Kultur

OPER Vom Thron gestoßen Sie ist ein Weltstar – dennoch hat die Bayerische Staatsoper jetzt der Sopranistin den Gastvertrag fristlos gekündigt. Nun will die Sängerin ihre Gage einklagen: 275000 Mark. Der Eklat offenbart Stilmangel und Sittenverfall im modernen Musikbetrieb.

ie tritt nicht einfach auf, nein, sie tritt in Erscheinung. Wenn sie, etwa als SMarschallin im „Rosenkavalier“, in schweren Roben hereinrauscht oder mit hoheitlichen Gesten fürbaß schreitet, dann ist sie eine Diva von Welt und große Pri- madonna, dann steht sie da als First Lady: „Die Studer“, schwärmen dann ihre Fans, und die Adressatin ist damit in den Adels- stand der globalen Stimmstars geliftet. Daheim, in dem voralpinen Weiler Grafrath unweit des Ammersees, wo die Sopranistin Cheryl Studer, 43, zwischen Putten, Säulen und mächtigem Baumbe- stand eine hundertjährige Stilvilla ihr eigen nennt, hält sie nicht hof und inszeniert sich auch nicht. Ihr Anwesen gilt schlicht als standesgemäß, hier hat ein Weltstar sein privates Versteck. Die Diele steht voll Krempel von den Kids; in der Küche stapelt sich schöpferi- sches Chaos; draußen balanciert die Dame des Hauses auf wackligen Pumps über den regenglitschigen Wiesenhang, nur um den Hasen ihrer Kinder die Stalltür zu öffnen. Die Studer scheint ein Kumpel zu sein. Jedenfalls läßt sich dieser füllige Tem- peramentsbrocken aus Midland, Michigan, nicht anmerken, daß er, in einem Schnell- gang sondergleichen, längst alle ersten Adressen der Opernwelt und eine schlecht- hin unglaubliche Palette von Partien hinter sich hat: Mozarts „Figaro“-Gräfin und Ver- dis moribunde Traviata, die blutrünstige Salome und die holde , Wagners Elsa, Wagners Gutrune, Wagners Sieglinde, die Königin der Nacht und die lustige Witwe. Bei der Studer ist eher die Frage ange- bracht, was, wo und mit wem sie noch nicht gesungen hat. An der Met in New York war sie Gast, desgleichen an der Mailänder Scala, am Londoner Covent Garden und an der Wie- ner Staatsoper, im Pariser Châtelet, bei den Festspielen von Salzburg und . Unter den Dirigenten Bernstein und Solti hat sie gesungen, unter Giulini und Levine, Sawallisch, Sinopoli, Muti und Mehta, und die Regie-VIPs des heutigen Musiktheaters, von Luc Bondy über Herbert Wernicke bis Leander Haußmann, setzten sie in Szene. „Seit den Tagen von Lilli Lehmann und der jungen Callas“, bestaunte nicht ohne FOTOS: W. HÖSL W. FOTOS: * Mit Waltraud Meier als Amneris. Sopranstar Studer (r.) als Aida in München (1996)*: Menetekel überhört

