Berliner Festspiele THEA TER TREF FEN

4.5.– 21.5.18 2 Berliner Festspiele

THEA TER TREF FEN

10ER AUSWAHL STÜCKE MARKT SHIFTING PERSPECTIVES TT KONTEXT NEXT GENERATION

SPECIALS INHALT / CONTENT

Inhaltsverzeichnis / Table of contents

Seite 6 ..... Vorwort / Preface Seite 8 ..... Grußworte / Words of Welcome

Die 10er Auswahl Seite 16 ..... Diskutierte Inszenierungen / Shortlisted productions Seite 18 ..... Essay: Zwischen Selbstbefragung und Selbstbesinnung – Über die diesjährige Auswahl / Essay: Between self-examination and self-reflection – about this year’s selection Seite 27 ..... Faust Seite 31 ..... Rückkehr nach Reims / Returning to Reims Seite 35 ..... BEUTE FRAUEN KRIEG Seite 39 ..... Trommeln in der Nacht / Drums in the Night Seite 43 ..... Am Königsweg / On the Royal Road Seite 47 ..... Die Odyssee / The Odyssey Seite 51 ..... Woyzeck Seite 55 ..... Mittelreich Seite 59 ..... Die Welt im Rücken / The World at Your Back Seite 63 ..... Nationaltheater Reinickendorf

Stückemarkt Seite 68 ..... Interview: Sich-Aussetzen / Expose yourself Seite 75 ..... Böse Häuser / Evil Houses Seite 77 ..... Amsterdam Seite 79 ..... Fresque / Fresco Seite 81 ..... 1 yottabyte leben / 1 yottabyte of life Seite 83 ..... Die Benennung der Tiere / The Naming of Animals Seite 85 ..... Exodus Seite 86 ..... Workshops, Eröffnung Stückemarkt, Vergabe Werkauftrag / Workshops, Opening Stückemarkt, Commission of Work

4 Shifting Perspectives Seite 93 ..... Essay: Shifting Perspectives Seite 99 ..... Solar: A Meltdown Seite 101 ..... SurFace Seite 103 ..... Preto Seite 105 ..... Chombotrope Seite 107 ..... Jogging – Theatre in Progress Seite 109 ..... PINK MON€Y Seite 111 ..... FutureLeaks-Café: You are not alone!

TT Kontext Seite 114 ..... Essay: DAS CHAOS DER SELBSTREVOLTE / THE MESS OF SELF-REVOLTING Seite 120 ..... UNLEARNING Patriarchat / Patriarchy Seite 123 ..... UNLEARNING 1. Klasse / 1st class Seite 125 ..... UNLEARNING Theater / Theatre Seite 126 ..... UNLEARNING History

Next Generation Seite 130 ..... Statements: Was bewegt Kunstler*innen in Europa? / What drives artists in Europe? Seite 132 ..... Theatertreffen-Blog Seite 133 ..... Internationales Forum / International Forum Seite 134 ..... Stipendiat*innen Internationales Forum / Participants International Forum Seite 137 ..... Open Campus

Specials Seite 138 ..... One on One on One Seite 138 ..... Preisverleihungen / Awards

Service Seite 140 ..... In memoriam Manfred Linke Seite 141 ..... Spielorte und Tickets / Venues and tickets Seite 142 ..... Impressum / Imprint

5 VORWORT – Berliner Festspiele / Theatertreffen

Vorwort / Preface Thomas Oberender, Yvonne Budenhölzer, Daniel Richter

Was ist normal, was nicht? Für Frank Castorfs „Volksbühnen-Faust“, der What is normal and what isn’t? For Frank zu einer Höllenfantasie Castorf’s “Volksbühnen-Faust”, which becomes an infernal fantasy of the der Verdammten dieser damned of this earth, many of the artists involved have been in training for up Erde wird, haben viele to 25 years, according to the Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz’s (under the der Künstler*innen laut Artistic Direction of Frank Castorf) own information text. Anta Helena Recke’s Ankündigungstext der “black copy” of the production “Mittel- reich” has a cast that consists entirely Volksbühne am Rosa- of actors of color, and Jan Bosse’s “Die Welt im Rücken” extends an invitation Luxemburg-Platz (Inten­ to ­follow the protagonist into a world that has unusual rules, to put it mildly. danz Frank Castorf) bis While actor-personalities like Sophie Rois, Wiebke Puls and Joachim Meyerhoff zu 25 Jahre trainiert. Anta Helena leave their imprint on their productions Reckes „Schwarzkopie“ der Inszenie- through their distinctive and strong attitu- rung „Mittelreich“ zeigt ausschließlich des, the debates conducted beyond Schau­spieler*innen of Color auf der the stage are distinguished by structural Bühne, und Jan Bosses „Die Welt im issues. Why are only so few executive Rücken“ lädt dazu ein, dem Protagonis­ positions in art institutions held by ten in eine Welt zu folgen, die, um es women? Is this the beginning of a new milde auszudrücken, ungewöhnlichen era for a system of collective leadership? Regeln gehorcht. #MeToo is only one facet of a new way Während auf der Bühne Schauspie- of thinking that is pervading all levels, ler*innenpersönlichkeiten wie Sophie including that of artistic directors at city Rois, Wiebke Puls und Joachim Meyer- theatres. hoff die eingeladenen Inszenierungen What is our world-view shaped by? durch ihre starke Haltung prägen, The Theatertreffen’s series Shifting sind die Diskussionen am Bühnenrand Perspectives brings international guest von Strukturdebatten bestimmt. Warum performances to Berlin to contribute gibt es so wenige Frauen an Spitzen­ non-European perspectives to the positionen von Kunstinstitutionen? Bricht festival. Our new discourse programme

6 eine neue Zeit für das kollektive Leitungsmo- TT Context intends to reflect the creative inter- dell an? #MeToo ist nur eine Facette eines ventions of our selection of ten productions Umdenkens, das sich bis in die Intendant*innen- in discussions and conversations: We will try ebenen der Theater zieht. to identify deadlocked patterns of thought and Was prägt unsere Sicht auf die Welt? Im behaviour, to talk and laugh about them and Rahmen von Shifting Perspectives bringt das to replace them with new ways of understanding. Theatertreffen internationale Gastspiele The keynote speeches and panels subsumed nach Berlin, die außereuropäische Perspek­tiven under the overarching concept of “Unlearning” in das Festival tragen. In unserem neu konzi- will deal with four focus topics: “Patriarchy”, pierten Diskursprogramm TT Kontext wollen “1st Class”, “Theatre” and “History”. We will wir, was auf künstlerische Weise in der 10er reflect issues like decolonising, structural Auswahl passiert, begleitend auch im Gespräch in­equality, hegemonic knowledge and gender versuchen: festgefahrene Denk- oder Ver­hal­ justice, currently subjects of intense social dis- tensmuster identifizieren, zerreden, zer­lachen cussion and controversy, back into the field und durch andere Weisen des Verstehens erset- of artistic creation. And under the heading of zen. Die Keynotes und Panels, in diesem Jahr “Divided World”, the Stückemarkt will also look unter dem verbindenden Begriff­ „Unlearning“, at the reality of our life and explore ambiva- befassen sich mit vier Themenschwerpunk- lences – because this world may be divided, but ten: „Patriarchat“, „1. Klasse“, „Theater“ und it is also the world that we all share. „History“. Hier spiegeln wir gesellschaftlich We would like to thank all our sponsors and intensiv diskutierte und umkämpfte Bereiche partners. Our particular thanks go to the Federal wie Dekolonisierung, strukturelle Ungleich- Cultural Foundation for its “Flagship”-funding, heit, hegemoniales Wissen und Gendergerech- 3sat for recording three of our selected pro- tigkeit zurück ins Feld der künstlerischen ductions and broadcasting them at prime-time, Produktion. Und auch der Stückemarkt wirft the Goethe-Institut for networking and exchange mit dem Thema „Geteilte Welt“ einen Blick auf and especially the Federal Agency for Civic unsere Lebensrealität und erforscht Ambi­ Education/bpb, which is committed to support­ valenzen – denn die geteilte Welt ist nicht nur ing our pioneering formats for presenting new eine gespaltene Welt, sondern auch die Welt, works, new voices and ideas. We would like die wir uns teilen. to thank the juries of the selection of ten and Wir danken unseren Förderern und Part- Stückemarkt for their spirited journeys and nern – vor allem der Kulturstiftung des Bundes discussions. And we would like to thank all those für die „Leuchtturm“-Förderung, 3sat für die involved, all artists and world changers – in the Aufzeichnung drei unserer eingeladenen most positive sense of the word – for the inspira- Inszenierungen und deren Ausstrahlung zur tion they give us. We hope you will all enjoy the besten Sendezeit, dem Goethe-Institut für Ver- 2018 Theatertreffen! netzung und Austausch und insbesondere der Bundeszentrale für politische Bildung/bpb, die sich als ein Partner unserer Zukunftsformate Thomas Oberender stark macht für neue Stücke, neue Stimmen Intendant Berliner Festspiele und Ideen. Wir danken den Jurys der 10er Aus- / Director Berliner Festspiele wahl und des Stückemarkts für ihre reise- und diskussionsfreudige Arbeit. Und wir danken Yvonne Budenhölzer̈ allen Beteiligten, Künstler*innen und im posi­ Leitung Theatertreffen (in Elternzeit) tiven Sinne Weltveränder*innen für die Inspi­ / Director Theatertreffen ration, die sie uns bieten. Viel Freude beim (on parental leave) Theatertreffen 2018! Daniel Richter Leitung Theatertreffen (Elternzeitvertretung) / Director Theatertreffen (parental leave replacement)

7 GRUSSWORT – Prof. Monika Grütters MdB

Grußwort / Words of Welcome Prof. Monika Grutters MdB

Für die Jurymitglieder des Theater- treffens sind die Monate zwischen zwei Festivals eine Zeit des Reisens durch die deutschsprachige Bühnen- landschaft: 409 verschiedene Produktionen wurden diesmal gesichtet, um die zehn bemerkenswertesten Inszenierungen auszuwählen. Drei Uraufführungen sind darunter, und ein hervorzuhebendes Jubiläum feiert das Wiener : Dank der kraftvollen Arbeit „Die Welt im Rücken“ in der Regie von Jan Bosse ist es bereits das 50. Mal zum Theater- treffen einge­laden. Ein Wiedersehen gibt es auch mit Klassikern wie „Faust“ und „Woyzeck“: Sie sind zum sechsten bzw. siebten Mal vertreten – in neuen Inszenierungen, die überraschen und The jury members of the Theatertreffen begeistern. spend the time between two festivals Ob Klassiker oder Uraufführung – travelling around and visiting various das Theater, dieser gewaltige Spiegel des German-language theatres. This time, Menschseins, ist ein Ort gesellschaftli- they viewed 409 different productions cher Selbstverständigung über drängende in order to select the ten most remark­ soziale Fragen. Das zeigt sich nicht nur able productions, three of which are in der Auswahl der Stoffe, sondern aktu- world premieres. Vienna’s Burgtheater ell auch in der Arbeit des Theaterma- is celebrating a special anniversary this chens selbst. So zeichnet beispielsweise year: Its powerful production of “Die Karin Henkels Inszenierung „BEUTE Welt im Rücken (The World at Your Back)”, FRAUEN KRIEG“ mit einer neuen Pers- staged by Jan Bosse, marks its 50th pektive auf eine antike Erzählung ein participation in the Theater­treffen. Clas- starkes Frauenbild, während gleichzeitig sics such as “Faust” and “Woyzeck”

8 im Zuge der #MeToo-Debatte die Geschlechter- are also revisited. They were selected for the verhältnisse und Fragen des respektvollen sixth and seventh time, respectively – in surpris- Umgangs am Arbeitsplatz Theater neu verhan- ing and intriguing new stage productions. delt werden. Bisher kommen rund 70 Prozent Be it a classic or a world premiere, theatre, aller Inszenierungen in der Regie von Männern this great mirror of human existence, is a place auf die Bühne, und nur 20 Prozent der Theater where society addresses urgent social issues. in Deutschland werden von Frauen geleitet. This is reflected not only in the materials chosen, Da ist es ein zukunftsweisendes Zeichen, dass but also in the practise of producing­ ­theatre diesmal in der Jury des Theatertreffens mehr plays. Karin Henkel’s staging of “BEUTE FRAUEN Frauen als Männer mitgewirkt haben. KRIEG”, for example, casts a new perspective Im 21. Jahrhundert sollte es eine Selbstver- on an ancient tale and portrays women as ständlichkeit sein, dass Frauen und Männer strong human beings while gender relations and gleichermaßen Wertschätzung für ihre Leistun­ issues related to respectful workplace behav- gen erfahren. Dabei geht es nicht allein um iour are being re-negotiated in the context Gleichberechtigung, sondern auch um künstle­ of the #MeToo discussion. About 70 percent rische Vielfalt, um einen Gewinn an Perspe­ of all theatrical productions are directed by ktiven und Potenzialen. Die 55. Ausgabe des men, and only 20 percent of German theatres Berliner Theatertreffens wird uns am Bei- are run by women. It is therefore quite vision- spiel der eingeladenen Inszenierungen bewei- ary that this year’s jury consists of more women sen, wie bereichernd diese Vielfalt ist. Ich than men. ­wünsche allen Besucher*innen inspirierende In the 21st century, it should be a matter Theatererlebnisse! of course that women and men are equally recog­nised for their achievements. In this con- text, it is not only about equal treatment, but Prof. Monika Grütters MdB also about artistic diversity and an increase Staatsministerin für Kultur und Medien in perspectives and potentials. The productions / Minister of State for Culture and the invited to take part in the 55th edition of the Media and Member of the German Bundestag Berlin Theatertreffen will demonstrate how enriching this diversity is. I wish all theatregoers moments full of inspiration!

DAS THEATER, DIESER GEWALTIGE SPIEGEL DES MENSCHSEINS, IST EIN ORT GESELLSCHAFT- LICHER SELBSTVER­ STÄN­DIGUNG ÜBER DRÄNGENDE SOZIALE FRAGEN.

9 GRUSSWORT – Kulturstifung des Bundes

Grußwort / Words of Welcome Hortensia Völckers, Alexander Farenholtz

“The show is over. The audience get up to leave their seats. Time to collect their coats and go home. They turn round … No more coats and

no more home.” The disruption of what is familiar described in this short moment from Raoul Vaneigem’s “Traité de savoir-vivre à l’usage des jeunes générations (The Revolution of Everyday Life)” pervades the performances selected for this year’s Theatertreffen like a leitmotif: Instead of the ancient war-hero Odysseus himself, it is his scattered sons who have their say. The new Bertolt-Brecht-production is in fact the alienated re-enactment of a historical version. Goethe’s Faust is ruptured again and „Die Aufführung ist vorbei. Das Publikum steht again – and its loose ends are tied to a novel auf und verlässt seine Sitze. Zeit, die Mäntel by Émile Zola and to Paul Celan’s “Death Fugue” zu holen und nach Hause zu gehen. Sie drehen in a French-language video projection, with the sich um: Keine Mäntel mehr. Kein Zuhause ...“ ­Ouagadougou-born actor and singer Abdoul Der Abriss des Vertrauten, den dieser Augen- Kader Traoré lamenting: “La mort est un maître blick aus Raoul Vaneigems „Traité de savoir- d’Allemagne”. And the dead? They have names vivre à l‘usage des jeunes générations (Hand- like Gretchen, Nana, Sulamith or are the name- buch der Lebenskunst für die jungen Generatio­ less victims of war, racism, escape, displace- nen)“ beschreibt, durchzieht die Stücke die- ment – from the classics via colonialism to the ses Theatertreffen wie ein Leitmotiv: Statt des crises of our present times. These crises reach antiken Kriegshelden kommen die versprengten deep into the ten remarkable productions of the Söhne des Odysseus zu Wort. Die neue Bertolt- year and into the entire splendid festival meet- Brecht-Produktion ist das verfremdete Reen­ ing of a theatre scene that has long since started actment einer historischen Fassung. Goethes to connect the issue of the representation of

10 Faust-Drama reißt wieder und wieder ab – an reality in the theatre with a criticism of reality die losen Enden knüpft sich ein Roman von of the theatre system itself, and to expand Émile Zola und Paul Celans Gedicht „Todes- the question of “Who is speaking?” to include fuge“ in einer französischsprachigen Videopro- the search for the concealed, the outcast, the jektion mit dem in Ouagadougou geborenen invisible. Perhaps this is a revolutionary moment Schauspieler und Sänger Abdoul Kader Traoré, – it is certainly an auspicious one, as today, der da klagt: „La mort est un maître d’Allemagne.“ “the question of knowing whether one might Und die Toten? Heißen Gretchen, Nana, think otherwise than one thinks and perceive Sulamith oder sind die namenlosen Opfer von otherwise than one sees is indispensable if one Krieg, Rassismus, Flucht, Vertreibung – von is to continue to observe or reflect” (Michel der Klassik über den Kolonialismus bis hin zu Foucault). Because, before you know it, before den Krisen unserer Gegenwart. Diese reichen you’ve turned around … there is no more coat, tief hinein in jene zehn bemerkenswerten Insze- no home. nierungen des Jahres und in dieses gesamte The Federal Cultural Foundation would like grandiose Festivaltreffen eines Theaterbetriebs, to thank all artists and all those involved on, der längst begonnen hat, die Frage nach der behind and in front of the stage and hopes for Repräsentation von Wirklichkeit auf dem Thea- an enthusiastic and alert audience for this 2018 ter mit einer Kritik der Wirklichkeit im System Theatertreffen. Theater zu verknüpfen und die Frage nach dem „Wer spricht?“ durch die Suche nach den Verschwiegenen, Verstoßenen und Unsichtbaren­ Hortensia Völckers zu erweitern. Mag sein, dieser Augenblick ist Vorstand/ Künstlerische Direktorin revolutionär, in jedem Fall ist er günstig, da Kulturstiftung des Bundes heute „die Frage, ob man anders denken kann, / Executive Board/ Artistic Director als man denkt, und auch anders wahrneh- Federal Cultural Foundation men kann, als man sieht, zum Weiterschauen und Weiterdenken unentbehrlich ist“ (Michel Alexander Farenholtz ­Foucault). Denn ehe man sich versieht und Vorstand/Verwaltungsdirektor einmal umgedreht hat … ist kein Mantel mehr, Kulturstiftung des Bundes kein Zuhause. / Executive Board / Administrative Die Kulturstiftung des Bundes dankt allen Director Federal Cultural Foundation Künstlerinnen und Künstlern, allen Verantwort­ lichen vor, auf und hinter der Bühne und wünscht dem Theatertreffen 2018 ein hellwaches, begeistertes Publikum.

11 GRUSSWORT – Bundeszentrale für politische Bildung/bpb

Grußwort / Words of Welcome Thomas Kruger

Wir /Sie, Ost / West, Frau / Mann, globaler Norden / globaler Süden … – wir leben in einer Welt voller Zuschreibungen, Konflikte und Ungleichheiten. Damit beschäftigt sich auch der diesjährige Stücke- markt unter dem Titel „Geteilte Welt“. In den ausgewählten Stücken werden provokante Fragen zu Herkunft, Geschlecht und dem Umgang mit der Vergangenheit gestellt. Damit leisten sie einen wichtigen Bei- trag zum Gespräch über Ungleichheiten. Sie schockieren, lassen uns aufhorchen und regen zur Reflektion an. Ungleichheiten sind untrenn- bar mit Machtverhältnissen verbunden. Als Teil des Rahmenprogramms zum diesjährigen Theatertreffen stellt TT Kontext mit der Reihe We/You, East/West, Woman/Man, the „UNLEARNING …“ den Aufruf dar, dominie- global North/the global South … – we are rende Geschichtsschreibung und Machtver- living in a world of attributions, conflicts hältnisse zu dekonstruieren. Aus postkolonialen and inequalities. And under the title of und gendertheoretischen Perspektiven wird “Divided World”, this year’s Stückemarkt ein Versuch unternommen, unsere Köpfe will also dedicate itself to these issues. zu dekolonisieren und uns zu alternativen Denk- The selected works raise provocative weisen anzuregen. questions of origins, gender and the way In einer Demokratie geht es jedoch nicht we deal with the past, rendering them an darum, alle Differenzen auszuhebeln und important contribution to the conversation eine homogene Einheit zu schaffen. Wie die about inequalities. They shock us, make us

12 diesjährige Lessing-Preisträgerin Juliane Reben- listen up and encourage us to reflect. Inequalities tisch erklärt, besteht die Demokratie „im Aus- are inseparably linked with power structures. trag der unaufhebbaren Spannung zwischen den As part of the accompanying programme to this einheitlichen Gestalten einerseits […] und einer year’s Theatertreffen, TT Context and its event wesentlich unberechenbaren Menge oder series “UNLEARNING …” is an appeal to decon- Multitude andererseits“. Die Demokratie, ähn- struct dominating narrative(s) and power rela- lich wie das Theater, ist ein permanenter Pro- tions. It is an attempt to assume perspectives zess des Balancierens zwischen dem Anspruch of post-colonialism and gender-theory to decol- auf die vollkommene Repräsentanz und der onise our heads and inspire us to find alternative Pluralität der Gesellschaft. ways of thinking. Als Kooperationspartner des Stückemarkts But democracy is not about removing all 2018 möchte die Bundeszentrale für politische differences and creating a homogenous unity. Bildung/bpb dazu anregen, diesen demokratisch- As Juliane Rebentisch, winner of this year’s theatralischen Spagat zu wagen. Im Austausch Lessing-Preis, explained, democracy means to mit Theaterschaffenden, Fachleuten aus Politik, “bear the irresolvable tension between uniform Kultur und Wissenschaft und besonders mit characters on the one hand […] and an essen- den Besucher*innen können wir die eigenen tially unpredictable mass or multitude on the Positionen und Wahrnehmungen hinterfragen other”. Democracy, not unlike the theatre, is und reflektieren. In Diskussionen, Vorträgen, a permanent process of balancing the demand Workshops und anderen Formaten wird ein for perfect representation with the plurality Raum geschaffen, um neue Perspektiven wahr- of a society. zunehmen und hegemoniale Denkmuster zu As cooperation partner of the 2018 Stücke­ verlernen. Gesellschaftliche Aushandlungspro- markt, the Federal Agency for Civic Education/ zesse leben von neuen Ideen, die provozieren bpb would like to encourage this democratic und nicht die etablierten Wege gehen. In diesem and theatrical balancing act. In a dialogue with Sinne freuen wir uns auf die diesjährigen Inspi- theatre makers, experts from politics, culture rationen aus dem Stückemarkt und auf die and science and – especially – with the audience, daraus entstehenden Dialoge. we can challenge and reflect our own positions and perceptions. Discussions, lectures, work- shops and other formats will create a space to Thomas Krüger appreciate new perspectives and unlearn hege- Präsident der Bundeszentrale monic thought patterns. Social negotiation fur politische Bildung/bpb processes thrive on new ideas that provoke and / President of the Federal Agency refuse to take the beaten path. With this in mind, for Civic Education/bpb we are looking forward to this year’s Stücke- markt-inspirations and the ensuing dialogues.

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Die 10er Auswahl

Wie muss Theater heute sein? Zehn bemerkenswerte Inszenierungen der Saison, ausgewählt von einer unabhängigen Kritiker*innen-Jury. Ein Blick auf den Status quo des deutschsprachigen Theaters. / What should theatre be like today? Ten remarkable productions from the last season, selected by an independent jury of critics. A look at the status quo of German- lan­guage theatre. 10er AUSWAHL – Shortlist

Diskutierte Inszenierungen / Shortlisted productions

Leonce und Lena (Basel) MIF, HOME Manchester, Théâtre de la Ville Paris Schauspiel von Georg Büchner; Englischspr. Erstaufführung: 8. Juli 2017 Regie: Thom Luz; Theater Basel Deutschspr. Erstaufführung: 24. Sept. 2017 Premiere: 26. Oktober 2017 Faust (Berlin) Woyzeck (Basel) Regie: Frank Castorf; Volksbühne am Schauspiel von Georg Büchner; Rosa-Luxemburg-Platz (Intendanz Frank Castorf) Regie: Ulrich Rasche; Theater Basel Premiere: 3. März 2017 Premiere: 15. September 2017 Women in Trouble (Berlin) Ulysses (Berlin) von Susanne Kennedy; Regie: Susanne Kennedy; nach James Joyce in einer Fassung von Volksbühne Berlin, Theater Rotterdam Sebastian Hartmann und Ensemble; Uraufführung: 30. November 2017 Regie: Sebastian Hartmann; Deutsches Theater Volksverräter!! (Bochum) Premiere: 19. Januar 2018 nach ; Regie: Hermann Schmidt-Rahmer; Schauspielhaus Bochum in Zusammenarbeit Roma Armee (Berlin) mit der Universität der Künste Berlin von Yael Ronen & Ensemble nach einer Idee Premiere: 21. September 2017 von Sandra und Simonida Selimović; Regie: Yael Ronen; Michael Kohlhaas (Düsseldorf) Uraufführung: 14. September 2017 von ; Regie: Matthias Hartmann; Düsseldorfer Schauspielhaus Verräter. Die letzten Tage (Berlin) Premiere: 18. Februar 2017 Ein Projekt von Falk Richter; Regie: Falk Richter; Maxim Gorki Theater Kein Licht. (2011/2012/2017) (Duisburg) Uraufführung: 28. April 2017 Ein Thinkspiel von Philippe Manoury und nach Elfriede Jelinek; Regie: Nicolas Stemann; -Berlin) Landschaftspark Duisburg Nord, Gebläsehalle; Auf) رحلة الشتاء Winterreise von Yael Ronen & Exil Ensemble; tragswerk und Produktion der Opéra Comique in Regie: Yael Ronen; Maxim Gorki Theater, Koproduktion mit der Ruhrtriennale, Festival Musica Schauspielhaus Zürich de Strasbourg, Opéra national du Rhin, Croatian Uraufführung: 8. April 2017 National Theater in Zagreb, Les Théâtres de la Ville de Luxembourg, IRCAM – Centre Pompidou, United Nationaltheater Reinickendorf (Berlin) Instruments of Lucilin, Münchner Kammerspiele von Vegard Vinge und Ida Müller; Uraufführung: 25. August 2017 Nationaltheater Reinickendorf; Produktion Vinge/Müller & Berliner Festspiele/Immersion Faust :: Mein Brustkorb : Mein Helm (Graz) Uraufführung: 1. Juli 2017 von Werner Schwab; Regie: Claudia Bauer; Schauspielhaus Graz Rückkehr nach Reims Österr. Erstaufführung: 29. September 2017 / Returning to Reims (Berlin) nach dem gleichnamigen Roman von Am Königsweg () Didier Eribon in einer Fassung der Schaubühne; von Elfriede Jelinek; Regie: Falk Richter; Regie: Thomas Ostermeier; Schaubühne am Hamburg Lehniner Platz, Manchester International Festival Uraufführung: 28. Oktober 2017

16 Das halbe Leid (Hamburg) Die Fremden / Eine Performance-Installation von SIGNA; Der Kaufmann von Venedig (Münster) Regie: Signa Köstler mit Arthur Köstler; Schauspiel von ; Deutsches SchauSpielHaus Hamburg Regie: Stefan Otteni; Theater Münster Uraufführung: 16. November 2017 Premiere: 4. November 2017

Der zerbrochne Krug (Hamburg) Lulu (Salzburg) von Heinrich von Kleist; Regie: Michael Thalheimer; Eine Monstretragödie (Urfassung 1894) von Deutsches SchauSpielHaus Hamburg Frank Wedekind; Regie: Athina Rachel Tsangari; Premiere: 25. März 2017 Salzburger Festspiele Premiere: 17. August 2017 Das achte Leben (Für Brilka) (Hamburg) von Nino Haratischwili in einer Bühnenfassung Das 1. Evangelium (Stuttgart) von Emilia Heinrich, Julia Lochte und Jette Steckel; frei nach dem Matthäus-Evangelium; Regie: Jette Steckel; Thalia Theater Regie: Kay Voges; Schauspiel Stuttgart Uraufführung: 8. April 2017 Uraufführung: 19. Januar 2018

Die Odyssee. Die Welt im Rücken (Wien) Eine Irrfahrt nach Homer (Hamburg) nach dem Roman von Thomas Melle; Regie: Antú Romero Nunes; Thalia Theater Regie: Jan Bosse; Burgtheater Premiere: 20. Mai 2017 Uraufführung: 11. März 2017

Michael Kohlhaas. Radetzkymarsch (Wien) Eine deutsche Erregung nach nach dem Roman von Joseph Roth, Bearbeitung von Heinrich von Kleist (Hamburg) Koen Tachelet; Regie: Johan Simons; Burgtheater Regie: Antú Romero Nunes; Thalia Theater Premiere: 14. Dezember 2017 Premiere: 21. Januar 2018 BEUTE FRAUEN KRIEG (Zürich) Das Heuvolk (Mannheim) nach „Die Troerinnen“ und „Iphigenie in Aulis“ Eine Performance-Installation von SIGNA; von Euripides; Regie: Karin Henkel; Regie: Signa Köstler mit Arthur Köstler; Schauspielhaus Zürich Nationaltheater Mannheim Premiere: 2. Dezember 2017 Uraufführung: 16. Juni 2017 Die 120 Tage von Sodom (Zürich) Die Selbstmord-Schwestern von Milo Rau nach Motiven von Pier Paolo Pasolini / The Virgin Suicides (München) und Donatien Alphonse François de Sade; nach Motiven des Romans von Jeffrey Eugenides Text und Regie: Milo Rau; Schauspielhaus Zürich in einer Fassung von Susanne Kennedy; in Kooperation mit dem Theater HORA Regie: Susanne Kennedy; Münchner Kammerspiele, Uraufführung: 10. Februar 2017 Volksbühne Berlin Uraufführung: 30. März 2017 Grimmige Märchen (Zürich) von Herbert Fritsch; Regie: Herbert Fritsch; Mittelreich (München) Schauspielhaus Zürich Musiktheater nach dem Roman von Josef Bierbichler, Uraufführung: 7. April 2017 nach der Inszenierung von Anna-Sophie Mahler; Konzept und Regie: Anta Helena Recke; Mir nämeds uf öis (Zürich) Münchner Kammerspiele / Anta Helena Recke von Christoph Marthaler und Ensemble; Premiere: 12. Oktober 2017 Regie: Christoph Marthaler; Schauspielhaus Zürich Uraufführung: 14. Dezember 2017 Trommeln in der Nacht (München) von/nach Bertolt Brecht; Regie: Christopher Rüping; Münchner Kammerspiele Premiere: 14. Dezember 2017

17 10er AUSWAHL – Essay

Zwischen Selbstbefragung und Selbstbesinnung / Between self-examination and self-reflection Eva Behrendt

Die Jury der 10er Auswahl 2018 (v.l.n.r.): Dorothea Marcus, Christian Rakow, Shirin Sojitrawalla, Andreas Klaeui, Eva Behrendt, Wolfgang Höbel, Margarete Affenzeller

18 Wahrscheinlich fiel gerade ein Satz wie „Aber die Arbeiterklasse gibt es hier in dem Sinne doch gar nicht mehr, nur noch Servicekräfte“, als der Schaffner sich in unsere Jurydiskussion einschal- tete. Wir standen rund um den kleinen Bistrotisch des Speisewagens im letz- ten ICE von Hamburg nach Berlin. Eva Behrendt ist Während wir erhitzt über Falk Richters freie Redakteurin Uraufführung von Elfriede Jelineks der Zeitschrift „Theater heute“, „Am Königsweg“ und über Thomas Autorin für Ostermeiers Eribon-Adaption „Rückkehr „taz“, Deutschland- nach Reims / Returning to Reims“ disku­ funk Kultur und andere sowie Teil tierten, schaltete er sich plötzlich ins der Jury der 10er Gespräch ein. „Und genau deshalb“, sagte Auswahl 2018. er, „ist es viel besser, wenn Sie Ihre Fahr- karten am Schalter und nicht online Somebody had probably just said some- Eva Behrendt is kaufen.“ thing like “But the working-classes a freelance editor Es folgte ein längerer Exkurs über die don’t really exist anymore around here, for the magazine “Theater heute” Privatisierung der Bahn, die ­spärlichen all we have are service industry employ- as well as a writer Möglichkeiten, jenseits des Internets ees”, when the ticket collector joined for “taz”, Schuhe in Übergrößen zu kaufen und über our jury debate. We were standing Deutschlandfunk Kultur and others den mühseligen Widerstand, den man around the dinner car’s small bistro table, and part of the als Kundschaft gegen die weniger digita­ on the final express train from Hamburg jury of the 2018 lisierungs- als vielmehr profitbedingte to Berlin. In the midst of a heated dis- selection of ten. Rationalisierung von Personal üben cussion about Falk Richter’s world pre- könne. Wie faszinierend, dass unser Elfen- miere production of Elfriede Jelinek’s ­beinturmtalk solche Resonanz auslö- “Am Königsweg (On the Royal Road)” sen konnte! Bräuchte es nicht sehr viel and about Thomas Ostermeier’s Eribon- Foto: Iko Freese mehr dieser unwahrscheinlichen Gesprä­ adaptation “Rückkehr nach Reims / che, die Mitglieder unterschiedlichster Returning to Reims”, the ticket collector Milieublasen verbinden? suddenly chimed in: “And that is why”, Die Erosion liberaler Demokratien, he said “you should always buy your train die sich als Sieger der Geschichte begrif- tickets at the counter rather than online.” fen, treibt die Theater um. Der Wechsel This was followed by a lengthy von einer höchst ambivalenten Politik digression on the privatisation of the Ger- der Intervention zugunsten einer „Trump man railway system, the dearth of over- first“-Policy in den USA, die Aushöhlung size shoes for sale on the Internet and der EU durch die Transformation meh- the tribulations of consumer resistance rerer Mitglieder in autoritäre National- against downsized numbers of staff, staaten, die Durchsetzungskraft einer which is motivated more by profit-opti­ nicht-demokratischen Wirtschaftsmacht misation than by the general trend

19 10er AUSWAHL – Essay

wie China oder einer Militärmacht wie towards digitalisation. How fascinating, Russland – all das spielte sich bisher that our ivory tower-conversation was noch in sicherer Entfernung ab. Aber nun able to spark such a response! Don’t sitzt seit September die Fraktion einer we need more improbable conversations Partei im Deutschen Bundestag, deren like these, uniting people from diverse Mitglieder teilweise rechtsextreme Posi- background-bubbles? tionen vertreten, in Österreich regiert The theatres are concerned by the eine rechtskonservative Koalition, erosion of liberal democracies that und in der Schweiz versucht die Rechte had always seen themselves as victors mit neoliberalen Argumenten immer of history. We have the shift from a highly wieder, demokratische Institutionen zur ambivalent intervention strategy to a Disposition zu stellen. “Trump first”-policy in the Unites States, the undermining of the EU by the fact Selbstbefragung that several of its members are trans- Welche Rolle aber spielen wir, die idea­ forming into authoritarian national states, listischen Künstler*innen, kritischen the self-assertion of a non-democratic Journalist*innen, bildungsbürgerlichen power like China or a military one like Theaterbesucher*innen, der Aufklärung Russia – all these factors had so far been verpflichteten Intellektuellen, üf r somewhere else, in a safe distance. But Minderheiten eintretenden Aktivist*in- now, a party whose members partly siehe TT Kontext nen? Waren wir nicht immer auf der advocate extreme right-wing opinions hellen Seite der Macht? Didier Eribons has seats in the Federal German Parlia- UNLEARNING autobiografischer Essay „Rückkehr nach ment, Austria is governed by a right-con- Patriarchat Practise What You Reims“ wurde in den letzten andert- servative coalition and in Switzerland, Preach!? – Ein halb Jahren zur Pflichtlektüre in Sachen the Right continually propounds neolib- Gespräch der Inten- Elitenselbstkritik. Seine komplexe These eral arguments in attempts to put demo- dant*innen der 10er vom Verrat der Elite an der von der cratic institutions up for negotiation. Auswahl über Gleich- stellungsfragen am europäischen Sozialdemokratie ver­ Theater gessenen Arbeiterklasse tauchte in den Self-examination 13. Mai 2018, verschiedensten Inszenierungen auf – But what is our role in all this, as ideal­ 15:00 Uhr Siehe S. 122 besonders prominent bei Thomas istic artists, critical journalists, educated, ­Ostermeier und Falk Richter. Ersterer well-situated theatre audiences, intellec- UNLEARNING parallelisiert in „Rückkehr nach Reims tuals committed to enlightenment, Theater / Returning to Reims“ das Making-of activists campaigning for minority-rights? Erlaubt ist, was gefällt?! eines Eribon-Dokumentarfilms mit den Haven’t we always been on the bright – Ein Gespräch über Theater, Kritik Nickeligkeiten um Geld, Gender und side of power? For the last year and und die Kunst der Hierarchie im fiktionialisierten Produk- a half, Didier Eribon’s autobiographical freien Rede tionsdreieck von Regisseur, Schauspie­ essay “Returning to Reims” has been 18. Mai 2018, 17:30 Uhr lerin und Tontechniker an der Grenze zur required reading in matters of elite self- Siehe S. 126 Satire, bis sich Nina Hoss mit ihrer criticism. His complex thesis of working- persönlichen Herkunftsgeschichte dar- classes betrayed by the elites and for­ aus löst. Ist das Engagement ihres Vaters, gotten by European social-democratic T T Finale des Daimler-Arbeiters und Grünen- politics has featured in a wide range Gespräch mit der Jury Politikers Willi Hoss, als Zukunftsweg- of productions – most prominently der 10er Auswahl 21. Mai 2018, weiser oder pure Nostalgie zu begreifen? in the works of Thomas Ostermeier and 16:30 Uhr Falk Richter hat seine Schauspie- Falk Richter. In “Rückkehr nach Reims / Haus der Berliner ler*innen bereits in „Verräter. Die letz- Returning to Reims”, the former juxta- Festspiele, Kassenhalle ten Tage“ nach dem „Eribon-Moment“ poses the “making-of” of a documentary in ihrem Leben forschen lassen, wen- about Eribon with petty discussions det sich aber nun einer anderen Selbst­ about money, gender and hierarchies in befragerin zu: Elfriede Jelinek hat mit a fictionalised triangle consisting of a

20 „Am Königsweg“ nur auf den ersten Blick ein director, an actor and a sound engineer. It borders Aufklärungsstück über Donald Trump geschrie- on satire, until actor Nina Hoss steps out of ben. Tatsächlich handelt es sich um ein scho- this construction with her own personal origin nungsloses Stück Selbstaufklärung, das die story. Should we read the dedicated involve- widerwillige Faszination für Autoritäten bis in ment of her father, Daimler worker and Green die Tiefen des frühkindlichen wie mensch- Party-politician Willi Hoss as a guide for the heitsgeschichtlichen Ödipuskomplexes zurück­ future or as pure nostalgia? verfolgt. In einem Museumsthronsaal der Pop- In Falk Richter’s earlier play “Verräter. Die kultur akkumuliert Richter nicht nur Bilder, letzten Tage”, he had his actors look for the Stoffe und Objekte im Überfluss, sondern auch “Eribon-moment” in their own lives, but now unterschiedlichste Darstellungsstile – von Ilse he turns to a different self-examiner: Elfriede Ritters feiner Selbstironie bis zu Idil Baydars Jelinek, whose “Am Königsweg (On the Royal anti-rassistischem Frontal-Comedy-Unterricht. Road)” is only an investigative play about Donald Auch Frank Castorfs Inszenierung von Trump at first glance. In fact, it is a relent­less Goethes „Faust“ erscheint als umfassende piece of self-investigation, which traces a reluc- Selbstbefragung des Künstlers als älterem wei- tant fascination with royal authority all the way ßen Mann. Indem Castorf die Handlung ins back into the depths of the Oedipus complex Paris des 19. und 20. Jahrhunderts verlegt und of early childhood and the entire human history. mit Émile Zolas Aufstiegs- und Absturzroman In a museum cum throne hall of pop culture, „Nana“ verschneidet, gelingt ihm ein scho- Falk Richter accumulates not only images, nungsloser Blick auf die dunkle Seite der Auf- subjects and objects in superabundance, but klärung, der zeigt, wie gleichgültig über die also a wide range of performance styles – from Leichen der Kolonisierten wie Prostituierten Ilse Ritter’s delicate self-irony to Idil Baydar’s gestiegen wurde und wird, wenn es Profit anti-racist no-punches-pulled comedy lectures. und Selbstverwirklichung dient. Zudem ist Frank Castorf’s production of Goethe’s „Faust“ ein wild in Raum und künstlerischen “Faust” also seems to be a comprehensive

EIN PAAR SELBST­ KRITISCHE EIN­ SICHTEN IN WHITE PRIVILEGE MACHEN DEN KOHL NOCH NICHT FETT. 21 10er AUSWAHL – Essay

BRAUCHTE ES NICHT SEHR VIEL MEHR DIESER UNWA HR- SCHEINLICHEN GESPRACHE, DIE MITGLIEDER UNTERSCHIED- LICHSTER MILIEUBLASEN VERBINDEN?

