2.12 Oktober 2012 11. Jahrgangverdikt 2.13 , Seite 33 verdikt Mitteilungen der Fachgruppen Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte in ver.di

November 2017 16. Jahrgang 2.17 verdikt Mitteilungen der Fachgruppe Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte in ver.di verdikt Mitteilungen der Fachgruppe Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte in ver.di

4 Norwegens schwerer Gang – Vom Prozess gegen den Attentäter von Oslo und Utøya – Ein Interview mit Bernd Marschang 8 BVerfG: Entweder EU mit Spardiktat oder Austritt aus der EU 10 VG Frankfurt: Hess. Richterbesoldung verstößt gegen Verbot der Altersdiskriminierung 12 Das Vilamoura Manifest von MEDEL – Ein Aufruf zur Verteidigung sozialer Rechte 14 In den Schluchten des Balkans – Zur Situation der Justiz in Serbien 20 Georgien auf dem Weg zu einer rechtsstaatlichen (Straf-) Justiz? 24 Einstimmung auf Verfassungs- und Völkerrechtsbruch

4 Rede Murat Arslans zur Verleihung des Vaclav-Havel-Preises 2017 8 Im Kontext NSU - welche Frage stellen Sie? 12 Welches Geschlecht kennt Recht? 20 Leider doch: viele NS-Verbrecher beziehen weiterhin Kriegsopferrente verdikt 2.17 , Seite 2 verdikt 2.17 , Seite 3

3 Editorial

brennPUNKT 4 Rede Murat Arslans zur Verleihung des Vaclav-Havel- Preises 2017 5 Vaclav-Havel-Preis 2017 für Murat Arslan | Hans-Ernst Böttcher 6 Die Türkei – Ein Polizeistaat | Leandro Valgolio

Aus der justiz 8 Im Kontext NSU – welche Frage stellen Sie? | Barbara Nohr interviewt beate maria wörz

Internationales 10 Stellungnahme des Vorstandes der Deutsch-Polnischen Richtervereinigung zu den Justizreformen in Polen

Rechtspolitisches 12 Welches Geschlecht kennt Recht? | Theresa Richarz

NS-justiz 15 Von den Schwierigkeiten des Versuchs, das Schicksal nicht nur von Tätern, sondern auch von Opfern in der Justiz unter dem Nationalsozialismus wiederzugeben |Jürgen Jekewitz 20 Leider doch: viele NS-Verbrecher beziehen weiterhin Kriegsopferrente | Barbara Nohr

IN eigener Sache 22 Bundesfachausschuss verabschiedet Barbara Wederhake | Karl Schulte 23 Christian Hoffmeister stellt sich vor

REzensionen 24 Der gute Deutsche – Die Ermordung Manga Bells in 1914; Christian Bommarius | Martin Bender 27 Ende der Wahrheitssuche – Justiz zwischen Macht und Ohnmacht; Joachim Wagner | Klaus Thommes

RECHT LITERARISCH 32 „Das wühlt mich immer noch auf“ | Uwe Boysen interviewt Bernd Asbrock

Impressum 31 verdikt 2.17 , Seite 3

[EDITORIAL]

Liebe Leserinnen und Leser von verdikt,

. 100 Hefte der Zeitschriften »ötv in der Havel-Preis erhalten hat, doch eine Ausnahme Rechtspflege« plus verdikt sind mit dieser gemacht werden (siehe dazu seine Rede zur Ausgabe geschafft. Viele Köpfe und Hände Preisverleihung auf Seite 4), die Würdigung haben daran mitgearbeitet. Und ich denke, es durch Hans-Ernst Böttcher (siehe Seite 5) und ist auch viel Brauchbares für Leserinnen und den Bericht von Leandro Valgolio auf Seite 6. Leser dabei herausgekommen. Unsere Zeit- Sein Schicksal steht für dasjenige vieler türki- schrift scheut sich nicht, Stellung zu bezie- scher und ausländischer Gefangener, die dem hen. Die von Juristen so gern benutzte Aussa- türkischen Regime offenbar schutzlos ausge- ge, juristische Fragen seien keine politischen, liefert sind. erkennen wir so nicht an. Wir werden, wie bisher, weiter Wert darauf legen, politische . bestürzend sind aber nicht nur diese Er- und gesellschaftliche Folgen juristischen und eignisse in der Türkei. Das Ende des NSU- insbesondere justiziellen Handelns zu thema- Prozesses zeichnet sich ab, aber vieles wird tisieren und zu kritisieren, sei es im Arbeits- wohl offen bleiben. Die Künstlerin beate ma- und Sozialrecht, im Strafrecht und im Straf- ria wörz präsentiert auf Großflächenplakaten verfahrensrecht, im Ausländerrecht und allen Antworten auf die Frage, welche Frage wir »im anderen Rechtsbereichen, in denen uns dies Kontext NSU“ stellen würden. Im Heft erklärt angebracht und nötig erscheint. sie uns, wie sie auf diese Idee kam und eini- ges mehr. Zudem hat sie uns erlaubt, einige . Schon immer war es ein Anliegen dieser der Fragen – in verkleinerter Form – in dieser Zeitschrift, auf die Bedeutung der Regelun- Ausgabe abzudrucken. Wir freuen uns sehr da- gen unserer Verfassung, insbesondere die rüber, dass wir in unserer Nr. 100 einmal einen Geltung der Grundrechte und ihre zentralen ganz anderen Zugang zu einem hochbrisanten Prinzipien der Sozial- und Rechtstaatlichkeit Thema bieten können. hinzuweisen und deren Gefährdungen oder gar Verletzungen zu benennen. Dass wir sol- . die Redaktion freut sich auch über die zahl- chen Gefährdungen wirksam vor allem in ei- reichen freundlichen im Innenteil der Ausgabe nem machtvollen gewerkschaftlichen Zusam- zu lesenden Stellungnahmen zu unserem 100. menhang auch mit anderen, die gleichen Ziele Heft. Wir begreifen sie als Anerkennung für die verfolgenden Organisationen entgegentreten langjährige Arbeit der Redaktion in ihrer un- können, ist ebenfalls immer wieder Gegen- terschiedlichen personellen Besetzung. Wenn stand von Beiträgen der Zeitschrift gewesen. nunmehr die Nr. 100 erscheint, so dokumen- tiert das zugleich, dass zunächst die Gewerk- . Heute ist es geboten, erneut die rechts- schaft ÖTV und nun ver.di der Zeitschrift für staatlich skandalösen Verhältnisse in der Tür- den Bereich der Justiz aus gewerkschaftlicher kei zu beschreiben. Wenn die Redaktion auch Sicht eine tragende Bedeutung beimessen. nicht viel davon hält, Ereignisse zu stark zu Möge dies auch in Zukunft so bleiben!  personalisieren, so muss davon im Fall unse- res in der Türkei inhaftierten Richterkollegen Für die Redaktion Murat Arslan, der im Oktober 2017 den Vaclav- Uwe Boysen verdikt 2.17 , Seite 4 verdikt 2.17 , Seite 5

[BRENNPUNKT]

Rede Murat Arslans zur Verleihung des Vaclav-Havel-Preises 20171

1 Ich spreche zu Ihnen aus einem Gefängnis, aus einem Land, in dem der Rechtstaat suspendiert ist, das sich von der Demokratie entfernt, in dem Dissidenten zum Schweigen gebracht werden, in dem die Verteidiger der Menschenrechte, Journalisten, Menschen, . Wir haben auf jedes diese Werte in Frage stellende Ereignis reagiert die nach Frieden rufen, Menschen, die ausrufen, dass nicht Kinder und erklärt, dass diese Werte bedroht sind. Wir haben uns dagegen- sterben sollten, als Terroristen abgestempelt und eingesperrt werden. gestellt, um zu verhindern, dass die Mauer der Furcht wächst, die die Stellen Sie sich ein Land vor, wo Gefängnisse geradezu der natürliche Gesellschaft einschließt. Aufenthaltsort für Menschenrechte und Freiheit sind, wie ein Reich der Furcht, das nach und nach in Dunkelheit versinkt. . Wir haben gezeigt, wie wohlbegründet unsere Werte sind in einem Moment, da Vorurteile und unbegründete Behauptungen die öffentli- che Meinung dominieren. . Ja, dieses Land hat wirklich nichts aus den schmerzhaften Erfah- rungen Europas im frühen 20. Jahrhundert gelernt. Deswegen macht . Trotz allem, was wir erleben, haben wir uns an die internationale es 100 Jahre später die Erfahrung, wie es ist, Laboratorium für ein auf- Öffentlichkeit gewandt, um uns einer objektiven Einschätzung von kommendes totalitäres Regime zu werden. außen zu stellen. Und wir sind dadurch in den Augen der Welt Reprä- sentanten einer Organisation geworden, deren Blick auf die Justiz ih- . Aber dennoch: Diese Situation darf niemand verzweifeln lassen. res Landes respektiert und deren Meinung gefragt ist. Wir sind nie in Verzweiflung verfallen. Das verbietet uns schon die Existenz unserer Kinder. Solange irgendwo jemand ist, der es auf sich . Wir haben es nicht zugelassen, und wir werden es nicht zulassen, nimmt, für Recht und für Freiheit zu streiten, bedeutet das: Es gibt dass dieses Land sich zerstört und die Justiz ihrem Schicksal überlässt. Hoffnung für die Zukunft. Deshalb haben wir uns in der Justiz enga- Wir haben unsere Spuren überall hinterlassen, immer mit dem Ziel, giert und in einer Richterorganisation zusammengeschlossen. zu unseren Grundwerten zurückzukehren. Und wir lassen es uns nicht ausreden, dass diese wiedergeboren werden. Dass wir heute im Exil . Wir haben 2006 die Türkische Vereinigung für Richter und Staats- oder im Gefängnis leben müssen, ändert an dieser Realität nichts. Im anwälte YARSAV gegründet, weil wir daran glaubten, dass eine unpar- Gegenteil bestärkt der Preis, den wir zahlen, unseren Glauben und un- teiliche, die Freiheit sichernde Justiz eine conditio sine qua non in ei- sere Lust, für die kommenden guten Tage von Recht und Demokratie nem modernen demokratischen Verfassungsstaat ist, der sich auf die zu kämpfen. Menschenrechte gründet. . Wir zeigen und wir werden zeigen, dass in einem Reich der Furcht, . Durch unseren Kampf für die Unabhängigkeit und die Unpartei- wo die, die sprechen müssten, zum Schweigen verurteilt sind, wir lichkeit der Justiz sind die Werte des demokratischen Rechtstaats in nicht schweigen werden. Und dass wir mit Kraft und Stolz die Stimme einem Land ans Licht gekommen, in dem demokratische Kultur und erheben werden gegen alle Ungerechtigkeit und alle Verleugnung des Rechtskenntnisse nur schwach entwickelt sind. Nunmehr, da diese Rechts. Wir werden weiter und noch kräftiger stören und die Stimmen Werte von Menschen aus Fleisch und Blut verkörpert und gelebt wer- drinnen und draußen, die sich gegen ein autoritäres Regime wenden den, gibt es kein Zurück mehr. noch klarer werden lassen. Und dies, damit unser Leiden gehört wird.

. Um diese Unabhängigkeit in toto und um diese modernen Stan- . Diese Opposition ist der letzte Widerstand, um den totalen Bruch dards zu gewährleisten, haben wir nur wenige Regeln und Bezugs- mit der Demokratie und den Freiheitsrechten noch aufzuhalten. Alle punkte: die Trennung von Staat und Kirche, den Vorrang des Rechts, unsere Anstrengungen gelten einem modernen, demokratischen eine auf Recht, Freiheit und Gleichheit gegründete soziale Demokratie. Rechtstaat, der sich auf die Menschenrechte gründet.

1 Die Rede wurde am 9. 10. 2017 in Straßburg für den inhaftierten türkischen Kollegen auf dessen Wunsch von der frz. Kollegin Simone Gaboriau (Syndicat de la Magistrature, MEDEL) . Vergessen wir nicht, dass die Geschichte voll von tapferen Men- verlesen. schen ist, die die Verhältnisse umwälzen wollten und die den Preis da- Von der in Türkisch verfassten Rede lagen den Übersetzern ins Deutsche (Hans-Ernst Böttcher für gezahlt haben, dass der Fortschritt dann von denjenigen erreicht und Uwe Boysen) eine englische und eine französische Fassung vor, die auf der Website worden ist, die sie auf ihren Schultern getragen haben. der Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte in ver.di über www. verdikt.verdi.de zu finden und nachzulesen sind und sehr voneinander abweichen. Wir haben versucht, daraus eine Fassung zu formulieren, die hoffentlich dem türkischen Original . Ich empfinde es als große Ehre, diesen Preis entgegenzunehmen, nahekommt, wenn nicht entspricht. Im Zweifel sind wir der französischen Fassung gefolgt, da der den Namen des großen Intellektuellen und Politikers Vaclav Havel Simone Gaboriau die Rede für Murat Arslan in Französisch vorgetragen hat. verdikt 2.17 , Seite 5

trägt. Der Preis wird, dank der moralischen mit ihm verbundenen Un- terstützung, denen viel bedeuten, die in meinem Land für Recht und Freiheit kämpfen. Und ich widme diesen Preis all denen, die zu Unrecht ihres Amtes beraubt sind, allen Arbeitern, die ins Gefängnis geworfen wurden und allen Mitstreitern für Recht und Freiheit.

