „Akzentverlagerung von der kompensatorischen zur mende Aktualität ungelöster Probleme auf, wenn er schreibt, „die in den vorbeugenden Sozialpolitik“ (S.45) vor, die im Ergebnis schlagwortartig letzten Jahren immer deutlicher zutagegetretenen Finanzierungsschwierig- bleiben: keiten im System der sozialen Sicherung (...H. W.), die unter Bedingungen — Bekämpfung der Ursachen sozialer Mißstände anhaltender ökonomischer Wachstumsschwierigkeiten und hoher Arbeits- — umfassende Gesellschaftspolitik unter sozialen Gesichtspunkten losigkeit eher noch zunehmen dürften“ (S.23). Dem heutigen Betrachter — statt individuellem Verständnis, Berücksichtigung problemträchtiger wird deutlich, daß weder die damals regierende SPD/FDP Koalition noch . Lebenslagen. die dann folgende CDU/FDP Regierung diese Entwicklung aufhalten, Auchwenn Strasser moralisch legitimiert ist, so muten die aufder politi- geschweige denn, verhindern konnten. schen Handlungsebene gemachten Vorschläge wie „Durchsetzung einer . Strasser sah 1977 den Sozialstaat insbesondere durch die CDU, die FDP 5 autonomen Vollbeschäftigungspolitik“, „Bekämpfung der krankmachenden und die Arbeitgeberverbände, sowie die „linken Antireformisten“ gefähr- Faktoren im Arbeits- und Wohnbereich“, „Vorrang der präventiven Medi- det. Während die letztere Gruppe keine politische Bedeutung mehr hat, zin“, „Erweiterung der Mitbestimmungsrechte“ und „vermehrte direkte fällt aus heutiger Sicht eine zunehmende Differenzierung in der inhaltli- lenkende Eingriffe in die Wirtschaftsabläufe“ 20 Jahre danach zwar lobens- chen Position im „progressiven“ Lager auf (als Beispiel: Schröder — SPD, wert, aber auch antiquiert an. Wie reflektiert nun Strasserim Jahre 1996 Schulte - DGB, Metzger — Grüne), die nach einem möglichen Regierungs- seine damaligen Erkenntnisse? Resigniert stellt er zuerst fest: „Heute haben wechsel sich m. E. noch verschärfen werden. Interessant finde ich, wie sich wir eine ganz andere Standortdebatte, in der jene sozialstaatlichen Errun- die damalige Kritik am Sozialstaat in der aktuellen Debatte „verschoben“ genschaften eigentlich nur noch als lästige Behinderung vorkommen und hat. Daß das Ziel einer gerechten Sozialordnung erreicht ist oder daß der es nur noch darum zu gehen scheint, möglichst viel davon loszuwerden, Ausbau des Sozialstaates die personale Freiheit eingeschränkt hat oder gar, damit man auf den Weltmärkten bestehen kann“ (S.59). Dann führt daß der Sozialstaat sozialdemokratischer Prägung neue Benachteiligungen Strasser einige politische Faktoren an, die ichfür bedenkenswert halte: geschaffen hat wird heute im „rechten“ Lager nicht mehr ernsthaft behaup- — Die inzwischen erreichte Zustimmung zur Demokratie in Deutschland ist tet. Die Kritik der „rechten Antireformisten“ (Strasser) konzentriert sich in für Strasser nur zu erhalten, wenn auch der Sozialstaat erhalten bleibt. meiner Wahrnehmung darauf, daß durch den Ausbau des Sozialstaates die — Die Verteilung des Privatvermögens (10% der Bevölkerung besitzen Leistungsbereitschaft des einzelnen gefährdet ist (mißbräuchliche Inan- 50% des gesamtem Privatvermögens) ist äußerst ungerecht verteilt. spruchnahme von Sozialleistungen und zu geringe Diskrepanz zwischen — Die anwachsende Arbeitslosigkeit ist der wesentliche Grund für die Sozialhilfe und untere Einkommensklassen) und die zunehmende Schwie- Instabilität des sozialen Sicherungssystem. rigkeit des Staates, Sozialleistungen zu finanzieren. Der letztgenannten — Auf der wirtschaftspolitischen Ebene werden wichtige Innovationsent- Kritik stimmt Strasser schon 1977 zu, wenn er Walter Arendt, den damali- wicklungen, wie z.B. Solarenergie, verschlafen. 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— Die Globalisierung, die Strasser zwar für eine Realität hält, eine Realität Was das im Fazit für die institutionalisierte Jugendhilfe bedeutet, bleibt aber, die z.B. für die Gewerkschaften eine Schwächung ihrer Gegen- bei Schrapper sehr allgemein: „Die oft riesigen und überfordernden Span- machtkontrolle bedeutet. nungen zwischen diesen Polen zu erkennen, auszuhalten und für das Kind Nach dieser Analyse bedrückender Realitäten stellt Strasser die verständli- oder den Jugendlichen produktiver zu gestalten, darin liegt eine der zen- che Frage: „Welche Chancen haben wir?