Medien umhertobendes Schauspieler*innen- self-examination of the artist as an older white spektakel, das noch einmal die 25-jährige man. By setting the plot in 19th and 20th Ära Castorfs als Intendant der Volksbühne am century Paris and blending it with “Nana”, Émile Rosa-Luxemburg-Platz feiert. Zola’s novel of rise and fall, he creates a relent- Bertolt Brecht haderte lange damit, dass less look at the dark side of enlightenment sein Kriegsheimkehrer Kragler sich am Ende and shows the levels of indifferences with von „Trommeln in der Nacht“ für das Bett seiner which the corpses of the colonised and prosti­ Anna entschied und gegen die Revolution. Ego- tutes were and are stepped on as long as it ismus oder Allgemeinwohl? Heute geht selbst- serves the principles of profit and personal fulfil­ verständlich beides, jedenfalls bei Christopher ment. And “Faust” is a spectacle of acting, a Rüping, der sein Ensemble Teile der Münchner wild romp through the space and the available Uraufführung von 1922 reenacten lässt, um artistic media, a final celebration of Castorf’s schließlich in der überspannten Ratlosigkeit der 25-year era as the Volksbühne am Rosa-Luxem- Gegenwart zu landen. Zwei mögliche Schlüsse burg-Platz’s Artistic Director.

22 lassen letztlich nur einen Schluss zu: Was ihr For a long time, Bertolt Brecht was at odds wollt, müsst ihr selbst rausfinden. with his decision that on returning home from the war, his character Kragler chose to go to Strukturwandel-Anstöße Anna’s bed rather than join the revolution at the Ab jetzt also nur noch Klassenkampf statt end of his play “Trommeln in der Nacht (Drums Empowerment für Minderheiten? Ein paar in the Night)”. Selfishness or the common selbstkritische Einsichten in White Privilege good? Today, we can have it all, of course – or at machen den Kohl noch nicht fett. Die Gesell- least in the view of Christopher Rüping, whose schaften werden diverser. Die Theater, cast re-enacts parts of the world pre- lange Zeit weiß, hierarchisch, männerdomi- miere of the year 1922, only to end up in today’s niert, beginnen sich durch Initiativen wie Büh- outré perplexity. Two possible endings ulti- nenwatch, ensemble-netzwerk und den mately admit only one conclusion: It’s up to you Verein Pro Quote zu ändern. An vielen Spiel- to find out what you want. stätten ­trafen wir Juryreisende auf Bespiele: Die in der Regie von Stefan Otteni am Theater Impulses for structural transformation Münster entstandene Interpretation von So, is it only class wars now instead of minority Shakespeares „Die Fremden / Der Kaufmann empowerment? A few self-critical insights von Venedig“, die bis zum Schluss in der Jury­ into white privilege won’t do the business. Soci- debatte blieb, ist zum Beispiel längst nicht mehr eties are becoming increasingly diverse. The rein „biodeutsch“ besetzt und kann die insze- theatres, which have for the longest time been nierten Integrationskonflikte und Ausgrenzungs- white, hierarchical and dominated by men, mechanismen glaubhaft auf Arabisch unter- are starting to transform, thanks to initiatives streichen. Das Maxim Gorki Theater erweitert like Bühnenwatch, ensemble-netzwerk and the sein ohnehin schon diverses Ensemble um association Pro Quote. On our travels as jury ein Exil Ensemble Geflüchteter, und Yael Ronens members, we came across many examples: ebenfalls in der Jury diskutierte „Roma Armee“ Stefan Otteni’s interpretation of Shakespeare’s prunkt mit schillernden, jede stereotype “The Strangers / The Merchant of Venice” Erwartung unterlaufenden Romani-Aktivist*in- at Theater Münster, for example, which the jury nen. Und auch wenn das „Faust“-Ensemble considered for the Theatertreffen’s selection mit Thelma Buabeng, Joelnize Silva Hein und until the final round, is by no means cast only Abdoul Kader Traoré schon erstaunlich of Color with “bio-Germans”, but convincingly manages aussieht: Der Strukturwandel des deutsch­ to highlight conflicts of integration and mech- sprachigen Theaters steckt noch in den Kinder­ anisms of exclusion in Arabic. Maxim Gorki schuhen. Davon zeugt auch die geringe, Theater has extended its already diverse acting ungefähr den realen Produktionsverhältnissen company by adding an Exil Ensemble of refu- entsprechende Frauenquote unserer Auswahl. gee actors, and Yael Ronen’s production “Roma Deshalb leuchtet vollkommen ein, dass Armee”, also discussed by the jury, boasts a cast es außerordentlicher Kunstaktionen bedarf, um of scintillating Romani activists who subvert weiße Privilegien sichtbar zu machen. Anta all stereotypical expectations. And although the Helena Recke hat einen solchen Coup mit ihrer cast of “Faust”, featuring Thelma Buabeng, „Schwarzkopie“ von „Mittelreich“ gelandet, Joelnize Silva Hein and Abdoul Kader Traoré may indem sie eine bereits vorhandene Inszenierung appear to be astonishingly of color: The struc- – Anna-Sophie Mahlers Adaption des Romans tural transformation of German-language theatre „Mittelreich“ von Josef Bierbichler – mit einer is still in its infancy. This is reflected in the low entscheidenden Abweichung kopiert: Ihre female quota of our selection, which corresponds Besetzung ist komplett of Color. Ganz offen more or less with the real ratios of production. stellt Recke so die Frage nach dem Stellen- This is why it makes perfect sense that an wert der Hautfarbe und bringt obendrein zum exceptional artistic coup is necessary to reveal ersten Mal Appropriation Art auf eine deutsche white privilege. With her “black copy” of Stadttheaterbühne. “Mittelreich”, Anta Helena Recke has landed Zu den Privilegien der Sieger*innen gehört just such a coup, copying an existing production es, Geschichte zu schreiben. Ein Teil der – Anna-Sophie Mahler’s adaptation of Josef

23 10er AUSWAHL – Essay

ältesten Dramen des europäischen Kanons Bierbichler’s novel “Mittelreich” – with one cru- basiert auf den Mythen der expansiven Griechen. cial change: Her cast consists entirely of actors Karin Henkels Atriden-Compilation „BEUTE of color. Recke openly questions the signifi- FRAUEN KRIEG“ zielt darauf, patriarchale cance of skin colour, while also bringing the first Propaganda zu entlarven, indem sie strikt aus piece of Appropriation Art to the stage of a der Perspektive von Frauen erzählt, deren Kinder German city-theatre. getötet werden, die als Sexsklavinnen miss- One of the privileges enjoyed by those who braucht und als Kriegsanlässe instrumentali- win wars is that they get to write the histories. siert werden, teilweise von den eigenen Vätern. Some of the oldest dramas of the European Mit technischen Kniffen macht sie das Publi- canon are based on the mythology of the expan- kum zu intimen Zeug*innen ihrer Versionen der sive ancient Greeks. Karin Henkel’s Atrides- Geschichte. Auch Antú Romero Nunes versucht, compilation, “BEUTE FRAUEN KRIEG”, tries ganz neu auf die „Odyssee“ zu blicken. Zwar to unmask patriarchal propaganda by telling the sind es nicht Frauen, sondern Odysseus’ Söhne, stories strictly from the point of view of women die einander in einem seltsamen Wettkampf whose children were killed, who were abused die Heldentaten eines Patriarchen erzählen. Aber as sex slaves or instrumentalised as casus belli, ein Vatermord ist es doch – auch an einem hero- often by their own fathers. With clever technical ischen Verständnis von Theater, das die bei- devices, she turns the audience into intimate den inszenierten Weichei-Clownssöhne Thomas witnesses of their versions of history. Antú Niehaus und Paul Schröder mit den Tricks der Romero Nunes also attempts a new look at the Kleinkunst und des Zirkus fröhlich in die Pfanne “Odyssey”. Here, it is not the women, but rather hauen. the sons of Odysseus who tell the story of a patriarch’s heroic feats, in a strange kind of com- Selbstbesinnung petition. But it’s a patricide nonetheless – and Was außer kritischer Selbstbefragung und it also takes a swipe at a heroic concept of Anstößen zum Strukturwandel kann Theater theatre, which the two wimpy, clownish sons noch leisten? In diesem Auswahlzeitraum Thomas Niehaus and Paul Schröder perform with hat es sich auch immer wieder auf seine grund- great glee and the tools of cabaret and circus. legenden Qualitäten besonnen und in der Suche nach radikalen und alternativen Kunstwel- Self-contemplation ten nicht beirren lassen. Thom Luzʼ gleichsam What else but critical self-examination and räumlich halbierte Geometriestudie „Leonce impulses for structural change can the theatre und Lena“ gehört ebenso dazu wie Susanne achieve? During this most recent period of Kennedys dystopische, von Replikanten bevöl- selection, it has frequently returned to its funda­ kerte Ersatzteilwelten, in denen der Tod das mental strengths and an unwavering search letzte Abenteuer zu sein scheint – wie in „Die for radical and alternative artistic worlds. Thom Selbstmordschwestern / The Virgin Suicides“ Luz’ spatially bisected geometrical study of – und Esoterik in der unablässigen Objek­ “Leonce und Lena” was one such example, tivierung Trost spendet – wie in „Women in as were Susanne Kennedy’s dystopic worlds of Trouble“. In die diesjährige Auswahl schaffte spare parts, peopled by replicants, where death es Ulrich Rasches „Woyzeck“ mit seiner seems to be the final adventure – as in “Die Konzentration auf Körper, Sprache und Rhyth- Selbstmordschwestern / The Virgin Suicides” – mus und dem Versuch, aus den auf eine and the esoteric provides comfort in times maschinelle Kipp- und Drehscheibe gesetzten of relentless objectification – as in “Women Menschen doch noch Funken ihrer „Natur“ her- in Trouble”. This year’s selection includes Ulrich auszukitzeln. Vegard Vinge und Ida Müller Rasche’s “Woyzeck”, distinguished by its basteln mit ihrem „Nationaltheater Reinicken- concentration on bodies, language and rhythm dorf“ weiter an ihrem tief in die eigene Teen- and the attempt to tease out an individual spark agervergangenheit und weit in eine utopische of “nature” from the human beings slotted Zukunft wuchernden Gegenentwurf eines into the tilting, revolving stage machinery. With Welttheaters, das in einer Lagerhalle im Nord- “Nationaltheater Reinickendorf”, Vegard Vinge westen Berlins sein temporäres Zuhause fand. and Ida Müller continue to construct their

24 Gleichzeitig ist ihr Mehrspartenhaus zwischen alternative proposal of a world theatre which Oper, Theater, Bildender Kunst und Pop ein sprawls far back into their own teenage past Labor für Experimente und Exkremente sowie and far ahead into a utopian future, and which für den Umschlag radikaler Zeichenhaftigkeit has found a temporary home in a storage hall in in realen Schrecken. north-western Berlin. At the same time, their Manchmal reichen aber auch ein einzelner multi-disciplinary house of opera, theatre, visual Schauspieler und seine Begeisterung für einen art and pop is a laboratory for experiments and Text. Joachim Meyerhoff verwandelt sich in excrements as well as for the capsizing of radical der Regie von Jan Bosse gleichsam in den Schrift- symbolism into real horror. steller Thomas Melle, der in „Die Welt im And sometimes, a single actor and his enthu- Rücken“ über sein Leben mit einer manisch- siasm for a text can be enough. Directed by depressiven Erkrankung schreibt. Meyerhoffs Jan Bosse, Joachim Meyerhoff turns himself fulminantes, gleichnamiges Drei-Stunden- into the writer Thomas Melle, as it were, whose Solo setzt mit wenigen, im Text verankerten novel “Die Welt im Rücken (The World at Your Materialien einen eigenständigen Spielprozess Back)” describes his life with a manic-depres- in Gang, in dem Tischtennisbälle, ein Kopier- sive disorder. Meyerhoff’s brilliant three-hour apparat und Jesusmotive eine Rolle spielen – solo of the same title needs only a few props, und doch nie von dem Drama ablenken, das die anchored in the manuscript, to set off an auton- Abweichung von der Norm für jede*n Einzel­ omous acting process that features ping-pong ne*n bedeuten kann. Und von der heimlichen, balls, a copying machine and Jesus-motives – unheimlichen Chance, die auch darin steckt. never distracting us from the drama which a deviation from the norm can mean for every single one of us. And from the secret, uncanny Eva Behrendt opportunity that it holds. WHAT ELSE BUT CRITICAL SELFEXAMI­- NATION AND IMPULSES FOR STRUCTURAL CHANGE CAN THE THEATRE ACHIEVE? 25 10er AUSWAHL

26 Haus der Berliner Festspiele, Bühne 1. bis 8. Mai 2018

Faust Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz (Intendanz Frank Castorf)

Frank Castorf, Regie Aleksandar Denić, Bühne Adriana Braga, Kostüme Lothar Baumgarte, Licht Andreas Deinert, Mathias Klütz, Kamera Jens Crull, Maryvonne Riedelsheimer, Videoschnitt Tobias Gringel, Christopher von Nathusius, Sounddesign Dienstag, 1. Mai 2018 um 18:00 Uhr Jonathan Bruns, Detlef Feiertag, Musik und Ton Voraufführung Dario Brinkmann, Lorenz Fischer, William Minke, Cemile Sahin, Tonangel Freitag, 4. Mai 2018 um 17:00 Uhr Sebastian Kaiser, Dramaturgie mit Eröffnungsparty im Anschluss Sebastian Klink, Künstlerische Produktionsleitung an die Vorstellung

Samstag, 5. Mai 2018 um 18:00 Uhr Mit Martin Wuttke, Faust mit Publikumsgespräch im Anschluss Marc Hosemann, Mephistopheles an die Vorstellung Valery Tscheplanowa, Margarete / Helena Moderation Christine Wahl Alexander Scheer, Lord Byron / Anaxagoras Juror Christian Rakow Sophie Rois, Die Hexe Lars Rudolph, Doktor Wagner Montag, 7. Mai 2018 um 18:00 Uhr Lilith Stangenberg, Meerkatze Satin Hanna Hilsdorf, Homunculus Dienstag, 8. Mai 2018 um 18:00 Uhr Foto: Thomas Aurin Foto: Thomas Aurin Daniel Zillmann, Monsieur Bordenave, directeur du Théâtre des Variétés with English surtitles Thelma Buabeng, Phorkyade Dauer 6 Stunden 50 Minuten, eine Pause Frank Büttner, Valentin Joelnize Silva Hein, Papa Legba / Baucis Haus der Berliner Festspiele, Bühne Abdoul Kader Traoré, Baron Samedi & 14 bis 55 Euro Voraufführung 20 Euro Monsieur Rap rencontrent Aimé Césaire Sir Henry, Der Leiermann Bukowski als Schwarzer Pudel Premiere am 3. März 2017 Szenen aus dem Goeth’schen Untergrund. Unter Verwendung von Aus- Die Aufführungen von „Faust“ werden ermög- zügen aus Émile Zola: NANA. Vollständige Ausgabe. Übertragen und mit licht durch die zusätzliche Unterstützung Nachwort von Erich Marx, Sammlung Dieterich, Band 202 © Aufbau der Berliner Senatsverwaltung für Kultur Verlag GmbH & Co. KG, Berlin 1957, 2008. Und Paul Celan. Todesfuge. und Europa und der LOTTO-Stiftung Berlin. © Deutsche Verlags-Anstalt (Verlagsgruppe Random House GmbH).

27 10er AUSWAHL

Faust Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz (Intendanz Frank Castorf)

It is serendipitous: A directorship which shaped theatre history like no other since 1989 sets its final chords with a work of considerable theatrical force. Frank Castorfʼs reading of Goethe’s “Faust” is characterised by total freedom of interpretation and features ample additions of external text. For him, it is not the drama of the German thinker, but rather the drama of the European bourgeoisie, who had set out in 1789 to free all peoples from feudal bondage Es ist ein Glücksfall, dass eine Intendanz, die in the spirit of “liberté, égalité, fraternité”. wie keine zweite seit 1989 Theatergeschichte And what actually came about was the bondage geprägt hat, mit einem wahrhaftigen Bühnen­ of capitalist economisation. This journey takes wuchtwerk ihren Schlussakkord setzt. us from the “creation of man”-scenarios of Frank Castorf liest Goethes „Faust“ in höchster “Faust II”, via France in the Second Empire, Deutungsfreiheit und mit zahlreichen Fremd- to the colonial reality of the Algerian war. The text-Anlagerungen nicht als Drama des deut- Faust we follow is not so much a character, but schen Denkers, sondern als Drama des europä­ rather a complex of problems: Global Player ischen Bürgertums, das 1789 im Geiste des Faust. Referencing “Nana”, Émile Zola’s novel „Liberté, Égalité, Fraternité“ aufgebrochen of prostitution, Castorf introduces a parallel war, die Emanzipation der Völker aus feudalen narrative of female subversion. The extravagant Banden zu besorgen. Und was kam, waren courtesan Nana infects the patriarchal system die Bande der kapitalistischen Verwirtschaftung. with the “germ of annihilation”, as Zola for­

Von den Menschenschöpfungsszenarien des mulates it. Goethe’s Gretchen-character appears Foto: Thomas Aurin „Faust II“ geht die Reise über das Frankreich equally enhanced: There is nothing of the child- des Zweiten Kaiserreichs bis in die koloniale like victim of seduction about her anymore. Wirklichkeit des Algerienkriegs. Man verfolgt Valery Tscheplanowa, who shines alongside Faust nicht als Figur, sondern als Problem­ Martin Wuttke as Faust and Marc Hosemann as komplex: Global Player Faust. Parallel erzählt Mephisto, was chosen as Best Female Actor Castorf im Rückgriff auf Émile Zolas Prostitu­ of 2017 for her performance as Gretchen/Helena. ierten-Roman „Nana“ die Geschichte der All in all, Castorf’s “Faust”-expedition assem- weiblichen Subversion. Die verschwenderische bles a throng of exceptional actors who hold this Kurtisane Nana pflanzt dem Patriarchat den eruptive stage event together at its core, among

28 Haus der Berliner Festspiele, Bühne 1. bis 8. Mai 2018

„Bazillus der Vernichtung“ ein, wie es bei Zola them Sophie Rois, Lilith Stangenberg, Alexander heißt. Entsprechend aufgewertet erscheint Scheer, Daniel Zillmann and Thelma Buabeng. auch die Goethe’sche Gretchenfigur, die nichts Goethe’s words from the Witches’ Kitchen mehr von einem kindlichen Verführungsopfer apply equally to this feverish, colonial-continen- an sich hat. Valery Tscheplanowa, die hier neben tal trip as they do to Castorf’s anarchic art of Martin Wuttke als Faust und Marc Hosemann directing as a whole: “A perfect contradiction als Mephisto brilliert, wurde für ihren Gretchen/ in terms is / Ever a mystery to the wise as to Helena-Auftritt zur Schauspielerin des Jahres fools”. Mysterious, contradictory, mind-blowing. 2017 gekürt. Auch sonst versammelt Castorfs Theatre can be no more than this. „Faust“-Expedition scharenweise Ausnahme- schauspieler*innen, die dieses eruptive Bühnen- ereignis im Innersten zusammenhalten, darun- Christian Rakow ter Sophie Rois, Lilith Stangenberg, Alexander Scheer, Daniel Zillmann, Thelma Buabeng. Es ist ein fiebernder Kolonial-Kontinentaltrip, auf den das Goethe-Wort aus der Hexenküche so gut passt wie auf Castorfs anarchische Regie­ kunst überhaupt: „Denn ein vollkommner Widerspruch / Bleibt gleich geheimnisvoll für Kluge wie für Toren.“ Geheimnisvoll, wider- sprüchlich, mind-blowing. Mehr kann Theater nicht sein.

29 Berliner Festspiele 10er AUSWAHL

30 Schaubühne am Lehniner Platz 5. bis 16. Mai 2018

Rückkehr nach Reims / Returning to Reims Schaubühne am Lehniner Platz, Berlin Koproduktion mit dem Manchester International Festival MIF, HOME Manchester und Théâtre de la Ville Paris

English Version Samstag, 5. Mai 2018 um 19:30 Uhr Sonntag, 6. Mai 2018 um 19:30 Uhr Dienstag, 15. Mai 2018 um 20:00 Uhr Mittwoch, 16. Mai 2018 um 20:00 Uhr nach dem gleichnamigen Roman von Deutsche Version Didier Eribon, aus dem Französischen Dienstag, 8. Mai 2018 um 20:00 Uhr von Tobias Haberkorn (deutsche Übersetzung) Mittwoch, 9. Mai 2018 um 20:00 Uhr und Michael Lucey (englische Übersetzung) Donnerstag, 10. Mai 2018 um 20:00 Uhr in einer Fassung der Schaubühne Freitag, 11. Mai 2018 um 20:00 Uhr Samstag, 12. Mai 2018 um 16:00 Uhr Thomas Ostermeier, Regie mit Publikumsgespräch im Anschluss Nina Wetzel, Bühne und Kostüme Moderation Christine Wahl Doreen Back, Mitarbeit Bühne Jurorin Dorothea Marcus Nils Ostendorf, Musik

englische Version mit deutscher Simultanübersetzung Jochen Jezussek, Sounddesign Florian Borchmeyer, Maja Zade, Dramaturgie Dauer 2 Stunden 10 Minuten Erich Schneider, Licht Sébastien Dupouey, Schaubühne am Lehniner Platz 7 bis 48 Euro Thomas Ostermeier, Filmregie Marcus Lenz, Sébastien Dupouey, Marie Sanchez, Kamera Englischspr. Erstaufführung am 8. Juli 2017 Deutschspr. Erstaufführung am 24. Sept. 2017 Sébastien Dupouey, Filmschnitt Peter Carstens,

Foto: Arno Declair Robert Nabholz, Originalton Film Laure Comte, BAGAGE (Sonja Heitman, UNLEARNING 1. Klasse Uschi Feldges), Archivrecherche Film „Zusammen müssten sie eigentlich Jake Witlen, Sabrina Brückner, unwiderstehlich sein.“ – Gespräch 11. Mai 2018, 16:30 Uhr Videotechnik Film Siehe S. 123 Stefan Nagel, Annette Poehlmann, Produktionsleitung Film UNLEARNING 1. Klasse siehe TT Kontext Geteilte Welt – Keynote 11. Mai 2018, 18:00 Uhr Mit Nina Hoss Siehe S. 124 Bush Moukarzel (nur englische Version) Sebastian Schwarz (nur deutsche Version) UNLEARNING 1. Klasse Ali Gadema Solidarität = Selbstmord!? – Gespräch 11. Mai 2018, 18:30 Uhr Siehe S. 124 Gefördert durch die LOTTO-Stiftung Berlin.

31 10er AUSWAHL

Rückkehr nach Reims / Returning to Reims Schaubühne am Lehniner Platz, Berlin

Wie kann es sein, dass rechte Populist*innen zunehmend die Macht übernehmen und demokratische Systeme aushöhlen? Der französische Soziologe Didier Eribon hat in seiner autobiografi- schen Selbsterkundung „Rückkehr nach Reims“ griffige Antworten gefunden. Er analysiert darin nicht nur, wie er sich als homosexuelles Arbeiterkind seiner eigenen Klasse entfremdete, sondern auch, warum die französischen Proleta­ rier*innen auf einmal den Front National wählen: weil die neoliberal gewordene How is it possible that right-wing popu- Linke sie ökonomisch verraten hat. lists are increasingly coming into power In Deutschland traf er damit einen Nerv, and undermining democratic systems? Eribons Buch ist eines der meistdisku- In his autobiographical self-exploration tierten der letzten Jahre. “Returning to Reims”, French sociol­ogist In einer listigen Rahmung aus Reali- Didier Eribon has found some plausible tät und Reenactment, Dokumentar- answers. He not only analyses how he stück und Kunstwerk verlegt Thomas as the homosexual offspring of a working- Ostermeier seine Inszenierung in ein class family grew apart from his own Tonstudio und eröffnet damit vielfältige background, but also explains why French Reflexions- und Realitätsebenen. Sam- proletarians have started voting for the tig und ruhig spricht Nina Hoss, die Front National: Because the Left turned eine Schauspielerin spielt, den Eribon- neoliberal and betrayed them in economic Buchtext für einen Dokumentarfilm matters. This hit a nerve in Germany: ein, umkreist vom beflissen-geschwätzi- Eribon’s book is one of the most fiercely gen Regisseur (Sebastian Schwarz, in debated of the last years. der englischen Version Bush Moukarzel) In an artful frame constructed from und dem Techniker (Ali Gadema). elements of reality and re-enactment, Der Film ist schon für sich ein Coup: documentary project and work of art, Denn wir kehren mit Eribon persönlich Thomas Ostermeier sets his production

32 Schaubühne am Lehniner Platz 5. bis 16. Mai 2018

zu seinen biografischen Wurzeln in den Arbeiter- in a sound studio, allowing for numerous levels bezirken von Reims zurück. Die Schauspielerin of reflection and realities. In a velvety, composed und der Regisseur, die den Film auf der Bühne voice, Nina Hoss, who plays an actor, speaks herstellen, sind wie Eribon Stellvertreter*innen Eribon’s text, orbited by the solicitously talk­ einer linken Kultur-Elite – und lassen komö­ ative producer (played by Sebastian Schwarz diantische Funken sprühen, wenn sie lieber über in the German-language version and by Bush Geld, Gender und Mitbestimmung streiten, Moukarzel in the English one) and the technician anstatt sich um so etwas wie Arbeiterklasse (Ali Gadema). This film is a coup in itself: zu kümmern. Ostermeier inszeniert also nicht Together with Eribon himself, we return to his nur das Kunstprodukt über den Verrat des biographical roots, to the working-class districts Aufsteigers Eribon an seiner Klasse, nicht nur of Reims. Both actor and producer creating den Verrat der Linken an ihrer Klientel, sondern the film on stage are representatives of the left- auch eine satirische Selbstkritik heutiger Eli- wing cultural elite, just like Eribon himself. ten, in die er sich natürlich einschließt. Und der Comedic sparks fly when they bicker about Abend geht im zweiten Teil weit darüber hinaus: money, gender and co-determination rather than Nina Hoss springt aus der Fiktion ihrer Figur concerning themselves with things like the und setzt ihrem Vater Willi Hoss ein Denkmal, working class. More than just an art product der als Arbeiter, Gewerkschafter und Mitbe- about the parvenu Eribon’s betrayal of his gründer der Grünen bis an den Amazonas reiste, origins, or the Left’s betrayal of their clientele, um dort für die Rechte der indigenen Völker Ostermeier stages a satirical self-criticism zu kämpfen. Und so gibt die Inszenierung dem of today’s elites, in which he includes himself, pessimistischen Resümee von Eribon eine of course. And in its second part, the show goes utopische Wendung. Wie kann man verantwort- far beyond this: Nina Hoss exits the fictionality lich handeln in einer Welt, die sich zusehends of her character and speaks in memory of her auflöst? Ostermeier analysiert das Dilemma father, Willi Hoss, a worker, trade unionist and der heutigen Linken nicht nur, sondern liefert co-founder of the German Green Party who Antworten: mit echtem Aktivismus, mit einem travelled all the way to the Amazon River to fight Links-Sein, das sich weder in eitler Selbst­ for the rights of the indigenous peoples. And so privilegierung noch im langen Marsch durch die the production gives an utopian twist to Eribon’s Institutionen verliert. pessimistic résumé. How can we act responsibly in a world that is in an increasing state of dis- solution? Ostermeier doesn’t just analyse the Dorothea Marcus dilemma of today’s Left, he comes up with answers: With real activism and with an under- standing of being left-wing that loses itself HOW CAN WE neither in conceited self-privileging nor in the ACT RESPON- long march through the institutions. SIBLY IN A WORLD THAT IS IN AN INCREASING STATE OF DISSOLUTION?

33 Berliner Festspiele 10er AUSWAHL

34 Rathenau-Hallen 6. bis 8. Mai 2018

BEUTE FRAUEN KRIEG Schauspielhaus Zürich

Sonntag, 6. Mai 2018 um 20:00 Uhr

Montag, 7. Mai 2018 um 20:00 Uhr mit Publikumsgespräch im Anschluss an die Vorstellung Moderation Christoph Leibold Juror Andreas Klaeui

Dienstag, 8. Mai 2018 um 20:00 Uhr

Dauer 2 Stunden 45 Minuten, Fassung unter Verwendung von „Die Troerinnen“ von eine Pause John von Düffel nach Euripides (Interlinearübersetzung Gregor Schreiner) und „Iphigenie in Aulis“ von Rathenau-Hallen 40 Euro Soeren Voima nach Euripides

Karin Henkel, Regie Premiere am 2. Dezember 2017 Muriel Gerstner, Bühne Teresa Vergho, Kostüme Das Gastspiel wird unterstützt durch Arvild J. Baud, Musik

Foto: Toni Suter / T+T Fotografie Pro Helvetia, Schweizer Kulturstiftung, und die Schweizerische Botschaft Michel Güntert, Licht in der Bundesrepublik Deutschland. Anna Heesen, Dramaturgie

Mit Lena Schwarz, Hekabe / Klytaimnestra Carolin Conrad, Andromache / Iphigenie UNLEARNING Patriarchat Dagna Litzenberger Vinet, Kassandra / Iphigenie Everyday Sexism – Keynote Hilke Altefrohne, Helena / Iphigenie 6. Mai 2018, 15:00 Uhr Siehe S. 120 Kate Strong, Helena / Hetäre Madita Keller, Polyxena / Iphigenie UNLEARNING Patriarchat Isabelle Menke, Helena / Iphigenie Männlichkeit in der Krise? – Gespräch siehe TT Kontext Michael Neuenschwander, Agamemnon 6. Mai 2018, 15:30 Uhr Siehe S. 121 Christian Baumbach, Menelaos Milian Zerzawy, Pyrrhos / Achill UNLEARNING Patriarchat Fritz Fenne, Odysseus Practice What You Preach!? – Gespräch 13. Mai 2018, 15:00 Uhr Siehe S. 122

35 10er AUSWAHL

BEUTE FRAUEN KRIEG Schauspielhaus Zürich

When we think about Euripides’ “The Trojan Women” and “Iphigeneia in Aulis” as a unit, it becomes a portrayal of the Great War from a female and a victim’s perspective. It all begins and ends with the murder of a young woman – Agamemnon is to sacrifice his daughter Iphigeneia so that the Greek fleet can leave the port; Polyxena, daughter of the Trojan King Priam, is sacrificed by the Greeks Wer „Die Troerinnen“ und „Iphigenie in Aulis“ after the end of the war to atone for the death von Euripides zusammendenkt, erhält eine of Achilles. Schilderung des großen Kriegs aus weiblicher This “Cycle based on Euripides” from Zurich und aus Opfer-Perspektive, an deren Anfang also focusses on the prerogative of interpreta­ und Ende je die Ermordung einer jungen Frau tion. What is a hero, who assigns the roles, who steht – Agamemnon soll seine Tochter Iphigenie writes the history? Karin Henkel suggests a opfern, damit die griechische Flotte auslaufen feminist reinterpretation. For one thing, the trage- kann; Polyxena, die Tochter des trojanischen dy’s cyclical character lies in its staging, its Königs Priamos, opfern die Griechen nach dem repeating scenes set on a walkway. But its pes- Krieg zur Sühne für den toten Achilleus. simistic conclusion also refers to a disastrous In dem Zürcher „Zyklus nach Euripides“, der cycle in human history: That toxic male violence, sich auf John von Düffels und Soeren Voimas as addressed in Euripides by way of example, Textfassungen stützt, liegt das Gewicht zudem may never be broken. auf Fragen nach der Deutungshoheit. Was ist As in her previous Zurich productions of ein Held, wer teilt die Rollen zu, wer schreibt “Electra” or “The Ten Commandments” based die Geschichte? Karin Henkel schlägt eine on Kieślowski, and once again in a set designed feminis­tische Umdeutung vor. Zyklisch an der by Muriel Gerstner, Karin Henkel divides the Tragödie ist einerseits ihre szenische Form, audience into groups following the stage situa-­ sich repetierende Szenen auf einem Laufsteg; tions and gathering in the public sphere of an auf einen fatalen menschheitsgeschichtlichen agora after the interval. Three monologues are Zyklus bezieht sich wohl auch die pessimis­ presented in the most intimate immediacy: the tische Konklusion der Inszenierung: dass sich laments of Helen, Cassandra and Andromache – toxisch-männliche Gewalt, wie sie bei Euripides joined by a towering Hecuba, who moves exemplarisch behandelt wird, vielleicht niemals through all the spaces and is given disturbing, durchbrechen lässt. tragic stature by Lena Schwarz.

