www.tanznetz.de Das Spielzeitheft Nr. 5 2018 15€ + V e r s a n d

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1 VORWORT

SIEGESZUG DES TANZES

Die Fronten werden härter in der Welt, nicht nur in der Politik auch im Kultur- betrieb. Indifferenz, Inkompetenz und Intransparenz sowie unmoderierte Prozesse führen zu überflüssigen, die Kunst schädigenden und den Steuerzahler teuer kommen- tICkEtS den Schnellentscheidungen. So die Entlassung von Adolphe Binder beim Tanztheater Wuppertal Pina Bausch. Die politisch hochkochende Diskussion darüber, ob Stefanie JEtzt IM Carp die schottische Band „Young Fathers“, die „Boycott, Divestment, Sanctions“ gegen Israel unterstützt, zur Ruhrtriennale hätte einladen dürfen, führt hoffentlich voRvER- nicht zu ähnlich katastrophalen Konsequenzen. Populismus und lautes Geschrei von allen Seiten anstatt differenzierter Diskussionen, fundierter Denkarbeit und gut kAUf! recherchiertem Journalismus schaden der Kunst und ihrer Freiheit.

Umso glücklicher macht es, dass Nele Hertling in diesem Jahr den Deutschen Tanzpreis erhält. Eine Netzwerkerin für den zeitgenössischen Tanz, die seit vielen Jahrzehnten diese Kunstform voranbringt: Leise, konzentriert, bescheiden, mit hoher Sachkenntnis und feinem Gespür fördert sie Talente, Strukturen und Ideen, ohne auf Selbstmarketing und simple Botschaften in sozialen Medien zurückzugreifen. Ein Vor- bild für uns alle und ein Hoffnungsschimmer für den Tanz. Ebenso wie die aktuelle MeToo-Debatte, die auch die Ballett- und Tanzszene erreicht hat und hoffentlich lang- fristig zu neuen, gerechteren Machtstrukturen führt.

Wir feiern in diesem Sommer den 75. Geburtstag von Gert Weigelt, einem KINOSAISON Mann, der wie kein anderer tänzerische und fotografische Qualität zusammenbringt. 2018/19 Wir reflektieren die Rolle des Handlungsballetts im deutschen Stadttheater. lIVE t anznetz.de-KritikerInnen bewerten die Lage der großen Ballettkompanien THe ROyal BalleT THe ROyal OPeRa THe ROyal OPeRa im Lande. Wie immer fragen wir TanzexpertInnen nach den entscheidenden Tanz- MAYERLING PIQUE DAME fAUSt entwicklungen und –trends der vergangenen Saison. Nicht neu in der vergangenen KenneTH MacMillan PjOTR iljiTscH TscHaiKOWsKy cHaRles-FRançOis gOunOD Spielzeit, aber verstärkt sichtbar wurde der große Einfluss des (zeitgenössischen) mONTAG, 15. OKTOBER 2018 DIENSTAG, 22. JANUAR 2019 DIENSTAG, 30. ApRIl 2019 Tanzes auf das Theater und die Performance, die Spielpläne von Schauspielhäusern THe ROyal OPeRa THe ROyal OPeRa THe ROyal BalleT oder Theaterfestivals, auf Museen oder Kinofilme. Prominente VertreterInnen anderer DIE WALküRE LA tRAvIAtA WIthIN thE Kunstformen beantworten, warum das so ist. Auf den Siegeszug des Tanzes auch in RicHaRD WagneR giusePPe veRDi der kommenden Saison! SONNTAG, 28. OKTOBER 2018 mITTWOCH, 30. JANUAR 2019 GoLDEN hoUR / Nina Hümpel THe ROyal BalleT THe ROyal BalleT NEW SIDI LARBI LA BAYADèRE ChERkAoUI / nacH caRlOs acOsTa nacH MaRius PeTiPa DIENSTAG, 19. FEBRUAR 2019 fLIGht PAttERN DIENSTAG, 13. NOVEmBER 2018 / siDi laRBi cHeRKaOui / cRysTal PiTe THe ROyal BalleT THe ROyal OPeRa DONNERSTAG, 16. mAI 2019 DER NUSSkNACkER LA foRzA PeTeR WRigHT nacH leW iWanOW THe ROyal BalleT mONTAG, 3. DEZEmBER 2018 DEL DEStINo RoMEo UND JULIA (DIE MACht DES KenneTH MacMillan SChICkSALS) DIENSTAG, 11. JUNI 2019 giusePPe veRDi DIENSTAG, 2. ApRIl 2019

im verleih von Trafalgar Releasing in Kooperation mit:

Foto: ©ROH/Will Pearson, 2008. Design von (©ROH, 2018).

Das Spielzeitheft 2018 3

ROH-TANZNET-201x297.indd 1 27.07.18 13:49 nhalt RÜCKBLICK AUF DIE SPIELZEIT 2017/2018 06 i Beordert 08 Entschieden 10 Geehrt 13 Verabschiedet 17

UMBRÜCHE BEI DEN TANZKOMPANIEN 18

Das Staatsballett Berlin 20 Das Hamburg Ballett 26 Das Stuttgarter Ballett 30 Das Bayerische Staatsballett München 36 Das Tanztheater Wuppertal Pina Bausch 44 Das Ballett am Rhein Düsseldorf Duisburg 52 Das Semperoper Ballett Dresden 58

UMFRAGE ZUR SPIELZEIT 2017/2018 64

GERT WEIGELT WIRD 75 72

Die Schönheit menschlicher Körper 74 Weggefährten 86

DER SIEGESZUG DES TANZES 92

DAS HANDLUNGSBALLETT HEUTE 106

DIE METOO-DEBATTE 114

IMPRESSUM 123

Das Spielzeitheft 2018 5

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Nele Hertling © Inge Zimmermann i

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B I Noemi Lapzeson © Gregory Batardon A

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o Doris Uhlich © Peter Empl

l p Kathleen McNurney © Boris Bürgisser Nanine Linning © Annemone Taake Bridget Breiner © Sebastien Galtier Marco Goecke mit Marta Jaén © Marie-Laure Briane Meg Stuart © Edouard Jacquinet Beate Vollack © Oper Graz Adolphe Binder © Claudia Kempf

Das Spielzeitheft 2018 7 Ballett

BEORDERT

Der spanische Choreograf XAVIER LE ROY IVÁN PÉREZ erhält den Lehrstuhl für Angewandte REINER FEISTEL, Theaterwissenschaft in Gießen und beerbt übernimmt mit Beginn der Spielzeit 2018/2019 Heiner Goebbels, der nun bis Anfang der Spielzeit 2017/2018 die Künstlerische Leitung des emeritiert wird. Künstlerischer Leiter und Chefchoreograf neuen Dance Theatre Heidelberg. des Ballett Chemnitz, wechselt zur kommenden Saison 18 ans Theater Ulm. Ballettdirektor BEATE VOLLACK, MARCO GOECKE Xin Peng Wang derzeit Leiterin der Tanzkompanie am 19 Theater St. Gallen, wird zu Beginn der Spielzeit wird mit Beginn der Der Chefchoreograf und Opernintendanz von Laura Berman Premieren 2018/2019 Ballettdirektorin an der Oper Graz. Künstlerische Leiter des Balletts am Ihr Vertrag läuft vorerst bis zur an der Staatsoper Hannover Rhein Düsseldorf Duisburg, zur Spielzeit 2019/2020 Die göttliche Komödie I: INFERNO Saison 2022/2023. MARTIN SCHLÄPFER, Ballett von Xin Peng Wang neuer Ballettdirektor. Bis dahin wird er in den wechselt zur Saison 2020/2021 als Direktor Nach Dante Alighieri kommenden zwei Jahren als des Wiener Staatsballett an die Donau. Musik von Michael Gordon und Kate Moore Artist-in-Residence am Theaterhaus Uraufführung Sa, 03.11.2018 Der schweizerisch-kanadische Stuttgart für die Kompanie Gauthier Tänzer, Choreograf und Grafikdesigner Dance pro Spielzeit mindestens eine Visionen – Lee, Godani, Kuindersma KINSUN CHAN Uraufführung kreieren. Die Kanadierin Choreografien von Douglas Lee, DOMINIQUE DUMAIS Jacopo Godani und Wubkje Kuindersma übernimmt zur Spielzeit 2019/2020 die Nachfolge von Beate Vollack in St. Gallen. Sa, 09.03.2019 wird 2018 die neue Tanzdirektorin Er war hier bereits mehrmals als Nach sechs erfolgreichen Jahren am Mainfrankentheater in Würzburg. Bühnen- und Kostümbildner tätig. an der Spitze des Balletts im Revier Gelsenkirchen stellt sich die Wieder aufnahmen mehrfach ausgezeichnete Ballettdirektorin Schwanensee BRIDGET BREINER CARENA SCHLEWITT Ballett von Xin Peng Wang Unter Berücksichtigung der Choreografie von Seit Februar 2018 ist neuen Herausforderungen und wird ab der Spielzeit 2018/2019 wechselt zur Spielzeit 2019/2020 Marius Petipa | Musik von Peter Tschaikowsky INGO DIEHL Intendantin des Europäischen Zentrums ans Badische Staatstheater der Künste Hellerau in Dresden. (Neufassung 2012) neuer Präsident der Hessischen nach Karlsruhe. Zuvor war sie zehn Jahre Künstlerische Leiterin Fr, 07.12.2018 Theaterakademie in Frankfurt am Main der Kaserne Basel und wurde erst mit dem und tritt damit die Nachfolge von Heiner „Kulturpreis der Stadt Basel“ Alice Goebbels an, der die Institution zwölf Jahre lang als ausgezeichnet. Ballett von Mauro Bigonzetti Präsident geleitet hat. nach Lewis Carrols Alice´s Adventures in Wonderland Original- und Livemusik von Antongiulio Galeandro, Assurd und Enza Pagliara So, 28.04.2019

Extras Internationale Ballettgala XXVIII und XXIX Termine: Sa, 13.10. | So, 14.10.2018 Sa, 06.07. | So, 07.07.2019

Karten & Infos: 0231 / 50 27 222 www.theaterdo.de 8 9 ENTSCHIEDEN

BETTINA WAGNER-BERGELT Im Sommer 2018 endet Der Vertrag vom Aalto Ballett OHAD NAHARIN Der Haushaltsausschuss des Der 2019 auslaufende verlässt nach 27 Jahren als die Zusammenarbeit von Essen mit dem wird ab September 2018 Deutschen Bundestages bewilligt Vertrag mit Dramaturgin und später auch NANINE LINNING Ballettintendanten die Künstlerische Leitung der 1,87 Millionen Euro für JOHN NEUMEIER stellvertretende Ballettdirektorin BEN VAN CAUWENBERGH Batsheva Dance Company in DANCE ON 2. EDITION. mit dem Theater und als Ballettintendant und das Bayerische Staatsballett Tel Aviv an die frühere Orchester Heidelberg. wurde bis zur Spielzeit 2022/2023 Damit wird für weitere fünf Jahre Chefchoreograf des Hamburg in München. Sie wurde 1990 von Batsheva-Tänzerin, Gaga-Lehrerin Für ihre Choreografien in verlängert. Der Belgier kann der Fokus auf die künstlerische Ballett wurde bis 2023 verlängert. Konstanze Vernon engagiert, um und Trainingsleitung Gili Navot Heidelberg erhielt sie etliche bereits auf zehn erfolgreiche Exzellenz von TänzerInnen 40+ Hamburgs Ehrenbürger hat die das Zeitgenössische in den Spiel- übergeben. Naharin wird trotz- Auszeichnungen und Nominie- Jahre in Essen gerichtet. Posten seit 1973 inne und ist seit plan zu bringen und setzte sich dem weiter als Hauschoreograf rungen. Nanine Linning wird die zurückblicken. 1996 auch als Ballettintendant an außerdem stark für die kulturelle tätig sein. neue Tanzkuratorin der Festspiele der Staatsoper in Hamburg tätig. Bildung von Kinder und Ludwigshafen 2018 und 2019. Jugendlichen am Haus ein. ANTOINE JULLY,

Der Principal Dancer beim Ameri- Ballettdirektor und Chefchoreo- Die Künstlerische Leiterin der can Ballet Theatre, graf der BallettCompagnie Olden- JÖRG WEINÖHL, Der langjährige Leiter burg, verlängert seinen Vertrag Tanzsparte am Luzerner Theater, DANIIL SIMKIN, seit der Saison 2015/2016 des New York City Ballets, am Oldenburgischen Staatsthea- KATHLEEN MCNURNEY, wird 2018 Erster Solotänzer beim ter bis 2022. Ballettdirektor an der Oper Graz, PETER MARTINS, verlängert ihren Vertrag bis zur wird seinen Vertrag auf eigenen Staatsballett Berlin. verlässt im Frühjahr 2018 im Zuge Spielzeit 2020/2021. Wunsch nicht über das Ende der der Vorwürfe sexuellen Spielzeit 2017/2018 verlängern. Missbrauchs die Kompanie. DIE DANCE COMPANY THEATER OSNABRÜCK UND DIE KOMPANIE BEIJING DANCE/LDTX CHRISTOPHER ROMAN starten ab Ende Juli 2018 ein tritt als Künstlerischer Leiter des DANCE ON mehrjähriges Kooperationsprojekt. ENSEMBLES zurück. Die Künstlerische Gesamt- Im Sommer 2018 gastieren die TänzerInnen leitung obliegt nun Madeline Ritter, des Theaters Osnabrück in der chinesischen derGründerin und geschäftsführenden Metropole Beijing und anschließend Gesellschafterin von in der Millionenstadt Ningbo der DANCE ON. ostchinesischen Provinz Zhejiang.

10 11 ZAV-Künstlervermittlung Tanz Ihre Agentur für Tanz, Training und GEEHRT Choreografie Die ZAV-Künstlervermittlung Tanz ist Ansprechpartner für alle Theater und professionellen Tanzschaf- fenden. Wir vermitteln Ballett- und TanztheaterdirektorInnen, ChoreografInnen, TänzerInnen, Ballett- meisterInnen, Ballett-ManagerInnen, AssistentInnen, DramaturgInnen sowie Ballett-RepetitorInnen in Der Sächsische Tanzpreis wird Der Nestroy Spezialpreis Engagements an staatliche und städtische, freie und private Bühnen und Compagnien in Deutschland, 2017 zum zweiten Mal verliehen ED WUBBE, geht an Österreich, Dänemark, Schweden und der Schweiz und geht an das DORIS UHLICH seit 25 Jahren Künstlerischer BALLETT THEATER Leiter des Scapino Ballet und Juliane Rößler: +49 (0)40 284015-39 • [email protected] CHEMNITZ Rotterdam, wird mit dem MICHAEL TURINSKY Dirk Elwert: +49 (0)341 33731-141 • [email protected] für den zweiteiligen Abend niederländischen Golden Swan „Gesichter der Großstadt“ von Award ausgezeichnet. für ihre Arbeit „Ravemachine“, Reiner Feistel und Yiming Xu. Der Tanzpreis wird die gegen Ausgrenzung und für www.zav-kuenstlervermittlung.de Außerdem wird der an Personen vergeben, gesellschaftliche Solidarität steht. Ursula-Cain-Förderpreis für die die den niederländischen Tanz freie Szene an signifikant bereichern. THE GUTS COMPANY aus Dresden für „Das Eigene / HEIMAT“ verliehen. Beide Preise sind mit je 5.000 Euro „Wonderwomen“ von dotiert. MELANIE LANE Der zwölfte Theaterpreis DER FAUST geht in der Kategorie ist das Gewinnerstück des Choreografie an 13. Leipziger Bewegungskunst- preises. Darin wird versucht, MARIA CAMPOS & den weiblichen Körper neu zu GUY NADER entdecken, neu zu erfinden Der Tänzer und Choreograf für „Fall Seven Times“ am und neu zu behaupten. MIKHAIL BARYSHNIKOV Staatstheater Mainz. Die Tänzerin, Choreografin und (*1948) Schauspielerin erhält für sein Lebenswerk den SYLVANA SEDDIG Premium Imperiale International Arts Award. Mit diesem Preis gewinnt in der Kategorie zeichnet die Japan Art Darstellerin/Tanz. Association die Künste aus, die nicht Teil des Nobelpreises sind. Den DEUTSCHEN TANZPREIS Der Preis ist mit 15 Millionen Yen 2018 erhält die Dramaturgin und (132.000 Euro) dotiert. Tanz-Netzwerkerin NELE HERTLING, ANN-KATHRIN ADAM die nicht nur als Theaterinten- wird für ihre ausgereifte dantin und Festivalleiterin über Tanztechnik und besondere viele Jahrzehnte die Entwicklung Ausdruckskraft mit dem Förder- des zeitgenössischen Tanzes in SOPHIA LINDNER, preis für Darstellende Kunst der Deutschland geprägt hat. Studierende an der Fakultät Stadt Düsseldorf ausgezeichnet. für Gestaltung der Hochschule Seit der Spielzeit 2005/2006 Pforzheim, wird mit dem James gehört die an der John Cranko Dyson Award ausgezeichnet. Sie Schule in Stuttgart ausgebildete hat einen neuartigen Ballettspit- Tänzerin zum Ballettensemble der zenschuh entwickelt, der Verlet- Deutschen Oper am Rhein. LIGIA LEWIS zungen wie Bänder- und Muskel- faserrisse sowie Brüche im Fuß hat für ihr Stück „minor matter“ mindert. den Bessie Award in der Sparte Outstanding Production erhalten.

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SPIELZEIT 2018 Großes Haus 29.09.18 GLOBETROTTER (UA) Rosana Hribar und Jacek Przybyłowicz Musik von Alberto Ginastera und Darius Milhaud

02.02.19 Der Kunstpreis der Stadt Zürich Bei der fünften Ausgabe der Tanz- Die PreisträgerInnen des METROPOLIS – Futur Drei (UA) ist mit 50.000 Franken dotiert und plattform Bern wurde das 22. Internationalen Die Leiterin des Tarek Assam | Musik von 48nord (UA) wurde an die freischaffende Solo-Tanz-Theater Festival KOLLEKTIV KOR’SIA Choreographischen Zentrums Choreografin und Stuttgart sind: taT-studiobühne K3/Tanzplan Hamburg, Performancekünstlerin aus Spanien unter der Leitung von WEGERZÄHLUNGEN Mattia Russo und Antonio de Rosa KERSTIN EVERT, Choreografie Daniel Goldin ALEXANDRA BACHZETSIS mit dem Berner Tanzpreis für die ist mit dem Sonderpreis des 1. ANGEL DURAN MUNTADA 06.06.19 verliehen. Choreografie „The Lamb“ ausge- PERSONAL TRIGGER (UA) Hamburger Theaterpreises Rolf 2. LUKAS KARVELIS Tarek Assam zeichnet. Mares 2017 ausgezeichnet 3. ROBERTA FERRARA WAVES (UA) (WA) worden, der erstmals an den Tarek Assam zeitgenössischen Tanz geht. Tanz 1. FRANCESCA BEDIN AUFTAUCHER (UA) (WA) Henrietta Horn 2. KÉVIN COQUELARD Der US-amerikanische Choreograf Pfingsten 3. TONIA LATERZA TanzArt ostwest RICHARD SIEGAL FESTIVAL 2019 vom Ballet of Difference ist Die Choreografin Die Shimon-Peres-Preise werden vom italienischen Fachmagazin MEG STUART Danza&Danza zum Choreografen für zukunftsweisende deutsch- STADTTHEATER 2017 gekürt worden. erhält bei der Tanzbiennale in israelische Kooperationen Venedig den Goldenen Löwen für vergeben. GIESSEN ballettdirektor tarek assam ihr Lebenswerk. Einer ging 2017 an stadttheater-giessen.de Außerdem wird die Choreografin die Choreografinnen Das intendantin cathérine miville MARLENE MONTEIRO FREITAS YASMIN GODDER SEMPEROPER BALLETT DRESDEN mit einem Silbernen Löwen in der und Kategorie Tanz ausgezeichnet. ist mit dem Europäischen Seit 2005 setzt sich der deutsch- MONICA GILLETTE Kulturpreis Taurus ausgezeichnet tanz 131 x 101.indd 1 27.06.18 09:29 landweit vertretene „Club der für ihr interdisziplinäres worden, der Menschen und Optimisten“ mit Sitz in Hamburg Projekt „Störung/Ha-fra-ah“, Initiativen würdigt, die das für eine positivere und optimisti- bei dem TänzerInnen, Wissen- kulturelle Leben in Europa SPIELZEIT  |  schere Einstellung in Deutschland schaftlerInnen und an Parkinson maßgeblich beeinflussen. ein. Die rund 300 Mitglieder, dar- erkrankte Menschen aufeinander- unter bekannte Unternehmer und Die in Buenos Aires geborene treffen. PREMIEREN Persönlichkeiten des öffentlichen Choreografin, Pädagogin und Onegin John Cranko, 10.11.2018 Lebens, möchten gemeinsam zu Gründerin der Genfer Kompanie Rock Around Barock mehr Optimismus im Alltag anre- Vertical Danse, Ben Van Cauwenbergh, 27.4.2019 gen. In diesem Jahr kürten sie NOEMI LAPZESON, Queeny Unplugged Education-Projekt, JOHN NEUMEIER ALESSANDRO BORGHESANI, wird mit dem Schweizer Grand Ben Van Cauwenbergh, 26.6.2019 zum „Optimisten des Jahres“. Mitglied und Solotänzer Prix Tanz ausgezeichnet. DAVIT BASSÉNZ, des Ballettensembles am Theater WIEDERAUFNAHMEN Mitglied der Würzburger Ballett- Krefeld und Mönchengladbach, ist am 25. Mai mit dem Schwanensee | Tanzhommage an Queen kompanie, wurde mit dem mit 5.000 Euro dotierten Der Nussknacker | Cinderella | Don Quichotte Förderpreis des Theater- und Orchesterfördervereins des Joachim-Fontheim-Preis 2018 der Ballettintendant Ben Van Cauwenbergh Mainfranken Theaters Sparkassen-Kulturstiftung Krefeld ausgezeichnet. ausgezeichnet worden. Tickets T 02 01 81 22-200 Erstmals wurde der mit www.theater-essen.de Bei der 4. FEDORA-Preisverlei- 15.000 Euro dotierte Große hung gingen 100.000 Euro an die Kunstpreis des Landes Salzburg in kommende Forsythe-Kreation der Darstellenden Kunst vergeben und an die Choreografin „A QUIET EVENING OF DANCE“, EDITTA BRAUN die im Oktober 2018 Premiere am LISA PAVLOV, Sadler‘s Wells in London feiert. überreicht. Erste Solistin am Staatsballett Karlsruhe, ist am 19. Januar mit dem 5.000 Euro dotierten Young Star Ballet Award ausgezeichnet worden.

