: Popularisierungen eines populären Autors im 19., 20. und 21. Jahrhundert

Inaugural-Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde der Philologischen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau

vorgelegt von

Christoph Schüly aus Stuttgart

Wintersemester 2008/2009

Erstgutachterin: Prof. Dr. Barbara Korte Zweitgutachter: Prof. Dr. Wolfgang Hochbruck

Vorsitzende des Prüfungsausschusses der Gemeinsamen Kommission der Philologischen, Philosophischen und Wirtschafts- und Verhaltenswissenschaftlichen Fakultät: Prof. Dr. Elisabeth Cheauré

Datum der Fachprüfung im Promotionsfach: 1. Juli 2009

Danksagung

Durch ein Hauptseminar über Charles Dickens, das Frau Prof. Dr. Barbara Korte im Wintersemester 2001/2002 an der Eberhard-Karls-Universität in Tübingen unterrichtete, wurde mein Interesse an Leben und Werk dieses Autors geweckt. Ab dem Wintersemester 2004/2005 betreute und begleitete Frau Prof. Korte den Entstehungsprozess der nun vorliegenden Arbeit. Für die stets rasche Rückmeldung und viele hilfreiche Hinweise bezüglich meiner Arbeitsergebnisse danke ich ihr herzlich. Mein Dank gebührt ihr auch dafür, dass sie mich in den ersten beiden Jahren meiner Arbeit an der Dissertation mit dem nötigen finanziellen Rückhalt versorgte, indem sie mich als Wissenschaftlichen Mitarbeiter an ihrem Lehrstuhl beschäftigte.

Zwischen August 2006 und Mai 2008 war ich als Max Kade Teaching Fellow an der Colgate University in Hamilton, New York, tätig. Das Kollegium des dortigen German Department verschaffte mir mit dieser Stelle die nötige finanzielle Absicherung, um die Arbeiten an meiner Dissertation weiterzuführen und abzuschließen. Zudem ermöglichte mir meine Tätigkeit an der Colgate University, unzählige wertvolle und unvergessliche Erfahrungen zu sammeln – in beruflicher wie privater Hinsicht. Allen, die dazu in irgendeiner Form einen Beitrag geleistet haben, möchte ich ein herzliches Dankeschön aussprechen.

Im August 2007 gab mir die Dickens Society die Möglichkeit, einen Teil meiner Ergebnisse in einem Vortrag auf ihrem jährlichen Symposium vorzustellen, das in diesem Jahr in Montreal stattfand. Dafür sowie für alle hilfreichen Anmerkungen der teilnehmenden Dickens scholars danke ich ebenfalls.

Herrn Prof. Dr. Wolfgang Hochbruck gilt mein Dank dafür, dass er das Zweitgutachten für die vorliegende Dissertation anfertigte.

Mein besonders herzlicher Dank gebührt meinen Eltern, Marga und Ernst Schüly, die mich in meinem Vorhaben zu promovieren stets bestärkt und unterstützt haben. Ihnen widme ich meine nun fertiggestellte Dissertation.

Ludwigsburg, im April 2010

Christoph Schüly

Inhaltsverzeichnis:

1 Einleitung 1

2 Popular Culture-Theorien 19

2.1 Zur Forschungsgeschichte und den Schwierigkeiten der Definition 19

2.2 Charakteristika potentiell populärer Texte 25

2.3 Hochkultur und Popularisierung 38 2.3.1 Hochkultur in der Postmoderne 39 2.3.2 Popularisierung 41

3 Charles Dickens: Popularität und Popularisierung von 1836 bis in die 1990er Jahre 54

3.1 Dickens' Popularität bei seinen zeitgenössischen Lesern am Beispiel der Papers 54 3.1.1 Ökonomische und soziologische Voraussetzungen für Dickens's Popularität 54 3.1.2 Dickens' klassenübergreifende Popularität 55 3.1.3 Zur Entstehung der Pickwick Papers 60 3.1.4 Die Produzierbarkeit der Pickwick Papers 62 3.1.5 Leseransprache 69 3.1.6 Tertiäre Texte 71 3.1.7 Spin offProdukte 75 3.1.8 Relevanz 76 3.1.9 Marketingstrategien der Verleger 79

3.2 Frühe Popularisierungen 79 3.2.1 Adaptionen von Dickens' Romanen in Schriftform 79 3.2.2 Dickens' public readings 85

3.3 Dickens' Popularität über seinen Tod hinaus und Beginn der literaturwissenschaft lichen Beschäftigung mit seinem Werk 89

3.4 Adaptionen von Dickens' Texten für Theater, Film und Fernsehen 94 3.4.1 Adaptionen für das Theater 95 3.4.2 Adaptionen für Film und Fernsehen 108

4 Case Studies: Popularisierungen seit den 1990er Jahren 125

4.1 Einführung 125 4.1.1 Das Kostümdrama im Kino 125 4.1.2 Das Kostümdrama im britischen Fernsehen 128 4.1.3 Die Relevanz der Klassikerverfilmung für ein zeitgenössisches Publikum 133

4.2 Case Studies 134

4.2.1 Martin Chuzzlewit (BBC, 1994) 136 4.2.1.1 Der Roman und seine Relevanz für das heutige Publikum 136 4.2.1.2 Das populäre Potential der Verfilmung 139 4.2.1.3 Resümee 150

4.2.2 Great Expectations (Alfonso Cuarón, 1998) 151 4.2.2.1 Der Roman und seine Relevanz für das heutige Publikum 151 4.2.2.2 Das populäre Potential der Verfilmung 154 4.2.2.3 Resümee 161

4.2.3 Great Expectations (BBC, 1999) 162 4.2.3.1 Das populäre Potential der Verfilmung 162 4.2.3.2 Resümee 174

4.2.4 icholas ickleby (ITV, 2001) 175 4.2.4.1 Der Roman und seine Relevanz für das heutige Publikum 175 4.2.4.2 Das populäre Potential der Verfilmung 177 4.2.4.3 Resümee 187

4.2.5 icholas ickleby (Douglas McGrath, 2002) 188 4.2.5.1 Das populäre Potential der Verfilmung 188 4.2.5.2 Resümee 200

4.2.6 Oliver Twist (Roman Polanski, 2005) 201 4.2.6.1 Der Roman und seine Relevanz für das heutige Publikum 202 4.2.6.2 Das populäre Potential der Verfilmung 204 4.2.6.3 Resümee 212

4.2.7 Bleak House (BBC, 2005) 214 4.2.7.1 Der Roman und seine Relevanz für das heutige Publikum 214 4.2.7.2 Das populäre Potential der Verfilmung 217 4.2.7.3 Resümee 232

4.2.8 David als 'Kurzklassiker' (Orion Books, 2007) 233 4.2.8.1 Zur Originalfassung des Romans 235 4.2.8.2 Das populäre Potential der gekürzten Version 236 4.2.8.3 Resümee 242

4.2.9 Peter Ackroyds Dickens 244 4.2.9.1 Populärkulturelle Elemente in Dickens (1990) 246 4.2.9.2 Dickens (1994) – Die gekürzte Version 250 4.2.9.3 Dickens (BBC, 2002) 259 4.2.9.3.1 Das populäre Potential der Verfilmung 259 4.2.9.3.2 Resümee 268 4.2.9.4 Peter Ackroyds The Mystery of Charles Dickens 269 4.2.9.4.1 Das populäre Potential der Darbietung 271 4.2.9.4.2 Resümee 274 4.2.9.5 Resümee des populären Potentials der AckroydProdukte in ihrer Gesamtheit 276

4.2.10 Dickens World – Eine themed attraction in Chatham, Groβbritannien 277 4.2.10.1 Zu Geschichte und kultureller Bedeutung der Einrichtung Themenpark 277 4.2.10.2 Selbstverständnis und Zielsetzung von Dickens World 284 4.2.10.3 Die Popularisierung von Dickens' Leben und Werk in Dickens World 287 4.2.10.3.1 Die ständigen Attraktionen 287 4.2.10.3.2 Die Shows 300 4.2.10.4 Resümee 304

5 Schlussbetrachtung 305

Literaturverzeichnis 311 1

1 Einleitung In the spring of 2002 the BBC launched a new multimedia phenomenon, and gave us the Definitive Dickens Man, Peter Ackroyd. The UK experienced something of a Dickens Blitzkrieg, which seemed to have been masterminded by Peter Ackroyd. It was a simultaneously coordinated assault on several fronts – stage, radio, TV, the web, audiocassette, videocassette and general merchandize. I cannot recall such a campaign focused on a single writer before Operation Ackroyd/Dickens. [...] The assault of Operation Boz came in two parts. First there was the oneman stage show, The Mystery of Charles Dickens, scripted by Peter Ackroyd, starring Simon Callow. This was adapted for radio and transmitted on BBC Radio Four and subsequently released on audiocassette. The stage version was then televised on BBC 4, the Corporation’s new arts and culture channel, in April 2002. This was then followed in May by a three part television dramadocumentary series, Dickens, on BBC2, hosted by Peter Ackroyd. The BBC published Ackroyd's accompanying book, Dickens: Public Life and Private Passion. And, oh, I nearly forgot, there's a BBC website devoted to this campaign. [...] This whole enterprise shows the extent of the Corporation's metamorphosis from Reithian elitism to full engagement in the populist market, and cannot be viewed in isolation from the global market economy and Post Modern, Blairite Britain of which it is so characteristic a product. This exciting package and its antecedents deserves examining (Giddings n.d.2). Im Herbst 2005 setzte die BBC zum nächsten Feldzug an: Diesmal sollte der Roman Bleak House von Charles Dickens so verfilmt werden, dass die Verfilmung Anklänge an das populäre Genre der soap opera erkennen lassen und auch vom selben Publikum rezipiert werden würde. Auch diese Produktion wurde von zahlreichen Marketingmaβnahmen begleitet: Schon Monate vorher berichtete die britische Presse darüber, die BBC schaltete erneut eine Homepage, zudem legte der PenguinVerlag seine Taschenbuchausgabe des Romans neu im tie inCover auf. Bereits wenige Monate nach Ende der Ausstrahlung war die Verfilmung in einem attraktiv aufgemachten DVDSet erhältlich. Im März 2008 schlieβlich eroberte Dickens auch das Genre der CastingShow: Unter dem Titel I'd Do Anything suchte MusicalVeteran Andrew LloydWebber gemeinsam mit der BBC nach einer jungen Sängerin und Schauspielerin, die in einer Neuproduktion des legendären Musicals Oliver! die Rolle der Nancy übernehmen sollte, sowie nach drei jungen Darstellern, die jeweils im Wechsel als Titelfigur Oliver auf der Bühne stehen sollten: "[T]wenty million Britons tuned in to the I’d Do Anything final […]. Telephone lines were jammed with voters keen to make sure that Oliver was cared for by their vision of one of Dickens's most loved creations" (Knight 2009: 6). Bereits im Jahr zuvor, im Mai 2007, war zudem in Chatham, Groβbritannien, ein Themenpark eröffnet worden, der sich mit Dickens' und Leben und Werk beschäftigt. 2

Der von Robert Giddings so benannte 'DickensBlitzkrieg' kurz nach der Jahrtausendwende kam nicht von ungefähr. Während die BBC und einige Verbündete – etwa der britische Privatsender ITV – bereits ab Mitte der 1990er Jahre verstärkt aufgerüstet hatten, waren die ersten Schlachtpläne bereits im 19. Jahrhundert entworfen worden, und zwar von Dickens höchstselbst: "From the early days of original serial publication, through to his exploitation by the Victorian stage and the more recent attentions of film, radio and television, Dickens has always been a mass media phenomenon", bemerkt Mike Pool (1983, 148). Dennoch, wie Robert Giddings (1983b, 18) wiederum betont: "Dickens's existence in our literature has been, and no doubt will continue to be, similar to that he describes of the Broker's Man in Sketches by Boz: '...one of a very chequered description: he had undergone transitions....'" Dickens' erster, serialisiert veröffentlichter Roman geriet mit bis zu 40.000 Exemplaren pro instalment schnell zum "most sensational triumph in nineteenth century publishing" (Ford 1955, 6), nachdem der Erfolg der ersten instalments dieses Textes mit jeweils etwa 400 verkauften Exemplaren noch recht moderat gewesen war (vgl. James 1963, 47). Obgleich die Verkaufszahlen von Dickens' Romanen im Laufe seiner Karriere durchaus gewissen Schwankungen unterworfen waren, so konnte doch ein britischer Journalist zu dem Zeitpunkt, als das erste instalment von Dickens' letztem Roman, The Mystery of Edwin Drood, erschien, gleichsam ausrufen: "What other story teller, English or foreign, ever maintained so great and increasing a popularity for six and thirty years" (Z.n. Collins 1974b, 6). Nach Darstellung von Philip Collins (1970, 152) gilt Dickens auch als "bestselling author in the history of American publishing." Zu seinen Lebzeiten gelangten Dickens' Geschichten und Figuren noch vornehmlich über das von ihm geschriebene Wort in das Bewusstsein seines Publikums – obgleich schon während des Erscheinens seines ersten Romans die ersten Adaptionen für das Theater erschienen, die sich auch durchaus positiv auf die weitere Popularisierung der Texte auswirkten, wie sich im dritten Kapitel dieser Arbeit zeigen wird. Zu Beginn des 21. Jahrhundert hat sich diese Situation gewandelt, obgleich John O. Jordan (2001b, xix) bemerkt: Dickens is unusual if not unique among canonical Englishlanguage authors in remaining at once a vital focus of academic research and a major figure in popular culture. Only Shakespeare, Mark Twain, and perhaps Jane Austen can compare with him in terms of their ability to hold the attention of both a scholarly and a general audience. Und auch Richard J. Dunn (1993, 21) sieht die heutige Rezeption von Dickens' Werk von 3

"enduring popularity" und "continuing critical acclaim" geprägt. Die Qualität dieser Popularität hat sich seit dem 19. Jahrhundert jedoch verändert. "[Dickens'] popularity today is probably sustained as much by performed versions, which offer a strong if incomplete impression of his genius, as by the words on the printed page", konstatiert Philip Collins (1999, 469). Als repräsentativ für die Erfahrungen seiner eigenen als auch nachfolgender Generationen können wohl die Kindheitserinnerungen von Jeffrey Richards (1997, 345f.) betrachtet werden: "I grew up in the 1950s [...] and was turned into a Dickens reader by watching the television adaptations more than anything else." Auch John Glavin (2003b, 5) betont: [T]he Dickens film now shapes Dickens's fiction. Of course, Dickens's books came first (in time). They just don't come first (in meaning) anymore. Baldly stated: all but specialists in Victorian fiction know Dickens's fiction primarily on and through the screen (Hervorhebung im Original). Und wie die Ausführungen von Joss Marsh (2001, 204) erkennen lassen, existiert eine Vielzahl von Möglichkeiten, sich über Kinoleinwand oder Fernsehbildschirm mit Dickens' Werk vertraut zu machen: "Since 1897, when the Mutoscope Company put the Death of ancy Sykes [sic] on the screen, more films have been made of works by Dickens than of any other author's." Michael Pointer (1996, 113), der die bis ins Jahr 1994 hinein erschienenen Kino und Fernsehverfilmungen von Dickens' Texten akribisch auflistet und diskutiert, schrieb 1996: "There seems to be little chance of there being any end of Charles Dickens on the screen", und er sollte Recht behalten: Auch nach der Wende zum dritten Jahrtausend erscheinen noch regelmäßig neue Adaptionen von Dickens' Romanen für Kino und Fernsehen: Neben der bereits genannten BBCVerfilmung von Bleak House gab es im Jahr 2005 eine neue KinoVerfilmung von Oliver Twist, bei der Roman Polanski Regie führte. Zu Weihnachten 2007 war eine neue Produktion von The Old Curiosity Shop auf dem britischen Privatsender ITV zu sehen, im Herbst 2008 lieβ Andrew Davies seiner Verfilmung von Bleak House eine Adaption des Romans Little Dorrit folgen, die in einem ähnlichen Stil gehalten und wiederum auf BBC1 zu sehen war. Im November 2009 veröffentlichte Walt Disney Pictures eine neue Variante des Christmas Carol im 3DFormat.1 Bei der aktuellen Produktion führte Robert Zernecki Regie, gleich mehrere Rollen, unter anderem die des Ebenezer Scrooge, wurden mit Jim Carrey besetzt. Eine neue Adaption des Romans mit Rowan Atkinson ("Mr. Bean") in der Rolle des Mr. Micawber soll 2010 in die Kinos kommen.

1 Walt Disney Pictures hatte sich des Stoffes bereits 1983 (Mickey’s Christmas Carol) und 1992 (The Muppet Christmas Carol) angenommen. 4

Bis zum heutigen Tag inspiriert Dickens' Werk nicht nur Filmschaffende, sondern auch Verfasser von Romanen – teilweise durchaus populärkulturellen Zuschnitts. Die Einflüsse, die von Dickens' Texten ausgehen, finden sich in unterschiedlicher Ausprägung in den verschiedensten Genres – vom Kinderbuch bis zum Thriller – und im Werk sowohl britischer als auch amerikanischer Autoren. Zwei Beispiele seien angeführt: Der Kinderroman Henry Hollins and the Dinosaur des englischen Schriftstellers Willis Hall aus dem Jahr 1977 beinhaltet eine Vielzahl von Anspielungen auf Dickens und sein Werk. Die Handlung spielt in dem fiktiven Städtchen Staplewood, von dem behauptet wird, Dickens habe dort für eine gewisse Zeit in einem Hotel gewohnt und auch an einem seiner Romane gearbeitet. Aus diesem Grund wurden die Straßennahmen nach Charakteren aus Dickens' Romanen benannt – die Familie des Protagonisten Henry Hollins etwa lebt in 23 icholas ickleby Close. Der 2009 erschienene Thriller The Last Dickens aus der Feder des US amerikanischen Schriftstellers und Literaturwissenschaftlers Matthew Pearl erzählt von Versuchen seitens der amerikanischen Verleger von Dickens, nach dessen Tod an Informationen bezüglich des geplanten Fortgangs von Dickens' letztem Roman The Mystery of Edwin Drood zu gelangen, um diese vermarkten zu können, und entwickelt daraus eine spannende und actionreiche Handlung. Aber auch in die nichtliterarische Kultur Großbritanniens und Amerikas haben Begebenheiten und Figuren aus Dickens' Werk Eingang gefunden. "[Dickens'] reputation both in his own country and abroad has long burst the narrow banks of 'literature' and become part of everyday existence", bemerkt E.W.F. Tomlin (1969b, 263). "Today, many more know of Mr. Pickwick and Mrs. Gamp than have read through Pickwick Papers and Martin Chuzzlewit" (Tomlin 1969b, 238). Richard J. Dunn (1993, 26) erkennt: "As with many Dickens characters and phrases, incidents such as Oliver's asking for 'more' and pronouncements by Bumble, the Artful Dodger, and Fagin seem to have found life apart from the pages of the novel." Ebeneezer Scrooge, "[t]he protagonist [of A Christmas Carol] is probably better known than any other Dickens character, even to people who have never heard of Dickens", urteilt Paul Schlicke (1999a, 102). Paul Davis (1990, 215f.) ergänzt: Thinly disguised as Mister Magoo or Maddie Hayes, Scrooge turns prime time into Christmastime, and during the commercial breaks he pushes Scrabble games and waterbeds, or hosts a Christmas party where he urges his guests to mingle and enjoy a Big Mac. [...] The sportswriter Hal Bock characterizes the confrontation between Kareem AbdulJabbar and rookie Patrick Ewing as an 'NBA Carol' pitting 'the ghost of centers past ... and present ... against the ghost of centers future.' Senator Pete Domenici, chairman of the Senate Budget Committee, gives a Dickensian turn to 5

the ongoing battle of the budget when he analyzes the nation's financial situation as the problem of 'budgets past, budgets and the ghosts of deficits forever.' Politicians run the perennial peril of being identified as Scrooges [...]. Not long after Mayor Ed Koch of New York accused President Reagan of being a Scrooge for supporting the elminination of state and local tax deductions on the federal income tax, Koch himself earned the appellation for asserting that some of the homeless people on New York's streets were there by choice. Eine Anspielung auf Dickens' wohl berühmteste Weihnachtsgeschichte findet sich auch auf dem am 7. November 2008 erschienenen Album And Winter Came der in vielen Ländern bekannten und kommerziell erfolgreichen irischen new ageMusikerin Enya. Eines der auf dem Album enthaltenen Lieder trägt den Titel "The Spirit of Christmas Past". Auch in den Schlagzeilen der britischen Tageszeitungen – und zwar sowohl in den Tabloids als auch in den Broadsheets – finden sich häufig Anspielungen auf Dickens' Werk, und zwar zumeist mittels der Verwendung von puns, die sich auf sein Werk bzw. auf Figuren daraus beziehen. Zwei Beispiele seien genannt: Am 18. März 2003 titelte der Guardian: "A Tale of Two Cities: Nottingham is home to two excellent universities, so why are pupils in some parts of the city alienated from higher education?" In der Sun war am 17. April desselben Jahres zu lesen: 'The Artful Todgers' [sic]: Culture fans make a complete and utter arts of themselves by stripping at a gallery. The 200 volunteers – aged 18 to 61 – went naked for a display of 'living art' to celebrate the opening of London's Saatchi Gallery. The nudes were arranged by a US artist, then met guests like Jade Jagger. Auf Dickens' Werk angespielt wird auch in für den internationalen Markt produzierten populären amerikanischen Fernsehserien, so etwa in der Folge "The One with all the Jealousy" aus der dritten Staffel der Serie Friends und in der der zweiten Staffel der Serie Angel entstammenden Episode "Untouched". Einer der ständigen Charaktere der amerikanischen CartoonFernsehserie South Park trägt den Namen Pip, eine nach dieser Figur benannten Folge der Serie versteht sich als Parodie auf Dickens' Roman Great Expectations. Das Interesse an Dickens beschränkte und beschränkt sich indes nicht auf sein Werk. "Dickens was so forceful a personality and achieved his unique celebrity so early in life, that virtually from the beginning of his career criticism of the work has been intertwined with an interest in the man" (Westland et al. 1999, 135). Aufgrund des kommerziellen Erfolges seiner Romane und der zahlreichen Lesereisen, die Dickens ab 1853 bis kurz vor seinem Tod im Jahr 1870 in Großbritannien und Amerika unternahm, erreichte Dickens innerhalb großer Teile der britischen und amerikanischen Bevölkerung einen Status, der dem heutiger Prominenter durchaus vergleichbar ist. So schreibt Emlyn Williams (1969, 228) über 6

Dickens' erste Amerikareise im Jahr 1842: "[W]hen Dickens arrived at Boston, his reception was like that of a monarch. A striking likeness was made of him by the sculptor Henry Dexter, and a series of receptions, balls and visits to celebrities arranged." Paul Schlicke (1985, 232) bemerkt bezüglich des Ausmaßes von Dickens' Popularität in späteren Jahren: "[T]he long queues of people waiting to buy tickets to hear him read and the crowds following him about in the streets testify to a degree of adulation comparable to that given to pop stars in our own day." Dem Interesse auch an Dickens' Privatleben wurde bereits kurz nach seinem Tod durch Veröffentlichung einer von seinem engen Vertrauten John Forster verfassten Biographie Rechnung getragen, die zwischen 1872 und 1874 in drei Bänden herausgegeben wurde. Neben weiteren, eher wissenschaftlich ausgerichteten biographischen Veröffentlichungen, wie etwa den DickensBiographien von Edgar Johnson aus dem Jahr 1952 und Fred Kaplan aus dem Jahr 1988, wurde Dickens' Vita auch mehrfach in populäre Form gegossen. Michael Slater (1970, 135) diskutiert eine Veröffentlichung von C.E. Bechhoffer Roberts, die 1928 unter dem Titel This Side Idolatry erschien und Dickens' Leben in fiktionaler Form erzählte. Eine weitere DickensBiographie mit populärem Anstrich erschien 1967: "Christopher Hibbert's highly readable The Making of Charles Dickens distilled the Johnson/Edmund Wilson Dickens for a wider public", bemerkt Slater (1999a, 43) und betont damit den popularisierenden Charakter dieser Veröffentlichung. George H. Ford (1970, 176) spricht von weiteren "popular retellings" in den 1960er Jahren. Bereits kurz nach der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert waren DickensBiographien für Kinder erschienen, etwa im Jahr 1905 Dickens for Boys and Girls von Amy Steedman; 1911 hatte Mamie Dickens den Band Charles Dickens by His Eldest Daughter veröffentlicht, in dem sie das Interesse ihres Publikums durch häufige Bezüge auf Dickens' eigene Kinder und Haustiere wachzuhalten suchte (vgl. Avery 1999, 92). Auch für das Medium Fernsehen wurden immer wieder Sendungen produziert, die Teile von Dickens' Biographie auf unterschiedliche Weise dokumentarisch aufarbeiteten. Die im Jahr 1967 in den USA hergestellte Fernsehproduktion Mr. Dickens of London mit Michael Redgrave in der Rolle des Charles Dickens zeigte Teile Londons, "where the evidence of the author's impact is still preserved" (Pointer 1996, 103). "The centenary of his [Dickens's] death was marked in 1970 by two 90minute biographical programs made for British television: The Hero of My Life (also shown in the United States) and The Great Inimitable Mr. Dickens" (Pointer 1996, 103). Michael Pointer (1996, 91) diskutiert darüberhinaus die im Jahr 1976 produzierte serielle Adaption Dickens of London, die sowohl in Großbritannien als auch in den USA ausgestrahlt wurde. Das Drehbuch für diese Produktion stammte aus der Feder von Wolf Mankowitz, 7

whose earlier stage success with Pickwick had led him to study the author's life extensively. The result was 13 onehour installments covering the first 32 years of Charles Dickens's life, beginning with an ailing Dickens on one of his last reading tours of America and turning in flashback to his childhood, youth, and early manhood. Daneben tritt Dickens auch in nichtbiographischen Film und Fernsehproduktionen immer wieder als Figur auf (vgl. Pointer 1996, 102f.). So hatte er etwa in der vornehmlich in den 1960er Jahren weilweit populären TVSerie Bonanza, die im WesternMilieu des 19. Jahrhunderts angesiedelt ist, einen Gastauftritt. In der Folge A Passion for Justice besucht Dickens im Rahmen einer seiner beiden Lesereisen durch Amerika die Ponderosa, jene Ranch, auf der die Familie Cartwright zuhause ist, die im Mittelpunkt der Serie steht. Auch in Adaptionen seiner eigenen Texte für Film und Fernsehen wurde Dickens immer wieder als Figur integriert. Der 1913 erschienene Film Scrooge beginnt etwa mit einer Szene, die Dickens in seiner Bibliothek in Gads Hill zeigt, a view of his birthplace in Portsmouth, and then Dickens in his library suddenly being inspired to pen the words "A Christmas Carol." Unfortunately, the fact is that Gads Hill only became available for purchase by Dickens some 12 years later after the Carol was published; but it probably looked impressive in 1913 (Pointer 1996, 44). Der Drehbuchautor einer aus Dänemark stammenden Verfilmung von David Copperfield aus dem Jahr 1922 reicherte – wohl inspiriert durch den autobiographischen Anstrich des Romans – den Plot um einen Epilog an, "showing David Copperfield transformed into Charles Dickens, sitting in the garden with his family, plus and Mr. Dick" (Pointer 1996, 44). Die erste DickensVerfilmung im amerikanischen Fernsehen, eine im Jahr 1945 produzierte Adaption von A Christmas Carol unter dem Titel The Strange Christmas Dinner "introduced a mysterious stranger (Charles Dickens) who reforms a Scroogelike restaurant owner who has refused to allow his staff Christmas Day off" (Pointer 1996, 75). Auch die an icholas ickleby angelehnte BBCProduktion The Man from the Moors aus dem Jahr 1955 "depicted Dickens himself visiting the North of England and encountering a cruelly run school, plainly a model for Dotheboys Hall in icholas ickleby" (Pointer 1996, 78). Wie seine Figuren und zahlreiche Begebenheiten aus seinem Werk, so existiert auch die Person Charles Dickens außerhalb von literarischen Diskursen. Laut Michael Pointer (1996, v) gilt Dickens heute innerhalb der britischen Kultur als "inventor of Christmas, all stageoaches, holly, jollity, and punch bowls." Dickens' Bedeutung für britische Weihnachtsfeierlichkeiten betont auch Ruth Glancy (1999, 95). Wie sie ausführt, wurde sein Weihnachtsbuch A Christmas Carol schon kurz nach Veröffentlichung zu einem "inseparable part of the Englishspeaking Christmas": 8

Dickens came to be associated with the season so completely that Theodore WattsDunton's famous story of the barrow girl in Covent Garden who, on hearing of Dickens' death, exclaimed, 'Then will Father Christmas die too? has the ring of truth (ebd.). Paul Davis (1990, 13) erläutert, wie ein solch enger Zusammenhang zwischen Dickens und Weihnachten in Großbritannien entstehen konnte: Dickens' story proved that urbanization had not destroyed Christmas. In the British imagination, Christmas was associated with the manor house, peasant revels, and baronical feasts. During the first half of the nineteenth century – particularly in the two decades that preceded the publication of the Carol – the growth of industry and cities threatened this rural holiday by threatening its country seat. Dickens' story provided celebratory proof that despite dour Dissenting tradesmen who condemned Christmas revels, the old Christmas could flourish in the new cities. Scrooge's reformation thus became urban Britain's counterreformation to puritanical excess. Dickens' starke Präsenz innerhalb der britischen Kultur wird auch durch das häufige Auftreten des Adjektives Dickensian im Sprachgebrauch der Briten, das u.a. von Florian Schweizer (2004b, 12) dokumentiert wird, belegt. Der Historiker Raphael Samuel (1992, 9) definiert diesen Begriff als "shorthand expression to describe conditions of squalor and want". Ganz ähnlich betrachtet Pointer (1996, v) Dickensian als "synonym for the conditions of squalor and deprivation in midVictorian England which Dickens campaigned so hard to rectify", räumt aber ein, dass dasselbe Adjektiv auch häufig als "synonym for the quaint and the charming" verwendet wurde und wird (Pointer 1996, 33). Andrew Sanders (1999, 15) bescheinigt vor allem Journalisten eine häufige Verwendung dieses Begriffs: Journalists freely resort to the adjective 'Dickensian' in order to express a vague dismay at the survival of a defunct Victorian institution or in response to some faint shadow of Saffron Hill in a modern housing estate, some hint of the drudgery of Murdstone and Grinby's warehouse in a modern sweatshop, or a distant echo of the educational achievement of Dotheboys Hall in a modern comprehensive school. Sanders (2003, 176) sucht die Widersprüchlichkeiten, die die verschiedenen Definitionsweisen dieses Adjektivs mit sich bringen, aufzulösen, indem er dessen Bedeutung nahezu gänzlich unfixiert lässt: "[T]he shorthand term 'Dickensian' has achieved a unique and unrivalled breadth of application, whether that application refers to snowy Christmases or to decaying schools or failing hospitals." Daneben legen auch zahlreiche britische Pubs, die entweder nach Dickens selbst oder nach einer seiner Figuren benannt sind – eine 'Dickens Tavern' befindet sich etwa auf dem Gelände des Londoner Flughafens Gatwick – sowie eine britische ZehnPfundNote Zeugnis für die nach wie vor starke Präsenz Dickens' innerhalb der britischen Kultur ab. Diese von der Bank of England herausgegebene Banknote zeigt ein vom Künstler Roger Withington 9 gezeichnetes DickensPortrait. Der Schein wurde 2003 aus dem Verkehr gezogen (vgl. Xavier 2004, 128). Neben den zahlreichen DickensMuseen, etwa dem 'Charles Dickens Museum' im Londoner Stadtteil Holborn, dem 'Charles Dickens Birthplace Museum' in Portsmouth oder dem 'Dickens House Museum' in Broadstairs, das sich im ehemaligen Haus von Mary Pearson Strong befindet – jene Person, die Dickens zu der Figur Betsey Trotwood inspiriert hatte – belegen vor allem zahlreiche DickensFestivals das nach wie vor vorhandene populärkulturelle Interesse an Dickens und seinem Werk. Diese Festivals werden zumeist vor der Kulisse eines nachgebauten viktorianischen London, das von Schauspielern in den Rollen von Figuren aus Dickens' Werk bevölkert wird, veranstaltet. Ein solches DickensFestival findet jährlich an zwei Wochenenden in Rochester, Kent, statt, jeweils Ende Mai oder Anfang Juni sowie am ersten Dezemberwochenende. In den USA wird im kalifornischen Riverside das 'Riverside Dickens Festival' gefeiert, in San Francisco gibt es die 'Great Dickens Christmas Fair', die sich auf die vier bis fünf Wochenenden vor Weihnachten erstreckt, und in Galveston, Texas, wird alljährlich, wiederum am ersten Wochenende im Dezember, ein Festival unter dem Titel 'Dickens on the Strand' veranstaltet. Auch im Internet ist Dickens präsent. Den Recherchen von Jan Clayton (2003, 4) zufolge hat Dickens zu Beginn des dritten Jahrtausends "one of the largest Web presences of any literary figure". Wie Clayton ausführt, richtete der japanische Professor Mitsuharu Matsuoka im September 1995 The Dickens Page ein, eine der ersten DickensHomepages. Professor Mitsuharu Matsuoka created his site in the early years of the Web, when the protocol developed by Tim BernersLee began to make the Internet accessible to people other than academics, Defense Department personnel, hackers, and geeks. Matsuoka's continuing commitment to Dickens online is a nice example of the worldwide appeal of this nineteenthcentury writer at the turn of the milennium. As I write these words, The Dickens page has been accessed 2,721,124 times, and that number is increasing rapidly (ebd.). Schon die Tatsache, dass eine der ersten DickensHomepages von einem Japaner ins Internet gestellt wurde, zeigt, dass sich Dickens's kulturelle Präsenz und Popularität nicht auf die englischsprachigen Länder beschränkt – trotz George Orwells (1961b, 83) Einschätzung, Dickens sei "scarcely intelligible outside the Englishspeaking culture". "Dickens has a particular attraction for the enormous reading public of the Soviet Union, where his sales have run into millions", bemerkt etwa E.W.F. Tomlin (1969b, 265). Auch Michael Slater (1970, 127) betont: Outside the Englishspeaking world the most striking phenomenon concerning Dickens's popularity was the acclaim his work received in Soviet Russia. The 10

Cricket on the Hearth played to packed houses in both Moscow and St Petersburg in 1922 [...]. In 1937 The Dickensian quoted Izvestia as stating that Dickens 'has become one of the most beloved authors with Soviet readers' and reported 'Last year 166,000 copies of Pickwick, Dombey and Son, Hard Times and Bleak House were published. So eager was the public to acquire them that none were left at any of the book stores in Moscow within a week' (1937, 79). Philip Collins (1970, 148) erwähnt die Popularität von Dickens' A Christmas Carol bei den InuitVölkern und ergänzt: "Dickens was taken seriously in Turkey, too, where Kemel Ataturk made him compulsory reading; but fortunately the Turks had, or developed, a passionate love for his works" (Collins 1970, 152f.). E.W.F. Tomlin (1969b, 265) fügt hinzu: "He has also a faithful public in India, where two of his sons were stationed, and even Japan [...]. Only Shakespeare has outstripped Dickens in world influence, and in the way in which his characters have become part of everyday life." Auch in der nichtenglischsprachigen Welt stützt sich Dickens' Popularität zumindest teilweise auf Adaptionen seiner Werke. So erschien bereits kurz nachdem sich der große Erfolg der Pickwick Papers in Großbritannien abgezeichnet hatte in Indien eine schriftliche Adaption dieses Textes mit dem Titel Pickwick in India (vgl. James 1963, 56). "[T]he diaspora of his characters illustrates an almost universal appeal: they have been impersonated by actors from Moscow to California, broadcast from Melbourne to Manchester, and filmed from Spain to Scandinavia, Hollywood to London", ergaben Philip H. Boltons (1999, 198) Untersuchungen. Auch Michael Pointer diskutiert eine Vielzahl von Adaptionen, die in nicht englischsprachigen Ländern entstanden sind, etwa eine Oliver TwistVerfilmung aus Frankreich im Jahr 1906 (Pointer 1996, 16). 1915 folgte die Veröffentlichung einer russischen Version von The Cricket on the Hearth (Pointer 1996, 38), im Jahr 1920 schloss sich unter der Regie von Richard Oswald die deutsche Oliver TwistAdaption Die Geheimnisse von London an (Pointer 1996, 42). Anfang der 1920er Jahre wurde auch die NordiskCompany in Dänemark auf Dickens aufmerksam und produzierte jeweils eine Adaption der Romane Our Mutual Friend, Great Expectations, David Copperfield und Little Dorrit in Spielfilmlänge – "[i]n an attempt to recapture some of the international business lost to the American film industry as a result of World War I" (Pointer 1996, 43). Im Jahr 1958 erschien Le Avventure di icola ickleby in Italien, gefolgt von Il Grillo del Focolare (The Cricket on the Hearth), David Copperfield, und Il Circolo Pickwick in den 1960er Jahren (Pointer 1996, 79). "Other European TV channels followed suit, mostly with better known stories" (ebd.). Dickens' weltweite Popularität wurde auch von Kulturwissenschaftlern, die sich mit 11 dem Feld der popular culture befassen, zur Kenntnis genommen. Dickens wird gar verschiedentlich als Begründer heute geläufiger Formen von populärer Kultur betrachtet. John Fiske (1989b, 138f.) scheint ihn als eine Art Prototypen für populäre Kultur zu betrachten, allerdings ohne die Konsequenzen dieser Annahme auszuführen. Bereits im Jahr 1955 nahm George H. Ford (1955, 178) Bezug auf folgende vielzitierte These: "[E]arly moving picture producers learned certain screening techniques from a study of Dickens's novels, especially the method of increasing tension by alternate shots from a parallel series of events" – und ergänzte: "It could also be said that much more indirectly, they had learned from him some of the requirements of mass entertainments." Laut Juliet John (2000, 130) spielte Dickens eine "major role in the popularizing of fiction and newspapers". Nach Einschätzung von Jennifer Hayward (1997, 3) waren es Dickens' Pickwick Papers, die 1836 einen "mass market for fiction" begründeten, nachdem die Industrialisierung die Grundvoraussetzungen für eine massenweise Vermarktung von Texten geschaffen hatte. "[Dickens] alone was capable of speaking authoritatively to a mass audience through the first technological developments of modern mass communications: the machinedriven press, cheap pulp paper, and rapid general distribution of printed matter" (Axton 1976, 27). Während John Sutherland (1995, 151) noch im Jahr 1995 festhielt: "Awareness of Victorian fiction as an industry is uncommon", gestand Jennifer Hayward (1997, 17) Dickens bereits zwei Jahre später eine "essential role in developing an entertainment industry" zu. Auch Richard L. Stein (2001, 186) zählt Dickens' Texte zu den "first firms of the culture industry". Bei solchen in Darstellungen zu populärer Kultur eher en passant eingeflochtenen Beobachtungen ist es bis heute jedoch geblieben. Eine Untersuchung des populärkulturellen Phänomens 'Charles Dickens' mit Hilfe von popular cultureTheorien ist bislang nicht erfolgt. Dies soll die vorliegende Arbeit leisten. Im folgenden Kapitel soll zunächst die theoretische Basis für dieses Vorhaben gelegt werden. Obgleich sich bis heute keine einheitliche popular cultureDefinition etablieren konnte, liegen eine Reihe von Arbeiten vor, die sich eingehend mit diesem Teil des kulturellen Feldes befassen. So kann sich diese Studie einige Ergebnisse aus dem Gesamtwerk des französischen Soziologen Pierre Bourdieu (vgl. Bourdieu 1982, 1993, 1997, 1999) nutzbar machen, in dessen Sinn hier auch der Feldbegriff verwendet wird.2 Daneben existieren einschlägige Untersuchungen zur popular culture von

2 Bourdieus (1993, 107f.) Defintion zufolge sind Felder Räume, "die ihre Struktur durch Positionen (oder Stellen) bekommen, deren Eigenschaften wiederum von ihrer Position in diesen Räumen abhängen und unabhängig von den (partiell durch sie bedingten) Merkmalen ihrer Inhaber untersucht werden können. Es gibt allgemeine Gesetze von Feldern: So ungleiche Felder wie das Feld der Politik, das Feld der Philosophie, das Feld der Religion haben invariante Funktionsgesetze [...]. Immer wenn man ein neues Feld untersucht [...] 12

John Fiske (1989a und 1989b), John Storey (2001 und 2003) und Lawrence Grossberg (1992). Während sich diese Arbeiten mit unterschiedlichen Erscheinungsformen populärer Kultur befassen, existieren auch einige Untersuchungen speziell zu populärer Literatur, etwa von Scott McCracken (1998), Clive Bloom (2002) und Ken Gelder (2003). Auch die Ergebnisse dieser Studien werden in die vorliegende Arbeit einflieβen. Daneben wird sich dieses Kapitel mit dem Popularisierungesbegriff auseinandersetzen. Obwohl dieser Begriff heute ein vielzitiertes Schlagwort darstellt, beschränken sich Arbeiten, die sich mit diesem Phänomen auseinandersetzen, zumeist auf Untersuchungen der Popularisierung von naturwissenschaftlichem und historischem Wissen. Bislang hat sich v.a. die Wissenssoziologie um die Erforschung von Popularisierungsprozessen bemüht. Dennoch, und obwohl, wie Andreas W. Daum (1998, 15) bemerkt, "[i]n England, Frankreich und den USA [...] die Geschichte der Popularisierung inzwischen ein anerkanntes Forschungsfeld" ist, hat sich auch auf dem Sektor der Wissenssoziologie eine "einheitliche, allgemeinverständliche Popularisierungsdefinition" noch nicht herauskristallisiert. "Begriffe und Methoden variieren vielmehr in mitunter irritierender Weise" (Kretschmann 2003b, 12). Zudem habe man sich "bislang ausschließlich der Verbreitung naturwissenschaftlichen und technischen Wissens gewidmet [...]. Die Popularisierung nichtnaturwissenschaftlicher Wissensinhalte ist hingegen bislang kaum untersucht worden" (ebd.). Dagmar Stegmüller (2003, 197) sieht den Grund für dieses Defizit darin, dass es nur auf dem Gebiet der Naturwissenschaften evident zu sein [scheint], dass die Ergebnisse der Forschung für den Laien allgemeinverständlich aufbereitet werden müssen, nur hier scheint eine hermetische Sprache eine kleine Expertengruppe vom Rest der Welt zu isolieren, nur hier sind Probleme und Lösungsversuche derart komplex, dass alleine eine professionelle Vorbildung zu befriedigendem Verständnis befähigt. Wie Daum (1998, 37) darlegt, der sich in seiner Studie den Begriffen 'Popularität' und 'Popularisierung' auch begriffsgeschichtlich anzunähern sucht, galt der Popularisierungebegriff seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zwar auch "literarischen und philosophischen Themen, er bezeichnete medizinische und technische Inhalte, und er diente allgemein zur Bezeichnung von Volksbildungsbestrebungen." Dennoch wurde er schon damals "überwiegend an naturwissenschaftliche Themen gekoppelt."

entdeckt man besondere, nur für ein bestimmtes Feld charakteristische Merkmale und erweitert doch gleichzeitig das Wissen über die universalen Mechanismen von Feldern [...]. Ein Feld, auch das wissenschaftliche, definiert sich unter anderem darüber, dass die spezifischen Interessen und Interessenobjekte definiert werden, die nicht auf die für andere Felder charakteristischen Interessen und Interessenobjekte reduzierbar sind [...] und von jemandem, der für den Eintritt in dieses Feld nicht konstruiert ist, nicht wahrgenommen werden" (Hervorhebung im Original). 13

Vor dem Hintergrund dieser Zusammenhänge ist es kaum verwunderlich, dass bislang das Auftreten von Popularisierungsprozessen weder für das kulturelle Feld noch speziell das literarische Feld untersucht wurde. Eine Erklärung für die Tatsache, dass es bislang keine Arbeiten gibt, die sich mit der Popularisierung von Literatur auseinandersetzen, mag darin liegen, dass, wie Manuel Braun (2005, 25) feststellt, "[s]ofern es marktförmig organisiert ist, [...] dem typographischen Medium die Tendenz zur Popularisierung [...] inhärent" ist und Literatur somit vielfach als von vornherein populäre Kunstform betrachtet wird. Dennoch ist das Bewusstsein zumindest dafür, dass Popularisierungsprozesse aktiv sind, die dafür sorgen, dass Hochkultur "mehr Bevölkerungsschichten erreicht als in der bürgerlichen Gesellschaft" (Winter 2003, 351) und sich somit der populären Kultur annähert, innerhalb der cultural studies durchaus vorhanden. Dafür spricht etwa der – wenngleich kurze – Abschnitt, den Rainer Winter innerhalb seines mit dem Begriff "Popularisierung" überschriebenen Beitrags zum Handbuch Populäre Kultur der "Popularisierung von Artefakten der Hochkultur" widmet, oder auch die Existenz des von Jim Collins herausgegebenen Sammelbandes High Pop – Making Culture into Popular Entertainment mit Beiträgen von John Storey und anderen einschlägigen Repräsentanten der popular cultureForschung. Im Zusammenhang mit der Popularisierung von Hochkultur ist allerdings zu berücksichtigen, dass seit dem Aufkommen der Postmoderne die Unterscheidung zwischen hoher und populärer Kultur schwierig geworden ist. So wird das sich anschlieβende Kapitel dieser Arbeit auch zeigen, dass innerhalb der cultural studies kein Konsens darüber besteht, ob formale Unterschiede zwischen beiden Kategorien anzunehmen sind. Die vorliegende Studie geht von der Prämisse aus, dass in den meisten Fällen durchaus formale Unterschiede zwischen high culture und popular culture existieren. In diesem Zusammenhang muss allerdings mitbedacht werden, dass sich die Zuordnung eines Textes zur populären oder zur Hochkultur nicht zwangsläufig aus seinen textuellen Eigenschaften ergibt. "[H]ow a story is presented to a reader [i.e. whether as a text of high or popular culture] determines at least in part how the reader will respond to it", bemerkt etwa Richard Keller Simon (1999, 9, meine Hervorhebung), und Simon Frith vertritt neben anderen3 die These, dass der Differenzierungsprozess zwischen Hoch und Populärkultur im Wesentlichen von akademischen Institutionen gesteuert wird: [I]t is this institutional setting, rather than the value issues as such, that has come to differentiate high from popular culture. It is the academy, that is – the

3 Vgl. hierzu auch Hall (1998, 448f.) und Storey (2001, 35f.). Letzterer formuliert signifikanterweise: "Shakespeare's plays were gradually removed from the theatrical world of acrobats and jugglers, burlesques and parodies, dancers and singers, and were instead relocated in theatres where the audience was no longer a heterogeneous mix of American society" (Storey 2001, 36, meine Hervorhebungen). 14

university, the conservatoire, the art school – that, as Pierre Bourdieu argues, nowadays sustains high culture and guarantees its reproduction: in the master/pupil relationship, in the continuity of knowledge and sense of tradition embodied in the library and gallery and concert hall, in the setting of the standards of creative skill and interpretative expertise (Frith 1998, 580). Ebenfalls mitbedacht werden muss, dass innerhalb des literarischen Feldes nicht nur der Hochkultur Zuzurechnendes popularisiert und somit "unters Volk" gebracht wird, wie Christian Hünemörder (2002, 15) den Popularisierungsbegriff dem Wortsinn folgend definiert, bzw. "einer breiten Masse zugänglich gemacht" wird (Oltmann 2005, 267). Auch bereits Populäres kann durch Anwendung von Popularisierungsstrategien für noch weitere Rezipientenkreise aufbereitet werden. So konstatiert Clive Boom (2002, 75) im Bezug auf populäre Literatur: "A bestseller, once identified, could [...] be boosted by tieins with television and film or with branded products and could be packaged for book clubs, a condensed novel, serial rights and a paperback version." Zu berücksichtigen ist auch, dass ein beobachteter Popularisierungsprozess noch nichts über die tatsächliche Popularität eines Produktes aussagt. Deshalb ist, wie Gereon Blaseio (2005, 247f.) fordert, in popular cultureAnalysen neben der Produktions auch die Rezeptionsseite in den Blick zu nehmen. Abgesehen von Einschaltquoten bzw. Verkaufszahlen lassen sich allerdings kaum Daten ermitteln, die über Erfolg oder Misserfolg eines Produktes Auskunft geben. Im Fall von Fersehverfilmungen etwa werden Untersuchungen darüber, wie Produktionen vom Publikum aufgenommen wurden, nicht veröffentlicht, so sie denn überhaupt angestellt werden (vgl. Abschnitt 4.2.7.3.). Die vorliegende Arbeit muss deswegen ihren Schwerpunkt auf Strategien legen, die Popularisierungsabsichten erkennen lassen. Wo sich Daten ermitteln lassen, die über die tatsächliche Popularität eines Produktes Aufschluss geben, werden diese in die jeweilige Analyse einbezogen. Die im zweiten Kapitel gewonnenen theoretischen Erkenntnisse werden im dritten Kapitel auf das Fallbeispiel Dickens bezogen. Das dritte Kapitel wird sich mit Dickens' Popularität und Popularisierung zwischen 1836, dem Jahr der Erstveröffentlichung der Pickwick Papers, und den frühen 1990er Jahren beschäftigen. Zunächst wird hier die Popularität von Dickens' Texten zu Lebzeiten ihres Autors untersucht werden. Dabei wird deutlich werden, dass Dickens' Werke nicht nur dann als populär bezeichnet werden müssen, wenn von einem eher intuitiven Verständnis dieses Begriffs ausgegangen wird, sondern dass sich ihre Popularität auch vor dem Hintergrund gängiger popular cultureTheorien feststellen lässt. Dennoch wurden sie schon auf dem Höhepunkt ihrer Popularität mit Hilfe von 15

Adaptionen für noch weitere Rezipientenkreise popularisiert, wie das Kapitel ebenfalls zeigen wird. Von 1853 an bis zu seinem Tod popularisierte Dickens selbst seine Texte mittels regelmäβiger öffentlicher Lesungen. Während der ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts gewann das aufkommende filmische Medium zunehmend an Bedeutung für die Popularisierung von Dickens' Werk. Durch die etwa gleichzeitig einsetzende substanzielle literaturwissenschaftliche Beschäftigung mit Dickens' Werk begann sich zudem dessen Status innerhalb des literarischen Feldes zu wandeln: Dickens' Texte avancierten zu Klassikern, dank des nicht abreiβenden Stromes an Adaptionen mit populärem Potential zu populären Klassikern. Nach Explizierung dieser Zusammenhänge wird das Kapitel einen Überblick über die Adaptionen von Dickens' Werken bzw. seiner Biographie geben, die zwischen 1836 und 1994 erschienen sind. Hierbei wird das Augenmerk vor allem auf Adaptionen mit populärkulturellem Potential gerichtet werden. Aufgrund der Fülle an solchen Dickens bezogenen Adaptionen kann hier über einen Überblick nicht hinausgegangen werden. Wesentlich detaillierter wird das sich daran anschlieβende Kapitel dieser Arbeit ausfallen. Da diese Arbeit auf der Prämisse aufbaut, dass sich Dickens' heutige Popularität und kulturelle Präsenz zu einem großen Teil den unzähligen Adaptionen seiner Werke und – in geringerem Ausmaß – seiner Biographie verdanken, sollen innerhalb dieses Kapitels einige ausgewählte DickensAdaptionen, die seit den 1990er Jahren erschienen sind, genauen Analysen unterzogen werden. Mittels dieser Analysen sollen die Popularisierungsstrategien, die bei der Produktion dieser Adaptionen verwendet wurden, ermittelt werden. Der bereits im ersten Kapitel erstellte Katalog an Popularisierungsstrategien soll mit Hilfe der einzelnen Analysen überprüft werden. Um diese Analysen richtig einordnen zu können, wird es nötig sein, zu Beginn dieses Kapitels eine allgemeinere Entwicklung in der Kino und Fernsehlandschaft der 1980er und 1990er Jahre nachzuzeichnen, namentlich das in diesem Zeitraum wachsende populäre Potential des Genres Kostümdrama in Kino und Fernsehen. Die Auswahl der in diesem Kapitel zu analysierenden Produktionen für Kino und Fernsehen ist insofern ausgewogen, als für beide Medien etwa gleich viele Beispiele betrachtet werden, deren populäre Potentiale jeweils unterschiedlich sind. Unter den Fernsehverfilmungen finden sich neben drei für die BBC hergestellten Produktionen auch eine Verfilmung für den britischen Privatsender ITV, nämlich die im Jahr 2001 produzierte zweiteilige Verfilmung von icholas ickleby. Bei den BBCVerfilmungen handelt es sich um die folgenden Produktionen: Eine sechsteilige Verfilmung des Romans Martin Chuzzlewit aus dem Jahr 1994, die bereits auf das zunehmende populäre Potential des Kostümdramas im britischen Fernsehen ab Mitte der 16

1990er Jahre vorausweist, daneben eine 1999 entstandene zweiteilige Adaption von Great Expectations sowie eine im Herbst 2005 auf BBC1 ausgestrahlte fünfzehnteilige Verfilmung von Bleak House, die wohl als die bislang innovativste DickensAdaption für das Medium Fernsehen betrachtet werden kann. Aus der Reihe der KinoVerfilmungen werden zwei Adaptionen berücksichtigt, die sich dem Genre des HeritageCrossoverFilms zuordnen lassen: Zum einen Douglas McGraths Verfilmung von icholas ickleby aus dem Jahr 2002, zum anderen Roman Polanskis Oliver Twist, der in den Jahren 2005 und 2006 in den Kinos zu sehen war. Zudem wird mit Alfonso Cuaróns Verfilmung von Great Expectations eine Adaption untersucht, die einem kompletten updating unterzogen wurde, sich somit nicht mehr der Kategorie des HeritageCrossoverFilms zurechnen lässt und noch stärker als diese in Richtung Mainstream tendiert. Wie diese Aufstellung zeigt, stammen die den Verfilmungen zugrunde liegenden Romane aus unterschiedlichen Schaffensphasen ihres Autors, was ebenfalls zur Ausgewogenheit des Korpus beiträgt. Die Analyse zweier Adaptionen desselben Romans für jeweils unterschiedliche Medien verspricht Hinweise darauf zu liefern, welche Popularisierungsstrategien als medienübergreifend betrachtet werden können und welche nicht. Der Schwerpunkt liegt auf Adaptionen für Kino und Fernsehen, da in diesen Medien Adaptionen in sehr starker Häufung auftreten und es sich hierbei um die Medien mit der gröβten Breitenwirkung handeln dürfte. Zudem wurde das erstmalige Erscheinen vor allem der jüngeren der hier zu analysierenden Produktionen auf Kinoleinwand bzw. Fernsehbildschirm von umfangreichen Marketingmaßnahmen begleitet, die dafür sorgten, dass die betreffenen Produkte beachtliche Echos auch in anderen Medien auslösten. Davon legt etwa die reichhaltige Berichterstattung vor allem im Print und Onlinejournalismus Zeugnis ab. Eine solche mediale Präsenz erreichen popularisiernde Adaptionen, die in anderen Medien – etwa dem Printmedium – veröffentlicht werden, häufig nicht, sie ist aber für den Erfolg des Popularisierungsprozesses von großer Bedeutung.4 Aus diesem Grund werden entsprechende, die Popularisierung unterstützende Maßnahmen jeweils in die Untersuchungen miteinbezogen. Eine im Jahr 2007 im britischen PhoenixVerlag erschienene Reihe von gekürzten Klassikern der Weltliteratur, die auch die Romane David Copperfield und Bleak House einschloss, wurde allerdings bereits vor ihrer Veröffentlichung von der britischen, amerikanischen und australischen Presse ausgiebig zur Kenntnis genommen, was sich wiederum zumindest zu einem großen Teil mit dem massiven vom Verlag betriebenen

4 Vgl. dazu Abschnitt 2.3.2. 17

Marketing erklären lässt. Aus diesem Grund wird der in dieser Reihe erschienenen gekürzten Buchfassung von David Copperfield – David Copperfield In Half the Time – in dieser Arbeit ebenfalls eine Fallstudie gewidmet, die als exemplarisch für DickensPopularisierungen in Schriftform betrachtet werden soll. Diese Fallstudie wird ergänzt durch einige Anmerkungen zu einer seit 2008 erscheinenden Reihe von graphic novelAdaptionen klassischer Literatur, die mit Adaptionen von A Christmas Carol und Great Expectations auch zwei kanonische Texte von Dickens beinhaltet. Neben Adaptionen von Dickens' Werken soll auch die Popularisierung von Dickens' Biographie anhand eines Fallbeispiels in die Analyse einbezogen werden. Im Jahr 1990 veröffentlichte Peter Ackroyd seine DickensBiographie, über die der Rezensent Stephen Gill (1990, 911) schon kurz nach ihrem Erscheinen urteilte: "Dickens is designed to reach a wide audience, but its scholarly pretensions clearly indicate that it is meant to supersede Edgar Johnson in every academic library." Damit sein Werk auch wirklich eine breite Öffentlichkeit erreichen konnte, sah sich Ackroyd in den Folgejahren dazu veranlasst, dessen populäres Potential noch zu verstärken. Zu diesem Zweck adaptierte er es für unterschiedliche Medien: 1994 veröffentlichte er eine verkürzte Version der Biographie, in der noch ca. ein Drittel des Originaltextes enthalten war. Ackroyd verfasste auch das Drehbuch für eine Verfilmung seiner DickensBiographie, die im Jahr 2002 unter dem Titel The Mystery of Charles Dickens an drei aufeinander folgenden Samstagabenden zur besten Sendezeit im zweiten Programm der BBC zu sehen war. Auch das Skript zu einer biographischen EinMannBühnenShow, mit der der britische Schauspieler Simon Callow ab Ende der 1990er in groβen Teilen der englischsprachigen Welt auf Tour ging, stammt aus Ackroyds Feder und soll an entsprechender Stelle berücksichtigt werden. Abschlieβend wird untersucht, auf welche Weise und mit welchen Mitteln der 2007 in Chatham eröffnete Themenpark Dickens World zur Popularisierung von Werk und Biographie des Autors einen Beitrag leistet. Die vorliegende Arbeit versteht sich als case study, die – neben ihrem Anspruch, Erkenntnisse über den Autor Charles Dickens und die populäre Rezeption seines Werkes und seiner Biographie zu liefern – anhand des Beispiels 'Dickens' darstellt, welche Strategien zur Popularisierung von Literatur generell verwendet werden. Wie Henry Jenkins, Tara McPherson und Jane Shattuc (2002b, 14f.) darlegen, stellt die Anfertigung einer "case study, which [...] details a particular example of popular culture at work", eine innerhalb der popular cultureForschung übliche Analysemethode dar. Jenkins et. al erachten diese Methode auch als durchaus gewinnbringend, da ihre Resultate nuancierteren popular culture Theorien den Weg ebnen können: "Looking at concrete moments of cultural production, 18 circulation, and reception helps us to understand the range of possibilities within popular genres and the complex struggles that surround any cultural text" (ebd., 15).

19

2 Popular Culture-Theorien 2.1 Zur Forschungsgeschichte und den Schwierigkeiten der Definition 1964 wurde in Birmingham das Centre for Contemporary Cultural Studies gegründet. Raymond Williams, Richard Hoggart und E.P. Thompson begannen damit, erste Studien zu den kulturellen Praktiken der Jugend und der Arbeiterschaft anzufertigen. Trotz der damit nun seit mehr als 40 Jahren andauernden wissenschaftlichen Beschäftigung mit den Phänomenen populärer Kultur5, und trotz Noel Carrolls (1998, 239) wohl zutreffender Einschätzung, dass sich zumindest intuitiv relativ leicht und unkontrovers entscheiden lässt "what falls into the categories of popular culture and popular art respectively", entzieht sich der Begriff der popular culture6 noch immer einer exakten Bestimmung. Bemerkte Stuart Hall 1981 in seinen "Notes on Deconstructing 'the Popular'", dass das Adjektiv "popular" eine Reihe verschiedener Bedeutungen haben könne, "not all of them useful" (Hall 1981, 231), so diskutiert John Storey in seiner Anfang der 1990er Jahre erstmals erschienenen Einführung Cultural Theory and Popular Culture seinerseits verschiedene Möglichkeiten der Definition, die alle nur eines gemeinsam haben: "[T]he insistence that whatever else popular culture might be, it is definitely a culture that emerged following industrialization and urbanization"7 (Storey 2001, 13). Ansonsten sei popular culture "not a historically fixed set of popular texts and practices, nor is it a historically fixed conceptual category" (Storey 2001, 15). Es gibt, wie HansOtto Hügel (2003, 1) in der Einführung zu seinem Handbuch Populäre Kultur anmerkt, weder eine allgemein anerkannte Theorie Populärer Kultur [...] noch ist verbindlich geklärt, welche Gegenstände und/oder welche kulturellen Aktivitäten zur Populären Kultur gehören. Auch die Grundfrage, wie Populäre Kultur zur Gesamtkultur steht, ob

5 Zur Geschichte der popular cultureForschung innerhalb der Cultural Studies vgl. etwa Winter (2001) und Hügel (2003). 6 Obwohl heute in deutschen Studien zur popular culture meist mit der Übersetzung 'Populärkultur' gearbeitet wird, soll im Folgenden weitgehend die englische Bezeichung beibehalten werden, um möglichen Missverständnissen und Unklarheiten vorzubeugen. 7 Außerhalb der Cultural Studies wird das Aufkommen der Phänomene Popularität und Popularisierung zuweilen auch auf einen anderen Zeitpunkt datiert. So sieht Manuel Braun (2005, 21) in der "Medienrevolution des 15. Jahrhunderts" die "Voraussetzung für die damals neuen Phänomene der Popularisierung und der Popularität, für die es im Mittelalter kein Äquivalent gibt." Mittels der "Erfindung und Durchsetzung des Drucks mit beweglichen Lettern konnten die Schriften Martin Luthers zu Hunderttausenden hergestellt und verbreitet werden, und es erschienen mehrere Millionen Flugblätter und Flugschriften zur causa Lutheri" (ebd.). Braun (2005, 28) bezeichnet die Publikationsformen 'Flugblatt' und 'Flugschrift' aufgrund ihrer "enorme[n] Verbreitung und Reichweite" als "'Massenmedien' der Frühen Neuzeit." Er räumt jedoch ein, dass diese Publikationsformen ihre "volle Wirkung [...] erst im Verbund mit mündlicher Rede zu entfalten" (Braun 2005, 21) vermochten, "die ihre Inhalte auch den Analphabeten vermittelte." Zudem ist zu beachten, dass Braun (ebd.) hier mit einem anderen PopularitätsKonzept als dem in der Cultural StudiesForschung vorherrschenden arbeitet: "Da Popularität als Ergebnis religiöser Auseinandersetzungen entstand, ist der Begriff hier von der Konnotation 'beliebt' freizuschalten, die ihm heute leicht anhaftet: Auch bei seinen Gegnern war Luther 'populär' in dem Sinne, dass sie über seine Person und seine Lehre kommunizierten." 20

und wie sie als eigenständiger Bereich zu fassen ist, ist umstritten.8 Mit welchen Schwierigkeiten sich der Versuch einer Definition von popular culture konfrontiert sieht, zeigt John Storey (2001, 6) im Einführungskapitel von Cultural Theory and Popular Culture. Er macht zwar einen Vorschlag, wo eine Definition dieses Begriffs ansetzen könnte, verwirft diesen Vorschlag jedoch gleich wieder: An obvious starting point in any attempt to define popular culture is simply culture which is widely favoured or well liked by many people. [...] We could examine sales of books, sales of CDs and videos. We could also examine attendance records at concerts, sporting events, festivals. We could also scrutinize market research figures on audience preferences for different television programmes. Such counting would undoubtedly tell us a great deal. The difficulty might prove to be that, paradoxically, it tells us too much. Unless we can agree on a figure over which something becomes popular culture, and below which it is just culture, we might find that widely favoured or well liked by many people included so much as to be virtually useless as a conceptual definition of popular culture. Simon Frith (1998, 572) zweifelt die Fruchtbarkeit eines solchen Ansatzes zu Recht an, da einerseits solcherlei Zahlen – "Neilsen ratings, the music charts, box office returns, bestseller lists, circulation statistics, and so on" – nicht immer akkurat sind, und sie andererseits keinerlei Aufschluss darüber geben, as to why such goods are chosen by their consumers nor whether they are actually enjoyed or valued by them (it is a common enough experience to go to a blockbuster film, watch a highrated TV program, read a bestselling book, or buy a chart record that turns out to be quite uninteresting) (ebd., 572f.). Davon abgesehen wäre an einer solchen Definition problematisch, dass die Zuordnung eines Textes zum Gegenstandsbereich popular culture in Extremfällen von wenigen verkauften Exemplaren abhängen könnte. Zudem weist der Medienwissenschaftler John Fiske (1989b, 31) darauf hin, dass sich zwischen 80 und 90 Prozent der neu erscheinenden Produkte trotz teilweise extensiver Reklame nicht auf dem Markt durchsetzen können: "[M]any films fail to recover even their promotional costs at the box office" (ebd.). Somit könnten also nur die 10 bis 20 Prozent der Produkte, die neu auf den Markt kommen und die sich dort auch tatsächlich durchsetzen können, der popular culture zugerechnet werden. Frith (1998, 573) gibt außerdem zu bedenken, dass eine solche Definition einige Phänomene innerhalb der popular culture nicht zu erklären vermag: "In accounts of popular music, at least, this is to

8 Zu der Schwierigkeit, popular culture zu definieren und gegenüber anderen Kulturzweigen abzugrenzen, vgl. auch Bigsby (1975, 23f.) und Frith (1996b, 415). Letzterer weist zudem darauf hin, dass in der jüngeren Geschichte der cultural studies diese Problematik mitunter gewissermaßen zum Programm erhoben wird: "The importance of the Open University approach to popular culture was not its theoretical sophistication, nor its attempt to apply a range of analytical methods to a complex, multifaceted issue, but its understanding that the essence of popular culture is its conceptual slipperiness, its fluidity, and lack of clear definition" (Frith 1996b, 416f.). 21 ignore the significant unpopularity of certain stars (Vanilla Ice, say) and the popular cult influence of such market failures as Velvet Underground or the Stone Roses." Obwohl Frith hier nicht deutlich macht, worauf sich seine Einschätzung von Vanilla Ice als unpopulär und von Velvet Underground und The Stone Roses als trotz schlechter Verkaufszahlen populär stützt, scheint dennoch eine Definition von popular culture, die sich ausschließlich auf eine quantitative Komponente gründet, zumindest einem intuitiven Verständnis dieses Begriffes zuwider zu laufen.9 Eine Definition von popular culture, die sich im Wesentlichen auf die quantitative Komponente des Begriffs popular stützt, scheint sich also als wenig hilfreich zu erweisen – zumal Storey (2001, 6) darauf hinweist, dass eine solche Begriffsbestimmung auch Teile der Hochkultur miteinbeziehen würde, "which in terms of books and records sales and audience ratings for television dramatisations of the classics, can justifiably claim to be 'popular' in this sense." Dennoch, so Storey (ebd.), müsse jegliche Definition von popular culture auch eine quantitative Dimension miteinbeziehen: "The popular of popular culture would seem to demand it" (Hervorhebung im Original). Einige Arbeiten speziell zur populären Literatur suchen dieser Problematik Herr zu werden, indem sie die Einordnung von Texten in den Bereich der populären Literatur nicht auf der Basis von tatsächlichen Verkaufszahlen, sondern von Intentionen vornehmen. So bemerkt Ken Gelder (2004, 22): [T]he scale of difference between popular fiction and literary fiction is registered not simply in terms of numbers, and in fact, much like blockbuster films that find themselves failing at the box office, a lot of popular fiction secures audiences that are relatively and often disappointingly small […]. The scale of difference between literary and popular fiction is in one sense more accurately registered in terms of intention, rather than actual achievement (Hervorhebung im Original). Ähnlich formuliert Clive Bloom (2002, 15): "[The field of popular literature] includes fiction that may not sell well, but aspires to the level of bestsellerdom" (meine Hervorhebung).10 Storey (2001, 8f.) spricht sich zudem dezidiert gegen eine – in Theorie und Praxis häufig zu beobachtende – Gleichsetzung der Begriffe popular culture und mass culture aus: The first point that those who refer to popular culture as mass culture want to establish is that popular culture is a hopelessly commercial culture. It is mass produced for mass consumption. Its audience is a mass of nondiscriminating consumers. The culture itself is formulaic, manipulative [...]. It is culture which is consumed with brainnumbed and brainnumbing passivity. Storey setzt diesen Überlegungen die bereits angesprochene hohe kommerzielle

9 Darauf, dass "MinderheitenTexte populär sein" bzw. "HochkulturArtefakte massenhaft Erfolg haben" können, weist auch Hügel (2002, 56) hin. 10 Bourdieus Theorie lässt die Möglichkeit offen, innerhalb einzelner Felder mehrere Subfelder anzunehmen. So sieht er innerhalb des literarischen Feldes das 'Subfeld der eingeschränkten Produktion' vor (vgl. Bourdieu 1999, 346). Das von Bloom so benannte 'Feld der populären Literatur' kann als weiteres dieser Subfelder betrachtet werden. 22

Misserfolgsquote neu erscheinender Produkte entgegen: "Such statistics should clearly call into question the notion of cultural consumption as an automatic and passive activity" (Storey 2001, 9).11 Ab Mitte der 1980er Jahre richtete vor allem John Fiske sein Augenmerk auf die "sich ereignende Fabrikation des Populären in alltäglichen Praktiken" (Winter 2001, 10). Diese Fabrikation des Populären konstituiert für Fiske ein "kreative[s] und widerständige[s] Potenzial [...], das zur (allmählichen) Transformation des Bestehenden beitragen kann" (ebd.). Fiskes hauptsächliches Interesse gilt dabei "den sozialen Praktiken spezifischer Formationen von Menschen, in denen die widerständige Kraft eines Textes kreativ entfaltet wird" (Winter 2001, 10f.). Dieses Interesse bedingt, dass sich seine Analysen auf "das Zusammenspiel von Text, sozialer Formation und historischen Bedingungen in spezifischen RaumZeit Momenten" konzentrieren (ebd., 11). Objekt von Fiskes Analyse ist die soziale Zirkulation von Bedeutungen, die in kulturellen Praktiken entfaltet wird. Um Texte als Teil dieser Zirkulation fassen zu können, analysiert er sie von der Seite ihres möglichen Gebrauchs her. Dabei interessiert ihn primär, ob Texte zur Artikulation der Interessen von Subordinierten und zu ihrer Ermächtigung beitragen können. Insbesondere seltene und abweichende Verwendungsweisen können einen Einblick in die Möglichkeiten gesellschaftlichen Wandels geben (ebd.). Fiske baut hier auf einem Postulat Michel de Certeaus auf, der bereits zu Beginn der 1980er Jahre gefordert hatte, nicht nur "the representations of a society" und "its modes of behaviour" zu analysieren, sondern die Untersuchung dahingehend auszuweiten, dass auch Aussagen bezüglich des Gebrauchs "to which they are put by groups or individuals" gemacht werden können (de Certeau 1984, xii). De Certeau erläutert auch, wie eine solche Analyse sich gestalten könnte: For example, the analysis of the images broadcast by television (representation) and of the time spent watching television (behavior) should be complemented by a study of what the cultural consumer "makes" or "does" during this time and with these images (ebd., meine Hervorhebung). Dieses "making" bezeichnet de Certeau explizit als eine Form der Produktion – but a hidden one, because it is scattered over areas defined and occupied by systems of 'production' (television, urban development, commerce, etc.), and because the steadily increasing expansion of these systems no longer leaves "consumers" any place in which they can indicate what they make or do with the products of these systems. To a rationalized, expansionist and at the same time centralized, clamorous, and spectacular production corresponds another production, called "consumption." The latter is devious, it is dispersed, but it insinuates itself everywhere, silently and almost invisibly, because it does not manifest itself through its own products, but rather through its ways of using the products imposed by a

11 Für eine umfangreiche mass cultureAnalyse vgl. Carroll (1998). 23

dominant economic order (ebd., xiif.). Der Vorgang des Lesens eines Bildes oder Textes weist für de Certeau alle Charakteristika einer "silent production" auf: [T]he drift across the page, the metamorphosis of the text effected by the wandering eyes of the reader, the improvisation and expectation of meanings inferred from a few words, leaps over written spaces in an ephemeral dance. [...] He [the reader] insinuates into another person's text the ruses of pleasure and appropriation: he poaches on it, is transported into it, pluralizes himself in it like the internal rumblings of one's body. Ruse, metaphor, arrangement, this production is also an "invention" of the memory (ebd., xxi). De Certeau widerspricht damit dem folgenden Vorurteil: "[R]eading (an image or text) [...] seems to constitute the maximal development of the passivity assumed to characterize the consumer" (ebd.). John Fiske führt diesen Gedanken de Certeaus konsequent weiter. Für ihn sind populäre Texte inadequate in themselves – they are never selfsufficient structures of meanings and pleasure, they are completed only when taken up by people and inserted into their everyday culture. The people make popular culture at the interface between everyday life and the consumption of the products of the cultural industries (Fiske 1989a, 6).12 Diese Produkte der Kulturindustrie haben die Funktion von 'Rohmaterialien'13 (vgl. Fiske 1989b, 35): All the culture industries can do is produce a repertoire of texts or cultural resources for the various formations of the people to use or reject in the ongoing process of producing their popular culture. [...] Popular culture is made by the people, not imposed upon them; it stems from within, from below, not from above. Popular culture is the art of making do with what the system provides (Fiske 1989b, 24f.). Oder, wie Storey (2001, 192) prägnant formuliert: "[P]opular culture is what we make from the commodities and commodified practices made available by the culture industries." Daraus ergibt sich, dass Gegenstand einer popular cultureAnalyse weder

12 Vgl. dazu auch Paul Willis (1990, 128), der, von ähnlichen Voraussetzungen wie Fiske ausgehend, die kulturellen Aktivitäten von Jugendlichen untersucht hat, und die Ansicht vertritt: "We are all cultural producers in some way and of some kind in our everyday lives. It is still often denied or made invisible in many of our official attitudes and practices, in our formal lives and communications. But the necessary symbolic work and symbolic creativity of common culture are now all around us." 13 Wie er den Vergleich von culture industryProdukten mit Rohmaterialien verstanden wissen will – wohl wissend, dass ein solcher Vergleich nicht vollständig adäquat ist – erläutert Fiske (1989b, 142, Hervorhebungen im Original) so: "The metaphor is extreme, for clearly the products of capitalism cannot be entirely raw, they cannot be entirely primary. But, in the literal sense of determine (that is, 'set the boundaries of'), 'natural' raw resources do determine their cultural uses (a soft metal such as gold cannot be fashioned into a glass cutter, nor can a degradable one such as iron form the basis of a currency). But though the nature of the resource may limit its use, it cannot limit the creativity of those that use the resource. Just as the fabrication of an object out of raw material is always a struggle between the nature of the raw material and the cultural needs of the producer, so too popular culture is a struggle between the 'nature' (ideological, strategic, disciplinary) of the resources provided by the financial economy and the cultural needs of everyday life." 24 ausschlieβlich die von der Kulturindustrie als Ressourcen bereitgestellten Produkte sind, noch das System als solches, das diese bereitstellt, "but the concrete specific uses they are put to, the individual acts of consumptionproduction, the creativities produced from the commodities" (1989b, 37).14 Dergleichen Analysen, die sich nicht allein auf den populären Text als solchen, sondern auch auf den Umgang seiner Rezipienten mit ihm richten, bergen aber wiederum gewisse Schwierigkeiten, da sie im Prinzip nur auf der Basis von Befragungen eben dieser Rezipienten durchführbar sind. Es ist offensichtlich, dass sich eine solche Vorgehensweise für die Analyse der popular culture früherer Epochen wie dem 19. Jahrhundert als problematisch erweisen kann – wenn nicht, wie das etwa bei Charles Dickens allerdings der Fall ist, die Art und Weise des Umgangs der damaligen Rezipienten mit dem Text ausreichend dokumentiert ist. Aber selbst im Fall von aktuelleren Texten, deren zeitgenössische Rezipienten noch befragt werden können, ist ein solcher Analysemodus nicht unproblematisch. Hügel (2003, 10) weist auf die Gefahr hin, die darin besteht, "die ästhetische Erfahrung der Rezipienten gleich[zu]setzen mit dem, was sie von sich aus zu äußern verstehen." Dabei werde häufig vergessen, dass die Rezipienten nur in den seltensten Fällen geschult und von sich aus gewillt sind, über ihre ästhetischen Erfahrungen reflektierend zu sprechen. Ohne vorhergehende Analyse, die klären kann, worin der Rezeptionswert eines populären Artefakts liegen könnte, lässt sich aber weder ein Fragebogen verfassen noch ein themenzentriertes Interview führen (ebd.). Diese Dilemmata lassen sich nur lösen, indem darauf geachtet wird, dass die Analyse des "Zusammenspiel[s] von Text, sozialer Formation und historischen Bedingungen" (Winter 2001, 11) nicht zu sehr in Richtung der beiden letzteren der drei genannten Faktoren ausschlägt, sondern weiterhin auch den Texten selbst die ihnen gebührende Aufmerksamkeit zukommen lässt. Scheint Fiske zuweilen sein Augenmerk ausschließlich darauf zu richten, welchen Gebrauch Konsumenten von den Erzeugnissen der Kulturindustrie machen, so

14 Vgl. dazu wiederum Willis (1990, 132): "Crucially, we need to recognize that consumption of cultural commodities involves its own processes of production (symbolic work and creativity, grounded aesthetics) in a way that is not true for other commodities. In short, a pop song is not a steel ingot. For cultural commodities our interest, policy intervention and concern may lie more in what happens after rather than during or before manufacture." Dergleichen Überlegungen waren freilich schon vor Fiske formuliert worden. In einer Untersuchung zum Kinofilm gestand schon Franklin Fearing (1947, 70) dem Rezipienten eine aktive Rolle zu: "He takes from the picture what is usable for him or what will function in his life." Ähnlich postulierte Davison (1964, 89): "[T]he communicator's audience is not a passive recipient – it cannot be regarded as a lump of clay to be molded by the master propagandist. Rather, the audience is made up of individuals who demand something from the communications to which they are exposed, and who select those that are likely to be useful to them." Der "uses of gratification"Ansatz der Massenkommunikationsforschung schließlich, der sich aus solcherlei Überlegungen entwickelt hat, "proceeds from the assumption that the social and psychological attributes of individuals shape their use of the mass media rather than vice versa. This is the approach that asks the question not 'What do the media do to people?' but, rather, 'What do people do with the media?' (Katz/Foulkes 162, 378, Hervorhebung im Original). 25 lassen seine Studien in ihrer Gesamtheit doch erkennen, dass ihm die Wichtigkeit der Kategorie 'Text' durchaus bewusst ist. So fordert er für die Analyse populärer Texte einen doppelten Fokus: On the one hand we need to focus upon the deep structure of the text in the ways that ideological, psychoanalytic analyses and structural or semiotic analyses have proved so effective and incisive in recent scholarship. [...] The complementary focus is upon how people cope with the system, how they read its texts, how they make popular culture out of its resources. It requires us to analyze texts in order to expose their contradictions, their meanings that escape control, their producerly invitations; to ask what it is within them that has attracted popular approval. Traditional academic analyses and professional criticism have rarely focused upon popular texts in this way (Fiske 1989b, 105). Der Text als solcher bleibt also weiterhin eine zentrale Komponente innerhalb der popular cultureAnalyse.

2.2 Charakteristika potentiell populärer Texte Fiske nennt einige Charakteristika, die die Chancen eines Textes auf populäre Verbreitung erhöhen. Das Vorhandensein dieser Merkmale garantiert allerdings noch nicht, dass solche Texte auch tatsächlich zu popular culture werden: The people discriminate among the products of the culture industries, choosing some and rejecting others in a process that often takes the industry by surprise, for it is driven by the social conditions of the people at least as much as by the characteristics of the text (Fiske 1989b, 129). Die von Fiske aufgeführten Charakteristika populärer Texte, die im folgenden einzeln erläutert werden sollen, lassen sich alle unter seinem Postulat subsumieren, der betreffende Text müsse sich als 'produzierbar' ("producerly", (Fiske 1989b, 103)) erweisen. Fiske erweitert hier eine von Roland Barthes bereitgestellte Terminologie. Barthes unterscheidet zwischen Tendenzen in Texten, die er mit den Begriffen 'lesbar' ('readerly') und 'schreibbar' ('writerly') benennt: [A] readerly text invites an essentially passive, receptive, disciplined reader who tends to accept its meanings as already made. It is a relatively closed text, easy to read and undemanding of its reader. Opposed to this is a writerly text, which challenges the reader constantly to rewrite it, to make sense out of it. It foregrounds its own textual constructedness and invites the reader to participate in the construction of meaning. […T]he readerly text is the more accessible and popular, the writerly the more difficult, avantgarde, and therefore of minority appeal (ebd.). Fiske führt nun die Kategorie des produzierbaren ('producerly') Textes ein. Bei einem solchen Text handelt es sich um einen popular writerly text, a text whose writerly reading is not necessarily difficult, that does not challenge the reader to make sense out of it, does not faze the reader with its 26

sense of shocking difference both from other texts and from the everyday. It does not impose laws of its own construction that readers have to decipher in order to read it on terms of its, rather than their, choosing. The producerly text has the accessibility of a readerly one, and can theoretically be read in that easy way by those of its readers who are comfortably accommodated within the dominant ideology [...], but it also has the openness of the writerly. The difference is that it does not require this writerly activity, nor does it set the rules to control it. Rather, it offers itself up to popular production; it exposes, however reluctantly, the vulnerabilities, limitations, and weaknesses of its preferred meanings; it contains, while attempting to repress them, voices that contradict the ones it prefers; it has loose ends that escape its control, its meanings exceed its own power to discipline them, its gaps are wide enough for whole new texts to be produced in them – it is, in a very real sense, beyond its own control (Fiske 1989b, 103f.). Dazu, dass ein Text sich als produzierbar erweist und somit zumindest potentiell zu popular culture werden kann, können nun wiederum verschiedene Faktoren beitragen. Als eines der zentralen Kriterien nennt Fiske in diesem Zusammenhang das der Sprache (ebd., 106ff.), wobei er besonders auf die Bedeutung von Wortspielen ("puns") hinweist, die sich häufig in Produkten der Kulturindustrie wie "advertisements, headlines, pop songs, slogans" (Fiske 1989b, 111) ausmachen lassen.15 In belletristischen Texten mit populärem Potential sind sie jedoch weitaus seltener anzutreffen, wie Gerhard Haefners (1981, 239) Analysen zeigen.16 Ein weiteres zentrales Merkmal eines produzierbaren Textes sieht Fiske darin, dass er sich als "[s]ensational, obvious, excessive, cliched" beschreiben lässt (Fiske 1989, 117). Das Kriterium der "excessiveness" definiert Fiske als meaning out of control, meaning that exceeds the norms of ideological control or the requirements of any specific text. Excess is overflowing semiosis, the excessive sign performs the work of the dominant ideology, but then exceeds and overspills it, leaving excess meaning that escapes ideological control and is free to be used to resist or evade it (Fiske 1989b, 114). Die Offenkundigkeit ("obviousness") potentiell populärer Texte bewirkt, dass deren Rezeption "vom Bildungsstand der Rezipienten nahezu unabhängig ist", wie Bourdieu (1999, 237) darlegt. Darin unterscheiden sie sich deutlich von Artefakten der Hochkultur, die "nur solchen Konsumenten zugänglich [sind], die über die entsprechende und für ihr Bewerten notwendige Disposition und Kompetenz verfügen." Diese Disposition und Kompetenz sind abhängig vom 'kulturellen Kapital' des Rezipienten, das sich zusammensetzt aus "dem schulischen oder Bildungskapital (gemessen am Schul oder Hochschulabschluss)" sowie dem kulturellen Erbe, das dem Rezipienten kraft seiner "sozialen Herkunft (erfasst anhand

15 Für eine Erläuterung des populären Potentials von Wortspielen vgl. Fiske (1989b, 109ff.) 16 Problematisch an Haefners Analysen ist, dass sie noch mit dem heute im wissenschaftlichen Diskurs nicht mehr gebräuchlichen Begriff 'Trivialliteratur' operieren. Davon abgesehen sind Haefners Überlegungen jedoch in vielen ihrer Aspekte den wenige Jahre später entstandenen popular cultureAnalysen Fiskescher Prägung verwandt und lassen sich deshalb teilweise für die Zwecke der vorliegenden Studie nutzbar machen. 27 des Berufs des Vaters)" mitgegeben wurde (Bourdieu 1982, 34). Für potentiell populäre Produkte lieβe sich also formulieren, dass sie auch von Personen mit geringem kulturellem Kapital problemlos rezipert werden können. Zudem charakterisiert Fiske popular culture als widersprüchlich – "shot through with contradictions that escape control" (Fiske 1989b, 120). Freilich handelt es sich hier um andere Formen von Widersprüchlichkeit und Komplexität, als sie in high culture anzutreffen sind: The complexities for which poetry and literature are valued are located typically in its use of language and its ability to use the full resources of a language to provide an artistic correlative of the subtle varieties and fine differences of individual sentiment (ebd.). Die Komplexität populärer Texte liegt demgegenüber as much in their uses as in their internal structures. The densely woven texture of relationships upon which meaning depends is social rather than textual and is constructed not by the author in the text, but by the reader: it occurs at the moment when the social relationships of the reader meet the discursive structure of the text (Fiske 1989b, 122). Um für eine heterogene Leserschaft von Interesse zu sein, muss sich ein potentiell populärer Text als polysem erweisen – "that is, capable of producing multiple meanings and pleasures" (Fiske 1989b, 158). Als Beispiel für einen solchen polysemen und komplexen populären Text nennt Fiske die in den 1980er Jahren – zur Zeit der Entstehung seiner Theorie – weltweit überaus erfolgreiche Fernsehserie Dallas. Dallas ist für Fiske ein komplexer Text, because so many and such diverse audiences can make so many and diverse intersections between it and their social relations. Its dialogue, its representation of relationships among people, its psychological depth, its exploration of the infinitely subtle problems and rewards in accommodating the needs of the individual with the demands of the social – all of these may be only alluded to, sketched in superficially in the broadest brush strokes. But that is precisely its strength. It is a text full of gaps, it provokes its producerly viewers to write in their meanings, to construct their culture from it (ebd.). Eng verbunden mit diesem Kriterium der Komplexität ist auch das letzte von Fiske angeführte Merkmal populärer Texte, das er als ihre 'textuelle Armut' ("textual poverty", (Fiske 1989b, 123)) bezeichnet. Dieses Merkmal führt er darauf zurück, dass Texte innerhalb der popular culture lediglich "commodities" sind, "and as such they are often minimally crafted (to keep production costs down), incomplete, and insufficient unless and until they are incorporated into the everyday lives of the people" (ebd.). Scheint diese 'textuelle Armut' nach Fiske eher unbeabsichtigt zu sein, so finden sich daneben in populären Texten auch 28 gezielt eingesetzte Leerstellen – "jene Textstellen also, wo der Erzähler nicht alles ausformuliert und die dadurch entstehende Unbestimmtheit den Leser anhält, die Leerstelle selbst zu besetzen" (Haefner 1981, 218). Haefners Analysen zufolge bedienen sich populäre bzw. in seiner Terminologie triviale Texte dreier unterschiedlicher Leerstellentechniken, deren erste er mit dem Begriff "[s]pannnungserzeugende Leerstellen auf der Handlungsebene" umschreibt: Der Autor bricht einen Erzählstrang, nachdem sich Spannung gebildet hat, ab und greift einen anderen auf. Ein solcher SuspensEffekt bewirkt, dass wir uns Begebenheiten, die uns im Augenblick vorenthalten werden, selbst vorzustellen, auszumalen versuchen. Diese Leerstellen erhöhen somit die Beteiligung des Lesers am Geschehen (Haefner 1981, 220). Solcherlei Leerstellen werden gemeinhin als cliffhangers bezeichnet. Als zweite Leerstellenform nennt Haefner (1981, 222) die Technik der Aussparung, also Textstellen, die ein Geschehen nicht beschreiben, sondern es durch die Art seiner Präsentation der Imagination oder der Entdeckungsfähigkeit des Lesers anheimgeben. Eine solche Erzähltechnik findet sich in trivialer Prosa häufig bei Liebesszenen und Dialogen. So heiβt es bei der Schilderung des zweiten Kusses zwischen Oliver und Jennifer in Segals Love Story: 'I kissed her again. But not on the forehead, and not lightly. It lasted a long nice time'. Der Appell dieser Textstelle zielt ausschlieβlich auf die erotische Phantasie und die Affekte des Lesers. Die Negation heizt die Phantasie an, und der Zusatz setzt ihr keine Grenzen. Bei der dritten Leerstellenform nach Haefner (1981, 223) handelt es sich um die Technik der "doppelte[n] Lesart". Sie kann darin bestehen, dass das erzählte Geschehen eines Textes zwar nicht expliziert negiert, aber durch beispielsweise einen ironischen Kommentar des Erzählers konterkariert wird, so dass zwei unterschiedliche Lesarten entstehen – eine, die sich auf den wörtlichen Sinn des Erzählten stützt und eine weitere, der der durch die Ironie entstandene übertragene Sinn des Erzählten zugrunde liegt. Eine weitere Möglichkeit, eine doppelte Lesart zu erzeugen, liegt darin, ein Geschehen aus zwei verschiedenen Blickwinkeln darzustellen bzw. zu kommentieren: Vor das Geschehen schaltet der Autor einen Verstehensraster, der das Verständnis des Geschehens auf zwei Möglichkeiten reduziert, die zugleich Werbesignale an den Leser enthalten. [...] Da an psychologische oder weltanschauliche Dispositionen des Lesers appelliert wird, ist der Leser im wesentlichen in seiner Entscheidung nicht mehr frei (Haefner 1981, 224). Im Unterschied zu den Leerstellen, die in hoher Literatur Anwendung finden und verschiedentlich als Kriterium von deren ästhetischem Wert betrachtet werden (vgl. Haefner 1981, 219), sind Leerstellen in potentiell populären Texten "meist einfacher gebaut" und "spechen weniger kognitive als affektive Fähigkeiten des Lesers an" (Haefner 1981, 225). Durch solche Leerstellen erfolgt eine "Aktivierung des Lesers" (Haefner 1981, 218), er erhält 29 also die Möglichkeit, sich verstärkt in den Text einzubringen, wodurch sich die Distanz zwischen Text und Leser verringert. Diese 'Unvollständigkeit' einzelner Texte innerhalb der popular culture bedingt zweierlei: Zum einen führt sie dazu, dass solche Texte mittels intertextueller Lesepraktiken konsumiert werden müssen. Nach Darstellung von Fiske zirkulieren populäre Texte in dreierlei Gestalt – in Form von primären, sekundären und tertiären Texten. Als primäre Texte bezeichnet Fiske die jeweiligen Originaltexte bzw. originalen Erzeugnisse der Kulturindustrie. Sekundärtexte nehmen direkten Bezug auf diese und treten etwa in Gestalt von Werbung, Veröffentlichungen in der Presse und Kritiken auf. Tertiärtexte ergeben sich aus dem Umgang des Konsumenten mit dem Produkt der Kulturindustrie und werden von Fiske wie folgt beschrieben: "Tertiary texts […] are in constant process in everyday life (conversation, the ways of wearing jeans or dwelling in apartments, window shopping)" (Fiske 1989b, 125). Als zweite Konsequenz der 'Unvollständigkeit' populärer Texte nennt Fiske deren häufig serielles und von Wiederholungen geprägtes Auftreten: Magazines are published weekly or monthly, records played constantly, television is organized into series and serials, clothes worn and discarded, video games played time and again, a sports team watched game after game – popular culture is built on repetition, for no one text is sufficient, no text is a completed object. The culture consists only of meanings and pleasures in constant process (Fiske 1989b, 126).17 Wie Fiske wiederum ausführt, bringt der solchermaβen stets fragmentarische Charakter populärer Texte nicht nur mit sich, dass sich solche Texte leichter in das Alltagsleben ihrer Konsumenten integrieren lassen, sondern auch, dass sich die Grenzen zwischen eben diesem Leben und den populären Texten generell verwischen. Fiske spricht von den "leaky boundaries" populärer Texte: "[T]hey flow into each other, they flow into everyday life" (ebd.). Gerhard Haefner führt noch eine weitere in populären Texten häufig anzutreffende Erzähltechnik an, die er unter dem Oberbegriff "Pragmatische Figuren" (Haefner 1981, 216) diskutiert und in "Figuren der direkten und Figuren der indirekten Leseransprache" (Haefner 1981, 217) unterteilt. Die direkte Leseransprache erfolgt nach Haefner durch Verwendung

17 Vgl. dazu auch Hayward (1997, 137): "In addition to enjoying the reassurance of the familiar, readers take pleasure in the rhythms of seriality. This process works on several levels. First, there is the daily experience of reading or watching, which usually takes place at the same time and in the same location and can serve, for example, as punctuation or accompaniment to the rhythms of housework or as a transition between home and work or school. Second, discussion of soaps can form an integral part of a daily routine and work to bond discussants who do not know each other [...]. Third, reliability of character types, plots, and generic themes satisfies by means of the very predictability often cited as proving serial worthlessness." 30 des Personalpronomens der zweiten Person Singular und Plural, Formen der indirekten Leseransprache – die sich seinen Analysen zufolge "ungleich häufiger" (ebd.) finden, gestalten sich entweder als "Antworten auf vorhersehbare Leserreaktionen" oder sie "suchen Anschluss an die Lebenserfahrung des Lesers" (ebd.). Den Möglichkeiten dieser pragmatischen Figuren bei der Lesersteuerung steht allerdings eine Schwäche gegenüber, die relativ viele Autoren davon abhält, pragmatische Figuren zu verwenden. Sie durchbrechen und sei es auch nur für einen kurzen Augenblick die Illusionsbildung des Lesers und rücken dadurch das Erzählte in eine sonst unübliche Distanz (Haefner 1981, 216f.). Dadurch, dass der Leser angesprochen wird, wird er allerdings selbst quasi in den Text einbezogen, wodurch sich seine Distanz dazu auch wieder erheblich verringert. Ken Gelder (2004, 23f.) konstatiert zudem das Bemühen vieler Autoren populärer Literatur, ein enges Verhältnis zu ihren Lesern aufzubauen: [P]opular fiction writers [...] often work hard to maintain a sense of 'intimacy' between their readers and themselves. […] Most contemporary novelists have their own online homepages and some actively engage with their fans […]. Popular fiction is by nature mindful and respectful of its audience […]. For writers of popular fiction, readers are their marketplace, their destination and the providers of their income: it would be impossible not to want to engage positively with this domain, and indeed, the intention here would doubtless be to maximize its potential, to increase the size of that domain as much as possible (Hervorhebung im Original). Damit nun aber – um bei Fiskes Metaphorik zu bleiben – Konsumenten die Produkte der Kulturindustrie auch wirklich in ihr Leben hineinfließen lassen, müssen diese noch ein zusätzliches Charakteristikum aufweisen, dessen Notwendigkeit Fiske (1989b, 129) wie folgt begründet: "If the cultural resource does not offer points of pertinence through which the experience of everyday life can be made to resonate with it, then it will not be popular." Ähnlich formuliert Scott McCracken (1998, 11) im Bezug auf populäre Literatur: "Popular fiction may use simple forms, but if these forms are to win an audience they must be able to address that audience's concerns." Fiske führt hier ein Kriterium ein, dass sich nicht mittels einer Analyse ausschließlich des Textes ausmachen lässt. Es handelt sich um das Kriterium der Relevanz, das als weiterer Schlüsselbegriff in Fiskes Theorie betrachtet werden kann: "Popular culture has to be, above all else, relevant to the immediate social situation of the people" (Fiske 1989b, 25f., Hervorhebung im Original). [Relevance] minimizes the difference between text and life, between the aesthetic and the everyday that is so central to a process and practicebased culture (such as the popular) rather than a text or performancebased one (such as the bourgeois, highbrow one) [...]. Relevance can be produced only by the people, for only they can know which texts enable them to make the meanings that will function in 31

their everyday lives (Fiske 1989a, 6).18 Dieses Kriterium der Relevanz bedeutet nun nicht einfach, dass die Konsumenten der KulturindustrieProdukte in diesen ihre Lebenswelt gespiegelt fänden. Fiskes Kriterium gestaltet sich komplexer. Es lässt sich auf zwei Ebenen ansiedeln: [A]t the level of representation it operates along axes of similarity and difference. But it is not confined to the level of representation; indeed, it appears that discursive relevance is more productive of popular culture than representational relevance because it is more likely to be a foregrounded element in producerly texts: representational relevance can be made to fit more easily with readerly, nonproductive, texts, and these are unlikely to be as widely chosen as the raw resources of popular culture. Representational relevance in a nonproducerly text is unlikely to produce popular culture (Fiske 1989b, 186). Die Funktion der beiden Achsen der Ähnlichkeit ('similarity') und der Differenz ('difference') auf der Ebene der repräsentionalen Relevanz erläutert Fiske (1989b, 183f.) am Beispiel populärer Fernsehserien. Dallas etwa werde in der westlichen Welt von einer Vielzahl von Zuschauern unterschiedlichster sozialer Herkunft rezipiert. In some cases, at least, it is made into surprisingly different popular cultures: it is read resistingly and/or incorporated within the daily lives of people whose social experience is far removed from that of the Ewings. The relevance of Dallas does not lie in the material conditions of the world it represents. Indeed, for many of the popular readers, the pleasure of these material conditions lies in their difference: they embody the dominant ideology that popular experience differs from, but relates to (Fiske 1989b, 183). Fernsehserien wie Coronation Street oder East Enders dagegen repräsentierten auf unmittelbarere Weise das soziale Umfeld der unteren Gesellschaftsschichten. Aus der Gesamtheit dieser Beobachtungen schlieβt Fiske (1989b, 185): "The most significant relevances may not be those of similarity. The popularity of science fiction or historical romance cannot lie simply in represented social relevances at the level of the material details and conditions of everyday life." Als Beispiel für das Auftreten von diskursiver Relevanz ('discursive relevance') führt Fiske u.a. die Rezeption von puns, game shows oder Auszügen aus der Regenbogenpresse an. Diese repräsentierten in keiner Weise "popular social experience" (ebd.). These are popular discourse, not because of the representation of the world that they offer, but because they combine contradictory discursive orientations to that world. Their relevancies lie in the relationships between the reading practices that make sense and pleasure out of them and the social practices that are used to make sense and pleasure out of everyday life (ebd.).

18 Vgl. hierzu auch Bourdieu (1982, 64): "Alles spricht dafür, dass 'populäre Ästhetik' sich darauf gründet, zwischen Kunst und Leben einen Zusammenhang zu behaupten [...], oder, anders gesagt, auf der Weigerung, jene Verweigerungshaltung mitzuvollziehen, die aller theoretisch entfalteten Ästhetik zugrunde liegt, d.h. die schroffe Trennung zwischen gewöhnlicher Alltagseinstellung und geniun ästhetischer Einstellung." 32

Im Zusammenhang mit Fiskes Kriterium der Relevanz wird auch deutlich, weshalb für ihn die Einbeziehung des Sozialen in seine Analyse so bedeutsam ist: Unlike aesthetic criteria, those of relevance can be located only in the social situation of the reader; they can reside in the text only as a potential, not as a quality. Relevance is a quality determined by and activated in the specifics of each moment of reading; unlike aesthetics, relevance is time and placebound (Fiske 1989b, 130). Zwar lassen sich bestimmte textliche Charakteristika ermitteln, die einem Text populäres Potential verleihen. Prognosen bezüglich dessen tatsächlicher Popularität müssen jedoch stets unverbindlich bleiben (vgl. ebd.). Lawrence Grossberg (1992, 76) fasst diesen Sachverhalt prägnant zusammen: "There are no necessary correspondences between the formal characteristics of any text and its status (or audience) at a particular moment." Dass es denkbar schwer ist, die populäre Wirkung von Texten vorherzusagen, zeigt die bereits erwähnte Tatsache, dass sich 80 bis 90 Prozent der Erzeugnisse der Kulturindustrie nicht auf dem Markt durchsetzen können. Dennoch muss festgehalten werden, dass eine TextAnalyse durchaus Hinweise darauf liefern kann, ob ein Text zumindest potentiell populär ist – um herauszufinden, ob dieses Potential realisiert wird, muss die Analyse dann tatsächlich, wie von Fiske postuliert, den Rezipienten und den Gebrauch, den dieser von dem Text macht, einbeziehen. Im Zusammenhang mit Fiskes Kategorie der Relevanz kommt noch ein weiteres Kennzeichen von popular culture zur Sprache. Dieses weitere Charakteristikum klang schon in Winters (2001, 11) bereits zitierter Beschreibung des Fiskeschen Analysegegenstandes als "Zusammenspiel von Text, sozialer Formation und historischen Bedingungen in spezifischen RaumZeitMomenten" an. Es handelt sich dabei um das populärer Kultur anhaftende Ephemere, ihre relative Kurzlebigkeit: "[A]s the social conditions of the people change, so do the texts and tastes from which relevances can be produced" (Fiske 1989a, 6)19. Dies führt dazu, dass Texte im Lauf der Zeit mitunter unterschiedlichen Kategorien zugeordnet werden können: [P]opular forms become enhanced in cultural value, go up the cultural escalator – and find themselves on the opposite side. Other things cease to have high cultural value, and are appropriated into the popular, becoming transformed in the process (Hall 1998, 448).20 John Storey (2003, 35f.) veranschaulicht diesen Sachverhalt am Beispiel Shakespeares, der seiner Darstellung zufolge im Amerika des 19. Jahrhunderts fester Bestandteil des "popular

19 Vgl. zu dieser Eigenschaft von popular culture auch Bigsby (1975, 15). 20 Vgl. dazu auch Grossberg (1992, 76). 33 entertainment" war. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts begann sich Shakespeares Position innerhalb der amerikanischen Kultur dann zu wandeln: Shakespeare's plays were gradually removed from the theatrical world of acrobats and jugglers, burlesques and parodies, dancers and singers, and were instead relocated in theatres where the audience was no longer a heterogeneous mix of American society, but had been reduced in the main to middleclass ladies and gentlemen, concerned as much with strategies of social distinction as they were with gazing aesthetically at what was happening on the stage.21 Noch dezidierter als Fiske (1989b, 121) macht Bourdieu (1999, 237) für solche Vorgänge das "Bildungswesen" verantwortlich, "welches das Monopol auf die Kanonisierung der Werke der Vergangenheit" beansprucht und dem es obliegt, "post mortem und nach einem langwierigen Prozess dieses unfehlbare Siegel der Konsekration: die Kanonisierung der Werke als klassische kraft ihrer Aufnahme in die Lehr und Studienpläne" zu gewähren. Nachdem nun wesentliche Merkmale populärer Kultur dargelegt wurden, muss noch geklärt werden, wie sich der Gebrauch gestaltet, den Konsumenten von den Produkten der Kulturindustrie machen, um diese Komponente, wie von Fiske gefordert, in die popular cultureAnalyse miteinbeziehen zu können. Hierfür ist Fiskes Kategorie der 'tertiären Texte' hilfreich, die aus dem produktiven Umgang der Konsumenten eines 'primären' Textes mit diesem entstehen.22 Fiske (1989b, 150) verweist in diesem Zusammenhang auf die Produktivität von Fans23 der Serie Star Trek. Die Vielfalt der von Star TrekFans verfassten Texte reicht von "newsletters to fulllength novels, most of which are romances filling in the gaps left in the original series by expanding on the personal (particularly romantic) relationships among the crew of the Enterprise." Tertiäre Texte können auch in Gestalt von Briefen auftreten, die Fans von Fernsehserien an deren Produzenten schreiben, um – häufig erfolgreich – zu versuchen, den Ausgang bestimmter Handlungsstränge zu beeinflussen. Tertiäre Texte erkennt Fiske auch in der Beteiligung von Fans an Umfragen in

21 Ähnliches widerfuhr laut Storey (2002, 37) auch dem Genre Oper: "[The opera] was actively appropriated from its popular audience by elite social groups determined to situate it as the crowning glory of their culture, i.e. socalled 'highculture.' In short, opera was transformed from entertainment enjoyed by the many into Culture to be appreciated by the few" (Hervorhebungen im Original). 22 Die Grenzen zwischen sekundären und tertiären Texten gestalten sich jedoch mitunter fließend, wie anhand von Jennifer Haywards exemplarischer Analyse einiger in verschiedenen Zeitungen veröffentlichten Rezensionen von Dickens' letztem vollständigen Roman Our Mutual Friend deutlich wird. Für Hayward (1997, 63) zeigt sich in den von ihr analysierten Zeitungstexten – die nach Fiske als sekundäre Texte klassifiziert werden müssten – ein hohes Maß an Identifikation mit 'gewöhnlichen' Lesern seitens der Rezensenten, was sie wiederum in den Bereich der von Fiske so bezeichneten tertiären Texte rückt: "Every paper's reviewer employs the collective 'we' at least at times during the run of this and other novels, making absolute pronouncements such as the Sun's 'the reader will therefore have the mournful task of taking leave of one who has so long fascinated and charmed his leisure with his inimitable productions' (review of Denos Duvall, May 2, 1864) or the same paper's comment that 'as an opening chapter, this first one of 'Our Mutual Friend' ... influences the reader, like a glance from the Ancient Mariner's eye: we needs must listen' (May 2, 1864)." 23 'Fans' unterscheiden sich nach Fiske (1989b, 147) von "less excessive readers in degree, but not in kind." 34

Fanzeitschriften, wo sie nach ihrer Meinung bezüglich zukünftiger Ereignisse und Beziehungen zwischen einzelnen Charkteren gefragt werden (Fiske 1989b, 148). Fiske nennt auch Beispiele für tertiäre Texte, die in gar keiner materiellen Form existieren. Als eine typische Erscheinungsform von nicht schriftlich fixierten tertiären Texten bezeichnet Fiske Unterhaltungen zwischen Fans etwa von soap operas: [T]he gossip of soap opera fans becomes a pretext of the actual script of their soap, predicting what will happen. […] The flipside of this creativity of course is retrospective 'rewriting' – the whatwouldhavehappenedif script can be just as productive as the predictive one. In this way, fan gossip fills in the gaps in the text. It explains motivations and consequences omitted from or buried in the text itself; it expands explanations, offers alternative or extended insights; it reinterprets, re presents, reproduces (Fiske 1989b, 147). In anderen Fällen besteht popular culture auch lediglich in der "dialogic relationship between the reader and the industrial text, it may exist only in the interior fantasy" (Fiske 1989b, 174), verschafft sich also weder in schriftlicher noch in mündlicher Form Ausdruck. Der Verbreitung tertiärer Texte bietet die im 21. Jahrhundert anzutreffende Medienvielfalt nun Möglichkeiten, deren Konsequenzen Fiske Ende der 1980er Jahre, als die Eckpfeiler seiner Theorie entstanden sind, noch kaum absehen konnte – vor allem, da zu diesem Zeitpunkt das Medium Internet noch nicht im heutigen Ausmaß verfügbar war. Von Fans verfasste Romane und Kurzgeschichten finden sich heute in Form von fan fictions in einer unüberschaubaren Vielzahl im Internet. Fans von Fernsehserien erfinden hier zusätzliche Episoden ihrer Lieblingsserie, zumeist weibliche Fans von Musikgruppen verfassen Texte über fiktive Begegnungen mit ihren Stars. Die weite Verbreitung und Nutzung des Mediums Internet führt auch dazu, dass die tertiären Textsorten, die nach Fiske nicht materiell verfügbar sind – etwa "the gossip of soap opera fans" (Fiske 1989b, 147) – sich über das Internet teilweise doch materialisieren – etwa in Gestalt der Beiträge von Fans zu den ebenfalls zahlreichen Internetforen, in denen sie sich über ihre Lieblingsserien austauschen. Jennifer Hayward (1997, 15) verdeutlicht die Bedeutung, die die auf diese Weise publizierten tertiären Texte für die tägliche Arbeit der popular cultureProduzenten haben: [P]roducers [...] have increasingly turned to a collaborative productive process, forming creative teams to handle the high volume of serial production, asking audiences for their suggestions to ensure high sales or ratings, and even (in some on line serials) providing 'alternate' episodes for readers not satisfied with the standard episode and easy email buttons for readers to write to characters or forward their ideas directly to creators. Neben diesen Erscheinungsformen von tertiären Texten diskutiert Fiske die Bedeutung einer 35 weiteren Gruppe von sekundären Texten. Es sind dies die sogenannten "spinoff products" (Fiske 1989b, 174), die unter anderem dazu beitragen können, dass die Verbindung zwischen primärem Text und Leben des Konsumenten noch enger geknüpft wird. Fans, die solche Marketingprodukte erwerben, sind nun nach Fiske nicht ausschließlich further commodified consumers, but are actively contributing to the social circulation of their meanings of the primary text. The choice of which Madonna Tshirt to buy is a choice about which meanings of Madonna to circulate. The choice of which fan magazine to buy, or which article to read, is equally a way of circulating some meanings rather than others. [...] Even the most commercialized secondary texts, such as the toys that spin off from children's TV shows, are not necessarily limited to their economic function. The toy version of ALF, for example, may well enable children to take to bed with them not only a soft cuddly commodity, but also a set of meanings – meanings of the childlike ALF whose otherness from the adult world can be expressed only by his origination in another planet, whose childlike nonsense may at times be superior to the adult sense that constantly attempts to control and discipline him. […] The toy aids the imbrication of the pleasures of the program into the everyday life of the child (Fiske 1989b, 174 und 176, meine Hervorhebung). In ihrer Gesamtheit bieten Fiskes hier diskutierte Überlegungen popular culture Analysen eine durchaus sinnvolle Grundlage. So gewann Fiske auch, wie Rainer Winter (2001, 9) darlegt, seit Ende der 1980er Jahre innerhalb der cultural studiesBewegung großen Einfluss und wurde "zu einer der wichtigsten Bezugsgrößen im Feld, an die man nicht nur positiv anschließt, sondern von der man sich auch gerne abgrenzt, um eine eigene Position zu profilieren" (ebd.). Solche Abgrenzungen gegenüber Fiske fanden häufig aufgrund der politischen Implikationen seiner Theorie statt. Nach Ansicht von Fiske ist popular culture always, at its heart, political. It is produced and enjoyed under conditions of social subordination and is centrally implicated in the play of power in society. But in investigating its politics we must not confine our definition of politics to direct social action, for that is only the tip of the iceberg, resting upon a less visible, but very real, politicized consciousness – the consciousness of, and in, popular culture (Fiske 1989b, 159). Das politische Potential von popular culture bezeichnet Fiske somit als "progressive rather than radical" (Fiske 1989b, 161). Für seine Definition des Gegenstandes hat dies folgende Konsequenzen: Popular culture is not the culture of the subdued. People subordinated by white patriarchal capitalism are not helplessly manacled by it. Their economic and social deprivation has not deprived them of their difference, or of their ability to resist or evade the forces that subordinate them; on the contrary, it motivates them to devise the constantly adaptive tactics of everyday resistances that never allow the power bloc to relax and feel that the victory is won (Fiske 1989b, 169). Dieses Postulat brachte Fiske wiederholt Kritik ein. Noel Carroll (1998, 238) etwa urteilt: 36

"[T]he view that people are always resisting the products of the culture industry seems hardly more plausible empirically than the view that they are never resisting."24 Das Postulat, für das Fiske hier von Carroll kritisiert wird, findet sich bei Fiske in dieser Zuspitzung allerdings gar nicht. Rainer Winter (2001, 11) räumt zwar ein, Fiske sei in seinen Analysen bisweilen "zu optimistisch [...], weil er Potenziale identifiziert, die in alltäglichen Praktiken dann doch nicht realisiert werden oder die erhofften Wirkungen erzielen." Die in Noel Carrolls Kritik sich ausdrückende Annahme, Fiske halte jede Form des Medienkonsums für subversiv, bezeichnet er jedoch als eines der für die Rezeption von Fiskes Arbeiten "charakteristischen Missverständnisse" (ebd.). In der Tat akzentuiert Fiske die politischen Implikationen seiner Theorie unterschiedlich. Zwar bezeichnet er popular culture als "the culture of the subordinate who resent their subordination, who refuse to consent to their positions or to contribute to a consensus that maintains it" (Fiske 1989b, 169), räumt aber ein, dass das nicht bedeutet, that they live their lives in a constant state of antagonism [...], but that the oppositionality is sporadic, sometimes sleeping, sometimes aroused into guerilla raids, but never finally anaesthetized. Some resistances may be active and offensive, others more inclined to dogged refusals of the dominant, and others more evasive, carnivalesque and liberating. The forms of opposition are as numerous as the formations of subordination, but running through them all, sometimes acute, sometimes muted, is the central thread of antagonism (ebd., meine Hervorhebungen).25 John Storey (2001, 192) fasst diesen Zusammenhang prägnant zusammen: [M]aking popular culture ('production in use') can be empowering to subordinate and resistant to dominant understandings of the world. But this is not to say that popular culture is always empowering and resistant (Hervorhebung im Original).26 Storey (2001, 185) nennt darüber hinaus eine weitere Komponente, die in die Analyse von popular culture einbezogen werden sollte. Eine solche Analyse sollte die Texte auch innerhalb des Feldes ihrer wirtschaftlichen Existenzbedingungen verorten, also ihr Augenmerk auf die Art und Weise richten, wie Texte hergestellt und verbreitet werden bzw. wurden, da sich die Produktionsweise und die Art der Distribution über verschiedene Medientypen wiederum auf ihre Rezeption auswirken27:

24 Letztere Sichtweise drückt sich laut Carroll (1998, 238) in Louis Althussers kulturtheoretischen Texten und den von ihm beeinflussten Arbeiten aus: "Reacting to the Althusserian approach in cultural studies, which seemed to entail that resistance to the ideology communicated by the products of the popular culture industry is impossible, Fiske set out in exactly the opposite theoretical direction." 25 Vgl. auch Fiskes (1989b, 151) Beispiel für eine nichtsubversive populärkulturelle Praktik. 26 Vgl. dazu auch Storey (1998, xv). 27 Fiske (1989b, 158) stellt eine ähnliche Überlegung an, wenn er anmerkt: "To be popular, the commodities of the cultural industries must not only be polysemic – that is, capable of producing multiple meanings and 37

The consumer always confronts a cultural text or practice in its material existence as a result of determinate conditions of production. But in the same way, the text or practice is confronted by a consumer who in effect produces in use the range of possible meaning(s) – these cannot just be read off from the materiality of the cultured text or practice, or the means or relations of its production (Storey 2001, 191, Hervorhebung im Original). Aus diesem Grund warnt Storey davor, Produktion und Gebrauch des Textes durch seinen Konsumenten in der Analyse miteinander zu vermengen: For the purposes of detailed analysis they have to be artificially kept apart. We cannot understand consumption by collapsing it into production, nor will we understand production by reading it off consumption. Of course the difficulty is not keeping them apart, but bringing them into a relationship that can be meaningfully analyzed (Storey 2001, 190) Paul Willis (1990, 146) plädiert für eine dialektische Behandlung der Bereiche Gebrauch und Produktion: "Both are on a creative continuum, not broken between 'passive' and 'active'." Abschlieβend lässt sich festhalten, dass eine popular cultureAnalyse idealerweise die folgenden drei Komponenten, in die auch Michael Schudson (1998, 495f.) popular culture unterteilt, in dem dialektischen Verhältnis, in dem sie zueinander stehen, berücksichtigen sollte: "(a) the production of cultural objects, (b) the content of the objects themselves, and (c) the reception of the objects and the meanings attributed to them by the general population or subpopulations"

Zusammenfassung Popular cultureTheorien:  Storey (2001, 192): "Popular culture is what we make from the commodities and commodified practices made available by the culture industries." → Produkte der Kulturindustrie fungieren bei der Entstehung von popular culture als 'Rohmaterialien'. (Fiske 1989b, 35) → Untersuchungsgegenstand der popularcultureAnalyse: (a) die Produktion kultureller Objekte → Verortung dieser Objekte "within the field of their economic conditions of existence." (Storey 2001, 185) (b) der Inhalt dieser Objekte (c) die Rezeption dieser Objekte und die Bedeutungen, die ihnen von ihren Konsumenten zugeschrieben werden → Untersuchung von tertiären Texten (Fanfiction, Fanbriefe, Internetforen, Gespräche etc.)

pleasures – they must be distributed by media whose modes of consumption are equally open and flexible. Television, books, newspapers, records, and films are popular partly because their nature as media enable them to be used in ways in which the people wish to use them." 38

Charakteristika populärer Texte nach Fiske: Hauptkriterium: Produzierbarkeit ('producerly')  Wortspiele (v.a. in Werbung, Schlagzeilen, Popmusik)  Sensationalität, Offenkundigkeit, Exzessivität, Cliché  Widersprüchlichkeit und Komplexität; Polysemie; Fähigkeit, eine Vielzahl von Bedeutungen und Arten von Vergnügen zu produzieren  textuelle Armut, Unvollständigkeit, Leerstellen: spannungserzeugende Leerstellen auf Handlungsebene Aussparungstechnik Doppelte Lesart → 'leaky boundaries' → Texte müssen mittels intertextueller Lesepraktiken mit Hilfe von sekundären und tertiären Texten konsumiert werden → Kennzeichnung populärer Kultur durch Wiederholung und Serialität, die leichte Integrierung ins Alltagsleben der Konsumenten ermöglicht →Grenzen zwischen Alltagsleben und populärer Kultur zerfließen → Intensivierung dieses Vorgangs möglich durch 'spinoff'' Produkte  Relevanz für die unmittelbare soziale Situation der Konsumenten, aber nicht zwingend deren unmittelbare Spiegelung → repräsentionale Relevanz (z.B. in Fernsehserien): 'similarity' vs. 'difference', oder Symbiose aus beidem → diskursive Relevanz (z.B. in Quizsendungen, Regenbogenpresse etc.)  Kurzlebigkeit: "As the social conditions of people change, so do the texts and tastes from which relevances can be produced" (Fiske 1989a, 6). Abb. 1

2.3 Hochkultur und Popularisierung Im vorausgegangenen Abschnitt wurden einige Kriterien zusammengestellt, die nach Darstellung von John Fiske die Chancen eines Textes auf populäre Verbreitung erhöhen. Im Fall von Texten, die diese Kriterien nicht oder nur eingeschränkt aufweisen, kann das populäre Potential allerdings durch Anwendung von Popularisierungsstrategien gestärkt werden. Dieser Vorgang ist häufig zu beobachten, wenn ein Werk der Hochkultur bzw. ein Werk, das Klassikerstatus erreicht hat, mittels einer Adaption für ein zeitgenössisches Publikum neu aufbereitet wird. Da der Popularisierungsbegriff zumeist im Zusammenhang 39 mit der Adaption von Hochkulturellem verwendet wird, soll im Folgenden kurz das Verhältnis zwischen hoher und populärer Kultur in der Postmoderne diskutiert werden. Das Beispiel 'Dickens' wird dann allerdings sehr bald zeigen, dass nicht nur Hochkulturelles popularisiert werden kann, sondern auch bereits Populäres, indem es noch weiteren Rezipientenkreise zugänglich gemacht wird.