36 Rathenau-Hallen 6. bis 8. Mai 2018

Wie schon in ihrer Zürcher „Elektra“ oder auch There is nothing soldier-like whatsoever about in „Die zehn Gebote“ nach Kieślowski, und this tale of war. Carolin Conrad’s desperate abermals in einem Bühnenbild von Muriel Andromache and Dagna Litzenberger Vinet’s Gerstner, teilt Henkel das Publikum in Gruppen go-go-dancing Cassandra develop a touching auf, die den szenischen Situationen nachwan- immediacy, which is amplified by the intimacy dern und sich nach der Pause in der Öffentlich- of the acting situation within these small stage keit einer Agora zusammenfinden. In intimster areas. Overall, the staging concept allows Unmittelbarkeit sind drei Monologe zu erle- an enthralling play on proximity and distance, ben: die Klagegesänge von Helena, Kassandra on the ambivalences of the discourse of victi­m­ und Andromache, und dazu, alle überragend, isation and political practise. The grieving sich durch alle Räume bewegend, Hekabe, der women are faced by devastated men, war Lena Schwarz verstörende tragische Statur ­invalids in body and mind, who drone on about verleiht. the inherent necessity of violence, only to Rein gar nichts Soldatisches hat diese be craftily subverted by a fierce Kate Strong – Kriegserzählung. Carolin Conrads verzweifelte an intelligently feminist, impressively human- Andromache, aber auch Dagna Litzenberger istic show. Vinets Kassandra als Go-go-Tänzerin entwickeln berührende Direktheit; in den kleineren Büh- nenbereichen wird sie durch das räumliche Her- Andreas Klaeui anrücken der Spielsituation noch verstärkt. Insgesamt ermöglicht diese Bühnenkonzeption ein packendes Spiel mit Nähe und Distanz, mit den Ambivalenzen von Opferdiskurs und poli­ tischer Praxis. Den trauernden Frauen gegenüber stehen zerstörte Männer, psychisch und phy- sisch Kriegsversehrte, die in stumpfem Leiern den Sachzwang der Gewalt anführen, schlau demontiert von einer furiosen Kate Strong – ein klug feministischer, ein imponierend humanis­ tischer Abend.

WAS IST EIN HELD, WER TEILT DIE ROLLEN ZU, WER SCHREIBT DIE GESCHICHTE?

37 10er AUSWAHL

38 Deutsches Theater 10. bis 11. Mai 2018

Trommeln in der Nacht Münchner Kammerspiele

Donnerstag, 10. Mai 2018 um 19:30 Uhr (von Brecht) mit Verleihung 3sat-Preis an Wiebke Puls im Anschluss an die Vorstellung

Freitag, 11. Mai 2018 um 19:30 Uhr (nach Brecht) von/nach Bertolt Brecht mit Publikumsgespräch im Anschluss an die Vorstellung Christopher Rüping, Regie Moderation Christoph Leibold Jonathan Mertz, Bühne Jurorin Shirin Sojitrawalla Lene Schwind, Kostüme with English surtitles Paul Hankinson, Damian Rebgetz, Musik Christoph Hart, Musikalische Beratung Dauer 2 Stunden Christian Schweig, Licht

Deutsches Theater Katinka Deecke, Dramaturgie 14 bis 55 Euro Mit Hannes Hellmann Nils Kahnwald

Foto: Julian Baumann Samstag, 12. Mai 2018 um 16:00 Uhr Christian Löber Sony Center am Potsdamer Platz Public Viewing Wiebke Mollenhauer Wiebke Puls Samstag, 19. Mai 2018 um 20:15 Uhr Damian Rebgetz 3sat-Fernsehausstrahlung

Premiere am 14. Dezember 2017

UNLEARNING Theater Glotzt nicht so romantisch! – Gespräch 11. Mai 2018, 17:30 Uhr Siehe S. 125 siehe TT Kontext

39 10er AUSWAHL

Trommeln in der Nacht / Drums in the Night Münchner Kammerspiele

Bertolt Brecht’s second play “Trommeln in der Nacht (Drums in the Night)” was his first to ever be per- formed. It saw the light of the theatre on 29 September 1922. ­Artistic Director Otto Falckenberg staged the world-premiere at Münchner Kammer­spiele, then situated in Augustenstraße. The auditorium was deco- rated with banners saying things like “Glotzt nicht so romantisch (Stop that romantic staring)”. Such banners are up again today Bertolt Brechts zweites Theaterstück „Trom- at Münchner Kammerspiele, now in their new meln in der Nacht“ war das erste von ihm, premises on Maximilianstraße. Around one das gespielt wurde. Am 29. September 1922 hundred years after its world-premiere, director- erblickte es das Licht der Bühne. Intendant in-residence Christopher Rüping has created Otto Falckenberg inszenierte die Urauf- an exciting new production of the piece. At the führung an den Münchner Kammerspielen, beginning, the company assumes the acting die sich damals noch in der Augustenstraße stances of those days. The actors imitate, befanden. Im Zuschauerraum hingen Trans­ re-enact and reconstruct the speaking modes parente mit Sprüchen wie „Glotzt nicht and step sequences of the world-premiere, so romantisch“. Solche hängen nun wieder in appearing like puppets of theatre history. This den Münchner Kammerspielen, heute in der is categorically funny and pays homage to Maximilianstraße gelegen. Rund hundert Jahre the art of acting. Jonathan Mertz has designed nach seiner Uraufführung inszeniert dort the stage to resemble the original look, with Hausregisseur Christopher Rüping das Stück childishly stylized houses and a red moon that aufregend neu. Zu Anfang begibt sich das hangs above the scenery like a shining promise.

40 Deutsches Theater 10. bis 11. Mai 2018

Ensemble in die Spielhaltungen von damals. From the departure for a new day – the play Die Schauspieler*innen imitieren, reenacten, is set before the backdrop of the 1919 Spartacus- rekonstruieren die Sprechweisen und Schritt- uprising in Berlin – the production conforms folgen der Uraufführung und wirken dabei wie to today’s theatre conventions: neon lights, dry Marionetten der Theatergeschichte. Das ist ice, microphones. It revels in toying with all unbedingt komisch und huldigt obendrein der kinds of distancing effects and shows up direct- Schauspielkunst. Jonathan Mertz hat die Bühne ing standards of yesterday and today. “Die so gestaltet, wie sie damals ausgesehen hat, mit Moldau” blithely unites with “The House of the kindlich stilisierten Häusern und einem wie Rising Sun”. And oscillating amongst it all is the ein leuchtendes Versprechen über der Szenerie pressing question of whether it’s better to hängenden roten Mond. Der Aufbruch in neue make love or revolution. Andreas Kragler has Zeiten – das Stück spielt vor dem Hintergrund returned from the war and has to make this des Spartakusaufstands im Berlin des Jahres decision. The young Brecht permitted him to 1919 – folgt dann den Theaterkonventionen von enjoy his private bliss, but the author came heute: Neonlicht, Trockennebel, Mikrofone. to regret this in later life. So Christopher Rüping Lustvoll spielt der Abend mit V-Effekten aller stages two different versions, to be played alter- Art und führt Regiestandards von gestern und nately: One “by Brecht” and one “based on heute vor. Dafür zieht er lässig unterschied- Brecht”. The difference occurs in Act Five. In liche Register, im Bereich der Regie, schauspie- one version, Andreas Kragler marches straight lerisch, musikalisch. „Die Moldau“ vereinigt into Anna’s comfortable bed, in the other, he sich da locker mit „The House of the Rising Sun“. joins the rebels in the streets. And it is up to Dazwischen vibriert die immer akute Frage, the audience to decide for themselves whether ob man lieber Revolution oder Liebe machen either version has the potential for a Happy End. sollte. Kriegsheimkehrer Andreas Kragler muss Either way, the theatre’s incredible seductive sich entscheiden. Der junge Brecht gönnte force is beyond question. An equally touching ihm das private Glück, haderte jedoch später and encouraging show about revolutionary spirit mit dem Schluss seines Stücks, weswegen and the delight in the theatre. Christopher Rüping zwei verschiedene Versionen inszeniert, die abwechselnd gespielt werden: eine „von Brecht“ und eine „nach Brecht“. Der Shirin Sojitrawalla fünfte Akt macht den Unterschied. Einmal marschiert Andreas Kragler direkt in Annas Lot- terbett, das andere Mal zu den Aufständischen auf die Straße. Ob das dann jeweils zum Happy End taugt, entscheiden die Zuschauer*innen selbst. Die ungeheure Verführungskraft des Theaters steht so oder so außer Frage. Kurz: Ein ebenso berührender wie bestärkender Abend über den revolutionären Geist und die Lust am Theater. „GLOTZT NICHT SO ROMANTISCH“ 41 Berliner Festspiele 10er AUSWAHL

42 Haus der Berliner Festspiele, Bühne 12. bis 13. Mai 2018

Am Königsweg Deutsches SchauSpielHaus Hamburg

Samstag, 12. Mai 2018 um 19:30 Uhr von Elfriede Jelinek

Sonntag, 13. Mai 2018 um 18:00 Uhr Falk Richter, Regie mit Publikumsgespräch im Anschluss Katrin Hoffmann,B ühne an die Vorstellung Andy Besuch, Kostüme Moderation Christine Wahl Juror Christian Rakow Matthias Grübel, Komposition und Musik Michel Auder, Meika Dresenkamp, Video with English surtitles Carsten Sander, Licht André Bouchekir, Hans-Peter „Shorty“ Gerriets, Dauer 3 Stunden 30 Minuten, Lukas Koopmann, Ton eine Pause Alexander Grasseck, Antje Haubenreisser,

Haus der Berliner Festspiele, Bühne Videotechnik

Foto: Arno Declair 14 bis 55 Euro Rita Thiele, Dramaturgie

Uraufführung am 28. Oktober 2017 Mit Idil Baydar Benny Claessens Matti Krause UNLEARNING Theater Anne Müller Glotzt nicht so romantisch! – Gespräch Ilse Ritter 11. Mai 2018, 17:30 Uhr Siehe S. 125 Tilman Strauß

siehe TT Kontext Julia Wieninger Frank Willens

43 10er AUSWAHL

Am Königsweg / On the Royal Road Deutsches SchauSpielHaus Hamburg

Vordergründig als Abrechnung mit dem „stabilen Genie“ des US-Präsidenten Donald Trump angelegt, entpuppt sich Elfriede Jelineks „Am Königsweg“ als Adlerflugü ber gut 2000 Jahre Mensch- heitsgeschichte und ihre Gebirgsmassive autoritärer Politik. Von Ödipus über Abraham und Isaak geht es hinein in jüngere Herrschaftsszenarien. Was sind das für Gewaltzusammenhänge, in denen sich Gesellschaften durch Ausgrenzung formieren? Welche archaische Sehnsucht treibt sie, ihren Willen in einem Einzelnen, Ostensibly structured as a reckoning with im König, im Leviathan verkörpert zu the “stable genius” of US-president sehen? Welche archetypischen Muster Donald Trump, Elfriede Jelinek’s “Am Königs- liegen hinter dem Erstarken des rechten weg (On the Royal Road)” turns into an Randes? So fragt Jelinek. Und Regisseur eagle’s flight across more than 2000 years Falk Richter kleidet die Fragen in eine of human history and its mountain ranges burleske, durch und durch anti-autoritäre of authoritarian politics. From Oedipus

Ästhetik der Fülle: mit einem Bombar­ via Abraham and Isaac, we move into more Foto: Arno Declair dement an Zitaten, Bildern und Video- recent scenarios of domination. What are Collagen, für die er die Visual Artists the contexts of violence that cause socie- Michael Auder und Meika Dresenkamp ties to take shape by excluding others? What gewinnen konnte. In einem Ambiente archaic longings drive them to see their will irgendwo zwischen dem trashigen Klassi- embodied by an individual, a king, a levia- zismus der Trump Towers und den Pop- than? Which archetypal patterns lie behind Art-Trümmern des American Dreams gibt's the strengthening of the right-wing fringes? Glanznummern zuhauf. Benny ­Claessens Jelinek asks these questions and director spielt mit dem Feuer des Narziss­mus, Falk Richter clothes them in a burlesque, wenn er sich in die Rolle des twitternden quintessentially anti-authoritarian aesthetics Kinderzimmer-Königs stürzt. In rotzigen of abundance: a bombardment of quotes, Stand-up-Einlagen dekonstruiert die images and video collages contributed by

44 Haus der Berliner Festspiele, Bühne 12. bis 13. Mai 2018

Comedienne Idil Baydar europäischen All­ visual artists Michael Auder and Meika Dresen- tagsrassismus gestern und heute und attackiert kamp. In a setting somewhere between the die Blindheit der gebildeten Stände für sozi- trashy classicism of the Trump Towers and the ale Fragen. Dann wird es ruhig und intim, wenn pop art debris of the American Dream, brilliant die große Ilse Ritter ihre zeitlos jugendliche acts abound. Playing with the fire of narcis- Stimme der alternden, wiewohl nicht alters­ sism, Benny Claessens throws himself into the mil­den Dichterin Jelinek leiht: „ … obwohl mein character of the tweeting king of the playpen. Lebensfaden immer kürzer wird, bin ich schon In brazen stand-up interludes, comedienne Idil froh, wenn ihn keiner abschneidet, jedenfalls Baydar deconstructs European everyday racism nicht, bevor er vernäht ist, es soll ja keiner of yesterday and today and tilts at the blind- auftrennen, was ich an Worten aneinanderge- ness of the educated when it comes to social fügt habe …“ So streiten Jelinek und Richter issues. Then, in quiet, intimate moments, the im Geiste vereint für eine freie, überbordend great Ilse Ritter lends her timelessly youthful assoziative, offene, wort- und bildreiche Poesie, voice to the ageing, but by no means mellowing, die das plumpe „Wir oder sie“ der Putins, poet Jelinek: “ … although the thread of my life Orbáns oder Trumps dieser Welt pulverisiert. is getting shorter, I’d be glad if no one were to cut it off, at least not until it is darned in, I don’t want anyone to unpick the words I joined Christian Rakow together …” United in spirit, Jelinek and ­Richter fight for a free, exuberantly associative and open poetry that will pulverise the crude “us or them”-ideology championed by the Putins, Orbáns or Trumps of this world.

45 10er AUSWAHL

46 Haus der Berliner Festspiele, Seitenbühne 17. bis 20. Mai 2018

Die Odyssee Eine Irrfahrt nach Homer Thalia Theater, Hamburg

Donnerstag, 17. Mai 2018 um 15:00 Uhr Antú Romero Nunes, Regie Jennifer Jenkins, Matthias Koch, Freitag, 18. Mai 2018 um 21:00 Uhr Bühne und Kostüme Johannes Hofmann, Musik Sonntag, 20. Mai 2018 um 15:00 Uhr Max Kühn, Musikalische Mitarbeit mit Publikumsgespräch im Anschluss Tilmann Cassens, Licht an die Vorstellung Matthias Günther, Dramaturgie Moderation Christoph Leibold Juror Wolfgang Höbel Mit Thomas Niehaus language no problem Paul Schröder

Dauer 1 Stunde 50 Minuten Foto: Armin Smailovic

Haus der Berliner Festspiele, Seitenbühne 28 / 38 Euro

Freitag, 11. Mai 2018 um 18:00 Uhr Sony Center am Potsdamer Platz Public Viewing

Samstag, 12. Mai 2018 um 20:15 Uhr 3sat-Fernsehausstrahlung

Premiere am 20. Mai 2017

47 10er AUSWAHL

Die Odyssee / The Odyssey Thalia Theater, Hamburg

Es fängt an als nette Kleinkunst- nummer. Zwei sehr blonde Männerhelden, gespielt von Thomas Niehaus und Paul Schröder, trauern um ihren Vater, zeigen dabei aber erstaunlich gute Laune. In einem Aussegnungshallen- Raum mit Rautentapete und bodenlangen Vorhängen lungern sie unter einem Bild des Verblichenen vor einem schwar- zen Sarg herum. Das Bild zeigt Kirk It all begins as a pleasant cabaret act. Douglas, den berühmtesten Odysseus- Two very blond males, played by Thomas Darsteller der Kinogeschichte. Niehaus Niehaus and Paul Schröder, are mourn- und Schröder spielen Odysseus’ Söhne, ing their father and yet seem to be die Halbbrüder Telemachos und Tele­ in astonishingly good spirits. In the set- gonos – und sie reden ein seltsames Kau- ting of a mortuary chapel with diamond- derwelsch aus Fantasieschwedisch, patterned wallpaper and floor-length Fantasieenglisch und Brabbeldeutsch. drapes, they loiter around a black coffin, Antú Romero Nunes zeigt zwei junge below a picture of the deceased. The Männer, die mit ihren Späßen, ihrer picture shows Kirk Douglas, whose Muskelkraft und ihrer Liebesbedürftig- Odysseus is the most famous in cinema keit alleingelassen wurden. Denn der history. Niehaus and Schröder play Sarg, an dem sie sich eingefunden haben, Odysseus’ sons, half-brothers Telemachos so stellen sie nach einer Weile fest, and Telegonous, and they speak in ist leer bis auf einen weißen Luftballon. a strange gobbledygook made up of Mit dieser Entdeckung beginnt der a fantasy version of Swedish, fantasy wahre Zauber dieses Zwei-Stunden- English and gibberish German. Antú Theaterabends. Nicht mal als Toter ist Romero Nunes shows us two young men der Heldenvater Odysseus präsent. left alone with all their jokes, their brawn Also schicken sich seine beiden Söhne and their need for love and affection. an, mit präzise choreografiertem Slap- Because, as they find out after a while, stick die Story der Odyssee und das the coffin they have gathered around Drama ihrer eigenen Vaterlosigkeit zu is empty, save for a white balloon. This

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erzählen, als heiteres Spiel mit todernstem discovery kicks off the true magic of this two- Thema. Jeder der beiden Jungs hat ein eigenes hour show. Not even in death can heroic father Odysseus-Bild im Kopf, jeder macht daraus Odysseus be counted on to be present. So his sein eigenes Drama. Philologisch klug und sehr two sons set out to tell the story of the Odyssey komisch wird hier ein Konzentrat der schreck- and the drama of their own fatherlessness with lichen Kämpfe des Titelhelden, unter anderem precisely choreographed slap-stick humour – gegen einen Zyklopen, mit den von Poseidon a cheery game with a deadly serious topic. Each entfesselten Gewalten des Meeres, den Spuk­ one of the two boys has his own image of seelen des Totenreichs und dem blinden Seher Odysseus in his head and each one develops his Teiresias dargeboten. Antú Romero Nunes own specific drama. It’s a philologically intel- zeigt auf virtuose, hinreißend unterhaltsame ligent and extremely funny concentrate of the Weise, was Theater als postdramatische Erzähl- eponymous hero’s terrible battles, including the maschine alles kann. Zugleich verweist er auf ones against a cyclops, against the forces of die archaischen Ursprünge allen (auch des the sea unleashed by Poseidon, the haunted souls theatralischen) Erzählens. Man sieht verwegene of the netherworld and the blind seer Tiresias. Zauberkunststücke, was offensichtlich darin Antú Romero Nunes gives a masterly, fantas­ begründet liegt, dass Telegonos eine Zauberin tically entertaining demonstration of everything zur Mutter hat, die göttliche Kirke. Man lacht the theatre as a post-dramatic engine of nar­ über tolle Musikeinlagen mit Songs von ABBA ration has to offer. At the same time, he refers aus Schweden und Bilderbuch aus Österreich. back to the archaic origins of all story-telling, Und man staunt über die Kraft und den Witz und including the theatrical kind. We see bold magic die Intelligenz, mit der hier das älteste Epos tricks – which is apparently due to the fact that der Menschheit als großes Welttheater lebendig Telegonous’ mother, the divine Circe, is a gemacht wird. sorceress. We enjoy the great musical numbers, featuring songs by ABBA from Sweden and Bilderbuch from Austria. And we marvel at Wolfgang Höbel the power and humour and intelligence applied in making mankind’s oldest epos come alive as grand theatre of the world. NOT EVEN IN DEATH CAN HEROIC FATHER ODYSSEUS BE COUNTED ON TO BE PRESENT.

49 Berliner Festspiele 10er AUSWAHL

EIN SOZIALES WELTGEFUGE, AUS DEM ES KEIN ENTRINNEN GIBT Haus der Berliner Festspiele, Bühne 17. bis 18. Mai 2018

Woyzeck Theater Basel

Donnerstag, 17. Mai 2018 um 19:30 Uhr Schauspiel von Georg Büchner

Freitag, 18. Mai 2018 um 17:00 Uhr Ulrich Rasche, Regie / Bühne mit Publikumsgespräch im Anschluss Sabine Mäder, Bühnenbildmitarbeit an die Vorstellung Sara Schwartz, Kostüme Moderation Christoph Leibold Juror Andreas Klaeui Monika Roscher, Komposition Alexander Maschke, Sounddesign with English surtitles Cornelius Hunziker, Licht Toni Jessen, Chorleitung Dauer 3 Stunden 15 Minuten, eine Pause Constanze Kargl, Dramaturgie

Haus der Berliner Festspiele, Bühne Mit Nicola Mastroberardino, Franz Woyzeck 14 bis 55 Euro

Foto: Sandra Then Franziska Hackl, Marie Thiemo Strutzenberger, Hauptmann Samstag, 5. Mai 2018 um 20:15 Uhr Florian von Manteuffel, Doktor 3sat-Fernsehausstrahlung Michael Wächter, Tambourmajor Max Rothbart, Andres Sonntag, 13. Mai 2018 um 16:00 Uhr Barbara Horvath, Margreth / Ausrufer / Der Jude Sony Center am Potsdamer Platz Toni Jessen, Justus Pfankuch, Public Viewing Ausrufer / Handwerksburschen Alexander Maschke, Viola Premiere am 15. September 2017 Sebastian Hirsig, Piano

Das Gastspiel wird unterstützt durch Katelyn King, Schlagzeug Pro Helvetia, Schweizer Kulturstiftung. Lucas Rössner, Fagott Theo Evers, E-Bass

51 10er AUSWAHL

Woyzeck Theater Basel

Was für ein tod- trauriger, an der Welt verzweifelter What a deeply unhappy, desperate text this “Woyzeck” is. Rarely has its hope- Text ist doch lessness found such poignant expression as in this production, which is in fact dieser „Woyzeck“. Selten kam a precisely synchronised machine, where seine Aussichtslosigkeit so bewegend sound, words and movement interlock zum Ausdruck wie in dieser Insze- like a well-greased clockwork, giving nierung, die eigentlich eine präzise getak- each other momentum. tete Maschine ist, eine radikal künstliche Büchner’s text becomes the libretto Anlage, in der Sound, Wort und Bewe- for an obsessive mechanism. The only gung sich gegenseitig dynamisieren. scenic element on the revolving stage Büchners Text wird zum Libretto für at Theater Basel is a metal grate, a disc eine zwanghafte Mechanik. Auf der Dreh- that can turn, lift and tilt itself. Upon bühne im Basler Schauspielhaus steht it, actors in black uniformity, provokingly eine sich ihrerseits drehende, hebende affecting Büchner’s artificial Hessian und in sich kippende Scheibe, ein Metall- dialect, supported by Monika Roscher’s gitter als einziges Bühnenelement. broad carpet of minimal-music – this Darauf Schauspieler*innen in schwarzer is a setting with an enormous power of Uniformität, die Büchners Kunst- suggestion. Hessisch provozierend ausstellen, dar- Gradually, differences can be made unter ein breiter Minimal-Music-Teppich out in these ever identical patterns of von Monika Roscher – das ist schon movement, speech and music. Charac- ein Setting, das eine enorme Suggesti- ters become recognisable, human beings onskraft aufbaut. emerge: Nicola Mastroberardino’s soft, In den immergleichen Bewegungs-, worn out Woyzeck, Thiemo Strutzen-

Sprach- und Musikrastern lassen sich berger’s hard, patronising Captain. At Foto: Sandra Then allmählich Differenzen herauslesen, times, the actors have to climb the disc Figuren erkennen, Menschen entdecken like a rockface, at others, they seem to – der weiche, geschlauchte Woyzeck stand still and it twists away beneath von Nicola Mastroberardino, der harte, them, occasionally, they are suspended, gängelnde Hauptmann von Thiemo almost vertical: There are breathtak- Strutzenberger. Mal müssen die Schau- ing stage situations on this spectacular spieler*innen die Scheibe wie einen device and the actors sometimes struggle Felsen besteigen, mal scheinen sie still- visibly – it’s a three-hour mountain trek. zustehen und sie dreht sich unter ihnen Most astonishingly, this spectacular

52 Haus der Berliner Festspiele, Bühne 17. bis 18. Mai 2018

weg, mal hängen sie fast senkrecht darin: Es gibt machine (which is always visibly and audibly atemberaubende Bühnensituationen auf dieser recognisable as a machine – and as such develops spektakulären Anlage, mit der die Schauspieler* a beauty all its own) frees an unimagined level innen erkennbar auch kämpfen – es ist ja eine of emotionality, a directness of narration that dreieinhalbstündige Bergtour. Und das Ver­ is hard to escape – far beyond any obvious blüffendste ist, dass diese Höllenmaschine – die imagery implied by the machine’s wheel and immer auch als Maschine sicht- und hörbar ist its circular motion, although it admittedly und als solche auch ihre eigene Schönheit exactly corresponds with Woyzeck’s hopeless hat – eine ungeahnte Emotionalität freisetzt, “always”. This is a social world structure from eine Direktheit der Erzählung, der man sich which there is no escape. Even fragile images schwer entziehen kann. of nature, like a field or the moors, are evoked Und zwar über eine naheliegende Meta­ with astonishing vividness by this weighty ph­orik hinaus, die das Maschinenrad und das setting that has no a priori connotations of Im-Kreis-Drehen implizieren und die freilich ­natural environment whatsoever. Above all else, mit Woyzecks perspektivlosem „Immerzu“ prä- however, it evokes the drama of Woyzeck’s zise zusammenfällt. Das ist ein soziales Welt­ hopeless run. Ulrich Rasche’s “Woyzeck” in gefüge, aus dem es kein Entrinnen gibt. Selbst Basel is a somber production, presenting itself fragile Naturbilder, das Feld, das Moor, evoziert with the raw sharpness of an open razor and dieses a priori vollkommen naturabgewandte, breaking off quite abruptly in the end – but wuchtige Setting erstaunlich direkt. Vor allem it brings Büchner’s text home to us like no other aber das Drama von Woyzecks aussichtslo­- production has for a long time. sem Lauf. Ulrich Rasches Basler „Woyzeck“ ist ein düsterer Abend, der sich mit der rohen Schärfe eines offenen Rasiermessers präsen- Andreas Klaeui tiert und am Ende ganz unvermittelt abreißt – aber einem Büchners Text so nahe bringt wie lange keine Inszenierung davor.

53 10er AUSWAHL

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Mittelreich Eine Produktion der Münchner Kammerspiele und Anta Helena Recke

Musiktheater nach dem Roman von Josef Bierbichler, nach der Inszenierung von Anna-Sophie Mahler Donnerstag, 17. Mai 2018 um 19:30 Uhr Anta Helena Recke, Konzept und Regie Freitag, 18. Mai 2018 um 19:30 Uhr Duri Bischoff,B ühne mit Publikumsgespräch im Anschluss Pascale Martin, Kostüme an die Vorstellung Prisca Mbawala-Dernbach, Moderation Christine Wahl Jurorin Eva Behrendt Musikalische Leitung und Dirigat Bendix Dethleffsen, Musikalische Leitung with English surtitles „Mittelreich“ Vorlage Jürgen Tulzer, Licht Dauer 2 Stunden 25 Minuten, eine Pause Julian Warner, Dramaturgie Johanna Höhmann, Dramaturgie Deutsches Theater „Mittelreich“ Vorlage 14 bis 55 Euro

Mit Moses Leo, Semi Premiere am 12. Oktober 2017 Jerry Hoffmann, Junger Semi / Junger Seewirt Ernest Allan Hausmann,

Foto: Judith Buss Alter Seewirt / Seewirt Isabelle Redfern, Theres / Kammersängerin UNLEARNING History Victor Asamoah, Victor Leben in einer dekolonisierten Welt Yosemeh Adjei, Fräulein Zwittau – Keynote 15. Mai 2018, 18:30 Uhr Rebecca Fischer, Gertrud Neubauer, Schwestern Siehe S. 127 (Hertha / Philomena)

UNLEARNING History siehe TT Kontext Romy Camerun, Miriel Cutiño Torres, Am Flügel Gegen Geschichte – Gespräch 15. Mai 2018, 20:30 Uhr Jan Burkamp, Pauke Siehe S. 127 Julia Selina Blank, Leitung Choraufnahme Junges Vokalensemble München, Choraufnahme UNLEARNING Theater Erlaubt ist, was gefällt?! – Gespräch 18. Mai 2018, 17:30 Uhr Gefördert durch den Fonds Darstellende Künste und die Siehe S. 126 Richard Stury Stiftung.

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Mittelreich Eine Produktion der Münchner Kammerspiele und Anta Helena Recke

Two years ago, Anna-Sophie Mahler’s adaptation of Josef Bierbichler’s novel “Mittelreich” was presented at the Theatertreffen: a quiet evening of musical theatre that pain- fully deconstructed the concepts of home and family across three generations of Bavarian lake-side innkeepers. Following the emancipa- tory tradition of Appropriation Art, which first questioned the art world’s normative catego- ries in the USA of the late 1970s and was critical of the concept of “genius”, director Anta Helena Recke copied this production, but with one significant change: Her cast consists entirely of actors of color. Ernest Allan Hausmann, Isabelle Redfern, Jerry Hoffmann, Moses Leo, Victor Asamoah and Yosemeh Adjei had to be engaged expressly for this production, because not even Vor zwei Jahren war Anna-Sophie Mahlers a theatre like the Münchner Kammerspiele, Adaption von Josef Bierbichlers Roman which strives for diversity, counts enough actors „Mittelreich“ beim Theatertreffen zu sehen: of color among its company. ein leiser, die Begriffe von Heimat und Familie With a gesture of well thought out audacity, schmerzlich dekonstruierender Musiktheater- Anta Helena Recke is the first to ever appro- abend über drei oberbayerische Seewirt-Gene- priate an existing “white” play on the stage of rationen. In der emanzipatorischen, genie- a German city theatre, confronting the audience kritischen Tradition der Appropriation Art, die with an apparently simple question: What Ende der Siebzigerjahre zuerst in den USA changes when there is a black cast rather than a die normativen Kategorien der Kunstwelt white one? While on stage the topics of privilege in Frage stellte, kopiert die Regisseurin Anta (through inheritance), exclusion (of refugees) Helena Recke diese Inszenierung der Münchner and repression (of abuse) that we encountered

56 Deutsches Theater 17. bis 18. Mai 2018

Kammerspiele, verändert jedoch ein bedeuten- in the Bierbichler/Mahler-version, are made des Detail: Ihr Cast besteht ausschließlich to vibrate in new ways, this copy, precise down aus Schauspieler*innen of Color. Ernest Allan to the very accents, allows us to reflect on our Hausmann, Isabelle Redfern, Jerry Hoffmann, patterns of perception: Which categories of Moses Leo, Victor Asamoah und Yosemeh Adjei skin-colour, professional skills and individuality mussten eigens engagiert werden, weil es selbst influence our reception? If it is possible for in einem bereits nach Diversität strebendem white actors to play everything from Ensemble wie dem der Münchner Kammerspiele to animals, do we grant the same opportunities bislang nicht genügend Mitglieder of Color gibt. to black actors? Anta Helena Recke eignet sich mit einer It may be appalling that seeing an exclusively Geste durchdachter Dreistigkeit erstmals auf black cast on stage at a German city theatre einer deutschen Stadttheaterbühne ein bereits constitutes such a disruption of viewing habits, existierendes „weißes“ Werk an, um das Pub­ but the fact that it is taking place in the con- likum mit einer scheinbar einfachen Frage zu text of this conceptual art work, is an encouraging adressieren: Was ist anders, wenn eine schwarze sign. German-language theatre has set out to Besetzung statt einer weißen spielt? Während reflect its own structural racisms. auf der Bühne die bereits bei Bierbichler/ Mahler verhandelten Themen wie Privileg (durch Erbschaft), Ausgrenzung (von Geflüchte- Eva Behrendt ten) und Verdrängung (von Missbrauch) neu ins Schwingen geraten können, ermöglicht die bis in die Dialektfärbungen exakte Kopie eine Reflexion der eigenen Wahrnehmungsmuster: Welche Kategorien von Hautfarbe, professio- neller Kompetenz und Individualität beeinflus- sen unsere Rezeption? Wenn weiße Spieler* innen von Othello bis zum Tier alles repräsen- tieren können, lassen wir das auch für schwarze gelten? So erschreckend es ist, dass eine rein WELCHE schwarze Besetzung auf einer deutschen Stadt- theaterbühne einen Bruch mit den Sehgewohn- KATEGORIEN heiten darstellt: dass er im Rahmen dieses Konzeptkunstwerks stattfindet, ist ein ermu­ti­ VON HAUT- gendes Zeichen. Das deutschsprachige Theater ist auf dem Weg, seine strukturellen FARBE, PRO- Rassismen zu reflektieren. FESSIONELLER KOMPETENZ UND INDIVIDU- ALITÄT BEEINFLUSSEN UNSERE REZEPTION?