276 der spiegel 45/1998 Grummeln der „Rheinische Merkur“ den war keine zuverlässige und dauerhafte Bes- den Gastspielvertrag fristlos zu kündigen“. Bienenfleiß der Sängerin, „hat es keine an- serung festzustellen.“ Der Intendant sah Inzwischen tobte hinter den Kulissen längst dere Sopranistin mit einem so umfang- wie ein Problem auf sich zukommen und in- ein regelrechter Opernkrieg. Studers Ehe- kontrastreichen Repertoire gegeben.“ formierte vorsorglich schon mal alle lei- mann und Manager, Erwin Schwarz, 38, Und nun das – abserviert, Rausschmiß; tenden Kräfte des Hauses. sprach, laut Jonas, „emotional höchst ge- Cheryl Studer, „der Studer“, hat man den Am Samstag, dem 10. Oktober, habe er laden“ in der Intendanz vor und wurde Laufpaß gegeben. Ausgerechnet in Mün- dann die ganze Probe besucht, an ver- dort „fast handgreiflich“. Wie die Bayeri- chen, wo „ich mich zu Hause fühle“, „nach schiedenen Orten im Hause zugehört und sche Staatsoper mit seiner Gattin um- nur 40 Autominuten auf der Bühne stehe“ sei schließlich zu der Überzeugung ge- springe, das sei „Mobbing“, „skandalös“ , und „schon über 20 Partien gesungen kommen: „Es ist was nicht in Ordnung.“ „unter der Würde eines Weltstars“. habe“, hat die Oper ihr den Thron vor die Jonas schenkte der Studer schließlich Und überhaupt: Die Sache mit den an- Tür gesetzt: fristlose Kündigung. Ein Pau- reinen Wein ein, die Diva zeigte sich geblich stimmtechnischen Problemen sei ken-, fast ein Donnerschlag im sonst so no- zunächst überrascht, fühlte sich „dann aber nur vorgeschoben. Der „Freischütz“-Regis- blen Metier von bon ton und Belcanto. richtig vor den Kopf gestoßen“: Die seur Thomas Langhoff habe die Studer wis- Am vergangenen Samstag, bei der Bayerische Staatsoper übergab die Rolle sen lassen, daß er sie von Anfang an nicht Neuinszenierung von Carl Maria von der Agathe an die – noch vergleichsweise als Agathe haben wollte, sie sei „der falsche Webers romantischem Dreiakter „Der namenlose – Studer-Kollegin Petra-Maria Typ“, „nicht deutsch genug“, „ihr Akzent“ Freischütz“, sollte ursprünglich die Studer Schnitzer, „ich mußte“, sagt Cheryl Studer, störe ihn – alles Behauptungen, die die die Partie der Agathe singen, jenes liebe „nach Hause gehen“. Staatsoper wiederum vehement bestreitet. FOTOS: ACTION PRESS ACTION FOTOS: Agathe-Darstellerin Schnitzer, „Freischütz“-Regisseur Langhoff, „Freischütz“-Dirigent Mehta: „Was nicht in Ordnung“