. Ich danke allen Mitgliedern der parlamentarischen Versammlung - der Vereinigung der Europäischen Verwaltungsrichter (Associa- - des Europarates tion of European Administrative Judges), - der Jury des Preises - und der niederländischen Stiftung „Judges für Judges,“ - allen Menschen, die mir während dieser Zeit Unterstützung ha- - meinen Freunden von YARSAV und denen von der Gewerkschaft ben zu Teil werden lassen, ebenso all denen, die in meinem Land der Richter (Syndicat des Juges), mit denen den Kampf seit lan- recht und Freiheit verteidigen, gen Jahren geführt zu haben ich stolz bin, - der Internationalen Richtervereinigung (International Associa- - meiner Frau Sevilay, die mir die Kraft gegeben hat, aufrecht zu tion of Judges), deren Mitglied ich mit Stolz bin, bleiben in diesen schwierigen Momenten und die meinem Le- - der Europäischen Richtervereinigung (European Association of ben einen Sinn gibt, ebenso meinen Kindern Burak Emre und Judges), Ygit Eren. - der Vereinigung MEDEL (Magistrats Européens pour la Démo- cratie et les Libertés, Europäische Richter für Demokratie und . Ich grüße Sie alle. Ich bin voller Hoffnung auf eine helle Zukunft in Grundrechte), Frieden und der Würde des Menschen entsprechend. Daran glaube ich. 

Hans-Ernst Böttcher Vaclav-Havel-Preis 2017 für Murat Arslan Zeichen der Solidarität mit den türkischen Kolleginnen und Kollegen und . Nach jetzigem Stand sind ca. 4.500 der ehemals 13.000 türkischen allen Verfolgten in der Türkei Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte aus dem Amt geworfen worden, viele sind inhaftiert. Sie leiden, wie ihre Fa- . In der Sitzung der Parlamentarischen Versammlung des Europarats milien, neben der politischen Verfolgung, unter blanker wirtschaftlicher vom 9. Oktober 2017 ist der nach dem tschechischen Schriftsteller, Not. Ein spontan von der Kollegin Sabine Stuth und dem Kollegen Chris- Bürgerrechtler und späteren Staatspräsidenten benannte Vaclav-Ha- toph Strecker für MEDEL eingerichteter Solidaritätsfonds, in den allein vel-Menschenrechtspreis an den türkischen Richter Murat Arslan ver- deutsche Richterkolleginnen und Kollegen binnen Kurzem ca. 50.000 liehen worden, der sich seit Oktober 2016 unter willkürlichen, diffusen Euro eingezahlt haben und der jetzt in einem gemeinsamen Fonds der Vorwürfen in Untersuchungshaft befindet. europäischen Richterverbände aufgegangen ist, war und ist vielen Ver- folgten, Angehörigen und Freunden eine große Hilfe; diese konnte und . Die Ehrung erfolgte auf Vorschlag der europäischen Richterver- kann aber natürlich nur ein Tropfen auf den heißen Stein sein. einigung MEDEL (www.medelnet.org, Magistrats Européens pour la Démocratie et les Libertés, Europäische Richter für Demokratie und . Murat Arslan, der zusammen mit vielen Kolleginnen und Kollegen Grundrechte). Diese ist 1985 von den Richterinnen und Richtern in der von YARSAV zu den willkürlich Verhafteten gehört, gilt in der Rich- Gewerkschaft ÖTV in Straßburg mit gegründet worden. Heute gehört terschaft und bei vielen Bürgerrechtlern und Gruppen der Zivilgesell- MEDEL außer den Richterinnen und Richtern in ver.di aus Deutschland schaft in der Türkei als „Leuchtturm“ und als Hoffnungsträger für eine auch die NRV (Neue Richtervereinigung) an. demokratische, rechtsstaatliche Justiz in einer freien türkischen Ge- sellschaft . . Murat Arslan ist Vorsitzender der unabhängigen türkischen Rich- tervereinigung YARSAW, die Mitglied von MEDEL ist. Er war in seiner . Auf Murat Arslans ausdrücklichen Wunsch hat die französische richterlichen Laufbahn auch schon Mitarbeiter („Berichterstatter“) Kollegin Simone Gaboriau (für MEDEL) am 9. Oktober 2017 in Straß- beim türkischen Verfassungsgericht. Unsere Delegierten bei MEDEL burg dessen Rede vorgetragen.(Sie finden diese Rede auf Englisch und kennen ihn als Freund und Kollegen. Französisch auf der Website von MEDEL – www.medelnet.org – in den genannten beiden Sprachen und auf Deutsch im Netz auch auf der . Nicht erst seit dem Putsch in der Türkei am 16. Juli 2016 und den hier- Website von ver.di – https://bund-laender.verdi.de/fachgruppen/jus- nach verhängten repressiven Maßnahmen des Staatspräsidenten Erdo- tiz/richter – und in diesem Heft). gan und der türkischen Regierung wird unsere Schwesterorganisation YARSAV verfolgt; nunmehr ist die Organisation – wie viele unter dem . Bis zum Beginn der am 2. November 2017 in Ankara eröffneten hergeholten Verdacht, der Gülen-Bewegung nahezustehen – verboten. Hauptverhandlung gegen Murat Arslan waren die Anklagevorwürfe verdikt 2.17 , Seite 6 verdikt 2.17 , Seite 7

der Verteidigerin im Einzelnen unbekannt. Im Raum steht „nur“, wie bei so vielen Angehörigen des öffentlichen Diens- tes der Türkei, der pauschale, gegenüber diesem Richter abenteuerliche Vorwurf der „Terrorunterstützung“ in Form „staatsfeindlicher Kontakte“. Die nahezu ganztägige Ver- handlung ist dann am 2. November zur Fortsetzung auf den 18. Dezember 2017 vertagt worden. Murat Arslan befindet sich weiter in U-Haft. von links: Die Preisträger – drei Mitglieder des ungarischen Helsinki-Komitees, Simone Gaboriau für Murat Arslan, der österreichische Jesuitenpater Sotschill . In Ankara ist für eine Prozessbeobachtung Sorge getragen. Nicht nur die europäischen Richterorganisationen (neben MEDEL u.a. auch Amt entfernten oder sonst an der Ausübung ihres Berufs gehinderten der Europäische Richterverband, dem auch der Deutsche Richterbund, Richterinnen und Richtern, Staatsanwältinnen und Staatsanwälten DRiB, angehört) stehen hierfür bereit und stehen vor allem in ständiger und ihren Familien in Solidarität verbunden. Unsere Verbundenheit Verbindung mit Murat Arslans Verteidigung. Auch die Botschaften der gilt ebenso allen anderen Verfolgten und Bedrohten, die Person für europäischen Staaten und die Ständige Vertretung der EU verfolgen Person für gelebte Grundrechte stehen. Hierzu gehören die Anwalts- den Prozess mit großer Aufmerksamkeit und Tatkraft. Ausdrücklich kolleginnen und -Kollegen, die Lehrerinnen und Lehrer, die Profes- sei hier in diesem Verbund die deutsche Botschaft mit Dank genannt. sorinnen und Professoren und andere Beschäftigte des öffentlichen Bereichs in der Türkei. Nicht zuletzt und ganz besonders gilt unsere . Im Termin vom 2. November war für MEDEL und die NRV Ingrid Solidarität den Journalistinnen und Journalisten, Schriftstellerinnen Heinlein anwesend, außerdem – wie sie mitteilt – noch ein niederlän- und Schriftstellern, mit denen wir ja in Deutschland nicht von unge- discher Kollege. Auch die deutsche Botschaft war vertreten. fähr als Richterinnen und Richter in ver.di in einer Gewerkschaft, der (Ingrid Heinlein wird im Dezemberheft von B:J berichten). Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft verbunden sind. 

. Die Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwäl- Spendenkonto der Europäischen Richtervereinigung und von MEDEL für te in ver.di sind, gemeinsam mit ihrer gesamten großen Gewerkschaft Murat Arslan: Bank : Unicredit Rom ver.di, mit den Kolleginnen und Kollegen in MEDEL und den übrigen Adresse : Italien, Palazzo di Giustizia 30092 europäischen Organisationen der Richterschaft und auch der Anwalt- IBAN: IT 56O02008 05101 000104586019 BIC/Swift : UNCRITM1B52 schaft Murat Arslan, den anderen willkürlich inhaftierten und aus dem (Achtung das 5. Zeichen der IBAN ist ein großes O, keine Null)

Leandro Valgolio – Delegierter der ver.di-Bundesfachgruppe Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte bei MEDEL – Die Türkei – Ein Polizeistaat . Die türkische Regierung und ihr Repressionsapparat gehen als Re- from Turkish Judiciary 2016-2017), welche die Dramatik dieser Entwick- aktion auf den militärischen Putschversuch vom Juli 2016 weiterhin, lung eindrucksvoll aufzeigen. ohne nennenswerten Widerstand zu erfahren, wie mit einem Rasen- mäher über demokratische Grundrechte und die Mindestanforde- . Soweit ersichtlich, ist bisher in keinem Fall förmlich Anklage er- rungen einer unabhängigen Justiz. Bekanntlich sind seitdem über hoben worden. Den Gefangenen und den wenigen Anwälten, die sich 100.000 Personen (Journalisten, Staatsbedienstete, Lokalpolitiker, unter diesen Umständen zur Übernahme eines Mandats bereit erklärt Rechtsanwälte, Universitätsangehörige, Künstler und Kulturschaffen- haben, ist es unter Strafe verboten, über den Inhalt und Ablauf der Er- de) ihrer Ämter enthoben worden. Darunter befinden sich ca. 4.500 mittlungen mit Dritten zu reden. Im Übrigen ist den Strafverteidigern Richter und Staatsanwälte – das ist ca. ein Drittel der ehemals ge- bislang keine Akteneinsicht gewährt worden. Die Haftbefehle und die samten Magistratur –, die zwischenzeitlich ohne Anhörungsverfah- Erklärungen des Justizministeriums hierzu sind mit dem Vorwurf der ren oder Rechtsbehelfe dagegen einlegen zu können – die verlängerte Mitgliedschaft und Unterstützung einer internationalen terroristi- Notstandsverfassung macht es möglich – mit Zustimmung des neu schen Vereinigung begründet worden. Gemeint ist die Bewegung des gebildeten Obersten Richterrats aus der Justiz entlassen wurden. Etwa islamistischen Predigers Fethullah Gülen, der für den militärischen 800 hiervon befinden sich seit mindestens einem Jahr unter misera- Putschversuch verantwortlich gemacht wird. Die einzige Verbindung blen Bedingungen, teilweise in umfunktionierten Militärkasernen in dieser Bewegung mit den Richtern und Staatsanwälten besteht darin, Haft. Sämtliche Vermögenswerte wie Wohneigentum, Lebensversiche- dass die Vorbereitungen auf die juristische Staatsprüfung durch priva- rungen, Sparbücher, Autos usw. sind konfisziert worden. Ihre Famili- te Bildungseinrichtungen dieser Organisationen durchgeführt werden enangehörigen, deren Reisepässe ebenfalls eingezogen wurden, sind und die Teilnahme daran ein gutes Examensergebnis garantiert; auch zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts auf die Hilfe von Verwandten/ die Kinder Erdogans haben eine solche absolviert. Außerdem ermög- Freunden bzw. auf Auslandsspenden angewiesen. Auf der Homepage licht dies weitere Vergünstigungen wie z.B. Auslandstipendien. Bei von MEDEL sind mehrere Briefe von Betroffenen dokumentiert (Letters einigen Jahrgängen hat sich aus diesen Vorbereitungskursen ein Netz- verdikt 2.17 , Seite 7