2.3.1 Hochkultur in der Postmoderne Mit Aufkommen der Postmoderne scheint die Unterscheidung zwischen hoher und populärer Kultur schwieriger denn je geworden zu sein. Susan Sontag (1966, 302) erschien diese Unterscheidung bereits Mitte der 1960er Jahre "less and less meaningful". Laut John Storey zeigt sich in dieser Zurückweisung dessen, was Andreas Huyssen (1986, viii) als "the great divide ... [a] discourse which insists on the categorial distinction between high art and mass culture" bezeichnet hat, eine Auflehnung gegen das, what is seen as the cultural elitism of modernism. Modernism, in spite of the fact that it often quoted from popular culture, is marked by a deep suspicion of all things popular. Its entry into the museum and the academy was undoubtedly made easier [...] by its appeal to, and homologous relationship with, the elitism of class society. The postmodernism of the 1960s was therefore in part a populist attack on the elitism of modernism (Storey 2001, 148). Dieses Credo einer Einebnung der Unterschiede zwischen hoher und populärer Kultur blieb freilich für eine Vielzahl der seit den 1960er Jahren entstandenen Texte nicht ohne Folgen. Formulierte Andreas Huyssen im Jahr 1984 noch vorsichtig: A new creative relationship between high art and mass culture is, to my mind, indeed one of the major marks of difference between high modernism and the art and literature which followed it in the 1970s and 1980s both in Europe and the United States (Huyssen 1984, 23), so sprach er bereits zwei Jahre später dezidiert von einem Zerfließen der Grenzen zwischen "high art and mass culture" (Huyssen 1986, iv). In der darauffolgenden Dekade konstatierte Bourdieu (1999, 531 und 533), dass "die Logik der kommerziellen Produktion sich innerhalb der avantgardistischen Produktion [...] immer stärker durchsetzt" und "die Grenze zwischen dem experimentellen Werk und dem Bestseller [...] noch nie so unscharf" war. Ungefähr zur gleichen Zeit bemerken auch Jeremy Gibson und Julian Wolfreys (2000, 234f.), dass einer Vielzahl von postmodernen Texten der Spagat gelingt zwischen elitärer und populärer Kunst – "being both generally successful and receiving academic attention." Und zu Beginn des dritten Jahrtausends löst sich "[d]er Unterschied zwischen 'E' und 'U'" laut Winfried Gebhardt (2002, 287) gar auf "und mischt sich zum 'EU'." Gleichzeitig erkennt HansOtto Hügel (2002, 40

53f.) weitgehende kulturelle Ausdifferenzierungen und das Versinken altgewohnter kultureller und künstlerischen [sic] Traditionen, das Auftreten von Stil und Genremischungen, die vertraute Erzählformen und Figuren in Frage stellen, und vor allem die – seit der transatlantischen Studentenrevolte – beschleunigte Auflösung eines dauerhaften Zusammenhangs zwischen sozial bestimmten Klassen oder Gruppen und ihren ästhetischen Rezeptions und Praxisgewohnheiten (Hügel 2002, 53f.). Dennoch hat sich in der Forschung die Ansicht, die Unterscheidung zwischen hoher und populärer Kultur sei "the 'unhip' assumption of an older generation" (Storey 2001, 149), bis heute nicht vollständig etabliert. Storey (2001, 169) vertritt am Ende seines Kapitels zum Postmodernism denn auch – leicht einschränkend – die Ansicht, es gebe keine absolute categorial difference between high and popular culture. This is not to say that one cultural text or practice might not be 'better' (for what/for whom, etc., must always be decided and made clear) than another cultural text or practice. But it is to say that there are no longer any easy reference points, to which we can refer, and which will automatically preselect for us the good from the bad (meine Hervorhebungen). Hügel hält noch etwas dezidierter an der Differenz zwischen hoher und populärer Kultur fest, was seiner Ansicht nach auch aus kulturtheoretischen wie historischen Gründen geboten ist. Denn: Zum einen machen wir nach wie vor Unterscheidungen und zum anderen bedeutet das Einebnen dieser Differenz eine Verarmung, da sie einen wesentlichen Motor unserer kulturellen Entwicklung außer Funktion setzt. Zwei Systeme zu haben ist besser als nur eines (ebd.). Auch Jostein Gripsrud (1998, 533) widerspricht der Annahme, die Unterscheidung zwischen hoher und populärer Kultur sei "outmoded and only kept alive in reactionary ideological rhetoric." Aus seiner Beobachtung: "[T]oday's university students and teachers may be devoted rock fans – while at the same time being readers of James Joyce and Friedrich Nietzsche" (ebd., 537) und aus der Anwesenheit des "PhD at the rock concert" (ebd.) schließt er lediglich, dass sich die Publika beider kultureller Sphären überlappen:28 "Some people have access to both high and low culture, but the majority has only access to the low one. (A diminishing minority has only access to high culture – that should not be forgotten either!)" (ebd.). Die Fähigkeit, zu beiden Sphären Zugang zu haben, bezeichnet Gripsrud als "class privilege; it does not mean that the socially operative distinctions between the two have

28 Ein Phänomen, das auch Scott McCracken (1998, 5) speziell im Bezug auf popular fiction feststellt: "It is [...] difficult in the late twentieth century to find a social class that prefers 'classic' to 'popular' fiction. [...] [T]he social groups that make up the audience for popular fiction are diverse and overlapping." Aus diesem Grund steht auch McCracken der Annahme von "clear boundaries between socalled 'high' and 'low'cultures" (ebd.) skeptisch gegenüber. 41 ceased to exist" (ebd., 542): The dividing lines between between 'doubleaccess' and 'singleaccess' audiences coincide with lines drawn on the basis of other significant social characteristics, such as income and education. (Age is also relevant here, as the most typical doubleaccess audiences are probably younger than, say, 50) (ebd., 537). Gripsruds Ausführungen lassen sich im Umfeld dessen ansiedeln, was Noel Carrol (1998, 176) als "Elimination Theory of mass art" bezeichnet. Dieser Theorie zufolge gibt es, wie Carrol darlegt, no formal features that distinguish popular art or mass art from other sorts of art, such as socalled high art. Nor are there any recurring affective features (such as certain types of emotional responses) that will do the job either. For the Eliminativist, the distinction between popular art (and mass art as the relevant subcategory of popular art), on the one hand, and high art, on the other hand, has no structural, functional, formal, or ontological basis. Rather, the distinction is really a class distinction. Socalled high art is the art that is consumed by the members of the upper classes, and their consumption of high art is, in part, what signals their membership in that social stratum. Popular art and mass art are what everyone else cosumes, and likewise, their consumption of such art is a marker of their class affiliations. In short, the Eliminativist maintains that there is no such thing as popular art or mass art, apart from the role that certain objects play in marking and reinforcing certain class distinctions and class identities. Auch Storey (2002, 44) legt, wenngleich vorsichtiger und weniger ausschließlich, dar, dass sich die Zuordnung eines Produktes zum Bereich der hohen bzw. der populären Kultur nicht ausschlieβlich aufgrund von dessen textuellen Eigenschaften vornehmen lässt. Dennoch sprechen die von Hügel bebachteten "Stil und Genremischungen" in gegenwärtigen Texten (Hügel 2002, 54) gegen die Annahme, dass sich populäre bzw. Massenkultur und Hochkultur zumindest formal nicht unterscheiden lassen. Die Analyse von Popularisierungsprozessen mag einen Beitrag dazu leisten, Klarheit über dergleichen Phänomene zu gewinnen und verspricht Aufschluss darüber, in welcher Weise solche Prozesse zur in jüngerer Zeit verstärkt zu beobachtenden Vermischung von hoher und populärer Kultur beitragen.

2.3.2 Popularisierung Bei der Popularisierung von Artefakten der Hochkultur handelt es sich nach Darstellung von Andreas Huyssen (1986, 16) um ein keineswegs neues Phänomen: Ever since the failure of the 1848 revolution, the culture of modernity has been characterized by the contentious relationship between high art and mass culture. The conflict first emerged in its typical modern form in the Second Empire under Napoleon III and Bismarck's new German Reich. More often than not it has appeared in the guise of an irreconcilable opposition. At the same time, however, there has been a succession of attempts launched from either side to bridge the gap or at least appropriate elements of the other. 42

Als Beispiele dafür, wie "Hochkultur in großem Maße zirkuliert wird", nennt Winter (2003, 351) "[l]iterarische Klassiker, die verfilmt oder zum Comic Strip werden, Kunstzitate in der Werbung oder die Begeisterung der Wirtschaft für Kunst, die in Banken und Konzernen zur Ästhetisierung der Arbeitswelt beiträgt". Jim Collins (2002, 6) beobachtet seit den 1990er Jahren verstärkt auftretende "highpop phenomena", die für ihn eine Umkehrung der "Pop Art Era" der späten 1950er Jahre darstellen. Wenn nun die pop artPhase als "a matter of academytrained artists taking forms of popular iconography into the rarefied realm of museum art" (ebd.) betrachtet werden kann, so charakterisiert sich high pop für Collins durch die Umkehrung dieses Phänomens: "[H]igh culture' didn't stay put […]. It has become popular culture – Shakespeare's in love, with vengeance (Collins 2002, 3). Die Popularisierungsstrategien, die in solchen Fällen zur Anwendung kommen, können ganz erheblich dadurch unterstützt werden, dass Hochkultur – wie Collins betont – mittels der Marketingtechniken, derer sich auch die Produzenten populärer Kultur bedienen29 verbreitet wird. So bemerkt etwa auch Scott McCracken (1998, 21f.), dass, [w]hen a television production of George Eliot's 'classic' Victorian novel Middlemarch or a new film version of Jane Austen's Sense and Sensibility pushes the sales of those novels into the bestseller lists in Britain or the United States respectively, this is not just because readers had rediscovered the quality of the text through television or the big screen, but also because the text is being promoted as an image through postmodern marketing strategies. [...] Contemporary bestselling fiction may include nineteenth or twentiethcentury classics, but these have to be remade and reinterpreted as a bestseller in the present [...]. Allerdings sagt die „alleinige Untersuchung von Popularisierungsstrategien [...] über die Popularität eines Films noch nichts aus“ (Blaseio 2005, 247). Winter (2003. 350f.) weist darauf hin, dass der Erfolg der kommerziellen Strategien der Popularisierung davon ab[hängt], ob sich die angebotenen Waren für Taktiken des populären Gebrauchs eignen. Wenn sie Relevanz im Alltag der Konsumenten gewinnen und produktiv in der Schaffung von Bedeutungen und Vergnügen, die sich auf die eigene Existenz beziehen, eingesetzt werden können, werden sie Bestandtteil des Populären, das in der Lesart der Cultural Studies 'von unten' geschaffen wird. Die Popularisierung kann also nicht einfach von oben durchgesetzt werden, sie ist ein aktiver Prozess, welcher vom populären Widerstreit zwischen Strategien und Taktiken abhängt. Vornehmlich in Darstellungen zum HeritageFilm bzw. dem costume drama ist statt von Popularisierung häufig von einer Orientierung am 'Mainstream' und damit am "kulturellen Geschmack einer groβen Mehrheit" (Wikipedia n.d.5) die Rede. Der Begriff 'Mainstream'

29 Ob Marketing als eigenständige Popularisierungsstrategie betrachtet werden kann, ist umstritten. Gereon Blaseio (2005, 247) betrachtet zumindest "Filmmarketing" als Popularisierungsstrategie. Jens Ruchatz (2005, 139) hingegen gibt zu bedenken, dass die "Anweisung, etwas populär zu machen [...] nicht nur den Akt der breiten Distribution an sich" bezeichnet, "sondern auch die erforderliche Formveränderung." 43 wird in popular cultureDiskursen "als Abgrenzung zum Independent und entsprechenden Subkulturen" (ebd.) verwendet. Welche Strategien nun konkret zur Popularisierung literarischer Texte zur Verfügung stehen, wurde bislang noch nicht systematisch untersucht. Einige Popularisierungsstrategien lassen sich jedoch aus der Adaptionstheorie ableiten. Der Rückgriff auf die Adaptionstheorie ist durchaus sinnvoll und gerechtfertigt: Julie Sanders (2006, 18) diskutiert in ihrer Studie Adaptation and Appropriation Popularisierung gewissermaßen als Unterkategorie der Adaption, allerdings ohne den Begriff der Popularisierung explizit zu nennen. Sie macht deutlich, dass Texte unter anderem auch mit der Absicht adaptiert werden können, sie relevant oder zumindest leicht verständlich für neue Publika zu machen. Wie zuvor gezeigt wurde, muss ein Text, um überhaupt populär werden zu können, sich als relevant für seine Leserschaft erweisen. Wird nun mittels einer Adaption eines Textes versucht, die Relevanz dieses Textes für dessen potentielle Konsumenten zu verstärken oder gar erst herzustellen, kann diese Adaption als Popularisierung betrachtet werden. Vereinzelt wurde von Literaturwissenschaft, Linguistik und Geschichtswissenschaft auch bereits versucht aufzuarbeiten, welche Veränderungen an einem Text vorgenommen werden, der nicht für Film oder Fernsehen adaptiert wird, sondern dessen Adaption in einem neuen schriftlichen Text mündet. Gérard Genette diskutiert in Palimpsestes. La Littérature au Second Degré schriftliche Adaptionen litererarischer Texte. Er behandelt zunächst solche Adaptionen, die sich an ein junges Publikum richten. Selbst diese Ergebnisse lassen sich jedoch für die vorliegende Studie nutzbar machen, da ein Vergleich dieser Ergebnisse mit den von der Filmtheorie hervorgebrachten zeigt, dass die Unterschiede zwischen Adaptionen für Kinder oder Jugendliche und popularisierenden Adaptionen für andere Publika allenfalls graduell sind, wie Genette (1993, 317) selbst andeutet. Die Historikerin Dagmar Stegmüller (2003, 197ff.) hat die Popularisierung dreier narrativer historischer Texte untersucht und ist dabei zu Ergebnissen gelangt, die sich zumindest in Teilen und in leicht modifizierter Form auch auf die Popularisierung von belletristischer Literatur übertragen lassen, zumal Andreas Daum (1998, 322) mit seiner Diskussion von populärwissenschaftlichen "Texten, deren Charakter mit dem Begriff der Sachprosa kaum befriedigend bezeichnet werden kann" und deren Erzählform "die Grenzen zur Unterhaltungsliteratur ebenso wie zur Kinder und Jugendliteratur undeutlich werden" ließ (ebd., 331), zeigt, dass sich nichtfiktionale Texte im Zuge der Popularisierung fiktionalen Texten mitunter ohnehin annähern. Stegmüllers Analyse bezieht sich auf drei Werke des Historikers Friedrich Christoph Schlosser, nämlich dessen "Universalhistorische Uebersicht [sic] der Geschichte der alten Welt", dessen 44

"Weltgeschichte in zusammenhängender Erzählung" sowie dessen "Geschichte des 18. Jahrunderts". Diese wurden ab Mitte des Jahres 1843 von Schlossers Schüler Georg Ludwig Kriegk in populärer Form kompiliert und als "Weltgeschichte für das deutsche Volk" veröffentlicht (vgl. Stegmüller 2003, 199). Auch die von Stegmüller ermittelten Techniken der Popularisierung lassen sich nahtlos in den Katalog der von der Filmtheorie erarbeiteten Ergebnisse einfügen. Wie Sanders (ebd.) mit Bezug auf das filmische Medium ausführt, wird häufig mittels "the processes of proximation and updating" versucht, die Adaption eines literarischen Textes für seine Leser relevant zu machen: "[T]he 'movement of proximation' brings it closer to the audience's frame of reference in temporal, geographic, or social terms" (Sanders 2006, 21).30 Als Beispiel nennt Sanders (2006, 20) Baz Luhrmanns HollywoodProduktion William Shakespeare's Romeo and Juliet aus dem Jahr 1996: [U]pdating Shakespeare's early modern Veronese tragedy to a contemporary North American setting, Luhrmann retains the playtext's sense of urban gang feuding but accords it a troublingly immediate and topical resonance. Famously, the muchmentioned swords and rapiers of Shakespeare's playscript become in Luhrmann's vividly realized Verona Beach the engraved monikers for the modern era's weapon of choice, the handgun. Gereon Blaseio (2005, 247) nennt konkret "das Aufgreifen und die Kombination gesellschaftlich virulenter Themen" im Zuge der Popularisierung. Auch die Ausführungen von Robert Stam (2005, 42), der ebenfalls Adaptionen für das Medium Film untersucht, lassen erkennen, dass ein Text ein updating erfahren kann, indem einige seiner Themenbereiche besonders betont bzw. in verstärkter Form präsentiert werden: At times, the adapter innovates by actualizing the adaptation, making it more 'in synch' with contemporary discourses. [...] Many revisionist adaptations of Victorian novels [...] 'derepress' them in sexual and political terms; a feminist and sexual liberationist dynamic releases the sublimated libidiousness and the latent feminist spirit of the novels and of the characters, or even of the author, in a kind of anachronistic therapy or adaptational rescue operation. Häufig werden bei einer popularisierenden Adaption auch diejenigen Elemente besonders hervorgehoben, die sich zuvor schon als die populärsten erwiesen haben. Stam (2005, 34) nennt als Beispiel Adaptionen von Daniel Defoes Robinson Crusoe: Most film versions of Robinson Crusoe [...] skip over the early chapters in order to rush to what they see as the 'core' elements of the story: the shipwreck, the island, and the encounter with Friday.

30 Beachtenswert ist, dass hier von einem 'Näherbringen' des Textes an das Referenzsystem seiner Rezipienten die Rede ist, es wird keineswegs gefordert, dass sich der Inhalt des Textes mit den sozialen Erfahrungen des Rezipienten decken muss. In Kapitel 2.2. dieser Arbeit wurde bereits festgestellt, dass ein Text die Alltagserfahrungen des Rezipienten nicht zwingend spiegeln muss, um sich für ihn als relevant zu erweisen. 45

Das Hervorheben und Betonen bestimmter Textelemente bedingt die bewusste Streichung anderer Textpassagen. Dies geht in filmischen wie in schriftlichen Medien häufig einher mit einer Reduktion der Anzahl der Charaktere, wie Genette (1993, 344) am Beispiel der von Charles und Mary Lamb angefertigten Tales from Shakespear zeigt: "Die Notwendigkeit, die Handlung zu konzentrieren, führt zur Beseitigung einiger Nebenrollen, die entweder nützlich sind wie Rodrigo in Othello oder pittoresk wie die Amme Julias." Zu diesem wenig überraschenden Ergebnis gelangt wiederum auch Dagmar Stegmüller (2003, 205): "Die schwindelerregende Zahl von Akteuren [...] wird zurechtgestutzt auf die für den Fortgang der Handlung entscheidenden Personen." Darüberhinaus wird die Vorlage, wie Stam (2005, 34) darlegt, zum Zwecke der Adaption zumeist um Materialien gekürzt, die nicht direkt mit der Handlung des Textes verknüpft sind und den Fortgang der Erzählung aufhalten – "the literarycritical commentaries in Don Quixote or Tom Jones, the intercalary essay chapters in The Grapes of Wrath, the meditative portions of Moby Dick". Mit Bezug auf das schriftliche Medium kommt Genette (1993, 316), der zunächst schriftliche Adaptionen des Robinson CrusoeStoffes für Kinder als Beispiel diskutiert, zu einem ähnlichen Ergebnis. Er konstatiert "eine Weglassung der ersten Abenteuer (vor dem Schiffbruch) und der letzten (nach dem Aufbruch) [...] und erst recht all dessen, was der zweite Teil hinzufügte." Daniel Defoes Robinson Crusoe stellt dabei keinen Einzelfall dar: Auch von anderen Romanen der Weltliteratur existieren gekürzte Versionen, die sich vornehmlich an ein junges Publikum richten: Don Quijote wird um seine Reden, Abschweifungen und zugetragenen Neuigkeiten erleichtert, Walter Scott oder Fenimore Cooper um ihre historischen Details, Jules Verne um seinen beschreibenden und didaktischen Schmus; allenthalben auf ihr erzählerisches Gerüst reduzierte Werke, auf eine Abfolge oder Verkettung von 'Abenteuern' (Genette 1993, 317). Solche Gewichtungen und die damit verbundenen Kürzungen stützen sich auf das zuvor beobachtete Leseverhalten des Publikums: Selbst in der Gesamtausgabe gehen viele Leser rasch über die prä und postinsularen Abenteuer des Helden hinweg. Und diese alles andere denn grundlose spontane Untreue beieinträchtigt auch die "Rezeption" so mancher anderer Werke: Wie viele Leser von Le Rouge (Rot und Schwarz) oder der Chatreuse (Die Kartause von Parma) [...] bringen dem übrigen Werk soviel Aufmerksamkeit entgegen wie den 'Episoden' um Madame de Fervacques oder um Fausta? Und wie viele lesen die Recherche (Suche nach der verlorenen Zeit) gewissenhaft und kontinuierlich? (Genette 1993, 316).31

31 Neben seinen Ausführungen über Adaptionen weltliterarischer Stoffe für Kinder und Jugendliche nennt 46

Anhand der von ihr untersuchten Texte gelangt Dagmar Stegmüller (2003, 206) zu einem ähnlichen Ergebnis. Sie erkennt eine Erleichterung der von ihr analysierten Erzählung um "Details, die nicht ins Geschehen zurückführen, die eher den Wegesrand säumen". Zudem konstatiert sie die Streichung einzelner Kapitel, "weil sie zuviel voraussetzen und deshalb zuviel Erklärung beanspruchten" (Stegmüller 2003, 207). In der Absicht, dem Rezipienten einer popularisierenden Adaption einen Zugang dazu unabhängig von der Höhe seines kulturellen Kapitals zu ermöglichen, verfolgen die Produzenten solcher Adaptionen zumeist auch das Ziel, diese Stoffe leicht verständlich darzubieten (vgl. Sanders 2006, 19). Wie Michael Pointer (1996, 4) betont, ist dies im Fall des filmischen Mediums von besonderer Wichtigkeit: The form of a motion picture requires a story to be advanced in an easily comprehensible manner, for there is no opportunity to go back and reread a few pages, to return and savor again the delights of a particularly enjoyable passage, or to make onself more familiar with the development of the plot. Diese Notwendigkeit resultiert, wie Stam (2005, 43) formuliert, häufig in einem "aesthetic mainstreaming" der Vorlage: Most of the manuals [on screenwriting and adaptation] show a radical aversion to all forms of experimentation and modernism. They almost invariably recommend adapting the source along the lines of the dominant model of storytelling [...] The recycled, suburbanized Aristotelianism of the screenwriting manuals calls for three act structures, principal conflicts, coherent (and often sympathetic) characters, an inexorable narrative 'arc' and final catharsis or happy end.32 The schema is usually premised on combat between highly motivated, competitive characters [...]. Everything becomes subordinated to a teleology as relentlessly purposeful as the Fate of classical tragedy. [...] The goal seems to be to 'deliterize' the text, as the novel is put through an adaptation machine which removes all authorial eccentricities or 'excesses'. Adaptation is seen as a kind of purge. In the name of massaudience legibility, the novel is 'cleansed' of moral ambiguity, narrative interruption, and reflexive meditation.

Genette (1993, 317) auch ein Beispiel für einen Text, der nicht speziell für ein junges Publikum adaptiert und gekürzt wurde. Genettes Formulierungen verdeutlichen, dass die Kürzungen durchaus mit der Absicht vorgenommen wurden, die Relevanz des Stoffes für das anvisierte Publikum zu verstärken: "Im 18. Jahrhundert fertigte Houdar de la Motte eine französische Fassung der Ilias in zwölf (von vierundzwanzig) Gesängen an, die nicht bloβ die Hälfte, sondern gut zwei Drittel des homerischen Textes weglieβ: redundante und ermüdende, dem klassischen Geschmack nicht recht entsprechende Kämpfe, und sich dadurch als recht weit von der epischen Haltung entfernt erwies: Verjagt man aus einem Epos die Schlachten und Wiederholungen, so zeigt man unfehlbar seine Abneigung gegen die Hauptsache seines Stoffes und seines Stils an. Aber nicht jede Epoche ist gezwungen, jede Gattung zu schätzen, und die Iliade en douze chants zeugt recht gut vom Geschmack dieser Epoche" (meine Hervorhebungen). 32 Vgl. dazu auch Bourdieu (1982, 64): "Woran sich das populäre Publikum in Film und Theaterstück delektiert, das sind logisch und chronologisch auf ein happy end hin angelegte Intrigen; worin es sich 'wiederfindet', sind die einfach gezeichneten Situationen und Charaktere – und nicht jene mehrdeutigen, symbolischen Figuren und Handlungen oder rätselhaften Probleme à la Das Theater und sein Double, einmal ganz zu schweigen von der irrealen Realität des mitleiderregenden 'Helden' Becketts oder den befremdlich banalen oder unerschütterlich absurden Konversationen eines Pinter." 47

Ähnlich konstatiert Stegmüller (2003, 206) eine "Vereindeutigung des Geschehens", die im Fall der von ihr untersuchten Texte mittels einer "Objektivierung des Sprachgebrauchs" vorgenommen wird: Personen etwa, die in der Vorlage mit einer Regelung 'nicht so zufrieden' schienen, sind jetzt unzufrieden. [...] Man wird kaum sagen können, dass jeder Konjunktiv in einen Indikativ verwandelt wird und jedes 'vielleicht' in ein 'jedenfalls' [...], aber der Tendenz nach weicht die sich annähernde Vorsicht der Gelehrtensprache einem dezidierten Ton (ebd., 206, Hervorhebungen im Original). Im Zuge dieser Vereindeutigung erfolgt auch eine Eliminierung dessen, was als unsicher gilt: "Die Forschung produziert hier keine Schwebezustände, sie kennt keinen Zwiespalt, keine Widersprüche. Auch wo sie nichts weiß, ist sie sicher" (ebd., 207). Wie Stams (2005, 43) weitere Ausführungen deutlich machen, wird bei popularisierenden Adaptionen zudem häufig darauf geachtet, den Text durch entsprechende Kürzungen bzw. Betonungen nicht nur relevanter und leichter verständlich für sein potentielles Publikum zu machen, sondern ihn auch aller Elemente zu entkleiden, die von eben diesem Publikum eventuell als anstößig empfunden werden könnten: Contemporary Hollywood films tend to be phobic toward any ideology regarded as 'extreme', whether coming from left or right. [...] Hollywood adaptations often 'correct' their sources by purging the source of the 'controversial' (for example, the lesbianism of The Color Purple) or the revolutionary (the socialism of The Grapes of Wrath) [...]. Das Vorhaben, die Relevanz eines Textes für sein anvisiertes Publikum zu verstärken bzw. ihn für sein Publikum leichter verständlich oder weniger anstößig zu machen, kann indes außer in Kürzungen bzw. Umgestaltungen auch in mehr oder weniger dezenten und mehr oder weniger umfangreichen Ergänzungen an der Vorlage resultieren. Stam (2005, 43) erkennt eine Ergänzung der RomanVorlage im Dienste der Popularisierung in Steven Spielbergs The Color Purple: "The 'reconciliation scene' between Shug and her preacher father [...], nonexistent in the novel, nudges the film in a more patriarchal direction by making Shug less bisexual, less rebellious and independent." Ähnliches konstatiert Genette (1993, 344) für Adaptionen in Schriftform. Er spricht im Fall von Charles und Mary Lambs Tales from Shakespear von positive[n] Eingriffe[n], die schockierende oder überraschende Verhaltensweisen erklären sollen: hinter dem Ehrgeiz von Macbeth steckt seine Frau, und die Eifersucht Othellos ist einigermaβen begründet und durch die Unvorsichtigkeit Desdemonas entschuldigt. Was Adaptionen für das filmische Medium betrifft, so kann auch die Besetzungsliste in den Dienst der Popularisierung gestellt werden, wie Julie Sanders (2006, 21) am Beispiel des 48

Films Hamlet, bei dem Franko Zeffirelli Regie führte, erläutert: "[The casting] brought to bear a selfconscious act of intertextuality with the world of film action heroes, in particular the specific brand, represented by his Hamlet, Mel Gibson." Speziell im Fall von Popularisierungen durch Klassikerverfilmungen gesteht auch John Caughie (2000, 224) den Schauspielern eine bedeutsame Rolle zu, da über sie ebenfalls eine Art updating erfolgen kann: However much the classic serial may lovingly recreate the past with a profusion of detail, the body of the actor is stubborn: the furniture may be authentic nineteenth century, but the body of the actor and its gestures are our contemporary (meine Hervorhebung). Im Hinblick auf die Relevanz der Verfilmung für ihren Rezipienten ist im Zusammenhang mit den auftretenden Schauspielern zudem noch eine weitere Tatsache von Bedeutung, die Caughie (2000, 22) ebenfalls anspricht: Repetition – the fact that television is there, week in, week out, and actors appear repeatedly in different roles and with different functions – means that the television actor is more likely to carry a history with him. Bill Patterson, for example, moves in a single week between the impersonation of dramatic acting and the authority of documentary voiceover. Or the celebrity actor who moves between commercials, game shows, and drama. Or Anita Dobson and Leslie Grantham who will always carry the memory of an earlier life in EastEnders. Television acting is layered with little histories which give no purchase to the theoretical divisions of identification and distance, and make watching the actor acting a complex and diverse process. Es ist davon auszugehen, dass diese 'little histories', die durch das Auftreten bekannter und populärer Schauspieler in neuen Rollen aktualisiert werden, auch dazu beitragen können, eine Verfilmung für ihre Rezipienten relevant zu machen. Diese Form der Relevanz könnte in Anlehnung an Fiskes Terminologie als 'diskursive Relevanz' bezeichnet werden. Etwas allgemeiner bezeichnet Gereon Blaseio (2005, 247) den "Rückgriff auf Stars" als Popularisierungsstrategie. Freilich werden Popularisierungsstrategien nicht in allen mainstreamorientierten HollywoodFilmen in gleichem Ausmaß und in gleicher Intensität eingesetzt. Wie der Roman und Drehbuchautor Russell Banks (2001, 17) ausführt, spielt dabei auch die Höhe des Budgets eine Rolle: [S]omewhere around fourteen million dollars you have to put white hats on the good guys and black hats on the bad guys. It's practically an immutable law of filmmaking. Fourteen million dollars, adjusted to inflation, is the point where you're told by the person with the checkbook: no more shades of gray, no more contradictions, no more ambiguities (meine Hervorhebungen). Die Diskussion von Strategien, die den unterschiedlichen Medien zur Popularisierung eines Textes zur Verfügung stehen, zeigt zum einen, dass eine Vielzahl dieser Strategien als 49 medienübergreifend betrachtet werden können. Zum anderen lässt die Mannigfaltig und Unterschiedlichkeit der in diesem Kapitel angeführten Beispiele für Popularisierungsstrategien darauf schließen, dass das, was Gudrun Wolfschmidt (2002b, 10) für die weitaus besser erforschte Popularisierung der Naturwissenschaften postuliert, nämlich dass Popularisierung "stets vielschichtig" abgelaufen sei, auch für die Popularisierung von Kultur gilt.33 Oder, wie Andreas Daum (1998, 25) zusammenfasst: "Popularisierung – ein Singular, der eine Vielzahl von Prozessen begrifflich bündelt." Die Adaption eines Textes mit populärem Potential kann sich dahingehend popularisierend auswirken, dass durch sie ein literarischer Stoff einem breiten Publikum zugänglich gemacht wird. Wie Clive Bloom (2002, 36) deutlich macht, kann eine solche Adaption zudem bewirken, dass ihr Publikum durch sie auch einen Zugang zum der Verfilmung zugrunde liegenden Originaltext findet: The two arts, or forms of expression, the picture and the written word in book form, react one on the other. Imagination, stimulated by the film, is yet not satisfied until its story is wholly absorbed. In a word, the filmgoer wishes also to read the book of the film, and the reader to see the picture. Da sich unter den in dieser Arbeit zu analysierenden Verfilmungen sowohl Produktionen für das Kino als auch solche für das Fernsehen finden, ist nun noch zu fragen, inwieweit Unterschiede zwischen diesen beiden Medien bei der Analyse von Popularisierungsprozessen mitzuberücksichtigen sind. Die Unterschiede zwischen Kino und Fernsehproduktionen hat John Ellis (1992[1982]) herausgearbeitet. Seinen Analysen zufolge hat das Fernsehen eigene ästhetische Formen entwickelt: Instead of the single, coherent text that is characteristic of entertainment cinema, broadcast TV offers relatively discrete segments: small sequential unities of images and sounds whose maximum duration seems to be about five minutes. These segments are organised into groups, which are either simply cumulative, like news broadcast items and advertisements, or have some kind of repetitive or sequential connection, like the groups of segments that make up the serial or series. Broadcast TV narration takes place across these segments (Ellis 1992[1982], 112). Die Notwendigkeit, eine Fernseherzählung in Segmente zu gliedern, hängt mit dem häuslichen Umfeld zusammen, in dem das Medium rezipiert wird: "Given this setting, and the multiple distractions that it can offer, broadcast TV cannot assume the same level of attention from its viewers that cinema can from its spectators" (Ellis 1992[1982], 115).34

33 Für die Dynamik des Verhältnisses zwischen hoher und populärer Kultur, die hier deutlich wird, spricht weiterhin, dass auch die Umkehrung von Popularisierung in kulturellen Praktiken beobachtet werden kann. "The working of Kitsch into art can indeed result in highquality works", bemerkt etwa Andreas Huyssen (1986, ix). Hügel (2002, 68) verwendet in diesem Zusammenhang den Begriff "Verkunstung". 34 Diese Beobachtung macht auch Constance Cox, die in den 1960er Jahren für eine Reihe von seriellen 50

Auch Programme, die verglichen mit Nachrichten, Werbung und Titelsequenz sehr kohärent wirken, können als Abfolge von Segmenten betrachtet werden: "This segmentalisation takes the form of a rapid alternation between scenes and a frequent return to habitual locations and situations rather than any sustained progression through sequential logic of events" (Ellis 1992[1982], 120). Daraus ergibt sich, dass die Konzentration des Zuschauers vom Fernsehen nicht im selben Maβ gefördert wird wie vom Kinofilm: "There is no surrounding darkness, no anonymity of the fellow viewers, no large image, no lack of movement amongst the spectators, no rapt attention. TV is not usually the only thing going on, sometimes it is not even the principal thing" (Ellis 1992[1982], 128).35 Nach Darstellung von Ellis hat dies zwei wichtige Konsequenzen: First, the role that sound plays in TV is extremely important [… and] stems from the fact that it radiates in all directions, whereas the view of the TV image is sometimes restricted. [...] Hence the importance of programme announcements and signature tunes and, to some extent, of music in various kinds of series. Sound holds attention more consistently than image, and provides a continuity that holds across momentary lapses of attention. The result is a slightly different balance between sound and image from that which is characteristic of cinema. Cinema is guaranteed a centred viewer by the physical arrangement of cinema seats and customs of film viewing. Sound therefore follows the image or diverges from it. The image is the central reference in cinema. But for TV, sound has a more centrally defining role. Sound carries the fiction or the documentary, the image has a more illustrative function (Ellis 1992[1982], 128f.). Die zweite wichtige Konsequenz, die die mangende Konzentration des Zuschauers auf das Fernsehbild hat, besteht in einer relativen Einfachheit bzw. Kargheit desselben: Contrasting with cinema's profusion (and sometimes excess) of detail, broadcast TV's image is strippeddown, lacking in detail. [...] Being small, low definition, subject to attention that will not be sustained, the TV image becomes jealous of its meaning. It is unwilling to waste it on details and inessentials. So background and context tend to be sketched rather than brought forward (Ellis 1992[1982], 130). Aus dieser Entleertheit des Fernsehbildes leitet Ellis die Vorliebe des Mediums für "closeups of people, which are finely graded into types" ab:

DickensVerfilmungen die Drehbücher verfasste, und schon damals erklärte: "One must bear in mind that viewers do not always sit down uninterrupted to watch, and if one is too mysterious they may become weary of the effort to follow a turtuous plot from weak to weak" (Zitiert nach Pointer 1996, 83f.). 35 Vgl. dazu Walter Nutz (1999, 317), der denselben Sachverhalt ex negativo formuliert: "Mit schnellen Filmschnitten kommt man den Konzentrationsschwierigkeiten der Zuschauer entgegen. Aus der Psychologie des Kindes weiβ man, dass es schnell von einem Spielzeug zum anderen wechselt, da das noch nicht ausgebildete Konzentrationsvermögen die Beharrlichkeit ein 'einziges' Problem tiefer zu ergründen, noch nicht kennt. Ähnlich verhält sich der heutige Rezipient. Auch beim Übergang von einer Filmdarbietung zur anderen bei einem einzigen Sender lässt die Regie oft den Abspann oder gar einen Teil des Filmabschlusses weg – nicht nur wegen der Angst, dass der Rezipient sofort einen anderen Sender anzappt, sondern auch darum, weil man voraussetzt, dass die meisten Zuschauer das Gesehene nicht reflektieren oder reflektieren wollen und gleich zum 'nächsten' greifen." 51

Closeups are regularly used in TV, to a much greater extent than in cinema. They even have their own generic name: talking heads. The effect is very different from the cinema closeup. Whereas the cinema closeup accentuates the difference between screenfigure and any attainable human figure by drastically increasing its size, the broadcast TV closeup produces a face that approximates to normal size. Instead of an effect of distance and unattainability, the TV closeup generates an equality and even intimacy (Ellis 1992[1982], 131).36 Es spricht allerdings auch einiges dafür, die hier dargelegten Unterschiede nicht überzubewerten. Ellis selbst räumt ein: Within the context of the segment and series, broadcast TV can, at particular moments, adopt a form that corresponds much more closely to that of cinema. Broadcast TV can present a single work that has a high degree of internal coherence and patterns of repetition and innovation. Broadcast TV does use the model of the Hollywood film. It does so in two ways. First, it transmits films, which provide it with a convenient form of raw material. Second, it produces 'TV films' or 'special presentations' or 'single plays'. These are the area of broadcast TV which aims most directly towards cultural respectability (Ellis 1992[1982], 116). Heinz Ungureit (1992, 200) weist dezidiert auf die Tatsache hin, dass eine Vielzahl von Kino und Fernsehproduktionen problemlos auch für das Medium verwendbar sind, für das sie nicht in erster Linie konzipiert wurden: Steven Spielberg hat seinen ersten Film 'Duell' als movie for television gemacht. Er ist deshalb nicht schlechter fürs Kino als seine späteren 'Kinofilme', die wiederum auch im Fernsehen enormen Erfolg haben. Doris Dörrie hat 'Männer' als Fernsehspiel zur sofortigen Ausstrahlung im TVProgramm realisiert. Es wurde ihr gröβter Kinoerfolg. Ingmar Bergmans 'Szenen einer Ehe' war nur fürs Fernsehen gedacht und gemacht. Mit dem Zusammenschnitt fürs Kino hatte er einen gröβeren Erfolg als mit all seinen 36 Kinofilmen vorher. Allerdings hat die Ausstrahlung von Kinofilmen im Fernsehen und umgekehrt durchaus einen Einfluss auf die Qualität von deren Rezeption, wie Knut Hickethier (1982, 117f.) zu bedenken gibt: In der Tat wird die Wirkung des K[inofilms] im Fernsehen durch die Verkleinerung auf dem Bildschirm, die Reduktion von Farbe, Helligkeitswerten, Musik gemindert. Der Kontrastumfang ist verringert, Grauwerte und Farbvaleurs stimmen häufig nicht, schlieβlich entspricht auch das Format des Fernsehbildes nicht den unterschiedlichen Filmformaten. Während die Vorführung im Kino durch die völlige Konzentration des Zuschauers auf das übergroβe Bild im sonst abgedunkelten Kinoumraum [sic] die

36 Die hier diskutierten Unterschiede in der Rezeptionsweise von Kino und Fernsehproduktionen spiegeln sich nach Ansicht von Ellis auch darin nieder, dass im englischen Sprachgebrauch unterschiedliche Termini für die Bezeichnung des Publikums von Kino und Fernsehen verwendet werden: "TV's regime of vision is less intense than cinema's: it is a regime of the glance rather than the gaze. [...] The very terms we habitually use to designate the person who watches TV or the cinema screen tend to indicate this difference. The cinemalooker is a spectator: caught by the projection yet separate from its illusion. The TVlooker is a viewer, casting a lazy eye over proceedings, keeping an eye on events, or, as the slightly archaic designation had it, 'looking in'" (Ellis 1992[1982], 137).

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Filmwirkung intensiver werden lässt, wird diese im Fernsehen eher gemindert. Der Zuschauer nimmt den Film, der eingebettet ist in einem die Wirkung in der Regel nivellierenden Programmzusammenhang, zumeist beiläufiger wahr. Die Filmwahrnehmung wird nur selten zum Erlebnis. Dies ist nicht nur negativ zu sehen: verhält sich doch der Zuschauer dem Film im Fernsehen gegenüber souveräner, oft auch toleranter, was die filmische Benutzung nicht konventioneller Erzählmuster angeht. Das gewichtigste Argument, die Bedeutung der Unterschiede zwischen den Medien Kino und Fernsehen nicht zu hoch zu veranschlagen, liefert Heinz Ungureit (1992, 197). Er zitiert die Äuβerungen zweier "respektable[r] Drehbuchautoren (und Regisseure)", die deutlich machen, dass auf der Produktionsseite diese Unterschiede keineswegs immer berücksichtigt, ja zuweilen nicht einmal reflektiert werden. Diese beiden Filmschaffenden sagten in einem AutorenSeminar dies: 'dass es sich immer wieder erwiesen hat, dass Kino in der sehr radikalen Abgrenzung vom Fernsehen etwas ist, was mit Genre zu tun hat' (HansChristoph Blumenberg); 'wobei ich die Unterscheidung zwischen von Fernsehfilmen, Kino und anderen Filmen nicht ausmachen kann. Es ist mir bisher auch nicht gelungen, jemanden zu finden, der mir diesen Unterschied erklären könnte' (Eberhard Fechner). Die Unterschiede zwischen beiden Medien sollen im Analyseteil dieser Arbeit mitbedacht und dort thematisiert werden, wo sie sich auf die Popularisierung des jeweils zu besprechenden Textes auswirken. Die wichtigste Konsequenz der hier dargelegten Beobachtungen für die Analyse von Popularisierungsprozessen scheint darin zu liegen, dass im Fall von Popularisierungen für das Medium Fernsehen aufgrund der unterschiedlichen Rezeptionsvoraussetzungen im Vergleich zum Kino möglicherweise mit einer noch gröβeren Vereinfachung und Vereindeutigung des Geschehens zu rechnen ist, als dies beim Kinofilm der Fall ist, unterstützt durch häufige Szenenwechsel, die sich aus der Segmentstruktur des Fernsehens ergeben und die der bei der Fernsehrezeption häufig geringeren Aufmerksamkeit und Konzentration des Zuschauers entgegenkommen.

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Überblick Popularisierung: Simon (1999, 9): "[H]ow a story is presented to a reader determines at least in part how the reader will respond to it." → Unterstützung von Popularisierungsstrategien durch popular cultureMarketingtechniken. Popularisierungsstrategien: • 'Proximation' und 'Updating': "[T]he 'movement of proximation' brings [the text] closer to the audience's frame of reference in temporal, geographic, or social terms" (Sanders 2006, 21). → Übertragung der Handlung in ein zeitgenössisches Setting → Betonung bestimmter Elemente des Originaltextes Elemente, die sich mit aktuellen Diskursen in Einklang bringen lassen Elemente, die sich zuvor schon als populär erwiesen haben und Streichung von Elementen, die diese Kriterien nicht erfüllen. • Streichung von Elementen, die nicht direkt mit der Handlung verknüpft sind, den Fortgang der Erzählung aufhalten oder zuviel voraussetzen • Reduktion der Anzahl an Charakteren • 'aesthetic mainstreaming' der Vorlage: Vermeidung von Experimentellem und Modernistischem, DeLiterarisierung des Textes, Bildung eines 'inexorable narrative arch' • Vereindeutigung des Geschehens: → 'Principal conflicts' → Eliminierung von Widersprüchlichem → Kohärente Gestaltung der Charaktere → Schlussendliche Katharsis oder Happy End • Vermeidung von Anstöβigem • Ergänzung von Elementen, die die genannten Strategien unterstützen • Gezielter Einsatz populärer Schauspieler Abb. 2

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3 Charles Dickens: Popularität und Popularisierung von 1836 bis in die 1990er Jahre 3.1 Dickens' Popularität bei seinen zeitgenössischen Lesern am Beispiel der Pickwick Papers 3.1.1 Ökonomische und soziologische Voraussetzungen für Dickens' Popularität Im vorausgegangenen Kapitel dieser Arbeit wurde unter anderem auch die Notwendigkeit betont, die Produkte der Kulturindustrie innerhalb des Feldes ihrer wirtschaftlichen Existenzbedingungen zu verorten. Das Beispiel Dickens verdeutlicht überdies, dass popular culturePhänomene, sollen sie fruchtbar analysiert werden, nicht nur vor dem Hintergrund ihrer ökonomischen, sondern auch ihrer soziologischen Existenzbedingungen betrachtet werden müssen. Dickens' kommerzieller Erfolg als Schriftsteller wäre kaum möglich gewesen ohne das ungefähr gleichzeitige Aufkommen eines Massenpublikums für Literatur, dessen Entstehung Richard D. Altick (1957, 3) wie folgt erläutert: "Far from being an isolated phenomenon, it was the resultant of many forces, most of which – political, religious, economic, technological – seem at first glance to have little bearing on the growth of the reading habit." Den Beginn dieses Zeitalters populärer Literatur legt Altick in die 1830er Jahre – bezeichnenderweise also in eben jene Dekade, in der Dickens mit seinen ersten Romanen populäre Erfolge erzielte. "In preceding centuries, some handworkers and some members of the lowermiddle class had been readers; but not until the nineteenth century did the appetite for print permeate both classes to the extent that it became a major social phenomenon" (Altick 1957, 7) Die Notwendigkeit, auch für die Arbeiterklasse eine grundlegende Schulbildung vorzusehen, wurde erst in den 1790er Jahren erkannt. Die Zahl der Analphabeten ging daraufhin im Lauf des 19. Jahrhunderts immer weiter zurück (vgl. Altick 1957, 141 und 172). Im Zusammenhang mit dem Aufkommen von Leihbibliotheken schon während des 18. Jahrhunderts sowie dem Genre, das sich für diese schnell als das einträglichste erweisen sollte, nämlich dem des Romans, spricht Altick (1957, 63) von einer LiteraturDemokratisierung, die im 19. Jahrhundert zu ihrer vollen Blüte gelangte: "Never before in English society had so many people read so much" (Altick 1957, 5). Auch für Barbara und J.L. Hammond (1962, 314) sind die 1830er und 1840er Jahre durch das Sich Ausbreiten einer 'Leseleidenschaft' ("passion for reading") gekennzeichnet. Wie Altick (1957, 5) betont, revolutionierte diese LiteraturDemokratisierung die viktorianische Kultur in einem beträchlichen Ausmaβ: "No longer were books written chiefly for the comfortable few; more and more, as the century progressed, it was the illeducated mass audience with pennies in its pocket that called the tune to which writers and editors danced." Dass die gerade entstehenden Lesebedürfnisse der Arbeiterklasse zufrieden gestellt werden konnten, wurde allerdings erst durch eine Reihe von ökonomischen Entwicklungen 55 ermöglicht: The steam press meant that thousands of copies could be produced, and the railways created the means of wide distribution. These factors, combined with developments in the cheap production of paper and government legislation which lowered paper costs and reduced tax on advertising revenue, created the popular press and massproduced journalism (Giddings 1983b, 11).37 Es kann also festgehalten werden, dass erst kurz bevor Dickens seine schriftstellerische Tätigkeit aufnahm, durch die Möglichkeit der kostengünstigen Papierherstellung und den allmählichen Rückgang des Analphabetismus innerhalb der Arbeiterklasse die ökonomischen und sozialen Voraussetzungen für den Massenerfolg von Literatur geschaffen wurden. Dickens verstand es meisterhaft, diese Voraussetzungen für seine Zwecke zu nutzen – wie Axton (1976, 27) hervorhebt: "He alone was capable of speaking authoritatively to a mass audience through the first technological developments of modern mass communications: the machinedriven press, cheap pulp paper, and rapid general distribution of printed matter." Auch Q.D. Leavis (1932, 152) betont Dickens' Bedeutung für die Entwicklung des Romangenres zum Massenmedium: The turn of those who early in the century were [...] deprived of the novels of fashion came with Dickens and periodical publication – a form in which Pierce Egan's Tom and Jerry swept the town in 1821, causing Pickwick to be written. The instalments in sum only reduced the price of the entire novel by a third, but it meant an immediate outlay of only a shilling and a half; Pickwick sold 40,000 copies a number, and for twentyfive years novelists published in papercovered parts.

3.1.2 Dickens‘ klassenübergreifende Popularität War das Echo auf die ersten drei instalments der Pickwick Papers noch recht verhalten (vgl. Ford 1955, 5) – nach Angaben von Louis James (1963, 47) wurden pro Folge lediglich etwa 400 Exemplare abgesetzt – begann sich das Blatt ab der vierten Fortsetzung zu wenden: "[W]ith the appearance of in the fourth number, [this novel] caught the public imagination. By the fifteenth number it was selling 40,000 copies a week" (James 1963, 47). Die Pickwick Papers gerieten, wie George H. Ford (1955, 6) berichtet, zum "most sensational triumph in nineteenthcentury publishing" – "[m]ore than Childe Harold or Waverley, more than Adam Bede or The Heir of Redclyffe in later years." 1837 schrieb die Schriftstellerin

37 Vgl. dazu auch Alice Jenkins und Juliet John (2000b, 2f.): "Developments in the publishing trade in the 1820s and 1830s meant that books and newspapers were expanding their readership, moving further down the social ladder in the early Victorian period than ever before. Until 1830, the cheap fiction market had largely been left to small and disreputable publishers such as the Minerva Press, but in June 1829 when Tom Cadell issued the Author's Edition of the Waverley novels in fiveshilling volumes, 'he inaugurated the vogue of inexpensive recent fiction imprints'. In 1831, Colburn and Bentley's Standard Novels were published at six shillings each. These developments began a sharp fall in book prices, leading to a broader readership, a trend which continued until 1850." 56

Mary Russell Mitford an eine Freundin in Irland, die, was die Verfasserin des Briefes sehr überraschte, noch nie etwas von Mr. Pickwick gehört hatte: I did not think there had been a place where English is spoken to which 'Boz' had not perpetrated. All the boys and girls talk his fun – the boys in the streets; and yet those who are of the highest taste like it the most. Sir Benjamin Brodie [the eminent surgeon] takes it to read in his carriage, between patient and patient; the Lord [Chief Justice] Denman studies Pickwick on the bench while the jury are deliberating. Do take some means to borrow the Pickwick Papers. It seems like not having heard of Hogarth, whom he resembles greatly, except that he takes a far more cheerful view, a Shakespearean view, of humanity (z.n. Collins 1974b, 7). Diese Charakterisierung der PickwickLeserschaft verdeutlicht die klassenübergreifende Rezeption des Romans. Dickens avancierte so zum Lieblingsautor der Königin Victoria und des Prince of Wales (Collins 1974b, 10), und selbst am anderen Ende der sozialen Skala ließ man sich von der "Bozmania" oder "Boziana" (Roberts 1999, 502) anstecken. So schrieb G.H. Lewes in The ational Magazine: Even the common people, both in town and country, are equally intense in their admiration. Frequently, we have seen the butcherboy, with his tray on his shoulder, reading with the greatest avidity the last 'Pickwick'; the footman, (whose fopperies are so inimitably laid bare,) the maidservant, the chimney sweep, all classes, in fact, read 'Boz' (Z.n. James 1963, 47). Charles Buller betonte 1837 in der JuliAusgabe der Zeitschrift London and Westminster das Außergewöhnliche an Dickens' Popularität, das für ihn darin bestand, dass sich Dickens' Leserschaft einerseits aus "persons of the most refined taste" und andererseits aus der "great mass of the reading public" zusammensetzte (z.n. Payne 2005, 37). Peter Ackroyd (1990, 208) schließlich berichtet davon, wie einer der ersten DickensBiographen zu der Zeit, als die Pickwick Papers veröffentlicht wurden, bei einem Schlosser in Liverpool folgende Szene erlebte: 'I found him reading Pickwick ... to an audience of twenty persons, literally, men, women and children.' It was hired by them all for twopence a day from a circulating library, because they could not afford a shilling for the monthly number, and the observer never forgot how these humble people, who themselves could not read, laughed with Sam Weller and cried with 'ready tears' at the death of the poor debtor in the Fleet Prison. This was the audience which Charles Dickens had found – not only the judges and the doctors, but the labouring poor.38 Auch die folgenden Romane wurden klassenübergreifend rezipiert. Dickens' Beliebtheit innerhalb der Arbeiterklasse gründete sich dabei zunehmend nicht allein auf den Unterhaltungswert seiner Texte, sondern auch auf die Tatsache, dass er in seinem Werk –

38 Auf die Tatsache, dass Dickens' Texte auch von einem lower classPublikum rezipiert wurden, obwohl Dickens keineswegs als "'proletarian' writer" bezeichnet werden kann, weist auch George Orwell (1961b, 32) hin. 57 bereits in den frühen Romanen Oliver Twist und icholas ickleby – wiederholt für soziale Gerechtigkeit eintrat, wie Adam Roberts (1999, 503) ausführt. Dennoch bedarf die Behauptung, Dickens sei von allen Bevölkerungsschichten rezipiert worden, einer Relativierung, wie George H. Ford betont: One of the commonest errors in any discussion of Dickens is the unqualified assumption that because some butcher boys and workingmen and domestics were observed to be reading Pickwick, therefore all butcher boys and workingmen and domestics were readers of Pickwick. The measure which Dickens received was an extremely lavish one but not a full one. There must have been many thousands of his contemporaries who did not know his writings and some to whom he was entirely unknown. As late as 1857, a visitor to Hawthornden was horrified to discover that no one on the estate, neither servant nor inmates, had ever so much as heard the name of Dickens (Ford 1955, 78). Nach Ansicht von Humphrey House (1941, 152) gehörte Dickens' hauptsächliches Publikum der Mittelschicht an: "His mood and idiom were those of the class from which he came, and his morality throve upon class distinctions even when it claimed to supersede them."39 Zudem waren zumindest Dickens' frühe Romane erkennbar für ein MittelklassePublikum konzipiert. Wie James M. Brown (1982, 38) darlegt, nahm Dickens in seinem Frühwerk nicht nur auf die Moralvorstellungen der Mittelklasse Rücksicht,40 seine frühen Romane reflektieren zudem a comparatively untroubled middleclass optimism: a belief in progress, in the direction in which the system was moving (though changes might be necessary to remove certain local abuses); an impatience with tradition; a contempt for those who idealise the Middle Ages; above all a critical opposition to the aristocracy (Brown 1982, 42). Kritik an Wertvorstellungen und Lebensweisen der viktorianischen Mittelklasse ist erst im Spätwerk des Autors erkennbar (Brown 1982, 41).41 J.L. und Barbara Hammond (1962[1930], 321f.) geben allerdings zu bedenken, dass sich die literarischen Interessen der middle und lower class gar nicht so sehr voneinander unterschieden: Popular taste followed the taste of other classes. Scott made mediaeval chivalry romantic and fascinating to the educated; the uneducated wanted also to have barons

39 Vgl. dazu auch Amy Cruse (1962[1935], 222 und 260). 40 Vgl. dazu auch House (1941, 215): "There is one such modification in Dickens which stands out above any other his reticence about what he thought might be offensive. In the preface that he later added to Oliver Twist he said that he had aimed to describe the dregs of life 'so long as their speech did not offend the ear'. And he applied this principle to many things besides the conversations of Sikes and Nancy; everything was written with an eye on decency, and he himself worked by the rule he mocked at in Podsnap, that there should be nothing in his books unfit for a Young Person." 41 Auch Louis James (1963, 60) diskutiert Dickens' Rücksichtnahme auf Moral und auch thematische Interessen der Mittelklasse. Er bemerkt bezüglich Dickens' zweitem Roman Oliver Twist, der Roman sei zumindest bei der "lowerclass press" nicht auf nennenswertes Interesse gestoßen, "probably in part because the theme of a small boy of respectable parentage being victimized by the London underworld was too middle class to appeal to its readers". 58

and castles and monasteries brought into the monotony and the gloom of their daily life. [...] A crude imaginative tale, like a crude imaginative play, helped to take them out of their world, and thus satisfied an instinct for which mankind has needed satisfaction in all ages, an instinct satisfied sometimes by noble literature, sometimes by coarse or violent literature. The workman who liked to read about the wicked marquis and the noble lady had the same taste as the middle classes, who enjoyed the books of which Sir George Trevelyan gives an entertaining account in his Life of Macaulay. [...] All classes wanted exciting and sentimental literature, and writers who could supply it found readers everywhere. The spread of popular fiction may, indeed, be counted among the civilising influences of the time. Ford (1955, 78) nennt einen soziologischen Faktor, der die Verbreitung von Dickens' Texten innerhalb der Unterschicht zumindest gehemmt haben dürfte. Er gibt zu bedenken, dass um 1850 immer noch etwa ein Viertel der englischen und walisischen Bevölkerung des Lesens und Schreibens nicht mächtig waren. "[T]he real explosion in literacy was not to come until after the establishment of compulsory education in 1871" – also erst ein Jahr nach Dickens' Tod – bemerkt auch Rosemarie C. Sultan (1999, 496). Trotz dieser Einschränkungen kann, wie Ford (1955, 79) betont, die folgende Tatsache nicht bestritten werden: "[Dickens's] works penetrated every stratum of the reading public".42 E.W.F. Tomlin (1969b, 238) betont den innovativen Charakter der klassenübergreifenden Rezeption von Dickens' Romanen: "With the novels of Dickens, a new kind of audience was brought into being, at once varied and farflung, taking in both the cultivated and the underprivileged." Auch mit den von ihm herausgegebenen Zeitschriften Household Worlds und All the Year Round erreichte Dickens "ein Lesepublikum, das über die Mittelklasse hinausging und Teile der Arbeiterschaft umfasste" (Maack 1991, 41). Nicht alle fünfzehn bis zu seinem Tod im Jahr 1870 erschienenen Romane erfreuten sich gleicher Beliebtheit. In der Forschung wird zumeist betont, vor allem seine späteren Romane seien weniger populär gewesen als die früheren. So schreibt etwa Humphry House (1941, 40), Dickens' Popularität sei nie größer gewesen als in den ersten Jahren seiner schriftstellerischen Tätigkeit43, was J.B. Priestley (1969, 22) wie folgt begründet: "[T]he whole scheme, tone, symbolism of his later novels defied the broader popular taste of his time". "[C]ontemporary readers of his later works longed for the exuberant delights they had savoured in Pickwick", bemerkt Paul Schlicke (1985, 228), und Philip Collins (1970, 155) gibt zu bedenken: "[H]is later work offended more people." Ford allerdings konstatiert schon für die frühen Romane unterschiedliche Beliebtheitsgrade. Bezüglich Oliver Twist merkt er

42 Vgl. dazu auch Kent (1872, 36) und Cruse (1962[1935], 154). 43 Vgl. dazu allerdings Collins (1970, 6): "When, in his [Dickens's] later years, he was receiving harder knocks from his reviewers, he was able (with complacency) to proclaim that he had never had so many readers." 59 an: It is evident that of the elements constituting the Dickensian formula, his appeal to sense of fear (however impressive as an indictment of versatility) was less universally satisfying to his early readers than his humor and pathos […]. icholas ickleby, with its more Pickwickian vein, helped to smooth out some of the differences, and then, after the brief setback of the opening numbers of Master Humphrey's Clock, came the overwhelmingly triumphant reception of The Old Curiosity Shop (1840), a novel in which pathos predominates. No such celebrity greeted Barnaby Rudge (1841), but the numbers sold moderately well.44 [...] The reception of Martin Chuzzlewit (18431844) was a different matter. Here, for the first time since the early numbers of Pickwick, Dickens encountered serious resistance from the novelreading public and experienced his first real taste of failure (Ford 1955, 42f.). Aus diesen Beobachtungen schlieβt Ford (ebd.): "[T]he extraordinary relationship between Dickens and his public was a more tempestuous affair than is always recognized."45 Dennoch bemerkt K.J. Fielding (1970, 100): "The continuity between Dickens and his public was never broken." Ob Dickens nun tatsächlich als der beliebteste Autor seiner Zeit betrachtet werden kann, ist ebenfalls nicht unumstritten. So bemerkt Margaret Dalziel (1957, 36): "The Bookseller in 1868 stated that Reynolds had written more and sold in far greater numbers than Dickens, and in an obituary notice after his death in 1879 the same journal described him as 'the most popular writer of our time'."46 Zumindest dann, wenn man von einer popular cultureDefinition ausgeht, die sich im wesentlichen auf die quantitative Dimension des Begriffes popular stützt, muss also Reynolds tatsächlich die größere Popularität zugestanden werden.47 Trotz dieser leichten Abstriche kann Dickens' nahezu ungebrochene, klassenübergreifende Popularität wohl als höchst außergewöhnlich bezeichnet werden. So bemerkt etwa auch Rosemarie C. Sultan (1999, 497): Thackeray might have possessed more cachet amongst the upper classes, and there may have been sensation novels that sold more copies amongst the working classes, but no other writer commanded so widely defined and so large a general readership. Diese außergewöhnliche Popularität Dickens' zu seinen Lebzeiten mag vor dem Hintergrund, dass er im Laufe seines Gesamtwerks nahezu alle Teile seiner Leserschaft zuweilen der Lächerlichkeit preisgab oder gar offen angriff, erstaunlich erscheinen. Wie bereits gezeigt

44 Michael Slater (2004, 22) bezeichnet den in Dickens' Magazin Master Humphrey's Clock in Fortsetzungen veröffentlichten historischen Roman Barnaby Rudge als "bis dato unpopulärste[n] Roman von Dickens, nach dessen Veröffentlichung die Publikation von Master Humphrey's Clock eingestellt wurde." 45 Zu den unterschiedlichen Verkaufszahlen der einzelnen DickensRomane bzw. deren Fortsetzungen vgl. Collins (1970, 6). 46 Vgl. dazu auch Ford (1955, 78). 47 Allerdings nahm Reynolds Karriere ihren Anfang "completely in Dickens's shadow" (Sultan 1999, 497), da sich seine Popularität zunächst auf von ihm verfasste schriftliche Adaptionen von Dickens' Romanen gründete. 60 wurde, zielten seine Seitenhiebe in den früheren Romanen zumeist auf die Aristokratie, in den späteren auch auf die Mittelklasse. Auch die Unterschicht erschien in Dickens' Werk nicht immer in einem uneingeschränkt positiven Licht. So konstatiert etwa James M. Brown (1982, 49): The dignity of workingclass characters is reduced or denied by their being presented as comic figures of fun, or childlike innocents (often at the same time). As a result the good workers come across as a very short distance removed from halfwits. Mr Bagnet, Mr Boffin, Joe Gargery etc. – all innocents abroad in a corrupt world where they are terribly vulnerable. Dass diese kritischen Züge in Dickens' Werk, die sich mal gegen diese, mal gegen jene Teile seiner Leserschaft richteten, der Beliebtheit des Autors offenbar keinen Abbruch tun konnten, betont George Orwell (1961b, 32) – nicht ohne eine gewisse Verwunderung: "[T]he very people he attacked have swallowed him so completely that he has become a national institution himself."

3.1.3 Zur Entstehung der Pickwick Papers Charles Dickens' Pickwick Papers werden gemeinhin als erster der fünfzehn Romane des Autors betrachtet, obgleich der in den Jahren 1836 und 1837 in neunzehn Fortsetzungen veröffentlichte Text ursprünglich als Serie von sketches konzipiert war. Die Idee zu einer solchen Reihe stammte von dem Zeichner und Karikaturisten Robert Seymour, dessen Zeichungen auch den hauptsächlichen Inhalt der einzelnen Veröffentlichungen bilden sollten. Die beigefügten Texte sollten lediglich ergänzenden bzw. erläuternden Charakters sein. Die Aufgabe, diese Texte zu verfassen, trugen die Verleger Chapman & Hall Dickens an, der sich am 18. Februar 1836 an die Arbeit machte (vgl. Ackroyd 1990, 189). Im Mittelpunkt der Serie sollten die Abenteuer des Pickwick Club rund um den gutmütigen, beleibten Mr. Pickwick stehen: All businessmen or the sons of businessmen, all pretenders to some aristocratic accomplishment they patently do not possess, the club members are led into disaster or absurdity when they are called upon to perform the functions they profess. Mr. Snodgrass, a poetaster and wouldbe man of feeling, embroils the Pickwickians in the fiasco of Mrs. Hunter’s literary fete champetre; Mr. Tupman, a beau manqué cannot win the hand of a desperate old maid; Mr. Winkle, posing as a sporting blood, can neither sit a horse nor handle a gun, and so leads his companions into innumerable comic difficulties afield; and Mr. Pickwick, an untutored amateur, makes himself ridiculous with his scientific pretensions, notably his inability to decipher Bill Stumps's marks on a paving stone (Axton 1965b, 671). Noch vor Veröffentlichung des zweiten instalment verübte Robert Seymour Suizid. Dickens' Einfluss auf das Gesamtprojekt wurde nun wesentlich gröβer. Dies schlug sich zunächst darin 61 nieder, dass er den als Nachfolger von Seymour designierten jungen Künstler R.W. Buss, der das dritte instalment illustrierte, umgehend wieder von seinen Pflichten entband und stattdessen einen anderen, ebenfalls jungen, Künstler mit dieser Aufgabe betraute – Hablot Knight Brown, "the illustrator who more than anyone else came to be associated with his work" (Ackroyd 1990, 194), und der später auch unter dem Pseudonym 'Phiz' bekannt wurde. Nachdem Dickens die Federführung über das Projekt übertragen worden war, änderte sich auch das quantitative Verhältnis von Text und Illustration: Hatten die ersten beiden Folgen noch aus vier Illustrationen und 24 Seiten Text bestanden, so beinhalteten die instalments ab Folge drei jeweils nur zwei Illustrationen und 32 Seiten Text. Zudem wird das Werk ab diesem Zeitpunkt zunehmend kohärenter. Im vierten instalment führte Dickens Samuel Weller in den Text ein, der vor allem den Lesern unter Dickens' Publikum, die der working class angehörten, als Identifikationsfigur diente. Zusätzlich entwickelt Dickens einen Handlungsstrang, der sich über mehrere Fortsetzungen erstreckt, somit den ursprünglichen episodischen Charakter des Werks konterkariert und dem Text romanhafte Züge angedeihen lässt. Dies erreicht Dickens mit der Handlung um Mr. Pickwicks Zimmerwirtin Mrs. Bardell, die dessen Ankündigung, Sam Weller als man servant anzustellen, als Heiratsantrag missversteht und Mr. Pickwick daraufhin mit der Begründung, er habe sein Heiratsversprechen gebrochen, vor Gericht bringt. Ähnliches gilt für Mr. Winkles Werben um Arabella Allen, Mr. Pickwicks diesbezügliche tatkräftige Unterstützung und die Gefahren, die dem Pickwick Club durch die Einmischungen von Arabellas Bruder, Benjamin Allen, entstehen – ein Handlungsstrang, der in den späteren instalments des Romans einen beträchtlichen Raum einnimmt. Gleichzeitig werden die interpolated tales, die Dickens in den ersten Folgen an zahlreichen Stellen einfügt und die mit der Handlung allenfalls lose verknüpft sind, in der zweiten Hälfte des Romans deutlich seltener.48

48 Vgl. dazu Mary Colwell (1967, 104): "The second half of the novel contains only three interpolated stories, as opposed to six in the first half, because the function that they were originally intended to perform, that of commentary and variety, is replaced by a new element – Samuel Weller. Sam is a living commentary on the action at hand and his is the voice of the perpetual observer. The earlier interpolated stories were told by minor characters who appeared only to tell their tale and then vanished. [...] Sam, on the other hand, is a major character and his stories are usually quite closely related to the main plot." Zur Funktion dieser interpolated tales vgl. auch Axton (1965b, 674), Patten (1967), Cowell (1967, 102ff.) und Levy/Ruff (1967).

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3.1.4 Die Produzierbarkeit der Pickwick Papers Der kommerzielle Erfolg der Pickwick Papers lässt sich mit Hilfe des zuvor entwickelten popular cultureTheoriegerüsts erklären: Eine Analyse von Dickens' erstem Roman zeigt, das dieser nahezu alle Charakteristika aufweist, die Fiske unter seinem Postulat der 'Produzierbarkeit' vereint. Die von Fiske geforderte 'Offenkundigkeit' im Sinne einer voraussetzungslosen Verständlichkeit, die seiner Darstellung zufolge einem potentiell populären Text eignen muss, wurde bereits zur Zeit der seriellen Erstveröffentlichung der Pickwick Papers in mehreren Rezensionen betont. Dabei bezogen sich einige Rezensenten auf die Handlung einzelner Szenen des Romans, wie etwa John Forster (1971[1837], 37): The truth and power with which it [the reader's exposure to the Fleet Prison in The Pickwick Papers] is made are beyond all praise – so certain, so penetrating, and so deeplyaimed, and yet, at the same time, so obvious and familiar, are the materials employed. Andere betonten die 'Offenkundigkeit' der Charaktere: "They [Dickens's characters] are all as familiar to the public as they are intelligible at first sight" (Court Magazine 1837, 34f.). Fiskes Kriterium der 'Exzessivität' im Sinne von in groβer Menge auftretenden Plakativitäten, Übertreibungen und Überzeichnungen lässt sich gleich auf mehreren Ebenen ausmachen. Mitunter ist es der Erzähler, der das Geschehen durch gezielt eingesetzte Hyperbeln mit zuweilen leicht ironischer Grundierung aufzuwerten sucht, so etwa gleich zu Beginn des Romans in seiner Schilderung von Mr. Pickwicks Start in einen neuen Tag: That punctual servant of all work, the sun, had just risen and begun to strike a light on the morning of the thirteenth of May, one thousand eight hundred and twentyseven, when Mr. Samuel Pickwick, burst like another sun from his slumbers, threw open his chamber window, and looked out upon the world beneath (PP, 28, meine Hervorhebung). In anderen Fällen sind es die Figuren, die sich einer pompösen, den jeweiligen Situationen, in denen sie sich wiederfinden, stets leicht unangemessenen Verhaltensweise bedienen. Diese Technik der Figurencharakterisierung lässt sich gleich an mehreren Charakteren beobachten, allen voran an Mr. Pickwick: Taking a man's nightcap from his brow by violent means and adjusting it on the head of an unknown gentleman of dirty exterior, however ingenious a witticism in itself, is unquestionably one of those which come under the denomination of practical jokes. Viewing the matter precisely in this light, Mr. Pickwick, without the slightest intimation of his purpose, sprang vigorously out of bed, […] struck the Zephyr so smart a blow in the chest as to deprive him of a considerable portion of the commodity which sometimes bears his name, and then, recapturing his nightcap, boldly placed himself in an attitude of defence (PP, 632f.). 63

Ähnlich verhalten sich auch die Figuren Mr. Snodgrass (vgl. PP, 209), Mr. Pott, der Herausgeber der Eatansville Gazette, der Mr. Winkle unlautere Absichten in Bezug auf seine Ehefrau unterstellt (vgl. PP, 270), und auch Benjamin Allens Verhalten weist eine gewisse exzessive Pomposität auf, als er erfährt, dass seine Schwester Arabella entgegen seinen Wünschen Mr. Winkle zu ehelichen beabsichtigt (vgl. PP, 731). Der Eindruck der Exzessivität wird zudem dadurch verstärkt, dass es innerhalb des Romans regelmäβig tatsächlich oder zumindest beinahe zu Tätlichkeiten zwischen unterschiedlichen Charakteren kommt – zumeist wegen Nichtigkeiten. Dabei macht es kaum einen Unterschied, welcher sozialen Schicht diese Charaktere entstammen. So ist Mr. Pickwick bereits im zweiten Kapitel Zielscheibe des tätlichen Angriffs eines Droschkenkutschers (vgl. PP, 30), bevor er dann im dritten Kapitel Mr. Pickwick selbst handgreiflich (vgl. PP, 68). In Kapitel 52 kommt es zu einer Begegnung zwischen Mr. Weller senior und Reverend Stiggins, die ebenfalls in Tätlichkeiten endet.49 Ein gewisses Maβ an Exzessivität eingeschrieben ist stets auch dem Stilmittel der SlapstickKomik. Somit ist es kaum verwunderlich, dass sich SlapstickEinlagen in groβer Zahl in den Pickwick Papers finden, so etwa in der folgenden Szene, in deren Zentrum Mr. Winkle steht: Mr. Winkle smiled feebly over his blue neckerchief in acknowledgement of the compliment, and got himself so mysteriously entangled with his gun, in his modest confusion, that if the piece had been loaded, he must inevitably have shot himself dead upon the spot. 'You mustn't handle your piece in that 'ere way when you come to have the charge in it, sir,' said the tall gamekeeper gruffly, 'or I'm damned if you won't make cold meat of some on us.' Mr. Winkle, thus admonished, abruptly altered its position, and in so doing contrived to bring the barrel into pretty sharp contact with Mr. Weller's head. 'Hallo!' said Sam, picking up his hat, which had been knocked off, and rubbing his temple. 'Hallo, sir! If you comes it this vay, you'll fill one o'them bags, and something to spare, at one fire' (PP, 282f.). Ein weiteres Beispiel bietet die folgende Szene aus Kapitel 39. Hier spricht Mr. Pickwick, auf Sam Wellers Schultern stehend, über einen Gartenzaun hinweg Arabella Allen an, die Herzensdame seines Freundes Mr. Winkle: 'Indeed, Mr. Pickwick, I am very much obliged to you for your kindness and consideration,' replied Arabella, drying her tears with her handkerchief. She would probably have said much more had not Mr. Pickwick's head disappeared with great swiftness in consequence of a false step on Sam's shoulder, which brought him suddenly to the ground (PP, 605).50

49 Für weitere ähnliche Beispiele vgl. PP, 160, 729, 785 und 786. 50 Für weitere SlapstickEinlagen vgl. PP, 111f., 145, 252f., 291, 454, 457. 64

Die von Fiske konstatierte Häufigkeit von Klischeehaftem in populären Texten mag mit dem Bemühen zusammenhängen, dem Konsumenten die Rezeption zu erleichtern, indem auf das zurückgegriffen wird, was als ihm bekannt und vertraut vorausgesetzt werden kann. Auch Dickens macht innerhalb der Pickwick Papers von zahlreichen Klischees Gebrauch, vornehmlich im Zusammenhang mit seinen weiblichen Figuren. So bedient Mrs. Budger das Klischee der wohlhabenden Witwe, "whose rich dress and profusion of ornament bespoke her a most desirable addition to a limited income" (PP, 44), und die somit eine 'gute Partie' darstellt. Miss Wardle erscheint dagegen als eine von sexuellem Neid beseelte alte Jungfer: "'How dear Emily is flirting with the strange gentleman,' whispered the spinster aunt, with true spinsterauntlike envy, to her brother, Mr. Wardle" (PP, 78, meine Hervorhebung). Mrs. Bardell hingegen, jene Witwe, die annimmt, Mr. Pickwick hege ihr gegenüber Heiratsabsichten, erfüllt das Klischee des behäbigen, treusorgenden Heimchens am Herd. Der Erzähler beschreibt sie als "a comely woman of bustling manners and agreeable appearance, with a natural genius for cooking improved by study and long practice into an exquisite talent" (PP, 181). Gelegentlich scheint auch in den interpolated tales, die Dickens vornehmlich in der ersten Hälfte der Pickwick Papers der eigentlichen Handlung beifügt, Klischeehaftes auf, so etwa in "The Stroller’s Take" aus dem dritten Kapitel: "The man of whom I speak was a low pantomime actor and, like many people of his class, an habitual drunkard" (PP, 59, meine Hervorhebung). Als weitere Kennzeichen eines produzierbaren Textes bezeichnet Fiske Widersprüchlichkeit, Komplexität und Polysemie – Merkmale, die einem Text die Fähigkeit verleihen, eine Vielzahl von Bedeutungen und Arten von Vergnügen zu produzieren. Zu dieser Komplexität in Fiskes Sinn trägt bereits die episodische Struktur des Textes mit ihren häufigen Orts und Szenenwechseln bei: "Pickwick is a quintessential 'road' narrative: the Pickwickians travel across the countryside getting into, and out of, scrapes, finding temporary havens that often, by their own ineptitude, they break up" (Patten 2001, 24). Zudem ist Dickens' Bemühen erkennbar, Rezipienten aus unterschiedlichen sozialen Schichten zu bedienen. Wird der Roman von Szenen mit komischem Potential dominiert, so ist diese Komik auf unterschiedlichen Ebenen anzusiedeln. Die bereits angesprochenen Slapstick Elemente bieten schlichtweg Unterhaltung, die rhetorischen Eskapaden Sam Wellers mit ihrem zuweilen recht brutalen Humor51 sind, so wie die zunehmende Prominenz der Figur als

51 Vgl. die folgenden Beispiele: "'It's over and can't be helped, and that's one consolation, as they always says in Turkey, ven they cuts the wrong man's head off' […] 'Business first, pleasure arterwards, as King Richard the Third said wen he stabbed t'other king in the Tower, 65 solcher innerhalb der Romanhandlung52, als Zugeständnis an das zunehmende Interesse der lower class an Dickens' Roman zu betrachten. Im Fall von Dickens' Persiflage auf verschiedene Wissenschaften ist der Humor jedoch deutlich subtiler und somit wohl eher auf ein gebildeteres Publikum gemünzt, so etwa in der folgenden Passage, die sich mit Mr. Pickwicks Fund eines Steines mit geheimnisvoller Aufschrift beschäftigt: It appears from the Transactions of the club, then, that Mr. Pickwick lectured upon the discovery at a General Club Meeting […] and entered into a variety of ingenious erudite speculations on the meaning of the inscription […] and that Mr. Pickwick himself wrote a Pamphlet, containing ninetysix pages of very small print and twenty seven different readings of the inscription […]. That Mr. Pickwick was elected an honorary member of seventeen native and foreign societies for making the discovery; that none of the seventeen could make anything of it; but that all the seventeen agreed it was very extraordinary (PP, 168f.). Eine ähnliche Passage findet sich am Ende des 39. Kapitels. Hier veranlasst die Laterne, mit der Mr. Pickwick ein Rendezvous zwischen Mr. Winkle und Arabella Arden beleuchtet, einen Wissenschaftler, eine Abhandlung über diese Lichterscheinung zu verfassen: As to the scientific gentleman, he demonstrated, in a masterly treatise, that these wonderful lights were the effect of electricity, and clearly proved the same by detailing how a flash of light danced before his eyes when he put his head out of the gate, and how he received a shock which stunned him for a quarter of an hour afterwards; which demonstration delighted all the Scientific Associations beyond measure, and caused him to be considered a light of science ever afterwards (PP, 609). Von ähnlicher Qualität sind Dickens' Seitenhiebe auf die ihm wohlvertraute juristische Profession in den Gerichtsszenen des Romans (vgl. besonders Kapitel 20 und 34). Neben den zahlreichen komischen Szenen findet sich vor allem in der zweiten Hälfte des Romans mit den Romanzen um Arabella Allen und Mr. Winkle sowie Sam Weller und Mary verstärkt Amouröses. Zur thematischen Vielfalt tragen zudem vornehmlich im ersten Teil die interpolated tales bei. Solcherlei Vielfalt und Komplexität im Sinne Fiskes attestierte die Forschung in den vergangenen Jahrzehnten auch Dickens' Werk in seiner Gesamtheit. Susan R. Horton (1981, 14) bemerkt: "Dickens had about as many styles as he had children, and he switched from one style to another – from melodrama to naturalistic description; from afore he smothered the babbies.' […] 'Werry sorry to 'casion any personal inconvenience, ma'm, as the housebreaker said to the old lady when he put her on the fire.' […] '"Now we look compact and comfortable", as the father said ven he cut his little boy's head off, to cure him o' squintin.' […] '"I only assisted natur', ma'am"; as the doctor said to the boy's mother arter he'd bled him to death'" (PP, 352, 378, 399, 425, 718). 52 Vgl. James (1963, 52): "Weller had become the idol of the lower classes". In diesem Zusammenhang ist auch erwähnenswert, dass in einer Adaption des Romans speziell für ein working classPublikum Sam Weller Mr. Pickwick aus der Rolle des Romanhelden verdrängt, um diese selbst einzunehmen (vgl. Abschnitt 3.2.). 66 rhetorical preachment to comic highjinks – about as often as he clipped his pen in his inkwell." Ebenso betont Philip Collins (1974b, 11) die Fähigkeit von Dickens' Texten, eine Vielzahl von unterschiedlichen Vergnügungen zu produzieren: Dickens offered a winning combination of ingredients [...]. He offered many popular, and very few unpopular, literary satisfactions: humour, pathos, love interest, tenderness, topical satire, a high moral tone, mystery, violence. [...] Certainly much of his art yielded a rich, comprehensible and welcome meaning to a first reading by an uninstructed and unsophisticated mind. Deeper and more complex effects were indeed discernible by further and more searching readings: but [...] Dickens offered immediately a great deal to everybody, however limited their literacy and subtlety. Auch J.B. Priesley (1969, 17) befindet bezüglich Dickens' Romanen: "They were the great family entertainment, with something for everybody – an exciting story for Papa, fun for the boys, sentiment for Mama and the girls." Die von Fiske postulierte textuelle Armut und Unvollständigkeit zeichnet seiner Darstellung zufolge besonders seriell dargebotene Texte aus. Die serielle Darreichung "enables it [the individual text] to fit easily with the routines of everyday life" (Fiske 1989b, 125) und erleichtert somit die Integration eines Textes ins Alltagsleben seiner Konsumenten.53 Entsprechend sieht Deborah Vlock (1998, 3) – neben der Bedeutung der thematischen Anleihen des Autors beim populären Theater seiner Zeit – in der seriellen Publikationsweise eine weitere Erklärung dafür, dass Dickens' Romane durchaus die von Fiske (1989b, 126) für populäre Texte als charakteristisch betrachteten "leaky boundaries" aufweisen. Vlock resümiert: "[T]he Victorian novel did not really resemble the discrete textual unit we receive it as today, the selfcontained package Miller imagines as privately and personally consumed, but was loose and fluid – particularly when published serially" (ebd., meine Hervorhebung). Noch deutlicher formuliert Jennifer Hayward (1997, 30): Serialized novels [...] appeared over months or years and could thus parallel the seasons, political changes, and passage of time that affected readers' own lives. What is more, parts were often written at the last minute, just before they appeared in print, and could therefore shift to reflect the external world. Im Bezug auf die Pickwick Papers bedeutet dies konkret: The individual numbers chronicle the time of year in which each was published, so that June, 1836, brings forth a cricket match, the January number of 1837 celebrated the festival of Christmas, the February number tells of ice skating, and so on through the calendar. […] By December, 1836, the fiction of a posthumous history has all but disappeared, and the readers can count ahead on their own calenders to await an important event of the

53 Inwieweit sich die serielle Publikationsweise im Fall von Dickens' Romanen auf deren inhaltliche Gestaltung auswirkte, hat Archibald Coolidge Jr. (1967) eingehend untersucht. 67

contemporary season (Bevington 1961, 219 und 225). Auf Ähnlichkeiten zwischen der Rezeptionsweise der einzelnen Dickensinstalments im 19. Jahrhundert und der Art und Weise, wie heutige soap operas rezipiert werden, ist in der DickensForschung vielfach hingewiesen worden (vgl. etwa Hayward 1997). Die zuvor zitierten Anekdoten, die über LeserReaktionen auf einzelne instalments von The Pickwick Papers und The Old Curiosity Shop Aufschluss geben, sprechen dafür, dass das, was Elayne Rapping (2002, 47) für das soap operaGenre konstatiert, im 19. Jahrhundert in ganz ähnlicher Weise auch auf Dickens' Romane zuzutreffen schien: "[W]hen we watch and discuss our soap opera, we [...] share a common community and a set of friends and neighbors about whom we care deeply, even as we laugh at their often ridiculously implausible lives." Die durch die serielle Veröffentlichung zumindest zeitweilig – bis zum Erscheinen des nächsten instalments – gegebene Unvollständigkeit des Textes wird durch die von Gerhard Haefner so bezeichneten 'spannungserzeugenden Leerstellen auf Handlungsebene' oder cliffhangers, noch betont. Für diese Leerstellentechnik merkt Haefner signifikanterweise an, dass bereits der Fortsetzungsroman im 19. Jahrhundert diese Technik "virtuos gehandhabt" habe. "Dabei ist aufschlussreich, dass das Lesepublikum den in Fortsetzungen gelesenen Roman für besser hielt als den gleichen Text in Buchform" (Haefner 1981, 220Fn2). Ein Vergleich der einzelnen Enden der jeweiligen instalments zeigt, dass Dickens' Leerstellentechnik im Verlauf des Romans zunehmend ausreifte. Das Ende des zweiten Kapitels, das das erste instalment beschlieβt, wirkt noch vergleichsweise uninspiriert. Zwar wird darauf hingewiesen, dass eine überraschende und wahrscheinlich unangenehme Begegnung zwischen Doctor Slammer und Mr. Tupman bevorsteht, diese Andeutung bleibt aber eher implizit und wird vom Erzähler nicht forciert: "'It will give me great pleasure, I am sure [to be introduced to Mr. Pickwick und Mr. Tupman]' replied Doctor Slammer, little suspecting who Mr. Tupman was" (PP, 56). Insgesamt endet das instalment wenig spannungsträchtig: "By this time they had reached the road. Cordial farewells were exchanged, and the party separated. Doctor Slammer and his friends repaired to the barracks, and Mr. Winkle, accompanied by his friend Mr. Snodgrass, returned to their inn" (ebd). Am Ende der dritten Folge versucht Dickens dann mittels eines Hinweises des Erzählers schon etwas dezidierter, die Spannung des Lesers auf den Fortgang der Handlung zu steigern: The scene of that afternoon was repeated that evening, and on the three afternoons and evenings next ensuing. On the fourth, the host was in high spirits, for he had 68

satisfied himself that there was no ground for the charge against Mr. Tupman. So was Mr. Tupman, for Mr. Jingle had told him that his affair would soon be brought to a crisis. So was Mr. Pickwick, for he was seldom otherwise. So was not Mr. Snodgrass, for he had grown jealous of Mr. Tupman. So was the old lady, for she had been winning at whist. So were Mr. Jingle and Miss Wardle, for reasons of sufficient importance in this eventful history to be narrated in another chapter (PP, 136). Als Abschluss des neunten instalment, unmittelbar vor Beginn des Prozesses um Mr. Pickwicks Bruch seines vermeintlichen Heiratsversprechens an Mrs. Bardell, gelingt es Dickens' Erzähler dann noch besser, das Interesse des Lesers auf das weitere Geschehen zu konzentrieren: Mr. Weller went his way back to the , and faithfully recounted to his master such indication of the sharp practice of Dodson and Fogg as he had contrived to pick up in his visit to Mrs. Bardell's. An interview with Mr. Perker, next day, more than confirmed Mr. Weller's statement; and Mr. Pickwick was fain to prepare for his Christmas visit to Dingley Dell with the pleasant anticipation that some two or three months afterwards, an action brought against him for damages sustained by reason of a breach of promise of marriage would be publicly tried in the Court of Common Pleas, the plaintiff having all the advantages derivable not only from the force of circumstances but from the sharp practice of Dodson and Fogg to boot (PP, 402f.). Auch der Aussparungstechnik, die dazu führt, dass ein Geschehen nicht beschrieben, sondern "durch die Art seiner Präsentation der Imagination oder der Entdeckungsfähigkeit des Lesers anheimge[ge]ben" (Haefner 1981, 222) wird, bedient sich Dickens in den Pickwick Papers an unterschiedlichen Stellen, etwa gegen Ende des zehnten Kapitels: Shall we tell the lamentations that ensued when Miss Wardle found herself deserted by the faithless Jingle? Shall we extract Mr. Pickwick's masterly description of that heartrending scene? His notebook, blotted with the tears of sympathizing humanity, lies open before us; one word and it is in the printer's hands. But no! We will be resolute! We will not wring the public bosom with the delineation of such suffering! (PP, 161). Der Roman bestätigt zudem Haefners Einschätzung, dass die Aussparungstechnik häufig im Zusammenhang mit 'Liebesszenen' bzw. Szenen mit amouröser Thematik Anwendung findet, vgl. dazu die beiden folgenden Szenen, die Sam Wellers Beziehung zu Mary zum Inhalt haben: Sam made no verbal answer to this complaint ['Lauk, Mr. Weller,' said Mary, 'how you do frighten one!'] nor can we precisely say what reply he did make. We merely know that after a short pause Mary said, 'Lor', do adun, Mr. Weller!' and that his hat had fallen off a few moments before – from both of which tokens we should be disposed to infer that one kiss or more had passed between the parties. […] Mr. Weller drew the household beauty closer to him and entered upon a whispering conversation, which had not proceeded far when she turned her face round and condescended to look at him again. When they parted, it was somehow or other indispensably necessary for her to go to her room and arrange the cap and curls before 69

she could think of presenting herself to her mistress; which preparatory ceremony she went off to perform, bestowing many nods and smiles on Sam over the banisters as she tripped upstairs (PP, 597 und 790).54 Auch für die Technik der 'doppelten Lesart' finden sich im Text zahlreiche Beispiele. Die doppelte Lesart entsteht zumeist dadurch, dass Dickens' Erzähler durch einen ironischen Kommentar eine unmittelbar zuvor getätigte Äuβerung einer Figur konterkariert, wodurch Komik entsteht: 'To see how dreadful she takes on, going moping about, and taking no pleasure in nothing except when her friend comes in, out of charity, to sit with her and make her comfortable,' resumed Mrs. Cluppins, glancing at the tin saucepan and the Dutch oven; 'it’s shocking!' (PP, 400). Die Komik entsteht hier dadurch, dass der Erzählerkommentar, "glancing at the tin saucepan and the Dutch oven", auf Mrs. Cluppins Äuβerung "out of charity" rückbezogen wird. Dadurch wird deutlich, dass Mrs. Cluppins Motive für ihren Besuch alles andere als karitativer Natur sind, was neben der wörtlichen eine zweite Lesart ergibt. Ein ähnliches Bild ergibt sich, wenn in den folgenden Beispielen die hervorgehobenen Erzählerkommentare zu den ihnen unmittelbar vorausgegangenen Äuβerungen der Figuren in Beziehung gesetzt werden: 'It's all vanity,' said Mr. Stiggins. 'Ah, so it is,' said Mrs. Weller, setting her cap to rights. […] 'The plaintiff, gentlemen,' continued Sergeant Buzfuz in a soft and melancholy voice, 'the plaintiff is a widow; yes, gentlemen, a widow. The late Mr. Bardell, after enjoying for many years the esteem and confidence of his sovereign, as one of the guardians of his royal revenues, glided almost imperceptibly from the world to seek elsewhere for that repose and peace which a customhouse can never afford. At this pathetic description of the decease of Mr. Bardell, who had been knocked on the head with a quartpot in a publichouse cellar, the learned serjeant's voice faltered, and he proceeded with emotion […] (PP, 407 und 516, meine Hervorhebungen).

3.1.5 Leseransprache Desweiteren ist festzustellen, dass Dickens' Erzähler den Leser häufig – direkt und indirekt – anspricht, was nach Gerhard Haefner ein weiteres Kennzeichen potenziell populärer Texte ausmacht. Ein Beispiel für eine indirekte Leseransprache, die eine Antwort auf vorhersehbare Leserreaktionen bietet, findet sich im 36. Kapitel: "It is not unlikely that the inquiry be made where Mr. Weller was all this time. We will state where he was in the next chapter" (PP, 563). Die Technik der indirekten Leseransprache, die darin besteht, dass der Erzähler an die Lebenserfahrung des Lesers appelliert, kommt in den Pickwick Papers allerdings ungleich

54 Für ein weiteres, ähnliches Beispiel vgl. PP (460). 70 häufiger zum Einsatz. Als Beispiele lassen sich die folgenden Textstellen aus unterschiedlichen Kapiteln anführen: There is no month in the whole year in which nature wears a more beautiful appearance than in the month of August. […] Orchards and cornfields ring with the hum of labour; trees bend beneath the thick clusters of rich fruit, which bow their branches to the ground; and the corn, piled in graceful sheaves or waving in every light breath that sweeps above it, as if it wooed the sickle, tinges the landscape with a golden hue. A mellow softness appears to hang over the whole earth; the influence of the season seems to extend itself to the very wagon, whose slow motion across the wellreaped field is perceptible only to the eye, but strikes with no harsh sound upon the ear. […] Happy, happy Christmas, that can win us back to the delusions of our childish days, that can recall to the old man the pleasures of his youth, that can transport the sailor and the traveler, thousands of miles away, back to his own fireside and his quiet home! (PP, 240f., 415). Diese beiden Textpassagen knüpfen an die Lebenserfahrung des Lesers an, indem eine Aktivierung der Assoziationen stattfindet, die der Leser mit einer bestimmten Jahreszeit bzw. einem bestimmten Festtag verbindet. Daneben wird der Leser häufig auch vom Erzähler in der zweiten Person Singular und Plural direkt angesprochen, etwa in den folgenden Textauszügen: When you have parted with a man at two o’clock in the morning on terms of the utmost good fellowship, and he meets you again, at halfpast nine, and greets you as a serpent, it is not unreasonable to conclude that something of an unpleasant nature has occurred meanwhile. […] But bless our editorial heart, what a long chapter we have been betrayed into! We had quite forgotten all such petty restrictions as chapters we solemnly declare. So here goes, to give the goblin a fair start in a new one! A clear stage and no favour for the goblins, ladies and gentleman, if you please (PP, 270 und 437). Noch häufiger finden sich indes Textstellen, in denen die Leser in der dritten Person Singular als "the reader" bzw. in der dritten Person Plural als "the readers" angesprochen werden (vgl. PP, 413, 419., 491). Dass gerade Dickens sich zeit seiner schriftstellerischen Karriere um ein enges Autor LeserVerhältnis bemühte, ist in der Forschung häufig betont worden. William Axton (1976, 45) beschreibt Dickens als einen Autor, "who failed to maintain narrative anonymity, invisibility, and objectivity, and who injected his own personality and reactions into the narration, with results fatal to believability and aesthetic distance."55 Laut Ford (1955, 159)

55 Mit Bezug auf Dickens' autobiographischen Roman David Copperfield bemerkt Janet H. Brown (1972, 199) entsprechend: "The more closely we approach the peculiar balance of narrator and narration in David Copperfield, the clearer becomes the fact that Dickens meant the novel to exist independently, as a work of fiction [...]. Yet at the same time, inherent in the abiding presence of David, recollecting his history, is the satisfaction of one of the most widely acknowledged of Dickens' own wishes as a novelist: the wish to be present to his audience while he tells the story." 71 wird der Leser von Dickens' Romanen weitaus häufiger direkt angesprochen als der Rezipient der Romane von William Makepeace Thackeray oder George Eliot. David Paroissien (1983, 35) bemerkt bezüglich des engen Verhältnisses zwischen Autor und Publikum, das für Maack (1991, 57) schon in Dickens' Sketches by Boz erkennbar ist, Dickens habe seine Romane als Akte der persönlichen Kommunikation mit seinen Lesern betrachtet. James (1963, 53) äuβert: "Dickens took his readers into his confidence, and communicated his feelings and attitudes in his personal tone." Und Priestley (1969, 20f.) befindet: His popularity made him feel deeply responsible. 'The Inimitable' must not take a wrong turning. He was now so striking and powerful a public figure that, increasingly, it was as if he were almost writing his novels in public. [...] He felt he belonged to his readers. If they wanted to know something about him, he felt he ought to tell them, which explains why he insisted, against all sensible advice, upon making a public statement about his separation from his wife. Als Ausdruck dieser engen Beziehung zwischen Dickens und seiner Leserschaft wertet auch Maack (1991, 42) die Tatsache, dass Dickens "die Entscheidung, sich von seiner Frau zu trennen, auf dem Titelblatt von Household Words am 12.6.1958 ankündigte und erläuterte." Tomlin (1969b, 238) sieht in diesem Verhältnis zwischen Dickens und seinem Publikum "a relationship unlike that of any other writer: a relationship which, established when he was in his middle twenties, grew in intimacy for more than thirty years."56

3.1.6 Tertiäre Texte Die textuelle Armut und Unvollständigkeit eines Textes begünstigt nach Fiske die Entstehung von tertiären Texten, in deren Existenz sich wiederum der von Konsumenten betriebene produktive Umgang mit den Produkten der Kulturindustrie manifestiert. Wie in Abschnitt 2.2. dieser Arbeit gezeigt wurde, können sich solche Texte sowohl in schriftlicher als auch in mündlicher Form Ausdruck verschaffen, sie können aber auch ausschlieβlich in der Fantasie des Lesers verbleiben. Das Vorhandensein von schriftlichen und mündlichen tertiären Texten im Bezug auf Dickens ist verschiedentlich bemerkt worden, von Dickens' Zeitgenossen ebenso wie in der späteren Forschung. So spricht die bereits zitierte Schriftstellerin Mary

56 William Axton (1976, 45f.) betrachtet ein enges Verhältnis zwischen Erzähler bzw. Autor und Leser als charakteristisch für seriell veröffentlichte Texte: "In particular, weekly or monthly serialization, together with the Victorian custom of reading serial parts aloud to a circle of family or friends, generated an intimacy between writer and audience that has been matched only by the ancient bards and that fundamentally altered the relationship between them by making the experience of the fiction no longer a private, individual one but instead a public, social event in which the speaking voice of the narrator assumes paramount importance.” Laut Tomlin (1969b, 238) wurde dieses enge Verhältnis durch die von Dickens herausgegebenen Magazine noch gestärkt: "In Household Words and its successor All the Year Round, which maintained a steady circulation of 100,000 and must have enjoyed a readership thrice that number, Dickens, as master in his own house, could communicate his ideas on a great variety of subjects [...], but always with that 'brightness' of approach which made his readers look upon him as a personal friend, as well as champion of public causes." 72

Russell Mitford im Zusammenhang mit den Pickwick Papers mündliche Tertiärtexte an, wenn sie konstatiert: "All the boys and girls talk his [Boz‘] fun" (z.n. Collins 1974b, 7). Ähnlich bemerkt Jennifer Hayward (1997, 52f.) bezüglich Our Mutual Friend: "[M]ost readers of the novel discussed each part with others, collaboratively reinterpreting and predicting future plot twists." Wie Gueric DeBona (2000, 108) ausführt, entstanden kurz nach der Veröffentlichung der Romane Dombey and Son und David Copperfield populäre Lieder mit Titeln wie 'Dora and Agnes' und 'Florence', die sich ebenfalls als eine Form von tertiären Texten betrachten lassen. Axton (1976, 31 und 46) nennt eine weitere tertiäre Textsorte, die sich aus dem seriellen Veröffentlichungsmodus ergab: [T]he extensive period of time required for serialization – between twelve and nineteen months – made the subscribers to some extent participants in the creative process, speculating about future events, advising the author directly or indirectly concerning the story and characters. Annegret Maack (1991, 29) macht auch deutlich, dass Dickens sich bei der Planung der weiteren Fortsetzungen seiner Romane durchaus an solchen von seinen Lesern verfassten tertiären Texten orientierte. Dies wurde dadurch erleichtert, dass bei Druckbeginn der Autor meist wenige Nummern fertiggestellt hatte [...]. Dass Dickens auf Leserbriefe reagierte, bewirkte z.B. in Dombey and Son Änderungen: Entgegen der ursprünglichen Absicht zeigt Dickens nicht Walter Gays moralischen Abstieg und schildert auch nicht, dass Edith Dombey der Verführung Carkers erliegt. Er korrigierte in David Copperfield das Charakterbild der Zwergin Miss Mowcher, als sich eine Leserin in dieser Figur verunglimpft glaubte. [...] Auf die sinkende Nachfrage bei Martin Chuzzlewit reagierte Dickens dadurch, dass er Martin und Mark Tapley in der sechsten Nummer nach Amerika reisen ließ.57 Es wurde im vorausgegangenen Kapitel dieser Arbeit bereits angemerkt, dass die Produzenten populärer Fernsehserien im 20. und 21. Jahrhundert ganz ähnlich verfahren. Robert Giddings (1983b, 14) betont zudem, dass Dickens in ganz ähnlicher Weise wie

57 Vgl. auch John Butt und Kathleen Tillotson (1957, 16), die Dickens als "peculiarly susceptible to the influence of his readers" charakterisieren. Das System der seriellen Veröffentlichung habe für den Autor generell ein größeres Publikum bedeutet, "but also a public more delicately responsive, who made their views known during the progress of a novel both by writing to him and by reducing or increasing their purchases. Through serial publication an author could recover something of the intimate relationship between storyteller and audience which existed in the ages of the sagas and of Chaucer [...]." Auch Maack (1991,29) spricht von "eine[r] Intimität zwischen Autor und Leser, die der mündlichen Erzählsituation nahekam. Thackeray bezeichnete diesen Kontakt zwischen Autor und Publikum im Vorwort von Pendennis als intime Unterhaltung, 'a sort of confidential talk between reader and writer'. Dickens sprach häufig von dem ungewöhnlich engen Verhältnis zwischen seinen Lesern und sich, 'personally affectionate and like no other man's'. Dementsprechend verabschiedete er sich in der letzten Nummer von Dombey and Son von seinen Lesern und dankte ihnen für 'the unbound warmth and earnestness of their sympathy in every stage of the journey we have just concluded'. (Vorwort 1848)." Maack (ebd.) räumt allerdings auch ein, "dass Dickens Leserwünschen nicht entsprach, wenn dies seinen künstlerischen Absichten und der Anlage seiner Romane entgegenstand: So lässt er trotz aller Leserproteste Little Nell sterben." 73 heutige Fernsehproduzenten auf den kommerziellen Erfolg seiner Texte angewiesen war: In order to help publishers make ends meet, and to make a profit to share with the author – which could only be done provided the publishers were able to offer advertisers useful space to push their goods – Dickens had continually appeal to a wide readership. Es ist somit kaum verwunderlich, dass Dickens das kommerzielle Potential seiner Werke immer im Auge behielt. Dafür spricht etwa die Tatsache, dass Dickens eine Autorin, die einen Beitrag zu seiner Zeitschrift Household Words einreichte, darum bat, das Ende ihres Textes zu überarbeiten, so that it would be less painful. [...] 'You write to be read, of course.' Unless the story is revised, he [Dickens] said, 'it will throw off numbers of persons who would otherwise read it, and who (as it stands) will be deterred by hearsay from so doing.' In revising his own novels, Dickens reasoned in the same way (Ford 1955, 30).58 Nach Einschätzung von Jennifer Hayward (1997, 44) betrachtete Dickens, der in einem seiner Briefe mit Bezug auf die Entstehung der Pickwick Papers bezeichnenderweise selbst von einer "machinery" spricht, seine Texte einerseits als "commodities, products marketed so as to reach the widest possible audience and make the highest possible profit. On the other hand, the author believed strongly in the artistic worth of serial fiction as well as its power to positively affect both individual and social behaviour." Auch Giddings (1983b, 15) veranschaulicht, wie Dickens' Schaffen ständig zwischen seinen künstlerischen Absichten und kommerziellen Erwägungen oszillierte: He had to write what the public wanted to read. He had to cast his fictions in particular forms and within certain conventions. His correspondence and other biographical evidence will show his constant battle to write honestly and creatively within the best possible terms to be negotiated between these various requirements, as well as his understandable attempts to get the best price for his efforts.59

58 Vgl. dazu auch Coolidge (1967, 4f.): "Part of the time [...], he [Dickens] saw himself as a prophet to whom the world of his fiction was revealed in existence. Yet he wrote Collins once that to interest people in something bad a writer had to picture a girl victimized by it. He wrote about his work in Dombey and Son as a soup to which he was adding ingredients of character and plot. In addition, in letters to many authors who were submitting manuscripts to his periodicals he advised them to be dramatic, vivid, etc. In short, at other times, Dickens saw himself as the active constructor of literary devices to inject ideas into people's heads and to entertain. As the letter about showing something bad reveals, however, the construction and carpentry are included in the prophecy. Dickens knew he was a carpenter so he might be a prophet." Auch Paroissien (1983, 35) bemerkt: "In several letters, he [Dickens] acknowledged his perceptions of the duties of the 'Editor of a periodical of large circulation' [...], and discussed the conflicts that arose between an editor and an author. A work may well have artistic integrity, Dickens thought, and be the product of an accomplished writer who is a good man or woman, but it may nevertheless contain passages or scenes requiring cutting or modification, if the editor were to pass them as suitable to a mass of readers." 59 Wie David Payne (2005, 37) zeigt, erregte diese Vorgehensweise, die Dickens bei der Anfertigung seiner Texte an den Tag legte, schon bald den Verdacht zeitgenössischer Rezensenten, er verletze damit "some vague but fundamental distinction between art and commerce. The Weekly Dispatch put the matter plainly in September: 'we must protest against publishing a long story, bit by bit, in a Magazine, and then reprinting the whole in the shape of a novel.' In the same month, Bell's Weekly was warning that Pickwick was 'already exhausted,' and Bell's Life sniping at the announcement for icholas ickleby, '[n]othing like striking while "the 74

Besonders einer von Dickens' Romanen ermöglichte es gerade aufgrund seiner – wenngleich unbeabsichtigten – textuellen Armut und Unvollständigkeit seinen Konsumenten, eine aktive Rolle bei der Rezeption einzunehmen, wodurch eine Vielzahl von tertiären Texten entstand. Es handelt sich hierbei um Dickens' letzten, durch seinen relativ plötzlichen Tod unvollendet gebliebenen Roman The Mystery of Edwin Drood aus dem Jahr 1870. "Dickens's unfinished mystery has provided a DoItYourself kit on which the imagination of wouldbe authors and solvers has been unleashed", bemerkt Gordon Philo (1999, 389). Dass Leser der unterschiedlichsten Provenienz – "[a]uthors, scholars and armchair detectives" (Jacobson 1986, 3) – diese aktive Rolle nur allzugern einnahmen, beweist die Vielzahl und Vielfältigkeit von tertiären Texten, die über viele Jahrzehnte hinweg rund um Dickens' Romanfragment entstanden ist. Paul Schlicke (1999e, 395) spricht von einer "veritable industry of mystery solving [...], as readers attempted to guess how the story would have proceeded had Dickens lived." Wie Philo (1999, 389) darlegt, entstanden die ersten Tertiärtexte sogleich nach dem posthumen Erscheinen der letzten instalments: "Speculation about the ending of Drood began immediately after Dickens's death, and has continued ever since." Diese tertiären Texte nahmen nach Philo (ebd.) vornehmlich zwei Formen an: "'continuations', which are fictional completions, and argued cases, usually called 'solutions'." Schlicke (1999e, 395) diskutiert darüberhinaus eine recht ungewöhnliche und spezifische Art von tertiärem Text im Zusammenhang mit Dickens' letztem Roman, in der sich aber die aktive Beschäftigung mit dem Roman zumindest auf seiten einiger seiner Leser manifestiert. Schlicke spricht vom Aufkommen einer Welle von "mocktrials of Jasper" zu Beginn des 20. Jahrhunderts, "most famously one in London in 1914 which lasted four and a half hours, ending only when George Bernard Shaw as jury foreman returned a verdict of 'Not Proven' without first consulting his fellowjurors." Sylvère Monod (1970, 116) nennt eine weitere 'Gerichtsverhandlung' dieser Art, die wenig später in Philadelphia stattfand. Aufgrund einer solch intensiven aktiven Beschäftigung einer doch recht großen Zahl an Lesern mit dem Roman, die sich in einer Vielzahl unterschiedlicher Tertiärtexte Ausdruck verschaffte, muss diesem letzten Roman von Dickens innerhalb Fiskes System ein recht hoher Grad an Popularität zugestanden werden.

iron is hot"; but even iron may be worn out.'" 75

3.1.7 Spin offProdukte Nach Fiske (1989b, 174) lässt sich der Vorgang der Integration eines Kulturproduktes in das Alltagsleben seiner Rezipienten mit Hilfe von 'spin off'Produkten intensivieren, wodurch diesen wiederum popularisierende Funktion zukommt. Gleichzeitig ist ihre Existenz aber auch als Zeugnis der enormen Popularität eines Produktes der Kulturindustrie zu werten. Die ersten Dickensbezogenen "spinoff products" bzw. Marketingprodukte entstanden bereits als Reaktion auf den enormen kommerziellen Erfolg der Pickwick Papers. "One met Pickwick everywhere", berichtet James (1963, 47). "[O]ne rode in 'Boz' cabs, wore Pickwick coats and hats and smoked Pickwick cigars." Collins (1970, 8) ergänzt: "Consumer goods, from chintzes to cigars, were given 'Pickwick' and 'Weller' brand names; the music shops were soon full of 'Pickwick Quadrilles', 'Artful Dodger Galops', ballads such as 'Nelly Gently sleeps', 'Dolly Varden', and 'God Bless Us Everyone'." Die Dickensbezogenen Marketing Produkte waren so vielfältig, dass Priestley (1969, 168) von einer regelrechten Dickens Industrie60 spricht: "As the popularity of the novels increased, many of the characters assumed a life of their own, and a 'Dickens Industry' sprang up. Music, stained glass, stauettes, china, tablelinen, clothes – the familiar figures were to be found reproduced everywhere." "Dickens both exploited and was exploited by a burgeoning consumer economy", schließt Jan Clayton (2003, 152) aus der Existenz von Little NellZigarren, PickwickSchnupftaback, GampRegenschirmen, einer Vielzahl von anderen Produkten, die mit Namen aus Dickens' Oeuvre versehen waren, sowie einer nach dem Roman Our Mutual Friend benannten Taverne.61 Diese Form der Vermarktung setzte sich auch nach Dickens' Tod fort. Andrew Sanders (2003, 180) konstatiert a surprising range of porcelain representations of the novelist and his characters designed for domestic display. These range from spilljars and jugs with Dickens's profile in high relief to somewhat more refined busts in Parian china, the smallest being 20cm in height, the largest 48cm. One such model was issued to the public within a month of the novelist's death. Dickens was also commemorated by a variety of china figures representing his most popular characters [...]. Auch die Grundlagen für einen bis heute andauernden, zunehmend kommerziellere Formen annehmenden DickensTourismus wurden früh gelegt. Wie Thelma Groves und Tony Williams (2004, 130) darlegen, besichtigten schon zu Beginn von Dickens' schriftstellerischem Erfolg "seine Leser gerne jene Orte, die in seinen Büchern genannt

60 Vgl. dazu auch Schlicke (1985, 33). 61 Die Praxis, den Erfolg von Romanen mittels "spin offproducts" auszunutzen, wurde in späteren Jahrzehnten dann auch auf andere Autoren und Texte ausgeweitet. Amy Cruse (1962[1935], 323) spricht im Zusammenhang mit Wilkie Collins' populärem Roman von "Woman in White cloaks and bonnets, Woman in White waltzes and quadrilles." 76 werden oder mit seinem Leben in Verbindung stehen. Dieses Interesse besteht immer noch."62 House (1941, 13) erläutert die kommerziellen touristischen Aktivitäten, die sich um Dickens' 100. Geburtstag im Jahre 1912 rankten: Thos. Cook & Son ran a 'Whole day drive in Dickens' London' every Thursday during the summer: 'Inclusive Fare, Providing Table d'Hote Luncheon at City Restaurant, Tea at Hampstead, all Admission Fees and Gratuities, and Services of GuideLecturer throughout, 15s., 3.60 Pounds,' and a day tour to Canterbury and Rochester for a guinea. Even now, various branches of the Dickens Fellowship organize 'Rambles' every season. [...] Inns, churches, old houses like Mrs. Clennam's and the curiosity shop, the Inns of Court, Rochester Castle, Tellson's Bank – these are the usual objects of the indefatigable tourist and sightseer. Heute existieren "Reiseführer über Dickens' London und beachtliche Abschnitte in Büchern über das 'Literarische London', sowie professionell geführte Rundgänge, um Dickens' London zu erkunden" (Groves/Williams 2004, 137).