“ und antwortet zum einem mit tralen pädagogischen und persönlichen Herausforderungen bei der kon- der „strategischen Option Europa“ (S.64) und mit der Forderung nach kreten Gestaltung der Hilfen zur Erziehung in der Risikogesellschaft“ einem Minimum an intelligenter Regulierung der Weltmächte, der Kapital- (8.134). märkte, der Geldmärkte, der Warenmärkte“ (S.64). Im Gegensatz zum Im weiteren diskutiert Schrapper das Kinder- und Jugendhilfegesetz als Aufsatz von 1977 führt auch Strasser den Begriff des „Umbaus des Leistungsgesetz, das die Personensorgeberechtigten und die Kinder und Sozialstaates“ ein. Was heißt das nun in der Perspektive von J. Strasser. Jugendlichen als Leistungsberechtigte und nicht als Hilfeempfänger defi- Zuerst einmal spricht sich Strasser wenig spektakulär für eine Kürzung der niert, einer rechtsstaatlichen Entscheidungsprozedur unterliegt und sich den Erwerbsarbeit aus, um dann als Kompensation für den Einkommensverlust Mitwirkungs-, Beteiligungs- und Wahlrechten der Betroffenen und der eine Beteiligung an Produktionsvermögen ins Auge zu fassen. Ich halte kollektiven Kooperation, Beratung und Kontrolle der beteiligten Fachkräfte das für eine interessante Perspektive, die zwar immer wieder in der politi- unterziehen muß. Darin liegen, wie ich aus der supervisorischen Praxis schen Diskussion auftaucht, die es aber verdient hätte, daß die Politik sich bestätigen kann, viele Überforderungen für alle beteiligten Gruppen. An ernsthafter damit beschäftigt. dieser Stelle hätte es spannend werden können, nämlich dann, wenn Desweiteren spricht sich Strasser für eine Veränderung des Generations- Schrapper sich in die Praxis der Jugendhilfe hineinbegeben und z.B. be- vertrags zugunsten der Jüngeren aus, gegen den Effizienzbegriff ä la schrieben hätte, wie die Probleme bei der Beteiligung der Betroffenen und McKinsey in bezug auf die sozialen Dienste bei gleichzeitiger Forderung bei den Hilfeplangesprächen tatsächlich aussehen. Ähnliches gibt es auch nach Effizienzsteigerung angesichts der Delegitimierung sozialstaatlicher für andere Leistungskontrakte, wie z.B. den Jugendhilfeplan. Einrichtungen, für eine Kultur der Solidarität und den Erhalt von Werten. In den dann von Schrapper vorgestellten Aspekten zur Ausgestaltung An dieser Stelle finde ich die Ausführungen wenig originell — all dies der Jugendhilfe kommt der Aushandlung von Hilfebedarfen und Leistun- wird in der Diskussion um Sozialpolitik und Sozialleistungen immer gen eine besondere Bedeutung zu. Das das KIHG bestimmende Aus- und wieder postuliert, dabei aber die von Arendt formulierte„Achillesferse“, Verhandlungsparadigma wird wie Schapper formuliert „zu einer harten der Zusammenhang von Wirtschaftspolitik und Sozialpolitik, in der Lö- Konfrontation für diejenigen, die sich in ihrer pädagogischen oder psycho- sungsbearbeitung ausgeklammert. logischen Professionalität vorrangig als ExpertInnen für das Erkennen und Nach den eher programmatischen Aufsätzen von Strasser hat mich dann Bestimmen von Lebenssituationen machen“ (S.143). der Beitragvon C.Schrapper: „Zwischen Risikogesellschaft, Sozial- Insgesamt ist Schrapper, auch in der Anbindung dieser mehr theoreti- (Dienst)-Leistungs- und Verwaltungsmodernisierung? Anforderungen an schen Ausführungen an die Heimerziehungspraxis der SOS Kinderdörfer, eine zeitgemäße Heimerziehung“ interessiert, der ursprünglich vom Ver- ein guter Beitrag gelungen — in einem Jahrbuch, dessen regelmäßiger fasser als Vortrag bei der Vereinskonferenz des SOS Kinderdorfs gehalten Bezug auch für Supervisoren und Supervisorinnen lohnend sein kann. wurde. Im ersten Teil dieses Aufsatzes faßt Schrapper prägnant gesell- schaftliche Entwicklungen zusammen, die in den 90er Jahren — so Schrap- Harald Wirbals per— die