57 Berliner Festspiele 10er AUSWAHL

MIT MADONNA IM BETT, MIT FOUCAULT IM WIRTSHAUS, KEIN PROBLEM. Haus der Berliner Festspiele, Bühne 20. bis 21. Mai 2018

Die Welt im Rücken Burgtheater, Wien

Sonntag, 20. Mai 2018 um 20:00 Uhr

Montag, 21. Mai 2018 um 19:30 Uhr mit Publikumsgespräch im Anschluss nach dem Roman von Thomas Melle an die Vorstellung Moderation Christoph Leibold Jurorin Margarete Affenzeller Jan Bosse, Regie Stéphane Laimé, Bühne with English surtitles Kathrin Plath, Kostüme Arno Kraehahn, Musik Dauer 3 Stunden, eine Pause Peter Bandl, Licht Haus der Berliner Festspiele, Bühne Gabriella Bußacker, Dramaturgie 14 bis 55 Euro Foto: Reinhard Werner/Burgtheater Mit Joachim Meyerhoff Uraufführung am 11. März 2017

UNLEARNING 1. Klasse „Zusammen müssten sie eigentlich unwiderstehlich sein.“ – Gespräch 11. Mai 2018, 16:30 Uhr Siehe S. 123

UNLEARNING 1. Klasse siehe TT Kontext Geteilte Welt — Keynote 11. Mai 2018, 18:00 Uhr Siehe S. 124

UNLEARNING 1. Klasse Solidarität = Selbstmord!? – Gespräch 11. Mai 2018, 18:30 Uhr Siehe S. 124

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Die Welt im Rücken / The World at Your Back Burgtheater, Wien

Wenn die Neuronen im Gehirn verrückt spielen, dann ist der Teufel los. Dann ist nichts mehr sicher und vor allem: alles möglich. Mit Madonna im Bett, mit Foucault im Wirtshaus, kein Problem. Thomas Melle beschreibt in seinem autobiografischen Roman „Die Welt im Rücken“ ein Wahrnehmungs­ gewitter, dem der manisch-depressive Protagonist und Erzähler – mitunter über mehrere Jahre und mit allen Folgen für sein Alltagsleben – ausgesetzt ist. When neurons go haywire in your brain, Das Buch des 1975 in Bonn gebore­ all hell can break loose. Nothing is safe nen Autors – es landete prompt auf and – most of all – anything is possible. der Shortlist für den Deutschen Buch- In bed with Madonna, drinking with preis 2016 – folgt den Empfindungen und Foucault – no big deal. In his autobio- absurd übersteigerten Wahrnehmungen graphical novel “Die Welt im Rücken des Patienten während drei längerer (The World at Your Back)”, Thomas Melle Krankheitsphasen, die er vorwiegend describes a storm of perception which in Berlin verlebt – zuhause am eigenen the manic-depressive protagonist and Schreibtisch, auf Partys, am Frühstücks- narrator is subjected to – for years tisch bei Freunden oder in der Charité. at a stretch and with all ensuing conse- Für die Bühnenadaption haben quences for his day-to-day life. Regisseur Jan Bosse und Schauspieler Melle was born in Bonn in 1975 and Joachim Meyerhoff die entgrenzte his book – which promptly reached Innenwelt der Ich-Figur mit ureigens- the shortlist for the 2016 German Book ten Theatermitteln nach außen gestülpt. Award – follows the emotions and the Diese Vermessung der Melle-Welt, eine absurdly exaggerated perceptions of this schmerzlich-abenteuerliche Introspek­ patient through three lengthy periods tion, führt mit scheinbar einfach in Betrieb of illness, spent mostly in Berlin – at his genommenen Objekten hinein in die desk at home, at parties, at his friends’

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Einsamkeit eines Menschen – und zugleich breakfast tables or in the psychiatric ward of in die volle Pracht eines Krankheitsbildes, das Berlin’s Charité hospital. auch als bipolare Störung bezeichnet wird. For this stage adaptation, director Jan Bosse Mit seinen eigenen Büchern und auto­bio­ and actor Joachim Meyerhoff turned the first- grafischen Abenden mit dem Obertitel „Alle person narrator’s unbordered internal world Toten fliegen hoch“ hat sich Joachim Meyerhoff inside-out with the help of the most primor- als Spezialist für künstlerische Soli aller Art dial theatrical devices. This mapping of Melle’s erwiesen. Und er hat durch seine Kindheit auf world, a painful and adventurous introspection, dem Gelände einer psychiatrischen Anstalt, uses apparently simply operated objects to deren Leiter sein Vater war, keine Berührungs- lead us into the loneliness of one man – and into ängste mit Fragen psychischer Erkrankungen. the full splendour of a disease also known as In der von ihm mitinitiierten Romandramati­ bipolar disorder. sierung für das Wiener Burgtheater schwingt His own novels and his autobiographical sich Meyerhoff auf zu einem rausch- und shows under the overall title “Alle Toten fliegen schmerzhaften, haltlosen Ritt eines Kranken auf hoch” are ample proof that Joachim Meyerhoff seinen Fantasien. Er ist dabei – mit einer klei- is a specialist for artistic solos of all kinds. nen Ausnahme – ganz alleine auf der Bühne, And having spent his childhood in the grounds und doch wirkt es am Ende so, als wären es ganz of the psychiatric hospital where his father viele gewesen. Jan Bosses Inszenierung lenkt was Senior Consultant, he does not shy away in einem faszinierenden „Objekttheater“ durch from issues of mental illness. Having co-initi- völlig aus dem Ruder laufende Wahrnehmungen ated this stage adaptation for the Viennese und verlorene Einsichten hin zu Bildern, in Burgtheater, he sets out on the patient’s denen Realität und Wahn einander immer wieder ecstatic and painful trip, adrift on his phan­ zum Verwechseln ähnlich sind. Aus kleinen tasies. With one small exception, he is all alone Dingen entstehen gigantische Traumgebilde, die on stage, and yet, at the end it seems as if immer noch toller werden. Über-Ich oder Gehirn- there had been a multitude. Jan Bosse’s produc- masse? Frühstücksei oder Tischtennisball? tion chooses a fascinating “theatre of objects” Das ist hier immer die Frage. to navigate these off-course perceptions and lost insights towards images that prove reality and delusion to be carbon copies of each Margarete Affenzeller other. Tiny things turn into gigantic dream- shapes which in turn grow ever more fantastic. Super-ego or brain matter? Breakfast egg or ping-pong ball? That is the question, over and over again.

BREAKFAST EGG OR PING- PONG BALL?

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62 Nationaltheater Reinickendorf Eine Produktion von Vegard Vinge / Ida Müller & Berliner Festspiele / Immersion

von Vegard Vinge und Ida Müller

Von und mit Harald Dutsch Adams, Ursula Albrecht, Malin Andreasson, Laszlo Antal, Max Philip Aschenbrenner, Pelle Ask, Kirsten Astrup, Jonas Blume, Maximilian Brauer, Martin Breine, Julia Büki, Katarina Caspersen, Torbjørn Davidsen, Ilaria Di Carlo, Birte Dördelmann, Michael Duté, Robin Enkerts, Robert Faber, Caroline Farke, Hadas Foguel, Martin Gehrmann, Zoe Goldstein, Jörn Diese Produktion kann aus termin- Gross, Albrecht Grüß, Florian Gwinner, Roman lichen Gründen beim Theatertreffen Hagenbrock, Tobias Hagge, Martin Heise, 2018 nicht gezeigt werden. Christopher Heisler, Snorre Sjønøst Henriksen, Margarita Hoffmann, Marc Hönninger, Karin Eine Dokumentation der Produktion Hornemann, Katerina Ivanova, Joachim Janner, ist ab dem 4. Mai 2018 im Haus der Ofelia Jarl Ortega, Ivan Jovanovic, Gesine Berliner Festspiele zu sehen. Kaufmann, Saebom Kim, Rosina Koch, Harald Weitere Informationen finden Sie auf Kolaas, Candie Koschnik, David Kunold, Anne berlinerfestspiele.de/theatertreffen. Kutzner, Ricardo Lashley, Philipp Mariss, Daniel Mecklenburg, Carsten Meyer, Anastasia Mikhaylova, Das Material ist für Interessierte Ida Müller, Nam Ta Thi Nam, Mirko Neugart, unter 18 Jahren nicht geeignet. Thomas Oberender, StefanPaul, Laurent Pellissier,

Foto: Julian Röder Marc Philipps, Adam Read, Trond Reinholdtsen, Vinge/Müller arbeiten zurzeit in Norwegen Sven Reinisch, Juri Rendler, Hanna Rode, Michael an einem Satellitenprojekt des Mutterschiffs Rudolph, Rufina Rudolph, Matthias Schäfer, Pamela „Nationaltheater Reinickendorf“ mit dem Arbeitstitel „PaniniBoysroom“. Premiere ist am Schlewinski, Ole Schmidt, Thomas Schmidt, Florian 25. Mai 2018 beim Bergen International Festival. Schneider, Juliane Schüler, Judith Seither, Ville Sepännen, Rebecca Shein, Manuel Solms, Bastian Uraufführung am 1. Juli 2017 Späth, Micha Spanknöbel, Stephen Stegmaier, Gabriel Stenlund Larsen, Tilman Van Tankeren, Sarah Teichmann, Arnt Christian Teigen, Hans Georg Teubert, Loukas Troll, Marianne Tuckman, Vegard Vinge, Dominik Wagner, Agnes Wegner, Andreas Weidmann, Silke Weyer, Yassu Yabara

Mit Unterstützung durch Norsk Kulturråd.

63 10er AUSWAHL

Nationaltheater Reinickendorf Eine Produktion von Vegard Vinge / Ida Müller & Berliner Festspiele / Immersion

Inside an industrial build- ing in north-western Berlin, Vegard Vinge and Ida Müller have built a theatre castle from plywood and cardboard. Their goal is a loose re-telling of “The Master Builder”, a play by their favourite dramatist,

Henrik Ibsen. Famous for habitually exhausting themselves as performers and taxing their audi- ences, the theatre makers begin by penning up their spectators for 45 minutes in an anteroom In einer Industriehalle im Berliner Nord­westen featuring a faeces-conveyor-belt. This belt, haben Vegard Vinge und Ida Müller eine allegedly transporting excrements, jerks forward Theaterburg­ aus Sperrholz und Pappe auf­ tirelessly, while a masked man bangs a drum gebaut mit dem Ziel, ein Stück ihres Lieblings­ with great volume and monotony and a voice dra­matikers Henrik Ibsen, den „Baumeister blares out texts about famous football matches. Solness“, auf freie Art neu zu erzählen. Die Once the spectators have finally been Theatermacher*innen, für ihre darstellerische ushered into the theatre spaces, a spectacle Selbstverausgabung und die Strapazierung ihres of magnificently histrionic total theatre and Publikums berühmt, pferchen die Zuschauer* amusing smaller-scale art begins. The latter con- innen erstmal eine Dreiviertelstunde lang in sists, among other things, of many colourful einen Vorraum mit Kot-Förderband. Das angeb- paintings by artist Ida Müller, copied Panini por- lich Fäkalien transportierende Band ruckelt traits of football-players, copied posters from unermüdlich, während ein Maskenmann the worlds of theatre, pop music and film. Inside sehr laut und monoton die Trommel schlägt, the theatre itself, these radical performers dazu plärrt eine Stimme Texte über berühmte and their fellow players present scenes from Fußballspiele. “The Master Builder” and William Shakespeare’s Wenn die Zuschauer*innen endlich ein- “”, both live and in film projections. zeln in die Theaterräume eingelassen werden, Some of the actors are decked out in funny out- beginnt ein Spektakel aus prächtig pathetischem fits, some are naked, but they are all equipped

64 Totaltheater und ulkiger Kleinkunst. Letztere with face-masks, clown’s make-up and distor­ besteht unter anderem aus vielen bunten ted voices. The company’s work, inspired by Bildern der Künstlerin Ida Müller, nachgemalten Richard Wagner, Otto Muehl, Heiner Müller and Panini-Porträts von Fußballern, nachgemal- many other (male) half-gods and charlatans ten Theater-, Pop- und Filmplakaten, die in den is a disconcerting, and, in the best case, exhila­ Zugangsfluren zum Theater-Hauptraum zu rating experience of art. We are watching artists betrachten sind. Im Theater selbst führen die experimenting with the breach of taboos, in Radikalperformer*innen und ihre Mitspieler*in- apparently sacred solemnity, but also with a gift nen live und in Filmprojektionen Szenen aus for humour. One of the many emblematic legends „Baumeister Solness“ und aus William Shake­ in the theatre fortress claims “Das Schauspiel speares „Hamlet“ auf. Die Akteur*innen sind sei die Schlinge (The play is the thing / Wherein mal lustig kostümiert und mal nackt, aber immer I’ll catch the conscience of the king)” – and mit Gesichtsmasken, Clownsschminke und Ver- it’s true: The foul, evil, wonderful magic of this zerrstimmen ausgestattet. Das von Richard production works like a trap to lure us spectators Wagner, Otto Muehl, Heiner Müller und vielen in. Vinge and Müller convince, overwhelm and anderen (männlichen) Halbgöttern und Schar- annoy us with their splendidly obstinate vocabu- latanen inspirierte Werk dieser Theatertruppe lary of images, their fearless pushiness and ist für die Zuschauer*innen ein irritierendes, their reckless will to create art. For the audi- im besten Fall beglückendes Kunst-Erlebnis. Man ence, this creates a very peculiar kind of cathartic sieht scheinbar heilig ernsten, aber auch humor- effect. An absolutely worthwhile visit to the begabten Künstler*innen dabei zu, wie sie “pleasure dome” of wild, astonishing theatre. Tabuverletzungen ausprobieren. „Das Schauspiel sei die Schlinge“ behauptet mit Hamlet einer der vielen emblematischen Schriftzüge in der Wolfgang Höbel Theater-Festung – und tatsächlich funktioniert die faule, böse, wunderbare Magie dieser Inszenierung wie eine Falle, in die wir Zuschau- er*innen gelockt werden. Vinge und Müller überzeugen, überwältigen und nerven durch eine grandios eigensinnige Bildsprache, den Mut zur Penetranz, den rücksichtslosen Kunstwillen. Das hat für die Zuschauer*innen eine kathar- tische Wirkung ganz eigentümlicher Art. Ein Besuch im „Pleasure Dome“ des wilden, überra- schenden Theaterschauens, der unbedingt lohnt.

„DAS SCHAU­ SPIEL SEI DIE SCHLINGE“

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StDer uStuckemarktckemarkt findet in Kooperation mit der Bundeszentrale fur politische Bildung/bpb statt. / Stuckemarkt is organised in cooperation with the Federal Agency for Civic Education/bpb.

Wo treffen sich politisches Bewusst- sein, neue Narrative und Poesie? Ausgewählt von einer Kunstler*innen- Jury, präsentiert der Stuckemarkt neue Stimmen aus dem europäischen Raum – von dramatischen Texten bis hin zu Performances. Unter dem Motto „Geteilte Welt“ beschäftigt er sich mit Ungleichheiten auf globa- ler Ebene und mit neuen Ideen des Teilens. / Where do political awareness, new narratives and poetry get together? The Stuckemarkt presents new voices from across Europe, selected by a jury of artists and featuring dramatic texts as well as perfor- mances. Under the motto “sharing (in) a divided world” Stückemarkt deals with questions of global inequality as well as new ideas of sharing. STÜCKEMARKT – Interview

Sich-Aussetzen / Expose yourself Joy Kristin Kalu im Gespräch mit Christina Zintl / Joy Kristin Kalu in conversation with Christina Zintl

Die Jury des Stückemarkts 2018 (v.l.n.r.): Dimitrij Schaad, Anne Lepper, Joy Kristin Kalu, Christina Zintl, Philippe Quesne

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Christina Zintl [CZ] Liebe Joy, du hast als Jurorin des Stückemarkts in den letzten Wochen sehr viele Stücke gelesen und gesichtet – was hat dich am meisten begeistert, verwun- dert, verärgert? Christina Zintl [CZ] Dear Joy, as a Joy Kristin Kalu [JK] Begeistert member of the Stückemarkt-jury, you hat es mich zu sehen, wie experimentell read and viewed a large number of plays in einigen der Texte mit Sprache und over the past weeks – what inspired, insbesondere mit Sprachlosigkeit umge- surprised or annoyed you most? gangen wird. Am Anfang war es eine Joy Kristin Kalu [JK] It was Joy Kristin Kalu ist große Herausforderung für mich, die inspiring to see the experimental ways Dramaturgin, Thea- deutschen Texte mit den internationalen in which some of the texts deal with terwissenschaftlerin und Kuratorin sowie zu vergleichen, da letztere teilweise language, and especially with speech- Teil der Stücke- nicht in der besten Übersetzung vorlagen lessness. To begin with, I found it quite markt-Jury 2018. oder von Nicht-Muttersprachler*innen challenging to compare German- / Joy Kristin Kalu is a dramaturge, auf Englisch verfasst worden waren. language texts with international ones, theatre scholar Dann war es aber sehr schön, im Zuge because the latter often were not and curator as well unserer Jury-Diskussionen zu merken, available in ideal translations or were as part of the jury of the 2018 dass oft gerade diese begrenzte Verfüg- written in English by non-native speakers. Stückemarkt. barkeit von Sprache, die ich zuerst als But over the course of our jury dis­ unzulänglich bewertet hatte, sehr viel cussions, it turned out that it was often erzählen kann – von einem Verortet-Sein exactly this limited availability of lan- in der Gesellschaft zum Beispiel, viel- guage (which I had initially thought of as leicht gerade dann, wenn es in den Stü- inadequate) that can tell us a lot – about Christina Zintl cken um eine marginalisierte Perspek- being situated in a society, for exam- ist seit 2012 tive geht. Verärgert haben mich nur sehr ple. This was particularly true when the Dramaturgin des Foto: Merav Maroody Foto: Merav Maroody Theatertreffens wenige Texte – die, die gut gemeint works dealt with a marginalised per- und Leiterin des letztlich jene Hierarchien, die sie zu spective. Only a very few pieces actually Stückemarkts. kritisieren suchten, bruchlos fortgeschrie- annoyed me – those well-intentioned / Christina Zintl has been a drama- ben haben. works that seamlessly upheld the very turge at the [CZ] Mit dem Thema des diesjähri- hierarchies they sought to criticise. Theatertreffen gen Stückemarkts „Geteilte Welt“ [CZ] This year’s Stückemarkt has the and the Head of Theatertreffen’s stellen wir Fragen nach Ungleichheiten theme of “Divided World”: We are Stückemarkt since auf globaler Ebene, aber auch nach exploring issues including inequalities 2012. neuen Ideen des Teilens. Wir haben viel on a global level, but also new ideas darüber gesprochen, was Teilen eigent- of sharing. We often talked about what lich heißt, und wie groß unsere Bereit- exactly “sharing” means, and how ready schaft zu teilen wirklich ist. Inwieweit we are to actually share. Did you find hast du diese Themen in den einge­ these topics reflected in the submitted sendeten Arbeiten wiedergefunden? works?

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[JK] Ich habe die Beobachtung gemacht, [JK] I found that many works tried to take dass viele Stücke versucht haben, über den the route of great abstraction to explore crisis- Umweg großer Abstraktion auf krisenhafte Sze- scenarios that deal with social division or na­rien einzugehen, die sich mit Formen gesell- hierarchies. And only a few of these texts man- schaftlicher Teilung oder Hierarchisierung aged to transport political content in this beschäftigten. Dabei gab es wenige Texte, denen way – in the sense of a critical approach to es auf diesem Weg gelungen ist, Politisches – im power structures. Of course, there were also Sinne eines kritischen Umgangs mit Machtver- works that grappled quite explicitly with hältnissen – zu transportieren. socio-political topics, for instance with the role Es gab natürlich auch Arbeiten, die sich that Germany’s colonial and national-socialist ganz explizit mit gesellschaftspolitischen past plays in our present times. I was surprised Themen auseinandergesetzt haben, zum Bei- that there were quite a few texts that dealt spiel mit der Rolle, die die koloniale und with the microcosms of families and couples nationalsozialistische Vergangenheit Deutsch- without considering social contexts at all. lands in der Gegenwart spielt. Verwundert hat [CZ] What were your most important selec- mich, dass es viele Texte gab, die sich mit tion criteria? dem Mikrokosmos Familie und mit Paarbezie- [JK] We focussed our search on texts and hungen beschäftigt haben, ohne gesellschaft­ projects that exposed themselves to a high liche Zusammenhänge zu berücksichtigen. degree of complexity. We chose perspectives [CZ] Was waren denn für dich die wichtigs- that either complicated a clear distinction ten Kriterien bei der Auswahl? between one’s Self and the Other, or narrated [JK] Bei unserer Auswahl war es uns wichtig, from a polyphony, or unfolded their plots from nach Texten und Projekten zu suchen, die sich a position outside of mainstream society. einer großen Komplexität aussetzen. Wir haben I think our selection achieved a tableau, or an uns für Perspektiven entschieden, die eine objective, as it were, and didn’t just find the best klare Unterscheidung in das Eigene und das or the “most rounded” texts and performances Andere entweder verkomplizieren, aus einer on a particular topic – which would have been Mehrstimmigkeit heraus erzählen oder die absurd criteria, anyway. We ended up choosing Handlung aus einer Position jenseits der Mehr- rather fragile works that communicated a great heitsgesellschaft entfalten. Ich glaube, dass sense of urgency to us. es uns ganz gut gelungen ist, mit der Auswahl [CZ] Are there any other trends illustrated ein Tableau oder ein Stück weit eine Program- by the selection? matik zu setzen und nicht einfach die besten [JK] I think that the aspect of “exposing oder „rundesten“ Texte und Performances oneself” pervades this year’s selection on vari­ zu einem Thema zu finden – was an sich ja ohne- ous levels. In “Exodus”, for example, Li Lorian hin absurde Kriterien wären. Wir haben uns exposes herself explicitly to a division that überwiegend für recht fragile Arbeiten entschie­ burdens her performance. In Turbo Pascal’s den, die uns eine große Dringlichkeit vermit- “Böse Häuser (Evil Houses)”, on the other hand, telt haben. the audience is exposed quite ruthlessly to [CZ] Welche weiteren Tendenzen lassen a wide range of ideologies in manipulative set- sich für dich an der Auswahl ablesen? tings. With our selection, we tried to illustrate [JK] Ich glaube, dass das „Sich-Aussetzen“ the most important topics that became ein Thema ist, das sich auf unterschiedlichen apparent in the submitted works. With “Fresque” Ebenen durch die diesjährige Auswahl zieht. Bei by Old Masters and Leon Engler’s “Die Benen- „Exodus“ zum Beispiel setzt sich die Perfor­ nung der Tiere (The Naming of Animals)”, we merin Li Lorian explizit einer Teilung aus, die will feature two pieces at the Stückemarkt that ihre Performance belastet. Bei Turbo Pascals approach interpersonal disconcertment through „Böse Häuser“ wird hingegen das Publikum in a high degree of abstraction and formality, manipulativen Settings recht schonungslos ganz without compromising the complexity of their unterschiedlichen Ideologien ausgesetzt. In themes. On the text levels of Olivia Wenzel’s der Auswahl haben wir versucht, die wichtigsten “1 yottabyte leben (1 yottabyte of life)” and Maya

70 STÜCKEMARKT – Interview

Themenkomplexe, die sich in den Einsendungen Arad Yasur’s “Amsterdam”, we find complex abgezeichnet haben, abzubilden. Mit Old Mastersʼ materialisations of marginalised perspectives. „Fresque“ und mit Leon Englers „Die Benen- A subject that also recurs in Li Lorian’s nung der Tiere“ haben wir zwei Arbeiten beim “Exodus”. The fact that we have chosen two Stückemarkt, die sich über eine größere Abstrak- Israeli authors in this small selection is con­ tion und formale Strenge zwischenmensch- spicuous, of course; something we could, but lichem Befremden widmen, ohne dabei ihre the- don’t necessarily have to address. These two matische Komplexität aufs Spiel zu setzen. pieces are very different in nature, but they both deal with the traces of the Holocaust and with Jewish history in Germany and Europe. Maybe ICH GLAUBE, we all agreed on this unplanned thematic concentration because this is a memory that we DASS ES GEGEN­ are currently called upon to defend. [CZ] How would you as a scholar assess WÄRTIG VOR the development and the state of awareness of topics of Critical Whiteness in the theatre? ALLEM DARUM [JK] Critical Whiteness asks: Which dif­ ferences and related hierarchies are being con- GEHT, DIE stituted and why, and what is the added value for white mainstream society, which thus STRUKTUREN regularly becomes stabilised as the unmarked norm? It’s a perspective that can be learned very DES THEATER- quickly. I feel it is important to create an aware- ness in critical and curatorial dealings with BETRIEBS culture of who is assumed to be the implicit audience and what is the function of the staging KRITISCH ZU of the allegedly Other. This does not mean, of course, that we primarily need texts and REFLEKTIEREN. productions that were created in a Critical Whiteness-manner or that explicitly deal with post-colonial topics. It’s great that they exist, Auf den Textebenen von Olivia Wenzels „1 yotta- but I think that our main priority right now byte leben“ und Maya Arad Yasurs „Amsterdam“ should be to critically reflect the structures of sehen wir vielschichtige Materialisierungen the theatre: Who has access to which training? von marginalisierten Perspektiven. Ein Thema, Who holds the policy-making positions within das sich auch in Li Lorians „Exodus“ wiederfindet. cultural institutions? Is social diversity reflected Dass wir zwei israelische Autorinnen ausgewählt in the acting companies of city theatres or in haben, ist natürlich in dieser kleinen Auswahl the programming of independent institutions? eine Auffälligkeit, mit der man umgehen kann, aber So, issues of representation are essential – nicht umgehen muss. Die beiden Arbeiten sind on stage, but even more so in reference to the sehr unterschiedlich, setzen sich aber beide mit structures of cultural and funding institutions. den Spuren des Holocaust und mit jüdischer [CZ] I feel that every text and project Vergangenheit in Deutschland und in Europa aus- in our selection carries within it a kind of criti­ einander. Vielleicht haben wir dieser ungeplanten cism of speech and performance that pre- thematischen Verdichtung unter anderem vents all unmarked norms by placing halting zugestimmt, weil es gerade diese Erinnerung points, where perspectives compartmentalise. aktuell ein Stück weit zu verteidigen gilt. In this context, we often discussed the [CZ] Wie würdest du denn als Wissenschaft­ relation­ships between the works and the audi- lerin die Entwicklung und den Stand des ence. One juror kept returning to the question Bewusst­seins für Critical-Whiteness-Themen of what kind of realm of experience was im Theater bewerten? being provided, how much time are we given

71 STÜCKEMARKT – Interview

[JK] Die Critical Whiteness fragt: Warum to think about our own lives, to what extent are werden hier welche Unterschiede und mit we thrown back upon ourselves. In your eyes, ihnen Hierarchien konstituiert und was hat das what makes it worthwhile to “expose one- eigentlich für einen Mehrwert für die weiße self”– both for the authors/performers and the Mehrheitsgesellschaft, die damit regelmäßig audience? als unmarkierte Norm stabilisiert wird? Das [JK] It is certainly worthwhile to enter ist eine Perspektive, die man eigentlich sehr spaces that confront us with something that schnell erlernen kann. Es ist meines Erachtens is foreign to us. In the best case, it encourages wichtig, dass im kritischen und kuratorischen us to examine the preconditions of foreign- Umgang mit Kultur ein Bewusstsein dafür ness per se. Theatres and other art spaces entsteht, wer als implizites Publikum voraus- always contain this chance. It could occur gesetzt wird und welche Funktionen die Insze- through a larger spatial distance, in a classical nierungen des vermeintlich Anderen erfüllen. division of audience and stage, or in an inter­ Das heißt im Umkehrschluss natürlich nicht, active, immersive format that focusses both dass wir primär Texte und Inszenierungen on direct encounters and on exposing oneself. brauchen, die in Critical-Whiteness-Manier ver- The framing and lines of vision are different than fasst worden sind oder die sich explizit mit in our everyday lives and that is why this self- postkolonialen Themen auseinandersetzen. exposure – at times paired with experiences of Es ist toll, wenn es das gibt, aber ich glaube, dass vulnerability, helplessness and a feeling of mental es gegenwärtig vor allem darum geht, die Struk- or physical overload – can almost be seen as turen des Theaterbetriebs kritisch zu reflek­ a practise setting. This certainly constitutes tieren: Wer hat Zugang zu welchen Ausbil- a political dimension of the theatre – allowing dungen? Von wem werden in Institutionen die for openness and assuming responsibility in entscheidungstragenden Positionen besetzt? encounters with others, even if the rules of this Findet sich die gesellschaftliche Diversität in Ensembles und an freien Häusern in der Pro- grammplanung wieder? Fragen der Reprä­- sentation sind also auf der Bühne, aber vor allem in Hinblick auf die Strukturen der Kultur- und Förderinstitutionen zentral. [CZ] Alle Texte und Projekte in unserer The most Auswahl tragen meines Erachtens eine Art Sprach- und Darstellungskritik in sich – die exciting theatre keine unmarkierten Normen zulässt –, indem sie immer wieder Haltepunkte setzen, an is one that gives denen sich die Perspektiven aufsplittern. In diesem Zusammenhang haben wir auch über das access, with no Verhältnis der Arbeiten zu den Zuschauer* innen diskutiert. Ein Jurymitglied hat zum Bei- discrimination spiel immer wieder darüber gesprochen, was für ein Erfahrungsraum angeboten wird, wie viel or barriers, Zeit zum Nachdenken über das eigene Leben bleibt, wie sehr man auf sich zurückgeworfen to all members ist. Worin besteht denn für dich die Qualität des „Sich-Aussetzens“ – der Autor*innen/Perfor- of our society at mer*innen und der Zuschauer*innen? [JK] Es ist auf jeden Fall eine Qualität, all levels. sich in Räume zu begeben, in denen man mit etwas konfrontiert wird, das einem erst ein- mal fremd ist. Bestenfalls wird man angeregt, sich mit der Bedingtheit der Inszenierung

72 STÜCKEMARKT – Interview

von Fremdheit per se auseinanderzusetzen. time spent together are unfamiliar and have Theater und auch andere Kunsträume bergen to be negotiated. immer diese Chance. Das kann über eine [CZ] Let me finish with a more personal größere räumliche Distanz – also in einer klas- question: What is your utopia of the theatre, sischen Teilung von Publikum und Bühne – or, more bluntly, what would the theatre ebenso passieren wie in einem interaktiven, of your dreams be like? immersiven Format, in dem sowohl die direkte [JK] I am committed to a theatre that Begegnung als auch das Ausgesetzt-Sein im deludes, concerns and occasionally dissolves Vordergrund stehen. Die Rahmungen und both itself and me. With all due respect to die Blickrichtungen sind anders als im Alltag, ambivalence, which determines any degree und darum lässt sich dieses Sich-Aussetzen of intensity, one thing is beyond dispute: The – zuweilen gepaart mit Erfahrungen von Ver- most exciting theatre is one that gives access, letzlichkeit, Ratlosigkeit und Überforderung – with no discrimination or barriers, to all mem- schon fast als ein Setting zum Üben begreifen. bers of our society at all levels – in training Sicher liegt darin auch eine politische Dimen- institutions, on- and backstage, in artistic and sion des Theaters – dass man Offenheit zulässt institutional positions of responsibility and, und Verantwortung übernimmt in der Begeg- of course, in the audience. That is the coming nung mit anderen, selbst wenn die Regeln theatre that I am working towards. der gemeinschaftlich verbrachten Lebenszeit unbekannt und neu zu verhandeln sind. [CZ] Zum Abschluss noch eine persönlich- Joy Kristin Kalu ere Frage: Was ist deine Utopie von Theater, Christina Zintl oder direkter gefragt, von welchem Theater träumst du? [JK] Mir liegt an einem Theater, das sich und mich täuscht, umtreibt, und zuweilen auf- löst. Bei aller Liebe zur Ambivalenz, die jede Intensität bedingt, steht dabei eines außer Frage: Das aufregendste Theater wird jenes sein, zu dem alle Mitglieder unserer Gesellschaft auf allen Ebenen – in Ausbildungsstätten, auf und hinter der Bühne, in künstlerischer und institu­ tioneller Verantwortung und natürlich im Publikum – diskriminierungs- und barrierefrei Zugang haben. Auf dieses kommende Theater arbeite ich hin.

73 STÜCKEMARKT

„ SCHAU DIR DIE MENSCHEN AN UND MACHE DIR DIE SINNLOSIG- KEIT IHRES TUNS KLAR. “ aus „Böse Häuser“

74 STÜCKEMARKT Haus der Berliner Festspiele, Seitenbühne 6. Mai 2018

Böse Häuser Turbo Pascal entwickelt in „Böse Häuser“ ein immersives Gedankenexperiment: Die Zuschauer* / Evil Houses innen werden, mit Kopfhörern ausgestattet, in Turbo Pascal (Deutschland) unterschiedlich sympathische gedankliche Gebäude eingeladen – mal sportlich bewegt, mal meditativ liegend, mal frontal aggressiv, jedenfalls immer im Beat. Dabei werden sie elegant an Türschwellen geleitet, die in die jeweils eigenen „bösen Häuser“ führen. Wie weit kann ich einem vermeintlich fremden Gedanken folgen, wenn er mir direkt in den Kopf implantiert wird? Ist für mich eine Gesellschaft der Singularitäten oder ein gelebtes Kollektiv attraktiver? Wollen wir mit Rechten reden – oder sind wir nicht eigentlich selbst das Problem? Schlussendlich geht es in „Böse Häuser“ um die große Frage nach der Mög- lichkeit und Bedingtheit von Sprache beim Ver- such, dem Anderen und sich selbst empathisch zu begegnen – und damit um die Utopie des Sonntag, 6. Mai 2018 um 17:30 Uhr Umdenkens. und 21:00 Uhr Christina Zintl in deutscher Sprache

Dauer 1 Stunde 20 Minuten Turbo Pascal’s “Böse Häuser (Evil Houses)” is an immersive thought experiment: Equipped with Haus der Berliner Festspiele, Seitenbühne headphones, the spectators are invited to enter 10 Euro more or less appealing thought constructions:

Konzept Turbo Pascal Ausstattung Janina Janke sometimes in athletic movement, sometimes lying Musik Friedrich Greiling Licht Fabian Stemmer down in meditation, sometimes in frontal aggres- Regieassistenz Lena Mallmann sion, but always following the beat. In this process, they are elegantly guided up to thresholds leading Von und mit Bettina Grahs, Friedrich Greiling, Angela Löer, Frank Oberhäußer, Luis Pfeiffer, Eva Plischke into their own “evil houses”. How far can I go

Foto: Daniela del Pomar along with an allegedly alien thought when it 22:30 Uhr is implanted directly into my head? What do I find im Haus der Berliner Festspiele, Kassenhalle more attractive, a society of singularities or a Autor*innengespräch mit Maya Arad Yasur und practised collective? Do we want to talk to right- Turbo Pascal, moderiert von Dimitrij Schaad wingers – or are we ourselves in fact the prob­lem? Finally, “Böse Häuser” deals with the big question of the possibility and contingency of language UNLEARNING Theater in the attempt to treat others and ourselves with Glotzt nicht so romantisch! – Gespräch empathy – and thus, with the utopia of trans- 11. Mai 2018, 17:30 Uhr Siehe S. 125 forming our thinking.

UNLEARNING Theater Eine Produktion von Turbo Pascal in Koproduktion mit Theater Rampe Stuttgart und Sopiensæle. siehe TT Kontext Erlaubt ist, was gefällt?! – Gespräch 18. Mai 2018, 17:30 Uhr Turbo Pascal bedankt sich herzlich bei Muriel Gerstner Siehe S. 126 für ihre Inspiration zu den bösen Häusern durch ihre Publikation „Zu bösen Häusern gehen – Number Nine Barnsbury Road, Soho“ (2007).

75 -SOME-“ ONE’S GOTTA PAY. -YES, BUT WHO?” aus „Amsterdam“ Haus der Berliner Festspiele, Kassenhalle 6. Mai 2018

Amsterdam Maya Arad Yasur (Israel / Niederlande) Szenische Lesung

Maya Arad Yasurs Protagonistin, eine schwangere israelische Geigerin, begibt sich in „Amsterdam“ auf die Spur einer Gasrechnung aus dem Jahr 1944, Sonntag, 6. Mai 2018 um 21:00 Uhr die eines Morgens vor ihrer Tür liegt. Im Verlauf der nächsten 24 Stunden wird sie sich nach in English und nach der Bedeutung ihrer Herkunft und ihres

Dauer 1 Stunde Geschlechts in einer zunehmend xenophoben, misogynen­­ Umgebung bewusst. Erzählt wird die Haus der Berliner Festspiele, Kassenhalle Geschichte von mehreren Stimmen, die sich 10 Euro widersprechen, sich ergänzen, eine gemeinsame

Einrichtung Friederike Heller Erzählperspektive suchen – aber oft doch nur ratlos spekulieren können, wie und warum es zu 22:30 Uhr diesem Geschehen kommen konnte. im Haus der Berliner Festspiele, Kassenhalle Autor*innengespräch mit Maya Arad Yasur und Dimitrij Schaad Turbo Pascal, moderiert von Dimitrij Schaad

In “Amsterdam”, Maya Arad Yasur’s protagonist, a pregnant Israeli violinist, sets out to trace the UNLEARNING 1. Klasse origins of a gas bill from the year 1944, which she Geteilte Welt – Keynote found outside her door one morning. In the course 11. Mai 2018, 18:00 Uhr Siehe S. 124 of the next 24 hours, she gradually becomes aware of the significance of her own origins and

UNLEARNING 1. Klasse her gender in an increasingly xenophobe and

siehe TT Kontext Solidarität = Selbstmord!? – Gespräch misogynist environment. The story is told by sev- 11. Mai 2018, 18:30 Uhr eral voices that contradict and complement each Siehe S. 124 other, trying to find a common point of view for their narrative – but can rarely do more than spec- ulate helplessly about how and why these events could have come to pass.

77 78 Haus der Berliner Festspiele, Seitenbühne 8. Mai 2018

Fresque / Fresco Old Masters (Schweiz)

Die Besonderheit von Old Masters’ „Fresque“ liegt in dem Zusammenspiel von Form, Ästhetik, Erzählweise und dem Spiel der beiden Perfor- mer*innen Charlotte Herzig und Marius Schaffter, die sich hier in einer Art installativen Anordnung begegnen. Der verzerrte Rhythmus des Stücks ermög- licht den Zuschauer*innen eine andere, nicht- alltäg­liche Zeiterfahrung, indem uns das Zusam- menspiel von Bühne, Ton und Licht in eine Art Hypnosezustand versetzt, der jeder*m Einzelnen Dienstag, 8. Mai 2018 um 15:00 Uhr den Freiraum eröffnet, sich in ihren*seinen eigenen Gedanken und Träumen zu versenken. in French with English surtitles Die kraftvollen Bilder erzeugen dabei eine perma-

Dauer 50 Minuten nente Leerstelle zwischen den intimen Dialogen und eindeutigen psychologischen Reduzierungen Haus der Berliner Festspiele, Seitenbühne auf die conditio humana. Ein intimes Stück, 10 Euro das voll absurdem und gleichzeitig erlösendem

Konzept, Ausstattung, Text Sarah André, Humor ist und von der Liebe bis zum Tod erzählt. Charlotte Herzig, Marius Schaffter, Jérôme Stünzi Musik und Ton Nicholas Stücklin Licht Jonas Bühler Philippe Quesne Management Pâquis Production

Mit Charlotte Herzig, Marius Schaffter What distinguishes “Fresque (Fresco)” by Old Masters is the interplay of form, aesthetics, narra- 17:00 Uhr tive mode and the performances of Charlotte im Haus der Berliner Festspiele, Probebühne Herzig and Marius Schaffter, who come up against Autor*innengespräch mit Old Masters und each other in a kind of installative arrangement. Olivia Wenzel, moderiert von Joy Kristin Kalu

Foto: Joelle Neuenschwander The piece’s distorted rhythm allows the spectators to experience time quite differently from the day-to-day. The interaction of stage, sound and UNLEARNING 1. Klasse light puts us into a kind of trance, freeing every „Zusammen müssten sie eigentlich single one of us to immerse ourselves in our own unwiderstehlich sein.“ – Gespräch 11. Mai 2018, 16:30 Uhr thoughts and reveries. The powerful images Siehe S. 123 produce a kind of permanent vacancy between the intimate dialogues and the unambiguous psy- UNLEARNING 1. Klasse siehe TT Kontext chological reductions to the human condition. Geteilte Welt – Keynote 11. Mai 2018, 18:00 Uhr An intimate piece, full of absurd and yet cathartic Siehe S. 124 humour, telling us about love that lasts until death.