werk entwickelt, das auch im späteren Berufsleben genutzt wird, sei keinerlei Gefahr mehr für Europa ausgehe (SZ 21./22. Oktober 2017, S. es auch nur, um Fachinformationen auszutauschen. Soweit bekannt, 6). Einer der türkischen Angeklagten ist jahrelang in der Türkei schwer wurden die inhaftierten Richter mangels eigener Tatbeiträge auch nur gefoltert worden und saß sieben Jahre im Gefängnis. Seine Familie, die darüber befragt, auf welche Weise sie sich auf die Abschlussprüfungen in der Schweiz lebt, kann ihn nur einmal im Monat besuchen. Trotz vorbereitet haben, welche Richterorganisation sie bevorzugen und ob Krankheit und Suizidgefährdung lehnt das Gericht eine Haftentlas- sie bei der vorherigen Wahl des Obersten Richterrates involviert waren. sung ab. Man könnte vermuten, dass Deutschland Erdogan keinen An- lass für den Vorwurf geben möchte, dass sich türkische Terroristen hier frei bewegen können! Den Vorschlag des Gerichts, ihn im Fall eines Reaktionen der Zivilgesellschaft Geständnisses zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren zu verurteilen . Die bisherigen Reaktionen und Proteste der interessierten Öffent- hat der Angeklagte mit der Begründung abgelehnt, dass er damit den lichkeit haben an dieser dramatischen Situation absolut nichts ändern Mitangeklagten in den Rücken fallen würde. können. Vorbildlich sind in diesem Zusammenhang zwar die gemein- samen Stellungnahmen aller europäischen Richterverbände, die eine Was man zu Murat Arslan wissen muss sofortige Freilassung der inhaftierten Richter sowie eine Aufhebung der Suspendierungen verlangt haben. Auf das ebenfalls geforderte Zu- . In dieser Oase des Schweigens und des Schämens brilliert die Ent- gangsrecht für internationale Beobachter zu Haftanstalten und zu Ge- scheidung der Parlamentarischen Versammlung des Europarates vom richtsterminen gibt es jedoch noch keine Antwort aus der Türkei. Die 09. Oktober 2017. Das Gremium, dem auch die Türkei angehört, hat in einigen Staaten vorhandenen und von den Justizverwaltungen unab- den nach dem Bürgerrechtler benannten Vaclav-Havel-Menschen- hängigen Richterschulen haben sofort jeglichen Kontakt mit der türki- rechtspreis an den türkischen Richter Murat Arslan, der sich seit Ok- schen Justiz abgebrochen. Dieser soll erst wiederaufgenommen werden, tober 2016 in Haft befindet, verliehen. Murat Arslan war Vorsitzender wenn die eklatanten Menschenrechtsverletzungen abgestellt werden. der nach dem versuchten Militärputsch per Regierungsdekret verbo- tenen Richtervereinigung YARSAV, die wie die Bundesfachgruppe Richterinnen und Richter, Halbherzige Reaktionen der Politik Staatsanwältinnen und Staatsanwälte von ver. . Weitaus weniger entschieden sind di Mitglied der europäischen Richtervereini- dagegen die Stellungnahmen von po- gung MEDEL ist. Murat Arslan ist ein mutiger litischen Amtsträgern (s. hierzu verdikt Richter und ein engagierter Kämpfer für die Un- 2.16 S. 7: „ Die strafrechtliche Aufar- abhängigkeit der Justiz in der Türkei. Bei Kon- beitung des Umsturzversuchs muss gressen, in Interviews, Zeitungsartikeln und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz sonstigen Stellungnahmen hat er in den letzten entsprechen“). Erdogan und seine Regierung werden mit Samthand- Jahren wiederholt Stellung bezogen und die aktive Rolle einer von der schuhen angefasst, damit sie nicht aus Verärgerung die Tore gegen Regierung unbeeinflussten Justiz bei Ermittlungen gegen Familien- die Einwanderung nach Europa wieder eröffnen. Die Wirtschaft und die angehörige von Politikern, Wirtschaftsbossen und Besitzern von Fuß- Finanzwelt machen unverändert mit der Türkei Geschäfte; deutsche ballvereinen hervorgehoben. Aus diesem Grunde wurde er bereits im Rüstungsunternehmen bauen dort sogar zusammen mit einem türki- August 2015 von seinem bisherigen Amt zum Rechnungshof versetzt. schen Unternehmen weiterhin Kriegsgeräte. Türkisches Militär nimmt Unerschrocken hat Murat Arslan bis zu seiner Verhaftung Missstände an NATO-Übungen und Tagungen in Deutschland teil. Und unsere Kol- angeprangert und die Einhaltung rechtsstaatlicher Grundsätze rekla- legen sitzen weiterhin unschuldig im Gefängnis. miert. Als die Nominierung von MEDEL zum Vaclav-Havel-Preis be- kannt wurde, verschärfte man seine Haftbedingungen – er musste bis dahin schon das Zimmer mit weiteren 21 Insassen teilen – und sprach Ein deutsches Gericht als Handlanger türkischer Interessen? ein Besuchsverbot von einem Monat mit der Begründung aus, er habe . Paradoxerweise stehen zur gleichen Zeit türkische Folteropfer vor sich in einem Brief an seine Ehefrau über seine Situation beschwert. einem deutschen Gericht und müssen sich gegen den Vorwurf der Un- terstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland (§ 129b StGB) Taten, keine Appelle mehr! verantworten. Seit eineinhalb Jahren läuft ein Prozess vor dem OLG München, in dem zehn Angeklagten, die zum Teil unter Hochsicher- . Es ist Zeit, den vielen nutzlosen Appellen Taten folgen zu lassen, be- heitsbedingungen in Haft sind, vorgeworfen wird, für die kleine türki- vor es zu spät ist. Wenn von den deutschen offiziellen Stellen diesbezüg- sche kommunistische Partei TKP/ML Geld gesammelt und einmal im lich nichts zu erwarten ist, bleiben neben den zivilen Gruppen nur noch Jahr ein Sommercamp für den Nachwuchs organisiert zu haben. Selbst die Gewerkschaften, die in der Lage sind, eine solidarische Situation zu nach Ansicht vieler Ermittler soll es sich um einen höchst fragwürdigen schaffen, um die Türkei als fürchterlichen Polizeistaat zu entlarven. Ver. Prozess handeln, weil es sich um „kleine Fische“ handele, die Beweisla- di ist aufgerufen, vor Ort während der Prozesse gegen Richter, Journalis- ge, die ausschließlich auf Informationen türkischer Sicherheitsbehör- ten, Professoren, Kulturschaffende und andere im öffentlichen Bereich den beruhe, dünn, der Aufwand immens sei und von der Partei TKP/ML Beschäftigte gemeinsam mit den dortigen Fachgewerkschaften Präsenz nach Auffassung des Verfassungsschutzes seit den 19Neunzigerjahren durch Beobachtung und Kommentierung der Ereignisse zu zeigen.  verdikt 2.17 , Seite 8 verdikt 2.17 , Seite 9

[Aus DEr JUSTIZ] Im Kontext NSU – Welche Frage stellen Sie? . Die Künstlerin beate maria wörz hat eine Plakataktion zum NSU-VS-Komplex ge- macht und diese unter anderem in der ver. di-Bundesverwaltung mit mehreren Großflä- chenplakaten und weiteren Arbeiten zu dem Thema ausgestellt. Barbara Nohr hat für ver- dikt die Künstlerin zum Kunstprojekt befragt. Einige der auf den Großflächenplakaten ab- gebildete Fragen sind – mit freundlicher Ge- nehmigung der Künstlerin – in dieser verdikt abgedruckt.

. verdikt: In der verdi-Bundeszentrale konn- Es drängten sich einfach so viele neue Fragen chen Raum verwendet. Das Konzept setzt auf ten wir eine Reihe Deiner Plakate im Rahmen auf, wenn man dort saß und zuhörte und zu- Wahrnehmung durch Wiederholung, der öf- Deiner Ausstellung sehen. Einige davon hin- sah. Ich überlegte, wie ich mit meinen Mitteln fentliche Raum bietet einen unbeschränkten gen ja auch zeitweise in . Sie wirken auf der bildenden Kunst dazu arbeiten könnte und Zugang. Die Plakate überraschen durch den den ersten Blick irritierend. Was hast Du Dir begann zu überlegen, welche Frage jemand Moment des scheinbaren ‚Nichts’ zwischen dabei gedacht? stellen würde in diesem Kontext, wenn er oder lauter und bunter Werbung und öffnen einen sie nur eine einzige formulieren könnte. mentalen Raum für die Auseinandersetzung . beate maria wörz (bmw): ich hatte ab mit den jeweiligen Fragen. November 2012 über ein halbes Jahr den in . verdikt: wie bist Du an die Fragen heran- Berlin tagenden parlamentarischen Unter- gekommen? War das schwierig? . Ich hatte in meiner Arbeit immer wieder suchungsausschuss (PUA) zur politischen nach Formen gesucht, Themen, die mich Aufklärung der NSU-Terrorserie besucht. Ich . bmw: Das war ganz unterschied- beschäftigen, häufig gesellschaftliche oder war erschrocken und fassungslos über das, lich. Zuerst fragte ich bei Beteiligten und auch politische, soweit sich das überhaupt was sich an Abgründen auftat zwischen allen Beobachter*innen der Untersuchungsaus- trennen lässt, in den öffentlichen Raum zu diesem ‚Nicht-Erinnern‘, den sogenannten schüsse, sprach Teilnehmer*innen von Ver- bringen und habe das mit unterschiedlichen ‚Pannen’, der offensichtlichen Gleichgültig- anstaltungen zu NSU an und habe später Mitteln getan; letztlich geht es mir immer keit politischer Vertreter und auch von uns Menschen an unterschiedlichsten Orten ein- wieder darum zu irritieren, die jeweils eige- als Gesellschaft überhaupt gegenüber be- geladen, eine Frage zu formulieren, wenn das ne Wahrnehmung und für die Betrachtenden stimmten in diesem Land lebenden Bevölke- Gespräch auf dieses Thema kam. scheinbar Selbstverständliches in Frage zu rungsgruppen und dem, was ihnen an Terror stellen, ein Nachdenken darüber anzuregen. und Leid widerfahren war. Es war ein ‚Nicht- . Manche der Fragen bzw. Sätze wurden fassen-können‘, dass all diese Dinge tatsäch- sehr schnell von ihren jeweiligen Verfasserin- . verdikt: Wie hast Du die Aktion finan- lich passieren konnten. Anfänglich auch ein nen formuliert, waren im Grunde längst fer- zieren können? Gab es politische Unterstüt- positives Erstaunen darüber, dass lange Zeit tig. Andere brauchten sehr lange, bis sie ihre zung? tatsächlich alle Mitglieder des Ausschusses Wortgestalt fanden, wieder andere Fragen parteiübergreifend ernsthaft an der Auf- sind nie bei mir angekommen; den Zugang . bmw: Dieser Prozess war lang und müh- klärung zu arbeiten schienen, gegen offen- zu den Betroffenen der Morde und Anschläge sam: endlose Anfragen und Anträge, viel sichtliche Widerstände seitens der jeweiligen habe ich letztlich bis auf ein zwei Ausnahmen Anerkennung für das künstlerische Konzept Verfassungsschutz- und anderer Behörden. nicht hinbekommen. Ich wollte sie auch nicht und die Betonung seiner Wichtigkeit, jedoch Irgendwann, gegen Ende dieses ersten PUA bedrängen in ihrem jahrelangen Leid und ih- fast genauso viele lobende Absagen haben zum NSU kippte etwas, Fragen gingen nicht ren Traumata. mich am Ende nur einen Bruchteil der für mehr tief genug und wir alle fragten uns, das eigentliche Konzept (3.400 Plakate, 1 was da gerade passiert. Uns, die wir als Be- . verdikt: Indem Du die Fragen auf die gro- Jahr lang in 20 Städten mit 10-tägig wech- obachterinnen oben auf der Besucherempore ßen Plakate gezogen hast, ist eine beeindru- selnden Fragemotiven) benötigten Gelder saßen, fiel auf, dass der bis dato deutliche ckende Kunstaktion daraus geworden. Was zusammenbringen lassen, so dass es nur eine Ermittlungs- bzw. Aufklärungswille über die ist die Idee dahinter? sehr abgespeckte Kurzversion zu sehen gab. Parteigrenzen hinweg plötzlich zu lahmen Ohne die nachhaltige Unterstützung seitens begonnen hatte wie ein Pferd, dem die Fes- . bmw: Ich hatte dieses Format bereits ein- der Rosa-Luxemburg-Stiftung, dem Türki- seln zu stark eingebunden wurden. mal erfolgreich für ein Konzept im öffentli- schen Bund in Berlin und Brandenburg (TBB) verdikt 2.17 , Seite 9

und privater Unterstützer*innen hätte ich Kampagnenrunde laufen könnte. Gedruckte . Sehr gerne rufen wir unsere Leserinnen vermutlich das Projekt irgendwann als in der Plakate sind noch genügend vorhanden, was und Leser dazu auf, für die Dokumentation Umsetzung gescheitert zur Seite gepackt. fehlt, sind die Mittel für die Hängung und die des Projektes zu spenden. Spenden für das Organisation. Projekt sind steuerlich absetzbar. Politische Unterstützung zu bekommen ist Spendenkonto-Nr. 1128062602 mir letztlich nur in wenigen Fällen gelungen. . verdikt: Planst Du eine Dokumentation Kontoinhaber: Chorôso Kunstförderverein Entweder wurde bei den Stiftungen auf eige- der Fragen und Deiner Arbeiten dazu? e. V. Verwendungszweck: ‹Plakatprojekt im ne Projekte im Zusammenhang mit NSU und Kontext NSU› Rechtsextremismus und oder mangelnde Gel- . bmw: Ich möchte auf jeden Fall eine Do- GLS Gemeinschaftsbank der verwiesen oder aber das Format und die kumentation machen, aber auch dafür bedarf BLZ 430 609 67, formal strenge Aufmachung, das hochpoli- es neuerliche Akquise und Unterstützung. IBAN DE92430609671128062602 tische Thema passte für viele nicht – es war BIC GENODEM1GLS entweder zu politisch und zu kritisch (‚staats- . verdikt: Vielen Dank für das Gespräch und angreifend‘) oder nicht genug ‚Kunst‘. die Erlaubnis, einige der Fragen in dieser Aus- beate maria wörz ist Konzeptkünstlerin und gabe abdrucken zu dürfen. Zeichnerin. www.beatemariawoerz.de  . verdikt: Wie erfolgte die Auswahl der Städte?

. bmw: Die Städte sind die der Morde und Anschläge, der Untersuchungsausschüsse und Orte in Verbindung mit dem Netzwerk des NSU (Garagenliste).

. verdikt: Hast Du auch in Köln Plakate ge- hängt, als dort das Tribunal lief?