Jugendhilfe herausfordern. Ausgehend von den Kategorien des Soziologen Ulrich Beck, der fürdie Individuen in der Risikogesellschaft zwei gegensätzliche Anforderungen diagnostiziert: Zum einen die „Plurali- sierung der Lebenswege“ und zum anderen die „Individualisierung der Verantwortung für den eigenen Weg“, was für Kinder und Jugendliche — so Schrapper — positiv bedeutet, „die Möglichkeit, entscheiden zu können ebenso wie die Notwendigkeit, sich entscheiden zu müssen, ist zum selbstverständlichen Horizont junger Menschen geworden“ (S. 132). ForumForum SupervisionSupervision -- www.beratungundsupervision.de 126 127

AutorInnen Vorschau

Mario Erdheim, Priv. Doz., Dr.phil, geb. 1940 in Quito (Ecuador), wuchs in FoRuM Supervision Zürich auf. Studium der Ethnologie, Geschichte und Psychologie in Wien, Basel und Madrid. Befaßt sich als Ethnopsychoanalytiker insbesondere mit dem Unbe- Heft 12 — Oktober 1998 wußten in der Kultur. 1982 veröffentlichte er das Buch „Die gesellschaftliche Produktion von Unbewußtheit“, 1988 „Psychoanalyse und Unbewußtheit in der Supervision als selbstreflexive Institution Kultur“. Neben seiner Praxis als Psychoanalytiker in Zürich arbeitet er als Privat- dozent an der Universität Frankfurt am Main. Redaktion: Angelica Lehmenkühler-Leuschner, Jg. 1950, Dipl.-Psychologin, Supervisorin Klaus-Peter Krahl und Gerhard Wittenberger (DGSv) und Psychotherapeutin in freier Praxis, Dozentin in der Supervisoren- ausbildung und Weiterbildung für SupervisorInnen beim Fortbildungsinstitut für Supervision, Münster e. V., Lehrsupervisorin und Balintgruppenleiterin. Studium Adrian Gärtner: Supervision und Organisationsanalyse — Einsprüche gegen der Germanistik, Textilgestaltung, Pädagogik und Psychologie. die vorschnelie Integration unterschiedlicher Beratungsmethoden

Franz Leinfelder, Jg. 1947, Freiberuflicher Supervisor (DGSv) in Wiesbaden, Fort- Katharina Gröning: Organisation als Kultur — zur soziologischen Begrün- bildungsdozent und Trainer für Gruppendynamik (Deutscher Arbeitskreis für dung psychoanalytischer Organisationsberatung Gruppenpsychotherapie und Gruppendynamik), Lehrsupervisor und Balintgruppen- leiter i. A., Vorstandsmitglied in der Deutschen Gesellschaft für Supervision. Robert Eckert: Supervision und Moral Gerhard Leuschner, Jg. 1936, Dipl. Sozialarbeiter, Trainer für Gruppendynamik Jürgen Hilleke: Institution und Supervision (DAGG), Supervisor (DGSv), Balintgruppenleiter, Leiter des FIS. Eike Schallehn-Melchert: Rollengebundene Abwehr — das psychoanalyti- Peter Musall, Jg. 1943, Theologe, Psychotherapeut, Supervisor (DGSv); seit 1977 sche Abwehrkonzept in der Supervision Dozent im Burckhardthaus mit den Schwerpunkten Supervision, Balintgruppen- arbeit, Traumarbeit und Dialog zwischen Theologie und Psychoanalyse; Grün- dungsmitglied der DGSv; Lehrsupervisor. Seit 1989 Direktor des Burckhardt- hauses, gesamtverantwortlich für die Arbeit in Gelnhausen und Berlin. Barbara Wiese, Dipl.-Psychologin (BDP), Psychoanalytikerin (DPV), Supervisorin (DGSv), Lehrsupervisorin (FIS), Balintgruppenleiterin für SupervisorInnen, lebt Heft 13 und arbeitet in Marburg/L. Unbewußtes in Institutionen Gerhard Wittenberger, Jg. 1941, Dr. phil., Dipl.-Supervisor (DGSv), Trainer für Gruppendynamik (DAGG), Psychoanalytiker (KPV/DPV, St. G.), Balintgruppen- Redaktion: Annemarie Bauer, Oberbadgasse 1, 69117 Heidelberg leiter. Wolfgang Schmidbauer, Ungererstr. 66, 80805 München Mechthild Zeul, Dipl. Psych., lebt als niedergelassene Psychoanalytikerin in Madrid und Frankfurt am Main. Sie ist Mitherausgeberin der Zeitschrift PSYCHE. Zahlreiche Veröffentlichungen auf dem Gebiet von Psychoanalyse und weiblicher Sexualität, Psychoanalyse und Film, zahlreiche psychoanalytische Fallgeschichten. Letzte Buchveröffentlichungen: Rückreise in die Vergangenheit. Zur Psycho- analyse spanischer Arbeitsremigrantinnen, Opladen 1985 (Westdeutscher Verlag) und „Carmen und. Co. Weiblichkeit und Sexualität im Film“, Stuttgart 1997 (Verlag Internationale Psychoanalyse/Klett-Cotta).