UNLEARNING 1. Klasse Eine Produktion von Old Masters in Koproduktion Solidarität = Selbstmord!? – Gespräch mit Théâtre de l’Usine, Genf. 11. Mai 2018, 18:30 Uhr Die Produktion wird unterstützt von Pro Helvetia, Siehe S. 124 Schweizer Kulturstiftung.

79 „DAS LEISE, MONOTONE SAUSELN IN DER HEIZUNG SPIEGELT EX AKT MEINEN GEMUTS­

ZUSTAND.“aus „1 yottabyte leben“ Haus der Berliner Festspiele, Kassenhalle 8. Mai 2018

1 yottabyte leben / 1 yottabyte of life Olivia Wenzel (Deutschland) Szenische Lesung

In einem Hotelzimmer gestrandet, gerät Glam­ squad Angie online in den Strudel jener Bedeu- tungsüberschüsse, die sich in der scheinbar wahllosen Nebeneinanderstellung diverser Text- und Bild­inhalte in Kommunikationsfeldern des Internets ergeben. Im Dialog mit Trollen und Ertrunkenen, echten Promis und falschen Freun- dinnen spitzen sich die Absurditäten digitaler Interaktion zu. Glamsquads marginalisierter Blick Dienstag, 8. Mai 2018 um 19:00 Uhr und ihre ernsthaften Fragen entfalten dabei präzise, wie sich gesellschaftliche Hierarchien und in deutscher Sprache Ausschlussmechanismen gemäß der Steigerungs­

Dauer 1 Stunde logik der Aufmerksamkeitsökonomie des digitalen Raumes perpetuieren. In dichten, an Screen­shots Haus der Berliner Festspiele, Kassenhalle angelehnten Textflächen rücken ihr stereotype 10 Euro Zuschreibungen auf den Leib, bringen sie um den

Einrichtung Nora Schlocker Schlaf und schreiben sich auch offline in ihrem Dramaturgie Christina Zintl Erleben fort.

17:00 Uhr Joy Kristin Kalu im Haus der Berliner Festspiele, Probebühne Autor*innengespräch mit Old Masters und Stranded in a hotel room, Glamsquad Angie Olivia Wenzel, moderiert von Joy Kristin Kalu is swept into the online vortex of those surpluses of meaning that occur in the seemingly random juxtaposition of various text and image contents UNLEARNING Patriarchat of the Internet’s communication fields. In dia- Everyday Sexism – Keynote logues with trolls and the drowned, real celebrities 6. Mai 2018, 15:00 Uhr Siehe S. 120 and false friends, the absurdities of digital inter­ action come to a head. Glamsquad’s marginalised UNLEARNING 1. Klasse perspective and her genuine questions reveal Geteilte Welt – Keynote TT Kontext siehe TT 11. Mai 2018, 18:00 Uhr just how social hierarchies and mechanisms of Siehe S. 124 excl­u­sion perpetuate themselves according to the logics of augmentation inherent in the digital UNLEARNING 1. Klasse realms’ economics of attention. In dense expanses Solidarität = Selbstmord!? – Gespräch 11. Mai 2018, 18:30 Uhr of text, not unlike screenshots, stereotypical Siehe S. 124 attributions intrude on her, leave her sleepless and carry through to her offline experience.

81 „DAS WIRD MIR IRGEND- WIE ALLES ZU REAL. ICH BR AUCHE DISTANZ ausZUR „Die Benennung der Tiere“ WELT.“ Haus der Berliner Festspiele, Kassenhalle 10. Mai 2018

Die Benennung der Tiere / The Naming of Animals Leon Engler (Österreich) Szenische Lesung

Mit „Die Benennung der Tiere“ geht Leon Engler ein erzählerisches Wagnis ein: Ein übergewichtiger Lebensmitteltester rutscht auf Schweineleber- wurst aus, landet hilflos auf U-Bahn-Gleisen und wird für einen heiligen Wal gehalten, der geborgen Donnerstag, 10. Mai 2018 um 18:30 Uhr werden muss, damit er die EU aus dem Meer der Traurigkeit in ein glückliches Leben speit. In dieser in deutscher Sprache Konstellation gelingt Engler eine fantasieüber-

Dauer 1 Stunde schäumende Glücksgroteske, die so hochkomisch ist, so eigen, so präzise in ihrem Rhythmus, so Haus der Berliner Festspiele, Kassenhalle konsequent und so unterhaltsam in ihrem Inhalt, 10 Euro dass er ganze Wagenladungen von Kalauern in

Einrichtung Branko Janack das Gleisbett des Wals kippen kann, ohne dass man Dramaturgie Maria Nübling dabei das Gefühl verliert, eine erstaunlich ent­ wickelte, genrebewusste und streitbare Autoren- 21:00 Uhr stimme vor sich zu haben. im Haus der Berliner Festspiele, Kassenhalle Autor*innengespräch mit Leon Engler und Dimitrij Schaad Li Lorian, moderiert von Maria Nübling und Christina Zintl In “Die Benennung der Tiere (The Naming of Animals)”, Leon Engler takes a narrative risk: An overweight food-tester slips on a slice of UNLEARNING 1. Klasse pork liverwurst and ends up helpless on the sub- „Zusammen müssten sie eigentlich way tracks. He is taken for a holy whale who unwiderstehlich sein.“ – Gespräch 11. Mai 2018, 16:30 Uhr must be saved so that he can spew the EU out Siehe S. 123 of the sea of sadness and into a happy life. In this constellation, Engler achieves an exuberantly UNLEARNING 1. Klasse siehe TT Kontext imaginative grotesque of happiness so funny, Geteilte Welt – Keynote 11. Mai 2018, 18:00 Uhr so peculiar, so precise in its rhythm, so consistent Siehe S. 124 and so entertaining in its content, that he can unload a whole wagon-load of terrible puns into UNLEARNING 1. Klasse Solidarität = Selbstmord!? – Gespräch the whale’s track-bed without his spectators ever 11. Mai 2018, 18:30 Uhr losing the feeling that they are dealing with an Siehe S. 124 astonishingly developed, genre-aware and asser- tive author’s voice.

83 84 Haus der Berliner Festspiele, Probebühne, Treffpunkt Unteres Foyer 10. bis 11. Mai 2018

Exodus Li Lorian (Israel / Deutschland)

Ausgehend von der Geschichte ihrer Großmutter Shoshana, die 1947 als 9-Jährige zunächst nach Palästina mit dem Schiff Exodus fuhr, das mit tau­ senden Passagieren von den Briten nach Europa zurückgeschickt wurde, und die erst 1948 mit ihrer Familie nach Israel auswandern konnte, macht Li Lorian einen Streifzug durch die Geschichte des Exodus überhaupt. „My grandmother also was an illegal emigrant“: So kommt sie vom Schiff Exodus auf die über das Mittelmeer flüchtenden Menschen, auf die Palästinenser*innen, für die die Gründung Israels zum Beginn ihres Exodus wurde. Die ihrer Lecture Performance zugrunde Donnerstag, 10. Mai 2018 um 20:00 Uhr liegende Erfahrung von Flucht und Vertreibung, die die Erfahrung ihrer Familie ist, stellt den auf- Freitag, 11. Mai 2018 um 13:30 Uhr tauchenden Pathos auf einen empirischen Grund: „Do not oppress a foreigner; you yourselves in English know how it feels to be a foreigner, because you Dauer 1 Stunde were foreigners in Egypt.“

Haus der Berliner Festspiele, Probebühne Anne Lepper Treffpunkt Unteres Foyer 10 Euro Li Lorian’s grandmother Shoshana is the point Konzept und Performance Li Lorian Künstlerische of departure for her foray through the history of the Unterstützung Moran Duvshani Design und Online exodus. Shoshana was nine years old in the year in Jerusalem Mai Aylon Produktion Rony Ohad, Achinoam Mendelson 1947 and one of thousands of passengers travelling

Foto: Stephanie Ballantine on the ship Exodus to Palestine, only to be sent Mit Li Lorian back to Europe by the British, and who was only able to emigrate to Israel with her family in 1948. Donnerstag, 10. Mai 2018 um 21:00 Uhr “My grandmother also was an illegal emigrant”: im Haus der Berliner Festspiele, Kassenhalle This is the trajectory leading her from the ship Autor*innengespräch mit Leon Engler und Li Lorian, Exodus to the people trying to flee across the moderiert von Maria Nübling und Christina Zintl Medi­terranean Sea, to the Palestinians whose own exodus began with the foundation of the state UNLEARNING Theater of Israel. Her family’s experience of flight and dis- Glotzt nicht so romantisch! – Gespräch placement, which is the foundation of her lecture 11. Mai 2018, 17:30 Uhr Siehe S. 125 performance, provides the emerging pathos with an empirical bedrock: “Do not oppress a for- UNLEARNING Theater eigner; you yourselves know how it feels to be Erlaubt ist, was gefällt?! – Gespräch a foreigner, because you were foreigners in Egypt.” 18. Mai 2018, 17:30 Uhr siehe TT Kontext Siehe S. 126 Entwickelt am Pandora Collective und der Akademie Schloss Solitude.

85 STÜCKEMARKT – Workshops

Workshops Stückemarkt Für alle Workshops ist eine Anmeldung unter [email protected] erforderlich. Die genauen Orte der Workshops werden bei der Anmeldung bekannt gegeben. Alle Workshops sind kostenfrei. / For all workshops, registration is mandatory (please write to [email protected]). Details of workshop venues will be announced on registration. All workshops are free of charge.

Dienstag, Das Paradox eines Starenschwarms 8. Mai 2018 12:00 Uhr / The Starling Paradox Workshop in English Wie können wir im Kollektiv eine Geschichte erfinden? Ausgehend von der Dynamik eines Starenschwarms werden wir eine Geschichte erfinden, Haus der Berliner Festspiele erzählt von vielen Stimmen, die sich gegenseitig unterstützen, leiten oder angeleitet werden. So lassen wir aus einer Vielzahl individueller Von und mit Stimmen eine Gruppenidentität entstehen. Maya Arad Yasur How can we make up a story collectively? Watching the dynamics of a flock of starlings we will make up a story narrated by multiple voices that have to support each other, lead and be led and create a group identity which is constructed by individual voices.

Politische Biografien /Political Biographies Dienstag, 8. Mai 2018 Eine Reise durch persönliche und politische Mind-Maps im Kontext einer künst­ 12:00 Uhr lerischen Recherche. Im Workshop wird jede*r Teilnehmer*in eine Karte der Workshop in eigenen (realen oder fiktionalen) Biografie erstellen, der (persönlichen oder kollek­ English tiven) Geschichte, der Landschaft, der Sprache, des kulturellen Erbes und der Erzählungen. Wir diskutieren die Erfahrungen mit einer solchen Arbeitsmethode Haus der Berliner Festspiele und reflektiveren die politische und ethnische Bedeutung. A travel through personal and political mind-maps in the context of artistic Von und mit research. In the workshop each participant will create a map of her*his (real or ficti- Li Lorian tious) biography, (personal or collective) history, landscape, language, heritage and stories. We will discuss the experience of such a method of work, and reflect on its political and ethical implications.

Donnerstag, Erfindung eines Albtraums 10. Mai 2018 15:30 Uhr /Invention of a Nightmare Workshop in Worüber soll ich schreiben und warum schreibt mir niemand zurück? deutscher Sprache Gedankenaustausch über Ideenfindung, Originalität, Form und Schrott. Haus der Berliner What should I write about and why doesn’t anyone ever write back? Festspiele An exchange about generating ideas, originality, form and rubbish.

Von und mit Leon Engler

86 STÜCKEMARKT – Workshops

Mit Objekten sprechen Donnerstag, 10. Mai 2018 /Speaking with Objects 15:30 Uhr Auf der Bühne werden Objekte von den Erwartungen des Publikums und durch Workshop in die Beziehung zu den Performer*innen zum Leben erweckt, können sogar leben- deutscher und englischer diger sein als die Performer*innen selbst, die sich krampfhaft bemühen, real Sprache zu werden. Wir können von Objekten lernen, denn sie sind immer genau das, was sie sind. Lasst uns versuchen, ernsthaft mit ihnen zu sprechen. It‘s so much fun. Haus der Berliner Festspiele On stage, the objects come to life through the expectations of the audience and the relationships in which they enter with the performers. They might even Von und mit be more alive than the performers, who are struggling to become real. We surely Old Masters can learn from them, because they never fail in being exactly what they are. Let’s try to seriously speak with them. It’s so much fun.

Freitag, Böse Häuser bauen 11. Mai 2018 10:00 Uhr /Building Evil Houses Workshop in Angelehnt an die Performance von Turbo Pascal werden im Workshop „böse deutscher Sprache Häuser“ entwickelt: Gedankengebäude oder Denkräume, die aus ideologischen Haus der Berliner Glaubenssätzen und körperlichen Handlungen und Haltungen bestehen. Festspiele Dabei werden szenische und kollektive Formen der Textproduktion erprobt und thematisiert. Von und mit Turbo Pascal Based on elements from Turbo Pascal’s performance, the aim of this work- shop is to develop “evil houses”: constructions of ideas or thought spaces that consist of ideological tenets as well as physical actions and attitudes. Dramatic and collective forms of text production will be tested and addressed.

Konzepte von „Blackness“ Sonntag, 13. Mai 2018 in der Musik /Concepts of “Blackness” 11:00 Uhr in Music Workshop in deutscher Sprache Musiker*innen wie Sun Ra, Beyoncé und M.I.A. inszenieren ihre Kon­­- zepte von ethnischer Zugehörigkeit oft medial und bewusst. Welche Haus der Berliner Festspiele Stra­tegien verfolgen sie dabei, wie performen sie Kritik an asymmetrischen Machtstrukturen, wie setzt sich diese Kritik in den Diskursen um sie fort? Von und mit Im Workshop arbeiten wir mit kurzen Schreibaufgaben, um uns neben Olivia Wenzel der analytischen Annäherung auch kreativ mit Konzepten von „Blackness“ auseinanderzusetzen. Musicians like Sun Ra, Beyoncé and M.I.A. often stage their concepts of ethnicity deliberately and via the media. What are their strategies, how do they perform their criticism of asymmetrical power structures, and how is this criticism continued in the discourse that surrounds them? In this workshop, we will work with short writing tasks, helping us to explore con- cepts of “blackness” in both an analytical and a creative way.

87 STÜCKEMARKT

Sonntag, Stückemarkt Eröffnung 6. Mai 2018 /Opening Stückemarkt 19:00 Uhr Haus der Berliner Zur Eröffnung des Stückemarkts versammelt sich die Jury zum Gespräch Festspiele, Kassenhalle und redet über die Autor*innen-Findung und Tendenzen der diesjährigen Aus­- wahl. Welche künstlerischen Zugriffe auf die Welt sind ihnen in den zahl­ Eintritt frei reichen Bewerbungen begegnet? Wie sieht das derzeitige (Be-)Schreiben Mit Joy Kristin einer „Geteilten Welt“ aus? Kalu, Philippe For the opening of the Stückemarkt, the jury will get together for a conver- Quesne, Dimitrij sation about how to discover interesting new authors and about the topics Schaad, Christina Zintl and trends of this year’s selection. Which creative approaches to the world did they come across? How do contemporary authors describe a “Divided World”? Moderiert von Patrick Wildermann

Freitag, 11. Mai 2018 Vergabe Werkauftrag 20:30 Uhr /Award Ceremony Haus der Berliner Festspiele, Kassenhalle Commission

Eintritt frei Zum Abschluss des Stückemarkts werden die diesjährigen Autor*innen und deren Arbeiten in einer Gesprächsrunde präsentiert. Eine dreiköpfige Mit Stefan Bachmann, Dominic Huber, Jury – der Intendant und Regisseur Stefan Bachmann, der Szenograf Margarita Tsomou und Regisseur Dominic Huber und die Autorin, Dramaturgin und Kuratorin Margarita Tsomou – stimmt über die*den Preisträger*in des diesjährigen Moderiert von Christine Wahl Werkauftrags ab, der gemeinsam mit dem Kooperationspartner des Stückemarkts, der Bundeszentrale für politische Bildung/bpb, vergeben wird. Dieser ist verbunden mit einer Uraufführung am Schauspiel Köln. At the Stückemarkt’s conclusion, this year’s authors and their works will be presented in a discussion panel. A jury of three – Artistic Director and theatre director Stefan Bachmann, scenographer and director Dominic Huber and author, dramaturge and curator Margarita Tsomou – will choose the winner of this year’s commission of work, which is awarded together with the Stückemarkt’s cooperation partner, the Federal Agency for Civic Education/bpb. The commission entails a premiere production at Schau­ spiel Köln.

88 STÜCKEMARKT “ OUT OF SIGHT, OUT OF

MIND.”aus „Exodus“

Autor*innengespräche 2018

Mit Maya Arad Yasur und Turbo Pascal Moderation Dimitrij Schaad Sonntag, 6. Mai 2018, 22:30 Uhr Haus der Berliner Festspiele, Kassenhalle

Mit Old Masters und Olivia Wenzel Moderation Joy Kristin Kalu Dienstag, 8. Mai 2018, 17:00 Uhr Haus der Berliner Festspiele, Probebühne

Mit Leon Engler und Li Lorian Moderation Maria Nübling und Christina Zintl Donnerstag, 10. Mai 2018, 21:00 Uhr Haus der Berliner Festspiele, Kassenhalle 90 Shifting Perspectives Shifting Perspectives wird kuratiert von Yvonne Büdenhölzer, Daniel Richter und Necati Öziri. / Shifting Perspectives is curated by Yvonne Büdenhölzer, Daniel Richter and Necati Öziri. Shifting Perspectives wird unterstützt durch das Goethe-Institut. / Shifting Perspectives is supported by the Goethe-Institut.

Wie klingen andere Versionen der Geschichte, wer fehlt, wo beginnt ein neuer Horizont? Die inter­ nationale Gastspiel-Plattform des Theatertreffens: ein Blick über die deutschsprachigen Bühnen hinaus in die Welt. / What do other versions of the story sound like, who is missing, where does a new horizon start? The Theatertreffen’s international guest performance platform: a glance at the world beyond German-language theatre. SHIFTING PERSPECTIVES – Essay

“NOT E VERY- THING THAT IS FACED CAN BE CHANGED, BUT NOTHING CAN BE CHANGED UNTIL IT IS FACED.” James Baldwin Shifting Perspectives Azadeh Sharifi

Vom Heimatmuseum und andere(n) „neu“-deutsche(n) Kuriositäten Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zu- rück. Dieses alte Lenin-Zitat beschreibt The “Heimat-museum” and other Azadeh Sharifi, eine Auslegung von Geschichte, ihre “neo”-German curiosities geboren 1980 im Iran, ist Theater- Bewegung, sowie ihre Ver- und Entwick- One step forward, two steps back. This wissenschaft- lung. In Deutschland scheint es jedoch old Lenin-quote describes an inter­ lerin, Autorin und gerade stramm mehrere Jahrzehnte pretation of history, of its movement Aktivistin. zurück zu gehen. In eine Zeit, die schon and its entangle- and development. Azadeh Sharifi, immer imaginiert war, mit einem Volk, In Germany, however, there currently born 1980 in Iran, das noch nie existierte – oder eben nur seems to be a staunchly retrograde is a theatre scholar, writer in Allmachtsfantasien, welche nicht movement in time, back to several dec­ and activist. erst im 20. Jahrhundert, sondern schon ades ago. Back to a time that was always mit dem „Platz an der Sonne“ und dem imagined, with a community that has deutschen Kolonialismus begannen. never actually existed – or at least not Was mich bei diesen aktuellen – out­­­side the fantasies of omnipotence rechtspopulistischen, aber in der Mitte that originated long before the 20th cen­ der Gesellschaft angesiedelten – Debat- tury, starting in fact with the so-called ten über wahlweise Leitkultur und Place in the Sun and German colonialism. Heimat, Islam und Integration beschäf- What concerns me about the current tigt, ist die Unschärfe der doch sehr debates on “Leitkultur (hegemonic cul- gerade gezogenen Trennlinien. ture)” and “Heimat”, Islam and integration Es sind gerade Sätze wie die von – debates that may have their origins de Maizière: „Wir sind nicht Burka, wir in right-wing populism, but are actually lesen Goethe und Schiller“ oder auch endemic to the centre of our society Äußerungen von Seehofer während sei- – is the haziness of these very pointedly ner Antrittsrede als Innenminister wie: drawn dividing lines. „Der Islam gehört nicht zu Deutschland.“ As seen in pointed sentences like Really? I mean, seriously? those of the former German Home

93 SHIFTING PERSPECTIVES – Essay

„NÄRRISCH, DASS JEDER IN SEINEM FALLE / SEINE BESONDERE MEINUNG PREIST! / WENN ISLAM GOTT ERGEBEN HEISST, / IN ISLAM LEBEN UND STERBEN WIR ALLE!“ West-östlicher Divan, Hikmet-Nameh / Buch der Sprüche, Goethe

Und dabei denke ich nicht an die 5,4 Prozent der Secretary Thomas de Maizière, “We are not deutschen Bevölkerung, die muslimischen burqa, we read Goethe and Schiller”, or his Glaubens sind. Ich denke an die deutschen Leit­- successor, the new Home Secretary and Minis- kultur-Helden. Goethes „West-östlicher Divan“ ter of “Heimat”, Horst Seehofer, who said war inspiriert durch den iranischen Dichter in his inaugural speech: “Islam does not belong Hafiz, der im 14. Jahrhundert lebte und über Wein to Germany.” und Liebe und die weltliche und göttliche Welt Really? I mean, seriously? dichtete. Aber nicht nur Hafiz, sondern auch der And I’m not thinking about the 5.4 percent Islam und islamische Weltvorstellungen sind of Germany’s population who are of Muslim in die Dichtung von Goethe eingeflossen. faith. I’m thinking about the heroes of German Aber sicherlich lassen sich de Maizière, “Leitkultur”. Goethe’s “West-Eastern Divan” Seehofer und Konsorten Sonderausgaben von was inspired by the 14th century Iranian poet Goethes Gesamtwerk anfertigen, in denen Hafiz, who wrote about wine and love and the solche Überschreitungen klarer nationaler und worlds of the secular and the divine. Goethe’s kultureller Zuordnungen weggelassen werden. poetry, however, was not only influenced by Und sie schreiben im neuen „Heimatmuseum“ Hafiz, but also by Islam and Islamic conceptions nur noch in lateinischen Zahlen. of the world. Sarkasmus beiseite, die Verwobenheit von But I’m sure that de Maizière, Seehofer and Afrika, Asien (und hier insbesondere des Nahen their friends are having special Goethe-editions Ostens) und Europa ist keine gestern durch printed as we speak, editing out such trans­ „Migrant*innen und Refugees“ entstandene. gressions of clear national and cultural attribu- Deutschland, seine Geschichte und seine Kultur tion. And in their “Heimat”-museums, they will sind geformt von kulturellen, sozialen und be using exclusively Latin numbers. reli­giösen Verflechtungen – sowie von nia­­Kolo ­ All sarcasm aside, the interweaving of Africa, lismus. Die von den Faschist*innen und Asia (and especially the Middle East) with Rechts­populist*innen gezogenen Trennlinien­ Europe isn’t something that occurred yesterday ver­schwimmen immer dann, wenn wir or was caused by “migrants and refugees”. genauer hinschauen. Germany, its history and its culture were shaped

94 Die Notwendigkeit von Shifting Perspectives by cultural, social and religious intertwining beim Berliner Theatertreffen – and by colonialism. The dividing lines drawn Das Theatertreffen war in den letzten Jahren in by fascists and right-wing populists inevitably kontroverse Diskussionen über die Perspektiven become blurred the minute we look at them verwickelt, welche in der jährlichen Auswahl in more detail. repräsentiert werden. Durch Interventionen und Proteste von mehrheitlich PoC-Künstler*innen, The need for Shifting Perspectives at the Wissenschaftler*innen und Aktivist*innen Berlin Theatertreffen wurden Fragen nach Repräsentation und Selbst- In recent years, the Theatertreffen was caught repräsentation, gewaltvoller und gewaltrepro- up in controversial discussions about the per- duzierender Sprache, rassistischen und Rassis- spectives represented by their annual selection. mus reproduzierenden Bildern, Zeichen, Mitteln Interventions and protests by predominantly sowie (post)kolonialen Fortschreibungen der PoC artists, academics and activists raised ques­- Narrative aufgeworfen. Diese Fragen konnten tions about representation and self-represen­ nicht (mehr) übergangen werden. tation, violent language or language that re-pro- Nicht immer haben die Diskussionen duces violence, racist images, signs, devices gefruchtet, sondern sehr oft haben sie (wahr- or such that re-produce racism as well as a per- scheinlich auf allen Seiten) nur für Frus­tra­- petuation of (post)colonial narratives. It had tion und Ohnmacht gesorgt. Sie haben sich über become impossible to ignore these questions Jahre hingezogen. Und auch dabei galt: Ein (any longer). Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück. These discussions were not always pro­ Große Kulturinstitutionen wie das Berliner ductive. Often, they led to nothing but frustration­ Theatertreffen werden nicht ohne Grund and feelings of helplessness (probably on both als Tanker bezeichnet. Auch das Theatertreffen sides). They stretched out over years. And once lässt sich schwer bewegen und verteidigt das, again, the old adage applied: One step forward, was es einmal als vermeintlichen „Auftrag“ two steps back. erhalten hat. Aber nicht nur die deutsche Gesell­ Not for nothing are large cultural institutions schaft, sondern auch ihre Repräsentationsorte like the Berlin Theatertreffen described as tank- verändern sich. Und eine Veränderung der Insti- ers. The Theatertreffen is hard to maneuver tutionen kann auch durch wenige, aber hin­ and it defends its alleged mandate. But not only horchende und kritische Stimmen aus diesen is German society changing, but so are its insti- selbst hervorgerufen werden. tutional venues. And changes in these institutions Shifting Perspectives verstehe ich als eine can be effected by a very few discerning and (der vielen) Konsequenz(en) dieser von außen critical voices from within them. in das Theatertreffen hereingetragenen Diskurse I see Shifting Perspectives as one (of many) und als den Versuch, diese in die Struktur selbst consequences of a discourse that was brought zu übersetzen. Denn eine der großen Kritiken to the Theatertreffen from the outside, and an dem Berliner Theatertreffen ist, dass der as the attempt to translate them into the festi- Fokus stets auf die eigene und damit deutsche val’s internal structure. One of the main points (und meistens weiße) Perspektive gelegt wird of criticism raised, after all, is that the Berlin und dadurch Ausschlüsse entstehen, sowie eine Theater­treffen invariably focusses on its own – eurozentristische (und koloniale) Weltanschau- and thus, German (and mainly white) – per­­spec­ ung perpetuiert wird. tive, creating excluding mechanisms and Die Idee einer Plattform, in der die perpetuating a Eurocentristic (and colonial) „bemerkenswertesten Inszenierungen aus dem world view. deutschsprachigen Raum“ ins Verhältnis zu The idea of a platform where the “most Theater und Theatermacher*innen aus anderen remarkable productions from the German- Kontinenten gesetzt werden, schafft einen language region” are posed in relation to theatre neuen (transnationalen) Diskursraum innerhalb and theatre makers from other continents cre- des Berliner Theatertreffens. Dieser ates a new (transnational) space for discourse

95 SHIFTING PERSPECTIVES – Essay

Diskursraum könnte eine Verflechtung von within the Berlin Theatertreffen. This space Perspektiven und Positionen der Theaterma- for discourse may achieve an interconnection cher*innen, des Publikums und der Macher*in- between perspectives and positions of the­atre nen des Theatertreffens selbst ermöglichen. makers, audience and the makers of the Die bereits aufgeworfenen Fragen der Kriti- Thea­tertreffen. This would allow the issues ker*innen und Aktivist*innen, die den hegemo- raised by critics and activists – outlined above nialen (eurozentristischen) Kunstdiskurs in and reviewing a hegemonic (Eurocentristic) Bezug auf (post)koloniale Ästhetik, Sprache und art discourse with reference to its (post)coloni­ Macht hinterfragen, würden somit nachhallen. alist aesthetics, language and power – to res­ Und wie das James-Baldwin-Zitat am Anfang onate. And, as suggested by the James Baldwin- schon andeutet, kann nichts verändert werden, quote cited above, nothing can be changed wenn es nicht zumindest konfrontiert wird. unless it is at least confronted.

„HERRSCHAFTS- KRIEGE / WERDEN MEISTENS VON WEISSEN MANNERN / BEGONNEN / WAHRE BEFREI- UNGSKAMPFE / WERDEN VOR ALLEM VON SCHWA R ZEN FRAUEN / GEWONNEN / “May Ayim 96 In eigener Sache – oder why representation From a personal point of view – or: Why matters! representation matters! Wenn ich (auch) über meine eigene Verwoben- Thinking about my own interweaving with the heit mit dem Theatertreffen nachdenke, komme Theatertreffen (too) has led to an unavoidable ich nicht umhin, die unterschiedlichen Posi­­ reflection of the various positions and per­ tionen und Perspektiven, die ich inzwischen spectives that I have adopted in this “relation- in diesem „Verhältnis“ eingenommen habe, ship” so far. I was (and am) a spectator of the zu reflektieren. Ich war (und bin) Besucherin des Theatertreffen, I was (and am) one of the critics Theatertreffens, ich war (und bin) eine der and activists, I have given a lecture, I was Kritiker*innen und Aktivist*innen, ich habe einen a jury member for the Stückemarkt’s commis- Vortrag gehalten, ich war Jurorin beim Werk­ sion of work and now I have been invited auftrag des Stückemarkts und jetzt bin ich ein- to write a text. geladen, einen Text zu verfassen. My own perspective of the Theatertreffen Auch meine Perspektive auf das Theater- and its structures has also undergone changes, treffen und seine Strukturen hat sich verändert, despite my still critical approach towards trotz meiner nach wie vor kritischen Haltung a predominantly white institution. An approach, zu einer mehrheitlich weißen Institution. Diese incidentally, that I also apply to my daily work „ Haltung habe ich übrigens auch zu meiner all- at a German university. HERRSCHAFTS- täglichen Arbeit an einer deutschen Universität. But I take seriously the endeavour of those Doch ich nehme das Vorhaben der who create and answer for the Theater­treffen Macher*innen und Verantwortlichen des Thea- to initiate changes in the festival’s structure KRIEGE / WERDEN tertreffens, durch verschiedene Instrumentarien through the application of various tools. Giving Veränderungen an den Strukturen des Theater- the benefit of the doubt to the hope that treffens selbst hervorzurufen, ernst. Es erscheint changes in Germany and in German theatre can MEISTENS VON mir auch der einzige Weg zu sein, erstmal an be brought about by a literal shifting of per­- Veränderungen in Deutschland und im deutschen s­pectives seems the only way – and so is defend- Theater durch das Verschieben von Perspek­ ing them as a woman of color as well as one WEISSEN MANNERN / tiven im wahrsten Sinne des Wortes zu glauben of the few German theatre scholars of color. – und dafür als Frau of Color, sowie als eine Because I see many – younger and older – der wenigen deutschen Theaterwissenschaft­ German artists of color who are still affected BEGONNEN / ler*innen of Color, dann auch einzustehen. by exclusion from institutions of education Denn ich sehe viele – sowohl junge als auch and from German theatres, and who still have ältere – deutsche Künstler*innen of Color, to fight these institutions in isolation. WAHRE BEFREI- die immer noch von Ausschlüssen an den Aus­ My task (and our common task, too) is to bildungsorten und an den deutschen Theatern open doors – to kick them down, if necessary betroffen sind und immer wieder isoliert gegen – and then to hold them open, so that my UNGSKAMPFE / diese Institutionen ankämpfen müssen. sisters and brothers and the following genera­ Meine (aber auch unsere gemeinsame) tions can use their artistic (and political) posi- Aufgabe ist es, die Türen aufzumachen – zur Not tions to bring long-lasting, sustainable changes WERDEN VOR einzutreten – und dann offen zu halten, so to these institutions. dass meine Schwestern und Brüder und die nach uns folgenden Generationen diese mit ihren ALLEM VON künstlerischen­­­ (und politischen) Perspektiven Azadeh Sharifi SCHWA R ZEN und Positionen nachhaltig verändern können. FRAUEN / GEWONNEN / “May Ayim 97 98 Haus der Berliner Festspiele, Bühne 15. Mai 2018

Solar: A Meltdown Ho Rui An (Singapur)

Ein Besuch im Amsterdamer Tropenmuseum: Ho Rui An schlendert durch das Museum und trifft auf die Wachsfigur des Anthropologen Charles Le Roux. Verdächtig: Der Rücken der Figur ist schweißgebadet! Das ist der Schlüsselmoment für Ho Rui Ans ironische und kluge Lecture Perfor- mance, die das Motiv des von der Sonne geplagten Kolonialisten in der Kunst- und Filmgeschichte des Westens bis in die heutige Gegenwart verfolgt. Dienstag, 15. Mai 2018 um 17:30 Uhr Schweißgebadete Männer oben ohne im Dschun- gel, die makellose weiße Frau, die niemals feu­chte in englischer Sprache mit deutschen Übertiteln Achseln hat, und ein manueller Ventilator, betrie- ben durch einen Bediensteten. Wer kommt wann Dauer 1 Stunde ins Schwitzen – und warum? Zugleich fragt die Haus der Berliner Festspiele, Bühne Performance am Beispiel riesiger klimatisierter 5 Euro Shopping Malls für Tourist*innen nach den ökolo- gischen Folgen des Kolonialismus. Konzept, Regie, Performance Ho Rui An Dramaturgie Tang Fu Kuen Technisches Design ARTFACTORY Produktionsleitung Yap Seok Hui, A visit to the Amsterdam Tropenmuseum: ARTFACTORY Technische Leitung Stev.e Kwek, Strolling through the museum, Ho Rui An comes ARTFACTORY across the wax figure of anthropologist Charles Foto: Hideto Maezawa Von und mit Ho Rui An Le Roux. But something is fishy: The figure’s back is bathed in sweat! This is the key moment for Ho Rui An’s ironic and intelligent lecture per­for­ mance, tracing the motif of the sun-plagued UNLEARNING History colo­nialist throughout Western history of art and The Other Story – Gespräch film up to our present day. Sweaty, shirtless 15. Mai 2018, 19:30 Uhr Siehe S. 127 males in the jungle, the perfect white woman who never suffers from damp armpits, and a manual UNLEARNING History fan, operated by a native servant. Who breaks

siehe TT Kontext Gegen Geschichte – Gespräch a sweat – and why? At the same time, the per­for­ 15. Mai 2018, 20:30 Uhr Siehe S. 127 mance uses the construction of gigantic air- con­­ditioned shopping malls for tourists in Singapore to examine the ecological consequences of colonialism.