. bmw: Das hat am Ende leider überhaupt nicht geklappt, im Zeitraum des Tribunals gab es trotz Unterstützung von unerwarte- NSU – der „Nationalsozialistische Untergrund“ ter Seite keine verfügbaren Flächen mehr in Am 4. November 2011 wurden in Eisenach in einem ausgebrannten Campingbus die Leichen Köln, so dass letztlich in dem Zeitraum kein zweier Männer gefunden, die Stunden zuvor eine Sparkasse ausgeraubt hatten. In den fol- einziges Plakat in Köln hing, nicht mal am genden Tagen stellte sich heraus, dass Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt gemeinsam mit Ort des Tribunals, dem Schauspiel selber. Das Beate Zschäpe ein rechtsextremes Trio bildeten (das sich „Nationalsozialistischer Unter- fand ich sehr bedauerlich, kommen mit den grund“ (NSU) nannte). Mit dem Mord an dem türkischstämmigen Blumenhändler Enver gesammelten Fragen doch viele unterschied- Şimşek am 9. September 2000 begann eine Anschlagsserie, der bis 2007 zehn Menschen liche Stimmen aus Politik und Gesellschaft zu zum Opfer fielen. Es sind acht Männer mit türkischem Migrationshintergrund, ein Grieche Wort, bildet das Ganze eine Art kritische Ge- und eine deutsche Polizistin. Mehrere Personen wurden darüber hinaus bei den Bomben- samtfrageskulptur. anschlägen verletzt. Obwohl die drei nach ihrem Untertauchen im Jahr 1998 auf den Fahn- dungsplakaten der Polizei standen, konnten sie 13 Jahre lang unentdeckt in Deutschland . verdikt: Wie geht es weiter mit dem Pro- leben, Menschen ermorden, Banken überfallen und Urlaub machen. Viele Momente, die zur jekt? Kann man Deine Ausstellung noch ir- frühzeitigen Aufdeckung des ‹Trios› hätten führen können, wurden versäumt, Naheliegen- gendwo sehen? des unterlassen, Ermittlungen erschwert und Vorgänge verdeckt.

. bmw: Die Ausstellung in Berlin ging bis Nach jahrelanger Arbeit der Untersuchungsausschüsse in Berlin und anderen Bundeslän- Ende Juni 2017. Vorhandene Mittel sind fast dern, viereinhalb Jahren Gerichtsprozess in München und vielen weiteren Recherchen von aufgebraucht. Beruflich und privat bedingt unterschiedlichen Seiten sind mehr Fragen offen als geklärt. Der Deutschlandfunk hat die gab es über den Sommer eine mehrmonatige Affäre um den NSU als den „vielleicht schlimmste(n) Fall von Staatsversagen in der Ge- Pause, in der das Projekt ruhte. Jetzt hängt es schichte der Bundesrepublik“ bezeichnet. Besonders beschämend ist, dass die Polizei jah- davon ab, ob die Aufrufe zum Spenden hier relang in die falsche Richtung ermittelt hatte. Sie suchte die Urheber der von der Großbuch- nochmals genügend Gelder zusammenbrin- stabenpresse so bezeichneten «Dönermorde» nicht im rechtsextremen Milieu, sondern in gen, und ob es mir gelingt, einen anderen Kreisen der Ausländerkriminalität. Mit der Verkündung eines Urteils in dem seit dem 6. Mai Sponsor aufzutun, so dass zum Ende des Ge- 2013 laufenden Gerichtsverfahren ist in diesem Jahr wohl nicht mehr zu rechnen. richtsprozesses in München nochmals eine verdikt 2.17 , Seite 10 verdikt 2.17 , Seite 11

[INTERNATIONALES]

Stellungnahme des Vorstandes der Deutsch-Polnischen Richtervereinigung zu den Justizreformen in Polen Der Vorstand der Deutsch-Polnischen Richtervereinigung nimmt zu den beunruhigenden Nachrichten über die jüngste Jus- tizreform wie folgt Stellung:

. Der polnische Präsident Andrzej Duda hat am 24.07.2017 ein Veto und ohne Beteiligung des Landesrichterrats alle Gerichtspräsidenten gegen zwei von drei umstrittenen Gesetzen für eine Justizreform ein- und ihre Stellvertreter ihres Amtes zu entheben und neue zu ernennen. gelegt. Es handelt sich dabei um das Gesetz über den Landesrichterrat Ein Rechtsbehelf der betroffenen Gerichtsvorstände ist nicht vorgese- und das Gesetz über das Oberste Gericht. Präsident Duda sagte, er wer- hen. Die neu eingesetzten Gerichtspräsidenten haben die Möglichkeit, de die Reformen zur Überarbeitung ins Parlament zurückgeben und alle wichtigen Posten innerhalb des Gerichts und der nachgeordneten binnen zwei Monaten eigene Entwürfe ausarbeiten und dafür Experten Gerichte neu zu besetzen. Sie selbst können aufgrund ebenfalls neu konsultieren. Nach den Worten des Polnischen Präsidenten „habe in eingeführter gesetzlicher Regelungen ohne Beteiligung der Richterver- der polnischen Verfassung und in der polnischen Verfassungstradition sammlungen – so bisher – entlassen werden. der polnische Generalstaatsanwalt nie die Aufsicht über das Oberste Gericht gehabt. Natürlich habe er mehr oder weniger – manchmal un- . Die neu eingeführten Entlassungsgründe sind allerdings sehr terschiedlich – die Aufsicht über die nachgeordneten Gerichte. vage formuliert. Können bisher auch herausragende Juraprofessoren, Rechtsanwälte oder Staatsanwälte Richter werden, soll dies künftig . Die Justizreform dürfe nicht zu Ängsten vor einer oppressiven Re- nur noch Absolventen der weitgehend dem Justizminister unterstell- gierung führen. Die Änderungen müssten so erfolgen, „dass Gesell- ten Justizschule möglich sein. In jedem Gericht soll ein künftig nicht schaft und Staat nicht gespalten werden. Ein Generalstaatsanwalt mehr dem Gerichtspräsidenten, sondern dem Justizminister unter- sollte nicht eine solche Macht besitzen.“ Wir begrüßen die Entschei- stellter Gerichtsdirektor die Finanzen kontrollieren. dung und die Begründung von Präsident Duda, die umstrittenen Ge- setze über das Oberste Gericht und den Landesrichterrat nicht zu un- . Es ist bekannt, dass die Neubesetzung von 500 offenen Richter- terschreiben. stellen bis zur Annahme der neuen Gesetze verzögert wurde. Erst im November sollen 500 vom Justizministerium ausgewählte Assessoren . Wir nehmen anerkennend zur Kenntnis, dass der Vorsitzende der ihre Arbeit an polnischen Gerichten aufnehmen. Zu Richtern werden polnischen Bischofskonferenz sich bei Präsident Duda für das doppel- sie erst ernannt, wenn letztlich Justizminister Ziobro sie nach vier Jah- te Veto bedankte und dabei Johannes Paul II. zitierte, der gesagt hat: ren Dienst positiv beurteilt. Wenn die Assessoren in den 3 Jahren nach „Das Gleichgewicht zwischen den drei Gewalten ist die Garantie für Abschluss der Nationalen Hochschule für Gerichtsbarkeit und Staats- das richtige Funktionieren einer Demokratie“. anwaltschaft aus dem Beruf aussteigen wollen, müssen sie die Stipen- dienkosten zurückzahlen – über 100 000 Zloty. . Allerdings meinen wir, dass Präsident Duda aus denselben Grün- den, aus denen er das Veto gegen zwei der umstrittenen Gesetze ein- . Nicht überraschend ist, dass die Europäische Kommission, wie an- legte, auch das Gesetz über die ordentlichen Gerichte nicht hätte un- gekündigt, ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen sofort nach terschreiben dürfen. Veröffentlichung des Gesetzes über die ordentlichen Gerichte einge- leitet hat. Die Bedenken betreffen sowohl das Recht des Justizminis- ters, die Vorsitzenden aller Gerichte abzuberufen und neu berufen zu können, als auch eine Geschlechterdiskriminierung beim Rentenalter (wie die EU-Kommission halten wir für bedenklich, dass das Gesetz un- terschiedliche Pensionsalter für Männer (65 Jahre) und Frauen (60 Jah- re) vorsieht, da die EU-Richtlinien zur Gleichstellung von Frauen und Männern dergleichen ohne Grund nicht erlaubt).

. Da der Justizminister die Amtszeit der Richter auch über das er- reichte Pensionsalter hinaus verlängern oder nach eigenem Ermessen . Die bereits von Präsident Duda unterzeichneten Gesetze über die vorzeitig beenden kann, wird zudem die Unabhängigkeit der Gerichte ordentlichen Gerichte und über die polnische Richterschule ermächti- potentiell beeinträchtigt, zumal dem Justizminister kein Zeitrahmen gen den Justizminister und Generalstaatsanwalt Zbigniew Ziobro bin- vorgegeben ist, in dem er über eine Verlängerung des Richteramts ent- nen sechs Monaten nach Inkrafttreten des Gesetzes ohne Begründung scheiden muss. verdikt 2.17 , Seite 11

. Wir meinen daher: können nur noch durch beide Kammern gemeinsam getroffen wer- - die Gefahr, dass Polen sich durch die Justizreform in der EU-Rechts- den. Damit bekommt die Parlamentsmehrheit ein Vetorecht über gemeinschaft immer mehr zu isolieren beginnt, ist offenbar gewor- jede Richterbesetzung und jedes ihr nicht passende Gutachten. den. Entgegen der Meinung der polnischen Regierung handelt es - einer Überprüfung durch den Europäischen Gerichtshof für Men- sich bei den Umwälzungen des polnischen Gerichtssystems nicht schenrechte wird nicht standhalten, dass die Amtszeit der bisheri- lediglich um eine nationale Angelegenheit, die nur die Menschen in gen gewählten Mitglieder des Landesrichterrats drastisch verkürzt Polen betrifft. Sie betrifft alle Bürgerinnen und Bürger in der euro- wird und nach nur 30 Tagen enden soll, obwohl die Verfassung eine päischen Union. Die Europäische Union ist auf Werten aufgebaut. Amtszeit von 4 Jahren vorsieht. Auch das jüngst ergangene Urteil Sie funktioniert nur, wenn der Rechtsstaat Respekt vor der Demo- des polnischen Verfassungsgerichts steht dem nicht entgegen, ver- kratie hat und umgekehrt, wenn die Demokratie den Rechtsstaat langt es doch nicht die Beendigung der Amtszeit der richterlichen respektiert. Mitglieder des Landesrichterrates. - Polen ist durch die EU-Verträge verpflichtet, eine wirksame Ge- richtsbarkeit zu erhalten, da die polnischen Richter gleichzeitig die . Wir schließen uns der eindringlichen Erklärung der ehemaligen Hüter des EU-Rechts sind, z. B. im Bereich Binnenmarkt und des Präsidenten des polnischen Verfassungsgerichts vom 15.07.2017 an, in Europäischen Haftbefehls. welcher diese unter anderem feststellen: - die Zusammensetzung des Verfassungstribunals steht nach Mei- nung der EU-Kommission und namhafter Verfassungsrechtler nicht . „Ohne unabhängige Rechtspflege gibt es keinen Rechtsstaat. Die mehr im Einklang mit der polnischen Verfassung. Eine Überprüfung de facto verfassungsändernden Gesetzentwürfe über die ordentlichen der Verfassungsgemäßheit der de-facto die Verfassung ändernden Gerichte, den Landesjustizrat und den Obersten Gerichtshof führen Gesetze ist so nicht möglich. dazu, die Unabhängigkeit und Eigenständigkeit der Gerichte der Repu- - es ist daher Zeit, die Unabhängigkeit des Verfassungsgerichts blik Polen gegenüber den politischen Instanzen abzuschaffen.“ „Die wiederherzustellen und die Gesetze zur Justizreform entweder zu- Verabschiedung dieser Gesetze, mit denen ein entscheidender und rückzunehmen oder in Übereinstimmung mit der polnischen Ver- unkontrollierter Einfluss einzelner Politiker auf die Ernennung von fassung und den in Bezug auf die Unabhängigkeit der Justiz beste- Gerichtspräsidenten, die Zusammensetzung des nationalen Justizrats henden EU -Standards zu bringen. und die Auflösung des bisherigen und die Einrichtung eines „neuen“ - es passt nicht zum Rechtsstaat, dass je nach politischer Mehrheit Obersten Gerichtshofs sichergestellt wird – dem wichtigsten recht- oberste Richter de-facto entlassen werden. Das ist ein gravierender sprechenden Organ unseres Staates – verwehrt nicht nur jegliche Kon- Eingriff in die Unabhängigkeit der Gerichte. trolle des gesetzmäßigen Handelns der übrigen Behörden, sondern - dies wiegt umso schwerer, da das Oberste Gericht nicht nur die vereitelt auch den wirksamen Schutz der bürgerlichen Rechte und Frei- oberste Instanz der allgemeinen Gerichtsbarkeit ist, sondern zum heiten.“ „Das freie Ermessen des Justizministers bei der Ernennung der Beispiel auch Wahlbeschwerden prüft. Gerichtspräsidenten ermöglicht es der Exekutive, durch die Errichtung - die beabsichtigte Neugestaltung des Landesrichterats widerspricht eines Korps politisch gehorsamer Richter dauerhaft in die Sphäre der nach zutreffender Auffassung der Europäischen Kommission, des richterlichen Unabhängigkeit einzugreifen.“ Wir hoffen, dass die euro- Europarates und aller Verbände und Experten europäischen Stan- päischen Institutionen und die übrigen Mitgliedstaaten die polnische dards. Regierung überzeugen können, dass der Weg, den sie im Umgang mit - durch die Reform wird der Landesrichterat in zwei Kammern aufge- dem Verfassungsgericht und der Reform des Gerichtssystems einge- teilt und Entscheidungen über neue Richter und andere Beschlüsse schlagen haben, ein Irrweg für Europa und damit auch für Polen ist. 