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ANNA KRZYSTEK,

eine der führenden Choreografinnen und Performerinnen Schottlands, kommt im November 2017 während ihrer Arbeit für das IETM in Brüssel durch einen tragischen Tramunfall ums Leben.

Am 15. November 2017 ist die Tänzerin, Choreografin und Ballettmeisterin SILVIA DOUTREVAL-HAEMMIG

im Alter von 77 Jahren in Bern verstorben.

NOEMI LAPZESON,

ehemalige Solistin der Martha Graham Company und Mitbegründerin der London Contemporary Dance School, stirbt am 11. Januar 2018 im Alter von 77 Jahren in ihrer Wahlheimat Genf.

Der bedeutende Tanzhistoriker IVOR FORBES GUEST

ist im Alter von 97 Jahren im April 2018 in London verstorben. Er beschäftigte sich eingehend mit der Tanzgeschichte zwischen 1750 und 1900.

Das Ausnahmetalent DONALD MCKAYLE

Verstirb im Alter von 87 Jahren 2018. McKayle arbeitete erfolgreich am Broadway und brachte als erster Afro-Amerikaner ein Broadwaymusical – „Raisin“ (1973) - auf die Bühne, das 1974 den Tony Award für das Beste Musical gewann.

Am 29. August 2017 stirbt JANINE CHARRAT

in Paris. Sie gehörte in den 1950er- und 1960er-Jahren zu den einflussreichsten Persönlichkeiten der französischen Tanzszene, war eine gefragte Choreografin und übernahm 1962 die Leitung des Genfer Balletts.

Am 31. August 2017 endet das Leben von TAMARA TCHINAROVA FINCH

mit 98 Jahren in Spanien. Sie war 1932 an der Gründung der Ballets Russes de Monte-Carlo beteiligt, der Nachfolgekompanie von Diaghilews Ballets russes.

Das Spielzeitheft 2018 17 umbrüche bei den tanzkompanien

Die deutsche Tanzlandschaft ist aktuell von zahlreichen Veränderungen und Umbrüchen geprägt. tanznetz.de fragt KorrespondentInnen vor Ort: „Wie sieht es aus bei den großen Tanzkompanien in Deutschland?“

BERLIN DRESDEN umbrüche beiDÜSSELDORF den DUISBURG HAMBURG MÜNCHEN STUTTGART WUPPERTAL tanzkompanie N

Das Spielzeitheft 2018 19 Das Spielzeitheft 2018 21 Topmodell oder Generalflop

ZUR SITUATION DES STAATSBALLETTS BERLIN

von Volkmar Draeger

Nimmt man die Historie der Vorgänger hin- Verschwendung von Geld, Material, Tänzer- zu, ist das Staatsballett Berlin nicht nur die größte, Innen oder nicht, die neue Leitung will eigene Duftmarken sondern auch eine der ältesten Kompanien in Deutsch- setzen und die unerfreulichen Querelen mit dem Vor- land. Zu größten Teilen ging sie aus dem Ballett der gänger vergessen. Auch die Staatliche Ballettschule Lindenoper hervor, das 1742 auf Anordnung von Berlin darf ihr seit Jahrzehnten angestammtes Haus, Preußens König Friedrich II. gegründet wurde. Im die Lindenoper, wieder für ihre Gala nutzen. Personell 15. Jahr ihres Bestehens geht die aus drei Ensembles ändert sich beim Staatsballett einiges: Duatos Ballett- formierte Über-Kompanie aus Berlin radikalen Ver- meister ziehen mit ihm ins Weite und machen Nach- änderungen entgegen. Denn nach der Ära Vladimir folgerInnen Platz. Drei internationale Principals füllen Malakhov und dem glücklosen Zwischenspiel von die ausgedünnte Riege der Ersten SolistInnen auf: vom Nacho Duato betritt ab der Spielzeit 2019/2020 eine Daniil Simkin; aus Oslo Yolanda Doppelspitze die Intendanz. Bis sich Sasha Waltz als Correa und aus München Alejandro Virelles, beide aus Überraschungskandidatin die Geschäfte mit Johannes Kuba und von künstlerisch außergewöhnlichem Format. Öhman teilt, wird der Schwede - nach Duatos vorzei- Ein halbes Dutzend TänzerInnen verlässt die Gruppe, tigem Rücktritt - eine Saison lang alleiniger Chef sein. 19 neue sind engagiert. Denn Waltz/Öhman haben viel Von seinem Vorgänger, der in vier Jahren außer ein paar vor. Sie erhöhen die Zahl der TänzerInnen von 83 auf Kurzstücken keine einzige abendfüllende Uraufführung 93, was Waltz ein eigenes kleines Ensemble für ihre zustandegebracht hat und mehr Phantom als nach au- jährliche Kreation ermöglicht - offen freilich auch für ßen wirkender Stratege war, bleibt nichts im Reper- die klassischen TänzerInnen des Ensembles. Auch an toire. Vielmehr kündigt Öhman in seinem Alleinvertre- die Strukturen möchte das Leitungsduo im Weiteren tungsjahr mehr Klassik an als erwartet. gehen, doch das ist noch Zukunftsmusik. So hat die Neuorientierung des Staatsballetts Berlin mit ihrem Alexei Ratmansky wird für die Staatsoper Spektrum von Ballett bis Avantgarde beide Chancen: als Spielstätte eine neue „Bayadère“ erarbeiten, Frank Topmodell oder Generalflop Andersen studiert für die Deutsche Oper „“ ein. An der Komischen Oper als drittem Spielort des Staatsballetts zeigen als Doppelprogramm Stijn Celis „Your Passion is Pure Joy to Me“ sowie Sharon Eyal und Gai Behar „Half Life“. Eine Uraufführung steuert auch Richard Siegel für die Staatsoper bei, ergänzt von Ba- lanchines „Theme and Variations“ und Forsythes „The second detail“. Dazu gesellen sich auch Reprtoirewer- ke: Patrice Barts „Schwanensee“, seit über 20 Jahren ein Publikumsmagnet; Crankos „Onegin“ und, in Wieder- aufnahme, sein „Romeo und Julia“. Er ersetzt den erst im April zur Premiere gebrachten und in nur wenigen Aufführungen gezeigten Duato-„Romeo“; eine Über- nahme seiner Madrider Fassung von 1998. Umstritten, Fotos: dennoch stets ausverkauft. Das gleiche Schicksal teilt S. 18/19: „Boson“ (2013) Duatos „Nussknacker“ aus St. Petersburg: Er weicht von Nadja Saidakova © Dieter Hartwig der noch unter Malakhov in Auftrag gegebenen Ballett- S. 20 - 22: „Der Nussknacker“ (2016) von Nacho Duato © Fernando Marcos Feerie von Vasily Medvedev und Yuri Burlakov, ganz im S. 24/25, oben: Schwanensee“ (1997) originalen Geiste einer geheimnisvollen Weihnacht und von Patrice Bart © Carlos Quezada S. 24/25, unten: „The Concert“ (1956) von sehr teuer in Szene gesetzt. Jerome Robbins © Dieter Hartwig

Das Spielzeitheft 2018 23 Das Spielzeitheft 2018 25 hamburg Unverwechselbare

Qualität

JOHN NEUMEIER UND SEIN HAMBURG BALLETT

von Annette Bopp

Die Bilanz der Spielzeit 2017/2018 beim Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob Hamburg Ballett kann sich wieder einmal sehen lassen: nicht gerade jetzt das auf dem Spiel steht, was die Rund 140.000 BesucherInnen sahen die 97 Vorstellun- unverwechselbare Qualität des Hamburg Ballett aus- gen, die Auslastung lag bei 90 Prozent und verbesserte macht: seine Seele – verkörpert in den großen, indivi- sich damit gegenüber dem Vorjahr um vier Prozent. duellen TänzerInnenpersönlichkeiten. Seit geraumer John Neumeiers jüngste Premiere „Beethoven-Projekt“ Zeit schon besetzt John Neumeier seine Stücke fast wurde Ende Juni vom Publikum ebenso stürmisch und nur noch mit den jungen TänzerInnen. Die älteren mit Standing Ovations bejubelt wie nahezu jede Vor- Ersten SolistInnen – vor allem , Carolina stellung. Vor allem aber der Ballettintendant selbst Aguero, Alexandre Riabko, Carsten Jung – sind selten während der Hamburger Ballett-Tage. zu sehen. Drastischstes Beispiel ist die „Matthäus- Passion“, in der die älteren Ersten SolistInnen inzwischen Also alles in Butter beim Hamburg Ballett? Ja überhaupt nicht mehr vorkommen. Dem Nachwuchs und nein. Es ist sicher immer noch etwas Besonderes und geht dabei etwas Wichtiges verloren: das Vorbild. Um auch etwas besonders Wertvolles, wenn ein so schaf- sich zu einer unverwechselbaren Tanzpersönlichkeit fensfreudiger Choreograf wie John Neumeier, der mit entwickeln zu können braucht es Beispiele, die auf der über 160 oft abendfüllenden Kreationen auf ein opu- Bühne zeigen, wie eine Rolle gestaltet und von innen lentes Werk zurückschauen kann, einem Haus so lange heraus ausgefüllt werden kann. Und zwar live, nicht aus die Treue hält (45 Jahre bisher!) und noch weiter halten der Konserve vom Video. wird. Sein Vertrag läuft bis 2023 – dann wird Neumeier 84 Jahre alt sein und das Hamburg Ballett 50 Jahre lang Neumeiers Ballette fordern diese indivi- geleitet haben; ein weltweit einzigartiger Rekord! Die duelle Präsentation. Sie leben davon, dass TänzerInnen Kompanie konnte und kann sich auf einer soliden und mit ihren Persönlichkeiten in ihnen aufgehen. Der Reiz zuverlässigen Basis entwickeln und hat sowohl tech- besteht auch darin, dass sie immer wieder von unter- nisch wie künstlerisch ein Niveau erreicht, das sich mit schiedlichen Charakteren präsentiert werden. „Anna allen führenden Ensembles auf der Welt messen kann. Karenina“ jedoch wird seit der Uraufführung am 2. Juli 2017 immer nur in der Premierenbesetzung gezeigt Die Fixierung des Publikums auf den Ham- – ein Novum und als solches nicht nachvollziehbar. burger Ballettintendanten und seine Kreationen hat Warum nicht Silvia Azzoni als Anna Karenina und Sascha jedoch eine Kehrseite: Es fehlt die Bereitschaft, sich auf Riabko als Wronski besetzen? Warum nicht auch mal etwas Neues und Anderes einzulassen. Ein so genialer Carolina Aguero die Marguerite in der „Kameliendame“ Ballettabend wie z.B. „Chopin Dances“ mit Choreo- anvertrauen? Gerade diese älteren TänzerInnen stehen grafien von Jerome Robbins ist nie ausverkauft – dabei im Zenit ihres Könnens und haben diesen noch lange zeigt sich gerade an diesem Programm, wie modern nicht überschritten. und elementar wichtig allein dieser Künstler für den Tanz des 20. und 21. Jahrhunderts war und ist. Es bleibt zu wünschen, dass sich Neumeier in der kommenden Spielzeit, die mit einem anspruchs- vollen Programm und spannenden Wiederaufnahmen aufwartet, wieder mehr auf die vorhandene Schatzkiste Fotos: S. 26/27: „Onegin“ (1965) von John Cranko mit Silvia Azzoni und Alexandre Riabko an Tanzbegabung zurückbesinnt. © Holger Badekow | S. 28, oben: „Dritte Sinfonie von Gustav Mahler“ (1975) von John Neumeier mit Silvia Azzoni und Alexandre Riabko © Holger Badekow | S. 28, unten: Préludes CV“ (2003) von John Neumeier mit Silvia Azzoni und Alexandre Riabko © Holger Badekow

Das Spielzeitheft 2018 29 30 31 Wenig Mut zum Risiko

N.N.N.N. William Forsythe REID ANDERSON ÜBERGIBT IN STUTTGART F ü r DEN STAFFELSTAB AN TAMAS DETRICH T a ECHOES FROM A e r n V a n z c RESTLESS SOUL & s o von Isabelle von Neumann-Cosel r t

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Jacopo Godani t Nur wenige Ballettintendanten haben so lange eine Bal-

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g lettkompanie geleitet wie Reid Anderson; und das sogar ohne eigenen r

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h choreografischen Ehrgeiz. Der nach 22 Jahren scheidende Hausherr hat

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OKTOBER n sich als Glücksfall für das Stuttgarter Ballett erwiesen: Das Cranko-Erbe n a

, T 11. > 14. , 17. > 20. 20 UHR konnte er als Ex-Tänzer von ebenjenem mit Fug und Recht antreten. Und 21. 16 UHR für die Leitung einer großen Kompanie hatte er bereits in Kanada Erfah- BOCKENHEIMER DEPOT rung gesammelt. Frankfurt am Main Unter seiner Leitung entwickelten sich drei tragende Säulen OKTOBER des Programms: die Pflege des John-Cranko-Vermächtnisses, die - Erar 26., 27., 31. 20 UHR beitung eines beachtlichen Repertoires der klassischen Moderne und die 28. 16 UHR Entdeckung und Förderung junger ChoreografInnen. Eine Zeitlang schien NOVEMBER es, als führe der direkte Weg zur Leitung einer Kompaniedirektion hierzu- 1. > 5. 20 UHR lande zwangsläufig über Stuttgart. John Neumeier und William Forsythe Gefördert durch die Landeshauptstadt Dresden und den Freistaat tanznetz.de sind dabei die wohl prominentesten Beispiele, Christian Spuck (Zürich), HELLERAU Sachsen sowie die Stadt Frankfurt am Main und das Land Hessen. Europäisches Zentrum der Company-in-Residence in HELLERAU - Europäisches Zentrum der Marco Goecke (künftig Hannover) und Bridget Breiner (künftig Karlsruhe) Künste Dresden Künste Dresden und im Bockenheimer Depot in Frankfurt am Main. DRESDENFRANKFURTDANCECOMPANY.DE die jüngsten. Eine solche Fülle von begabten ChoreografInnen mit Füh- PREMIUMKUNDE rungsqualitäten sammelt sich nicht von allein an – dafür muss man etwas tun. Was also hat Reid Anderson getan? Er hat den kreativen Köpfen in der eigenen Truppe – unterstützt von der Noverre-Gesellschaft, die jährlich WERDEN choreografische Debuts unter professionellen Bedingungen ermöglicht – den nötigen Freiraum gegeben. Er hat internationale Nachwuchschoreo- Vorankündigungen grafInnen nach Stuttgart eingeladen und mit Augenmaß gefördert. Und er hat vielversprechende Talente als HauschoreografInnen angeheuert. Exklusive Werbevorteile Dafür brauchte er nicht nur ein sicheres Gespür für Qualität, sondern auch Balletthighlights Branchennews die Akzeptanz des Publikums. der Spielzeit 2018/19 Der 70-Jährige hat seine Nachfolge von langer Hand vorbereitet und Tamas Detrich, der designierte Ballettintendant, ist ein echtes Stuttgar- ter Eigengewächs. Von der Cranko-Schule über eine respektable Tänzer- Der Nussknacker karriere bis hin zum Ballettmeister und schließlich stellvertretenden Inten- Ballett mit Orchester von Birgit Scherzer Musik von Peter Tschaikowski danten ist der heute 58-Jährige Schritt für Schritt in die Leitungsposition ab So. 9. Dezember 2018 hineingewachsen – da wollte sich auch die Stuttgarter Findungskommission Landestheater Altenburg · Großes Haus nicht querstellen. Ballettfestwoche Das Thüringer Staatsballett lädt ein Fr. 25. Januar bis So. 3. Februar 2019 Bühnen der Stadt Gera Ballett mit Orchester von Silvana Schröder Musik von Adolphe Adam ab Fr. 25. Januar 2019 Bühnen der Stadt Gera · Großes Haus Festhalten! Ballett von Hudson Oliveira · Uraufführung ab So. 3. Februar 2019 Bühnen der Stadt Gera · Bühne am Park Forever Lennon Ballett von Silvana Schröder · Uraufführung ab Fr. 3. Mai 2019 Bühnen der Stadt Gera · Großes Haus

Foto: Ronny Ristok Liberace – Glitzer, Schampus und Chopin Ballett von Silvana Schröder · Uraufführung Theater&Philharmonie Thüringen ab So. 19. Mai 2019 Information und Buchung: www.tpthueringen.de Landestheater Altenburg · Großes Haus www.tanznetz.de 33 So eine Hausberufung hat ihre Das Programm der ersten Spiel- Licht- und Schattenseiten. Für intime Kennt- zeit von Tamas Detrich enthält auf den ersten nis des Hauses und Kontinuität ist mit der Blick die bekannten Bausteine in attraktiver Wahl von Tamas Detrich bestens gesorgt. Ausformung. Mit drei Uraufführungen und Nicht so einfach ist es für den gebürtigen fünf Erstaufführungen im Rahmen von zwei Amerikaner aus dem Schatten seines Vor- modernen Tanzabenden ist der Jetztzeit im gängers herauszutreten und ein eigenes Ballett viel Tribut gezollt. Nur die Namen Profil zu entwickeln. Seine erste nach außen auf den ChoreografInnenposten sorgen hin wahrnehmbare – und nicht nur mit Bei- für Überraschung. Denn Detrich setzt aus- fall quittierte – Entscheidung war, den schließlich auf bereits bekannte bis höchst längst international renommierten Marco prominente Namen. Louis Stiens und Goecke zu entlassen. Der hat sich gerade Katarzyna Kozielska sind in Stuttgart be- elegant revanchiert, indem er als Hauscho- kannt und bewährt; Johan Inger und Itzik reograf (Artist-in-Residence) bei der Stutt- Galili sind international erfolgreich; und garter Erfolgstruppe von Eric Gauthier am Akram Khan und die Ex-Heidelbergerin Theaterhaus angeheuert hat. Nanine Linning haben ihre eigenen, ballett- fernen, künstlerischen Handschriften. Alles schön und gut, aber der Mut zur Präsentation noch unbekannter TanzschöpferInnen fehlt.