3.1.8 Relevanz Wie in Abschnitt 2.2. gezeigt wurde, muss ein Text, um zu popular culture werden zu können, auch das Kriterium der Relevanz für sein Publikum erfüllen. Einzelne Dickens Forscher haben sich in der Vergangenheit immer wieder Gedanken darüber gemacht, worin die Relevanz von Dickens' Texten für sein zeitgenössisches Publikum bestanden haben könnte – sowohl im Bezug auf einzelne Texte, als auch auf Dickens' Gesamtwerk. Ihre Ergebnisse lassen sich zumeist auf der Achse der 'Ähnlichkeit' im Bereich der 'repräsentionalen Relevanz' ansiedeln. So betont Arthur Locker (1870, 41) die repräsentionale Relevanz der Pickwick Papers und der darin auftretenden Figuren für Angehörige seiner Generation. Diese repräsentionale Relevanz ergibt sich für ihn aus der Ähnlichkeit einiger Figuren aus Dickens' Oeuvre mit Personen aus seinem sozialen Umfeld: As for Mr Weller the elder, I have sat by his side many a time atop of the old Rocket or Regulator coach bound for Portsmouth. I have seen him exchange the mystical salutation of the whip with Tom Smart with his fast trotting mare; I have actually beheld Tom Smart imbibing rum and milk at a little inn in Petersfield, and, being a modest schoolboy, thought him very impertinent when he chucked the barmaid under

62 Willis Hall persifliert in seinem bereits erwähnten Kinderroman Henry Hollins and the Dinosaur am Beispiel des fiktiven Staplewood das Bestreben zahlreicher britischer Ortschaften, aus jeder noch so geringfügigen biographischen Verbindung mit Dickens Kapital zu schlagen: "As a matter of fact, there were some doubting citizens of Staplewood who would tell you that Mr Dickens' stay at the Pig and Bucket had been no more than an overnight one. And that his only contribution to English literature during his brief visit had been an uncomplimentary jotting in the Pig and Bucket vistors' book: 'Very hard peas and similar bed.' Nevertheless, nobody could deny that Charles Dickens had spent some time in Staplewood, no matter how short" (Hall 1977, 13f.)

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the chin. Peter Ackroyd (1990, 338) erörtert, worin für zeitgenössische Leser die Relevanz der Handlung rund um Little Nell in Dickens' Roman The Old Curiosity Shop bestanden haben könnte: Dickens was lamenting the death of a child when the deaths of children in ordinary life were quite familiar; in 1839, for example, almost half of the funerals in London were conducted for children under the age of ten, carried off by sickness or malnutrition. There was of course also the contemporary trade of child prostitution. When we first see Little Nell, this 'pretty little girl' is wandering lost through the streets of London, and as Master Humphrey watches over the house in which she lives he is filled with thoughts 'of all possible harm that might happen to the child' – no one in 1841 would have had the least doubt that one of her possible fates was that of being forced 'upon the streets'. Ähnlich verortet Paul Davis die Relevanz des Christmas Carol bei Dickens' zeitgenössischen Lesern auf der Achse der Ähnlichkeit im Bereich der 'repräsentionalen Relevanz'. Paul Davis (1990, 40) führt die sogleich nach ihrem Erscheinen einsetzende große Popularität dieser ersten Weihnachtsgeschichte aus Dickens' Feder auf deren Verankerung in der Gegenwart zurück: "For the Victorians, the heart of the story was in Christmas Present. They read the Carol as 'a tale of the times'." Wie Davis (1990, 43) ausführt, gingen der Veröffentlichung der Geschichte heftige sozialpolitische Debatten voraus, auf die Dickens mit seiner Geschichte reagierte: The severe trade recession of the midforties, the Chartist agitation, and the continuing debate over social issues in Parliament and the press made the plight of the poor an especially topical issue in 1843. At the center of this heightened consciousness were the reports of the parliamentary commissioners investigating the employment of women and children in mines and factories that appeared in 1842 and 1843. These reports, graphically illustrated with pictures of the oppressive conditions suffered by the workers [...], shocked their Victorian readers, spurred a movement for factory reforms, and prompted a literature of social concern. [... I]t is clear that his [Dickens's] response to the parliamentary report was an important factor in making his Christmas story a tale for the times. Wie Davis (1990, 44) deutlich macht, präsentierte Dickens in seiner Weihnachtsgeschichte ein realistisches Bild der Lebensumstände zumindest eines Teils seines Publikums: The countryside that Scrooge discovers in Christmas Present lacks the mythic coloring of the countryside in Christmas Past. The miners, lighthouse keepers, and mariners represent a contemporary rural England, hard working in narrow circumstances. In the city, the Cratchit family's discussion about Peter going out to work and Martha's excuse for arriving late to Christmas dinner – that she had been working on Christmas Eve as milliner's apprentice – call up the images of the working children of the parliamentary reports. Auch Collins (1974b, 10f.) macht für die Popularität von Dickens' Gesamtwerk das 78

Bemühen des Autors verantwortlich, seine Charaktere möglichst nah an der Alltagserfahrung seiner Leser anzusiedeln: "[H]e is typically concerned, not with superior persons, but with characters of ordinary status and ambitions (however extraordinary they may be in their personal idiosyncracies)." Was die viel zitierte, vermeintliche 'Überlebensgröße' der Dickens'schen Figuren anbelangt, die auch in diesem Zitat anklingt, bemerkt Priestley (1969, 26) am Beispiel der Micawbers aus David Copperfield: "As characters they are larger and droller than life, yet cannot be entirely disconnected from it, which explains why the names of many of his comic characters soon became, like his own magazine, Household Words." Wie in Abschnitt 2.2. dieser Arbeit dargelegt wurde, besteht eine für die Entstehung von popular culture notwendige Bedingung darin, dass ein Konsument ein von der Kulturindustrie bereitgestelltes Produkt in sein Alltagsleben integriert. Lässt sich eine solche Integration des kulturindustriellen Produktes in das Alltagsleben seiner Rezipienten nachweisen, ist dies ein deutlicher Hinweis darauf, dass die Konsumenten dieses Produktes durch dessen aktiven Gebrauch popular culture haben entstehen lassen. Eine Integration von Dickens' Texten in das Alltagsleben seiner Leser wurde immer wieder festgestellt. Bereits 1906 schrieb G.K. Chesterton (1975[1906], 72) mit Bezug auf die Pickwick Papers: The Dickens novel was popular not because it was an unreal world, but because it was a real world; a world in which the soul could live. The modern 'shocker' at its very best is an interlude in life. But in the days when Dickens's work was coming out in serial, people talked as if real life were itself the interlude between one issue of 'Pickwick' and another. J.B. Priestley (1969, 17f.) betont die aktive Rolle, die Dickens' Romane ihren Lesern zuwiesen: There is something largely passive now in our mass entertainment that was fiercely active when Dickens was writing. […] Dickens's readers pounced on those fortnightly or monthly parts in which so many of his novels came out, then hurried away, gloating over them, ready to live intensely again with the characters found in them. [...] There is an old story that when Dombey and Son was coming out in parts, a horseman galloped through a village, late at night, shouting 'Carker's dead!' That suggests popularity and public entertainment of a sort that no novelist has reached since Dickens (Hervorhebung im Original). Zusammenfassend lässt sich die Einschätzung von Deborah Vlock (1998, 11) zitieren: "His [Dickens's] characters and plots filled Victorian imaginations. People read him with a strong faith in his truth and originality, and a simultaneous conviction that they personally knew his characters."

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3.1.9 Marketingstrategien der Verleger Zu Dickens' groβem Erfolg dürfte auch die Tatsache beigetragen haben, dass seine Verleger schnell Strategien entwickelten, ihren Erfolgsautor so gewinnbringend wie möglich zu vermarkten. Es handelt sich hierbei um Veröffentlichungs und Werbestrategien, von denen bis heute bei der Vermarktung von popular cultureProdukten in kaum abgeänderter Form Gebrauch gemacht wird: Sobald das letzte instalment der Pickwick Papers im November 1837 auf dem Markt war, begannen Dickens' Verleger Chapman and Hall seine Sketches by Boz, die bereits 1836 in Buchform erschienen waren, erneut zu veröffentlichen – und zwar diesmal ebenfalls in monatlichen Fotsetzungen, deren letzte im Juni 1839 auf den Markt kam. Als dann, nach Erscheinen der letzten Folge des in der Zeitschrift Bentley's Miscellany zwischen Februar 1837 und April 1839 veröffentlichten zweiten Romans Oliver Twist, der Text erstmals als komplettes Buch erschien, ersetzte man auf dem Cover der Veröffentlichung nicht nur Dickens' Pseudonym Boz durch seinen wirklichen Namen, sondern fügte diesem noch den Zusatz bei: 'Author of The Pickwick Papers.' Die Ähnlichkeiten dieser Strategien zu Praktiken der gegenwärtigen KulturIndustrie, die nach dem kommerziellen 'Durchbruch' eines Kulturschaffenden schnell für Neuveröffentlichungen von dessen vorausgegangenen Werken sorgt – häufig mit verkaufsfördernden Zusätzen, die dem auf dem Cover der ersten Oliver TwistBuchausgabe frappierend ähneln – müssen hier wohl nicht näher erläutert zu werden (vgl. dazu Dunn 1993, 22).

3.2 Frühe Popularisierungen 3.2.1 Adaptionen von Dickens' Romanen in Schriftform63 Zumindest Dickens' Publikum aus den unteren Gesellschaftsschichten rezipierte seine Werke häufig nicht in der Form, in der sie von ihm geschrieben wurden.64 Bereits 1837, als die Popularität der Pickwick Papers ihren Höhepunkt erreicht hatte, begannen erste Adaptionen des Textes in Schriftform zu erscheinen, die sich gezielt an Leser aus der Arbeiterklasse richteten, und die sich als die ersten Popularisierungen von Dickens' Roman betrachten lassen

63 Die folgende Überblicksdarstellung ist James (1963) verpflichtet. 64 Obwohl für John Butt und Kathleen Tillotson (1957, 13) bereits in Dickens' erstem Roman The Pickwick Papers das Bemühen des Autors, eine große Anzahl von Lesern zu erreichen, erkennbar ist – "by cutting the price to suit their pockets. The method chosen was to publish in 'what was then a very unusual form, at less than onethird of the price of the whole of an ordinary novel, and in shilling Monthly Parts'." Zu Beginn von Dickens' Karriere als Schriftsteller, wie Butt/Tillotson (ebd.) ebenfalls darlegen, herrschten ansonsten noch eher die Veröffentlichungsmodalitäten des 19. Jahrhunderts vor: "In the eighteenth century, novels had appeared in five volumes, or even in as many as seven; but by the time of Scott and Jane Austen the usual number was three or four. The prices varied: it was not uncommon to charge as much as half a guinea a volume, which made novelreading exceedingly expensive to those who did not belong to a circulating library." 80

In diesem Zeitraum veröffentlichte der Herausgeber Edward Lloyd die erste Folge von "The Posthumous otes of the Pickwick Club, edited by 'Bos'." 'Bos' adaptierte Dickens' Erstlingserfolg sorgfältig den Bedürfnissen und dem Verständnishorizont seines Publikums entsprechend,65 und war ganz offensichtlich darum bemüht, seinem Publikum die Rezeption durch Streichung bzw. Umgestaltung der Elemente, die auf seiten der Leser möglicherweise zuviel vorausgesetzt hätten, zu erleichtern: "The whole level of the comedy is altered. In the breach of promise case, all legal subtlety is removed, and Pickwick is tried for assault. For comic restraint physical slapstick is substituted wherever possible. Physical chastisement is inflicted on Shirk, and on Quizzgig and Fidge (Dodson and Fogg)" (James 1963, 51f.). Auch die repräsentionale Relevanz des Stoffes für seine Zielgruppe suchte 'Bos' herzustellen bzw. zu verstärken, und zwar über die Achse der 'Ähnlichkeit': Pickwick was seen as he would have actually appeared to a workingclass person, not as a highintentioned innocent, a Quixote to Weller's Sancho Panza, but as an odd, economically pompous old gentleman. He is treated as this audience would have treated him. In the course of the first volume alone, he is ducked eight times, generally in filthy water, and once, in a duel with Squib, the editor of The Guzzelton Mercury, he is shot in the buttocks. [...] As might be expected, Samuel Weller is the true hero. Dickens had balanced this character, so that while his native resourcefulness and wit endeared him to the lowerclass reader, his devoted service to his master made him approved by those who had servants himself [sic]. With 'Bos' this balance is lost. On one occasion, Pickwick finds Sam on the stage during a play and demands his immediate withdrawal; Sam insists on finishing his part – he is in command, and he must have his glory (James 1963, 51f.). Die Version der Pickwick Papers, die 'Bos' der lower class offerierte, war keineswegs die einzige schriftliche Adaption des Romans, den James (1963, 47) als den meistplagiierten seiner Zeit apostrophiert, und der sich seiner Darstellung zufolge aufgrund der mit hohem Wiedererkennungswert versehenen Hauptfigur einerseits und der episodischen Struktur andererseits den Zwecken des Plagiats geradezu empfahl (vgl. James 1999, 457).66 So

65 Diese Form der Popularisierung von literarischen Texten wurde, wenngleich in wohl geringerem Umfang, bereits im 18. Jahrhundert praktiziert. F.R. Leavis (1932, 134f.) diskutiert ein früheres Beispiel, wenn er von der immensen Popularität Sternes berichtet, "which elicited one volume of Tristram Shandy after another [...A] whole public that clamoured for more and more parts of Tristram Shandy is now almost inconceivable. But it did not last long. A proof of what happened to that public lies in a little volume entitled 'The BEAUTIES of STERNE; including all his Pathetic Tales, and most distinguished OBSERVATIONS on LIFE. Selected for the Heart of [135] Sensibility.' [...] This onesided version of Sterne was so popular that by 1782 it had reached a fourth edition, and it proves how much easier it was found to read Sterne for the wrong reasons than for the right ones – that is, to make a partial instead of a complete reponse." 66 Solche Plagiate verdanken ihre Existenz vor allem auch einer unzureichenden CopyrightRegelung: "Plagiarisms were first made to avoid prosecution. By the 1809 Copyright Act, an author's works were protected for twentyeight years. [...] The author, however, had little redress against plagiarism" (James 1963, 45). Ganz abgesehen davon schien Dickens selbst das popularisierende Potential solcher Plagiate bzw. Adaptionen seiner Stoffe schnell erkannt zu haben. J.L. und Barbara Hammond (1962[1930], 322Fn2) berichten jedenfalls: "A 81 verfasste etwa G.W.M Reynolds eine weitere erfolgreiche Adaption mit dem Titel Pickwick Abroad: or the Tour in France. Der Erfolg dieses Textes von Reynolds führte wiederum dazu, dass 'Bos' ein weiteres Plagiat unter dem Titel Mr. Pickwick in America verfasste. Auch Reynolds ließ die PickwickFigur noch mehrere Male auferstehen, etwa in der von ihm herausgegebenen Zeitschrift The Teetotaller, für die er die "Notes Pickwickianae" sowie die Fortsetzungsgeschichte Pickwick Married schrieb (James 1963, 57). Während sich die von Edward Lloyd publizierten Plagiate an eine Leserschraft richteten, die aufgrund von mangelnder Bildung das Original kaum hätten rezipieren können, wandte sich Reynolds nach Einschätzung von James (1999, 459) mit seinen Veröffentlichungen jedoch an ein gebildeteres Publikum. Im Jahr 1852 schließlich erschien mit Edward Viles' Marmaduke Midge, the Pickwickian Legatee erneut eine Adapation der Pickwick Papers. Der Held dieser Erzählung ist allerdings nicht Mr. Pickwick selbst, sondern ein Cousin von ihm. "Pickwick, of course, never appears, but even at this distance of time from the publication of The Pickwick Papers, his name was considered sufficient to raise the sales of a work" (ebd.). James diskutiert auch die Texte von Autoren, die Dickens nicht so sehr plagiierten, sondern sich eher von ihm inspiriert zeigten: "If there were a number of works plagiarizing the characters of Dickens's work, there were yet more who adopted the idea of a club holding together a group of varied characters on travelling adventures" (James 1963, 58). Zu diesen Veröffentlichungen gehören etwa die von einem anonymen Autor verfassten Posthumous Papers of the Cadgers' Club, Major Rudbank at Home and Abroad sowie Pierce Egans The Pilgrims of the Thames in Search of the ational. Auch die folgenden Romane von Dickens wurden für die lower classLeserschaft adaptiert. Oliver Twiss, wiederum von 'Bos' verfasst, ran to more than twice the length of Dickens's novel. As might be expected with a story more organically constructed, the plagiarism followed the original more closely than did The Penny Pickwick. All the main characters reappear: Fagin (called Solomons), Nancy (Polly), Bumble (Theophilus Mumble), and the others. They are overdrawn with melodramatic crudity (James 1963, 60). Eine weitere Oliver TwistAdaption, die ebenfalls den Titel Oliver Twiss trug, wurde von 'Poz' verfasst. Zu dem Zeitpunkt, als Dickens' Verleger Chapman and Hall das Erscheinen von icholas ickleby ankündigten, hatte sich das NebeneinanderExistieren von Original und

great deal of spurious Dickens was produced at this time. Dickens was said to have threatened an injunction at first, but to have admitted afterwards that they were a good advertisement for him." 82

Adaption schon so etabliert, dass sich Merkwürdiges ereignete: Laut James (1963, 63) sprechen alle Anzeichen dafür, dass die erste Folge von Dickens' drittem Roman The Life and Adventures of icholas ickleby, Containing the Fortunes, Misfortunes, Uprising, Downfallings and Complete Career of the ickleby Family am selben Tag erschien wie die erste Folge von 'Bos'' Adaption ickolberry ikollas, Containing the Adventures, Mis Adventures, Chances, MisChances, Fortunes, MisFortunes, Mysteries and Miscellenanious Manoeuvres of the Family of ikollas. Dies hatte zur Folge, dass 'Bos' zu Beginn seiner Adaption nicht so recht wusste, was er da eigentlich imitierte: [H]e was in some straits to conceal what he denied in the opening paragraph – 'we are not ... in want of a hero'. He reproduced his proclamation against dishonest plagiarism, and filled two pages with an extraordinary description of Nicklebery Hall, which he placed near Harrogate in Yorkshire. [...] Only at the end of the second number did he begin to bring his story round to his original with the appearance of 'The New London Limited HotBaked Flourry Potatoe [sic] Conveyance and Delivery Company!!!' Once the unfortunate husband's twins have been identified as Nickelas and Flora Nickelbery, the story continues as the closest of the Dickens plagiarisms up to his date (James 1963, 63f.). John Williams schrieb wenig später eine Fortsetzung zu icholas ickleby: "Scenes from the Life of ickleby Married, 'Edited by "Guess"', with illustrations by 'Quiz' [...] takes up the story of Nicholas where Dickens left off" (James 1963, 67). Ähnlich wie die von Reynolds verfassten Adaptionen war jedoch auch dieser Text eher an ein der Mittel denn der Arbeiterklasse entstammendes Publikum gerichtet (James 1999, 459f.). 1840 veröffentlichte Lloyd eine Adaption von Master Humphrey's Clock unter dem Titel Master Humphries' [sic!] Clock, ebenfalls von 'Bos' verfasst, allerdings vermutet James (1963, 64) in diesem Fall hinter dem Pseudonym einen anderen Autor. Von G.W.M. Reynolds erschien 1842 Master Timothy's BookCase. Überliefert sind ferner Adaptionen von Barnaby Rudge unter dem Titel Barnaby Fudge, geschrieben wiederum von 'Bos' und von Martin Chuzzlewit – 'Bos' entschied sich in diesem Fall für den Titel Life and Adventures of Martin Puzzlewhit. Zur Popularisierung der Romane The Old Curiosity Shop und Barnaby Rudge mögen auch die abgekürzten Versionen beigetragen haben, die Henry Hewitt angefertigt hatte, und die unter den jeweiligen Originaltiteln 1841 in Parley's Penny Library; or, Treasury of Knowledge erschienen (James 1963, 65). Aus Dombey and Son schließlich wurde in Renton Nicholsons Adaption 1847 Dombey and Daughter. Von diesen späteren Adaptionen waren zunehmend weniger auf die unteren Gesellschaftsschichten abgestimmt, da die Autoren, die sich mit ihren Veröffentlichungen an die Arbeiterklasse richteten, allmählich dazu übergegangen waren, ihre eigene Literatur zu verfassen. Viele dieser Texte 83 wurden jedoch zu einem für die lower class erschwinglichen Preis angeboten (vgl. James 1963, 66f.). Zu den häufig adaptierten Werken von Dickens gehört auch, wie James (1963, 70) darlegt, A Christmas Carol. Zwei der zahlreichen Adaptionen dieses ersten von Dickens' Christmas Books zielten wiederum auf die unteren Gesellschaftsschichten: Henry Hewitts A Christmas Ghost Story (1844), dessen zweite Hälfte aufgrund eines entsprechenden Gerichtsbeschlusses nicht erscheinen durfte, und das 1846 erschienene The Christmas Log, dessen Autor nicht bekannt ist, das aber wiederum von Edward Lloyd verlegt wurde. Insgesamt begann jedoch spätestens ab Mitte der 1840er Jahre die Zahl der Adaptionen in Schriftform zurückzugehen. Zu dem Zeitpunkt, als Dickens Dombey and Son veröffentlichte, hatte sie bereits deutlich abgenommen. Diese Entwicklung führt James (1999, 460) vor allem auf generelle Veränderungen innerhalb des Literaturbetriebs zurückführt: "The first flood of imitative works had been produced to fill a dearth of literature demanded by a rapidly increasing mass reading public. By the 1840s this was being supplied by a new generation of popular writers." Im Zusammenhang mit diesen frühen DickensAdaptionen sowie mit dem Verleger Edward Lloyd und dem Autor G.W.M. Reynolds, die er als Protagonisten auf diesem Gebiet betrachtet, betont James (1999, 460) wiederum Dickens' Bedeutung als mass culturePionier: "Through them, if indirectly, Dickens played a part in developing genres of reading that were to be the basis of today's mass literature." Schriftliche Adaptionen von Dickens' Texten gab es indes auch noch in späteren Jahrzehnten. Wie Gillian Avery (1999, 92) darlegt, wurden ab der Wende zum 20. Jahrhundert vor allem Nacherzählungen der Romane für Kinder populär. Dabei ist auch in diesem Fall auf seiten der jeweiligen Autoren das Bemühen erkennbar, die repräsentionale Relevanz der erzählten Stoffe für ihr Zielpublikum zu erhöhen, indem sie den Fokus auf die Kinder in Dickens' Texten richteten, auch in Fällen, in denen diese innerhalb von Dickens' Originaltexten nicht die Hauptrollen einnahmen: The most general approach was through the child characters; David Copperfield was always the most popular [...]. Some books featured minor juveniles as well as the standard principals; Lucy Weldon's Child Characters from Dickens (1905) [...] included children from the Christmas stories; Samuel McChord Crothers's The Children of Dickens (1925), illustrated by Jessie Wilcox Smith, takes in the Jellyby children, the Infant phenomenon, the Kenwigs, Todgers' boy Bailey, Sissy Jupe, young , and Joe the Fat Boy. Kate Dickinson Sweetser's Ten Boys from Dickens and Ten Girls from Dickens (1925) also included less obvious characters such as 'Deputy' from Drood, Kit Nubbles and the Marchioness from The Old Curiosity Shop, and Tilly Slowboy (CH) (Avery 1999, 92f.). 84

Daneben lässt sich in einigen Fällen die Absicht der Autoren erkennen, dem jugendlichen Publikum die Rezeption durch Streichung von Elementen, die auf seiten des Lesers zuviel voraussetzen würden, die als anstößig bzw. als für Kinder ungeeignet betrachtet werden könnten oder nicht direkt mit der Handlung des Textes verknüpft sind und den Fortgang der Erzählung aufhalten würden, zu erleichtern. Die Autorin Annie Douglas Severance etwa erklärte in der Einführung zu ihren verkürzten Versionen von David Copperfield und Oliver Twist, die im Jahr 1905 unter dem Titel The Child's Dickens erschienen, sie habe ihre beiden Vorlagen durch Entfernen von Anstöβigem und Abschweifendem vereinfacht (vgl. Avery 1999, 92). In den letzten Jahren des 20. Jahrhunderts sieht Avery (1999, 93) die Zahl der DickensNacherzählungen zwar zurückgehen, nennt aber eine Ausnahme: "Edward Blishen's Stand up, Mr Dickens (1995) [...] attempts to give the flavour of five novels in the style of a reading by Dickens himself." Michael Slater (1970, 136) diskutiert eine weitere aus dem 20. Jahrhundert stammende Adaption in Schriftform eines DickensRomans für ein erwachsenes Publikum, nämlich Robert Graves' provokant mit The Real David Copperfield überschriebenes Werk aus dem Jahr 1933: Convinced that hardly anyone except 'the great backward of the depressed provinces and semiresidential suburbs' now read Dickens, Graves set himself, he said in a foreword, to rewrite Copperfield 'for the ordinary reader' [...]. For Dickens' 'diluted style' Graves substituted what he felt to be a more acceptable, plainer way of writing and 'tightened up and sorted out' the plot. Neben diesen Änderungen, die wohl mit der Absicht vorgenommen wurden, dem Leser die Rezeption zu erleichtern, bemühte sich auch dieser Autor darum, die repräsentionale Relevanz des Stoffes für sein Publikum zu verstärken: David was made a rather sexier character ('I would have my supper, undress and then quietly get into a warm bed with a halfasleep Dora...') and was given a passionate last scene with Emily, his real love all along, before her departure for Australia and suicide (for she hopelessly reciprocated David's love and ran away with his hero only to hurt him) (Slater 1970, 136f.). Obgleich Dickens heute ungleich häufiger für nichtschriftliche Medien adaptiert wird, erscheinen vereinzelt doch auch zeitgenössische Popularisierungen in Schriftform. Eine solche Adaption des Romans David Copperfield aus dem Jahr 2007 wird in einem späteren Kapitel dieser Arbeit auf die darin verwendeten Popularisierungsstrategien hin analysiert werden.

85

3.2.2 Dickens' public readings Im vorausgegangenen Abschnitt sind bereits erste DickensPopularisierungen, als die sich die Adaptionen seiner Texte für ein Publikum aus den unteren Gesellschaftsschichten betrachten lassen, diskutiert worden. Angesichts der Tatsache, dass Dickens das popularisierende Potential solcher Adaptionen offensichtlich schnell erkannte (vgl. Hammond/Hammond (1962[1930], 322Fn2)), ist es nicht verwunderlich, dass er wenige Jahre später selbst als Adapteur seiner eigenen Texte tätig wurde. "Dickens much liked to be liked", schreibt Philip Collins (1974a, 183), and not just by the few. Since 1836, it had been superabundantly evident that he had more of the literary talents requisite for widespread popularity than any author since Shakespeare; now he showed in the public readings that, miraculously, he also had, more abundantly than any other English writer of comparable importance, the second set of talents needed for platform popularity. Im Jahr 1853 las Dickens erstmals öffentlich aus seinen Texten vor. Waren seine Texte in ihrer schriftlichen Form bei den unteren Gesellschaftsschichten noch in einer von Dickens eher unbeabsichtigten Weise populär geworden, so legte Dickens bei der Planung seiner Lesungen von Anfang an Wert darauf, mit diesen Veranstaltungen ein wiederum möglichst großes und aus allen unterschiedlichen Schichten stammendes Publikum zu erreichen. So legte er fest, dass die dritte seiner für den 27., 29., und 30. Dezember 1853 in der Town Hall in Birmingham geplanten Lesungen von Auszügen aus seinen Weihnachtsbüchern weitgehend für Besucher aus der Arbeiterklasse reserviert sein sollte.67 Wie Collins (2004, 107) betont, war Dickens die Anwesenheit von Vertretern der höheren Schichten jedoch nicht minder wichtig, weshalb er üblicherweise nicht in Theatern auftrat, da diese "für viele ehrbare Familien tabu waren, sondern in städtischen oder institutionellen Sälen." Bei der Auswahl der vorzutragenden Texte und ihren anschließenden Umgestaltungen in vortragsfähige Manuskripte richtete Dickens sein Augenmerk auf die Elemente seines Gesamtwerks, die sich zuvor schon als die populärsten erwiesen hatten. Wie Collins (1974a, 186) darlegt, stammen weniger als die Hälfte der 21 Lesungen, die Dickens im Lauf der fast siebzehn Jahre, während derer er Lesungen veranstaltete, auf die Bühne brachte, aus seinen Romanen. "Most came from the Christmas books and stories; there are several reasons for this, the most obvious being that these shorter narratives were easily adaptable into coherent readings of an appropriate length" (ebd.). Kent listet außerdem Lesungen, die den Romanen

67 Vgl. Kent (1872, 42): "[H]e repeated the 'Carol' to another densely packed throng of listeners, mainly composed, this time, according to his own express stipulation, of workpeople. So delighted were these unsophisticated hearers with their entertainer – himself so long familiarly known to them, but then for the first time seen and heard – that, at the end of the Reading, they greeted him with repeated rounds of cheering." 86

The Pickwick Papers, Oliver Twist, Dombey and Son und David Copperfield entstammen. Philip Collins (1974a, 192) und David Ponting (1983, 120) weisen dezidiert darauf hin, dass Dickens' LesungsRepertoire alle Romane, die nach David Copperfield erschienen waren, ausschloss.68 "From the novels", so Collins (1999b, 486) he usually selected an episode ("The Trial from Pickwick") or short swathe of the action ("The Story of Little Dombey", "Nicholas Nickleby at the Yorkshire School"), eliminating irrelevant characters and developments, coalescing characters, and sometimes raiding the novel for choice phrases and speeches. Schon Charles Kent (1872, 21) betonte, dass Dickens, wenn es um die Bearbeitung seiner Texte für die Lesungen ging, stets größte Sorgfalt walten ließ – eine Tatsache, in der Kent auch eine Erklärung für den anhaltenden Erfolg von Dickens' public readings sieht. It was not by any means that, having written a story years previously, he had, in his new capacity as a reciter, merely to select two or three chapters from it, and read them off with an air of animation. Virtually, the fragmentary portions thus taken from his larger works were rewritten by him, with countless elisions and eliminations after having been selected. Reprinted in their new shape, each as 'A Reading,' they were then touched and retouched by their author, pen in hand, until, at the end of a long succession of revisions, the pages came to be cobwebbed over with a wonderfully intricate network of blots and lines in the way of correction or of obliteration (ebd., 23). Collins (1974a, 190) macht deutlich, wie Dickens, der schon bei der Abfassung seiner Romane die Interessen seiner Leserschaft zu berücksichtigen suchte, auch bei der Gestaltung seiner Lesungstexte stets die Bedürfnisse seines Publikums im Blick behielt, auch wenn das gelegentlich zu Lasten der Kohärenz des resultierenden Lesungstextes ging: The closing episode of Sikes and ancy – added in manuscript after the trial performance – is a striking example of Dickens' skill in selecting and dramatizing. Only eight hundred words long, it draws upon chapters in the novel over ten times that length. But his task in devising this reading was relatively simple, for it derived from five climactic and contiguous chapters of the novel (xlvl, omitting chapter xlix), though reducing their length by about twothirds. David Copperfield set more formidable problems, and the reading lacks coherence: the SteerforthEmilyPegottystory holds together, but would have been dismal and have disappointed audiences who loved other things from the novel, so Dickens included those episodes about Dora and the Micawbers, though they have no relevance at all to the main plot of his reading. Am Beispiel der David CopperfieldLesung legt Collins (1974a, 190f.) auch dar, wie die textliche Umgestaltung der von Dickens ausgewählten RomanInhalte vor sich ging: Dickens abbreviates: descriptive passages go, indications about who is speaking and how are jettisoned as unnecessary, bystanders and other irrelevant characters are

68 Vgl. Ponting (1983, 120): "Dickens stuck to the comic, the tragic and the absurd, believed that his best material for reading was David Copperfield and ignored all the dramatic possibilities of some of his later writings." 87

written out. [...] But there is no substantial rewriting. Apart from condensing, and adding the rare happy phrase and a few bridge passages, Dickens' [sic] alterations are of these minor kinds: improving the diction [...]; slightly thickening a speaker's characteristic idiom [...]; improving the rhythm of a phrase, for spoken delivery, and moving the punch line of a joke or comic phrase to the end of a sentence (pause for laughter); deleting phrases about stance, appearance, action, expression, which the recitalist could convey physically; ommitting local references which might puzzle provincial American audiences [...]. 'Is' becomes 'was then', in a reference to customary attire: and I suspect that some other changes were updatings, to align the readings to contemporary manners [...]. Possibly offensive, or incomprehensible, phrases were removed [...]. Another frequent kind of alteration: jokes are pointed up [...]. Or jokes are made [...]. Or jokes are thwacked home [...]. Or cases are made harder [...].69 Dickens bediente sich hier also einer Auswahl der Popularisierungsstrategien, die in Abschnitt 2.3.2. dieser Arbeit zusammengestellt wurden, etwa der Strategie des updatings, der Kürzung deskriptiver Passagen, der Streichung von Anstöβigem und Unverständlichem sowie der Betonung von Humoristischem. Zudem verzichtete Dickens bei seinen Lesungen generell darauf, sozialkritische Passagen aus seinen Romanen zu rezitieren (Collins 1974a, 192), wie auch Paul Davis (1990, 56) am Beispiel von Dickens' Umgestaltung seines A Christmas Carol zu Vortragszwecken darlegt.70 Dickens hatte diesen Text zunächst zu einer Lesung umgearbeitet, im Laufe der Jahre wurde der so entstandene neue Text noch weiter gekürzt, bis sein Vortrag schließlich nur noch anderthalb Stunden in Anspruch nahm: The cuts he made kept drama at the expense of narrative. [...] He also cut social comment and criticism, removing, for example, Scrooge's discussion of sabbath observance with the Spirit of Christmas Present and the revelation of the urchins Ignorance and Want. What remained most intact over the years were the sections describing the Cratchit family, especially their Christmas dinner, the centerpiece of the reading. Obwohl Dickens also sehr bemüht war, das populäre Potential seiner Texte noch zu erhöhen – laut Davis (1990, 53) sah er in seinen öffentlichen Lesungen eine Chance, auch ein Publikum zu erreichen, das des Lesens nicht mächtig war – und obwohl er bei der Umgestaltung seiner Texte zu vortragsfähigen Manuskripten Collins' soeben zitierten Ausführungen zufolge genau jene Techniken anwandte, die im vorausgegangenen Kapitel

69 Vgl. zu Dickens' Adaptionstechniken auch Ponting (1983, 116f.). 70 Solche Techniken brachten Dickens den folgenden Vorwurf des Schauspielers Emlyn Williams, der ab den späten 1940er Jahren selbst 30 Jahre lang mit Lesungen von Dickens' Texten auftrat (vgl. Pointer 1996, 75), ein: "To me, Dickens the actor – and without having seen him, let us grant that he was as extraordinarily gifted as he may well have been – Dickens the actor did not do full justice to Dickens the author, in the material he chose to perform: I am emboldened to give that opinion after a long and arduous search through the entire Dickens canon, for my own stage material. To me, Dickens the actor chose to ignore the richest and most exciting vein in the whole treasurecave: the descriptive writing. He neglected Dickens the man of literature" (Williams 1969, 192). 88 dieser Arbeit als Popularisierungsstrategien klassifiziert wurden, kann nicht mit Sicherheit behauptet werden, dass Dickens mit seinen Lesungen ein wesentlich größeres Publikum erreichte als mit seinen seinen gedruckten Texten. Außer Frage steht, dass Dickens' Lesungen von unzähligen Menschen, mitunter mehr als 2000 pro Lesung, besucht wurden (vgl. Pointing 1983, 132 und 131). Densely packed from floor to ceiling, these audiences were habitually wont to hang in breathless expectation upon every inflection of the authorreader's voice, upon every glance of his eye, – the words he was about to speak being so thoroughly well remembered by the majority before their utterance that, often, the rippling of a smile over a thousand faces simultaneously anticipated the laughter which an instant afterwards greeted the words themselves when they were articulated (Kent 1872, 19). Ähnlich wie Privatpersonen heute aus bereits erworbenen Tickets für zwischenzeitlich ausverkaufte Konzerte populärer Musiker Kapital schlagen können, indem sie diese Tickets im Internet zum Verkauf anbieten, konnten Viktorianer mit Eintrittskarten für Dickens Lesungen Gewinne von bis zu 2000 Prozent erzielen (vgl. Priestley 1969, 19). Zuweilen war das Interesse an den Lesungen nämlich so groβ, dass ganze Menschenmengen an den Eingängen abgewiesen werden mussten, da die jeweiligen Säle bereits voll besetzt waren (vgl. Kent 1872, 19). Der Großteil der Besucher dürfte zum Zeitpunkt der Lesungen mit Dickens' Werk bereits bestens vertraut gewesen sein: "Dickens knew that, when he read, the words spoken would be almost as well known to his audience as to himself. Those who now heard him previously would have read and reread them in the published versions of his novels" (Pointing 1983, 114, Hervorhebung im Original).71 Emlyn Williams (1969, 190) macht deutlich, inwieweit die Tatsache, dass Dickens den Inhalt seiner Romane bei seinem Publikum als bekannt voraussetzen konnte, sich auf die Adaptionsweise auswirkte: Mr Bob Sawyer embellished one side of the fire, and Mr Ben Allen embellished the other.' No need to describe Bob or to remind the audience what his job was or where he lived. Everybody knew. 'All this time I had gone on loving Dora more than ever.' Who was Dora? No need to explain. Everybody knew. Collins (1974a, 188) schlussfolgert: [O]ne of the major delights of Dickens' readings was the pleasure of recognition, most famously instanced by the audience's cheer, which became traditional, during The Trial from 'Pickwick'; when Serjeant Buzfus said, 'Call Sam Weller,' audiences almost

71 David Ponting (1983, 114f., Hervorhebung im Original) mutmaßt, dass gerade in der Vertrautheit von Dickens' Publikum mit seinen Texten zum Zeitpunkt der Lesungen für Dickens eine Herausforderung lag: "[O]ut of the descriptive passages and the published illustrations [in the novels], the private reader would have already conjured each character; and these mental images would be perfect, like the perfect 'sets' in radio plays. Now Dickens would have to provide a real, physical shape to each character, a distinctive body attitude, and, perhaps most difficult of all, he had to provide a voice, and convince them all that his was definite." 89

always applauded the mere mention of this character, who had not yet appeared in the reading. Dennoch wirkte sich nach Ansicht von Kent (1872, 21) Dickens' Erfolg mit seinen Lesungen durchaus auch auf seine Popularität aus: "It strengthened and extended his already widely diffused and intensely personal popularity." "[I]n his later years, the world knew him as much by his readings as by his books", urteilt Collins (1974a, 185). Zusammenfassend lässt sich Davis' (1990, 53) Einschätzung zitieren: "[N]othing did more for Dickens' popular image than his public readings."

3.3 Dickens' Popularität über seinen Tod hinaus und Beginn der literaturwissenschaftlichen Beschäftigung mit seinem Werk Dass sich Dickens zu seinen Lebzeiten einer in jeder Hinsicht ungewöhnlichen Popularität erfreute, wurde in den vorausgegangenen Abschnitten dieser Arbeit gezeigt. Wird die Frage untersucht, inwieweit sich diese Popularität nach Dickens' Tod im Jahr 1870 fortsetzte, ergibt sich zunächst ein uneinheitliches, wenn nicht gar widersprüchliches Bild. Etliche Forscher konstatieren in den Jahren nach Dickens' Tod ein Abnehmen der Popularität seiner Texte und führen dieses Phänomen auf die Kurzlebigkeit populärer Kultur zurück, die im zweiten Kapitel dieser Arbeit bereits diskutiert wurde. So spricht K.J. Fielding (1970, 94) vom Aufkommen einer jüngeren Generation "with different tastes, calmer opinions, a less vigorous sense of humour." Fielding zitiert in diesem Zusammenhang die Ausführungen von Francis Phillimore, der im Jahr 1884 im Vorwort zu Dickens' Memento bemerkt hatte: After ... the doubtful justice and the elaborate candour of the 'Life' by Forster, had caused a certain revulsion of feeling ... the question was, How would young people relish Dickens? And the answer was divided. By many – rather fastidious than refined ... Dickens's pathos and his dramatic movement, his caricature and his comedy were all involved in a general and complete rejection, as something too strong and coarse and obvious for modern feeling. By others, divisions and distinctions were made ... and the swagger and grimace and effort of so much of [his] work were liberally acknowledged as accidental rather than essential (z.n. Fielding 1970, 94). Auch George H. Ford (1955, 180) erkennt einen 'Entthronisierungsprozess' des Autors spätestens um die Jahrhundertwende, den er auf ein Zusammenspiel verschiedener Faktoren zurückführt, die aber alle mit dem ephemeren Charakter populärer Kultur zu tun haben: There was a shift of taste; there was a development of new theories of the novel, and there was a recognition by English readers of fresh talents among the novelists of England, France, America, and Russia, a recognition stimulated partly because these talents were in accord with the shift of taste. "We do, however, know that, in the twelve years following his death in 1870, Dickens' 90 publishers sold a total of fourandaquarter million volumes of his works", gibt William Axton (1976, 28) demgegenüber zu bedenken. Wie Sylvère Monod (1970, 101) darlegt, verkauften sich Dickens' Romane auch nach der Jahrhundertwende weiterhin gut. Allein die Verleger Chapman and Hall setzten in den ersten sechs Jahren des 20. Jahrhunderts zwei Millionen Exemplare von Dickens' Werken ab. George Gissing schrieb im Jahr 1902: "By the multitude he is read as he ever was, with delight in his strong characteristics, regardless of his prominent defects; the intelligent read him, in spite of a severity of criticism such as no other novelist has undergone and survived" (z.n. Monod 1970, 101). Andrew Sanders (2003, 176) sieht in der Tatsache, dass noch in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts ein Dickens bezogener MarketingArtikel erschien, ein weiteres Indiz für Dickens' fortdauernde Popularität: In the early years of the twentieth century the Royal Doulton factory issued a commemorative plate showing the head and shoulders of a beningly bearded Dickens against a background of London with St Paul's looming over the novelist's right shoulder. The rim of the plate shows the heads of eleven characters from Dickens's novels arranged in the manner of a wreath or a nimbus. With the exception of the head of Little Dorrit, all of the characters come from novels published in the first half of Dickens's writing career. [...] Most of the heads derive from the original illustrations to the novels by George Cruikshank and H.K. Browne ('Phiz'). [...] The Doulton plate can be seen as reflecting much of the popular perception of Dickens's art in the first half of the twentieth century. The fact that it remained in production for many years is not just a testimony to the author's continuing appeal to readers and collectors alike but also an indication of the understanding of the kind of novelist Dickens was. Die Qualität von Dickens' Popularität in den Jahren zwischen 1920 und 1940 hat Michael Slater (1970, 125) untersucht: On one thing all champions of Dickens in this period were agreed: he was still a great popular novelist. […] On 12 June 1920 John o'London's Weekly published an article 'Is Dickens still popular?' which set forth the results of a questionnaire extensively circulated among public librarians. This showed that his works were greatly in demand – of the 75 copies of novels held in Newcastle libraries 53 were in use on the day when the City Librarian compiled his statistics. [...] In 1931 the Mayor of Bath, speaking as Chairman of the Municipal Library, observed, 'We have difficulty in keeping pace with the demand for Dickens's works [...]. Publishers, too, bore witness to Dickens's popularity. He was, reported Dent's in 1928 [...], a bestseller in their Everyman's Library series [...]. By 1935 Copperfield (helped by the M.G.M. film no doubt) was outselling all 900 titles in Everyman and all 300 titles in Collins Illustrated Classic series [...]. In the spring of 1931 readers of The Daily Telegraph debated in the correspondence columns the question of whether Dickens was still read and, on April 8th, a Mr Baxter wrote in to report the following question: '"You never seem to have a book by Dickens," I said to a secondhand book dealer some little time ago. "Is he no longer popular?" "He is so popular," was the answer, "that as soon as I get in a copy of any 91

single one of his books it is snapped up"' (Hervorhebungen im Original). Ein weiteres Indiz für Dickens' anhaltende Popularität in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts sieht Slater (1970, 128) auch in der Häufigkeit der Würdigungen, die Dickens zu dieser Zeit durch die britische Presse zuteil wurde: On the fiftieth anniversary of his death over 30 commemorative articles appeared in the national and local press [...] while the Pickwick Centenary called forth so many articles that it took six pages of The Dickensian to list them [...]. As for Christmas, it seems that few periodicals dared to let the season pass without some feature on 'The Spirit of Dickens' or (in more secular mood) 'The Very Dickens of a Christmas'. Zudem schien es noch in den 1930er Jahren für britische Zeitungen möglich gewesen zu sein, mit Hilfe von Dickens' Werk zusätzliche Leser zu gewinnen: The death of Dickens's last surviving child, Sir Henry Dickens, released for publication the life of Christ which Dickens had written for his children and which he had stipulated was not to be published until they were all dead. The Daily Mail bought it for serial publication at a cost of L 40,000 (more than L 1 per word [...]) and 'posters appeared in the tube stations and other prominent places of Dickens's head looking out from a crown of thorns.' Unhappily for the Mail, the Daily Express startled the public on 3 April 1934 with a revelation that, according to the biographer Thomas Wright, Dickens had had a mistress and this got the serialised Life of Our Lord off to a rather bad start (Slater 1970, 130). Auch für die 1940er und 1950er Jahre hält Philip Collins (1970, 152) fest: Dickens's worldwide popularity, indeed, was fully maintained. 'DICKENS STILL GOING STRONG,' ran a headline in The Times (10 April 1958), reporting the completion of the New Oxford Illustrated Edition, with Pickwick and Copperfield 'neck and neck in the lead'; as Mr Wilson of Bumpus told The Times, Dickens was a 'most consistently steady seller and, if anything, doing better now than ever. Sets of Dickens are a bookseller's best stock' (Hervorhebungen im Original). Noch für das Jahr 1970, in dem Dickens' 100. Todestag begangen wurde, bemerkt Ford (1970, 227): "One hundred years after Dickens's death the remarkable phenomenon [...] is how he has contrived to hold the attention of a impressively vast body of readers." Bezüglich des gegenwärtigen Status von Dickens' Popularität führt Sanders (2003, 176) aus: [T]he immediate rapport that Dickens the writer had with his original audience seems to have been passed on from generation to generation. That special rapport is still effective at the beginning of the twentyfirst century. No other English novelist carries with him so much popular baggage. Trotz aller dieser Einschätzungen hat sich die Qualität von Dickens' Popularität seit seinem Tod doch gewandelt. Michael Slaters Zugeständnis (s.o.), dass die hohen Verkäufe des Romans David Copperfield in den 1930er Jahren sich zumindest teilweise der Verfilmung aus dem Jahr 1935 verdankten, macht deutlich, dass schon zu dieser Zeit Dickens' Romane ihren populären Status offensichtlich nicht mehr ausschließlich 'aus eigener Kraft' behaupten 92 konnten. So räumt etwa auch Collins (1970, 151) ein: "[Dickens's] enduring popularity has owned an incalculable amount to the ease and felicity with which his stories have proved translateable into several dramatic media." Das Medium Film nahm mit seinen Adaptionen von Dickens' Romanen, die mit Aufkommen dieses neuen Mediums um die Wende des 19. zum 20. Jahrhundert unverzüglich einsetzten, im Bezug auf die Popularisierung von Dickens' Texten eine immer größere Bedeutung ein. Zudem wurde Dickens' Popularität ab einem gewissen Zeitpunkt nach 1870 wohl mit anderen Maßstäben gemessen als zu seinen Lebzeiten. Ab den 1940er Jahren findet immer häufiger der Begriff popular classic im Zusammenhang mit Dickens Anwendung, der laut Clive Bloom (2002, 15) "an almost oxymoronic concept" darstellt – "a work still read as a type of a superior entertainment, alongside the canon of serious literature when a superior reading 'holiday' is required." Die im Fall von Dickens' Werken bereits festgestellte starke Präsenz in anderen Medien ist nach Darstellung von Bloom (2002, 27) maβgeblich dafür, einen Klassiker zum populären Klassiker werden zu lassen: "The popular 'classic' becomes so by uniting and holding the varied ideological positions of one class or group whilst appealing to other groups through other media (film or television series)." Entsprechend reiht Collins (1970, 148) Dickens für die Zeit der 1940er bis 1960er Jahre in eine sehr kleine Gruppe populärer Klassiker ein. Noch dezidierter formuliert Ford (1955, 227) für die 1950er Jahre: [L]ibrarians in England still report that Dickens is approached only by Scott in having the largest circulation of any 'classic' writer. Among those members of the general public who are prepared to read books from earlier times, Dickens has continued to hold a remarkable lead (meine Hervorhebungen). Und Anfang der 1960er Jahre resümierte auch Pearson (1962, xviii): "Dickens [...] has always held a uniquely priviledged position as a truly popular classic." Wie zuvor gezeigt wurde, spielt das Bildungswesen in Fällen, in denen ein Werk einen Kategoriewechsel erfährt und zum Klassiker wird, eine tragende Rolle (vgl. Abschnitt 2.1). Da kritische Diskurse "den Wert eines Kunstwerks mitproduzieren, den sie bloβ zu verzeichnen vorgeben" (Bourdieu 1999, 364), dürfte dem um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert sich verstärkenden literaturwissenschaftlichen Interesse an Dickens' Werk eine beträchtliche Bedeutung für dessen Erreichen des Klassikerstatus zukommen. Wie K.J. Fielding (1970, 86) darlegt, wurde Dickens nach seinem Tod zunächst sowohl von den ihm nachfolgenden SchriftstellerGenerationen als auch von der Literaturwissenschaft weitgehend ignoriert – eine Vernachlässigung, für die Fielding die drei folgenden Gründe anführt: First, there was a resentment felt on the part of some of the universityeducated, professional class at the criticisms they thought Dickens had directed against them; 93

this was then involved with a certain shrinking restraint by many who saw him as vulgar; and finally they were both allied with a plain demand for change – with that underlying tendency to the nature of fiction and its readers which leads the Novel to live up to its name and causes them constantly to ask for something new. "The somewhat doctored reminiscences of such friends and acquaintances" von Dickens wie Edmund Yates, Percy Fitzgerald and James Payn bildeten den Großteil dessen, was bis zum Ende des 19. Jahrhunderts an Literatur über Dickens verfasst wurde (vgl. Fielding 1970, 98). Fielding (1970, ebd.) hebt als gewissenhaftesten und repräsentativsten der frühen Dickens Forscher F.G. Kitton hervor, Verfasser zahlreicher Darstellungen zu Dickens' Leben und Werk, etwa einer Biographie, die im Jahr 1902 erschien, als auch der Werke Dickensiana (1886), The Minor Writings of Charles Dickens (1886), The ovels of Charles Dickens (1897), Charles Dickens by Pen and Pencil (1890) sowie Dickens and His Illustrators (1890). Als Höhepunkt der DickensKritik vor der Wende zum 20. Jahrhundert bezeichnet Fielding (1970, 99) George Gissings 1898 erschienene Monographie Charles Dickens: A Critical Study. Insgesamt gestaltete sich in den Jahren vor und nach der Jahrhundertwende die Beschäftigung mit Dickens zumeist noch recht amateurhaft und unwissenschaftlich, wie etwa Sylvère Monods (1970, 101ff.) Ausführungen erkennen lassen. So bezeichnet er Gissings Veröffentlichung trotz ihrer Vorzüge als teilweise inakkurat. Auch der Dickens Monographie von G.K. Chesterton, den er ansonsten als bedeutendsten DickensForscher der Jahre zwischen 1900 und 1920 apostrophiert, bescheinigt er zahlreiche Fehler und Schwächen (Monod 1970, 111f.) Noch im Jahr 1941 urteilte House (1941, 11) über die Qualität der DickensForschung bis dato: 'Dickensian' scholarship [...] is in one sense or another largely historical. It is concerned to identify persons and places in the novels and stories, to discover 'originals'. The proper interest of such discoveries is only in their relevance either to Dickens's own biography or to the social history behind his novels: and in recent years nearly all the most valuable work has been biographical. Die substanzielle literaturwissenschaftliche Erforschung von Dickens' Werk setzte erst zu Beginn der 1940er Jahre mit den Studien von Edmund Wilson ("Dickens: The Two Scrooges", 1940), George Orwell ("Charles Dickens", 1940) und Humphrey House (The Dickens World, 1941) ein. Dieses zunächst zögerliche Heranreifen der Dickensbezogenen Literaturwissenschaft wird auch von der Geschichte der Dickens Fellowship reflektiert. Diese im Oktober 1902 gegründete Vereinigung konnte im Jahr 1905 bereits auf 6500 Mitglieder, etwa 25 britische Zweige sowie sieben weitere in Übersee (in den USA, Kanada, Australien und an der Goldküste) verweisen, vereinte zunächst aber noch größtenteils Mitglieder, die sich zwar 94 enthusiastisch, aber auch recht unkritisch mit Dickens' Leben und Werk auseinandersetzten (vgl. Sanders 2003, 185). Die von der Fellowship herausgegebene Zeitschrift The Dickensian wurde ebenfalls zunächst als "Magazine for Dickens Lovers" konzipiert, entwickelte sich jedoch über die Jahre hinweg zu einem "muchrespected vehicle for both scholarly investigation and critical debate" (ebd.).

3.4 Adaptionen von Dickens' Texten für Theater, Film und Fernsehen "Although we tend to think of Dickens primarily as a novelist, his books have from the beginning overstepped the bounds of print" (Petrie 1974/75, 185). Die folgenden Abschnitte werden einen Überblick über die Adaptionen von Dickens' Texten für Theater, Film und Fernsehen geben, die zwischen 1837 – dem Jahr der Erstveröffentlichung der Pickwick Papers – und den frühen 1990er Jahren entstanden sind. Das ist deshalb notwendig, da im Fall zahlreicher dieser Adaptionen der Versuch erkennbar ist, das populäre Potential mittels ähnlicher Strategien zu erhöhen, wie sie noch heute im Zuge von Popularisierungsprozessen Anwendung finden. Somit lassen sich etliche der im Folgenden jeweils kurz angesprochenen Adaptionen als Vorstufen zu späteren Popularisierungen betrachten. Bis ins frühe 20. Jahrhundert hinein war es zunächst das Medium Theater, das einen Beitrag zur (weiteren) Popularisierung von Dickens' Werken leistete. In den Jahren zwischen den beiden Weltkriegen lag dann laut Philip H. Bolton (1987, 5f.) das Interesse der Theaterschaffenden an Dickens zeitweilig brach. Diese Jahre bezeichnet Bolton als eine Zeit der "technological diaspora, when Dickens's characters emigrated from the novels and the stages to the several new mimetic media of radio, the talking picture, and even early television" (ebd.). Das Theater verlor damit für die DickensPopularisierung an Bedeutung, zumal mit den zum damaligen Zeitpunkt neuen Medien auch zahlenmäβig ein gröβeres Publikum erreicht werden konnte (vgl. Pointer 1996, 34). Allerdings scheint Boltons Formulierung vom 'zeitweiligen' Brachliegen des Interesses der Theaterschaffenden an Dickens zu implizieren, das dieses Interesse auch wieder aufflammte. Und in der Tat war Dickens' Werk punktuell auch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts noch Erfolg auf der Bühne beschieden. Allerdings dann vornehmlich mit Adaptionen für Genres, die vom Fernsehen nicht in der gleichen Weise bedient werden können wie von der Theaterbühne – etwa dem Musical und der EinMann Show.

95

3.4.1 Adaptionen für das Theater Dramatisierungen von Dickens' Romanen erschienen bereits auf den Spielplänen der Theater, noch ehe Dickens die jeweiligen letzten Fortsetzungen verfasst hatte. Das hatte zur Folge, dass Dramaturgen sich ihre eigenen DramenAusgänge einfallen ließen und diese auf die Bühne brachten (vgl. Collins 1974b, 8). Angesichts der Tatsache, dass Dickens' Werk eine Vielzahl von dramatischen Qualitäten aufweist, was auch von der DickensForschung immer wieder reflektiert wurde, scheint die Beliebtheit seiner Werke bei den Theaterschaffenden im 19. Jahrhundert kaum verwunderlich. Die diesbezüglich eindeutigste Einschätzung lieferte wohl Edmund Wilson (1941b, 3), der Dickens als "greatest dramatic writer [...] since Shakespeare" apostrophierte (meine Hervorhebung). Aber auch in jüngeren Darstellungen wird der dramatische bzw. theatralische Charakter von Dickens' Werk immer wieder betont. John Glavin (2001, 195) etwa führt aus: Through the middle third of the nineteenth century Dickens's most ambitious peers pushed fiction increasingly and impressively toward realism. Anyone who reads Thackeray, Charlotte (but not Emily) Brontë, Eliot, and Trollope feels that Dickens is in that company anomalous. In contrast to their increasingly naturalistic solidity, Dickens is, well, theatrical. Auch Richard J. Dunn (1993, 20) bezeichnet Dickens als "most dramatic novelist, unsurprising because of his lifelong love of theater, his activity in amateur theatricals, and his public readings." Die dramatischen Elemente in Dickens' Werk sieht Dunn (ebd.) in its visual and vocal sharpness. Readers 'see' as they 'hear' Dickens. The visual was reinforced by the illustrations that accompanied each monthly number (and that gave the cues for casting and set design for so many stage and screen versions of Dickens's novels). Annegret Maack (1991, 47) konstatiert das Vorhandensein zahlreicher "stagey scenes" in Dickens' Romanen, "die ohne große Änderungen auf einer Bühne aufgeführt werden könnten." Wie Deborah Vlock (1998, 10) darlegt, gab es zwischen den unterschiedlichen Textsorten im 19. Jahrhundert zahlreiche Übergänge – ein Befund, auf den auch Dickens’ häufig zitierte Aussage "Every writer of fiction, though he may not adapt the theatrical form, writes in effect for the stage" (z.n. Glavin 1999, 19) hindeutet: Novels and theatrical entertainments, novels and journalistic prose, novels and poetry constantly slipped in and out of mutual embrace. Henry Mayhew's London Labour and the London Poor influenced scores of novels and plays, no less than other novels and plays had shaped Mayhew's imagination. Poems like Robert Browning's The Ring and the Book and Elizabeth Barrett Browning's Aurora Leigh adopted novelistic gestures. And the contemporary stage provided material for novels, which they themselves generously reciprocated, so that the lines between theatre and prose 96

fiction were fluid, and novel reading was performed in the rich and ambiguous area in between. Laut J.B. Priestley (1969, 28) resultiert der theatralische Charakter von Dickens' Texten aus direkten Anleihen beim zeitgenössischen Melodrama: His hardhearted moneylenders and misers and his villanous aristocrats were borrowed from the theatre. His largescale and overworked pathos, as distinct from his natural touches of real pathos, came from the theatre: we can almost see the lights fading and hear the muted strings in the orchestra pit in his lingering deathbed scenes. There was no gain here, only loss. But even the most tearful of the melodramas of the 1830s usually offered some comic relief, scenes dominated by the company's favourite comedians. Such scenes, however, were mostly written by hacks, certainly not by any humorist of genius. And now here, with comedy that had its roots in the theatre but was fruitfully and marvellously expanded by Dickens, there was no loss, all was sheer gain. Vlock (1998, 141 und 32) sieht Dickens’ Gesamtwerk vom Genre des Melodramas beeinflusst, beginnend mit den zum Teil ebenfalls für die Bühne adaptierten Sketches by Boz (vgl. Bolton 1987, 67ff.) bis hin zu den späten Romanen: The sketches often collapse the boundaries between 'real life' and the stage, using theatrical metaphors to describe ordinary people going about their daily business, as well as illustrating the importance of popular entertainments to middle and lowerclass family life in London. [...] [A]ll of the novels, even the late ones, rely on melodramatic codes. The stories he tells, from Oliver Twist's to Sidney Carton's, feature such elements as obscure births, longlost relations, unexpected fortunes, desolate orphanheroes, and threatened orphanessheroines – all standard melodrama devices. Even the psychologically richer characters in the late novels can be recognized as more sophisticated versions of theatrical types. In dieser starken Beeinflussung von Dickens durch das Melodrama des 19. Jahrhunderts, sieht Vlock (1998, 58) auch einen der Gründe für die klassenübergreifende Rezeption von Dickens' Texten72. Priestley und Vlock urteilen jedoch übereinstimmend, dass das von Dickens Geschaffene über das hinausging, was das Genre des Melodramas zu leisten imstande war, weshalb Priestley (1968, 28) als Beschreibung für Dickens' Werk den Begriff "supertheatre" wählt. Vlock (1998, 28) führt aus: The idealistic young hero, the physically threatened heroine, the wicked patriarchal authority figure, all part and parcel of the standard melodramaric plot, live and work in icholas ickleby, and in virtually all of Dickens' novels. Yet they transcend the structures of gross melodrama. This has something to do with Dickens' brilliant critical eye and comic sensibility, his exquisite narrative abilities, his profound

72 Vgl. Vlock (1998, 58): "Victorian readers of any class could read the novels in theatrical context, participants in an elaborate culturalaesthetic compact, an allinclusive 'inside joke,' because people of all classes enjoyed virtually the same theatrical diet in the midnineteenth century. If segments of the audience processed the experience differently from each other, they at least presumed the same semiotic language in assimilating what they saw on the stage.” 97

understanding of pathos. It may also be explained generically. In spite of that generic conflation characteristic of the nineteenth century, novels and plays did, of course, sustain generic integrities (Vlock 1998, 28). Robert Garis begründet seine Charakterisierung von Dickens' Werken als "theatrical art" (Garis 1965, 24) mit seiner Einschätzung, dass sich die darin auftretenden Figuren als performers charakterisieren lassen: Lady Dedlock gives performances of cold hauteur and selfcommand for, among others, Mr. Tulkinghorn, who provides the appropriately expert audience for her 'act'. When she is alone Lady Dedlock is no less a performer than when she is in public, though her style is a different one, that of operatic anguish and torment. In fact all of the typically Dickensian characters can best be thought of as 'performing' their own personalities or the emotions characteristic of their 'roles'.73 Dass Dickens' Texte trotz aller ihrer dramatischen Qualitäten schwer zu adaptieren sind, wurde allerdings in der Forschung auch wiederholt betont. Bereits im Jahr 1849 schrieb ein anonymer Rezensent Dickens eine Eigenheit zu – [a] peculiarity attached to all writers like Charles Dickens, that, dramatic as their compositions are in themselves, so unsuited are they to stage representation. An assertion like this sounds, we have no doubt, rather paradoxical, but a few words will prove that in substance it is quite the contrary. When a work is written, embracing so wide a sphere of action, and bringing into display the different passions, feelings, and pursuits of so many persons, as must of necessity form the dramatis personae of such works as 'Nicholas Nickleby', 'Oliver Twist', and tales of like standard, the reader can very well follow the current; but far different is it when, condensed into a very narrow compass, such works are presented to an audience, akin to their prototypes only so far as costume and scenery extend (z.n. Bolton 1987, 34). Obgleich auch John Glavin (1999, 63) die Ansicht vertritt: "[T]he Dickens novel flees from adaptation", existieren, wie Philip H. Bolton (1987) ermittelt hat, Adaptionen von allen DickensRomanen und nahezu von allen anderen von ihm verfassten bzw. coverfassten Texten – auch von den weniger bedeutenden und heute kaum mehr geläufigen, wie etwa "The Seven Poor Travellers" (vgl. Bolton 1987, 373) oder der von Dickens in Zusammenarbeit mit Wilkie Collins verfassten Novelle The Perils of Certain English Prisoners. Allerdings wurden nicht alle Texte im gleichen Umfang adaptiert, was angesichts der Tatsache, dass – wie zuvor gezeigt wurde – nicht alle Romane von Dickens bei seinem Publikum in gleichem Maße populär waren, kaum verwundern dürfte. Bolton (1987, 50) spricht bezüglich der Dramatisierung von Dickens' Texten für das zeitgenössische Theater im 19. Jahrhundert von zwei 'Wellen' – "the first when Boz first burst

73 Priestley (1969, 27) nennt als weiteres Beispiel Mr Squeers aus icholas ickleby an: "[H]e is a superb comedian playing a horrible schoolmaster. And as much might be said of many other characters, especially in the earlier novels. […] They deliberately overdo their characters, making them more and more preposterous but more and more laughable, to entertain us." Ähnlich attestiert Ana Laura Zambrano (1972, 151) der Figur Micawber aus David Copperfield "much of the flamboyance of a musichall comedian". 98 upon the scene; the second just after Charles Dickens had died." Wie Bolton (1987, 189) zeigt, begann ab Erscheinen des vierten Romans, The Old Curiosity Shop, das Interesse der Dramaturgen an Dickens nachzulassen, nachdem die Pickwick Papers, Oliver Twist und icholas ickleby in einer Vielzahl von unterschiedlichen Adaptionen auf den Bühnen zu sehen gewesen waren. Diese Entwicklung setzte sich mit Barnaby Rudge, Martin Chuzzlewit und auch A Christmas Carol fort. Zwar schienen die positive Reaktionen der Dramaturgen auf Dickens' zweite Weihnachtsgeschichte, "The Cricket on the Hearth", einen erneuten Aufschwung einzuläuten, dennoch konstatiert Bolton (1987, 306) ab Veröffentlichung von Dombey und Son das Einsetzen eines zweiten Abwärtstrends: For after "The Cricket on the Hearth" in 1845, which had reversed a downward trend by generating a new burst of theatrical enthusiasm for Dickens, in 1846 "The Battle of Life," and in 1848 "The Haunted Man" were both distinctly less frequently dramatized upon first appearance than the predecessor of each. Thus continued the downward trend in the growth of Dickens dramatizing industry – which was of course still basically expanding like a publicly owned corporation of no benefit to its nominal Chief Officer. But now it was expanding at a slower rate than before. Mit David Copperfield nahm das Interesse der Theaterschaffenden an Dickens vorübergehend wieder zu (Bolton 1987, 321), dennoch setzte sich der Abwärtstrend mit den darauffolgenden Romanen Bleak House, Hard Times, Little Dorrit, A Tale of Two Cities und Great Expectations fort. Our Mutual Friend brachte erneut einen leichten Aufschwung (Bolton 1987, 430), erst Dickens' Tod im Jahr 1870 jedoch vermochte der Industrie der DickensDramatisierungen wieder wirklichen Auftrieb zu geben: [A]lmost nothing restrained the dramatic adaptors, and the greatest burst of theatrical enthusiasm for Dickens occurred – greater even than in the first affection between the novelist and his adoring public during the late 1830s and early 1840s. Two nations – England and America – seemed publicly to mourn the passing of the prose bard, and to celebrate his imagination on their stages for about fifteen years until, during the middle 1880s, enthusiasm began to wane (Bolton 1987, 4). Adaptionen für das zeitgenössische Theater fungierten im 19. Jahrhundert als Gradmesser für die Popularität eines Autors und/oder seiner Werke (vgl. Bolton 1987, 38). Gleichzeitig trugen die so entstandenen Dramen – ähnlich wie heute Verfilmungen für Kino und Fernsehen – zur weiteren Popularisierung ihrer Originaltexte bzw. deren Autoren bei: "During the novelist's lifetimes, these plays helped to shape the audience to his books, helped to promote their sales, and both catalyzed and interfered" (Bolton 1987, 43). Einige Beobachtungen von Louis James bezüglich der Pickwick Papers veranschaulichen das dialektische Verhältnis zwischen der bereits vorhandenen Popularität von Dickens' Werk und deren weiterer Popularisierung: 99

[T]he Pickwickians invaded music hall and public house as well as the theatre […]. At 'Manders' [...] members formed 'The Pickwick Club', where they could listen to songs such as 'Sam Weller's Adventures', sung by Mr. J. Thomas. Here, however, names of the Pickwickians were used often merely as a selling tag. The Pickwick Songster (1839), or Lloyd's Pickwickian Songster (c. 1837), have little Dickensian in them other than the title. The name was used to denote something amusing [...] (James 1963, 49f.). Mr. Pickwicks Omnipräsenz in allen diesen von James genannten Bereichen zeugt einerseits von seiner enormen Popularität. In welch beträchtlichem Ausmaß schon diese frühen Adaptionen für Theater und Musical Hall allerdings zur weiteren Popularisierung von Dickens' Werk beitrugen, zeigt etwa das Titelbild der bereits 1838 herausgegebenen Veröffentlichung Mr. Pickwick's Collections of Songs. Das Cover dieser Veröffentlichung zierte ein Bild von Sam Weller –"not as portrayed by Hablot K. Browne, but as impersonated by Edmund Yates" (James 1963, 49). Die offensichtliche Effektivität solcher frühen Popularisierungen lässt sich zumindest teilweise dadurch erklären, dass sich schon aus diesen BühnenAdaptionen einige der Popularisierungsstrategien rekonstruieren lassen, die in Abschnitt 2.3.2 dieser Arbeit benannt wurden. Paul Davis (1990, 9) bemerkt etwa in Bezug auf The Christmas Carol, dass Adapteure Dickens' Plots häufig um bestimmte Elemente anreicherten, etwa zusätzliche Charaktere, um damit die Melodramatik des Stoffes zu verstärken und ihn so den Bühnenkonventionen seiner Zeit anzupassen. Davis diskutiert exemplarisch C.Z. Barnetts Adaption, die den Titel A Christmas Carol; or, the Miser’s Warning! trug, und für die Barnett etwa die Figur des 'Dark Sam' erfand, "who tries to ruin Cratchit's Christmas by stealing his wages" (ebd.). Barnett nahm indes noch weitere gezielte Änderungen an seiner Vorlage vor, wie Davis (1990, 47) darlegt: Cratchit's character, for example, is expanded with cockney wit. [...] In Dickens' original, such cockney wit belongs to Scrooge or to the narrator. Giving it to Bob allies him to some popular stage figures of the day, but it considerably changes his character. Darüberhinaus war Barnett offensichtlich darum bemüht, die potentielle repräsentionale Relevanz seiner Adaption für sein Publikum aus den unteren Gesellschaftsschichten über die Achse der 'Ähnlichkeit' durch Hinzufügung von Szenen, die sich in deren Milieu abspielten, zu verstärken (ebd.). Auch scheinen schon im 19. Jahrhundert bestimmte Schauspieler zu Popularisierungszwecken herangezogen worden zu sein. Dabei lassen sich zwei unterschiedliche Strategien ausmachen: Die erste bestand darin, Rollen in Dickens Adaptionen mit Schauspielern zu besetzen, die bereits in anderen Produktionen desselben 100 oder eines anderen Werkes von Dickens erfolgreich auf der Bühne gestanden hatten. Wie Jeffrey Richards (1997, 329) Ausführungen erkennen lassen, wurden durch die mehrfache Besetzung bestimmter Rollen mit denselben Schauspielern diese schnell mit den entsprechenden Charakteren aus Dickens' Werk identifiziert: W. J. Hammond mit der Rolle des Sam Weller oder John Martin Harvey mit der des Sydney Carton. Auch der Name der Schauspielerin Jennie Lee war alsbald untrennbar mit ihrer Rolle des 'crossing sweeper' Jo aus Bleak House verbunden. Daneben fanden sich häufig die Namen von Schauspielern auf den Besetzungslisten, die bereits in anderen Rollen aus Dickens' Werk brilliert hatten. Die zweite Strategie bestand darin, Rollen mit Schauspielern zu besetzen, die sich bereits – unabhängig von Dickens – in anderen Rollen einen Namen gemacht hatten. Auch von dieser – wohl noch effektiveren Strategie – wurde im 19. Jahrhundert mitunter Gebrauch gemacht: Sir Henry Irving during his long and illustrious career played Nicholas Nickleby, David Copperfield, Bill Sikes, , John Peerybingle and Mr Dombey. [...] His great rival Sir Herbert Tree doubled the roles of Micawber and in his production of David Copperfield and also played Fagin and John Jasper (Richards 1997, 328). In einer in New York aufgeführten Oliver TwistAdaption wurde die Rolle der Nancy mit der Schauspielerin Charlotte Cushman besetzt: "[S]he who had nurtured earlier fame popularizing Walter Scott now lent some of that fame to Charles Dickens" (Bolton 1987, 105). Obgleich Dickens es kaum gutheißen konnte, dass Dramaturgen seine Romane noch vor deren Fertigstellung und mit von ihm nicht autorisierten Ausgängen auf die Bühne brachten – diese Vorgehensweise parodierte und kritisierte er etwa in icholas ickleby74 aufs Heftigste – war er sich der popularisierenden Wirkung solcher Adaptionen durchaus bewusst: Dickens was far from averse to exploiting popular theater as another avenue for reaching the widest possible audience with his works – an audience, as he was aware, at least in part shut out by illiteracy from enjoying his stories in print – and he regularly worked with theatrical managers in bringing his Christmas books to the stage during the holiday season. [...] A case could be made to show that Dickens had

74 Vgl. , 598: "[Y]ou take the uncompleted books of living authors, fresh from their hands, wet from the press, cut, hack, and carve them to the powers and capacities of your actors, and the capability of your theatres, finish unfinished works, hastily and crudely vamp up ideas not yet worked out by their original projector, but which have doubtless cost him many thoughtful days and sleepless nights; by a comparison of incidents and dialogue, down to the very last word he may have written a fortnight before, do your utmost to anticipate his plot – all this without his permission, and against his will; and then, to crown the whole proceeding, publish in some mean pamphlet, an unmeaning farrago of garbled extracts from his work, to which you put your name as author, with the honourable distinction annexed, of having perpetrated a hundred other outrages of the same description. Now, show me the distinction between such pilfering as this, and picking a man's pocket in the street." 101

at least one eye cocked on possible dramatic adaptation of his Christmas stories during the period of their composition, much in the manner of many modern novelists who seem to have from the start a view of the potential translation of the work to celluloid (Axton 1976, 29).75 Vor allem in späteren Jahrzehnten unternahm Dickens nichtsdestotrotz zuweilen gerichtliche Schritte, um die Aufführung von Adaptionen seiner Texte zu unterbinden (vgl. Bolton 1987, 413). Solche Interventionen trugen nach Bolton (ebd.) dazu bei, dass die Anzahl der Dickens Dramatisierungen im Laufe von Dickens' Karriere stetig abnahm. Als weiteren Faktor nennt Bolton "a declining obvious theatrical appeal in his narrative manner, which evolved in a direction of increasing independence of stage techniques, with its occasional firstperson narration, and sometimes highly complex timescheme" (ebd.). Dennoch boten, wie Bolton (1987, 395) einräumt, auch Dickens' spätere Romane ausreichend dramatisches Potential – wie etwa der Erfolg des auf A Tale of Two Cities basierenden Dramas The Only Way zeigt. Einen dritten Faktor für den Rückgang der Anzahl von DickensAdaptionen auf den Bühnen des fortschreitenden 19. Jahrhunderts sieht Bolton (1987, 413) in einer möglichen Übersättigung des Marktes durch bereits existierende Adaptionen sowie ab den 1850er Jahren durch Dickens' Lesungen: "After all, why should a theatregoer pay good money for a pale imitation when he could have the original Dickens on the stage before him?" Nachdem Mitte der 1880er Jahre die durch Dickens' Tod ausgelöste zweite große Welle an DickensDramatisierungen für das Theater verebbt war, setzte spätestens zwischen den beiden Weltkriegen im frühen 20. Jahrhundert eine Periode ein, "when interest in staging Dickens had all but died away among professional managers and actors" (Bolton 1987, 6). Das Interesse der Theaterschaffenden an Dickens sieht Bolton (ebd.) allerdings im späteren Verlauf des 20. Jahrhundert, ab etwa den 1960er Jahren, wieder aufflammen: A Christmas Carol has become much more an international theatrical institution during the holidays than it ever was in Dickens's time; and stagings of Great Expectations, icholas ickleby, and Oliver Twist have had great vogue. Seit dieser Zeit erzielten vor allem zwei DickensAdaptionen – zumindest nach quantitativen Maßstäben – populäre Erfolge, nämlich Lionel Barts am 1. Juli 1960 im Londoner New Theatre uraufgeführte Musical Oliver!, und die von der Royal Shakespeare Company produzierte Adaption von icholas ickleby, für die David Edgar verantwortlich zeichnete. Bolton (1987, 107) betont die außergewöhnliche Popularität des Musicals Oliver!: Bart's play has been enormously successful by any quantitative measure; starting apparently in 1960 at the New Theatre in London, it has been performed very widely throughout England and the United States. At the very least five dozen British

75 Vgl. dazu auch Davis (1990, 11). 102

productions of this play have appeared in various theatrical records to date. It has several times been very successful in New York City – including a run of 774 performances in 1963 at the Imperial. It has played in California, Louisiana, Michigan, and Ohio. It has played in Melbourne and Sydney, Australia. The play remains popular in what are known as "Dinner Theatres" in the United States, and is running in Washington, D.C., as I write (in May 1985). Weitere, weniger erfolgreiche MusicalAdaptionen von anderen Romanen schlossen sich an: Am 4. Juli 1963 wurde Pickwick in London uraufgeführt und war dort 20 Monate lang zu sehen, gefolgt von Two Cities im Jahr 1969, Hard Times im Jahr 1973 und Great Expectations im Jahr 1975 (vgl. Richards 1997, 346). Obwohl die letzteren drei Adaptionen nur eine recht kurze Laufzeit hatten, setzte sich in den 1990er Jahren der Trend zur 'Musikalisierung' von Dickens fort. Richards (1997, 347) nennt "largescale revivals of Oliver!, Pickwick und Scrooge", letztgenanntes basierend auf einer für das Kino hergestellten MusicalProduktion aus dem Jahr 1970. Hinzu kam eine Adaption von The Mystery of Edwin Drood, "constructed as a musicalhall evening" (Richards 1997, ebd.), und eine neue MusicalVersion von Great Expectations. Daneben inspirierte Lionel Barts Oliver! auch eine Filmproduktion, bei der Carol Reed Regie führte und die im Jahr 1968 in die Kinos kam. Diese Version erwies sich ebenfalls als kommerziell sehr erfolgreich und wurde obendrein mit sechs Oscars ausgezeichnet, "including Best Picture", wie Michael Pointer (1996, 85) hervorhebt. Innerhalb dieser MusicalAdaptionen von Dickens' Romanen ist eine Popularisierungsstrategie erkennbar, die in einem generellen 'Aufhellen' der Atmosphäre des zu verfilmenden Stoffes besteht und sich als 'Popularisierung durch jollification' beschreiben ließe. Nach Einschätzung von Richards (1997, 347) ist allen diesen ab den späten 1960er Jahren entstandenen MusicalVersionen eines gemeinsam: "Dickens [...] is sanitized and jollified, and is forever characterized by troupes of wellscrubbed, welldrilled cockney urchins dancing up and down picturepostcard streets". Bereits in Kapitel 2.4.2. dieser Arbeit wurde deutlich, dass vor allem bei HollywoodVerfilmungen auf kohärente und häufig auch sympathische Charaktere Wert gelegt wird. Pointer (1996, 85) macht am Beispiel von Carol Reeds Oliver!Verfilmung aus dem Jahr 1968 deutlich, dass im Zuge einer solchen Popularisierung mittels jollification gerade an den Charakteren gravierende Veränderungen vorgenommen werden: [F]undamental changes were made to nearly all the principal characters. Soft faced Mark Lester was clearly the opposite of a workhouse boy. Applecheeked Jack Wild as the Artful Dodger had obviously never roughed it for years. Fat, jovial was the antithesis of the oily Bumble, and Shani Wallis as Nancy looked more like the girl next door than an illused whore. The despicable Fagin was turned 103

into a picaresque old rogue who was allowed to escape to further villainy, scampering off down the road at the end in a Chaplinesque image of which director Carol Reed should have been ashamed.76 Richards' (1997, 346) Ausführungen wiederum lassen erkennen, dass im Falle einer solchen Popularisierung durch jollification bei der Herstellung von repräsentionaler Relevanz auch die Achse der Differenz eine bedeutende Rolle spielt. Wie Richards deutlich macht, suchten die Produzenten dieser MusicalVersionen von Dickens' Romanen, indem sie stets deren unterhaltsame Aspekte betonten, an allgemein vorherrschende Vorstellungen von der viktorischen Epoche anzuknüpfen. Wie Richards darlegt, betrachtete das Publikum der 1960er Jahre die viktorianische Zeit als "utterly remote, a picturesque Christmas card/chocolate box/oldeworlde fantasy land full of kitsch bricàbrac." Über die für das Kino angefertigte MusicalAdaption Scrooge aus dem Jahr 1970 etwa urteilte die Zeitschrift Hollywood Reporter: "Dickens' England, of poverty and cruelty, had been cleansed so it becomes the England of the traditional Christmas card" (z.n. Zambrano 1972, 315). Der zweite große populäre TheaterErfolg für Dickens im späteren 20. Jahrhundert – nach Lionel Barts Oliver! – folgte im Jahr 1980 mit David Edgars Adaption von icholas ickleby für die Royal Shakespeare Company, die im Juni 1980 im Aldwych Theatre in London uraufgeführt wurde. The play, which ran for eight and a half hours, was performed over two successive nights. Despite the positively Wagnerian demands it made on its audiences, it proved to be one of the greatest triumphs brought off by the Royal Shakespeare Company in its prime. The production's genius lay in the originality and inventiveness of its staging. [...] This new version kept far more of Dickens's text than any earlier stage version. Rather than eliminating much of the descriptive passages, it divided them up, sharing them between actors who were required to move in and out of character as much as they doubled up in minor parts. The directors determined that 'the whole company should be regarded as the storyteller of the whole tale'. [...] The play was transported triumphantly to New York in 1981 and on its revival in Great Britain was broadcast on Channel 4 in November 1982 (Sanders 2003). Die Elemente der Aufführung, die Sanders hier hervorhebt – die mehr als achtstündige Länge des Unterfangens, die "Wagnerian demands" an das Publikum, das Beibehalten von deskriptiven Passagen77 – lassen ein eher geringes populäres Potential vermuten. Dennoch

76 Wie Ana Laura Zambrano (1972, 306f.) darlegt, orientierte sich Reed in der Auswahl und Gewichtung der Szenen durchaus an David Leans exakt zwanzig Jahre zuvor erschienener OliverTwistVerfilmung, die auch Dickens' Sozialkritik nicht ausgespart hatte, allerdings ging Reed dabei "with a lighter hand" vor: “[T]he burst of sound Oliver hears as he enters London for the first time, the mincing, leering cajolery of Fagin, the abrupt shift from the gloomy bleakness of the slums to the spaciousness of the Brownlow home were all retained in the musical but merged with a view of a world not inhabited by the ominous shadows of Lean's version, but by the lights and shadows of a city alive with movement and good humour.”

77 Vgl. dazu auch Leon Rubin (1981, 32): "One of the first things that [director] Trevor [Nunn] had insisted on 104 geriet Edgars Adaption laut Pointer (1996, 94) zu einem "tumultuous success". Mittels einer genaueren Analyse der Produktion lässt sich deren Erfolg durchaus erklären, obgleich keine Angaben dazu gemacht werden können, ob bzw. in welchem Umfang Publikum aus unteren sozialen Schichten die Aufführungen besuchte. Die repräsentionale Relevanz der Produktion für ihr Publikum scheint in diesem Fall durch eine Symbiose aus 'Ähnlichkeit' und 'Differenz' entstanden zu sein: Obgleich die beteiligten Schauspieler der Royal Shakespeare Company zur Einstimmung in den gemeinsamen Erarbeitungsprozesses intensive Recherchen bezüglich der unterschiedlichsten Aspekte des Londons der 1830 Jahre und der Biographie von Dickens (vgl. Rubin 1981, 22) betrieben und obgleich Regisseur Trevor Nunn auf ein Bühnenbild Wert legte, das das OriginalSetting des Romans reflektieren sollte, sowie auf eine musikalische Begleitung, die ebenfalls die viktorianische Ära beschwören sollte (vgl. Rubin 1981, 120 und 163), scheint Dickens' Vorlage zum Zweck der Verstärkung der repräsentionalen Relevanz für ein zeitgenössisches Publikum doch zumindest teilweise einem updating unterzogen worden zu sein. Die Handlung des Romans wurde zumindest in einigen Aspekten durch Streichung bzw. Umgestaltung von historischen Details, die für das Publikum aus den gerade beginnenden 1980er Jahren schwer nachzuvollziehen gewesen wären, sowie von Elementen, die sich mit aktuellen Diskursen kaum in Einklang hätten bringen lassen, behutsam modernisiert. So wurde etwa bei der Gestaltung der weiblichen Rollen, vor allem der Rolle der Kate Nickleby, durchaus den Vorstellungen des zeitgenössischen Publikums Rechnung getragen, worin, wie Leon Rubin (1981, 57) darlegt, eine der größten Herausforderungen für David Edgar, den Verfasser des Skripts, bestand: Dickens, for all his brilliant insights, was still a man of his time, and does not allow his heroines much development. Many heroines of the period are sketchy, weak characters constantly rescued and protected by men. They do not often enough articulate their resistance to the evils they oppose, and are seldom shown in dynamic confrontation with them. One of David Edgar's most difficult jobs was to build up the Kate character, subtly bringing together Dickens's attitude with those of our own time. Wie Rubin (1981, 103) weiter ausführt, kam man diesem Ziel durch Besetzung der Rolle mit der Schauspielerin Susan Littler, obgleich diese nicht die erste Wahl gewesen sei, um einiges näher: She was dark and not as delicate as Emily Richard, the original choice, but with a wonderful sense of humour and irony: a good match for Roger Rees [, who played Nicholas], but not at all what Dickens might have imagined. Susan is a very was that an entire novel should be adapted. Unlike these earlier Dickens adaptations we wanted to include the 'undramatic' passages – the narrative episodes, the moral digressions. All the discussion and work so far suggested that these were the areas that showed the real Dickens at work – the forgotten Dickens." 105

experienced actress with a particular quality of strength and determination, that would we hoped help to solve the problem of the ineffective heroine conceived by Dickens. Laut Rubin (1981, 138) wurden auch rund um die Figur des Walter Bray mit Rücksicht auf das zeitgenössische Publikum Veränderungen an der Vorlage vorgenommen: In the novel, Bray lives in a debtor's house, and is looked after by a servant. However, we felt that as far as a contemporary audience was concerned, this would blur the picture of total poverty that was needed to convey the full extent of his and Madeline's plight. Similarly, we felt they actually needed to be seen in the prison, rather than a debtor's house. Zumindest in einem Fall ließ sich eine Bezugnahme auf aktuelle Geschehnisse gar mit der Verankerung des Stoffes in seiner Entstehungszeit verbinden: During the research we had discovered that one of the political topics of the 1830s was the threat of a Russian invasion of Afghanistan. The Russian tanks rolled in there whilst we were rehearsing in Stratford. David Edgar added a few references to that when allowing full vent to Sir Matthew's expansive declaration of patriotism (Rubin 1981, 109). Wie Larry James Gianakos Ausführungen bezüglich einer Aufzeichnung der Produktion, die in den USA an vier aufeinanderfolgenden Abenden ausgestrahlt wurde, erkennen lassen, ermöglichte es die behutsame Aktualisierung des Stoffes, dass sich die Produktion nahtlos in die amerikanische Fernsehlandschaft der frühen 1980er Jahre einfügte: American television's current preoccupation with wealth and its acquisition gave this showing of icholas ickleby, what with its throbbing concern for the poor, a certain revolutionary splendor. Odd that in the Age of the Plutocrat, a foreign dramatization of a onehundredandfortyfiveyear old novel should so lucidly drive the cry of the indigent home (z.n. Pointer 1996, 95f.). Darüberhinaus fanden sich auch auf der Besetzungsliste dieser Produktion die Namen einiger Schauspieler, die zuvor schon in anderen Kontexten und Medien eine gewisse Berühmtheit erlangt hatten (vgl. Rubin 1981, 22 und 103). Zur Popularisierung des Stoffes mag überdies die Herausarbeitung und Darstellung der situationskomischen Szenen aus Dickens' Roman beigetragen haben, immerhin hat sich Situationskomik auch in anderen Medien, vor allem im Medium des Fernsehens, als höchst populäre Form der Unterhaltung erwiesen. Rubin (1981, 111f.) nennt als Beispiel für das bewusste Aufgreifen und Ausarbeiten von Situationskomischem seitens des Ensembles jene Szene, in der Nicholas von der in ihn verliebten Fanny Squeers zum Tee eingeladen wird und diese Gelegenheit nutzt, um mit Fanny Squeers' bester Freundin Tilda Price in Anwesenheit von deren Verlobten John Browdie zu flirten. Außerdem ist davon auszugehen, dass die Länge und Vielfältigkeit der Produktion ihr einen hohen Grad an Produzierbarkeit verliehen haben. Rubin (1981, 185) beschreibt die 106

Produktion als "so big, so rich, so diverse in its achievements that it is open to many points of view" und macht damit deutlich, dass einige der Teilkriterien, die laut Fiske die Produzierbarkeit eines Textes ausmachen, nämlich das Kriterium der Komplexität, das der Polysemie als auch das der Fähigkeit, eine Vielzahl von Bedeutungen und Arten von Vergnügen zu produzieren, erfüllt gewesen sein dürften. Dafür spricht auch Paul Schlickes (1985, 49) Betonung der "exuberance, variety, comedy and pathos" des Stückes. Der Regisseur Trevor Nunn bediente sich zudem einer Strategie, die dazu beitrug, die Grenzen des von ihm präsentierten Textes fließend zu gestalten, um es somit dem Dargebotenen zu ermöglichen, in die Lebenswelt der Rezipienten 'hineinzufließen'. Rubin (1981, 168) führt aus: As part of Trevor's concept of direct physical contact from the set to the audience, he [...] asked the company to go out in costume and greet the audience and talk with them before the performance and during the intervals. The idea was to create from the onset a feeling of association between actors and audience by inviting the public to become a part of all that would take place. With the band playing themes from the show on stage, the acting company were to mingle with the public arriving in the auditorium and strike up conversations, not in character but simply as themselves. Rubins weitere Ausführungen lassen erkennen, dass das Publikum die aktive Rolle, die ihm der produzierbare Text antrug, durchaus ausfüllte. Rubin (1981, 174) schreibt über eine der ersten öffentlichen Aufführungen der Produktion: Clearly, something very special was taking place between actors and audience from their first meeting before the show to the curtain call at the end. The audience were sharing the process of storytelling and felt that at the end of the marathon day's performance they too had been involved. They were in some way applauding themselves. Die Produktion brachte zudem eine Flut von Tertiärtexten hervor in Gestalt von Briefen, die an die unterschiedlichsten Abteilungen der Royal Shakespeare Company gerichtet waren: From the first previews onwards letters flooded into the theatre – to the directors, members of the company, even one to the stage management. [...] By the end of the run there were more letters from the public than any of us had ever seen before about a single production (Rubin 1981, 178 und 180). Der inhaltliche Tenor dieser Briefe legt den Schluss nahe, dass die beabsichtigte Verknüpfung der Darbietung mit der Lebenswelt ihres Publikums erfolgreich verlaufen und somit eines der wichtigsten Kriterien Fiskes für die Entstehung von popular culture erfüllt war: "Many poured out thanks for the pleasure they had received and some even claimed that the production had moved them deeply and changed their lives in some way" (Rubin 1981, 178). Die Bühnengeschichte von Dickens' Werken im 20. und frühen 21. Jahrhundert 107 beinhaltet auch zahlreiche Versuche verschiedener Schauspieler, als 'Alleinunterhalter' mit Inhalten aus Dickens' Werken die Theaterhäuser zu füllen – zum Teil mit Programmen, die die von Dickens selbst begründete Tradition der 'Public Readings' wieder aufleben lassen sollten. Wie Jeffrey Richards (1997, 328f.) darlegt, war ab dem Jahr 1896 der Schauspieler Bransby Williams mit "character sketches from Dickens" in vielen britischen Music Halls zu sehen, unter anderem als Jingle, Chadband, Quilp, Sydney Carton und Gradfather Trent, später auch als Daniel Peggotty, Newman Noggs, Barnaby Rudge, Fagin und . Williams dehnte seine Tourneen auch auf die USA, Kanada, Australien und Neuseeland aus und wurde mit dem Attribut "The Dickens Man" versehen (vgl. Richards 1997, 329). Richards (ebd.) beschreibt Williams' Aufführungsstil als "virtuoso quickchange act", dessen Erfolg auf der sofortigen Wiedererkennung liebgewonnener Charakter durch das Publikum basierte – worauf sich ja auch Jahre zuvor der Erfolg von Dickens' Lesungen gegründet hatte (vgl. Abschnitt 3.2.2). An den Erfolg dieser von Dickens zu seinen Lebzeiten selbst durchgeführten Lesungen anzuknüpfen, suchte indes ab den frühen 1950er Jahren der Schauspieler Emlyn Williams: With an identical desk and makeup to resemble Dickens, it was as close a reversion to the author's original intentions as was practical, and was the foreruner of a number of remarkable solo performances by other famous actors. It also proved to be a great triumph in Emlyn Williams's acting career, and he continued to present the Dickens readings for more than 30 years (Pointer 1996, 75). Collins (1970, 150f.) betont den popularisierenden Charakter dieser Darbietungen bzw. ihrer Reproduktionen: "Broadcast, televised and available on L.P.s, as well as to be seen in theatres all over the world, his performance must have amplified the delights familiar to readers of Dickens, and brought many new readers to his works." Wie Sanders (2003, 192) ausführt, gibt es bis heute Schauspieler, die ihre Karrieren auf Imitationen von Dickens' Lesungen oder auf Darstellungen bestimmter Charaktere gründen: In the closing years of the twentieth century both Simon Callow (who starred in a oneman show scripted by Dickens's biographer, Peter Ackroyd) and Miriam Margolyes (who concentrated on Dickens's women) succeeded in opening up fresh and illuminating dramatic investigations of the way in which Dickens's characters bore on the life of their creator. Insgesamt lässt sich feststellen, dass den BühnenAdaptionen von Dickens' Werken innerhalb der Geschichte der DickensPopularisierung eine beträchtliche Bedeutung zukommt. Ihre Funktion lag häufig nicht nur darin, dass sie mittels eines Synergieeffekts (Bolton 1987, 322) 108

Adaptionen für andere Medien stimulierten,78 sondern auch darin, dass sich die Produzenten von Adaptionen für andere Medien mitunter unmittelbar an vorausgegangenen Bühnen Dramatisierungen orientierten. Dies zeigen etwa die unter dem Titel Scrooge in Großbritannien und USA gleichermaßen erfolgreichen Adaptionen von A Christmas Carol aus den Jahren 1913 und 1935, in denen Seymour Hicks die Titelrolle übernahm, der die Rolle des Scrooge seit der Jahrhundertwende immer wieder auf der Bühne gespielt hatte. Pointer macht deutlich, dass beide Verfilmungen deutliche Anklänge an die von Hicks verwendeten BühnenAdaptionen erkennen lieβen. Die Verfilmung aus dem Jahr 1913 zeigte sich von der Inszenierung einer Adaption des Stoffes inspiriert, die zur Zeit der Entstehung der Verfilmung im Londoner Coliseum Theatre zu sehen war. Darauf wurde im Vorspann des Films mit den Worten "[a]s played by Seymour Hicks for over 2000 performances" auch explizit hingewiesen (vgl. Pointer 1996, 34). Auch für die 1935 entstandene Verfilmung hält Pointer fest, dass sie eher auf der von Hicks verwendeten Bühnenadaption basierte als auf Dickens' Originaltext: Consequently, the emphasis of the production is on the angry, mean Scrooge that Hicks personified in the British public's mind, rather than on the methods of Scrooge's transformation and the equally important circumstances of Scrooge's nephew Fred and the multitudinous Cratchit family (Pointer 1996, 61).

3.4.2 Adaptionen für Film und Fernsehen Wie Michael Pointer (1996, 7) betont, war Dickens im Jahr 1897 einer der ersten Autoren, deren Werke für das neue Medium adaptiert wurden. Während der letzten Jahre des 19. Jahrhunderts, "the time of the first silent films, a time of germinating technological possibility for the drama" (Bolton 1987, 5), wurde, wie Bolton (ebd.) feststellt, kein Romanautor häufiger verfilmt als Dickens. "The cinema took to Dickens immediately, and from the early days of silent cinema both in Britain and America there were Dickens films", ergänzt Richards (1997, 329). Es kann als Konsens innerhalb der DickensForschung betrachtet werden, dass diese Begeisterung des neuen Mediums im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert kein Zufall war, sondern sich aus bestimmten Qualitäten von Dickens' Oeuvre speiste. "[T]here is a more striking affinity between Dickensian modes of narration and film's developed techniques of storytelling (including editing, camerawork, and designs) than exists between film and any other author", erkennt Joss Marsh (2001. 205). Julian Moynahan

78 Laut Michael Pointer (1996, 66) verdankt sich etwa die Existenz von David Leans Film Great Expectations allein der Tatsache, dass Lean, der den Roman zuvor nicht kannte, im Jahr 1939 einer Aufführung von Alec Guinness' Bühnenadaption beiwohnte. "Lean later acknowledged that had he not seen the play, he would not have made the film. On such a slender chance rested the origin of one of the great film classics". 109

(1981, 143) ergänzt: One often hears that Dickens is the most 'cinematic' of the classic English novelists, and by that a number of different things appear to be meant. There are the stunning atmospheric effects and the broadly environmental ones, from the evocation of London fog opening Bleak House (1853) to the description of the loweredupon, stormthreatened churchyard, salt marsh, and distant river rendered in Great Expectations (1860), Chapter 1, which any ambitious cinematographer or director would be challenged to transfer to film. Then there is the intense dwelling on physical detail, the constant use of what has to be called visual metaphor, and Dickens's interest in conveying a complex of thematic meaning through such devices. There is a kind of Dickensian dumb show through which entire sequences and levels of dramatic and thematic implication are presented without any recourse to words, except of course those necessary words which merely describe the scene or action without adding either dialogue or discursive analysis.79 Graham Petrie (1974/75, 186) betrachtet Dickens' Romane als geprägt von dessen "strong visual imagination", was David Paroissien (1978, 72) näher erläutert: Dickens believed that the aim of fiction was to make one's audience feel, hear, and see; and that the presentation of people and places through 'pictures,' 'images on the brain,' was far more effective than the discursive reporting of Collins' narrator. Commenting on his own art, Dickens confided to John Forster how he created his fictive world: "'I don't invent it – really do not – but see it, and write it down.'' Good writing, as Herbert Read reminds us, is 'VISUAL:' on these grounds novel and film unite (meine Hervorhebung). Auch Sergei Eisenstein (1949, 208f.) betont in seinem berühmten Essay "Dickens, Griffith, and the Film Today" die optischen Qualitäten von Dickens' Werk und weist zudem auf Ähnlichkeiten zwischen den Charakteren in Dickens' Oeuvre und gängigen Leinwand Charakteren hin: The characters of Dickens are rounded with means as plastic and slightly exaggerated as are the screen heroes of today. The screen's heroes are engraved on the senses of the spectator with clearly visible traits, its villains are remembered by certain facial expressions, and all are saturated in the peculiar, slightly unnatural radiant gleam thrown over them by the screen. It is absolutely thus that Dickens draws his characters – this is the faultlessly plastically grasped and pitilessly sharply sketched gallery of immortal Pickwicks, Dombeys, Fagins, Tackletons, and others. Aufgrund solcher Ähnlichkeiten zwischen Dickens' Werk und dem neuen Medium Film gelangte Eisenstein zu dem Schluss, Dickens habe eine Vielzahl der von Filmpionier D.W. Griffith verwendeten Techniken unmittelbar beeinflusst, so etwa Griffiths Techniken der Figurenzeichnung (vgl. Eisenstein 1949, 222), des closeup (vgl. ebd., 198ff.) und der Montage (vgl. ebd., 205ff.) und damit das neue Medium formativ geprägt. Diese These ist

79 Weitere filmische Szenen in Dickens' Romanen listet Ana Laura Zambrano (1972, 347ff.). Ihren Ausführungen zufolge findet sich in Dickens' Oeuvre eine Vielzahl von Szenen "whose techniques parallel and rival those of the boldest contemporary filmmakers" (Zambrano 1972, 350). 110 allerdings umstritten. Obgleich Graham Petrie (1974/75, 190f.) den Einfluss von Dickens auf Griffith anerkennt, sieht er das Medium Film eher von den Bühnentechniken des 19. Jahrhunderts geprägt und liefert damit auch eine Erklärung für die starken Ähnlichkeiten zwischen eben diesem Medium und Dickens' Werk. Crosscutting from one scene of action to another, parallel action within the confines of the stage, fades, dissolves, special lightning effects, spectacular settings and even movements of stage and set that changed the angle of vision and gave an effect later to be achieved by film editing or camera tracking and tilting – all these are to be found in stage productions of the Victorian period. [...] All this raises some doubt as to whether Dickens was the vitally formative influence on the development of film structure that Eisenstein and Griffith claimed he was. It seems more likely that both directors used the genuinely cinematic elements in Dickens's fiction to create a respectable literary precedent and to provide a theoretical justification for techniques that Griffith probably absorbed largely unconsciously from his own early experiences as an actor and playwright and that Eisenstein in turn inherited from Griffith (Petrie 1974/75, 189f.). Margaret Montalbano (2004, 385) betont die von Anfang an enge Beziehung zwischen den beiden Medien Literatur und Film und macht deutlich, inwieweit sich das Medium Film seit seinen Anfängen zur Popularisierung des Mediums Literatur geradezu empfahl: Since its inception, cinema has enjoyed a close relationship with literature, exploiting it primarily for financial gain. Early films were often based on condensed adaptations of popular fiction or stage plays; and if the novel provided both topic and audience for the film, the film could in turn be used to create a larger audience for the written work. In Montalbanos hier wiedergegebenen Ausführungen klingt schon an, wie sich die Verfilmung von Literatur in der Frühzeit des Mediums Film gestaltete. Filmemacher, die aus einem DickensRoman einen damals üblichen ZehnMinutenFilm machen wollten, folgten dem von F. Dubrez Fawcett (1952, 193) später rekonstruierten Rezept: Take the title of a Dickens story; work some of the bestknown incidents into a beginning, a middle and an end: then dress up the players to look like the pictures in the novels. The lettering on the screen would do the rest, and the audience could fill any blanks from their own stores of Dickensian knowledge. "In such a production film was conceived as little more than a means of illustration, and was totally subservient to the text of the novel", bemerkt Zambrano (1972, 237). Eine solche Adaptionsweise, die zumindest in der Auswahl bekannter und beliebter Episoden aus Dickens' Romanen an dessen eigene Adaption seiner Texte für seine öffentlichen Lesungen erinnert, ist auch in den vier Produktionen, mit denen nach Darstellung von Pointer (1996, 7) die Geschichte der DickensAdaptionen für das Medium Film beginnt, erkennbar. Den Anfang machte im Jahr 1897 der Film Death of ancy Sykes, "a depiction of the brutal incident in the novel Oliver Twist where Bill Sikes kills his woman partner, believing she has 111 betrayed him." Im darauffolgenden Jahr produzierte der Brite R.W. Paul den Film Mr. Bundle the Beadle, der nur etwa 45 Sekunden dauerte und Mr. Bundles Werben um die workhouse Vorsteherin zum Inhalt hatte. "This demonstrated Paul's confidence that the public would be familiar enough with the story of Oliver Twist to recognize Bumble's name or know enough about workhouses to understand what a beadle was", bemerkt Pointer (1996, 8). 1901 folgten die ebenfalls von R.W. Paul produzierten Filme Mr. Pickwick's Christmas at Wardles und Scrooge; or Marley's Ghost. "Mr. Pickwick's Christmas at Wardles was only 140 feet long (approximately 11/2 minutes), about the average length for Paul's pictures at that time. Scrooge was an altogether more ambitious undertaking" (Pointer 1996, 8). Alle diese frühen DickensFilme weitverbreitete Kenntnisse der populärsten Werke von Dickens voraus (vgl. Pointer 1996, 16). Dass solche Kenntnisse schon bald nicht mehr ohne Weiteres vorausgesetzt werden konnten und den in kurzen, regelmäßigen Abständen auftretenden DickensVerfilmungen damit zunehmend popularisierende Funktion zukam, verdeutlicht ein im Jahr 1921 in der Times veröffentlichter Artikel über die Dickens Verfilmungen von Thomas Bentley: [A] new public which does not read Dickens has been given an opportunity of making the acquaintance of Barnaby Rudge, of David Copperfield, of Micawber, of Quilp, of Little Nell and her grandfather, and of scores of others who are not of an age but for all time (z.n. Pointer 1996, 45). Sowohl Zambrano als auch Richards schreiben Dickens' kontinuierliche Präsenz auf den Bildschirmen der 'Produzierbarkeit' seiner Texte zu. Beide betonen die Polysemie der Dickens'schen Texte sowie deren Fähigkeit, eine Vielzahl von Bedeutungen und Arten von Vergnügen zu generieren. Zambrano (1972, 333) spricht von "multileveled thematic strands in every Dickens novel which hold universal and timeless appeal". Richards (1997, 349) führt aus: [T]he multifaceted nature of Dickens […] makes him susceptible of wholly different interpretations and ensures that he remains, like Shakespeare, completely relevant to and in tune with the moods, needs and mindsets of the nation. Whatever the circumstances, he is likely to remain 'Dickens – our contemporary'. Der hohe Grad an Produzierbarkeit in Dickens' Texten ermöglicht es Adapteuren, zu Zwecken des updatings bzw. der Herstellung oder Verstärkung der Relevanz jeweils unterschiedliche Elemente des Originaltextes zu akzentuieren bzw. zu vernachlässigen oder gar komplett zu streichen, so dass, wie Michael Pointer (1996, 111) ausführt, herausragende Filmversionen von Dickens' Texten nicht nur die Epochen, in der die jeweiligen Handlungen situiert sind, reflektieren, sondern auch die Äras, während derer sie entstanden sind: There is charm and innocence in the films made before the Second World War that 112

disappears thereafter. Postwar social changes are similarly noticeable, while the reckless abandon of the 1960s and 1970s was marked by a distinct leaning towards escapism. The moneygrubbing 1980s brought forth due acknowledgment of ruthless men of business and their crooked counterparts. Dickens, it seems, is adaptable to all eras. Ein weiterer Grund für Dickens' anhaltende Beliebtheit bei Filmschaffenden dürfte zudem in der Tatsache liegen, dass seine Texte für einen Großteil der Bevölkerung Großbritanniens und Amerikas schon von vornherein eine Form von nichtrepräsentionaler Relevanz aufweisen, die sich mit dem von Fiske eingeführten Begriff der 'diskursiven Relevanz' benennen ließe. George Orwell (1961b, 73f.) führt aus, worin diese Relevanz besteht und woraus sie sich herleitet: He [Dickens] happens to be one of those 'great authors' who are ladled down everybody's throat in childhood. At the time this causes rebellion and vomiting, but it may have different aftereffects in later life. For instance, nearly everyone feels a sneaking affection for the patriotic poems that he learned as a child, 'Ye Mariners of England', the 'Charge of the Light Brigade' and so forth. What one enjoys is not so much the poems themselves as the memories they call up. And with Dickens the same forces of associations are at work. Amanda Cross (1979, 140) bezeichnet solcherlei nostalgische Empfindungen als "daydream in reverse, like thinking we loved the books of our youth, when all we love is the thought of ourselves young, reading them". Das Beispiel der David CopperfieldVerfilmung von George Cukor aus dem Jahr 1935 zeigt, dass Filmregisseure durchaus auch an diese Form der Relevanz, die sich aus Assoziationen mit der eigenen Kindheit und Jugend ergibt, anzuknüpfen versuchen. Guerric de Bona (2000, 120) diskutiert eine zu Beginn dieses Films eingefügte Anspielung auf A Christmas Carol, "a story which, by the 1930s, had become part of the seasonal American ritual, invoking primal images of family homecomings and acts of Christian charity." Diese Anspielung auf Dickens' wohl bekanntestes Werk nun vermochte nach Einschätzung von de Bona (ebd.) eben diese von Orwell diskutierte Form der Relevanz von Dickens' Texten für sein Publikum zu beschwören: Much of the Depression audience who saw the film were probably also engaged in another kind of nostalgic jouney – a return to a generalized idea of Dickens, who had been part of their upbringing and who seemed to represent a lost world inhabited by their ancestors. Neben dieser Form der diskursiven Relevanz, an die von Filmschaffenden nach Belieben angeknüpft werden kann, wurde schon in den frühen DickensAdaptionen häufig durch die Betonung von TextElementen, die sich mit aktuellen Diskursen in Einklang bringen ließen und Streichungen von anderen Bestandteilen der Texte, die sich mit aktuellen Diskursen nicht 113 mehr oder nur schwer in Einklang bringen ließen, ein updating vorgenommen – wohl in der Absicht, auch die repräsentionale Relevanz des Stoffes für sein Publikum zu verstärken. So konzentrierte sich David O. Selznick, Produzent des Films David Copperfield aus dem Jahr 1935, bei dem George Cukor Regie führte, auf Elemente, von denen er annahm, dass sie bei seinem Publikum auf Interesse stoβen würden: [T]hat selection omitted elements of predominantly Victorian concern. The novel deals not only with a fragmented self but with a fragmented family; it ends with a unified self in a unified family. The concern throughout is with selfdefinition and the establishment of a family. The film's David is not a fragmented character and is not obsessed with familial stability. It ends as he begins to court Agnes (Madge Evans) and not ten years after they have established a secure family. In the novel, the tenyear postmarital leap indicates the solidity of the family unit David has established. The film is not impelled to show such a development because it is not as centrally concerned with domestic stability as is the novel. Its family units are less chaotic, and the giddy response of Betsey Trotwood and Mr. Dick to David's and Agnes's courtship indicates that there is no doubt in their minds that the courtship will ripen into a secure and fruitful marriage. The sense of almost universal familial chaos is not nearly as strong in the film as it is in the novel. The families that remain unified do so under much less strain than their counterparts in the novel; the threats to domestic stability in the films [sic] are much less threatening, much more readily vanquished than those in the novel (Luhr 1981, 140f.) Wie de Bonas (2000, 110) Ausführungen erkennen lassen, verstärkte gerade die mit der Streichung der von Luhr aufgeführten Elemente einhergehende Konzentration auf die Titelfigur des Films, dass die repräsentionale Relevanz der Produktion für ihr Publikum über die Ebene der 'Ähnlichkeit' verstärkt wurde: Its hero is a man of high taste and simple virtue who falls undeservedly into the world of the poor and returns from that world to expose a vulgar financial manipulator. Such a hero was especially useful in the 1930s, when the gulf between the classes was quite visible, when the more prosperous sectors of the economy needed to develop a sort of noblesse oblige (DeBona 2000, 110). Die Verfilmung erwies sich somit als den politischen und wirtschaftlichen Gegebenheiten zur Zeit ihrer Entstehung überaus angemessen (vgl. DeBona 2000, 110), da sie dem Publikum während der Weltwirtschaftskrise gewissermaßen eine Fabel darüber offerierte, how the divisions of social class can be overcome through learning and generosity of feeling. If the American establishment was undergoing a process of selfevaluation during the 1930s [...] Selznick and Cukor helped the process along by creating an imaginary world in which lowbrow and highbrow (or outsiders and insiders) could meet and sometimes even marry" (DeBona 2000, 120). Häufig nicht mit aktuellen Diskursen in Einklang bringen lässt sich die, wie Pointer (1996, 1) 114 hervorhebt, in fast allen von Dickens' Texten auf irgendeine Weise vorhandene Sozialkritik,80 da sie sich zumeist auf spezifisch viktorianische Missstände bezieht. Angesichts dessen ist es kaum verwunderlich, dass bestimmte Elemente der Sozialkritik aus Dickens' Werk zu bestimmten Zeiten dem Rotstift des Drehbuchautors zum Opfer fallen. Rachael Low (1950, 196f.) zitiert aus dem Kinematograph Monthly Film Report, in dem über Thomas Bentleys Verfilmung des Romans Hard Times aus dem Jahr 1915 zu lesen war: Some of the worst evils of Lancashire life prevalent in Dickens' time have now been remedied, and perhaps Mr. Bentley was right in toning down these elements of the story. At any rate, the sense of bitterness and indignation and biting satire left by the book has almost entirely disappeared in the film. Auch die von der Jesse L. Lasky Feature Play Company im Jahr 1916 produzierte Adaption von Oliver Twist "was pure melodrama, balancing the miseries of Oliver with those of Nancy and omitting as much social criticism as possible" (Zambrano 1972, 240). Nach Pointers (1996, 39) Ansicht dienten solche Streichungen nicht nur dem updating des Textes, sondern kamen auch generell den zu dieser Zeit vorhandenen Unterhaltungsbedürfnissen des Publikums entgegen: [C]inemagoers were not concerned with seeing the realism of social inequality. There was a war on, and they went to movies to be entertained. As was the case with many adaptations from serious literature, the sense of moral indignation in the original work was still being diminished in the condensation, often to the point of exclusion.81 "[V]irtually all social comment and all the satire on the legal system have been excised, in favour of the melodramas of lawyer Tulkinghorn's investigations and his murder, of Lady Dedlock's exposure, flight and death", hält Jeffrey Richards (1997, 332) auch für Maurice Elveys Verfilmung des Romans Bleak House aus dem Jahr 1920 fest. Auch die 1938 erschienene MetroGoldwynMayerVerfilmung von A Christmas Carol "capitalized on the story's celebration of the familiar cheer and material aspects and material aspect of Christmas and bypassed its serious social commentary" (Zambrano 1972, 262). Ebensowenig sind die sozialkritischen Züge des Romans Great Expectations in David Leans zum Klassiker avancierten Verfilmung aus dem Jahr 1946 wahrnehmbar (vgl. Zambrano 1972, 279 und Klein 1981, 11).