Ding aus dem Fundus deutsch-schwärme- Nun kam richtig Schwung ins Theater. Der Bühnenbildner Jürgen Rose habe rischer Frauengestalten, das meist in Trach- „Im Verlauf der Probenzeit“, ließen Inten- sie, eine nicht gerade zierliche Agathe, in ten, mit rosigen Wangen und blonden Zöp- dant Jonas und der Geschäftsführende ein „reichlich kleines Häuschen“ gestellt, fen dastehen muß und in dessen Partie Operndirektor Felber die Sopranistin per kritisiert die Sängerin, „in das ich kaum gleichwohl Tücken lauern, eine heikle Einschreiben und Eilboten wissen, habe reinpasse“. Auch da widerspricht Jonas: Höhenlage etwa und nicht ungefährliche „sich zu unser aller Bedauern gezeigt, daß „Quatsch, natürlich paßt sie rein.“ Spitzentöne. Eine gute Agathe singt je- Ihre derzeitige sängerische Verfassung“ den Jonas, beteuern Studer und Schwarz uni- denfalls keine aus dem Stand. „Anforderungen nicht gewachsen“ sei; sie sono, sei in der fraglichen Probe, nach de- Am 1. Juli 1996 hatte Cheryl Studer den zeige „vor allem in der Höhe schwere In- ren Besuch er sein negatives Urteil fällte, Vertrag unterschrieben, am 17. Juli die tonationsprobleme“, die „auch Ihre ge- gar nicht „groß anwesend“ gewesen, „je- Staatsoper gegengezeichnet. Die Verein- sanglichen Leistungen an weniger expo- denfalls nicht sichtbar“, und auf das Urteil barung: Proben ab 18. September 1998, nierten Stellen und nicht zuletzt auch die des „Freischütz“-Dirigenten , danach Premiere und sieben weitere Vor- darstellerische Interpretation“ belasteten. des neuen Generalmusikdirektors, geben stellungen. Probenhonorar: 75 000 Mark, Den Vorfall, beteuert Jonas heute, hätte die beiden ohnehin nicht viel: „Der war Abendgage achtmal 25000 Mark. Macht: er „lieber diskret behandelt“, schließlich doch fast nie da, sondern in Israel oder in 275 000 Mark, ein hübsches Sümmchen, sei „Frau Studer seit Jahren in dieses Haus China.“ Und außerdem habe der eine aber ganz nach Marktlage der Diva: Eine eingebunden“, und nur deshalb hätte sich „Psychophobie“ gegen die Primadonna. Studer singt halt nicht für Kleingeld. die Oper auch zu einem Kompromißvor- Mit Mehta, kein Zweifel, hat die Studer Kaum hatten die Proben begonnen, wol- schlag aufgerafft: Die angeblich indispo- seit 1993 eine Rechnung offen. Oder auch len die Verantwortlichen im Nationalthea- nierte Sopranistin sollte – bei halber Gage er mit ihr. Damals, Ende Oktober, hatte sie ter bei Studers Agathe befremdliche Ein- – auf die Ersatzbank gehen und nur dann sich in Wien „schlecht, down and out“ ge- trübungen und Schwächen der Goldkehle einspringen, wenn die Kollegin Schnitzer, fühlt, in dem von Mehta dirigierten Verdi- ausgemacht haben, vor allem in der soge- die neu engagierte Agathe, einmal nicht in „Troubadour“ die Spitzentöne vergeigt nannten Tessitura, dem Verlauf der Stimme Form sei. Da bei diesem Angebot auch das und „den größten Skandal meines Lebens“ bis in die gesanglichen Gipfellagen. ganze Probengeld ausgezahlt würde, käme über sich ergehen lassen müssen: Das Par- Es gab „ersten Alarm“, erinnert sich In- Frau Studer immer noch auf ihre Kosten, kett jaulte minutenlang, die Polizei mußte tendant Peter Jonas, „an sechs exponierten nämlich 175 000 Mark. anrücken, um die Randale zu dämpfen, die Stellen“ habe die Sängerin offenbar mit Doch für eine Stelle auf der Reserveliste „Neue Kronen-Zeitung“ spottete über das „Schwierigkeiten“ gekämpft. Die Studer war sich die erfolgsverwöhnte Sängerin zu „Debakel in der Opernruine“. wurde zu eigens arrangierten Repetitions- schade, sie lehnte ab. Am 22. Oktober sah Wiens Staatsopern-Direktor Ioan stunden gebeten. Ergebnis, laut Jonas: „Es sich die Oper deshalb „leider gezwungen, Holender schäumte: „Bedingt durch die

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Geburt ihrer Tochter, die damit verbun- Mag sein, aber dann vor allem ein Trau- dene Stillzeit“ und die harten Proben erspiel nach Art des Hauses, der Firma „In- sei die Primadonna überfordert gewesen; ternational Performing Artists Inc.“, zu der in der für das Jahresende 1993 angesetz- sich das Ehepaar Studer/Schwarz ge- ten Oper „Hoffmanns Erzählungen“ kön- schäftlich liiert und unter deren Signum es ne sie jedenfalls nach diesem Eklat nicht auf Teufel komm raus produziert hat. auftreten. „Eine chauvinistische Aussage“, Zwischen 1987 und 1994 hat die Studer giftete damals die junge Mutter zu- 28 Gesamtaufnahmen eingespielt, also rück, sie stille nicht mehr. Und mit Wien vier Stück pro Jahr, dazu Dutzende von sei sie fertig – was sie später prompt Highlights und Querschnitten und auch widerrief. noch zehn Opern-Videos. Ein diskogra- Daß Mehta ihr diese Wiener Blamage phisches Marathon ohne Beispiel, das den nicht vergessen hat, glaubt Cheryl Studer Markt übersättigte und selbst Studer- spätestens seit dem Frühsommer letzten Freaks überforderte: Die Deutsche Gram- Jahres zu wissen. Da sollte sie nämlich in mophon zog sich zurück, die Produk- Florenz unter ihm die Ariadne von Richard tionsorgie brach ein, man konnte die Strauss singen. Doch schon kurz nach Pro- Studer nicht mehr hören, und sie war, zu- benbeginn entschied der Maestro: „So mindest auf CD, oft auch nicht mehr kann man nicht singen“, die Stimme sei hörenswert. „hin“ – ein hartes Urteil Nur: Die Agenten und mit weitreichenden Fol- die Intendanten überhören gen: Denn „merkwürdiger- derlei Menetekel. Sie set- weise“, so Studer-Mann zen weiter auf den Gla- Schwarz, habe „wenig spä- mour großer Namen und ter“ – Mehta war inzwi- dabei notfalls auch den Ruf schen Musikchef der Baye- ihrer Häuser und die Sym- rischen Staatsoper – „auch pathie ihres zahlenden Pu- der Münchner Intendant blikums aufs Spiel. Jonas die Verpflichtungen Schon zieht die Studer meiner Frau für Ariadne zum Beweis ihrer geläufi- annulliert“. gen Gurgel stolz die jüng- Alles nur Künstler- sten Verträge aus der Ta- knatsch und Kulissen- sche: Nächsten Sommer klatsch? Nichts als kindi- tritt sie als Senta wieder in sche Rangelei zwischen Bayreuths „Fliegendem Hol- nervösen Prinzipalen, jet- länder“ an, sechsmal wird