Fotos: S. 30/31: „Junge Choreographen: Heavy Lightness“ (2018) von Filipe Portugal mit Alicia Amatriain und Daniele Silingardi © Stuttgarter Ballett | S. 33, links unten: „Der Tod in Venedig“ (2017) von Benjamin Britten, Koproduktion von Oper und Ballett © Oper Stuttgart | S. 33, rechts unten: „Schwanensee“ (1963) von John Cranko mit Ami Morita und Alexander Mc Gowan © Stuttgarter Ballett | S. 34: „Cranko Pur“ (2017) mit Alicia Amatriain © Stuttgarter Ballett | S. 35: „Junge Choreographen: Alba Mendax“ (2018) von Alessandro Giaquinto mit Hyo-Jung Kang und Fabio Adorisio © Stuttgarter Ballett

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Das Spielzeitheft 2018 37 Tradition und Farbe

DAS STAATSBALLETT MÜNCHEN UNTER IGOR ZELENSKY

von Isabel Winklbauer

Die Metamorphose ist Als Klassik wird im Woran das Ensemble abgeschlossen. In seiner zweiten neuen Staatsballett aber auch Zelensky, anders als am Karten- Münchner Spielzeit an der Isar das moderne, abendfüllende verkauf, immer noch arbeitet, hat Kompaniechef Igor Zelensky Handlungsballett verehrt. John ist eine stabile Zusammenstel- das Ensemble des Bayerischen Crankos 90. Geburtstag und 45. lung der führenden Tänzer- Staatsballetts rundum erneuert Todestag feierte man mit einem Innenriege. Sergei Polunin und und auf ein internationales Pu- Cranko-Fest, bestehend aus den Natalia Osipova sind umjubelte blikum ausgerichtet. Die Sehn- drei choreografischen Meilen- Gäste, doch im Übrigen kommt sucht der Tanzszene nach Ivan steinen des Amerikaners („One- die neue Sitte, Premieren mit Liškas alter Kompanie ist immer gin“, „Der Widerspenstigen Zäh- internationalen Visiten zu beset- noch groß, doch der Erfolg gibt mung“ und „Romeo & Julia“). zen, beim Münchner Publikum Zelensky Recht: die Ballettvor- Christian Spucks „Anna Kareni- nicht besonders gut an. Jene stellungen sind immer voll, die na“ erlebte zu Beginn der Spiel- pflegen nämlich, wie die Fans Auslastung beträgt 99 Prozent. zeit eine gut aufgenommene der Pariser Oper, eine enge und Bemerkenswert ist, dass die Die Liebe des Publikums zum Deutschlandpremiere. Und ver- emotionale Beziehung zu „ihren“ Truppe nicht nur in Sachen Spielplan, Traditionellen wurde in den letz- staubt oder nicht, Grigorovichs TänzerInnen, die sie wiederholt sondern auch in der Zusammenset- ten Jahren offenbar unterschätzt. „Spartacus“ könnte man prak- und auch als Premierenbeset- zung internationaler geworden ist. Aus tisch in Dauerschleife spielen, zung sehen wollen. Laufend insgesamt 22 Nationen stammen die „Unsere Hauptaufgabe es gäbe trotzdem keinen leeren neue Gesichter, die dann doch Mitglieder. TänzerInnen mit dunkler ist es, als klassische Kompanie Platz. nicht den richtigen Stil treffen Hautfarbe sind jetzt endlich auch im das Repertoire zu pflegen“, sagte (solche KandidatInnen gab es Freistaat Bayern selbstverständlich – D Zelensky der Süddeutschen Zei- as Zeitgenössische einige) auf der einen Seite, zu man denke an Osiel Guneo oder Yonah tung. Und so stand nicht nur die muss da natürlich zurückstecken. viele Abschiede auf der anderen Acosta. Zudem macht sich der frisch unter Liška vergessene „Giselle“ Experimente gibt es keine, statt- Seite (Tigran Mikayelyans letzte zum Solisten ernannte Jinhao Zhang in der Spielzeit 2017/2018 erneut dessen wurde zum Start der Bal- Vorstellung war der emotionale gerade auf die Herzen in München zu auf dem Plan, auch „Raymonda“ lettFestwoche die „Porträt“-Serie Schlusspunkt der Saison) sind erobern. Wenn in der nächsten Spiel- wurde reaktiviert und reihte sich der letzten Dekaden mit einem da riskant. Immerhin haben sich zeit Balanchines „Jewels“ Premiere fei- brav neben „Don Quijote“, „La geschmackssicheren „Portrait Jonah Cook, Ksenia Ryzhkova, ert, gibt es also nicht nur grün, rot und Bayadère“ und „La Fille mal Wayne McGregor“ fortgesetzt. Osiel Guneo und Prisca Zeisel als weiß, es sind viele Farben vertreten. gardé“ ein. Die kurze, abstrakte und betö- neue Stars fest etabliert. Das weckt Vorfreude. rend ausgestattete Uraufführung „Sunyata“ des Briten wurde von den ausgehungerten Freunden der Avantgarde weggezischt wie der Tropfen Wasser auf dem heißen Stein. Er wolle McGregor wieder einladen, kündigte Zelensky an – äußerte sich bis- lang aber nicht dazu, ob er sei- Fotos: S. 36/37: „„Giselle“ (1974) von Peter Wright mit Prisca nen bis 2021 währenden Vertrag Zeisel © Wilfried Hösl | S. 39, oben: „Giselle“ (1974) von gerne verlängern würde. Mehr Peter Wright © Wilfried Hösl | S. 39, mittig: „Portrait Wayne McGregor - Kairos“ (2018) von Wayne McGregor © Wilfried Vorstellungen, mehr TänzerInnen, Hösl | S. 39, unten: „Spartacus“ (1968) von Yuri Grigorovich so weit stehen seine Wünsche mit Yonah Acosta © Wilfried Hösl | S. 40: „Portrait Wayne fest. McGregor - Sunyata“ (2018) von Wayne McGregor mit Jonah Cook und Ksenia Ryzhkova © Wilfried Hösl S. 41: „Portrait Wayne McGregor - Borderlands“ (2018) von Wayne McGregor mit Alexey Popov und Ksenia Ryzhkova © Wilfried Hösl

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25 Jahre Muffat

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und Zerstörung

DAS TANZTHEATER WUPPERTAL PINA BAUSCH UND ADOLPHE BINDER

von Melanie Suchy

Diese vergangene Spielzeit 2017/2018 wird in die Annalen des Wuppertaler Tanztheaters Pina Bausch eingehen. Als eine Spielzeit voller Kreation und Zerstörung, sprich: „Zerrüttung“.

In der Geschichte um die fristlose Entlassung der Intendantin Adolphe Binder am Ende ihrer ersten Spielzeit haben fast alle ihr Gesicht verloren: der achtköpfige Beirat inklusive der Stadtregierung, für die das nicht das erste schwere Stadttheaterproblem in den letzten Jahren war; die Intendantin, der nun gewisse Unfähig- und Eigenmächtigkeiten vorgewor- fen werden; der indiskrete Geschäftsführer; die JournalistInnen, insbeson- dere des FAZ-Feuilletons, die sich vor einen Karren haben spannen lassen ohne sorgfältig beide Seiten anzuhören. Jene/r gescheiterte MediatorIn be- hält das Gesicht, da diese Person bislang anonym ist; wie auch „mehrere“ BewerberInnen, die sich angeblich schon für die frei werdende Intendanz meldeten, während – oder noch bevor? – die Kündigung öffentlich wurde. Da fehlt an mehreren Stellen der Anstand.

Die Gesichter der Tänzerinnen und Tänzer bleiben. Sie sind ja das Gesicht des Tanztheaters Wuppertal, dem sich seit Mai 2017 das Gesicht der erfahrenen Kulturmanagerin Adolphe Binder hinzugesellte. Das gesam- te 35-köpfige Ensemble bekundete Loyalität zu ihr, das ist anständig. Die TänzerInnen und die zahlreichen anderen, bis zum Umfallen engagierten MitarbeiterInnen müssen in den kommenden Wochen und Monaten all die Fragen aushalten: Was war das? Wohin mit der Wut? Mit der Unsicherheit? Woher die Energie nehmen für die kommende Spielzeit (um deren Planung der interne Streit so eskaliert war) und woher für die Gastspielreisen nach Tel Aviv, Athen, Portugal, London, Sao Paulo?

Nach außen hin war das Jahr gut gelaufen, diese erste Spielzeit des Tanztheaters unter neuer Leitung, nein, Intendanz, einer Person, die nicht aus dem „Pina“-Kreis stammt. Dass Adolphe Binder bei der Spiel- zeit-Pressekonferenz eine One-Woman-Show abhielt mit bewegenden Worten, wirkte souverän; doch vermisste man eine Teamgeistgeste. Der Spielplan selber war einwandfrei und dem neunten Jahr nach dem Tod der Jahrhundertchoreografin angemessen, mit Altem und Neuem. Die Auffüh- rungen in Wuppertal waren nicht ganz einwandfrei, aber von eindeutigem Scheitern weit entfernt.

Das Spielzeitheft 2018 47 Das Spielzeitheft 2018 49 Nachdem in den Jahren zuvor die Stücke Alan Lucien Øyen flüchtete sich auf andere „Arien“ von 1979 (im stehenden Wasser) und „Victor“ Weise ins Dekor, in Filmoptik und in den Trauermodus, von 1986 (in der Grube), wieder aus der Kiste ge- indem die TänzerInnen als SchauspielerInnen mehr oder holt und, wegen längerer Pausen, mit großer Sorgfalt weniger gekonnt Geschichten vom Sterben, Morden neu einstudiert worden waren, gab es aus den frühen und Begraben erzählten, die er szenisch und personell 2018 2019 Jahren nun „1980“ und „Die sieben Todsünden“ von geschickt splittete und deren Zeitebenen er verschach- 1976 wieder zu sehen. Ersteres balanciert auf Messers telte. Das weckte anfangs Krimispürsinn: die Fäden im Schneide, ganz große Kunst, die nicht groß tut: wie über Zuschauerraum in der Luft zu halten und später zusam- Trauer, Gewalt und Tod der Teppich des Rasengrüns ge- menzufügen. Dazu drehten, öffneten und verschoben breitet wird, des Lächelns, Weitermachens, Ertragens. sich die Wände einer vergangenen Tapetenwohnwelt, Ein Zwang, doch auch ein Schutz aus Künstlichkeit. Die und manchmal tanzte oder schwankte jemand, als wäre Schwierigkeit der Rollenneubesetzung zeigte sich am plötzlich auch mal die innere Möblierung einer/s Prota- ehesten beim Mechtild-Großmann-Ersatz. Die Schau- gonisten/in in Bewegung. Irgendwann war’s nur noch spielerin passt nicht ins Ensemble. Hingegen passen egal, und am Ende war’s vorbei. „Todsünden“ kaum mehr ins Repertoire. Das Wieder- sehen dieses Brecht-Weill-Stücks war interessant; die Bei all den etwas wohlfeilen Kommentaren, Bausch-Inszenierung ist auf ihre Weise großartig, ihr die „kein Museum“ fordern als Status der Wuppertaler Umgang mit der Musik und mit der Parabel der Körper- Kompanie, möchte man fragen: Was habt ihr gegen LA STRADA opferung für eine Art höheren, „kleinbürgerlichen“ Museen? Das Wuppertaler Tanztheater ist eins, wie Zweck, das Eigenheim der Familie. Trotz der guten bestimmte Ballettkompanien es auch sind. Oder das Besetzung mit einer jungen Neuwuppertaler Tänzerin Choreografie Marco Goecke Opernrepertoire. Was darin als wertvoll erachtet wird, und des unvergänglichen Themas Glücksstreben, wirkte soll gepflegt und an passender Stelle mit passenden Musik Nino Rota das Stück veraltet. Moralisierend. Weil es die Gewalt Mitteln gezeigt werden. Als Film, als Katalog oder eben und die forcierte gute Laune, „Ja, Anna“, zwar ergrei- auf der Bühne mit passenden TänzerInnen. Was immer ab 18. September 2018 fend, aber platter darstellt als andere Bausch-Werke. das „Passen“ heißen mag. Doch mit Sicherheit benöti- gen diese lebendigen KünstlerInnen auch mal Auslauf: „Masurca Fogo“, das sehenswerte Portugal- Neue Stücke. Brasilien-Kapverden-Stück von 1998, das fragend mit dem eigenen Blick aufs Fremde umgeht, scheint ein Die Pina-Bausch-Stiftung hält ihr Gesicht ROMEO UND JULIA Evergreen auf schwarzer Lava zu sein; denn hier funk- bislang bedeckt, obwohl das Repertoire nicht ohne tioniert das Übertragen auf einige jüngere TänzerInnen sie angefasst werden darf. Im Jahr 2019 jährt sich der Choreografische Uraufführung gut. Das persönliche Kolorit der Ursprungsbesetzung Todestag der Choreografin zum zehnten Mal, Gelegen- Choreografie Erna Ómarsdóttir findet ein leises Echo in ihnen, scheint aber nicht von so heit zu Bilanz und Ausblick. Das zu gründende Pina- Musik Sergej Prokofjew immenser Bedeutung fürs Gesamtstück zu sein. Bausch-Zentrum im ehemaligen Schauspielhaus, in dem das Tanztheater voraussichtlich ab 2025 residie- Schließlich krönten die beiden abendfüllen- ren soll, hat bislang einen Projektgeschäftsführer, der Premiere 22. November 2018 den „Neuen Stücke“ im Mai und Juni die Spielzeit. Dass ohne Bewerbungsverfahren berufen wurde; und einen Adolphe Binder hierfür zwei Choreografen anwarb, Entwicklungsberater aus der Nachbarstadt Essen, die in Deutschland kaum bekannt waren, doch der Stefan Hilterhaus vom Choreographischen Zentrum Wuppertaler Tanztheaterästhetik nicht fern, war klasse. PACT Zollverein. Sie alle hatten sich auch mit Adolphe ATLANTIS Vielleicht nicht mutig genug. Aber gescheitert sind die Binder ins Benehmen zu setzen oder umgekehrt. Was beiden nicht. Nur schafften sie es nicht, sich dem Sog wohl ein Recherchekollektiv, ähnlich den auf die Ber- ins Dunkle, Vergangene, Tote zu widersetzen und auch Ein Expeditionsballett liner Volksbühne angesetzten JournalistInnen, aus all ein bisschen neuen Rasen sprießen zu lassen. In Dimitris diesen Kommunikationskanälen herausfischen würde? Choreografie Karl Alfred Schreiner Papaioannous „Seit sie“ ging denn auch nie die sich an- kündigende Sonne hinterm schwarzen Gummiberg auf. Das Bergwerk des Kreators gebar einen Behinderten Uraufführung 7. Juni 2019 und eine Bildidee mit Kultur-, Kunstgeschichts- und Fotos: S. 44/45: „Neues Stück I - Seit sie“ (2018) von Dimitris Papaioannou mit Julie Anne Stanzak und Michael Carter © „Pina“-Bezügen jagte die andere. Menschen wurden Julian Mommert | S. 46: „Neues Stück II“ (2018) von Alan tierisch, wurden Objekte zum Antatschen, Zerlegen, Lucien Øyen © Ursula Kaufmann | S. 48/49: „Neues Stück II“ (2018) von Alan Lucien Øyen mit Tsai-Chin Yu © Mats Bäcker Gliedervervielfachen. Dazu Flöße auf Papprollen und S. 48, oben: „Neues Stück I - Seit sie“ (2018) von Dimitris MINUTEMADE ein Stühlebalancierer. Nicht langweilig, aber ober- Papaioannou mit Scott Jennings © Julian Mommert | S. 48, flächliche Tiefe. mittig: Josephine Ann Endicott © Walter Lindenberg | S. 48, unten: „Die sieben Todsünden“ (1976) von Pina Bausch © Die wöchentliche Dancesoap des Gärtnerplatztheaters Walter Lindenberg | S. 49, oben: „Neues Stück II“ (2018) von Alan Lucien Øyen mit Julie Shanahan © Meyer Originals | S. Choreografie 49, zweites Foto von oben: „Neues Stück I – Seit sie“ (2018) Andonis Foniadakis Lukas Timulak Jeroen Verbruggen Iván Pérez von Dimitris Papaioannou mit Scott Jennings und Breanna O‘Mara © Julian Mommert | S. 49: „Neues Stück II“ (2018) von Alan Lucien Øyen mit Nazareth Panadero und Jonathan Fredrickson (drittes Foto von oben), Çağdaş Ermis und Julie 2. Juli 2019 9. Juli 2019 16. Juli 2019 Shanahan (viertes Fotos von oben) und Aida Vainieri (Foto links unten) © Ursula Kaufmann | S. 49, rechts unten: „Neues Stück II“ (2018) von Alan Lucien Øyen mit Douglas Letheren und Rainer Behr © Mats Bäcker

Tickets I Tel +49 (0) 89 2185 1960 I [email protected] I www.gaertnerplatztheater.de

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TANZNET Juli .indd 1 23.07.18 17:54 düsseldorf duisburg Sensationell

DIE VERGANGENE SAISON BEIM BALLETT AM RHEIN DÜSSELDORF DUISBURG

von Melanie Suchy

In der Spielzeit 2017/2018 des Balletts am Rhein Düsseldorf Duisburg waren drei Dinge besonders bemerkenswert. Nein, vier. Die größte Sensation kam zum Schluss: Martin Schläpfer wechselt 2020 an das Wiener Staatsballett. Das bespielt zwei Opernhäuser mit 111 Tänzerinnen und Tänzern plus Gästen (wow!). Irgendwie hatte man diese Möglichkeit nicht auf dem Schirm, nachdem Schläpfer vor einigen Jahren den Ruf nach Berlin klugerweise abgelehnt und zur Ver- handlung mit Düsseldorf genutzt hatte (Ergebnis davon ist das schöne, neue Balletthaus). Wie- derholt betonte Schläpfer, er würde keine Anstellung in einer kleineren, unwichtigeren Kompanie als der jetzigen annehmen. Um hinzuzufügen, dass aber kein großes Haus ihn nähme, ohne dass er sich je einen der Ballettklassikertitel zu eigen gemacht hätte. Währenddessen schaffte er sich das Für-alles-zuständig-Sein vom Hals mit seinem neuen Ballettdirektor Remus Şucheană, der ihn ab 2019 als Chef ablösen sollte. Ihm werde das mehr Freiraum für choreografische Kreativität „in Residenz“ geben. Die wird sich nun in Leitungs- und Programmplanungsschritten erweisen.

Die zweite Sensation der Saison war natürlich der „Schwanensee“ oder „b.36“ im seit 2009 durchnummerierten Programm. Ein Verkaufsrenner. Er ist groß in seinem Mut zum Schläp- ferismus und in seiner Menschlichkeit. Der letzte Schwanensee in Düsseldorf im November 2007 war ein klassisch-russischer gewesen, ein Kurzgastspiel des Stanislavski-Balletts Moskau, mit ge- maltem Wald und dräuend schnellen Tempi im Orchestergraben. Schläpfer kommt mit so wenig Kulisse und Überwältigung wie möglich aus. Mit sensiblem Ohr für die Musik. Sie und die manch- mal rätselhafte, eindringliche Stille scheinen in den Köpfen der ProtagonistInnen zu singen, zu brüllen, zu verharren, zu rennen und zu raunen. Diese Leute können sich ihrer kaum erwehren, sie schon gar nicht „vertanzen“, also komplett verstehen. So wird dieses Nichtverstehen, Nichtan- eignen, Nichtanpassen die eigentliche Geschichte, die Schläpfer mit seiner Hauptfigur Siegfried (Marcos Menha) darstellt. Dessen Beziehung zur mädchenhaft quirligen, unvorhersehbar agieren- den Odette scheint statt Liebe eher Sehnsucht nach spielerischer, kindlicher Leichtigkeit zu sein. Die Schwanenfluffdamen, die in Serpentinen schwerflügelig durchrauschen und die zuweilen wie Leblose schrumpfenden anderen Gestalten, sie tauchen wie flüssige, flüchtige Schichten zwischen Realität und Irrealität in Gedanken und Gefühlen auf. Und wieder ab. Nicht immer nachvollzieh- bar, aber das liegt in der Logik des Grundgedankens. In diesem See spiegeln sich lauter Elemente aus früheren Schläpfer-Stücken, als lege er eine Art Resümee dar: bis hierhin.