Polen und wir Wer die Vorgänge in Polen rund um die „Reform“ der Justiz verfolgt, kann sich zu Recht empören. Die Regierung entledigt sich mit fadenschei- nigen Argumenten einer unbequemen Justiz. Dennoch ist darauf hinzuweisen, dass die in Deutschland in allen Kommentarspalten geäußerte Empörung souverän ausblendet, wie nahe Teile der polnischen „Reformen“ der Organisation der deutschen Justiz kommen. Es wird kritisiert, wie in Zukunft in Polen Richter und Richterinnen in ihr Amt kommen sollen. In Deutschland entscheidet hierüber in vielen Bundesländern allein das Justizministerium des Bundeslandes. Da würde auch nach den Plänen der PIS-Regierung in Zukunft mehr erforderlich sein. Auch die Ernen- nung von Gerichtspräsidenten und -präsidentinnen sowie die Beförderung von Richtern und Richterinnen ist in Deutschland allein Sache des zuständigen Justizministers oder der Ministerin. Das macht es Verteidigern der polnischen „Reform“ sehr leicht zu fragen, wieso sich Deutsch- land so über Polen empört. Außerdem gibt es Anlass, erneut darauf hinzuweisen, dass Deutschland – so wie seine Justiz organisiert ist – zur Zeit nicht in die EU aufgenommen werden könnte. Klaus Thommes verdikt 2.17 , Seite 12 verdikt 2.17 , Seite 13

[RECHTSPOLITISCHES]

Theresa Richarz, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt „Macht und Ohnmacht der Mutter- zum Ausdruck. Naheliegenderweise wird das schaft“, Stiftung Universität Hildesheim Recht auf ein selbstbestimmtes Leben des Welches Geschlecht kennt Recht? Kindes in Gefahr gesehen. Im Fall von Inter- geschlechtlichkeit greift dieses Verbot jedoch Kein Nischenthema nicht – es wird argumentiert, dass die Steri- lisation nur Folge, aber nicht einziger Zweck der Geschlechtsangleichungen ist. Heiligt in . Es gibt keine explizite Definition von Ge- rechtlich. Intergeschlechtliche Menschen diesem Fall der Zweck die verbotenen Mittel? schlecht im deutschen Recht und auch der sind rechtlich nicht sichtbar und der Umgang Begriff der Geschlechtsidentität ist nicht mit ihnen somit Privatsache. „Wer Rechte hat, zählt“3 rechtlich geschützt. Dennoch ist das Recht durchzogen von vergeschlechtlichen Be- . Ein „uneindeutiges“ Geschlecht in einer . Den jahrzehntelangen Kämpfen inter- griffen: Wo und mit welchen Auswirkungen zweigeschlechtlichen Welt wurde als Bedro- geschlechtlicher Interessenverbände ist es an hunderten Stellen im Recht Geschlecht hung wahrgenommen und negiert: Seit den zu verdanken, dass die Gewalt an interge- genannt wird, hat das Deutsche Institut für 1950er Jahren ist es gängige Praxis, ein Kind, schlechtlichen Menschen und die Existenz Menschenrechte 2017 für das Gutachten das als intergeschlechtlich eingeordnet wird, von Geschlechtsidentitäten jenseits der bi- „Geschlechtervielfalt im Recht“ untersucht.1 möglichst rasch nach der Geburt einem der nären Norm sichtbar werden. 2013 führte Doch welches Verständnis von Geschlecht beiden Geschlechter, männlich oder weiblich, die Legislative § 22 Abs. 3 PersStG ein, der liegt dem Recht zugrunde? Wer entscheidet, zuzuweisen. Diese Zuweisung findet nicht anordnet, dass im Fall von Intergeschlecht- wer welchem Geschlecht zugehörig ist und nur auf dem Papier (also im Personenstands- lichkeit weder männlich noch weiblich in die damit, welche Normen für sie oder ihn gel- register), statt, sondern manifestiert sich Geburtsurkunde einzutragen ist, sondern der ten? Welchen Stellenwert hat das Geschlecht physisch im Operationssaal. Da Geschlecht- Geschlechtseintrag leer zu lassen ist. Dies für die Teilnahme am Rechtsverkehr? sidentitäten jenseits der binären Ordnung sollte vor allem den zusätzlichen Druck durch kaum Teil des öffentlichen Bewusstseins das Personenstandsrecht von Eltern nehmen. . Inter- und Transgeschlechtlichkeit wider- sind, sind Eltern häufig erstmals mit der The- Doch was bedeutet das? Kann eine Person legen die Annahmen, dass es nur zwei Ge- matik konfrontiert und überfordert. Beraten ohne Geschlechtseintrag heiraten, als rechtli- schlechter, männlich und weiblich, gibt, die werden sie von medizinischem Personal, cher Elternteil eingetragen oder vor Diskrimi- einander ausschließen und dass jeder Mensch das Intergeschlechtlichkeit häufig noch als nierung aufgrund der intergeschlechtlichen körperlich und identitär nur einem eindeutig „psycho-sozialen Notfall“ kennengelernt hat, Geschlechtsidentität geschützt werden? zuzuordnen ist. Im Folgenden soll aufgezeigt der umgehend „behandelt“ werden muss. Die werden, wie das Recht auf diese „Überschrei- operativen Eingriffe sind massiv: Regelmäßig . Um den politischen Gesetzgebungspro- tungen der Geschlechtergrenzen“2 reagiert finden sie an Körpern statt, die keiner medizi- zess, aber auch die Wirkung von Gesetzen und welches Bild von Geschlecht sich darin nischen Behandlung bedurft hätten, der Ver- zu untersuchen, genügen rein dogmatische ausdrückt. lust sexueller Empfindsamkeit wird in Kauf Betrachtungen von Recht nicht. So bediente genommen und irreversible Unfruchtbarkeit sich das Deutsche Institut für Menschen- ist die Folge. Bereits 2011 wertete die Anti- rechte sozialwissenschaftlicher Methoden, Geschlecht als private Praxis? Folter-Kommission der Vereinten Nationen um die Effektivität der Gesetzesnovelle zu Intergeschlechtliche Menschen diese Praxis als Verstoß gegen die Konventi- analysieren. Das Gutachten kam zu mehr . „Junge oder Mädchen?“ So wie sich die on; seitdem folgten zahlreiche weitere Verur- als ernüchternden Ergebnissen: Befragungen Welt im Privaten unhinterfragt in zwei Ge- teilungen durch nationale und internationale von Hebammen, medizinischem Personal, schlechter aufteilt, bietet auch das Recht Menschenrechtsinstitutionen. Nach wie vor Standesbeamt*innen und Eltern, also den ausschließlich zwei Optionen. „Interge- sind die Eingriffe an minderjährigen interge- von der Norm adressierten Personen, erga- schlechtliche“, also Menschen, deren Gene- schlechtlichen Kindern jedoch weder zivil- ben, dass unklar bleibt, an wen genau sich die tik, Hormone oder äußeres Erscheinungsbild noch strafrechtlich relevant, da eine rechtfer- Norm richtet und welche rechtlichen Folgen als „zwischen“ den Geschlechtern stehend tigende Einwilligung der Sorgeberechtigten eine solche Leerstelle in der Geburtsurkun- angesehen werden können, fallen damit aus möglich ist. Diese werden als Heileingriffe de hat.4 Besorgte Eltern fragen sich, ob ihr der Norm heraus – sowohl begrifflich als auch mit dem Ziel, „eine eindeutige Geschlecht- Kind überhaupt am „normalen“ rechtlichen sidentität herzustellen“, gewertet. Leben teilnehmen kann. Kann eine interge- 1 Das Deutsche Institut für Menschenrechte hat sich in einem 2017 veröffentlichten Gutachten die Mühe gemacht, schlechtliche Person nur eine andere ohne das gesamte geschriebene deutsche Recht nach der Nennung . Um Kinder vor irreversiblen Konsequenzen von Geschlecht zu untersuchen, abrufbar unter https://www. einer elterlichen Entscheidung zu schützen, 3 Holzleithner, Elisabeth: „Emanzipation durch Recht?“, in: bmfsfj.de/blob/114066/7830f689ccdfead8bbc30439a0ba3 Kritische Justiz Sonderheft 3/2008, S. 256. 2b9/geschlechtervielfalt-im-recht---band-8-data.pdf hat der Staat ein Wächteramt. Dies kommt 4 Siehe Fußnote 2, Gutachten „Geschlechtervielfalt im 2 Calvi, Eva Maria: „Eine Überschreitung der Geschlecht- etwa im absoluten Verbot, in die Sterilisation Recht. Status quo und Entwicklung von Regelungsmodellen ergrenzen? Intersexualität in der ‹westlichen Gesellschaft“, eines minderjährigen Kindes einzuwilligen, zur Anerkennung und zum Schutz von Geschlechtervielfalt 2012. im Recht.“, 2017. verdikt 2.17 , Seite 13

Geschlechtseintrag ehelichen? Wäre dies vor welcher Perspektive die Legislative die The- anwendbar. Deutlich wird: Die ordnungspo- der „Ehe für Alle“ eine gleichgeschlechtliche matik zu regeln gedachte: Transgeschlecht- litisch motivierten Regelungen von damals Verpartnerung gewesen? Gibt es eine Wahl? lichkeit wurde als behandlungsbedürftige ermöglichen kein selbstbestimmtes „Fin- Und wer hätte dann die benachteiligende psychische Störung betrachtet. Unter dieser den und Erkennen der eigenen geschlechtli- Variante der gleichgeschlechtlichen Partner- Prämisse schuf der Staat weitreichende An- chen Identität“, wie es das BVerfG in seiner schaft gewählt? forderungen an transgeschlechtliche Men- Entscheidung 2011 formulierte. So bedarf es schen. Sachverständigengutachten, die die „fest- . Momentan ist eine Verfassungsbeschwer- stehende“ Transge- de zum Recht auf eine „dritte Option“, also schlechtlichkeit bezeu- die Anerkennung einer eigenen Geschlecht- gen und selbst nur zur sidentität statt einer „Leerstelle“, anhängig. Änderung des Vorna- Die Anerkennung der eigenen Geschlecht- mens ist es erforderlich, sidentität wird somit als wesentlich für den dass transgeschlechtli- Zugang zum Recht und eine gleichberechtig- che Menschen seit min- te Teilhabe am Rechtssystem betrachtet. destens drei Jahren in dem von ihnen empfun- . Wie sich die Reform von 2013 auf das denen Geschlecht leben zweite verfolgte Ziel, den Schutz Minderjäh- . So musste zur Änderung des Geschlecht- – eine lange Zeit, in der Zwangsoutings im riger vor Geschlechtszuweisungen, auswirkt, seintrags im Geburtenregister eine opera- Alltag hingenommen werden müssen. Auch untersuchte Ulrike Klöppel 2016. Ihre Studie tive Angleichung an biologische Normen wird häufig kritisiert, dass sich Menschen zeigt, dass die Operationshäufigkeit – und des gefühlten Geschlechts erfolgen, die zur zum Nachweis stereotyper vergeschlechtli- damit die Verstöße gegen menschenrecht- Unfruchtbarkeit der betreffenden Person cher Verhaltensweisen gedrängt fühlen, um liche Grundgewährleistungen wie das Recht führte. Auch Partnerschaft und Familie einer ihre Zugehörigkeit zum anderen Geschlecht auf körperliche Unversehrtheit, der Schutz transgeschlechtlichen Person wurden gesetz- nachzuweisen – nun, da der Operations- des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und lich reglementiert: § 7 Abs. 1 Nr. 3 TSG etwa zwang nicht mehr gilt, stellt sich die Frage, als Teil davon das Recht auf sexuelle Selbst- bestimmte, dass eine Vornamensänderung was eine Frau oder einen Mann ausmacht. bestimmung – seit 2013 keineswegs abge- rückgängig gemacht werden muss, wenn nommen haben.5 eine transgeschlechtliche Person heiratet, § 8 . Der mit einem Eingriff in Grundrechte Abs. 1 Nr. 2 TSG sah vor, dass vor der rechtli- verfolgte Zweck muss mit der Art und In- chen Anerkennung der neuen Geschlechtszu- tensität des Eingriffes bei Betroffenen in ei- Transgeschlechtlichkeit: Ein Gesetz, das gehörigkeit die Scheidung einer existierenden nem angemessenen Ausgleich stehen. Hier gegen Recht verstößt Ehe erfolgen musste. stehen massive Eingriffe in die Privatsphäre . Der Umgang mit intergeschlechtlichen transgeschlechtlicher Menschen staatlichen Menschen verdeutlicht, dass das Recht im- . Das BVerfG hat zwischenzeitlich die Ver- Ordnungsinteressen gegenüber. Dass es bei mer noch von der Existenz zweier einander fassungswidrigkeit all dieser Regelungen der rechtlichen Behandlung transgeschlecht- ausschließender Geschlechter ausgeht. Doch festgestellt und sie bis zum Inkrafttreten licher Menschen jedoch im Grunde um mehr auch der Übergang vom formal-medizinisch einer gesetzlichen Neuregelung für nicht an- geht als um die Richtigkeit statistischer Erhe- zugewiesenen Geschlecht zu dem, das der wendbar erklärt. Zuletzt wurde nach insge- bungen, zeigt folgender im September 2017 persönlich empfundenen Geschlechtsidenti- samt sieben Entscheidungen mit Bezug zum vom BGH entschiedener Fall. tät entspricht, wird genauestens überwacht. TSG in einem achten Urteil schlussendlich das Bereits 1978 hat das BVerfG entschieden, Erfordernis, eine operative Geschlechtsan- . 2012 hat ein Transmann in Berlin ein Kind dass die Menschenwürde und das allgemei- gleichung mit Folge der Unfruchtbarkeit vor- geboren. Seinen Antrag auf Eintragung als ne Persönlichkeitsrecht es gebieten, trans- nehmen zu lassen, um den Geschlechtsein- Vater des Kindes, wie es seinem personen- geschlechtlichen Menschen auch formal trag zu ändern, verworfen – allerdings erst im standsrechtlichen Geschlecht entspricht, einen Wechsel zu ermöglichen.6 Auch wenn Jahr 2011!7 lehnten die Berliner Instanzen mit Verweis das 1980 beschlossene Transsexuellengesetz auf § 11 TSG ab. Die Norm stellt fest, dass ein (TSG) zunächst zur Anerkennung und Sicht- formaler Geschlechtswechsel „das Rechts- Wenn die Geburt den Vater zur Mutter barkeit von Transgeschlechtlichkeit beitrug, verhältnis zwischen dem Antragsteller […] macht zeigen die verwendeten Begrifflichkeiten, aus und seinen Kindern“ unberührt lässt. Als Teil . Die Legislative war mit jeder dieser Ent- des alten TSG ist diese Regelung systema- 5 Klöppel, Ulrike: Zur Aktualität kosmetischer Operationen scheidungen aufgefordert, neue Regelungen tisch im Zusammenhang mit dem Zwang zur „uneindeutiger“ Genitalien im Kindesalter, 2017, abrufbar unter: https://www.gender.hu-berlin.de/de/publikationen/ zu finden. Dies ist nicht geschehen; 2017 ist Unfruchtbarkeit bei einem personenstands- gender-bulletins/bulletin-texte/texte-42/kloeppel-2016_zur- das TSG von 1980 nur noch fragmentarisch rechtlichen Geschlechtswechsel zu betrach- aktualitaet-kosmetischer-genitaloperationen ten. Wer einmal als Mutter eingetragen war, 6 BVerfG 1 BvR 16/72 , Urteil vom 11.10.1978. 7 BVerfG, BvR 3295/07, Urteil vom 11. Januar 2011. verdikt 2.17 , Seite 14 verdikt 2.17 , Seite 15