tenden Maestros und sin- M. WEBER W. sie an der New Yorker Met genden Sensibelchen, ein Primadonna Studer die Marschallin singen, und Heckmeck, das Ganze, von mit der Wiener Staatsoper beleidigten und beleidigenden Leber- geht sie, als Strauss-Ariadne, im nächsten würsten? Jahrtausend sogar auf Tournee nach Japan. Nicht nur. In der aktuellen Bataille Die aparteste Vorstellung gibt sie vorher der Münchner Musikszene zeigen sich allerdings noch in München – vor dem unübersehbar die Schattenseiten des Kadi. Denn da sich die Diva, trotz einge- modernen Opernbetriebs, dieser künst- standener Macken bei der Agathe („Am lerisch-kommerziellen Gemengelage aus Schluß der Proben hatte ich noch mit Luxusgehabe, Gagenwahn und Verschwen- zwei Tönen Schwierigkeiten“), derzeit „in dung. Bestform“ fühlt und alle Begründungen Daß Opernhäuser jene Stars, mit denen der Staatsoper für ihre fristlose Kündigung sie ihre Besetzungslisten so gerne zieren, als „fadenscheinig“ abtut, will sie ihre schon Jahre vor dem Auftritt engagieren volle Gage einklagen: „Ich bin nicht zum müssen, ist eine Farce: Sie buchen blanko. Wegwerfen.“ Denn Stimmbänder sind bekanntlich keine Während die Anwälte Briefe wechseln Fließbänder, sie können schneller ver- und die Studer sich in einem „Phoniatri- schleißen, die Qualität ihrer Produktion schen Befundbericht“ Normalität „der schwankt. Auch dafür ist die Studer ein stimmbildenden Organe“ attestieren läßt, warnendes Beispiel. steht die nächste Nummer schon auf dem Schon vor Jahren hat die angesehene Programm: Noch in dieser Spielzeit sollte Zeitschrift „Musical America“ den Gesang die Studer in Münchens „Fledermaus“ die der Diva mit der „perfekten menschlichen Rosalinde singen, Dirigent: Zubin Mehta. Imitation eines Synthesizers“ verglichen. Aber diese Konstellation hat sie sich be- Für den Stimmkritiker Jürgen Stein setzt reits abgeschminkt.Auf einem Spickzettel sich die Studer „völlig unnötigerweise dem notierte sie mögliche Ersatzpartien und Zwang aus, Töne anzubieten, die sie zwar setzte warnend hinzu: „Dabei nicht ver- erreicht, die aber über dem sicher erklin- gessen – nur ohne Mehta.“ Das ist eine fie- genden Ende ihrer Skala liegen“. Für die se Spitze gegen Münchens neuen Maestro „Welt“ hat sich die Diva schlicht „verant- – reichlich Nachschub für den dortigen wortungslos und kurzsichtig vokal ruiniert Opernkrieg. – eine Tragödie“. Klaus Umbach

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