Während die sehenswerte, nichts Großes wollende „Petite messe solennelle“ („b.32“) zur Rossini-Musik halbwegs narrativ angelegt war, rollten die „Roses of shadow” in „b.33“, die zweite Zusammenarbeit mit der Komponistin Adriana Hölszky, ein Szenario aus, das sich freundli- cher Erklärlichkeit ganz entzog. Wie ein gigantisches, unfassbares, furchtbares Universum. In dem der Tanz tapfer haust, aber um sein Verglühen weiß. Schwierig, aber wegen der Implementierung zeitgenössischer Musik die bemerkenswerte dritte Sensation dieser Spielzeit. Schließlich brachte der Dreier-Abend „b.35“ erstmals fürs Ballett einen Ohad Naharin, aber das Stückwerk „Deca- dance“, Tänzerfutter, keine Großtat. Doch die Geste daneben den Düsseldorfer Freie-Szene-Cho- reografen Ben J. Riepe ins Haus und an die TänzerInnen zu lassen, war Besonderheit Nr. 4. Das kulissen- und stoffmusterüberladene Ergebnis „Environment“ überzeugte nicht ganz. Es könnte eine Fortsetzung gebrauchen.

Das Spielzeitheft 2018 55 Tatsächlich hat Schläpfer ja manchen Gastcho- reografInnen zweite „Chancen“ für Uraufführungen ge- geben, eine noble, kluge und programmatorische Geste. Mit etlichen anderen. Die beiden letzten Jahre von Martin Schläpfer am Rhein wird man sich nun nochmal intensiver anschauen. Sein Weggang ist sehr schade für Düsseldorf und Duisburg. Die ZuschauerInnen, die zum Teil auch von weiter her anreisen, sind Schläpfers explizit anspruchsvoller Kunst und Kuration gefolgt; wir KritikerInnen allemal, auch wenn nicht immer alles choreografisch erste Sahne ist. Die Neugier ist nie ver- siegt, weil hier niemand für dumm oder kitschverliebt verkauft wird. Und weil’s großartige TänzerInnen zu sehen gibt. Doch Wechsel gehören, wie auch eine ge- wisse Treue, zum Bühnenkunstbetrieb dazu. Oder wie Manuel Legris, der derzeitige Wiener Ballettchef und Nurejew-Verehrer im Dezember 2017 über seine eigene vollendete Dekade sagte: „Zehn Jahre sind eine runde Sache.“ Die waren es auch für Schläpfer damals in Mainz; elf werden es dann in Düsseldorf und Duisburg gewesen sein. Danach wird es dort anders. Hoffentlich wieder so unverwechselbar, so durchdacht, um Qualität bemüht, statt um Trends oder überholte Traditionen, abgestandene Coolness oder oberflächliches Enter- tainment. Auweia, Wien ist echt weit weg; es werden schwere Zeiten für die hiesigen Schläpferfans.

Fotos: S. 52-54: „b. 36 Schwanensee“ (2018) von Martin Schläpfer © Gert Weigelt S. 56: „Young Moves - Temet Nosce“ (2018) von Feline van Dijken mit Alexandra Inculet und Friedrich Pohl © Gert Weigelt | S. 57: „Young Moves - Our Discontent“ (2018) von Sonia Dvořák mit Helen Clare Kinney und Daniel Vizcayo © Gert Weigelt

56 57 dresden Kontinuität und Aufbruch

DAS SEMPEROPER BALLETT DRESDEN UND DRUMHERUM

von Boris Michael Gruhl

Mit insgesamt 45 Vorstellungen, gen herumgeschleuderten „Ballettleichen“ zu dabei zwei Premieren mit je einer Uraufführung viele Parallelen zu seiner zur gleichen Zeit in von David Dawson und Hofesh Shechter, über- Hellerau mit der eigenen Kompanie präsen- nahm das Semperoper Ballett knapp ein Drit- tierten Produktion „Grand Finale“. tel der Aufführungen im Opernhaus der Saison M 2017/2018. Beachtenswert sind die hier nicht it einem wahrhaft großen Finale mitgezählten Aufführungen der Gastspiele beendete Dieter Jaenicke nach sieben Jahren beim Dance Salad Festival in Houston, am seine Intendanz in Hellerau, dem Europäischen Joyce Theater in New York, im National Arts Zentrum der Künste in Dresden. Er hat immer Center in Ottawa und zuletzt bei begeisterten wieder kräftig für frischen Wind auf dem grü- Reaktionen des Publikums und der Presse im nen Hügel der Moderne gesorgt, von dem Londoner Sadler´s Wells Theater. Dort zeigten einmal entscheidende Impulse für die Erneue- sie drei Arbeiten von William Forsythe. Wie rung des Tanzes in Europa ausgingen. Jaenicke meisterhaft vertraut die Tänzerinnen und Tän- hat den Dresdner Tanzhorizont erweitert und zer mit Forsythes Ansprüchen sind, konnten ermöglichte aufgrund seiner Kenntnisse und auch die Dresdner erleben bei der Wieder- guten Vernetzungen, dass internationale Kom- aufnahme von „Impressing the Czar“; sowie panien auf ihren Touren durch Europa nicht bei der kammerspielartigen Intensität eines mehr an Dresden vorbeirauschten. so persönlichen Stücks wie „Quintett“, das auf der großen Bühne der Semperoper im origi- Mit seiner Nachfolgerin Carena nalen Bühnenbild stattfand. Schlewitt, die nach zehn erfolgreichen Jahren die Leitung der Kaserne Basel aufgibt und die Auch im zwölften Jahr seiner er- Intendanz in Hellerau übernimmt, wird der folgreichen Ballettdirektion konnte Aaron S. Wind aus anderen Richtungen wehen. Und Watkin seinem Konzept folgen und erneut wenn sie wie angekündigt den Blick, auch eine Ikone des Balletts im 20. Jahrhundert was den Tanz angeht, stärker nach Osten rich- erstmals in Dresden vorstellen. Nach Ken- tet, dann könnte das gerade für Dresden eine neth MacMillans Dresdner Erstaufführung ganz andere, nicht weniger kreative und vor „Manon“ im Jahr zuvor kam in dieser Saison allem nötige Erweiterung des Horizonts der nun „The Dream“ von Frederick Ashton. Dazu Wahrnehmungen bedeuten. als Uraufführung „The Four Seasons“ von Da- vid Dawson zu Vivaldis Zyklus in der soge- Auch die zum Ende der Saison vor- nannten „Rekomposition“ von Max Richter. gestellten Choreografien des von Katharina Zum Abschluss der Saison konnte Aaron S. Christl neu konzipierten, inhaltlich und künst- Watkin das Premierenpublikum unter dem lerisch verantworteten Masterstudiengangs Motto „100° C“ begeistern: Mit der Europä- Choreografie an der Palucca Hochschule für ischen Erstaufführung von Justin Pecks ju- Tanz, die in Kooperation mit der Hochschule gendlicher, beschwingter, so herrlich sonnen- für Bildende Künste in deren Labortheater durchfluteter Neoklassik in „Heatscape“, mit zu sehen waren, dürften einen Aufbruch Jiří Kyliáns Klassiker der Moderne „Gods and bedeuten. Dogs“, und mit der Uraufführung „Corpse de Ballet“ von Hofesh Shechter, der erstmals mit einer Kompanie in Deutschland eine Kreati- on schuf. Shechters Uraufführung blieb doch etwas lau, sah man bei seinen zu Walzerklän-

Das Spielzeitheft 2018 61 Und wenn es Ballett- Freunde des klassischen Und dann? Beginnt für meister Raphaël Coumes-Marquet Balletts werden sich über die Wie- Aaron S. Watkin der Endspurt. Oder gelingt aus der Spielstätte Semper deraufnahme von „La Bayadère“ kann er seine Arbeit in Dresden Zwei unter dem Motto „Close-Up!“, freuen und vielleicht auch bedau- fortsetzen? Sein derzeitiger Vertrag dem choreografischen Experiment ern, dass keine neue Choreografie läuft 2020 aus. Der des neuen Inten- junger TänzerInnen des Sempero- eines großen Klassikers dabei ist. danten, Peter Theiler, der bislang per Balletts, wieder ein verlässliches Mit Johan Ingers „Carmen“, ausge- in Nürnberg arbeitete und dort Format zu geben, dürfte dies auch zeichnet mit dem Prix Benois de la dem Tanz mit Ballettdirektor Goyo einen Aufbruch bedeuten. An Talen- Danse 2016 in Moskau, dürfte aber Montero sehr gewogen war, be- ten mangelt es hier sicher nicht. Da auf jeden Fall ein Erfolg für den Tanz ginnt mit der Saison 2018/2019. ist zum Beispiel der Tänzer Joseph in der Semperoper gesichert sein. Seine Opernpläne hat er schon mal Hernandez, der bereits mehrfach vorgestellt, auch mit Zukunftsten- erfolgreich als Choreograf arbei- denzen. Zur Zukunft des Balletts in tete und der zum Ende der Saison Dresden hat er sich allerdings noch eine größere Arbeit für La Compa- nicht geäußert. gnie des Ballets de Monte-Carlo kreiert. In der neuen Saison wird er in Dresden für die erste Premiere des Semperoper Balletts eine Ur- aufführung beisteuern, die sich in hochkarätigem Umfeld befindet. Unter dem Titel „Labyrinth“ stellt Ballettdirektor Aaron S. Watkin an diesem Abend erneut Ikonen des Tanzes mit bisher in Dresden noch nicht zu sehenden Choreografien vor: „Die vier Temperamente“ von Fotos: S. 58/59: „Heatscape“ (2015) von Justin Peck mit Denis wonderful clothes for George Balanchine, „Errand Into Veginy © Ian Whalen | S. 60, oben: Semperoper Dresden © Matthias The Maze“ von Martha Graham und Creutziger | S. 60, unten: „Manon“ (1974) von Kenneth MacMillan mit Hannes-Detlef Vogel, Raphael Coumes-Marquet, Melissa Hamilton, the new season die Erstaufführung „Black Milk“ von Fabien Voranger und Jenni Schaeferhoff © Ian Whalen Ohad Naharin. S. 62: „Corpse de Ballet“ (2018) von Hofesh Schechter © Ian Whalen

62 63 Fotografie: Kerstin Jacobsen | Design: Bettina Schröder D I E U M F R A G E

Fotos: Eric Gauthier © Maks Richter | Ingo Diehl © Katharina Speckmann Goyo Montero © Gregory Batardon | Xin Peng Wang © Bettina Stöß Kerstin Evert © Thies Rätzke | Tamas Detrich © Roman Novitzky Ivan Liŝka © Wilfried Hösl | Honne Dohrmann © Andreas J. Etter Helge Letonja © Kerstin Rolfes | Walter Heun © Susie Knoll

ERIC INGO GOYO XIN PENG KERSTIN TAMAS IVAN HONNE HELGE WALTER GAUTHIER DIEHL MONTERO WANG EVERT DETRICH LIŠKA DOHRMANN LETONJA HEUN

Das Spielzeitheft 2018 65 ERIC KERSTIN GOYO GAUTHIER EVERT MONTERO

Leiter Leiterin von K3 Direktor und Chefchoreograf der Kompanie Gauthier Dance Zentrum für Choreographie | Tanzplan Hamburg des Staatstheaters Nürnberg Ballett

Welches Thema beschäftigt Sie gerade im Tanz? Welches Thema beschäftigt Sie gerade im Tanz? Welches Thema beschäftigt Sie gerade im Tanz?

Die women of dance! Nicht nur weil wir aktuell kurz vor der Premiere Warum es nach vielen Jahren der politischen Das Thema „Gender“ als weites Feld… Das unseres neuen Programms „Grandes Dames“ stehen, das den Frauen Kommunikation weiterhin und andauernd schwie- Beziehungsgeflecht und das Bindungsverhalten im Tanz gewidmet ist. Die MeToo-Debatte hat auch mich nachdenklich rig bleibt, finanzielle Mittel für den Tanz als Kunst- zwischen den Geschlechtern. gemacht. Gerade im Tanz, mehr noch im Ballett, gibt es viel aufzuholen form in Haushalten auf kommunaler, Landes- sowie in Sachen Geschlechtergerechtigkeit! Bundesebene nachhaltig und den anderen Darstel- Ein auffälliger Trend der Spielzeit 2017/2018? lenden Künsten gleichgestellt zu etablieren? Ein auffälliger Trend der Spielzeit 2017/2018? Dazu kann ich mich leider nicht äußern, da ich Ein auffälliger Trend der Spielzeit 2017/2018? während der Spielzeit nicht die Möglichkeit habe, Bei unseren Auditions spüre ich von Jahr zu Jahr mehr, wie viele tolle viele Premieren an anderen Häusern zu besuchen. TänzerInnen geradezu verzweifelt nach einem Job suchen. Auch in Tanz für junges Publikum findet sich zunehmend Gesprächen mit befreundeten ChoreografInnen schwingt diese in den Spielplänen von Tanzhäusern, Theatern und Unsicherheit mit. Dem Umbruch in der Kulturwelt fallen viele Stellen Festivals. Damit beginnt sich langsam und stetig ChoreografIn des Jahres? und Ensembles zum Opfer. Keine gute Entwicklung! eine Lücke im Rezeptionsangebot für Kinder und Immer wieder Crystal Pite, die mich stets von Neu- Jugendliche zu schließen. em erstaunt und bewegt. ChoreografIn des Jahres? ChoreografIn des Jahres? Zwei: ein Mann und eine Frau. Die unglaubliche Crystal Pite, deren TänzerIn des Jahres? Karriere zurecht einen geradezu kometenhaften Aufschwung erfährt. deufert&plischke (für das choreografische Alessandra Ferri, die ich im Rahmen des Context Und eine Entdeckung, Nadav Zelner. Sein verrückter, mutiger, Briefprojekt „Just in Time“) witziger Abendfüller „BULLSHIT“ für Gauthier Dance versetzte uns Festivals 2017 in einem Duo von Wayne McGregor gesehen habe. und unser Publikum in den Tanzrausch. TänzerIn des Jahres?

TänzerIn des Jahres? Brit Rodemund und Christopher Roman in Aufführung des Jahres? „Catalogue (First Edition)“ Alicia Amatriain. Wie sie die Titelrolle in Christian Spucks „Lulu“ Marco Goeckes „Nijinski“ wurde zwar bereits 2016 interpretiert, ist eine Sensation. In den letzten Jahren ist sie zum In- uraufgeführt, ich habe es allerdings erst 2017 im begriff einer Ballerina und einer überragenden Charakterdarstellerin Gibt es etwas, das Sie in der derzeitigen Rahmen von Diana Vishnevas „Context Festival“ herangereift. Ich bin schon jetzt gespannt, was Du als Nächstes tanzt. Tanzszene vermissen? gesehen. Es hat mich sehr beeindruckt, mit welche Danke, Alicia! m künstlerischen Mut Marco Goecke den Charakter Eine Offensive für mehr Sichtbarkeit für den Tanz und die Persönlichkeit Nijinskis und die Handlung in den Medien und den Spielplänen von Theatern insgesamt interpretiert. Aufführung des Jahres? und Festivals. Und vor allem eine Offensive für Der Gala-Abend „Dekade“ zum 10-jährigen Jubiläum meines Freundes mehr eigenständige Orte, Initiativen und Instituti- Gibt es etwas, das Sie in der derzeitigen und so geschätzten Kollegen Goyo Montero. Ich kann nur den Hut onen für den Tanz. Denn der Zugang zur Kunstform Tanzszene vermissen? ziehen vor dem, was er in diesen Jahren geleistet hat. Besser kann ist noch bei Weitem nicht im ganzen Land gewähr- leistet. man eine Company nicht führen. Der Deutsche Tanzpreis 2018 ist Die Bereitschaft außerhalb von Etikettierungen mehr als verdient! wie „modern“ oder „klassisch“ zu denken.

Gibt es etwas, das Sie in der derzeitigen Tanzszene vermissen?

Ja, mehr Choreografinnen! Als ich das Programm für „Grandes Dames“ zusammenstellte, habe ich gemerkt, wie sehr die Männer nach wie vor die Szene beherrschen. Das gilt im Übrigen auch für Gauthier Dance. Ich habe mir jedenfalls vorgenommen, künftig aktiver nach Choreografinnen für unsere Neuproduktionen zu suchen.

Das Spielzeitheft 2018 67 SPIELZEIT INGO XIN HELGE DIEHL PENG WANG LETONJA 2018/19 Studiengangsleiter MA CoDE Direktor Künstlerischer Leiter an der HfMDK Frankfurt, Ballett Dortmund steptext dance project Präsident der Hessischen Theaterakademie BEETHOVENS NEUNTE (UA) 27.10.2018 Welches Thema beschäftigt Sie gerade im Tanz? Welches Thema beschäftigt Sie gerade im Tanz? Welches Thema beschäftigt Sie gerade im Tanz? Mauro de Candia Das Thema MeToo und der Umgang mit Macht und Die gesellschaftspolitischen Entwicklungen Wie können in der freien Szene langfristig Ensemble- | Hierarchien verlangt nach einem neuen Umgang fordern auf, die Rolle des Tanzes in unserer Gesell- strukturen entwickelt werden? Wie bringt man BAUHAUS BOLERO (UA) mit Tanztechnik und kollektiven Arbeitsprozessen. schaft zu definieren. Tanz ist ein Lebensgefühl und Diversität an die Theater, wenn sie in den dortigen 9.2.2019 Zusammenschlüsse wie das Network Dance oder steht für zwischenmenschliches Miteinander. Das Strukturen nicht verankert ist? Neue Formen der Mary Wigman, Edward Clug, der Umgang mit Thema Inklusion unterstreichen ist von eminenter Bedeutung. Wir sind hier in die Zusammenarbeit – Teilen und Beteiligung, das diese Notwendigkeiten auch für die Ausbildung. Pflicht genommen. Fremde im Eigenen. Mauro de Candia Außerdem beschäftigt mich die Frage, welchen Die Zukunft der Tanzkunst. Die Förderung des Einfluss die Veränderung der politischen Situation Ein auffälliger Trend der Spielzeit 2017/2018? DIE SCHÖNE MÜLLERIN (UA) auf die Institutionen und möglicherweise auch auf Nachwuchses. Die Positionierung der Tanzkunst in 11.5.2019, Wiederaufnahme Produktionsprozesse haben kann. der Gesellschaft. Angestoßen von der MeToo-Debatte wurden Beschäftigungsverhältnisse von TänzerInnen Samir Calixto Ein auffälliger Trend der Spielzeit 2017/2018? Ein auffälliger Trend der Spielzeit 2017/2018? genauer betrachtet und es wird über ethische Grundsätze im Tanz nachgedacht. OPEN WINDOWS VII (UA) Reflektierte junge TänzerInnen, die sich einmi- Die Tanzszene ist auf der Suche. Nach Ausdruck. schen und sich nicht mehr alles gefallen lassen. Es Dabei entfernt sie sich vom Inhaltlichen und sucht 8.6.2019, Junge Choreograf*innen wird politischer – gut so. Rekreation im Ästhetischen. ChoreografIn des Jahres? ENDLICH TANZ! Auf beruflichen Reisen stoße ich im In- und Ausland ChoreografIn des Jahres? ChoreografIn des Jahres? auf bewegende Arbeiten von ChoreografInnen. 16.–22.6.2019, Tanzwoche Viele von ihnen, die mit ihren TänzerInnen unter Eszter Salamon, Mette Ingvartsen und Marlene Wubkje Kuindersma, eine große Hoffnung der prekären Bedingungen ihre Kunst erschaffen, Monteiro Freitas – die Choreografinnen. internationalen Tanzszene. Sie wird in der Spielzeit haben es verdient als ChoreografInnen des Jahres 2018/2019 für das Ballett Dortmund eine neue bezeichnet zu werden. TänzerIn des Jahres? Kreation gestalten. Wir freuen uns darauf. TänzerIn des Jahres? All die Tänzerinnen und Tänzer, die von New York TänzerIn des Jahres? bis in die hiesigen Kompanien offen über Macht- Kossi Sébastìen Aholou-Wokawui missbrauch sprechen und auch persönlich dafür Aleksandra Liashenko, eine fantastische Tänzerin. einstehen, um etwas an den Strukturen zu verän- Mit ihr zusammenzuarbeiten ist Inspiration pur. Aufführung des Jahres? dern. Viele tolle Aufführungen, wie vor Kurzem „Theka“ Aufführung des Jahres? Aufführung des Jahres? bei den Theaterformen in Braunschweig. Die "Two and Only" von Wubkje Kuindersma im Arbeit der Choreografen Horácio Macuácua und „Autodance“ von Sharon Eyal mit der Göteborgs September 2017 in Amsterdam. Ein hochkonzen- Idio Chichava hat mit einfachen Mitteln, intensiver Operans Danskompani trierter, atemberaubender Balanceakt zwischen Musikalität und der herausragenden Energie des Brillanz und Poesie. 14-köpfigen Ensemble aus Mosambik überzeugt. Gibt es etwas, das Sie in der derzeitigen Tanzszene vermissen? Gibt es etwas, das Sie in der derzeitigen Tanzszene Gibt es etwas, das sie in der derzeitigen Tanzszene vermissen? Die Diskussion über prekäre Arbeitsverhältnisse vermissen? im Tanz. Es sitzen alle in einem Boot aber trotz der Mehr künstlerische Positionen zu den gesell- Die Schere zwischen Tradition und Innovation unterschiedlichen auch neueren Verbände und schaftlichen Umbrüchen unserer Zeit. Und eine klafft. Alles dazwischen findet mehr und mehr im Institutionen stellt sich eine Veränderung für die Anerkennungskultur, die die Wertschätzung von toten Winkel statt. Die Vielfalt des Tanzes geht Einzelnen kaum ein. Etaterhöhungen erreichen die Tanzschaffenden sichtbar und spürbar werden durch selektive Wahrnehmung verloren. Wir büßen PraktikerInnen als letzte. Darüber braucht es mehr lässt. Auseinandersetzungen, denn der Tanz kann gesell- gerade etwas ein, was wir uns in den vergangenen schaftlich so nicht relevanter werden. Jahrzehnten mühsam erworben haben. Um- wie Vorsicht sind geboten, sonst ist die künstlerische Freiheit irgendwann verspielt! Jörg LandsbergJörg Foto