sollte, auch wenn eine Eintragung als Mann der Satz: „Dies widerspreche dem Geschlech- das System der Zweigeschlechtlichkeit auf- erfolgt, als Mutter in der Geburtsurkunde des terverständnis“. Anschließend folgen Aus- recht. Wenn es jedoch Menschen gibt, die Kindes verbleiben. Im vorliegenden Fall ging führungen zur Zweigeschlechtlichkeit des „beides“ sein können, stehen die Stereoty- es aber nicht um die Änderung einer bereits Rechtsystems, die auf grundlegende biologi- pen, die auch im Recht eine biologische Ge- bestehenden Geburtsurkunde, sondern um sche Unterschiede zurückzuführen seien und schlechtszuweisung rechtfertigen, in Frage. den erstmaligen Eintrag. Die Berliner Instan- klar voneinander abgrenzbare Rollen einer zen argumentieren nun, dass er, weil er ein „Mutter“ und einem „Vater“ zuweist. . Fragen der Inter- und Transgeschlechtlich- Kind geboren hat gemäß § 1591 BGB als Mut- keit sind daher keine rechtlichen Nischenthe- ter einzutragen ist. „Mutter ist die Frau, die . Die Rechte transgeschlechtlicher Men- men, sondern lassen grundlegende Rück- das Kind geboren hat.“ – wenn ein Mann ein schen scheinen somit so lang als geschützt, schlüsse auf das im Recht vorherrschende Kind gebiert, ist eigentlich die Wortlautgren- bis diese zu einer gleichberechtigten Teilhabe Geschlechterverständnis zu. Angesichts der ze der Auslegung erreicht. Die Richter*innen am Rechtssystem genutzt werden sollen. Das rasanten Entwicklung reproduktionsmedizi- am BGH hätten im Wege einer konkreten Interesse an der Aufrechterhaltung des zwei- nischer Maßnahmen und dem Beschluss der Normenkontrolle vor dem BVerfG prüfen geschlechtlichen Rechtssystems überwiegt „Ehe für Alle“, der darauf wartet, auch ab- lassen können, ob § 11 TSG angesichts der ge- in diesem Fall den Individualrechtsschutz. Es stammungsrechtlich umgesetzt zu werden, änderten Rechtslage bezüglich der Unfrucht- bleibt nun abzuwarten, ob auch in diesem Fall ist die Auseinandersetzung mit diesen Bil- barkeit transgeschlechtlicher Menschen so das BVerfG die Bedeutung des Allgemeinen dern wesentlich für eine zukünftige Ausrich- noch verfassungskonform angewendet wer- Persönlichkeitsrechts verteidigen muss. tung des Rechts. den kann. Ausblick Weiterführende Literatur . Stattdessen beriefen sich die Richter*innen am BGH auf den Willen des . Die Entscheidung verdeutlicht, dass die . Adamietz, Laura: Geschlecht als Erwar- Gesetzgebers, der ein berechtigtes Interesse Gesetzeslage angesichts sich verändernder tung. Das Geschlechtsdiskriminierungs- daran formuliert habe, auszuschließen, dass gesellschaftlicher Realitäten an vielen Stellen verbot als Recht gegen Diskriminierung männliche Personen Kinder gebären und nicht mehr passt. Die Ausführungen des BGH wegen der sexuellen Orientierung und der weibliche Personen Kinder zeugen. Dieser zu Transelternschaft adressieren wesentli- Geschlechtsidentität, 2011 Gesetzgeber ist wohlgemerkt der von 1980 che Fragen: Gibt es etwa eine an Geschlecht – seitdem hat sich der Blick auf Geschlecht, geknüpfte Rollenverteilung, die sogar eine . Brachthäuser, Franziska/ Richarz, There- aber auch auf Kindeswohlerwägungen im rechtliche Ungleichbehandlung rechtfertigt? sa: Der rechtsfreie Raum zwischen den Ge- Recht durchaus gewandelt. Zudem ignoriert Gesellschaftliche Normvorstellungen und schlechtern – Gewalt an intergeschlechtli- das Urteil die Rechtsprechung des BVerfG rechtliche Regelungen beeinflussen sich ge- chen Menschen und resultierender Bedarf an von 2011, das feststellte, dass es im Verhält- genseitig. Der Umgang mit intergeschlecht- Schutznormen, KritV, 2014, S. 292-311 nis zum Allgemeinen Persönlichkeitsrecht lichen Menschen etwa verdeutlicht dies: Betroffener eben kein berechtigtes Anliegen Das Fehlen rechtlicher Anerkennung schafft . Foljanty, Lena/ Lembke, Ulrike: Feministi- sein kann, deren Fortpflanzungsfähigkeit einen schutzlosen Raum. Die operativen Ge- sche Rechtswissenschaft. Ein Studienbuch. 2. „auszuschließen“. Kern der Entscheidung ist schlechtszuweisungen wiederum erhalten Auflage 2012.  verdikt 2.17 , Seite 15

[NS-JUSTIZ]

Jürgen Jekewitz Von den Schwierigkeiten des Versuchs, das Schicksal nicht nur von Tätern, sondern auch von Opfern in der Justiz unter dem Nationalsozialismus wiederzugeben1

1 . ötv in der Rechtspflege und verdikt haben sich von Anfang an mit ten und sonstigen amtlichen Unterlagen und eingebettet in eine mi- Fragen der NS-Justiz befasst. Ebenso kennen ihre Herausgeber auch lieugetreue Wiedergabe der historischen Umstände, die Darstellung den 1933 untergegangenen Republikanischen Richterbund und dessen der Lebensgeschichte eines jungen Juristen, der als Gerichtsassessor Zeitschrift „Die Justiz“2. Diese Beschäftigung mit NS-Unrecht haben vor der erhofften und nach seinem Verständnis verdienten Berufung sie auch weitergeführt, obwohl mit der in das Richterverhältnis auf Lebenszeit „Kritischen Justiz“ eine weitere Zeit- an einem Berliner Landgericht steht und schrift mit in etwa demselben angepeil- wegen seiner jüdischen Abstammung auf ten Themen- und Leserspektrum „... auf Grund des Gesetzes über die Wiederher- dem Markt ist.“ Wert wurde vor allem stellung des Berufsbeamtentums vom 7. auf die Darstellung von Persönlich- April 19336 aus dem Richteramt vertrieben keiten gelegt, die jenseits eines über- wird. Beginnend bei seiner Rückkehr nach kommenen Juristenbildes als Richter, Jahren der eigenen im letzten Moment Rechtsanwälte oder an anderer Stelle geglückten Emigration – die beiden Kin- als Rechtsanwender und Rechtspolitiker der sind nach den Ereignissen der Novem- anstößig im besten Sinne des Wortes berpogrome 1938 in letzter Minute nach geworden waren3. Diese Anstößigkeit hatte sich in den Augen und mit England in Sicherheit gebracht worden, seine Frau schlug sich ange- dem Aufkommen des Nationalsozialismus zum negativen und verfol- feindet und selbst unter Druck gesetzt unter Verlust aller Habe von gungsträchtigen Merkmal kumuliert, wenn und wo jüdische Abstam- Berlin an den Bodensee durch – wird in Form von Rückblenden sein mung und unliebsames berufs- oder sonstwie politisches Engagement und seiner Familie Schicksal in den vergangenen Jahren nachgezeich- in einer Person zusammenkamen und zu tragischen Folgen für die Be- net, einschließlich des Bemühens um Wiedergutmachung in Form troffenen führten. Derartigen Zusammenhängen und den auf ihnen einer Rückgängigmachung des Verlusts der Richtereigenschaft und beruhenden Schicksalen nachzugehen, ist in einer Zeit, in der die Täter Wiederaufnahme in den Richterdienst unter Berücksichtigung einer und ihr Fortwirken bis in die Gegenwart hinein in den Vordergrund des in den Verfolgungs- und Vertreibungsjahren zu erwarten gewesenen Interesses nicht allein der Fachwelt gerückt sind4, besonders gefordert, Karriereentwicklung mindestens zum Kammervorsitzenden an einem aber mit dem Zeitabstand nicht leichter geworden. Landgericht. Auf dem Wege zu diesem Ziel, das er schließlich bei der rheinland-pfälzischen Justiz und in Mainz erreicht, zerfleischt er sich selbst, zerbricht seine Familie, gelingt es ihm nicht, die Liebe seiner Eine literarische Annäherung und ihre Folgen Kinder zurückzugewinnen, und zerstört er das Verhältnis zu seinen Es handelt sich dabei um Themen, die häufig auf reichlich verschlun- Kollegen und zum Dienstherrn, bis er zermürbt aufgibt und gleichzei- genen Wegen zu einem Autor und der Autor zu ihnen finden, weil tig mit einer Ernennung zum Senatspräsidenten vorzeitig in den Ruhe- sie erst mit der Erarbeitung und Aneignung von Fachwissen reifen stand versetzt wird. und an Konturen gewinnen. So erschien in einem Salzburger Verlag 2012 von einer Berliner Autorin ein Buch mit dem schlichten Titel . Die Anregung zu diesem Buch, für das sie den Deutschen Buchpreis „Landgericht“5. Es war als Roman bezeichnet, enthielt aber, kaum ver- erhielt, hatte Ursula Krechel nach eigenem Bekunden den Recherchen fremdet und dadurch nicht zur reinen Fiktion werdend, entlang schon für eine vorangegangene Veröffentlichung7 zu verdanken: In Unterla- durch ihren Kursivdruck hervorgehobenen Auszügen aus Personalak- gen über das Ghetto für Europäer in Shanghai während des Krieges war 1 Zugleich eine Besprechung von Renate Citron-Piorkowski//Ulrich Marenbach, Verjagt aus sie auf Schriftstücke gestoßen, die mit ihrer präzisen Sprache einen Amt und Würden. Vom Naziregime 1933 verfolgte Richter des Preußischen Oberverwaltungsge- deutschen Juristen verrieten. Ihrem Ursprung nachgehend konnte sie richts, Hentrich&Hentrich Verlag, Berlin 2017. 167 S.,19,90 Euro. 2 Vgl. schon früh Robert M. W. Kempner, Der Republikanische Richterbund. Eine Kamp- die Geschichte eines Schicksals nachzeichnen, das prototypisch, wenn forganisation für die Weimarer Republik, RuP 1967, S.129 ff. Zu der dort bereits besonders auch glücklicherweise nicht zum Tod, aber doch mit der Abwesenheit hervorgehobenen Zeitschrift und deren Herausgeber vgl. auch Theo Rasehorn, ‚Die Justiz’, eine von Deutschland über zehn Jahre allein durch die jüdische Abstam- Zeitschrift für Demokratie in der Weimarer Zeit. In: Hans-Ernst Böttcher (Hrsg.), Recht, Justiz, Kritik, Festschrift für Richard Schmid, 1985, S.17 ff. sowie ders., Wilhelm Kroner – Der Richter, mung bestimmt war. Sie verfremdete lediglich Namen und Fluchtziel der ‚Die Justiz’ prägte. In Jürgen Seifert u.a./Kritische Justiz, Streitbare Juristen – eine andere und ließ ihn nach Kuba auswandern, wo sie ihm eine Beziehung und Tradition, 1988, S.219 ff. als Ergebnis ein Kind mit einer Kubanerin andichtete. Dass im übrigen 3 Zuletzt zu dem 1942 gestorbenen Ludwig Herz vgl. RuP 2016, S.104 ff. 4 Vgl. jüngst Manfred Görtemaker/Christoph Safferling. Die Akte Rosenburg. Das Bundesmi- der Fall des Richters Robert Bernd Michaelis weitgehend faktengetreu nisterium der Justiz und die NS-Zeit,. C. H. Beck Verlag. München 2016. Dazu auch Martin Otto, Wie war es denn bloß möglich? FAZ v.21. 11. 2016, S.12. 6 RGBl. I, S.175ff. 5 Ursula Krechel, Landgericht,. Verlag Jung und Jung, Salzburg und Wien 2012. 7 Ursula Krechel, Shanghai fern von wo , 2008. verdikt 2.17 , Seite 16 verdikt 2.17 , Seite 17