99 SHIFTING PERSPECTIVES

100 Haus der Berliner Festspiele, Probebühne 15. Mai 2018

SurFace Nofar Sela (Tel Aviv)

Wenn man nicht weiß, woher man kommt, woher weiß man dann, wohin man gehen muss? Wann haben wir uns das letzte Mal in stiller Zwiesprache mit unserer Heimat ausgetauscht? In einer erfri- schenden, experimentellen Performance eignet sich die israelische Künstlerin Nofar Sela gemein- sam mit dem Publikum ihr Land neu an. Sie setzt ihren Körper symbolisch für Israel und lädt Dienstag, 15. Mai 2018 um 17:30 Uhr die Zuschauenden dazu ein, diese Landkarte mit ihren Körpern und Herzen neu zu füllen. In inti- in English mer Atmosphäre beginnt sie, mit Kohle auf einem

Dauer 1 Stunde übergroßen Papier eine neue Karte zu zeichnen: Liebst du mich? Würdest du mich auch dann noch Haus der Berliner Festspiele, Probebühne lieben, wenn ich etwas Verbotenes tun würde? 10 Euro Eine Gruppentherapie mit dem Beziehungsstatus:

Konzept und Performance Nofar Sela It’s complicated. Künstlerische Beratung Nitzan Cohen, Li Lorian Lichtdesign Rotem Elroy If you don’t know where you come from, how do you know where to go? When was the last time Von und mit Nofar Sela you engaged in a quiet dialogue with your home? In an invigorating experimental performance, Foto: Haim Yafim Israeli artist Nofar Sela takes the audience on a quest to re-appropriate her country. She pos- UNLEARNING History its her body to symbolise Israel and invites her Gegen Geschichte — Gespräch spectators to refill this map with their bodies and 15. Mai 2018, 20:30 Uhr Siehe S. 127 hearts. In an atmosphere of intimacy and in dia-

siehe TT Kontext logue with the audience, she begins to draw a new map with coal onto an oversized sheet of paper: Do you love me? Would you still love me, if I did something forbidden? A group therapy with the relationship status “It’s complicated”.

Ursprünglich produziert als Teil von Pandora Collective.

101 SHIFTING PERSPECTIVES

102 Haus der Berliner Festspiele, Seitenbühne 15. Mai 2018

Preto companhia brasileira de teatro (Curitiba)

„Vergiss nie, wer und was du bist und warum!“ So lautet ein zentraler Satz in „Preto (Schwarz)“. Die companhia brasileira de teatro untersucht das Entstehen diskriminierender Verhaltensweisen in zeitgenössischen Gesellschaften und künst- lerischen Ästhetiken und verbindet dabei den Blick aus Brasilien mit einer globalen Perspektive. Achille Mbembes Schrift „Kritik der schwarzen Vernunft“ dient als Ausgangspunkt für ihre Auseinandersetzung mit den Folgen des Kolonia- lismus. Die Kompanie arbeitet im Kontext aktu- eller Proteste in den Straßen Brasiliens, um poli- tische Aufklärungsarbeit zu leisten. Mit großer Dienstag, 15. Mai 2018 um 18:45 Uhr Lust rezipiert und zerstört „Preto“ Stereotype und wirft ein scharfes Licht auf die festgefahrenen in portugiesischer Sprache mit Bilder in unseren Köpfen. Dreh- und Angelpunkt: deutschen Übertiteln die Selbstbefragung der Protagonist*innen auf Dauer 1 Stunde 30 Minuten der Bühne.

Haus der Berliner Festspiele, Seitenbühne “Never forget who and what you are and why!” 10 Euro is a pivotal sentence in “Preto (Black)”. companhia Regie Marcio Abreu Szenografie Marcelo Alvarenga brasileira de teatro examines the emergence of Kostüme Ticiana Passos Lichtdesign und Regie­ discriminatory behaviour in contemporary socie- assistenz Nadja Naira Soundtrack und Soundeffekte ties and creative aesthetics, combining the Felipe Storino Produktionsregie José Maria Bewe- gungsleitung Marcia Rubin Video Bruna Lessa, Brazilian point of view with a global perspective. Batman Zavarese Dramaturgie Marcio Abreu, Achille Mbembes work “Critique of Black Reason” Nadja Naira, Grace Passô Int. Management Plan B serves as a point of departure for an examination of the consequences of colonialism. The company Foto: Tiago Lima Von und mit Rafael Lucas Bacelar, Cássia Damasceno, Nadja Naira, Grace Passô, Felipe Soares, Renata operates within the context of current protests Sorrah Musik Felipe Storino in the streets of Brazil and aims to provide polit- ical educational work. With great zest, “Preto” adopts and destroys stereotypes, casting a harsh light on the images embedded in our heads. UNLEARNING History The performance’s pivotal element is a critical self- The Other Story — Gespräch inter­rogation by the protagonists on stage. 15. Mai 2018, 19:30 Uhr Siehe S. 127 Eine Produktion von companhia brasileira de teatro. In UNLEARNING History Koproduktion mit HELLERAU – European Center for the Arts Gegen Geschichte — Gespräch Dresden, Künstlerhaus Mousonturm Frankfurt am Main, Théâtre siehe TT Kontext 15. Mai 2018, 20:30 Uhr de Choisy-le-Roi Scène conventionnée pour la diversité Siehe S. 127 linguistique und Sesc São Paulo. Mit Unterstützung von Petrobras.

103 SHIFTING PERSPECTIVES

104 Haus der Berliner Festspiele, Bühne 15. Mai 2018

Chombotrope The Jitta Collective (Nairobi / Köln)

Mit einem surrealen Fashion-Konzert unternimmt das afrikanisch-europäische Kollektiv den Ver- such, das Erbe der kulturellen Aneignung neu zu denken. In einem spielerisch-subversiven Perspek­ tivwechsel verknüpft „Chombotrope“ Elemente des Voguing und des zeitgenössischen Tanzes mit Beatboxing, Rap, Drums und Turntables. Dabei entsteht ein Mix futuristischer Identitäten mit einer ungewöhnlichen tänzerischen Sprache, die mit- reißt und fesselt. Mit einer zugespitzten Praxis der Selbstermächtigung erzeugt das Kolle­ktiv ein Dienstag, 15. Mai 2018 um 20:30 Uhr Wurmloch zwischen zwei Kontinenten: Tra­dition und kulturelles Diebesgut werden verknüpft, in English verdreht und gebündelt und lassen neue Narrative

Dauer 1 Stunde entstehen. In faszinierender Weise werden Ani- mismus mit Science-Fiction und das Spirituelle Haus der Berliner Festspiele, Bühne mit Technologie verwoben. 10 Euro

Projektinitiation und Idee Kefa Oiro, Stephanie Through a surreal, raucous fashion concert that Thiersch Konzept The Jitta Collective blinds and purifies us, the African-European col- lective attempts to rethink the heritage of cultural Von und mit Regie, Choreografie, Text Stephanie appropriation. In a playfully subversive change Thiersch Tanz, Choreografie, Konzept Kefa Oiro Tanz, Performance, Choreografie Alexandra Naudet of perspective, “Chombotrope” connects elements Voguing, Gesang, Choreografie Marie Zoe (alias of voguing and contemporary dance with beat- Marie Buchholz) Voguing Georgina Philps Kunst- boxing, rap, drums and turntables. This creates objekte, Fashion-Design, Poesie Xenson (alias a mix of futurist identities with an unusual, stirring Foto: Martin Rottenkolber Ssamson Ssenkaaba) Musikalische Komposition, Turntables DJ Elephant Power (alias Nicolas and captivating dance vocabulary. With a pointed Baudoux) Musikalische Komposition, Schlagzeug, and personal practise of self-empowerment, Beatboxing/Gesang Dodo NKishi Musikalische the collective produces a wormhole between two Komposition, Schlagzeug N’deye Seck Dramaturgie/ continents: Tradition and cultural loot are com- Wissenschaftlicher Support, Mode und Ästhetik Alexandra Karentzos bined, twisted and focussed, allowing for new nar- ratives to emerge. Menacingly and with a confus- Das Gastspiel wird gefördert durch den ing lack of identifiable origins, the performance Internationalen Koproduktionsfonds des Goethe-Instituts. interweaves animism with science-fiction and the spiritual with technology.

Eine Produktion von MOUVOIR e.V. Germany und Tuchangamke Group, Kenia. In Koproduktion mit der Akademie der Künste UNLEARNING History der Welt / Köln im Rahmen der PLURIVERSALE VII, tanzhaus Leben in einer dekolonisierten Welt nrw, Nairobi Festival of Performance and Media Arts – NFPMA – Keynote und Goethe Institut – Internationaler Koproduktionsfonds. 15. Mai 2018, 18:30 Uhr Kooperationspartner: freihandelszone – ensemblenetzwerk siehe TT Kontext Siehe S. 127 köln, GoDownArtsCenter, Nairobi.

105 SHIFTING PERSPECTIVES

106 tak Theater Aufbau Kreuzberg 15. Mai 2018

Jogging – Theatre in Progress Hanane Hajj Ali (Beirut)

Medea steht vor uns. Oder doch nicht? Hanane Hajj Alis Bühnenfigur arbeitet sich kraftvoll an Träumen, Hoffnungen und Enttäuschungen in der widersprüchlichen libanesischen Gesell- schaft ab. Sie erzählt, dass sie trainiere, um Depression und Fettleibigkeit zu vermeiden, wäh- rend sie auf der Bühne vielseitig lesbare Sport- übungen absolviert. Die Hormone Dopamin und Adrenalin, die dabei stimuliert werden, spie­geln in ihrer Wirkung, was sie täglich in Beirut erlebt: sie zerstören, um aufzubauen und bauen auf, um Dienstag, 15. Mai 2018 um 21:30 Uhr zu zerstören. In einem Spiel mit Identitäten sowie mythologischen und realen Ebenen verkörpert in arabischer Sprache mit deutschen Hanane Hajj Ali verschiedene Aspekte der Figur und englischen Übertiteln Medea und reflektiert ihre Rollen als Frau, Ehe- Dauer 1 Stunde 20 Minuten frau und Mutter: ein Ensemble an darstellerischen Brüchen, die sie virtuos beherrscht. tak Theater Aufbau Kreuzberg 10 Euro Medea stands before us. Or does she? Hanane Konzept, Text und Performance Hanane Hajj Ali Hajj Ali’s stage character addresses the dreams, Künstlerische Leitung und Austattung Eric Deniaud hopes and disappointments of Lebanon’s con­ Licht Sarmad Louis Technische Leitung James Chehab tradictory society. She tells us about working out Koordination Marielise Aad Buchdesign Danielle Kattar Dramaturgie Abdullah al Kafri to avoid depression and obesity while execut­- Foto: Marwan Tahtah ­ing exercises on stage that allow for a wide range Von und mit Hanane Hajj Ali of interpretations. The effects of the stimulated hormones dopamine and adrenaline reflect what she witnesses in Beirut every day: They destroy to reconstruct and reconstruct to destroy. Playing UNLEARNING Patriarchat with identities as well as mythological and real Everyday Sexism – Keynote dimensions, Hanane Hajj Ali embodies various 6. Mai 2018, 15:00 Uhr Siehe S. 120 as­pects of the character of Medea, reflecting her own roles as a woman, wife and mother: an UNLEARNING Patriarchat ensemble of performative disruptions, mastered Männlichkeit in der Krise? – Gespräch siehe TT Kontext 6. Mai 2018, 15:30 Uhr by the artist with great virtuosity. Siehe S. 121 Koproduktion mit AFAC – The Arab Fund for Arts and Culture.

107 SHIFTING PERSPECTIVES Haus der Berliner Festspiele, Unterbühne Dienstag, 15. Mai 2018

108 Haus der Berliner Festspiele, Unterbühne 15. Mai 2018

PINK MON€Y Annalyzer / Djana Covic / Nico de Rooij / Kieron Jina / Mbali Mdluli / Antje Schupp (Johannesburg / Basel)

PINK MON€Y ist Performance, Party, Protest. Pink Money ist die Währung der LGBTI-Com­ munity, die Kaufkraft der Toleranz und des damit verbundenen Tourismus – zum Beispiel nach Kapstadt als einem Mekka der queeren Commu- nity. Aber wer bekommt Pink Money und zu welchem Preis? Wie viel Freiheit kannst du dir leisten? Gegen Labels und pro Toleranz zelebriert das Künstler*innenkollektiv Verschiedenheit und stellt sich gegen Schwarz-Weiß-Denken, Dis- kriminierung und Gewalt. Das Nachtleben wird in der energiegeladenen Performance zum Gegen­- modell des konventionellen Alltags erklärt. Immer im Blick: die weit verzweigten Konsequenzen von Race, Class und Gender. Denn dem Geschäft Dienstag, 15. Mai 2018 um 22:00 Uhr mit Pink Money liegt ein globales Phänomen der Gewalt gegenüber Menschen zugrunde, die in English anders lieben und leben.

Dauer 1 Stunde 20 Minuten PINK MON€Y is performance, party, protest. Haus der Berliner Festspiele, Unterbühne Pink Money is the currency of the LGBTI commu- 10 Euro nity, the spending capacity of tolerance and the tourism that goes with it – to Cape Town, for Idee Antje Schupp Szenografie und Bilddramaturgie Djana Covic, Nico de Rooij Kostüme Marie Fricout, instance, a Mecca of the queer community. Sithembiso Mngadi Produktionsleitung Bernhard la But who gets Pink Money, and at what price? How Dous, Thabiso Pule Outside Eye Johanna-Yasirra Kluhs much freedom can you afford? Fighting against labels and for tolerance, the artists’ collective cel-

Foto: Suzy Bernstein Von und mit Annalyzer, Djana Covic, Nico de Rooij, Kieron Jina, Mbali Mdluli, Antje Schupp Visuals & DJ ebrates diversity and stands against black-and- Mbali Mdluli aka Miz Buttons ChoreografieKieron Jina white thinking, discrimination and violence. The Performing Vocalist Anelisa Stuurman aka Annalyzer ener­getic performance declares the nightlife

Das Gastspiel wird unterstützt durch to be the counter-model of conventional everyday Pro Helvetia, Schweizer Kulturstiftung. existence. Keeping its eye on the ramified con­ sequences of race, class and gender. Because the business of Pink Money is based on a global phenomenon of violence against people who live UNLEARNING History and love differently from all the rest. Leben in einer dekolonisierten Welt — Keynote Eine born2perform-Produktion in Koproduktion mit Kaserne 15. Mai 2018, 18:30 Uhr Basel, PATHOS München und Netzwerk Freier Theater (NFT). siehe TT Kontext Siehe S. 127 In Zusammenarbeit mit Soweto Dance Project, City of Johannesburg, University of Johannesburg Arts & Culture und Studio SIDF.

109 SHIFTING PERSPECTIVES

110 Haus der Berliner Festspiele, Oberes Foyer 15. Mai 2018

FutureLeaks-Café: You are not alone! Mondiale (Berlin)

Dienstag, 15. Mai 2018 um 16:30 Uhr Die Zukunft lädt zu einem Drink ein! Inmitten des (geöffnet bis 20:00 Uhr) Theatertreffens ist das FutureLeaks-Café Insel der Ruhe für Visionär*innen, Transitzone zwischen in deutscher, englischer und arabischer Sprache heute und morgen, Inspiration für eine bessere,

Haus der Berliner Festspiele, Oberes Foyer weniger einsame Welt. Mit der Aktionskünst­lerin Eintritt frei Anna de Carlo eröffnen die FutureLeaks-Agent*­ innen­ einen utopischen Ort, an dem positive Regie und Künstlerische Leitung Anna de Carlo Nach­richten aus der Zukunft unsere Gegenwart Assistenz der Künstlerischen Leitung Johanna Hühn Produktionsleitung Katharina Fenderl Bühnenbild fluten und ein gerechteres Morgen gestaltet wird. Iftach Shapira Visual Design Magdalena Kovarik Sound Effects Sandro Schapals The future wants to buy us a drink! In the eye of the Theatertreffen’s storm, the FutureLeaks-Café Von und mit Leonie Ahmer, Ahmad Akidi,

Foto: FutureLeaks Mousa Alkam, Radwan Alsulaiman, Naim Alwattar, will be an island of calm for visionaries, a transit Ahmad Ebrahim, Saddam Gill, Hadi Mohammed, zone between today and tomorrow, an inspiration Judith Rücker, Charlotte Sieglin, Bri Schröder for a better, less lonely world. Together with action artist Anna de Carlo, the FutureLeaks agents will establish a utopian place where positive news from the future will flood our present times and a fairer tomorrow will be designed.

Ein Mondiale-Projekt zwischen Bewohner*innen des AWO Refugiums am Kaiserdamm und den Berliner Festspielen, in Kooperation mit der Universität der Künste Berlin.

111 112 TTTT Kontext findetKontext in Kooperation mit der Bundeszentrale für politische Bildung / bpb statt. / TT Kontext is organised in cooperation with the Federal Agency for Civic Education / bpb.

Wer könnten „wir“ sein und warum sind wir es (noch) nicht? Das Diskurs-Programm des Theatertreffens. Von der Bühne in die Welt: künstlerische Hintergründe, wahre Lügen und jede Menge rauchende Köpfe. Dieses Jahr: Unlearning. Meint eher „umlernen“ als „verlernen“, will Realität(en) mal beiseitelassen und Gesehenes neu sehen, will Bekanntes infrage stellen und jeder Antwort misstrauen, ist mehr Frage- als Ausrufezeichen, eher Haltung als Überzeugung. Eine Umverteilung von Wissen, eine Einladung, sich selbst zu verlieren – am besten gemeinsam. / Who could “we” be and why haven’t we managed it yet? The Theatertreffen’s discourse programme. From the stage into the world: artistic backgrounds, true lies and plenty of fiery debates. This year: Unlearning – more in the sense of “relearning” than in the sense of “forgetting how to”. It sets realities aside, re-sees what has already been seen, challenges the familiar and mistrusts all answers. It’s more of a question mark than an exclamation point, more of an attitude than a conviction. A redis­ tribution of knowledge, an invitation to lose oneself – prefer­ably together. T T KONTEXT – Essay

DAS CHAOS DER SELBSTREVOLTE / THE MESS OF SELF-REVOLTING Sivan Ben Yishai

„Lieber Necati, danke für deine E-Mail, und ja, ich schreibe gerne etwas über „Unlearning“ für das Theatertreffen-Magazin, das klingt sehr interessant. Würdest du mir vielleicht ein paar Beispielartikel aus den letzten Jahren schicken, damit ich den Kontext verstehe? Danke dir, ich freu mich sehr! Sivan“ Die Absurdi- tät meiner Nachricht wird mir klar, unmittelbar nachdem sie getippt ist. Ich bin eingeladen, über das Thema „Unlearn- ­ ing“ nachzudenken und mein erster Impuls ist es, den Dress-Code zu che- cken?! Diese Angst, nackt auf einem gut angezogenen Event aufzutauchen. Und beim Theatertreffen geht es nicht nur um “Dear Necati, thank you for the invi- die Anzüge und die Krawatten – es ist tation to write about “Unlearning” for der rote, tiefrote Teppich des deutschen Theatertreffen’s magazine, and yes, Theaters, das „international bedeu- it sounds very interesting and I will tendste Branchenfestival“ mit den „zehn be happy to do it. Would you maybe like bemerkenswertesten Inszenierungen der to send me some examples of essays Saison, die alljährlich von einer unab- from last years, so I’d get the context? hängigen Kritiker*innenjury ausgewählt Honored! Sivan” werden“. Nicht unbedingt der Ort, an I realise the absurdity of my message dem eine ihre weniger bemerkenswerte right after typing it. I am being invited Cellulitis und ihre nackte Haut zur to meditate on the topic of “Unlearning” Schau stellen will. and my first response is to check on

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Auf die Worte meiner nicht gesendeten the dress code?! This fear of appearing Nachricht schauend, ­registriere ich naked in a well-dressed event. And den leisen Unterstrom jener Angst der in Theatertreffen it’s not only about the Immigrantin, unwissentlich „falsch dresses and the ties – this is the red, gestimmt“ zu sein oder „aus dem Rahmen red carpet of the German theatre, “the zu fallen“. Sie ist auch immer Teil des internationally most renowned industry Ganzen. Es ist erst vier Jahre her, dass festival ... (during which) ten most remark­ ich die Wegbeschreibung zu einer Veran- able productions of the season are staltung bekommen und gegoogelt habe, selected annually by an independent jury”. was das Wort „REWE“ bedeutet. Es Not the first place where one wants ist erst drei Jahre her, dass ich das Wort her unremarkable cellulite and bare skin „Theatertreffen“ auf genau die gleiche too exposed. Weise gegoogelt habe. Looking at the words of my unsent mes- Mit dem Verlassen des Mittleren sage, I note the silent underwater of Ostens, wo sich mein Wissen entwickelt the immigrant’s fear to be unknowingly hat – veränderte der gesamte Komplex “out of tune” or “out of context”. It is Sivan Ben Yishai, meiner Gewohnheiten und Erfahrungen always part of the picture, too. Just four geboren 1978 in Tel seinen „Wert“ und korreliert oft nicht years ago, I got arrival instructions Aviv, ist Autorin und Regisseurin und mehr mit dem der lokalen, „typischen“. to an event, and googled what the word lebt seit 2012 in Was das neu gewonnene Wissen angeht: “REWE” means. Just three years ago, Berlin. Der Unterschied zwischen „REWE“ und I googled the word “Theatertreffen” Sivan Ben Yishai, „Theatertreffen“ ist vielleicht inzwi- in the exact same way. born 1978 in Tel schen klar, der zwischen „UMfahren“ und By leaving the Middle East, where Aviv, is an author „umFAHren“ noch nicht wirklich. Die my knowledge has evolved – the entire and director and lives in Berlin lokalen Berühmtheiten kommen mir complex of my practises and expe­ since 2012. immer noch alle gleich vor. Die Sprache riences changed its “value” and often hört nicht auf zu zwicken. Die Identi- doesn’t correlate with the local “typical” tät des Publikums bleibt ein Rätsel: Wer one. As for acquired knowledge: The seid Ihr? difference between “REWE” and “Thea­ Ich merke, dass ich durch mein tertreffen” is maybe already clear, but Außenseitersein in der deutschen Gesell­ between “UMfahren” and “umFAHren” schaft genauso wie in der Theaterszene not yet. All the local celebrities still seem zwangsläufig in der Position einer the same to me. The language keeps „Unlearnerin“ bin. Und eine „Unlearnerin“, on twitching. The identity of the audience die im Rahmen eines Branchenfestivals remains a mystery: Who are you? über „Unlearning“ spricht, ist nicht I am realising that by being an out- not­wendigerweise auf der sicheren Seite. sider in German society as well as in Sie ist ein nackter Körper in einer gut the local theatre scene, I am forcibly angezogenen Umgebung. already in the position of an “Unlearner”. Ich klicke auf „Versenden“. And an “Unlearner” that speaks about Die Nachricht wird verschickt, wie sie ist. “Unlearning” in the frame of an “Industry Festival” is not necessarily a safe posi- „Affirmative Sabotage“, sagt Gayatri tion. It is a naked body in well-dressed Chakravorty Spivak zu „Unlearning“. surroundings. Die Trennung von dem Ort, an dem I click the “send” button. ich mein ganzes Wissen gesammelt The message was sent as it is. habe, hat eine Veränderung der Umge­ bung hervorgerufen, die zu überra- “Affirmative sabotage”, says Gayatri schenden Zusammenstößen mit diesem Chakravorty Spivak about “unlearning”. entlernt-sabotierten Ich geführt hat. The separation from the place Faktoren wie meine Position in der in which I gained all my knowledge, has Gesellschaft, mein Set von Privilegien created a change of environment,

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oder das schlichte Gefühl von Redefluss werden which led to surprising encounters with this immer noch täglich entblößt. unlearned-sabotaged me. „Sivan, ich muss dich was fragen“, sagte eine Factors such as my position in society, my set Kollegin vor weniger als einem Jahr. „Ich finde, of privileges and the simple feeling of fluency – die meisten Israelis lesen nicht wirklich, denen are still getting stripped away daily. fehlt so viel grundlegendes Wissen … Wie “Sivan, I must ask you something”, said a col- kommt‘s, dass du so kritisch geworden bist?“ league less than a year ago. “I find most Israelis Nicht ihren Wissensbestand zu haben macht are not really reading, and are lacking so much mich weniger kultiviert. Würde das jemand basic knowledge ... How come you became zuge­ben? Selbst in den liberalsten Kreisen – so critical?!” Not having her knowledge makes wird die*der Umgesiedelte*r oft insgeheim als me less cultivated. Will anyone admit? Even ignorant angesehen. Als unbeholfen, als faul. in the most liberal circles – the relocator is often Als Schlamassel. Und Umsiedlung ist, in diesem secretly regarded as ignorant. As clumsy, as Fall, eine Metapher. Für Überdenken, für Trans- lazy. As a mess. And relocation is, in this case, formieren, für Verlernen. Ob jemand seinen a metaphor. For rethinking, for transforming, Ort wechselt – seine Perspektive – seinen Kör- for unlearning. Whether one changes their loca­ per – oder sein bevorzugtes Pronomen. tion – their perspective – their body – or their prefered pronoun. Die Versuchung, jetzt zu „betrügen“, mit Wissen „anzugeben“. Zu lehren. The temptation to “cheat” now, to “show off” Wäre dies ein Text mit pädagogischen Absich- some knowledge. To teach. ten, käme jetzt der Moment, ein Zitat fallen If this was a text with pedagogical aspirations, zu lassen. the moment to drop a quote has arrived. Mir war vorher nie bewusst, dass im Englischen I never noticed before that in English the words die Wörter „cheat“ und „teach“ so nah beieinan- “cheat” and “teach” are so close to each other. der liegen. Under “essay” in Wikipedia I find: “... Formal Unter dem Schlagwort „Essay” bei Wiki­ essays are characterized by ‘serious purpose, pedia finde ich: „… Formelle Essays zeichnen logical organization’. The informal essay is char- sich durch ‚ernsthafte Absicht, logischen acterized by ‘self-revelation, individual expe­

Aufbau‘, informelle Essays durch ‚Selbstoffen­ riences, confidential manner’ ”. barung, individuelle Erfahrungen und Pedagogic, serious, quotes, formal. Frag- Geständnischarakter‘ aus”. mentary, intuitive, nude, informal. Pädagogisch, ernsthaft, zitierend, formell. Masculine. Feminine. Fragmentarisch, intuitiv, nackt, informell. Teaching. Unlearning. Männlich. Weiblich. Lehren. Ent-lernen. “It is not possible to unlearn one’s privilege, priv­ ilege is historically given. Therefore, rather „Es ist nicht möglich, seine Privilegien zu ver- than focus on myself – and unlearn and unlearn lernen, Privilegien sind historisch gegeben. Des­- and unlearn – I should use my privilege against halb sollte ich, statt auf mich selbst zu fokus­ the grain: One must unlearn one’s privilege sieren – und zu verlernen und zu verlernen und as a loss”. (Gayatri Chakravorty Spivak) zu verlernen – meine Privilegien gegen den When a subsidized historically privileged Strich anwenden: Man muss seine Privilegien system adopts a radical idea as a discussion- verlernen, als Verlust.” (Gayatri Chakravorty topic, the result is a group of commissioned art- Spivak) ists/thinkers that are teaching the system how Wenn ein subventioniertes, historisch pri­ to unlearn itself and its own privilege. vilegiertes System eine radikale Idee als Diskus- Fair enough. sions-Gegenstand übernimmt, ist das Resultat But I wonder whether the system is ready for eine Gruppe beauftragter Künstler*innen/ some mess? Denker*innen, die das System lehren, wie es sich Is the system ready for a loss? selbst und seine eigenen Privilegien verlernt. I can’t help but wondering:

116 T T KONTEXT – Essay ABER ICH FRAGE MICH, OB DAS SYSTEM BEREIT IST FUR EIN BISSCHEN CHAOS.

Na schön. while we’re here, discussing Unlearning as part Aber ich frage mich, ob das System bereit ist für of a prestigious festival for state theatre’s ein bisschen Chaos. products, are we actually what someone, some- Ist das System bereit für einen Verlust? where else is trying to unlearn? Ich komme nicht umhin, mich zu fragen: Während wir hier sitzen und „Unlearning“ als “Damned if I do, if I don’t / Teil eines angesehenen Festivals für Staats­ Goddamn us all if you won’t / theater-Produktionen diskutieren, sind wir Damn, damn, damn, it’s a goddamn shame / nicht eigentlich schon das, was irgendjemand, You ain’t frontline, get out the goddamn way /” irgendwo versucht zu ver-lernen? (Kendrick Lamar)

“Damned if I do, if I don‘t / I sometimes daydream about my future in Goddamn us all if you won‘t / Germany. In my dream, my old self is lying alone, Damn, damn, damn, it‘s a goddamn shame / in a German nursing hospital. Narrow bed You ain‘t frontline, get out the goddamn way /” on wheels, unable to move. (Kendrick Lamar) Yona Wallach – an Israeli poet – has written in her last diaries how the nurse in the hospice Manchmal tagträume ich meine Zukunft in Tel Aviv where she finished her life used to in Deutschland. In meinem Traum liegt mein caress her face, every night, until she fell asleep. gealtertes Selbst allein in einem deutschen In my daydreams I am calling the nurse, Pflegeheim. Schmales Bett auf Rädern, unfähig, trying to explain to him (Unlearning gender roles) mich zu bewegen. something technical about my needs, but the Yona Wallach – eine israelische Dichterin grammar in my sentences gets more and more – schrieb in ihrem letzten Tagebuch, wie die confused, and at some point he just cuts me: Pflegerin in dem Hospiz in Tel Aviv, in dem sie “Ja, ja, alles okay” and leaves the room. I can see ihr Leben beendete, jede Nacht ihr Gesicht how rejected he is by my language. The gram- streichelte, bis sie einschlief. matical mess created an impression of stupidity. In meinen Tagträumen rufe ich den Pfleger He will never caress my hair in order to help (Gender-Rollen ver-lernen), versuche ihm me sleep. irgend­­etwas über meine Bedürfnisse mitzutei­ The first learned language is a great way len, aber die Grammatik meiner Sätze ver- to examine how deep the act of learning actually wirrt sich mehr und mehr, und an einem Punkt goes. How the physical tongue moves in the oral schneidet er mir einfach das Wort ab: „Ja ja, cavity – for a lifetime – according to patterns

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alles okay“ und verlässt das Zimmer. Ich kann that were learned in one’s first years. The sehen, wie abgestoßen er von meiner Sprache remains of the mother tongue (“learning”) within ist. Der grammatische Schlamassel hat den Ein­­­­­ the trial to leave it or to distance oneself from druck von Dummheit entstehen lassen. Er it (“unlearning”) – can be seen through the fasci- wird niemals mein Haar streicheln, um mir beim nating phenomenon of accent. The private and Einschlafen zu helfen. collective accents are for me a constant rem- Die erste erlernte Sprache ist ein guter Aus- nant, a reminder for the inescapable “learnings” gangspunkt für eine Untersuchung dazu, wie of the past. tief der Akt des Erlernens tatsächlich geht. Wie The separation from my language, and the deci- die organische Zunge sich in der Mundhöhle sion to use, instead, my imperfect English bewegt – ein Leben lang – nach Mustern, die in and German – became a way to unlearn inner den ersten Jahren erlernt wurden. Die Überreste patterns as a writer and a thinker. It became der Mutterzunge („erlernen“) im Versuch, sie a way to deal with and resist cultural patterns. hinter sich zu lassen oder sich von ihr zu entfer- One can call them scars, too. nen („ent-lernen“) – können durch das faszinie- That what one knows will never leave one. rende Phänomen von Akzenten erkannt werden. But in this “knowledge” that I might have earned Die privaten und kollektiven Akzente sind für mostly because of my colour, money and access mich ein konstantes Relikt, eine Erinnerung an I can still choose where I stand. I can choose die unentrinnbaren „Lehren“ der Vergangenheit. to add a perspective to my point of view. And Die Abtrennung von meiner Sprache und die another one. And another. I can choose to Entscheidung, an ihrer Stelle mein unperfektes enter this carpet line with my nude cellulite. It is Englisch und Deutsch zu benutzen – wurden an action. And actions speak. zu einem Weg, meine inneren Muster als Schrei­ The immigrant cannot follow the “known” berin und Denkerin zu ver-lernen. Sie wurden and the “learned” even if she or he tries to. zu einem Weg, mit kulturellen Mustern umzu- The unlearning lives within their body, as a heavy, gehen, ihnen zu widerstehen. Man kann sie stuttering tongue-muscle, putting them in auch Narben nennen. a constant urge of form, of content, of confron- Was man weiß, verlässt einen nicht. tation with any system that wants everything Aber innerhalb dieses „Wissens“, das ich ver- functioning perfectly. mutlich hauptsächlich aufgrund meiner I am thinking about urge. Hautfarbe, meines Geldes und meiner Zugänge The more privileged one is, the less urge one’s erworben habe, kann ich immer noch wählen, actions have. Theatre is established on urge. The wo ich stehe. Ich kann entscheiden, mei­nem gap between the audience and the stage will Standpunkt eine Perspektive hinzuzufügen. Und start becoming dialectic and challenging for both noch eine. Und noch eine. Ich kann mich sides, when there’s no time for decorations and ent­scheiden, diesen roten Teppich mit meiner adjectives. Urge can’t be commissioned, urge entblößten Cellulitis zu betreten. Es ist eine can’t be invited. Urge, like privilege, is historically Handlung. Und Handlungen sprechen. given too. Der*die Immigrant*in kann nicht dem If one is out in the public space, feeling an itch „Wissen“ und dem „Erlernten“ folgen, selbst under the clothes – one will, most probably, wenn sie oder er es versucht. Das Ent-lernen ignore it and keep on walking. But if the itch is lebt in ihren Körpern, als ein schwerer, stottern­ a snake bite. One must unlearn as an emergency der Zungen-Muskel, der sie in eine konstante act. One removes the clothes, because one Dringlichkeit gegenüber der Form bringt, gegen­ must. One raises the voice, because one must. über dem Inhalt, gegenüber der Konfronta­- One demands attention, because one must. tion mit jedwedem System, das will, dass alles Maybe unlearning is just listening. Detecting perfekt funktioniert. the silent water flowing under every system of Ich denke über Dringlichkeit nach. knowledge? Reading the text, but pausing at the Je privilegierter jemand ist, umso weniger Dring­­ spaces between the words. Maybe unlearning lichkeit hat sein Handeln. Theater gründet sich is just slowing down the car and looking for what auf Dringlichkeit. Die Lücke zwischen Publikum has been lost on the way?

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und Bühne wird dialektisch und herausfordernd Opening the window and shouting into the für beide Seiten, wenn keine Zeit für Deko­ darkness, knowing that something must rationen und Adjektive ist. Dringlichkeit kann be waiting there, unrecognised. Maybe unlearn- nicht in Auftrag gegeben, kann nicht einge­- ing is just counting how many times a day one laden werden. Dringlichkeit ist, wie Privilegien, chooses to shout, full voice: “Who isn’t here?” historisch gegeben. Wenn sich jemand im öffentlichen Raum befindet, und es juckt unter den Kleidern – wird Sivan Ben Yishai dieser Jemand, höchstwahrscheinlich, das Jucken ignorieren und weitergehen. Aber wenn das Jucken ein Schlangenbiss ist. Dann wird Ent-lernen zu einem Notstandsgesetz. Man macht sich nackt, weil man muss. Man erhebt die Stimme, weil man muss. Man fordert Aufmerksamkeit,­­ weil man muss. Vielleicht ist Ent-lernen einfach Zuhören. Das stille Wasser aufspüren, das unter jedem Wis-­ senssystem fließt? Den Text lesen, aber im Raum zwischen den Worten innehalten. Viel­­ leicht ist Ent-lernen einfach die Fahrt zu ent- schleunigen und nach dem zu schauen, was auf dem Weg verloren gegangen ist? Das Fenster öffnen und in die Dunkelheit schreien, wissend, dass da etwas warten muss, unerkannt. Vielleicht ist Ent-lernen einfach zu zählen, wie oft am Tag jemand entscheidet zu schreien, aus vollem Halse: „Wer ist nicht hier?“ THE MORE PRIVI­ LEGED ONE IS, THE LESS URGE ONE’S ACTIONS HAVE. THEATRE IS ESTABLISHED ON URGE.

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UNLEARNING Patriarchat /Patriarchy Eintritt frei / Free admission

Was haben Catcalls mit dem Gender Pay Gap What is the connection between cat calls and the zu tun? Wie bedingen sich altgewohnte Männlich- gender pay gap? How do old, familiar images keitsbilder und struktureller Sexismus? Können of masculinity and structural sexism relate to each wir von klein auf gelernte Lebensweisen über- other? Are we even able to cast off ways of living 1haupt ablegen und sollte nicht gerade das Theater that we learned from a young age and shouldn’t als „moralische Anstalt“ Vorreiter*in in Fragen the theatre “as a moral institution” pave the way der Gleichstellungspolitik sein? UNLEARNING regarding issues of equal opportunity policies? Patriarchat fragt über die Bühne hinaus, ob wir Beyond the confines of the stage, UNLEARNING nicht alle gewinnen, wenn wir etablierte Vorstel- Patriarchy asks whether it would not benefit us lungen von Männlichkeit, starre Rollenbilder all to renegotiate established concepts of mascu- und verkrustete Systeme neu aushandeln. linity, fixed role images and crusty systems.