Das Spielzeitheft 2018 6969 www.theater-osnabrueck.de WALTER TAMAS IVAN HONNE HEUN DETRICH LIŠKA DOHRMANN

Joint Adventures, Zukünftiger Intendant Leiter Direktor Leiter Tanzplattform Deutschland 2020 des Stuttgarter Balletts Bayerisches Jugendballett München tanzmainz

Welches Thema beschäftigt Sie gerade im Tanz? Welches Thema beschäftigt Sie Welches Thema beschäftigt Sie Welches Thema beschäftigt Sie gerade im Tanz? gerade im Tanz? gerade im Tanz? Die Wiederherstellung und kontinuierliche Fortführung struktureller Förderung zeitgenössischer KünstlerInnen für von ihnen selbst Die Sanierung des Stuttgarter Die erschreckende Entwicklung beim Neue Wege suchen: tanzmainz-Neu- initiierte Projekte, die nicht fremden, kuratorischen Vorgaben oder Opernhauses. Es ist ein Projekt, Tanztheater Wuppertal, welches aus den kreationen wie „Soul Chain“ von Sharon Förderinhalten folgen müssen; hier insbesondere die Fortführung das innerhalb der Stadt disku- TänzerdarstellerInnen eine Verfügungs- Eyal oder „Impetus“ von Guy Nader und der Koproduktions- und internationalen Gastspielförderung im tiert wird und uns sicherlich masse macht. Das Repertoire von Pina Maria Campos loten physische Extreme aus. Rahmen des NATIONALEN PERFORMANCE NETZES sowie eine noch einige Jahre beschäftigt. Bausch erschließt tiefste Humanität. Auch „Small Places“ von Guy Weizman & etwaige Etablierung solcher Systeme auch für experimentelles Theater. Und natürlich der Beginn meiner Es ist ganz natürlich ein aktives Erbe. Roni Haver war für viele BesucherInnen eine bevorstehenden Intendanz, die Grenzerfahrung, die unsere stilistische Die Zukunft der Tanzplattform Deutschland liegt mir sehr am Herzen, mich persönlich sehr bewegt. Ein auffälliger Trend der Spielzeit 2017/2018? Vielfalt erweitert und enormen Zuspruch die Wiederherstellung eines größeren, internationalen Interesses fand. sowie die zielgerichtete Unterstützung von KünstlerInnen, die im Die auffällige Qualität des Tanzens und Ein auffälliger Trend der Spielzeit geografischen Raum (formerly known as) Deutschland arbeiten und/ der Identifikation mit den Choreografien 2017/2018? oder leben. in Tanzensembles, deren Vorstellungen ich Ein auffälliger Trend der Spielzeit 2017/2018? Auch die Stärkung der strukturellen Zusammenarbeit im süddeutschen Es gab in ganz Europa, wie so besuchte. Dazu gehören Bielefeld, Hannover, Die ästhetische und konzeptionelle Distanz Raum interessiert mich, da sie bereits mehrfach für inexistent erklärt oft, herausragende Produk- Greifswald, Karlsruhe, Mannheim, Nürnberg, von Tanz an Repertoiretheatern und freien wurde. tionen und TänzerInnen – ein Saarbrücken, Ulm und das Ballet of Produktionen verringert sich. „Trend“, der mich sehr erfreut! Difference in München und Köln. Ein auffälliger Trend der Spielzeit 2017/2018? Die Tendenz unter jungen, klassischen ChoreografIn des Jahres? Bei Trends bin ich immer skeptisch. Das sind doch meist nur Behaup- ChoreografIn des Jahres? TänzerInnen der Virtuosität der „Stars“ Bruno Beltrão tungen, um das, was man gerade macht, irgendwie als „angesagt“ zu bei YouTube zu folgen, anstatt auf den behaupten und um Publikum und Anerkennung von KollegInnen zu Akram Khan künstlerischen Gewinn zu achten. gewinnen. Gerade scheinen viele KollegInnen im Bereich der queeren TänzerIn des Jahres? oder queer-feministischen Performance zu gründeln. TänzerIn des Jahres? ChoreografIn des Jahres? Claudia Ortiz Arraiza Interessante KünstlerInnen erscheinen plötzlich, wenn man nur auf- Alicia Amatriain Caroline Finn, merksam durchs Leben geht. Dann kommt jemand wie Louise Vannes- Gibt es etwas, das Sie in der derzeitigen Wales National Dance Company te daher, die im Schatten der großen Namen seit Jahren Aufführung des Jahres? Tanzszene vermissen? fast unbeobachtet höchst interessante Arbeit macht und deren androgyne Körperbilder sich zudem zu großer Kunst formieren. „Xenos“ von der TänzerIn des Jahres? Experimentierfreudige ChoreografInnen, Da freut sich das Kuratorenherz! Akram Khan Company die sich an der Kraft großer Bilder Matthew Golding als Wronski in „Anna versuchen. Karenina“ beim Bayerischen Staatsballett ChoreografIn des Jahres? Gibt es etwas, das Sie in der München. derzeitigen Tanzszene vermissen? Louise Vanneste (Belgien – Wallonie), neben den KünstlerInnen, die ich seit Jahren begleite und unterstütze. ChoreografInnen sollten mehr Aufführung des Jahres? Mut haben, das klassische, tech- Ohne von mir besucht gewesen zu sein hat TänzerIn des Jahres? nische Niveau, über das viele europäische Kompanien verfügen, sie bestimmt irgendwo stattgefunden. Eléanore Valère-Lachky in „Gone In A Heartbeat” herauszufordern, einzusetzen von Louise Vanneste und weiterzuentwickeln. Gibt es etwas, das Sie in der derzeitigen Tanzszene vermissen? Aufführung des Jahres? Die Bundesdeutsche Ballett und „Requiem pour L.“ von Alain Platel / Fabrizio Cassol, Tanztheaterdirektoren Konferenz (BBTK) Les Ballets C de la B und der Bühnenverein bereiten eine Regelung eventueller ethisch-moralischer Gibt es etwas, das Sie in der derzeitigen Tanzszene vermissen? Verfehlungen an deutschen Bühnen vor. Der Einzelne muss künftig im Konfliktfall Ich vermisse immer etwas. Das treibt mich an und lässt Spielräume. gestärkt werden.

70 71 GERT WEIGELT

72 73 Die Schönheit menschlicher Körper

ZUM 75. GEBURTSTAG VON GERT WEIGELT

von Marieluise Jeitschko

Am Anfang stand auf Gert Weigelts Lebensplan die Fotografie ganz oben. Aber dann faszinierte ihn das klassische Ballett durch die Klarheit seiner geometrischen Muster und die mathematische Formstrenge. Nach kurzer, internationaler Karriere als Tänzer perfektionierte Weigelt den Spagat von der Darstellenden zur Visuellen Kunst als einer der wichtigsten fotografischen Chronisten des zeitgenössischen deutschen Bühnentanzes. Horst Koegler adelte ihn mit dem Prädikat „Klassizist unter den Tanzfotografen“.

74 Kunstturner ist er als Pennäler am naturwis- Sein erstes Engagement trat Weigelt 1967 senschaftlichen Gymnasium in Koblenz gewesen. Bo- am Königlich Schwedischen Ballett in Stockholm an, denturnen war seine Königsdisziplin. Vom Besuch der wechselte aber nach drei Jahren zum Cullberg Ballett. einzigen Ballettschule der Stadt erhoffte er sich neue Eins seiner nachdrücklichsten Erlebnisse hatte er dort Impulse. „Ich war damals sehr, sehr nüchtern und dach- bei der Einstudierung von Kurt Jooss' Antikriegsballett te nicht in Kunstkategorien“, erläutert Weigelt. Von den „Der Grüne Tisch", denn der Meister selbst studierte mit paar TänzerInnen am Theater, die gelegentlich in Ope- ihm den Fahnenträger ein. retteneinlagen auftraten, kannte er nur einen einzigen, den er über das Metier löchern konnte. Als Anfang der 1972 bewarb er sich bei drei Kompanien: 1960er Jahre Jean Babillé mit einer kleinen Pariser Trup- beim gerade neu gegründeten Tanz-Forum in Köln, bei pe in Koblenz gastierte, war dem Primaner klar: Tänzer Erich Walter in Düsseldorf und bei dem von ihm selbst sollte er wirklich werden! „Babillé war nicht nur Tänzer, favorisierten Nederlands Dans Theater. Für die nächsten sondern auch Kunstturner. Er vollführte unglaubliche drei Jahre wurden Holland und das NDT seine künstle- Balanceakte und Handstände am Barren“, erinnert sich rische Heimat. Weigelt und war fasziniert von den Ausdrucksmöglich- D keiten physischer Bewegung. er Wechsel nach Den Haag brachte die gro- ße Wende in Gert Weigelts Leben. Hans van Manens „Große Fuge“ erlebte er als Tänzer „wie einen Kirch- Dennoch: seine erste Liebe galt damals der gang". Aber vor dem Choreografen hatte er „einen Hei- Fotografie. Das rudimentäre technische Rüstzeug- er denrespekt. Er konnte sehr, sehr bissig und ungeduldig warb er in der „Foto-AG“ seiner Schule. Später musste sein", erinnert sich der sensible, mathematisch akkurate er die Kamera „immer wieder zur Seite legen“. Denn Deutsche an die emotionale Seite des künstlerisch per- der Tanz verschlang all seine Zeit, Kraft und finanziellen fektionistischen, weltberühmten Übervaters. Erst die Mittel. Das Elternhaus zeigte sich zunächst „not amu- Fotografie wurde das Bindeglied ihrer Freundschaft. sed“ von seinem Wunsch, Tänzer zu werden. Weigelt analysiert das Phänomen van Manen so: „Er kann über die Form Emotion vermitteln.“ Das hat er für Im deutsch-belgischen Grenzgebiet west- seine eigene „freie“ fotografische Arbeit zur Maxime lich von Aachen geboren, wuchs Weigelt mit zwei Ge- erhoben. Wer Weigelts minutiös inszenierte Studioauf- schwistern im Ambiente des Bildungsbürgertums von nahmen studiert - etwa in den Ausstellungskatalogen zu Koblenz auf. Nur die Stiefmutter, Maja Hilgers, die ihre „Body and Soul“ oder „Autopsie in schwarz/weiss“ - er- Theaterkarriere als Tänzerin begonnen hatte und später lebt genau diese Qualität. als Soubrette reüssierte, brachte ihm Verständnis und Unterstützung entgegen. Nur elf Jahre tanzte Gert Weigelt, inklusi- In der Schule antwortete er auf die Frage nach ve der dreijährigen Ausbildungszeit. Manches habe seinen Berufsplänen nach dem Abitur: „Choreograf“. „gelohnt", so seine kritische Rückschau. In bester Er- Das klang doch wenigstens ein bisschen akademisch. innerung hat er seinen Part in Balanchines „Four Tem- Dabei wusste er selbst damals kaum, was das genau ist. peraments“ als Phlegmatiker oder in Jerome Robbins' Sechs Kurzfilme, die er in den 1990er Jahren produziert „Moves“, sowie in dessen „Les Noces". Glen Tetleys hat, ordnet er dem Genre „Bildchoreografie“ zu und be- „Arena“ erinnert er als eine konditionelle Herausforde- zeichnet sie als Reverenz an geniale Meister wie Hans rung: „Man wollte überhaupt keinen Vorhangapplaus van Manen, Mats Ek, William Forsythe und Pina Bausch. entgegennehmen, sondern hätte sich am liebsten in der Die Serie ist gerade im kleinen Separée des Deutschen Bühnengasse übergeben." Tanzmuseums im Deutschen Tanzarchiv Köln als Teil der Ausstellung „Gert Weigelt - Autopsie in schwarz/weiss“ 1975 nahm Weigelt Abschied von der Büh- zu sehen (s. tanznetz.de 19.04.2018). ne. Die Abnabelungsschmerzen kamen später - wäh- rend des Studiums der künstlerischen Fotografie an der Vorbilder hat Gert Weigelt nie wirklich ge- Fachhochschule für Kunst und Design in Köln. Denn in habt, wohl aber wichtige Wegbegleiter wie Tatjana der Dunkelkammer und in den Seminarräumen fehlte Gsovsky, Hans van Manen, Jochen Ulrich, Pina Bausch, ihm einfach „die Familie“ - die physische Nähe einer Gerhard Bohner, Jochen Schmidt und Martin Schläpfer. künstlerischen Gemeinschaft und Heimat. So schloss sich Weigelt eng an Jochen Ulrichs Tanz-Forum an. Ne- „Glücklicherweise", erinnert sich Weigelt an ben dem Studium fotografierte er dessen Produktionen die Jahre nach seinem Abitur, kannte jemand im elterli- und die des NDT. Er blieb also dem Theater treu, profi- chen Bekanntenkreis Gert Reinholm, der damals neben lierte sich aber gleichzeitig als unabhängiger Fotograf Tatjana Gsovsky in der Direktion des Berliner Balletts mit eigenem Atelier in seiner Wahlheimat am Rhein. war. Er sah sich den jungen Athleten aus der Provinz ge- nau an und erachtete ihn für geeignet. Zwei Jahre blieb Weigelt in Berlin, wo Tatjana Gsovsky die Basis für seine Technik formte. Das „Zeugnis der Bühnenreife“ in der Tasche schlug er den angebotenen Elevenvertrag aus. Er siedelte nach Kopenhagen über, wo ihn vor allem das Studium bei Vera Volkova künstlerisch weiterbrachte.

Das Spielzeitheft 2018 77 Angeregt durch seine intensive Beschäfti- Seit den 1980er Jahren gilt Weigelt als pro- Gert Weigelt hatte schon als Tänzer in Stock- Da spricht der Chronist deutscher Tanzge- gung mit der Bildenden Kunst nach dem Ende seiner minentester Tanzfotograf Deutschlands. Der deutsche holm vom „unglaublichen Talent einer gewissen Pina“ schichte. Da offenbart sich der Bewahrer des Wunders Tänzerkarriere hatte die künstlerische Fotografie, insbe- Tanzkritik-Papst Horst Koegler adelte ihn mit dem Prä- gehört und ging hin, als sie dort in einem kleinen Haus menschlicher Körper durch Tanz. Weigelt verweigert sondere in Holland, immer größere Bedeutung für Wei- dikat „Klassizist unter den Tanzfotografen". Aber er re- gastierte. Ihr Genie habe er damals noch nicht wahr- sich mit seiner Fotografie der Flüchtigkeit des Tanzes. In gelt gewonnen. Im Katalog zu „Autopsie in schwarz/ gistrierte, bei aller Liebe zu Geometrie und Linearität, genommen. „Klar - sie hatte ihr Tanztheater ja auch die Zukunft wirft er einen besorgten Blick. An eine wirk- weiss“ rekapituliert er: „Man kann ruhig sagen, dass viel mehr als das klassische Ballett, wie auch seine Bei- noch nicht erfunden“, lacht Weigelt. Gerade zurück in liche Zukunft des Wuppertaler Ensembles ohne „die sich da eine 'Amsterdamer Schule' gründete, deren Lo- träge im tanznetz dokumentieren. Hier trat Weigelt nach Deutschland fuhr er zu einer Probe von Bauschs „Früh- Magierin“ kann er nicht glauben. Für den Fotografen ist komotive Hans van Manen war. Seine Jünger waren un- Koeglers Tod sozusagen dessen Nachfolge an - unter lingsopfer", denn man munkelte, es werde eine ganz mit Pinas Tod „der Zauber zerbrochen". ter anderem Paul Blanka, Erwin Olaf und eben ich, der anderem mit seiner Fotogalerie „Weigelt weekly", ge- außergewöhnliche Premiere werden. Kölner.“ Auch die erste Ausstellung des Amerikaners Ro- folgt von den Blogs „Meine Choreografen“ und „101 Ohne so charismatische Persönlichkeiten wie bert Mapplethorpe auf dem europäischen Kontinent, in Tänzerporträts“. Niemand hat die freie Denkweise seiner Fo- John Cranko, Pina Bausch oder John Neumeier könne Amsterdam, hatte enormen Einfluss auf Weigelts künst- tografie derart inspiriert, ihn derart fasziniert undbe- auf längere Sicht keine große Kompanie überleben. lerische Entwicklung. Durch seine Einzel- und Gruppenausstellun- rührt wie Pina Bausch, die exakt drei Jahre früher als er Ganz oben müsse immer eine Lichtgestalt stehen, der gen wurden sie einem breiten Kreis Kunstinteressierter selbst geboren wurde. Als einer der ganz wenigen Fo- man sich als TänzerIn gern anvertrauen möchte. Und Für den sympathischen, bescheidenen Prag- in ganz Europa und darüber hinaus bekannt. Die vom tografen habe er fast alle Produktionen des Wupperta- das klassische Ballett als Grundlage sei unabding- matiker steht das intensive Studium der Technik ganz Dansmuseet Stockholm initiierte Ausstellung „Absolut ler Tanztheaters seit dem „Frühlingsopfer“ fotografiert, bar - „damit wir wissen, wo wir stehen". Dafür müsse selbstverständlich vor Beginn jeden künstlerischen Schaf- Pina“ hat das Goethe-Institut (nachdem die Ausstellung berichtet Weigelt - und könne sich „noch heute in den in Deutschland aber schnellstens ein Umdenken beim fens. „Alles Weitere ist Intuition", konstatiert Weigelt ka- schon in Kopenhagen und Luxemburg zu sehen war), in Hintern beißen, dass ich damals so auf 'Sacre' fixiert Nachwuchs beginnen. „Wir müssen uns viel bewusster tegorisch. Freilich gehört für den Intellektuellen dazu im der Folge nach Santiago de Chile und Peking geschickt. war; dass ich bei den beiden anderen Stücken 'Wind sein, dass nur viel Fleiß, Disziplin und Wille zur Verwirk- Vorfeld „eine lange Zeit der Reflexion". Physical Photo- Nun ist sie beim Tanzarchiv Köln eingelagert und wartet von West' und 'Der zweite Frühling' nicht die Kamera lichung eines Traums führen kann", so die Mahnung graphy nennt er seine „inszenierten“ Bilder und die „Dra- auf Wiederbelebung. Schön wäre sicherlich, wenn sie gehoben habe". eines unermüdlich Schaffenden zum Wohl des Tanzes. maturgie", die etwa einer Kalenderblattfolge zugrunde auch mal in Deutschland zu sehen wäre. Gelegenheit Noch immer sei Deutschland mit seinen vielen Theatern liegt. Sein Thema: der menschliche Körper und dessen wäre genug in naher Zukunft: etwa zum Gedenken an und Kompanien ein Eldorado für TänzerInnen. betörende Ästhetik und unerschöpflicher Bewegungs- die Ikone zu ihrem 80. Geburtstag in zwei Jahren oder reichtum. Weigelt feiert ihn mit frappierenden Komposi- zur Eröffnung des Pina-Bausch-Zentrums in Wuppertal. tionen, in allen denkbaren Posen und auf den ersten Blick in zuweilen verfremdeten Details wie auch aus raffinier- ten Perspektiven. Er veröffentlichte seine „Artefakte“ mit Anmutungen von klassisch-antik bis surrealistisch und Momentaufnahmen großer zeitgenössischer Tanzkunst als Kalenderblätter und in Büchern. Das Spielzeitheft 2018 81 83 An die 1.000 Aufnahmen schießt er für jede Produktion von der ersten Haupt- bis zur Generalprobe. Rund 100 etwa kämen meist in seine engere Auswahl. Weniger als die Hälfte würden schließlich für das Pro- grammheft und die Presse freigegeben.

