Kultur

Im Dorf der Narren LITERATURKRITIK: Joachim Meyerhoffs Kindheitsroman beschwört das Glück eines Jungen, der inmitten von Psychiatriepatienten aufwächst.

er das Theater liebt und den blutig geschlagen haben oder den Knaben ketballstar mit glitzerndem Selbstbe - Schauspieler Joachim Meyer - merkwürdiges Zeug fragen: „Haste Par - wusstsein“, notiert er. „Wir umarmten Whoff nicht verehrt, der muss in füms? Haste Parfüms?“ oder „Ah, wieder uns alle, standen inmitten der rennenden den vergangenen zehn Jahren sehr weit ficki-ficki machen?“ Menschen und hielten uns aneinander gereist sein oder ein Ignorant. Meyerhoff So erzählt der Roman zunächst eine fest.“ ist 1,90 Meter groß und ein herausragen - bizarre Kindheitsgeschichte vom Auf - Meyerhoff hat die Story dieses zu Be - der Theaterdarsteller unserer Zeit. Er war wachsen in einer außergewöhnlichen Um - ginn so lustigen und später herzzerrei - vor einigen Jahren in ein sen - gebung. Der junge Joachim, den der Va - ßend kummervollen Romans, bevor sie sationeller, Süßholz raspelnder, wieseli - ter „Josse“ nennt, schildert, wie er einmal zum Buch wurde, bereits zwischen 2007 ger Mephisto, dann in Zürich ein elegan - eine Amsel begrub, deren Aufprall auf und 2010 auf der Theaterbühne erzählt. ter, aber teuflisch zürnender , und ein Fenster tödlich endete; er bestaunt Als Alleinunterhalter hat er die Familien - er spielte in Wien am unter gemeinsam mit seinen Brüdern die An - saga unter dem Titel „Alle Toten fliegen anderem den Edelmann und den strengungen des übergewichtigen Vaters, hoch“ vorgetragen, als wäre er ein archai - Schiffbrüchigen Robinson scher Kriegerbarde, der am Crusoe. 2007 wurde Meyer - abendlichen Lagerfeuer hoff, 45, als „Schauspieler von seinen Siegen und Nie - des Jahres“ ausgezeichnet. derlagen fabuliert. „Alle „Wann wird es endlich Toten fliegen hoch“ war wieder so, wie es nie war“ ein fabelhaftes Theater- heißt der Roman, den Mey - ereignis. erhoff nun veröffentlicht Der erste Versuch, aus hat. Er schildert ein Kind - Teilen des Theaterabends heitsmärchen, aus dem der einen Roman zu machen, Held erwacht. Er spielt an erschien vor zwei Jahren einem Höllenort, der zu - und war nur halb gelungen, gleich ein Paradies ist. Mey - weil der Ausschnitt aus erhoffs Figur wächst auf in Meyerhoffs halbauthenti - der Mitte einer riesigen, scher Lebensballade un - von Mauern begrenzten glücklich gewählt war. Man F und von über 1500 Patien - I merkt der Sprache des Er - A L

/ ten bewohnten psychiatri - zählers Meyerhoff auch in D U schen Anstalt. Unter „Blö - A „Wann wird es endlich wie - G I R

dies“ und „Spackos“, wie Autor Meyerhoff R der so, wie es nie war“ E T E sie im Buch heißen, empfin - P noch an, dass sie aus dem det er eine Art von Glück. Mündlichen kommt. Die Die großteils jungen Pa - Verführungskraft seines tienten sind Insassen des Berichts hat durchaus mit Landeskrankenhauses für Kinder- und Ju - endlich mal Sport zu treiben; er versucht, dieser heiteren Flapsigkeit zu tun, vor gendpsychiatrie Hesterberg am Rande Blutsbrüderschaft mit dem Hund der Fa - allem aber mit einer diesmal klug aus- der Stadt Schleswig. In diesem Kranken - milie zu schließen. All diese Schelmen- getüftelten Dramaturgie, die den Leser haus ist Meyerhoffs Ich-Erzähler zu Hau - Storys sind mit Liebe zum grellen Detail mit dem Helden lernen lässt. se. Sein Vater ist der Direktor, die Villa ausgeschmückt, denn der Ich-Erzähler Am Anfang bestaunt Josse das Leid der Familie steht im Zentrum der Anstalt. hat schon früh erkannt, dass man ruhig der Psychiatriepatienten und aller ande - „Das Gelände der Psychiatrie war groß schwindeln darf, um seinen Erlebnissen ren Mitmenschen nur, ohne es zu begrei - und eine Welt für sich. Es gab eine Gärt - eine höhere Wahrheit zu verleihen. „Er - fen. Gegen Ende, als er seinem Vater nerei, eine Großküche, eine Tischlerei, finden heißt Erinnern“, behauptet er. beim Sterben zugesehen hat, als die Kli - eine Schneiderei, eine sogenannte Dampf - Natürlich ist der fröhlich verschmitzte nikanlage, das Paradies seiner Kindheit, waschanstalt, sogar ein eigenes Kohle - Ton Camouflage. Wie jeder gute Kind - zum Teil abgerissen ist, wird ihm klar, heizwerk mit rot gemauertem Schorn - heitsroman ist Meyerhoffs Buch voller „dass ich den Verlust einer Welt betrau - stein.“ Es sind die siebziger Jahre, in Schrecken. Eines Tages, als Josse gerade erte, an deren Verschwinden nichts Trau - denen der Erzähler jeden Morgen quer für ein Jahr auf Schüleraustausch in den riges war“. Einen „Wahnsinns-Ort“ nennt über das Klinikgelände in Richtung USA lebt, ruft der Vater an und sagt, dass er sein Zuhause, in dem viele Geistes - Grundschule aufbricht, vorbei an freund - einer von Josses Brüdern bei einem Auto - kranke hinter Gittern ein elendes Dasein lichen jungen Patienten, die sich den Kopf unfall ums Leben gekommen sei. „Wie führten. Es sei, gesteht der Junge Josse, traurige Steine“ wirken die Familien - „das tausendfache Gebrüll der Kranken mitglieder auf den Jungen, als sie ihn am des Nachts“ gewesen, „das mich so herr - Joachim Meyerhoff: „Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war“. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln; Flughafen abholen. „Ich hatte mir diese lich schlafen ließ“. 352 Seiten; 19,99 Euro. Heimkehr so anders vorgestellt: als Bas - W!   H"

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