80 Vgl. Pointer (1996, 1): "[A]lmost everything he [Dickens] wrote revealed his awareness of the social conditions around him. Through the medium of his essays, stories, and novels, he was constantly drawing attention to appalling injustices and inadequacies of much of the social system of the times." 81 Laut Paul Davis (1990, 162) waren etliche Jahre später, während der Weltwirtschaftskrise, die Produzenten zahlreicher weiterer DickensVerfilmungen auf ähnliche Weise darum bemüht, die eskapistischen Befürfnisse des Publikums zu bedienen. Davis beschreibt Joseph L. Mankiewiczs Adaption von A Christmas Carol als einen von mehreren "cinematic classics of the thirties that turned the novels of Dickens and other Victorians into romantic comedy. In MGM's David Copperfield (1935), J. Arthur Rank's A Tale of Two Cities (1935), Universal's Edwin Drood (1935) and Great Expectations (1934), and other films of the period, the studios raised Dickens' sentimental comedy to exorcise the misery of the Depression." 115

Wie bereits deutlich wurde, dient eine solche Ausklammerung der nicht mehr aktuellen Züge in Dickens' Werk nicht nur der Steigerung der Relevanz des Filmprodukts für sein potentielles Publikum, sondern auch der Steigerung von dessen Unterhaltungwert. Pointer (1996, 33) bezeichnet einen solchen Adaptionsmodus, der Dickens' Sozialkritik vernachlässigt oder komplett ausspart, als typical of the way the cinema extracted all possible attractiveness from Dickens and frequently glossed over or ignored completely the great social awareness that Dickens displayed in all his books. In so many of his works there are representations of prison scenes that appalled him, as well as frequent depictions of grinding poverty and abject misery. When such topics could not be avoided, the cinema often treated them in a romantic or 'genteel' way. They were problems to be simplified and disposed of quickly, being regarded as lacking in entertainment value. Die Akzentuierung einzelner und die Vernachlässigung bzw. Streichung anderer Elemente der Texte im Interesse des updatings der Vorlage ging schon in einigen der frühesten DickensVerfilmungen mit einer Übertragung der Handlung in ein zeitgenössisches Setting einher. Für den von der United States Vitagraph Company produzierten Film The Modern Oliver Twist; or, the Life of a Pickpocket aus dem Jahr 1906 sowie für die 1917 erschienene Adaption von Dombey and Son, für die Eliot Stannard das Drehbuch verfasste, wurden zeitgenössische Settings verwendet (vgl. Pointer 1996, 16 und 41). Auch die Autoren der Verfilmung Oliver Twist Jr. aus dem Jahr 1921 versetzten Dickens' Handlung in ein zeitgenössisches, in diesem Fall amerikanisches Setting (Pointer 1996, 42). Die Geschichte der DickensVerfilmungen verdeutlicht zudem, dass ein updating außer durch Streichung nichtaktueller Elemente der Vorlage und der Betonung anderer Elemente auch mittels der Ergänzung neuer Inhalte erreicht werden kann. So bedienten sich etwa die Autoren der Verfilmung Oliver Twist Jr. aus dem Jahr 1921 neben der bereits angesprochenen Übertragung der Handlung in ein zeitgenössisches Setting noch zusätzlich der Popularisierungsstrategie der Ergänzung, indem sie Oliver Twist während der letzten Szenen des Films in den Genuss einer Liebschaft mit einer Frau kommen lassen, die sich in Dickens' Roman nicht findet – wohl in der Annahme, dass romantische Liebe vom Zuschauer zu jeder Zeit als relevant empfunden würde. Pointer (1996, 42) zitiert aus dem Katalog des American Film Institute: "[D]uring a robbery attempt Oliver is shot and found on the ground by Ruth Norris, who befriends him. After learning his identity, he finds happiness with Ruth." Im Zusammenhang mit David O. Selznicks Verfilmung von David Copperfield aus dem Jahr 1935 spricht Zambrano (1972, 253) von der Ergänzung des Plots um "remarkably 'in tune' scenes". Wie Joss Marsh (2001, 211) in ihren Ausführungen zu David Leans Great 116

Expectations (1946) und Oliver Twist (1948) zeigt, konnte zum damaligen Zeitpunkt ein gewisser Grad an repräsentionaler Relevanz dieser beiden Stoffe für das intendierte Publikum schon aufgrund ihrer jeweiligen Hauptfiguren vorausgesetzt werden. Dickens' Pip und Oliver Twist waren – ähnlich wie de Bona dies für David Copperfield und die Zeit der Weltwirtschaftskrise postuliert – wellchosen figures for the late 1940s: like millions of British children during the war, they struggled with hardship, hunger and separation from family; and like those children, for whom a new society was being built, they aspired to more prosperous futures. Im Fall der Verfilmung von Great Expectations erschien David Lean dieser somit bereits vorhandene Grad an Relevanz offenbar als nicht ausreichend. Dies bewog ihn zum einen dazu, die Atmosphäre seines Films im Vergleich zu der Atmosphäre des Romans deutlich aufzuhellen, wie Marsh (2001, 215) ausführt: Lean's Great Expectations is a brighter fable than Dickens's novel [...]. The postwar atmosphere of austerity and celebration into which it was released made its luxuriance of ballroom and costume more innocent pleasures than Dickens would have them. Zum anderen versah Lean seinen Film mit einem neuen Ende, das von seiner Ehefrau Kay Walsh verfasst wurde (vgl. Marsh 2001, 215). Dickens hatte ursprünglich für den Ausklang seines Romans eine kurze Wiederbegegnung nach mehreren Jahren zwischen dem Junggesellen Pip und der nach Drummles Tod wiederverheirateten Estella vorgesehen, nach der sie allerdings wieder auseinandergehen würden. Auf Drängen seines Freundes Bulwer Lytton hin konzipierte Dickens jedoch eine zweite Schlussvariante, die sich in den meisten der heute erhältlichen Ausgaben des Romans findet (vgl. Moynahan 1981, 152). Diese Variante sieht eine erneute Begegnung zwischen Pip und der in diesem Fall nicht wiederverheirateten Estella in der von Satis House übriggebliebenen Ruine vor. Beide statten dieser Ruine nach mehr als zehn Jahren zufälligerweise zum gleichen Zeitpunkt einen Besuch ab. Pip nimmt Estella bei der Hand und verlässt mit ihr die Ruine. Ob es zu einer gemeinsamen Zukunft der beiden Figuren kommen wird, bleibt offen. David Leans Ehefrau Kay Walsh ließ sich nun ein drittes, hollywoodgerechtes Ende einfallen, das zwar auf Dickens' zweiter Variante basiert, diese aber auf signifikante Weise verändert und ergänzt. In dieser dritten Variante, mit der David Leans Filmadaption zu Ende geht, kehrt Pip zu Satis House zurück, welches keine Ruine ist, sondern sich im gleichen Zustand befindet, in dem Pip und der Zuschauer es zuletzt gesehen hatten. Pips Besuch findet auch nicht zeitversetzt erst viele Jahre später statt, wie in beiden von Dickens' Schlussversionen, sondern schließt unmittelbar an die vorausgegangenen Geschehnisse an. Pip trifft in Satis House auf Estella, 117 die von Bentley Drummle verlassen wurde, nachdem dieser von Mr. Jaggers über Estellas familiären Hintergrund informiert worden war. But before Pip can claim the prize that Americanized romantic movie tastes now dictate he win, he must remove another obstacle – Estella's entrapment in the 'dead house' of Miss Havisham, a logical development of a design latent in Dickens's text. He does so with Hollywood bravado: 'I have come back, Miss Havisham,' he shouts to its echoing shadows, 'I have come back ... to let in the sunlight' [...]. A dimly lit long shot (employing rim or outlineonly lighting) now shows us Estella seated rigidly in Miss Havisham's thronelike chair. Then: Medium close shot PIP tears down a curtain. Medium shot ESTELLA suddenly backlit. Long shot PIP tearing down more curtains. Medium shot ESTELLA as light strikes her face and breast. 'Look at me,' Pip urges her; 'Come with me.' And, turning slowly to each other, as romantic music swells, the two run out of the desolate house, like children released from school: Medium long shot They turn to look back at the gate. GREAT EXPECTATIONS is superimposed over shot as they go out into the sunlight (Marsh 2001, 217). Marsh (2001, 217) sieht in dieser Gestaltung des Filmendes nicht nur ein Zugeständnis an den Geschmack des amerikanischen Kinogängers, sondern auch eine Annäherung an die Lebensumstände des Publikums zu dieser Zeit, kurz nach Ende des zweiten Weltkrieges – eine Annäherung, die sich durchaus als updating betrachten lässt: Pip announcing his return to the Satis House shadows has more than a dash of the heroic serviceman of 194546, home from the front to tear down the blackout curtains and claim his bride, who (as in the fantasies of film noir, the dominant genre of the later forties) can be put back in her proper, submissive feminine place now that war work is over (Marsh 2001, 217). Auch Regisseur Delbert Mann bemühte sich im Jahr 1969 um ein updating des Romans David Copperfield, indem er die Romanvorlage ergänzte oder sie doch zumindest signifikant umgestaltete. Wie Zambrano (1972, 330) darlegt, lautete Manns Credo: "[A]ll adaptations should have contemporary relevance", und auch im Fall seiner David Copperfield Verfilmung war es die erklärte Absicht des Regisseurs, seine Vorlage "'relevant' for today's audience [...] in the contemporary age of anxiety" zu machen (Zambrano 1972, 321f.). Zu diesem Zweck entschloss sich Mann, David eine Existenzkrise durchleben zu lassen, als dieser auf seine Vergangenheit zurückblickt und die einander widersprechenden Empfindungen für seine Mutter, Dora und Steerforth miteinander in Einklang zu bringen sucht (vgl. Zambrano 1972, 322). Mann ergänzt hier seine Vorlage insofern, als es sich bei Davids Krise im Roman nicht so sehr um eine Identitätskrise handelt als vielmehr um eine der "emotional depression and deprivation" (Zambrano 1972, 322). 118

Neben diesen Streichungen und Hinzufügungen, die speziell dem updating der jeweiligen Vorlage dienen bzw. dazu, die repräsentionale Relevanz des jeweiligen Stoffes für sein Publikum herzustellen bzw. zu verstärken, weisen schon die frühesten Dickens Verfilmungen auch solche Streichungen auf, die auf allgemeinere Art dazu beitragen, dem Publikum die Rezeption zu erleichtern. In Abschnitt 2.3.2. dieser Arbeit wurde gezeigt, dass Elemente, die nicht direkt mit der Handlung des Textes verknüpft sind und somit den Fortgang der Erzählung aufhalten, aus Adaptionen häufig ausgespart werden. Als frühes Beispiel für das Auftreten dieser Popularisierungsstrategie lässt sich etwa die Adaption des Romans Bleak House aus dem Jahr 1920 anführen, bei der Maurice Elvey Regie führte. Pointer (1996, 42) schreibt über diese Adaption: The shrinking of the story to a film of about 80 minutes meant the elimination of all the digressions, subplots, and minor characters, and the reduction to a relative cipher. The case of Jarndyce and Jarndyce appears only as a name on a deed box, and the word Chancery is not mentioned. Desweiteren wurde in Abschnitt 2.3.2. erarbeitet, dass auch Bestandteile der Vorlage, die vom Zuschauer möglicherweise als anstößig empfunden werden könnten, häufig gestrichen bzw. gravierend verändert werden. Bereits in der ersten DickensVerfilmung wurde – eben mit der Absicht, die Vorlage zu 'entschärfen' – eine einschneidende Veränderung des Stoffes vorgenommen. In der Oliver TwistVerfilmung Death of ancy Sykes [sic] aus dem Jahr 1897 wurde Nancy kurzerhand mit Bill Sikes verheiratet: "An unmarried woman cohabiting with a man was not an acceptable feature of the drama in those days, and for many years afterwards" (Pointer 1996, 7). Auf Elemente, die vom Zuschauer – in diesem Fall vor allem dem amerikanischen – als anstößig hätten empfunden werden können, wurde auch in der Verfilmung von Martin Chuzzlewit aus dem Jahr 1912 weitgehend verzichtet. Following closely behind his equally critical book American otes, this 1845 novel was a profound shock to the American press and public and antagonized them to an enormous extent. They felt betrayed by the young man they had lionized on his visit to their country only three years earlier (Pointer 1996, 28). Die amerikakritischen Passagen des Romans wurden die in der Verfilmung offennbar umgangen: "Judging from the sparse information available, the screenplay reduced the American interlude of the story" (ebd.). Auch Thomas Bentley nahm bei seiner Adaption von David Copperfield im Jahr 1913 Rücksicht auf seine "genteel audience", indem er, wie Zambrano (1972, 238 und Fn12) ausführt, den Handlungsstrang rund um Little Em'ly auf signifikante Weise umgestaltete: "After she is abandoned by Steerforth Little Em'ly tries to drown herself but she is rescued by a policeman and is taken to David's fome [sic] to recuperate. Later she is reunited with Daniel Peggotty, her father in the film." 119

Auch für die Popularisierungsstrategie der 'Vereindeutigung des Geschehens' findet sich unter den früheren DickensVerfilmungen ein Beispiel. Wie Zambranos (1972, 294) Ausführungen erkennen lassen, nahm Alberto Cavalcanti, der 1947 bei der Adaption des Romans icholas ickleby Regie führte, im Interesse einer stromlinienförmigen Gestaltung der Handlung solche Vereindeutigungen vor. Diese Technik wirkte sich auch auf die Gestaltung der Figuren aus, insofern als in einigen Fällen bestimmte, maßgebliche Charakterzüge der verstärkt wurden: "Cavalcanti magnified the mannerisms of Dickens's characters, making Verisopht even more effeminate, Ralph Nickleby more of a villain, and Smike pathetically helpless." Schließlich scheint auch die Popularisierungsstrategie der jollification ihre Vorläufer in den früheren DickensVerfilmungen zu haben. Als einen solchen Vorläufer lässt sich etwa David Leans bereits erwähnte Bemühung um eine 'Aufhellung' des Plots von Great Expectations in seiner Verfilmung betrachten. Bereits 12 Jahre zuvor, im Jahr 1934, war der Regisseur Stuart Walker, der denselben Roman für Universal Pictures verfilmte, ähnlich vorgegangen, indem er einige der Hauptcharaktere signifikant umgestaltete. "The most difficult scenes were those that concerned Estella and Miss Havisham, two apparently hard and bitter and disillusioned women. I had to try to make them sympathetic and understandable", begründete der Regisseur seine Eingriffe in Dickens' Text (z.n. Zambrano 1972, 247). Aus diesem Grund lässt er Miss Havisham in dieser Produktion groβmütterliche Züge angedeihen, "Estella becomes the typical sweetly charming heroine" (Zambrano 1972, 247). "Mr. Jaggers, that most astute of lawyers, is represented as the kind of fat, benevolent man to whom children in the early days of November confidently look for silver coins", bemerkte ein Journalist in einer Rezension für die Londoner Times (z.n. Zambrano 1972, 248). Die Geschichte der DickensVerfilmungen zeigt außerdem, dass Dickens von Anfang an immer wieder durch die Besetzung einzelner Rollen mit bestimmten Schauspielern popularisiert wurde. Dabei lassen sich auch hier wieder – wie zuvor schon im Hinblick auf die Adaptionen für das Theater des 19. Jahrhunderts – beide Strategien der Popularisierung durch Schauspieler ausmachen – also sowohl die Popularisierung durch Schauspieler, die bereits in anderen Produktionen desselben oder eines anderen Werkes von Dickens – im selben oder in einem anderen Medium – erfolgreich gewesen waren, als auch die Popularisierung durch Schauspieler, die sich bereits unabhängig von Dickens in anderen Rollen einen Namen gemacht haben. "Studios relied on actors from their stable of players to fill stock roles", führt Zambrano (1972, 250) weiter aus. 120

Often certain types of roles became a trademark of a particular player. Edna May Oliver as gruff but lovable Betsy Trotwood in MGM's 'David Copperfield' (1935), also played gruff but lovable Miss Pross in 'A Tale of Two Cities,' and Elizabeth Allan and Fay Chaldecott, who appeared as Mrs. Copperfield and Little Em'ly as a child, were also seen in 'A Tale of Two Cities' in the respective roles of Lucie Manette and her daughter. Basil Rathbone, the suave, chillingly coldblooded Marquis St. Evrémonde, made a habit of appearing as a villain [...]. Laut Zambrano (1972, 249) legte vor allem David Selznick bei seinen DickensVerfilmungen in den 1930er Jahren Wert darauf, seine Produktionen mit "wellknown actors in standard roles" zu besetzen. Auch von der zweiten Variante der Popularisierung durch Schauspieler wurde spätestens ab den 1920er Jahren mit Aufkommen des "star system" und der Ansicht, dass populäre Schauspieler ihrem Publikum jeden Stoff verkaufen konnten (vgl. Zambrano 1972, 242) regelmäßig Gebrauch gemacht wurde – obgleich nach Ansicht von Pointer (1996, 112) die in den meisten Romanen hohe Anzahl von Charakteren dem StarSystem in Hollywood beträchtliche Probleme bereitete – "for there are really very few starring roles – or too many starring roles." Dennoch wurden die Rollen in DickensAdaptionen immer wieder mit bereits bekannten und populären Schauspielern besetzt. Wie Zambrano (1972, 242) hervorhebt, waren etwa die Schauspieler Jackie Coogan – "the child actor who shot to stardom in Chaplin's The Kid in 1920" (Pointer 1996, 45) – und Lon Chaney die hauptsächlichen Attraktionen der Oliver TwistVerfilmung aus dem Jahr 1922. Zambrano (1972, 242f.) zitiert in diesem Zusammenhang eine Rezension aus der ew York Times, die deutlich macht, inwieweit ein populärer Schauspieler schon in der Frühzeit des Mediums Film zur Popularisierung eines Stoffes beitragen konnte: "'Oliver Twist' [...] is at the Strand this week, and destined to keep the house full, if the crowds that packed the place yesterday mean anything. But whether it is Mr. Dickens or little Jackie Coogan that is drawing them is, of course, a question." Die Geschichte der DickensAdaptionen für das Medium Film macht außerdem deutlich, dass Popularisierungen in unterschiedlichen Ausprägungen auftreten können. So betonte etwa David Lean in seiner zweiten DickensVerfilmung, für die er den Roman Oliver Twist ausgewählt hatte, Dickens' Sozialkritik, statt sie, wie er dies zuvor in seiner Verfilmung von Great Expectations getan hatte, auszublenden. Zambranos (1972, 280f.) Darstellung zufolge schuf Lean hier "a tale of caustic criticism. [...] In no sense are the characters or actions glamorized; on the contrary, through camera placement the squalor of nineteenth century London is dramatically emphasized." In einem Artikel in der ew York Times betonte auch der Journalist Bosley Crowther die Konzentration des Films auf die sozialen 121

Ungerechtigkeiten im England der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts: "All [the characters] are themselves really victims of the great cycle of social inequity, brought on by the Industrial Revolution, in which the poor and the underprivileged were much oppressed" (z.n. Zambrano 1972, 288). Es ist signifikant, dass Lean zum Zweck dieser Verfilmung auf einige Elemente des Originaltextes, die zur Zeit des Nachkriegskinos sicherlich populäres Potential aufwiesen, verzichtete, etwa auf den Handlungsstrang um Rose Maylie (vgl. Zambrano 1972, 286). Dennoch wurde der Film zu einem Erfolg, wozu möglicherweise auch die Marketingmaßnahmen seitens der Rank Corporation, der der Vertrieb des Films oblag, beigetragen haben könnten (vgl. Zambrano 1972, 292). In der Verfilmung von A Christmas Carol aus dem Jahr 1952, für die Noel Langley das Drehbuch verfasste und bei der Brian Desmond Hurst Regie führte, scheint die Popularisierung ebenfalls recht schwach ausgeprägt zu sein. Wie Lester J. Keysers (1981, 121) Ausführungen erkennen lassen, verzichteten Regisseur und Drehbuchautor auf ein updating. Wie Keyser (ebd.) darlegt, handelt es sich um eine textgetreue Adaption, "mesmerized by Victoriana" (ebd., 123), die auf Langleys extensiven Recherchen bezüglich des Autors und seiner Epoche basierte (ebd.). Dickens' Sozialkritik wurde in diesem Fall nicht nur nicht vernachlässigt oder ganz gestrichen, sondern sogar besonders hervorgehoben: Hurst is similarly faithful and emphatic in regard to Dickens's economic and social theorizing. The specter of the poor laws, the work houses, and the prisons becomes one of the dominant motifs in the film. Scrooge's harsh prescriptions echo and reverberate on the soundtrack at the very moment he gains new insights into the need for humanity (Keyser 1981, 126). Obwohl das Auftreten bzw. NichtAuftreten von Popularisierungsstrategien allein noch keine definitiven Vorhersagen über den kommerziellen Erfolg einer Adaption zulässt, wurde der Film zu einem kommerziellen Misserfolg, "and A Christmas Carol seems condemned to yearly reruns on television late on Christmas evening when few are watching" (Keyser 1981, 131). Obwohl Dickens' Romane bis zum heutigen Tag regelmäßig für das Kino adaptiert werden, wird in der Forschung immer wieder behauptet, das Fernsehen stelle das für DickensVerfilmungen geeignetere Medium dar. So bezeichnet etwa Pointer (1996, 76) das Fernsehen als "the most satisfactory medium of dramatization for many of Dickens' works." Für Richards (1997, 348) ergibt sich diese besondere Eignung des Mediums Fernsehen für die Adaption von DickensTexten aus der Tatsache, dass dieses Medium die Möglichkeit bietet, nicht nur Dickens' Inhalte, sondern auch dessen serielle Publikationsweise zu adaptieren: "Television is perfectly placed to adopt the serial form that Dickens originally 122 used and to give far more time to the unfolding of the narrative than cinema can normally allow." Dementsprechend war das britische Fernsehen auch noch kaum ein Jahr alt, als im Jahr 1936 die erste DickensAdaption über die Bildschirme lief: Conductor and composer Albert Coates had written an opera entitled Mr. Pickwick and one week before its first performance at Covent Garden, the London Television Program of the BBC, brodacasting from Alexandra Palace, transmitted a 25minute program of extracts from the opera on Friday, November 13, 1936 (Pointer 1996, 73). Eine weitere BBCProduktion unter dem Titel Characters from Bleak House folgte im November 1937: "Billed as a 10minute talk by Hugh Miller, it sounds more suited to radio than TV", kommentiert Pointer (1996, 74). Die erste wirkliche Dramatisierung, Bardell Against Pickwick, wurde im Juli 1938 gesendet. Mit Beginn des zweiten Weltkriegs wurde der Sendebetrieb des britischen Fernsehens vorübergehend eingestellt, so dass erst 1946 wieder eine DickensVerfilmung auf den Fernsehbildschirmen zu sehen war. Hierbei handelte es sich um eine Neuauflage der Produktion aus dem Jahr 1938, in der vier Schauspieler jeweils dieselbe Rolle übernahmen wie acht Jahre zuvor (vgl. Pointer 1996, 74). Die erste serielle Verfilmung eines DickensRoman lief im Jahr 1952 über die Fernsehbildschirme. Es handelte sich hierbei um eine Adaption von Dickens' erstem Roman The Pickwick Papers in sieben Folgen von jeweils 30 Minuten Länge, die samstagabends zur besten Sendezeit ausgestrahlt wurden (Pointer 1996, 76). Seinen 'Durchbruch' im zur damaligen Zeit immer noch recht jungen Medium Fernsehen erreichte Dickens laut Richards (1997, 345) wenig später mit Aufkommen der "BBC Sunday teatime serial, which became the flagship of Dickens production in the 1950s and 1960s." "Most of these early television dramatizations suggested that Dickens's fiction was little more than diversion and entertainment, and best suited to children" (Sanders 2003, 203). Auch Richards (1997, 345) betont, dass auf dem sonntäglichen Sendeplatz vor allem "Dickens the family entertainer rather than Dickens the social critic" präsentiert wurde: "Sunday teatime was no place for Hard Times, Little Dorrit or Bleak House" (ebd.). Dies änderte sich jedoch ab den 1970er Jahren: "The old taste for a benign or predominantly comic Dickens was steadily superseded by a newfound relish for a darker, more expansive, more demanding, and more cerebral novelist" (Sanders 2003, 203). Somit erblickten auch Adaptionen der späteren Romane von Dickens das Licht des FernsehBildschirms: 1976 adaptierte die BBC Our Mutual Friend, 1977 sendete Granada TV eine Produktion von Hard Times. 1987 folgte eine BBC Produktion von Bleak House, 1998 adaptierte die BBC erneut Our Mutual Friend (vgl. zu diesen Produktionen Sanders 2003, 204f.), während weiterhin jede Generation von Fernsehzuschauern in den Genuss immer neuer Adaptionen der Romane David Copperfield, 123

Great Expectations, Oliver Twist, icholas ickleby und A Tale of Two Cities kam (vgl. Richards 1997, 345). Mit allen diesen Produktionen demonstrierte nach Sanders (2003, 205) das Medium Fernsehen, dass es bei der Adaption narrativer Texte über das hinauszugehen vermochte, was Bühne und Kino zu leisten imstande waren: "Above all, it returned to the tensions and the suspense of serialization". Die serielle Adaption von Dickens' Romanen für das Medium Fernsehen erfordert eine Vielzahl derselben Popularisierungsstrategien, derer sich auch die Produzenten von Kinofilmen bedienen. So lässt sich etwa aus Richards' (1997, 347) Ausführungen der wenig überraschende Befund ableiten, dass auch Fernsehschaffende häufig die Elemente der Vorlage betonen, bei denen sie davon ausgehen, dass sie sich für das zeitgenössische Fernsehpublikum als relevant erweisen werden. Richards diskutiert die Adaption von Hard Times für den britischen Fernsehsender Granada aus dem Jahr 1977 sowie die BBC Verfilmungen von Our Mutual Friend (1976), Bleak House (1985), Martin Chuzzlewit und Hard Times (beide 1994). Wie sich aus Richards Ausführungen ergibt, wurden mit Hilfe der für ein zeitgenössisches Publikum noch relevanten Elemente der jeweiligen Romane Bezüge zu aktuellen Missständen hergestellt. Alle diese Verfilmungen attackierten nach Richards (1997, 347) "with blazing sincerity and visual power [...] poverty, exploitation, heartless bureaucracy, inefficient judiciary, sleaze and selfishness." Auch wird im Medium Fernsehen, wie dies zuvor schon für Bühnen und FilmAdaptionen festgestellt wurde, häufig mit Hilfe von Schauspielern popularisiert (vgl. Pointer 1996, 76, 79f., 84, 91f., 94, 110). Obgleich sich das Medium Fernsehen also bei der Verfilmung literarischer Texte derselben Popularisierungsstrategien bedient, die auch bei KinoVerfilmungen Anwendung finden, ist davon auszugehen, dass diese Strategien innerhalb dieser beiden Medien in jeweils unterschiedlichen Gewichtungen zu beobachten sind. Im Falle einer mehrteiligen Adaption für das Medium Fernsehen muss weniger intensiv Gebrauch von der Popularisierungsstrategie der Kürzung gemacht werden, dafür kommt der Strategie der Ergänzung bei Verfilmungen fürs Fernsehen eine größere Bedeutung zu als bei Kino Verfilmungen. So bezeichnete es die Drehbuchautorin Constance Cox in den 1960er Jahren als eine der Regeln für das Adaptieren von Romanen in serieller Form, dass die Hauptfiguren möglichst in jeder Folge der Verfilmung erscheinen sollten. Dies bereitete ihr bei ihrer Arbeit an Drehbüchern für Verfilmungen einiger von Dickens' Romanen im Auftrag der BBC mitunter Probleme: "Dickens has a habit of leaving important characters out of the story for quite a time, when he follows the adventures of another set" (z.n. Pointer 1996, 84). Die folgenden Fallstudien aus den 1990er Jahren sollen genauer über den Einsatz von 124

Popularisierungsstrategien in unterschiedlichen Medien Aufschluss geben.

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4 Case Studies: Popularisierungen seit den 1990er Jahren 4.1 Einführung In diesem Kapitel werden einige ausgewählte Adaptionen von Dickens' Werk und Biographie aus dem Zeitraum zwischen 1994 und heute auf ihr populäres Potential hin untersucht. Die Zusammenstellung des Korpus wurde bereits im Einleitungskapitel begründet und beinhaltet die BBCVerfilmung von Martin Chuzzlewit aus dem Jahr 1994, eine KinoVerfilmung von Great Expectations aus dem Jahr 1998 sowie eine ein Jahr später entstandene BBC Verfilmung desselben Romans. Daran schlieβen sich Besprechungen zweier Verfilmungen des Romans icholas ickleby an – einmal für den Privatsender ITV (2000), einmal für das Medium Kino (2002). Hinzu kommen eine Analyse der KinoVerfilmung von Oliver Twist aus dem Jahr 2005, der BBCVerfilmung des Romans Bleak House aus demselben Jahr sowie einer Adaption in Schriftform des Romans David Copperfield. Anschlieβend wird die innerhalb mehrerer Medien erfolgte Popularisierung von Peter Ackroyds 1990 erstmals erschienener DickensBiographie untersucht. Den Abschluss des Kapitels bildet eine Besprechung des 2007 in Chatham, Groβbritannien eröffneten Themenparks Dickens World unter besonderer Berücksichtigung der Frage, auf welche Weise diese Einrichtung zur Popularisierung des Autors und seines Werkes beiträgt. Um vor allem das populäre Potential der Adaptionen von Dickens' Romanen für Kino und Fernsehen richtig einschätzen zu können, müssen zunächst einige Entwicklungen in der Kino und Fernsehlandschaft der 1980er Jahre und 1990er Jahre, vor deren Hintergrund die zu analysierenden Produkte zu betrachten sind, dargestellt werden.

4.1.1 Das Kostümdrama im Kino Die Mehrzahl der zu besprechenden Adaptionen sind dem Genre des costume drama zuzurechnen. Eine wichtige Voraussetzung dafür, dass dieses Genre sowohl im Kino als auch im Fernsehen in den 1980er Jahren eine Blüte erlebte, stellt die Entstehung einer Heritage Industry in Groβbritannien zu Beginn desselben Jahrzehnts dar. Dabei handelt es sich um eine Industrie, die sich nach Andrew Higson (2003, 1) folgende Aufgabe gestellt hat: "[A] potent marketing of the past as part of the new enterprise culture, a commodification of museum culture." Nach Darstellung von Robert Hewison (1991, 23) muss diese Hinwendung zur Vergangenheit vor dem Hintergrund um sich greifender Unzufriedenheit und wirtschaftlichem Rückgang betrachtet werden. Ähnlich sehen Robert Giddings und Keith Selby (2001, 124) die Gründe für den HeritageBoom in "insecurity about the present, the undermining of national identity as a consequence of the European union, economic decline 126

[and] the craze for devolution." Den Beginn des Aufschwungs des Kostümdramas in Groβbritannien datiert Higson (2003, 15) auf das Jahr 1981, "when Brideshead Revisited on television and Chariots of Fire at the cinema caught the imagination of audiences, critics and the judges at various awards ceremonies." Das Kernpublikum dieser Filme charakterisiert Higson (2003, 5) als "middle class, and significantly older than the mainstream film audience, and they [the films] appeal to a film culture which is closely allied to educational discourses, English literary culture, and the canons of good taste." Der HeritageFilm ist zudem besonders auf die Bedürfnisse seiner weiblichen Zuschauer abgestimmt: The connection with the classic woman's picture and a female point of view is important. As we shall see, the female audience is crucial to most of these costume films, even in their titles: Amy Foster, (Dora) Carrington, December Bride, Elizabeth, Emma, The Governess, Jane Eyre, Lady Jane, Little Dorrit, Mary Reilly, Mrs Brown, Mrs Dalloway, Moll Flanders, Tess, The Wicked Lady (Higson 2003, 23). Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang auch die Frage, wo zwischen hoher und populärer Kultur das Genre des HeritageFilms anzusiedeln ist. Nach Darstellung von Higson lässt sich die heutige internationale Filmproduktion in drei Kategorien unterteilen: At one extreme is the mainstream studio film, produced primarily by the Hollywood majors, with big budgets and big stars, and addressed to what the industry likes to think of as its core 15 to 24yearold cinemagoing audience. At the other extreme is the lowbudget, specialized or arthouse film, produced by small independent companies, addressed to what the film trade perceives as niche audiences. In between, and drawing on both, there is the crossover film. […] Such films are driven by both the commercialism and the market imperative of the mainstream studio film and the cultural imperative and artistic values of the specialized film. Their budgets fall between the two stools too, and they frequently draw on funding sources associated with both sectors. And crucially, they are designed to be distributed on both the lowbudget, often subsidized, arthouse circuit and the mainstream, multiplex circuits, and to appeal to their different audiences (Higson 2003, 89 und 91). Als solche CrossoverProduktionen lassen sich auch HeritageFilme beschreiben. Das bedeutet, sie müssen nicht nur ihr MittelklasseKernpublikum ansprechen, sondern auch andere Kinogänger. Hier ist vor allem die Gruppe der 15 bis 24jährigen männlichen Kinobesucher zu nennen, die den Kern des Mainstreams bilden (vgl. Higson 2003, 104). Die MainstreamKompatibilität des HeritageCrossoverFilms gewann in den 1990er Jahren zunehmend an Bedeutung. Dies hatte zur Folge, dass sich dessen Form zu verändern begann: As the conventions of the English costume drama became increasingly familiar, and as the marketability of the films became more readily accepted, so filmmakers could begin to innovate. In particular, in the bid to reach wider audiences, producers often felt they could relax the fetishistic concern for getting the period details 'right' and 127

address the film more obviously to contemporary sensibilities (Higson 2003, 43). Higson nennt als Beispiele für HeritageFilme aus den späten 1990er Jahren, die explizit darauf abgestimmt waren, ein mainstreamPublikum zu erreichen, eine Adaption von Jane Austen's Mansfield Park aus dem Jahr 1999 und beschreibt sie als "selfconscious attempt to modernize the heritage film, and specifically Jane Austen, by packaging costume drama and literary culture for a more youthful and less reverential audience" (Higson 2003, 57), sowie den Film Elizabeth aus dem Jahr 1998: [While m]any of the [heritage] films are slowpaced, characterbased films, […] Elizabeth, made on a higher budget and intended to reach wider audiences than most, is much closer to a fastpaced action thriller (Higson 2003, 37). Auch die Vermarktungsstrategien, die für solcherlei Filme verwendet wurden, näherten sich dem Marketing von MainstreamProduktionen zunehmend an: the majors [major production companies] bought into this particular niche, actively engineered the crossover film as an entity rather than a possibility, and developed increasingly costly ways of marketing it. […] As audience figures seemed to confirm the potential profitability of the 'British' costume drama, so production and marketing budgets went up (Higson 2003, 142). Eine Grundvoraussetzung für den kommerziellen Erfolg von CrossoverHeritageFilmen sieht Higson (2003, 261) indes in ihrer produzierbaren Gestaltung: [T]o open up a film to a range of readings is more profitable than closing it down to one particular reading. There's certainly a great openness about the films I've discussed in this book, and there's no denying that they are a relatively eclectic group, drawing on several different generic categories and incorporating a range of attractions. The attractions of heritage by no means exhaust the appeal of films such as Howards End and Elizabeth. In the case of Elizabeth, for instance, for some audiences and reviewers, the feminist potential of the eponymous character was more important. For others, the narrative energy and complexity of the conspiracy thriller appealed. For yet others, it was the eclectic visual style that held the attention. What […] I've called the heritage film, others have seen as romantic comedies, woman's pictures, queer dramas, middle brow classics. Die in diesem Abschnitt skizzierten Veränderungen auf dem Sektor des HeritageCrossover Films bewirkten, dass einigen der mit hohen Budgets ausgestatteten Produktionen tatsächlich kommerzieller Erfolg beschieden war: Shakespeare in Love, The English Patient, and Braveheart (1995) (which cost more than twice as much as the other two films) all grossed more than $200 million worldwide, a figure which no more than 200 films have ever achieved (Higson 2003, 123).

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4.1.2 Das Kostümdrama im britischen Fernsehen Wie Robert Giddings und Keith Selby (2001, 1) anmerken, reicht die Tradition der mehrteiligen Klassikerverfilmung innerhalb der BBC viele Jahrzehnte zurück: The prototype of the BBC classic serial, upon which all subsequent classic serial adaptations and dramatizations have been to a greater and lesser extent based, was put together in the early days of radio drama between the wars. The genre emerged in the context of the BBC monopoly which enabled John Reith to initiate public service broadcasting – the Reithian trinity of Information, Education and Entertainment. The classic serial as we know it today is part of that Reithian legacy, of that extraordinary endeavour to use radio broadcasting not only for our amusement but also for our betterment. Reith is on record as wanting to use the wireless to 'part the clouds of ignorance'. Im BBC Fernsehen schlug die Geburtsstunde des classic serial im Jahr 1951. Den Auftakt machte in jenem Jahr eine sechsteilige Verfilmung von Anthony Trollopes The Warden, der sich ein Jahr später eine Adaption von Jane Austens Pride and Prejudice anschloss. Über mehrere Jahrzehnte hinweg war hier der Popularisierungsaspekt nicht sonderlich prominent: Die classic serals waren klar dem Bildungsauftrag der BBC verpflichtet, der zumindest ideologisch gepflegten Aversion gegen Kommerz sowie der "cultural hostility to the frivolities of 'mere' entertainment and the fantasies of the 'dream factory'" (Caughie 2000, 29). Als Sendeanstalt mit einer ganz ähnlichen Mission versteht sich im Übrigen auch der seit 1980 bestehende Fernsehsender 'Channel Four' (Caughie 2000, 190). Dennoch ist bereits seit dem Jahr 1955, dem Jahr der Einrichtung des 'Independent Television' (ITV), auch die BBC keineswegs unabhängig vom Publikumsgeschmack: The arrival of Independent Television in 1955, the end of the monopoly and the introduction of competition did indeed shift the BBC in a number of very material ways. The audience was pursued much more vigorously, new programme formats were developed, programmes were bought in from the United States, and audience research grew in importance (Caughie 2000, 50).82 Diese Entwicklungen wirkten sich auch auf das Genre des television drama aus, als dessen Teilbereich John Caughie Verfilmungen von Klassikern diskutiert und das er als "the respectable end of television" (Caughie 2000, 2), als "art television" (Caughie 2000, 127) bzw. "quality television" (Caughie 2000, 203) betrachtet: In this new competitive context, drama could no longer maintain its secure place as an automatically selfjustifying cultural good, but had to be seen also as a

82 Vgl. dazu auch Giddings/Selby (2001, 80): "Before the arrival of the commercial channel, the BBC had enjoyed the monopoly which Lord Reith had considered essential to good broadcasting. Then it faced competition with ITV. For a while ratings seemed of little account, but in due course it became an accepted principle that the BBC really should not simply expect its licence fee without demonstrably having striven to provide a service which the public supported. The competition for ratings was then pursued in earnest."

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way of reaching and attracting an audience. The BBC had to respond very directly, in a way which Reith and his successors had resisted, to the demands of public taste as they found it rather than as they thought it ought to be (Caughie 2000, 51). Zwar wurden im Jahre 1962 Fernsehschaffende wiederum dazu ermutigt, ihre Programme innovativ und kontrovers zu gestalten, "to 'push the boat out' and take audiences where they had not been before" (Caughie 2000, 128), dennoch sind die Autoren von Fernsehdramen nach wie vor gewissen Zwängen unterlegen: The distinctive constraint which faces the author or writer in television drama, [...] is the power which is conferred on the viewer by his or her ease of access to the control button: the ability to switch on or switch off or switch over. It is in this sense that television drama as 'art television' involves a complex negotiation between art and the popular, a negotiation which is always a negotiation with a viewer who can find something else on another channel without even leaving his seat" (Caughie 2000, 128f., meine Hervorhebung). Das Genre der Klassikerverfilmung der BBC im Besonderen – "seen as characteristic of British media high culture" (Giddings/Selby 2001, 82) – konnte diesen Anfechtungen indes lange Zeit standhalten. Eine verstärkte Orientierung der Klassikerverfilmung in Richtung Mainstream lässt sich erst ab Mitte der 1990er Jahre feststellen: "[R]ecent heritage films attempt to go beyond the category in both content and marketing" (VoigtsVirchow 2004b, 15). Eine Schlüsselrolle spielt hierbei die Verfilmung von Pride und Prejudice, deren Drehbuch Andrew Davies verfasste und deren einzelne Folgen im Herbst 1995 über durchschnittlich 10 Millionen britische Bildschirme liefen (vgl. Giddings/Selby 2001, 124). Die Idee zu dieser Adaption stammte von der Produzentin Sue Birtwistle, die sich bereits neun Jahre zuvor damit an Davies gewandt hatte: "I know what I'd like to do: Pride and Prejudice and make it look like a fresh, lively story about real people. And make it clear that, though it's about many things, it's principally about sex and it's about money: those are the driving motives of the plot" (Giddings/Selby 2001, 104). Während Andrew Davies in seinem Drehbuch diese beiden, für ein Publikum des ausgehenden 20. Jahrhunderts ohne Zweifel relevanten Themen betonte, bediente er sich noch zahlreicher weiterer Popularisierungsstrategien, die die Relevanz des Stoffes für sein Zielpublikum erhöhen sollten. Er betonte die romantische Thematik seiner Vorlage, unter anderem, indem er sie mit einer Heiratsszene – "definitely required in television drama" (Giddings/Selby 2001, 111) – enden lieβ, die sich nicht in Jane Austens Roman findet. Zudem verstärkte er die Komik seines Stoffes: "He sees the novel as much [as] a comedy as a love story, and many of the gags actually come off the pages, but he added a few laughs along the way just for good measure" (Giddings/Selby 2001, 111). Wie die HeritageKinofilme der 1980er und 1990er 130

Jahre ist auch diese Produktion auf die Bedürfnisse vor allem ihres weiblichen Publikums abgestimmt: There is much more emphasis on the female experience. The sexual and social opportunities of all the Bennett girls, not just Jane and Elizabeth, are explored as never previously. Darcy's dark, brooding sexual magnetism is more fully suggested than ever before. The actual pool where he was famously filmed taking a dip and wrapping his body in a towel which revealed his masculinity has become an object of tourist pilgrimage. The sorrowful destiny of Charlotte Lucas and the likely fate of Kate and Mary Bennett is more sympathetically revealed than in the last adaptation (Giddings/Selby 2001, 121). Zudem war die BBC im Vorfeld und während der Ausstrahlung der Produktion darum bemüht, durch gezieltes Marketing die Aufmerksamkeit der Fernsehzuschauer darauf zu richten: [P]republicity, orchestrated media public relations, articles in Radio Times about the cuisine featured in the series and so on, all constituted an important element in this production […]. The CD of Carl Davis's Pride and Prejudice music was available in shops even before the series had run its course (Giddings/Selby 2001, 116). Giddings und Selby (2001, 117) sprechen auβerdem von zahlreichen spin offProdukten, die nach Ende der Ausstrahlung auf dem Markt erschienen. Dies alles hatte eine unmittelbare Hinwendung zu Jane Austens Originaltext zur Folge: "In 1995 alone, television directly accounted for the sale of 177,00 copies of Jane Austen's Pride and Prejudice" (Bloom 2002, 41). Auch in anderer Hinsicht verfehlten die diversen Popularisierungs und Marketingstrategien sowie die sie begleitenden Produkte ihre Wirkung nicht: Elizabeth Bennett and Mr Darcy had been so completely absorbed into our popular culture that by August 1998 BBC Television was able successfully to use clips from the serial, with suitably dubbed dialogue, as part of their public advertising campaign for television licence renewal (Giddings/Selby 2001, 123). Dieser Trend zu verstärkter Popularisierung und Orientierung in Richtung Mainstream setzte sich in etlichen der nachfolgenden Kostümdramen fort. Wie Giddings' und Selbys (2001, 140) Ausführungen erkennen lassen, stand zunehmend die Frage im Vordergrund, wie die Relevanz des jeweiligen literarischen Stoffes für ein zeitgenössisches Publikum verstärkt werden könnte: Originally the ambition was faithfully to serve the cause of the literary original. This was promulgated in the late 1930s, when the Corporation's radio drama were actually putting the genre together. But today there are often signs of a desire to somehow, at the same time as dealing with a classic, (by definition, something preserved from the past) to create a product of modern times. […] As the decade progressed, and more and more classic novels were transformed into costume dramas, we began more frequently to hear that 'soandso' had been dramatised 'for the 1990s'. 131

Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang die Ankündigung von Roger Mitchell, der im Hinblick auf die 1995erVerfilmung von Jane Austens Roman Persuasion zu Protokoll gab: "'I'm trying to trash the hotel room of the BBC classic'" (z.n. Higson 2004, 43). Bezüglich der Adaption von Daniel Defoes Moll Flanders aus dem Jahr 1996, für die ebenfalls Andrew Davies das Drehbuch verfasste, bemerken Giddings und Selby (2001, 131): Its overt sexiness made it much talked about. Ice was used to enable Alex Kingston's nipples to stand out during filming. It is said to have 17 sex scenes. It was also popular in the USA. When screened on American Public Service Broadcasting it earned the channel its highest ratings ever – 4 600 000. In the UK it attracted an average audience of 13 million, 3 million more than Pride and Prejudice. This was an effect which surpassed its cause. Einer ähnlichen Aktualisierung wurde auch Henry Fieldings Tom Jones für die BBC Verfilmung aus dem Jahr 1997 unterzogen: Inevitably, Tom Jones was predictably bruited as a 'romp' and given the full 'Lock up your daughters! Here comes Tom Jones' treatment on the cover of Radio Times. Reluctant viewers were encouraged to expect something spicy. They described Fielding's comicepic rather recklessly as ‘an 18th century rake's progress' where 'the comic depiction of human nature is free of the usual restraints of period drama.' Tom Jones (former rockbanddrummer Max Beeseley) we are told is 'in love' with 'genteel' Sophia (Samantha Moton) but 'in lust' with 'the more down to earth' Molly Seagrim (Rachel Scorgie) (Giddings/Selby 2001, 154). Auch der Trend zur gezielten Vermarktung der jeweiligen Produkte mittels Marketing und spin offProdukten setzte sich in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre fort: Drama productions are launched with a greater awareness of the importance of publicity and marketing, together with quite an array of additional merchandise: videos of the production, television tiein paperbacks, books on how the production was made, cassettes and CDs of the soundtrack, travelling exhibitions of the costumes and so on (Giddings/Selby 2001, 119). Ein Indiz bezüglich der MainstreamOrientierung einer Klassikerverfilmung liefert spätestens seit Mitte der 1990er Jahre auch das Programm, in dem sie erstmals ausgestrahlt wird. Für BBC1 postulierte der in den Jahren 1996 und 1997 erarbeitete MarketingPlan der BBC Breitenwirksamkeit und legte fest: "[I]t should be perceived as entertaining, engaging, trustworthy, authoritative, contemporary, warm, welcoming, elegant and so on" (Born 2004, 259). Im Bezug auf das Genre des Kostümdramas heiβt dies konkret: "[I]t is supposed to be popular, not just worthy" (Giddings/Selby 2001, 172) – zumindest dann, wenn eine Ausstrahlung auf BBC1 anvisiert wird. Dem zweiten Programm der BBC gedachte man einen leicht anderen Zuschnitt zu: "'My BBC2' [...] should be perceived as topical and relevant, diverse, playful, modern, challenging, surprising, able to take risks, a channel of ideas" (ebd.). Für BBC2 galten auch im Hinblick auf Einschaltquoten für das Genre des 132

Television Drama leicht andere Maßstäbe: "BBC2 will continue to commission some drama which ... will only achieve relatively low audiences. As a general guide, however, we would expect [peaktime drama] to meet or exceed the channel's average audience share of 11%" (Born 2004, 311). Bestimmte Merkmale sollten allerdings beiden BBCProgrammen gemeinsam sein: Beide sollten in ihrer Gestaltung "accessible, innovative, intelligent and stylish" sein (Born 2004, 259, meine Hervorhebung). Avantgardistisches scheint innerhalb der BBC wenn überhaupt nur in sehr moderater Form Platz zu haben (vgl. Caughie 2000, 130 und 163).83 Die ab Mitte der 1990er Jahre zu beobachtende verstärkte MainstreamOrientierung des Genres der Klassikerverfilmung hängt auch damit zusammen, dass die BBC zur Realisierung ihrer Projekte zunehmend auf finanzielle Unterstützung aus anderen Quellen angewiesen war und bis heute ist: [I]t is now common for the Corporation to secure at preproduction stage co production funding from overseas – usually the USA – to underwrite budget costs. This is especially the case with drama productions, oneoff plays and costume dramas especially. Consequently, the BBC is no longer able to embark on drama production in a spirit of free market aesthetic or cultural dogooding. In drama productions today there has to be a builtin awareness of wide audience appeal over a wide international cultural range. Television drama productions are part of an international cultural commodity market. Drama series have perforce to bear American audiences in mind (Giddings/Selby 2001, 118f.). So wurden die im Folgenden analysierten Fernsehverfilmungen allesamt von der amerikanischen Firma WGBH Boston coproduziert, werden aber in den USA – obgleich es sich um dieselben Produktionen handelt – deutlich weniger mainstreamorientiert präsentiert: Sie werden auf dem Sender PBS, der tendenziell eher von einem mit höherem kulturellen Kapital ausgestatteten Publikum genutzt wird, als Teil der MasterpieceTheatreSerie ausgestrahlt. Diese Serie existiert seit Januar 1971 und versteht sich explizit als 'Anthologie'. Dementsprechend werden die einzelnen Verfilmungen um kurze Einführungen und Nachworte ergänzt, die Hintergrundwissen über Autor und Werk des der Verfilmung zugrunde liegenden Textes vermitteln sollen. Diese Einführungen und Nachworte, die sich auch auf den amerikanischen DVDAusgaben der Verfilmungen finden, wurden bis 1992 von dem amerikanischen Journalisten Alistair Cooke gesprochen, zwischen 1992 und 2004 von

83 Dies gilt nicht nur für die BBC, sondern auch für Channel Four, obgleich die Einrichtung dieses Senders, wie John Caughie (2000, 183) darlegt, der britischen Fernsehlandschaft durchaus neue Impulse gab, und obwohl es Anfang der 1980er Jahre für kurze Zeit den Anschein hatte, als böte dieser vierte britische Fernsehsender "the possibility of alternative forms of television, the space for a kind of avant garde which would never have mass appeal or international success, but which would be precisely a workshop in which ideas could be tested and new ways of making drama could be tried (Caughie 2000, 201).

133 dem Schriftsteller und PulitzerPreisträger Russell Baker. Eine leichte Öffnung der Serie zum Mainstream mag in der Tatsache gesehen werden, dass – nachdem ab 2004 die Serie vorübergehend ohne Moderator ausgestrahlt wurde – Anfang 2008 der aus populären Genres bekannten Schauspielerin Gillian Anderson die Aufgabe übertragen wurde, in die jeweiligen Verfilmungen einzuführen. Bereits 2005 hatte die BBC in der Verfilmung von Bleak House die Rolle der Lady Dedlock zu Popularisierungszwecken mit Gillian Anderson besetzt.

4.1.3 Die Relevanz der Klassikerverfilmung für ein zeitgenössisches Publikum John Caughies Ausführungen legen nahe, dass die Relevanz einer Klassikerverfilmung – ob nun in Kino oder Fernsehen – für ihren Rezipienten mittels einer Symbiose aus Elementen, die auf der Achse der 'Ähnlichkeit' anzusiedeln sind, mit anderen Elementen von der Achse der 'Differenz' entstehen kann. Wie sich aus John Caughies (2000, 215) Erörterungen ableiten lässt, scheint die Relevanz einer Klassikerverfilmung für ihren Rezipienten durch "the pleasure in detail, [...] the observation of everyday manners and the ornamental" zu entstehen – Elemente, die sich Fiskes Kriterium der 'Differenz' zuordnen lassen. Besonders die Kleidung der Schauspieler und die Ausstattung des Settings spielen hierbei eine bedeutende Rolle: The detail which makes the past different from us has been absorbed and dissolved into a generality of style designed to give us the patina of pastness without its materiality: '1810sness' or '1890sness' communicated by the attributes of fashion (Caughie 2000, 217). Betont und hervorgehoben werden jedoch auch in solchen Verfilmungen "human continuities and lingering generalities of tone and style [...] without the formal distance and the historical particularity which might enable us to experience difference and change" (Caughie 2000, 211) – eine Taktik, die ganz erheblich dazu beiträgt, das in der Verfilmung Dargestellte für den Zuschauer relevant zu machen, allerdings auf Fiskes Achse der 'Ähnlichkeit'. "History becomes the present in costume", wie Caughie (ebd.) es formuliert. Dass die Integration einer solchen Klassikerverfilmung in das Alltagsleben ihrer Rezipienten überaus erfolgreich verlaufen kann, verdeutlicht die Tatsache, dass die Zeitschrift Radio Times im Jahr 1995, eine Woche bevor die entsprechende Folge von Pride and Prejudice über die Bildschirme lief, dem großen Interesse der Bevölkerung an der Verfilmung Rechnung tragend eine Fotografie des Hochzeitspaares Elizabeth Bennett und Mr. Darcy als Coverfoto veröffentlichte, diese fiktionale Hochzeit mit der Überschrift 'The Wedding of the Year' anpries (Caughie 2000, 215) und sie damit gleichsam als realexistierendes Ereignis verkleidete. 134

4.2 Case Studies Robert Giddings und Keith Selby (2001, 120) erkennen auf der Höhe des HeritageBoom und zur Blütezeit der classic serial eine vorübergehende Abwendung von Dickens zumindest auf seiten der Fernsehschaffenden. Für diese Abwendung machen sie die intendierte Abstimmung des classic serial vornehmlich auf ein weibliches Publikum verantwortlich: There was a move away from Dickens, who appeals strongly to the male perspective and constantly presents two female character types – either pliable and saintly heroines, (Nell, Dora, Amy, Esther) or overpowering older types (Betsy, Mrs Clenman, Mrs Joe). Diese DickensFlaute betrachten sie allerdings in der Tat nur als vorübergehende Erscheinung: Charles Dickens, original stalwart of the tradition – who provided much lively raw material from the earliest days of broadcasting – after a brief eclipse, seems to be in for something of a revival at a period of immense technical and economic media advancement (Giddings/Selby 2001, 188f.). Der erneute Aufschwung begann im März 1998, als auf BBC2 eine neue vierteilige Verfilmung von Our Mutual Friend zu sehen war. In dieser Verfilming sowie in neuen Adaptionen von Great Expectations (BBC, 1999), David Copperfield (BBC, 1999) und Oliver Twist (ITV, 1999) manifestierte sich nach Darstellung von Carolin Held (2004, 114) ein MiniBoom von DickensAdaptionen für das Fernsehen. Unmittelbar vor der richtungsweisenden Pride and PrejudiceVerfilmung aus dem Jahr 1995 hatte die BBC noch neue Adaptionen von zwei unterschiedlichen DickensRomanen gezeigt: Im November und Dezember 1994 war eine mehrteilige Adaption von Martin Chuzzlewit auf BBC1 zu sehen, am Weihnachtstag desselben Jahres dann eine Verfilmung von Hard Times in Spielfilmlänge auf BBC2. Die erstgenannte dieser beiden Produktionen soll nun als erste Fallstudie innerhalb dieses Kapitels analysiert werden. Zunächst sollen jedoch kurz einige Popularisierungsstrategien diskutiert werden, die – sofern nicht anders angegeben – im Fall aller der im Folgenden zu besprechenden RomanAdaptionen zu beobachten sind. Hier ist zunächst die Kürzung der Handlung um ihre Details zu nennen. Um Dickens' in den meisten Fällen lange Romane auf Spielfilmlänge bzw. die Länge einer mehrteiligen Klassikerverfilmung (die, wie die folgenden Beispiele zeigen, freilich zwischen drei und fünfzehn Stunden variieren kann) zu kürzen, müssen Nebenhandlungen und Nebenfiguren entfallen. In allen hier zu analysierenden Fällen ist eine deutliche Konzentration auf bestimmte, für ein zeitgenössisches Publikum relevante Themenbereiche zu erkennen. Welche dies sind, wird im Folgenden jeweils innerhalb der entsprechenden case study diskutiert. 135

Hinzu kommen sprachliche Veränderungen am Originaltext. Zwar wird im Fall aller hier diskutierten Kostümdramen versucht, die viktorianische Diktion beizubehalten, dennoch weisen die Produktionen Vereinfachungen sowohl der Syntax als auch der Lexik auf. So wird etwa Martin Chuzzlewit seniors umständlicher und langwieriger Vortrag über die Gier seiner Verwandten (vgl. MC, 47ff.) Pecksniff gegenüber in der BBCVerfilmung von Martin Chuzzlewit auf die kurze Formel gebracht: "[My money] has brought me nothing but misery. It has poisened every tie of family or friendship. No one loves me for myself; only for what they hope to get out of me." Und während die Magd Hortense den Rechtsanwalt Tulkinghorn im Roman Bleak House bittet: "You will do me the kindness to remember, sir, that I am not at present placed" (BH, 364, meine Hervorhebung), so formuliert sie in der Verfilmung: "You will remember, sir, that I am not at present employed" (BH, Episode 5, 1:431:47). Die sprachlichen Veränderungen schlieβen ein, dass die Dialekte und Akzente einzelner Figuren in den entsprechenden Verfilmungen nur noch in Ansätzen wahrnehmbar sind. So ist etwa der starke YorkshireAkzent des John Browdie aus icholas ickleby in den Verfilmungen kaum noh hörbar. Wie George H. Ford (1987, 322f.) am Beispiel einer Verfilmung von Dickens' Roman Hard Times aus dem Jahr 1978 erläutert, werden solche Veränderungen an der Sprache eines Romans zum Zwecke der Adaption nicht zuletzt mit Rücksicht auf das amerikanische Publikum vorgenommen. Abschlieβend ist die Strategie der Popularisierung durch Schauspieler zu nennen. Die Technik, über den Einsatz bekannter und populärer Schauspieler diskursive Relevanz zu erzeugen, ist innerhalb des hier zu analysierenden Korpus zunächst an der den Kino Verfilmungen von Great Expectations (Regie: Alfonso Cuarón) und icholas ickleby (Regie: Douglas McGrath) zu beobachten. Im Fall der Verfilmung von Great Expectations hat die Besetzung der Rolle der Estella mit Gwyneth Paltrow auch Auswirkungen auf die Charakterisierung der Figur (vgl. Abschnitt 4.2.2.). Im Fall der icholas ickleby Verfilmung ist neben der Tendenz zu "famous namecasting" (Quinn 2003), das etwa die Schauspieler Anne Hathaway, Jamie Bell und Christopher Plummer einschlieβt, die Besetzung der Mrs. Crummles mit Dame Edna Everage besonders erwähnenswert. Bei dieser handelt es sich um eine Kunstfigur, die in den 1950er Jahren von dem australischen Komiker Barry Humphries erschaffen wurde, seither von diesem verkörpert wird, in unterschiedlichen Funktionen – etwa als Buchautorin, TalkshowModeratorin und Schauspielerin – auftritt und somit in der gesamten englischsprachigen Welt auf einen hohen Bekanntheitsgrad verweisen kann. Kurz vor Veröffentlichung der icklebyVerfilmung etwa hatte Dame Edna Everage eine Gastrolle in der fünften Staffel der populären Fernsehserie Ally McBeal. "The character 136 shared Dame Edna's voice and style and was explicitely listed in the opening credits as being played by Dame Edna Everage (although Barry Humphries received a credit in the closing credits)" (Wikipedia n.d.3). Solche Zusammenhänge stellen ein gutes Beispiel für den Versuch dar, über einen Schauspieler durch Anknüpfung an andere populärkulturelle Produktionen bzw. Medien diskursive Relevanz für den Rezipienten herzustellen.84 In den letzten Jahren wird aber zunehmend auch bei der Produktion von Fernsehverfilmungen von dieser Strategie Gebrauch gemacht. Dies deutete sich schon im Jahr 2002 bei der BBC2 Verfilmung von Peter Ackroyds DickensBiographie an und war 2005 bei Andrew Davies' Bleak HouseVerfilmung besonders auffällig: The cast has been assembled from different areas of the acting profession [...] 'We wanted to cast known faces from a variety of different backgrounds, all known to the audience that we are trying to attract,' says [producer Nigel] Stafford Clark. 'Getting Gillian Anderson was a huge coup for us […]. Gillian is a big star – The XFiles has made her a household name [...]. It [the cast list] covers the whole spectrum – from really wellestablished classical actors through to actors who people wouldn't necessary [sic] expect to see in a period drama (BBC Press Release 2005). Weitere Popularisierungsstrategien werden nun anhand der ausgewählten Produkte analysiert. An den Anfang der case studies wird jeweils eine kurze Verortung des Romans in Dickens' Oeuvre sowie eine Zusammenfassung des Inhalts gestellt. Dies ist notwendig, damit sich die darauffolgenden Einzelbeobachtungen sinnvoll einordnen lassen.

4.2.1 Martin Chuzzlewit (BBC, 1994) 4.2.1.1 Der Roman und seine Relevanz für das heutige Publikum Martin Chuzzlewit wurde in den Jahren 1843 und 44 verfasst und ist der sechste Roman in Dickens‘ Oeuvre. Dickens griff im Fall dieses Romans auf das bewährte Konzept der Veröffentlichung in 19 monatlichen Fortsetzungen zurück, das er bereits bei seinen vorausgegangenen Romanen The Pickwick Papers, icholas ickleby, Barnaby Rudge und The Old Curiosity Shop erfolgreich angewandt hatte. Der Titel des Werkes ist insofern zweideutig, als der Roman zwei Charaktere mit dem Namen Martin Chuzzlewit aufweist: Den jungen Martin Chuzzlewit, bei Einsetzen des Romans ca. 21 Jahre alt, und seinen Groβvater, der ebenfalls auf den Namen Martin

84 Die Besetzung der Rolle der Mrs. Crummles mit einem Transvestiten ist indes nicht so abwegig, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag. In Dickens' Originaltext trägt diese Figur durchaus Züge, die sich als maskulin interpretieren lassen. Dickens' Erzähler berichtet über die erste Begegnung zwischen Nicholas und Mrs. Crummles: "The lady shook Nicholas by the hand as she addressed him in these terms; he saw it was a large one, but had not expected quite such an iron grip as that with which she honoured him" (, 281). 137

Chuzzlewit hört. Der kränkelnde Chuzzlewit sen. hat die Waise Mary unter seine Fittiche genommen, die für seine Pflege eine regelmäβige finanzielle Zuwendung erhält. Martin junior verliebt sich in Mary gegen den Willen seines Groβvaters. Als er sich weigert, seine Beziehung zu Mary zu beenden, enterbt ihn Martin sen. Martin jun. begibt sich in das Haus des Cousins seines Groβvaters und vermeintlichen Architekten Seth Pecksniff, der regelmäβig junge Männer bei sich aufnimmt – angeblich, um sie ihn in Architektur zu unterrichten. Bei Pecksniff handelt es sich um einen geldgierigen, egozentrischen Hochstapler, der vorgibt, stets selbstlos zu handeln, in Wirklichkeit aber genau wie Martin seniors übrige Verwandschaft hinter dessen Erbe her ist und seine Schüler schamlos ausnutzt. Pecksniff hat die beiden kaum sympathischeren Töchter Mercy und Charity. Im Haus Pecksniffs trifft Martin jun. auf Tom Pinch, einen gutmütigen, leicht naiven 35Jährigen, der seit Jahren als eine Mischung aus Hausdiener und Schüler bei Pecksniff residiert und diesem treu ergeben ist. Als Pecksniff auf Betreiben von Chuzzlewit sen. den jungen Martin Chuzzlewit vor die Tür setzt, fasst dieser den Entschluss, sich in Amerika als Architekt zu verdingen. Mark Tapley, der bislang in der Gaststätte Blue Dragon arbeitete, bietet Martin seine Dienste als dessen unbezahlter Diener an. In Amerika stecken sich beide mit Malaria an und entgehen nur knapp dem Tod. Durch dieses Erlebnis geläutert bereut Martin sein bis dato egoistisches Verhalten. Er und Mark beschlieβen, nach England zurückkehren. Martin will sich dort mit seinem Groβvater aussöhnen, hat allerdings nach wie vor nicht die Absicht, seine Verlobung mit Mary zu lösen. Zwischenzeitlich ist Martin senior zusammen mit Mary bei Pecksniff eingezogen und scheint sich dessen Plänen und Absichten völlig zu unterwerfen. Marys ständige Anwesenheit in Pecksniffs Haus bringt Tom Pinch in arge Bedrängnis. Tom hat sich schon bei seiner ersten Begegnung mit Mary in diese verliebt, noch bevor er Martin Chuzzlewit junior kannte, geschweige denn von dessen Verlobung mit ihr wusste. Seine Gefühle behält er jedoch für sich. Während Martin juniors AmerikaReise stirbt einer der geldgierigen Verwandten seines Groβvaters, Martin seniors Bruder Anthony, unter mysteriösen Umständen, was den Auftakt zu einer Art Kriminalhandlung innerhalb des Romans bildet. Seinem Sohn Jonas fällt das Erbe zu. Jonas gerät in die Fänge Montague Tiggs, Inhaber einer Versicherungsgesellschaft, der darauf aus ist, seinen Kunden mit leeren Versprechungen Geld abzuknöpfen. Als Jonas den Betrug wittert und aus dem Geschäft aussteigen will, erpresst Tigg ihn: Tigg will in Erfahrung gebracht haben, dass Jonas seinen Vater Anthony ermordet hat, um an dessen Erbe zu kommen. Jonas selbst glaubt, seinen Vater vergiftet zu haben und 138 kann sich somit Tigg nicht entziehen. Später wird Anthonys vorgeblich seniler Diener Chuffey die Sache jedoch richtig stellen: Jonas hatte sich tatsächlich von dem Apotheker Lewsome, der Spielschulden bei ihm hatte, Gift besorgt. Anthony war ihm jedoch auf die Schliche gekommen und hatte die tödliche Substanz beiseite geräumt. Die Ursache seines Todes war Gram über seinen ihn nach dem Leben trachtenden Sohn. Tigg fordert Jonas dazu auf, seinen Schwiegervater Pecksniff ebenfalls zu einer Investition zu überreden. Jonas, der sich nach einem gescheiterten Fluchtversuch nicht mehr zu helfen weiβ, ermordet Tigg schlieβlich. Als Mary Tom Pinch davon in Kenntnis setzt, dass sie von Pecksniff belästigt wurde, erkennt dieser den wahren Charakter seines vermeintlichen Gönners. Pecksniff belauscht die Unterredung zwischen Mary und Tom entlässt Tom umgehend. Tom macht sich auf den Weg nach London und gründet mit seiner Schwester Ruth einen Hausstand. Durch Vermittlung seines Freundes und ehemaligen PecksniffSchülers John Westlock findet er eine Arbeitsstelle bei einem anonymen Arbeitgeber, der sich später als Martin Chuzzlewit sen. entpuppen wird. Der reumütige Martin junior wird bei seiner Rückkehr von seinem Groβvater durch dessen 'Sprachrohr' Pecksniff abgewiesen. Bald darauf beruft Martin sen. jedoch eine Familienkonferenz ein, bei der er bekannt gibt, Pecksniffs wahren Charakter durchschaut zu haben. Er gibt Mary und Martin seinen Segen, was jedoch auch bedeutet, dass Tom Pinchs Liebe zu Mary endgültig zur Unerfülltheit verdammt ist. Auch Ruth Pinch und John Westlock heiraten, ebenso wie Mark Tapley und Mrs. Lupin, die Wirtin des Blue Dragon. Jonas, als Mörder von Tigg entlarvt, kommt dem Gesetz zuvor und nimmt sich das Leben, Pecksniff, durch seine Investition bei Tigg mittellos geworden, wird zum Bettler. Martin Chuzzlewit sollte sich rasch als Dickens' bis dato am wenigsten erfolgreicher Roman erweisen – zumindest den Verkäufen der einzelnen Fortsetzungen nach zu urteilen: Wie Leslie Fiedler (1986, 19f.) ausführt, verkaufte sich das erste instalment 20.000 mal – von den einzelnen Fortsetzungen von Dickens' vorausgegangenem Roman The Old Curiosity Shop waren bis zu fünf Mal soviele Exemplare abgesetzt worden – "and the numbers did not increase even after Dickens had ventured into new territory by sending his hero off to America. [... Dickens] ended up writing – for the first time in his career – against rather than for or to his audience" (Hervorhebung im Original). Dennoch weist dieser Roman nach Ansicht von David Lodge, der das Drehbuch zur BBCVerfilmung aus dem Jahr 1994 schrieb, gerade für ein Publikum des 20. Jahrhunderts ein beachtliches Maβ an repräsentionaler Relevanz auf: 139

Martin Chuzzlewit was the first of his [Dickens's] novels to have a unifying moral theme which he himself specified. The theme is selfishness, and almost everything in the novel serves to underline the destructive effects of selfishness on individuals, on family life and on social life. In some sense that's a timeless message, I think, one could say that in modern Western society, which is so materialistic and individualistic, that it has particular relevance, but it had relevance for Dickens's own age too, I mean, he was in the early capitalistic period, we're in the late capitalistic period. I suppose the same message about selfishness and greed applies in both periods (BBC Education 1995). Als besonders bemerkenswert betrachtet Lodge in diesem Zusammenhang den Handlungsstrang rund um Montague Tiggs Versicherungsbetrug, dessen Relevanz für ein zeitgenössisches Publikum er zudem noch durch eine gezielte Ergänzung an Dickens' Text verstärkte: [T]here is some perhaps topical satire on corrupt business practices in the Montague Tigg insurance company swindle, and that certainly has relevance to our age and I enjoyed slipping in a line about Lloyd's which isn’t in the book (ebd.). David Lodges Adaption, die sich als Kostümdrama präsentiert, wurde ab dem 7. November 1994 in 6 Folgen auf BBC2 ausgestrahlt. Der 85minütigen ersten Folge schlossen sich im wöchentlichen Rhythmus fünf weitere knapp 60minütige Folgen an, bis am 12. Dezember 1994 die letzte Folge über die britischen Bildschirme lief.

4.2.1.2 Das populäre Potential der Verfilmung Zu Beginn der Verfilmung wird eine in der Forschung immer wieder betonte Schwäche des Romans ausgeglichen, die zudem auch wiederholt für den für Dickens' Verhältnisse schleppenden Verkauf der ersten Folgen des Werkes mitverantwortlich gemacht wird, nämlich der recht mühsame Einstieg: He [Dickens] opens with a mockpedantic satire on aristocratic genealogy – a peculiarly oblique beginning, which understandably failed to grip his original readership – and moves to a suspiciously gushing eulogy on the virtues of the Pecksniff family (Flint 2001, 36). Der Beginn der ersten Folge der Verfilmung bietet eben jene "initial tension", deren Fehlen im ersten Kapitel des Romans Barbara Hardy (1962, 111) bemängelt. Die Verfilmung beginnt mit tempo und handlungsreichen Szenen. Drehbuchautor David Lodge setzt eine Szene an den Anfang, die sich im Roman erst im 3. Kapitel abspielt, dort recht undramatisch erscheint und auch erst nach einer ausführlichen Beschreibung des Wirtshauses Blue Dragon einsetzt: An old gentleman and a young lady, travelling, unattended, in a rusty old chariot with posthorses; coming nobody knew whence, and going nobody knew whither: had turned out of a high road, and driven unexpectedly to the Blue Dragon; and here was the old gentleman; who had taken this step by reason of his sudden illness in the 140

carriage, suffering the most horrible cramps and spasms, yet protesting and vowing in the very midst of his pain, that he wouldn't have a doctor sent for, and wouldn't take any remedies but those which the young lady administered from a small medicine chest, and wouldn't, in a word, do anything but terrify the landlady out of her five wits, and obstinately refuse compliance with every suggestion that was made to him (MC, 36). Die Dramatik dieser Szene aus dem Roman wird in der Verfilmung erheblich verstärkt. Gleich im Anschluss an den Vorspann ist eine PferdeKutsche zu sehen, die in raschem Tempo durch die Landschaft fährt, untermalt von bedrohlich klingender Musik. Mary beugt sich aus einem der Fenster des Gefährts und ruft dem Kutscher in leicht panischem Tonfall zu: "Thomson, your master is unwell. We must stop at the very next village we come to." Dieser kurzen AnfangsSzene schlieβt sich eine Szene an, die dem zweiten Kapitel entnommen wurde, und die eine weitere Hauptfigur der Handlung vorstellt: Mr. Pecksniff, der sich in windigem Wetter auf dem Weg nach Hause befindet: The scared leaves only flew the faster for all this [...]. But the oddest feat they achieved was, to take advantage of the sudden opening of Mr Pecksniff’s frontdoor, to dash wildly into his passage; whither the wind following close upon them, and finding the backdoor open, […] slammed the frontdoor against Mr Pecksniff who was at that moment entering, with such violence, that in the twinkling of an eye he lay on his back at the bottom of the steps (MC, 20f.). Anders als der Roman beginnt die Verfilmung also mit zwei tempo und actionreichen Szenen, deren zweite zudem durch Pecksniffs unsanftes Hinfallen eine Art slapstickKomik aufbietet. Die 'Kriminalgeschichte' mit Jonas Chuzzlewit im Zentrum bildet einen der Handlungsstränge mit populärem Potential, die in der Verfilmung betont werden. Zu diesem Zweck wird vor allem die Rolle des Apothekers Lewsome gestärkt, der Jonas Chuzzlewit das Gift zur Ermordung seines Vaters besorgt. Es finden sich in der Verfilmung zwei zusätzliche Szenen, die vom Drehbuchautor der Romanhandlung hinzugefügt wurden, und die beide auch eine Steigerung der dramatischen Spannung bewirken. Während Pecksniff mit seinen Töchtern Charity und Mercy in London weilt, werden diese von Jonas Chuzzlewit zu einem Spaziergang eingeladen, im Laufe dessen sie in Jonas Chuzzlewits Behausung Station machen (Kapitel 11). In der Verfilmung hat Lewsome an der Stelle innerhalb der zweiten Folge seinen ersten Auftritt, an der Jonas mit seinen Begleiterinnen gerade im Begriff ist, sein Haus zu betreten. Unterlegt von Musik, die die Bedrohlichkeit der Situation unterstreicht, wird Jonas von Lewsome aufgehalten, der plötzlich wie aus dem Nichts auftaucht, und es beginnt folgender Dialog: Lewsome: "Chuzzlewit!" 141

Jonas (ärgerlich zischend): "What the devil do you want?" Lewsome: "I need to talk to you." Jonas: "But now you see I've got company." Lewsome: "When then?" Jonas: "Tomorrow. Tavern. Usual time. (Drohend:) Don’t forget to bring the money!" Lewsome: "That’s what I wanted…" (Jonas hat sich bereits abgewandt und mit seinen Begleiterinnen das Haus betreten.) Diese Begegnung zwischen Jonas und Lewsome ist nicht im Roman zu finden. Eine weitere zusätzliche Szene mit Lewsome als hauptsächlichem Akteur bietet die Verfilmung in der dritten Folge, während Anthony Chuzzlewits Beerdigung. Als der Trauerzug an einigen Passanten vorbeizieht, drängt Lewsome sich nach vorne und wendet sich an einen von ihnen: Lewsome: "Whose funeral is this?" Passant: "Old Anthony Chuzzlewit's." Lewsome (ungläubig): "Mr. Chuzzlewit? No!" Passant: "Yes. He died suddenly last Monday." Lewsome: "Suddenly?" Passant: "A stroke, they say. What? What’s the matter, man? You look pale as a ghost! (Lewsome bricht zusammen, sinkt ihm in die Arme.) Good Lord!" Diese Szene in der Verfilmung sorgt zudem für eine Vereindeutigung des Geschehens, da sie einen Zusammenhang zwischen der Nachricht von Anthony Chuzzlewits Tod und Lewsomes darauffolgender schwerer Krankheit herstellt. Dem Leser des Romans erschlieβt sich dieser Zusammenhang – wenn überhaupt – erst nach Lewsomes Geständnis, Jonas ein tödliches Medikament zur Verfügung gestellt zu haben (Kapitel 48). Zum Ausbau der Kriminalhandlung um Jonas Chuzzlewit und Lewsome trägt zudem die Tatsache bei, dass eine Szene aus Kapitel 25 des Romans in der Verfilmung an prominenterer Stelle platziert wird. Diese Szene gibt im Roman den ersten Hinweis auf eine mögliche Verstrickung Lewsomes in Jonas Chuzzlewits kriminelle Machenschaften. Die Szene findet sich in jenem Kapitel, das sich mit Mrs. Gamps 'Pflege' des kranken Lewsome befasst: Mrs Gamp became silent […] and fell into a heavy dose. She was awakened by the room ringing (as she fancied) with a name she knew: "Chuzzlewit!" The sound was so distinct and real, and so full of agonized entreaty, that Mrs Gamp jumped up in terror, and ran to the door. […] [O]nce again, in a tone more terrible than that which had vibrated in her slumbering ear, these words were shrieked out: "Chuzzlewit! Jonas! No!" Mrs Gamp dropped the cup she was in the act of raising to her lips, and turned round with a start that made the little teaboard leap. The cry had come from the bed (MC, 396). Diese Szene, die sich im Roman gegen Ende des 25. Kapitels abspielt, beschlieβt dort keine der Fortsetzungen (das zehnte instalment ist erst nach Kapitel 26 zu Ende.) Von den 142

Produzenten der Fernsehserie wird diese spannungsträchtige Szene dagegen als cliffhanger verwendet – mit ihr findet die 3. Folge der Verfilmung ihren Abschluss. Signifikanterweise wird auch für die zweite Folge ein Element der Kriminalhandlung rund um Jonas Chuzzlewit als cliffhanger genutzt, nämlich Antony Chuzzlewits Tod. Dieser ereignet sich im Roman im achten instalment zum Ende des ersten Kapitels. Betont werden auch die Romanze um die Figuren Ruth Pinch und John Westlock sowie die auf Gegenseitigkeit beruhende Romanze zwischen Mary und Martin junior und die einseitige um Mary und Tom Pinch. Ruth Pinchs und John Westlocks gegenseitige Zuneigung wird schon im Roman recht deutlich geschildert, immerhin findet seitens John Westlocks eine Liebeserklärung on stage statt (vgl. MC, 764) – wie die folgenden Fallstudien zeigen werden, ereignet sich solcherlei bei Dickens häufig off stage. Dennoch wird diese Romanze in der Verfilmung noch zusätzlich gestärkt. So wird dort gleich bei der ersten Begegnung zwischen John und Ruth deutlich, dass sich hier etwas anbahnt, das auf Gegenseitigkeit beruht: Unmittelbar nachdem Tom Pinch die beiden miteinander bekannt gemacht hat, setzt romantische Musik ein, die Gesichter der beiden Figuren erscheinen nacheinander in Groβaufnahme, beide lassen sich denkbar viel Zeit damit, sich nach ihrem Händedruck wieder voneinander zu lösen. Im Roman erscheint diese Szene weniger eindeutig, zumal Dickens die auch hier in Ansätzen vorhandene Romantik der Szene durch Komik verschleiert: "Mr John Westlock," said Tom. "My sister." […] John […] had been transfixed in silent admiration; and he held out his hand to Miss Pinch; who couldn't take it, however, by reason of the flour and paste upon her own. This, which might seem calculated to increase the general confusion and render matters worse, had in reality the best effect in the world, for neither of them could help laughing; and so they both found themselves on easy terms immediately (MC, 570). Auch die Beziehung zwischen Mary und Martin junior wird in der Verfilmung ausgebaut, etwa durch Hinzufügung einer kurzen Szene, die sich Martins Rückkehr aus Amerika anschlieβt. Während das Wiedersehen dieser beiden Figuren im Roman im Beisein Pecksniffs und Martin seniors im Haus Pecksniffs stattfindet (vgl. MC, 624), kommt es in der Verfilmung schon vor dieser Szene, in der Pecksniff Martin junior – vermeintlich im Sinne Martin seniors handelnd – des Hauses verweist, zur Wiedervereinigung des Liebespaares im Vorgarten des Hauses. Wohl in der Absicht, den Handlungsstrang rund um die Charaktere Mary/Martin/Tom Pinch dramatisch etwas aufzuwerten – "[t]he two pairs of lovers who come forward near the end" bezeichnet Albert J. Guerard (1976, 121) signifikanterweise als 143 wenig interessant – richtet die Verfilmung das Augenmerk des Zuschauers jedoch besonders auf Tom Pinchs Gefühle für Mary, und zwar in einem wesentlich gröβeren Ausmaβ, als dies im Roman der Fall ist. So wird Tom Pinchs erste Begegnung mit Mary, von der der Leser des Romans erst in Retrospektive durch Toms Gespräch mit Martin erfährt (vgl. MC, 85f.), in der Verfilmung erkennbar ausgestaltet. Dieses erste Zusammentreffen zwischen Mary und Tom Pinch, das sich während dessen Orgelspiel in der Kirche ereignet, wird in der Verfilmung dramatisiert und an der entsprechenden Stelle in der Chronologie der ersten Folge eingefügt. Es handelt sich hierbei um eine Szene mit einer Länge von nahezu anderthalb Minuten: Der Zuschauer sieht Mary aus einem Haus treten und auf die Kirche zugehen, aus der Orgelspiel dringt. Während sie eintritt, zeigt die Kamera auf Tom Pinch, der an der Orgel sitzt und und sakrale Musik spielt. Als Mary in einer der Bänke Platz nimmt, erblickt Tom sie in einem Spiegel, der auf der Orgel steht. In diesem Moment geht sein Orgelspiel in einen romantischen Film Soundtrack über, sein Gesicht erscheint für mehrere Sekunden in Groβaufnahme auf dem Bildschirm, sein Blick wirkt verwirrt. Anschlieβend zeigt die Kamera Marys Gesicht in Groβaufnahme, die zunächst still vor sich hin lächelt, dann aber etwas ängstlich blickt. Im Roman ist von einem Traum Tom Pinchs die Rede, in dem es ihm gelingt, Mary ihrem Verlobten Martin abspenstig zu machen und mit ihr zu fliehen. Die Schilderung des Traumes schlieβt sich an jene Szene an, in der Pinch von der von Jonas verschmähten Charity dafür gelobt wird, dass er Jonas, als dieser ihn anpöbelte und ihm den Weg versperrte, vermeintlich niederstreckte. Im Roman beschränkt sich die Schilderung dieses Traumes jedoch auf einen einzigen Satz: "[H]e fell asleep at last, and dreamed – new source of waking uneasiness – that he had betrayed his trust, and run away with Mary Graham" (MC, 377). In der Verfilmung wird aus diesem Satz wiederum eine längere Szene von diesmal knapp zwei Minuten Länge: Um deutlich zu machen, dass es sich hier um einen Traum handelt, zeigt die Kamera zunächst den schlafenden, mit Nachtmütze bekleideten Tom Pinch. Daraufhin erscheint das Innere der Kirche auf dem Bildschirm, Mary und Martin senior gehen auf den Orgel spielenden Tom Pinch zu. Plötzlich erscheint Jonas Chuzzlewit, der Martin senior mit einem Stock anfällt. Tom wirft ihn zu Boden und weist ihn mit strengem Blick und ausgestrecktem Zeigefinger in seine Schranken. Während Jonas verschreckt auf allen Vieren das Weite sucht, geht Mary auf Tom zu, reicht ihm die Hand, führt seine Hand an ihren Mund, lächelt ihm zu. Anschlieβend zeigt die Kamera, wie beide in einer Kutsche davonfahren – an Martin vorbei, der mit einem Buch in der Hand am Wegesrand steht. Die Kamera zeigt zunächst Toms bestürztes Gesicht in Groβaufnahme, dann Martins ungläubigen 144

Gesichtsausdruck, ebenfalls in Groβaufnahme. Anschlieβend zeigt sie wieder auf Tom Pinch, der immer noch bestürzt von der Kutsche aus zu Martin zurückblickt. Die Szene endet mit einer erneuten Groβaufnahme des schlafenden Tom, der langsam zu sich kommt und sich – ganz offensichtlich über das Geträumte nachdenkend – im Bett aufrichtet.85 Im Verlauf der Verfilmung wird noch mehrmals an Toms Gefühle für Mary erinnert, am deutlichsten in der 6. Folge, als Martin senior seinem Enkel und Mary seinen Segen gibt. Anstatt bei dem sich daran anschlieβenden Kuss zwischen Mary und Martin zu verweilen, zeigt die Kamera erneut eine Groβaufnahme des Gesichts von Tom, der mit einer Mischung aus Betrübt und Verlegenheit im Blick vor sich hinstarrt. Betont werden auch die komischen Aspekte der Handlung. Die Aufgabe, für Komik zu sorgen, lastet in der Verfilmung auf den Schultern vor allem zweier Figuren: Seth Pecksniff und Augustus Moddle. Wie bereits erwähnt, zeigt die zweite Szene der ersten Folge einen Sturz Pecksniffs vor seiner Haustür. Dadurch wird Pecksniff neben seiner Funktion als einer der 'Bösewichte' der Handlung von Anfang an auch als eine Art slapstickFigur eingeführt. Auf diese zusätzliche Qualität der Figur Pecksniff wird im weiteren Verlauf der Verfilmung immer wieder zurückgegriffen – einerseits, indem (situations)komische Szenen mit Pecksniff im Mittelpunkt dezidiert beibehalten werden, andererseits, indem zusätzliche komische Szenen der Romanhandlung hinzugefügt werden. Eine situationskomische Szene findet sich im Roman im Anschluss an Pecksniffs Besuch bei Tom Pinchs Schwester Ruth, während dessen Pecksniff Ruth einen Brief von ihrem Bruder übergibt (Kapitel 9). Die Komik dieser Szene beruht auf einem Prinzip, das heute häufig in populären situation comedies Anwendung findet. Dieses Prinzip besteht darin, dass die Äuβerung einer Figur von einer auf diese Äuβerung folgenden Handlung umgehend konterkariert bzw. widerlegt wird. Die Szene aus dem Roman, die dieses Prinzip bemüht, wird nahezu wörtlich aus dem Roman übernommen und spielt sich in der ersten Folge der Verfilmung folgendermaβen ab: Pecksniff verlässt mit Charity und Mercy das Haus von Ruth Pinchs Arbeitgebern. Pecksniff: "A man of substance, clearly – substance and taste. We should be glad to make his acquaintance. Something may come of it." […] (Kamera zeigt auf ein Fenster im Obergeschoss des Hauses, das vom Hausherrn geöffnet wird). Hausherr: "Hey, you!" Pecksniff (zieht den Hut vor ihm): "Your servant, sir!" Hausherr: "Come off the grass!"

85 Nach Ansicht von Albert J. Guerard (1976, 185) steckt in Toms Traum, mit Mary durchzubrennen, der Stoff für einen komplett anderen Roman – "a whole implied, unwritten novel, in which the grotesque but truly deserving man wins the beautiful heroine – an unwritten novel which would undermine the conventional assumptions about how a romantic novel should end." 145

Pecksniff (wohlwollend lächelnd, leicht ungläubig): "I beg your pardon?" Hausherr: "I said: Come – off – the grass! You see the gravel, don't you? What do you think it's for?" Pecksniff: "We are unwilling to intrude, sir." Hausherr: "But you are intruding, sir. You are intruding on my lawn and my daughter’s education. Open the gate there! Show this party out!" (Pecksniff setzt seinen Hut wieder auf, geht vor sich hin summend und betont langsam davon). Die Komik dieser Szene entsteht wie folgt: Pecksniffs Erwartung, aus der Bekanntschaft zwischen ihm und dem Hausherrn könnte ihm ein Vorteil entstehen, womit sich auch sein höchst devotes Verhalten erklären lässt, wird von dem abweisenden Verhalten des Hausherrn, als es unmittelbar darauf tatsächlich zu einer Begegnung kommt, umgehend zunichte gemacht. Eine zusätzliche Szene, die sich nicht im Roman findet und in der Pecksniff für Komik sorgt, findet sich ebenfalls in der ersten Folge. Sie wird dort im Anschluss an Mrs Todgers' Dinnerparty aus Kapitel 9 eingefügt. Wie im Roman hat Pecksniff während dieser Party ein wenig zu tief ins Glas geschaut, worauf die zusätzliche Szene basiert, die am darauffolgenden Morgen spielt: Kamera auf Pecksniffs Bett, er selbst hat sich unter der Bettdecke verkrochen und ist somit nicht zu sehen. Charity und Mercy rütteln an der Bettdecke. Mercy: "Pa, Pa, wake up. Do you hear us, Pa?" Pecksniff (nach wie vor unter der Bettdecke versteckt, seine Stimme klingt dumpf darunter hervor): "No way. I’m indisposed." Mercy: "Pa, there is a letter come for you." Charity (beugt sich über die Bettdecke, in energisch klingendem Tonfall): "Special delivery!" Pecksniff taucht ruckartig, mit achtmütze auf dem Kopf, laut jammernd aus seinem Versteck auf, verzieht das Gesicht, greift sich an den Kopf. Pecksniff: "Give me the letter." (Er greift nach dem Brief, öffnet ihn, liest ihn murmelnd, wird plötzlich lauter): "...this morning!" Charity (erschrocken): "What is it, Pa?" Pecksniff (immer noch mit schmerzverzerrtem Gesicht, in larmoyantem Tonfall): "Fetch me a pint of coffee, hot and strong. Go!" Und schlieβlich verabschiedet sich Pecksniff in Folge 6 aus der Verfilmung ebenso slapstick haft, wie er in ihr auftauchte, nämlich mit einem Sturz. Während Pecksniff im Roman durch das Eintreten des Jungen Bailey nur fast stürzt (vgl. MC, 759), so geht Pecksniff in der Verfilmung tatsächlich erneut zu Boden.86 Die zweite Figur, der es in der Verfilmung obliegt, für Komik zu sorgen, heiβt

86 Vgl. zu den SlapstickQualitäten der Figur auch Giddings/Selby (2001, 96): "On screen we have only Pecksniff's actions and words, the genius of Dickens's narrative prose is absent. The best that could be done to make Pecksniff comic is to deploy slapstick, knockabout and pratfalls." 146

Augustus Moddle – jener in Mercy Pecksniff verliebte junge Mann, der sich nicht damit abfinden kann, dass diese einen anderen Mann heiratet, der sich schlieβlich mit deren Schwester Charity verlobt, aber dennoch ständig in Tränen ausbricht und kurz vor seiner geplanten Hochzeit mit Charity das Weite sucht und diese allein zurücklässt. Wie diese kurze Schilderung erkennen lässt, bietet diese Figur schon im Roman reichlich komisches Potential, das aber erst in der Verfilmung durch leichte Änderungen und Hinzufügungen richtig zur Geltung kommt. So wird Moddles Rolle in der Verfilmung im Vergleich zur Romanvorlage deutlich erweitert. Während seine unglückliche Verliebtheit in Dickens' Originaltext erst in Retrospektive nach Mercys Heirat wirklich deutlich wird, so zeigt bereits die erste Folge der Verfilmung ein kurzes Zusammentreffen zwischen Moddle und Mercy, bei dem Mercy ihm im Vorbeigehen einen Blick zuwirft, was zur Folge hat, dass er ihr wie gebannt nachstarrt. Seine Rolle in der Verfilmung wird zudem dadurch aufgewertet, dass Mrs Todgers ihn bei dieser ersten Begegnung mit Namen anspricht – im Roman ist von ihm zunächst stets nur als "the youngest gentleman [of the commercial gentlemen]" die Rede (vgl. etwa MC, 189). Eine der komischen Szenen mit Moddle findet sich in der 4. Folge der Verfilmung. Sie schlieβt sich unmittelbar an Charity Pecksniffs Eintreffen in Mrs Todgers boarding house an. Charity sucht dort nach dem Zerwürfnis mit ihrem Vater über die Heirat ihrer Schwester mit Jonas Chuzzlewit Zuflucht. Moddle: "Mrs Todgers, did I dream, or did I see Miss Charity arriving earlier?" Mrs Todgers: "No, Mr Moddle, you weren't dreaming. Miss Charity has come to stay with me for a while." Moddle (enthusiastisch): "Oh, Mrs Todgers, do you think she would permit me to sit with her sometimes?" Mrs Todgers: "I don't see why not." Moddle: "It would be a comfort to me to contemplate her nose." (Groβaufnahme von Mrs Todgers Gesicht, das ausdrückt, dass sie mit dieser Aussage nicht so recht etwas anzufangen weiβ.) Mrs Todgers: "Her – nose?" Moddle: "Her profile in general, but particularly her nose. It's so like… (kämpft mit den Tränen, nimmt Mrs Todgers einen Lappen aus der Hand, fährt weinend fort): It's so like hers who is another's, Mrs Todgers (schneuzt sich in Mrs Todgers Lappen.) Mrs Todgers (streng): "Now, Mr Moddle, if you want Miss Charity to be civil to you, you are gonna have to stop acting like a waterpump and going on all the time about 'another's'." Zwar bediente sich der Drehbuchautor beim Verfassen dieser Szene einiger Zeilen aus einem im Roman stattfindenden Dialog zwischen Moddle und Mrs Todgers (vgl. MC, 480), stärkt aber deutlich die Komik seiner Vorlage, etwa durch Betonung von Moddles Weinerlichkeit und durch den waterpumpVergleich. Eine ähnliche Strategie verwendet der Drehbuchautor noch in einer weiteren Szene 147 mit Moddle. Sie findet sich im Roman in Kapitel 46 – Charity und Moddle trinken bei Mercy Tee, als deren Ehemann Jonas unerwartet hinzukommt. Es kommt zu einer Auseinandersetzung zwischen Charity und Jonas: "Charity! Charity!" remonstrated her sister [...] "Merry, my dear, I am much obliged to you for your advice," returned Miss Pecksniff […] "but I am not his slave –" "No, nor wouldn't have been if you could," interrupted Jonas. "We know all about it." […] "Beast!" cried Miss Pecksniff, sweeping past him. "Augustus! He is beneath your notice!" Augustus had been making some faint and sickly demonstration of shaking his fist. "Come away, child," screamed Miss Pecksniff, "I command you!" The scream was elicited from her by Augustus manifesting an intention to return and grapple with him (MC, 668). Der Drehbuchautor stärkt die Komik dieser Szene, indem er Moddles halbherzige Versuche, sich in den Disput einzumischen ("some faint and sickly demonstration of shaking his fist") komplett streicht. Stattdessen lässt er diesen – gänzlich passiv – sehnsüchtig auf Mercy starren, während Charity äuβert: "Augustus, I forbild you to retaliate. Let us go before the provocation is too much for your manly pride". Eine Betonung der komischen Elemente der Handlung bewirkt unter anderem, dass sich die Klassikerverfilmung in diesem Punkt dem populärkulturellen Genre der soap opera annähert. Zumindest in Groβbritannien wird im Fall dieses Genres gerne auf Komisches zurückgegriffen: Both UK and Australian soap operas feature comedy elements, often by way of affectionate comic stereotypes such as the gossip or the grumpy old man, presented as a sort of comic foil to the emotional turmoil that surrounds them. This diverges from US soap operas where such comedy is rare (Bowles 2000, 121). Auf ein Mindestmaβ beschränkt hingegen wird ein nicht unbedeutender Teil des Romans, der aber für Zuschauer des 20. und 21. Jahrhunderts kaum noch Relevanz aufweisen dürfte. Es handelt sich hierbei um die insgesamt acht Romankapitel (von 54), die sich mit Martin juniors und Mark Tapleys Reise nach Amerika, ihrem Aufenthalt dort und ihrer Rückreise befassen. Diese zum gröβten Teil recht handlungsarmen Kapitel des Romans erfüllten vor allem den Zweck, Dickens nach seiner AmerikaReise im Jahr 1842 mit einem weiteren Ventil für seine Kritik an den Vereinigten Staaten zu versorgen, die er kurz zuvor schon in seinen American otes zum Ausdruck gebracht hatte. [Dickens] found America to be a land where the majority exerted a heinous tyranny over all ideas and conduct, where newspapers were slanderous and irresponsible, where slavery flourished and slaves were mistreated; it was a land of disgusting spitting, suspiciousness, dull conversation, personal dirtiness, low business ethics, materialism, ravenous feeding, political violence and lawlessness, and inordinate 148

inquisitiveness. All of these tendencies and qualities are emphasized and underlined in Chuzzlewit and attacked over and over again (Stone 1957, 469). Harry Stone (1957, 472) betrachtet die AmerikaKapitel des Romans insgesamt als wenig gelungen und macht darüberhinaus deutlich, dass schon Dickens' Zeitgenossen gewisse HintergrundInformationen benötigten, um den AmerikaTeil des Romans richtig verstehen und deuten zu können. Dieses Hintergrundwissen kann beim Fernsehzuschauer des 20. Jahrhunderts nicht vorausgesetzt werden. Auβerdem ist Dickens' Kritik an Amerika insofern überholt, als die von ihm betonten Missstände heute zum gröβten Teil als behoben betrachtet werden können – wird Amerika im späten 20. bzw. frühen 21. Jahrhundert von europäischer Seite kritisiert, dann nicht wegen exzessiven Ausspuckens, Unreinlichkeit oder Sklaverei. Ein weiterer Grund für die starke Kürzung der AmerikaKapitel könnte darin liegen, dass die Verfilmung – wie die meisten seit den 1990er Jahren entstandenen classic serials – von dem amerikanischen Sender WGBH Boston coproduziert wurde und man es sich somit angelegentlich sein lassen musste, das amerikanische Publikum nicht zu verärgern. So wird der AmerikaTeil des Romans kurz in zwei Briefen von Martin abgehandelt, die Mary in der 3. und 5. Folge der Verfilmung erhält. Der Zuschauer sieht zunächst nur Mary, die in die Briefe vertieft ist, während Martins Stimme deren Inhalt vorträgt. Schlieβlich geht der Vortrag in Visualierungen der beiden in dramatischer Hinsicht ergiebigsten Szenen der AmerikaKapitel über: Martins und Marks Erwerb eines Grundstücks in der Kolonie Eden im ersten Brief sowie im zweiten Brief ihre dortige Ankunft. Drehbuchator David Lodge erklärt zur starken Kürzung des AmerikaTeils: [T]he fact that the American scenes in the novel are used a lot of the time to air Dickens's prejudices about America allowed us to say: "Let's ask ourselves what is actually essential about the American passages and to concentrate and focus just on […] the greedy illusion that you can buy a property and become rich in a very short time and the disillusion when you discover that you've been conned and bought a malarial swamp. So that's what we focused on, because in the end those seem to be the key moments in terms of Martin's spiritual education (BBC Education 1995). Nachdem bereits die signifikante Umgestaltung des Romananfangs in der Verfilmung diskutiert wurde, verdient noch die Gestaltung des Endes Aufmerksamkeit. Unter den an der Produktion Beteiligten herrschte Uneinigkeit darüber, wie die Verfilmung am sinnvollsten zu beschlieβen wäre: During the last week of Martin Chuzzlewit's transmission David Lodge published an article in The Independent in which he revealed something of the conflict of wills within the context of which the final version of the script was created. […] The script editor, Neil Denton, suggested to David Lodge ending the serial with a double wedding (Martin and Mary, and his friend John Westlock to Ruth, Tom Pinch's sister). This appealed greatly to Lodge's conception of the essential theatricality of 149

Dickens's work: 'The idea appealed to me as a background to the final credits and I developed it into a multiple wedding – incorporating the union of Mark Tapley and Mrs Lupin, and taking the liberty of marrying Mrs Todgers to Mr Jinkins at the same time' (Giddings/Selby 2001, 98f.). Nach Ansicht von Robert Giddings und Keith Selby (2001, 99) kommt dieser Schlussvariante ein recht hohes populäres Potential zu: It seems clear from this evidence that Lodge thinks that if Dickens were working today he would not just be writing television drama, but commercial television soap opera. [Director] Pedr James hated it. 'He felt it was a softsoapy, feelgood ending that undermined the seriousness and pathos of the novel's conclusion.' After some debate and filming different variants of the conclusion, Pedr James's version was used. Pedr James' Variante lässt die Verfilmung mit einer Szene enden, die sich im Roman schon zu einem früheren Zeitpunkt abspielt – jene Szene, in der Ruth Pinch ihrem Bruder Tom offenbart, hinter das Geheimnis seines Verliebtseins in Mary gekommen zu sein (vgl. MC, 717f.): Ruth: "You love her, don't you?" (Sie beginnt zu weinen, nimmt seine Hände in ihre.) "Oh Tom, I feel so for you." Tom: "Calm, calm, this is no crying matter. By her own choice she is betrothed to Martin and was long before either of them knew of my existence. And do you think, even if she'd never seen him, she would have fallen in love with me?" Ruth: "Yes, she would have, of course she would have. It's so unfair." Tom: "You think of me, Ruth, and it is very natural that you should, as if I were a character in a book. And you make it a kind of poetical justice that I should by some impossible means or other come at last to marry the person that I love. But there is a higher justice than the poetical kind, my dear. I don't grieve the impossible." (Kamera verweilt einen Moment lang bei der Groβaufnahme von Tom Pinchs leicht wehmütig lächelndem Gesicht. Dann beginnt der Abspann.) Dieser Schlussvariante muss das geringere Popularitätspotential attestiert werden. Das Betonen der Dreieckskonstellation Martin junior/Mary/Tom mag im Verlauf der Verfilmung dazu beigetragen haben, die Romanze zwischen Martin und Mary aufzuwerten und interessanter zu gestalten – die Tatsache, dass dies am Ende der Verfilmung wieder aufgegriffen wird, lenkt im Verein mit Ruth Pinchs mitleidigen Tränen das Augenmerk des Zuschauers unweigerlich darauf, dass der Ausgang der Handlung kaum uneingeschränkt glücklich zu nennen ist, wie in der Forschung über den Roman mehrfach betont wird: "Tom Pinch, whom Dickens intended to be his most pathetically appealing character […] falls out of the multiple Happy Endings", konstatiert etwa Leslie A. Fiedler (1986, 19), und Jerry C. Beasley (1974, 86) ergänzt: At the end of the novel, Martin gains the reward of Mary Graham's hand in marriage, and Mark is wed to Mrs. Lupin. Ruth Pinch and John Westlook also marry. But Tom enjoys no such rewards, and it has sometimes been seen as a contradiction in this 150

novel that its chief exemplar of selflessness is left alone at the end. Dieses Dilemma zu lösen ist die von David Lodge favorisierte Schlussvariante zwar auch nicht imstande, aber immerhin verschleiert sie es, so dass der dem Ende von Dickens' Roman beigemischte Wermutstropfen in dieser SchlussSzene deutlich abgemildert wird. Diese zweite Schlussvariante spart den Dialog zwischen Tom Pinch und seiner Schwester Ruth komplett aus und bringt die MehrfachHochzeit vor die Kamera, die sich in Dickens' Originaltext offstage abspielt – die MehrfachHochzeit zwischen Martin und Mary, Ruth und John Westlock sowie Mark Tapley und Mrs. Ludin. Tom Pinch ist bei der Hochzeit zwar zugegen – ihm obliegt die Orgelbegleitung des Gottesdienstes – die Tatsache, dass seine unerfüllte Liebe zu Mary nicht wie in der ersten SchlussVariante thematisiert wird, lenkt jedoch zusammen mit seinem zufrieden lächelnden Gesichtsausdruck den Zuschauer von der Erkenntnis ab, dass er trotz seiner charakterlichen Qualitäten am Ende leer ausgeht.

4.2.1.3 Resümee Obgleich sie im zweiten Programm der BBC2 ausgestrahlt wurde, das, wie gezeigt wurde, in seiner Programmgestaltung insgesamt eine geringere Orienterung am Mainstream pflegt als das erste, ist anhand dieser Verfilmung ist bereits eine – wenngleich noch vergleichweise zögerliche – Öffnung des Genres der Klassikerverfilmung gegenüber populärkulturellen Elementen zu erkennen. Durch leichte sprachliche Vereinfachungen, einen deutlich temporeicheren Einstieg, punktuelle Spannungssteigerungen sowie gezielte Vereindeutigungen des Geschehens wird dem Zuschauer die Rezeption erleichtert, durch die Betonung bestimmter, für ein Publikum des späten 20. Jahrhunderts relevanter Handlungsstränge nähert sich die Produktion streckenweise zeitgenössischen populärkulturellen Genres wie etwa dem Thriller, der romantic comedy oder der soap opera87 an. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch die geschilderte Kontroverse um das Ende der Verfilmung. Während eine Version des Endes mit populärem Potential bereits abgedreht worden war, konnte sich diese Version letztendlich zu diesem Zeitpunkt nicht durchsetzen. Bereits ein knappes Jahr später betrachtete Andrew Davies hingegen eine von ihm der Romanhandlung hinzugefügte Schlussszene, die eine Heirat zum Inhalt hat, als essentiell für seine Pride and PrejudiceVerfilmung (vgl. Abschnitt 4.1.2.). In den darauffolgenden Jahren etablierten sich dann auch für Adaptionen von Dickens' Romanen

87 Der Einfluss des soap operaGenres auf andere Gattungen sollte nicht zu gering veranschlagt werden. So findet Scott McCracken (1998, 176) etwa auch in populärer Literatur Elemente dieses Genres, etwa in Terry McMillans Roman Waiting to Exhale, "[which] follows the structure of a television soap opera." 151

Heiratsszenen als akzeptierte Formen der Schlussgebung, wie einige der folgenden Fallstudien zeigen werden.

4.2.2 Great Expectations (Alfonso Cuarón, 1998) 4.2.2.1 Der Roman und seine Relevanz für das heutige Publikum Great Expectations gehört als 13. von Dickens' insgesamt fünfzehn Romanen dessen Spätwerk an. Im Unterschied zu Martin Chuzzlewit und zahlreichen anderen Romanen aus Dickens' Oeuvre wurde der Roman nicht in monatlichen, separaten Fortsetzungen erstveröffentlicht, sondern in wöchentlichen instalments, die in der von Dickens herausgegebenen Zeitschrift All the Year Round erschienen. Mit knapp 500 Seiten zählt der Roman zu Dickens' kürzeren RomanVeröffentlichungen. Great Expectations war zudem nach David Copperfield der zweite Roman, der vollständig in der ersten Person Singular erzählt wurde. Im Zentrum des Romans steht der Waisenjunge Philip Pirrip, kurz: Pip, der bei seiner übellaunigen Schwester und deren Ehemann, dem Schmied Joe Gargery, aufwächst. Mit Joe verbindet ihn von Kind auf eine innige Freundschaft. Für Dickens' Verhältnisse ungewöhnlich beginnt der Roman in medias res mit einer temporeichen und spannungsgeladenen Szene: Pip macht auf einem Friedhof die Bekanntschaft des entflohenen Häftlings Magwitch, der ihn bedroht und von ihm fordert, ihm Essbares zu besorgen. Kurz darauf wird der Häftling festgenommen. Pip wird wenig später von der wohlhabenden Miss Havisham als Spielgefährte für deren Ziehkind Estella engagiert. Miss Havisham wurde einst an ihrem Hochzeitstag von ihrem Verlobten am Altar stehengelassen, und fristet seither, immer noch mit ihrem Hochzeitskleid bekleidet, in ihrem Wohnsitz Satis House ein verbittertes Dasein zwischen den längst verdorbenen Resten ihres geplanten Hochzeitsfests. Deshalb erzieht sie Estella zu Stolz und Hochmut, so dass diese sich stellvertrend für sie an der Männerwelt rächen kann. Pips Bekanntschaft mit der hochmütigen Estella hat zur Folge, dass ihn das Leben bei seinen Zieheltern und als Lehrling von Joe nicht mehr zufriedenstellt und er nach Höherem strebt. Schlieβlich überbringt ihm der Londoner Anwalt Mr. Jaggers die Botschaft von seinen titelgebenden Great Expectations: Ein anonymer Wohltäter stellt ihm die finanziellen Mittel zur Verfügung, die zu einer Ausbildung zum gentleman und dem damit verbundenen sozialen Aufstieg notwendig sind. Da Pip zuvor schon in Miss Havishams Räumen auf Jaggers traf, geht er davon aus, bei seinem anonymen Wohltäter handele es sich um Miss Havisham, die ihn mit Estella auf eine soziale Stufe bringen will, so dass beide schlieβlich würden heiraten können. Pip beginnt seine Erziehung zum gentleman und bewegt 152 sich nun in denselben Kreisen wie Estella, die allerdings auch von anderen Männern umworben wird, neben anderen von Bentley Drummle, den sie schlieβlich heiratet. Pips veränderte Lebensumstände haben negative Auswirkungen auf seinen Charakter: Als Joe ihn in London besucht, um ihm die Nachricht vom Tod seiner Ehefrau zu überbringen, zeigt sich Pip peinlich berührt von Joes Ungeschliffenheit, was diesem nicht verborgen bleibt. Wenig später wird Pip des nachts von Abel Magwitch aufgesucht, jenem entflohenen Häftling aus seiner Kindheit, der aus der Gefangenschaft entflohen ist. Pip erfährt mit Entsetzen, dass es sich bei Magwitch um seinen anonymen Wohltäter handelt. Dennoch fühlt er sich diesem verpflichtet, verbirgt ihn vor dem Gesetz und bereitet mit ihm seine Flucht aus England vor: Magwitch soll zunächst ein Schiff nach Hamburg nehmen, kann aber, da er gesucht wird, dieses nicht im Hafen besteigen. So versuchen sie, dem Schiff nachzurudern, nachdem es den Hafen bereits verlassen hat. Sie werden jedoch von einem anderen Boot aufgehalten, in dem sich Magwitchs Widersacher Compeyson befindet – einst Miss Havishams Bräutigam. Es kommt zu einem erbitterten Kampf zwischen beiden. Compeyson ertrinkt schlieβlich im Wasser, Magwitch erleidet eine Verletzung an der Brust, wird festgenommen und in Ketten gelegt. Die Beziehung zwischen ihm und Pip, der den Verletzten regelmäβig besucht, wird intensiver. Kurz vor seinem Tod bringt Pip in Erfahrung, dass es sich bei Magwitch um Estellas Vater handelt. Beendet hatte Dickens seinen Roman ursprünglich mit einer zufälligen Wiederbegegnung zwischen Pip und Estella in London. Estellas Ehemann Bentley Drummle, von dem sie aufgrund seiner Gewalttätigkeit getrennt gelebt hatte, ist zwischenzeitlich verstorben. Estella ist wieder verheiratet: I was in England again – in London, and walking along Picadilly with little Pip [Biddy and Joe's son] – when a servant came running after me to ask would I step back to a lady in a carriage who wished to speak to me. It was a little pony carriage, which the lady was driving; and the lady and I looked sadly enough on one another. 'I am greatly changed, I know; but I thought you would like to shake hands with Estella too, Pip. Lift up that pretty child and let me kiss it!' (She supposed the child, I think, to be my child.) I was very glad afterwards to have had the interview; for, in her face and in her voice, and in her touch, she gave me the assurance, that suffering had been stronger than Miss Havisham's teaching, and given her a heart to understand what my heart used to be (GE, 509). Sir Edward Bulwer Lytton, selbst Autor und Freund von Dickens, betrachtete nach Lektüre des Manuskripts das Ende als zu enttäuschend für den Leser. Dickens' fertigte daraufhin eine zweite Schlussvariante an, die alle Ausgaben des Romans, die zu Dickens' Lebzeiten erschienen, beschloss (vgl. GE, 508). Diese zweite Schlussvariante sieht vor, dass Estella und 153

Pip beide nach jahrelanger Abwesenheit zur gleichen Zeit dem inzwischen zur Ruine verkommenen 'Satis House' einen Besuch abstatten. Zwar gesteht Estella Pip zunächst, in letzter Zeit häufig an ihn gedacht zu haben, dennoch spricht sie von Abschied: "I little thought," said Estella, "that I should take leave of you in taking leave of this spot. I am very glad to do so." "Glad to part again, Estella? To me, parting is a painful thing. To me, remembrance of our last parting has been ever mournful and painful." "But you said to me," returned Estella, very earnestly, "'God bless you, God forgive you!' And if you could say that to me then, you will not hesitate to say that to me now […]. Be as considerate and good to me as you were, and tell me we are friends." "We are friends," said I, rising and bending over her, as she rose from the bench. "And will continue friends apart," said Estella. I took her hand in mine, and we went out of the ruined place; and, as the morning mists had risen long ago when I first left the forge, so, the evening mists were rising now, and in all the broad expanse of tranquil light they showed to me, I saw the shadow of no parting from her (GE, 484). Während für das von Dickens zuvor verfasste 'erste' Romanende gilt: "[T]he first ending hints at no further relationship for Pip and Estella" (Hartog 1982, 254), so ist diese zweite Schlussvariante bestenfalls als zweideutig zu bezeichnen. Lyn Pykett (2002, 170f.) betrachtet Pips Reaktion auf Estellas Äußerungen als Teil einer Serie von Missverständnissen zwischen diesen beiden Figuren, die sich durch den gesamten Roman zieht: Throughout the novel Pip constantly misinterprets what Estella says. Even in the final chapter, when Estella takes her farewell of Pip by affirming her hope that they 'will continue friends' apart, Pip reports his response thus: 'I saw no shadow of another parting from her'. Whose words should the reader privilege here, and how is he or she to construe them?88 Zudem bemerkt Meckier (1993, 32) bezüglich dieses von Dickens überarbeiteten Romanendes: "[M]any assessments of the novel find her [Estella's] change of heart abrupt and unconvincing".89 Auf der Homepage zu der HollywoodVerfilmung des Romans aus dem Jahr 1998 betont der Produzent des Unternehmens, Art Linson, die Handlungselemente des Romans, die seiner Ansicht nach auch für ein zeitgenössisches Publikum relevant sind: "I realized that the story had some wonderful and timeless themes about coincidence, wanting things you can't have, and trying to obtain respect. All these elements provided the potential to turn a classic into a modern tale" (Great Expectations homepage 1998). Diese 'modern tale', geschaffen von Alfonso Cuarón (Regie), Mitch Glazer (Drehbuch) und eben Art Linson (Produktion)

88 Ein Missverständnis sieht auch Hilary Schor (1996, 555) hier vorliegen: "To the very end, Estella says one thing and Pip hears another." Curt Hartog (1982, 254) und Jerome Meckier (1993, 34f. und 44) sehen in dieser zweiten Schlussvariante ebenfalls kein konventionelles happy ending. 89 Für eine weiterführende Diskussion der beiden Schlussvarianten vgl. Rosenberg (1981) und Meckier (1993). 154 war ab dem 30. Januar 1998 in den USA und in Kanada im Kino zu sehen, ab dem 17. April 1998 dann auch in Groβbritannien.