Bei derart martialisch-kritischer Vorauswahl lässt sich vermuten, welche Berge an Material sich im Laufe von Gert Weigelts über 40-jähriger Karriere als NA DANN: Fotograf angehäuft haben. Wie viele TänzerInnen, Cho- reografInnen, JournalistInnen und AutorInnen übergibt ... MANY auch Gert Weigelt sein Archiv dem Deutschen Tanzar- HAPPY chiv Köln. Zehn Jahre habe es gebraucht die analogen Bestände zu sortieren, zu bearbeiten und zu katalogi- RETURNS, sieren. Nun könne, hoffentlich weiterhin assistiert von einer Mitarbeiterin des Deutschen Tanzarchivs Köln, das GERT WEIGELT! digitale Archiv entstehen. Denn so ein leidenschaftlich rastloser Perfektionist wie Weigelt kann nicht einfach „aufhören", wenn die Uhr fünf schlägt oder die Le- bensuhr „65“ oder gar - wie am 27. Juli 2018 - „75".

Was wünscht er sich für die Zeit danach? Viel- Gert Weigelt sieht Martin Schläpfer als solch leicht doch aufhören, um endlich frei reisen zu können? eine Lichtgestalt im Tanz in Deutschland. Aufmerksam Eigentlich möchte er „unbedingt die zehn Jahre Zusam- auf ihn wurde er durch den unvergessenen Kritiker Jo- menarbeit mit Martin Schläpfer in Düsseldorf Duisburg chen Schmidt, dessen Bücher „Hans van Manen - der voll machen - und eine eigene Schau im Ausstellungs- Zeitgenosse als Klassiker“ und „Tanztheater in Deutsch- haus für Fotografie und visuelle Medien c/o Berlin oder land“ (wie auch andere Tanzbücher, zum Beispiel von im Newton Museum zeigen oder..." Norbert Servos) mit vielen Weigelt-Fotos illustriert sind. Schon in Mainz beobachtete Weigelt den kometen- haft aufsteigenden Choreografen aus der Schweiz. Seit Schläpfer das Ballett am Rhein in Düsseldorf Duisburg zur führenden deutschen Kompanie heranbildete, ist Weigelt dort ständiger Fotograf (wie auch in Hannover bei Jörg Mannes). Mit einem Augenzwinkern schuf er eine köstliche Porträtgalerie der 48 KünstlerInnen aus über zwanzig Nationen. Die Schau im Düsseldorfer Opernhaus hieß „96 Beine - eine Compagnie".

Bei der Eröffnung von Weigelts jetziger, drit- ter Ausstellung im Deutschen Tanzarchiv Köln zeigte sich, wie gut Schläpfer sich in den Fotokünstler hinein fühlen kann, wenn er für die Bühne arbeiten muss. Da ginge es darum einen Auftrag zu erfüllen, eine Mitte zu finden und sich mit den Vorstellungen des Choreogra- fen auseinanderzusetzen. Trotzdem bleibe jedes Foto „ein veritabler Weigelt“ mit der unverkennbaren Hand- schrift des „Verbunden-Seins, im Idealfall Eins-Seins mit den tanzenden Körpern". Durch die Zusammenarbeit mit Weigelt habe Schläpfer wie nebenbei gelernt, was gute Fotografie sei, von einem ehemaligen Tänzer ge- schaffen. Eine „veritable Schule des Sehens, des ande- ren Hinsehens“ habe sich dadurch für ihn eröffnet. Das Besondere an der Zusammenarbeit mit Martin Schläp- fer sieht Gert Weigelt selbst in der Diskussion auf Au- genhöhe. Schläpfer jedenfalls wünscht sich, Weigelt möge seine Bühnenarbeit selbst als hochrangig genug einreihen, um daraus eine Ausstellung zu konzipieren.

Das Spielzeitheft 2018 85

WEGGEFÄHRTEN

Uns verbindet seit 45 Jahren eine große Freundschaft. Ein Glück! Ich kenne Gert natürlich schon aus seiner Zeit als groß- artiger Tänzer. Auch damals war er schon als Fotograf Damals… Erinnere ich mich richtig? Wenn ja, dann war tätig, was das Verständnis für die Tanzfotografie sozu- es Anne Neumann-Schultheis, die umtriebige Geschäfts- sagen von innen heraus ermöglichte. Für mich ist Gert führerin der in Köln ansässigen Gesellschaft für Zeitgenös- Weigelt einer der besten Tanzfotografen der Welt. sischen Tanz, die uns im Frühjahr 1996 zusammenbrachte. Seine Arbeit ist wirklich fantastisch und ich habe größten „Hast Du nicht Lust, mit Gert Weigelt eine Fotoausstellung Respekt vor ihm. Gert hat auch einen tollen Humor. mit dem Titel „Im Wind der Zeit. 50 Jahre Tanz in Nord- Wenn wir uns begegnen, lachen wir unglaublich viel. rhein-Westfalen“ zusammenzustellen? Du, der Archivar Da ist es natürlich nicht verwunderlich, dass auch seine und Kenner der Fotobestände des Deutschen Tanzarchivs Fotografie oft mit Augenzwinkern und Humor operiert. Köln und Gert Weigelt, der Tanzfotograf?“ Hans van Manen

Gert Weigelt, den Namen kannte ich natürlich! Seinen unverwechselbaren Fotoarbeiten war ich immer wieder begegnet, ihm selbst noch nicht.

Es folgten Wochen des gemeinsamen Sichtens, Aus- Gert Weigelt war und ist mir ein Gegenüber; ein wählens, Verwerfens und Entscheidens. Wochen, die ein veritabler Partner eben. Er ist jemand, mit dem man Geschenk für mich waren! Ich begegnete einem Foto- etwas baut - und denkt – nicht einfach nur etwas tut. grafen mit einem unbestechlichen Blick für fotografische Qualität und unbändiger Leidenschaft für eigenständige,

künstlerische Blicke auf Tanz. Ich erlebte einen Künst- Wir sind über viele Jahre einen spannenden Weg ler, der vorbehaltlos das fotografische Können anderer gegangen. Ich durfte sehr viel von ihm lernen – wertschätzte und dabei – wenn es gar nicht anders ging und ich bin sehr dankbar dafür. – sogar tief in die eigene Tasche griff: „Dieses Foto muss dabei sein, koste es was es wolle!“ Und ich erlebte einen Gert Weigelt ist zuerst Künstler - dann kommt der Menschen, der offen war für andere Sichtweisen, der grandios radikale Fotograf dazu! Er versteht und liebt kreative Diskussionen und Kontroversen schätzte. den Tanz UND die TänzerInnen. Das ist selten. Erfüllte Wochen. Und zum Glück sollte es nicht die einzige Und er ist mir ein wunderbarer Freund! Und dabei doch gemeinsame Ausstellung mit Gert Weigelt bleiben, deren auch mein Lehrer geblieben. Auch das ist selten, in Vorbereitung und Realisierung von einem Dialog über dieser manchmal doch recht harten und faken Szene. Theater, Tanz, Fotografie und – natürlich – über das Leben Herzlichen Dank, lieber Gert und Happy Birthday! begleitet wurde. Was für ein Glück!

Thomas Thorausch Martin Schläpfer

Das Spielzeitheft 2018 87 FOTOCREDITS GERT WEIGELT

S. 72 Tanztheater Wuppertal Pina Bausch „Viktor, Walzer, Brecht/Weill, Nur Du“ Ch.: Pina Bausch

S. 75 Young Choreographers Ballett am Rhein Düsseldorf Duisburg 2018, „POSIDONIA" Ch.: Virginia Segarra Vidal

S. 75 Ballett am Rhein Düsseldorf Duisburg 2012, Ballettabend b.13 „Kleines Requiem“, Ch.: Hans van Manen T.: Helge Freiberg - Julie Thirault

S. 76 von oben nach unten: Gert Weigelt - auf der Schulbank - am Barren - Turnerriege - im Fotostudio - als Mercutio in Birgit Cullbergs Romeo & Julia ca. 1971

S. 78 ABSOLUT PINA oben: „Viktor, Walzer, Brecht/Weill, Nur Du“

Ch.: Pina Bausch, T.: Ensemble unten: Danzón, Ch./T.: Pina Bausch

S. 80 von oben nach unten: 1. „Mini Jump“, Johana Cessiecq 2007 2. „Beinfächer“, Tänzerinnen der Staatsoper unter den Linden Berlin 2000 3. Antony Rizzi, 1988 4. Bettina Thiel, 1998

S. 81 von oben nach unten: 1. Marion Schloemann, 1989 2. Aki Kato, 1991 VITA WERK BÜCHER 3. „Drei Grazien (hängend)“ Gravitation (2) 1984 4. „It takes two to tango“ 1986 Geboren am 27. Juli 1943 in Raeren, in der WICHTIGSTE PARTS ALS TÄNZER u.a. mit den Text-Autoren Norbert Servos S. 82 deutsch-belgischen Region Eupen. und Hedwig Müller: Pina Bausch - „Emballe moi“ 2007, Cie.Linga Balanchines „Die vier Temperamente“ Wuppertaler Tanztheater, Köln 1979 Ch.: Marco Cantalupo - Katarzyna Gdaniec Nach dem Abitur Ausbildung zum (Phlegmatiker) und Robbins’ „Les Noces“ T.: Johana Cessiecq klassischen Tänzer in Berlin bei Tatjana beim Königlich Schwedischen Ballett mit Autor Jochen Schmidt: S. 83 Gsovsky, drei Jahre später in Kopenhagen, Stockholm Tanztheater in Deutschland, Leopard leotard, 1983 u.a. bei Vera Volkova. Frankfurt/Berlin 1992 Fahnenträger in Kurt Jooss‘ „Der Grüne Ausstellungskataloge S. 84 von links nach rechts 1. Ballett am Rhein Düsseldorf Duisburg Engagements: 1967-70 Tänzer beim Tisch“und Mercutio in Birgit Cullbergs 2012, „Violakonzert“ Ch.: Martin Schläpfer Königlich Schwedischen Ballett in „Romeo&Julia“ beim Cullberg Ballett Videoserie mit Kurzchoreografien T.: Alexandre Simões - Mariana Diaz Stockholm; 1970-72 beim Cullberg in sechs Teilen 2. Ballett am Rhein Düsseldorf Duisburg Ballett; 1972-75 beim NDT. Hans van Manens „Große Fuge“ und Glen 2015, „Two Gold Variations“ Tetleys „Arena“ beim NDT „Amuse OEil - Pinatz und andere Ch.: Hans van Manen T.: Alexandre Simões - Marlúcia do Amaral Ab 1975 Studium der Künstlerischen Kleinigkeiten“, 1990er Jahre 3. Ballett am Rhein Düsseldorf Duisburg, Fotografie an der Fachhochschule für 25 FOTOAUSSTELLUNGEN SEIT 1983 2009, „Die Kunst der Fuge“ Kunst und Design Köln. Meisterschüler. darunter Ch.: Martin Schläpfer, T.: Chidozie Nzerem - Ainara Garzia Navarro Seit 1986 verheiratet mit der Tänzerin und „Body and Soul“ im Dansmuseet S. 85 klassischen Trainingsleiterin Sighilt Pahl. Stockholm, 2002 Ballett am Rhein Düsseldorf Duisburg 2018, „Schwanensee“, „Absolut Pina“, unterstützt vom Ch.: Martin Schläpfer Goethe-Institut, 2008-10 in Stockholm, T.: Marlucia do Amaral - Marcos Menha Luxemburg, Kopenhagen, Santiago de S. 86 Chile und Peking Hans van Manen, Martin Schläpfer „Autopsie in schwarz/weiss“ im Deutschen S. 87 Tanzmuseum des Deutschen Tanzarchivs Thomas Thorausch © Bettina Stöß Köln, bis 27.1.2019 S. 88 Gert Weigelt mit Ehefrau Sighilt Pahl, mit Hans van Manen und Henk van Dijk

88 89 causales_2018.qxp_tanznetz_210x297+3mm 30.07.18 12:56 Seite 1

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90 91 Einleitung DER

Nicht erst seit dieser Spielzeit, aber in der vergangenen Saison verstärkt, lässt sich feststellen, dass an klassischen Theaterhäusern, SIEGESZUG auf Theater- und Performancefestivals, im Film, in Museen und im öffentlichen Raum zunehmend getanzt wird. Eigentlich dem Schauspiel oder unbewegten Artefakten verschrieben gewähren DES immer mehr TheaterintendantInnen, FestspielleiterInnen, Museums- kuratorInnen und Verantwortliche kultureller Bildung internationalen ChoreografInnen, TänzerInnen und Kompanien Zutritt. TANZES Ob die Münchner Kammerspiele mit KünstlerInnen wie Marlene Montero Freitas oder Trajal Harrell arbeiten, ob Eric Gauthiers Choreografie in der neu verfilmten „Dreigroschenoper“ eine tragende Rolle spielt, ob in Stuttgart ein Künstler wie Tino Sehgal eingeladen wird, ein Museum mit seinen situativen Arbeiten tänzerisch zu bespielen oder Chris Dercon seine kurze Intendanz an der Volksbühne Berlin mit Tanzveranstaltungen eröffnete und ChoreografInnen in seinen künstlerischen Beirat mitaufnahm: überall ist der Tanz auf dem Vormarsch!

Das Spielzeitheft 2018 93 Tanz auf dem vormarsch! Was kann Der Tanz, was die anderen Künste nicht können? Woher kommt dieses große Interesse am (zeitgenössischen) Tanz? Was kann er, was die anderen Künste nicht können? tanznetz.de fragt bei prominenten VertreterInnen der nationalen Kulturlandschaft nach und will wissen, warum sie Raum schaffen für die Bewegungen des Körpers. Nicola Hümpel Regisseurin Kraus Karola Museum Moderner Kunst Direktorin Wien Ludwig Stiftung Lang Joachim A. Filmregisseur Lilienthal Matthias Intendant Münchner Kammerspiele Simone Schulte-Aladag München Tanzbüro Anne Vieth Kuratorin Stuttgart Kunstmuseum

Das Spielzeitheft 2018 95 Nicola Hümpel

Regisseurin NICO AND THE NAVIGATORS

Unser Ensemble besteht aus KünstlerInnen verschie- dener Gattungen und ganz entscheidend ist dabei eine Handvoll TänzerInnen. Auch wenn ich keine Choreo- grafin bin, liebe ich die Zusammenarbeit mit ihnen. Zu unseren Themen machen sie häufig sehr komplexe Angebote, die uns inhaltlich auf ganz neue Pfade brin- gen. Die TänzerInnen hingegen inspiriert die Arbeit, in der die Genres Tanz, Schauspiel, Performance, Gesang und Musik ineinanderfließen und in der sie angehalten sind, sich mental den unterschiedlichsten Prozessen in voller Konsequenz zu stellen. Das Wichtigste ist, dass ihr Tanz nicht bebildert, sondern tatsächlich kommu- niziert. Er ist Ausdruck starker innerlicher Kämpfe und Anliegen, ein Energiezustand, ein Affektfeld, eine Gefühlskonzentration und er agiert polyrhythmisch. Wenn nach einer Premiere die Zeitung Die Welt DANCE! schreibt, dass „Stromstöße der vierstimmig durch- brochenen Satzkunst Beethovens durch Yui Kawaguchis And Afterwards? Sehnen zucken“ und eine Inszenierung um das Quartett We will be pleased to help Opus 135 von Beethoven als „faszinierende, produktive you, free of charge. Tanzcompagnie Umformung des oft als sperrig empfundenen letzten Te Streichquartetts“ bezeichnet wird, dann haben wir den Flamencos en rou Eindruck gemeinsam etwas Besonderes geschafft zu www.flamencos-enroute. com haben: Ein schwer verständliches Werk Beethovens ist durch das starke Zwiegespräch von MusikerInnen und «mosaico» luisa merki einer Tänzerin in seiner Genialität dem Publikum choreografien: David coria, Brigitta 25. – 29. september 2018 /23. / Helena Gläser Foto: Jörg Riethausen, Tanz: cH-aarau, alte reithalle 22. – 13. / 16. – 20. Januar 2019 wieder zugänglich gemacht worden. D-stuttgart, Theaterhaus 10. «à miró» merki choreografie: Brigitta luisa 4. oktober 2018 cH-genf, Festival assemblage ktober 2018 luX-marnach, cube 521 6. o

«rondo flamenco» luisa merki uraufführung, choreografie: Brigitta cH-Baden, ThiK 16. – 21. oktober 2018 Stiftung TANZ - Transition Zentrum Deutschland – 26. oktober 2018 cH-Verscio, Teatro Dimitri 24. Kollwitzstraße 64 | 10435 Berlin | Tel: 030 - 32 667 141 – 22. Dezember 2018 cH-Bern, Dampfzentrale 18. [email protected] | www.stiftung-tanz.com Spendenkonto: Konto 064978000 | BLZ 10070000 | Deutsche Bank

96 Karola Joachim Kraus A. Lang

Direktorin Regisseur Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien von „Mackie Messer – Brechts Dreigroschenfilm“

Es ist mir eine große Freude, dass sich das mumok bereits Tanz spielt in meinem Mackie-Messer-Film eine wichtige Rolle. das vierte Jahr in Folge im Rahmen des Festivals ImPulsTanz Es gibt im Dreigroschenprozess ein Schlüsselzitat von Bertolt dem Medium des zeitgenössischen Tanzes öffnet. Auch in Brecht, das sinngemäß wie folgt lautet: Die Situation ist heute diesem Jahr nahmen Tanz- und PerformancekünstlerInnen in so, dass ein Foto, etwa der Kruppwerke, beinahe nichts über ihren Performances direkten Bezug auf die Ausstellungen des die Wirklichkeit aussagt, es ist etwas Gestelltes, Künstliches, mumok. Die aktuelle Ausstellung „Doppelleben. Bildende Kunstnötiges. Künstler_innen machen Musik“ diente heuer als thematischer Es geht um Kunst und Wirklichkeit, ein Thema, mit dem ich Ausgangspunkt zahlreicher Programmpunkte des Festivals. mich in verschiedenen Zusammenhängen beschäftige. Unser Mit seinem vielfältigen, kritischen und diskursiven Programm Film versucht mit künstlerischen Mitteln die oberflächlich fungiert unser Haus nicht als bloße Kulisse für zeitgenössischen wahrgenommene Wirklichkeit durchschaubar zu machen; Tanz, sondern als Reflexionsort und zugleich Resonanzkörper, mit Film, Theater, Musik, Literatur, der Schauspielkunst, der der einen einzigartigen Rahmen für intensive und oft auch Bühnenkunst und vor allem auch mit Tanz. Wir möchten die sehr intime Performancesituationen schafft, die beim Publikum Verhältnisse zum Tanzen bringen. Die Bewegung des Körpers wie auch bei den TänzerInnen gleichermaßen bleibende kann anderes und mehr zeigen als Sprach- und Musikkunst. Eindrücke hinterlassen. Diese äußerst fruchtbare synergetische Verschränkung von Tanz, Musik sowie zeitgenössischer Kunst Eric Gauthier gehört mit seiner Kompanie zu den innovativsten erhöht nicht nur in unserem Haus jährlich die Pulsfrequenz. KünstlerInnen im Tanzbereich. Im Dreigroschenfilm geht es um Sie wird mit Sicherheit ein wachsendes Erfolgsmodell für die eine neue Form des Zusammenspiels der Künste, nicht etwa kommenden Jahre bleiben. um eine Nachahmung von historischen Tänzen des viktoriani- schen Zeitalters, sondern um eine Aktualisierung eines Stoffes und seine Nutzbarmachung für die Gegenwart. Ich lebe in Stuttgart und kam über das Stuttgarter Ballett, über die große Tradition von John Cranko, zu meiner intensiven Beschäftigung mit dem Tanz. Gerade die großen Handlungs- ballette haben mich inspiriert und ebenso die Begeisterung für den zeitgenössischen Tanz. Eric Gauthier ist es auf eindrucks- volle Weise gelungen, die Dreigroschenoper zum Tanzen zu bringen.