Everyday Sexism – Vom Alltags- Sonntag, 6. Mai 2018 sexismus zur Genderungerechtigkeit 15:00 Uhr / From Everyday Sexism to Gender in englischer Sprache mit deut- Injustice scher Übersetzung Eine Keynote von Laura Bates / A keynote speech by Laura Bates Haus der Berliner Als Gründerin des „Everyday Sexism Project“ gibt die britische Journalistin Festspiele, Bornemann Bar/ Laura Bates unzähligen Übergriffen, verbalen Entgleisungen und dem Leid Oberes Foyer vieler Frauen im Kampf um Gleichberechtigung eine Stimme. Laut, direkt und unüberhörbar schreit uns dieser Chor die Brutalität unseres Alltags ent- Mit Laura Bates (London) gegen – denn hier regiert die Macht der Gewohnheit. As the founder of the “Everyday Sexism Project”, British journalist Laura Bates gives a voice to countless abuses, verbal transgressions and the suf- fering of many women in their struggle for equal opportunities. This chorus is loud, direct and not to be ignored, confronting us with the brutality of our day-to-day lives – because so far, they are governed by the power of habit.

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Sonntag, Männlichkeit in der Krise? 6. Mai 2018 15:30 Uhr / Masculinity in Crisis? Ein Gespräch / A conversation in englischer Sprache mit Über Machtasymmetrien im Alltag wollen wir sprechen. Ohne jedoch, wie bei deutscher Übersetzung #MeToo und Fragen der Genderungerechtigkeit im Kulturbetrieb, erneut bei einer Debatte über die Debatte zu landen. Nur wer weist uns den Ausweg Haus der Berliner aus dem Dilemma veralteter Männerbilder und strukturellem Sexismus? Festspiele, Kassenhalle Ein Gespräch über Möglichkeiten, patriarchale Rollenbilder aufzubrechen. We want to talk about power asymmetries in our everyday lives. But Mit Laura Bates without ending up, as we did with #MeToo and the issue of gender injustices (London), Elahe Haschemi Yekani in the cultural sector, with a debate about the debate. But who can show (Berlin) u.a. us ways out of the dilemma of outdated images of masculinity and structural sexism? A conversation about ways of cracking patriarchal role images. Moderiert von Marga- rita Tsomou (Berlin)

Tschüss Theater-Patriarchat! Sonntag, 13. Mai 2018 / Bye-bye, Theatre Patriarchy! 10:00 Uhr Impulse, Round-Tables und Workshops von, mit und für Theater- in deutscher Sprache macher*innen in Zusammenarbeit mit der Initiative Theater.Frauen / Impulse talks, round-tables and workshops by, with and for Haus der Berliner theatre makers in cooperation with the Initiative Theater.Frauen Festspiele, Bornemann Bar/ Spätestens seit der ersten Konferenz der Theatermacherinnen in Bonn Oberes Foyer Anfang März 2018 ist klar, dass es viele Fragen gibt, die wir auf konkrete Hand­ Mit Anna Bergmann lungsoptionen abklopfen müssen: Warum gibt es nach wie vor so wenige (Karlsruhe/Berlin), Intendantinnen? Wie bekommt man als junge Regisseurin den Fuß in die Nicola Bramkamp (Bonn), Antje Prust Bühnentür? Wie können sich Frauen in Theaterberufen besser vernetzen? (Berlin), Theresa Wo sind die Leerstellen und wie sehen die nächsten Schritte aus? Schlesinger Ever since the first conference of female theatre makers in Bonn in March (Hamburg), Olivia Wenzel (Berlin), 2018, it has been evident that there are several issues that need to be exam- Franziska Werner ined with reference to concrete options for action: Why are there still so few (Berlin) sowie female artistic directors? How can you get your foot in the stage-door as zahlreichen Vertre- ter*innen u.a. a young female director? How can women in theatre professions build better von Diversity.Arts. networks? Where are the blanks, and what are the next steps? Culture – Berliner Projektbüro für Anmeldung und weitere Informationen unter [email protected] Diversitätsentwick- und berlinerfestspiele.de/theatertreffen. lung, ensemble- netzwerk, Pro Quote Bühne

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Sonntag, Genderungleichheit im Theater – 13. Mai 2018 14:30 Uhr Zahlen und Fakten in deutscher Sprache / Gender Inequality in the Theatre – Haus der Berliner Facts and Figures Festspiele, Ein kulturpolitisches Update von Cornelie Kunkat Kassenhalle / A culture-political update by Cornelie Kunkat Mit Cornelie Kunkat (Leiterin Projekt- Im Juni 2016 veröffentlichte der Deutsche Kulturrat eine Studie mit büro Frauen in dem Titel „Frauen in Kultur und Medien“, in der vor allem Fragen nach Kultur und Medien, fehlender weiblicher Repräsentanz im Kulturbetrieb zur Debatte Berlin) standen. Immer noch sind Frauen im Theater deutlich schwächer ver- treten als Männer – sowohl hinter als auch auf der Bühne. Woran liegt das? In June 2016, the Deutscher Kulturrat (German Cultural Council) published a study entitled “Frauen in Kultur und Medien (Women in Culture and the Media)”, which chiefly discussed the lack of female representation in the cultural sector. Today, women still have a much more fragile representation in the theatre than men – both onstage and behind the scenes. What are the causes?

Practise What You Preach!? Sonntag, Intendant*innen der 10er Auswahl im Gespräch über Gleichstellungsfragen 13. Mai 2018 15:00 Uhr am Theater / A conversation among the artistic directors of the theatres that produced the selection of ten on questions of equality in the theatre in deutscher Sprache

Wir wollen es wirklich wissen! Was haben die Zahlen und Fakten mit der gelebten Haus der Berliner Praxis zu tun? Gemeinsam mit den Intendant*innen der 10er Auswahl ziehen Festspiele, Kassenhalle wir Bilanz von der Bilanz und machen den Selbsttest. Wie viel Patriarchat steckt wirklich in den Theaterhäusern des deutschsprachigen Raums und was verhin­­- Moderiert von Janina dert die Beseitigung von Genderungerechtigkeiten? Benduski (Berlin), Susanne Burkhardt We really want to know! What is the relationship between the facts and figures (Berlin) and the everyday practise? Together with the artistic directors of the theatres that produced this year’s selection of ten, we will take score of the score and do a self- test. How much patriarchy goes on in the theatres of the German-language region and what are the obstacles preventing the elimination of gender injustice?

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UNLEARNING 1. Klasse / 1st class Eintritt frei / Free admission

Die kapitalistische Lebensweise des Westens sorgt The western capitalist way of life is the cause für soziale Ungerechtigkeit auf allen Ebenen. Aus- of social injustice on all levels. Following the motto gehend vom Thema des diesjährigen Stückemarkts of this year’s Stückemarkt, “Divided World”, „Geteilte Welt“ fragen wir, welche anderen Möglich- we will explore alternative options of sharing this 2keiten es gibt, sich diesen Planeten zu teilen. Und planet. And are we truly ready to cede our privi- wollen wir Privilegien wirklich abgeben? UNLEARN- lege? UNLEARNING 1st Class wants to know why ING 1. Klasse will wissen, warum Mitleid nicht pity is not enough and what price we have to ausreicht und welchen Preis es zu zahlen gilt für ein pay for a just and fair coexistence. gerechtes und faires Zusammenleben.

„Zusammen müssten sie eigentlich Freitag, 11. Mai 2018 unwiderstehlich sein.“ /“Together, they 16:30 Uhr should actually be irresistible.” in deutscher Ein Gespräch zwischen Frigga Haug und Kevin Rittberger Sprache

/ A conversation between Frigga Haug and Kevin Rittberger Haus der Berliner Was ist ein „Herrschaftsknoten“? Was bedeutet es, an mehreren Hierarchie- Festspiele, verhältnissen gleichzeitig zu rütteln? Und wann wird das Rütteln reaktionär? Kassenhalle Die Marxistin-Feministin Frigga Haug arbeitet seit über vierzig Jahren an einer Mit Frigga Haug transformatorischen Perspektive, mit der der Begriff der Arbeit vollkommen (­Esslingen/ anders betrachtet wird. La Palma), What is a “node of dominion”? What would it mean to challenge several Kevin Rittberger (Berlin) hierarchy structures at once? And when does this challenge become reaction- ary? For more than forty years, Marxist-feminist Frigga Haug has been deve­-loping a transforming perspective that views the concept of work from a completely different angle.

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Freitag, Geteilte Welt / Sharing (in) a Divided World 11. Mai 2018 Eine Keynote von Signa Köstler / A keynote speech by Signa Köstler 18:00 Uhr Wie können sich Identitätspolitiken positiv auf den Zusammenhalt und die Pluralität in German with English translation von stark individualistisch geprägten Gesellschaften auswirken? Das Performace- Kollektiv SIGNA hat keine Antwort, aber eine klare ästhetische Vorstellung von einer Haus der Berliner Ökonomie der Empathie. Festspiele, Kassenhalle How can policies of identity have a positive impact on the cohesion and plurality of highly individualistic societies? The performance collective SIGNA may not Mit Signa Köstler have an answer, but they do have a clear aesthetic idea of an economy of empathy. (SIGNA, Kopenhagen)

Solidarität = Selbstmord!? Freitag, 11. Mai 2018 /Solidarity = Suicide!? 18:30 Uhr Ein Gespräch in Zusammenarbeit mit der Initiative „Die Offene in German with Gesellschaft“ / A conversation in cooperation with the initiative English translation “Die offene Gesellschaft”

Wenn René Pollesch die Behauptung in den Raum stellt, Solidarität komme Haus der Berliner einem Selbstmord gleich, offenbart sich die Hilflosigkeit solidarischer Pra- Festspiele, Kassenhalle xen im neoliberalen Alltag. Es fehlt klar an einer Politik der Empathie. Doch was sind wir eigentlich wirklich bereit zu teilen – und was gibt es dabei Mit Mohamed Amjahid für alle zu gewinnen? Expert*innen diskutieren gemeinsam mit dem Publi- (Berlin), Signa Köstler (SIGNA, kum in einem offenen Gesprächsformat. Kopenhagen), André René Pollesch’s claim that solidarity is tantamount to suicide reveals Wilkens (Die Offene the helplessness of practises of solidarity in times of neoliberalism. We are Gesellschaft, Berlin) und obviously in need of a politics of empathy. But what are we truly ready to Autor*innen des share – and what is there to gain for all of us? Experts and audience debate Stückemarkts 2018 within an open conversation format. Moderiert von Katharina Kühn (Berlin)

Freitag, UNL€ARNING White Noise 11. Mai 2018 Eine Lecture Performance von Kevin Rittberger und Stefan Schneider 22:30 Uhr / A lecture performance by Kevin Rittberger and Stefan Schneider in deutscher Sprache Ein Einwand ist: Zu viel des weißen Rauschens. Der Rauschabdruck ist Haus der Berliner ja verheerend. Das weiße Rauschen, das alle einlullt, soll gedrosselt werden. Festspiele, Doch fühlt sich der weiße Mann dann nicht selten gleich erdrosselt. Kassenhalle Gut, dass wir wenigstens zu zweit sind: Eine einmannfreie Zone, nicht frei Mit Kevin Rittberger von Einwänden. (Berlin), The objection is: There’s too much white noise. The noise footprint Stefan Schneider (Düsseldorf) is devastating. The white noise that lulls us all must be throttled. But that can often make the white man feel throttled to extinction. Well, at least there are two of us: A oneman-free zone, not an objection-free one.

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In Zeiten politischer Spaltung und zunehmend identitärer Zuschreibungen macht sich Verun­ sicherung breit. Theater will spiegeln und blenden, aber wie geht das, ohne diese Verunsi- cherung zu reproduzieren? Der Ton wird rauer, auf den Bühnen und in den Feuilletons. Wie­- viel Moral verträgt die moralische Anstalt und welche Ästhetiken bringt sie heute hervor? Für UNLEARNING Theater ist es an der Zeit, den Kanon zu befragen und Verantwortlich­ keiten zu klären.

In times of political division and increasingly identitarian attribution, insecurities abound. The theatre wants to reflect and to blind, but how to do this without re-producing these insecuri- ties? The tone is becoming harsh, both on stage and on the arts pages. How much morality UNLEARNING can the moral institution tolerate and which aesthetics is it bringing forth? UNLEARNING Theater / Theatre Theatre thinks it is time to question the canon 3Eintritt frei / Free admission and to sort out responsibilities. Glotzt nicht so romantisch! /Stop that Romantic Staring! Ein Gespräch über Theater, Revolte und die Kunst der Verantwortung / A conversation on theatre, revolt and the art of responsibility

„Glotzt nicht so romantisch!“ – Was ist von der provokanten Parole Brechts geblieben? Der Angriff auf die Sehgewohnheiten und Wahrnehmungsraster Freitag, des Bildungsbürgertums schrie eine politische Haltung in die Welt. 11. Mai 2018 17:30 Uhr In krisengeschüttelten Zeiten erscheint Brechts Frage umso dringlicher: Gibt es eine Verantwortung der Künstler*innen, sich explizit zu aktuellen gesell- in deutscher Sprache schaftlichen Fragestellungen zu verhalten? Und scheitert nicht jeder Versuch, Deutsches Theater gängige Zuschreibungsmuster zu durchbrechen, an einem festgefahrenen ästhetischen Vokabular? Wie steht es um eine Revolte der Ästhetik und die Mit Ersan Mondtag Ästhetik der Revolte? Und: What would Brecht do? (Berlin), Susanne Kennedy (Berlin), “Stop that romantic staring!” – What is left today of Brecht’s provoking Philipp Preuss slogan? His attack on the viewing habits and perception grids of bourgeois (Berlin), Sasha intellectuals screamed a political attitude into the world. In crisis-ridden Marianna Salzmann (Berlin) times like these, Brecht’s question seems more urgent than ever: Do artists have a responsibility to explicitly take a stand on current social issues? And Moderiert von Susanne Burkhardt isn’t every attempt to break through the usual patterns of attribution doomed (Berlin) to failure in the face of a deadlocked aesthetic vocabulary? How far have we come in creating a revolt in aesthetics and an aesthetic of revolt? And: What would Brecht do?

125 T T KONTEXT

Erlaubt ist, was gefällt!? Freitag, 18. Mai 2018 /Anything Goes!? 17:30 Uhr Ein Gespräch über Theater, Kritik und die Kunst der freien Rede in deutscher Sprache / A conversation on theatre, criticism and the art of free speech Deutsches Theater Wie klingt eine gerechte Sprache, was ist pure Polemik und wer kritisiert die Kritik? Häufig schottet das kritische Wort uns voneinander ab und verschiebt Mit Thomas Edlinger den Fokus auf die Frage nach der Freiheit der Kunst und der politischen (Wien), Wolfgang Höbel(München), Kor­rektheit. Verpflichtet die gegenwärtige Empörungskultur und sinkende Peggy Piesche Toleranz zu einer Zensur von Kunst und Sprache? Als Kritiker*innenfestival­ (Berlin), Sahar Rahimi (München/ wollen wir daher über unser Sprechen sprechen – nicht bis wir keine, Berlin) son­dern bis wir ganz viele Antworten haben. Moderiert von How does fair speech sound, what is sheer polemics and who will criticise Matthias Dell (Berlin) the critics? Critical words often separate us from one another and shift the focus towards the issue of the freedom of art and political correctness. Does the current culture of indignation and decreasing tolerance oblige us to censor­ our art and our language? As a critic’s festival, we want to talk about our talk­- ing – not until we have no questions left, but rather until we have an abundance of questions.

UNLEARNING History Eintritt frei / Free admission

Welche Held*innen, Feiertage und Verbrechen Which heroes and heroines, holidays and crimes schreiben unsere Gegenwart – und welche nicht? write our present – and which don’t? What if Was, wenn es mehr als eine Vergangenheit gibt? there is more than one past? Who does it belong Wem gehört sie? Wie klingt die Kehrseite to? What does the flipside of western history 4westlicher Geschichte? Kann man Denken deko- sound like? Can thought be decolonised – and lonisieren und was bedeutet es für die Zukunft? what does that mean for the future? UNLEARN- UNLEARNING History ist eine Reise durch ING History is a journey through the (hi)stories die Geschichte(n), die wir sind – sie erzählen unsere that we are – they reveal our secrets and lies, Geheimnisse und Lügen, zeigen unsere blinden point out our blind spots, contradict and con- Flecken, widersprechen sich, schreiben sich gegen- tinue each other and look for a future in the seitig fort und suchen eine Zukunft im Plural. plural mode.

126 T T KONTEXT Réouvrir les futurs Dienstag, 15. Mai 2018 /Reopening the future 18:30 Uhr / Zukunft neu öffnen in französischer Eine Keynote und ein Gespräch mit Felwine Sarr Sprache mit deut- scher Übersetzung / A keynote speech and a conversation with Felwine Sarr Haus der Berliner Der Schriftsteller, Ökonom und Philosoph Felwine Sarr, der gemeinsam mit Achille Festspiele, Mbembe die „Ateliers de la Pensée (Werkstätten des Denkens)“, eine viertägige Kassenhalle Konferenz über die Zukunft dieses Planeten, gegründet hat, spricht über ein gerech- Mit Felwine Sarr tes Morgen, über Demokratie heute und die Frage, warum man als erstes die (Nantes/Saint Louis) Gedanken dekolonisieren muss. Moderiert von The author, economist and philosopher Felwine Sarr, who co-founded the Esra Küçük (Berlin) “Ateliers de la Pensée (Thinking Workshop)”, a four-day conference on the future of our planet, with Achille Mbembe, will speak about a fair tomorrow, about democracy today and the question of why we need to first of all decolonise our thinking.

Dienstag, The Other Story – Kolonialismus als 15. Mai 2018 19:30 Uhr globales Phänomen / Colonialism as a Global in englischer Phenomenon Sprache mit deut- Ein Gespräch zwischen Mykola Rjabtschuk und María do Mar Castro Varela scher Übersetzung / A conversation between Mykola Rjabchuk und María do Mar Castro Varela Haus der Berliner Festspiele, Manchmal lauern (post)koloniale Machtverhältnisse an unerwarteten und gleich- Kassenhalle wohl vertrauten Orten. Der Schriftsteller und Journalist Mykola Rjabtschuk spricht mit der Politikwissenschaftlerin María do Mar Castro Varela über Krypto-Kolonia­ ­ Mit Mykola Rjabtschuk (Kiew), lismus und die andauernde Gegenwart der Vergangenheit. María do Mar Castro Sometimes, (post)colonial power structures can lurk in unexpected and yet famil- Varela (Berlin) iar places. Author and journalist Mykola Rjabtschuk will discuss crypto-colonialism Moderiert von Nadja and the enduring presence of the past with political scientist María do Mar Castro. Ofuatey-Alazard (München)

Gegen Geschichte – Aneignung hegemo- Dienstag, 15. Mai 2018 nialer Narrationen als ästhetische Praxis 20:30 Uhr / Countering History – the Appropriation of in englischer Sprache Hegemonic Narrations as Aesthetic Practise mit deutscher Ein Gespräch mit Ho Rui An, Nofar Sela, Grace Passô Übersetzung

/ A conversation with Ho Rui An, Nofar Sela, Grace Passô Haus der Berliner Festspiele, Wie eignen sich Künstler*innen koloniale Narrationen neu an? Wie sehen Gegenent- Kassenhalle würfe und internationale Allianzen aus? Welche ästhetischen Strategien teilen sie? Die Künstler*innen von Shifting Perspectives fragen gemeinsam, wie das Theater Mit Ho Rui An (Singapur), Nofar Geschichte(n) neu schreiben kann. Sela (Tel Aviv), How can artists re-appropriate colonial narration? What could alternative plans Grace Passô and international alliances look like? Which aesthetic strategies do they share? (Belo Horizonte)

Together, the artists of Shifting Perspectives will explore how the theatre can find Moderiert von Julian a new way of writing (hi)stories. Warner (München)

127 128 Next Generation

Welche Ästhetik trägt die Zukunft? Die Welt von morgen in den Augen junger Künstler*innen heute. Interna­ tionales Forum, Theatertreffen-Blog und Open Campus bieten interna­ tionalen Künstler*innen einen globalen Austausch jenseits jeglicher Grenzen. / Which aesthetics will carry the future? The world of tomorrow through the eyes of young artists of today. Interna­ tional Forum, Theatertreffen-Blog and Open Campus provide international artists with an opportunity for global exchange beyond all boundaries. NEXT GENERATION Was bewegt Künstler*innen in Europa? Drei Antworten. / What drives artists in Europe? Three answers.

Was zählt, ist der Versuch zu teilen und sichtbar zu machen, was oft verborgen ist. Furcht, Zwei- fel, Ideen, Stimmen – nicht nur die eigene –, naivste Wünsche und Liebe. Der Wille, es jedes Mal nur ein kleines bisschen besser zu machen What matters is the attempt to share and bring als die davor. Das Wissen, dass Kunst die Welt to light what often remains concealed. Fear, nicht retten wird – und es trotzdem ständig doubts, ideas, voices – not just our own –, the zu versuchen. Diese Unmöglichkeit auszuhalten. most naive desires and love. Every time, the will Natalie Baudy to get things done just a tiny little bit better than the ones who tried before. Knowing that Wie kann Europa neu gedacht werden, ohne art will not save the world – and to keep trying dass wir die alltäglichen „Held*innen“ kennen, anyway. To endure this impossibility. die, die uns nicht auffallen, aber jeden Tag dafür Natalie Baudy kämpfen, diesen Ort lebenswert zu machen? Die Helden*innen, die dafür sorgen, dass das We cannot reimagine Europe without knowing Leben erträglicher ist. Wer kann uns diese Men- the everyday “heroes and heroines”, those schen näher bringen, wenn nicht die Schrift­ who go unnoticed but who fight every day to steller*innen, Filmemacher*innen und bildenden make this place worth living in. The heroes and Künstler*innen? Es sind die Künstler*innen, heroines who make sure that life becomes die Europa neu denken sollten, denn sie sind es, more bearable. Who can give us a closer under- die eine Utopie erschaffen und einem abstrakten standing of such people if not our authors, Konzept Bedeutung geben können. Künstler*in- filmmakers and visual artists? It is up to the art- nen, die durch Europa reisen, die den Geschich- ists to reimagine Europe, because they are ten der Vergessenen, der Besiegten, der the ones who can create utopia and give rele- Ernie­drigten, der Ausgegrenzten und der Verlie­- vance to an abstract concept. The artists who ­rer­*innen lauschen. Künstler*innen, die ver­ travel across Europe, listening to the stories suchen, neu zu erfinden, zu schaffen, zu versam- of the forgotten, the vanquished, the humiliated, meln und Mut zu machen. Künstler*innen, the marginalised and the losers. The artists who die sich widersetzen, die auch dann noch spre- try to reinvent, create, gather and encourage. chen, wenn der Ton ausgeschaltet ist, die keine The artists who resist, who keep talking even Angst haben, Dinge zu benennen und gegen when the sound is switched off, who are alle Widrigkeiten zu kämpfen. Künstler*innen, not afraid to tell it like it is and to fight against die Poesie zurück in das Herz der Stadt bringen. all adversity. The artists who return poetry to Man hat mir viel von Europa erzählt, aber the heart of the city. I’ve been told many things ich möchte alles vergessen und anfangen, es auf about Europe, but I want to forget everything meine Art zu schreiben. Aber ich möchte das and begin writing it down in my own way. I don’t nicht alleine machen, denn es ist wichtig, dass want to do this alone, however, because I think wir gemeinsam arbeiten, kollektiv, vielstimmig, it is important for us to work together, collec- divers, in vielen Sprachen. Alles beginnt mit tively, diversely, in many voices, many languages. einer Begegnung, mit einer Utopie und mit einem It all begins with an encounter, a utopia and gemeinsamen Weg. a common path. Alexandra Badea Alexandra Badea

130 NEXT GENERATION

Merkel rettet die Flüchtlinge, Napoleon rettet die Sphinx Bush rettet den Irak, de Gaulle rettet Algerien Trump rettet das Universum Merkel rescues the refugees, Napoleon Die AfD rettet die Angst, die Angst rettet rescues the Sphinx. die Daesh Bush rescues Iraq, de Gaulle rescues Die Kultur rettet den guten Geschmack Algeria Das Theater rettet den Sitz des Mannes Trump rescues the universe Alexandra Badea The AfD rescues fear, fear rescues Daesh (Alumni Stückemarkt), Die Kunst rettet das Ensemble unserer Culture rescues discerning taste geboren 1980 in Rumänien, arbeitet Organe The theatre rescues the position of men als Regisseurin, Die Pop-Art rettet die Opa-Art Drehbuchautorin und Die Anonymen retten die Revolution Art rescues the ensemble of our organs Bühnenbildnerin. / Alexandra Badea Die Poesie rettet die Romantiker Pop art rescues Granddad’s art (Alumni Stückemarkt), Die schlechte Übersetzung rettet den The anonymous rescue the revolution born 1980 in Krieg Poetry rescues the Romantics Romania, works as a director, author Das revolutioname rettet die Karriere The bad translation rescues the war and scenograph. Das Hässliche rettet das Schöne und The revolutioname rescues one’s career umgekehrt The ugly rescues the beautiful and vice Natalie Baudy (Alumni Education), Der Horizont rettet die Grenzzäune. versa geboren 1990 in The horizon rescues the border fences. Deutschland, Liebes Universum studiert Dramaturgie an der Bayerischen Wir sind noch nicht Eins Dear Universe Theaterakademie Wir sind jeder sein Eigenes We are not yet one August Everding. Das kreist in uns We are each their own / Natalie Baudy (Alumni Education), Die Umlaufbahnen verwischt That circles inside us born 1990 in Die Planeten zerstreut Blurring the orbits Germany, studies Dein Grund verbindet uns Scattering the planets Dramaturgy at Bayerische The ground connects us Theaterakademie Liebe Künstler*innen August Everding. Wir sind nicht interessant, wir sind Dear Artists Darja Stocker interessiert We are not interesting, we are interested (Alumni Interna­ Die Kunst hat ein Fenster zum Gebrüll Art has a window to the world’s tio­nales Forum), der Welt bellowing geboren 1983 in der Schweiz, arbeitet Wir springen hinaus, sooft wir überleben We jump out whenever we survive als Autorin. Manchmal trifft ein Blitz unser Haus Sometimes, lightning hits our house / Darja Stocker Eine Gewehrsalve unseren Hals A gun salvo hits our neck (Alumni Internatio­ nal Forum), born Und wir werden euren Universen selbst And we ourselves become strangers to 1983 in Switzerland, fremd your universes works as an author. Rettet uns sodann alsbald bitte. Please rescue us thereupon at once. Mohamedali Ltaief (Dali), geboren 1984 in Tunesien, Darja Stocker / Mohamedali Ltaief ist ein visueller Kunstler/Performer (trans.forma) und Regisseur. / Mohamedali Ltaief (Dali), born 1984 in Tunisia, is a visual artist/performer and director.

131 NEXT GENERATION

Theatertreffen-Blog

Time flies – The Theatertreffen-Blog celebrates its 10th Anniversary Hardly anything is less reliable than our sense of time. The 2009 Theatertreffen, where direc- tors and Jürgen Gosch presented what were to be their legendary final works, alternately seems “ages ago” and (K)eine Ewigkeit her – Das Theatertreffen-Blog “only yesterday”. In those days, the Volksbühne begeht sein 10-jähriges Jubiläum am Rosa-Luxemburg-Platz was sailing the Kaum etwas trügt mehr als unser Zeitempfin- seas of mediocrity, Katie Mitchell astonished den. Wechselweise „ewig her“ oder doch us with her elaborate film-theatre-hybrids, Chris „wie gestern“ erscheint, wie die Regisseure Dercon was leaving Munich for London and Christoph Schlingensief und Jürgen Gosch the US had just elected their first black president. beim Theatertreffen 2009 mit heute legendären Neither Facebook nor the then ultra-nerdy Abschiedswerken gastierten. Zur selben Zeit Twitter were available as smartphone apps – and schipperte die Volksbühne am Rosa-Luxemburg- Instagram hadn’t even been invented. Platz durch Jahre der Mittelmäßigkeit, Katie So maybe it is indeed ages ago that the Mitchell verblüffte mit aufwändigen Film-Thea- Theatertreffen-Blog emerged from the festival ter-Hybriden, Chris Dercon stand kurz vor newspaper in 2009 and celebrates its tenth seinem Wechsel von München nach London edition this year. Ever since, the blog has cast its und die USA hatten soeben ihren ersten schwar- critical eye on the Theatertreffen’s many highs zen Präsidenten gewählt. Weder Facebook and occasional lows, incidentally creating a noch das damals ultra-nerdige Twitter gab es als large network of many by now well-established Smartphone-App – und Instagram war noch authors. This anniversary edition is dedicated nicht einmal erfunden. to them, because the 2018 Theatertreffen-Blog Vielleicht ist es also doch schon eher eine will be a reunion with its “Alumni”. And we all kleine Ewigkeit her, dass in jenem Jahr 2009 das know that at such events, time follows its very Theatertreffen-Blog aus der Festivalzeitung own laws. hervorging und somit nun bereits seine zehnte Ausgabe feiern darf. Seither hat das Blog die vielen Hochs und gelegentlichen Tiefs des The- atertreffens kritisch begleitet und dabei nicht AND WE ALL zuletzt auch ein großes Netzwerk heute vielfach etablierter Autor*innen hervorgebracht. Ihnen KNOW THAT AT soll diese Jubiläumsausgabe gehören, denn das Theatertreffen-Blog 2018 ist ein Wieder­sehen SUCH EVENTS, mit seinen „Ehemaligen“. Und bei solchen Treffen, weiß man, gehorcht die Zeit eigenen TIME FOLLOWS Gesetzen. ITS VERY OWN Das Theatertreffen-Blog wird seit 2016 von der Stiftung Presse-Haus NRZ gefördert. LAWS.

132 NEXT GENERATION Internationales Forum / International Forum

Das Internationale Forum ist das Hintergrund- The International Forum is the Theatertreffen’s rauschen des Theatertreffens, ist Initialzündung background noise, the initial spark for global für globale Kollaborationen, Allianzen und collaboration, alliances and actions, the plat- Aktionen und Plattform für die Suche nach einer form that searches for an aesthetic movement. ästhetischen Bewegung. Was bedeutet es, What is making progressive, relevant, political progressive, relevante, politische Kunst im art in the 21st century all about? 35 young 21. Jahrhundert zu machen? 35 junge Theater- theatre makers from all over the world will come macher*innen aus der ganzen Welt kommen to Berlin, experience art and put their heads nach Berlin, schauen gemeinsam Kunst, stecken together to work towards the future of the die Köpfe zusammen und arbeiten in exklusiven theatre. Workshops gemeinsam an der Zukunft des Theaters. Das Internationale Forum findet in Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut und Pro Helvetia, Schweizer Kulturstiftung, statt. Es wird unterstützt durch den Deutschen Bühnenverein und dessen Landesverband Baden-Württemberg. Weitere Förderer sind das Bundeskanzleramt Österreich, die Kulturministerien der deutschen Bundesländer, das Kulturreferat der Landeshauptstadt München und die Kulturstiftung des Freistaates Sachsen.

Workshops 2018

Desintegratiya Desintegratiya von Max Czollek und Sasha Marianna Salzmann with Max Czollek and Sasha Marianna Salzmann Was als Konzept „Identität“ vermarktet wird, lässt sich The concept marketed as “identity” cannot be disas- nicht in Einzelteile zerlegen und doch antworten wir, sembled into individual components, and yet we wenn wir gefragt werden: Wo kommst du wirklich her? Wie try to answer when we are asked: Where do you really haben Lesben eigentlich Sex? Eine Falle. Der Workshop come from? What exactly do lesbians do in bed? führt ein in das Konzept der Desintegration als Modus It’s a trap. This workshop will introduce the concept der (Selbst-)Kritik und Selbstermächtigung. of disintegration as a mode of (self-)criticism and self-empowerment. Macht & Perspektive von Modjgan Hashemian Power & Perspective Unsere Geschichten schreiben sich in unseren Körper with Modjgan Hashemian ein und unsere Körper werden zu Knotenpunkten von Herr- Our stories inscribe themselves into our bodies and schaftsverhältnissen im gesellschaftlichen Raum. Was our bodies become nodal points for power relations sind meine Koordinaten und wie entstehen neue Modelle in the social realm. What are my coordinates, how can der Perspektive, um den Raum zu verändern, der unsere new models of perspective emerge to change the space Körper umgibt? surrounding our bodies?

Sampling & Mash-Up-Techniken Sampling & Mash-Up-Techniques von Kay Voges with Kay Voges Auf der Suche nach neuen Erzählstrukturen und Drama­ Techniques like looping or sampling of video, music, turgien spielen Techniken wie das Loopen oder Samplen text and plots have played an important part in the von Video, Musik, Text und Handlung eine bedeutende search for new narrative structures and dramaturgies. Rolle. Der Workshop entwickelt Mash-Up-Erzählungen und In this workshop, participants will create mash-up- Feedbackschleifen zusammen mit den Teilnehmer*innen. narratives and feedback-loops.

Die Inszenierung der Realität The Staging of Reality von PENG! Kollektiv with PENG! Kollektiv Wie wird die Realität zur Bühne meiner Kunst? In vier How can reality become the stage for my art? In four Schritten vermittelt der Workshop Ansätze, die eine steps, this workshop will introduce strategies breite Medienaufmerksamkeit für die politischen to create broad media attention for the participants’ Positionen der Teilnehmer*innen schaffen: 1) Analyse, political positions: 1) Analysis, 2) Acquisition of 2) Aneignung von Wissen, 3) Entwicklung eines knowledge, 3) Development of a media spin, 4) Attempt medialen Spins, 4) Versuch eines medialen Stunts. at a media-stunt.

133 NEXT GENERATION

Stipendiat*innen /Participants Internationales Forum

Joséphine de Weck Fritz Faust Actor, director, performer, Performance artist, direc- Deepika Arwind Pina Bergemann Fribourg, Switzerland. tor, video artist, Düsseldorf, Author, director, Bangalore, Actor, Leipzig, Germany. Working as a project Germany. India. Freelance artist, perfor- leader, actor and writer, Studied Directing at the Her work “No Rest in the med at Deutsches Schau- studied Drama in Brus- Hochschule für Musik Kingdom” toured India SpielHaus Hamburg, Schau- sels followed by a Master “Hanns Eisler” Berlin and and debuted internatio- spiel Leipzig, Theater in Scenic Art Practice in gained an MA in Sculpture/ nally at the Women of the Kiel, Munich’s Residenz- Bern. Founded the company Performance from the Royal World Festival. Her play theater. Collaborations Opus 89 Collectif with College of Art, London. “The Playwright is Dead” with visual artists at works in Poland, Bulgaria Investigates meta-cultural was a shortlisted finalist Deichtorhallen Hamburg and and Switzerland. narratives and the indefi- for The Hindu Playwright at the Museum der bilden- niteness between body Award. Her children’s book den Künste Leipzig. and world. “Sarayu and the Creature” (working title) will be published in June 2018.

Nuray Demir Artist, curator, Berlin, Germany. Katerina Giannopoulou Working in the field of Director, actor, Athens, Maria Bosom visual and performing/per- Greece. Actor, translator, Barcelona, formative arts. Practicing Studied Acting at Athens Spain. a research-based, radi- Conservatoire before Irem Aydin Studied Acting and Trans- cally transdisciplinary switching to Directing. Author, Istanbul, Turkey. lation in Barcelona. approach. Realised pro- Her works on classic dra- Studied Spanish Language Performed at numerous thea­ jects at Kampnagel in Ham- mas, contemporary plays and Literature in Istanbul, tres in Barcelona and burg, Sophiensæle Berlin, and non-theatrical texts MA Theater Creation in co-founded the theatre com­ HAU Hebbel am Ufer Berlin got invited to the Dimit- Madrid. Currently working pany Torb. Translates and Wiener Festwochen. ria Festival in Thessa- at Entropi Sahne as Junior contemporary German drama loniki and the New Greek Artistic Director, repre- for Sala Beckett and the Wave Festival in Bremen. sented Turkey in the Goethe-Institut. international young play­ wrights festival INTER- PLAY, searches for new ways of theatre through Barcelona. digitalism. Daniel Djamo Claudia Bossard Performance artist, filmma- Director, Graz, Austria. ker, , Germany. Yuta Hagiwara Studied Literature and Interested in personal and Director, Tokyo, Japan. Drama Studies in Bern. group histories and sto- Studied Theatre History Directed in Graz, Osnabrück ries and in themes such as at Waseda University, then and in the independent the national identity. studied under the mime Swiss theatre scene. Was Had several international dancer Hironobu Oikawa. invited to the Heidel-­ solo exhibitions. Winner Founded the theatre com- berger Stückemarkt’s Nach- of the ESSL ART AWARD CEE pany Kamome Machine. His SpielPreis and to the and the Henkel Art.Award. artistic perspective Autorentheatertage Berlin. Young artist’s prize CEE. focusses on the relation between society and indi- vidual body.