4.2.2.2 Das populäre Potential der Verfilmung Linson, Glazer und Cuarón versuchen die repräsentionale Relevanz von Dickens' Romanhandlung für ein zeitgenössisches Publikum auf der Achse der 'Ähnlichkeit' zu verstärken, indem sie sie aus dem viktorianischen England in ein zeitgenössisches, amerikanisches Setting verlegen. Pip – der in der Verfilmung Finnegan Bell, kurz: Finn, heißt – wächst in der Verfilmung an der Golfküste Floridas auf, sein Erwachsenwerden vollzieht sich nicht wie im Roman in London, sondern in New York: [T]he sterile and decaying Satis House becomes the overgrown and unkempt (but lushly green) former plantation Paradiso Perduto; the eccentric and isolated Miss Havisham becomes the cocktailswilling Miss Dinsmoor (Anne Bancroft); and blacksmith Joe Gargery, Pip's friend and adoptive father, becomes fisherman and handyman Joe Coleman (Chris Cooper) (Johnson 2005, 62). Der erwachsene Finn kommentiert als IchErzähler an einigen Stellen das Geschehen rückblickend und erhöht das populäre Potential der Verfilmung, indem er den Zuschauer häufig direkt und indirekt anspricht und in beiden Fällen an dessen Lebenserfahrung appelliert. So äuβert er gleich zu Beginn der Verfilmung: "There either is or is not a way things are. The colour of the day, the way it felt to be a child. The feeling of salt water on your sunburnt legs." In einer späteren Szene fordert der IchErzähler Finn den Zuschauer noch nachdrücklicher dazu auf, eigene Kindheits bzw. Jugenderinnerungen zu aktivieren. Im Anschluss an die Szene, in der die junge Estella den gleichaltrigen Finn zum ersten Mal recht unvermittelt küsst, formuliert er: "You remember it. You remember how it felt." Die Gründe für die Tatsache, dass die meisten Figuren mit anderen Namen bedacht wurden – lediglich Estella behält ihren Namen in der Verfilmung – erklärt Drehbuchautor Mitch Glazer wie folgt: "'Dickens' "Magwitch" and "Miss Havisham" seemed too spectacular, almost untouchable to my ear. [...] I thought a modern equivalent would give us more freedom'" (Great Expectations homepage 1998). Die Rolle von Pips Schwester, die in der Verfilmung Maggie heißt, erfährt ebenfalls ein updating. Aus dem Roman übernommen wird ihre Unzufriedenheit mit ihrem Schicksal. Bereits in einer der ersten Szenen der Verfilmung, als Finn sich auf dem Heimweg von seiner ersten Begegnung mit dem Häftling befindet und unterwegs auf Joe trifft, warnt ihn dieser: "Hey, listen, Maggie's on a kinda rant today, so you be careful, OK?" Maggie wird nicht wie im Roman von einer bösartigen OrlickFigur niedergestreckt und zum Pflegefall gemacht, 155 sondern brennt gleich im Anschluss an Finns ersten Besuch bei Miss Dinsmoor – ganz im Stil einer Mainstreamorientierten HollywoodProduktion – mit einem Liebhaber durch und verschwindet somit komplett von der Bildfläche. Die Übertragung der Handlung in die Gegenwart bewirkt auch eine – mitunter recht drastische – Aktualisierung der Sprache, die so im Kostümdrama bzw. HeritageCrossover Film nicht denkbar wäre, auch nicht in Produktionen dieses Genres, die sich eher am Mainstream orientieren. Ein Textauszug aus der Szene, in der sich Finns erste Begegnung mit seinem zukünftigen Wohltäter abspielt, der in der Verfilmung Arthur Lustig heißt, soll dies exemplarisch veranschaulichen: Lustig (taucht aus dem Wasser auf, packt Finn, hält ihm den Mund zu): "What's your name?" [...] "Fuck! Do you know what bolt cutters are? You know what they are or you don't know what they are? […] Listen, I know your name, I know where you live, I can find you and I'll gut you like a fish. I'll pull out your fucking insides, I'll make you eat them. Do you hear me? I'll make you fucking eat them. You be here tomorrow morning at dawn with bolt cutters and any kind of food or I'm gonna kill you for sure. You got me? I'll fucking kill you if you tell anyone – anyone! Finn: "They are dead!" Lustig: "You tell anyone, the last sound you hear will be your own scream. All right. Go." Besonders durch den häufigen Gebrauch des Wortes fuck, aber auch in anderen Formulierungen des Häftlings ("the last sound you hear will be your own scream") wird hier deutlich über die bereits diskutierten, in Klassikerverfilmungen üblichen sprachlichen Veränderungen hinausgegangen. Thematisch bildet die Beziehung zwischen Estella und Finn den hauptsächlichen Handlungsstrang des Films. Diese Beziehung erfährt in der Verfilmung – ganz im Stil einer HollywoodMainstreamProduktion – eine 'Sexualisierung'. Zu diesem "erotic update", wie Pamela Katz (2003, 96f.) es nennt, bemerkt Regisseur Alfonso Cuarón: "[I]t is impossible to make a contemporary film of a book about young people in love without sex" (ebd., Hervorhebung im Original). Diese 'Sexualisierung' zieht sich wie ein roter Faden durch den gesamten Film, beginnend mit der ersten Begegnung zwischen Finn und Estella. So wird die KussSzene zwischen Pip und Estella, die sich im Roman Pips erstem Zusammentreffen mit Herbert Pocket ("the pale young gentleman", (GE, 90)) anschließt, in der Verfilmung auf signifikante Weise umgestaltet. Während Estella Pip im Roman einen keuschen Kuss auf die Wange gewährt (vgl. GE, 93), lässt die frühreife Estella der Verfilmung ihn an gleicher Stelle in den Genuss eines Zungenkusses kommen. Zudem fügte Drehbuchautor Mitch Glazer der Handlung etliche Szenen mit sexuellen Inhalten hinzu. Michael K. Johnson (2005, 71) fasst eine dieser Szenen zusammen: 156

As teenagers, Finn brings Estella to his bedroom to show her his portraits. In what at first seems like a realization of Pip's fantasy, Estella stands in front of a painting of herself. Pleased with the image, she steps forward – as if stepping out of the painting – and moves toward Finn, who is sitting on the bed. She rubs her knee against his hand, and Finn strokes her leg, and then places his hand between her legs to masturbate her through her underwear. The pleasure in the scene belongs to Estella, who initiates the sexual contact, remains in control of the activity, and chooses when to end it by kissing Finn and announcing, "I'm late. What time is it?" In einer weiteren Szene kommt es dann tatsächlich zum Beischlaf zwischen Finn und Estella: Kurz vor Estellas Hochzeit mit ihrem Verlobten Walter und vor Finns Vernissage, die seinen endgültigen Durchbruch als Künstler mit sich bringt, entführt Finn Estella gleichsam vor den Augen Walters aus einem Lokal. In Finns Hotelzimmer fordert Estella ihn dann mit den Worten "I want you inside me" zum Sex auf. Auch jene Szene, in der Estella Finn kurz nach dessen Ankunft in New York in dessen Hotelzimmer Modell steht, ist stark sexuell aufgeladen, wie Pamela Katz (2003, 98) festhält: In this scene, the characters touch each other, without actually touching. Sex without sex. Desire without contact. Communication without words. [...] And although Estella is obviously flirting with Finn, and driving him crazy with desire, she is also giving him the opportunity, for once, to control the situation. He is the artist, she is the subject: this is the first time she lets him, so to speak, be on top. He can finally do what he wants with her body. She can make love to him without admitting it. [...] This painting scene, in fact, is far more sensual than the film's actual (and obligatory) sex scene. Die einzigen weiteren Handlungselemente, die in der Adaption größeren Raum einnehmen, sind Rückkehr und Tod des Kriminellen Arthur Lustig. Der Handlungsstrang rund um diese beiden Themen ist in der Verfilmung trotz des updatings, das er erfährt, zumindest atmosphärisch der Romanvorlage stark verpflichtet, wozu nach Ansicht von Janet Maslin (1998, 10) Robert de Niros Verkörperung der Rolle erheblich beiträgt. Maslin bezeichnet de Niros Auftritt als "the most successfully Dickensian performance in the movie". Arthur Lustig ist wie sein Gegenstück im Roman auf der Flucht vor dem Gesetz. Aus dem früheren Gefährten Magwitchs, Compeyson, werden im Fall von Lustig ehemalige MafiaKomplizen, vor denen Lustig Unterschlupf bei Finn sucht. Dieser ist durch Lustigs Erscheinen ebenso unangenehm berührt wie Pip durch das Auftauchen von Magwitch, im Laufe seiner Bekanntschaft mit ihm verändert sich seine Einstellung diesem gegenüber aber ebenso wie sich Pips Einstellung gegenüber Magwitch ändert. In der Verfilmung beschränkt sich diese Bekanntschaft freilich nur auf wenige Stunden – Lustig wird auf der Flucht von einem seiner ehemaligen Kumpanen niedergestochen und stirbt in Finns Armen. Regisseur und Drehbuchautor machen sich zum einen das Potential zur Erzeugung von dramatischer 157

Spannung, das diese Szenen bereits im Roman aufweisen, zunutze. Zum anderen wird durch die Anspielung auf andere Filmgenres offensichtlich versucht, diskursive Relevanz herzustellen. Pamela Katz (2003, 96) beschreibt die Szenenfolge, die zum Tod Arthur Lustigs führt, signifikanterweise mit "Great Expectations meets GoodFellas" und stellt damit einen Bezug her zu dem gleichnamigen MafiaFilmdrama von Martin Scorsese aus dem Jahr 1990. Seine Absicht, einen Teil von Dickens' Sozialkritik – vor allem dessen Behandlung des Klassenkonflikts im Roman – in der Verfilmung in aktualisierter Form zu berücksichtigen, musste Alfonso Cuarón signifikanterweise aufgeben. Dazu äußerte er Katz (2003, 97 und 99) gegenüber: I knew that if I had my way, I would have made a film of this novel in a more picaresque way, without focusing so much on the romance. It could have been more like Candide, a "comning of age in society" story. But I felt that this script still had the potential to include this aspect. For example, I loved the world of the Gulf fishermen, and I had many ideas about how to elaborate on Finn's and Joe's lower class world. [...] I had an idea for a sequence about the fishermen in Florida. At that time, they were going broke and working at McDonald's. But no one was interested in this class element except me. Die meisten anderen Themen und Figuren des Romans entfallen ersatzlos. Die Verfilmung bietet keinerlei Äquivalente für die Figuren Pumblechook, Wopsle, Biddy, Orlick, Trabb, die Pocket Familie oder Wemmick. Auf jegliche Verbindung zwischen der Handlung um Magwitch/Lustig und dem EstellaPlot wird verzichtet – Estella ist in dieser Adaption nicht die Tochter von Arthur Lustig. Als Beispiel für die Strategie der Vereindeutigung des Geschehens lässt sich die bereits diskutierte Sexualisierung der Beziehung zwischen Pip/Finn und Estelle betrachten. Ein weiteres Beispiel bietet die Tatsache, dass Miss HavishamDinsmoors merkwürdiges Gebahren in der Verfilmung vereindeutigt wird. Beschreibt der IchErzähler Pip im Roman Miss Havisham lediglich als "strange" – "the strangest lady I have ever seen, or shall ever see" (GE, 57) – so charakterisiert Finn Miss Dinsmoor in der Verfilmung von Anfang an als "crazy". An der Stelle innerhalb der Verfilmung, an der der junge Finn ihr erstmals seine Aufwartung macht, äußert der erwachsene Finn, der wie im Roman als IchErzähler fungiert, in voice over: "Old Miss Dinsmoor hadn't been seen in years. I'd heard that she was crazy. [...] But nobody knew how crazy". Zudem wird Miss Dinsmoors Verrücktheit mit zusätzlicher Motivation versehen. Kurz nach Estellas Abreise nach Paris erklärt sie Finn: 26 years ago, I trusted. I saved myself. I was a virgin. It's funny, hmm? Those were the times. That's how I was raised. What kind of creature takes such a thing? Such a gift? A trust? Who does this? Takes advantage of a 42yearold woman? What kind of creature leaves this woman waiting like a fool. A man, a man 158

does this. So men must pay. Am I right? Angesichts der Tatsache, dass die Handlung von Dickens' Roman in die Gegenwart verlegt wurde, ist es wenig überraschend, dass nicht nur das Setting aktualisiert wird, sondern auch die Hauptfiguren Pip/Finn und Estella. Wie Pamela Katz (2003, 97) bemerkt: [S]creen heroes require the freechoice feature in their makeup, or they self destruct. [...] [The director Alfonso Cuaron's] first step was making Pip into a credible contemporary character. [...] Finn would become an artist, replacing the arbitrary wealth of the nineteenth century with the twentiethcentury equivalent: celebrity success.90 Da, wie in Abschnitt 2.3.2. dieser Arbeit deutlich wurde, für eine MainstreamProduktion kohärente und zumeist auch sympathische Charaktere vonnöten sind, wird Pips Snobismus, der im Roman eine Folgeerscheinung seiner groβen Erwartungen darstellt, entschärft. Am deutlichsten wird diese Arroganz in jener Szene, in der Joe Pip im Londoner Barnard's Inn aufsucht. Pips Arroganz wird besonders deutlich, wenn er als IchErzähler von den Empfindungen berichtet, die die Ankündigung von Joes Besuch in ihm auslöste: Let me confess exactly, with what feelings I looked forward to Joe's coming. Not with pleasure, though I was bound to him by so many ties; no; with considerable disturbance, some mortification, and a keen sense of incongruity. If I could have kept him away by paying money, I certainly would have paid money. [...] As the time approached I should have liked to run away (GE 218f.). Diese Szene wird in der Verfilmung in aktualisierter Form berücksichtigt: Joe surprises Finn by coming to his oneman show in New York. At first unforgivingly snide to Joe (who appears in a cheap, rented tuxedo), Finn is then pained by his own cruelty toward the kind man who raised him. All this is communicated in silence, Finn's remorse, Joe's eternal understanding, the disastrous wardrobe (Katz 2003, 101). Die Szene tut Finns SympathieträgerQualitäten aus zwei Gründen keinen Abbruch: Erstens zeigt er, wie Katz betont, sofort Reue. Zweitens wird er als von der Situation schlichtweg überfordert dargestellt: Die hier analysierte Szene schließt sich unmittelbar an eine Szene an, in der Finn und Estella miteinander schlafen und in der sie ihm verspricht, zu seiner Vernissage zu erscheinen, weshalb er bei seiner Ankunft im Ausstellungsraum mehrmals nach Estella fragt und sich ständig nervös nach ihr umsieht. Somit ist es durchaus nachvollziehbar, dass ihn Joes Überraschungsbesuch überfordert, zumal sich dieser in der Tat denkbar ungeschliffen und für den aufstrebenden jungen Künstler Finn durchaus blamabel

90 Trotz dieser Vorkehrungen des Regisseurs wurde der Hauptfigur Finn verschiedentlich Passivität vorgeworfen. Zum einen vom Darsteller dieser Rolle, Ethan Hawke, selbst (vgl. Katz 2003, 97), zum anderen von der Journalistin Janet Maslin (1998, 10), die den Film für die ew York Times besprach und in ihrer Rezension anmerkte: "Mr. Hawke seldom registers anything more interesting than astonishment at Finn's good fortune." 159 verhält. "[I]t won't wash", urteilt John C. Tibbets (1999, 96) über diese Szene. "The movie is too intent on showing him [Finn] in a sympathetic light." Auch die Figur der Estella erfährt in Cuarons Verfilmung eine erhebliche Aktualisierung: Although Dickens's Estella is a counter in Havisham's game of revenge and acts (for the most part) according to her adopted mother's wishes, Estella in the movie acts to achieve her own ends – seemingly renewing her acquaintance with Finn to make her boy friend jealous enough to propose (Johnson 2005, 70).91 Und ebenfalls wie die männliche Hauptfigur Finn erscheint auch Estella in der Verfilmung deutlich sympathischer als im Roman. Im Fall dieser Figur hängt dies jedoch nicht allein damit zusammen, dass in einer MainstreamProduktion die Figuren eine kohärente und oft auch sympathische Charakterisierung aufweisen sollten, sondern ist auch der Tatsache geschuldet, dass die Rolle mit Gwyneth Paltrow besetzt wurde. Diese Tatsache hatte schon zu Beginn der Dreharbeiten dahingehend Veränderungen am bereits fertigen Skript bewirkt, dass Cuarón Paltrows Präsenz in der Verfilmung verstärken musste, da das zuständige Studio das popularisierende Potential der Schauspielerin erkannte: [T]he studio did change its mind about the prominence of her role in the film. And they did so rather late in the game. Although shooting had already begun, a new demand was placed on Cuarón's shoulders: "More Gwyneth," because Paltrow's career had exploded near the beginning of the shoot. Her boxoffice appeal was soaring to unprecedented heights, driven by the two seemingly disparate forces of the highbrow movie Emma and the Calvin Klein advertising campaign. [... T]he last minute demand [...] entailed much rewriting on the set, complicating an already difficult production. [...] From this point on, any spare moment had to be handed over to the assured boxoffice draw of Paltrow. Thus Cuarón was compelled to transform the film into a vehicle for Gwyneth Paltrow long after the script had been conceived, and several scenes had already been shot. Despite the script's thin characterization of Estella, Cuarón used powerful images to enhance Paltrow's already compelling screen presence, and he and Glazer wrote several new scenes (Katz 2003, 99). Nach dem Ende der Dreharbeiten ergab sich allerdings ein neues Problem: The first audience previews revealed that "Estella was not sympathetic." Audiences didn't like her. When I suggested that Estella is not meant to be liked, Cuarón said: "Try saying that when Gwyneth Paltrow is playing the part!" (Katz 2003, 100). Die aus den VorabVorführungen gewonnene Erkenntnis, Estella erscheine in der Verfilmung

91 Pamela Katz (2003, 98) kritisiert indes die Tatsache, dass Estella in der Verfilmung keiner Beschäftigung nachgeht: "Despite her Donna Karan wardrobe, the film's Estella is hardly a modern woman at all. As a powerful woman of the 1990s, surely a profession would only have enhanced her attractiveness to men." Wie Katz (2003, ebd.) ausführt, sah die Originalfassung des Drehbuchs durchaus eine Beschäftigung für Estella vor – "[a]nd an intriguingly relevant one: an art restorer. But the studio felt that her profession was 'not necessary' for the story and, due to the demands of time, it fell to the cuttingroom floor."

160 als nicht ausreichend sypmathisch, bewirkte die Hinzufügung einer weiteren, nachträglich produzierten DialogSzene zwischen Estella und Finn zum bereits fertig vorliegenden Film: the soontobe famous scene in the back of the taxi, when Estella is once more abandoning Finn. Here she tries to explain, in a short paragraph, why she is such a cold person. Why she is incapable of love.92 It sticks out. It doesn't belong, this attempt to sum up the psychology of a complex character in four lines of dialogue. It's the nadir of the nowin game. […] Confident that Estella's character had already been very well drawn, Cuarón originally shot the scene in silence. Estella departs in a taxi, leaving a forlorn Finn on the cold, rainy, and dark streets of New York. But previews showed that people did not understand her, and demanded an explanation. "Understanding why she is 'like that' was said to make her more sympathetic," Cuarón relates, because if the audience doesn't "like Estella," there goes the boxoffice potential (Katz 2003, 100, Hervorhebungen im Original). Was die Gestaltung des Endes angeht, so widersteht Cuarón der Versuchung, seine Verfilmung mit einem 'klassischen', mainstreamgerechten happy ending zu versehen. Seine Schlussfassung ist bemüht, die Ambiguität von Dickens' überarbeiteter Schlussvariante beizubehalten und bedient sich zudem an einigen Stellen derselben Formulierungen. Finn trifft im Garten von Paradiso Perduto, das nach dem Tod von Miss Dinsmoor einige Jahre zuvor nun abgerissen werden soll, auf Estella und ihre kleine Tochter, die der jungen Estella verblüffend ähnlich sieht: Finn: "Have you been here often?" Estella: "No." Finn: "No. Me neither." Estella: "So you're doing great. I hear all about you." Finn: "I'm doing all right." Estella: "Yeah. Things have been different for me. For a long time I kept..." Finn: "What?" Estella: "I think about you. A lot lately." Finn: "I'm glad." Estella: "Can you ever forgive me?" Kamera auf Finn, der sie lange anblickt. Finn: "Don't you know me at all?" Estella lächelt, schließt die tränenerfüllten Augen. IchErzähler Finn in voice over: "She did know me, and I knew her. I always had, from the first instant. And the rest of it – it didn't matter. It was past. It was as if it had never been." (Kamera auf Finn und

92 Estella formuliert ihre Erklärung Finn gegenüber in der Verfilmung wie folgt: "Let's say there was a little girl, and from the time she could understand she was taught to fear... (unterdrückt ein Schluchzen). Let's say she was taught to fear daylight. She was taught that it was her enemy, that it would hurt her. And then one sunny day you ask her to go outside and play, and she won't. You can't be angry at her, can you?" Finn (in beschwichtigendem Tonfall): "I knew that little girl, and I saw the light in her eyes. And no matter what you say or do, that's still what I see." Estella (sich ihm zuwendend): "We are who we are. People don't change."

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Estella, die beide mit dem Blick aufs Meer gerichtet nebeneinander stehen. Finn greift zögerlich nach Estellas Hand.) "There was just my memory of it." (Finn richtet den Blick auf Estella, die aber dem Meer zugewandt bleibt. Schließlich blickt auch Pip wieder aufs Meer hinaus. Ende. Zwar spricht Estella hier nicht wie in Dickens' überarbeitetem Ende von Abschied, es findet aber auch keine Vereinigung von Estella und Finn statt: Auf physischen Kontakt zwischen Finn und Estella wird nahezu gänzlich verzichtet – abgesehen vom zögerlichen, keuschen Händchenhalten. Wie Pamela Katz (2003, 100) ausführt, stört zudem die von Regisseur und Drehbuchautor der Romanhandlung bewusst hinzugefügte Gegenwart von Estellas kleiner Tochter die Romantik des Endes: What's with the kid? I mean, how romantic is that? Now we know she had sex with someone else besides Finn! And besides, stepchildren are messy. Mothers are messy. Cuarón was pressured [by the studio] to lose the little girl, and to film Finn and Estella running into each other's arms, kissing romantically without a care in the world, and in closeup, please! But with his instinctive and fierce attachment to the real ending of the book, Cuarón fought for his version, and, for once, prevailed (Hervorhebung im Original).

4.2.2.3 Resümee Trotz aller kommerziellen Zwänge, denen die Verfilmung als HollywoodMainstream Produktion unterlag, ist neben der Gestaltung des Endes noch an anderen Stellen das Bemühen von Regisseur und Drehbuchautor erkennbar, die literarische Vorlage nicht bis zur Unkenntlichkeit zu verfremden – auch wenn dieses in zumindest einem Fall der Aktualisierung des Stoffes zuwiderläuft. Wie Pip im Roman geht Finn in der Verfilmung davon aus, dass Miss Dinsmoor nicht nur für seinen sozialen und wirtschaftlichen Aufstieg verantwortlich ist, sondern auch die Absicht hegt, ihn mit Estella zusammenzuführen. Der IchErzähler berichtet: The next week I received a postcard from Miss Dinsmoor. It was of a sandy beach with palm trees. It said, "How's my little mouse doing?" What were her plans for me? Why was she protecting and promoting me? What could her reason be, if not to make me equal with Estella? Im Kontext der ins ausgehende 20. Jahrhundert versetzten Handlung und vor allem in Anbetracht der Tatsache, dass Estella in der Adaption als wesentlich unabhängiger von ihrer Ziehmutter dargestellt wird als im Roman, nimmt sich Finns Annahme, Miss Dinsmoor könne oder wolle auf Estellas Heiratsabsichten Einfluss nehmen, recht anachronistisch aus. Dieses Anliegen Cuaróns, die Handlung bei allem Bemühen um Aktualisierung nicht unkenntlich zu machen, lässt sich mit seiner langjährigen Verbundenheit mit dem Roman erklären: "He loved the book, and now knew Lean's film by heart. [...] In Mexico, Great 162

Expectations is not required reading in school. [...] Cuaron had read it many times, but just for pleasure" (Katz 2003, 95, Hervorhebung im Original). Ansonsten ist das populäre Potential dieser Verfilmung recht hoch einzustufen: Durch das Verlegen der Handlung in ein zeitgenössisches Setting, die Aktualisierung der Sprache, die Hervorhebung der für ein zeitgenössisches Publikum relevanten Handlungsstränge, insbesondere der Liebesgeschichte, die Aktualisierung bzw. 'Sympathisierung' der Charaktere sowie zahlreichen Vereindeutigungen wird versucht, repräsentionale Relevanz auf der Achse der 'similarity' herzustellen bzw. dem Zuschauer die Rezeption zu erleichtern. Die Besetzung der weiblichen Hauptrolle mit dem zum damaligen Zeitpunkt aufstrebenden Filmstar Gwyneth Paltrow, der Drehbuchautor und Regisseur beachtliche Teile des Drehbuchs unterzuordnen hatten, dient der Erzeugung von diskursiver Relevanz. Dennoch war der Produktion kein kommerzieller Erfolg beschieden: "[I]t failed to make any impact at the box office" (BBC News 2004b).

4.2.3 Great Expectations (BBC, 1999) 4.2.3.1 Das populäre Potential der Verfilmung Innerhalb dieses zweiteiligen Kostümdramas, das am 12. und 13. April 1999 auf BBC2 erstmals ausgestrahlt wurde, lassen sich zwei Themenbereiche isolieren, die inhaltliche Gemeinsamkeiten mit populärkulturellen Genres aufweisen und eine besondere Betonung erhalten. Bei dem ersten dieser Themenbereiche handelt es sich – wenig überraschend – um die Liebesgeschichte zwischen Pip und Estella. Eine Vielzahl der Szenen mit Pip und Estella wird in der Verfilmung beibehalten, wie im Verlauf dieser Fallstudie noch deutlich werden wird, wenn die Veränderungen diskutiert werden, die das Drehbuch an der Charakterisierung der EstellaFigur vornimmt. Während im Roman Pip Estella nach jener Szene, in der sie ihm ihre bevorstehende Heirat ankündigt, bis zur Schlussszene des Romans nicht mehr begegnet, wird ihre Präsenz im zweiten Teil der Verfilmung durch eine zusätzliche Szene ausgebaut. Nachdem Pip das Geheimnis um Estellas Herkunft entschlüsselt hat, versucht er, der inzwischen verheirateten Estella einen Besuch abzustatten, wird allerdings in Estellas Auftrag an der Tür von ihrer Haushälterin abgewiesen. Diese Szene hat im Roman keine Entsprechung: Haushälterin: "I'm afraid Mrs. Drummle doesn't wish to receive visitors at the moment. Pip: "But you told her my name?" Haushälterin: "Yes, sir." Während die Haushälterin die Tür schließt, wendet Pip sich ab und geht davon. 163

Plötzlich erscheint Estella an einem der Fenster im Erdgeschoss. Pip hält inne, Estella blickt ihn mit Tränen in den Augen traurig an, wendet sich dann ab und verschwindet im Inneren des Hauses. Pip bleibt einen Moment lang nachdenklich stehen, geht dann seiner Wege (2. Folge). Noch ein anderer Handlungsstrang wird in der Verfilmung verstärkt, der thematische Ähnlichkeiten mit Handlungselementen in populärkulturellen Fernsehproduktionen – vornehmlich der soap opera – aufweist, und von dem somit wohl ebenfalls davon ausgegangen wurde, dass er sich für ein zeitgenössisches Publikum als repräsentional relevant erweisen würde. Hierbei handelt es sich um die Entschlüsselung des Geheimnisses von Estellas Herkunft.93 Magwitch selbst gibt in einer Unterhaltung mit Pip in der Verfilmung schon relativ früh einen Hinweis darauf, dass es sich bei ihm um Estellas Vater handeln könnte: "I say this to you as someone who lost a child once" (2. Folge). Zudem wird die Rolle von Estellas Mutter Molly ausgeweitet, indem die Handlung um mehrere, wenngleich kurze, Szenen ergänzt wird, die sich im Roman nicht finden. So sucht Molly im Anschluss an das Abendessen, zu dem Mr. Jaggers Pip, Herbert Pocket, Bentley Drummle und Startop gebeten hat, das Gespräch mit Pip, indem sie ihn fragt: "Pardon me, sir, I understand you are acquainted with Satis House?", worauf Pip antwortet: "Yes. And with Miss Havisham. Although I'd like to consider myself more than merely acquainted" (1. Folge). Dieser kurze Dialog deutet bereits darauf hin, dass eine Verbindung zwischen Molly und den Bewohnern von Satis House bestehen könnte. Dieser Eindruck verstärkt sich in jener Szene, in der Pip Jaggers erneut zum Abendessen aufsucht, diesmal in Begleitung von Wemmick. Im Roman berichtet der IchErzähler, wie er bei dieser Gelegenheit Molly anhand ihrer Hände als Estellas Mutter identifiziert: "[H]er hands were Estella's hands, and her eyes were Estella's eyes" (GE, 391). In der Verfilmung wird Mollys Rolle innerhalb dieser Szene dahingehend ausgeweitet, dass hier der Fokus nicht wie in der Romanvorlage auf Pip liegt, der eine Entdeckung macht, sondern Molly selbst durch ihr Verhalten verrät, dass zwischen ihr und Estella eine Verbindung besteht: (Jaggers, Pip und Wemmick sitzen am Tisch, Molly füllt mit einer Kelle Suppe in Teller.) Jaggers: "So, Pip. Our friend Drummle has played his cards." Pip: "Yes. Estella has now married him." Jaggers: "And was on honeymoon in Paris. Molly, Molly, how slow you are today. (Kamera auf Molly.) So, here is to Mrs. Bentley Drummle." Molly lässt Geschirr fallen.

93 Im WikipediaEintrag zum Genre soap opera wird die Wichtigkeit solcher Handlungsstränge, die dergleichen familiäre Belange zum Inhalt haben, betont: "In soap opera storylines, previouslyunknown children, siblings, and twins (including the evil variety) of established characters often emerge to upset and reinvigorate the set of relationships examined by the series" (Wikipedia n.d.). 164

Molly: "I'm verry sorry, Master. I'll go..." Jaggers: "See to it afterwards. Go." (Molly verlässt den Raum.) (2. Folge). Dass Molly innerhalb der Handlung eine nicht unbedeutende Rolle zukommt, deutet sich zudem bereits zu Beginn des zweiten Teils der Verfilmung an. Pips erste Begegnung mit Estella in London, mit der der zweite Teil einsetzt, spielt sich vor der Kulisse eines geschäftigen Londoner Vormittags ab. Die zweite Folge der Verfilmung zeigt Pip, wie er durch dieses geschäftige London hetzt, um Estella, die mitsamt ihrem Gepäck der Kutsche entstiegen ist und auf ihn wartet, nicht zu verpassen. Während dieser Szenenfolge erscheint zweimal jeweils eine Großaufnahme von Molly, die offensichtlich in London Besorgungen macht. Neben der Betonung dieser beiden Handlungsstränge werden auch in der vorliegenden Verfilmung starke Vereindeutigungen des Geschehens vorgenommen. Dies wird dadurch unterstützt, dass Pip hier nicht wie in der zuvor diskutierten Adaption von Alfonso Cuarón als IchErzähler fungiert. Die IchErzählung des Romans wird in der Verfilmung aus heterodiegetischer Perspektive dargestellt. Dies hat folgende Konsequenz: Ist es für den IchErzähler des Romans ein Leichtes, Aufschluss über seine Gedanken und Gefühle zu geben, ohne diese jemand anderem mitteilen zu müssen als dem Leser, so wird die Hauptfigur Pip in der Verfilmung vor allem durch den Wechsel der Erzählperspektive in einigen Fällen regelrecht dazu gezwungen, gegenüber dritten Personen laut auszusprechen, was im Roman lediglich als Teil seiner Gedankengänge ausgewiesen wird. Während Pip im Roman lediglich dem Leser mitteilt: "[I] had a strong conviction on me that I should never like Joe's trade" (GE, 106), so gibt ihm Miss Havisham in der Verfilmung während eines Besuchs die Gelegenheit, seiner diesbezüglichen Unzufriedenheit Luft zu machen. Ein Gespräch zwischen Pip und Miss Havisham, das ansonsten nahezu wörtlich aus dem Roman übernommen wird (vgl. GE, 116), wird in der Verfilmung um folgenden Dialog ergänzt: Miss Havisham: "Do you like your trade? So you object to the black and the soot after all?" Pip: "I hate it. And I want no more of any of it." Miss Havisham: "But you are bound, Pip." Pip: "Yes. (Pause.) Goodbye" (1. Folge). Auch seine fixe Idee, seine vermeintliche Wohltäterin Miss Havisham habe ihn als Lebenspartner für Estella auserkoren, teilt Pip im Roman lediglich dem Leser mit. Während eines Gesprächs mit Jaggers kurz nach Erreichen seiner Volljährigkeit versucht er zwar, Jaggers diesbezügliche Informationen zu entlocken, äußert sich dabei jedoch recht vage. Er bittet ihn zunächst um eine Auskunft darüber, wie lange es noch dauern würde, bis sich sein 165

Wohltäter bzw. seine Wohltäterin zu erkennen gäbe: "When that person discloses," said Mr. Jaggers, straightening himself, "you and that person will settle your own affairs. When that person discloses, my part in that business will cease and determine. When that person discloses, it will not be necessary for me to know anything about it. And that's all I have got to say." We looked at one another until I withdrew my eyes, and looked thoughtfully at the floor. From this last speech I derived that Miss Havisham, for some reason or no reason, had not taken him into her confidence as to her designing me for Estella […]. "If that is all you have to say, sir," I remarked, "there can be nothing left for me to say." He nodded assent (GE, 289f.). In der Adaption wird Pip gegenüber Jaggers deutlicher: Mr Jaggers: "When that person discloses, you and that person will settle your own affairs. I am the mere agent. And when that person discloses, my part in this business will cease." Pip: "And in this business, am I designed for Estella?" Mr Jaggers: "I have nothing else to say" (2. Folge). Von den Heiratsabsichten, die Pip Biddy gegenüber hegt, nachdem er Estella für sich verloren glaubt, erfährt Biddy selbst im Roman nichts, wieder ist es lediglich der Leser, dem sich Pip mitteilt (vgl. GE, 472f.). Im Roman erhält Pip keine Gelegenheit, Biddy den geplanten Heiratsantrag zu machen. Als er bei Joes Schmiede ankommt, trifft er Joe und Biddy zusammen an. Von Biddy erfährt er, dass sie und Joe soeben geheiratet haben (vgl. GE, 478). In der Verfilmung erfährt der Zuschauer von Pips Heiratsabsichten erst, als er Biddy gegenüber steht, um seinen Antrag loszuwerden: Pip (in pathetischem Tonfall): "I think you once liked me very well. And even when my heart strayed away from you, it was quieter and better with you than it has ever been since." Biddy (entsetzt): "Pip..." Pip: "And if you could like me only half as well once more, if you could take me with all the disappointments on my head, I should hope I am a little worthier of you now than I was. So, please Biddy, tell me if you will go through the world with me. Make it a better world for me, as I will try to make it a better world for you." Joe betritt mit einem Blumenstrauß in der Hand den Raum, Pip und Biddy wenden sich ihm zu. […] Joe: "Our wedding day. Biddy has agreed to marry me. Astonishing." ahaufnahme von Pips Gesicht, in dem sich zunächst Fassungslosigkeit und Enttäuschung abzeichnen. Biddy: "It's to be a simple ceremony. Joe had been saving for it, but there were more urgent expenses to be attended to." Erneute ahaufnahme von Pips fassungslosem und enttäuschtem Gesicht, in dem sich nach Biddys letzten Worten jedoch auch Rührung bemerkbar zu machen 166

beginnt, die schließlich die Oberhand gewinnt. Pip: "You shall make each other as happy as you deserve to be. You are the best people in the world." (Geht auf Biddy und Joe zu, umarmt beide) (2. Folge). Besonders dieses letzte Beispiel macht eines deutlich: Die Tatsache, dass Pip in der Verfilmung einiges von dem, was er im Roman in seiner Funktion als IchErzähler nur dem Leser mitteilt, gegenüber anderen Personen artikulieren muss, trägt erheblich zur Steigerung der Dramatik der jeweiligen Szenen bei. Darauf, dass es durchaus in der Absicht der Produzenten der Verfilmung lag, die Dramatik einzelner Szenen zu verstärken, deutet auch die Gestaltung jener Szene hin, in der Pip und Herbert Pocket einander als Kinder zum ersten Mal begegnen, und die in einer Prügelei endet (vgl. GE, 90ff.). Im Roman erfährt Pip erst nach vielen Jahren, dass Estella diese Prügelei beobachtete. Bei einem ihrer späteren Zusammenkünfte mit Pip in London erwähnt sie beiläufig: "I must have been a singular little creature to hide and see that fight that day: but I did, and I enjoyed it very much" (GE, 236). In der Adaption wird Pip dadurch zusätzlich angespornt, auf Herbert Pocket loszugehen, nachdem dieser ihn zum Kampf herausgefordert hat, dass Estella an einem der Fenster des Hauses erscheint. Pips Gesicht, das auf Estella gerichtet ist, erscheint in Großaufnahme. Die Aggressivität, mit der er sich gleich darauf auf Herbert Pocket stürzt, lässt kaum einen anderen Schluss zu, als dass er Estella damit imponieren möchte. Auch die dramatische Spannung einiger Szenen wird in der Verfilmung erkennbar verstärkt. Ein besonders deutliches Beispiel hierfür ist die Szene, die Magwitchs Rückkehr behandelt. Magwitchs Ankunft bei Pip spielt sich im Roman recht gemächlich ab: "There is some one down there, is there not?" I called out, looking down. "Yes," said a voice from the darkness beneath. […] "Do you wish to come in?" "Yes," he replied; "I wish to come in, Master." I had asked him the question inhospitably enough, for I resented the sort of bright and gratified recognition that still shone in his face. [...] I saw him next moment, once more holding out both his hands to me. "What do you mean?" said I, half suspecting him to be mad. [...] "There's no one nigh," said he, looking over his shoulder, "is there?" "Why do you, a stranger coming into my rooms at this time of night, ask that question?" said I. "You're a game one," he returned, shaking his head at me with a deliberate affection, at once most unintelligible and most exasperating; "I'm glad you've grow'd up, a game one! But don't catch hold of me. You'd be sorry arterwards to have done it." I relinquished the intention he had detected, for I knew him! (GE 314f.). 167

Sind hier im Text durchaus gewisse Anzeichen einer Nervosität seitens Pip vorhanden, so bleibt er dennoch stets Herr der Situation, während sich Magwitch denkbar höflich verhält. In der Verfilmung wird Magwitchs Rückkehr wesentlich bedrohlicher dargestellt. Pip öffnet Magwitch keineswegs freiwillig die Tür, dieser steht vielmehr plötzlich wie aus dem Nichts vor ihm. Die dramatische Spannung, die diese Szene erzeugt, wird von entsprechender Musik untermalt: Pip (panisch, während Magwitch langsam und mit finsterem Gesichtsausdruck auf ihn zugeht): "Who are you? (Schreiend:) Watchman!" Magwitch (hält ihm den Mund zu, Pip heult auf): "I was sent for life. You understand? It's death to come back. If took, I should of a certainty be hanged. Do you understand? Huh? (immt die Hand von Pips Mund.) Pip (sich fassend): "I understand. I understand your desperation." Magwitch: "Pip, then you understand what I risked for you. Huh?" Pip: "Me? Me? What are you to me?" Magwitch: "You're the child that acted noble to me. And I have never forgot [sic] it, Pip." Pip (sich aufrichtend, ihn erkennend, dennoch leicht ungläubig): "You?" (2. Folge). Ähnlich wie in der CuarónVerfilmung ist auch in der vorliegenden BBCVerfilmung erkennbar, dass gegenüber der Romanvorlage signifikante Änderungen an der Charakterisierung einzelner Figuren vorgenommen wurden. Dies betrifft in diesem Fall insbesondere die Figuren Pip, Joe und Estella. Gemäβ dem Postulat, dass die Protagonisten mehrheitsfähiger Filmproduktionen sich kohärent und möglichst auch sympathisch durch die Handlung bewegen sollten, erscheint die Hauptfigur Pip auch hier sympathischer als im Roman, da die Arroganz, die sich im Roman als Folge seines wirtschaftlichen Aufstiegs einstellt, heruntergespielt wird. Dies wird vor allem dadurch erreicht, dass jene Szene, in der Joe Pip in London aufsucht, um ihm die Nachricht vom Tod von dessen Mutter zu überbringen, komplett entfällt, während sie in der Verfilmung von Cuarón noch umgesetzt worden war. Was Joe anbelangt, so wird er vom IchErzähler Pip im Roman als "mild, good natured, sweettempered, easygoing, foolish, dear fellow" (GE, 8) charakterisiert. "I always treated him as a larger species of child, and as no more than my equal" (GE, 9).94 In der Verfilmung wird Joes Gutmütigkeit zwar beibehalten, statt kindlich und tollpatschig erscheint er jedoch zuweilen recht energisch und zupackend – wohl in der Annahme, dass sich ein allzu naiver und kindlicher Joe für ein zeitgenössisches Publikum nicht als Sympathieträger eignen würde. So wird auf Äußerungen oder Verhaltensweisen Joes, die ihn als allzu kindlich oder

94 Auch in der Forschung zum Roman wird Joes Kindlichkeit wiederholt betont (vgl. Ginsbury 1984, 15 und Stange 1990, 67). 168 einfältig erscheinen lassen könnten, verzichtet – etwa in jener Szene, in der Joe und Pip bei Miss Havisham vorsprechen, und in der sich Pip zum ersten Mal durch Joes Auftreten blamiert fühlt: "It was very aggravating; but, throughout the interview Joe persisted in addressing Me instead of Miss Havisham" (GE, 100). Diese Ungeschliffenheit Joes wird in der Verfilmung ausgeglichen. Zwar wendet sich Joe im Begriff, auf eine Frage von Miss Havisham zu antworten, an einer Stelle an Pip, bemerkt seinen Fehler aber sofort selbst und korrigiert ihn. In anderen Szenen der Verfilmung ist Joes Tonfall wesentlich energischer als der Roman vermuten ließe. Dies betrifft etwa jene Szene, in der Pip darüber nachdenkt, Miss Havisham einen Besuch abzustatten, nachdem er mehrere Jahre als Joes Lehrling zugebracht hat: "You see, Pip," Joe pursued […] "Miss Havisham done the handsome thing by you. When Miss Havisham done the handsome thing by you, she called me back to say to me that were all." "Yes, Joe. I heard her." "ALL," Joe repeated, very emphatically. "Yes, Joe, I tell you, I heard her." [...] In brief, Joe thought that if I thought well of it, he thought well of it. But, he was particular in stipulating that if I were not received with cordiality, or if I were not encouraged to repeat my visit as a visit which had no ulterior object but was simply one of gratitude for a favour received, then this experimental trip should have no successor. By these conditions I promised to abide (GE, 110ff.). In der Verfilmung erscheint Joe an dieser Stelle wesentlich weniger geduldig als im Originaltext: Joe (bei der Arbeit, erregt, mit lauter Stimme): "Miss Havisham done the handsome thing by you, Pip. And when Miss Havisham done the handsome thing by you, she said that that were all!" Pip (ebenfalls erregt): "But Joe..." Joe: "All, Pip." Pip: "Since the day of my being bound, I never thanked Miss Havisham or asked after her or shown that I remember her. And today is her birthday, Joe! The day on which..." Joe (hält bei der Arbeit inne, richtet sich auf, atmet tief durch): "Very well, then. But no more trips after this one!" (1. Folge). Was Estella anbelangt, so ergibt sich ein komplexeres Bild. An ihr werden in zweierlei Hinsicht Veränderungen vorgenommen. Während Lyn Pykett (2002, 170) die Estella, die dem Leser im Roman begegnet, als "elusive character, apparently lacking autonomy" beschreibt, werden in der Verfilmung sowohl die kindliche als auch die erwachsene Estella als wesentlich unabhängiger vom Willen Miss Havishams dargestellt als im Roman. Dies zeigt besonders deutlich eine Szene in der Verfilmung, die auf der folgenden Szene im 169

Roman basiert. Pip berichtet von dem Lied Old Clem, das Joe ihm einst beibrachte, und das er während einem seiner Besuche bei Miss Havisham auf deren Aufforderung hin, ihr etwas vorzusingen, anstimmt: "After that, it became customary with us to have it as we moved about, and Estella would often join in" (GE, 95f.). Das Drehbuch der Verfilmung gesteht Estella im Zusammenhang eine wesentlich aktivere Rolle zu als der Roman. Dies beginnt damit, dass sie Pip dazu auffordert, das Lied vor Miss Havisham darzubieten, um sich über ihn lustig machen zu können, nachdem sie es ihn bei einem seiner früheren Besuche vor sich hinsingen hat hören. Auf Miss Havishams Aufforderung, in den Gesang miteinzustimmen, reagiert sie wie folgt: Estella (singt zunächst mit, dann): "But I'm not supposed to join in, neither of us! I thought we were supposed to laugh! I don't understand this! (Steht auf, zu Pip:) It is a blacksmith's church! It is a song to use for hammering with your coarse, clumsy hands!" (Verlässt rennend den Raum, knallt mit der Tür) (1. Folge). Estellas Selbstbestimmtheit als Erwachsene in der Verfilmung zeigt sich schon darin, dass sie anders im Roman in der Verfilmung Pip gegenüber nur einziges Mal andeutet, unter Anleitung von Miss Havisham zu handeln. Diese Unabhängigkeit Estellas wird dadurch besonders offensichtlich, dass die Szene aus dem Roman, in der Estella und Miss Havisham aneinander geraten (vgl. GE, 303ff.), in der Verfilmung nicht nur bewusst beibehalten wird, sondern noch zusätzlich mit der Szene kombiniert wird, in der Estella Pip von ihrem Entschluss in Kenntnis setzt, Bentley Drummle zu ehelichen. Auch im Roman betont Estella, dass sie diesen Entschluss eigenständig gefasst hat. Sie äußert Pip gegenüber: "Why do you injuriously introduce the name of my mother by adoption? It is my own act. [...] As to leading me into what you call this fatal step, Miss Havisham would have had me wait, and not marry yet; but I am tired of the life I have led, which has very few charms for me, and I am willing enough to change it" (GE, 364). Im Roman finden sich jedoch keinerlei Anzeichen dafür, dass Miss Havisham Estellas Entschluss missbilligen würde – im Gegenteil, Pip macht im Anschluss an Estellas Ankündigung ihrer bevorstehenden Heirat eine Beobachtung, die nahelegt, dass Miss Havisham diese Entscheidung Estellas als willkommene Möglichkeit begreift, ihn erneut zu demütigen: "When I raised my face again, there was such a ghastly look upon Miss Havisham's, that it impressed me, even in my passionate hurry and grief" (GE, 363). In der Verfilmung hingegen wird Miss Havisham von Estellas Offenbarung ebenso überrascht wie Pip: Pip: "I've just seen Drummle." Estella: "I'm going to marry him." Miss Havisham: "And not tell me? And not inform me? You ingrate!" Estella: "I planned to, presently. It is the reason for this visit. But it is my own act, and 170

that is something long overdue" (2. Folge). Dass Estella hier wesentlich weniger fremdbestimmt erscheint als im Roman könnte damit zusammenhängen, dass eine selbstbestimmte Estella wesentlich besser mit dem zur Entstehungszeit der Verfilmung vorherrschenden Frauenbild in Einklang gebracht werden kann. In diesem Zusammenhang mag auch die Tatsache eine Rolle spielen, dass die Produzenten des Kostümdramas britischer Machart, wie bereits gezeigt wurde, den Bedürfnissen ihres weiblichen Publikum zumeist besondere Aufmerksamkeit widmen. Allerdings wird die erwachsene Estella in der Verfilmung nicht nur als im Vergleich zur Romanvorlage unabhängiger dargestellt, sondern, ebenso wie der männliche Protagonist Pip, auch als sympathischer und – im wahrsten Sinne des Wortes – liebenswürdiger. In jener Szene, in der sie Pip gegenüber ihre Heirat mit Drummle ankündigt, zeigt sie schon im Roman leichte Anzeichen von Mitgefühl. Wie der IchErzähler Pip darlegt, macht sie diese Ankündigung "in a gentler voice" (GE, 363). Zudem lassen einige ihrer sich dieser Ankündigung anschließenden Äußerungen durchaus das Bemühen erkennen, Pip zu trösten: "O Estella!" I answered, as my bitter tears fell fast on her hand, do what I would to restrain them; "even if I remained in England and could hold my head up with the rest, how could I see you Drummle's wife!" "Nonsense," she returned, "nonsense. This will pass in no time." "Never, Estella!" "You will get me out of your thoughts in a week" (GE, 364). In der entsprechenden FilmSzene betont Estella noch deutlicher ihre Meinung, ihre Entscheidung für Bentley Drummle sei zu Pips Bestem. Zudem wird ihre vorgebliche Gefühllosigkeit bis zu einem gewissen Grad dadurch konterkariert, dass nicht nur Pip die Tränen in den Augen stehen, sondern auch ihr: Pip: "And so the man who loves you is to be rejected by you." Estella: "The man who loves me will no longer be disappointed by me, tormented by me!" Pip: "I will always be tormented by you!" Estella: "Nonsense. It will pass in a week." Pip (lauter werdend): "To the last hour of my life." Estella (beginnt zu weinen, während Pip auf sie zustürzt, um sie zu umarmen): "No, I cannot comprehend! (Sich fassend, wieder mit ruhigerer Stimme) I cannot comprehend. I have a heart to be stabbed in or shot in, Pip, nothing more. I did try to warn you of this" (2. Folge). In diesem Zusammenhang lässt sich auch noch einmal die bereits zitierte, der Verfilmung von Drehbuchautor Tony Marchant hinzugefügte Szene nennen, in der Pip Estella nach ihrer Heirat noch einmal aufsucht, und sie ihn zwar nicht einlässt, aber mit betrübter Miene am Fenster erscheint und ihm nachblickt. Auch diese Szene trägt dazu bei, Estella mitfühlender 171 und sympathischer erscheinen zu lassen als in der Verfilmung. Die Szene, die diese Verfilmung beschlieβt, basiert, wie das Ende der Cuarón Verfilmung, auf Dickens' überarbeitetem Romanende. Nach Auskunft von Russell Baker, der im amerikanischen Fernsehen jeweils eine kurze Einführung in die beiden Teile der Verfilmung gab und auch nach Ende der zweiten Folge noch einmal das Wort an die Zuschauer richtete, sollte die Ambiguität dieses zweiten Endes in der Verfilmung dezidiert beibehalten werden (vgl. Ende der 2. Folge auf der amerikanischen DVDAusgabe). Das Ende der Adaption weist zwar durchaus eine gewisse Ambiguität auf, die zudem dadurch unterstrichen wird, dass die entsprechende Szene im Hauptmenü der DVDAusgabe mit dem Titel "Happily Ever After?" überschrieben wurde. Dennoch wurden bei der Konzeption des Filmausgangs signifikante Veränderungen an Dickens' Text vorgenommen. Diese Eingriffe bewirken, dass man insgesamt hier doch von einer 'Romantisierung' des Endes sprechen kann, die durch Estellas bereits diskutierte gesteigerte Liebenswürdigkeit im zweiten Teil der Verfilmung vorbereitet und motiviert wird, und die insgesamt weniger zweideutig anmutet als die von Alfonso Cuarón verwendete Fassung. Außerdem wird das Geschehen dahingehend vereindeutigt, dass das neuerliche Zusammentreffen zwischen Pip und Estella besser motiviert wird als im Roman und somit glaubhafter und überzeugender wirkt. Estella stattet dem zur Ruine verfallenen Satis House nicht wie im Roman einen letzten Besuch ab, sondern hat sich in der Verfilmung in dem keinesfalls ruinenhaften Gebäude häuslich niedergelassen, das sie nach dem Ableben von Miss Havisham erbte. Dort sucht Pip sie auf:95 Pip: "Tell me you are as unhappy as I have been, Estella. Tell me that Drummle made you suffer and you are suffering still. (Estella läuft eine Träne über die Wange.) Tell me!" Melodramatische Musik setzt ein, Estella beginnt zu schluchzen, Pip nimmt sie in die Arme, sie verbirgt ihr Gesicht an seiner Schulter. Pip: "Now you know what my heart has been." Sie küssen einander, bis Estella sich von Pip losmacht. Estella: "We cannot do this." Pip: "No. I should go." Estella: "Go where? Do we have to part again simply because we cannot act on our love for each other? Do we have to be deprived of our company, too?" Szenenwechsel. Pip und Estella sitzen am Tisch und spielen Karten.

95 Durch die hier zu beobachtende stärkere Motivierung des erneuten Zusammentreffens zwischen Pip und Estella wird eine Schwäche des überarbeiteten Romanendes behoben, auf die Edgar Rosenberg (1981, 106) hingewiesen hat: "The meeting in Picadilly [which constitutes the first ending] is always called an accident. On empirical grounds alone [...] the Picadilly meeting is of course no such thing. You are much more likely, after an eight years' absence, to run into an old chum at a time and in a place entirely disconnected from local associations in the past than to collide with him, as Pip collides with Estella – of all places and all nights – in the very spot from which, after years of childhood togetherness, they have both been separated for years, in the very nick of time, on the eve of Estella's last visit."

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Pip (lächelnd): "Is that a knave or a Jack? For I wouldn't wish to be laughed at." Estella: "Call it what you will." Pip: "I shall." Estella: "When you visit next, you should send word of your intent to come, otherwise I may be out, or simply too busy." Pip: "It's impossible to say when I shall next be here. I have to work for a living." Die Kamera entfernt sich von Estella und Pip, die weiterhin Karten spielen. ach einer Weile, nachdem weitere Karten gelegt wurden, lachen beide entspannt und befreit (2. Folge). Während es im Roman in der Tat als Missverständnis seitens Pip interpretiert werden kann, wenn er aus Estellas Worten: "And will continue friends apart" (GE, 484) schließt: "I saw the shadow of no parting from her" (ebd.), so findet hier immerhin ein Kuss zwischen Estella und Pip statt, Estella spricht zudem gar gegenseitiger Liebe, und auch die beiderseitige Koketterie beim gemeinsamen Kartenspiel, das die Szene beschließt, scheint darauf hinzudeuten, dass sich zwischen Estella und Pip nun doch etwas anbahnen könnte. Trotz dieser hier analysierten Maβnahmen, die das populäre Potential der Verfilmung erhöhen, ist anzumerken, dass zum vollständigen Verständnis der Verfilmung eine relativ genaue Kenntnis des Romans und seines zeitgeschichtlichen Hintergrunds notwendig ist. Durch einige der Straffungen, die nötig waren, um den Stoff des ca. 500seitigen Romans auf eine Filmlänge von etwa drei Stunden zu kürzen, sind im Fall der vorliegenden Verfilmung Leerstellen entstanden, die nicht durch dem Drehbuch hinzugefügte erklärende Szenen ausgeglichen werden. Vielmehr muss der Zuschauer sie aus seiner Kenntnis des Romaninhalts ausfüllen, um die Handlung der Verfilmung richtig deuten zu können.96 Hierfür seien einige Beispiele angeführt. In der Verfilmung begegnet Pip dem Anwalt Jaggers nicht wie im Roman während einer seiner Besuche bei Miss Havisham (vgl. GE, 83), sondern trifft ihn zum ersten Mal, als Jaggers ihn und Joe aufsucht, um Pip die Botschaft von seinen great expectations zu überbringen (vgl. 1. Folge). Als Pip daraufhin Miss Havisham einen Besuch abstattet, um sich von ihr zu verabschieden und sich zumindest indirekt dafür zu bedanken, dass sie ihm – wie er annimmt – zu diesen great expectations verholfen hat, äußert sie mit der nahezu selben Wortwahl wie im Roman: "I've seen Jaggers. I know all about it" (1. Folge). Diese en passant eingestreute Bemerkung ist der einzige Hinweis darauf, dass zwischen Jaggers und Miss Havisham eine Verbindung besteht. Pips felsenfeste Überzeugung, dass es sich bei Miss Havisham um seine geheime Wohltäterin handelt, ist somit für den Zuschauer der Verfilmung weniger leicht nachvollziehbar – es sei denn, er nimmt an dieser Stelle eine Ergänzung aus seiner Kenntnis des Romans vor. Ein weiteres

96 Diese Leerstellen sind auch nicht mit denjenigen vergleichbar, die in einem früheren Kapitel der vorliegenden Arbeit als charakteristisch für Texte mit populärem Potential bezeichnet wurden. 173

Beispiel findet sich in der filmischen Umsetzung der Wahnvorstellung, von der der überreizte Pip am Ende seines ersten Besuches bei Miss Havisham heimgesucht wird: I turned my eyes – a little dimmed by looking up at the frosty light – towards a great wooden beam in a low nook of the building near me on my right hand, and I saw a figure hanging there by the neck. A figure all in yellow white, with but one shoe to the feet; and it hung so, [sic] that I could see that the faded trimmings of the dress were like earthy paper, and that the face was Miss Havisham's, with a movement going over the whole countenance as if she were trying to call to me. In the terror of seeing the figure, and in the terror of being certain that it had not been there a moment before, I at first ran from it, and then ran towards it. And my terror was greatest of all, when I found no figure there (GE, 64). Bei der Verfilmung dieser Szene wurde auf jegliche Art von Verfremdung komplett verzichtet (1. Folge). Somit besteht im Falle des des Romans unkundigen Zuschauers zumindest die Möglichkeit, dass er Miss Havisham tatsächlich für tot hält – zumal Pip, als er vor der am Strick hängenden Miss Havisham davonrennt, der wirklichen Estella in die Arme läuft. Auch spezifisch viktorianische Elemente, die in den übrigen hier diskutierten Adaptionen tendenziell eher entfallen, wurden in dieser Adaption weder verdeutlicht noch ausgespart. Auch in sprachlicher Hinsicht wird weniger vereinfacht bzw. aktualisiert als in den meisten der übrigen Beispiele. So wird die Tatsache, dass Magwitchs Besitztümer laut viktorianischer Gesetzgebung nach dessen Rückkehr und Tod vom britischen Staat eingezogen würden, in der Verfilmung mit derselben Formulierung wie im Roman umschrieben: "[B]eing convicted, his possessions would be forfeited to the Crown" (GE, 447). Auch Pips Äußerung gegenüber Drummle, nachdem dieser bei einer Versammlung der Vereinigung finches of the grove einen Toast auf Estella ausgesprochen hat, "I made him the reply that I believed he knew where I was to be found" (GE, 309), wird wörtlich übernommen und lediglich von der indirekten in die direkte Rede übertragen (vgl. 2. Folge).97 Die vorliegende Verfilmung hebt sich auch dadurch von der Mehrzahl der hier analysierten Adaptionen ab, dass sie die situationskomischen Szenen des Romans nahezu vollständig ausspart. Wie Robert Giddings (n.d.1) bemerkt: "[N]o fun with bread and butter at the table, no Trabbs's Boy, no Joe in London, no Wopsle's Hamlet." Pumblechook, den Julian Moynahan (1990, 82) als "parody patron, [whose] comic chastisement is one of the most satisfying things in the book" bezeichnet und der sicher eine der komischsten Figuren des Romans darstellt, taucht zwar auch in der Verfilmung auf, jene Szenen, in denen er Pip mit Rechenaufgaben quält (GE, 53ff.) und sich als Pips "earliest patron and the founder of [his] fortunes" (GE, 231) aufspielt, entfallen jedoch. Dadurch gerät auch Pumblechook zu

97 Dass es sich bei dieser Äußerung um eine Herausforderung zu einem Duell handelt, wird von der Herausgeberin der PenguinAusgabe des Romans in einer Fußnote erläutert (vgl. GE, 501). 174 einer recht blässlichen und nichtssagenden Figur.

4.2.3.2 Resümee Wie aus der Analyse bereits deutlich geworden sein dürfte, ist das populäre Potential der BBCVerfilmung von Great Expectations auf jeden Fall geringer zu veranschlagen als das der zuvor diskutierten Verfilmung von Alfonso Cuarón. Zwar werden wiederum für ein zeitgenössisches Publikum relevante Themenbereiche betont, nämlich erneut die Liebesgeschichte zwischen Pip und Estella sowie die Entschlüsselung des Geheimnisses um Estellas Herkunft. Zudem wird das Geschehen zur Erleichterung der Rezeption an einigen Stellen vereindeutigt, sowie die Dramatik bestimmter Szenen verstärkt und auch mitunter die Spannung erhöht. Auch werden die Charakterisierungen einiger Figuren aktualisiert, bzw. wird im Fall der beiden Hauptfiguren deren SympathieträgerPotential verstärkt. Das Ende der Verfilmung ist zudem stärker 'romantisiert' als die von Alfonso Cuarón verwendete Schlussvariante. Daneben weist die Verfilmung aber auch Elemente auf, dank derer sie sich, was das populäre Potential anbelangt, von der Mehrzahl der übrigen hier diskutierten Verfilmungen abhebt: Die angesprochenen Leerstellen, die der Zuschauer aus seiner Kenntnis des Romaninhalts füllen muss sowie die Beibehaltung einzelner Details, deren Rezeption nur dem Kenner des Romans einen Genuss bereiten dürften. Zudem ist in diesem Zusammenhang die Aussparung der komischen und humoristischen Elemente des Romans signifikant. Solche Elemente werden in den meisten der übrigen hier noch zu diskutierenden Verfilmungen tendenziell eher verstärkt als vernachlässigt. Aufgrund dieser Elemente ist das populäre Potential dieser Verfilmung auch als geringer einzustufen als das der zuvor diskutierten BBCVerfilmung des Romans Martin Chuzzlewit. Der seit Mitte der 1990er Jahre zu beobachtende Trend von Klassikerverfilmungen in Richtung Mainstream setzte sich also mit dieser Verfilmung nur bedingt fort, was sich auch daran erkennen lässt, dass die Adaption auf BBC2 ausgestrahlt wurde, für das hinsichtlich der zu erreichenden Einschaltquoten andere Maβstäbe gelten als für das erste Programm der BBC (vgl. Abschnitt 4.1.2.).

175

4.2.4 icholas ickleby (ITV, 2001) Bei dieser Adaption handelt es sich um eine Fernsehproduktion mit einer Länge von ca. 3 Stunden und 20 Minuten, die im April 2001 in zwei Teilen auf dem britischen Privatsender ITV ausgestrahlt wurde. Vom Genre her betrachtet ist diese Adaption also von den bereits diskutierten Produktionen mit der BBCVerfilmung von Great Expectations vergleichbar. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass die vorliegende Produktion für einen PrivatSender hergestellt wurde, für den Einschaltquoten eine gröβere Bedeutung haben als für die öffentlichrechtliche Sendeanstalt BBC (vgl. Abschnitt 4.1.2.)

4.2.4.1 Entstehung und Inhalt des Romans und dessen Relevanz für ein heutiges Publikum icholas ickleby war nach The Pickwick Papers und Oliver Twist Dickens' dritter Roman. Wie zuvor schon The Pickwick Papers wurde er in 19 monatlichen Fortsetzungen veröffentlicht, deren erste im März 1838 erschien. Das letzte instalment kam im September 1839 auf den Markt. Wie schon im Fall des VorgängerRomans Oliver Twist beabsichtigte Dickens, mit seiner neuen Veröffentlichung einen gesellschaftlichen Missstand anzuprangern. Sein Unmut richtete sich gegen die sogenannten Yorkshire Schools, die Eltern die Möglichkeit boten, uneheliche oder aus anderen Gründen ungewollte Kinder abzuschieben. In vielen solcher Yorkshire Schools wurden die Kinder dann physisch und psychisch misshandelt, eine fundierte Ausbildung wurde ihnen vorenthalten. Im Mittelpunkt der Handlung des Romans stehen der 19jährige Nicholas Nickleby und seine jüngere Schwester Kate, die zusammen mit ihrer Mutter nach dem Tod des Vaters mittellos zurückbleiben. Gemeinsam bitten sie Ralph Nickleby, den Bruder des Vaters, um Hilfe. Ralph Nickleby, der aufgrund unseriöser Geschäfte über ein beachtliches Vermögen verfügt, verschafft Nicholas eine Stelle als Hilfslehrer in einem Internat mit dem Namen Dotheboys Hall. Kate erhält eine Anstellung als Näherin im Etablissment der Madame Mantalini. Das Ehepaar Squeers entpuppt sich im Umgang mit den seiner Obhut überlassenen Schülern als äuβerst brutal. Squeers' unattraktive Tochter Fanny macht Nicholas Avancen und lädt ihn zusammen mit ihrer Freundin Tilda und deren Verlobten John Browdie zum Tee ein. Es kommt zum Eklat, als Nicholas vor aller Augen heftig mit Tilda flirtet. Nicholas fällt es zunehmend schwerer mitanzusehen, wie die Kinder misshandelt werden. Schlieβlich greift er ein und schlägt Squeers zu Boden, als dieser auf den körperlich und geistig unterentwickelten Smike losgeht, mit dem sich Nicholas zögerlich angefreundet hat. Nicholas und Smike ergreifen die Flucht und treffen auf das wandernde Schauspielensemble der Familie Crummles. Mr. Crummles bietet beiden eine Beschäftigung an. Nicholas gibt in einer 176

Produktion von Romeo and Juliet daraufhin den Romeo, Smike übernimmt die Rolle des Apothekers. Zwischenzeitlich gerät Kate in den Fängen ihres Onkels in groβe Bedrängnis: Ralph Nickleby, unter anderem als Wucherer tätigt, benützt sie als Köder für potentielle Kunden. So sieht sich Kate den Zudringlichkeiten Sir Mulberry Hawks und Lord Frederick Verisophts ausgesetzt. Newman Noggs, Ralphs Sekretär, setzt Nicholas schriftlich von diesen Vorgängen in Kenntnis, woraufhin dieser zusammen mit Smike kurzerhand sein Engagement bei der CrummlesFamilie kündigt und nach London reist. Dort stellt er seinen Onkel zur Rede, wenig später entzweien sich Hawk und Verisopht und es kommt zu einem Duell, bei dem Verisopht unterliegt. Nicholas findet eine Anstellung bei den groβzügigen Cheeryble Brothers. Deren Neffe Frank wirft ein Auge auf Kate Nickleby, während sich Nicholas in Madeline Bray verliebt, deren Vater Ralph Nickleby einen beträchtlichen Geldbetrag schuldet. Ralph bietet Madeline an, ihrem Vater die Schuld unter der Bedingung zu erlassen, dass sie den greisen, widerwärtigen Arthur Gride heiratet. Madeline fügt sich in ihr Schicksal, Nicholas versucht erfolglos, bei Gride zu intervenieren. Am Tag der geplanten Hochzeit erscheint er mit Kate vor Ort, um einen letzten Versuch zu unternehmen, die Heirat zu verhindern. Der Zufall eilt ihm zu Hilfe: Bevor die Heirat vollzogen werden kann, stirbt Madelines Vater. Nicholas vertraut die daraufhin psychisch angeschlagene Madeline der Obhut seiner Schwester und seiner Mutter an. Zwischenzeitlich kidnappt Squeers Smike, der jedoch befreit wird und sich in Nicholas' Obhut zurückbegibt. Allerdings stirbt er wenig später an Tuberkulose. Ralph Nickleby erleidet groβe finanzielle Verluste und erfährt, dass es sich bei Smike um seinen Sohn handelte. Er erkennt sein Versagen und erhängt sich. Nicholas und Madeline heiraten, ebenso Kate und Frank. Robert Giddings (n.d.4) betont die fortdauernde Attraktivität dieses Stoffes für Filmschaffende: Even though much of its contemporary relevance is lost today, icholas ickleby obviously tempted filmmakers from the very beginning, has several times been serialized on British television and brilliantly dramatized for the stage by David Edgar for the Royal Shakespeare Company in 1982. Giddings (ebd.) sucht nach Gründen für dieses beständige Interesse an der Handlung des Romans und betont die Relevanz, den der Plot auch für ein zeitgenössisches Publikum aufweist – auch wenn er seit seinem Erscheinen einiges an Aktualität eingebüßt haben mag: Dickens's writing [...] was [...] firmly rooted in realities. But those realities have now gone. Such institutions have disappeared long ago, and yet the scenes at Dotheboys Hall continue to make an impact upon the imagination because they have passed beyond the factual reforming propaganda originally intended and into the realms of the archetypal and mythological, symbolically representing for all time the 177

barbaric authoritarian treatment of the young and helpless. Als weiteres Beispiel für die Universalität einiger der Themen des Romans nennt Giddings (ebd.) einen der Handlungsstränge rund um die Figur Kate Nickleby: [T]here's the way in which Ralph tries to 'help' Kate Nickleby. In the novel he suggests that Kate seeks employment with Mrs. Mantalini, the milliner. The real meaning of this, that Dickens's readers would understand immediately, is probably lost to modern readers. Milliners shops were notoriously where gentlemen picked up prostitutes [sic]. Milliners apprentices frequently supplemented their modest income with this additional trade. [...] An audience today may not specifically apprehend the real villainy in Uncle Ralph's proposal for his young fourteen yearold niece, but they will respond with disgust at Sir Mulberry Hawk's vile and suggestive behaviour.

4.2.4.2 Das populäre Potential der Verfilmung Ähnlich wie dies bereits für den Roman Martin Chuzzlewit festgestellt wurde, beginnt auch icholas ickleby recht ausholend. An den Anfang dieses Romans setzt Dickens ein handlungsarmes Kapitel, das das Schicksal der NicklebyFamilie über mehrere Generationen hinweg nachzeichnet, das darauffolgende zweite Kapitel hat einige geschäftliche Aktivitäten Ralph Nicklebys zum Inhalt. Für die Verfilmung wurde wiederum ein Einstieg in medias res gewählt: Die Handlung setzt mit der Beerdigung von Nicholas Nickleby senior ein, womit die Kalamitäten seiner Frau und seiner Kinder, die gewissermaβen das Thema des Romans bilden, ihren Anfang nehmen. Auf jegliche Art von Vorgeschichte wird verzichtet. Temporeich gestaltet sich die Verfilmung auch in ihrem weiteren Verlauf, und zwar in deutlich stärkerer Ausprägung als die zuvor diskutierten Fernsehverfilmungen von Martin Chuzzlewit und Great Expectations. "The direction [...] swept things along. Scene followed scene, and sequences flashed by as the drama was taken at a good rattling pace", bemerkt Giddings (n.d.3) in seiner Rezension der Verfilmung. Wie bereits dargelegt wurde, wirkt sich ein häufiger Szenenwechsel sowie ein rasches Alternieren zwischen einzelnen Handlungssträngen für den Zuschauer insofern rezeptionserleichternd aus, als sie es ihm ersparen, seine Konzentration über eine längere Zeitspanne hinweg auf einen einzelnen Gegenstand zu richten. Zudem beugt das schnelle Tempo, das durch die rasche Szenenfolge entsteht, dem Aufkommen von Langeweile vor. Betont werden in dieser Adaption die Romanzen, die Entschlüsselung des Geheimnisses um Smikes Herkunft, zudem die komischen Elemente der Handlung. Der Handlungsstrang rund um Madeline und Nicholas nimmt auch in dieser Verfilmung einen beachtlichen Raum ein und wird durch zusätzliche Szenen erweitert. Dickens' Erzähler deutet wiederholte Begegnungen zwischen Nicholas und Madeline nach dem ersten 178

Zusammentreffen im General Agency Office lediglich an: Nicholas, absorbed in the one engrossing subject of interest which had recently opened upon him, occupied his leisure hours with thoughts of Madeline Bray, and, in execution of the commissions which the anxiety of Brother Charles in her behalf imposed upon him, saw her again and again, and each time with greater danger to his peace of mind (, 601). Drehbuchautor Martyn Edward Hesford baut eine dieser Zusammenkünfte zu einer zusätzlichen Szene aus: Nicholas: "May I walk with you, Madeline?" Madeline: "Yes. (Lächelt etwas verlegen.) I'd like that very much." (icholas lächelt zurück, sie machen sich auf den Weg.) Madeline: "Nicholas, when you acted on the stage, what parts did you play?" Nicholas: "Romantic." (Madeline lächelt vor sich hin.) "Do you find that amusing?" Madeline: "No, I should like to have seen it." Nicholas: "Then you shall. (Beginnt zu rezitieren): Soft, what light through yonder window breaks. It is the east, and Madeline is the sun." Madeline strahlt ihn an, berührt ihn schlieβlich am Arm. Nicholas: "She laughs. Oh, laugh again, bright angel." (Beide gehen Arm in Arm weiter.) An diesem Dialog lässt sich eine leichte sprachliche Aktualisierung daran erkennen, dass Nicholas und Madeline einander hier beim Vornamen nennen und sich nicht wie im Roman mit 'sir' bzw. 'ma'am' anreden. Während Hesford in vielen der übrigen, auf Vorlagen aus dem Roman basierenden Szenen der Verfilmung das Bemühen erkennen lässt, die viktorianische Diktion beizubehalten, wäre dieser Dialog sprachlich auch ohne Weiteres in einer zeitgenössichen, mainstreamorientierten Film oder Fernsehproduktionen mit zeitgenössischem Setting vorstellbar.98 Auβerdem kommt es in der Verfilmung, nachdem Madelines Heirat mit Arthur Gride vereitelt wurde, zu einer 'offiziellen' Liebeserklärung zwischen Madeline und Nicholas, die sich nicht im Roman findet: Madeline: "I told you once, if circumstances were different... Well, they are different now, Nicholas." Nicholas: "Not for me. I have nothing I can offer you." Madeline: "Except yourself." Nicholas: "I don't know what to say." Madeline: "Say you feel the same?" Nicholas: "I do. I love you." Madeline: "I love you, Nicholas Nickleby." (Sie küssen einander.) Beachtenswert ist, dass sich in diesen Dialog Aktualität einschleicht, indem die

98 Besonders Madelines Antwort "I'd like that very much", als Nicholas ihr seine Begleitung anträgt, erinnert an zeitgenössische, populäre Filmproduktionen. In der im Jahr 1999 erschienenen HollywoodKomödie Three to Tango äuβert Neve Campbell Matthew Perry gegenüber beim gemeinsamen Anschauen eines Filmes: "You know there is this thing I've noticed: In the movies whenever a guy asks a girl out, she always says: 'I'd like that.' I’ve never heard anyone say that in real life ever." 179

Liebeserklärung von Madeline ausgeht, was in einem viktorianischen Kontext kaum denkbar gewesen wäre.99 Smikes Zuneigung zu Kate wird in der Verfilmung ebenfalls durch eine zusätzliche Szene verdeutlicht: Smike sitzt in Gegenwart von Kate und Mrs. Nickleby Modell für Miss La Creevy. In den Dialog werden Äuβerungen von Mrs. Nickleby und Kate aus einem früheren Kapitel eingeflochten (vgl. , 426): Mrs. Nickleby: "You're from Yorkshire, I understand, Mr. Smike." Smike: "Yes, ma'am." Mrs. Nickleby: "Have you ever dined with the Grimbles at Grimbles Hall?" […] Kate (lächelt nachsichtig): "My dear mother, do you suppose Smike, living at Dotheboys Hall is likely to receive many invitations from the nobility?" (Die Kamera folgt Smikes Blick, der sich auf Kate richtet, und zeigt ihr Gesicht in Groβaufnahme. Gleichzeitig setzen dieselben romantischen Klänge ein, die auch zur Untermalung der Begegnungen zwischen icholas und Madeline verwendet werden.) Miss La Creevy (zu Smike): "Head up, dear." Mrs. Nickleby: "Don't see why not." Miss La Creevy (zu Smike): "Head down a little." Mrs. Nickleby: "When I went to school I always went at least twice a year to the Toolies at Taunton Vale and they were a great deal richer than the Grimbles at Grimble Hall." (Während dieses Satzes von Mrs. ickleby folgt die Kamera erneut Smikes auf Kate gerichteten Blick, ihr Gesicht erscheint wiederum in Groβaufnahme, sie lächelt Smike zu. Gleichzeitig wird die romantische Musik lauter, Mrs. icklebys Stimme rückt dadurch in den Hintergrund. Danach richtet sich die Kamera wieder auf Smike, der leicht verwirrt wirkt.) Miss La Creevy (zu Smike): "Head to the side, my dear." Und auch Smikes Eifersucht auf Frank Cheeryble wird betont. Zwar deutet Dickens' Erzähler im Roman an mehreren Stellen an, dass Smike romantische Gefühle für Kate hegt, diese Hinweise sind jedoch vor dem Hintergrund der zahlreichen anderen Ereignisse leicht zu übersehen (vgl. etwa . 486f.). Die folgende Szene spielt sich im Vorgarten des Hauses ab, in dem Mrs. Nickleby und Kate wohnen: Frank: "I don't suppose you'd like to join me for a walk, Miss Nickleby." Mrs. Nickleby: "I'll watch over Madeline, my dear." Kate: "Yes, Mr. Cheeryble, I would." Frank (erfreut): "You would? Good." (Reicht ihr den Arm, sie gehen Arm in Arm davon.) Kate: "I haven't had much time to explore here..." (Kates Stimme wird im Davongehen zunehmend leiser, die Kamera richtet sich auf ein offenes Fenster des Hauses, an dem Smike zu sehen ist, der den beiden betrübt nachsieht, dann noch einmal auf das davongehende Paar, schlieβlich wieder auf Smike, der mit traurigem Blick das

99 Vgl. hierzu etwa Helena Mitchies (1996, 97) Ausführungen bezüglich der "strictures of normative Victorian femininity: young women were not supposed to feel desire for men before they were proposed to – in some accounts, perhaps not even until they were married."

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Fenster schlieβt und sich abwendet.) Zusätzlich wird in dieser Adaption der Entschlüsselung des Geheimnisses um Smikes Herkunft viel Raum gewidmet. In der Verfilmung kommt Smikes Vorleben deutlich häufiger zur Sprache als im Roman, so etwa im folgenden Dialog zwischen Nicholas und Smike: Nicholas: "Do you remember your first day in Yorkshire?" Was it Mr. Squeers who first brought you to the school?" Smike: "No – no. Another man." Nicholas: "It's important if we're to find out who you really are." Smike: "I remember a room – a lonely room – where I slept." Eine ähnliche Unterhaltung führt Smike mit Kate: Kate: "Do you remember much about your family, Smike?" Smike: "No – except the man that took me – to the school. He – brought me – from London." Die Rolle ebendieses Mannes, Mr. Brooker, wird in der Verfilmung erweitert – ähnlich wie in der zuvor analysierten BBCVerfilmung von Great Expectations die Rolle von Estellas Mutter Molly. Brooker taucht in der Verfilmung häufiger auf als im Roman und hat hier seinen ersten Auftritt wesentlich früher als in Dickens' Originaltext, wo der Leser erst gegen Ende in Retrospektive von einem Besuch Brookers in Yorkshire erfährt: I have been away nearly eight years. Directly I came home again I travelled down into Yorkshire, and skulking in the village of an evening time, made inquiries about the boys at the school, and found that this one [Smike], whom I had placed there, had run away with a young man bearing the name of his own father (, 739). In der Verfilmung wird die Szene, die hier beschrieben wird, an passender Stelle in die Chronologie eingefügt: Unmittelbar nach Smikes und Nicholas' Flucht aus Dotheboys Hall wird die Figur Brooker eingeführt. Brooker befragt Fanny Squeers im Garten von Dotheboys Hall: Brooker: "I've come about a boy." Fanny: "Which boy? Our place is full of boys." Brooker: "Smike. He's called Smike." Fanny (ängstlich): "Mother…" Brooker: "Is he here?" Fanny: "No. He ran away." Brooker (drohend): "Where did he go?" Fanny (panisch): "Mother!" (Rennt davon, als sie sich umblickt, ist Brooker verschwunden.) Von dieser Szene an erscheint Brooker regelmäβig in der Verfilmung. Kurze, zumeist textlose Szenen zeigen ihn in den Straβen von London und erinnern daran, dass das Geheimnis um Smikes Herkunft nach wie ungelöst ist. Brookers Begegnung mit Ralph Nickleby, während der er diesen mit Verweis auf das von ihm gehütete Geheimnis um Geld 181 anbettelt (vgl. , 593ff.), fügt sich aufgrund der Tatsache, dass der Rezipient der Verfilmung anders als der Leser des Romans mit dieser Figur bereits vertraut ist, nahtlos in diese Reihe von Szenen ein. Die Dramatik dieser Szene, die sich im Roman recht langwierig gestaltet, wird zudem in der Verfilmung durch Beschränkung auf das Wesentliche erheblich verstärkt und unterstützt in dieser zugespitzten Form den Handlungsstrang ebenfalls wesentlich: Brooker: "I possess a hold of you, Nickleby. A secret. I took advantage of my position with you. What assistance could you render me if I tell you? You have money at your side, I have hunger and thirst at mine. You can drive an easy bargain." Ralph: "I will give you nothing." Brooker: "If I die, my secret dies with me. Let me tell you what you've lost by my great crime." Ralph: "You are welcome to all you know. I’m threatened every day by one man or another and I do not grow the poorer for it. Goodnight." Brooker: "Your family! Are those of the name Nickleby not dear to you?" Ralph: "They are not! I will not part with a halfpenny, nor would I to save you from rotting, Mr. Brooker." Auch die humoristischen Aspekte des Plots, der auf dem Cover der für den US amerikanischen Markt hergestellten DVDAusgabe immerhin als "a comic, brutal and passionate tale of greed and love in Victorian England" (meine Hervorhebung) ausgewiesen wird, werden in der Verfilmung akzentuiert. So ist Drehbuchator Martyn Edward Hesford erkennbar darum bemüht, einige Highlights aus Mrs. Nicklebys verbalen Ergüssen in der Verfilmung aufzugreifen, wie etwa das folgende Gespräch zwischen Ralph Nickleby, Kate und Mrs. Nickleby: Ralph: "I have found a situation for your daughter, ma'am." Mrs. Nickleby: "Didn't I say, Kate, depend upon it, I said, now that your uncle has provided for Nicholas he will not rest until he has done at least the same for you. (Ralph ickleby holt Luft, will fortfahren.) Kate, my dear, why don't you thank your uncle?" Ralph: "Let me proceeed, ma'am, I pray." Mrs. Nickleby: "Kate, my love, let your uncle proceed, I pray." Kate (nachsichtig): "I am most anxious that he should, mama." Ralph: "I would be obliged." Mrs. Nickleby: "Likewise." Ein weiteres Beispiel findet sich nach der verhinderten Heirat von Madeline Bray und Arthur Gride: Mrs. Nickleby: "But why is such a great fuss made because Miss Madeline is going to marry somebody older than herself. Your papa was older than I – four and a half years older!" Kate: "I don't think you quite understand, mama." Mrs. Nickleby: "I understand perfectly, Kate." 182

Im Fall der meisten humoristischen Einlagen in der Verfilmung ist indes eine deutliche Tendenz zu einer sehr plakativen Verstärkung von Dickens' Komik zu konstatieren, die an die SlapstickEinlagen rund um die PecksniffFigur aus der bereits analysierten BBCVerfilmung von Martin Chuzzlewit erinnern. Dies gilt etwa für die Szenen des MantaliniEhepaares, deren largerthanlifeperformance aber noch als Dickensian betrachtet werden werden kann. In der Szene der Verfilmung, die Fanny Squeers' Teegesellschaft behandelt, weicht Dickens' eher unterschwelliger Humor jedoch einer recht derben Komik: Mr Browdie was not a gentleman of great conversational powers, so he grinned twice more, and having now bestowed his customary mark of recognition on every person in company, grinned at nothing in particular and helped himself to food. "Old woman awa', bean't she?" said Mr Browdie, with his mouth full. Miss Squeers nodded assent. Mr Browdie gave a grin of special width, as if he thought that really was something to laugh at, and went to work at the bread and butter with increased vigour (, 115). In der Verfilmung wird die Komik durch eine recht platte Vereindeutigung von John Browdies mangelnder sozialer Kompetenz verstärkt: (Kamera auf John, der mit icholas, Fanny und Tilda am Tisch sitzt und laut schmatzend eine Scheibe Brot isst.) Tilda (peinlich berührt): "Well, John." John (mit vollem Mund): "Well what?" Tilda (ärgerlich): "Your mouth!" Fanny: "It's jumping, sir." Tilda (versetzt John unter dem Tisch einen Fuβtritt): "Manners!" Fanny: "In front of Mr. Nickleby too!" John Browdie (rülpst laut): "Well, I don’t suppose he's bothered." Diese Trivialisierung von Dickens' Humor steht im Einklang mit der starken Vereindeutigung, die die Verfilmung in ihrer Gesamtheit aufweist. Eine Vereindeutigung des Geschehens ist beispielsweise in jener Szene zu beobachten, in der Kate Nickleby sich im Haus ihres Onkels erstmals gegen Sir Mulberry Hawks Zudringlichkeiten zur Wehr setzen muss. Die Szene erhält dadurch eine Art AlbtraumCharakter, dass im Anschluss an Hawks Wette die versammelte Männerriege durch lautes Gröhlen und AufdenTischKlopfen Kate anzufeuern versucht. Dies wiederholt sich, als Kate nach Hawks Übergriffen das Haus fluchtartig verlässt, ihr die anwesenden Herren folgen, sich an dem oberen Ende der Treppe postieren und ihr höhnhisch hinterher johlen. Zudem kommt es im Roman zwar zu physischem Kontakt zwischen Hawk und Kate, jedoch nicht zu sexuellen Handlungen: Kate hastily rose; but as she rose, Sir Mulberry caught her dress, and forcibly detained her. [… H]e leant over, as if to replace her in her chair; but the young lady making a violent effort to disengage herself, he lost his balance, and measured his length upon the ground (, 237). 183

In der Verfilmung hingegen fasst Hawk ihr zwischen die Beine, drückt sie auf einen Billardtisch nieder und küsst sie gewaltsam. Noch häufiger ist in der vorliegenden Verfilmung der Versuch zu erkennen, die Spannung einzelner Szenen zu erhöhen. Im Zusammenhang mit Smikes Fluchtversuch aus Dotheboys Hall (vgl. Kapitel 13) wird dies etwa dadurch erreicht, dass sich Szenen, die den gehbehinderten Smike dabei zeigen, wie er sich äuβerst mühsam und verzweifelt, von dramatischer Musik begleitet, vorankämpft, mit anderen abwechseln, die den rachedurstigen Mr. Squeers auf der Suche nach ihm zeigen. Auch im Zusammenhang mit der geplanten Hochzeit von Madeline Bray und Arthur Gride ist eine Steigerung der Spannung zu beobachten, indem betont wird, dass es sich bei der Angelegenheit um einen Wettlauf mit der Zeit handelt. Im Roman endet Nicholas' letztes Gespräch am Tag vor der geplanten Hochzeit mit Madelines Worten: The time will come when to recall the memory of this one interview might drive me mad. Be sure to tell [the Cheeryble Brothers] that you left me calm and happy. And God be with you, sir, and my grateful heart and blessing! (, 660). In der Verfilmung endet dasselbe Gespräch wie folgt: Nicholas: "At least wait until the brothers return." Madeline: "I can't." Nicholas: "Why not?" Madeline (zögernd): "I'm to be married tomorrow morning." Diesem Gespräch folgt zunächst eine Szene, in der gezeigt wird, wie Arthur Gride sich für die Hochzeit bereit macht, kurz vor der Hochzeit wechseln sich dann in rascher Folge Szenen ab, die Madeline im Brautkleid zeigen, wie sie eine Treppe hinunter zu dem Raum geht, in dem ihr Vater mit Arthur Gride und Ralph Nickleby auf sie warten, und solche, die Nicholas und Kate auf dem Weg zu demselben Ort zeigen. Da nicht klar ist, ob Kate und Nicholas rechtzeitig vor Vollzug der Eheschlieβung eintreffen werden, wird Spannung erzeugt. Auch im Zusammenhang mit Smikes Befreiung aus den Fängen von Squeers, nachdem dieser ihn aus der Obhut von Nicholas und seiner Familie entführt hatte, wird die Spannung gesteigert. Im Roman spielt sich diese Befreiung, die von John Browdie erledigt wird, recht unspektakulär ab. John Browdie lässt sich unter dem Vorwand, sich nicht wohlzufühlen und der Ruhe zu bedürfen, in Squeers' Zimmer einschlieβen, befreit Smike von seinen Fesseln und verhilft ihm somit zur Flucht. [John Browdie] glided downstairs, hauling Smike behind him; and placing himself close to the parlourdoor, to confront the first person that might come out, signed to him to make off. Having got so far, Smike needed no second bidding. Opening the housedoor gently, and casting a look of mingled gratitude and terror at his deliverer, he took the 184

direction which had been indicated to him, and sped away like the wind. The Yorkshireman remained on his post for a few minutes, but, finding that there was no pause in the conversation inside, crept back again unheard, and stood listening over the stairrail for a full hour. Everything remaining perfectly quiet, he got into Mr Squeer's bed once more, and drawing the clothes over his head, laughed till he was nearly smothered (, 483f.). Die Szene wird dahingehend verändert, dass sich John Browdie und Tilda höchst vorsichtig am schlafenden Squeers vorbei zu Smike schleichen müssen, um Smike aus Squeers' Gemächern zu befreien. Auch im Fall der vorliegenden Verfilmung werden an einigen Figuren leichte Veränderungen vorgenommen, so etwa an der Figur Kate Nickleby eine leichte Aktualisierung: Kate, im Roman und auch in der noch zu besprechenden Verfilmung von Douglas McGrath ein recht fragiles Wesen, das im Verlauf des Romans häufig in Tränen ausbricht, wirkt in dieser Verfilmung wesentlich unerschrockener. Während Kate bei dem ersten Zusammentreffen ihrer Familie mit Ralph Nickleby im Roman zunächst gar nichts zu sagen hat (vgl. , 36ff.), legt ihr Drehbuchautor Martyn Edward Hesford in der Verfilmung einen Satz in den Mund, der im Roman von Mrs. Nickleby gesprochen wird, und den Kate ihrem Onkel gegenüber recht energisch äuβert: Ralph: "A man can't pay his debts, then he dies of a broken heart and his widow's a martyr." Kate (leicht konsterniert): "It was father's dying wish that we should come to London in the hope that you might help us, Uncle." Kurz darauf ist aus Kates Reaktion auf Nicholas' Äuβerung "Supposing there is some rich gentleman at the school and he takes a liking to me. Well, who knows? Maybe he'll get his father to appoint me as a travelling tutor" – "Yes, Nicholas" – herauszuhören, dass sie die Naivität dieser Hoffnung durchschaut. In einer späteren Szene der Verfilmung erhält Kate durch eine Strategie des Drehbuchautors gar die Möglichkeit, gegen Ralph Nickleby aufzubegehren. Wie Dickens' Erzähler mitteilt, hegt Ralph im Roman die folgende flüchtige Zukunftsvision: He thought of what his home might be if Kate were there; he placed her in the empty chair, looked upon her, heard her speak; he felt again upon his arm the gentle pressure of the trembling hand; he strewed his costly rooms with the hundred silent tokens of feminine presence and occupation (, 384). In der Verfilmung gestaltet Hesford diese visionäre Vorstellung zu einem konkreten Angebot aus, das Ralph Nickleby seiner Nichte unterbreitet, und das diese ausschlägt: Ralph: "My home is a lonely one. If you would only consent to make it your home too, it would bring me so much comfort – a little light, to grant some of the sweet nature that I know you have." 185

Kate: "Never, Uncle!" Durch diese leichte Aktualisierung der Figur Kate wird diese wiederum, wie die EstellaFigur in den zuvor diskutierten Verfilmungen von Great Expectations, deutlicher in die Nähe zeitgenössischer Vorstellungen von der Rolle der Frau gerückt, was sich auch hier als Zugeständnis an das vornehmlich weibliche Publikum des Genres Klassikerverfilmung betrachten lässt. Kohärenter als im Roman erscheinen die Figuren Smike, Ralph Nickleby sowie die Mitglieder der Familie Squeers. Im Fall der Figur Smike ist im Roman eine gewisse Widersprüchlichkeit zu beobachten: Smike wird als "lame" (, 90), also körperlich behindert, und zusätzlich als geistig zurückgeblieben charakterisiert (vgl. , 148). Andererseits äußert sich diese Figur zuweilen überraschend reflektiert. So antwortet Smike etwa auf Nicholas' freundliche Ermahnung, "Be a man; you are nearly one by years, God help you": "By years! [...] Oh dear, dear, how many of them! How many of them since I was a little child, younger than any that are here now! Where are they all!" (, 105). Außerdem ist Smike eine in Anbetracht der Umstände erstaunliche Eloquenz eigen, wie eine seiner Äußerungen gegenüber Nicholas aus Kapitel 20 zeigt: "I know you are unhappy, and have got into great trouble by bringing me away. I ought to have known that, and stopped behind – I would, indeed, if I had thought of it then. You – you – are not rich: you have not enough for yourself, and I should not be here. You grow," said the lad, laying his hand timidly on that of Nicholas, "you grow thinner every day; your cheek is paler, and your eye more sunk. Indeed I cannot bear to see you so, and think how I am burdening you. I tried to go away today, but the thought of your kind face drew me back. I could not leave you without a word" (, 251). In der vorliegenden Verfilmung wird die Widersprüchlichkeit der Figur Smike dadurch weitgehend aufgehoben, dass ihre geistige Zurückgebliebenheit betont wird: Von seinem ersten Auftreten an und dann den gesamten Film hindurch ist Smikes Artikulation äuβerst mühsam und schleppend. Verzichtet wird auch auf die Mehrdimensionalität, die im Roman der Figur Ralph Nickleby eignet. Zwar steht Ralph Nickleby in Dickens' Roman klar auf der Seite der Bösewichter, dennoch gesteht Dickens ihm im Lauf der Handlung immer wieder auch humanere Züge zu, die zumeist im Umgang mit seiner Nichte Kate deutlich werden: "All through the novel Dickens has been tempted to allow Ralph to develop a heart. The usurer warms slightly in the presence of Kate (xix) and, less credibly, laments the loss of his son" (Meckier 1970, 145). Dickens' Erzähler berichtet an mehreren Stellen von den einander widersprechenden Empfindungen, die Ralph im Bezug auf Kate hegt, etwa in Kapitel 31: 186

Notwithstanding the deadly hatred which Ralph felt towards Nicholas, and the bitter contempt with which he sneered at poor Mrs Nickleby – notwithstanding the baseness with which he had behaved, and was then behaving, and would behave again if his interest prompted him, towards Kate herself – still there was, strange though it may seem, something humanizing and even gentle in his thoughts at that moment. (, 383f.). In der ITVAdaption wird Ralphs Bösartigkeit betont – etwa in der Szene im Anschluss an die Dinnerparty in seinem Haus, während der Kate erstmals von Mulberry Hawk bedrängt wird. Ralph Nickleby antwortet hier auf Kates Frage "What have I done that you should subject me to this?" nicht wie im Roman und wie in McGraths Verfilmung mit den Worten "I didn't know it would be so", sondern reagiert überhaupt nicht. In einer späteren Szene der Verfilmung wird gezeigt, wie er auf den Straβen von London einen Bettler mit den Worten "Get out of my way" unsanft zur Seite schubst. Die Familie Squeers erscheint in der Verfilmung übertrieben widerwärtig: Mr. und Mrs Squeers sowie Fanny und Wackford junior werden hier in mehreren Szenen beim Essen gezeigt, wobei sie jeweils auf höchst unappetitliche Art und Weise Nahrungsmittel in sich hinein schlingen. Fanny Squeers ist zudem in dieser Adaption äuβerst übergewichtig, worauf Dickens' Erzähler im Roman keinerlei Hinweise liefert. Er beschreibt Fanny lediglich als unattraktiv (, 107). Aus Mrs. Squeers wird in der Verfilmung eine Alkoholikerin, die in mehreren Szenen mit derFlasche in der Hand gezeigt wird, worauf sich im Roman ebenfalls keine Hinweise finden. Beachtung verdient wiederum auch das Ende der Verfilmung: Gelangte im Fall der zuvor analysierten BBCVerfilmung von Martin Chuzzlewit die Variante der Schlussszene, die eine Hochzeit vorsah, aus den genannten Gründen nicht zur Ausstrahlung, was zur Folge hatte, dass sich die Schlussvariante mit dem geringeren populären Potential durchsetzte, so endet die vorliegende Adaption dezidiert mit einer Umsetzung der Doppelhochzeit zwischen Madeline Bray und Nicholas sowie Kate und Frank Cheeryble, die im letzten Kapitel des Romans lediglich in einem kurzen Abschnitt abgehandelt wird: When her term of mourning had expired, Madeline gave her hand and fortune to Nicholas, and on the same day and at the same time Kate became Mrs Frank Cheeryble. It was expected that Tim Linkinwater and Miss LaCreevy would have made a third couple on the occasion, but they declined, and two or three weeks afterwards went out together one morning before breakfast, and coming back with merry faces, were found to have been quietly married that day (, 774). In der Verfilmung wird dieser kurze Abschnitt zu einer vollständigen Hochzeitsszene ausgestaltet, die die Adaption beschlieβt. Die Kamera zeigt den Eingang einer Kirche, aus der ein Pfarrer tritt, gefolgt von den beiden Brautpaaren und der Hochzeitsgesellschaft, 187 namentlich den Gebrüdern Cheeryble, Mrs Nickleby und Miss LaCreevy. Nicholas spricht dazu den folgenden Epilog in voiceover: And when her term of mourning had ended, I offered Madeline my hand. And on the same day and at the same time, amongst our family and friends, my dear sister Kate agreed to marry Mr. Frank Cheeryble. (Kamera auf Kate und Frank, die einander küssen, die Gebüder Cheeryble werfen Blumen.) The weddings were held near our family home at a little church in Devonshire. (Kamera auf Madeline und icholas, die einander ebenfalls küssen). The money from Madeline's inheritance was invested well (Kamera auf beide Brautpaare) in the firm of Cheeryble Brothers. Frank became a partner, and soon the business was known as 'Cheeryble and Nickleby'. (Kamera auf beide Brautpaare, die zu einer Pferdekutsche gehen, Kate wirft ihren Brautstrauβ Miss La Creevy zu, die ihn auffängt. Madeline wirft ihren Brautstrauβ Tim Linkinwater zu, der ihn ebenfalls fängt.) My future prospered, and I was able to buy the childhood home where we'd spend many tender years. (Kamera auf die beiden in der Kutsche davonfahrenden Brautpaare.) We all lived close to Smike's grave, and would often sit and remember our dear cousin. He was never forgotten. At last we could be truly happy (Kamera auf Smikes Grabstein).

4.2.4.3 Resümee Die vorliegende Adaption weist zahlreiche Popularisierungsstrategien auf. Neben der Verwendung einer schnellen Schnittechnik, die an populärkulturelle Produktionen wie die soap opera erinnert, werden mit den Romanzen um verschiedene Figuren, der Entschlüsselung um die Herkunft Smikes und der komischen Elemente der Handlung mehrere Handlungsstrange mit hohem populären Potential betont. Zudem ist die Tendenz zur Vereindeutigung des Geschehens, zur Steigerung der Spannung in zahlreichen Szenen sowie zu einer kohärenten Gestaltung der Charaktere erkennbar. Darüberhinaus endet die Adaption mainstreamgerecht mit einer Hochzeitsszene. Insgesamt dürfte die Produktion, was ihr populäres Potential angeht, also über die BBCVerfilmung von Great Expectations hinausgehen, aber auch über die BBCVerfilmung von Martin Chuzzlewit. Im Falle der Adaption von Martin Chuzzlewit deutete sich der seit Mitte der 1990er Jahre zu beobachtende Trend des Genres der Klassikerverfilmung hin zu verstärkter Mehrheitsfähigkeit zwar schon an, im direkten Vergleich zeigt sich jedoch vor allem, dass diese Verfilmung noch wesentlich weniger temporeich und insgesamt auch weniger stark vereindeutigt war – auch, was die Gestaltung der Charaktere anbelangt – zudem war dort noch bewusst die Entscheidung auf eine Schlussvariante mit relativ geringem populärem Potential gefallen. Das relativ hohe populärkulturelle Potential könnte auch mit der Tatsache zusammenhängen, dass die Verfilmung für den britischen Privatsender ITV gedreht worden war. Dass auch das öffentlichrechtliche Fernsehen in Groβbritannien keineswegs unabhängig vom 188

Publikumsgeschmack ist, wurde bereits festgestellt, für das Pivatfernsehen dürften Einschaltquoten aber dennoch eine etwas gröβere Bedeutung haben (vgl. Abschnitt 4.1.2.).

4.2.5 icholas ickleby (Douglas McGrath, 2002) Diese 132 Minuten lange KinoVerfilmung entstand im Jahr 2002. Das Drehbuch stammt von dem amerikanischen Regisseur Douglas McGrath, der auch für Drehbuch und Regie der 1996 entstandenen Verfilmung von Jane Austens Emma verantwortlich zeichnete. Produziert wurde der Film von Jeffrey Sharp, Simon ChanningWilliams und John Hart. Die Verfilmung, bei deren Herstellung die Beteiligten laut McGrath mit einem "very economic budget" haushalten mussten, präsentiert sich als Kostümdrama, zur Erstellung der Kulissen und Kostüme wurden extensive Recherchen bezüglich des zeitgeschichtlichen Hintergrunds des Romans betrieben, wie Douglas McGrath in den special features der DVDAusgabe am Beispiel der Gestaltung des Schlafsaals in Dotheboys Hall und der Kostüme der Schauspielfamilie Crummles erläutert. Die amerikanischenglische CoProduktion war ab dem 27. Dezember 2002 in USamerikanischen Kinos zu sehen, in Groβbritannien startete der Film ein halbes Jahr später, am 27. Juni 2003. Insgesamt lässt sich die Verfilmung auf dem Gebiet des CrossoverHeritageFilms verorten. Somit richtet sie sich einerseits an das traditionell der Mittelklasse entstammende Publikum der KlassikerVerfilmung, ist aber auch um mainstream appeal bemüht.

4.2.5.1 Das populäre Potential der Verfilmung Douglas McGrath gestaltet den Einstieg in seine Verfilmung wesentlich weniger temporeich, als dies für die ITVVerfilmung festgestellt wurde. Die Verfilmung beginnt mit Bildern eines viktorianischen Puppentheaters, über die die Namen der an der Produktion Beteiligten eingeblendet werden. Dem gut zweieinhalb Minuten langen Vorspann schlieβt sich ein Prolog an, der von Nathan Lane, dem Darsteller des Vincent Crummles in der Verfilmung, gesprochen wird, und der sich poetisch, vereinzelt gar philosophisch ausnimmt: Crummles (aus dem off): What happens, when the light first pierces the dark dampness in which we have waited? (eugeborenes, schreiendes Baby wird gezeigt.) We are slapped and cut loose. (Großaufnahme einer abelschnur, die durchschnitten wird.) If we are lucky, someone is there to catch us and to persuade us that we are safe. (Bilder von icholas ickleby sen., Mrs. ickleby und icholas ickleby jun. als Baby auf einer Wiese.) But are we safe? What happens if, too early, we lose a parent? That party on whom we rely for only – everything. Why, we are cut lose again, and we wonder, even dread, whose hands will catch us now. An diesen Prolog schlieβt sich eine kurze Dramatisierung der Vorgeschichte der Nickleby 189

Familie an, die Dickens im ersten Kapitel des Romans referiert. Die vorliegende Verfilmung beginnt somit nicht wie die ITVProduktion in medias res, sondern ab ovo. Der soeben zitierte Prolog weist allerdings insofern populäres Potential auf, als hier mittels der Technik der indirekten Leseransprache an die Lebenserfahrung des Lesers appelliert wird (vgl. die Formulierungen "We are slapped and cut loose. [...] If we are lucky, someone is there to catch us and to persuade us that we are safe"). Die unterschiedliche Gestaltung des Einstiegs in den beiden Produktionen hängt bis zu einem gewissen Grad auch mit den unterschiedlichen Medien zusammen, für die die Verfilmungen bestimmt sind. Während sich einzelne Fernsehproduktionen möglichst nahtlos mit anderen zu einem flow zusammenfügen und somit in gewisser Weise ineinanderübergehen müssen (vgl. etwa Williams 2003[1974]), ist der Kinobesuch als solcher "untrennbar mit der Vorstellung einer aus dem Alltag herausgehobenen Welt verbunden" (Hepp/Vogelsang 2000, 241). Diese Vorstellung nun wird durch die separate credit sequence unterstützt, wie Douglas McGrath in den special features der DVDAusgabe100 bemerkt: The credit sequence is always very important to me in a film. I always think it's a lost opportunity, when people just run credits over the action. I think it's a vital and very exciting chance to bring people out of the world they are in and into the world we've created. McGrath räumt der Entschlüsselung von Smikes Herkunft deutlich weniger Platz einräumt ein, als dies in der zuvor analysierten Fernsehverfilmung der Fall war. Die Freundschaft zwischen Nicholas und Smike stellt er dagegen deutlicher heraus, als dies in der ITVAdaption geschehen war. Douglas McGrath erklärt dazu: "Nicholas and Smike's story is the heart of the movie. It's not the only thing that happens by any means, but it is the heart of the movie, and everything comes out from it, it touches every other part of the story." Dieser Handlungsstrang wird in der Verfilmung durch mehrere Strategien verstärkt. Bereits in einem recht frühen Stadium der Handlung wird eine zusätzliche Szene eingefügt, die zeigt, wie Nicholas und Smike sich einander annähern: icholas sitzt am Katheder des Unterrichtsraums in Dotheboys Hall. Smike betritt den Raum, um den Boden zu kehren, schaut ängstlich zu icholas, dieser lächelt ihm aufmunternd zu. ach ein paar Sekunden lässt sich Smike erschöpft auf einer der Schulbänke nieder, reibt sich eine Hand. Sein Blick fällt auf ein Buch, das neben ihm auf der Bank liegt. Immer wieder schaut er ängstlich zu icholas hin. Dieser steht vom Katheder auf, geht langsam auf ihn zu. Nicholas: "Have you read The Pilgrim's Progress?“ (Greift nach dem Buch, Smike krümmt sich in Erwartung eines Hiebes zusammen. icholas gibt ihm jedoch stattdessen das Buch in die Hand, schlägt es für ihn auf, sie lächeln einander zu,

100 Sämtliche Zitate von Douglas McGrath innerhalb dieses Unterkapitels sind den special features der US amerikanischen DVDAusgabe entnommen. 190

icholas beginnt, ihm vorzulesen.) "The Pilgrim's Progress by John Bunyan. As I walked through the wilderness of this world, I lighted on a certain..." Squeers betritt den Raum, stürzt sich auf Smike, packt ihn am Kragen, schüttelt ihn. Squeers: "What do you think you're doing, huh? Get on with your work!" (Schleudert ihn von sich, zu icholas gewandt): "Don't give me that highandmighty look! He don't pay. Therefore he works." (icholas sieht ihn feindselig an, verlässt dann den Raum. Kamera auf Smike, der seine Arbeit wieder aufgenommen hat und ängstlich auf Squeers schaut.) Wie Douglas McGrath ausführt, wird die beginnende Freundschaft zwischen Nicholas und Smike auch durch die Kameraführung unterstrichen: [W]e have placed them together, in a twoshot, where they are the only two people in the shot, they are not separated into two closeups, and I did that deliberately to show now, finally, incrementally, after a lot of hesitation, Smike trusts Nicholas, he trusts him enough to sit together with him, and this shot demonstrates that. Der Handlungsstrang rund um Nicholas und Smike wird noch durch einen weiteren Handgriff seitens des Drehbuchautors und Regisseurs betont: Nicholas wird in die Befreiung Smikes, nachdem dieser erneut von Squeers aufgegriffen wurde, involviert. Wie bereits im Zusammenhang mit der ITVVerfilmung festgestellt wurde, zeichnet im Roman John Browdie auf recht unspektakuläre Weise für die erneute Befreiung Smikes aus den Fängen von Squeers verantwortlich. In Douglas McGraths Verfilmung gestaltet sich Smikes Befreiung ebenfalls nach einem Plan, der von John Browdie entworfen wird, in dem Nicholas aber die Aufgabe der eigentlichen Befreiung Smikes aus Squeers' Gemächern zukommt. McGrath erläutert seine Entscheidung, hier vom Original abzuweichen, wie folgt: As a writer, I always tried very carefully… it always made the most sense to stay as close to the book as possible whenever possible. […] I just felt […] you couldn't have a movie, in which Nicholas is our hero and Smike is his best friend, in which he didn't play a part in the rescue. Die Umgestaltung dieser Szene hat – neben ihrer Funktion, die Freundschaft zwischen Nicholas und Smike zu veranschaulichen und zu untermauern – den zusätzlichen Effekt, dramatische Spannung zu erzeugen – zum einen, da der von John Browdie gefasste Plan "foolhardy, redolent of danger and doomed to failure" erscheint, wie Newman Noggs es formuliert, zum anderen dadurch, dass McGrath die Szene in einer Art und Weise gestaltet, die stark an Alfred Hitchcocks suspenseTechnik erinnert. Für diese Technik war es – nach Hitchcocks eigenem Bekunden – "unerlässlich, dass das Publikum über die Einzelheiten, die eine Rolle spielen, vollständig informiert ist" (Truffaut 1973, 62). Im vorliegenden Fall hat der Rezipient des Films Kenntnis davon, dass sich Nicholas in Squeers' Gemach aufhält, um Smike zu befreien. Während der Zuschauer Nicholas noch in Squeers' Zimmer weiβ, wird ihm gezeigt, wie Wackford Squeers junior von seinem Vater den Auftrag erhält, das offene 191

Fenster in eben diesem Zimmer zu schlieβen. Die Spannung für den Zuschauer richtet sich nun auf die Frage, ob es Nicholas gelingen wird, sich und Smike rechtzeitig in Sicherheit zu bringen, oder ob sein Plan durch das Auftauchen von Squeers junior vereitelt wird.101 Als zweiter der Themenbereiche, die in der Verfilmung betont werden, sind die im Roman enthaltenen Romanzen zu nennen, vornehmlich die Romanze zwischen Nicholas und Madeline Bray. Diese deutet sich schon zu Beginn der Verfilmung in mehrerlei Hinsicht an. Nicholas charakterisiert sich von Anfang als jemand, der auf der Suche nach einer amourösen Begegnung ist. Bereits in einer der ersten Szenen des Films, innerhalb des Prologs, gibt Nicholas Nickleby sen. seinem Sohn Folgendes mit auf den Weg: "[S]ome day you will find someone who will have a greater hold on your affections than I do. The most important journey of your life will be to find her." Nicholas kommt im weiteren Verlauf der Verfilmung im Gespräch mit Smike auf diese Ankündigung seines Vaters zu sprechen – signifikanterweise zu dem Zeitpunkt, als er sich gerade auf seine Rolle als Romeo im Theaterunternehmen der CrummlesFamilie vorbereitet: Nicholas: "These speeches – listen to this: 'Oh that I were a glove upon that hand, that I might touch that cheek.'" Smike: "Are you worried about how to memorise so much? I am and I barely have a word to say." Nicholas: "It is not only that but a desire to know someone to whom I could say such things. My father told me that the great journey of my life would be to find such a person. But I'm nearly twenty years of age, and I fear he may be wrong. I hope not."

Um den Handlungsstrang um diese Romanze zu stärken, hat Madeline Bray ihren ersten Auftritt in der Verfilmung wesentlich früher als im Roman. Während Nicholas ihr dort erst nach seiner Rückkehr aus Dotheboys Hall zum ersten Mal begegnet, als er sich im General Agency Office nach einer Beschäftigung umtut (, 187f.), treffen die beiden Figuren in der Verfilmung bereits innerhalb der ersten zehn Minuten aufeinander. Während Nicholas, Kate und Mrs. Nickleby im Erdgeschoss von Ralph Nicklebys Haus darauf warten, zu ihm vorgelassen zu werden, sind aus dem off die Stimmen von Ralph Nickleby und Madeline Bray zu vernehmen: Madeline: "Please Mr. Nickleby, do you wish my father to go to debtor's prison?" Ralph: "Where your father sleeps, Miss Bray, is of no concern to me."

101 Hitchcock veranschaulicht seine suspenseTechnik im Interview mit Franҫois Truffaut (1973, 63) anhand einer Szene aus seinem Film Rear Window. Die hier besprochene Szene aus icholas ickleby ähnelt Hitchcocks Beispiel so sehr, dass sie sich beinahe als dessen Zitat betrachten lässt: "Jemand dringt neugierig in ein fremdes Zimmer ein und durchsucht die Schubladen. Sie zeigen, wie der Bewohner des Zimmers die Treppe raufkommt. Dann gehen Sie wieder zurück zu dem, der in der Schublade herumsucht. Der Zuschauer möchte ihn warnen: Passen Sie auf, passen Sie auf, da kommt jemand die Treppe rauf! [... W]enn der, der da etwas sucht, sympathisch ist, wie zum Beispiel Grace Kelly in Rear Window, dann nimmt der Zuschauer doppelt Anteil." 192

Madeline: "Father tells me that the interest is what makes the debt so unmanageable. Could you not stop it?" Ralph: "Tell your father to repay the loan, and that will stop the interest right away." (Madeline läuft die Treppe herunter, am Fuβe derer sich icholas, Kate und Mrs. ickleby befinden. Unten angelangt bleibt sie stehen, schaut icholas für einen kurzen Moment in die Augen. icholas macht unwillkürlich einen Schritt auf sie zu, sie dreht sich jedoch um und verlässt das Haus.) Der Handlungsstrang um Madeline und Nicholas wird um eine weitere Szene ergänzt, als es zur zweiten Begenung zwischen diesen beiden Figuren kommt. Im Roman findet in jener Szene, die sich im General Agency Office abspielt kein Gespräch zwischen Madeline und Nicholas statt – "before Nicholas had recovered from the first effects of his surprise and admiration, the young lady was gone" (, 188). In der Verfilmung ist es Madeline, die Nicholas anspricht, als dieser sich erschöpft gegen eine Wand lehnt: Madeline (leicht verlegen): "Oh, I didn't... Are you well?" Nicholas: "Yes, I… Only weary." Madeline: "You look so pale and were still so long. Forgive me." In anderen Szenen vereindeutigt McGrath in der Verfilmung, was Dickens im Roman lediglich andeutet. Als Nicholas im Auftrag der Gebrüder Cheeryble Madeline und ihrem Vater seinen ersten Besuch abstattet, gibt Dickens' Erzähler Madelines Reaktion auf Nicholas' Erscheinen mit den Worten wieder: "[S]he inclined her head with an air of some confusion, in reply to the salutation of Nicholas." In der Verfilmung wird daraus ein so erkennbar verlegenes VorSichHinstarren seitens Madeline, dass dem Zuschauer unverzüglich klar wird, dass Nicholas' Zuneigung zu ihr auf Gegenseitigkeit beruht. Wie in der zuvor analysierten ITVVerfilmung fügt McGrath eine weitere zusätzliche Szene ein, in der es zu einer 'offiziellen' Liebeserklärung zwischen Nicholas und Madeline kommt. Diese Szene spielt sich ab, nachdem Madeline durch den plötzlichen Tod ihres Vaters einer Heirat mit Sir Mulberry Hawk – im Roman Arthur Gride – entgeht. Nicholas und Madeline sitzen nebeneinander auf einer Brücke in einem Londoner Park: Nicholas: "I have been happy for times, little times since he [my father] died, but never at peace, not until I looked at your face and saw the universe in order behind it." Madeline: "Nicholas, I feel you know what it's like to be without happiness, but do you know what it's like to be afraid of it? […] That has been my life. Every good thing has been a trick. Until you. Yet I am afraid to take your hand. What if you cannot – or will not save me? I can bear to be maltreated by the greedy or the weak, but to be let down by an angel…" Nicholas: "I am not an angel. I live as far from that lofty perch as any man. My temper alone, my impatience, well… Perhaps I should not list all my faults in case I'm too persuasive. You are the one who is so admirably able and strong." Madeline (beginnt zu weinen): "I am tired of being strong." Nicholas: "As am I. Weakness is tiring, but strength is exhausting. You see I cannot 193

save you for I need saving too." Madeline: "What are you proposing?" Nicholas: "Only this: That we save ourselves together." (Beide lachen, beginnen sich zu küssen.) Madeline: "Nicholas, please. Think of the others. People might see." Nicholas: "I don't care. I don't care." (Sie küssen sich.) McGrath erläutert die Notwendigkeit dieser zusätzlichen Szene: Quite to my shock and horror, there is no actual proposal, no sort of big expression of love in the book, it is referred to as something that has already happened, […] it's something that is just told to us that it happened. But [Dickens] did not write this scene. And I knew we could not have the movie without a proper love scene between these two people we've come to care so much about. Auch die DreiecksRomanze Kate/Smike/Frank Cheeryble wird von McGrath ausgebaut. McGrath verdeutlicht Smikes Empfindungen für Kate wiederum mittels einer zusätzlichen Szene, die er unmittelbar vor Smikes Ergreifung durch Squeers einfügt. Smike begleitet Kate hier bei ihren Einkäufen: Kate: "It's most kind of you to join me on my errands. (Entzückt): Oh, dear." Smike: "What is it?" Kate geht auf ein kleines Mädchen mit Bauchladen zu. Kate: "Father used to tell me there were girls who sold ribbons on the streets in London, and that if we ever came here, he would buy me some as a remembrance." (Kate und Smike sind inzwischen an einem Geschäft angekommen, Kate geht hinein, Smike geht zu dem Mädchen mit dem Bauchladen zurück.) Smike: "How much is it, please?" Mädchen: "Twopence for the pink ones, penny for the others." Smike: "I'll take a pink one, please." (Geht mit dem Band zu dem Geschäft zurück, in dem sich Kate aufhält, bevor er dort ankommt, wird ihm von Squeers jedoch ein Sack über den Kopf gestülpt.) Was Kates Beziehung zu Frank Cheeryble anbelangt, geht Dickens' Erzähler zwar etwas weniger subtil vor – "Frank Cheeryble arrives in London and one immediately recognizes him as the ideal marriage partner for Kate", bemerkt Jerome Meckier (1970, 139) – dennoch äuβert er sich auch in diesem Fall recht verhalten bezüglich dessen, was sich da anbahnt, etwa wenn er das erste Zusammentreffen dieser beiden Figuren schildert: [I]t was Mr Charles Cheeryble, and his nephew, Mr Frank, who made a thousand apologies for his intrusion, which Mrs Nickleby […] most graciously received. Nor did the appearance of this unexpected visitor occasion the least embarrassment, (save in Kate, and that only to the extent of a blush or two at first) […]. [A]t length the two gentlemen took their leave. There was one circumstance in the leavetaking which occasioned a vast deal of smiling and pleasantry, and that was, that Mr Frank Cheeryble offered his hand to Kate twice over, quite forgetting that he had bade her adieu already (, 535). Auch der Abschnitt, mit dem Dickens' Erzähler das Kapitel beschlieβt, lässt sich eigentlich erst im Rückblick vor dem Hintergrund von Smikes Geständnis in seiner Sterbestunde 194 gegenüber Nicholas (, 716f.) dahingehend deuten, dass Smike auf Frank Cheeryble eifersüchtig ist: In short, it was a day of serene and tranquil happiness; and as we all have some bright day […] to which we revert with particular delight, so this one was often looked back to afterwards, as holding a conspicuous place in the calendar of those who shared it. Was there one exception, and that one he who needed to have been most happy? Who was that who, in the silence of his own chamber, sunk upon his knees to pray as his first friend had taught him, and folding his hands and stretching them wildly in the air, fell upon his face in a passion of bitter grief? (, 535). Diese Elemente – Kates und Franks gegenseitige Zuneigung bei ihrer ersten Begegnung sowie Smikes Eifersucht – arbeitet McGrath in der Verfilmung wesentlich deutlicher heraus: Kate, icholas, Smike, Mrs. ickleby, die Gebrüder Cheeryble und Frank im Garten der Cheerybles: Charles Cheeryble (zu Frank): "This is Mr. Nickleby's sister, Kate." Frank (zu Kate, während er ihr die Hand schüttelt): "My uncle tells me you're quite a gardener. May I show you around?" Kate: "Please." [...] Frank: "I never thought I should find fault with any statement of your brother's, but he has described you as exceedingly pretty. May I offer the correction that such a remark seems inadequate?" Kate (lacht leicht verlegen): "He has told me much of you and of how patient you have been in teaching him." (Sie strahlen einander an, bevor sich die Kamera auf Mrs ickleby und Smike richtet, die sich in einiger Entfernung postiert haben und Frank und Kate nachblicken. Während Mrs. ickleby Mimik Zufriedenheit erkennen lässt, ist Smike erkennbar verstimmt und macht unwillkürlich einen Schritt in Richtung Kate und Frank.) Im Vergleich zur ITVVerfilmung ist hier eine noch etwas verstärkte Betonung der Romanzen zu vermerken. Auch die Komik des Romans wird soweit wie möglich beibehalten. Freilich mussten mit Rücksicht auf die Länge des Films auch etliche Szenen und Figuren mit humoristischen Potential entfallen. Mrs. Nickleby etwa, LeserFavoritin bei Erstveröffentlichung des Romans (vgl. Ganz 1970, 136Fn13), "is not given much to go. The original's rhapsodic dottiness has gone" (Giddings n.d.4).102 Andere Elemente der OriginalHandlung werden indes um ihrer Komik willen beibehalten, etwa der nach Nicholas' und Smikes Flucht aus Dotheboys Hall

102 Dass auf eine Umsetzung von Mrs. Nicklebys Komik, die in der ITVAdaption zumindest noch ansatzweise zur Geltung kam, in der vorliegenden Verfilmung verzichtet wurde, lässt sich einerseits mit der kürzeren Zeitspanne erklären, die für die KinoVerfilmung zur Verfügung stand, andererseits damit, dass ihre Ausführungen sich durchaus hemmend auf das Fortschreiten der Handlung auswirken (vgl. dazu Thompson 1969, 222) und zudem zu dieser – abgesehen von Komik – nichts beitragen. Zudem ist diese Art von Komik, da sie sich nahezu ausschlieβlich auf das konzentriert, was die Figur von sich gibt, für ein visuelles Medium eher ungeeignet.