Das Spielzeitheft 2018 99 Matthias Lilienthal

Intendant Münchner Kammerspiele

TänzerInnen sind wegen ihrer körperlichen Sinnlich- keit natürlich immer gerne an deutschen Schauspiel- häusern gesehen. Tanz löst sich von gesprochener Sprache ab, geht darüber hinaus und hat zwischen den Grenzen eine andere Verständlichkeit. Es gibt ChoreografInnen, die immer neue und sehr frucht- bare Ansätze finden. So wie Marlene Monteiro Freitas, die u.a. mit „BACANTES – PRELUDE TO A PURGE“ bei uns zu Gast war und darin den kapver- deschen Karneval mit intellektuellen Ansprüchen auf die Gegenwart kombiniert. Durch Dramaturg Benjamin von Blomberg kam die Zusammenarbeit mit dem amerikanischen Choreografen Trajal Harrell zustande, den ich im Zusammenhang mit seinen Voguing-Produktionen auch schon vom HAU kannte. An seiner Arbeit „Juliet & Romeo“ ist faszinierend, dass die Unterscheidung von Tänzer und Schauspieler verschwimmt. Das ist genau das, was das Ensemble der Kammerspiele aktuell ausmacht: Schauspie- lerinnen und Schauspieler, die sich mit ihren stark ausgebildeten Körpern und Stimmen an den Beruf der TänzerInnen annähern. Umgedreht nehmen die TänzerInnen wiederum die enorm ausgeprägte gedankliche Selbstreflexion der SchauspielerInnen mit dem Dargestellten auf. Und diese gegenseitige Beeinflussung ist doch wundervoll.

Das Spielzeitheft 2018 101 Simone Schulte-Aladag

Tanzbüro München

Ich erlebe immer wieder Menschen, die beim Besuch ei- nes zeitgenössischen Tanzstücks auf einmal tief berührt sind. Sie stellen fest, dass sie keine narrativen Elemente brauchen, um zu entdecken, was sie wahrnehmen und spüren. Bei Vorstellungen für junges Publikum sehe ich Kinder, die unbeschwert und glücklich das Geschehen verfolgen oder die nachdenklich und gespannt sind. Je WWW.KAMMERSPIELE.DE THEATER DER jünger die ZuschauerInnen sind, desto offener sind sie STADT KARTEN UNTER und desto größer ist die Chance, dass der Tanz als eigen- 089 / 233 966 00 ständige Ausdrucksform, als selbstverständliche Darstel- lungsform anerkannt wird. Denn Tanz, Bewegung, Musik und Spiel sind hier noch Teil des Lebens.

In unserem Arbeitsfeld FOKUS TANZ - Tanz und Schule verbinden wir seit Jahren künstlerische Praxis und Ver- mittlung, vorwiegend mit Kindern und Jugendlichen im schulischen Kontext. Zeitgenössischen Tanz und Perfor- mance kennen zu lernen, KünstlerInnen zu begegnen und Arbeitstechniken zu erlernen sind Möglichkeiten, Kindern und Jugendlichen sehr früh einen Zugang zur Kultur und zur ästhetischen Bildung zu ebnen. Durch Im- provisation und eigenes Gestalten im Zusammenspiel mit Musik entdecken junge Menschen neue Ausdrucks- möglichkeiten und stärken Gemeinschaft. Stücke zu sehen und sich über das Gesehene auszutauschen führt tanznetz.de diesen Prozess fort. PREMIUM Ich freue mich, dass wir mit dem Tanzpakt geförderten USER Projekt „explore dance - Netzwerk Tanz für junges Publi- WERDEN kum“ länderübergreifend die künstlerische Entwicklung Branchennews & des Bereichs durch eigene Produktionen, Gastspiele und Fachinformationen Vermittlungsformate stärken, gleichberechtigt neben den Produktionen anderer Sparten positionieren und so Heranwachsenden die Kunstform wieder näher bringen.

Information und Buchung: www.tanznetz.de

103 Anne Vieth

Cover Kuratorin

„Abstrakte Tänze – Bauhaustänze“ (1986) Kunstmuseum Stuttgart von Gerhard Bohner © Gert Weigelt Vorwort

S. 3: Nina Hümpel © Severin Vogl Rückblick Mit Blick auf unsere kommende Sonderausstallung auf die Spielzeit 2017/2018 EKSTASE (29.2.18 bis 24.9.19) wird einmal mehr deutlich, S. 6: Nele Hertling © Ingewelchen Zimmermann zentralen Stellenwert das Tanzen für den Menschen Noemi Lapzeson © Gregory Batardon Doris Uhlich © Petervon Empl jeher besitzt. Tanzen ist eine epochen- und kultur- Mikhail Baryshnikov © Maria del Pilar Munoz Fontaine übergreifende Technik, um in Ekstase zu geraten. Das Kathleen McNurney © Boris Bürgisser Peter Martins © Jakoblässt Dall for sich the NY Timesbei den rituellen Tänzen der Derwische und Nanine Linning © Annemone Taake Bridget Breiner © SebastienSchamanen Galtier ebenso beobachten wie bei den Massen- Marco Goecke mit Marta Jaén © Marie-Lau- re Briane ekstasen, die im Rahmen der mittelalterlichen Tanzwut Meg Stuart © Edouard Jacquinet Beate Vollack © Operbeschriebenen Graz werden, oder auch bei den im Kontext Adolphe Binder © Claudia Kempf Iván Pérez © Sebastianvon Bühler Techno- und Ravekultur zelebrierten, von religiösen Umbrüche bei den TanzkompanienMomenten losgelösten Tanzexzessen. Tanz, gerade in Verbindung mit Musik, wirkt sich unmit- telbar auf das Befinden des Betrachters aus – das hat die

S. 52-53: „b. 36 Schwanensee“Ausstellung (2018) von Tino Sehgal verdeutlicht. Sehgal hat bei von Martin Schläpfer © Gert Weigelt S. 54: „b. 36 Schwanensee“uns im(2018) Kunstmuseum Szenen aus seinem Werk gezeigt, von Martin Schläpfer © Gert Weigelt S. 56: „Young Movesin - Temet denen Nosce“ (2018)die Tänzerinnen und Tänzer durch Bewegun- von Feline van Dijken © Gert Weigelt S. 57: „Young Movesgen - Our Discontent“ und Gesang eine sehr eindrückliche und für den Ort (2018) von Sonia Dvořák ©Museum Gert Weigelt eher ungewöhnliche Stimmung erzeugt haben. Diese schlug sich sichtlich auf die Betrachter nieder:

S. 89: alle Fotocreditssie waren gebannt, wippten im Rhythmus, und bei den Der Siegeszug des Tanzes Szenen auf der Königstraße vor dem Museum tanzten einige Passanten mit. Der choreografierte Tanz ist für die Bildende Kunst schon Das Handlungsballett heute lange eine Quelle der Inspiration und vice versa. Auch S. 109, oben: „Romeo und Julia“ (2012) von Christian Spuckdass © Monika es Rittershaus Konjunkturphasen innerhalb dieser Wechsel- S. 109, unten: „La Strada“ (2018) von Marco Goecke ©wirkung Marie-Laure Briane gibt, ist bekannt. Aus kuratorischer Sicht sind S. 112, oben und unten: „Carmen“ (2018) von Yuki Mori © Hans-Jörgperformative Michel und das Tanzen einbeziehende Kunstwerke Die MeToo-Debatte sowohl für den Dialog mit den anderen Kunstwerken S. 114: „The Virgin Suicides / Die Selbst- mordschwestern“ (2017)als vonauch Susanne für die ästhetische Erfahrung des Besuchers Kennedy © Ursula Kaufmann S. 116, oben: „Der Traumbereichernd, des Minotaurus“ denn darin kommen unterschiedliche Kunst- (2002) von Blanca Li © Dieter Hartwig S. 116, unten: "Edgar"begriffe von Grayson Millzum- Tragen. wood mit Grayson Millwood und Claudia de Serpa Soares © Dieter Hartwig

Fotos: S. 95: Nicola Hümpel © Oliver Proske | Karola Kraus © Andrea Kremper Joachim A. Lang © Stephan Pick | Matthias Lilienthal © Sima Dehgani | Simone Schulte-Aladag © Bülent Aladag | Anne Vieth © Kunstmuseum Stuttgart | S. 97: Nico and the Navigators © Dieter Hartwig | S. 101: „BACANTES . PRELUDE TO A PURGE“ (2017) von Marlene Monteiro Freitas © Filipe Ferreira | S. 101: „Juliet & Romeo“ (2017) von Trajal Harrell mit Trajal Harrell, William Cooper und Ondrej Vidlar © Orpheas Emirzas | S. 104: „Bildnis der Tänzerin Anita Berber“ (1925) von Otto Dix © Kunstmuseum Stuttgart

105 GEFÄHRDET UND BESTÄNDIG:

DAS HANDLUNGSBALLETT HEUTE

von Alexandra Karabelas

107 sich meist besser als mehrteilige Aben- de, und können somit eine Notwendigkeit für Kompanien sein“, bringt es Christian Spuck, Direk- tor des Ballett Zürich, auf den Odette, Odile, Lulu oder Carmen - neben ih- Punkt. Einen tanzstrategischen Blick wirft nen verheddern sich die Männer reihenweise. Von Al- Stephan Thoss auf das Literaturballett: „Um den brecht über Onegin, von Dr. Faust bis Prinz Siegfried. Tanz am Theater stabiler zu fixieren muss man dem Wundersam sind ihre Begegnungen alle, und doch ver- Handlungsballett neues Leben einhauchen und es so laufen nahezu alle tragisch. Die zu Herzen gehenden gut wie möglich präsentieren. Wird es zu häufig um- Liebesgeschichten füllten auch in dieser Saison landauf, gangen, empfinde ich Angst um den Tanz am großen landab die Spielpläne. Und das Publikum ging mit und Haus. Da fühle ich mich persönlich verpflichtet beizutra- besetzte begeistert die Reihen im Parkett – sei es beim gen, dass der Job des Tänzers erhalten bleibt.“ Stuttgarter Ballett, beim Bayerischen Staatsballett, in Zürich, Mannheim, Nürnberg oder sonst wo. Harmloses Das kann Gudio Markowitz, Direktor des Bal- Nacherzählen der Ereignisse und Emotionen bei schö- lett Theater Pforzheim, nachvollziehen. Obwohl sein nem Tanz gilt auf der Bühne jedoch schon lange nicht Ensemble aktuell nur zwölf Mitglieder aufweist, sei sei- mehr. Das Handlungsballett, der Blockbuster in Spiel- ne Herangehensweise an die Spielzeitplanung davon filmlänge, fordert ChoreografInnen inhaltlich, ästhetisch geprägt, sowohl abendfüllende und erzählende Pro- und stilistisch heraus. Sei es als völlige Neukreation, als duktionen zu entwickeln, als auch sogenannte „TANZ Neuinterpretation eines bereits mehrfach bearbeiteten PUR“-Abende, an denen die Bewegungssprachen von Stoffes und dessen Musik oder als Wiedereinstudierung GastchoreografInnen im Zentrum der Aufmerksamkeit eines Klassikers. stehen. „Ich gehe so vor, weil ich das Publikum auf die- se Weise mitnehmen kann“, erläutert er, der zuletzt mit Ein Vorlauf von mehreren Jahren für die Bear- „Mozart-Reqiem – Feiert das Leben!“ eine schlüssige beitungen ist nicht ungewöhnlich. Eine Dramaturgie zu Variante des Themas „Der Tod und das Mädchen“ vor- entwickeln, die die Story von Anfang bis Ende auf den gelegt hat. „Diese Produktion war für mich am nächsten Punkt bringt, tänzerisch überzeugt und zudem in irgend- am klassischen Handlungsballett dran“, so Markowitz. einer Form den Beweis für die Relevanz der Aufführung in der Gegenwart erbringt, bedarf eines scharfen Intel- Martin Schläpfer, Direktor des Ballett am lekts, großen Wissens und eines deutlich entwickelten, Rhein, würde persönlich jedoch kein Handlungsballett eigenständigen Bewegungsverständnisses der Choreo- planen, nur damit das Haus voll werde. Einen wichtigen grafInnen im 21. Jahrhundert. Vor allem aber braucht Auftrag an die ChoreografInnen und DirektorInnen sieht man einen langen Atem, wie Stephan Thoss, Intendant er vielmehr darin „zu klären, wie ich mich mit dieser von Tanz am Nationaltheater Mannheim, sagt: „Als Cho- Kunstform Tanz, die so fragil und gefährdet ist, in der reograf eines Handlungsballetts müssen Sie am Anfang Öffentlichkeit positioniere, um sie zu verteidigen und etwas etablieren, was auch zu dem, was zwei Stunden beizutragen, dass sie in der Gesellschaft verankert ist“. später passiert ist, noch in Bezug steht. Sie müssen nach- Selbstverständlich kennt er das Ringen mit der großen vollziehbar dorthin führen und möglichst auch noch den Form allzu gut. Nicht lange liegt die Premiere seiner Zuschauer emotional berühren.“ Neuinterpretation von Marius Petipas und Lew Iwanows „Schwanensee“ zurück. Ob das Handlungsballett als Königsdisziplin gilt, das über Erfolg oder Misserfolg eines/r Choreogra- fen/In entscheidet, darüber kann man streiten. In jedem Fall sind in keinem anderen Format Kunst, Kommerz und Selbsterhalt des Bühnentanzes innerhalb der Mehr- spartenbetriebe derart eng miteinander verschränkt. „Die abendfüllenden Ballettproduktionen verkaufen

Das Spielzeitheft 2018 109 Wie Schläpfer, Thoss und Spuck haben auch etwa Goyo Montero, Diesem vitalen, irritierenden Mo- Ballettdirektor am Staatstheater Nürnberg, Marco Goecke, designierter Bal- ment begegnen ChoreografInnen bis heute. lettdirektor am Staatstheater Hannover, John Neumeier, Direktor des Ham- Yuki Mori etwa verspürt das tiefe Bedürfnis, burg Ballett, Tamas Detrich, Intendant des Stuttgarter Ballett oder Igor Zelens- sich intensiv in ein Thema hineinzuarbeiten ky, Direktor des Bayerischen Staatsballett München, das Handlungsballett und etwas zu erzählen. Als zeitgenössischer bereits als TänzerInnen und HauschoreografInnen in sich aufgenommen und Choreograf, der Prägungen wichtiger Be- studiert. „Romeo und Julia, Dornröschen, Cinderella, Nussknacker - all diese wegungsstile aus dem 20. Jahrhundert in Stoffe bilden sozusagen meine Kindheit als Tänzer und Choreograf“, fasst sich trägt, zieht es ihn jedoch sehr zu jenem es Goyo Montero zusammen. Unter kunstpsychologischer Perspektive bil- Tanz, der abstrakt und voller Assoziationen TANZRAUM den Historie, Figuren und choreografische Ausarbeitungen von Handlungs- ist. Dementsprechend schwierig gestaltete balletten eine innere Familie, mit der alle KünstlerInnen irgendwann in ein sich die Neufassung der „Carmen“ für das Zwiegespräch gegangen sind, als es darum ging, selbst eine eigenständige, Nationaltheater Mannheim, erinnert er sich. WEDDING künstlerisch-erzählerische Position aufzubauen. Heute gehören all jene Ge- Schlussendlich verwandelte er sie sowohl IN DEN OSRAMHÖFEN nannten als Leiter und/oder Choreografen von Kompanien zu den Entschei- in ein der Bewegung aus Stille und Musik (OUDENARDER STRASSE 16-20, U-BAHN: NAUENER PLATZ) dern; sowohl über den Fortbestand des Handlungsballetts als auch über das dienendes Tanzpoem, als auch in ein figu- narrative Paradigma im Tanz. Auch Direktoren kleinerer Häuser, wie Guido ratives, nacherzählendes Kapitel. Martin Markowitz oder Yuki Mori vom Theater Regensburg, Schläpfer erläutert, wie er für sich zuerst WIR BIETEN FÜR TANZKOMPANIEN, AUSSTATTUNG: sichern mit ihren erzählerischen Entwürfen dennoch jene Form üben und beherrschen wollte, FÜR PRODUKTIONEN USW. den narrativen Auftrag an den Tanz weiter ab. IN UNSEREM TANZZENTRUM AN: SCHWINGBODEN UND „die man als abstrakten Tanz bezeichnet, TANZTEPPICH VON TÜCHLER, „Ich kann auch, ohne dass ich momentan eine wobei es diesen sogenannten handlungslo- LICHTDURCHFLUTETE TANZSTUDIOS SPIEGEL, BALLETTSTANGEN, große Kompanie leite, unter Fokussierung auf sen Tanz bei guten Stücken ja gar nie gibt“. (200 QM, 150 QM 120 QM, 100 QM) MUSIKANLAGE, OHNE SÄULEN MIT EINER HÖHE VON 5,50 METER. DUSCHEN, GROSSER UMKLEIDEBEREICH die Hauptfiguren und ihre emotionalen- Ver Guter Tanz müsse dramaturgisch begrün- strickungen sehr gut einen Spannungsbogen det sein, sagt er – und sei es im Aufbau einer und damit eine Spielart des Handlungsbal- Gegenposition. letts entwickeln“, kommt Markowitz auf den Punkt. Nähere Hinweise: TANZRAUM WEDDING GbR Eine solche Gegenposition skiz- Welche Zukunftsfähigkeit sie alle diesem extrover- ziert zum Beispiel Goecke. Getrieben von www.tanzraum-berlin.de tierten Format zuschreiben, das der französische Choreograf dem Wunsch ausbrechen zu müssen, könne es 030-2594070 0173-6020040 [email protected] und Tanztheoretiker Jean-Georges Noverre Mitte des 17. Jahr- vielleicht mal einen Abendfüller geben, in hunderts in einem diskursorischen Kraftakt als modellhaften dem gar keine Gruppenszene drin ist. „Nur Hybrid entwickelt hat, um den Tanz als eigenständige Kunst- weil andere das wollten, muss bei mir eine form neben Oper und Ballett zu etablieren, bildete eine wichti- bestimmte Struktur nicht sein“, so Goecke, ge Frage bei der unternommenen Spurensuche nach dem Stand der erst vor Kurzem am Münchner Gärtner- der Dinge beim Handlungsballett. (Dass hierbei ausschließlich mit platztheater mit großem Erfolg das Ballett männlichen Choreografen und Direktoren gesprochen wurde, soll das „La Strada“ nach Federico Fellini herausge- Ergebnis dieses Beitrags nicht schmälern. Die Auswahl zeigt aber unter dem bracht hat. Wie kaum ein anderer Choreo- Gesichtspunkt Gender, wie Fortbestand und Stellenwert des Handlungsbal- graf hat er alles daran gesetzt, einen unver- letts vorrangig von Männern und der ihnen zur Verfügung stehenden Kom- wechselbaren Stil herauszubilden, der aber paniegröße entschieden wird.) dem klassischen Paradigma folgt, dass der Körper alles sagt und der Tanz ohne Worte Ein wichtiger Aspekt war auch die lupenreine Dekonstruktion und spricht. Stephan Thoss hebt in diesem die Befreiung des Tanzes von der Aufforderung, Geschichten zu erzählen, Zusammenhang die Bedeutung des eigen- durch William Forsythe im Jahre 1988. Lustvoll ließ dieser in „Impressing the ständigen Stils hervor: „Stil entsteht durch Czar“ den Ausverkauf aller Gegenstände des Handlungsballetts zelebrie- Reduktion, durch eine intensive Beschäfti- ren. Die Bühne verwandelte sich in eine wild bevölkerte Resterampe. Zum gung damit, was ich anhand aller Möglich- Handlungsballett zugehörig war auch immer der „storylose“, jedoch assozi- keiten weglasse.“ ativ-sinnhafte Tanz, der mehr zum Ausdruck bringen durfte, als er qua aufer- legter Story sollte. Der reine Tanzteil eben. Dieser Überschuss an unmittelbar verstehbarer und dennoch nicht sagbarer Bedeutungsproduktion von Tanz im Rahmen eines festen Stils jenseits konkreter, narrativer Aufträge an seine Bewegungsfolgen war beispielsweise nicht erst George Balanchine, sondern auch schon Noverre bewusst gewesen. Sehenden Auges opferte dieser ihn jedoch, folgt man dem Tanzwissenschaftler Stefan Hölscher, zugunsten einer beredten Bewegungskunst, in der der Tanz zum Transportmittel für litera- risch vorgegebene Abläufe wurde.