ForumForum SupervisionSupervision -- www.beratungundsupervision.de 128 LUZIFER-AMOR Veranstaltungen Zeitschrift zur Geschichte der Psychoanalyse

BURCKHARDTHAUS — 5., praxisbegleitendes Aufbauprogramm Heft 21: 1998-2002 Balintgruppenleitung. Geschichte der Gruppenanalyse Die Weiterbildung erstreckt sich auf einen Zeitraum von 4 Jahrenund ca. 160 Seiten - DM 36,- umfaßt Theorie-Praxis-Seminare, psychoanalytische Selbsterfahrung, regionale Balintgruppe und (Co-)Leitung einer eigenen Balintgruppe unter Die Geschichte der Gruppenanalyse beginnt in England mitten im Supervision. Zweiten Weltkrieg und ist mit den Namen von $. H. Foulkes und Wilfred R. Bion verbunden. Neben einem Rekurs auf den frühen Leitung: Peter Musall in Zusammenarbeit mit Bernd Böttger, Prof. Dr. Vorläufer F. Burrow und einer Vorstellung des Gruppentherapiemo- Adrian Gaertner, Dr. Rolf Klüwer, Prof. Dr. Jürgen Körner, Prof. Dr. Peter dells der Londoner Tavistock Clinic behandeln die meisten Beiträge Kutter, Prof. Dr. Cornelia Rappe-Giesecke, Prof. Dr. Ulrich Rosin und dieses Heftes die Entwicklungen und Anwendungen der Foul- andere. kes’schen Gruppenanalyse. Als Quellentext wird Foulkes’ Autobio- Einführung: 5.-6. November 1998. graphie erstmals in deutscher Übersetzung abgedruckt. Bitte fordern Sie den Sonderprospekt „Balintgruppenleitung“ an. Anfragen richten Sie bitte an: Peter Musall, Tel. 06051/89-239; Fax Beiträge von: 06051/89-200, Burckhardthaus, Ev. Institut für Jugend-, Kultur- und Sozialarbeit e. V., Herzbachweg 2, 63571 Gelnhausen. Hermann Argelander, Georg R. Gfäller, Ursula Haug, Michael Hayne, Liesel Hearst, Tony McCaffrey, Dieter Sandner, Alice Riccardi- von Platen, Hymie Wyse.

TOPS-Tage 1998: Veränderungsangst — Berater und ihre Kunden in Transformationsprozessen. 19.-21.Juni 1998 Berlin; Anmeldeschluß: 3. April 1998 TOPS Berlin. Wolfgang Loch Theorie und Praxis von Balint-Gruppen Gesammalta Aufn: 1. Wiener Symposium „Psychoanalyse und Körper“ 9.-12.7.1998, Wien. Veranstalter: WPS (Wiener Psychoanalytisches Seminar) und AKP (Ar- beitskreis für analytische körperbezogene Psychotherapie). Zielgruppen: Psychoanalytiker, Körperpsychotherapeuten, Psychotherapeu- D ten von ten, alle am Thema interessierten Personen. W“ 1, die er Organisation und Auskunft: DDr. Peter Geißler, A-1030 Wien, Kölblgasse in ut einer 5/8, Tel. 01/7985157; Fax 01/79851573, e-mail p.geissler @treangeli.at Ei Jeit mit Bi erender Ei Aspekt de r. 2. Internationaler Kongreß für Transaktionsanalyse: Einheit durch Vielfalt. 12.-15. August 1998 Zürich. Information und Anmeldung: Frau Eisenbach, Taunusstr. 60, D-61191 edition diskord Rosbach Schwärzlocher Str. 104/b - 72070 Tübingen Tel. 07071 / 40102 - Fax 07071 / 44710 ForumForum SupervisionSupervision -- www.beratungundsupervision.dewww eratungundsupervision.de