195 von Fanny Squeers an Ralph Nickleby (, 176) versandte Brief, freilich in verkürzter Form. Douglas McGrath begründet seine Entscheidung, dieses Detail, das für die übrige Handlung nicht sonderlich bedeutsam ist, in seinen Film aufzunehmen, wie folgt: "It is certainly one of the funniest letters ever written in literature, it is well worth reading it in the book. A more demented, hilarious kind of logic cannot be found anywhere." Die Komik des Textes wird dadurch unterstützt, dass Fanny beim Aufsetzen des Briefes gezeigt wird und diesen Brief, während sie ihn verfasst, dem Rest der Familie Squeers vorliest. Einen wesentlichen Anteil an dem humoristischen Anstrich, den McGraths Verfilmung trägt, hat die Episode rund um die SchauspielerFamilie Crummles. In einigen der entsprechenden Szenen übernimmt McGrath Material aus dem Roman, in anderen verstärkt er Dickens' Humor. Nahezu unverändert übernommen wird etwa das folgende Gespräch zwischen Nicholas und Mr. Crummles: Mr. Crummles: "I am in the theatrical profession myself, my wife is in the theatrical profession, my children are in the theatrical profession, I had a dog that lived and died in it, and the pony that pulled us here today, is third generation. His mother could fire a pistol and get in bed wearing a nightcap. But there is tragedy in the family." Nicholas: "In the pony's family?" Mr. Crummles: "The father drank – ended up in the circus drinking port wine with the clowns, but – greedy – couldn't quit and choked on the bottle." Wie McGrath erläutert, besteht eine der hauptsächlichen Funktionen dieses Dialogs gerade in der Komik, die er erzeugt: It's not essential to the story, and yet – and this was a question I always wrestled with throughout the long period I took to adapt the book, I was always trying to get the film within a certain length – but that speech is so funny, and it tells so much about his charitable nature, that he would keep a horse, that he would know about the horse's father's drinking problem that in some vital way it told us enough about his character to merit its place in the movie. Also, the delight it brings the audience is vital and important. Verstärkt wird Dickens' Komik etwa in jener Szene, in der Mr. Crummles' Tochter – "the Infant Phenomenon" – und der Schauspieler Mr. Folair eine pantomimische Darbietung aufführen (vgl. , 281f.). McGrath erklärt hierzu: In the script this scene was essentially […] this pantomime. And as I watched it during rehearsal, I thought, you know, the only joke here is that they are kind of a bad and corny acting troop. It didn't seem to be enough. And I realized that Barry and Nathan were the directors of the troop, Mr. and Mrs. Crummles are the directors. So I said: "Maybe you two could speak to them, as they do their work", and it was no trouble […] for either of them. Zum Zweck der Verstärkung des Humors wurde auch die Rolle des Mr. Folair erweitert. Dieser erwähnt an einer Stelle des Romans seine angeblich virtuose Beherrschung eines 196 speziellen Tanzes: "Why I know of fifteen and sixpence that came to Southampton one night last month to see me dance the Highland Fling" (, 284, Hervorhebung im Original). Aus diesem Tanz und der Tatsache, dass Mr. Folair niemals Gelegenheit erhält, ihn aufzuführen, wird in der Verfilmung eine Art running gag: "Highland Fling Dancing Mr. Folair [...], far from remaining the 'shabby gentleman in an old pair of buff slippers' is allowed to become the star of the show" (Giddings, n.d.4, Hervorhebung im Original). Am Beispiel der Rolle der Estella und ihrer Besetzung mit der Schauspielerin Gwyneth Paltrow in Alfonso Cuarons Verfilmung von Great Expectations wurde bereits gezeigt, dass die Besetzung einer Rolle mit einem bestimmten Schauspieler zu Veränderungen an der entsprechenden Figur führen kann. Wie McGrath ausführt, ist der Ausbau der Rolle des Mr. Folair ebenfalls eng mit ihrer Verkörperung durch den schottischen Schauspieler Alan Cumming verbunden: His character, because I wanted to find something for Alan to play in the movie, I kind of… it's slightly different than the novel. Mr. Folair is an expert of the Highland Fling in the novel, but it's not as extended a joke as we make it in the film, and I felt it was worth doing so that I could write something that would be worthy of Alan to play. McGrath betont zudem die Bedeutung der CrummlesEpisoden – "less to the plot, and very much to the idea of the lightness and darkness which alternate throughout. This is a real and vital relief to us after the suffering that's happened at the school." Verzichtet wird indes auf die Thematisierung einiger gezielt viktorianischer Problematiken, die für ein heutiges Publikum wohl schwer verständlich wären. Wie bereits deutlich wurde, handelt es sich bei Ralph Nicklebys Ansinnen, seine Nichte Kate bei einem "milliner and dressmaker" (, 126) zu beschäftigen, um ein äußerst zweifelhaftes Vorhaben, auf dessen Ankündigung vor allem Mrs. Nickleby entsprechend erschrocken reagiert (ebd.). In der Verfilmung wird auf dieses Erschrecken verzichtet – vielmehr freuen sich Mutter und Tochter darüber, dass Ralph Nickleby Kate zu einer Anstellung verholfen hat. Andere ähnliche Problematiken, die nicht komplett entfallen, werden dem Rezipienten erklärt. So macht Kate in ihrer Auseinandersetzung mit Sir Mulberry Hawk während des gemeinsamen Theaterbesuchs deutlich, weshalb seine Annäherungsversuche ihr nicht nur äußerst unangenehm sind, sondern auch längerfristig existenziell schaden könnten: "To treat me this way in a public place could ruin my reputation. And every chance for a decent and loving marriage will be gone." Was Veränderungen an Charakteren anbelangt, so sind in dieser Verfilmung updates an zwei der Hauptfiguren festzustellen, allen voran an der Titelfigur. Trotz seines viktorianischen Kostüms ist der Titelheld der hier analysierten Verfilmung, gespielt von 197

Charlie Hunnam, mit seiner stets tadellos sitzenden Frisur unverkennbar eine Figur des 21. Jahrhunderts, wie auch in mehreren Kritiken der Verfilmung vermerkt wird: "[Hunnam's] face, surmounted by a shock of blond hair, belongs in a boy band", äußert Anthony Quinn (2003), und auch Robert Giddings (n.d.4) bezeichnet Hunnam als "pop star looking young fellow". In einer Szene der Verfilmung wird der Versuch, über die Besetzung der Titelrolle repräsentionale Relevanz herzustellen, besonders auffällig: Squeers sucht den flüchtigen Smike im Schlafsaal von Dotheboys Hall, wo sich Nicholas mit den übrigen Schülern aufhält. Charlie Hunnam erscheint in dieser Szene, die am frühen Morgen spielt, mit nacktem Oberkörper – und gibt somit den Blick auf einen durchtrainierten Oberkörper frei. Wie McGrath ebenfalls darlegt, wurde zudem darauf geachtet, in einzelnen Szenen die Attraktivität des Schauspielers nicht allzu sehr zu beeinträchtigen. McGrath berichtet über jene bereits angesprochene Szene, in der es zu Handgreiflichkeiten zwischen Nicholas und Sir Mulberry Hawk kommt: You see he [Nicholas] has that tiny piece of blood coming out of his head. We wrestled back and forth with how much blood to have. But we figured he just had one quick wrack, because we didn't want blood pouring down his face. Ein ähnliches update ist auch an der Figur Smike zu bemerken, verkörpert von dem Jungschauspieler Jamie Bell, der im Jahr 2000 in der Titelrolle des Blockbusters Billy Elliot reüssierte. Mit seiner modischen Frisur erinnert Smike trotz seines viktorianischen Outfits an einen Teenager des 21. Jahrhunderts. Wie Regisseur und Drehbuchautor Douglas McGrath erklärt, wurde zudem bei den Dreharbeiten darauf geachtet, Smike als nicht allzu schmutzig und heruntergekommen erscheinen zu lassen: Something we did throughout the movie, there is a lot of – in the makeup department – a lot of dirtying of teeth. Phil Davis's character Brooker has the dirtiest teeth you've ever seen and Jim's [Broadbent, who plays Squeers] teeth are vile, as they would have been. It's just some makeup that they apply with a brush, almost like a toothbrush, I guess, and it's funny because the only person whose teeth I was continuously worried about not being too dirty were Jamie's because [… we] just have a different feeling about him. You don't mind the villains having the dirtiest teeth. Jamie's teeth are dirty, but sometimes they were too dirty and I'd have to go over to him and, you know, ask him to scrape some of it off. Die verhältnismäßige Sauberkeit Smikes unterstützt den Eindruck, dass durch Smikes viktorianisches Kostüm hindurch doch ein dem jugendlichen Publikum zeitgenössicher Teenager hindurchscheinen soll, der diesem als Identifikationsfigur zu dienen imstande ist. Dieses update geht mit einer starken Vereindeutigung einher. Während Smike in der ITV Verfilmung dahingehend vereindeutigt wurde, dass seine geistige und körperliche Behinderung betont und auf seine zumindest in Ansätzen vorhandene Reflektiertheit und 198

Eloquenz verzichtet wurde, wird in der vorliegenden Adaption der umgekehrte Weg eingeschlagen: Während Smikes Gehbehinderung in der Verfilmung noch berücksichtigt wird, wird auf eine Darstellung seiner geistigen Zurückgebliebenheit verzichtet, stattdessen wird seine Pfiffigkeit herausgestellt. Lediglich jene Szene, in der Smike sich auf seine Rolle als Apotheker in Romeo and Juliet vorbereitet und in der es ihm große Schwierigkeiten bereitet, seine Textzeile "Who calls so loud?" auswendig zu lernen (vgl. , 317f.), wird in der Verfilmung beibehalten. Diese Szene erscheint vor dem Hintergrund der übrigen Szenen, in denen Smike recht aufgeweckt wirkt, auch entsprechend wenig glaubwürdig. Vereindeutigungen werden auch an zahlreichen anderen Figuren vorgenommen, etwa an der Rolle des Lord Verisopht. Zwar wird dieser im Roman bei seinem ersten Auftreten vom Erzähler als "the least vicious of the party", im gleichen Satz aber auch als "weak and silly" beschrieben (, 233). Zudem wird er schon allein durch seinen sprechenden Namen sowie dadurch, dass in direkter Rede sein Stottern wiedergegeben wird – was aus heutiger Sicht freilich als politisch nichtkorrekt verurteilt werden muss – vom ersten Satz an, den er im Roman äußert, der Lächerlichkeit preisgegeben: "'Well, then my ears did not deceive me, and it's not a waax work" (, 230). Verisophts späteres beherztes Eintreten für Nicholas gegen Sir Mulberry Hawl, das zum Duell zwischen ihm und Hawk und schließlich zu Verisophts Tod führt, erscheint recht überraschend (vgl. , 469). Die Tatsache, dass der Erzähler Verisopht, kurz bevor es zu dessen Ausbruch kommt, als "the only member of the party who was not thoroughly irredeemable and who really had a kind heart" charakterisiert (, 464) lässt sich als Versuch verstehen, Verisophts Kehrtwendung als nicht allzu abrupt und unmotiviert erscheinen zu lassen. In der Verfilmung wird Verisopht von seinem ersten Auftreten an als Kontrastfigur zu Sir Mulberry Hawk entworfen. Schon seine erste Äußerung in jener Szene, in der Kate von Ralph Nickleby zum Abendessen gebeten wird, lässt die Schmierigkeit des Lord Verisopht aus dem Roman vermissen: "Nickleby, I must say, it is a pleasure having your niece with us." Zwar stimmt Verisopht im weiteren Verlauf der Szene der von Sir Mulberry Hawk vorgeschlagenen, anzüglichen Wette zu – "I'll hold any man 50 pounds that Miss Nickleby can't look in my face and tell me that she wasn't thinking so [wondering why no one here is making love to her]" – wohlbemerkt als letzter der anwesenden Herren, unmittelbar darauf verrät seine Körpersprache jedoch Beschämung, wie Douglas McGrath darlegt: At the end of the scene, Lord Verisopht, Nicholas Rowe, sees how affected she is by this, and it pierces him, it goes through him in the way that it's not going through Edward Fox [Hawk] at all – Edward Fox is delighted in the embarrassment it's causing her because he feels the power it gives him over her. He couldn't be more 199

satisfied. [...] But at the end of the scene, when her pain is most evident [...], Lord Verisopht, you can see it right there, he's ashamed and angry, and he's confused, he's never felt that way. Verisophts Funktion als Kontrastfigur zu Hawk erfährt auch eine visuelle Unterstützung: Kate findet sich in dieser Filmszene nicht wie in der entsprechenden Szene des Romans "placed at the top of the table, with Sir Mulberry Hawk and Lord Verisopht on either side" wieder (, 232), vielmehr sitzt sie zusammen mit Verisopht schräg visavis von Hawk, der neben Ralph Nickleby Platz genommen hat. Diese beiden Paare werden von der Kamera jeweils in twoshots gezeigt, so dass die Opposition auch optisch deutlich wird. Verisophts Kontrastfunktion wird im weiteren Verlauf der Verfilmung konsequent aufrecht erhalten. Im Anschluss an die Szene, in der Kate von Hawk im Theater bedrängt wird, wendet er sich mit der Frage: "Is something wrong?" an sie. In einer weiteren Szene des Romans – jener, in der Nicholas in einer Gaststätte ein Gespräch zwischen den Mitgliedern der AristokratenGruppe über seine Schwester belauscht – ist eine Distanzierung seitens Verisophts noch kaum zu erkennen (vgl. , 394ff.). In der entsprechenden FilmSzene hingegen wird Verisophts Opposition schon dadurch deutlich, dass er als einziger der Gruppe etwas abseits steht, während die übrigen Herren an einem Tisch sitzen. Douglas McGrath erläutert hierzu: If you watch on the left [...] Nicholas Rowe, Lord Verisopht, this is the next place, the first place was the dinner, the second place was the theatre, the third place is here where his conscience is just being gnawed at. He can't look Nicholas in the eye there. That's because he is so ashamed. Zusätzlich ist zu beobachten, dass Verisopht in dem Moment, als Hawk auf Nicholas losgeht, sein Glas abstellt, um Nicholas beizuspringen. Sein Eingreifen erübrigt sich jedoch dadurch, dass Nicholas unmittelbar darauf im Handgemenge mit Hawk die Oberhand gewinnt. Verisophts schließliches Aufbegehren gegen Hawk ist in der Verfilmung somit besser motiviert als im Roman. Douglas McGrath kommentiert diese Szene wie folgt: Nick Rowe, Lord Verisopht, has had enough. His conscience has been eaten away at long enough, and at the beginning of the scene you see how it's just gnawing at him, and he can't take it any more. And [...] he faces Ralph down, and he rises above the worst of his class, and honours the best of it. Auch die Figur Walter Bray wird einer Vereindeutigung unterzogen. In Dickens' Text ist neben Brays Querulantentum durchaus eine Zuneigung zu seiner Tochter Madeline wahrnehmbar, die sich etwa in der wiederholten Verwendung von Kosenamen wie "my dear" (, 572) und "my love" (, 574) ausdrückt. Brays Unmut scheint sich in jener Szene, in der Nicholas ihn und Madeline erstmals aufsucht, um ihnen die finanzielle Unterstützung der Cheeryble Brothers zuteil werden zu lassen (Kapitel 46), mehr auf Nicholas als auf Madeline 200 zu richten. Von Brays unterschwelliger Zuneigung zu Madeline ist in McGraths Verfilmung nichts mehr zu bemerken. McGrath beschreibt seine Version des Walter Bray als "very unpleasant and unloving". Er gestaltet die Szene, in der Bray seinen ersten Auftritt hat, als Konfrontation zwischen Madeline und ihrem Vater, die sich in dieser Zuspitzung nicht im Roman findet: Bray: "Madeline, who is this? Who told a stranger we could be seen?" Nicholas (höflich): "I'm here to purchase some paintings, sir." (Zu Madeline): "These three, please." Madeline: "Very well." Bray (in nörgelndem Tonfall): "I want a newspaper, and grapes, and another bottle of wine." Madeline (mit verhaltener Ungeduld): "Yes, Father, very well, I'll just finish with this gentleman." Bray (schreiend): "I want it now!" Madeline (tritt zu ihm ans Bett, in ruhigem Tonfall): "Please, Father. This purchase will help us pay for the things you want." Bray (boshaft): "This never happened when your mother was alive." Insbesondere diese letzte gehässige Äuβerung Walter Brays findet sich in Dickens' Originaltext nicht. Dort wirkt Bray eher nervös und fahrig als boshaft (vgl. , 572ff.). Auch die Skrupel, die Bray am Morgen von Madelines Zwangsverheiratung befallen – "Look at that man [...] This seems a cruel thing, after all" – und die ihn in einem etwas sympathischeren Licht erscheinen lassen, entfallen in der Verfilmung. McGraths Schlussszenene weist insofern populäres Potential auf, als der Film einerseits wieder mit der obligatorischen Hochzeitsszene endet, McGrath aber auch die beiden anderen Hauptthemen der Verfilmung wieder aufgreift. So hat die Schauspieler Familie Crummles – im Roman bereits in der 15. Fortsetzung nach Amerika ausgewandert – mit einer Ansprache von Mr. Crummles und einer Darbietung des Highland Fling von Mr. Folair einen erneuten Auftritt. Eine der letzte Einstellungen des Films zeigt Nicholas und Madeline am Grab von Smike, an dem Madeline ihren Brautstrauβ niederlegt, und stellt somit den Bezug zu einem weiteren Hauptthema der Verfilmung her.

4.2.5.2 Resümee Ein Vergleich der beiden in kurzem zeitlichem Abstand entstandenen Verfilmungen von icholas ickleby zeigt, dass mehrere der einschlägigen Popularisierungsstrategien in beiden Produktionen Anwendung finden. Insgesamt ist jedoch festzustellen, dass die Verfilmung von Douglas McGrath ein wesentlich gemächlicheres Tempo anschlägt als die ITVAdaption und sich insgesamt deutlich kontemplativer präsentiert. Dies verstärkt den Eindruck, dass es sich 201 bei der ITVAdaption um eine von anderen beim heutigen Fernsehpublikum beliebten Genres beeinflusste Produktion handelt, etwa von der soap opera (wofür die Strategie des häufigen Szenenwechsels spricht sowie des Alternierens zwischen verschiedenen Handlungssträngen) oder dem Thriller (vgl. die Strategie der Spannungssteigerung in verschiedenen Szenen). Auβerdem lässt die Tatsache, dass der Handlungsstrang rund um die Freundschaft zweier junger Männer, Nicholas und Smike, so stark betont wird – noch wesentlich stärker als in der ITVVerfilmung – vermuten, dass Douglas McGrath hier der hauptsächlichen Zielgruppe des HollywoodMainstreamFilms, der Gruppe der männlichen 15 bis 24jährigen Kinobesucher, einen Rezeptionsanreiz liefern möchte, indem er eine für sie repräsentional relevante Thematik hervorhebt. Insgesamt ist das populäre Potential dieser HeritageCrossover Produktion also wieder relativ hoch einzustufen.

4.2.6 Oliver Twist (Roman Polanski, 2005) In der Making ofDokumentation, die als special feature sowohl auf der englischen als auch auf der amerikanischen DVDAusgabe enthalten ist, erklärt Regisseur Roman Polanski103, weshalb er sich für eine neue Adaption dieses Romans für die Kinoleinwand entschloss: I had a bit of a hard time after The Pianist to decide what to do next. After a while I realized that what I wanted to do the most would be a film for my children. I see them growing up and I thought it would be really a pity and I may be sorry if I have not done a film that they could relate to. Wie Polanski ebenfalls erläutert, entstand der Film als unabhängige Produktion: I realized I do my best work when I'm left alone. But in our profession it's not very easy. I had it maybe only once or twice before, the first time on Chinatown, and that's because I was lucky enough to have as a producer the head of the studio. But since then movies are made more and more by committee. I thought that I can't cope with it any more. With Robert Benmussa and Alain Sarde, we decided to do The Pianist as a totally independent production, so I did not have a studio breathing on my back [sic], and the same with Oliver Twist. Dass die Einflussnahme eines Studios sich stark auf den Popularisierungsgrad einer Kino Verfilmung auswirken kann, wurde am Beispiel der Great ExpectationsVerfilmung von Alfonso Cuarón bereits deutlich. Solchen Einflüssen musste Polanski sich zwar nicht beugen, allerdings stand für die Verfilmung ein groβer Geldbetrag zu Verfügung – mit einem Budget von 50 Millionen Euro stellt der Film die teuerste Produktion im Werk von Polanski dar (vgl. Wikipedia n.d.6). Ein solch hohes Budget weist, wie in einem früheren Kapitel dieser Arbeit gezeigt wurde, in aller Regel auf eine starke Marktorientierung und damit ein Breitenpublikum als Zielgruppe hin.

103 Alle Zitate von Roman Polanski sind den special features der amerikanischen DVDAusgabe entnommen. 202

Vom Genre her ist Polanskis Produktion wieder der Kategorie CrossoverHeritage Film zuzuordnen. Die Verfilmung präsentiert sich als Kostümdrama, das viktorianische London wurde auf dem Gelände des BaranovStudios in Prag nachgebaut: "We constructed the main three parts of the town in that period, the – sort of – richer street, poor quarters and what was called Jacob's Island, the part where you have the canals near to the harbour", führt Polanski aus.

4.2.6.1 Der Roman und seine Relevanz für das heutige Publikum Dickens veröffentlichte seinen zweiten Roman Oliver Twist zwischen Februar 1837 und April 1839 in monatlichen Fortsetzungen in der Zeitschrift Bentley’s Miscellany. Neben seiner Weihnachtsgeschichte A Christmas Carol ist die Geschichte um den Waisenjungen Oliver die in der heutigen britischen Kultur am besten verankerte und geläufigste aus Dickens' Oeuvre. Anders als mit seinem ersten Roman The Pickwick Papers übte Dickens mit diesem Nachfolgewerk massive Kritik an sozialen Missständen seiner Zeit, namentlich an dem ew Poor Law und der Einrichtung des workhouse. In einem solchen wird der Waisenjunge Oliver Twist zur Zeit seines neunten Geburtstags untergebracht. Olivers Mutter verstarb unmittelbar nach der Geburt, Gründe für die Abwesenheit des Vaters werden nicht genannt. Eines Abends lassen die unterernährten Jungen im workhouse das Los entscheiden, wer von ihnen nach der Abendmahlzeit um Nachschlag bitten soll. Die Aufgabe fällt Oliver zu, der daraufhin mit der leeren Schüssel in der Hand auf die Vorsteher des workhouse zugeht und seine sprichwörtlich gewordene Forderung ausspricht: "Please, sir, I want some more." Die Leitung des workhouse zeigt sich entsetzt ob Olivers 'Aufmüpfigkeit' und lobt eine Belohnung von fünf Pfund für denjenigen aus, der bereit ist, Oliver als Lehrling bei sich aufzunehmen. So kommt Oliver bei dem Leichenbestatter Mr. Sowerberry unter, wo er aber von seinem MitLehrling Noah Claypole massiv drangsaliert wird. Als Claypole sich höchst abfällig über Olivers verstorbene Mutter äuβert, geht Oliver in gerechtem Zorn auf ihn los. Nachdem Oliver dafür vom Ehepaar Sowerberry und dem zu Hilfe gerufenen workhouse Vorsteher Mr. Bumble körperlich gezüchtigt wird, flieht er nach London, wo er dem Jungen Jack Dawkins, auch genannt Artful Dodger, in die Arme läuft. Dieser führt ihn in die Diebesbande rund um den zwielichtigen Juden Fagin ein. Oliver ist sich allerdings zunächst nicht darüber im Klaren, dass er in kriminelle Kreise geraten ist. Dies wird ihm erst bewusst, als er kurz später den Artful Dodger und einen anderen Jungen namens Charley Bates dabei beobachtet, wie sie den Geldbeutel eines älteren Herrn namens Mr. Brownlow stehlen. Da die beiden Jungen unverzüglich das Weite suchen und Oliver alleine zurücklassen, wird er 203 zunächst für die Tat verantwortlich gemacht und landet vor Gericht. Während Mr. Brownlow daran zweifelt, dass Oliver den Diebstahl tatsächlich begangen hat, eilt der Besitzer der Buchhandlung, vor der sich die DiebstahlSzene abspielte, Oliver zu Hilfe und gibt zu Protokoll, zwei andere Jungen seien für die Tat verantwortlich. Mr. Brownlow nimmt Oliver bei sich zu Hause auf. Wenig später wird er allerdings erneut von der Diebesbande aufgegriffen: Während er sich im Auftrag von Mr. Brownlow auf dem Weg zur Buchhandlung befindet, um einige Bücher zurückzubringen und dem Buchhändler einen ausstehenden Geldbetrag zu übergeben, wird er von Nancy und Bill Sikes, zwei weiteren Figuren aus Fagins Dunstkreis, entführt und zu Fagin zurückgebracht. Nancy erweist sich indes als fürsorglich gegenüber Oliver und schützt ihn im Rahmen ihrer begrenzten Möglichkeiten vor Fagins und Sikes' Zorn. Diese zwingen Oliver nun, ihnen bei einem geplanten Einbruch zu helfen: Sikes befiehlt ihm, durch ein kleines Fenster in ein Haus zu klettern und dann von innen die Wohnungstür aufzuschlieβen. Das Unternehmen misslingt jedoch, Oliver wird von einem Bewohner des Hauses angeschossen und auf der Flucht von Silkes und dessen Komplizen Toby Crackit zurückgelassen. Oliver schleppt sich verletzt zum Haus zurück, in das eingebrochen werden sollte, und wird von Rose Maylie, einer jungen Frau, die dort mit ihrer Tante wohnt, aufgenommen und gesund gepflegt. Kurz darauf erkrankt Rose Maylie selbst schwer und ringt mit dem Tod, überlebt allerdings. Zwischenzeitlich ist ein mysteriöser Mann namens Monks mit Fagin in Kontakt getreten. Beide planen, Oliver erneut zu entführen und zur Diebesbande zurückzubringen. Nancy warnt Rose Maylie und Mr. Brownlow, wird aber von Noah Claypole, der inzwischen ebenfalls in Fagins Diensten steht, denunziert. Fagin informiert Sikes über Nancys Aktivitäten. In seinem Zorn darüber ermordert Sikes Nancy, die sich ihm gegenüber jedoch loyal verhalten hatte. Wenig später stirbt er selbst, als er über die Dächer der Stadt hinweg vor dem Gesetz zu fliehen versucht und sich dabei versehentlich selbst erhängt. Es stellt sich heraus, dass es sich bei Monks um Olivers Halbbruder handelt. Mr. Brownlow, der sich als alter Freund von Olivers – und Monks' – Vater entpuppt, nimmt Oliver erneut bei sich auf. Fagin wird zum Tod durch Hängen verurteilt, am Vorabend seines Todes stattet ihm Oliver einen Besuch ab. Als wären dies der Zufälle nicht schon genügend, entpuppt sich Rose Maylie auch noch als die Schwester von Olivers Mutter und somit als Olivers Tante. Olivers Abenteuer weisen nach Ansicht von Roman Polanski für ein breites und heterogenes Publikum ein beträchtliches Maβ an repräsentionaler Relevanz auf: Oliver Twist is the story of an orphan – set, of course, in the middle of the nineteenth century, but the essential elements of it are universal. Orphans existed then as well as 204

now, the problems of a little boy, his adventures seem very easy for anyone to identify with. Dies war einer der Gründe, weshalb er sich für eine erneute Verfilmung gerade dieses Stoffes entschied. Zudem betont Polanski die Produzierbarkeit des Stoffes im Sinne seiner Fähigkeit, eine Vielzahl von Bedeutungen und Arten von Vergnügen zu produzieren: I wasn't surprised at all by all the layers of Dickens, it's why I wanted to do this film. When you read any of his books you constantly marvel over the number of elements that give you satisfaction – the suspense, the mystery, the language of the author we have to translate into vision.

4.2.6.2 Das populäre Potential der Verfilmung Der Fokus der Verfilmung liegt auf Olivers Abenteuer mit Fagins Räuberbande, wohl auch mit Blick auf das von Polanski anvisierte jugendliche bis kindliche Publikum: "[W]e just made the decision to tell the story of Oliver Twist from the moment he enters the workhouse to the end of the story in the novel and cut the subplots", erklärt Drehbuchautor Ronald Harwood dazu. Die Konzentration auf diese Thematik hat zur Konsequenz, dass nahezu alle anderen Handlungsstränge und Figuren entfallen, so etwa die gesamte Handlung um Mrs. Maylie und Rose, die in der Verfilmung ebensowenig auftauchen wie Olivers HalbBruder Monks. Die durch die Kürzung der Handlung auf Filmlänge notwendigen Streichungen bewirken auch einige Vereinfachungen am verbliebenen Plot, die, ähnlich wie in der bereits analysierten KinoVerfilmung von icholas ickleby, die Handlung kohärenter und weniger umwegig erscheinen lassen: Oliver muss nicht in Mrs. Maylies Haus einbrechen, sondern in das von Mr. Brownlow. Nach dem missglückten Einbruchsversuch wird er nicht wie im Roman im Straßengraben liegengelassen und dort von Mrs. Maylies Bediensteten gefunden, sondern verbleibt in der Verfilmung bis nach Sikes' Tod in der Räuberbande. Noah Claypole taucht zwar zu Beginn der Verfilmung auf, um Oliver wie im Roman durch Beleidigung seiner Mutter zu demütigen, verschwindet aber dann von der Bildfläche. Die Aufgabe, Nancy zu beschatten, fällt später statt seiner dem Artful Dodger zu, der in der Verfilmung bis zum Ende auf freiem Fuß bleibt und nicht wie im Roman gefasst wird. Ansonsten betont Polanski die Wichtigkeit der dem Roman innewohnenenden Komik: "The great thing about Dickens, in my opinion, is his humour. It's one thing that you must keep. [...] It was our main line in the adaptation to keep the humour." In der Tat wurde eine Vielzahl der (situations)komischen Szenen des Romans in der Verfilmung übernommen. So etwa Mr. Bumbles literarische Ambitionen, denen er allerdings nicht wie im Roman Mrs. Mann sondern Mr. und Mrs. Sowerberry gegenüber Ausdruck verleiht: 205

Mr. Sowerberry: "Oliver Twist. How comes an orphan to have any name at all?" Mr. Bumble: "I invented it." Mr. Sowerberry: "You, Mr. Bumble?" Mr. Bumble (stolz): "I, Mr. Sowerberry. I name all our foundlings in alphabetical order. The last was S – Swubble, I named him. This was a T – Twist, I named him. (Blättert in einem otizbuch, Mr. Sowerberry schaut ehrfürchtig über seinen Schreibtisch auf Oliver Twist.) Next one as comes will be Unwin and the next Vilkins. I've got names ready all through the alphabet, right up to Z." Mrs. Sowerberry (die während Mr. Bumbles Ausführungen eingetreten ist): "Why, you are quite a literary character, sir." Mr. Bumble (stolz den Hut lüftend): "Well, well, perhaps I may be." Bei Mr. Grimwig, Mr. Brownlows Freund, handelt es sich im Roman um eine Figur, deren hauptsächliche Funktion darin zu bestehen scheint, mit der wiederholten, stets nur geringfügig variierten Äußerung "I'll be content to eat my own head" für comic relief zu sorgen. Diese Figur wird mitsamt diesem ihrem Markenzeichen in der Verfilmung beibehalten und taucht in mehreren Szenen auf. Während Polanski im Fall der bereits genannten Beispiele die Komik aus Dickens' Text nahezu unverändert übernimmt, so fügt er in anderen Fällen der Handlung Komik hinzu. So wird aus Toby Crackit, der im Roman eine recht blässliche und neben all den anderen markanteren Charakteren leicht zu übersehende Figur darstellt, eine sehr schillernde Gestalt, wie Kostümdesignerin Anna Sheppard erklärt: Toby Crackit is very colourful, very flamboyant. Make up did an incredible job creating his red curls, and also Mark Strong, who is a very attractive actor. He plays it like Toby Crackit was a playboy of the times. In his high boots and his long [...] coat and the colours we put him in he's recognisable. Dieser Figur kommt in der Verfilmung in mehreren Szenen die Funktion zu, durch seine Eitelkeit und sein schillerndes Auftreten für comic relief zu sorgen. Auch in jene Szene, in der Mr. Bumble nach Olivers berühmter Bitte um Nachschlag vor der versammelten Leitung des workhouse erscheint, bringt Polanski durch eine geringfügige Änderung Komik hinein. Im Roman spielt sich diese Szene wie folgt ab: The board were sitting in a solemn conclave, when Mr. Bumble rushed into the room in great excitement, and addressing the gentleman in the high chair, said, "Mr. Limbkins, I beg your pardon, sir! Oliver Twist has asked for more!" There was a general start. Horror was depicted on every countenance. "For more! said Mr. Limbkins. "Compose yourself, Bumble, and answer me distinctly. Do I understand that he asked for more, after he had eaten the supper allotted by the dietary?" "He did, sir," replied Bumble. "That boy will be hung," said the gentleman in the white waistcoat. "I know that boy will be hung" (OT 16, Hervorhebung im Original). 206

In der Verfilmung entsteht dadurch Komik, dass die workhouseLeitung bei Bumbles Eintreten gerade gemeinsam ein opulentes Abendessen zu sich nimmt. Die Rolle des von Bumble angesprochenen Mr. Limbkins wurde zudem mit einem stark übergewichtigen Schauspieler mit Doppelkinn besetzt, der die Worte, die er an Bumble richtet, mit vollem Mund spricht, was vor allem im Fall des Ausrufs "For more!" Komik erzeugt. Daneben steigert Polanski die dramatische Spannung etlicher Szenen. Das erste Beispiel für diese Technik findet sich bereits am Anfang der Verfilmung. Polanski baut die AuslosungsSzene, die Olivers Bitte um Nachschlag am Anfang des Romans und der Verfilmung vorausgeht, beträchtlich aus. Im Roman wird diese Begebenheit in einem einzigen Satz abgehandelt: "A council was held; lots were cast who should walk up to the master after supper that evening, and ask for more; and it fell to Oliver Twist" (OT, 15). In der Verfilmung wird aus diesem Satz die folgende Szene, die eine Länge von mehr als einer halben Minute hat: Die Kamera zeigt zunächst ein Bündel von Schnüren, fährt dann langsam zurück und zeigt einen Jungen, der dieses Bündel in der Hand hält. Kamera auf eine Gruppe von Jungen mit durchweg ängstlichem Gesichtsaudruck. Sie stehen dem Jungen mit dem Bündel gegenüber. Die Spannung, die durch entsprechende Musikuntermalung unterstützt wird, steigt, als einer der Jungen aus der Gruppe die erste Schnur aus dem Bündel zieht. Sie ist lang. Vier weitere Jungen ziehen jeweils eine lange Schnur, bevor Oliver an der Reihe ist. Oliver zieht die kurze Schnur. Die versammelten Jungen geben einen Laut von sich, der Erschrockenheit ausdrückt. Ein größerer Junge, der hinter Oliver steht – derjenige, der als erster eine Schnur aus dem Bündel gezogen hat – klopft ihm auf die Schulter. Auch die dramatische Spannung jener Szenen, die Olivers Ergreifung durch Nancy und Sikes vorausgehen, wird in der Verfilmung verstärkt, indem Drehbuchautor und Regisseur die Romanhandlung erweitern. Obgleich Nancy im Roman die Aufgabe zufällt, Oliver in seinem neuen Zuhause bei Mr. Brownlow zu beschatten, spielt sich seine Ergreifung dort doch eher zufällig ab. Nachdem Nancy Fagin und Sikes in einem Londoner UnterweltPub Bericht erstattet hat – "[t]he young brat's been ill and confined to the crib" (OT, 131) – macht sie sich in Begleitung von Sikes auf den Heimweg: Meanwhile, Oliver Twist, little dreaming that he was within so very short a distance of the merry old gentleman, was on his way to the bookstall. When he got into Clerkenwell, he accidentally turned down a byestreet which was not exactly in his way; but not discovering his mistake until he had got halfway down it, and knowing it must lead in the right direction, he did not think it worth while to turn back; and so marched on, as quickly as he could, with the books under his arm. He was walking along [...]; when he was startled by a young woman screaming out very loud, "Oh, my dear brother!" And he had hardly looked up, to see what the matter was, when he was stopped by having a pair of arms thrown tight round his neck (OT, 133). 207

Kommt Sikes und Nancy hier der Zufall zu Hilfe, so legen sie sich in der Verfilmung auf der Terrasse eines Pubs, das sich in unmittelbarer Nähe von Brownlows Haus befindet, gezielt auf die Lauer. An ihnen vorbei geht ein junger Mann mit einem Päckchen in der Hand auf Brownlows Haus zu und klingelt an der Tür. Unmittelbar darauf betritt Oliver Mr. Brownlows Bibliothek mit dem Päckchen in der Hand. Oliver: "Sir, the bookseller's boy brought a package." Brownlow: "Oh, stop him, Oliver. There's some books to go back." [...] Oliver verlässt Brownlows Haus, sieht sich nach dem jungen Mann um, rennt schließlich in die Richtung des Pubs, in dem Sikes und ancy auf der Lauer liegen. Unmittelbar vor der Terasse des Pubs bleiby er stehen, um sich erneut nach dem Jungen umzusehen. Er bemerkt ancy und Sikes nicht, Sikes bemerkt ihn jedoch und geht von der Terrasse auf ihn zu. In diesem Augenblick fährt eine Pferdekutsche direkt zwischen Oliver und Sikes hindurch. Oliver, der Sikes immer noch nicht bemerkt hat, macht sich auf den Rückweg. Als die Pferdekutsche vorübergefahren ist, hat Sikes ihn aus den Augen verloren. Sikes blickt sich um, rennt dann ein paar Schritte auf Brownlows Haus zu, Oliver ist aber anscheinend schon darin verschwunden. Der Rest der Szene spielt sich ähnlich wie im Roman ab: Oliver wird von Brownlow beauftragt, die Bücher und mit einer FünfPfundNote dem Inhaber des Buchladens zu übergeben und wird unterwegs von Nancy und Sikes aufgegriffen. Zusätzliche dramatische Spannung erzeugt wird in dieser Szenenfolge der Adaption durch den mehrmaligen Szenenwechsel zwischen Brownlows Haus und dem Wachposten von Nancy und Sikes sowie durch Sikes' missglückten ersten Versuch, Oliver zu ergreifen. Als weiteres Beispiel für Polanskis Strategie, die dramatische Spannung bestimmter Szenen zu verstärken, sei die Szenenfolge angeführt, die Sikes' Fluchtversuch und tödlichen Unfall behandelt. In diesen Szenen erzeugt Polanski zusätzliche Spannung, indem er Oliver am Geschehen beteiligt. Während sich Oliver im Roman zu diesem Zeitpunkt längst in Sicherheit befindet, so wird er in der Verfilmung von Sikes bei seinem Fluchtversuch als Geisel genommen, der mit ihm in einer waghalsigen Klettertour durch das Fenster steigt. Beide tasten sich auf einem schmalen Mauervorsprung entlang. Vor dem Haus befindet sich eine Menschenmenge, darunter auch Mr. Brownlow. Ein Mann richtet eine Waffe auf Sikes, wodurch auch Oliver erneut in Gefahr gerät. Die durch Olivers Anwesenheit in dieser Szene im Vergleich zur Romanvorlage ohnehin schon verstärkte Spannung wird durch die Führung der Kamera noch gesteigert – dadurch, dass sie die Schmalheit des Mauervorsprungs zeigt, auf dem sich Sikes und Oliver entlanghangeln und mehrmals Mr. Brownlows angsterfülltes Gesicht in Großaufnahme präsentiert. Daneben werden auch in der vorliegenden Verfilmung wieder einige gezielte 208

Veränderungen an Charakteren vorgenommen. Im Fall der Figur Nancy wird deren Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft gegenüber Oliver in der Verfilmung von Anfang an stärker herausgearbeitet. Zu diesem Zweck weiten Drehbuchautor und Regisseur die Szene, in der Nancy ihren ersten Auftritt hat, in der Verfilmung aus. Im Roman wird Nancys erstes Auftreten vom Erzähler lediglich in einem kurzen Abschnitt behandelt: When this game had been played a great many times, a couple of young ladies called to see the young gentlemen; one of whom was named Beth, and the other Nancy. They wore a good deal of hair, not very neatly turned up behind, and were rather untidy about the shoes and stockings. They were not exactly pretty, perhaps, but they had a great deal of colour in their faces, and looked quite stout and hearty. Being remarkably free and agreeable in their manners, Oliver thought them very nice girls indeed. As there is no doubt they were. These visitors stopped a long time. Spirits were produced, in consequence of one of the young ladies complaining of a coldness in her inside; and the conversation took a very convivial and improving turn (OT, 78). In der Verfilmung zeigt sich Nancy von Anfang Oliver stark zugeneigt und distanziert sich zudem deutlich von Fagin und dessen Machenschaften: Oliver verneigt sich vor ancy und Beth, die gerade eintreten. Vor allem Charley Bates lacht laut über Olivers Geste. Nancy: "See Dodger, you wanna learn from him. He's got manners, he has. A proper gentleman." (Lächelt Oliver zu, berührt ihn unter dem Kinn.) Bet (während sie und ancy sich an den Tisch setzen): "Fagin, we popped in because we were that cold inside." Fagin: "As is your custom, my dear. Charley!" Nancy: "Come on, Oliver, join us. Or don't you sit with the common folk? (Legt Oliver einen Arm um die Schulter.) Now, you wanna be careful of this lot, Oliver. They'll have you picking..." Fagin (unterbricht sie): "Picking out the marks. Just what we was teaching him, ain't it, Oliver, my dear?" Oliver: "Yes, sir." Beth: "'Yes, sir'? You know who you're talking to, do you?" (Gelächter) Nancy (zu Oliver, immer noch den Arm um seine Schulter gelegt): "What's your mother got to say about you being here, Oliver?" Oliver: "I haven't got a mother. I'm an orphan." Artful Dodger (während er Karten mischt): "You're in the right company, then." Nancy (nimmt die Karten): "Come on, Oliver, I'll teach you how to play. It's called Spec or Speculation. Three cards each, and then the one he turns up is trumps." (Kamera auf die Karten spielende Gesellschaft). Fagin (zu Oliver): "This is a pleasant life, ain't it, my dear?" Durch die Art und Weise, wie Nancy hier dargestellt wird, wird ihre spätere Selbstlosigkeit im Bezug auf Oliver, die sie schließlich das Leben kostet, in der Verfilmung noch ein wenig besser motiviert als im Roman. Anhand der Figur Bill Sikes lässt sich der umgekehrte Fall demonstrieren: Sikes' Bösartigkeit wird in der Verfilmung verstärkt. Dies geschieht vor allem 209 dadurch, dass Sikes nach dem missglückten Einbruchsversuch bei Mr. Brownlow in der Verfilmung plant, Oliver umzubringen und von diesem Entschluss Fagin in Kenntnis setzt: "I'll find a river and I'll drown him." Eine im Vergleich zum Roman veränderte Charakterisierung lässt sich auch an der Figur Fagin festmachen. Editor Hervé de Luze bemerkt in der making ofDokumentation über Fagin: "Fagin in the book is not so tender as it [sic] is in the film. Roman brought that, he is like a father for the gang and it's beautiful, because suddenly that villain becomes very lovable and caring." Im Verlauf der Verfilmung wird in wesentlich stärkerem Maβe als im Roman eine gegenseitige Zuneigung zwischen Fagin und Oliver wahrnehmbar. So wird eine Szene des Romans, in der Fagin Oliver wegen dessen vermeintlicher Undankbarkeit Vorhaltungen macht, in der Verfilmung signifikant umgestaltet: Mr. Fagin laid great stress on the fact of his having taken Oliver on, and cherished him, when, without his timely aid, he might have perished with hunger; and he related the dismal and affecting history of a young lad whom, in his philanthropy, he had succoured under parallel circumstances, but who, proving unworthy of his confidence and evincing a desire to communicate with the police, had unfortunately come to be hanged at the Old Bailey one morning. […] Little Oliver's blood ran cold, as he listened to the Jew's words, and imperfectly comprehended the dark threats conveyed in them [...]. As he glanced timidly up, and met the Jew's searching look, he felt that his pale face and trembling limbs were neither unnoticed nor unrelished by that wary old gentleman. The Jew, smiling hideously, patted Oliver on the head, and said, that if he kept himself quiet, and applied himself to business, he saw they would be very good friends yet. Then, taking his hat, and covering himself with an old patchedgreatcoat, he went out, and locked the roomdoor behind him (OT, 157ff.). Schon die Übertragung von Fagins Ausführungen in direkte Rede wirkt sich zu Fagins Gunsten aus, da dadurch der Sarkasmus von Dickens' Erzähler entfällt. Daneben nehmen Drehbuchautor und Regisseur noch weitere Veränderungen vor. So betritt Fagin das Zimmer, in dem Oliver eingeschlossen wurde, mit einem Tablett und den Worten: "Little something for your luncheon, my dear? Shall we have a little chat, Oliver? Shall us? I expect you'd welcome the sound of a human voice, eh my dear?" Im weiteren Verlauf der Szene lässt Ben Kingsley der FaginFigur durchaus eine gewisse Väterlichkeit angedeihen. Von der im Originaltext beschriebenen Freude Fagins an der Ängstlichkeit Olivers ist in der Verfilmung nichts zu bemerken, ebenso entfällt Fagins hässliches Grinsen. Olivers Körpersprache verrät zudem zumindest einen Anflug von schlechtem Gewissen. Die Szene endet damit, dass Fagin darauf verzichtet, Oliver wie im Roman erneut einzuschließen: "You must feel free to walk about now, Oliver. Yes, feel free", sagt er und lässt die Tür offen stehen. In jener späteren Szene, in der Sikes nach dem missglückten Einbruch den Plan 210 schmiedet, Oliver umzubringen, ist anhand von Fagins Mimik und Körpersprache deutlich zu erkennen, dass er diesem Plan nur aus Angst vor Sikes zustimmt. Eine Erwiderung von Fagins 'Zuneigung' durch Oliver zeigt sich erstmals in der Szene, die sich im Anschluss an Fagins und Sikes' Unterredung nach dem fehlgeschlagenen Einbruch abspielt: Fagin: "There, my dear, you look as good as new. How do you feel?" […] Oliver: "Better. Thank you, sir. But for the ache in my arm." Fagin: "Come, sit. (Geht zu einem Regal und sucht zwischen verschiedenen Fläschchen.) I have the very thing for such pains as yours, my dear. Undo the bandage." (Oliver krempelt den Ärmel hoch, entfernt den Verband, die Schusswunde wird sichtbar.) Fagin: "Oh, my God. It's a nasty wound. But my magic will do the trick. You'll see, my dear. This remedy is older than time. Yes, my dear, older than time. It was handed down from father to son, father to son, and comes from... who can say where?" (Verarztet Olivers Wunde.) Oliver: "Thank you, sir, thank you for your kindess. I'll always remember it." Fagin: "Well, well yeah. Always. Yes, always my dear. But who knows how long that will be." Diese Szene wurde von Drehbuchautor und Regisseur der Handlung hinzugefügt – wie bereits erwähnt kehrt Oliver nach dem missglückten Einbruchsversuch nicht mehr in den Schoß der FaginBande zurück, sondern verbleibt bei Mrs. Maylie. Ihren Höhepunkt findet diese sich langsam entwickelnde Zuneigung zwischen Oliver und Fagin am Ende der Verfilmung in jener Szene, in der Oliver und Mr. Brownlow Fagin in seiner Todeszelle aufsuchen. Im Roman verfolgt Brownlow mit diesem Besuch den Zweck, von Fagin zu erfahren, wo sich die Papiere befinden, mit Hilfe derer Oliver einen Anspruch auf seine Erbschaft nachweisen kann. Da auf den Handlungsstrang des Romans, der sich mit Olivers Herkunft befasst, in der Verfilmung komplett verzichtet wurde, fällt hier dieser hauptsächliche Grund für Olivers und Mr. Brownlows Besuch in Fagins Zelle weg. Bei Polanski wird der Besuch bei Fagin von Anfang an dezidiert als Olivers Wunsch ausgewiesen. So richtet Mr. Brownlow, unmittelbar bevor er mit Oliver das Gefängnis betritt, an diesen die Frage: "Are you certain, Oliver, you wish to go through with this?", worauf Oliver antwortet: "Yes, sir. Certain." Auf die Frage des Aufsehers, "Is the young gentleman to come too, sir? [...] It is not a sight for children, sir", antwortet Brownlow im Roman: It is not indeed, my friend [...]; but my business with this man is intimately connected with him; and as this child has seen him in the full career of his success and villainy, I think it as well – even at the cost of some pain and fear – that he should see him now (OT, 503). In der Verfilmung wird Brownlows Antwort geringfügig, aber dennoch signifikant abgeändert: 211

It is not indeed, my friend. But this child has seen this man in the full career of his success and villany. And it is his wish, even at the cost of some pain and fear that he should see him now (meine Hervorhebung). Die sich anschließende letzte Begegnung zwischen Oliver und Fagin wird bei Polanski insgesamt zu einem recht emotionalen Zeugnis von deren gegenseitiger Zuneigung. Drehbuchautor und Regisseur adaptieren hier wiederum recht originalgetreu, ergänzen den Dialog zwischen Oliver und Fagin aber auf signifikante Weise. So wendet sich Oliver mit den Worten "Fagin, you were kind to me" an diesen. Und statt Oliver wie im Roman zu verraten, wo sich die von Brownlow gesuchten Unterlagen befinden, vermacht Fagin Oliver gewissermaßen als Zeichen seiner Wertschätzung die Diebesgüter, bei deren Begutachtung ihn Oliver an seinem ersten Morgen in Fagins Behausung beobachtete: "Oliver! Let me whisper to you. You remember the box, Oliver? With my pretty things for my old age, Oliver? It's hid a little way up the chimney in the top front room. It's yours, Oliver, yours." Lassen sich die Änderungen an der Figur Nancy dadurch erklären, dass die Figur dadurch kohärenter erscheint, scheint die veränderte Charakterisierung des Fagin andere Gründe zu haben. Wie Juliet John (2005) darlegt, erregte diese Figur seit ihrer Erschaffung durch Dickens immer wieder Anstoβ. Schon zu seinen Lebzeiten wurde Dickens aufgrund dieser Figur AntiSemitismus vorgeworfen: In response to Eliza Davis's accusations of antiSemitism in Oliver Twist, Dickens edited the novel to tone down the emphasis on Fagin's Jewishness (changing the phrase "the Jew" to "Fagin") and changed his plans for Our Mutual Friend; the character Riah became an angelically good Jew who had simply been masquerading as a bad Jew overnight (John 2005, 221, Fn8). Juliet John zeigt, wie in den Adaptionen der darauffolgenden Jahrzehnte mit dieser Problematik umgegangen wurde. Während Alec Guinness' Verkörperung des Fagin zur Zeit der Veröffentlichung von David Leans Adaption wenige Jahre nach Ende des zweiten Weltkriegs zu Demonstrationen polnischer Juden in Berlin führte (vgl. John 2005, 209ff.), so war in früheren Verfilmungen noch wesentlich unsensibler verfahren worden (vgl. John 2005, 211f.). Der Aufruhr, den David Leans Darstellung des Fagin erzeugte, führte dazu, dass in den Verfilmungen der darauffolgenden Jahrzehnte entweder Fagins Judentum oder aber dessen Bösartigkeit ausgeblendet wurden (vgl. John 2005, 213). Der von Ben Kingsley verkörperte Fagin in Polanskis Verfilmung nun ist, wie Anthony Quinn (2005) und Juliet John (2005, 215f.) übereinstimmend feststellen, dem von Cruikshank gezeichneten und später von Alec Guinness gespielten zwar recht ähnlich, explizite Anspielungen auf Fagins jüdische Herkunft unterbleiben jedoch. Die Veränderungen an der Figur Fagin lassen sich darüber hinaus als Versuch werten, möglichen AntisemitismusVorwürfen vorzubeugen. 212

Neben der Ausblendung expliziter Hinweise auf Fagins Judentum werden zusätzlich an einer Szene Veränderungen vorgenommen, die von Teilen des Publikums ebenfalls als anstöβig empfunden werden könnte. Wohl mit Blick auf sein anvisiertes jugendliches Publikum entschärft Polanski die Ermordung Nancys in seiner Adaption – eine Szene, die sich im Roman recht blutrünstig gestaltet: The housebreaker freed one arm, and grasped his pistol. The certainty of immediate detection if he fired, flashed across his mind even in the midst of his fury; and he beat it twice with all the force he could summon, upon the upturned face that almost touched his own. She staggered and fell: nearly blinded with the blood that rained down from a deep gash in her forehead; but raising herself, with difficulty, on her knees, drew from her bosom a white handkerchief – Rose Maylie's own – and holding it up, in her folded hands, as high towards Heaven as her feeble strength would allow, breathed one prayer for mercy to her Maker. It was a ghastly figure to look upon. The murderer staggering backward to the wall, and shutting out the sight with his hand, seized a heavy club and struck her down (OT, 444f.). Die Brutalität dieser Szene wird in der Verfilmung dadurch abgemildert, dass sich die Kamera in dem Moment, als Sikes auf Nancy einzuschlagen beginnt, von dieser abwendet und auf Sikes richtet, so dass der Zuschauer weder Nancys blutüberströmtes Gesicht noch ihre Leiche sieht, auf denen im Roman das Auge des Erzählers ruht. Anthony Quinn (2005) nennt als möglichen Grund für diese Maßnahme des Regisseurs dessen anvisiertes jugendliches Publikum: "Polanski [...] has softpedalled the violence of the book. [...] Perhaps the producers were desperate to secure a PG certificate."

4.2.6.3 Resümee Die wirkungsvollste von Polanski im vorliegenden Film eingesetzte Popularisierungsstrategie besteht in der Steigerung der dramatischen Spannung einzelner Szenen. Diese Strategie verbindet den Film zum einen mit früheren Werken Polanskis: "Most of Polanski's films are intelligent psychological suspense thrillers, notable for their deliberate pacing, carefully established mood and atmosphere, and faintly Gothic treatment of settings and characters" (Wikipedia n.d.8). Zum anderen wird dadurch wiederum ein Bezug zu einem Genre mit generell hohem populärkulturellen Potential hergestellt, nämlich dem Genre des Thrillers. Die Konzentration auf im Wesentlichen einen Handlungsstrang lässt das Produkt zwar sehr kohärent erscheinen, was durch zusätzliche Strategien wie Vereinfachungen der Handlung und Veränderungen an der Charakterisierung insbesondere der Figur Nancy noch unterstützt wird. Diese Kohärenz dürfte sich insgesamt rezeptionserleichternd auswirken, schränkt 213 jedoch die Produzierbarkeit des Produktes ein. Insbesondere fällt die Abwesenheit jeglicher sexuellromantischer Elemente in der Verfilmung auf, die in den beiden bereits besprochenen KinoProduktionen einen wichtigen Faktor darstellten. Das Fehlen dieser Elemente lässt sich jedoch auch damit erklären, dass sich Polanski mit seiner Produktion auch und gerade an ein kindliches bis jugendliches Zielpublikum wendet. Auffällig ist auch, dass der Handlungsstrang des Romans, der sich mit Olivers Herkunft und den sich gegen Ende herausstellenden überraschenden Verwandschaftsverhältnissen beschäftigt, komplett entfällt. In einer mehrteiligen Oliver TwistVerfilmung für den Privatsender ITV aus dem Jahr 1999 war dieser Handlungsstrang sehr stark ausgebaut worden (vgl. John 2005, 217). Ähnliche Handlungsstränge aus icholas ickleby und Great Expectations – nämlich die Herkunft der Figuren Smike und Estella – waren ebenfalls in den Fernsehverfilmungen stark ausgebaut und in den Kinoverfilmungen eher nachlässig behandelt worden. Abgesehen von der Tatsache, dass in mehrteiligen TVProduktionen mehr Zeit zur Verfügung steht, um die jeweiligen Vorgeschichten einzelner Figuren herauszuarbeiten und auf diese Weise überraschende Enthüllungen besser zu motivieren, entsteht durch die Betonung solcher Handlungsstränge ein thematischer Bezug zu dem populärkulturellen Genre soap opera: "In soap opera storylines, previouslyunknown children, siblings, and twins [...] of established characters often emerge to upset and reinvigorate the set of relationships examined by the series" (Wikipedia n.d.8). Allerdings ist auch zu berücksichtigen, dass eine Vielzahl der potentiellen Rezipienten des PolanskiVerfilmung, vor allem in Groβbritannien, bereits seit ihrer Kindheit immer wieder mit dem der Verfilmung zugrunde liegenden Stoff in Berührung gekommen sein dürften, was auf die den zuvor analysierten Verfilmungen zugrunde liegenden Texte nicht in gleichem Maβe zutrifft. Dies kann, wie im Theorieteil dieser Arbeit ausgeführt wurde, eine erneute Verfilmung des Stoffes für sie auf diskursiver Ebene verstärkt relevant machen. Im Verein mit den eingesetzten Popularisierungsstrategien könnte sich dies durchaus positiv auf das populäre Potential der Verfilmung auswirken.

214

4.2.7 Bleak House (BBC, 2005) Im Fall dieses im Jahr 2005 in Zusammenarbeit mit dem Regisseur Nigel Stafford Clark und dem Drehbuchautor Andrew Davies entstandenen Kostümdramas, das zwischen dem 27. Oktober und dem 16. Dezember auf BBC1 zu sehen war, wurde die Popularisierungsabsicht explizit von Regisseur Nigel Stafford Clark betont: "We've set out to bring Dickens back to the audience for which he was writing […]. He was unashamedly writing for a mainstream popular audience and that tends to be slightly forgotten today because his books have become classics" (BBC Press Release 2005). Die Absicht, ein möglichst großes und heterogenes Publikum zu erreichen, formulierte Drehbuchauor Andrew Davies, der bereits zehn Jahre zuvor das Script für die höchst erfolgreiche BBCVerfilmung von Jane Austens Pride and Prejudice verfasst hatte, ähnlich deutlich gegenüber einem Journalisten der Zeitung The Independent. Ciar Byrne (2005, 3), Verfasser eines Artikels, der wenige Wochen vor Beginn der Ausstrahlung der Adaption in dieser Zeitung erschien, erläutert: "He [Andrew Davies] hopes that his contemporary rendering of the tale of youthful protagonists falling in love for the first time against a backdrop of dark family secrets will appeal to children as young as 11 and encourage them to read Dickens for themselves."

4.2.7.1 Der Roman und seine Relevanz für das heutige Publikum Bleak House ist der neunte Roman in Dickens' Oeuvre. Er erschien zwischen März 1852 und September 1853 in monatlichen Fortsetzungen. War Dickens' vorausgegangener autobiographischer Roman David Copperfield vollständig in der ersten Person Singular erzählt, so wechseln sich in Bleak House IchErzählung und Erzählung aus heterodiegetischer Perspektive ab, wobei die Hauptfigur des Romans Esther Summerson für die IchErzählung verantwortlich zeichnet. Esther Summerson ist als uneheliche Tochter aus einer Beziehung zwischen Lady Honoria Dedlock und Captain Hawdon hervorgegangen. Bei Einsetzen der Handlung des Romans ist Lady Dedlock mit dem wesentlich älteren Sir Leicester Dedlock verheiratet, der von ihrer früheren Verbindung nichts weiβ. Lady Dedlock hält ihre uneheliche Tochter für tot und ist zunehmend gelangweilt von ihrem ereignislosen Leben an der Seite von Sir Leicester Dedlock auf dem Anwesen Chesney Wold. Esther wächst bei der Schwester ihrer Mutter, Miss Barbary, auf. Nachdem sie mehrere Jahre in Reading ein Internat besuchte, macht sie sich auf die Reise zu ihrem neuen Vormund John Jarndyce, der das titelgebende Anwesen Bleak House bewohnt und auch für seine beiden wesentlich jüngeren Cousins Richard und Ada Carstone als Vormund agiert, mit denen sich Esther anfreundet. John Jarndyce, Ada und 215

Richard könnten von einem positiven Ausgang des seit Generationen andauernden und kaum zu durchschauenden Prozesses Jarndyce & Jarndyce profitieren. Allein: Ende und Ausgang des Prozesses sind völlig ungewiss. Ada und Richard verlieben sich ineinander. Zwar steht ihr Vormund Jarndyce ihrer Verbindung nicht im Wege, er besteht allerdings darauf, dass Richard vor einer möglichen Heirat zunächst einen Beruf erlernen soll. Esther selbst fühlt sich von den Avancen des unsicheren und leicht lächerlichen Gerichtsschreibers Guppy bedrängt. Zwischenzeitlich identifiziert Lady Dedlock, die ebenfalls in den Gerichtsprozess involviert ist, die Handschrift auf einem Dokument, das ihr Anwalt Tulkinghorn mitführt, als die ihres einstigen Liebhabers Captain Hawdon. Sie erregt Tulkinghorns Argwohn, als sie ihn nach der Person fragt, die das Dokument anfertigte. Tulkinghorn kennt den Urheber nicht, bringt aber in Erfahrung, dass es sich bei ihm um einen völlig verarmten Mann handelte, der sich Nemo nannte, kurz zuvor verstarb und in Kontakt mit dem jungen Straβenkehrer Jo stand. Verkleidet als ihre Magd Hortense lässt sich Lady Dedlock zu Nemos Grab führen. Unterstützt von Hortense überwacht Tulkinghorn Lady Dedlocks Aktivitäten. Während eines Besuchs bei Sir Leicesters und Lady Dedlocks Nachbarn Boythorn, der mit John Jarndyce befreundet ist, begegnen Lady Dedlock und Esther einander und wechseln einige Worte, ohne jedoch zu wissen, dass es sich bei ihnen um Mutter und Tochter handelt. Lady Dedlock bringt dies jedoch in Erfahrung, während Esther schwer an den Pocken erkrankt, die ihrem Gesicht eine bleibende Entstellung zuführen. Nach Esthers Genesung offenbart ihr Lady Dedlock diese Erkenntnis, besteht jedoch darauf, dass ihr Verwandschaftsverhältnis mit Rücksicht auf Sir Leicester ihr Geheimnis bleiben muss. Tulkinghorn findet schlieβlich die Wahrheit über Lady Dedlocks Vorleben heraus und erpresst sie damit. Kurz darauf wird Tulkinghorn erschossen. Es ist nun Aufgabe des Inspektor Bucket, den Mord aufzuklären. Die Hauptverdächtigen sind Lady Dedlock und der ebenfalls von Tulkinghorn drangsalierte George Rouncewell. Schlieβlich erkennt Bucket jedoch, dass Hortense das Verbrechen beging. Tulkinghorn hatte seine Zusage nicht eingehalten, ihr zu einer neuen Anstellung zu verhelfen, nachdem Lady Dedlock sie aus ihren Diensten entlassen hatte. In der Annahme, ihr Ehemann sei nun über ihre Affäre mit Captain Hawdon informiert, hinterlässt Lady Dedlock ihm einen Abschiedsbrief und verlässt Chesney Wold. Stunden später wird sie von Bucket und Esther tot in der Nähe des Friedhofs aufgefunden, auf dem Hawdon begraben liegt. Richard Carstone hat inzwischen seine gesamte Energie darauf verwendet, sich in den Gerichtsprozess einzuarbeiten und ist nun völlig verarmt und gesundheitlich stark angeschlagen. Er und Ada heiraten heimlich. Esther verliebt sich in den jungen Arzt Allan 216

Woodcourt, hat aber bereits den Heiratsantrag ihres Vormunds Jarndyce angenommen, dem gegenüber sie zwar groβe Dankbarkeit für seine Groβzügigkeit empfindet, den sie aber eher als Vaterfigur betrachtet. Schlieβlich kommt der Gerichtsprozess tatsächlich überraschend zu einem Ende, das Urteil zugunsten von Ada und Richard stellt sich jedoch als Pyrrhussieg heraus: Die Gerichtskosten sind so hoch, dass für die beiden Jungvermählten kein Geld übrigbleibt. Richard stirbt kurz darauf und hinterlässt neben Ada einen gemeinsamen Sohn. Als Jarndyce erkennt, dass Esther und Woodcourt einander lieben, löst er seine Verlobung mit Esther auf. Der Roman endet mit einem Kapitel, in dem Esther als IchErzählerin Auskunft über das weitere Schicksal einiger der Charaktere gibt. Die Tatsache, dass die Wahl für die von Nigel Stafford Clark und Andrew Davies formulierten Popularisierungszwecke gerade auf Dickens' Roman Bleak House gefallen ist, scheint aufgrund des literarischen Anspruchs des Originaltextes erstaunlich: "In form and technique [Bleak House] is startingly original and 'modern' – intricate in its design and relating small details to overall patterns. It is unique even in Dickens's own work for its experimental handling of narrative technique and point of view", urteilt etwa Norman Page (1990, 17). Dennoch erfüllt auch dieser Roman einige der Teilkriterien, die laut Fiske das für die Entstehung von popular culture notwendige Kriterium der Produzierbarkeit konstituieren. So garantieren die zahlreichen unterschiedlichen Handlungsstränge des Romans, die einen Teil seiner Komplexität ausmachen, seine Fähigkeit, eine Vielzahl von Bedeutungen und Arten von Vergnügen zu produzieren. Der Roman wartet mit den Liebesgeschichten um Ada Clare und Richard Carstone sowie Esther Summerson und Allan Woodcourt auf, daneben mit der Kriminalhandlung um Tulkinghorns Ermordung, ein weiterer Handlungsstrang beschäftigt sich mit der Enthüllung des Geheimnisses um Esther Summersons Herkunft. Wie Nicola Bradbury (1996b, xx) zusammenfasst: "Not only is this a great Victorian novel, a 'ConditionofEngland' commentary on society and satire on the law. It is also a romance, a murderous melodrama, an early detective story."104 Da es sich bei der BBCAdaption um eine Serie von fünfzehn Folgen mit einer Gesamtlaufzeit von insgesamt acht Stunden handelt, konnte diese Vielfalt der Handlungsstränge weitgehend beibehalten werden. Das von Fiske beobachtete Merkmal der textuellen Armut und Unvollständigkeit, das vielen popular cultureTexten eigen ist, sowie die aktive Rolle bei der Rezeption, die dem Leser aufgrund dieser Merkmale abverlangt wird, wurde am Roman Bleak House bereits von Jeremy Hawthorn (1987, 42f.) festgestellt:

104 Vgl. dazu auch Pykett (2002, 129). 217

Horton suggests that the power of many passages of the novel resides in the narrator's refusal to tell the whole truth, and his admission that he does not know the whole truth […]. As I have suggested, this argument is at least partly based on the theory that the less the narrator tells us the more active the reader has to be, especially in terms of his or her moral intelligence. Literature which tells the reader everything – so this sort of argument runs – makes the reader passive and uncreative; a novel which forces us to think about why Tulkinghorn behaves as he does exercises our intellectual capacities. We experience such a novel more as we experience real life (or at least the life of contemporary society), in which we do not have a window onto peoples' inner lives through which to peer (Hervorhebungen im Original). Auch Nicola Bradbury (1996b, xxxv) betont die aktive Involvierung des Lesers in die Handlung des Romans: "The very activity of reading, paralleled to the business of detection, implicates us in the processes that are shown to be perverse. The novel holds the balance between mystery and revelation, literary creation and analytical destruction." Die Tatsache, dass die Thematik von Dickens' Roman auch für den Leser des späten 20. bzw. frühen 21. Jahrhunderts noch zumindest potentiell repräsentionale Relevanz aufweist, verdeutlicht ebenfalls Bradbury (1996b, xx): Bleak House operates outside, as well as within, its midVictorian context. Not only do its themes strike us with surprising immediacy: law, social justice and all the dangers of a diseased society, from political complacency to misdirected philanthropy leading to compassion fatigue; child abuse by neglect, exploitation or emotional depravation; questions of feminism, the problems of working mothers and dependent parents; the psychology of escapism and frustration, depression and despair; even the deadening effects of the class system have survived the nineteenth century.

4.2.7.2 Das populäre Potential der Verfilmung Wie die meisten in monatlichen, eigenständigen Fortsetzungen erschienenen Romane von Dickens beginnt auch Bleak House handlungsarm und für den heutigen Leser recht beschwerlich. Am Anfang des ersten Kapitels "In Chancery" steht die langwierige Beschreibung eines nebligen Londoner Novembertages. Wie schon im Fall der Fernseh Verfilmungen von icholas ickleby und insbesondere Martin Chuzzlewit, gestaltet sich der Auftakt der Bleak HouseVerfilmung wesentlich temporeicher: Die erste Szene der Verfilmung zeigt Esther, die sich in einer Pferdekutsche auf dem Weg zu dem Chancellor befindet, der ihre Unterbringung bei Mr. Jarndyce verfügen wird. Ähnlich wie in der Auftaktszene der Martin ChuzzlewitVerfilmung wird auch hier schon allein durch die sich fortbewegende Pferdekutsche Tempo erzeugt. Der Eindruck des schnellen Fortschreitens der Handlung wird in den folgenden Szenen der Verfilmung durch die rasche Szenenfolge unterstützt, die an die ITVVerfilmung von icholas ickleby erinnert. Die Mehrzahl der Szenen ist weniger als eine Minute lang. Zudem überschneiden sich einzelne Szenen häufig 218 um ein paar Sekunden: Während auf dem Bildschirm noch das Ende der gerade laufenden Szene zu sehen ist, sind schon die Stimmen der Personen aus der nächsten Szene zu hören. Hinzu kommt, dass die meisten Episoden mit cliffhangers enden, die aber nicht in allen Fällen mit denjenigen übereinstimmen, mit denen Dickens seine einzelnen instalments beschloss. Es dürfte kaum überraschen, dass auch Andrew Davies die im Roman enthaltenen Romanzen betont und ausbaut. In der Verfilmung finden sich mehrere Szenen, die Davies der aus dem Roman übernommenen Handlung hinzufügt und die sich mit der Liebesbeziehung zwischen Ada und Richard beschäftigen, etwa in den Episoden 9 und 12. Als Beispiel sei die folgende Szene aus Episode 5 angeführt: Ada und Richard stehen eng beieinander, scheinen sich gerade geküsst zu haben. Ada: "Richard, we shouldn't." Richard: "Who's to say that?" Ada: "We promised Mr Jarndyce." Richard: "What? Only to postpone our engagement. And, you know, I think he must be brought to change his mind about that, and simply understand that we can't bear not to belong to each other utterly. (Ada lacht glücklich auf.) And I intend to tell him so myself. And the rest. There." Sie küssen sich. Ada: "I've missed you so much." Sie küssen sich wieder. Noch signifikanter ist allerdings, dass Davies Esthers Romanze mit Woodcourt in der Verfilmung deutlich mehr Raum gibt als Dickens dies im Roman tut, und sie vor allem von Anfang an auch als Romanze ausweist. Der Leser des Romans erhält in den Kapiteln, in denen Woodcourt die ersten Male in Erscheinung tritt, nur sehr wenige Informationen über ihn und seine Empfindungen gegenüber Esther. Die IchErzählerin Esther widmet der Beschreibung ihrer ersten Begegnung mit Woodcourt nicht mehr als einen kurzen Abschnitt am Ende des 13. Kapitels: I have omitted to mention in its place, [sic] that there was someone else at the family dinner party. It was not a lady. It was a gentleman. It was a gentleman of a dark complexion – a young surgeon. He was rather reserved, but I thought him very sensible and agreeable. At least, Ada asked me if I did not, and I said yes (BH, 214). Andrew Davies baut diese mehr als kryptischen Andeutungen in der zweiten Folge der Serie zu einer mehrminütigen Szene aus, die sich in den Räumen von Mr und Mrs Bayham Badger abspielt. Dort haben sich Esther, Ada, Richard, Woodcourt und Jarndyce eingefunden. Während Badger Allan Woodcourt der Runde vorstellt, zeigt die Kamera mehrfach Esthers Gesicht, das sich Woodcourt interessiert zuwendet: Badger: "This is Mr Woodcourt, a young colleague [… H]e has chosen to ply his 219

trade amongst the lowest of the low." Woodcourt (bescheiden): "Not exclusively, because I have to live as well. But the poor need doctors just as the rich do, I believe." Esther: "Yes, Mr Woodcourt, so do I." (Woodcourt wirft Esther einen langen Blick zu. Kamera auf Jarndyce, der etwas konsterniert wirkt.) Noch deutlicher wird Esthers und Woodcourts sofortige gegenseitige Zuneigung im weiteren Verlauf der Szene, die sich bei Tisch fortsetzt. Esther und Woodcourt, die nebeneinander sitzen, blicken einander an, beide sind erkennbar daran interessiert, ein Gespräch miteinander zu beginnen. Schließlich, während Badger weiterredet, beugt sich Woodcourt zu Esther und spricht sie in gedämpftem Tonfall an: Woodcourt: "And you, are you a ward in the case too, or are you a ward of Mr Jarndyce?" Esther (lachend): "No. No, I'm no one of any account." Woodcourt: "I don't think so. (Kamera auf Jarndyce, der auf die Unterhaltung der beiden aufmerksam wird und wiederum etwas missvergnügt wirkt.) You have opinions and you express them, and I like that. Especially as you seem to agree with me. (Woodcourt und Esther lachen beide, Esther leicht verlegen.) [...] So if you're not Mr Jarndyce's ward, what are you? His niece, perhaps?" Esther: "I was engaged by Mr Jarndyce as a companion to Miss Clare and now I'm Mr Jarndyce's housekeeper, too." Woodcourt: "Really? Well, you know I'd say that makes you a person of some consequence, Miss Summerson" (lächelt charmant). Esther (lachend): "No, not at all. I shall never be a person of consequence." Woodcourt: "No? You'll have to allow me to disagree with you, then" (lächelt wieder charmant, Kamera abwechselnd auf Esther und Woodcourt, die einander tief in die Augen blicken). Um diese Romanze zwischen Esther und Woodcourt in seiner Adaption auszugestalten, ergänzt Andrew Davies Dickens' Plot wiederum um mehrere Szenen, die im Roman keine Vorlage haben. Ab der soeben zitierten Stelle aus Episode 2 finden sich in nahezu jeder weiteren Episode eine oder mehrere Szenen, die diese sich anbahnende Liebesbeziehung zwischen Esther und Woodcourt veranschaulichen. So führt Esther im Verlauf der Verfilmung mehrere Gespräche mit Ada über Woodcourt, bei denen Jarndyce jeweils unfreiwillig mithört (Episoden 4 und 8), und als sie von dem Schiffsunglück erfährt, in das Woodcourt geraten war, erleidet sie beinahe einen Zusammenbruch (Episode 7). Mr Guppy bemerkt, dass sich zwischen Esther und Woodcourt etwas anbahnt und macht seiner Eifersucht Luft (Episode 3), und selbst Mr Woodcourts Mutter wirft während ihres Besuches bei Mr Jarndyce Esther, als diese ihr vorgestellt wird, einen langen und vielsagenden Blick zu, und bemerkt lakonisch: "Yes, I see" (Episode 6). Ähnlich wie in der BBCVerfilmung von Martin Chuzzlewit die Kriminalhandlung um den Tod von Anthony Chuzzlewit ausgebaut wurde, so stärkt Andrew Davies in der hier 220 zu analysierenden Adaption den Handlungsstrang um die Ermordung des Rechtsanwalts Tulkinghorn. Dies wird dadurch erreicht, dass er die Konflikte zwischen Tulkinghorn und Lady Dedlock bzw. Tulkinghorn und George Rouncewell stärker herausarbeitet und damit verdeutlicht, dass beide jeweils ein Motiv für Tulkinghorns Ermordung hätten. Der Konflikt zwischen Lady Dedlock und Tulkinghorn deutet sich in der Verfilmung deutlich früher als im Roman an. Bereits in der 2. Episode spricht Tulkinghorn Lady Dedlock gegenüber eine verhüllte Drohung aus, nachdem er sie von Nemos Tod unterrichtet hat. Diese Drohung findet sich nicht im Roman: Tulkinghorn: "Lady Dedlock, I have been Sir Leicester's attorney for many years, and my father was attorney to his father before him." Lady Dedlock: "I am aware of that, Mr Tulkinghorn." Tulkinghorn: "Sir Leicester has always had my complete personal loyalty, and always will have." Lady Dedlock (im Begriff, den Raum zu verlassen): "I am glad of it." Tulkinghorn: "Whatever the consequences to others." Lady Dedlock (innehaltend): "That is just as I should hope, Mr Tulkinghorn. Goodnight" (Episode 2). Die Differenzen zwischen Tulkinghorn und Lady Dedlock werden auch in der 9. Episode durch Ergänzungen verschärft. Es handelt sich hier um die Szene, in der Tulkinghorn Lady Dedlock davon unterrichtet, dass er ihr Geheimnis gelüftet hat und von ihrem Verhältnis mit Nemo/Captain Hawdon, aus dem Esther Woodcourt als uneheliche Tochter hervorging, weiß. Wie in der Romanvorlage untersagt Tulkinghorn ihr, Chesney Wold zu verlassen. Während Lady Dedlock sich jedoch im Roman Tulkinghorns Anordnungen fügt (vgl. BH, 659), begehrt sie in der Verfilmung dagegen auf: Lady Dedlock (feindselig): "I am to drag my present life out, holding its pains at your pleasure, day by day?" Mr Tulkinghorn: "I am afraid so, Lady Dedlock." Lady Dedlock (mit leicht drohendem Unterton): "I am not sure that I could do that, Mr Tulkinghorn." Mr Tulkinghorn (unbeeindruckt): "You must, Lady Dedlock, for your husband's sake. For the sake of the family honour. You must." (Lady Dedlock wirft ihm einen feindseligen Blick zu, verlässt dann den Raum. Tulkinghorn blickt ihr nach) (Episode 9). Auch der Konflikt zwischen George und Tulkinghorn wird durch Hinzufügungen verstärkt. In der 7. Episode, nachdem Tulkinghorn George von der Notwendigkeit überzeugt hat, ihm einen Brief in Captain Hawdons Handschrift zu überlassen, spricht George gegenüber Tulkinghorn eine Warnung aus aus, die wiederum keine Entsprechung in der Romanvorlage hat und sich auch als Drohung auffassen lässt: "But take care, Mr Tulkinghorn. You hold the lives of others very cheap, I think. If I were you, I should be fearful for my own" (BH, 221

Episode 7). Vereindeutigt wird auch das Motiv, das George haben könnte, Tulkinghorn nach dem Leben zu trachten. Zwar wird auch im Roman deutlich, dass George ein Interesse am Ableben Tulkinghorns haben könnte, die Gründe dafür erscheinen jedoch recht diffus und wenig spezifisch. George äußert im Gespräch mit Allan Woodcourt (vgl. BH, 727). In der Adaption hingegen erscheint Georges Motiv in wesentlich zugespitzterer Form. In der 7. Episode kündigt Tulkinghorn an, dass er George vor dem finanziellen Ruin bewahren würde, wenn dieser ihm dafür ein Dokument in Captain Hawdons Handschrift überlässt. Wenig später macht Tulkinghorn jedoch im Gespräch mit seinem Sekretär deutlich, dass er sich nicht an diese Abmachung zu halten gedenkt. Die Kriminalhandlung wird noch durch ein zusätzliches Detail gestärkt: Am Ende der 11. Episode wird gezeigt, wie sich die drei Personen, die später der Tat verdächtigt werden, nämlich Lady Dedlock, ihre Magd Hortense und George Rouncewell auf den Weg zu dem Zuschauer unbekannten Zielen machen. Zudem baut Andrew Davies auch die Szene aus, in der Hortense schlieβlich des Mordes überführt wird, womit eine Steigerung der dramatischen Spannung einhergeht. Während Bucket Hortense im Originaltext schon kurz nach ihrer Ankunft in Sir Leicester Dedlocks Bibliothek auf recht unspektakuläre Weise festnimmt (vgl. BH, 830f.) – und zwar in Abwesenheit der ebenfalls des Mordes verdächtigen Lady Dedlock – gestaltet sich ihre Überführung in der Verfilmung um einiges dramatischer. In Anwesenheit von Hortense und Sir Leicester Dedlock verhört Bucket hier zunächst Lady Dedlock, die sich zudem in Widersprüche verwickelt, so dass es ganz den Anschein hat, als handele es sich bei ihr um die Täterin (vgl. Episode 13). Erst wenige Sekunden vor Ende der 13. Episode wird deutlich, dass Hortense das Verbrechen verübte: Bucket (zu eintretendem Constable): Now, Constable, you can arrest this lady for the murder of Mr. Tulkinghorn. (Sir Leicester Dedlock erschrickt sichtlich, Hortense lächelt hämisch und selbstzufrieden, bis der Constable sie statt Lady Dedlock an der Schulter packt.) Hortense (panisch): No, you fool! 'Er! 'Er! (deutet mit dem Kopf in Richtung Lady Dedlock.) Bucket: Hortense Jaboulet, you are arrested for the murder of Mr Josiah Tulkinghorn of Lincoln's Inn Fields. Take her away! (Episode 13). Auch der Handlungsstrang um die Entschlüsselung des Geheimnisses um Esthers Herkunft wird in der Verfilmung betont. Im Roman scheint Esther an dem Geheimnis ihrer Herkunft nicht sonderlich viel zu liegen. Als Jarndyce sie fragt, ob es etwas gebe, was sie ihn fragen wolle, antwortet sie: "I have nothing to ask you; nothing in the world" (BH, 122). In der Verfilmung hingegen betont sie mehrmals, wie sehr sie an einer Entschlüsselung eben dieses Geheimnisses interessiert ist (vgl. Episode 1: "I should like to know who my mother 222 was, and whether she still lives" und Episode 4: "I would like to be able to say who I am and who my parents were.") Wohl mit der Absicht, diesem Handlungsstrang rund um Esthers Identitätssuche mehr Substanz und Dramatik zu verleihen, baut Davies die Rolle von Esthers Vater, Mr Nemo alias Captain Hawdon, stark aus. Der Leser des Romans begegnet Nemo/Captain Hawdon zum ersten Mal, als Tulkinghorn dessen Leiche in Krooks Haus auffindet. Einen Großteil der Informationen, die der Roman über Captain Hawdon enthält, wird dem Leser rückblickend während der Gerichtsverhandlung, die sich an Hawdons Tod anschließt, mitgeteilt (vgl. BH, 173ff.). In der ersten Episode der Verfilmung hingegen erlebt der Zuschauer Nemo mehrere Male in Aktion, während dieser mit Snagsby verhandelt, von Krook wegen der ausstehenden Miete konfrontiert wird und dem Straβenkehrer Joe auf der Straße begegnet, dem er ein paar Münzen zusteckt. Andrew Davies dramatisiert in diesen Fällen Informationen über Nemo/Captain Hawdon, die der Leser des Romans zwar in Retrospektive erhält, die aber dennoch Entsprechungen innerhalb des Romans haben. Bei einer Szene innerhalb der ersten Episode handelt es sich jedoch um eine Erfindung von Davies. Während Esther und Nemo/Captain Hawdon im Verlauf des Romans nicht aufeinander treffen, lässt Davies Esther und ihren Vater gleich zu Beginn der Verfilmung einander begegnen: Mr Guppy hilft Esther aus dem Wagen, mit dem sie gerade in London angekommen ist. Guppy: "Now, will you take me [sic] arm, miss? We don't want to lose you, do we, miss?" (Esther hakt sich bei Guppy unter, beide gehen ein Stück, emo taucht wie aus dem ichts aus und rempelt Esther an, die verhalten aufschreit.) Guppy (vorwurfsvoll): "Have a care there, sir." Nemo: "I do beg your pardon. I... I beg your pardon. Are you all right?" Esther (sich fassend, höflich): "Quite all right, thank you." Nemo: "Then no harm done." (Betrachtet Esther eingehend, Esther mustert ihn ebenfalls.) Good day to you." (Esther setzt ihren Weg mit Guppy, der emo noch einmal einen vorwurfsvollen Blick zuwirft, fort. emo blickt ihr nach) (Episode 1). Obgleich Komik in Bleak House – im Unterschied zu anderen, früheren Romanen aus Dickens' Oeuvre – nicht im Vordergrund steht, enthält auch dieser Roman zahlreiche (situations)komische Szenen, die teilweise in der Verfilmung nahezu originalgetreu übernommen werden. So etwa Mr Turveydrops Reaktion auf die Verlobung seines Sohnes mit Caddy Jellyby (vgl. BH, 376f. und Episode 5) oder der Auftritt von Mr Guppys Mutter, als dieser seinen Heitragsantrag gegenüber Esther erneut vorbringt (vgl. BH, 966ff. und Episode 15). Andere potentiell situationskomische Szenen aus Dickens' Roman werden in der Verfilmung erweitert und ausgebaut, etwa jene Szene, in der Mr Guppy zum ersten Mal auf der Bildfläche erscheint. Im Roman beschreibt Esther ihn als "[a] young gentleman who had 223 inked himself by accident" (BH, 42). Aus diesem Tintenfleck wird in der Verfilmung eine komplette Szene: Mr Guppy (zu Esther): "You see there's a looking glass there on the wall?" Esther (erstaunt): "Yes?" Guppy: "In case you should want to look at yourself after the journey, as you're going before the Chancellor. Not that it's requisite, I'm sure. It's very much to the contrary, if I may say so. Esther lächelt, Guppy schaut selbstzufrieden selbst in den Spiegel. Bemerkt einen Tintenfleck an seiner ase. Guppy: "Oh, no. Oh." (immt ein Taschentuch und befeuchtet es mit Speichel. Versucht, den Tintenfleck damit zu entfernen.) "Mortifying." Esther (ein leichtes Kichern unterdrückend): "It's only an inkstain, is it not, Mr Guppy? That must be a regular hazard, I would have thought, in your line of business? Don't upset yourself, I beg you." Guppy (noch immer peinlich berührt): "You're very kind, Miss Summerson. Kinder than I could have... (plötzlich feierlich, mit leichter Verneigung) Miss Summerson..." Gespräch bricht ab, da Mr Kenge den Raum betritt (Episode 1). Erweitert wird in der Verfilmung auch jene Szene aus dem Roman, in der Mr Bucket Mercury, einen der Bediensteten des Ehepaars Dedlock, um Schnupftabak bittet. Im Roman spielt sich diese Szene relativ nüchtern und emotionslos ab: 'Do you happen to carry a box?' says Mr Bucket. Unfortunately, Mercury is no snufftaker. 'Could you fetch me a pinch from anywheres?' says Mr Bucket. 'Thankee. It don't matter what it is; I'm not particular as to the kind. Thankee!' Having leisurely helped himself from a canister borrowed from somebody downstairs for the purpose, and having made a considerable show of tasting it, first with one side of his nose and then with the other, Mr Bucket, with much deliberation, pronounces it of the right sort, and goes on, letter in hand (BH, 806). Andrew Davies gestaltet diese Szene wesentlich situationskomischer: Bucket: "Got a pinch of snuff for me, Mr Mercury?" (Mercury schaut leicht pikiert, holt aber eine Dose Schnupftabak hervor und hält sie Bucket hin. Bucket nimmt ein wenig Schnupftabak heraus und zieht ihn ein, reibt sich die ase.) Bucket: "Thank you kindly. I'll do the same by you one day." (Mercury schaut etwas reserviert, nickt.) Well, take a pinch yourself, we're all friends here." Mercury (ohne eine Miene zu verziehen): "Don't mind if I do." (Entledigt sich seines weißen Handschuhs, nimmt ein wenig Schnupftabak, zieht ihn ein.) Bucket: "[…D]id Lady Dedlock go out at all that night, do you remember? […] I'll just take another pinch of this very fine snuff of yours, Mr Mercury" (nimmt Schnupftabak, zieht ihn ein, Mercury wirkt leicht ärgerlich) "That particular night, can you recall what she was wearing?" […] Mercury: "Hand on my heart, Mr Bucket, I can't be sure. […]" Bucket: "Don't torment yourself, Mr Mercury. You've been very helpful, a fount of 224

wisdom." (Deutet entschuldigend auf die Schnupftabakdose in Mercurys Hand.) Just a tiny pinch more?" (Episode 13). Die Situationskomik entsteht in dieser Szene aus dem Widerspruch zwischen dem arroganten Verhalten des Bediensteten und dem sehr unkonventionellen Auftreten von Mr. Bucket, der sich ungeniert und zu Mercurys erkennbarem Missfallen an dessen Schnupftabakvorrat bedient. Wie in Abschnitt 2.3.2. dieser Arbeit dargelegt wurde, wird bei Popularisierungen zum Zweck der Rezeptionserleichterung auch häufig auf Elemente einer experimentellen Ästhetik verzichtet. Für die BBCVerfilmung wurden in diesem Sinn Veränderungen an der Erzählweise vorgenommen. Bezüglich der Erzählweise in Dickens' Roman bemerkt Nicola Bradbury (1996b, xxii): The narrative is divided in a disconcerting way, alternating between the omniscient storyteller – giving and withholding information, playing the reader like a performer his audience – and Esther. She confides in the first person, with an air of naive 'directness', as an innocent orphaned child. Auch Lyn Pykett (2002, 135) deutet an, dass diese zwischen zwei Erzählern aufgeteilte Erzählweise dem Leser gewisse Schwierigkeiten bereitet: "[The device of the double narrative] requires readers constantly to shift their perspectives and to view the same events and situations through different value systems." Jeremy Hawthorn (1987, 60) ergänzt: "[The double narrative] causes him or her continually to 'reset' his or her attitutde to what is depicted." Im Falle der BBCVerfilmung wird dem Rezipienten das gesamte Geschehen signifikanterweise aus heterodiegetischer Perspektive präsentiert. Zudem entfällt eine Reihe dezidiert viktorianischer Elemente. In diesem Zusammenhang ist vor allem Dickens' satirische Behandlung des seiner Ansicht nach reformierungsbedürftigen viktorianischen Systems der Regierungsbildung sowie an der seiner Meinung nach nicht minder anachronistischen viktorianischen Rechtssprechung zu nennen. Dickens' Kritik an der viktorianischen Regierung – für ihn "an affair of interchangeable Coodles and Doodles, none of whom actually pilots the ship of state" (Schwarzbach 1990, 96) – der er im Verlauf des Romans mittels mehrerer satirischer Passagen Ausdruck verleiht (vgl. etwa BH 188ff. und 638f.), wird in der Adaption komplett ausgespart. Und obgleich der Court of Chancery, zur Entstehungszeit von Dickens' Roman ein Synonym für Ineffizienz und Säumnis (vgl. Bradbury 1996a, 990) und Vehikel von Dickens' Kritik an den überkommenen viktorianischen Strukturen, in der Verfilmung eine nicht minder bedeutende Rolle als im Roman spielt, ist Dickens' Kritik auch an dieser Einrichtung in der Verfilmung nicht mehr wahrnehmbar. Dies wird vor allem dadurch erreicht, dass der Case of Jarndyce 225 and Jarndyce – Dickens Fallstudie, anhand derer er die Ineffizienz des Court of Chancery veranschaulicht – in der Verfilmung als wesentlich transparenter und weniger komplex dargestellt wird. Im ersten Kapitel des Romans erfährt der Leser Folgendes über den Prozess: Jarndyce and Jarndyce drones on. This scarecrow of a suit has, in course of time, become so complicated, that no man alive knows what it means. The parties to it understand it least; but it has been observed that no two Chancery lawyers can talk about it for five minutes, without coming to a total disagreement as to all the premises (BH, 16). Erst im 62. Kapitel, als Mr Smallweed unter den Besitztümern seines verstorbenen Schwagers Krook eine neue Version des Testaments von John Jarndyce findet, scheinen sich plötzlich mit Hilfe dieser deus ex machinaLösung alle Verwicklungen des Prozesses zu entwirren (vgl. BH, 929). Dem Publikum der Adaption hingegen wird der Prozess von Anfang an als eine wesentlich unkompliziertere und weniger verworrene Angelegenheit präsentiert. Hier wird bereits in einer der ersten Szenen deutlich, dass das einzige Problem innerhalb dieses Prozesses die einander widersprechenden Testamente von John Jarndyce zu sein scheinen. Zu diesem Zweck wird die Romanvorlage um den folgenden Dialog zwischen dem Lord Chancellor und dem Rechtsanwalt Mr Tangle ergänzt: Chancellor: Now we come, not for the first time, to Jarndyce and Jarndyce. Yes, Mr. Tangle? Mr Tangle: As we know, my Lord, the problem with which we grapple in the case of Jarndyce and Jarndyce is that there are several wills and fragments of wills – all of them different, all of them conflicting (Episode 1). Zusätzlich nimmt Andrew Davies einige Vereindeutigungen an der Handlung des Romans vor. Ein Beispiel für diese Strategie der 'Vereindeutigung des Geschehens' findet sich bereits in einer der ersten Szenen der Verfilmung – in jener Szene, in der Lady Dedlock getreu der Romanvorlage die Handschrift ihres ehemaligen Geliebten Captain Hawdon auf einem von Tulkinghorns Dokumenten erkennt. In der Vorlage endet diese Szene mit einer leichten Unpässlichkeit Lady Dedlocks (vgl. BH, 27). Daraus wird in der Verfilmung ein weitaus dramatischerer Zusammenbruch, der sie schwankend zu Boden stürzen lässt. Wie sehr das visuelle Medium eine solche Vereindeutigung des Geschehens unterstützen kann, zeigt jene Szene, in der Krook durch spontaneous combustion zu Tode kommt. Dies geschieht im Roman offstage (vgl. BH, 519). In der Verfilmung hingegen werden sowohl Krooks Todeskampf als auch sein Tod sehr eindrucksvoll dargestellt: Krook (indisponiert, leicht panisch, trinkt aus einer Flasche, mal weinerlich, mal eher kreischend, an seine Katze Lady Jane gewandt vor sich hin brabbelnd): Jarnuss. Kengecarbuncle. Puppy. Guppy. She's his angel! First Miss Barbary. Second Miss Barbary, Captain... Captain Hawdon! All in here! All in here somewhere! (wedelt mit einem Stapel Papier, trinkt) Oh, it's good stuff. Ah, it's excellent stuff. A fire in me 226

[sic] belly. (schwer atmend). Never felt so... so full of joy. Eh, Lady Jane? (lacht) Oh, warm as toast now. Oi. Hold still! Damned twisty letters! What's it all...? (beginnt Brief zu entziffern) My own ... dearest James. It's Nemo and the lady. (triumphierend) It's a love letter. And I can read it. What's this? Lady Jane, I can read! I can read, I can read! (trinkt wieder) Oh! Oh, oh, that's warm. (schwer atmend) It's warmer than toast. It's warm as... As warm as... I say... (Rauch beginnt aufzusteigen, Krook atmet immer schwerer. Kamera auf Lady Jane, dann auf die Einrichtung von Krooks Laden, dann wieder auf die erschrocken blickende Katze, schließlich auf die Außenansicht von Krooks Haus, durch die Fenster wird der Zuschauer Zeuge einer Explosion im Ladeninneren) (Episode 7). Im weiteren Verlauf der Adaption findet sich eine Vielzahl von weiteren Beispielen für diese Popularisierungsstrategie der Vereindeutigung des Geschehens: Während Lady Dedlock ihre Magd Hortense in der Romanvorlage einfach stehen lässt und sich von Rosa nach Hause begleiten lässt (vgl. BH, 299), wird Hortense in der Verfilmung explizit entlassen: "You are no longer my maid. You are dismissed. Walk back to the house, collect your things, and go" (Episode 4). Und während Mr. Jarndyce in der Romanvorlage Esther per Brief fragt, ob sie sich eine Zukunft als "mistress of Bleak House" vorstellen könne (BH, 690), bringt er in der Adaption seinen Heiratsantrag persönlich vor und ergänzt die Wortwahl der Romanvorlage um eine für ein heutiges Publikum weniger missverständliche Formulierung: "Will you stay here as the mistress of Bleak House? As my wife? [...] I love you, Esther. Will you be my wife?" (Episode 10). Vereindeutigt wird auch der Konflikt zwischen Richard und Jarndyce. Das bevorstehende Zerwürfnis zwischen beiden zeichnet sich bereits deutlich früher als im Roman ab, nämlich in der dritten Episode der Verfilmung. Während Jarndyce sich im Originaltext zunächst äußerst wohlwollend bezüglich einer möglichen Verbindung zwischen seinen beiden Schützlingen äußert (vgl. BH, 212f.), spricht er sich in der Verfilmung bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt gegen eine Verlobung zwischen Richard und Ada aus (vgl. Episode 3). Dieser Konflikt zwischen Richard und Jarndyce wird in der Verfilmung in Episode 5 weiter ausgebaut, indem jene Szene aus dem Roman, in der Jarndyce Ada und Richard darum ersucht, ihre Verlobung zumindest vorübergehend aufzulösen, recht originalgetreu übernommen wird (vgl. BH, 389ff.). In der zwölften Episode findet sich dann wiederum eine Szene, die im Originaltext keine Entsprechung hat, die aber dazu beiträgt, die Differenzen zwischen Richard und Jarndyce zu unterstreichen. Diese Szene spielt sich bei der Feier von Adas 21. Geburtstag ab: Ada, Richard, Esther, Jarndyce und Woodcourt beim Essen. Der gesundheitlich schon erkennbar angeschlagene Richard stochert missmutig auf seinem Teller herum. Jarndyce (wohlwollend): "It's very good to be sitting down at the table with you again, Rick." 227

Richard (kühl): "I came because Ada particularly wanted me to, sir. I wouldn't have come for any other reason." Jarndyce: "Well, let's not dwell on our differences now." Richard: "I cannot help but dwell upon them, sir, when... (Ada legt ihm in der Absicht, ihn zu beruhigen, eine Hand auf den Arm.) No, I have to say it. When you stand between me and my rightful claim." Ada: "No, Richard." Richard (lauter werdend): "To what is mine." Ada: "Not now. Not tonight, please. For my sake?" Richard: "For your sake, then. I humbly beg your pardon, sir." Jarndyce (erleichtert): "Well... you're forgiven" (Episode 12). Veränderungen werden auch im vorliegenden Fall wieder an einigen Charakteren vorgenommen. Ein deutlich erkennbares update erfährt die Rolle der Esther. Michael Slaters (1983, 312) Einschätzung bezüglich einer Vielzahl von Dickens' weiblichen Charakteren, "Dickens's presentation of admirable wives does not rise much above the level of efficient housewifery with much emphasis on the creation of neatness and order, comfort and the provision of plenty of food", scheint Esther Summerson einzuschließen, die von Anny Sadrin (1992, 47) als "a model of obedience and submissiveness" bezeichnet wird. "[S]he has exasperated generations of readers", bemerkt Sadrin (1992, 48) weiter, und legt somit den Verdacht nahe, dass auch das Fernsehpublikum des 21. Jahrhunderts seine Probleme mit Dickens' Esther haben könnte – eine Befürchtung, die Andrew Davies bei der Abfassung seines Skripts teilte: To most modern readers, Esther's selfregarding, coy, and disingenuous presentation of self is distinctly offputting, I think. [...] I was determined that our Esther would be a bit more spirited [… T]he book does offer opportunities. Esther is a severely damaged child – she's been told, in so many words, that she's her mother's disgrace, and it would have been better if she had never been born. So she starts the story with a pretty low selfimage. But she quite quickly realises that she's useful, intelligent, practical, and has more common sense and judgement than most of those who surround her, even Jarndyce. So I worked on that – her sharp insights, her refusal to be taken in by the Skimpoles of this world, her quickness to see practical solutions, and spiced up her empathetic and loving nature with a bit of spikiness (Giddings n.d.5). Andrew Davies' Charakterisierung nähert sich erkennbar zeitgenössischen Vorstellungen von der Rolle der Frau an. Esther zeigt sich in der Verfilmung deutlich weniger gehorsam und devot als im Roman. Als eine der aussagekräftigsten Szenen in dieser Hinsicht kann jene betrachtet werden, in der Mr Jarndyce die Tochter des verstorbenen Schuldeneintreibers Mr Neckett, Charley, als Magd für Esther anstellt, ohne Esther zuvor von seinen diesbezüglichen Absichten in Kenntnis gesetzt zu haben. Im Roman gipfelt diese Szene in Esthers an Charley gerichtete Mahnung: 228

'O Charley dear, never forget who did all this!' 'No, miss, I never will. Nor Tom won't. Nor yet Emma. It was all you, miss.' 'I have known nothing of it. It was Mr Jarndyce, Charley' (BH, 386). Im Roman finden sich keinerlei Anzeichen dafür, dass Esther Jarndyces Eigenmächtigkeit missbilligen könnte. Im Gegenteil: Sie und Charley vergieβen Tränen der Freude und Rührung über dessen Groβzügigkeit. In der Verfilmung hingegen übt Esther harsche Kritik an Jarndyces eigenmächtigem Vorgehen: Esther: "I wish you had consulted me first." Jarndyce (erstaunt): "You don't think she's suitable?" Esther: "I'm sure she'll do very well. But is it kind to separate her from her little brother and sister? And what am I to do with a lady's maid? Ladies' maids are for the likes of Lady Dedlock, not for the likes of me. I never asked for a lady's maid, and nor would I feel myself comfortable with one" (Episode 5). Es finden sich in der Adaption noch zahlreiche weitere Szenen, in denen Esther deutlich energischer und resoluter auftritt als im Roman. So fühlt sich Esther in Dickens' Originaltext zwar von Mr Guppy, der ihr überall hin zu folgen scheint, belästigt, weiß sich aber nicht so recht gegen seine Avancen zur Wehr zu setzen (vgl. BH, 203). In der Verfilmung hingegen befiehlt sie Guppy, sich von ihr fern zu halten: Esther: "Mr Guppy, this must stop." Guppy: "I wouldn't want to cause you any distress." Esther: "Then stop. Please, Mr Guppy. You are wasting your time." Guppy: "If you say so. You will see me no more." Esther: "Thank you, Mr Guppy." (Episode 3). Ähnlich resolut begegnet sie Skimpole. Während sie im Roman zwar den Verdacht hegt, dass Skimpole seine Kindlichkeit und Naivität nur spielt (vgl. BH, 594), so scheut sie doch vor einer allzu deutlichen Konfrontation zurück (vgl. BH, 603). In der Verfilmung hingegen durchschaut sie Skimpoles vorgeblich kindliches, in Wirklichkeit aber höchst egoistisches und rücksichtsloses Schmarotzertum sofort. Bereits in jener Szene, in der Mr. Neckett Bleak House aufsucht, um Skimpoles Schulden einzutreiben, unterscheidet sich die Reaktion der Esther aus dem Roman deutlich von der der Esther aus der Verfilmung. Im Roman bemerkt die IchErzählerin: Richard and I looked at one another again. It was a most singular thing that the arrest was our embarrassment, and not Mr. Skimpole's. He observed us with a genial interest; but there seemed, if I may venture on such a contradiction, nothing selfish in it. He had entirely washed his hands of the difficulty, and it had become ours (BH, 95). In der Verfilmung dagegen nimmt Esther Richard auf die Seite, und es kommt zu folgendem Dialog zwischen beiden: Esther: "Why are we drawn into this?" 229

Richard: "He [Skimpole] feels a delicacy about applying to Mr Jarndyce. Done it too many times before, no doubt." Esther (ärgerlich): "He has no right." Richard: "I know. But what are we going to do?" Esther (denkt kurz nach): "I think we must pay the man, if we can" (Episode 1). Im weiteren Verlauf der Adaption kann sich Esther in Skimpoles Gegenwart kleinerer Seitenhiebe auf ihn und seinen unverantwortlichen Umgang mit Geld nicht enthalten (vgl. etwa Episoden 3 und 9). Auch in jener Szene, in der Esther Skimpole damit konfrontiert, Jarndyces Vertrauen missbraucht zu haben, als er Bucket gegen ein Bestechungsgeld den Aufenthaltsort des Straβenkehrers Joe verriet, wird sie Skimpole gegenüber wesentlich deutlicher als im Roman (vgl. BH, 932ff. und Episode 14). Im Umgang mit anderen Figuren zeigt sich Esther in der Verfilmung ebenfalls deutlich weniger zurückhaltend als im Roman – so etwa gegenüber Richards Anwalt Mr Vholes (Episode 9) oder gegenüber Mr Growler, dem Hausarzt von Mr Turveydrop, den dieser an Caddys Krankenbett geschickt hat, und den Esther eigenmächtig entlässt (Episode 12). Zahlreiche andere Charaktere aus Dickens' Roman, die dort eine Vielzahl von Charakteristika aufweisen, die sich zuweilen schwer miteinander vereinbaren lassen, erscheinen in der Verfilmung wesentlich kohärenter, da sie zumeist auf einen ihrer Charakterzüge festgelegt und somit desambiguiert werden. Von Mr Kenge erfährt der Leser des Romans über Mr Jarndyce, dass es sich bei ihm um einen "highly humane, but at the same time singular man" (BH, 34) handelt – eine Einschätzung, die die Lektüre des Romans bestätigt: Während Esthers ersten Zusammentreffens mit Jarndyce auf ihrer Reise nach Reading weisen sowohl Jarndyces äußeres Erscheinungsbild als auch dessen Verhalten durchaus exzentrische Züge auf (vgl. BH, 36ff.). Die IchErzählerin Esther dokumentiert zudem eine Erinnerung Adas und Richards: [T]heir cousin Jarndyce could never bear acknowledgments for any kindness he performed, and that, sooner than receive any, he would resort to the most singular expedients and evasions, or would even run away. Ada dimly remembered to have heard her mother tell, when she was a very little child, that he had once done her an act of uncommon generosity, and that on her going to his house to thank him, he happened to see her through a window coming to the door, and immediately escaped by the back gate, and was not heard of for three months (BH, 81). Diese im Text angelegte Exzentrik von John Jarndyce wird in der Verfilmung weitgehend ausgeblendet. Dort liegt der Fokus noch deutlicher als im Roman auf Jarndyces Rolle als gutmütigem, wohlwollendem Patriarchen. Gleiches gilt für Miss Flite, die im Roman an mehreren Stellen als "mad" charakterisiert wird (vgl. etwa BH, 47 und 570), und die laut Norman Page (1990, 69) ihre geistige Verrückung bereits im Namen trägt: "[Her] name 230 suggests 'flighty' in the sense of 'mentally unstable'", deren sehr sympathische und liebenswürdige Züge im Verlauf des Romans aber auch keineswegs zu übersehen sind, wie der heterodiegetische Erzähler festhält: "She uses some odd expressions, but is as cordial and full of heart as sanity itself can be – more so than it often is" (BH, 720f.). Die Verfilmung betont wiederum Miss Flites liebenswürdige und großmütterliche Züge und spart sämtliche Anspielungen auf ihre vermeintliche Verrücktheit, die sich im Roman finden, aus. Diese gravierende Veränderung an der Figur Miss Flite lässt sich zumindest teilweise mit ihrer Besetzung durch die Schauspielerin Pauline Collins erklären, die im britischen Fernsehen auf liebenswürdige und großmütterlichsympathische Rollen abonniert ist.105 Wie schon die Kino Verfilmungen von Great Expectations und icholas ickleby weist diese Adaption damit ein weiteres Beispiel dafür auf, wie sich Veränderungen an einer Figur aus deren Besetzung mit bestimmten Schauspielern bedingen können. Aufmerksamkeit verdient wiederum auch das Ende der Verfilmung: Während die Ich Erzählerin Esther den Roman mit einem kurzen Bericht darüber beschließt, was aus den Personen aus ihrem Umfeld sieben Jahre nach der eigentlichen Romanhandlung geworden ist, so endet die Verfilmung mit der obligatorischen Hochzeitsszene, die die Heirat von Esther und Allan Woodcourt zum Inhalt hat – ein Ereignis, das sich im Roman offstage ereignet. Bei dieser letzten Szene innerhalb der Verfilmung handelt es sich um eine Pantomime, die von einer heiteren Musik untermalt wird, die sich deutlich von den düsteren Klängen unterscheidet, die die übrigen Folgen der Verfilmung einleiteten und ausklingen ließen: Kinder, die weiße Bänder schwingen, laufen über eine Weise. Jarndyce führt Esther zu Woodcourt, Esther hält Woodcourt ihre Hand hin. Woodcourt küsst Esthers Hand, sie beginnen zu tanzen. George fordert seine Mutter, Mrs Rouncewell, zum Tanz auf, Bucket tanzt mit Miss Flite, Kamera wieder auf Esther und Woodcourt, die weiterhin tanzen, dann auf Caddy Jellyby, die ihr Baby im Arm hält, dann auf Kinder, die ihre weißen Bänder schwingen, dann auf weitere tanzende Paare. Ada und Jarndyce werden mit Adas Baby gezeigt, dann wieder tanzende Paare, u.a. eine recht fröhlich wirkende Ada, die mit Jarndyce tanzt. Plötzlich erblickt Esther Mr Skimpole unter den Anwesenden, der sich an einem Tisch gerade etwas zu essen nimmt. Skimpole wirkt zunächst etwas peinlich berührt, lächelt ihr dann aber zu. Esthers Lächeln verschwindet von ihrem Gesicht, sie will sich von Woodcourt losmachen, um energisch auf Skimpole zuzugehen. Woodcourt hält sie jedoch am Arm fest und zieht sie wieder zu sich. Sie küssen einander, schauen einander verliebt lächelnd an, küssen sich dann wieder. Abspann (Episode 15). Eine Vielzahl der in der Verfilmung auftretenden Figuren ist in der letzten Szene also versammelt – die junge Witwe Ada scheint ihre Trauer überwunden zu haben, und selbst Mr

105 Darauf wies mich Anita FernandezYoung von der Nottingham University Business School während des jährlichen Symposiums der Dickens Society am 19. August 2007 in Montreal hin. 231

Skimpoles Anwesenheit wird schließlich zumindest geduldet.106 Die Veränderungen, die am Romanende vorgenommen werden, schlieβen auch mit ein, dass die Narben, von denen Esther nach ihrer Erkrankung gezeichnet ist, plötzlich verschwinden. Während in der Verfilmung schon zuvor von Woodcourt angedeutet worden war, dass die Narben verblassen könnten (vgl. Episode 11), findet sich im Roman darauf kein Hinweis. Der Roman endet mit dem folgenden Dialog zwischen Esther und Woodcourt, dem sich entnehmen lässt, dass Esther auch sieben Jahre nach dem Ende des hauptsächlichen Romangeschehens noch immer von ihrer Erkrankung gezeichnet ist (BH, 989). Andrew Davies dagegen lässt die Narben auf Esthers Gesicht kurz vor ihrer Hochzeit verschwinden. Eine Braut mit einem von den Pocken gezeichneten Gesicht hätte die Romantik der Hochzeitsszene, die die Verfilmung beschließt, wohl zu stark beeinträchtigt. Das hier diskutierte populäre Potential der Verfilmung wurde im Fall der vorliegenden Verfilmung durch Marketingtechniken unterstützt – zumindest, was die Vermarktung der Serie in Großbritannien anbelangte.107 Die BBC legte großen Wert darauf, die Adaption im Stil einer soap opera zu vermarkten, und wich deshalb von der üblicherweise für Kostümdramen verwendeten Ausstrahlungsweise ab – sowohl, was den Sendeplatz, als auch, was die Länge der einzelnen Episoden anging. "There is a whole section of a popular television audience that may feel Sunday night classic adaptations are not for them", begründete Produzent Nigel Stafford Clark diese Abweichungen (BBC Press Release 2005). Die 15 Episoden, aus denen sich die Serie zusammensetzt, wurden somit statt sonntags donnerstags um 20 Uhr und freitags um 20.30 Uhr auf BBC1 ausgestrahlt – und zwar jeweils unmittelbar im Anschluss an die populäre soap opera East Enders – "to capture some of that audience, and also a younger audience than the usual classic serial audience", wie Andrew Davies erklärte (Giddings n.d.5). Zwar wurde die Serie am Donnerstag, den 27. Oktober 2005, mit einer einstündigen Folge begonnen, die darauffolgenden Episoden dauerten dann aber nur jeweils eine halbe Stunde. Nigel Stafford Clark bemerkt dazu: What you get in half an hour is a bit like how you feel watching an episode of 24 [minutes] [...]. You get that feeling of: 'Is it over already? I want to see the next episode!' That's exactly what we want, because with this the pace of it is fast and more akin to a contemporary show (BBC Press Release 2005).

106 Von Skimpole heißt es im Roman, Esther habe ihn seit dem Zusammentreffen, bei dem sie ihn des Vertrauensbruchs gegenüber Jarndyce bezichtigte, nicht wieder gesehen (vgl. BH, 935). 107 In den USA und in anderen Ländern wurde für die Ausstrahlung indes ein anderes Format gewählt: Der amerikanische Sender PBS, der zudem eher von einem eingeschränkteren Publikum genutzt wird, sendete die Serie in sechs Folgen. Die Auftakt und die Schlussepisode hatten eine Länge von jeweils zwei Stunden, die vier übrigen Folgen waren jeweils eine Stunde lang. Der australische Fernsehsender ABC strahlte die Adaption in acht Folgen von jeweils einer Stunde Länge aus. 232

4.2.7.3 Resümee Das wirklich Innovative der Serie besteht darin, wie sie ausgestrahlt und im Programm von BBC1 platziert wurde – in dreiβig statt sechzigminütigen Folgen und im Anschluss an die populäre Soap Opera East Enders. Die übrigen verwendeten Popularisierungsstrategien haben allesamt ihre Vorläufer in früheren Klassikerverfilmungen für das Medium Fernsehen, treten allerdings hier in starker Häufung auf. Das populäre Potential dürfte somit etwas höher einzustufen sein als das vorausgegangener Klassikerverfilmungen fürs Fernsehen. Zumindest nach quantitativen Maßstäben kann die Popularität der Serie in Großbritannien auch kaum bestritten werden: In terms of viewing figures figures, Bleak House began with an overnight average audience of 6.6 million for the onehour opening episode, peaking at 7.2 million and averaging 29% of the total available viewing audience, winning its timeslot. Ratings continued to average around the five to six million mark, with the serial sometimes winning its timeslot but on occasions being beaten into second place by programming on ITV1. Bleak House's highest ratings came for the sixth episode on November 11, which attracted an average of 6.91 million viewers and a 29.5% share of the audience. The penultimate episode, broadcast on Thursday December 15, gained an audience of 5.2 million, losing out to The Bill on ITV1 which gained 6.3 million viewers (Wikipedia n.d.2). Ob die Serie allerdings von einem jugendlichen Publikum als soap opera rezipiert wurde, scheint deshalb fraglich, da sie trotz ihrer zeitgemäβen Präsentationsform als Kostümdrama in viktoranischer Diktion gestaltet wurde, was die Unterschiede zu früheren Produktionen des Genres wiederum eher graduell erscheinen lässt. Wie sie insgesamt von jugendlichen Fernsehzuschauern aufgenommen wurde, die, wie oben ausgeführt, auch zum Zielpublikum des Drehbuchautors und Regisseurs gehörten, konnte nicht ermittelt werden. Am 7. August 2007 wurde mir per email von einer Mitarbeiterin der Abteilung 'BBC Information' auf eine entsprechende Anfrage hin mitgeteilt: Whilst reports would be carried on certain programmes after they had aired, this would be to see how many complaints or appreciations had been logged for the programme and if there were any outstanding issues that viewers has [sic] raised about the programme that could be addressed in future productions. This report would not, however, go into the issue of the age of the viewers and how it had been received amongst certain age groups. Popularisierend wirkte sich die Serie auch insofern aus, als sie eine verstärkte Nachfrage nach dem Roman bewirkte. Anfang November 2005 vermeldete BBC News (2005b), dass in den vorausgegangenen vier Wochen in Groβbritannien mehr als 5000 Exemplare des Romans abgesetzt worden waren, der Roman belegte damit Platz 46 der britischen Taschenbuch Bestsellerliste. Nach Angaben des OnlineHändlers amazon.co.uk stieg die Anzahl der 233

Bestellungen des Romans im Oktober 2005 um 290% (ebd.).