Das Spielzeitheft 2018 Ähnliche Überlegungen beschäftigen auch Goyo Montero. Wenn nur eine Person auf der Bühne stünde, kön- ne das unter Umständen auch ein Handlungsballett werden“, zieht der designierte Tanzpreis-Aktuell-Träger in Erwägung. Markowitz betont, dass das Phänomen des Cross Over, das sparten- und medienübergreifende Arbeiten, nicht vergessen werden dürfe. „Ich glaube, dass hier immer mehr zusammen- wachsen wird bei der Suche nach neuen Formen vom Hand- lungsballett. Tanz, Oper, Schauspiel, und ganz stark der Film werden zusammen eingesetzt werden.“ Neben der hier an- gedeuteten Lust mit dem Format zu experimentieren, es an seine Grenzen zu führen oder es gar auszuhebeln, sind die befragten Künstler sehr an der exakten Personenführung, an der Arbeit an einem in jedem guten Handlungsballett auf- findbaren substanziellen Kern, an dessen Überführung in die Gegenwart und der Entwicklung von Charakteren mit Tiefe interessiert. Hat also Forsythes Vorstoß 30 Jahre später seine Wirkung verloren, weil sich doch das Festhalten am erzählen- den Abendfüller feststellen lässt?

Zumindest erscheint die von John Cranko und John Neumeier in den 1960er bis 1980er Jahren eingeschla- gene Psychologisierung des Handlungsballetts weiterhin attraktiv, wie Neumeier von sich selbst berichtet: Sein Augenmerk sei zunehmend darauf ausgerichtet, we- niger „äußere“ Geschichten zu erzählen, als viel- mehr der inneren, psychologischen Entwicklung seiner Figuren nachzuspüren. Auch Goyo Mon- tero ist für sein Talent bekannt, den Kanon des bereits Erzählten zu Projektionsflächen für die Gegenwart umzuformen, so dass seine eigenen Botschaften ankommen. Dies funktioniere jedoch nur, wenn man eine ehrliche Vision habe, betont er. Dann könne man diese mit den TänzerInnen teilen und der jeweilige Abendfüller werde wirklich ein eigenes Projekt.

Ob es das Handlungsballett immer geben werde? Das bejahen alle Choreografen. Schlicht wegen der Unmit- telbarkeit und Direktheit der Erzählung, meint Marco Goecke: „Darin liegt seine große Kraft, seine Chance und Notwendig- keit. Man ist im Theater sensibel für die Bilder, egal welche Handlung erzählt wird.“ Stephan Thoss hält es in diesem Zu- sammenhang für wichtig, eine Sprache zu finden, die „die im- mer besser ausgebildeten TänzerInnen mögen, um etwas zu erzählen“. Denn die Leidenschaft der TänzerInnen sei unab- dingbar, so auch Schläpfer. Thoss möchte Mut machen, dass die jüngeren ChoreografInnen neue Themen für Handlungs- ballette finden und diese auch neu erzählen. Die Originale zu erhalten und sie so weiterzugeben, dass sie zu einem Körper von heute passen, erscheint auch Schläpfer ein richtiges Ziel. Nachdenklich wird Christian Spuck bei dieser Frage nur an ei- nem Punkt: „Im Tanz ist viel passiert. Das 20. Jahrhundert hat Fotos: S. 109, oben: „Romeo und Julia“ (2012) von Christian Spuck mit William Moore und Katja Wünsche uns alle gelehrt, Ballett zu hinterfragen, und dieses Hinterfra- © Monika Rittershaus | S. 109, unten: „La Strada“ gen muss auch weiterhin sichtbar und spürbar bleiben – sei es (2018) von Marco Goecke mit Chiara Viscido und als Ironie, als Provokation, als Kommentar. Wird all das, was im Özkan Ayik © Marie-Laure Briane | S. 112, oben und unten: „Carmen“ (2018) von Yuki Mori mit David Lukas 20. Jahrhundert im Tanz erarbeitet wurde, übergangen, dann Hemm (oben), Julia Headley und Jamal Callender stagniert das Handlungsballett. Das ist eine Gefahr.“ (unten) © Hans-Jörg Michel

Das Spielzeitheft 2018 113 #MachtWas! #MeToo, weltweites Aufbegehren auch in der Tanzszene

Die Spielzeit 2017/2018 war gezeichnet von einem weltweiten Erstarken und Aufbegehren von Unterdrückten und Gedemütigten meist weiblichen Geschlechts. Das Hashtag #MeToo hat zu einer Neubewertung unserer Gesellschaft geführt.

von Natalie Broschat

Den ersten Fingerzeig gab es bei der Oscarverleihung im Frühjahr 2015. Da sprach Schauspielerin Patricia Arquette bei ihrer Dankesrede den eklatanten Gehaltsunterschied zwischen ihr und den männlichen Kollegen an. Der Saal tobte, Meryl Streep sprang als erste von ihrem Sitz auf. Ins Wanken geriet das schillernde Hollywood dann im Herbst 2017 mit einem sehr großen, weißen Mann. In einem Artikel der New York Times vom 5. Oktober wird der erfolgreiche, amerikanische Filmproduzent Harvey Weinstein von mehreren Frauen der sexuellen Belästigung beschuldigt. Immer mehr Frauen melden sich zu Wort, darunter große Namen wie Gwyneth Paltrow und Angelina Jolie, die Weinstein allesamt grobes Fehlverhalten zur Last legen. Bald ist von Vergewaltigung die Rede. Eine weltweite Welle der Entrüstung und Empörung gerät ins Rollen und entlädt sich (medien-)wirksam im Twitter-Hashtag #MeToo.

Das erinnert an das Hashtag #aufschrei, das 2013 in Deutschland kursierte und mithilfe dessen Frauen über unfaire Behandlungen und sexuelle Übergriffe berichteten. Auch #MeToo gibt es bereits seit 2006, doch erst mit dem Skandal um den Produzenten wurde es international lebendig und ging viral. Mit #MeToo wurde ein machtvolles Sprachrohr geschaffen, wurden viele Karrieren zerstört und Menschen gestürzt. Hauptsächlich reiche, weiße Männer, die allesamt Machtpositi- onen innehatten. Allerdings werden bald Klapse auf den Po mit schwerwiegenden und traumatisierenden Vergewaltigungen in einen Topf geworfen: Weil die Frauen jetzt Dampf ablassen können und sich dem entledigen, was manchmal jahrelang in ihnen schlummerte und nicht erzählt werden durfte.

KÜNSTLERISCHEDas FORSCHUNG Spielzeitheft 2018 IM TANZ 115 Der Ruhm ist so anziehend und die Angst vor um herauszufinden, wie unsozial jemand wird, wenn Nichtbeachtung so stark, dass sich viele jahrelang nur er andere Menschen leitet? Eher sollte für ein positives allzu gerne in festgelegte und festgefahrene Struktu- Klima mit ständiger Kommunikation gesorgt werden, ren eingefügt haben: die Unterdrückung und fehlende in dem Missstände angesprochen werden dürfen und Gleichberechtigung der Frau, perfekte Körperbilder sollen. Konstruktive Kritik sollte üblich sein, ohne dass und steile Machtgefälle. In den Darstellenden Künsten Menschen Angst vor Entlassung oder Verleumdung werden auf der Leinwand, im öffentlichen Raum und auf haben. Kritik sollte ausgesprochen, angenommen und der Bühne konstruierte Bilder aufrechterhalten. umgesetzt werden, bevor es zu Fällen für das Hashtag #MeToo kommt. Machtpositionen sollten dementspre- Doch Kunst ist frei und darf viel. Die Gesell- chend nicht als endlos angesehen werden. Der Chef, schaft ist das Problem, weil sie Strukturen, Vorgaben der Choreograf oder der Ballettmeister trägt zwar die und Bilder nicht hinterfragt und als gegeben und richtig Verantwortung, doch hat er oder sie keine Allmacht. Die annimmt. In den 1950ern flimmerten unzählige -Wer der Hierarchie immanente Unterwerfung und Unterdrü- bungen für Haushaltsartikel über die Fernsehbildschir- ckung (vor allem der Frauen) muss aufhören. me, in denen Frauen als Heimchen am Herd und Män- ner als Geldeintreiber dargestellt wurden. Da hielt man Allerdings agieren Frauen in leitenden Posi- sich dran. In der Modewelt wird der schlanke weibliche tionen nicht unbedingt besser als manche Männer. Sie und der gestählte männliche Körper (re-)präsentiert. werden genauso von der ungeheuren Stärke der Macht Und auch hier wird mit größter Anstrengung versucht beeinflusst und benebelt. Im Frühjahr 2017 sorgt bei- das perfekte Abbild dessen von sich selbst um die Welt spielsweise die Direktorin des English National Ballet, zu jagen. Dem Selfie sei Dank, unterstützt durch soziale Tamara Rojo, für aufregende Schlagzeilen. Ihr wird Medien. Aber auch durch Bühnen, Filme und vor allem nachgesagt ihren 16 Jahre jüngeren Freund, den Prinzi- Werbungen. Um konform zu bleiben und das System paltänzer Isaac Hernández, künstlerisch zu bevorzugen aufrecht zu erhalten gibt es, wie im klassischen Corps und ihn vor Avancen der weiblichen Tänzerinnen ab- de ballet, keine Individualität oder Andersartigkeit. Ein schirmen zu wollen. Sie hat ihre Macht für sexuell-emo- ästhetischer Kapitalismus des Körpers regiert die Welt. tionale Zwecke ausgenutzt, das ist auch ein #MeToo. Gut aussehen und dazugehören um jeden Preis. Manche Frauen missbrauchten #MeToo und die Debat- te sogar zur Rache. In Schweden schürte wohl die die Das auf perfekt angepasste Körperlichkeit Journalistin Åsa Lindborg eine Hetze gegen den Schau- basierende Ballett mag ein Treibhaus für moralisch ver- spieler und Theaterintendanten Benny Fredriksson, der werfliche Übergriffe sein. Beispielsweise wurden russi- mal einen Text von ihr abgelehnt hatte. Ihm wurden sche Ballerina des 19. Jahrhunderts nach den Abend- schwere Vorwürfe gemacht und ein brutaler Führungs- vorstellungen an liquide Zuschauer hohen Ranges stil unterstellt. Die schwedische Presse veröffentlichte „verliehen“. Und im berühmt berüchtigten Bolschoi-Bal- Unmengen an Artikeln und neuen Anschuldigungen. lett ist es heutzutage immer noch die Regel, dass En- Im Dezember 2017 tritt Fredriksson von seinem Amt semblemitglieder (beiden Geschlechts) durch private zurück. Im März 2018 nimmt er sich das Leben. Treffen mit wichtigen Gönnern des Theaters einen Kar- riereschub erfahren. Genau wie in Hollywood, wo die Wir leben in einer von Bildern und guten Karriere ins Rollen kommt, wenn man nur nett genug Stories dominierten Welt. In Sekundenschnelle können zu den mächtigen Weinsteins ist. Schwer wird dann das Geschichten, Karrieren und Leben über soziale Medien „Nein“, wenn dieses Verhalten als quasi normal gilt und aufgebaut und genauso schnell zerstört werden. Das dadurch die oftmals seit der Kindheit mühsamst aufge- Hashtag #MeToo ist dabei ein hervorragendes Beispiel baute Karriere auf dem Spiel steht. der jüngsten Vergangenheit, weil man sich da kurz und knapp aufregen kann. Doch #MeToo ist aus dem Ruder Die MeToo-Debatte hat nicht nur in Hol- gelaufen und hat zu viel Macht erhalten. Das Problem, lywood, sondern auch in der Ballettwelt etwas bewirkt. das es eigentlich lösen wollte, hat es selbst aufkeimen Im November 2017 wird der französische Choreograf lassen: ein moralisches Machtproblem. Ebenso die Daniel Dobbels sexueller Übergriffe bezichtigt, im De- Presse. Sie kann über die Weinsteins dieser Welt berich- zember Peter Martins, langjähriger Leiter des New York ten, doch muss sie einsehen, wie sehr sie an deren Auf- City Ballet. Im Januar tritt er zurück. kommen und Verschwinden beteiligt ist. Anfang 2017 gibt beispielsweise der Erste Solist István Simon vom Das heißt aber nicht, dass Männer die al- Semperoper Ballett in Dresden an, vom Ballettmeister leinigen Bösen sind. Das Böse sitzt vielmehr in der so Gamal Gouda verbal belästigt worden zu sein. Sein etablierten, branchenunabhängigen Position. In den Vorwurf schien zu schlechter Stimmung im Ensemble Rechten, Pflichten, Verantwortungen und der damit ein- und am Haus zu führen und im März erhielt Simon sei- hergehenden Macht; dem eigentlichen Ursprung allen ne Kündigung. Seine ambige Sexualität war Thema in Übels. Macht begünstigt Missbrauch, das ist durch die der Presse. Bald auch sein Interesse an Aufmerksamkeit, MeToo-Debatte breit diskutiert worden. Wie aber soll möglich gemacht durch #MeToo und Medien. damit umgegangen werden? Sollen soziale Tests für Personen in leitenden Positionen eingeführt werden,

Das Spielzeitheft 2018 117 Nicht nur dieser Fall zeigt, dass die MeToo-Debat- te gerne vorschnell dort ins Spiel kommt, wo zwei extreme Personen in voneinander abhängigen Positionen miteinan- der zu tun haben. Auch das Leitungsdesaster am Tanzthea- ter Wuppertal Pina Bausch muss auf diesen Punkt hin noch genauer untersucht werden. Wie konnte es dazu kommen, dass ein verdienstvoller Geschäftsführer wie Dirk Hesse und eine erfolgreiche Intendantin wie Adolphe Binder derart an- einandergeraten konnten, dass nun beide gehen müssen? Es scheint eine konstruierte Katastrophe zu sein, eigentlich lief doch alles ganz gut. Zwei große neue Uraufführungen, welt- weit ausverkaufte Gastspiele, ein Ensemble das hinter Adol- phe Binder steht und mit ihr weiterarbeiten möchte. Doch was ist eigentlich genau passiert, oder nicht passiert? Außer großem Machtanspruch und kleiner Teamfähigkeit beider Instanzen drangen bisher keine wirklich relevanten Fakten an die Öffentlichkeit. Warum werden die Vorgänge am Haus nicht transparent gemacht? Und wie viel Einfluss haben wie- der einmal die Medien und die Presse genommen?

Und was soll nun aus all dem gemacht werden? Veränderungen und Andersdenken dürfen nicht nur auf ge- schlechtlicher, sondern müssen vor allem auf gesellschaftli- cher und moralischer Ebene vorangetrieben werden. Mag sein, dass Männer körperlich stärker sind, denken können wir trotzdem alle. Frauen haben es bis jetzt schwerer gehabt. Das liegt an teils strengen, hierarchischen Machtgefügen, die noch immer zum größten Teil männlich dominiert sind, an der Unterdrückung der Frau, aus der sie sich langsam befreit und an perfekten Körperbildern, die uns tagtäglich vor Augen ge- führt werden.

Doch Bilder sollte man immer hinterfragen und viele andere konstruieren und um die Welt schicken, sonst bleibt sie eintönig. Gleichberechtigung wiederum entsteht dadurch, dass man sich dazu berechtigt sieht, Gleiches wie andere zu tun. Man muss sich einfach trauen und machen und nicht die ganze Zeit jammern. Genauso wie man sich trauen muss, auch Unangenehmes an- und auszusprechen. Wie zu- letzt mithilfe vom Hashtag #MeToo. Allerdings muss milder Idiotismus (beiden Geschlechts) von grober Bösartigkeit un- terschieden werden. Vor allem aber muss gelehrt und gelernt werden mit Macht moralisch-ethisch vertretbar umzugehen. Und um eine Gesellschaft zu ändern, sollte man beim kleins- ten Teil beginnen: sich selbst.

Fotos: S. 114: „The Virgin Suicides / Die Selbstmordschwestern“ (2017) von Susanne Kennedy © Ursula Kaufmann | S. 116, oben: „Der Traum des Minotaurus“ (2002) von Blanca Li © Dieter Hartwig | S. 116, unten: "Edgar" von Grayson Millwood mit Grayson Millwood und Claudia de Serpa Soares © Dieter Hartwig | S. 119: „LUX“ von Jörg Mannes am Ballett der Staatsoper Hannover © Gert Weigelt

118 DANKE FÜR DAS BESONDERE VERTRAUEN AN tanznetz. de

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Das Spielzeitheft 2018 121 impressum

Idee, Konzept Redaktion: Grafische Anzeigen, und Redaktion: Natalie Broschat Gestaltung: Kundenbetreuung Nina Hümpel Gyöngyi Lupfer & Marketing: web-up-media.de Veronika Heinrich

Redaktionelle Redaktionelle Mitarbeit: Mitarbeit: Anja K. Arend Miriam Althammer

Mit besonderem Dank Fotos an unsere StammfotografInnen, Cover deren Fotos dieses Heft maßgeblich bebildern „Abstrakte Tänze – Bauhaustänze“ (1986) von Gerhard Bohner © Gert Weigelt

Impressum Nina Hümpel © Severin Vogl Natalie Broschat © Privat Anja K. Arend © Privat Gyöngyi Lupfer © Tibor Bozi Miriam Althammer © Privat Veronika Heinrich © Privat Dieter Hartwig © Dieter Hartwig Ursula Kaufmann © Ursula Kaufmann Gert Weigelt © Gert Weigelt Dieter Hartwig Ursula Kaufmann Gert Weigelt

123 DER PREMIERENKALENDER von tanznetz.de

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Das Spielzeitheft 2018 125 Foto: András DobiFoto:

18|19 BALLETTGALA  TN LOS! 29. September 2018 EIN SOMMERNACHTSTRAUM ab 26. Oktober 2018 SCHWANENSEE ab 11. Dezember 2018 KONTRASTE: DER TOD UND DAS MÄDCHEN/RUFF CELTS ab 22. Februar 2019 FREITRÄUME III www.theater-nordhausen.de ab 5. Mai 2019

Das Spielzeitheft 2018

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