wiedergegeben ist, hat sein Enkel, Kind und frühe Jugend. Er selbst war immer des dann doch noch nach Deutschland sehr sparsam mit Auskünften darüber und Mainz zurückgekehrten eigenen gewesen. Eigentlich wussten auch seine Sohnes, nach Erscheinen in einem Zei- Freunde nur von Berlin und 1929 als Ge- tungsbeitrag bestätigt8 Das Echo auf die Veröffentlichung war groß. burtsort und -jahr, dem Tod des Vaters Ende 1938, dem Besuch des re- Neben zahlreichen Berichten in Rundfunksendungen lud das Bundes- nommierten Französischen Gymnasiums und dem Umzug mit seiner ministerium der Justiz die Verfasserin zu einer Lesung bei einem of- Mutter aus dem im Laufe des Krieges immer stärker zerstörten Berlin fiziellen Termin mit Gästen ein. Bei der Enthüllung einer Gedenktafel nach Schleswig. Auch die im Internet zugänglichen und bei der Perso- am Landgericht Mainz für Richter, Staatsanwälte und Rechtsanwälte nalabteilung des Auswärtigen Amts abgefragten Daten enthielten kei- jüdischer Abstammung, die unter dem Nationalsozialismus verfolgt ne Angaben, etwa zu Beruf und Todesursache des Vaters. Lediglich in worden waren, in Gegenwart des dortigen Justizministers war der En- einer ebenfalls sehr persönlichen Veröffentlichung aus dem Erlebnis- kel anwesend und wurde sein Großvater eigens erwähnt, obwohl bzw. bereich der Jugendbewegung fand sich die Bemerkung, Klaus-Jürgen weil er auf der in der offiziellen Liste nicht erscheint, weil er erst 1949 Citron sei „NS-benachteiligt“ gewesen14. in Mainz Richter wurde. Der Bundesjustizminister war es dann auch, der am Vorabend einer offiziellen Gedenkstunde im Landgericht Ber- . Zusammen mit dem aus unbestätigter Quelle auftauchenden Ge- lin am 28. Mai 2015 eben diesen Enkel, die noch lebende Tochter und rücht, bei dem Vater habe es sich um einen Juristen oder gar Richter weitere Nachkommen zu einer Veranstaltung über das Buch und die gehandelt, lag die Vermutung nahe, dass dahinter das Schicksal von dadurch vermittelten Einsichten und Erkenntnisse bat. Da arbeitete jemandem stand, der wegen seiner jüdischen Abstammung Verfol- das ZDF bereits an einer zweiteiligen Verfilmung, die am 30. Januar gung und Demütigung erlitten hatte. In dem Standardwerk über Deut- und 1. Februar 2017 gesendet wurde. Obwohl in der Presse vorab vor- sche Juristen jüdischer Herkunft war der Name Citron jedoch an keiner sichtige Kritik9 geäußert wurde, fand der Enkel erneut warme Worte Stelle genannt. Erwähnt wird dort allerdings der eingangs aufgeru- der Anerkennung und des Lobes10. Vor allem aber wurden in einer im fene Republikanische Richterbund und die von ihm herausgegebene Anschluss an den ersten Teil gesendeten Dokumentation die im Film „Justiz“ sowie der sozialdemokratische jüdische Oberverwaltungsge- geschilderten Vorgänge zwischen 1933 und 1945 noch einmal in den richtsrat Wilhelm Kroner als deren Schriftleiter15. Eine Anfrage beim größeren geschichtlichen und tatsächlichen Zusammenhang gestellt. Deutschen Richterbund in Berlin, ob es sich bei Curt oder Erich Citron, deren Namen auf der 2010 im Eingangsbereich seines Sitzes in der Kro- nenstraße angebrachten Gedenktafel „Verfolgt – Entrechtet – Aus dem Ein Parallelfall Amt getrieben“ aufgeführt sind, um den Vater von Klaus-Jürgen Citron . Dieser Zusammenhang und damit die bereits angesprochene Pha- handeln könnte, blieb ergebnislos. Bei eigenen Recherchen im Internet se der Annäherung und Aneignung bestimmte auch die Entstehung fand sich zu Curt Citron die Auskunft, 1878 geboren sei er als Reichs- und Entwicklung der Nachzeichnung des nachstehend geschilderten gerichtsrat 1933 wegen seiner jüdischen Abstammung aus dem Amt Parallelfalles, bei dem es ebenfalls um nationalsozialistische Verfol- getrieben worden, habe auf Grund der Tatsache, dass er in einer privi- gung als Richter und in der Richterschaft unter anderem auch wegen legierten Ehe lebte, aber den Nationalsozialismus überstanden und sei jüdischer Abstammung geht. Am Beginn der Suche nach Fakten und 1957 gestorben – Lebensdaten, die zumindest wegen des Todesjahres Zeugnissen dafür stand die Einladung zur Mitwirkung an einer Freun- die vermutete Vaterschaft ausschlossen. Ebenfalls im Internet tauchte desgabe aus einem ganz anderen Erlebnisbereich11. Der darauf zuge- dann doch noch Klaus-Jürgen Citron auf. In einer längeren Genealogie sagte Beitrag sollte die eigene Sozialisationsgeschichte in einem be- einer Familie Furbach war für eine Charlotte Furbach die Ehe mit einem stimmten Umfeld mit frühen und dann auch späteren Begegnungen 1876 geborenen und 1938 gestorbenen Fritz Citron aufgeführt, aus der verknüpfen und verdeutlichen12. Als sich herausstellte, dass mit dem drei Kinder, nämlich 1916 ein Sohn Otto, 1920 eine Tochter Christel und vorhandenen sparsamen Wissens- und Erfahrungsschatz zumindest 1929 ein Sohn Klaus-Jürgen hervorgegangen seien. einer der Aufgerufenen nur unvollkommen würde Konturen erhalten können, ergab sich als glücklicher Zufall, dass ein weiterer Beitrag für Ein Stolperstein als Wegweiser dieselbe Festgabe aus weit in den Beginn der Nachkriegsgeschichte der Jugendbewegung zurückreichender jahrelanger Freundschaft das . Zu dem damit identifizierten Vater Fritz Citron führte schließlich Wirken eben dieser Person, nämlich des späteren deutschen Botschaf- die Meldung über einen 2011 vor dem Haus Münchener Straße 2 in ters in den Niederlanden Klaus-Jürgen Citron, in den Mittelpunkt stel- Berlin-Schöneberg verlegten „Stolperstein“: „Hier wohnte Fritz Citron len wollte13 Um dessen Persönlichkeitsbild gerecht werden zu können, Jg. 1876. Als Richter zwangsweise entlassen. Gedemütigt-Entrechtet. fehlte es jedoch an belastbaren Informationen über seine Herkunft Flucht in den Tod 28. 12. 1938“. Über den befreundeten Stolperstein-Be-

8 Martin Bernd Michaelis, Diese Geschichte vererbt sich an die Kinder, FAZ v.27. 12. 2012 ,S.27. auftragten für Berlin konnte eine Verbindung zu der Initiatorin dieses 9 Ursula Scheer, Sie finden nie wieder zusammen, FAZ v. 28. 1. 2017, S.16. Mahndenkmals hergestellt werden. Es war die Nichte von Klaus-Jürgen 10 Martin Bernd Michaelis, Großvater, heute Abend läuft Dein Leben im Fernsehen, FAZ v. 30. 1. 2017, S. 14 Karl von den Driesch, Fernweh und Großfahrten Bündischer Jugend in der Nachkriegszeit. 11 Günter Behrmann/Helmut Willms/Eberhrd Schürmann (Hrsg.), Der Felsengärtner. Festschrift Spurbuch Verlag Bauna1996, S.45 f. für Roland Eckert. Spurbuch Verlag, Bauna 2017 (erscheint demnächst). 15 Peter Landau, Juristen jüdischer Herkunft im Kaiserreich und in der Weimarer Republik, 12 Jürgen Jekewitz, Jugendbewegte im Auswärtigen Amt, ebd. in:Helmut Heinrichs/Harald Franzki/Klaus Schmalz/Michael Stolleis (Hrsg.) Deutsche Juristen 13 Helmut König, In memoriam Klaus-Jürgen Citron, ebd. jüdischer Herkunft,. C. H. Beck Verlag, München 1993, S.133 ff, 153. verdikt 2.17 , Seite 17

Citron, Tochter seines älteren Bruders Otto, auf die als wohl kompe- das Kammergericht als höchste Instanz der preußischen Zivil- und tenteste Auskunftsperson schon ihre in Bonn lebende Kusine, also die Strafgerichtsbarkeit zum dortigen Justizministerium gehörte, das Tochter wiederum von Klaus-Jürgen Citron, verwiesen hatte. Renate Preußische Oberverwaltungsgericht als gleich bedeutsames und hö- Citron-Piorkowski hatte als einzige die bereits über zwei Generatio- her dotierte Gegenstück für den Bereich der Verwaltung dagegen beim nen reichende und nur unterbrochene Familientradition – der bereits Innenministerium ressortierte. erwähnte Reichsgerichtsrat Cuno Citron war, wie sich herausstellte, der jüngere Bruder von Fritz Citron – wiederaufgenommen und war, Die Verfolgungsmaßnahmen und ihre Vollstrecker inzwischen pensioniert, auch als Richterin am Oberverwaltungsge- richt, und damit am selben Gericht und Ort wie ihr Großvater, tätig . Die das Buch einleitenden, sich aus dieser Konstellation für die ge- gewesen. Und ihr Gericht war an den alten Sitz des Preußischen Ober- schilderten Ereignisse und Lebensläufe ergebenden persönlichen Ein- verwaltungsgerichts in der Hardenbergstraße in Berlin-Charlottenburg stellungen der Handelnden einschließlich der beim Wechsel von der zurückgekehrt, als das Bundesverwaltungsgericht nach zwischenzeit- einen in die andere Institution mitgenommenen Abneigungen ma- licher Nutzung des Gebäudes nach Leipzig umgezogen war. Deshalb chen viele der erfolgten Verfolgungsmaßnahmen und deren Zustan- nahm es nicht Wunder, dass wiederum auf Initiative vor allem von dekommen erst verständlich: Der im Text im Faksimile noch einmal Renate Citron-Piorkowski seit Oktober 2016 dort noch einmal drei abgedruckte, von allen Angehörigen des öffentlichen Dienstes – und Stolpersteine für wegen ihrer jüdischen Abstammung verfolgte und Richter wurden insoweit als Beamte behandelt – auszufüllende Fra- unter dem Nationalsozialismus zu Tode gekommene Richter verlegt gebogen zur Durchführung des Gesetzes zur Wiederherstellung des sind: Der erste erinnert an den bereits mehrfach erwähnten Vorsitzen- Berufsbeamtentums vom 7. April 193320 war zunächst dem Gerichts- den des Republikanischen Richterbundes und Schriftleiter der „Justiz“ präsidenten vorzulegen, der ihn dann mit seiner Stellungnahme dem Wilhelm Kroner16, ein zweiter an den im Völker- und Internationalen Ministerium als eine der obersten Reichs- und Landesbehörden wei- Recht ausgewiesenen Ernst Isay und ein dritter auch an dieser Stelle terzuleiten hatte, die nach § 7 Abs. 1 des Gesetzes „endgültig unter noch einmal an Fritz Citron, der neben seiner verwaltungsrichterlichen Ausschluss des Rechtsweges“ entschieden. Präsident des Preußischen Tätigkeit durch Veröffentlichungen zum Genossenschaftsrecht her- Oberverwaltungsgerichts war seit 1921 Bill Drews, der bis 1918 der letz- vorgetreten war. te preußische Innenminister gewesen war. Im Ministerium zuständig wurde im Mai 1933 zunächst als Ministerialdirigent, dann Ministerial- direktor Heinrich Schellen, der im Gericht bis dahin als Präsidialrich- ter den direktesten Zugang zum Präsidenten wie zu den Personalak- ten gehabt hatte. Der Darstellung im Buch zufolge war der eine eher konservativ-national, der andere schon früh über die Mitgliedschaft im „Stahlhelm“ und in der Deutsch-Nationalen Volkspartei politisch der aufkommenden nationalsozialistischen Bewegung zuzurechnen. Zumindest der letztere übte, wie in dem Buch durchgehend deutlich wird, die neu zugewachsene Macht gerne und gezielt aus.