4.2.8 David Copperfield als 'Kurzklassiker' (Orion Books, 2007) Die Orion Publishing Group wurde 1991 gegründet. Wenig später erwarb sie den Verlag Weidenfeld & Nicholson "as the nucleus of a new, entrepreneurial publishing group. The W&N imprint, founded in 1949, was an established brand name with a consistent history of quality publishing" (Orion Publishing Group n.d.). Heute setzt sich das Programm der Orion Publishing Group aus Werken zusammen, die den Genres fiction, crime, science fiction/fantasy, children’s, nonfiction und biography angehören. Im Bereich fiction finden sich "worldwide bestsellers [...] such as Maeve Binchy, Ian Rankin, Harlan Coben, Michael Connelly and Kate Mosse [...] alongside our literary highflyers Colum McCann, Michael Collins, Carlos Ruis Zafón, Elmore Leonard, Boris Akunin and Bernhard Schlink" (Orion Publishing Group homepage). Zudem hat der Verlag die in den 1980er Jahren von Weidenfeld & Nicholson gegründete Klassikerserie Everyman Paperbacks im Programm, innerhalb derer Werke von Sophocles über William Shakespeare bis hin zu Charles Dickens aufgelegt wurden. Im Mai 2007 begann die Orion Publishing Group mit der Veröffentlichung einer neuen Serie von KlassikerAusgaben. Im Rahmen dieser Reihe erschienen zunächst sechs Romane der Weltliteratur in neuen, preiswerten TaschenbuchAusgaben: Anna Karenina, Vanity Fair, David Copperfield, The Mill on the Floss, Moby Dick und Wives and Daughters. Zum Zweck dieser Veröffentlichung waren die Originaltexte um jeweils 30 bis 40 Prozent ihres Inhalts gekürzt worden. Im September 2007 folgten Compact Editions von sechs weiteren Klassikern: Bleak House, Middlemarch, Jane Eyre, The Count of Monte Cristo, orth and South sowie The Portrait of a Lady. Liz Bury (2007) erläutert, wie innerhalb des Orion Verlagshauses die Idee zu diesem Projekt entstanden war: It all started with a lighthearted game of Orion staff challenging one another to confess to which of the classics of English literature they had never read. For Malcolm Edwards, Orion Group publisher and deputy c.e.o., the embarrassing omission was Middlemarch by George Eliot; for one of his colleagues […] it was Vanity Fair. What was more, "we realised that because the books were so long we never were going to read them," Edwards says. Gezielte Marktforschung, die mit Blick auf dieses Projekt durchgeführt wurde und die ermitteln sollte, "what people really thought about the classics" (Bury 2007), kam zu folgendem Ergebnis: [T]he classics were viewed as long, slow and repetitive. But there was a glimmer of hope: many respondents admitted to having an interest in the stories when they had come upon them in another way, like watching a TV adaptation or film that brought 234

alive the story and characters. The sales spike that follows adaptations was enough to persuade Orion that a slimmeddown version of the classics might be worth a try (ebd.). Malcolm Edwards, stellvertretender Chief Executive Officer des OrionVerlags, betont die PopularisierungsAbsicht hinter dem Projekt: He [Edwards] says: "With novels, there is a reaction that it's sacrilegious to think of touching them. They're not religious icons and they're not museum pieces, but they're in danger of becoming museum pieces." His counterargument runs that authors such as Dickens and Thackeray were writing an agreed number of words per week to contract and therefore "digress furiously" at times; while people who love Dickens and Thackeray love the digressions, these new, shortened editions are aimed at people who would never consider buying and reading an 800page novel. […] Orion's aim with this series is not to engage those who "continue to enjoy Dickens, Thackeray, Eliot, Tolstoy or whoever in the current editions", Edwards replies. "It's an attempt to reach people who would never otherwise have tried them because they're put off by the size of the books and the aura that surrounds them. What we're trying to do is open these books out to new readers (Bury 2007). Die compact editions entstanden ausschlieβlich durch Kürzungen der jeweiligen Originaltexte. Ergänzungen an den Texten wurden nicht vorgenommen. Hierin besteht ein wesentlicher Unterschied zu popularisierenden Adaptionen für Film und Fernsehen, im Fall derer die Popularisierung auch durch Ergänzungen bzw. Veränderungen erfolgt, die über bloβe Kürzungen hinausgehen. Ansonsten fanden jedoch ähnliche Popularisierungsstrategien Anwendung – "the series clearly looks to the habits formed by film and TV" (Mullan 2007). Durch die Kürzungen werden jeweils die Konturen dessen geschärft, was für den heutigen Leser noch Relevanz aufweist: "Herman Melville's MobyDick is pared down to an adventure story" (Mullan 2007), historische Details – "lengthy descriptions of whaling history and of whales" – entfallen ebenso wie "philosophical observations [and] a number of other digressions and reflections (Wilson 2007). Ähnliches gilt für die gekürzte Fassung von Leo Tolstois Anna Karenina. David Lister (2007) zitiert aus der Erläuterung "About this Compact Edition", die in den jeweiligen Ausgaben enthalten ist: Cuts […] "include some descriptions of society life in Moscow and Petersburg – overlong dialogue is reduced in the interests of narrative directness – while some minor characters are either eliminated or have a diminished emphasis. Philosophical and political sections of the novel are outlined rather than given at full length, and detailed descriptions, from characters' reactions to particular events, are cut back while retaining the essential spirit of the narration." Zudem wurden ca. 20 Nebenfiguren von insgesamt 140 Charakteren gestrichen (vgl. Mullan 2007). Aufgrund dieser Kürzungen liegt der Fokus der Compact Edition des Romans nun auf Amourösem – "the illstarred love affair of Anna and Vronsky, the marriage of Dolly and Stiva, and the coming together of Kitty and Levin" (Wilson 2007) – und damit auf einem 235

Themenbereich, der auch in popularisierenden Adaptionen für Film und Fernsehen häufig eine Betonung erfährt, wie die vorausgegangenen Fallstudien zeigten.

4.2.8.1 Zur Originalfassung des Romans David Copperfield ist der achte von fünfzehn Romanen in Dickens' Oeuvre und wurde zwischen Mai 1849 und November 1850 wiederum in monatlichen Fortsetzungen veröffentlicht. Der Roman bildet Dickens' erste durchgehende IchErzählung in Romanform und wurde von ihm im Stil einer fiktionalen Autobiographie verfasst. In der Forschung wird das Werk häufig auch als Bildungsroman klassifiziert. David Copperfield, Schriftsteller und IchErzähler, beginnt seine Erzählung im wahrsten Sinne des Wortes ab ovo – mit einem Rückblick auf seine eigene Geburt. Sein Vater, David Copperfield senior, war bereits sechs Monate zuvor verstorben. David verbringt seine ersten Lebensjahre glücklich in der Gesellschaft seiner liebenswerten, aber einfältigen leiblichen Mutter Clara Copperfield sowie deren Magd Clara Peggotty, die David schlicht Peggotty nennt und die als eine Art zweite Mutter für ihn fungiert, was dadurch verdeutlicht wird, dass beide Figuren den gleichen Vornamen haben. Während eines zweiwöchigen Aufenthalts in Yarmouth lernt David auch den Rest von Peggottys Familie kennen, allen voran ihren Bruder Daniel und dessen Nichte Emily, mit der David eine Art Sandkastenliebe verbindet. Als David sieben Jahre alt ist, heiratet seine Mutter Mr. Murdstone. Zwischen David und seinem Stiefvater herrscht vom ersten Moment an gegenseitige Antipathie, ebenso zwischen David und Mr. Murdstones Schwester Jane, die wenig später ebenfalls bei David und seiner Mutter einzieht. Mr. Murdstone lässt sich ungebeten Davids Erziehung angelegentlich sein und erteilt David Unterricht. Als David – nicht zuletzt aus Angst vor seinem Stiefvater – Murdstones Erwartungen nicht zufrieden stellen kann, verpasst ihm dieser eine Tracht Prügel, woraufhin ihm David die Hand blutig beiβt. Zur Strafe wird er in das Internat Salem House geschickt, das von dem gefühlskalten und skrupellosen Mr. Creakle geleitet wird. Dort freundet er sich mit seinem älteren Mitschüler und mit dem gleichaltrigen Thomas Traddles an. David fährt über die Ferien nach Hause und erfährt, dass seine Mutter einen zweiten Sohn zur Welt gebracht hat. Kaum ist er wieder nach Salem House zurückgekehrt, wird er erneut nach Hause beordert, da seine Mutter und ihr neugeborener Sohn verstorben sind. Mr Murdstone schickt David nicht zur Schule zurück, sondern zwingt ihn zur Arbeit in einer Londoner Fabrik, bei der er Teilhaber ist. Untergebracht wird David bei dem chronisch verschuldeten Mr. Micawber, der sich aber nicht von der Meinung abbringen lässt, dass das Schicksal noch Groβes für ihn bereithält, und 236 dessen Familie. Nach einem mehrmonatigen Aufenthalt im Schuldnergefängnis zieht Micwaber samt Familie nach Plymouth, David, der bei den Micawbers auch familiären Anschluss gefunden hatte, ist nun wieder auf sich selbst gestellt und beschlieβt, seiner von ihm als höchst demütigend empfundenen Beschäftigung in der Fabrik zu entfliehen und sich auf die Suche nach seiner einzigen ihm noch verbliebenen Verwandten, seiner Tante Betsey Trotwood, zu machen. Betsey Trotwood, die den leicht schwachsinnigen Mr. Dick beherbergt, erklärt sich dazu bereit, Davids Erziehung in die Hand zu nehmen. Sie schickt ihn auf eine Schule in Canterbury und quartiert ihn bei ihrem Anwalt Mr. Wickfield ein, mit dessen Tochter Agnes sich David platonisch anfreundet. David macht auch die Bekanntschaft des schmierigen, vorgeblich unterwürfigen Uriah Heep. Zwischenzeitlich verloben sich Davids Jugendliebe Little Emily und Daniel Peggottys Neffe Ham miteinander. David stattet ihnen zusammen mit seinem Schulfreund Steerforth, den er kurz zuvor wiedergetroffen hat, einen längeren Besuch ab. Steerforth verführt Emily und verschwindet gemeinsam mit ihr, hat jedoch nicht die Absicht, sie zu ehelichen. Ihr Ziehvater Daniel macht sich auf die Suche nach ihr. Später wandern beide gemeinsam nach Australien aus. Steerforth kommt durch ein Schiffsunglück zu Tode. David erhält eine Beschäftigung in einer Kanzlei und verliebt sich in die Tochter seines Arbeitgebers Mr. Spenlow, der zunächst gegen die Verbindung ist. Erst nach seinem plötzlichen Tod können und David heiraten. Dora erweist sich als denkbar unreif, so dass Spannungen in ihrem Zusammenleben mit David nicht ausbleiben. Von einer Fehlgeburt erholt sie sich nicht mehr und stirbt. Inzwischen hat sich Uriah Heep durch unlautere Machenschaften selbst zu Mr. Wickfields Partner befördert und macht Agnes – sehr zu Davids Missfallen – Avancen. Mr. Micawber arbeitet zunächst für ihn, trägt aber später erheblich zu seiner Entlarvung bei. Nach einem längeren Aufenthalt in der Schweiz macht er Agnes einen Heiratsantrag, den sie annimmt.

4.2.8.2 Das populäre Potential der gekürzten Version Wie häufig auch bei Adaptionen für Film und Fernsehen der Fall, wird in der gekürzten Fassung von David Copperfield auf eine rasche Abfolge von Ereignissen Wert gelegt. Das bedeutet, dass handlungsarme Passagen, in denen der IchErzähler über Begebenheiten in seinem Leben reflektiert, entfernt weden. Als Beispiel sei die folgende Passage aus dem 4. Kapitel zitiert. Sie steht in Zusammenhang mit dem endgültigen Zerwürfnis zwischen David und seinem Stiefvater Edward Murdstone, nachdem dieser David eine Tracht Prügel verabreicht hatte, deshalb von ihm in die Hand gebissen worden war und David daraufhin mit 237

Hausarrest bestrafte: The length of those five days I can convey no idea of to any one. They occupy the place of years in my remembrance. [The way in which I listened to all the incidents of the house that made themselves audible to me; the ringing of bells, the opening and shutting of doors, the murmuring of voices, the footsteps on the stairs; to any laughing, whistling, or singing, outside, which seemed more dismal than anything else to me in my solitude and disgrace – the uncertain pace of the hours, especially at night, when I would wake thinking it was morning, and find that the family were not yet gone to bed, and that all the length of night had yet to come – the depressed dreams and nightmares I had – the return of day, noon, afternoon, evening, when the boys played in the churchyard, and I watched them from a distance within the room, being ashamed to show myself at the window lest they should know I was a prisoner – the strange sensation of never hearing myself speak – the fleeting intervals of something like cheerfulness, which came with eating and drinking, and went away with it – the setting in of rain one evening, with a fresh smell, and its coming down faster and faster between me and the church, until it and gathering night seemed to quench me in gloom, and fear, and remorse – all this appears to have gone round and round for years instead of days, it is so vividly and strongly stamped on my remembrance.] On the last night of my restraint, I was awakened by hearing my [own] name spoken in a whisper (DC, 70).108 Zwar gilt für die Compact Edition von David Copperfield, was John Mullan (2007) für die gesamte Serie postuliert: "All the words on all the pages are still their authors'" – der gekürzte Text enthält keinerlei Paraphrasierungen oder direkte Umformulierungen. Auf der Homepage des OrionVerlags wird jedoch eine Leserin einer der gekürzten Ausagen zitiert, und die Äuβerung dieser Leserin bedarf einer Relativierung: "The language hasn't been altered so they still have the feeling of a classic" (Orion Publishing Group 2007). Ähnlich wie die Drehbuchautoren von Kostümdramen darum bemüht sind, die viktorianische Diktion der Dialoge beizubehalten, aber trotzdem deren Syntax vereinfachen, so werden in der Compact Edition von David Copperfield durch Kürzungen auf Satzebene syntaktische Vereinfachungen erreicht, wie die folgenden Beispiele veranschaulichen: School began in earnest next day. [A profound impression was made upon me,] I remember[, by] the roar of voices in the schoolroom suddenly becoming hushed as death when Mr Creakle entered [after breakfast,] and stood in the doorway looking [round] upon us like a giant in a storybook surveying his captives (DC, 99). Aus dem langen Originalsatz wird also der syntaktisch wesentlich schlankere Satz: "I remember the roar of voices in the schoolroon suddenly becoming hushed as death when Mr. Creakle entered and stood in the doorway looking upon us like a giant in a storybook surveying his captives." Ähnliches lässt sich an den folgenden Beispielen beobachten:

108 Die Zitate stammen aus einer ungekürzten Ausgabe, durch eckige Klammern wird jeweils verdeutlicht, welche Abschnitte, Sätze oder Satzteile in der gekürzten Fassung fehlen. 238

She [Pegotty] sat down by my side upon my little bed; and holding my hand, [and sometimes putting it to her lips, and sometimes smoothing it with hers, as she might have comforted my little brother,] told me, [in her way,] all that [she had to tell concerning what] had happened (DC, 142). Mrs Heep [gave him little trouble; for she not only] returned with the deed and [but] with the box in which [it was where] we found a banker’s book and some other papers […] (DC, 764).109 . Zudem werden übermäβig lange Sätze häufig um ihre Nebensätze erleichtert: My mother was sitting by the fire, [but poorly in health, and very low in spirits, looking at it through her tears, and desponding heavily about herself and the fatherless little stranger, who was already welcomed by some grosses of prophetic pins, in a drawer upstairs, to a world not at all excited on the subject of his arrival; my mother, I say, was sitting by the fire,] that bright, windy March afternoon, very timid and sad, and very doubtful of ever coming alive out of the trial that was before her, when [lifting her eyes as she dried them, to the window opposite,] she saw a strange lady coming up the garden” (DC, 15f.) […] [Arrived] at his house in Windsor Terrace [(which I noticed was shabby like himself, but also, like himself, made all the show it could),] he presented me to Mrs Micawber, a thin and faded lady [not at all young, who was sitting in the parlour (the first floor was altogether unfurnished, and the blinds were kept down to delude the neighbours),] with a baby at her breast (DC, 168). Anders als im Fall der gekürzten Ausgabe von Tolstois Anna Karenina, in der durch gezielte Kürzungen die Liebesgeschichten des Romans eine besondere Betonung erfahren, kann für die gekürzte Ausgabe von David Copperfield nicht behauptet werden, dass hier durch die Kürzungen ebenfalls bestimmte Themenbereiche besonders prominent würden. Dies dürfte jedoch auch mit der episodischen Anlage des als fiktionale Autobiographie firmierenden Romans zusammenhängen. Auffällig ist jedoch, dass – ähnlich wie in den meisten der zuvor analysierten Adaptionen für Film und Fernsehen – die Komik des Romans dezidiert beibehalten wird. Dies zeigt sich etwa in Kapitel 45. Gegenstand dieses Kapitels ist Annie Strongs Enthüllung, allen Verführungsversuchen ihres Cousins Jack Maldon tugendhaft widerstanden zu haben. Zeugen dieser Enthüllungen sind neben anderen auch Annie Strongs Mutter Mrs Markleham und David Copperfields Tante Betsy Trotwood, die Äuβerungen von Mrs Markleham mehrfach halblaut kommentiert: 'Really,' interrupted Mrs Markleham, 'if I have any discretion at all –'

109 In einigen wenigen Fällen entsteht durch solche Kürzungen sogar eine leichte Veränderung des Sinns. Im folgenden Beispiel besteht diese darin, dass ein Gegenstand in der gekürzten Version quasi den Besitzer wechselt – aus "my merchandize" wird "their merchandize": "It was a likely place to sell a jacket in; for the dealers in secondhand clothes were numerous, and were, generally speaking, on the lookout for customers at their shopdoors. But [as most of them had, hanging up among their stock, an officer's coat or two, epaulettes and all,] I was rendered timid by the costly nature of their [dealings, and walked about for a long time without offering my] merchandize [to any one] (DC, 193).

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('Which you haven't, you Marplot,' observed my aunt, in an indignant whisper.) […] 'A specimen of the thanks one gets,' cried Mrs Markleham, [in tears,] 'for taking care of one's family! I wish I was a Turk!' ('I wish you were, with all my heart – and in your native country!' said my aunt) (DC, 666 und 668). Diese Kommentare Betsy Trotwoods sind von Dickens bereits in der Originalfasung des Romans in Klammern gesetzt worden und für die eigentliche Handlung der Szene – Annies Enthüllungen – entbehrlich. Sie weisen jedoch erhebliches komisches Potential auf. Darin dürfte der ausschlaggebende Grund dafür liegen, dass sie in der gekürzten Version beibehalten werden. Generell kann festgestellt werden, dass die Ausführungen von humoristischen Figuren deutlich weniger gekürzt werden als die Äuβerungen mancher anderer Charaktere. Dies gilt etwa für die Figur Micawber: In der Umwegigkeit der Ausdrucksweise dieser Figur liegt ein gewisses komisches Potential, weshalb diese Umwegigkeit auch in der gekürzten Version mit nur geringfügigen Einschränkungen beibehalten wird: 'My dear young friend,' said Mr Micawber, 'I am [older than you;] a man of some experience in life[, and – and of some experience, in short, in difficulties, generally speaking.] At present, and until something turns up (which I am, I may say, hourly expecting), I have nothing to bestow but advice. Still my advise is so far worth taking, that – in short, that I have never taken it myself, and am the' – here Mr Micawber, who had been beaming [and smiling, all over his head and face,] up to the present moment, checked himself and frowned – 'the miserable wretch you behold. […] My other piece of advice, Copperfield,' said Mr Micawber, '[you know]. Annual income nineteen pounds, annual expenditure nineteen nineteen six, result happiness. Annual income twenty pounds, annual expenditure twenty pounds ought and six, result misery. The blossom is blighted, the leaf is withered, the god of day goes down upon the dreary scene, and – and in short you are for ever floored. As I am!' (DC, 185f.). Ähnliches trifft auf die Figur Mr Dick zu. Auch dieser Figur ist eine gewisse Langsamkeit und Umwegigkeit eigen, die sich hemmend auf den Handlungsverlauf auswirken. Dies wird aber dadurch ausgeglichen, dass sie diesen um komische Effekte ergänzen, weshalb auch die Äuβerungen des Mr Dick trotz ihrer Umwegigkeit nur geringfügig gekürzt werden, so etwa im folgenden Dialog zwischen Mr Dick und Betsy Trotwood. Dieser Dialog findet unmittelbar nach Davids Ankunft bei Betsy Trotwood statt: 'Now, here you see young David Copperfield, and the question I put to you is, what shall I do with him?' 'What shall you do with him?' said Mr Dick, feebly, scratching his head. 'Oh! do with him?' 'Yes,' said my aunt, with a grave look [and her forefinger held up.] 'Come! I want some very sound advice.' 240

'Why, if I was you,' said Mr Dick, [considering, and] looking vacantly at me, 'I should –' The contemplation of me seemed to inspire him with a sudden idea, and he added, briskly, 'I should wash him!' 'Janet,' said my aunt, turning round with quiet triumph, which I did not then understand, 'Mr Dick sets us all right. Heat the bath!' (DC, 204). Eine Vereindeutigung des Geschehens wird dadurch erzielt, dass Satzteile, die Uneindeutigkeit, Ungesichertes bzw. Unpräzises anzeigen, entfernt werden. Die folgenden Beispiele illustrieren dies: I heard that Mr Sharp and Mr Mell were both [supposed to be] wretchedly paid […] (DC, 98). […] I must say that the generosity of her championship of poor harmless Mr Dick, not only inspired my young breast with some selfish hope for myself, but warmed it unselfishly towards her. [I believe that] I began to know that there was something about my aunt, notwithstanding her many eccentricities and off humours, to be honored and trusted in (DC, 216). […] It was the night of a little party at the Doctor's, which was given on the occasion of Mr Jack Maldon's departure for India, whither he was going as a cadet[, or something of that kind:] Mr Wickfield having at length arranged the business (DC, 249). […] I said [something to the effect that] it was a lady whom I had seen before […] (DC, 722). Durch die Streichung der Phrasen "supposed to be", "I believe that", "or something of that kind", "something to the effect that" in diesen Beispielen erscheint das in den Sätzen Ausgesagte in der gekürzten Fassung ungleich eindeutiger und gesicherter als im Originaltext. Im Zuge dieser Vereindeutigung des Geschehens werden auch Textstellen, die vom Leser möglicherweise als widersprüchlich empfunden werden können, eliminiert, etwa in folgender Textpassage aus Kapitel 21, in der Mr Peggotty in direkter Rede wiedergibt, wie Little Em'ly auf Hams Ansinnen, sie zu heiraten, reagierte: 'What! Him!' says Em’ly. 'Him that I've know'd so intimate so many years, [and like so much!] Oh, Uncle! I never can have him. [He's such a good fellow!' I gives her a kiss, and] I says no more to her […]' (DC, 323). Hier entfallen Little Em'lys mit Bezug auf Ham geäuβerte Bemerkungen "and like so much" und "He's such a good fellow", die von einigen Lesern als schwer vereinbar mit ihrer Weigerung, Ham zu heiraten, empfunden werden könnten. Ähnlich wie in einigen der zuvor analysierten Verfilmungen werden durch gezielte Streichungen einzelne Figuren auf die Charaktereigenschaften festgelegt, die bei ihnen dominieren. Andere Charakteristika, die mit diesen möglicherweise schwer in Einklang zu bringen sind, werden entfernt. Am deutlichsten zeigt sich diese Technik im Fall des Mr Murdstone, der in der gekürzten Fassung des Romans durch ganz gezielte Aussparungen noch bösartiger erscheint als in der Originalfassung. Entfernt werden Textstellen, in denen 241 die gegenseitige Zuneigung zwischen Clara Copperfield und Murdstone zum Ausdruck kommt: ‘This is your doing, Peggotty [,you cruel thing]! said my mother, [‘I have no doubt at all about it.] How can you reconcile it to your conscience, I wonder, to prejudice my own boy against me[, or against anybody who is dear to me]? What do you mean by it, Peggotty?’ […] He drew her to him, whispered in her ear, [and kissed her] (DC, 56). […] We dined alone, we three together. [He seemed to be very fond of my mother – I am afraid I liked him none the better for that – and she was very fond of him] (DC, 56, Hervorhebung CS). Die Hersteller der compact editions bedienten sich nicht nur ähnlicher Popularisierungsstrategien wie die Produzenten einiger der hier analysierten Adaptionen für Film und Fernsehen, sie waren zusätzlich auch darum bemüht, den Verkauf der Ausgaben durch gezieltes Marketing zu unterstützen – angefangen bei der Covergestaltung, die sich von der Gestaltung herkömmlicher Klassikerausgaben im Taschenbuchformat unterscheidet. Während diese gewöhnlich von einem kolorierten Abdruck einer der OriginalIllustrationen des Romans geziert werden, bemerkt Rebecca Starford (2007) bezüglich der Gestaltung der compact editions: "[T]hey are attractive, dare I say sexy publications, with lustrous covers depicting appealing young men and women." Zudem löste die Reihe nicht nur bereits vor Veröffentlichung ein beachtliches Echo in der britischen, amerikanischen und australischen Presse aus, sie wurde auch von mehreren britischen Unternehmen beworben. So bemühte sich etwa die 2005 gegründete britische Webseite lovereading.co.uk, deren Ziel es ist, Bücherfreunden beratend zur Seite zu stehen, um die geplanten Veröffentlichungen. Liz Bury (2007) kündigte kurz vor Erscheinen der ersten sechs Titel an: Lovereading will be vigorously promoting the books in May as its Series of the Month, starting with an email to all its members to explain the concept behind the list; and there will be a feature on the website with extracts from the originals and the shortened versions, to show the difference between the two. "It will generally be the opening chapter or two, enough to whet the appetite," [Louise] Weir [director and co founder of lovereading.co.uk] says. Each title will also have its own webpage, with comments from Malcolm Edwards. […] In addition to promoting the first six titles, Lovereading will also be prepromoting the September six from May. Auch die britische BuchhandlungsKette Waterstones nahm sich der Produkte an: "Simon Robertson, the chain's fiction buyer for classics, says: '[…W]e are trialling Vanity Fair in our threefortwo and giving the others a high core rating, to see how customers react to them" (Bury 2007). Diese MarketingMaβnahmen, die die Veröffentlichung der ersten Titel der Reihe begleiteten, betrachtete Malcolm Edwards, Chief Executive Officer des OrionVerlags, als in der Zukunft noch ausbaufähig: "Ideally we'd have a big shelf in Tesco or Asda, but I'm 242 not necessarily expecting that on day one", zitiert ihn Liz Bury (2007).

4.2.8.3 Resümee Die hier analysierte Adaption wurde mit einer dezidierten Popularisierungsabsicht herausgegeben. Obgleich lediglich mit Streichungen operiert wurde und nicht wie in den analysierten Verfilmungen für Film und Fernsehen mit sonstigen Umgestaltungen und Ergänzungen, ist auffällig, dass im Rahmen dieser begrenzten Möglichkeiten doch eine Vielzahl derselben Popularisierungsstrategien verwendet wurden. Zudem wurde, was die Vermarktung der Buchreihe anbelangt, auch ein gewisser Aufwand betrieben. Neben der Tatsache, dass lediglich mit Kürzungen gearbeitet wurde, was sich eben doch leicht einschränkend auf die Möglichkeiten der Popularisierung auswirkt, wurde der Stoff nicht wie im Fall der Kino und Fernsehverfilmungen in ein breitenwirksameres Medium transponiert, sondern verblieb in seinem ursprünglichen Medium. Das populäre Potential diese Art der Popularisierung ist also deutlich geringer einzustufen als das der analysierten Verfilmungen. Im Zusammenhang mit dieser Veröffentlichung verdient eine weitere Reihe von Klassikeradaptionen in Schriftform Erwähnung, die seit 2008 in regelmäßigen Abständen von dem britischen Verlag Classical Comics herausgegeben werden. Es handelt sich hierbei um eine Serie von graphic novels, innerhalb derer bereits Adaptionen von William Shakespeare, Charlotte Brontë, Mary Shelley und eben Charles Dickens erschienen sind. Von Dickens liegen bis dato Adaptionen von A Christmas Carol und Great Expectations vor. Für 2010 sind weitere adaptierte Fassungen von Werken von Bram Stoker, Oscar Wilde und Emily Brontë zur Veröffentlichung vorgesehen. Auch im Fall dieser Reihe wird die hinter dem Projekt stehende Popularisierungsabsicht von den Herausgebern betont: And so the concept behind Classical Comics was born: to create exciting and engaging graphical novel versions of classical literature; to introduce new generations to the world of classic fiction; and to make the works of masters available and accessible to all. […] Ask 100 teenagers their opinion on Shakespeare, Dickens and Bronte [sic], and the vast majority will answer back with a number of variations on the word 'boring'; and that is the major hurdle to be overcome: turning 'boring' into 'cool'. […] If we can make Shakespeare look as exciting as Spiderman stories, then that would be cool (Classical Comics Press Release 2007). Ebenso deutlich formulieren die Herausgeber ihr Bemühen, sich von vorherigen Versuchen, klassische Literatur in ComicForm zu adaptieren, abzugrenzen: In our opinion, and that of readers we questioned, all of these predecessors lacked appeal for the modern audience; principally, they were missing the vital ingredient: excitement. […] Therefore we had to 'turn up the excitement volume' to compensate 243

for this and in order to draw today's reader into the story (Classical Comics Press Release 2007). Jede der graphic novels erscheint in mehreren Versionen, die jeweils dieselben Bilder verwenden, innerhalb derer die sprachliche Vereinfachung jedoch unterschiedlich stark ausgeprägt ist. ShakespeareAdaptionen sind in jeweils drei unterschiedlichen Varianten erhältlich: original text ("the full script"), plain text ("a plain English version of the full script") sowie quick text ("with shortened dialogue for young readers and for those people who want to understand the story quickly") (vgl. Classical Comics Press Release 2007). Die Texte der übrigen Autoren erscheinen ausschließlich in der original text sowie der quick textVariante – "because the language is much easier to start with" (ebd.). Um auch den amerikanischen Markt zu bedienen, sind die jeweiligen Varianten zusätzlich noch in Ausgaben erhältlich, deren Text dem amerikanischen Englisch angepasst ist. Am Beispiel von Adaptionen für andere Medien wurde bereits gezeigt, dass eine rasche Szenenabfolge als typisch für popularisierende Produktionen betrachtet werden kann. Darauf, dass die quick textVariante der graphic novelAdaption von Great Expectations eine solche schnelle Szenenabfolge garantiert, wird auf dem Cover explizit hingewiesen: "The full story in quick modern Englisch for a fastpaced read!" Die Unterschiede zwischen den original text sowie den quick textVarianten sind durchaus signifikant, wie ein Blick auf die ersten Seiten der Adaptionen von Great Expectations zeigt. Der erste Satz des Romans, der in der original textVersion wörtlich übernommen wird, lautet: "My father's family name being Pirrip, and my Christian [sic] name Philip, my infant tongue could make of both names nothing longer or more explicit than Pip. So, I called myself Pip" (GE, 3 und GE1, 7). In der quick textFassung wird daraus: "My name at birth was Philip Pirrip, but I couln't say that when I was young – so I called myself Pip" (GE2, 7). Durch die in unterschiedlichem Schwierigkeitsgrad gehaltenen Ausgaben sollen die Leser nach Auskunft der Herausgeber Schritt für Schritt an die Originaltexte herangeführt werden: "One version should lead the reader to the next, fuller version – until one could quote Shakespeare in its original context" (Classical Comics Press Release 2007). Die Popularisierungsabsicht ist hier klar erkennbar und wurde auch von den Herausgebern klar formuliert. Obgleich der Verlag die Veröffentlichung der Reihe mit einer Webseite begleitete (www.classicalcomics.com), auf der auch Pressematerial heruntergeladen werden kann, hat die Veröffentlichungsreihe bislang kein nennenswertes Medienecho ausgelöst, das dem im Umfeld der zuvor analysierten gekürzten Klassikeradaptionen des OrionVerlags entstandenen vergleichbar wäre. 244

4.2.9 Peter Ackroyds Dickens Nachdem bereits einige popularisierende Adaptionen von Dickens' Werk analysiert wurden, soll nun die Popularisierung der Biographie des Autors anhand einer Fallstudie in die Analyse einbezogen werden. Hierfür erscheint eine Reihe von Adaptionen geeignet, die Peter Ackroyd seit Beginn der 1990er Jahre für gleich mehrere unterschiedliche Medien verfasste. Ackroyd ist mit seinen Romanen und Biographien (etwa über T.S. Eliot, Thomas Morus, Ezra Pound, William Blake u.a.) dem Postmodernismus zuzurechnen.110 Im Jahr 1990 veröffentlichte Ackroyd unter dem Titel Dickens eine Biographie von knapp 1200 Seiten Länge. Der Feuilletonist Stephen Gill (1990, 111) urteilte kurz nach Erscheinen dieser Veröffentlichung im Times Literary Supplement: "Dickens is designed to reach a wide audience, but its scholarly pretensions clearly indicate that it is meant to supersede Edgar Johnson in every academic library." Wie der erste Teil dieses Kapitels zeigen wird, weist Ackroyds Text sowohl Stilelemente auf, die sich auch in populärkulturellen Texten finden. Dazu gehört etwa die starke, an populärkulturelle Genres gemahnende Präsenz eines heterodiegetischen Erzählers, der den Leser häufig direkt und indirekt anspricht und die Rezeption lenkt. Daneben arbeitet Ackroyd aber auch mit Elementen einer postmodernen Ästhetik. Prominentestes Beispiel hierfür sind die sieben Zwischenspiele, die Ackroyd in regelmäβigen Abständen den hauptsächlichen Kapiteln seines Textes beifügt und die seinen "daybyday account of Dickens's life" (Ackroyd 1990, 945) jeweils unterbrechen. Diese Zwischenspiele – "my first little attempt to get out of the form", wie Ackroyd betont (Gibson/Wolfreys 2000, 259) – heben sich deutlich vom übrigen Text ab. Sie sind wesentlich kürzer als die anderen Kapitel, mit römischen statt mit arabischen Zahlen gekennzeichnet, weisen ein deutlich gröβeres Schriftbild auf und sind stärker eingerückt. Inhatlich verarbeiten die Zwischenspiele auf einer Metaebene Themen aus den vorausgehenden Kapiteln, aber auch Motive, die in Ackroyds Text an unterschiedlichen Stellen immer wieder zur Sprache kommen und somit als für den gesamten Text bedeutsam betrachtet werden können. Ackroyd lässt in den Zwischenspielen vornehmlich Figuren aus Dickens' Oeuvre und seiner Biographie auftreten und miteinander interagieren und thematisiert seine eigene Arbeit als Biograph von Dickens – "in an interview with himself (it is not made clear who is doing the interviewing), or, at least one performed, performing version of the author's self [...] who is as much a performance as any other figure, and not

110 Zur Schwierigkeit, postmoderne Texte den Kategorien Hoch und Populärkultur zuzuordnen, vgl. Abschnitt 2.3.1. 245 necessarily the true Peter Ackroyd" (Gibson/Wolfreys 2000, 28).111 Diese Elemente dürften Lesern mit geringerem bzw. durchschnittlich hohem kulturellen Kapital Schwierigkeiten bereiten, zumal zu einer sinnvollen Rezeption eine recht detaillierte Kenntnis von Dickens' Oeuvre nötig ist.112 Diesem letzteren Teil seines anvisierten Publikums kam Ackroyd – der indes in einem Interview mit dem Literaturwissenschaftler Jeremy Gibson aus dem Jahr 1989 eine intendierte Breitenwirkung seiner Texte in ihrer Gesamtheit bestreitet113 – vier Jahre nach dem erstmaligen Erscheinen seiner DickensBiographie entgegen, indem er eine gekürzte Version dieses Werkes veröffentlichte. Diese zweite Version umfasst mit 579 Seiten ziemlich genau die Hälfte des Umfangs der Originalausgabe, beinhaltet aber nur etwa ein Drittel des ursprünglichen Textes, da ihren Lesern die Rezeption auch insoweit erleichtert wird, als für diese Veröffentlichung ein gröβeres und damit angenehmer zu lesendes Druckbild verwendet wurde. Die gekürzte Version aus dem Jahr 1994 wurde allein durch gezielte Entfernung bestimmter Textstellen gewonnen, nicht durch Zusammenfassungen oder Umformulierungen. Im zweiten Teil dieses Kapitels soll gezeigt werden, welche Themenbereiche Ackroyd aus der zweiten Version ausklammert, und inwiefern hier von einer Popularisierung gesprochen werden kann. In den darauffolgenden Jahren bearbeitete Ackroyd seinen Stoff auch für zahlreiche andere Medien. 2002 zeigte das zweite Programm der BBC eine Fernsehserie mit dem Titel Dickens, deren Drehbuch von Ackroyd verfasst wurde. Diese Fernsehserie umfasste drei Folgen von jeweils knapp 60 Minuten Länge, die im Mai 2002 an drei aufeinanderfolgenden Samstagabenden um 21 Uhr – also zur besten Sendezeit in Groβbritannien – auf BBC2 zu sehen war. Seit Ende der 1990er Jahre tourt der Schauspieler Simon Callow mit einer 'EinMann Show' um die Welt, die mit dem Titel The Mystery of Charles Dickens überschrieben ist und deren Skript aus Ackroyds Feder stammt. Im Jahr 2000 gastierte Callow damit im Comedy

111 Jeremy Gibson und Julian Wolfreys (2000, 24) geben zu bedenken, dass diese imaginativen Zwischenkapitel auch aus Ackroyds Not heraus entstanden sind, einen originellen Beitrag zur Erforschung eines Autors zu leisten, dessen Vita bereits in groβem Umfang dokumentiert ist "an author of whom there have been over thirty biographies published in slightly more than a century." 112 Vgl. dazu Gibsons und Wolfrey (2000, 16), die im Bezug auf Ackroyds belletristische Texte feststellen, dass sie sich eher dem literarisch besonders interessierten Leser zur Lektüre empfehlen: "Ackroyd's fiction will please readers who enjoy literary theory and literary puzzles." 113 "JG: [...] Do you think this philosophy important, to write a with a view to general, popular appreciation, i.e.: a nonélite audience. PA: No, no, I don't care, actually, who reads the books. JG: You don't write with any view to… PA: No, none at all. [...] I certainly wouldn't wish to characterize the readers" (Gibson/Wolfreys 2000, 234). 246

Theatre und im Albery Theatre in London, im März 2002 kehrte er in die britische Hauptstadt zurück, war aber zwischendurch auch in anderen Städten Groβbritanniens und der USA zu sehen. Ein Mitschnitt dieser Produktion ist auf DVD erhältlich. Alle diese Produkte enthalten popularisierende Elemente in unterschiedlichen Mengen und Gewichtungen. Diese Konstituenten sollen im folgenden Kapitel herausgearbeitet werden.

4.2.9.1 Populärkulturelle Elemente in Dickens (1990) Zunächst sollen die Elemente der Originalfassung der Biographie diskutiert werden, die vermuten lassen, dass Ackroyd schon bei der Abfassung dieser Fassung ein Breitenpublikum im Visier hatte. In diesem Zusammenhang ist Ackroyds Verwendung von Leerstellen zu nennen. Zum Gebrauch des Typus der 'spannungserzeugenden Leerstellen auf Handlungsebene' – der auch unter der Bezeichnung cliffhanger bekannten Technik, einen Erzählstrang abzubrechen und einen anderen aufzugreifen, nachdem sich Spannung gebildet hat – scheint Ackroyd von seinem biographischen Subjekt geradezu inspiriert worden zu sein.114 An zahlreichen Kapitelenden gibt Ackroyds Erzähler einen Ausblick in Dickens' nähere Zukunft, der jeweils beträchtlich zur Spannungssteigerung beiträgt und somit die Motivation des Rezipienten erhöhen dürfte, an dieser Stelle weiter zu lesen. Das erste Beispiel findet sich am Ende des siebten Kapitels: "Within a matter of months Dickens's life was to change in ways that he could not, even in the days of his childhood fantasies, possibly have imagined" (Ackroyd 1990, 183). Am Ende des neunten Kapitels heiβt es: "[F]our days later, an entirely unanticipated event changed everything" (Ackroyd 1990, 237). Kapitel 20 endet mit den Worten: Then, on the last night of the year, he [Dickens] held a country dance for the members of his amateur company at Devonshire Terrace. A party that heralded a year in which Dickens would be forced to endure much distress and many changes, the year in which all the bleakness of Bleak House seems to descend upon him (Ackroyd 1990, 645). Kapitel 22 klingt mit der Ankündigung des Erzählers aus: "He [Dickens] was ready to enter one of the most extraordinary periods of his own life" (Ackroyd 1990, 721). Ähnlich beschlieβt Ackroyds Erzähler auch Kapitel 25: "Yet he [Dickens] worked on amid 'the wreck', into the year that was to signal the end of his marriage and the start of a very different life" (Ackroyd 1990, 817).

114 Zu Dickens' Verwendung dieses Leerstellentypus' siehe Abschnitt 3.1.4. Vgl. hierzu auch die Einschätzung von Stephen Gill (1990, 911), der in Ackroyds Text den Versuch des Autors erkennt, "to conjure up Dickens by reference to his style." 247

Daneben finden sich in Ackroyds Text auch Beispiele für die Leerstellentechnik der Aussparung. Anders als etwa ein Romanautor wird Ackroyd in einigen Fällen geradezu zur Auslassung gezwungen, da seine Quellen mitunter Lücken aufweisen. In diesen Fällen versucht Ackroyds Erzähler, die Fantasie des Lesers so zu stimulieren, dass dieser selbst die Lücken füllen kann. Besonders im Bezug auf Dickens' Verhältnis zu Ellen Ternan ist die Quellenlage dürftig. Aufgrunddessen stellt es Ackroyds Erzähler im Zusammenhang mit diesem Themenbereich häufig der Fantasie des Lesers anheim, sich bestimmte, nicht dokumentierte Begebenheiten und Zustände auszumalen, so etwa in folgendem Auszug aus dem 28. Kapitel: Francisco Berger, who had met the Ternans when he was arranging the music for The Frozen Deep, often visited the new family residence; he remembered occasions when he met Dickens there, too, playing cards and singing duets with Ellen at the piano. Perhaps they sang together two popular songs of that time, Mendelssohn’s 'Fast, ah too fast fade the Roses of Pleasure' and John Barnett's 'I will gather the Rose' (Ackroyd 1990, 895, Hervorhebung CS). Der Leser wird an dieser Stelle den Titel insbesondere des ersten der beiden genannten Lieder zu Dickens' Verhältnis zu Ellen Ternan in Beziehung zu setzen, was ein leicht melancholisches Licht auf eben dieses Verhältnis wirft. Im Zusammenhang mit Ellen Ternan verwendet Ackroyds Erzähler die Aussparungstechnik noch häufiger, etwa im Zusammenhang mit Dickens' Überlegungen bezüglich einer möglichen zweiten Amerika Reise: [W]hen Dickens was not talking during each of the twohour sessions, he had time to think. Thinking of more readings. Thinking of a reading tour of America, although there was what he called a "private reason" for his regretting a long absence from England (Ackroyd 1990, 896). Auch im 27. Kapitel greift Ackroyd aufgrund der lückenhaften Quellenlage auf die Aussparungstechnik zurück. Sein Erzähler schildert hier in relativer Ausführlichkeit Streitigkeiten zwischen Dickens und der Familie seiner Ehefrau Catherine, die als Folge der Trennung von Dickens und Catherine sowie der Tatsache, dass Catherines Schwester Georgina weiter in Dickens' Haus lebte, entbrannten. In the meantime, Dickens was reading A Christmas Carol at St. Martin's Hall, followed on the next evening by The Chimes. Stories of familial harmony after discord. Peace. Good will upon earth. o record remains of his appearance or demeanour on these occasions (Ackroyd 1990, 861, meine Hervorhebung). Wiederum überlässt es Ackroyd der Fantasie des Lesers, sich Dickens' "appearance and demeanour on these occasions" auszumalen und die Leerstelle auf diese Weise zu füllen. Wie bereits gezeigt wurde, bemühte sich Dickens in seinen Romanen um ein enges 248

Autor/ErzählerLeserVerhältnis – eine Strategie, die einen beträchtlichen Beitrag zu seiner groβen Popularität bei zeitgenössischen Lesern leistete. Die Häufigkeit von Formen der direkten wie der indirekten Leseransprache in Ackroyds Dickens macht deutlich, dass der Aufbau eines ähnlich persönlichen Verhältnisses zu seinen Lesern auch ein Anliegen des Erzählers dieses biographischen Textes ist. Das fünfte Kapitel bietet ein Beispiel für Ackroyds Einsatz der direkten Leseransprache: The general impression of Dickens in these 'silent years', the period of incubation (you might say) between his eventful childhood and his no less eventful maturity, is of someone both ambitious and purposeful but as yet uncertain in which direction his ambitions were to be driven (Ackroyd 1990, 136, meine Hervorhebung). Ein Beispiel für die Formen der indirekten Leseransprache, die sich nach Gerhard Haefner (1981, 217) als Antworten auf vorhersehbare Leserreaktionen verstehen, findet sich im zehnten Kapitel. Ackroyd schildert an dieser Stelle am Beispiel von icholas ickleby die Reaktionen, die Dickens' Romane mitunter bei seiner Leserschaft auslösten: [T]he public confusion of fact and fiction is [...] exemplified by one young woman, who saw an illustration in a bookseller's window and rushed into her house screaming, "What DO you think? Nicholas has thrashed Squeers!" It is easy to laugh at the credulity of such readers, perhaps, but it is no different from the reaction of audiences to most television soap operas, where the activities of imagined people become as real as those of anyone actually living in the world (Ackroyd 1990, 273, zweite Hervorhebung von mir). Zusätzlich treten indirekte Leseransprachen bei Ackroyd häufig in Gestalt von rhetorischen Fragen auf. So etwa im 12. Kapitel. Hier diskutiert Ackroyd die unterschiedlichen Reaktionen, die der Tod der Figur Little Nell in The Old Curiosity Shop bei Dickens' Publikum auslöste. Die Frage, von der er annimmt, dass sie die Leser nach der Lektüre dieser Zeilen bewegt, formuliert und beantwortet er anschlieβend: But what was it about the death of Little Nell which provoked such a response – such a significant reaction, in fact, that one later critic described it as 'a movement in the history of modern sensibility?' […] Dickens was lamenting the death of a child when the deaths of children in ordinary life were quite familiar; in 1839, for example, almost half of the funerals in London were conducted for children under the age of ten, carried off by sickness or malnutrition (Ackroyd 1990, 338). Eine weitere Form der indirekten Leseransprache besteht darin, auf die mögliche Leserreaktion durch einen mit "of course" eingeleiteten Satz einzugehen. Ein Beispiel für Ackroyds Anwendung dieser Technik bietet folgender Auszug aus dem zehnten Kapitel. Hier reflektiert Ackroyds Erzähler: There is a deep resemblance always between a writer and his work [...]. It can be argued that the books helped to create Dickens's mature personality, strengthening and deepening its possibilities as he came to recognize what each time he had 249

achieved. Of course it is not to be imagined that each mood or feeling of Charles Dickens can be formulated and expounded in an analytical way (Ackroyd 1990, 246, meine Hervorhebung). Laut Gerhard Haefner (1981, 217) erfüllen Formen der indirekten Leseransprache mitunter auch die Funktion, einen Anschluss an die Lebenserfahrung des Lesers herzustellen und somit die Relevanz des Erzählten für den Leser zu betonen. Im Folgenden werden drei Beispiele angeführt, die erkennbar darauf abzielen, den Leser stärker in den Text zu involvieren, indem seine individuellen Erfahrungen bzw. Erinnerungen aktiviert werden. Am Anfang des sechsten Kapitels berichtet Ackroyds Erzähler über Maria Beadnell, Dickens' Jugendliebe: She was quite short – apparently her nickname at one time was "the pocket Venus" – darkhaired, darkeyed with that kind of slightly plump beauty which can so easily dissolve in later life, and, from all the available evidence, she was something of a flirt if not a coquette (Ackroyd 1990, 138, meine Hervorhebung). Kurz darauf thematisiert Ackroyd die Trennung des jugendlichen Paares und kommentiert: "It was a familiar story, but its familiarity does not render it any the less painful for the young men and women who experience it for the first time" (Ackroyd 1990, 151, meine Hervorhebung). Für die Annahme, dass dieser Kommentar auf die Lebenserfahrung des Lesers abzielt, spricht auch die Tatsache, dass vom Imperfekt ins Präsens gewechselt wird. In Kapitel 27 schildert Ackroyd das Scheitern von Dickens' Ehe. Dabei geht er auch auf die Rolle ein, die Georgina, die Schwester von Dickens' Ehefrau Catherine, in diesem Konflikt spielte. Georgina entschloss sich, bei Dickens und seinen Kindern zu verbleiben – eine Entscheidung, durch die sie sich den Unmut ihrer Familie zuzog: As a result her mother and her younger sister, Helen, turned upon her [Georgina]; she was still in the confidence of the great novelist, while they were repudiated and despised. Could it be from these feelings of jealousy that so much malice spread? It can happen in the best of families (Ackroyd 1990, 858, letzte Hervorhebung von mir). An anderen Stellen erweckt Ackroyds Erzähler den Eindruck, als wollte er seinen Leser – unter Verwendung des Personalpronomens der ersten Person Plural, 'we' – gewissermaβen an seinen biographischen Rekonstruktionen teilhaben lassen. Ein Beispiel für diese Form der Leseransprache findet sich bereits im ersten Kapitel. Hier kommentiert Ackroyds Erzähler Dickens' ambivalentes Verhältnis zur Institution Familie: [T]he conclusions of his novels tend […] to reinstate some idealised family group which can withstand change and the world. In Dickens's fiction that idealised family becomes an image both of social and religious life; so, by that strange alchemy of his genius, he turns private longings for a more ordered and stable life into a positive social force. Does it also come as a surprise, then, that he all but destroyed his own family, and that he was perpetually beset by the failures and weaknesses of his own 250

relatives? (Ackroyd 1990, 6). Mit den folgenden Worten wendet sich Ackroyds Erzähler wiederum an den Leser: "We must look for the origins of these compulsive, contradictory feelings in those closest to him" (ebd., meine Hervorhebung). Ein weiteres Beispiel für diese Form der indirekten Leseransprache findet sich auch in Kapitel 26. Ackroyd fasst einige zuvor genannte Charakteristika Ellen Ternans mit dem Satz zusammen: "So we are entitled to think of her as a somewhat nervous young woman" (Ackroyd 1990, 832, meine Hervorhebung). Es ist somit gezeigt worden, dass sich Ackroyd bereits in der Originalfassung seiner Biographie Strategien bedient, die auch in populärkulturellen Texten zu finden sind. Dazu zählen direkte und indirekte Leseransprache sowie der Einsatz von Leerstellen. Im Fall der Originalversion von Dickens kann jedoch nur von einer punktuellen Rezeptionserleichterung gesprochen werden, da sich trotz der von Ackroyd angewandten Techniken in der Biographie auch viele Textpassagen finden, die einer Vielzahl von Lesern Widerstände entgegensetzen dürften. Dadurch, dass in der gekürzten Version solche Textabschnitte entfallen, erhalten wiederum Textstellen, in denen die in diesem Kapitel beschriebenen Strategien verwendet werden, ein stärkeres Gewicht, wodurch sich ihre Wirkung zusätzlich verstärkt.

4.2.9.2 Dickens (1994) – Die gekürzte Version In den folgenden Abschnitten soll nun diskutiert werden, welche Arten von Textpassagen aus der gekürzten Fassung der Biographie, die erstmals 1994 aufgelegt wurde, entfernt wurden, und aus welchen Gründen diese Kürzungen vorgenommen wurden. In den vorausgegangenen theoretischen Kapiteln dieser Arbeit wurde bereits deutlich, dass historische Daten und Details im Zuge einer Popularisierung zumeist entfernt werden. So entfallen auch in der gekürzten Version von Ackroyds Dickens Textpassagen, in denen sich Hinweise auf die viktorianische Ära finden bzw. der zeitgeschichtliche Hintergrund, vor dem sich Dickens' Leben abspielte, thematisiert wird. Dazu gehören auch Textstellen, in denen Ackroyd Dickens' Leben vor dessen sozialem oder historischem Hintergrund betrachtet. Ein Beispiel für letztere findet sich zu Beginn des 18. Kapitels. Hier erwähnt Ackroyds Erzähler die Faszination, die ein Pariser Leichenschauhaus auf Dickens ausübte – "a typically French institution where the unidentified bodies of those recently found dead were put on display for the Parisian public at certain times of the day" (Ackroyd 1990, 545 und Ackroyd 1994, 288). Folgende analytische Passage fehlt in der gekürzten Fassung: He loved fires, […] and he loved all accounts of murders or of murderers. Of course in this he was truly a man of his age, since the midVictorians seem always to relish the theme of death, to revel in public executions and even to turn such ceremonies 251

into festivals. It was a way of dealing with the horror all around them and a way, too, of finding scapegoats or victims for a life which was getting progressively more difficult and darker but for which there seemed to be no responsible parties (ebd.). Kapitel 18 bietet ein weiteres Beispiel für Ackroyds Strategie, Geschichtliches gezielt aus der gekürzten Version auszuklammern. Hier hat Ackroyds Chronologie in der Originalversion das Jahr 1848 erreicht: "[T]his year marked a certain happiness and excitement in Dickens's life, now more than ever firmly planted in public affection and respect". Dieser Satz findet sich zwar auch in der gekürzten Version (vgl. Ackroyd 1994, 299), ein vorausgehender kurzer Einschub, der beschreibt, was das Jahr 1848 in politischer Hinsicht mit sich brachte, fehlt dort jedoch: 1848. A year of resolutions, too, which inspired and animated Dickens; the revolt of the Italians against their Australian rulers; the revolt of the Hungarians; the abdication of LouisPhilippe and the inauguration of the Second French Republic (Ackroyd 1990, 568). In Kapitel 31 klammert Ackroyd wiederum ein geschichtliches Datum aus der gekürzten Version aus. Dieses steht in keinem erkennbaren Zusammenhang mit der vorausgehenden Textpassage, die Dickens' angeschlagene Gesundheit zum Thema hat, und hält somit den Handlungsverlauf merklich auf, obgleich Ackroyd bemüht ist, beide Textpassagen miteinander zu verknüpfen: His general equanimity was not helped, either, by the sudden eruption of what became known as the 'Eyre controversy'. On 11 October a few hundred blacks attacked the Court House in Morant Bay, Jamaica, and Governor Eyre declared martial law, in the course of which 43 were shot or hanged while 600 were flogged. Eyre had feared a rebellion and had acted accordingly, but liberal opinion in England was incensed by his behaviour; as a result, he was suspended while a commission of inquiry visited Jamaica (Ackroyd 1990, 1025). Die gekürzte Version nimmt den Faden erst an der Stelle wieder auf, an der Dickens erneut im Zentrum steht: "And now, at the beginning of a new year, 1866, he [Dickens] decided, against the advice of friends, to embark upon another reading tour of England and Scotland in order to earn money" (Ackroyd 1990, 1026 und Ackroyd 1994, 507). Gemäβ der zuvor zitierten Einschätzung des Journalisten Stephen Gill, derzufolge sich Dickens einerseits an ein breites Publikum richtet, andererseits aber auch für den literarisch interessierten Leser von Interesse sein soll, trägt Ackroyds Dickens in der Originalfassung zuweilen auch stark literaturgeschichtliche Züge. Ackroyd thematisiert hier recht häufig das literarische Geschehen der viktorianischen Ära, verortet Dickens darin und macht deutlich, inwieweit andere Literaten derselben und früherer Epochen Dickens' Schaffen beeinflussten. Solche Passagen, die den Handlungsverlauf merklich aufhalten, 252 entfallen in der gekürzten Fassung zumeist. Im 15. Kapitel der Originalfassung etwa thematisiert Ackroyd das ästhetische Konzept der viktorianischen Ära sowie die literarischen Bedürfnisse der viktorianischen Leser und verortet Dickens im literarischen Geschehen seiner Zeit. In der gekürzten Fassung dagegen wird auf die folgenden Textstellen verzichtet: It is hard now to think of Dickens as in any sense a "realistic writer", however, and even some of his contemporaries had difficulties with the melodrama and grotesquerie which he imported from the stage into his fiction. Yet he was a child of his time and, if there is any one enduring aesthetic concept of the period, it is the belief in the social purpose or the social dimensions of art – particularly in the art of fiction which was described by one critic as "by far the most perfect representation of real life to be found in literature…" […] The old interest of the "silver fork" school of novelists, in aristocratic life, had come to an end. People wanted to see the world around them […]. Surely it is one of the most intriguing aspects of his fiction that Dickens, of all Victorians perhaps the most colourful and individual, should absent himself so remarkably from his creations; where Thackeray, for example, interrupts his narratives with his own point of view and with his own reflections, Dickens never actively enters his own plots (Ackroyd 1990, 489 und 491). Über seine Behandlung von Dickens' Romanen in der Originalfassung urteilt Ackroyd (1990, 943): "I'm [...] worried about certain passages of difficult writing which, significantly enough, tend to occur in my descriptions of the novels." In der gekürzten Fassung verzichtet er gröβtenteils auf Textpassagen, die sich interpretierend und analytisch mit Dickens' Romanen befassen. So entfällt eine Passage über Bleak House, in der Ackroyd den Roman in seinen literarischen, kulturellen und historischen Kontext einordnet: The book [Bleak House] was seen as part of its time, part of the ceaseless forgetful flow which was the experience of life. It was a book to be set alongside the other books published in this year – Matthew Arnold's Poems, Ruskin's second and third volumes of The Stones of Venice, Charlotte Yonge's The Heir or Radcliffe. Bleak House appeared in a year when the eighth edition of the Encyclopedia Britannica was first published, in which Verdi's Rigoletto was produced in London, in which Browning's Clombe's Birthday was staged, and in which Holman Hunt unveiled The Light of the World. It was the year in which Turkey and Russia went to War. Bleak House was part of that year, that world, and could not then be separated from it (Ackroyd 1990, 710). Deutlich erkennbar in der Originalfassung ist Ackroyds Bemühen, Dickens' einzelne Werke zueinander in Beziehung zu setzen. Dieses Bemühen zeigt sich zum einen in Textstellen, in denen sich Ackroyd zu Dickens' Gesamtwerk äuβert, zum anderen in den Textpassagen, in denen Ackroyd Romane miteinander vergleicht. Bezug auf das Gesamtwerk nimmt Ackroyd etwa im zehnten Kapitel, wenn er auf die Rolle der Frau in Dickens' Werk zu sprechen kommt: The females in his novels are characteristically very loose with their words; they rattle on regardless, their free flow quite different from the more ornate and measured 253

speech of the men. But there is a further distinction here. The men are rhetorical and sententious but they are at the same time often false; the women may be breathless and apparently random, but they are at the same time real. Dickens combines both qualities in his writing, just as he seems to combine the storytelling gift of his mother with the rhetorical richness of his father; perhaps that is why his novels, which seem so artless and natural, are so carefully constructed (Ackroyd 1990, 279). Noch häufiger finden sich in der Originalfassung Textstellen, in denen Ackroyd einen Roman von Dickens in die Reihe der übrigen Romane eingliedert, indem er hervorhebt, wodurch der betreffende Roman sich von den ihm vorausgegangenen unterscheidet. Über Dombey and Son erfährt der Leser der Originalausgabe beispielsweise: This novel has a sense of the numinous, is more profoundly touched by the sense of last things, than any of Dickens's previous novels. It is larger in conception, so that human life is seen in terms of its beginning and its end, so that grief and forgiveness become more powerful forces within it. It is a much more satisfactory work than any of its predecessors, not because of its "symbols" or its "complexity", but rather because Dickens is aware of its status as art and provides here a simulacrum of human life touched by majesty and purpose (Ackroyd 1990, 554). Diese Textstelle wird dem Leser der gekürzten Ausgabe ebenso vorenthalten wie vergleichbare Passagen über Bleak House (vgl. Ackroyd 1990, 711), Hard Times (vgl. Ackroyd 1990, 741) und Our Mutual Friend (vgl. Ackroyd 1990, 997f.). Auch Textpassagen, die in die im Folgenden beschriebene Kategorie fallen, fehlen in der gekürzten Fassung: Wenn sich in dem Ackroyd vorliegenden Material Lücken auftun, die es ihm nicht gestatten, sich verbindlich zu bestimmten Themen zu äuβern, greift er häufig auf Passagen aus Dickens' Romanen zurück, um diese Lücken zu füllen. "There is something which exists beyond the ordinary reaches of chronology; and it is to be found in Dickens's novels", bemerkt Ackroyd (1990, 667) zu dieser Methode. Ein Beispiel dafür bietet das letzte Kapitel, in dem Ackroyd Dickens' Verhältnis zu Ellen Ternan thematisiert: The nature of their relationship at this late date cannot now be ascertained, but it is reasonable enough to quote some words from The Mystery of Edwin Drood, words which he wrote this spring, words which concern the decision of Rosa Budd and Edwin Drood to take on the relations of brother and sister rather than affianced lovers. "The relations between them do not look wilfull, or capricious, or a failure, in such a light; they became elevated into something more selfdenying, honorable, affectionate and true" (Ackroyd 1990, 1124, meine Hervorhebung). Aber auch der umgekehrte Fall wird in der gekürzten Fassung vermieden. In der Originalfassung stellt Ackroyd häufig insofern eine Verbindung zwischen Dickens' Vita und seinem Werk her, als er deutlich macht, wie Dickens Ereignisse aus seinem Leben in seinen Romanen verarbeitete. Zu dieser Methode äuβert sich Ackroyd im sechsten Zwischenspiel: I was just so tired of conventional literary criticism, and so tired of the orthodox "life and work" divide in most biographies, that I wanted to find a new way to interanimate 254

the two at the same time as I wanted to discover a different way of describing the novels themselves. Now I know from my experience with novels that a great deal in a novel happens by chance: you see something, you hear something, you think of something, and then you put it in. I wanted to trace a similar process in Dickens (Ackroyd 1990, 942f.). Kapitel 15 bietet ein Beispiel für diese Technik. Hier befindet sich Dickens auf einer Europareise. Die nachfolgend zitierte Textstelle findet sich nicht in der gekürzten Fassung: [I]n the first months of his travels, he went only so far as Marseilles in order to meet his brother, Frederick, who was to join the family in Genoa. He was gone only for a few days, during the course of which he and his brother were forced to remain on the boat outside Nice in official quarantine for several hours – an incident which he later emebellished and used at the opening of Little Dorrit (Ackroyd 1990, 461, meine Hervorhebung). Was Dickens' literarisches Werk anbelangt, beschränkt sich Ackroyd in der gekürzten Fassung also auf einige wenige grundlegende Informationen. Interpretierende oder analysierende Passagen entfallen, ebenso Textstellen, in denen einzelne Werke zueinander in Beziehung gesetzt werden. Der Stellenwert von Dickens' Oeuvre ist somit in der gekürzten Fassung der Biographie deutlich geringer als in der Originalversion. Was die Thematisierung von Dickens' Schaffen in der gekürzten Fassung anbelangt, so ist zudem auffällig, dass Tätigkeiten, für die Dickens weitaus weniger bekannt ist als für seine Romane, in der gekürzten Fassung umgangen werden, so etwa Dickens' Aktivitäten als Dramatiker und Amateurschauspieler. So findet sich beispielsweise in Kapitel 13 der Originalausgabe eine Textpassage, die etwa eine Seite umfasst und über Dickens' Mitwirkung an den "theatricals of the Garrison Amateurs in Montreal" (Ackroyd 1990, 387) während seines ersten Amerika Aufenthalts berichtet. Diese Passage entfällt wiederum in der gekürzten Fassung. Ebenso nimmt die Beschreibung von Dickens' Arbeit an dem Drama The Frozen Deep, das er in Zusammenarbeit mit Wilkie Collins verfasste, in der Originalfassung der Biographie einen beträchtlichen Raum ein (vgl. Ackroyd 1990, 803ff.). In der gekürzten Fassung dagegen wird dieses Projekt nur am Rande erwähnt (vgl. Ackroyd 1994, 406 und 408f.). Ganz vermeiden lässt sich die Erwähnung dieses Dramas in der gekürzten Version deshalb nicht, da Dickens während seiner Arbeiten daran die junge Schauspielerin Ellen Ternan kennenlernte, die freilich auch in der gekürzten Fassung eine prominente Rolle spielt. Ansonsten entfallen Hinweise auf The Frozen Deep jedoch. Auch die bereits angesprochenen Zwischenspiele, die Ackroyd in der Originalfassung an mehreren Stellen einfügt, entfallen in der gekürzten Fassung. Um ihr dortiges Fehlen zu begründen, muss kurz auf ihre Platzierung und Funktion in der Originalfassung eingegangen werden. Gleich zu Beginn des ersten Zwischenspiels macht Ackroyd deutlich, dass die 255

Chronologie nun vorübergehend unterbrochen wird: "But what if it were possible, after all, for Charles Dickens to enter one of his novels? To bow his head and cross the threshold, into the world which he had created?" (Ackroyd 1990, 107). Somit grenzt Ackroyd die Zwischenspiele auch inhaltlich vom übrigen Text ab. Er setzt sie an Stellen ein, an denen die Chronologie einen Wendepunkt erreicht hat. Sie kündigen zumeist eine unmittelbar bevorstehende Veränderung in Dickens' Biographie an. So berichtet Ackroyd im ersten Zwischenspiel davon, dass John Dickens nach seiner Freilassung unverzüglich dafür sorgte, dass sein Sohn seine Tätigkeit in Warren’s Blacking Factory beenden und fortan eine Schule besuchen konnte, womit sozusagen die erste Voraussetzung für seine spätere Karriere geschaffen war: "My father was released, and all was well" (Ackroyd 1990, 108) lässt Ackroyd Dickens im ersten Interlude sagen und verweist somit auf einen bevorstehenden Wendepunkt in dessen Biographie. Das zweite Zwischenspiel setzt zu einem Zeitpunkt ein, als Dickens im Begriff ist, die Schwelle zum Erwachsensein zu überschreiten: "Dickens [...] came to maturity in an age of transition" (Ackroyd 1990, 322), Zwischenspiel III wird an einer Stelle eingefügt, als Dickens' Karriere an einem Wendepunkt angelangt ist – "the turningpoint of his career" (Ackroyd 1990, 449). Am Ende des 20. Kapitels, das dem vierten Zwischenspiel unmittelbar vorausgeht, hat Dickens ein veränderungsträchtiges Jahr vor sich – "a year in which Dickens would be forced to endure much distress and many changes, the year in which all the bleakness of Bleak House seems to descend upon him" (Ackroyd 1990, 645). Die Veränderung in Dickens' Leben, die das fünfte Zwischenspiel anzeigt, besteht in der drastischen Verschlechterung seines Gesundheitszustands. Am Ende des 24. Kapitels beschreibt Ackroyd Dickens' Zustand als "overworked", "depressed" und "weary" (Ackroyd 1990, 793). Ab Kapitel 25, das sich an das fünfte Zwischenspiel anschlieβt, steuert die Chronologie erkennbar auf das Ende von Dickens' Leben zu. Ackroyds Erzähler beginnt dieses Kapitel mit den Worten: "1856. A year before his life was irrevocably to change. Fourteen years before his death" (Ackroyd 1990, 797) – eine Thematik, die Ackroyd in den darauffolgenden Kapiteln immer wieder aufgreift (vgl. Ackroyd 1990, 934 und 1089). Das Ende des 29. Kapitel, das dem sechsten Zwischenspiel vorausgeht, thematisiert erneut die Veränderungen, von denen Dickens umgeben ist: "But with all the change around him, did he think now that he, too, was part of a vanished dispensation – that he, in this new city, was himself growing old?" (Ackroyd 1990, 940). Das letzte Zwischenspiel, das Ackroyd vor das letzte 'reguläre' Kapitel der Biographie geschaltet hat, verweist wiederum auf die Tatsache, dass sich Dickens' Leben seinem Ende nähert, wie die folgenden Zitate daraus zeigen: "now, at the end of his life" (Ackroyd 1990, 1114), "the end coming" (ebd., 1115) und "[i]t was his 256 last Christmas on earth" (ebd., 1117). Kapitel 34 endet mit der Äuβerung eines Gastes einer Silvesterparty: "I never saw him again" (ebd., 1118). Am Beispiel des ersten Zwischenspiels lässt sich exemplarisch zeigen, wie diese kurzen Kapitel jeweils Themen aus den vorausgehenden Kapiteln verarbeiten sowie Motive, die in Ackroyds Text an unterschiedlichen Stellen immer wieder zur Sprache kommen und somit als für den gesamten Text bedeutsam betrachtet werden können. Das gesamte erste Zwischenspiel spielt in der Marshalsea und greift somit die Thematik des vorausgegangenen Kapitels auf. Ackroyd lässt den erwachsenen Dickens hier in seinen eigenen Roman Little Dorrit eintreten und eine Unterhaltung mit den von ihm geschaffenen Figuren führen. Gegen Ende des Zwischenspiels illustriert Ackroyd ein weiteres Thema, dem er sich in den rein biographischen Kapiteln erst zu einem späteren Zeitpunkt widmet: Die Tatsache, dass eine Art Kontinuum zwischen Dickens' einzelnen Texten besteht, das die Grenzen zwischen ihnen zerflieβen lässt: There is always a sense in which he is preparing the ground for the next novel even while working upon the present one – an activity which gives some justification to G.K. Chesterton's view that there are not really distinct fictions but rather a continuing production of Dickensian stuff which is cut off into separate pieces and given separate names (Ackroyd 1990, 617). Ackroyd lässt gegen Ende des ersten Zwischenspiels Pip aus Great Expectations auftreten – "elegantly dressed and carrying a pair of lilac gloves in his left hand. 'Sir,' he said to William Dorrit. 'I have come to congratulate you on your great expectations. My name is –'" (Ackroyd 1990, 111). Für die Tatsache, dass diese Zwischenspiele in der gekürzten Fassung entfallen, lassen sich mehrere Gründe anführen. Sie verlangen dem Leser nicht nur eine kognitive Leistung ab, da er sie mit dem bereits Gelesenen in Beziehung setzen muss, zu ihrem Verständnis sind auβerdem literarische und literaturhistorische Kenntnisse notwendig. Um das erste Zwischenspiel richtig verstehen zu können, ist etwa die Kenntnis der Romane Little Dorrit und Great Expectations nötig, zum Verständnis der weiteren Zwischenspiele empfiehlt sich gar eine Kenntnis des Gesamtwerks, da Ackroyd mitunter eine Vielzahl von Dickens' Charakteren aus unterschiedlichen Romanen auftreten lässt, sowie der Hauptwerke bzw. ästhetischen Konzepte weiterer Schriftsteller, etwa Thomas Chatterton, T.S. Eliot und Oscar Wilde. Auch die Tatsache, dass Ackroyd in den Zwischenspielen auch literaturtheoretische Fragestellungen, wie etwa die Problematik von Epocheneinteilungen, diskutiert, legt nahe, dass diese eher auf Ackroyds mit hohem kulturellen Kapital ausgestattete Leser gemünzt sind. Hinzu kommt, dass in der gekürzten Ausgabe der 257

Hintergrund, dessen der Leser bedarf, um die Verbindungen zwischen den Zwischenspielen und den biographischen Kapiteln zu erkennen und somit Inhalt, Sinn und Funktion der Zwischenspiele richtig zu deuten, eben durch die Kürzungen nicht mehr im notwendigen Umfang vorhanden ist. Abschlieβend ist noch festzustellen, dass Ackroyd wiederum durch gezielte Streichungen in der gekürzten Fassung eine veränderte Charakterisierung des biographischen Subjekts herbeiführt: Ackroyd opens for the reader a view of a strange, undomesticated Dickens, estranging all familiar Dickens's in the process. There is the Dickens for instance who takes cold showers, combs his hair at public dinners, dresses in outrageously showy colours in the age of obligatory masculine black, and who reads, fresh from the pen, the brutal death of Nancy to his nearbedridden wife who is suffering one of her numerous and extremely debilitating bouts of postnatal depression. This is hardly Mr. Popular Sentiment (Gibson/Wolfreys 2000, 29). Die Ausführungen von Jeremy Gibson und Julian Wolfreys werden von Thomas M. Dischs (n.d.) Eindruck, den er aufgrund seiner Lektüre der Originalfassung von Dickens von dessen charakterlichen Qualitäten gewonnen hat, weitgehend bestätigt: Like many other famously beloved entertainers, Charles Dickens was something of a monster to his nearest and dearest. Having become England's most celebrated writer by the age of 29, he considered himself a force of nature and behaved accordingly. His parents embarrassed him so he buried them in a rural cottage. He went into frenzies of mourning for his teenage sisterinlaw and treated his wife like a brood mare. His manicdepressive moods were taken as holy writ by families and friends, who had to tiptoe around him or carouse according to his whim. Once, in a boisterous mood, he dragged a young woman into the sea "while she was wearing her new and only silk dress". He was allowed such behaviour because, by all accounts, he was irresistibly funny when he was in performance mood, which was most of the time. Manche Textpassagen in der Originalversion zeigen Dickens in einer geradezu menschenverachtenden Haltung. Ackroyd schildert einige Situationen, "that ought to give a pause to those who persist in believing that he was necessarily the epitome of all that was decent and benevolent in the previous century" (Ackroyd 1990, 572). Thema des 24. Kapitels ist u.a. Dickens' Kontaktaufnahme zu seiner inzwischen verheirateten Jugendliebe Maria Beadnell. Dickens verarbeitete seine erneute Begegnung mit ihr und die daraus resultierende Enttäuschung in Little Dorrit, indem er Maria Beadnell in der Figur Flora Finching ein wenig schmeichelhaftes Denkmal setzte. Ackroyd betont, dass Dickens noch nicht einmal durch den Schicksalsschlag, der seiner einstigen Jugendliebe mit dem Tod ihres neugeborenen Kindes widerfuhr, dazu bewogen werden konnte, ihr gegenüber Rücksichtnahme zu üben (vgl. Ackroyd 1990, 783). Diese Tatsache wird dem Leser der gekürzten Fassung verschwiegen. Ähnlich unzimperlich verfuhr Dickens auch mit seinem an Krebs erkrankten Schwiegersohn 258

Charles Collins (vgl. Ackroyd 1990, 1086f.), was der Leser der gekürzten Fassung ebenfalls nicht erfährt. Auch in anderen Kapiteln ist Ackroyd bemüht, Textstellen, die Zweifel an Dickens' charakterlichen Qualitäten aufkommen lassen könnten, zu streichen, so etwa einen Abschnitt, in dem Ackroyds Erzähler darlegt, wie Dickens mit seiner Ehefrau Catherine in den Jahren nach der Trennung verfuhr (vgl. Ackroyd 1990, 1046f.). Die NichtThematisierung von Dickens' fragwürdigen Charaktereigenschaften bzw. Verhaltensweisen in der gekürzten Fassung erklärt sich zum einen dadurch, dass diese recht wenig mit der im kollektiven Gedächtnis der britischen Bevölkerung verankerten Vorstellung von Dickens gemein haben dürften. Diese dürfte sich im Wesentlichen auf eine Annahme von Dickens' "deep humanity" (Cody n.d.) sowie auf seine Verdienste um die britischen Weihnachtsfeierlichkeiten stützen: "The fact is that, for those of us of British origin, Dickens more than anyone else revived the Christmas traditions which had nearly died out" (Allingham n.d.). Ein Abweichen von dieser Vorstellung würde sich nun erschwerend auf die Rezeption auswirken, während ein Eingehen darauf die Rezeption erleichtert. Wie Gerhard Haefner (1981, 116) darlegt, setzt "die Reproduktion von Normen und Vorstellungen, die von der Zielgruppe offensichtlich bereits akzeptiert worden sind, die Rezeptionsschwelle herab". Dieses Ergebnis fügt sich auch insofern in die Reihe der anderen von dieser Arbeit bereits hervorgebrachten Ergebnisse ein, als frühere Kapitel ergeben haben, dass bei Popularisierungen häufig eine Desambiguierung der Charaktere erfolgt bzw. eine Konzentration auf deren positive Charaktereigenschaften. Insgesamt lässt sich feststellen, dass dem Leser der gekürzten Ausgabe von Peter Ackroyds Dickens die Rezeption dadurch erleichtert wird, dass vor allem Textpassagen entfernt werden, die ihm ein gewisses Vorwissen abverlangen bzw. eine kognitive Leistung, die über das bloβe Verstehen und Verarbeiten von Informationen hinausgeht. Dass bestimmte Themenbereiche, von denen ausgegangen werden kann, dass sie für die Leser im späten 20. und frühen 21. Jahrhundert von besonderem Interesse sind, hervorgehoben bzw. besonders betont würden, wie dies für die zuvor analysierten Adaptionen für Film und Fernsehen und mit Einschränkungen auch für die gekürzte Fassung von David Copperfield konstatiert wurde, kann nicht festgestellt werden. Somit ist hier auch nur sehr eingeschränkt von einer Popularisierung zu sprechen. Auch diese Version wird wohl vornehmlich von einem literarisch bzw. an Dickens' Werk in besonderer Weise interessierten Personenkreis rezipiert werden.

259

4.2.9.3 Dickens (BBC, 2002) Im Mai 2002 strahlte BBC2 an drei aufeinanderfolgenden Samstagabenden zur britischen prime time (21 Uhr) die Serie Dickens aus. Das Drehbuch zu dieser Serie stammte aus der Feder von Peter Ackroyd. Mit Ackroyd selbst als einer Art Conférencier bzw. Moderator gestaltete sich die Serie als innovative mix of documentary and dramatic reconstruction […]. State of the art technology transports viewers to the heart of Victorian London as Peter Ackroyd visits key locations from Dickens's work and life – as they were in the author's day. Many of the locales, such as his homes, Gad's Hill Place in Kent and 48 Doughty Street in central London, are still standing, but for others, now long gone, technology allows Ackroyd to rediscover the streets and buildings that Dickens so evocatively conjured up in his works (Giddings n.d.2). Daneben besteht die Serie zu einem groβen Teil aus fingierten Interviews mit Dickens und einer Vielzahl von Personen aus seinem privaten und beruflichen Umfeld, die von mitunter recht prominenten Fernsehschauspielern verkörpert werden und sich als sogenannte talking heads präsentieren, wie sie aus dem Dokumentarfilmgenre bekannt sind.115

4.2.9.3.1 Das populäre Potential der Verfilmung Ein updating ist zwar im vorliegenden Fall nicht so deutlich zu erkennen wie im Fall einiger der zuvor besprochenen Adaptionen von Dickens' Romanen – etwa der Kino Verfilmung des Romans Great Expectations aus dem Jahr 1998, die die Handlung des Romans komplett in ein zeitgenössisches Setting versetzte – dennoch ist eine leichte Aktualisierung nicht zu übersehen. So lässt sich die Tatsache, dass die Serie wiederholt Bilder des heutigen England zeigt, als Versuch werten, beim Fernsehzuschauer repräsentionale Relevanz zu erzeugen. Das England der viktorianischen Epoche und das England des 21. Jahrhunderts scheinen häufig gleichsam ineinander über zu gehen: [Peter Ackroyd] crosses the frontiers of historic time with ease, appearing in modern Britain one minute and the next transferred by the "magic of television" (with a little help from computer graphics) to "Victorian" London. He's a Doctor Who, a Time Lord, a diachronic tourist (Giddings n.d.2, Hervorhebungen im Original). In diesem Zusammenhang ist auch das häufige Auftreten der talking heads zu erwähnen. Trotz der viktorianischen Diktion, derer sich diese in den meisten Fällen bedienen, stellen sie durch ihre bloße Anwesenheit den Bezug zu zeitgenössischen, populärkulturellen Fernsehproduktionen her. Diese Art der Gestaltung, wie William Gallagher (2002)

115 Dickens selbst wird dargestellt von Anton Lesser, seine Eltern von Timothy West und Prunella Scales, W.M. Thackeray von Geoffrey Palmer, John Forster von Kenneth Cranham, Dickens' Tochter Kate von Helen McCroy und Ellen Ternan von Natasha Little.

260 hervorhebt, "makes you feel close to the primary sources and by dramatising them it adds a peculiarly appealing docusoap feel to the programme. It is as if the people are speaking now, that Dickens is alive and vivid right this minute." Gallagher nennt hier den Begriff docu soap, ein hybrides Genre, das nach Darstellung von Richard Kilborn (2003, 12 und 87) Elemente aus den Genres soap opera, Dokumentarfilm und Talkshow in sich vereint: Docusoaps encapsulate many of the elements which broadcasters (and audiences) have come to regard as essential features of popular factual entertainment. They place high premium on audience accessibility; they make no bones about the fact that they are principally conceived as light entertainment vehicles, and last but not least they cleverly exploit the appeal of seeing 'reallife' individuals indulging in various types of performance activity, this time not in a contained, madeforTV environment but in the context of their everyday working situations (Kilborn 2003, 89). Kilborn (2003, 110) nennt als weitere typische Eigenschaften von Dokusoaps ihre Konzentration auf eine bestimmte Anzahl zentraler Charaktere, "with whom viewers are able to establish the same kind of relationship as they would with their favourite soap characters", ihre serielle Ausstrahlung sowie ihre Verwendung der gleichen "cliffhanger and leavetaking devices as are employed in fictional soap." Stella Bruzzi (2008, 139f.) erwähnt zusätzlich "the docusoap's fastpaced editing style, chopping together short sequences and alternating between a limited number of narrative strands per episode [as well as] its reliance upon stars and performers". Im Zusammenhang mit dem populären Potential der vorliegenden Produktion ist zunächst wieder die Gestaltung des Anfangs erwähnenswert. Ackroyd weicht hier in signifikanter Weise von der Gestaltung des Einstiegs in seiner DickensBiographie ab. Diese lässt er mit einem Prolog beginnen, in dem er Dickens' Ableben schildert, um dann konventionell im ersten Kapitel zu Dickens' Geburt überzugehen. Ansonsten wird die Chronologie der Ereignisse strikt eingehalten. Demgegenüber setzt die Fernsehserie weitaus actionreicher mit einem für Dickens prägenden Ereignis ein, das sich erst fünf Jahre vor seinem Tod ereignete. An den Anfang der Serie setzt Ackroyd eine Dramatisierung des Staplehurst Disasters, jenes Zugunglücks vom 9. Juni 1865, das zahlreiche Menschen das Leben kostete und bei dem Dickens, mutmaßlich in Begleitung von Ellen Ternan und ihrer Mutter, zugegen war (vgl. Ackroyd 1990, 1012ff.). Die erste Folge beginnt mit Bildern von Handwerkern, die sich an einem Gleis zu schaffen machen, anschlieβend zeigt die Kamera eine pittoreske Landschaft, durch die ein starken Rauch ausstoβender Zug fährt. Schlieβlich ist Ackroyds Stimme aus dem off zu hören: On the ninth of June 1865, Charles Dickens was returning from France on the train from Folkestone to London. (Kamera zeigt zunächst vom fahrenden Zug aus auf die 261

Gleise, dann das Innere des Abteils, in dem Dickens sitzt und eine Zeitung liest. Die gesamte Szene wird untermalt von den Geräuschen eines fahrenden Zuges.) […] He was in the company of two women, whose names were never disclosed to the public (Kameraschwenk von Dickens auf Ellen Ternan und ihre Mutter im selben Abteil). They were just two of the author's many secrets. (Kamera zeigt nun auf Augenzeugen.) Augenzeuge: […] We saw him stratting on deck with the young lady, who certainly wasn't his wife. (Ellen Ternans Gesicht in Groβaufnahme. Anschlieβend zeigt die Kamera wieder auf den fahrenden Zug, Musik nimmt an Spannung zu.) Ackroyd: There was some maintenance work on the line, and the rails had been torn up. The driver on the train knew nothing about the work on the track, the men on the track knew nothing about the train. It bore down upon the broken trails at 30 miles per hour. Handwerker (eine Fahne schwenkend, panisch): Hold the train, hold the train! Wieder Bilder vom fahrenden Zug, dann vom Inneren des Abteils, Groβaufnahme von Dickens' Gesicht mit sichtlich beunruhigtem Ausdruck, sein Oberkörper kippt vornüber. Anschlieβend zeigt die Kamera auf Ellen Ternan, die mit einem lauten Schrei ebenfalls nach vorne geschleudert wird.) Der Beginn der ersten Folge dieser Serie erinnert in seiner filmischen Gestaltung stark an den Anfang der bereits analysierten Verfilmungen von Martin Chuzzlewit und Bleak House. Generell scheinen Aufnahmen von Fahrzeugen in Bewegung ein beliebtes Mittel darzustellen, um eine Fernsehproduktion temporeich beginnen zu lassen. Für diese Annahme spricht auch der Beginn der dritten Folge. Auch zum Auftakt dieser Folge wird eine action und temporeiche Szene gewählt und Spannung erzeugt, indem ein Ereignis vorweggenommen wird, dass – streng chronologisch betrachtet – erst am Ende der dritten Folge behandelt werden müsste, nämlich Dickens' Tod. Und wieder spielt ein Fahrzeug in Bewegung eine nicht unwichtige Rolle: Groβaufnahme einer Hand, die einen Türklopfer betätigt. Anschlieβend setzt wieder spannende Musik ein, es wird gezeigt, wie sich eine Pferdekutsche in Bewegung setzt. Ackroyds Stimme ertönt aus dem off, dazu werden Aufnahmen von der fahrenden Kutsche gezeigt. Ackroyd: On Wednesday, the eighth of June, 1870, a young woman called Ellen Lawless Ternan made a journey by coach of some 25 miles from her house in Peckham to Charles Dickens' home, Gad's Hill Place, in Kent. Charles Dickens was dying. Ellen Ternan had been summoned to Gad's Hill by his family in order to comfort him at his deathbed. Aus der Tatsache, dass die junge Schauspielerin Ellen Ternan sowohl am Anfang der ersten als auch am Anfang der dritten Folge und somit an denkbar prominenten Stellen auftaucht, ist bereits ersichtlich, dass ihr bzw. Dickens' Verhältnis zu ihr in der gesamten Verfilmung eine beachtliche Rolle zukommt. In der Originalfassung von Ackroyds Biographie findet sich die erste Erwähnung ihres Namens erst im letzten Drittel, auf Seite 830 von insgesamt 1144. Im Vergleich zur Schriftfassung der Biographie wird Ellen Ternans 262

Präsenz in der Verfilmung also erkennbar ausgebaut, was auch der folgende Auszug aus der ersten Folge zeigt. Ellen Ternan taucht darin auf, obgleich an dieser Stelle die Chronologie der Ereignisse noch lange nicht den Zeitpunkt erreicht hat, an dem sie in Dickens' Leben trat. Ackroyd stellt hier – relativ unvermittelt – eine Verbindung her zwischen Dickens' Tätigkeit in Warren's Blacking Factory und dessen erst viele Jahre später beginnenden Verhältnis mit Ellen Ternan. Die Kamera zeigt das nächtliche London vom Ufer der Themse aus. Schlieβlich ist ein fahrender Zug zu sehen. Ackroyds Stimme in voiceover) From that time forward, Dickens's true self lay in reticence and in silence, in secrets. He had felt abandoned and would never talk of it. For the rest of his life, he was always searching for the one friend or companion who might return him to the peace and security of his childhood. (Kamera zeigt auf Ellen Ternan, wie sie Dickens im StaplehurstZug gegenübersitzt.) Bemerkenswert ist auch, dass Ackroyd in der Fernsehserie wie in der Schriftfassung seiner Biographie einerseits einräumt, dass keinerlei verbindliche Aussagen darüber gemacht werden könnten, wie genau diese Beziehung zwischen Dickens und der jungen Schauspielerin sich gestaltet habe – "In the absence of any letters the exact nature of Dickens‘ relationship with Ellen Ternan remains a mystery" – und auch andeutet, dass diese Beziehung möglicherweise nichtsexuell gewesen sein könnte – "but the frustrated romances of his later works suggest that she may have responded to his passion with detachment." Dies geschieht allerdings erst recht spät innerhalb der Verfimung, nämlich nach etwa der ersten Hälfte der dritten Folge. Andererseits scheint ihm doch daran gelegen zu sein zu suggerieren, bei der Beziehung zwischen Dickens und Ellen habe es sich um eine sexuelle und somit für ein Publikum des frühen 21. Jahrhunderts leichter nachvollziehbare Affäre gehandelt. Dies geschieht durch Ackroyds stets dunkle, ominöse Andeutungen in den früheren Folgen, von denen einige bereits zitiert wurden, denen sich aber auch Ackroyds Kommentar aus den Anfangsszenen der ersten Folge zuordnen lässt: "He [Charles Dickens] did not want his secret life with the young woman on the train to become a public scandal." In der zweiten Hälfte der dritten Folge lässt Ackroyd Dickens und Ellen Ternan zwar übereinstimmend die Unschuld ihrer Beziehung zueinander beteuern, lässt dies von den übrigen 'Zeitzeugen' jedoch nicht bestätigen. Im Gegenteil: Dickens' Tochter Kate berichtet anschlieβend von den Gerüchten, Dickens habe Ellen Ternan ein Kind gezeugt, das kurz nach der Geburt starb, während John Forster durch mysteriöse Andeutungen den Verdacht nährt, Dickens' Beziehung zu Ellen sei doch sexueller Natur gewesen: "Many secret confidences have been passed unto me, which I have kept sacred. I count it a wonderful thing that I acquired his trust. I am as proud of it today as I ever was." Die Tatsache, dass die Ellen TernanThematik 263 in der Verfilmung hochstilisiert wird, fügt sich insofern in die Reihe der Ergebnisse aus den übrigen case studies ein, als dort ebenfalls festgestellt wurde, dass Elemente aus den Themenbereichen Romantik und Erotik zumeist betont werden, um das auf dem Bildschirm Gezeigte für den Zuschauer repräsentional relevant zu machen. Desambiguiert und vereindeutigt werden einzelne Begebenheiten aus Dickens' Vita, die in der Serie filmisch umgesetzt werden. Über die Situation, durch die Catherine Dickens von der Existenz Ellen Ternans erfuhr, berichtet Ackroyd (1990, 853f.) in der Originalfassung – und auch in der gekürzten Version – seiner Biographie Folgendes: [Dickens] had given a piece of jewellery to Ellen Ternan. In some accounts Dickens presented her with a brooch which contained his portrait or his initials; in other accounts he gave her a bracelet. Whatever the item, such a gift would have been given to the young actress in the autumn of 1857. Reports differ again about the revelation to Catherine of this gift; in one, the brooch needed to be mended and the jeweller to whom it was sent, seeing the initial or the portrait of Charles Dickens, had returned it to Tavistock House. Georgina told Catherine, who then "mounted her husband with comb and brush". But in another account the jeweller informed Mrs Dickens that "her" bracelet was ready for collection and it was at this point that she discovered her husband's gift to the young actress. Die hier erwähnten Unsicherheiten entfallen in der Verfilmung. Catherine Dickens selbst berichtet dem Fernsehzuschauer von der hier dargelegten Begebenheit: A small parcel had come from Asprey's, addressed to Mrs Dickens. I opened it naturally and there was a bracelet. The name was picked out in saphires. But it was not Kate, it was Nelly. I had such a shock, I had to sit down. Eine Vereindeutigung bzw. Vereinfachung findet noch in anderer Hinsicht statt: Wie bereits gezeigt wurde, stellt Ackroyd in der Originalfassung der Biographie häufig Verbindungen zwischen Dickens' Vita und seinem Werk her. Dies geschieht einerseits dadurch, dass er darlegt, wie tatsächliche Begebenheiten Eingang in Dickens' Werk fanden, andererseits aber auch dadurch, dass er Lücken in seinen Quellen durch Auszüge aus Dickens' Werk zu füllen sucht. Dergleichen interpretierende Passagen entfallen in der gekürzten Fassung der Biographie zugunsten einer Beschränkung auf Belegtes und Dokumentiertes, wie ebenfalls gezeigt wurde. In der Verfilmung, die nach Einschätzung von William Gallagher (2002) die Grenzen zwischen Dickens' fiktionalen Texten, seinem wirklichen Leben "and also between Drama and biography" zerflieβen zu lassen, wird nun nicht wie in der gekürzten schriftlichen Fassung der Biographie vermieden, eine Verbindung zwischen Dickens' Vita und seinem Werk herzustellen. Eine solche Verbindung wird sehr wohl hergestellt, allerdings in stark vereinfachter und dem anderen Medium gerechter Form. Begebenheiten aus Dickens' Leben, von denen nach Ansicht des Drehbuchautors Ackroyd anzunehmen ist, dass sie Eingang in 264

Dickens' Werk fanden, werden mithilfe von Auszügen aus Romanverfilmungen illustriert. Dabei wird auf Diskursives oder gar Analytisches zumeist verzichtet, einer kurzen Erklärung der entsprechenden Begebenheit aus Dickens' Biographie folgt zumeist unmittelbar der passende Ausschnitt aus einer Romanverfilmung, so dass mitunter der Eindruck entsteht, als wäre der Filmausschnitt nicht Teil einer Verfilmung eines fiktiven Stoffes, sondern ein Mitschnitt der entsprechenden Begebenheit aus Dickens' Leben. Somit gehen Biographisches und Literarisches nahtlos ineinander über. Dies soll anhand des folgenden Beispiels aus der ersten Hälfte der zweiten Folge illustriert werden: (Ackroyd betritt durch ein schmiedeeisernes Tor einen Garten): "Dickens went under an assumed name to [William] Shaw's academy […]." Dickens (Einblendung als talking head): "I decided to pose as a friend of a widowed mother who wished to place a child in just such an establishment. I took the name of Hablot Browne, which was the name of my illustrator and met with this Mr William Shaw in whose academy that child had died. (Beginn der Einblendung einer Szene aus der Verfilmung von Nicholas Nickleby aus dem Jahr 2001. icholas sieht an seinem ersten Morgen in Dotheboys Hall zu, wie Squeers' Schüler mit Schwefel gefüttert werden. Groβaufnahme von seinem ungläubigen und schockierten Gesicht. Dazu Dickens' folgende Worte aus dem off.) I have never been more shaken in my life than when I saw those poor boys (Kamera auf die misshandelten Kinder), why they might as well have been in a prison (wieder Groβaufnahme von icholas' Gesicht). Sofern vorhanden werden für diese Strategie, die Robert Giddings scharf kritisiert116, Ausschnitte aus jüngeren Verfilmungen verwendet. Neben der bereits erwähnten icholas icklebyVerfilmung von Channel Four aus dem Jahr 2001 finden sich Auschnitte u.a. aus Oliver Twist (ITV, 1999), Martin Chuzzlewit (BBC, 1994), David Copperfield (BBC, 1998), Great Expectations (BBC, 1999) und Our Mutual Friend (BBC, 1999). Die Tatsache, dass in den allermeisten Fällen auf Verfilmungen zurückgegriffen wird, deren Erstausstrahlung erst verhältnismäβig kurze Zeit zurückliegt, ist signifikant. Es kann davon ausgegangen werden, dass ein Groβteil der Rezipienten der biographischen Serie auch eine Vielzahl der darin verarbeiteten Romanverfilmungen gesehen hat, so dass bei diesen Rezipienten durch das Erinnern an diese Verfilmungen diskursive Relevanz hergestellt werden kann. Auch an den in der Adaption auftretenden Charakteren werden Veränderungen vorgenommen. Viele der als talking heads auftretenden Figuren werden wiederum auf einige wenige Charakterzüge festgelegt, ähnlich wie dies auch für viele Adaptionen von Dickens' Romanen für Film und Fernsehen bereits festgestellt wurde. Robert Giddings (n.d.2) kritisiert

116 Vgl. Giddings (n.d.2): "[T]his is a serious flaw. Can British television costume drama be passed off as valid biographical or historical evidence? There is considerable difference between saying Dickens based this or that character on soandso, or this was inspired by such andsuch experience or location, and passing a television drama production of it as the thingitself. This is simply legerdemain."

265 im Bezug auf die Gestaltung der Hauptfigur Dickens in der Produktion: "He looks good, and is polite and considerate to his interlocutor – but shows none of that flashing, brighteyed demonic spirit we have all heard so much about." Es ist anzunehmen, dass eine Dramatisierung der exzentrischen Wesenszüge von Dickens einem zeitgenössischen Publikum eher befremdlich anmuten würde – wie bereits gezeigt wurden, wurden auch in der gekürzten Schriftfassung der Biographie im Unterschied zur Originalversion eher fragwürdige Charakteristika von Dickens nicht thematisiert. Auch die Figur William Makepeace Thackeray wird in der Verfilmung deutlich stromlinienförmiger dargestellt als es biographische Belege und historische Quellen rechtfertigen würden. In der Originalversion von Dickens thematisiert Ackroyd unterschiedliche, teilweise widersprüchliche Charaktereigenschaften von Thackeray und zeichnet die zahlreichen Höhen und Tiefen nach, denen die wechselvolle Beziehung zwischen den beiden Autoren Dickens und Thackeray unterworfen war. In Kaptitel 27 etwa thematisiert Ackroyd (1990, 873) Dickens' Trennung von seiner Frau: [I]t is even fair to say that he quarrelled with Thackeray precisely because he believed him to have been positively hostile in his attitude towards his domestic affairs. It is clear enough that Thackeray, as a "clubbable" gentleman, helped to spread the gossip about Dickens's problems. It was he who had mentioned the young actress at the Garrick, however innocently […]. But there was also a warmer and more charitable aspect of Thackeray's; he kept up his friendship with Catherine and, in fact, in the very heat of the controversy in June, he invited her and her son to dine with him. Zudem berichtet Ackroyd von einer letztendlichen Versöhnung zwischen Dickens und Thackeray (vgl. Ackroyd 1990, 975). Auch über Dickens' literarische Erzeugnisse äuβerte sich Thackeray keineswegs ausschlieβlich negativ. Seiner Einschätzung von Dickens' Qualitäten als Schriftsteller eignete nach Darstellung von Philip Collins (1971a, 38) eine gewisse Widersprüchlichkeit, und sie war auch abhängig von den Personen, denen er sie jeweils auseinandersetzte: A prolific reviewer and miscellaneous contributor to journals in his earlier years, he often commented on Dickens, usually with admiration. When he became a leading novelist he continued to write generously about him, though in private letters he was more candid about what he saw as Dickens's defects. In der Verfilmung dagegen präsentiert sich Thackeray durchweg zynisch und versnobbt. Als exemplarisch hierfür kann seine im Folgenden zitierte Äuβerung zu Beginn der zweiten Folge betrachtet werden: "I did not know Mrs Dickens in her younger days. She came from a literary family I believe, or at least one which Dickens considered to be literate. It is a pity I did not meet her then. I would have been able to warn her." Ähnlich negativ fallen in der Verfilmung Thackerays Beurteilungen von Dickens' Werk aus: 266

Whenever I encounter a young woman in one of Dickens's novels I always fear the worst for her. If she is not dead by the penultimate chapter, she is forced to emigrate. […] Dear me, he made quite a career of dying children. On his word of command, everyone in England brought out their pocket handkerchiefs. […] I have to admit I was impressed by his acting. I suggested to him that he gave up writing altogether. He laughed, of course, but I was serious. Wie Robert Giddings (n.d.2) betont, handelt es sich bei dem Bild, dass die Fernsehproduktion von Thackeray vermittelt, um eine stark simplifizierte Sichtweise: William Makepeace Thackeray is here given to rather snide and sneering comments, ever ready to jeer at Dickens's lack of "class". This was true, to a limited extent, but elsewhere Thackeray generously called him "a divine genius" and spoke of him "with awe and reverence" and had many warm and positive things to say about Dickens. These get no mention here (Hervorhebungen im Original). Ähnliches bemerkt Giddings (n.d.2) in Bezug auf die Dramatisierung der Figur John Forster: John Forster, Dickens's loyal friend, confidant and biographer, was notoriously touchy, insensitive, bullying, opinionated, tactless and rude (and was the original of the immortal Podsnap). Yet, played here by Kenneth Cranham, he is thoughtful, gentle and reflective, who thinks carefully before he speaks. Mitunter nimmt Ackroyd zudem auch leichte Veränderungen an den biographischen Fakten vor, um so die Dramatik des Dargestellten zu verstärken. Ein Beispiel für diese Technik findet sich gegen Ende der dritten Folge. Hier werden in einer mehrminütigen Sequenz Dickens' öffentliche Lesungen thematisiert, die zu einem Zeitpunkt stattfanden, als Dickens gesundheitlich bereits stark angeschlagen war. Im Mittelpunkt dieser Sequenz steht eine Dramatisierung der Lesung über die Ermordung Nancys aus Oliver Twist. Die Anstrengungen physischer und aufgrund ihrer Brutalität auch psychischer Natur, die diese Lesung Dickens bei ihrer Aufführung kostete, beschleunigte nach Meinung zahlreicher seiner Zeitgenossen sein Ableben. Die Dramatisierung dieser Lesung wird in der BBCSerie mehrfach unterbrochen durch Einblendung von Ellen Ternan und John Forster als talking heads. Nun berichtet Ackroyd in der originalen Schriftfassung der Biographie zwar davon, dass Ellen Ternan bei mindestens einer von Dickens' letzten Lesungen zugegen war (vgl. Ackroyd 1990, 1123), nicht aber, dass sie versucht haben soll, aus Angst um Dickens' Gesundheit einen vorzeitigen Abbruch dieser Lesung herbeizuführen. Diese Aufgabe fällt ihr jedoch in der Fernsehserie zu. Während der Dramatisierung der Lesung zeigt die Kamera immer wieder auf die in der Nähe des roten Bühnenvorhangs stehende Frau. Als die Lesung mit Bill Sikes' Mord an Nancy ihren Höhepunkt erreicht, ist zu sehen, wie sie jemandem, der nicht sichtbar ist, zuflüstert: "Get him off the stage or he will die before them all!" Der Dramatik der Szene – wohl unabsichtlich – abträglich ist indes, dass Anton Lesser als 267

Dickens während der Lesung recht agil und dynamisch und kaum angeschlagen oder gar gebrechlich wirkt. Auch die Erzeugung von dramatischer Spannung scheint ein Anliegen der Produzenten der Serie zu sein. Das Ende der ersten Folge ist erkennbar der cliffhanger Technik verpflichtet: Ackroyd (in der Abendddämmerung durch Londoner Straβen streifend): "In his twenties, Dickens set out to conquer America. He had already begun to create the family of comic characters that would make him famous all over the world. He would start his own family, too, but it was touched by a tragedy which would haunt Dickens for the rest of his life." Auch das Ende der zweiten Folge lässt das Bemühen erkennen, Spannung auf den dritten Teil der Serie zu erzeugen: Abspann, darüber Ackroyds Stimme: The following year he would meet a young woman who would tear his whole life apart. Während auf der linken Seite des Bildes der Abspann weiterläuft, erscheint auf der rechten Seite Ellen Ternan. Dickens Stimme ist zu hören, schlieβlich erscheint er rechts im Bild, einen Ausschnitt aus einer seiner Lesungen vortragend. Dickens: I am under the influence of some tremendous attraction which I have resisted in vain, which overmasters me. You could draw me to anything I have most avoided, you could draw me to any exposure and disgrace. (Kamera schwenkt noch einmal auf Ellen Ternan.) Auch bezüglich der Vermarktung der Serie bediente sich die BBC Strategien, die auch im Fall von populärkulturellen Produktionen Anwendung finden. So erschien schon einige Monate vor der Ausstrahlung der Serie eine Neuauflage der gekürzten Fassung von Ackroyds Biographie als Taschenbuch, deren Cover den Vermerk "Now a Major BBC Series" trug. Wenig später gab die BBC unter dem Titel Dickens. Public Life and Private Passion einen schmalen BegleitBildband zur Serie heraus. Zusätzlich wurde zur Ausstrahlung eine Webseite geschaltet, die allerdings recht bald nach Serienende wieder aus dem InternetAngebot der BBC entfernt wurde. Am Ende der ersten Folge der Serie wurden die Fernsehzuschauer zu einem LiveChat mit Peter Ackroyd auf dieser Seite eingeladen. Zum Angebot dieser speziell zur Ausstrahlung der Serie eingerichteten Webseite gehörte auch ein interaktives Spiel – "the Dickens Game which takes you on a tour of Victorian London..." (Giddings n.d.2). Auf der Webseite selbst hieβ es ferner: If you missed the 'Dickens' TV series on BBC Two, you can still learn about the great man himself online. Read on for a live chat with Peter Ackroyd, the secrets from our Dickens expert and the change to see if you can survive Dickensian London. […] Dare you take a tour of Dickensian London? Play the game and you could end up meeting Mr. Pickwick, Mr. Micawber or pickpocketing for Fagin. […] Dickens's performances of readings from his novels were a phenomenon. Watch the video as actor Anton Lesser terrifies as Sikes, and brings to life Dickens's London, "A 268

Christmas Carol" and "The Pickwick Papers". […] Take the quiz and then see if you need to find out more about the author and his fight for the poor. If you still want to know more, see if you're [sic] question has been answered by our expert (z.n. Giddings n.d.2). Giddings (n.d.2) betont den innovativen Charakter dieser Vielfalt an MarketingAktivitäten: This time the BBC has thrown the book at us, in more senses than one, as we not only get the usual merchandize of audio and video tapes, books and other apparatus of the global market, but are invited to be interactive.

4.2.9.3.2 Resümee Die Analyse von Ackroyds Adaption seiner Biographie Dickens für das Medium Fernsehen hat ergeben, dass hier eine Vielzahl von Popularisierungsstrategien verwendet wurde, die auch für Romanverfilmungen eingesetzt werden: Drehbuchautor Ackroyd war hier um einen tempo und actionreichen Einstieg bemüht, hob mit der Beziehung zwischen Dickens und Ellen Ternan einen Themenbereich hervor, der auch in der Mehrzahl von Romanverfilmungen eine Betonung erfährt, nahm starke Vereindeutigungen an der Vorlage vor, war im Fall der Gestaltung der Charaktere um Stringenz bemüht und steigerte die Dramatik bzw. dramatische Spannung einzelner Begebenheiten aus Dickens' Leben. Auch knüpfte Ackroyd, in ähnlicher Art und Weise, wie Romanverfilmungen punktuell auf populäre Genres Bezug nehmen, etwa auf die romantic comedy, die situation comedy oder den Thriller, auch in der vorliegenden Fernsehproduktion an ein populäres Genre an, in diesem Fall an das Genre DokuSoap. Die Analyse der Verfilmung zeigt auβerdem, dass bei aktuelleren Popularisierungen Marketing einen immer wichtigeren Stellenwert einnimmt. Robert Giddings (n.d.2) sieht in der Anlage und Gestaltung der Serie seine im Folgenden zitierte These bestätigt: The old days when the BBC led, rather than followed, public taste and opinion have probably gone forever. Elite culture has now yielded to populism and Post Modernism. A television series such as Lord Clark's Civilization, transmitted by BBC2 in 1969, would be unthinkable today. The cultural assumptions on which it was so confidently based could no longer be taken for granted.117 Lord Clarke's series somehow typified the old BBC at its best and was in many ways it high water mark. The Corporation had for several generations attempted to propagate the cohesion and homogeneity of British culture in the face of fundamental Post War, post 60s social change.

117 "Civilization was a thirteen fiftyminute episode series that traced the history of the arts that shaped Western European civilization" (Giddings n.d.2, FN83). 269

4.2.9.4 Peter Ackroyds The Mystery of Charles Dickens Nach Einschätzung von Robert Giddings (n.d.2) ist die von Simon Callow Ende der 1990er Jahre erstmals aufgeführte EinMannShow The Mystery of Charles Dickens genretechnisch als "scripted biography illustrated with excerpts of the fiction" zu betrachten. In einer Einführung, die auf der DVDAusgabe enthalten ist, beschreibt Simon Callow selbst die Darbietung als living biography, that is to say the actor in his own person stands on the stage and talks about a great writer and, as the evening progresses, he inhabits the characters and indeed the character of the writer himself, so essentially it's a piece of storytelling, it's me telling the story of Charles Dickens. Die Bühnenshow erfreute sich einer weiten Verbreitung: Simon Callow war damit zunächst auf unterschiedlichen Bühnen Groβbritanniens zu sehen – on tour as well as in London's West End, before it was given its radio production on BBC Radio Four in April 2002 and later televised on the new BBC Culture and Media Channel, BBC4. Simon Callow's impersonation of nigh on fifty Dickens characters became a wonder of the age, and he is now touring the world with it (Giddings n.d.2). Im Rahmen dieser WeltTournee machte Callow in den Jahren 2001 und 2002 beispielsweise im Belasco Theatre am New Yorker Broadway, im Theatre Royal in Sydney und im Athenaeum Theatre in Melbourne Station. Auch auf DVD sowie Video und AudioKassetten war das Programm bald erhältlich. Popularisierend mögen sich auch im Falle dieser Produktion Bekanntheitsgrad und bisheriger Werdegang des Schauspielers ausgewirkt haben: Simon Callow, "who has appeared to acclaim at the Royal National Theater in London" (Brantley 2002), wirkte unter anderem auch in der CrossoverHeritageVerfilmung des Romans A Room with a View von E.M. Forster mit, verdankt aber nach Ansicht des amerikanischen Journalisten Ben Brantley (2002) seinen Bekanntheitsgrad vornehmlich dem Film Four Weddings and a Funeral. Inspiriert wurde das EinMannDrama nach Angaben von Callow durch das Projekt The Importance of Being Oscar des irischen Schauspielers Micheál MacLiammor, "a tribute to Oscar Wilde which worked biography and performance through about an hour of storytelling" (O'Brien 2001), das Callow ebenfalls aufgeführt hatte. Den Erfolg dieser Aufführungen suchte Callow nun mit der dramatisierten Biographie eines anderen Autors zu wiederholen: The criterion was that the person was not only a wonderful writer but that his life should have been deeply interesting. When you look at English writers, Dickens is about the only person who fulfills these criteria. I thought, "Who could possibly write this?" Ackroyd came immediately to mind. I knew him a little bit socially, and obviously his book is the definitive biography, and I knew that he was interested in 270

writing for the theatre (BBC4 2005). Obgleich also die Initiative, Dickens' Leben und Werk in einer 90minütigen EinMann Show auf die Bühne zu bringen, nach Darstellung von Callow von ihm selbst ausging, lässt die letztendliche Produktion erkennen, dass es sich dabei um eine Adaption von Ackroyds Biographie handelt: "Mr. Callow seems to be performing an especially dense Cliffs Notes version of Mr. Ackroyd's biography" (Brantley 2002). Während seiner etwa anderthalbstündigen Bühnenpräsenz lässt Simon Callow an mehreren Stellen die Rolle des Erzählers hinter sich und scheint sich in Dickens selbst zu verwandeln – "[s]lipping seamlessly from narrator to Charles Dickens himself to one of his many characters and back again within seconds, sometimes even midsentence" (Brody 2002). Wie flieβend sich diese Verwandlung Callows von der Erzählerfigur in Dickens und wieder zurück gestaltet, zeigen die beiden folgenden Passagen. Die zuerst zitierte stammt aus dem ersten Drittel der Show und behandelt Dickens' Situation kurz nach Veröffentlichung der Pickwick Papers: He was 25 years old, and his fame was known throughout the world. (Emphatischer:) "It was all before me. I was so overcharged with delight and with gusto and with anticipation, and, and – oh dear, (wieder in gleichmäβigerem Tonfall:) I almost forgot to mention my wife." He had married Catherine Hogarth just after completing the first episode of The Pickwick Papers. Die folgende Passage ist den letzten Minuten der Aufführung entnommen: Finally even Dickens was forced to concede that he could no longer continue with the public readings. At the very last one of all, which took place here in London at the St. James's Hall, he read the trial scene from The Pickwick Papers and A Christmas Carol. The applause at the end was (kurze Pause, während der sich Callows Mimik verändert) "overwhelming". Holding up a hand to silence it, he said (schwer atmend, zeitweise stockend:) "From the earliest years of my career down to this proud night, I have always tried to be true to my calling. […] From these garish lights I vanish now for evermore with a grateful, heartfelt, respectful (mit der Hand winkend, in weinerlichem Tonfall) and affectionate farewell." He returned to the country to keep writing The Mystery of Edwin Drood. Diese Verwandlungen Callows von der Erzählerfigur in Dickens und umgekehrt wird durch die Wahl der Bühnengarderobe erleichtert. Der Schauspieler trägt einen dunklen Cordanzug mit einreihigem Sakko, das nach der Herrenmode des späten 20. und frühen 21. Jahrhunderts geschnitten ist, dazu eine silbergrau gemusterte Weste und eine silbergraue Krawatte. Es wurde also darauf verzichtet, Callow mit einem der viktorianischen Mode nachempfundenen Kostüm auszustatten, seine Kleidung wirkt aber trotz des aktuellen Schnittes dennoch eher antiquiert als modisch. Inhaltlich setzt sich die EinMannShow aus einer Vielzahl unterschiedlicher, teils 271 narrativer, teils dramatischer Passagen zusammen: "Impersonations, anecdotes, magic tricks, passages from Dickens's fiction, descriptions of 19thcentury London, helpful thumbnail character portraits of the artist at different periods in his life: all these pass by in a galeforce whirlwind" (Brantley 2002). Alle diese jeweils kurzen Elemente folgen in raschem Wechsel aufeinander, so dass eine gewisse Abwechslung besteht, die an den häufigen Szenenwechsel in populärkulturellen Fernsehproduktionen erinnert. Der Spannungssteigerung dient ein cliffhanger am Ende des ersten Aktes: "And ever by day and night", wrote Dickens, "under the sun and under the stars move all we restless travelers through the pilgrimage of life." And somewhere, he said, somewhere in all those travels was a still, small voice crying out within him, crying out: "Help!"