134 NEXT GENERATION

Philippe Heule Eva Nina Lampič Shiva Pathak Thandi Sebe Author, director, performer, Director, Ljubljana, Slovenia. Artist, curator, Bangalore, Actor, author, director, Ber- Zurich, Switzerland. Studied Directing in India. lin/Cape Town, Germany/ Studied Directing in Ljubljana and Theatre and Co-founder of Sandbox South Africa. Zürich. Was author-in-re- Performance Studies in Collective and Board Mem- Studied English and Amer­­ sidence at Theater Basel Sheffield. Working as ber of Toto Funds the ican Literature in Berlin. and writes for Theater a co-Artist in Residence Arts, which nurtures and Her work “Mostly Waiting” St.Gallen. His projects at Glej Theatre, she did encourages young artists was shown in Cape Town. and plays have been work on exploring how our in India. Art Think South Wrote, directed and per- presented at various thea- minds fill in missing Asia Fellow 2016–17. formed “Call me Queen” tres and festivals. He gaps and reveal cultu- Worked with Attakkalari at Ballhaus Naunynstraße. founded the performance ral, political and gender Centre for Movement Arts Directed a series of music collective helium x. biases. and some of India’s lea- videos for various artists ding arts organisations. in Jamaica and South Africa in 2016.

Stella Hilb Natalia Mariño Actor, Halle, Germany. Director, author, San José, Ricardo Sarmiento Freelance actor in theatre, Costa Rica. Ramirez Nofar Sela film and television. Her Founder of delCarmen Tea- Author, performer, Havana, Performer, Tel Aviv, Israel. works at Ballhaus Naunyn- tro. Focusses on socio- Cuba. Studied Interdiscipli- straße, Neues Theater political and gender Studied Scenic Arts and nary Art in the School of Halle and Maxim Gorki The- topics. Was awarded with Playwriting in Cuba. Visual Theater in Jerusa- ater cast a critical glance the National Culture Award Focusses on emerging iden- lem. Received a Bachelor at politics or society. in the category “Best tities, public interventi- of Fine Arts at the Beza- Received the advancement Theater Director”. Has ons and performing arts. lel Academy of Arts and award for acting at Natio- presented her work in His work in film and thea- Design. Member of Pandora nal Theatre Halle. Costa Rica, Nicaragua, tre has been shown in Collective, working in Peru, Guatemala, Mexico, Cuba, USA, Argentina and the fields of performance, Spain and Cuba. Spain. visual art and text.

Saghar Hosseinpour Choreographer, dancer, Teh- ran, Iran. Studied Economics and experimental dance techni- Linda Nabasa Theresa Schlesinger Margrit Sengebusch ques in Tehran, was invi- Actor, author, Kampala, Dramaturge, Hamburg, Dramaturge, Zurich/Biel, ted to the ImPulsTanz – Uganda. Germany. Switzerland. Vienna International Dance Performed and wrote plays Studied Drama Studies and Studied Cultural Studies Festival. Researches every- for Afroman Spice, an History in Berlin and and Aesthetic Practice day movement in society, all-woman theatre company. began an MA course in Dra- in Hildesheim and Porto. to study and observe Invited to festivals in maturgy in Hamburg. Wor- Currently working in Biel. the physicality, weight, Botswana, Tanzania, Ivory ked at Schaubühne am Leh- Was Assistant Director composition and statics Coast and Rwanda. Cur- niner Platz, Berlin and at Schauspielhaus Zürich related to political cul- rently writing a children’s is involved in the network and created the pieces tural factors. book series on human Theater.Frauen, campaig- “Bis einer heult” and rights supported by the ning for the promotion “David’s Formidable Speech European Union in Uganda. of female representation on Europe”. in the theatre.

135 NEXT GENERATION

Rika Weniger Actor, Neubrandenburg/ Petra Serhal Tomasz Szczpanek Artúr Van Balen Brussels, Germany/Belgium. Director, performer, Beirut, Director, Warsaw, Poland. Performance artist, Berlin, Studied Acting in Rostock, Lebanon. Interested in the art of Germany. played in Oldenburg, Studied Acting in Beirut failure, strategies of Examines with the group Jena, Sophiensæle Berlin and received the MA Body self-identification, rela- Tools for Action the over- and Braunschweig where in Performance in London. tion between aesthetics laps between visual arts, she performed in the award Her multidisciplinary work and global capitalism. performance and activ- winning productions of is based on the audience- Co-creates Warsaw’s queer ism. Received the prize the Festival Fast Forward artist relationship and scene as drag performer, for arts education of the by Antonie Laubin, Marta focusses on themes of Enola Gay. Currently Federal Government Com- Górnicka and Jonas fragmentation, body, self writing his PhD at the missioner for Culture Petersen. as subject and absence. University of Warsaw. and Media for his pro- ject “Mirror Barricades” together with Schauspiel Dortmund.

Yana Eva Thönnes Director, Munich, Germany. Carolin Wirth Shaymaa Shoukry Studied Philosophy and Director, costume designer, Choreographer, Cairo, Cultural Reflection and Wiesbaden, Germany. Egypt. Directing. Works with Assistant Director in Multidisciplinary artist her company The Agency Noah Voelker Wiesbaden where she devel- from a visual arts back- on topics such as techno- Director, dramaturge, Ams- oped two productions ground with an interest logies of the self and terdam, Nederlands. in which she directed and in researching the origins post-human intimacy and Studied Theatre and Eco­ designed the costumes. of movement, repetition alienation. Key projects: nomics in Texas and at Is a student of the re- and transformation. Artis-� “Medusa Bionic Rise” DAS Theatre in Amsterdam. nowned DAS Theatre tic Director of Dayer at Treibstoff Theatertage From 2013–2015 director Academy in Amsterdam. Productions. Basel and “Perfect of The Aesthetics of Romance” at Münchner Waste. His performance Kammerspiele. work and research are on practises of dialogue, storytelling, authen­ ti­­city and audience collaboration.

Thanupon Yindee Sebastián Squella Artist, Chiang Mai, Thailand. Chavez Director, actor and dancer. Director, actor, Santiago, Joana Tischkau His work addresses Chile. Choreographer, dan- stateless and ethnic mino­r- Examines the political cer, Frankfurt am Main, ity rights in Northern dimensions of theatre, Germany. Thailand, children’s understanding current Studied Dance and Acting Mengfan Wang rights in Thai society and social phenomena as at Coventry University, Director, Cologne/Beijing, violence in Thai military central pillars of the explores how social Germany/China. training. Performed theatre. Directs a prison urban dance practise and Studied History of Art in and produced a contempo- theatre project and pop-culture can be inter- Beijing and has been rary circus and theatre teaches at the theatre woven with intersectional studying History of Art performance­ with German academy ELATEP. His play feminisms and postcolonial and Dance Studies in circus artists. about Chile’s military theories to form an artis- Munich and Cologne since past won numerous awards. tic practise in Frank- 2013. Her pieces focus furt. Her solo “WHAT.YEAH” on the human body and its was invited to various performative expression festivals. in theatre. Her works are presented at the Beijing Nanluoguxiang Perfor­- ming Arts Festival and at the VIE Festival in Bologna. 136 NEXT GENERATION

Open Campus

Der Open Campus des Theatertreffens ist Begegnungs- und Vernetzungsort für die Theatermacher*innen von morgen. Die angehen­­ den Schauspieler*innen, Regisseur*innen, Dramaturg*innen, Szenograf*innen und Thea- terwissenschaftler*innen von Universitäten, Kunsthochschulen und Theaterinstituten aus dem deutschsprachigen Raum besuchen die The Theatertreffen’s Open Campus is the place Aufführungen des Theatertreffens, den Stücke- where the theatre makers of tomorrow meet markt und Shifting Perspectives. Sie nehmen and create networks. Emerging actors, directors, am Kontextprogramm des Festivals teil und tre- dramaturgs, scenographers and theatre scholars ten in einen Austausch über ästhetische und from universities, academies and theatre insti- gesellschaftspolitische Fragen sowie eigene tutes across the German-language region Interessen und Ideen. will attend the Theatertreffen’s performances, In diesem Jahr öffnet sich der Open Campus the Stückemarkt and Shifting Perspectives. in Kooperation mit der LiteraturInitiative Berlin They will take part in the festival’s Context Pro­ (LIN) auch für Berliner Schüler*innen. gramme and enter into an exchange about Die Jugendlichen erleben das Festival hautnah: aesthetic and socio-political issues as well as bei Vorstellungsbesuchen, in Gesprächsrunden their own interests and ideas. mit beteiligten Künstler*innen und Diskussio- This year, in cooperation with LiteraturIniti- nen. Im Zentrum steht die Auseinandersetzung ative Berlin (LIN), Open Campus will also open mit künstlerischen Ausdrucksformen, indem its doors to students from schools across Berlin. auch die Perspektive der Jugendlichen produk- The young people will experience the festival tiv miteinbezogen wird. at first hand: attending performances, talking to artists and joining discussions. The focus lies on exploring artistic forms of expressions by pro­ ductively including the young peoples’ perspective.

Kooperation Universitäten und LIN-Schulen /Cooperating universities and LIN-schools

Akademie für Darstellende Kunst Baden-Württemberg, Ludwigsburg (Dramaturgie) Bayerische Theaterakademie August Everding, München (Dramaturgie, Kulturkritik) Beethoven-Gymnasium, Berlin Folkwang Universität der Künste, Bochum (Folkwang Theaterzentrum, Schauspiel) Freie Universität Berlin (Theaterwissenschaft) Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover (Dramaturgie) Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“ Leipzig (Dramaturgie) Rheingau Gymnasium, Berlin Schadow-Gymnasium, Berlin Staatliche Akademie der Bildenden Künste Stuttgart (Bühnen- und Kostümbild) Universität Bern (Theaterwissenschaft) Universität Hamburg (Germanistik) Willi-Graf-Gymnasium

137 SPECIALS

Eintritt frei Specials / Free admission

Freitag, One on One on One 4. Mai 2018 Videoprojekt 16:00 Uhr Premiere One on One on One

Mittlerweile aus dem Theatertreffen It would be hard to imagine the Theater- Regie Marcus Gaab nicht mehr wegzudenken: Die Kurzfilme, treffen without the short films that die der Fotograf und Regisseur Marcus photographer and director Marcus Gaab Haus der Berliner Festspiele, Gaab seit 2015 für das Theatertreffen has been producing for the festival Bornemann Bar produziert. Jedes Jahr wird aus jeder since 2015. One actor, one camera, one Ins­zenierung der 10er Auswahl ein*e scene – that’s all it takes! Every year, one Ein Projekt von Marcus Gaab in Schauspieler*in eingeladen, ein kurzes actor from each of the ten selected pro­ Kooperation mit Video mit Marcus Gaab zu drehen. Die ductions is invited to shoot a short video Berliner Festspiele / Protagonist*innen entscheiden selbst, with Marcus Gaab. The protagonists Theatertreffen und 3sat. welcher Form und welcher Mittel sie are free to decide in which form and by sich bedienen, um den Kern der jeweili- which devices they would like to present Siehe auch gen Produktion greifbar zu machen. the core of their respective production. 1on1on1.tv

Samstag, 5. Mai 2018 Theaterpreis Berlin 12:30 Uhr der Stiftung Haus der Berliner Festspiele, Bühne Preußische Seehandlung Laudatio Rita Thiele an Karin Henkel Einladungen werden versandt Für ihre außerordentlichen Verdienste Director Karin Henkel will be awarded Anmeldungen unter um das deutschsprachige Theater wird for her extraordinary services to the mail@stiftung-see- handlung.de oder die Regisseurin Karin Henkel ausge- German-language theatre. The jury’s +49 30 325 55 45 zeichnet. In der Jurybegründung heißt statement says: “Henkel’s long-standing es: „Henkels langjähriges Interesse interest in the world-canon of drama­­- Vollständige Jury- begründung unter an der Dramen-Weltliteratur […] beruht tic literature […] is not a matter of simple stiftung- nicht auf deren simpler Verehrung, veneration but leads to a constant seehandlung.de/ sondern führt zu einer steten Neubewer- re-evaluation, to a piercing examination wp-content/ uploads/2018/02/ tung, zur bohrenden Hinterfragung of what we like to describe as ‘social Begruendung- dessen, was wir heute als ‚gesellschaft- accomplishments’ in the wake of fuer-die- liche Errungenschaften‘ in der Folge der the Enlightenment.” The price will be Preisvergabe.pdf Aufklärung bezeichnen würden.“ Den awar­ded by Michael Müller, Governing Preis verleiht Michael Müller, Regieren- Mayor of Berlin. der Bürgermeister von Berlin.

138 SPECIALS

Donnerstag, 3sat-Preis 10. Mai 2018

an Wiebke Puls Verleihung im Anschluss an die Vorstellung von „Trommeln in der Seit 1997 vergibt 3sat jährlich im Rah- Since the year 1997, 3sat has been Nacht“ men des Theatertreffens den 3sat-Preis awarding the 3sat Prize during the für eine künstlerisch innovative Leistung Theatertreffen. The award distinguishes Deutsches Theater an eine*n oder mehrere Künstler*in- one or more artists from the circle Laudatio nen aus dem Kreis der eingeladenen of productions invited to the Theater­ Shirin Sojitrawalla Ensembles. 2018 wird die Schauspielerin treffen, in appreciation of an influential, Wiebke Puls ausgezeichnet. In der Jury- artistically innovative achievement. begründung heißt es: „In Christopher 2018, the prize will go to the actor Rüpings Inszenierung von ‚Trommeln in Wiebke Puls. The jury’s statement says: der Nacht‘ funkelt Wiebke Puls inner- “In Christopher Rüping’s production halb eines glänzenden Ensembles, egal of ‘Trommeln in der Nacht (Drums in the welche Haltung, welche Spielweise sie Night)’, Wiebke Puls manages to spar- einnimmt. […] Kurz: Wiebke Puls strahlt kle within a brilliant ensemble, no matter in allen Facetten.“ which attitude she takes, which style of acting she employs. […] In short: Wiebke Puls shines in all the various facets.”

Montag, 21. Mai 2018 Alfred-Kerr- 14:00 Uhr Darstellerpreis Haus der Berliner Festspiele, Kassenhalle Der Alfred-Kerr-Darstellerpreis wurde The Alfred Kerr Acting Prize was ini­ti­ Die Präsidentin der 1991 von Judith und Michael Kerr, ated in 1991 by Judith and Michael Alfred-Kerr-Stiftung Deborah Vietor- Berliner Festspiele/Theatertreffen und Kerr, Berliner Festspiele/Theater­treffen Engländer spricht der Pressestiftung Tagesspiegel ins and Pressestiftung Tagesspiegel. anlässlich der Preisverleihung über Leben gerufen und würdigt die heraus­ It is intended to honour an outstanding Kerrs Beurteilung ragende Leistung einer*s jungen Schau- achievement by a young actor in one der Schauspielkunst seiner Zeit, der spieler*in in einer der zum Theater­ of the productions presented at the Regisseur und Autor treffen eingeladenen Inszenierungen. Theatertreffen. The prize will be awarded Milo Rau über seine Perspektive auf Er wird zum Abschluss des Theater­ on the last day of the Theatertreffen. den Wandel in der Schauspielkunst. treffens verliehen. 2018 ist der Juror der The juror for 2018 is the award-winning vielfach ausgezeichnete Schauspieler actor Fabian Hinrichs, who himself

Fabian Hinrichs, der 2012, ausgewählt received the Alfred Kerr Acting Prize von Nina Hoss, selbst den Alfred-Kerr- in 2012 from Nina Hoss. Darstellerpreis erhalten hat.

139 IN MEMORIAM

Manfred Linke Utopist und Netzwerker

Manfred Linke leitete mehr als drei Jahrzehnte das Internationale Forum des Berliner Theater- treffens. In diesen Jahren ist er vom Bruder zum Großvater der Teilnehmenden geworden, wie er selbst einmal schrieb: „So viele Geschwister gehörten. Damit war Manfred Linke seiner Zeit (am Anfang war ich etwa gleichaltrig wie die weit voraus und trug maßgeblich zur Etablie- Teilnehmer*innen), Kinder und Enkel zu haben, rung des Internationalen Forums als besondere eine Familie, die von ähnlichen Motiven geleitet Begegnungsplattform von bemerkenswerter ist und sich durch die gleichen Ziele verbunden Reputation bei. weiß, bedeutet großes Glück.“ Ab 1980 konnte das Internationale Forum in Das Internationale Forum ist fast so alt Verbindung mit dem Goethe-Institut schließlich wie das Theatertreffen selbst. Es wurde 1965 Künstler*innen auf der ganzen Welt erreichen. unter dem Namen „Begegnung junger Bühnen­ Zu diesem Zeitpunkt veränderte sich auch an­gehöriger“ gegründet – Manfred Linke leitete die Ausrichtung des Programms von vordergrün­ es von 1969–2005. Dabei gestaltete er einen dig theoretischem Diskurs und Erfahrungs­ ganz neuen Ort des Austauschs, wie Manfred austausch hin zu praktisch-künstlerischer Arbeit, Beilharz in der Publikation „40 Jahre Inter­na­tio­ wobei die Workshops unter der Anleitung nales Forum“ beschreibt: „[Er] hat das Inter­ erfahrener Theaterkünstler*innen zu einem nationale Forum stets an den zeitgenössischen tragenden Bestandteil wurden. Damit setzte Problemen des Theaters orientiert und mit die- Manfred Linke ein Zeichen gegen die beginnende sem Forum einen Ort des lebendigen Aus- Ökonomisierung und Neoliberalisierung der tauschs und der engagierten Einmischung in die Theaterbetriebe, denn – in seinen eigenen politische und ästhetische Diskussion Worten– sollte so „ein Probieren ohne Leis- geschaffen“. tungsdruck und Produktionszwang“ ermöglicht Nachdem das Akademieprogramm des werden, „weil am Schluss kein vorzeigbares Theatertreffens 1973 in „Internationales Forum Produkt steht.“ junger Bühnenangehöriger“ umbenannt wurde, Vielen Theaterpersönlichkeiten, die in der öffnete es Manfred Linke für andere Länder Folgezeit große Karrieren eingeschlagen haben, und ging Kooperationen mit Institutionen war Manfred Linke Wegbegleiter, Inspirations- in Österreich sowie mit der Schweizer Kultur- quelle und Förderer: darunter Andrea Breth, stiftung Pro Helvetia ein. Als Utopist hegte Klaus Pierwoß, Friedrich Schirmer, Jossi Wieler, er die Vision eines entgrenzten Dialogs zwischen Hermann Beil und viele mehr. Uwe Gössel, Künstler*innen aus der ganzen Welt, lange selbst Stipendiat bei Manfred Linke und dessen bevor Begriffe wie Globalisierung, Interkultur- Nachfolger, bezeichnete seinen Mentor als alität und Internationalisierung zum selbst­ einen „Mäzen ganz besonderer Weise: Er stif­- verständlichen Vokabular der Theaterbetriebe tete Möglichkeiten und Begegnungen.“ Manfred Linke ist am 8. April 2018 verstorben. Er bleibt in bester Erinnerung, nicht zuletzt durch seine große internationale Theaterfamilie.

140 IN MEMORIAM SPIELORTE UND TICKETS / VENUES AND TICKETS

Spielorte und Tickets /Venues and tickets

Orte Haus der Berliner Festspiele Bühne, Seitenbühne, Hinterbühne, Unterbühne, Kassenhalle, Bornemann Bar, Oberes Foyer, Unteres Foyer, Probebühne Kasse Schaperstraße 24, Berlin-Wilmersdorf Haus der Berliner Festspiele U 9, U 3 Spichernstraße, Bus 204, 249 Mo – Sa 14:00 – 18:00 Uhr Schaperstraße 24, 10719 Berlin Deutsches Theater Schumannstraße 13 a, Berlin-Mitte Restkarten eine Stunde vor S Friedrichstraße, U 6 Oranienburger Tor, Vorstellungsbeginn an den Abendkassen. Bus 147, Tram M 1, M 6 Gropius Bau Rathenau-Hallen Täglich außer Dienstag 10:00 – 19:00 Uhr Wilhelminenhofstraße 83 – 85, Niederkirchnerstraße 7, 10963 Berlin Berlin-Oberschöneweide Tram M 17, M 21, M 27, M 37, M 60, M 67, Online berlinerfestspiele.de Nachtbus N 67 Gebühr 2 € pro Bestellvorgang Wilhelminenhofstraße / Edisonstraße, S Schöneweide, RB 24, Tram M 17, M 21, Telefon + 49 30 254 89-100 M 37, M 67, Bus M 11, X 11, 163, 166, 265, Mo – Fr 14:00 – 18:00 Uhr Nachtbus N 67 Gebühr 3 € pro Bestellvorgang

Schaubühne am Lehniner Platz Kurfürstendamm 153, Kein Nacheinlass während der Charlottenburg-Wilmersdorf Vorstellungen. Bild- und Tonaufnahmen S Charlottenburg, S Halensee, U 7 sind nicht gestattet. Adenauer Platz, Bus M 19, M 29 Lehniner Programmänderungen vorbehalten. Platz / Schaubühne

Sony Center am Potsdamer Platz Informationen Berlin-Mitte, S + U Potsdamer Platz, Bus 148, 200, 248, 348 Telefon + 49 30 254 89-100 berlinerfestspiele.de Die kleine Philharmonie Nachtbar des Theatertreffens Schaperstraße 14, Berlin-Wilmersdorf U 9, U 3 Spichernstraße, Bus 204, 249

141 IMPRESSUM / IMPRINT

Die Verfahrensordnung des Theatertreffens Vierck Tonmeister Detlef Feiertag, Jürgen Kramer, ist nachzulesen auf /You can read the rules of Axel Kriegel, Martin Trümper-Bödemann Leitung Kostüm procedure at Monique van den Bulck Leitung Maske Manou Jacob berlinerfestspiele.de/tt-verfahrensordnung Maskenbildnerinnen Nadine Mark, Romy Stockenhofen Inspizienz Holger Pasch Leitung Gebäudemanagement und Haustechnik Ulrike Johnson Festival Spielstättenleitung Karsten Neßler Leitung Theatertreffen Künstler*innenbetreuung Raffaela Phannavong Yvonne Büdenhölzer (in Elternzeit), Übertitelung Yvonne Griesel (Übertitel 10er Auswahl/ Daniel Richter (Elternzeitvertretung) Sprachspiel), David Maß (Übertitel 10er Auswahl/ PANTHEA t5 SPECTITULAR GmbH), Nikoletta Fischer Theatertreffen-Jury der 10er Auswahl 2018 (Übertitel „Preto“), Lilian-Astrid Geese (Übertitel Margarete Affenzeller, Eva Behrendt, „Solar: A Meltdown“), Niki Graça (Übersetzung Wolfgang Höbel, Andreas Klaeui, Übertitel „Preto“), Gitta Honegger (englische Dorothea Marcus, Christian Rakow, Übertitel „Am Königsweg“), Dina Kobrosly (Übertitel Shirin Sojitrawalla „Jogging – Theatre in Progress“)

Dramaturgie Daniel Richter (Leitender Dramaturg), Herzlichen Dank an die Studierenden des IALT der Maria Nübling (Dramaturgin Theatertreffen, Universitat Leipzig für die Verdolmetschung bei den Mitarbeit Stückemarkt), Necati Öziri (Dramaturg TT Kontext- und Stückemarkt-Veranstaltungen. Theatertreffen, Leitung Internationales Forum), Stephanie Richter (Dramaturgieassistentin), Felizitas Stilleke (Dramaturgin Theatertreffen), Theatertreffen Magazin Christina Zintl (Dramaturgin Theatertreffen, Leitung Stückemarkt) Herausgeber Berliner Festspiele Organisation Katharina Fritzsche Redaktion Andrea Berger, Paul Rabe (Organisationsleiterin), Susanne Albrecht Übersetzung Elena Krüskemper, Maren Kames (Essay (Administration, Controlling), Katharina Fenderl „DAS CHAOS DER SELBSTREVOLTE“) (Produktionsassistentin Shifting Perspectives), Elena Graßmann (Assistentin Organisation), Visuelles Konzept / Design Eps51 Albrecht Grüß (Mitarbeit Organisation, Schriften SangBleu, GT America Mono Produktionsleitung „Faust“), Anne-Kerstin Hege Herstellung Medialis Offsetdruck GmbH, Berlin (Produktionsleitung Shifting Perspectives), Coverbild Raul Guillermo Petra Hettich (Festivalbüro), Anke Marschall (Realisation „Faust“), Stefanie Nitz (Assistentin Copyright 2018. Berliner Festspiele, die Autor*innen Administration), Jennifer Penz (Assistentin und Fotograf*innen. Alle Rechte vorbehalten. Organisation), Söke Tonat (Assistentin Abdruck (auch auszugsweise) nur mit Genehmigung Internationales Forum, Elternzeitvertretung), der Herausgeber*innen und Autor*innen / Stand April Aurore Werniers (Assistentin Internationales 2018 Forum, in Elternzeit), Anneke Wiesner (Persönliche Referentin der Leitung) Praktikantinnen Eva-Maria Burri, Zarah Mayer, Veranstalter Judith Rücker Berliner Festspiele Theatertreffen-Blog Janis El-Bira (Projektleitung), Ein Geschäftsbereich der Kulturveranstaltungen Viktor Nübel (Gestaltung und Umsetzung) des Bundes in Berlin GmbH Gestaltung Festivalzentrum Eva Veronica Born, Gefördert durch die Beauftragte der Bundesregierung Anne-Laure Jullian de la Fuente (Assistentin für Kultur und Medien Ausstattung) Intendant Dr. Thomas Oberender Technische Leitung Andreas Weidmann Technische Leitung Kaufmännische Geschäftsführerin Charlotte Sieben Shifting Perspectives und Stückemarkt Birte Dördelmann Assistenz technische Leitung Moritz Hauptvogel Kommunikation Claudia Nola (Ltg.) Organisationsassistenz Technik Bettina Neugart Presse Sara Franke (in Elternzeit), Nora Gores, Bühnenmeister*innen Harald „Dutsch“ Adams, Benjamin Patricia Hofmann, Ida Steffen, Jennifer Wilkens Brandt, Matthias Schäfer, Juliane Schüler Leitung (Elternzeitvertretung) Maschinenabteilung Lotte Grenz Maschinist*innen Birte Redaktion Dr. Barbara Barthelmes, Andrea Berger, Dördelmann, Fred Langkau, Mirko Neugart, Manuel Paul Rabe, Lisa Schmidt Solms, Martin Zimmermann Requisite Karin Hornemann Internetredaktion Frank Giesker, Jan Köhler (Ltg.), Michi Balzer Leitung Beleuchtung Carsten Marketing Gerlind Fichte, Jan Heberlein, Meyer Leitung Beleuchtung Shifting Perspectives Petra Michaela Mainberger Dorn Beleuchtungsmeister*innen Andreas Harder, Grafik Christine Berkenhoff, Felix Ewers, Nafi Mirzaii Kathrin Kausche, Wolfgang Kunwald, Ruprecht Vertrieb Uwe Krey, Josip Jolic Lademann, Thomas Schmidt Stellwerker*innen Mathilda Ticket Office Ingo Franke (Ltg.), Simone Erlein, Kruschel, Lydia Schönfeld, Friedrich Schmidt Leitung Frano Ivic, Gabriele Mielke, Torsten Sommer, Ton- und Videotechnik Manfred Tiesler Leitung Ton- und Sibylle Steffen, Alexa Stümpke, Marc Völz Videotechnik Shifting Perspectives und Stückemarkt Arne Hotelbüro Heinz Bernd Kleinpaß (Ltg.), Florian Hauer, Frauke Nissen Protokoll Gerhild Heyder 142 IMPRESSUM / IMPRINT

Berliner Festspiele Schaperstraße 24, 10719 Berlin Tel + 49 30 254 89 - 0 berlinerfestspiele.de [email protected]

Festivalbüro: Tel + 49 30 254 89 - 233 theatertreffen @ berlinerfestspiele.de

Die Berliner Festspiele werden gefördert durch

Das Theatertreffen dankt seinen Förderern, Partnern und Unterstützern.

Das Theatertreffen wird gefördert durch

Medienpartner

Partner und Unterstützer

Medienpartner Berliner Festspiele

143 Deutsches Schau SpielHaus Hamburg SpielZeit 2018–19

BALLETT AUS MOSKAU LIVE IM KINO im DELPHI FILMPALAST und FILMTHEATER AM FRIEDRICHSHAIN © PHOTO BY ALISA ASLANOVA ALISA BY PHOTO © i n u J

. 2 1 b a e m d t. m s ra u g g Co ro u n tp a G st m im e an sa nz s za e ta am M TA ZN G w. tp ac w ro ras w gr / D am ork m a ypar b 1 k, Bru 2. Ju no Bel .a. ni | trão / Grupo de Rua u www.t anzimaugust.de 30 IM

al Im iv t Vo GU USA Ts C e o rv s F ns er 3 ale ta ka 0. Internation nz uf a : B M a 18 n ac lle B 20 vo ra t d erl 2.9. rt s e l’ in | 10.8.– tie / D Op n or ér se ky a d ä pa e L r rk yon p , B , Big runo Dance Th Belt eater, rão / G rupo de Rua präsentiert von HAU The Future of Europe Internationales Theaterfestival Von und mit TheatermacherInnen aus Athen, Barcelona, Budapest, Istanbul, Kherson, Lyon, Mailand, Moskau, Stuttgart und Thessaloniki

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Das Theaterfestival Basel | wird unterstützt durch: | | | 55. Theatertreffen Berlin – ab 5. Mai in 3sat

Woyzeck (Theater Basel) Samstag, 5. Mai, 20.15 Uhr

Die Odyssee (Thalia Theater Hamburg) Samstag, 12. Mai, 20.15 Uhr

Trommeln in der Nacht (Münchner Kammerspiele) Samstag, 19. Mai, 20.15 Uhr

„Die Odyssee“, Thalia Theater, © Armin Smailovic © Theater, Thalia „Die Odyssee“, 3sat | Das Programm von ZDF ORF SRG ARD Foto: Foto: Uraufführung Orpheus Regie Antú Romero Nunes Im Herzen der Gewalt 09. Aug – von Édouard Louis Regie Blanka 23. Sept Rádóczy Patentöchter Im Schatten 201 der RAF – ein Dialog von Julia Albrecht und Corinna Ponto Regie Gernot Grüne wald Hexenjagd von Arthur Miller Regie Stefan Pucher Medea – Das Goldene Vlies von Franz Grillparzer 8&2 Regie Jette Steckel Uraufführung Dritte Republik von Thomas Köck Re- gie Elsa-Sophie Jach und Thomas Köck Uraufführung Frankenstein / Homo 019 Deus inspiriert von Mary Shelley und Yuval Noah Harari Regie Jan Bosse Kaspar von Peter Handke Regie Leonie Böhm Geisterseher nach Friedrich Schiller Regie Antú Romero Nunes Vor dem Fest von Saša Stanišic´ Regie Charlotte Sprenger Ein Gegen­ wartsstück Regie Sebastian Nübling Deutschsprachige Erst- aufführung Iran­Konferenz von Iwan Wyrypajew Regie Matthias Günther Deutschland-Premiere I am Europe von Falk Richter Regie Falk Richter Eine Familie von Tracy Letts Regie Antú Romero Nunes Penthesilea von Heinrich von Kleist Regie Johan Simons Rom nach William Shakespeares „Coriolan“, „Julius Cäsar“ und „Antonius und Cleopatra“ Bearbeitung John von Düffel Regie Stefan Bachmann Ur- aufführung Checkpoint Woodstock von Marina Davydova ruhrtriennale.de Regie Marina Davydova Amphitryon von Heinrich von Kleist Regie Leander Haußmann Poor/Rich Europe Regie Volker Lösch (Gastspiel) Mao II / Joueurs / Les Noms

Gesellschafter und öffentliche Förderer nach Don DeLillo Regie Julien Gosselin (Gastspiel)

150 thalia­theater.de

RT_ADS_ Theatertreffen_20180320.indd 1 22/03/18 12:40 Uraufführung Orpheus Regie Antú Romero Nunes Im Herzen der Gewalt 09. Aug – von Édouard Louis Regie Blanka 23. Sept Rádóczy Patentöchter Im Schatten 201 der RAF – ein Dialog von Julia Albrecht und Corinna Ponto Regie Gernot Grüne wald Hexenjagd von Arthur Miller Regie Stefan Pucher Medea – Das Goldene Vlies von Franz Grillparzer 8&2 Regie Jette Steckel Uraufführung Dritte Republik von Thomas Köck Re- gie Elsa-Sophie Jach und Thomas Köck Uraufführung Frankenstein / Homo 019 Deus inspiriert von Mary Shelley und Yuval Noah Harari Regie Jan Bosse Kaspar von Peter Handke Regie Leonie Böhm Geisterseher nach Friedrich Schiller Regie Antú Romero Nunes Vor dem Fest von Saša Stanišic´ Regie Charlotte Sprenger Ein Gegen­ wartsstück Regie Sebastian Nübling Deutschsprachige Erst- aufführung Iran­Konferenz von Iwan Wyrypajew Regie Matthias Günther Deutschland-Premiere I am Europe von Falk Richter Regie Falk Richter Eine Familie von Tracy Letts Regie Antú Romero Nunes Penthesilea von Heinrich von Kleist Regie Johan Simons Rom nach William Shakespeares „Coriolan“, „Julius Cäsar“ und „Antonius und Cleopatra“ Bearbeitung John von Düffel Regie Stefan Bachmann Ur- aufführung Checkpoint Woodstock von Marina Davydova ruhrtriennale.de Regie Marina Davydova Amphitryon von Heinrich von Kleist Regie Leander Haußmann Poor/Rich Europe Regie Volker Lösch (Gastspiel) Mao II / Joueurs / Les Noms

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RT_ADS_ Theatertreffen_20180320.indd 1 22/03/18 12:40 Berliner Festspiele #immersion

Das gesamte Programm von Immersion und Tickets: berlinerfestspiele.de

Philippe 25.5– 5.8.2018 Pareno Gropius Bau The future Ausstelliung Welt ohne 8.6– 5.8.2018 ages faster Außen Gropius Bau Immersive Räume seit den 60er Jahren Ausstellung, Auffuhrungen, Workshops Kuratoren: Tino Sehgal & Thomas Oberender Norman Klein than Herbst The New 2018 Mobiler Dome im Infinity Berliner Stadtraum Neue Kunst fur Planetarien the present. In Kooperation mit dem Planetarium Hamburg

Kalendarium JANUAR Berliner Haus der Festspiele Berliner Gropius Bau Festspiele 2018 2. Sept. 2017 – 14. Jan. 2018 „Wenzel Hablik – 18.– 20. Januar Expressionistische Utopien“ „Requiem pour L.“ Ausstellung Fabrizio Cassol & Alain Platel Musiktheater 29. Sept. 2017 – 7. Jan. 2018 Weltpremiere Ed Atkins „Old Food“ Ausstellung Immersion 25.– 27. Januar FEBRUAR zu Gast: „NIJINSKI“ 9.Dez. 2017 – 4. März 2018 Gauthier Dance „Juden, Christen und Muslime. Tanz Im Dialog der Wissenschaften 500 – 1500“ 2. Februar Ausstellung „Nahaufnahme“ Treffen junge Musikszene 19.– 21. Januar Konzert „INTO WORLDS. Das Handwerk der Entgrenzung“ 15.– 25. Februar Konferenz Immersion zu Gast: 68. Internationale Filmfestspiele Berlin ab Februar 2018 MÄRZ Wu Tsang Artist in Residence

16.— 25. März MaerzMusik – Festival für Zeitfragen Festspielhaus und andere Orte

29. März– 22. April 24.— 25. März zu Gast: „ISM Hexadome“ MaerzMusik – „The Long Now“ Immersive Sound & 30 Stunden Kraftwerk Berlin 360° Visual Exhibition

31. März Bewerbungsschluss: APRIL Tanztreffen der Jugend 20. April — 22. Juli 7.– 8. April „Covered in Time and History: „Die Originale“ Die Filme von Ana Mendieta“ Ein Researchprogramm zum Ausstellung zeitgenössischen Circus 21.– 29. April 13.– 21. April „Mutter und Sohn = Realität Theatertreffen der Jugend trifft Kunst (Z.U.K.U.N.F.T. der Unendlichkeit)“ Ein 360°-Film von Jonathan und Brigitte Meese Immersion 154