4.2.9.4.1 Das populäre Potential der Darbietung Dass auch in dieser Produktion die Themenbereiche Romantik und Sexualität betont werden, zeigt sich bereits im ersten Drittel der Bühnenshow durch die Art und Weise, in der Dickens' Verhältnis zu seiner Schwägerin Mary Hogarth von Callow thematisiert wird: What sticks most provocatively to the memory […] is a passage that describes the death of Dickens's 17yearold sisterinlaw, to whom he was devoted. Mr. Callow assumes Dickens's voice to declare, 'Thank God that she died in my arms, and that the very last words she whispered were of me' (Brantley 2002). Während Ackroyd in der Originalfassung seiner Biographie und auch in der BBC2 Fernsehserie verschiedene Möglichkeiten erörtert, wie sich das Verhältnis zwischen Dickens und Mary Hogarth gestaltet haben könnte (vgl. Ackroyd 1990, 239f.), scheint hier angedeutet werden zu wollen, Dickens habe eine Affäre mit Mary Hogarth unterhalten, bzw. es habe eine Art Dreiecksbeziehung zwischen den HogarthSchwestern und Dickens bestanden: Catherine, when he married her, was 20 years old, a freshly coloured, pretty, plump little creature with a genial, smiling sort of a countenance and a very sweet nature and Dickens was madly and passionately in love with her. She had a younger sister, Mary, 16 at the time of the marriage, and Dickens was almost equally attached to her. […] Mary moved in with them too, and a very happy little family they made – the three of them. And then, one evening in the spring of 1837, they went – the three of them, Charles and Catherine and Mary – to the theatre to see a play which Dickens had written. It was called (jedes Wort betonend) "Is – she – his – wife". Anders als in der Fernsehserie wurde in der Bühnenshow jedoch zunächst Dickens' Verhältnis zu Ellen Ternan nicht übermäβig betont. Robert Giddings (n.d.2), dessen Urteil die erste Reihe von Aufführungen in Groβbritannien zugrunde liegt, bemerkt: "In The Mystery of Charles Dickens Peter Ackroyd mysteriously plays down Dickens's obsessive love for Ellen 272

Ternan." Was Giddings hier kritisiert, wurde jedoch ausgeglichen, als Callows und Ackroyds EinMannShow im März 2002 erneut auf die britischen Bühnen kam. Wie in einer Ankündigung auf der BBCHomepage zu lesen war, enthielt die Neuauflage "new material on the last few years of Dickens's life – and in particular his obsession with a young actress" (BBC News 2002a). Humoristisches erscheint in der Produktion insofern, als die narrativen Passagen zahlreiche Anekdoten enthalten. Dies zeigen etwa die im Folgenden zitierte Passage über den erfolglosen Versuch von Dickens' Mutter, eine Schule zu eröffnen sowie Callows Zusammenfassung der verschiedenen Reaktionen, die der Tod der Figur Little Nell aus The Old Curiosity Shop provozierte: The family fortunes were in rapid decline, his father was spending quite recklessly, and his mother's attempts to open a school – "Mrs. Dickens’s Establishment" she called it – foundered when she failed to enrol a single pupil. […] The Irish patriot Daniel O'Connell flinging the periodical in which it was written out of the window of his railway carriage, cried: "He should not have killed her." At a slightly later date, Oscar Wilde was less affected: "It would take a heart of stone to read the death of Little Nell without laughing." An einigen Stellen wird die Komik durch gezielt pointierte Formulierungen forciert: In Chatham, where he grew up, he was remembered as an active, alert, eager, odd child hysterical perhaps, oversensitive certainly, but decidedly odd. […] It's been said that when the fire of one of Dickens's novels was threatening to grow dim, he would throw on a child to stoke up the flames. […] His wife Catherine after ten years of childbearing was often very ill with giddy spells and nauseous headaches. She suffered in general from living in the immediate vicinity of Charles Dickens. […] Under the pressure of all that [the rumours about his having an affair with his sister inlaw Georgina Hogarth after his separation from Catherina] Dickens quite simply lost control. He had a letter printed in the times in which he denounced misrepresentations […]. Yet not one in a thousand of the readers of the newspaper had the remotest idea what he was talking about. Now of course they did. Zeitgeschichtliches wird in stark gekürzter Form dargeboten oder entfällt komplett, was mitunter zu starken Vereinfachungen führt. Robert Giddings (n.d.2) spricht von "serious distortions" und nennt als Beispiel die Entlassung von John Dickens aus dem Marshalsea Gefängnis während Dickens' Kindheit: "John Dickens was not released from the Marshalsea simply because he inherited a small legacy. He made an arrangement with his creditors and was released under the Insolvent Debtors Act." Die Gesetzeslage, die die Freilassung John Dickens’ letztendlich ermöglichte, wird in Originalfassung und gekürzter Fassung der Biographie relativ ausführlich erläutert, zudem bemerkt Ackroyd (1990, 89) in der Originalfassung: "He had been left four hundred and fifty pounds in his mother's will but, 273 since the will was proved only after his release, it was not of much immediate material benefit." In der Bühnenshow wird dennoch diese Erbschaft als alleiniger Grund für John Dickens' Freilassung angegeben, was eine für das Publikum zweifellos gut nachvollziehbare Begründung darstellt, aber eben nicht den Tatsachen entspricht: "His [Charles Dickens's] father came into an inheritance, he discharged himself from the Marshalsea." Was die Behandlung von Dickens' Werk angeht, so entfällt jegliche literaturgeschichtliche Einordnung, auf die in der Originalfassung von Ackroyds Biographie so häufig auftauchenden Verweise auf andere Autoren (Thackeray, Wilkie Collins etc.) wird verzichtet. Die von Callow im Stil von Dickens' öffentlichen Lesungen vorgetragenen Exzerpte sind kurz gehalten: Callows's selections from Dickens, while abundant, are for the most part brief. […] Callow lifts segments from The Pickwick Papers, Great Expectations, Oliver Twist, icholas ickleby, The Old Curiosity Shop, the autobiographical David Copperfield, Martin Chuzzlewit, and A Tale of Two Cities…but none of it is heavy lifting (Finkle 2002). Wie David Finkles Auflistung schon andeutet, beschränken sich die von Callow dargebotenen Exzerpte zumeist auf die bekanntesten Höhepunkte der kanonischen Texte: From icholas ickleby, we get Vincent Crummles. We get the death of Little Nell from The Old Curiosity Shop […]. The remarks about Ignorance and Want from A Christmas Carol […] are worked in. […] We get Podsnappery from Our Mutual Friend […] and we get the Sikes/Nancy murder (Giddings n.d.2). Zudem wurden in vielen Fällen humoristische Auszüge gewählt, etwa die folgende Passage aus den Pickwick Papers: "Heads, heads, take care of your heads", cried the loquacious stranger, Jingle by name, as the coach came out under the low archway that in those days formed the entrance of the coachyard. "Terrible place. Dangerous. Other day, five children, mother, tall lady, eating sandwich, forgot the arch, crash, knock, children turn round, mother’s head off. Sandwich in hand, no mouth to put it in. Head of the family off – shocking, shocking." Auch der folgende humoristische Auszug aus icholas ickleby wird berücksichtigt: "First class, Nickleby, is English spelling and philosophy. Now, where's the first boy, where is he? Where's that boy? Where's the first boy?" "Please sir, please sir, he's out cleaning the back parlour winder." "Quite right, so he is. We go on the practical system of teaching here, Nickleby. Cl ean, clean, verb active, to make bright, scour. Win, win, der, der, winder, a casement. When a lad knows that, he goes and does it. Now, where's the second boy, where is he? Where's the second boy, where's that second boy?" "Please sir, please sir. He's out weeding the garden." "Quite right, so he is. Bot, bot, tin, tin, ney, ney, bottiney, noun substantive, a knowledge of plants. When a lad knows that bottiney means a knowledge of plants, he goes and weeds them." 274

Ähnlich wie in der BBC2Fernsehserie wird zudem keineswegs darauf verzichtet, eine Verbindung zwischen Dickens' Biographie und seinem Werk herzustellen. Wie dort wird das Werk vielmehr zur Illustration von biographischen Begebenheiten herangezogen, was die Grenzen zwischen Leben und Werk verschwimmen lässt. Ackroyd shuffles biographical details and brief scenes from novels with such deftness and speed that fact and fiction blur and finally fuse. We hear of 12 yearold Charles being swept from his idyllic childhood in Chatham to a London blacking warehouse, where he must work ten hours a day, then are shown David Copperfield visiting Mr Micawber. We leap from an autobiographical line about being common to the scene in Great Expectations where Pip 'catches' contempt for his class from Miss Havisham and Estella (Boyd 2002). Wie in der Fernsehserie wird jedoch auf jegliche diskursive Erklärungen verzichtet, Leben und Werk werden wieder gleichsam ineinander teleskopiert.

4.2.9.4.2 Resümee Die Analyse der Bühnenshow mit Simon Callow hat gezeigt, dass das populäre Potential dieser Produktion gestärkt wird mittels schnellen 'Szenenwechseln', der Hervorhebung der Themenbereiche Romantik/Sexualität und Komisches/Anekdotisches sowie starken Vereinfachungen bzw. Vereindeutigungen, die auch das IneinanderTeleskopieren von Leben und Werk Charles Dickens' einschlieβen. Die Effizienz der im Fall dieser Bühnenshow angewandten Popularisierungsstrategien und damit das populäre Potential der Produktion wurde von verschiedenen Rezensenten diskutiert und dabei unterschiedlich beurteilt. Francine Brody (2002), deren Rezension sich auf eine der Londoner Aufführungen bezieht, ist davon überzeugt, dass auf Seiten des Publikums zur Rezeption kein wesentliches Vorwissen nötig ist: "His [Callow's] attention to detail and belief in the material means that one never gets lost." Derselben Ansicht ist der Kritiker Chris Boyd (2002), der einer der australischen Aufführungen des Stückes beiwohnte. Er beschreibt die Darbietung als engrossing and thoroughly entertaining from start to finish, whether you are a fan of the Cockney visionary's writing or not. An intimate knowledge of the Dickens oeuvre is not a prerequisite, and you will probably come away with an increased appreciation and understanding of the man and his universe. Die amerikanischen Rezensenten des Stückes sind zumeist der Ansicht, dass Callows Darbietung eigentlich nur für eingefleischte DickensFans und damit für ein spezialisiertes Publikum von Interesse ist: Dickens fans are able to nod and smile when names like Sarah Gamp, Wackford Squeers and Samuel Weller come up. The smiles should broaden as Mr. Callow goes on to embody these characters with a combination of grotesquerie and passion that is 275

indeed Dickensian. Those less familiar with the Dickens canon may find themselves at sea. Despite all the annotative asides, things come at a mighty fast clip for full absorption. (You expect to hear a voice in the audiences asking, 'What's a Podsnap, Mother?') (Brantley, 2002). Elyse Sommer (2002), die wie Ben Brantley eine Aufführung am New Yorker Broadway besuchte, ist derselben Meinung: The Mystery of Charles Dickens […] falls somewhat short of giving full satisfaction except to the most dedicated Dickens fans. […] If you're wellversed in Dickens' many novels, you probably won't mind the fragmentary nature of these sketches since you can fill in the missing parts from memory. If not, you'll find the biographical data interesting but are more than likely to get lost wondering who Callow is portraying so passionately. Matthew Murray (2002) betrachtet die Show im amerikanischen Kontext gar als deplatziert: That The Mystery of Charles Dickens was a huge success in England is hardly a surprise. But just as a one man show about Mark Twain, one of the most quintessentially American writers, might be enthralling to us, would it have the same grip on audiences in other countries? Diehard Charles Dickens fans may rejoice, but how many other people are just dying for the chance to see an English actor – albeit a great one (Simon Callow) – tell the story of an English writer – albeit great one – onstage? […] The real mystery of The Mystery of Charles Dickens is why this show was brought to New York in the first place. Being too slight a survey of most of Dickens's writings, too dry in presenting the details of his life, and providing far too little entertainment for all but the most stalwart Dickens enthusiasts, this is a puzzling show. It's too good to be bad, but too boring to be good. The Mystery of Charles Dickens really feels out of place in America. Die hier wiedergegebenen unterschiedlichen Eindrücke der Rezensenten dies und jenseits des Atlantischen Ozeans lassen sich teilweise mit dem bereits angesprochenen unterschiedlichen Status der Klassikerverfilmungen im britischen und amerikanischen Fernsehen erklären: Nicht zuletzt durch die Ausstrahlung dieser Adaptionen auf dem nicht breitenwirksamen USFernsehsender PBS ist Dickens' Präsenz in der dortigen Fernsehlandschaft und damit auch der dortigen Kultur nicht mit derjenigen vergleichbar, die er in Groβbritannien genieβt, wo dieselben Adaptionen auf mehrheitsfähigen Kanälen gesendet werden. Dennoch scheint sich nach Angaben von Callow selbst die Bühnenshow insgesamt popularisierend ausgewirkt zu haben. Callow gab in einem Interview mit BBC4 zu Protokoll: "The nicest thing they [the audiences] say, and they say it quite a lot is, 'I've got to start reading Dickens all over again now; I know him in a completely new way'" (BBC4 n.d.).

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4.2.9.5 Resümee des populären Potentials der AckroydProdukte in ihrer Gesamtheit Im Fall der hier diskutierten Produkte wurde derselbe Stoff im Verlauf mehrerer Jahre für unterschiedliche Medien aufbereitet – zunächst erneut in Buchform, dann folgte eine Adaption für die Bühne, schlieβlich eine weitere für das Fernsehen. Im Fall der gekürzten Buchfassung konnte zwar gezeigt werden, dass im Vergleich zur Originalversion etliche Rezeptionserleichterungen zu erkennen sind, dennoch ist nur eingeschränkt von einer Popularisierung zu sprechen. Demgegenüber griff die BBCAdaption der Biographie für ein zeitgenössisches Publikum relevante Themenbereiche auf, stärkte Dramatik und Spannung des Stoffes und stellte durch den Einsatz von talking heads einen Bezug zum populären Genre DokuSoap her. Unterstützt wurden diese Maβnahmen durch Marketingstrategien, wozu die Neuauflage der gekürzten Fassung der Biographie, die Veröffentlichung eines schmalen BegleitBildbandes und die Einrichtung einer Webseite inklusive der Möglichkeit eines LiveChats mit Peter Ackroyd persönlich zählen. Auch die Bühnenshow mit Simon Callow ist um populäres Potential bemüht, das mittels rascher Szenenwechsel, wiederum der Hervorhebung relevanter Themenbereiche und starken Vereinfachungen und Vereindeutigungen hergestellt werden soll. Das populäre Potential gerade dieser Produktion ist allerdings zumindest unter den Rezensenten der Aufführung umstritten, wobei vor allem Unterschiede zwischen der Rezeption in Groβbritannien und USA in Rechnung zu stellen sind, die sich mit der unterschiedlichen Verankerung von Dickens und seinem Werk innerhalb der britischen und der amerikanischen Kultur erklären lassen. Ob die genannten Produkte auch von nicht primär literarisch interessierten Publika mit unterschiedlich hohem kukturellen Kapital rezipiert wurden, lässt sich nicht ermitteln. Dass sich die vor allem für groβe Teile Groβbritanniens per se vorhandene diskursive Relevanz Dickensbezogener Produkte, die bereits angesprochen wurde118, ebenfalls popularisierend auswirkt, ist denkbar, lässt sich aber schwerlich nachweisen.

118 Vgl. Abschnitt 3.4.2.

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4.2.10 Dickens World – Eine themed attraction in Chatham, Groβbritannien 4.2.10.1 Zu Geschichte und kultureller Bedeutung der Einrichtung Themenpark Der Status Disneylands, das 1955 im kalifornischen Orange County erstmals seine Pforten öffnete, als weltweit erster Themenpark ist in der soziologischen Forschung unangefochten (vgl. Auricoste 1992, 489). Auch Jahrzehnte nach seiner Eröffnung gilt Disneyland zusammen mit dem "jüngeren Disney World in Florida" als "bekannteste[r] Vertreter" seines Genres (Bormann 1998, 38), als "archetypal theme park" (Zuki 1991, 222) und als "reference point for all promoters of amusement parks throughout the world" (Auricoste 1992, 490). Ebenso unbestritten ist jedoch, dass das der Einrichtung zugrunde liegende Konzept keineswegs so neu und originell war, wie es zunächst den Anschein haben mochte. Isabelle Auricoste (1992, 489) bezeichnet das Genre Themenpark vielmehr als "the outcome of a process of development and the product of close analysis of previous commercial ventures of the sort". Als Vorläufer des Themenparks lässt sich konkret die Gattung des amusement park nennen. Mit dem "turnofthecentury blossoming at Coney Island, inspiration to imitator parks from coast to coast" führt Michael Sorkin (1992c, 208) ein amerikanisches Beispiel an, während Susan Davis (1996, 414) auf die europäische Tradition des amusement park verweist: "In Western Europe, amusement parks have a long history and indigenous presence, reaching back to the Tivoli Gardens and the first large scale pleasure resort, Blackpool." Der Unterschied zwischen dem Genre des Themenparks und seinen Vorläufern liegt in eben jenem Element, dem die Gattung ihre Bezeichnung verdankt, dem Thema: Disneyland's overarching theme is 'The Magic Kingdom', the corporation's imaginative work and media products. […] But more important than the particular cultural backstory is the understanding of and dedication to theming. Not all theme park companies have the depth of expertise or the wealth to reproduce Disneyland's perceptual effects, but all are aware of theming's importance (Davis 1996, 404). Terence Young (2002a, 5) sieht die Wichtigkeit des theming in seiner kohärenzstiftenden Funktion begründet: [Theme parks] must draw on some […] widely shared myth or myths to generate a sense of wellbeing. These internalized meanings are culturally and historically specific, vary between parks, and are generally the elements giving coherence – a theme – to the whole. Was das theming sowie die Gestaltung der Attraktionen der Parks anbelangt, so ist eine Orientierung an bereits vorhandenen Produkten aus dem Bereich der populären Kultur erkennbar: "The theme park's source is the world of consumer 'popular culture': film, television, animation, magazines, and comic books", bemerkt Susan Davis (1996, 416), und Mark Gottdiener (1997, 152f.) ergänzt: "Theme parks use motifs and images that are already 278 proven commercial products from the competitive worlds of movie making or popular music." Dies gilt auch für die Fahrattraktionen, die zumeist das Zentrum der Themenparks bilden. Brenda J. Brown (2002, 268) analysiert einige frühe Beispiele solcher theme park rides und erkennt ebenfalls einen Rückgriff auf "popular and popularized images: the Bible, mythology, travel literature and publicity, and works by Jules Verne". Diese Ausführungen lassen bereits erkennen, dass Themenparks innerhalb der Vergnügungsindustrie keineswegs isoliert dastehen, sondern Berührungspunkte mit anderen Medien aufweisen, einen Einfluss auf diese einüben und von diesen wiederum beeinflusst werden. So betont Edward A. Chapell (2002, 122) etwa eine Gemeinsamkeit des Genres Themenpark mit filmischen Medien: "Like movies, they [theme parks] incorporate more excitement, more sweeping and visual impact, than we normally experience in the real world." Susan Davis (1996, 399f.) verortet das Genre Themenpark dezidiert in the larger context of worldwide media industries [… T]heme parks are important parts – not just peripheral adjuncts – of what is becoming a global media system. In fact, theme parks can be thought of as a new kind of mass medium, one that synthesizes many previous entertainment, advertising, marketing and public relations activities. And although theme parks have historical precedents and cultural ties going back at least a century in the West, they are also potential introduction points for new media. Den kommerziellen Erfolg von Disneyland führt sie auf dessen Verbindung mit dem Fernsehprogramm ABC – seinerzeit "the weakest of the fledgling television networks" – zurück: In a gamble by both parties, 'The Disneyland Show' showcased the Anaheim attraction, while the park promoted the television show and the network. This interpretation of film, television and theme park jolted Disney's film enterprises out of postwar doldrums. Just as important, the theme park physically and imagistically converted Disney media products into tourist attractions (Davis 1996, 401). Zu seiner vollen Blüte gelangte das Genre Themenpark in den 1990er Jahren (vgl. Davis 1996, 400). "Historic sites, museums and galleries rank highly but purposebuilt attractions, notably theme parks, have become the hallmark of recent years", konstatierte David T. Herbert (1995e, 8) Mitte des Jahrzehnts, und Anfang des neuen Jahrtausends erkannte Terence Young (2002a, 1): "The prevalence and influence of 'theming' increased so dramatically during the 1990s that theme parks became a metaphor for postmodern urban life." Der Aufschwung des ThemenparkGenres in den 1990er Jahren fällt zeitlich mit der wachsenden Popularität von sogenannten 'Events' zusammen. "Veranstaltungen, die von ihren Organisatoren als 'Event' angepriesen werden, nehmen [...] an Zahl – und wie zu 279 vermuten ist – auch an Bedeutung zu", merkten Winfried Gebhardt, Ronald Hitzler und Michaela Pfadenhauer (2000b, 9) um die Wende zum dritten Jahrtausend an. Winfried Gebhardt (2000, 19) definiert Events als "planmäβig erzeugte Ereignisse" und "einzigartige Erlebnisse" (Hervorhebungen im Original), die in der Regel – entweder aus kommerziellen oder weltanschaulichen Interessen – von Betrieben, Verbänden, Vereinen, Kirchen, Agenturen oder anderen Organisationen veranstaltet, von einer professionellen Organisationselite vorbereitet und perfekt, unter Einsatz modernster technischer Hilfsmittel, "nach der Uhr" durchgeführt und oftmals von einer ebenfalls professionellen Reflektionselite mit "Sinn" und "Bedeutung" versehen werden. In mehreren soziologischen Arbeiten wird das Genre Themenpark als eine Art Sonderform des Events bezeichnet, als Versuch, "das den Alltag sprengende festliche Ereignis als ein dauerhaftes und jederzeit abrufbares Angebot fest zu institutionalisieren" (Gebhardt 2000, 26), als "institutionalisierte[s] Dauerevent" (Gebhardt/Hitzler/Pfadenhauer 2000b, 9) oder auch als "eine Art MegaEvent, als paradigmatisch für ein alle Sinne ansprechendes Spektakel aus den Niederungen der Kulturindustrie" (Bormann 2000, 140). Für die gegenwärtige EventKultur hält Winfried Gebhardt (2000, 25) fest, dass sich die für viele Feste und Feiern der Vergangenheit typische, relativ deutliche soziale Homogenität des Teilnehmerkreises zunehmend auflöst, [...] und sich auch deshalb die einstmals klar definierten Grenzen zwischen repräsentativer und populärer Kultur im allgemeinen, zwischen hochkulturellen und volkskulturellen Festen und Feiern im besonderen, zunehmend verwischen. Auch diese Entwicklung lässt sich in ähnlicher Weise am Verhältnis des Themenparks zu herkömmlichen, bislang eher im Bereich der Hochkultur angesiedelten, touristischen Attraktionen beobachten: The sharp distinction between museums and heritage sites on the one hand and theme parks on the other is gradually evaporating. They already borrow ideas and concepts from one another. Museums have adopted storylines for exhibitions, sites have accepted ‘theming’ as a relevant tool, and theme parks are moving towards more authenticity and researchbased presentations (Schouten 1995, 29).119 Auch Terry Stevens (1995, 207) betont die zunehmende Verwendung von heritage Elementen bei der Gestaltung von Themenparks: [T]he leisurebased attractions are now looking towards heritage as the source of themes for their thrill rides and food/beverage areas. How far this crossover of heritage into theme parks and theme parks into heritage can evolve has been subject to recent public debate […]. Heritage as the foundation for leisure attraction development is likely to become the main development trend for the next ten years.

119 Vgl. dazu auch David T. Herbert (1995d, 12): "The distinction between museums, heritage sites and theme parks is becoming more blurred. As museums move towards greater variety in forms of presentation and interpretation, theme parks are showing greater awareness of authenticity."

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Allgemein ist eine verstärkte Hinwendung des ThemenparkGenres zur Vermittlung von Wissen zu erkennen. Während bei der Einrichtung des prototypischen Disneyland noch galt: "Disneyland [...] had no educational veneer. It merely told a story, offering the selective consumption of space and time as entertainment" (Zukin 1991, 223), so hält Carla I. Corbin (2002, 191) für jüngere Vertreter der Gattung fest: "[M]any of [the contemporary theme parks] make some gesture toward being educational." John Urry (1991, 51) hat für dergleichen Phänomene den Begriff des "edutainment" geprägt. Nun ist zu fragen, worin eigentlich die Attraktivität eines Themenparks für seine Besucher besteht, da dies auch Aufschluss darüber gibt, welche Strategien diesem Genre zur Popularisierung von Wissen, literarischen Themen etc. zur Verfügung stehen. Während als Bedingung für die Popularität der in dieser Arbeit bereits diskutierten Produkte galt, dass sie sich möglichst problem und nahtlos in die Alltagswelt der Konsumenten einfügen lassen können müssen, so wird als Voraussetzung für die Popularität von Events und ihrer Sonderform, dem Themenpark, zunächst stets die Abgetrenntheit ihrer Angebote von der Alltagserfahrung des Besuchers betont. Winfried Gebhardt, Ronald Hitzler und Michaela Pfadenhauer (2000b, 12) führen die "hohe Anziehungskraft" von Events "für relativ viele Menschen" auch darauf zurück, dass sie sich als "aus dem Alltag herausgehobene, raum zeitlich verdichtete, interaktive PerformanceEreignisse" präsentieren. Ein Event durchbricht die Routinen und Zwänge des Alltags, er verspricht ein auβeralltägliches Erlebnis, auf das man mit Freude und Spannung wartet, auf das man hinlebt. Ein Event bietet aber nicht nur Abwechslung vom Alltag, sondern er offeriert das Ab beziehungsweise Eintauchen in eine neue, vom Alltag differierende, teilweise sogar ihn transzendierende Welt. Dazu gehören auch auβergewöhnliche 'locations', an denen der Event stattfindet, ob in Berghöhlen, verlassenen Bergwerksstollen, aufgelassenen Kirchen oder in Industrieruinen (Gebhardt 2000, 19f.). Speziell für das Genre Themenpark formuliert Isabelle Auricoste (1992, 490) wiederum am Beispiel von Disneyland: "It is designed quite deliberately to be a selfsufficient world. The illusion must be perfect. Nothing must remind the visitor of the ups and downs of everyday life. [… E]scape from reality [...] is the aim of the parks." Dennoch sucht das Genre an die Lebenswelt seines anvisierten Publikums anzuknüpfen: An amusement park such as Florida's Disney World alludes to the everyday world of the American middle class, while a living museum such as Kentucky's Shaker Village displays the lives of common rather than exceptional people from the past (Young 2002b 164f.). Ein Anschluss an die Lebenswelt des Publikums wird auch durch den bereits diskutierten Rückgriff vieler ThemenparkGestalter auf innerhalb der populären Kultur bereits etablierte Themen und Motive erreicht. Hier zeigt sich ein Bemühen, für das Publikum durch die 281

Abtrennung des im Themenpark Dargebotenen repräsentionale Relevanz auf der Ebene der Differenz herzustellen, gleichzeitig aber durch das Aufgreifen von dem Publikum bereits bekannten Themen und Motiven diskursive Relevanz entstehen zu lassen. Ein weiterer wichtiger Grund für die Popularität insbesondere derjenigen Themenparks, die ihr Thema aus dem Bereich Film und Fernsehen entlehnen, dürfte darin liegen, dass sie dieses um zusätzliche Dimensionen erweitern. In eben dieser Strategie sieht Susan G. Davis (1996, 401) einen maβgeblichen Grund für den Erfolg von Disneyland: "The theme park physically and imagistically converted Disney media products into tourist attractions. Making film and television spatial, textural and kinetic was an enormous innovation." Mit dieser Verräumlichung des aus Film und Fernsehen bereits Bekannten geht zumeist das Angebot der Interaktion einher. Während Winfried Gebhardt, Ronald Hitzler und Michaela Pfadenhauer (2000b, 10f.) die Bedeutung von Erlebnisformen, "die nicht nur den 'Intellekt', sondern alle Sinne ansprechen, also Wirklichkeit sinnlich fassbar und körperlich spürbar werden lassen" für den "spätmodernen Menschen" betonen, bemerkt Edward A. Chapell (2002, 156) mit Blick auf das ThemenparkGenre: "Theme parks as well as museums have demonstrated that seeing action and – better yet – participating in it holds great attraction." Hinzu kommt die Vielfalt der Attraktionen, die Themenparks zumeist anbieten, und deren Konsum in der Regel nur eine kurze Zeitspanne in Anspruch nimmt, bevor dann die nächste Attraktion in Angriff genommen werden kann: "The participant is urged along, gets a kick, then heads off toward the next kick. The kicks are pretty superficial, offering quick recognition in favor of thoughtprovoking perspective. Certainly action overwhelms reflection" (Chapell 2002, 120). Diese rasche Abfolge von Attraktionen im Themenpark lässt sich als Äquivalent zu der raschen Szenenfolge in populärkulturellen Film und Fernsehproduktionen deuten. Wie Regina Bormanns (2000, 148) Ausführungen erkennen lassen, weisen Themenparks im Idealfall zudem ein beträchtliches Maβ an Produzierbarkeit auf, insofern, als sie aufgrund ihrer Vielfältigkeit das Potential besitzen, eine Vielzahl an unterschiedlichen Arten von Vergnügen zu produzieren: Der Erlebnispark vereint Elemente von Fest, von Kunst, von Bildung, von Ritual, von Spiel und Shopping, von Information und Phantasiewelt – 'Sinnprovinzen', zwischen denen die Besucher ständig hin und herwechseln. Er ist ein multidimensionales, ein multifunktionales Phänomen: Wirtschaftsunternehmen, Freilichtmuseum, Kulturveranstalter, Jahrmarkt, Volksfest und Bildungseinrichtung in einem. Als ein Resultat der verstärkten Hinwendung des ThemenparkGenres zur Vermittlung von 282

Wissen sowie des Zerflieβens der Grenzen zwischen "museums and heritage sites on the one hand and theme parks on the other" (Schouten 1995, 29) kann das Subgenre 'Historischer Themenpark' betrachtet werden, das Aspekte der Gattungen Theater, Museum und amusement park in sich vereint – without wholly replacating any of these. They [historical theme parks] put the late twentiethcentury visitor into the recreated dailylife context of a 100yearold town, a 200yearold village, or a 300yearold fort. Tourists wearing Tshirts and shorts, carrying cameras and pushing baby strollers, share a cobblestone or packedearth road with the park's costumeclad employee hosts, whose dress meticulously replicates all the social strata of the park's historical referent. In the historical theme park, "You are there," you are "in" history in a far more real and tangible way than was ever possible in the early 1960s TV dramatization that took this phrase for its title (Willis 2001, 343). Was die vorherrschende Vermittlungsform in einer solchen Einrichtung anbelangt, bemerkt Susan Willis (2001, 344): "[T]he visitor is not only a spectator, but a participant in communication with the roleplayers and in the recreation of the world of the past. The historical theme park may be likened to a stage play where the audience joins the actors on the stage." Für dieses Konzept hat sich der Begriff living history durchgesetzt, den Scott Magelssen (2007, xii) als "a form of theatre" definiert: "Participants use performance to create a world, tell a story, entertain, and teach lessons, regardless of whether they are playing 'characters' or speaking in the third person." Das living historyKonzept ist indes nicht ausschlieβlich in historischen Themenparks anzutreffen. Der Begriff ist vielmehr allgemein zu verstehen als "a blanket term used in popular discourse to cover individuals or groups that engage in practices that evoke a different historical time from the present" (Magelssen 2007, xxi) und deckt eine Vielzahl unterschiedlicher Praktiken ab: These practices include costuming, pageantry, battle reenactment, buckskinning, rendezvous, pioneer villages, living history museums, imitative research institutions, cemetery walks, living dioramas, and the production of crafts by artisans using time specific methods (ebd.). Sowohl Scott Magelssens Definitionsansatz als auch Susan Willis' zuvor zitierte Ausführungen betonen die theatrale Komponente des living historyKonzepts – ein Aspekt, der auch für Wolfgang Hochbruck (2008b, 28) von groβer Wichtigkeit ist: Dem postmodernen verräumlichten Geschichtsort eignet seine Begrenzung ebenso wie der Darstellung seiner Bewohner; die totale Lebensweltlichkeit und die Erfahrungen auch der bestrecherchierten historischen Person sind letztlich nicht wiederholbar, ihre Abbildung nur als inhaltlich, zeitlich und räumlich begrenzte Aufführung möglich – und genau damit ist sie eben Theater. Als Übersetzung des living historyBegriffs für den deutschen Sprachgebrauch schlägt Hochbruck (2008b, 27) deshalb den Begriff 'Geschichtstheater' vor, dessen Vorteil darin 283 besteht, dass er "enthält, was Living History fehlt, nämlich das Theater." Darstellungen im Rahmen des GeschichtstheaterGenres können sowohl in der ersten als auch in der dritten Person erfolgen: At the most basic level, the difference between the two is that firstperson interpreters speak in the first person, present indicative tense when informing visitors about the lives and times they are portraying in the museum's environment. That is, they perform their roles as if they were the subject on display […]. Thirdperson interpreters, often in historic costume, also interpret the lives of the people the museum displays, but in a thirdperson, preterit verb tense […]. While it would be easy to define the first type of interpreter as an actor and the second as a docent, both are modes of performance, and oftentimes neither one will consider himself or herself an actor (Magelssen 2007, xxii). Innerhalb der Darstellungsformen in erster bzw. dritter Person sind weitere Abstufungen anzunehmen: At many sites, the firstperson interpreters will never "break character." They do not outwardly recognize any time after the established day of their interpretation and will refuse to acknowledge that the visitors asking them questions are from the 'future.' These interpreters will treat the visitors as if they were fellow colonists, social equals or betters (rarely treating them as inferior in class or race) from far away. […] Elsewhere […] the interpreters will address the visitor in first person until being asked a question the interpreter cannot answer without breaking character and speaking in a presentday voice. At this point, rather than continuing in the first person, they will transition […] into the third person, introduce themselves as the presentday individual, and answer the question using the past tense. […] Yet another mode of the first person […] is to have a visitor from the past, speaking in firstperson present, in a modern venue (Magelssen 2007, xxiif.).120 Während das living historyKonzept bereits in den 1890er Jahren in Schweden entstand (vgl. Hochbruck 1997, 94), ist "the total representation of a threedimensional milieu with first person interpretation" als relativ neue Entwicklung zu betrachten: Changes in representational practices and conceptions of time have informed the ways individuals are able to willingly suspend their disbelief and perceive certain geographically bounded spaces as having a different temporal quality than the surrounding area. While this concept of the audience's acceptance of theatrical illusion has been incorporated into 'mainstream' dramatic presentation for more than a hundred years, its transfer to living history environments was not possible without the changes to museum historiography prompted by the emergence of social history and ethnohistorical approaches in the 1960s and 1970s (Magelssen 2007, 85f.). Die Interaktivität von living historyAngeboten kann indes noch verstärkt werden, indem diese die Möglichkeit der secondperson interpretation einbeziehen, "in which the visitors pretend to be part of the past" (Magelssen 2007, 138, Hervorhebung im Original). Von dieser

120 Obgleich zu berücksichtigen ist, dass "[a]llen Unterformen des Geschichtstheaters [...] ein grundständig ironisches Verhältnis zum Gegenstand [eignet], ein 'Als Ob'" (Hochbruck 2008b, 27), kann sich ein inadäquater Umgang mit Darstellungsformen in der ersten Person gerade im Hinblick auf die Wissensvermittlung äuβerst negativ auswirken, vgl. dazu Hochbruck (2008a, 53). 284

Möglichkeit wird nach Darstellung von Magelssen (2007, 141f., Hervorhebung im Original) allerdings derzeit in living historyEinrichtungen nur eingeschränkt Gebrauch gemacht: When secondperson is a part of an enactment of a lived historical event, it never gives vistors the roles of the protagonists of history. Visitors, even when roleplaying, are still multiple steps removed from playing a developed character. In other words, they either 'play' present characters engaging past characters in dialogue or, in a demonstration, play an abstract 'character' for a professional reenactor who assigns them a role but who does not (as a character) recognize them as one of his or her own, except as a hypothetical in an exchange that is mutually understood between the professional reenactor and layperson visitor as an exercise. The visitorperformers are still from the present, lacking a costume, and participating in a demonstration – not pretending to be from the past. Den populärkulturellen Anstrich des living historyKonzepts betont Wolfgang Hochbruck (2008a, 45): "Über allen Formen der Geschichtsvermittlung [...] liegt der Schlagschatten der Maus". Wurde für das Genre Themenpark im allgemeinen ein Rückgriff auf innerhalb der populären Kultur bereits etablierte Themen und Gegenstände bereits konstatiert, so erkennt Hochbruck (2008a, 45f.) im speziellen Fall von living historyKontexten eine "primär eventkulturell überformte Anpassung an die Erwartungshorizonte des Publikums" was folgende Konsequenz hat: "Planung und Auslegung eines Themenparks zielen schon in der Anlage weniger auf die kognitiven Fähigkeiten der Besucher als auf eine ideologische Rückbindung, d.h. die Besucher finden das vor, was sie aus anderen Quellen bereits wussten" (Hochbruck 2008a, 59). Zwar beziehen sich sowohl Hochbruck (1997, 2008a und 2008b) als auch Magelssen (2007) auf Beispiele aus den USA, Hochbruck (2008a, 45) verweist jedoch auf die Popularität der Gattung Geschichtstheater auch in Groβbritannien, wenn er feststellt, dass "Groβbritannien vermutlich die prozentual zur Bevölkerung gröβte Anzahl von living historians aller Arten und Ausprägungen beherbergt".

4.2.10.2 Selbstverständnis und Zielsetzung von Dickens World Am 25. Mai 2007 wurde in Chatham, Kent Dickens World eröffnet. Hierbei handelt es sich um eine Attraktion, die sich mit Charles Dickens' Leben und Werk beschäftigt. Bereits das Design dieser Einrichtung bestätigt eines der Ergebnisse aus dem ersten Teil dieses Kapitels: Die Grenzen zwischen Themenparks, Museen und anderen Attraktionen ähnlicher Couleur haben sich in den letzten Jahren verwischt, und somit ist es mitunter schwierig, eindeutige Kategorisierungen vorzunehmen. Die Verwandschaft von Dickens World mit Themenparks Disneyscher Provenienz ist nicht zu übersehen: Dickens World is a theme park based on the Victorian answer to Mickey Mouse. [… T]he indoor attraction is based on designs by the creator of Santa World in Sweden so 285

the emphasis is firmly on fun, fun, fun. Dickens World feels like Disney gone to the dark side. In place of the Magic Kingdom there is Newgate Prison; instead of talking animals there will be shady characters loitering in dark corners. Die Einschätzung des Journalisten Simon Swift (2007) wird vom Eindruck seines Kollegen Finlo Rohrer (2007) weitgehend bestätigt: "The overall effect is rather like Disney painted brown and plunged into twilight." Dennoch schlägt Kevin Christie, Managing Director des Unternehmens, eine andere Kategorisierung vor: "'We're a themed attraction, not a theme park. Because [...] "theme park" [...] conjures up visions of, sort of roller coasters and things, and we're definitely not that'" (Beard 2007). Dementsprechend hält Ross Hutchins, ein weiterer Manager der Einrichtung, auch den Begriff der Disneyfication im Zusammenhang mit Dickens World nicht für angebracht: "'If we were Disneyfying Dickens we wouldn't be talking to people like the Dickens Fellowship to ensure the correct historical facts'" (Majendie 2007). Obgleich sich die Einrichtung gewissermaβen auch als Nachfolgerin des 2004 wegen Besucherrückgangs geschlossenen Museums The Dickens Centre in Rochester versteht (vgl. BBC News 2004a und Groves/Williams 2004, 132), soll Dickens World dennoch auch nicht als Museum fehlkategorisiert werden, betont Tony Bates, einer der Angestellten des Parks (persönliche Kommunikation, 19. August 2008).121 Ob nun Themenpark oder von diesem Genre abgeleitete themed attraction – vor dem Hintergrund der Ergebnisse des ersten Teils dieses Kapitels erscheint Dickens' Leben und Werk als Thema einer solchen Einrichtung durchaus geeignet. Wie zuvor gezeigt wurde, findet bei der Wahl eines Themas für dergleichen Unternehmen häufig ein Rückgriff auf in der populären Kultur bereits Etabliertes statt. Aufgrund der verstärkten Popularisierung von Dickens' in den 1990er Jahren und nach der Wende zum dritten Jahrtausend, erscheint eine themed attraction, die Dickens zum Thema hat, somit als durchaus erfolgversprechendes Unterfangen. Auch der Zeitpunkt der Eröffnung – nach dem von Robert Giddings (n.d.2) so bezeichneten "Dickens Blitzkrieg" im Jahr 2002 rund um Peter Ackroyds Dickens Biographie, nach der kommerziell höchst erfolgreichen BBCVerfilmung von Bleak House 2005 und nahezu zeitgleich mit einer DickensCastingshow im britischen Fernsehen (vgl. Einleitungskapitel) – scheint geradezu ideal gewählt.122

121 Museen, die Dickens' Leben und Werk auf konventionellere Weise präsentieren, existieren noch in den von Rochester und Chatham nicht weit entfernten Orten Broadstairs ("Dickens House") und London ("Dickens House Museum"). 122 Dieser nahezu ideale Eröffnungszeitpunkt zwischen all den anderen medialen Aktivitäten rund um Dickens konnte freilich nur bedingt so geplant werden, vielmehr ist davon auszugehen, dass den hinter Dickens World stehenden kreativen Köpfen hier der Zufall zu Hilfe kam. Wie Simon Swift (2007) ausführt, sind die Pläne für eine solche Einrichtung schon mehrere Jahrzehnte alt: "Dickens World has been nearly 40 years in the making. 286

Allerdings möchte Dickens World mit seiner Themenwahl nicht nur an bestehende populärkulturelle bzw. bereits popularisierte Produkte anknüpfen und Zuschauer anlocken, für die das Thema bereits diskursive Relevanz aufweist. Dickens World sieht seine Aufgabe nicht ausschlieβlich darin, "the author's everincreasing popularity" für seine Zwecke auszunutzen und daraus Profit zu schlagen (vgl. Swift 2007), sondern mittels einer Mischung aus education und entertainment zum weiteren Anwachsen der Popularität des Autors beizutragen, sprich: Dickens' Leben und Werk weiter zu popularisieren. Trotz aller popularisierenden Aktivitäten der letzten Jahre sieht die Leitung der Einrichtung diesbezüglich Handlungsbedarf: [Manager Ross Hutchins] is the first to recognize that Dickens still has a lot of catching up to do with Shakespeare in literary popularity. 'If you asked many people today under 30 to name five Dickens novels, they probably couldn't. We are going to bring Dickens to life,' he promised (Majendie 2007). Nach Angaben von Managing Director Kevin Christie hat sich Dickens World somit zum Ziel gesetzt, zu unterhalten und zu bilden – "to entertain and educate" (Beard 2007). "Wir stellen Charles Dickens hier einer neuen Generation vor. Und ich hoffe, dass die Zuschauer bei allem Entertainment etwas über Charles Dickens lernen – und dass sie so einen Zugang zu seiner Literatur finden", erläutert Martha Grove, Mitarbeiterin der Dickens Fellowship (Armbrüster 2007). Auch Gerald Dickens, UrUrEnkel des Autors, betrachtet Dickens World als Chance, wieder mehr Menschen zu den Texten seines berühmten Vorfahren hinzuführen: "If one person or one family gets intrigued, gets fascinated by the characters and stories and then goes and reads one of the novels, and then gets more fascinated and reads a biography and then starts…that's a great thing" (Beard 2007). Auch wenn diese Strategie nicht in allen Fällen erfolgreich sein wird, wie Alison Moodie (2007) vermutet – "[i]t might not inspire kids to discard their iPods and hit the books" – muss der Einrichtung dennoch zugute gehalten werden: "[I]t still stimulates interest in one of Britain's greatest authors" (ebd.). Das Beharren der hinter der Einrichtung stehenden Verantwortlichen darauf, Dickens World müsse an einem Ort gebaut werden, der einen Bezug zu Dickens' Leben und seinem Werk aufweist (vgl. Thomas 2007) lässt darauf schlieβen, dass man auch auf den Besuch der von Nicola Watson (2006) so benannten "literary tourists" hofft, die mit dem Werk eines Schriftstellers bereits vertraut sind und ihre Lektüre durch das Aufsuchen von Orten, die mit dem Werk oder der Biographie des Autors in einem Zusammenhang stehen, zu ergänzen

Originally slated to open in London’s King Cross, before being forced out by rising property prices, it is now based in the historic dockyards of Chatham. The location was chosen because Dickens’ father used to work there; an alternative site in Ashford was turned down because it had no connection to the author." 287 suchen. David T. Herberts (1995c) Studie über Jane Austens Domizil in Chawton, Hampshire, kommt zu dem Ergebnis, dass es sich bei den Besuchern von dergleichen literarischen Pilgerstätten gröβtenteils um ein gebildetes MittelklassePublikum handelt, das während seines Besuches eher an Weiterbildung denn an reiner Unterhaltung interessiert ist. Die Auswertung der von Herbert getätigten Interviews mit 223 Besuchern des JaneAusten Domizils ergab, dass es sich bei 60 Prozent der Befragten um "professional and business people" handelte, "[a]dding a further 30 per cent, who were classified as students, retirees or housewives, it is clear that bluecollar and lessskilled workers were very underrepresented in the visitors to Chawton" (Herbert 1995c, 37). Zudem ging aus Herberts Untersuchungen hervor: [V]isitors to Chawton are knowledgeable about Jane Austen and her novels and have a good level of literary awareness [...]. 56.9 per cent said that they had come to be informed or to be educated rather than to be entertained or to relax. […] Taken together, these responses show a high level of genuine interest in Jane Austen (Herbert 1995c, 39).

4.2.10.3 Die Popularisierung von Dickens' Leben und Werk in Dickens World 4.2.10.3.1 Die ständigen Attraktionen Das spärlich beleuchtete Innere von Dickens World zeigt eine Kulisse, in der sich Leben und Werk von Dickens gleichsam zu vermischen scheinen. Eine Brücke führt den Besucher zunächst über den Kanal zu einer Treppe, über die er in das Herzstück von Dickens World, den Innenhof, gelangt. Den Kanal wird er später während des Great Expectations Boat Ride – der einzigen themenparktypischen Fahrattraktion – im Boot durchfahren. Im Innenhof angekommen, sieht er vor sich eine Nachbildung von Warren’s Blacking Manufactury, in der Charles Dickens als Kind während der Inhaftierung seines Vaters im Marshalsea Prison einer von ihm als zutiefst demütigend empfundenen Beschäftigung nachging (vgl. dazu Ackroyd 1990, 71ff.). Rechts daneben befindet sich eine Häuserfront mit der Aufschrift Perrybringles Pawnbroakers, Money Lent, daneben ein weiteres Gebäude, das mit The Haunted House of Ebenezer Scrooge eine der Attraktionen des Parks beherbergt. Linkerhand sieht der im Innenhof stehende Besucher das Marshalsea Prison vor sich, in dem sich der Eingang zum Great Expectations Boat Ride befindet, das Gebäude nebenan ist nach Dotheboys Hall, der Schule aus icholas ickleby benannt. Das Gebäude rechterhand, neben den Stufen, über die der Besucher den Innenhof betreten hat, trägt den Schriftzug Collard for Groceries & Provisions, est. 1865 und beherbergt eine Art Süβigkeiten/SouvenirShop. Zu beiden Seiten führen Stufen auf die zweite Etage. Auf dieser befinden sich ein Pub mit dem Namen The Six 288

Jolly Fellowship Porters, das Britannia Theatre, in dem tagsüber eine AnimatronicShow123 über Dickens' Werk zu sehen ist, das aber auch für abendliche Veranstaltungen anderer Art gemietet werden kann, Fagin's Den, das ein Spielareal für Kinder darstellt, sowie Pegotty's Boat House, in dem ein zehnmütiger Film im 3DFormat über Dickens' Biographie, insbesondere seine zahlreichen Reisen, gezeigt wird. Beim Verlassen der themed attraction wird der Besucher dann noch durch einen weiteren der "Besuchermagnete zweiter Ordnung" geschleust, als die Wolfgang Hochbruck (2008a, 59f.) die Konzessionäre, Andenkenläden und MuseumShops eines Themenparks bezeichnet: Im Old Curiosity Shoppe können die gängigen Taschenbuchausgaben der DickensRomane, DVDs mit Verfilmungen, aber auch Tassen, TShirts, Rucksäcke etc. mit dem Dickens WorldLogo erworben werden. Besonders die optische Gestaltung der genannten Gebäude des Innenhofs knüpft deutlich an die Kulissen an, die einem Gutteil der Besucher aus den einschlägigen Dickens Verfilmungen bereits bekannt sein dürften. Dass die Dickens WorldKulisse die Film und Fernseherfahrungen somit um zusätzliche Dimensionen erweitert, wird von den Besuchern auch so empfunden. Die Kulisse erhält zumeist generell positive Kritiken auf www.reviewcentre.de124 – einer Webseite, auf der Besucher diverser Attraktionen ihr Feedback abgeben können. Ein Besucher schrieb am 9. Juli 2008: "[T]he buildings inside looked authentic and impressive like a movie set." Tobias Armbrüster (2007) zitiert zudem die Äuβerung der siebenjährigen Helena: "Du fühlst Dich hier wie am Filmset von Oliver Twist."

123 "Animatronic ist eine eine mechanisch oder elektronisch gesteuerte Figur, die hauptsächlich bei Vergnügungsattraktionen wie z.B. Geisterbahnen oder anderen Themenfahrten, aber auch bei Filmen zum Einsatz kommt. [...] Der Begriff 'Animatronic' ist ein Kunstwort aus 'Animation' für die Bewegung der Figuren und 'Electronic' als Hinweis auf die Ansteuerung. [...] Im allgemeinen Sprachgebrauch hat sich der Begriff für alle Figuren dieser Art durchgesetzt, egal ob sie elektronisch oder mechanisch gesteuert sind" (Wikipedia n.d.). 124 Vgl. die folgenden Auszüge aus auf Reviewcentre.com (2007/8) geposteten Beiträgen: "The overall design was excellent" (24.9.2007), "[T]he set […] was well put together in the style of Victorian London" (7.6.2007), "The sets are very well done [...]" (17.8.2008), "[T]he set was lovely, it was well made and well presented" (24.1.2008), "[T]he main attraction [...] did look very good [...]" (2.6.2008).

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Abb. 3: Der Innenhof von Dickens World (mit freundlicher Genehmigung von Dickens World, Chatham, Großbritannien)

Wie bereits festgestellt wurde, begründet sich der Erfolg des Genres Themenpark bzw. themed attraction in seinem interaktiven Angebot. Auch in Dickens World wird dieser Begriff erkennbar groβgeschrieben. Die Aufgabe, dem Besucher interaktive Erlebnisse zu verschaffen, lastet zum Teil auf den Schultern der "60odd costumed Victorian 'characters' who patrol the main courtyard, behaving in typically Dickensian ways" (Walsh 2007), und die ebenfalls wirken, als seien sie gerade einer Romanverfilmung entsprungen. Diese Darbietungen tragen im Bemühen der beteiligten Schauspieler, "a different historical time from the present" zu evozieren (Magelssen 2007, xxi), deutliche Züge des zuvor skizzierten GeschichstheaterGenres. An Tagen mit hoher Besucherzahl beginnen sie bereits vor den Toren von Dickens World beim Schlangestehen, an Tagen mit einer geringeren Anzahl an Besuchern im Eingangsbereich. An den ersten Tagen nach Eröffnung am 24. Mai 2007 löste Dickens World ein so groβes Interesse aus, dass sich vor dem Eingang des Gebäudes Schlangen bildeten, die den Einlass um teilweise mehrere Stunden verzögerten (vgl. BBC News 2007). Zu dieser Zeit war es ein junger Mann, dem die Aufgabe zufiel, die Wartenden durch Interaktion bei Laune zu halten, etwa auf die folgende Art und Weise: Im kessen glottalen Singsang der Cockneys ruft eine schmutzstarrende viktorianische Gestalt der Menge zu: 'Everyone 'appy?' Die Frage ist bloβ rhetorisch gemeint. Der Mann trägt einen verbeulten Zylinder und hat sich ein zerfranstes Tuch um den Hals gebunden. Er nennt sich William Sykes. Seine Frage beantwortet er selber. 'Natürlich seid ihr alle glücklich', brabbelt er jovial fort. 'Ihr seid Briten, und ihr steht Schlange!' (Thomas 2007). Bei meinen Besuchen in Dickens World am 19. und 20. August 2008 war es dann erneut eine 290

Figur aus Oliver Twist, die die Einlass begehrenden Besucher begrüβte und willkommen hieβ – ein älterer Herr, dessen Namensschild an seinem weinroten, viktorianischen Gehrock ihn als Mr Brownlow auswies. An allen drei Terminen kamen somit an dieser Stelle Figuren aus einem der bekanntesten und populärsten Romane aus Dickens' Oeuvre zum Einsatz, worin sich der bereits theoretisch postulierte Rückgriff seitens der ThemenparkGestalter auf Bekanntes und Populäres bzw. bereits Popularisiertes zeigt. Nachdem der Besucher daraufhin den Eintrittspreis entrichtet hat, werden ihm zunächst von einer Angestellten der Einrichtung im Eingangsbereich einige viktorianische Kleidungsstücke umgehängt bzw. aufgesetzt, in denen er dann fotografiert wird. Das Foto kann er später zum Preis von 6 Pfund im Gebäude mit der Aufschrift Perrybringles Pawnbroakes, Money Lent erwerben. Dieses hier sich andeutende Bemühen, den Besucher für die Dauer seines Aufenthalts zu einem Teil der ihn umgebenden viktorianischen Kulisse werden zu lassen, lässt einerseits Anflüge der von Scott Magelssen (2007, 138) so benannten secondperson interpretation erkennen, verdeutlicht daneben aber auch den stark kommerziellen Zuschnitt der Einrichtung. Hat der Zuschauer den Innenhof erreicht, wird er von weiteren kostümierten Charakteren in Empfang genommen und erneut begrüβt. Die Schauspieler, die sich hinter diesen Charakteren verbergen, scheinen dem Konzept der firstperson interpretation verpflichtet zu sein, sind darin aber nicht konsequent. Diese mangelnde Konsequenz lässt sich auch nicht dadurch erklären, dass die Schauspieler lediglich zu Zwecken der Erläuterung von der ersten in die dritte Person wechseln würden. Vielmehr fallen sie häufig ohne jegliche erkennbare Notwendigkeit schlichtweg aus der Rolle, was von etlichen Besuchern kritisiert wird.125 Dies wiederum lässt sich als Indiz dafür werten, dass – bei aller Wichtigkeit der diskursiven Relevanz, die durch die Vertrautheit der Kulisse aus anderen populärkulturellen Produkten entsteht – die Erzeugung einer ganzheitlichen, von der Alltagserfahrung des Besuchers abgetrennten Illusion für den Genuss seines Aufenthalts in einer themed attraction als durchaus wesentlich einzustufen ist. Die Kulisse samt den im viktorianischen Stil kostümierten Charakteren dürfte eher den Zweck verfolgen, die Rahmenbedingungen für einen gelungenen Aufenthalt des Besuchers in Dickens World zu schaffen, ohne selbst schon Inhalte aus Dickens' Werk oder seiner Biographie zu vermitteln. Neben seiner praktischen dürfte auch das Restaurant The Six

125 Vgl. wiederum Reviewcentre.com (2007/8): "[T]he characters need to perform more about the place […]" (2.6.2008), "The characters could be a little more entertaining, instead of standing around chatting to each other" (28.2.2008), "We would have preferred the Victorian characters to play more of a key role, they were just 21st century people dressed up, they really need to act their part out and give more factual information.” (7.11.2007).

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Jolly Fellowship Porters eine zusätzliche atmosphärische Funktion haben. Kredenzt wird "traditional English fare" (Spencer 2007) mit mitunter viktorianischen bzw. an Dickens' Werk orientierten Bezeichnungen. Zwar wurde der Versuchung widerstanden "'Please, sir can I have some more?' 2for1 specials'" (Lawless 2007) anzubieten, ebenso wenig gibt es "Twist style gruel on sale" (O’Neill 2007), wohl aber finden sich "'Fagin's Last Supper' (half a loaf of bread with beef) and a Victorianstyle steamed steak and kidney pudding" (Membery 2008) auf der Speisekarte. Einen rein praktischen Zweck erfüllt das Spielareal für Kinder, Fagin’s Den – "a softplay area for little kids [...] fitted out with neongreen climbing walls and bright yellow slides" (Moodie 2007) – nämlich den, dass Eltern dort ihre kleinen Kinder in die Obhut von Dickens WorldAngestellten geben können, während sie selbst die verschiedenen Attraktionen erkunden. Nach Ansicht einiger DickensExperten hat der auf den ersten Blick für ein Kinderspielareal ungeeignet scheinende Name durchaus seine Berechtigung: "[W]hat locale from Dickens would you choose? Mr Bumble's workhouse? Dotheboys Hall, with Mrs Squeers forcefeeding the boys brimstone and treacle? At least, in Fagin’s Den, they ate well, weren't bullied and had fun", so Thelma Groves, Mitarbeiterin der Dickens Fellowship (Hart 2007).126 Die Existenz des Great Expectations Boat Ride ist indes ganz klar der Entertainment Komponente von Dickens World geschuldet. Die Bootsfahrt – "laut Programm eine Hommage an die KanalisationsSchilderungen in Dickens [sic] Roman 'Great Expectations'" (Armbrüster 2007) – führt in langsamem Tempo durch einen mit braun gefärbtem und moderat übelriechendem Wasser gefüllten nachgebauten Abwasserkanal, aus dem gelegentlich die eine oder andere AnimatronicRatte hervorschaut, vorbei an einem Jungen, der mit dem Rücken zum Zuschauer an eine Häuserwand uriniert und "zur Erheiterung der Kinder enorm beiträgt" (Thomas 2007). Nach ein paar Minuten steigt der Kanal dann steil an, das Boot fährt eine Anhöhe hinauf und bietet dem Besucher einen Blick über die Dächer von London "as they would have looked 150 years ago" (O’Neill 2007) – "illustrating Abel Magwitch's bolt from the capital (that's the Great Expectations bit)" (Swift 2007). "We fly over tightly packed houses, church steeples, and tall shop walls bearing slogans such as 'Mrs. Beaton's Whooping Cough Tincture: Made from Syrup of Squills'" (O’Neill 2007). Schlieβlich fährt das Boot in schnellem Tempo rückwärts die Anhöhe wieder hinunter und

126 Vgl. auch Simon Swift (2007), der einen weiteren Befürworter der Namenswahl zitiert: "'There is something very attractive about Fagin and about the atmosphere that he creates for children in his employ,' says Leon Litvack, trustee of the Dickens Museum and professor at Queen's University Belfast. 'There is a sinister motive but Dickens treats that with humour. Oliver's life there is better than it was in the workhouse.'"

292 landet platschend im Wasser, wodurch der Besucher nassgespritzt wird. Anschlieβend führt die Fahrt durch einen Friedhof mit Grabsteinen von Scrooge, Master Humphrey und anderen. "Ominous creatures, including a crazed and wideeyed undertaker and a pale, petrified woman wrapped in a shawl, lurk behind the wonky gravestones, seeming to plead with we [sic] boatriders to reach out and help them", beschreibt Brendan O’Neill (2007) ein weiteres interaktives Moment. Zu guter Letzt führt die Fahrt noch durch eine Bucht "showcasing a greatest hits of Dickensian villains" (Swift 2007) der Sorte Quilp und Fagin. Dickens World bewirbt die Bootsfahrt als "one of the longest themepark boat rides in Europe (210 meters), and the only one in the world […] that combines a 'water ride' (the sewer experience) with a 'dry ride' (the flight over rooftops)" (O’Neill 2007). Obgleich die Bootsfahrt insgesamt doch eine beträchtliche Anzahl an Motiven und Elementen aus Dickens' Werk aufgreift und verarbeitet, dürfte ihre Funktion doch darin bestehen, einen Groβteil des von den Besuchern erwarteten Entertainments zu liefern. Die anderen Attraktionen sind stärker darauf abgestimmt, Inhalte aus Dickens' Werk und Biographie zu popularisieren. In dem zehnminütigen Film, der in Peggottys Boathouse gezeigt wird, geht es um Biographisches. Im Zentrum der Produktion stehen Dickens' zahlreiche Reisen: Der Film schlägt einen Bogen von Dickens' erster AmerikaTour im Jahr 1842 über seine Reisen nach Frankreich und Italien, die Zugfahrt, die in dem sogenannten Staplehurst Disaster endete, bis hin zu Dickens' zweiter Reise nach Amerika im Jahr 1867. Popularisiert wird hier vor allem mittels des 3DEffekts, in dessen Genuss der Zuschauer durch eine entsprechende Brille kommt, die ihm beim Betreten von Peggottys Boat House in die Hand gedrückt wird. Dieser Effekt bewirkt, dass der Zuschauer wiederum in die Handlung des Films eingebunden wird. Als auf der Leinwand beispielsweise zu sehen ist, wie Dickens bei seiner Ankunft in Boston beim Verlassen des Schiffs von der Menge begrüβt wird, entsteht beim Zuschauer unwillkürlich der Eindruck, er befände sich selbst an der Reling des Schiffes und stünde nur wenige Meter von Dickens entfernt. In einer weiteren Szene wird Dickens' viel zitierte Abneigung gegenüber der Angewohnheit vieler Amerikaner, in der Öffentlichkeit auszuspucken, illustriert. Das Stück zerkauter Kautaback, das ein Cowboy in einem texanischen Salon in hohem Bogen ausspuckt, scheint dem Zuschauer vom Bildschirm geradewegs ins Gesicht zu fliegen. Gleichzeitig wird er mit ein paar von der Decke kommenden Wassertropfen bespritzt – so, als sei er vom Auswurf des Cowboys tatsächlich getroffen worden. In der Szene, in der gezeigt wird, wie Dickens einer öffentlichen Hinrichtung in Italien beiwohnte, ist es dann das Haupt des Geköpften, das dem Zuschauer von der Leinwand her entgegen fliegt. Zur Kurzweiligkeit der ohnehin schon 293 zeitlich sehr begrenzten Produktion trägt zudem die Tatsache bei, dass sich eine Art SlapstickKomik durch den gesamten Film zieht. Diese Komik wird unterstützt durch die Tatsache, dass in dem Film keine wirklichen Schauspieler, sondern Zeichentrickfiguren agieren. Diese SlapstickKomik geht in etlichen Fällen auf Kosten von Dickens' Ehefrau Catherine und gibt diese der Lächerlichkeit preis: Im Zusammenhang mit Dickens' erster AmerikaReise kommt Catherines Seekrankheit zur Sprache, woraufhin der Zuschauer durch ein Bullauge des Schiffes sieht, wie Catherine mit Übelkeit und nahendem Erbrechen zu kämpfen hat. Anschlieβend wird die Geburt von Dickens' und Catherines fünftem Kind Frank thematisiert. Auf dem Bildschirm ist zu sehen, wie das neugeborene Baby Catherine, die sich neben Dickens' Schreibtisch postiert hat, gleichsam aus dem Nichts vom Himmel in die Arme fällt. Wenig später ist von Catherines Gewichtszunahme, nachdem sie zehn Kinder zur Welt gebracht hatte, die Rede: "Catherine was bloated after ten children" heiβt es wörtlich, während der Körper der im ersten Moment noch schlanken Catherine sich innerhalb von Sekunden vor den Augen des Zuschauers aufbläht. Aber auch andere Ereignisse werden auf der Leinwand einer SlapstickBehandlung unterzogen: Als von der hohen Besucherzahl des 'BozBalls', der zu Dickens' Ehren während seiner ersten AmerikaReise in New York abgehalten wurde, berichtet wird, dehnt sich das New Yorker Park Theatre, der Austragungsort des Balls, in Höhe und Breite und gerät somit buchstäblich aus den Fugen. Auch zwei an und für sich keineswegs komische Ereignisse aus Dickens' Leben werden ins Lächerliche gezogen. Zum einen Dickens' Besteigung des Vesuvs, zum anderen das als Staplehurst Disaster bekannt gewordene Zugunglück aus dem Jahr 1865. Über die Besteigung des Vesuvs heiβt es in der FilmProduktion – nicht ganz den Fakten entsprechend: "Dickens climbed with two other visitors – all three came rolling down", woraufhin zu sehen ist, wie drei Figuren den Berg hinunterrollen.127 Ähnlich 'verhumorisiert' wird das Staplehurst Disaster (vgl. dazu Ackroyd 1990, 1012f.). Im 3DFilm scheint der Zug geradewegs auf den Zuschauer zuzuschieβen, ein Arbeiter, der sich an den Schienen zu schaffen gemacht hatte, erschrickt auf chaplineske Weise und sucht das Weite. Der Zug

127 Vgl. Peter Ackroyds (1990, 482f.) Schilderung der Unternehmung: "Dickens insisted on ascending still higher so that he might stare into the very heart of the volcano itself. […] With only one guide he climbed the last few hundred feet as burning cinders and ash rained down upon him. Then they reached it. 'We looked down into the flaming bowels of the mountain and came back again, alight in halfadozen places, and burnt from head to foot.' But, as he stood upon the summit, he swigged a bottle of wine before descending to the others. […] The descent was treacherous: easy enough to clamber down over the ash and rock, but when they had reached the icecovered side of the mountain they had to descend in a single line, in a human chain. But the chain broke: the Englishman plunged down the side of the mountain, some five hundred feet, and a guide fell down after him. The English traveler was found bruised but alive; the guide had not been discovered by the time Dickens and his party had left the scene." 294 entgleist nicht nur, sondern explodiert mit einem lauten Knall, auf der Leinwand ist nun der Waggon zu sehen, der schräg über dem Abgrund hängt, und dem Dickens mit Begleitung entsteigt. Es wird – historisch akkurat – berichtet und gezeigt, wie Dickens, nachdem er einigen Verletzten zu Hilfe geeilt war, zu dem hängenden Waggon zurückkehrte, um das Manuskript des instalment von Our Mutual Friend, an dem er gerade arbeitete und das er dort versehentlich zurückgelassen hatte, zu holen. Unmittelbar nachdem dies geschehen ist, stürzt auch der hängende Waggon in den Abgrund – womit die Autoren der Filmproduktion den Boden des historisch Gesicherten wieder verlassen.128 Die Slapstick inspirierten Elemente des Films waren es wohl, die einen Besucher des Themenparks zu der Annahme verleiteten: "They seem to have attempted to turn him [Dickens] into a sort of caricature like one of his own creation" (Reviewcentre.com 2007/8, 23.2.2008). Thematisiert – wenngleich nicht ausführlich – werden in der Produktion auch Dickens' Liebschaften und damit ein Themenbereich, bei dem – wie bereits gezeigt wurde – davon auszugehen ist, dass er bei einer heterogenen Rezipientengruppe mit unterschiedlich groβem kulturellen Kapital auf Interesse stöβt. So kommt im Zusammenhang mit Catherines Gewichtszunahme Dickens' Beziehung zu Ellen Ternan zur Sprache, und recht zusammenhanglos – da das Thema des Films ja Dickens' Reisen sind – wird im Umfeld von Dickens' ItalienReise auch auf sein Verhältnis zu seiner Schwägerin Mary Hogarth und seine obsessive Trauer nach deren Tod eingegangen: "Dickens' imagination was haunted by visions of Mary Hogarth", heiβt es in der Produktion, woraufhin dem Zuschauer dann kurz erklärt wird, was es mit dieser Mary Hogarth auf sich hatte. In Dotheboys Hall, dem nach Mr Squeers' Einrichtung aus icholas ickleby benannten viktorianischen Schulzimmer, wird literarisches, zeitgeschichtliches und biographisches Wissen vermittelt. Die Popularisierung erfolgt hier wieder über die Strategie der Interaktivität, die auch in diesem Fall in die Richtung der secondperson interpretation weist: Der Besucher übernimmt die Rolle des Schülers in Dotheboys Hall. In die Schultische eingelassen ist jeweils ein Bildschirm, an dem der Besucher eine computerisierte Version des Spiels Snakes and Ladders spielen kann. Seine Aufgabe besteht darin, Fragen zu beantworten, die im Wesentlichen aus zwei Themenkomplexen – Dickens' Werk und der viktorianischen Ära – stammen. Aus vier zur Wahl gestellten Antworten wählt er die seiner

128 Vgl. wiederum Peter Ackroyds (1990, 1014) Schilderung des Vorfalls: "And then, as he prepared to quit the scene of death, Dickens did a remarkable thing. He remembered that his manuscript was still in the pocket of his overcoat and. '…not in the least flustered at the time', he clambered back into the swaying carriage and retrieved it. He said that it was soiled only, although any such marks of the accident have now faded from the pages themselves. Then he travelled back to London […]." Auf ein Hinabstürzen des letzten Waggons unmittelbar nach Dickens' Bergung seines Manuskripts findet sich hier kein Hinweis. 295

Ansicht nach korrekte aus. Hat er die entsprechende Frage richtig beantwortet, erhält er Punkte dafür. Sowohl bei richtiger als auch bei falscher Beantwortung der Frage erscheint eine kurze Erklärung zur richtigen Antwort auf dem Bildschirm, über die dem Besucher in einfachen Worten Hintergrundwissen vermittelt wird. Hier einige der Fragen, die dem Besucher auf den Bildschirmen in Dotheboys Hall begegnen können: a. In which of these magazines did Charles Dickens’s stories NOT appear? Antwort und Erklärung: The Englishwoman's Domestic Magazine. Charles Dickens's works appeared in serial format in popular magazines and the public eagerly awaited the last installments. The Englishwoman's Domestic Magazine featured the work of Mrs Beeton and was owned by her husband Sam Beeton. b. Complete this title: Martin… Anwort und Erklärung: Martin Chuzzlewit is a story of selfishness and greed, with many characters striving to inherit the Chuzzlewit family fortune. c. Fill in the missing word: Our Mutual… Antwort und Erklärung: Friend. The story of Our Mutual Friend focuses on the romance between John Harmon and Bella Wilfer. Dickens left part of the manuscript for the novel on a train he was travelling on in 1865 which crashed killing ten people. He managed to reenter the train to retrieve his work after looking after the victims of the crash. d. Which of these statements accurately describes childhood when Dickens was a child? Antwort und Erklärung: Many children of poorer families could not go to school because they had to work. Childhood in Dickens' time was a dangerous time for poorer people. Many children had to work long days (around 16 hours), had no opportunity to go to school. They would often die before reaching adulthood. Die Interaktivität dieser Dickens WorldAttraktion wird durch die Präsenz einer viktorianischen Lehrerfigur noch gestärkt – die von den Besuchern übernommene second person interpretation wird um eine Interpretation in der ersten Person ergänzt. Der Schauspieler, der am 19. August 2008 in Dotheboys Hall die Rolle des Lehrers bekleidete, präsentierte sich als eine Mischung aus Mr Squeers und Nicholas Nickleby – optisch erinnerte er, schon aufgrund seines jugendlichen Alters, an Nicholas, sein Benehmen schien ihn indes als Mr Squeers auszuweisen. Der Lehrerfigur fällt die Aufgabe zu, durch die Reihen zu gehen, den Besuchern beim Spielen über die Schultern zu sehen, und zwischendurch mit Ausrufen wie: "It is far too loud in here" oder "What does this class not understand about quiet?" für Ruhe zu sorgen. Beenden die Besucher das Spiel, lässt er sich mitunter den Endstand zeigen, bevor sie Dotheboys Hall verlassen dürfen. In The Haunted House of Ebenezer Scrooge werden dem Zuschauer Figuren und Szenen aus Dickens' Oeuvre präsentiert. Die Popularisierung erfolgt hier dadurch, dass es sich bei den präsentierten Inhalten um eine Art Sammlung von Highlights aus Dickens' Werk handelt, die dem Zuschauer in sehr kurzer Form und rascher Abfolge präsentiert werden, und 296 wiederum durch Interaktion – wenngleich in wesentlich schwächerer Form als in Dotheboys Hall – die hier einhergeht mit dem Erzielen von geisterbahnähnlichen Gruseleffekten. Dafür verantwortlich zeichnet jeweils eine junge Schauspielerin, die die Zuschauergruppe – für jeden Durchgang durch The Haunted House wird nur eine bestimmte Anzahl an Besuchern hineingelassen – im düsteren Foyer des Gebäudes empfängt. Die junge Frau, die am 19. August 2008 als Gastgeberin des Haunted House fungierte, gab sich nicht als eine bestimmte Figur aus Dickens' Oeuvre zu erkennen, ihre Kollegin, der diese Aufgabe am darauffolgenden Tag zufiel, stellte sich dagegen als Miss Havisham aus Great Expectations vor. Die jeweilige Schauspielerin erschreckt das Publikum – vor allem die anwesenden Kinder – dadurch, dass sie plötzlich auf einzelne Personen zutritt und diese böse anstarrt, unvermittelt mit dem Fuβ aufstampft oder Schreie ausstöβt. Kann der Durchgang durch das Haus beginnen, fordert die Gastgeberin die Besucher auf, ihr die Treppe hinauf zu folgen. Oben angelangt, verschwindet sie plötzlich, während die Besucher hinter einer Scheibe den ersten 'Geist' erblicken – a […] computer generated image of a spooky sprite that materialises on a chair. An impressive use of the Victorian theatre effect commonly known as 'Pepper's ghost' it utilizes a series of glass reflective panels to confuse the eye of the viewer into believing they are watching something in three dimensions which is actually nothing more than a reflection of a pane of glass. The effect works well, but is delivered here with no drama (Karl n.d.). Die Besucher gehen nun weiter den Korridor entlang, bis sie an der nächsten Scheibe angelangt sind, hinter der eine Reihe der bekanntesten Charaktere aus Dickens' Oeuvre aufmarschieren. Diese werden jeweils von einer Stimme aus dem off vorgestellt, die die Stimme von Dickens selbst darstellen soll, und die dem Zuschauer die wichtigsten Informationen zu der entsprechenden Figur mitteilt. Den Anfang macht Wackford Squeers, gefolgt von Little Nell ("one of my best loved characters"), Captain Cuttle ("[who] gave Florence Dombey refuge when she left her cruel father"), Lizzie Hexam, Jenny Wren, Mr Bumble, Mrs Gamp ("[who] was a fair example for a nurse", Tiny Tim Cratchit ("and of course, Tiny Tim did not die"), Stoney Durdles ("[who] is one of the last characters I wrote about"), Miss Havisham ("[who]was based on a woman I used to see in London"), Oliver Twist ("[who] was born into a life of misery") sowie Peggotty. Die jeweils nächste Figur erscheint schon auf dem Bildschirm, während die Stimme aus dem off noch mit der vorausgegangenen beschäftigt ist und diese auch noch hinter der Scheibe zu sehen ist, so dass die Charaktere in einer denkbar schnellen Abfolge dort erscheinen. Hinter der nächsten Scheibe erblickt der Zuschauer die Kulisse eines Dachbodens, vor der dann – wieder in aller Kürze – zwei Szenen aus icholas ickleby gezeigt werden, zuerst – in Abweichung von der 297

Chronologie des Romans – Ralph Nicklebys Selbstmord, dann das Duell zwischen Sir Mulberry Hawk und Lord Verisopht. Folgt der Zuschauer weiter dem Gang, gelangt er zu einer weiteren Scheibe. Diesmal ist es Ebenezer Scrooges Schlafzimmer, das dahinter zu sehen ist, wo dieser von den drei Geistern aus A Christmas Carol Besuch erhält. Wie Jason Karl (n.d.) festhält, enthält diese Darbietung wieder ein interaktives Element, "when the ghost of Christmas Yet To Be points at the audience and draws Ebenezer's attention to you! A nice touch of perceived, if actually static, interaction." Die letzte Darbietung rundet den Besuch des Haunted Houses mit einem weiteren Gruseleffekt ab, der in keinem Zusammenhang mit Dickens steht, und dessen Funktion somit darin zu bestehen scheint, für Unterhaltung zu sorgen: The last scene, apparently a darkened chamber with a single chair in the centre, was brought to life by the actress/host whom I had met at the beginning. I genuinely jumped when she appeared in front of me as if from nowhere […] and completed the story of the haunted house (Karl n.d.). Trotz solcher Gruseleffekte kritisiert ein Besucher die Tatsache, dass im Falle des Haunted House das innerhalb des Themenparks zwischen entertainment und education ständig hin und her schwingende Pendel stark in Richtung education ausschlägt: "Although the haunted house was a great way of delivering information, it did little else" (Reviewcentre.com 2007/8, 7.11.2007). Das Britannia Theatre zeigt eine AnimatronicShow, innerhalb derer Figuren aus Dickens' Oeuvre ihrem Schöpfer begegnen, und in der einige der Aspekte von Dickens' Werk und seiner Biographie diskutiert werden, mit denen sich auch die Literaturwissenschaft in den letzten Jahrzehnten immer wieder beschäftigt hat. Zunächst treffen Fagin und The Artful Dodger, die nicht als animatronische Figuren zu sehen sind, lediglich ihre Stimmen sind aus dem Off zu hören, auf Mr Pickwick und Sam Weller, die als Figuren in den beiden Logen links und rechts der Bühne des Theaters auftauchen. Nachdem Fagin dem Artful Dodger angekündigt hat: "It's time to meet your maker, my boy", erscheint Dickens selbst als Figur auf der Bühne, an einem Pult zum Publikum gerichtet stehend. Nachdem Dickens sich mit der Aufforderung "Let's share some of our closest secrets" an die übrigen Anwesenden gewandt und sich ob seines Umgangs mit Sträflingen peinlich berührt gezeigt hat, erscheint hinter ihm auf der Bühne eine Reihe Gefängniszellen, in denen sich Dickens' Vater John Dickens, Alfred Jingle aus The Pickwick Papers und William Dorrit aus Little Dorrit befinden. Zwischen diesen Figuren entspinnt sich eine Unterhaltung, deren hauptsächlicher Redeanteil Dickens und seinem Vater zukommt, und die in John Dickens' an seinen Sohn 298 gerichteter Äuβerung gipfelt: "I've been exceedingly happy with what you achieved", worauf dieser antwortet: "Father, I regard you as a better man the longer I live." Nachdem die Gefängniszellen verschwunden sind, entsteht an ihrer Stelle die Kulisse des Friedhofs aus Great Expectations, in dessen Zentrum drei Grabsteine stehen, die plötzlich Gesichter erhalten und zu reden beginnen. Die beiden äuβeren Grabsteine geben sich als "Philip Pirrip" und "Georgiana, Wife of the Above", zu erkennen, also als Pips Eltern, während sich der mittlere anonyme Grabstein schlicht als "R.I.P." vorstellt. Diese drei Grabsteine führen ein Gespräch, in dem unter anderem der Inhalt des Romans, dem sie entstammen, diskutiert wird, und in dessen Verlauf unvermittelt Geister aus ihnen aufsteigen, wohl wieder in der Absicht, der Darbietung einige zusätzliche Gruseleffekte beizumischen. Der nächste Teil der animatronischen Darbietung behandelt die Frage, inwieweit die Figuren in Dickens' Oeuvre auf realexistierenden Personen basierten. Auf der Bühne erscheint das Bild eines überdimensionalen, aufgeschlagenen Buches. Während Dickens – nach wie vor hinter seinem Pult postiert – erklärt: "Many of my characters were based on real people. With some of my characters I could never make up my mind as to how they should turn out", erscheint auf der vom Publikum aus betrachtet linken Seite des aufgeschlagenen Buches eine Zeichung von Fagin. Dickens fährt fort: "Fagin, you were based on a notorious swindler, but you turned out a little worse." Auf der rechten Seite des Buches erscheint nun eine Zeichnung von Miss Mowcher aus David Copperfield. Beide Figuren erwachen gleichsam zum Leben, sie werden dreidimensional, die Zeichnungen verwandeln sich in vorproduzierte Filmeinspielungen. Fagin und Miss Mowcher beginnen ein Gespräch mit Dickens, in dessen Verlauf Miss Mowcher äuβert: "When Mr Dickens introduced me into David Copperfield, someone recognized herself and was very upset" – eine Anspielung auf eine gewisse Miss Hill – a chiropodist and manicurist, a neighbor of Dickens and a dwarf, [who] felt that she was being portrayed as the untrustworthy and tiny Miss Mowcher in David Copperfield. She was right; Dickens had obviously seen her on many occasions, and had caricatured at least her appearance in the novel without any thought of the consequences to Mrs Hill herself. So she sent a pained letter about his use of her "personal deformities" (Ackroyd 1990, 608). Dickens antwortet: "I did what I could to make you a more sympathetic character."129 Fagin und Miss Mowcher verschwinden von den Seiten des Buches und machen David Copperfield

129 Vgl. Ackroyd (1990, 608): "[Dickens] received a letter from Mrs Hill’s solicitor, in which an action for libel was vaguely threatened. Dickens tried to mollify the man, and promised to repair the damage by changing the character of Miss Mowcher in order to throw a creditable light upon Mrs Hill herself. He was as good as his word". 299

Platz, der zunächst wieder als Zeichnung erscheint, um gleich darauf zur dreidimensionalen Filmeinspielung zu werden, die die Frage an Dickens richtet: "Is it really true that I am your favourite child?". Dickens bestätigt dies und kommt auf eine weitere Figur aus David Copperfield zu sprechen, die ihr Vorbild ebenfalls in einer realen Person aus Dickens' Umfeld hatte: Davids erste Frau Dora, die, wie der animatronische Dickens verrät, seiner Jugendliebe Maria Beadnell nachempfunden war: "But while Dora died, Maria came back toothless, fat, old and ugly", bemerkt Dickens leicht zynisch, womit er auf sein desillusionierendes Wiedersehen mit ihr Jahre später anspielt (vgl. Ackroyd 1990, 766f.). Dickens geht hier ebenfalls darauf ein, dass er Maria Beadnell – im Anschluss an eben jenes Wiedersehen mit ihr – noch einmal in Little Dorrit erscheinen lieβ, und zwar in Gestalt der Flora Finching aus diesem Roman – "but she didn't recognize herself. I think I got away with it this time." Nachdem mit Betsey Trotwood eine weitere Figur auf der rechten Seite des überdimensionalen Buches aufgetaucht ist, die sich bei ihrem Schöpfer beschwert: "Why am I solely remembered for chasing donkeys from the front of my house?", verschwindet das Buch von der Bildfläche. Nun richtet sich die Aufmerksamkeit wieder auf Mr Pickwick und Sam Weller. Diese hatten die ganze Zeit über von ihren Standorten in den Logen links und rechts der Bühne das Geschehen beobachtet und vereinzelt kommentiert – Sam Weller zumeist unter Zuhilfenahme einer seiner legendären Wellerisms der Sorte: "I'll make myself scarce, as the oyster said when it was coming out of season." Pickwick und Dickens beschlieβen die knapp halbstündige Darbietung nun mit einer Art Resümee über Dickens' Charaktere in ihrer Gesamtheit (Pickwick: "So many wonderful characters. We all owe you an awful lot." Dickens: "You will insist on working out your histories in your way, not mine. I can't get you to do what I want"), in dessen Verlauf Pickwick Dickens auch die Frage stellt, worauf er die fortdauernde weltweite Popularität seiner Geschichten zurückführt. Dickens gibt zur Antwort: "Maybe it's because they still have a place in the hearts of modern societies. Maybe it's because of the characters who I still hold dear in my heart." Schlieβlich verschwindet auch Dickens mitsamt seinem Pult von der Bühne. Sam Weller kommentiert dies mit einem weiteren seiner Wellerisms: "It's over and can't be helped and that's one consolation, as they always says in Turkey when they cuts the wrong man's head off." Die Art und Weise, wie innerhalb dieser Darbietung Figuren aus Dickens' Oeuvre erscheinen und sowohl miteinander als auch mit ihrem Schöpfer interagieren, verleiht ihr insgesamt einen postmodernen Anstrich, der stark an die bereits thematisierten Interludes aus Ackroyds DickensBiographie gemahnt. Wie die Zusammenfassung der Darbietung zeigt, werden hier gröβtenteils literarische Fragestellungen behandelt. Um dem Geschehen auf der 300

Bühne folgen und Anspielungen richtig deuten zu können, sind Grundkenntnisse von Dickens' Leben und Werk erforderlich. Hierin unterscheidet sich die Attraktion von den übrigen, bereits vorgestellten Attraktionen von Dickens World, deren Inhalte auch ohne Vorkenntnisse verständlich und nachvollziehbar sind. Der hauptsächliche Rezeptionsanreiz dürfte in der Gestaltung der Darbietung als AnimatronicShow und den verwendeten Spezialeffekten liegen, die auch von etlichen Besuchern gelobt werden.130 Auf Einbindung des Zuschauers wie in den übrigen Attraktionen wird verzichtet, die Versuche, Gruseleffekte (wie durch die aus Gräbern aufsteigenden Gespenster) und Lacheffekte (wie durch die Wellerisms des Sam Weller, die – wenn überhaupt – nur sehr verhaltene Heiterkeit im Publikumsraum auslösen) zu erzielen, scheinen die Rezeption nur sehr bedingt zu erleichtern. Die Besucher kritisieren die Darbietung zumeist als "boring" (Reviewcentre.com 2007/8, 4.6.2008), "dreadfully dull" (13.8.2008) oder – etwas reflektierter – als "too highbrow in its content" (4.6.2008).

4.2.10.3.2 Die Shows Die ständigen Attraktionen von Dickens World werden regelmäβig ergänzt durch Aufführungen von Adaptionen einzelner DickensWerke. Im Sommer 2008 führten die Mitarbeiter des Themenparks im Innenhof von Dickens World täglich jeweils 20minütige Kurzfassungen der Romane Oliver Twist und A Tale of Two Cities auf. Zusätzlich steuerten die drei professionellen Schauspieler GemmaMay Bowles, Clive Adam und Alan Wales für die Dauer von etwa zwei Monaten zwei weitere Aufführungen bei: Eine ebenfalls ca. 20 minütige, auf Oliver Twist basierende Darbietung mit dem Titel The Trial of Fagin (auch diese war im Innenhof der Attraktion zu sehen), sowie eine etwa 50 Minuten lange, weitere Adaption von Oliver Twist, die unter dem Titel Oliver Unplugged im Britannia Theatre dargeboten wurde. Die beiden von Dickens WorldMitarbeitern präsentierten Adaptionen von Oliver Twist und A Tale of Two Cities richteten sich erkennbar an die Kinder unter den Besuchern. Auch hier wurde wieder eine interaktive Herangehensweise gewählt und zumindest in Ansätzen das Konzept der secondperson interpretation umgesetzt: Einer der Darstellenden begrüβte die Anwesenden und forderte sie dazu auf, sich als Mitglieder von Fagin’s gang an der Aufführung zu beteiligen. An Kinder, die sich dazu bereiterklärten, wurden Kleidungsstücke wie Mützen, Westen etc. verteilt und es wurde ihnen der Platz im

130 Vgl. Reviewcentre.com (2007/8): "The 'book' characters in the show were well presented […]" (28.8.2007), "Dickens himself (meant to look human) actually looked wooden (other affects [sic] were good)" (23.10.2007). 301

Bühnenbereich gezeigt, an dem sie in jener Szene, in der Oliver erstmals in Fagins Fänge gerät, dessen Bande als Statisten komplettieren sollten.131 Eine erwachsene Person aus dem Publikum wurde für die stumme Rolle des Richters verpflichtet, der nach Olivers vermeintlichem Diebstahl von Mr Brownlows Taschentuch seinen Einsatz hat, und zu diesem Zweck mit einer graugelockten Perücke ausgestattet. Auch für A Tale of Two Cities wurden Kinder gesucht, die als die von Madame Defarge geleitete Gruppe von Revolutionären an der Aufführung teilnehmen sollten. Aus der Tatsache, dass beide Aufführungen die Länge von jeweils 20 Minuten nicht überschritten, ergibt sich bereits, dass die jeweiligen Geschichten nur in den gröbsten Zügen und in stark vereinfachter Form wiedergegeben werden konnten. Mit der aus dem off kommenden Erzählerstimme wirkten die Darbietungen wie in leicht verständlicher Sprache vorgetragene HandlungsSynopsen, die von den Darstellern zumeist pantomimisch illustriert wurden. In der Adaption von Oliver Twist brachte dies eine Konzentration auf die 'Räubergeschichte' mit sich. Das Bemühen, die Darbietung kindgerecht zu gestalten, resultierte in einigen kleineren Eingriffen in den Plot: So wurde Nancy euphemistisch als "Bill Sikes's girlfriend" apostrophiert, ihre Ermordung durch Bill Sikes und auch dessen Tod ereigneten sich offstage. Auch die Aufführung von A Tale of Two Cities zeigte eine Konzentration auf einige Höhepunkte der Handlung, besonders auf das die romantische Dreiecksgeschichte um Lucie Manette, Charles Darnay und Sydney Carton sowie auf die Verwechslungsgeschichte um die beiden letzteren, die es Sidney Carton letztlich ermöglicht, aus Liebe zu Lucie Manette ihrem Ehemann Charles Darney das Leben zu retten. Getreu dem von Managing Director Kevin Christie formulierten Motto von Dickens World – "to entertain and educate" (Beard 2007) – wurde auch im Zusammenhang mit diesen beiden Aufführungen der Versuch unternommen, literatur und zeitgeschichtliches Wissen an den Mann bzw. das Kind zu bringen. In einigen wenigen einführenden Sätzen, die einer der Darsteller den Darbietungen jeweils vorausschickte, lieferte dieser einige Hintergrundinformationen zu den beiden Romanen. So erklärte er, dass es sich bei A Tale of Two Cities um Dickens' insgesamt zwölften Roman handelte, der die politische Situation in

131 Dieser Versuch, die anwesenden Kinder in die Darbietung miteinzubeziehen, geht offensichtlich nicht allen Besucher von Dickens World weit genug. Während eine Person anmerkte "Film and theatre were good (all the children were able to join the cast!)" (Reviewcentre.com 2007/8, 8.6.2008), kritisierte eine andere: "Children were encouraged to take part. All they did was dress up and sit on the set. It would have been far better to have fitted performers with headsets so they could have performed the story lines and involved the children/audience." Dies lässt sich als Indiz für die Wichtigkeit betrachten, die Besucher von Themenparks bzw. themed attractions einer interaktiven Ausrichtung der Vergnügungsangebote beimessen. Allgemein spricht sich auch Scott Magelssen für eine Verstärkung des Angebots der secondperson interpretation in living history Einrichtungen aus (vgl. Magelssen 2007, 153). 302

London und Paris vor und während der Franzöischen Revolution zum Inhalt hatte ("ill treatment and mismanagement of the workers and paupers in Paris"). Zudem ging er auf die Bedeutung von pauper shows, denen die Dickens WorldAufführungen nachempfunden sein sollten, für die UnterschichtBevölkerung des 19. Jahrhunderts ein und gab einige Informationen zu deren Preis ("farthing for the whole family to watch a show") und Gestaltung ("very loosely thrown together in terms of setting"). Die Aufführung The Trial of Fagin knüpft an eine Vorstellung von der FaginFigur an, die durch Popularisierung entstanden ist. In einem kurzen Video über die Produktion, das auf der Webseite 'KentOnline' zu sehen ist (vgl. Kentonline.co.uk 2008), äuβert Joe Wenborne, der Regisseur des Unternehmens: We did a survey of children throughout the UK and asked them who they thought the villain in Oliver Twist was. And everyone, or mainly everybody said Bill Sikes, because he commits the murder, and even some people said Mr Bumble, but very few people said Fagin. It is mainly due to the fact that Ron Moody has done such a great job with the Oliver! Musical, and that's not the way that Charles Dickens wrote it. I mean, the catalyst behind the whole thing is Fagin. Die Vorstellung von der Figur Fagin als einer Art Gauner mit philanthropen Zügen mag durch das Musical Oliver! eine Popularisierung erfahren haben, die Basis dafür legte Dickens' selbst jedoch durch seine ambige Behandlung der Figur, die sich etwa in Olivers Reaktion bei seinem Zusammentreffen mit Fagin in dessen Gefängniszelle zeigt: "'Oh! God forgive this wretched man!' cried the boy with a burst of tears" (OT, 505). Innerhalb der Darbietung werden die Zeugen Oliver, Artful Dodger und Nancy – alle von der Schauspielerin GemmaMay Bowles verkörpert – nacheinander vom Richter und von dem sich selbst verteidigenden Fagin befragt. Zunächst tritt Oliver in den Zeugenstand, der vom Richter Fragen der Sorte "What made you run away from the workhouse?" und "What sort of errands were you sent on with Charley and the Dodger?" gestellt bekommt, bevor sich Fagin mit den folgenden Fragen an ihn wendet: "What did I feed you?", "How did the Dodger and Charley treat you?", "Did any of them call your mother names?", um zu dem Schluss zu gelangen: "So one could say I not only provided you with food and shelter but also with companionship. I was the first person to take him in and to show him kindness." Während sich der nächste Zeuge – The Artful Dodger – auf die Seite Fagins schlägt, konfrontiert ihn die darauffolgende Zeugin Nancy mit heftigen Vorwürfen, woraufhin der Richter sich mit der Frage ans Publikum wendet: "Would you say this woman was in fact murdered by Fagin not by Sikes?" Abgesehen von der Tatsache, dass die kurze Darbietung an eine populäre bzw. 303 popularisierte Vorstellung eines Aspekts des Romans Oliver Twist zurückgeht, weist sie mit der Einbindung des Publikums eine weitere Rezeptionserleichterung auf: Dem Publikum wird bei der dargestellten Gerichtsverhandlung um die Fagin zur Last gelegten Verbrechen die Rolle der Geschworenen zugewiesen. Zumindest bei den Aufführungen am 19. und 20. August 2008 ging diese Umsetzung des secondperson interpretationKonzepts allerdings nicht so weit, wie auf der Webseite VisitKent angekündigt worden war: "It's up to the jury

(the audience) to ask the questions and decide Fagin's ultimate fate" (Visitkent.co.uk 2008). Zwar wies der Richter der Verhandlung dem Publikum explizit die Rolle der Jury zu – "You shall be witnesses, shall hear the case for and the case against this notorious and infamous criminal" – es wurde auch von ihm und Fagin im Verlauf der Darbietung immer wieder direkt angesprochen, eine Möglichkeit der Einflussnahme wurde ihm indes nicht geboten. Stattdessen wurden die Zuschauer auf die nachmittägliche Aufführung von Oliver Unplugged im Britannia Theatre verwiesen, bei der sie sich über den Ausgang der Verhandlung würden informieren können. Am Ende von Oliver Unplugged wird dann verraten, dass Fagin aufgrund seiner Verbrechen zum Tod durch Hängen verurteilt wurde. Auch hier ist also die Einbeziehung des Publikums mittels secondperson interpretation nur in Ansätzen auszumachen. Bei Oliver Unplugged handelt es sich um eine moderne Inszenierung des Oliver TwistStoffes – "a Tour de Force by three artists, transforming Oliver and over 20 characters at the speed of light" (VisitKent 2008). Diese geringe Zahl an Schauspielern bringt mit sich, dass dieselbe Figur in unterschiedlichen Szenen mitunter auch unterschiedlich besetzt ist, wenn es die Figurenkonstelleation der entsprechenden Szene erfordert, was dem Zuschauer – zumal, wenn ihm der Plot nicht im Detail geläufig ist – ein beträchtliches Maβ an Konzentration abverlangt. Das minimalistische Bühnenbild, dessen Herzstück eine groβe Tür bildet, stellt zudem Ansprüche an die Vorstellungskraft des Zuschauers. Die 50minütige Inszenierung ist weniger deutlich auf ein kindliches Publikum gemünzt und verarbeitet ungleich mehr Stoff – insbesondere mehr Dialoge – aus dem Originaltext als die andere, bereits diskutierte Oliver TwistInszenierung von Dickens World. Als Popularisierungsstrategien bzw. Strategien der Rezeptionserleichterung lässt sich einerseits die schnelle Abfolge der einzelnen Szenen nennen, andererseits die an vielen Stellen der Handlung zu beobachtende Einflechtung von komischen Elementen. Zuweilen entsteht diese Komik durch die Besetzung der einzelnen Rollen. So erfordert es die Figurenkonstellation einer der ersten Szenen, dass die Rolle von Olivers Mutter von einem recht beleibten, ca. 40jährigen Mann gespielt wird. Auch die Figuren Mrs Sowerberry und Mrs Bedwin werden 304 jeweils von Männern gespielt, da das einzige weibliche Mitglied in den entsprechenden Szenen die Rolle des Oliver innehat. An anderen Stellen wird die Komik durch Übertreibungen erzeugt – etwa durch die äuβerst hysterische Reaktion der maskulinen Mrs Sowerberry auf Olivers vermeintlichen gewalttätigen Ausbruch gegenüber Noah Claypole oder durch die Tatsache, dass Mrs Bedwin als so stark kurzsichtig dargestellt wird, dass sie Oliver bei dessen erstmaligem Betreten von Mr Brownlows Haus kaum sieht und zunächst in einer völlig falschen Richtung nach ihm tastet. Interaktives bietet die Produktion nur in sehr schwacher Ausprägung, und das auch nur sehr vereinzelt, so wenn Oliver bei seiner Flucht nach dem Diebstahl an Mr Brownlow durch das Publikum rennt und immer wieder um Durchlass bittet. Ansatzweise Interaktion findet sich auch in jener Szene, in der Nancy Oliver während dessen Aufenthalt bei Mr Brownlow aufgreift und dabei vorgibt, sie sei seine Schwester. Hier wird den Zuschauern die Rolle der Passanten zugewiesen, die abwechselnd von Nancy und Oliver als Kollektiv angesprochen werden. Der hauptsächliche Grund dafür, dass die Produktion innerhalb der themed attraction leicht deplatziert wirkt, liegt jedoch in ihrer Dauer von nahezu einer Stunde, die von einigen der Besucher als schlicht "zu lang" kritisiert wurde.132 Offensichtlich ist die gewöhnlich deutlich kürzere Zeitspanne, für die eine einzelne Attraktion innerhalb einer themed attraction den Besucher in Anspruch nimmt, bevor er sich dann der nächsten zuwenden kann, ein für die Attraktivität eines Themenparks äuβerst wichtiger Faktor.

4.2.10.4 Resümee Das vorausgegangene Kapitel zeigt, dass Dickens World mit Dickens' Leben und Werk in bewährter ThemenparkManier einen Themenbereich aufgreift, der bereits durch andere Medien popularisiert wurde, und in der Gestaltung seiner Kulisse erkennbar an vorausgegangene costume dramas aus Kino und Fernsehen anknüpft. Diese werden um zusätzliche Dimensionen sowie um interaktive Angebote an den Besucher erweitert, die sich in vielen Fällen an das für living historyEinrichtungen einschlägige Konzept der second person interpretation anlehnen. Dadurch werden die Rahmenbedingungen für eine Popularisierung von weiteren Inhalten aus Dickens' Werk und Biographie geschaffen. Diese Inhalte werden dem Besucher in stark vereinfachter Form im Rahmen von unterschiedlichen Attraktionen dargeboten. Die Popularisierung erfolgt im Wesentlichen durch den überschaubaren Zeitraum, den die einzelnen Attraktionen in Anspruch nehmen und der eine

132 Vgl. Reviewcentre.com (2007/8): "A very long and I felt boring version of Oliver Twist in the theatre (50 minutes) far too long for young children in my view" (11.8.2008), "Play was poor and far too long" (25.8.2008). 305 rasche Aufeinanderfolge der Aktivitäten garantiert, die wiederum an die rasche Szenenfolge in einigen der neuen Fernsehverfilmungen erinnert, ferner durch Interaktivität unterschiedlicher Provenienz und Ausprägung sowie durch Spezialeffekte wie 3D (ein Effekt, der sich ebenfalls als Versuch, Interaktivität herzustellen deuten lässt) oder Animatronik. Die Tatsache, dass Dickens World dennoch von einer Vielzahl von Besuchern schlechte Kritiken erhält, obgleich von vielen das Potential der Einrichtung erkannt wird,133 deutet darauf hin, dass diese Popularisierungsstrategien noch verstärkt werden könnten. So ist für den Besucher derzeit nicht im Fall aller Attraktionen eine Voraussetzungslosigkeit des Zugangs gewährleistet, besonders auffällig ist dies bei der animatronischen Darbietung im 'Britannia Theatre', zudem überschreiten einzelne Darbietungen – namentlich die animatronische Show und die 50minütige Produktion von Oliver Twist – die von den meisten Themenparkbesuchern tolerierte Länge. Auch lieβen sich die interaktiven Momente des Gesamtangebots stärker forcieren.

5 Schlussbetrachtung Nachdem in den ersten beiden Kapiteln dieser Arbeit die theoretischen Grundlagen für eine Analyse von populären Kulturprodukten und Popularisierungsprozessen gelegt wurden, beschäftigte sich das dritte Kapitel dieser Arbeit zunächst mit der Popularität des Autors Charles Dickens ab 1836, dem Jahr der Erstveröffentlichung der Pickwick Papers, die gemeinhein als sein erster Roman betrachtet werden. Diese Analyse zeigte, dass Dickens in seinen Texten eine Vielzahl der im 20. und frühen 21. in Produkten mit hohem populärem Potential verwendeten Wirkungsträger antizipierte. So konnte den Pickwick Papers ein hohes Maβ an Produzierbarkeit attestiert werden, da sie eine Vielzahl von Fiskes Kriterien, die sein Hauptkriterium der Produzierbarkeit konstituieren, erfüllen. Die Existenz von tertiären Texten, die zahlreiche Rezipienten von Dickens' Werken im 19. Jahrhundert verfassten, legt nahe, dass diese Werke auf ähnliche Weise rezipiert wurden wie heutige Kulturprodukte. Zusätzlich zeigte das Kapitel, dass Dickens' Texte auch auf vergleichbare Weise vermarktet wurden. Dafür sprechen die unterschiedlichen spin offProdukte, die auf dem Markt erschienen, sobald sich der Erfolg der Pickwick Papers abzuzeichnen begann, sowie weitere Marketingstrategien, auf die Dickens' Verleger zurückgriffen, um aus seinem kommerziellen Erfolg Kapital zu schlagen. Zu diesen Strategien gehörte etwa die Wiederveröffentlichung

133 Vgl. Reviewcentre.com (2007/8): "This place has the potential to be brilliant but will just be Downhill from here onwards" (17.8.2008), "[W]hat a missed opportunity" (7.7.2008), "Dickens World has so much potential but they seem to have wasted the opportunity on all counts" (27.10.2007). 306 früherer Werke aus Dickens' Feder – namentlich der zuvor verfassten Sketches by Boz in neuen Auflagen und Formaten. Die Analyse einiger früher Popularisierungen von Dickens' Werken noch zu seinen Lebzeiten machte zweierlei deutlich: Zum einen, dass schon zur damaligen Zeit ähnliche Popularisierungsstrategien Anwendung fanden wie im ausgehenden 20. bzw. frühen 21. Jahrhundert, zum anderen, dass nicht nur Artefakte der Hochkultur popularisiert werden können, sondern auch bereits Populäres durch Popularisierung noch weiteren Rezipientenkreisen zugänglich gemacht werden kann. Auβerdem wurde gezeigt, dass Dickens selbst für einige der frühen Popularisierungen seiner Werke verantwortlich zeichnete, indem er sie für seine öffentlichen Lesungen adaptierte. Im Verein mit der Tatsache, dass er schon bei der Abfassung seiner Originaltexte immer sein Augenmerk auf deren populäres Potential richtete, lässt sich damit die mehreren Forschungstexten zur popular culture implizite These untermauern, Dickens könne im Feld der populären Kultur als eine Art 'Prototyp' betrachtet werden. Nach einem Überblick über einige bis Anfang der 1990er Jahre erschienene Adaptionen für Theater, Film und Fernsehen sowie die darin zu beobachtenden Popularisierungsstrategien wurde zunächst eine Auswahl von Romanverfilmungen analysiert, die seit 1994 entstanden sind. Im Fall der analysierten Kinoverfilmungen reichte das Spektrum von Produktionen, die erkennbar dem Genre des costume drama zuzuordnen sind, aber dennoch eine Orientierung am Mainstream erkennen lassen (icholas ickleby, Oliver Twist), bis hin zu einer Adaption, die ein komplettes update von Handlung und Setting vornimmt (Great Expectations). Die in diesem Kapitel diskutierten Adaptionen für das Medium Fernsehen gehören alle dem Genre der seriellen Klassikerverfilmung an, unterscheiden sich allerdings in ihrem populären Potential. Die früheste dieser Verfilmungen, die BBCVerfilmung von Martin Chuzzlewit, lässt bereits eine – allerdings noch eher zögerliche – Öffnung des Genres gegenüber populärkulturellen Einflüssen erkennen, die auf den einschneidenden Umbruch innerhalb des Genres hindeutet, der 1995 mit Andrew Davies' Verfilmung des Romans Pride and Prejudice von Jane Austen erfolgte. Setzt sich diese Entwicklung 1999 mit der sehr textgetreuen BBCVerfilmung von Great Expectations nur bedingt fort, so scheinen sich die nachfolgenden TVVerfilmungen umso nachdrücklicher am populären Geschmack zu orientieren: Dies zeigt die ITVVerfilmung von icholas ickleby aus dem Jahr 2001 und insbesondere die wiederum aus der Feder von Andrew Davies stammende, 2005 erstmals ausgestrahlte BBCVerfilmung von Bleak House. Im Fall dieser Adaption ist die Orientierung an einem Genre mit hohem populärem Potential – in diesem Fall dem soap operaGenre – nicht nur sehr deutlich zu erkennen, sondern wurde von den 307

Produzenten dieser Verfilmung auch explizit formuliert. Die Analyse dieser Produktionen hat in ihrer Gesamtheit gezeigt, dass im Zuge einer Popularisierung für Kino und/oder Fernsehen in vielen Fällen ähnliche Popularisierungsstrategien zum Einsatz kommen. In allen Fällen erfolgt eine Betonung bestimmter, für ein Publikum des späten 20. Jahrhunderts relevanter Handlungsstränge, Szenen und Themenbereiche. Dazu gehören in den allermeisten Fällen die Themenbereiche romantische/sexuelle Liebe, Szenen mit komischem/humoristischem Potential, Handlungsstränge, die sich mit der Herkunft bzw. Identitätssuche einer bestimmten Figur befassen sowie Kriminalhandlungen. Durch die Betonung dieser Elemente soll einerseits beim Zuschauer repräsentionale Relevanz auf der Achse der 'Ähnlichkeit' erzeugt werden, zum anderen erfolgt dadurch in vielen Fällen eine Annäherung bzw. Anknüpfung an Genres mit generell hohem populären Potential, etwa der romantic comedy, der soap opera oder dem Kriminalfilm bzw. Thriller. Zu diesen Hervorhebungen kommen in den meisten Fällen mehr oder minder starke Vereindeutigungen des Geschehens, Eingriffe in die jeweilige Vorlage, die der besseren Motivierung einzelner Handlungen dienen sowie gezielte Verstärkungen der Dramatik bzw. der dramatischen Spannung einzelner Szenen. Hinzu kommen Veränderungen an Charakteren, die diese in vielen Fällen stringenter erscheinen lassen, im Fall von männlichen wie weiblichen Hauptfiguren wird häufig deren SympathieträgerPotential verstärkt. Was weibliche Charaktere anbelangt, so ist besonders bei Klassikerverfilmungen für das Medium Fernsehen ein update zu erkennen, das die entsprechende Figur stärker in Einklang mit heutigen Vorstellungen von der Rolle der Frau bringt. Diese Strategie lässt sich teilweise damit erklären, dass solche Produktionen von mehr weiblichen als männlichen Fernsehzuschauern rezipiert werden. Von groβer Wichtigkeit für das populäre Potential einer Verfilmung ist zudem die Gestaltung der Anfangs und Schlussszenen. Besonders im Fall von Verfilmungen für das Medium Fernsehen werden die zumeist langwierigen Einstiege in Dickens' Romane dahingehend verändert, dass die Verfilmungen mit tempo und action reichen Szenen einsetzen. Anhand der diskutierten Kinoverfilmungen ist diese Tendenz nicht in derselben Ausprägung zu beobachten, was sich allerdings auch teilweise mit den Unterschieden zwischen den beiden Medien erklären lässt: Innerhalb des flows, als der sich die Abfolge der einzelnen, das Fernsehprogramm ausmachenden Sequenzen beschreiben lässt, können eventuell zusätzliche Zuschauer gewonnen werden, wenn ihr Interesse an der gerade beginnenden Sendung geweckt wird. Im Fall eines Kinofilms, dessen Rezeption im Kinosaal sich zudem eher als vom Alltag abgekoppeltes Erlebnis versteht, kann sich ein tempo und actionreicher Einstieg nicht auf die gleiche unmittelbare Weise positiv auf die 308

Zuschauerzahl auswirken. In den neueren Fernsehverfilmungen, insbesondere in icholas ickleby und Bleak House, findet der temporeiche Einstieg in den durchgehend schnellen Szenenfolgen der Verfilmungen seine Fortsetzung. Dies wirkt sich insofern rezeptionserleichternd aus, als dem Zuschauer die längere Konzentration auf eine einzelne Szene erspart und dem Aufkommen von Langeweile vorgebeugt wird. Die Schlusssequenzen der einzelnen Verfilmungen lassen insgesamt zunehmend eine Tendenz zu 'versöhnlichen' happy endings erkennen, die zumeist eine Heirat einschlieβen. Allerdings behalten sich die verantwortlichen Regisseure und Drehbuchautoren in der Gestaltung der Schlussszenen einen gewissen Gestaltungsspielraum vor, wie insbesondere die Kinoverfilmung von Great Expectations zeigt, deren Ende sich vor dem Hintergrund der starken Tendenz zur Vereindeutigung, die die Verfilmung in ihrer Gesamtheit aufweist, erstaunlich ambig ausnimmt. Zudem ist bei Verfilmungen für beide Medien eine stärker werdende Tendenz dazu zu beobachten, über den Einsatz – teilweise aus anderen, populärkulturellen Genres – bekannter Schauspieler beim Publikum diskursive Relevanz herzustellen. Während die Verwendung dieser Strategie zunächst vor allem bei KinoVerfilmungen beobachtet werden konnte, wird zwischenzeitlich auch bei Fernsehverfilmungen von dieser Strategie verstärkt Gebrauch gemacht, wie etwa Andrew Davies' Verfilmung vor allem in der Besetzung der Lady Dedlock mit der USamerikanischen Schauspielerin Gillian Anderson zeigt. Die sich anschlieβende Analyse der 2007 erschienenen gekürzten Buchfassung des Romans David Copperfield hat deutlich gemacht, dass bei dieser Popularisierung in Schriftform eine Vielzahl derselben Popularisierungsstrategien wie bei den zuvor analysierten Adaptionen für Kino und Fernsehen zum Einsatz kam. Durch gezielte Kürzungen wurde ein rasches Aufeinanderfolgen der Ereignisse erreicht, die der schnellen Szenenfolge in Kino und Fernsehproduktionen vergleichbar ist. Zudem wurden auch hier Textstellen mit komischem Potential dezidiert beibehalten, in anderen Textstellen wurde eine Vereindeutigung des Geschehens forciert, auch an der Charakterisierung einzelner Figuren wurden durch Kürzungen Veränderungen vorgenommen, die deren Stringenz befördern. Auch im Fall der Verfilmung der DickensBiographie von Peter Ackroyd wurde auf eine Vielzahl der bereits genannten Popularisierungsstrategien zurückgegriffen – so wurde auch hier ein tempo und actionreicher Einstieg gewählt, mit der Beziehung zwischen Dickens und Ellen Ternan ein für ein zeitgenössisches Publikum potentiell relevanter Themenbereich hervorgehoben, in zahlreichen Szenen eine Vereindeutigung des Geschehens und/oder eine Steigerung der Dramatik bzw. der dramatischen Spannung vorgenommen und 309

– teilweise in Abweichung von den Fakten – auf eine stringente Gestaltung der Charaktere Wert gelegt. Diese Beobachtungen legen den Schluss nahe, dass bestimmte Popularisierungsstrategien nicht nur medienübergreifend, sondern auch genreübergreifend eingesetzt werden können. Zudem verdeutlichen die jüngeren Popularisierungen – unabhängig von ihren jeweiligen Genres und den Medien, für die sie hergestellt wurden – die Wichtigkeit von geeigneten Marketingmaβnahmen, wie etwa die Einrichtung von Webseiten oder die Veröffentlichung von tie inProdukten, für den Popularisierungsprozess. Die Popularisierung von Dickens' Leben und Werk innerhalb des Themenparks Dickens World lässt sich freilich nur bedingt mit der Popularisierung mittels anderer Medien vergleichen. Auffällig ist jedoch der im Fall von Themenparks generell häufig anzutreffende Rückgriff auf Elemente, die von anderen Medien bereits popularisiert wurden. Prominentestes Beispiel hierfür ist das Aufgreifen einer durch das Musical Oliver popularisierten Sichtweise der Figur Fagin in einer der Theaterproduktionen von Dickens World, die im Sommer 2008 in den Kulissen der themed attraction aufgeführt wurden. Auch die Tatsache, dass Dickens World in der Gestaltung eben dieser Kulissen an vorausgegangene costume dramas aus Kino und Fernsehen anknüpft, ist in diesem Zusammenhang zu erwähnen, wobei das bereits Bekannte hier um zusätzliche Dimensionen erweitert wird. Ferner finden zum Zwecke der Popularisierung mitunter Strategien Anwendung, die denen in anderen medialen Zusammenhängen verwendeten durchaus vergleichbar sind. So gemahnt der überschaubare Zeitraum, den die einzelnen Attraktionen in Anspruch nehmen und der eine rasche Aufeinanderfolge der Aktivitäten garantiert, an die rasche Szenenfolge in einigen der neueren Fernsehverfilmungen. Die interaktive Ausrichtung des Gesamtangebots lässt sich als eine der bedeutendsten Popularisierungsstrategien innerhalb der Einrichtung betrachten, da sie nahezu alle Attraktionen in unterschiedlichem Maβe durchtränkt. Eine Einflussnahme von interaktiven Einrichtungen wie eben dem Themenpark auf das Medium Fernsehen kann darin gesehen werden, dass im Fall neuerer Fernsehproduktionen ebenfalls versucht wird, über die Einbeziehung zusätzlicher Medien, allen voran dem Internet, Interaktivität herzustellen. Dafür spricht die Möglichkeit, die etwa im Fall der hier diskutierten BBC Fernsehverfilmungen der DickensBiographie von Peter Ackroyd sowie der Verfilmung von Bleak House gegeben war, die Rezeption der Fernsehproduktion durch interaktive Spiele im OnlineAngebot der BBC zu ergänzen. Eine weitere Popularisierungsstrategie, die sich Dickens World zunutze macht, besteht im Rückgriff auf Spezialeffekte wie Animatronik und 3D, wobei letzterer auch in der Ende des Jahres 2009 veröffentlichten KinoVerfilmung von A Christmas Carol Verwendung fand. Dies stützt wiederum die These von der gegenseitigen 310

Beeinflussung der zur Popularisierung herangezogenen Medien. Die Vielfalt der in dieser Studie teils lediglich angesprochenen, teils ausführlich analysierten Popularisierungsaktivitäten rund um den Autor Charles Dickens, die von eher traditionellen Klassikerverfilmungen über eine Dickensbezogene CastingShow bis hin zum Themenpark reichen, zeigt zudem, dass der Fantasie, wenn es um Popularisierungsmaβnahmen geht, kaum Grenzen gesetzt sind. Es bleibt abzuwarten, welche innovativen Aktivitäten die nächsten Jahre noch hervorbringen werden. Besonders das bevorstehende Jahr 2012, in dem sich Dickens' Geburt zum 200. mal jährt, könnte einige diesbezügliche Überraschungen bieten. Eine Webseite mit dem Titel Dickens 2012 wurde jedenfalls bereits im Februar 2007 eingerichtet (vgl. Dickens 2012 homepage n.d.). Hinter dem Projekt Dickens 2012 steht a conglomerate of groups, charities and trusts [e.g. The International Dickens Fellowship; The Charles Dickens Museum, London; The Dickens Birthplace Museum, Portsmouth; The Dickens House Museum, Broadstairs] who are committed to promoting the literary works and social values of Charles Dickens in the wider community. [I]ts focus is to plan a coherent, exciting and achievable vision for the bicentenary celebrations in 2012 (vgl. Dickens 2012 homepage n.d.). Neben Links zu eher informativen Inhalten findet sich im Menü der Webseite signifikanterweise auch ein Button mit der Aufschrift "Fun". Klickt man darauf, erscheint eine Seite mit Links zu interaktiven, Dickensbezogenen Spielen im Internet. Darunter findet sich auch ein Link zu einem Spiel mit dem Titel "Survive Dickens's London", das im Online Angebot der BBC zu finden ist. In der Beschreibung dieses Spiels heiβt es: "Dare you take a tour of Dickensian London? You could meet Mr Micawber, Mr Pickwick or Fagin. Or you might catch smallpox and end up in jail." Und auch eine Belohnung bei erfolgreichem Spielverlauf wird dem Spieler avisiert: "If you do well, you'll get to meet Charles Dickens" (BBC Home n.d.).

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Literaturverzeichnis:

1 Primärtexte

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2 Filme

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