Das neue Buch . Von den in dem Gesetz über die Wiederherstellung des Berufsbe- . Über den Stolperstein-Beauftragten kam ein direkter Kontakt zu amtentums vorgesehenen Sanktionsmaßnahmen der sofortigen Ent- Renate Citron-Piorkowski zustande, die dann genauere Auskunft lassung, der Verwendung unter Beibehaltung der bisherigen Dienstbe- zu geben bereit war. Sie hatte schon früher über das Schicksal des zeichnung und Gehaltsstufe in einem anderen, weniger bedeutsamen Preußischen Oberverwaltungsgerichts nach 1933 veröffentlicht17 und Amt bei einer anderen, nachgeordneten und weniger wichtigen Behör- jetzt gerade die Arbeit an dem Manuskript für ein neues Buch zum de bzw. dem alternativ stattgegebenen Antrag auf vorzeitigen Eintritt selben Thema zusammen mit ihrem Kollegen Ulrich Marenbach18 ab- in den Ruhestand traf von den vierzehn Richtern, auf die das Gesetz geschlossen. Der Teil in dem angesprochenen Festschriftbeitrag von angewandt wurde, sofort und unnachgiebig drei die Entlassungsan- Helmut König19, der sich mit dem Vater von Klaus-Jürgen Citron be- ordnung nach § 4 des Gesetzes, weil sie „nach ihrer bisherigen poli- schäftigt, beruht auf vorweg von ihr übermittelten Informationen. tischen Betätigung nicht die Gewähr bieten (würden), dass sie rück- In ihrem Buch nimmt die Darstellung der Lebensläufe von insgesamt haltlos für den nationalen Staat eintreten“. Bei Wilhelm Kroner, Fritz vierzehn von den Verfolgungs- und Verdrängungsmaßnahmen betrof- Citron und Georg Strucksberg war das die Mitgliedschaft in SPD und fenen Richtern naturgemäß größeren Raum ein. Vor allem aber ist sie Republikanischem Richterbund. Die bei den beiden ersteren und durch eingebettet in die institutionelle und kompetenzielle Einbindung der sie bekannte, bei anderen Kollegen dann durchaus relevante „nicht Verwaltungsgerichtsbarkeit der fraglichen Zeit, die dazu führte, dass arische Abstammung“, für die § 3 des Gesetzes die Versetzung – zy- nischer Weise nur – in den Ruhestand androhte, wobei beiden wegen 16 Vgl. Fn.2. ihrer langen Zugehörigkeit zum öffentlichen Dienst und Kriegsdienst- 17 Renate Citron-Piorkowski, Die „Säuberung“ des Preußischen Oberverwaltungsgerichts im Zuge der nationalsozialistischen Machtergreifung, in: Jürgen Kipp/Hans Peter Rueß (Hrsg.), leistung die Ausnahmeregelung des dortigen Absatzes 2 zugestanden Festschrift für Günter Berge, Berlin 1986 S.19 ff. hätte, konnte deshalb in Bezug auf sie vernachlässigt werden. Die ei- 18 Vgl.oben Fn.1. 19 Vgl. Fn.12. 20 Fn.17, S.13 f. verdikt 2.17 , Seite 18 verdikt 2.17 , Seite 19

gene „nicht arische Abstammung“ oder die der Ehefrau spielte, wie in ristenorganisation der NSDAP wurde er denunziert, sich für jüdische den in dem Buch geschilderten Lebensläufen dokumentiert ist, aber Rechtsanwälte einzusetzen. Das war Anlass und Grund, ihn unter Be- ebenso wie eine politische oder schlicht fachpublizistische Betätigung rufung auf § 4 des Gesetzes nach § 5 in ein anderes Amt außerhalb der etwa für „Die Justiz“ bei der niedriger angesiedelten Verwendung, Justiz, bei der er sich anscheinend ohnehin nicht wohlgefühlt hatte, zu meist auf der Stelle eines Regierungsrats in einer Verwaltungsbehörde versetzen. Als er auch da durch Nichtangepasstheit auffiel, wurde er an der preußischen Peripherie, durchaus eine Rolle. Dabei gab es, wie im Oktober 1934 zwangspensioniert. Vor einer mit Sicherheit mit der in dem Buch deutlich wird, durchaus auch den Fall, dass aus der Ver- Todesstrafe abgeschlossenen Verurteilung durch den Volksgerichts- setzung dann doch noch der Ruhestand oder die Entlassung wurde. hof wegen „Wehrkraftzersetzung und Feindbegünstigung“ rettete ihn der Tod Freislers und die Zerstörung seiner Prozessakten durch einen . Schon tragisch, aber vielleicht symptomatisch ist insoweit das Bombenangriff. Als streitbare, wenn nicht streitsüchtige schillernde Verhalten von Hans-Wilhelm Schrader, dem in der Wiedergabe seines Persönlichkeit mit querulatorischen Zügen weist ihn die Darstellung Schicksals zugutegehalten wird, dass er zum Schutz seiner jüdischen auch für die Wiederverwendung im öffentlichen Dienst bis zu seiner Ehefrau gehandelt haben könne. In seinem Fragebogen hatte er da- endgültigen Pensionierung im Jahr 1947 aus. rauf hingewiesen, dass er bereits Ende 1932 aus der SPD ausgetreten und der DNVP beigetreten sei, um dann zur NSDAP weiter zu wechseln. Auch die Mitgliedschaft im Republikanischen Richterbund, dem er ei- gentlich nur auf Anhörung von Wilhelm Kroner angehört habe, habe er längst beendet, „Die Justiz“ schon 1931 abbestellt. Während die erste Beurteilung wegen seiner Aktivitäten aus der Zeit vor 1933 die Anwen- dung des § 4 des Gesetzes vorschlug, trafen vorgesetzte Stellen dann unter dem Eindruck von nachgereichten Leumundszeugnissen aus dem Kreis der neuen Machthaber schließlich die Entscheidung einer Verwendung in einem niedrigeren Amt außerhalb der Gerichtsbarkeit nach § 5 des Gesetzes. Auch hierbei blieb durch ihn nichts unversucht, eine Verschickung weg von Berlin zu erreichen; die zugeteilten Ämter Die in den vorzeitigen Ruhestand Versetzten und ihr Schicksal wurden nie angetreten, mit viel Geschick dann doch noch eine vorzei- . Hatten damit acht Richter eine solche Herabstufung hingenom- tige Versetzung in den Ruhestand wegen Arbeitsunfähigkeit herbeige- men, zogen drei es vor, stattdessen sofort die Versetzung in den vor- führt. Das hinderte den Betroffenen nicht daran, nach 1945 erfolgreich zeitigen Ruhestand zu beantragen. eine erneute Verwendung in hervorgehobenen Positionen des öffentli- chen Dienstes zu erstreiten – nicht ohne daneben einen zähen Kampf . Dazu gehörte auch der jetzt neben Wilhelm Kroner und Fritz Ci- um Entschädigung zu führen. tron mit einem Stolperstein geehrte Ernst Isay. Die Schilderung sei- nes Lebensschicksals und seiner Lebensumstände in den Jahren nach seinem Amtsverlust ist mindestens ebenso ergreifend und entlarvend Eine schillernde Persönlichkeit wie die der beiden anderen Genannten. Dabei gelang es ihm, nach den . Eigentlich unmittelbar unter keinen der im Gesetz genannten Tat- Pogromen vom November 1938 mit seiner Familie noch rechtzeitig vor bestände fiel Walther Grützner. Er wurde praktisch Opfer seines eige- dem Weg in ein Konzentrationslager nach Brasilien zu kommen; die nen in dem Buch sehr farbig nachgezeichneten Verhaltens. Wie dort Kinder waren schon vorher in einem Jugendlager in den Niederlanden zutreffend eingangs festgestellt wird, „gelang es ihm doch, sich unter in Sicherheit gebracht worden. Nach ähnlichen Erlebnissen ebenfalls allen von ihm seit dem Ende des Ersten Weltkrieges erlebten Regimen ins Ausland, diesmal in die USA, konnte Alfred Oppler mit Frau und und Besatzungen filmreif zu exponieren und den Zorn der jeweiligen Tochter entkommen. Wilhelm Kroner hatte weniger Glück. Seine Kin- Obrigkeit auf sich zu ziehen“. Bei Kriegsende in den Umkreis der Ver- dern gelang, zum Teil auf abenteuerliche Weise, noch die Flucht ins antwortlichen für den Mord an Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg Ausland; die im Frühjahr 1939 mit seiner Frau geplante eigene Emigra- geraten, trat er 1919 der SPD, 1925 dem Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold tion konnte er nicht mehr verwirklichen; von der Gestapo zwangsin- bei und war zuletzt als Regierungspräsident tätig.1929 wegen Vor- terniert, starben beide 1942 im Konzentrationslager Theresienstadt. würfen gegen seine Amtsführung als Senatspräsident zum Preußi- schen Oberverwaltungsgericht zwangsversetzt, wurde er Mitglied im Das Leben und Sterben von Fritz Citron Republikanischen Richterbund, von diesem wie aus der SPD aber im März 1930 wegen seiner Angriffe auf den Preußischen Innenminister . Das ist entlang der vorhandenen zugänglichen Personal- und sons- Grzesinski ausgeschlossen. Wie in dem Buch dargestellt, gab es Mel- tigen amtlichen Akten sowie der bei vielen Stellen aufgespürten pri- dungen über seinen Beitritt zur NSDAP; auch mehrten sich Klagen über vaten Unterlagen nüchtern und gerade deswegen ebenso ergreifend seine Dienstwahrnehmung. Der Gerichtspräsident schlug ihm deshalb wie zugleich erschütternd dargestellt und mit Kopien aus eben diesen schon 1931 vor, wegen seiner Gesundheit die – von ihm abgelehnte – Akten dokumentiert. Prototypisch, nicht nur weil die eigenen Nachfor- vorzeitige Versetzung in den Ruhestand zu beantragen. Die Gelegen- schungen dazu einmal am Anfang der Beschäftigung mit diesem The- heit, ihn loszuwerden, kam dann mit dem Machtwechsel. Aus der Ju- ma standen und schließlich zu dieser Besprechung führten, sondern verdikt 2.17 , Seite 19

wegen des direkten persönlichen zung mit höheren Pensionsleis- Bezugs von Renate Citron-Piorkow- tungen abzumildern, blieben ski zudem besonders nahegehend erfolglos. Dabei wurden Finanz- ist dabei die Darstellung des Lebens mittel schon deshalb gebraucht, und Sterbens von Fritz Citron. Sie ist weil der älteste Sohn Otto nach zugleich eine solche des mutigen abgelegtem Abitur ein Studium Verhaltens seiner Frau, das ihr vor der Germanistik und Literatur allem der jüngste Sohn Klaus-Jürgen Citron bis zu ihrem Tod 1986 nie anstrebte, wobei er in der Wahl des Studienplatzes durch seine jüdi- vergessen hat. Insoweit zu Recht ist außen auf dem Buchumschlag ein sche Abstammung eingeschränkt war und schließlich Schutz in Ar- Foto von Fritz Citron mit seiner von ihm besonders geliebten Toch- beits- und dann Wehrdienst suchte, was sein Überleben sicherte. Sein ter, unterlegt mit einer dann auch im Text noch einmal abgedruckten Enkel hat ihm, ähnlich wie der von Robert Bernd Michaelis21, im Annex Ausfertigung jenes Vermerks aus dem Preußischen Innenministerium, des Buches22 eine liebevolle Erinnerung gewidmet. Die Familie war je- der sein Schicksal endgültig besiegelte, wiedergegeben. Über eine Kar- denfalls gezwungen, 1936 das der Schwiegermutter gehörende Haus, riere in der ordentlichen Gerichtsbarkeit bis zum Kammergerichtsrat in dem man gemeinsam auf zwei Etagen lebte, zu verkaufen und sich mit dem Nebenamt als stellvertretender Präsident der für die in Berlin zu verkleinern. tätigen Reichsbeamten zuständigen Reichsdisziplinarkammer stieg er 1929 zum Richter am Preußischen Oberverwaltungsgericht auf. . Die weitere in dem Buch ausführlich geschilderte Entwicklung ist rasch zusammengefasst. Dem Geschick von Charlotte Citron gelang es . Dort war er nicht nur im Beamtenrechtssenat tätig, sondern wurde in dieser Zeit mit tätiger Hilfe Dritter jedenfalls, zum Schutz ihrer Kin- auch Beisitzer im Großen Dienststrafsenat, der noch im Herbst 1932 der die eigene jüdische Verwandtschaft vor den Behörden weitgehend darüber zu entscheiden hatte, ob Beamte Mitglieder der NSDAP sein zu verbergen. Fritz Citron tat das Seinige dazu, indem er aus der Ehe- durften oder ob der von einer Verfassungsfeindlichkeit dieser Partei wohnung auszog und sich mit Abstand zu seiner Familie in möblierten ausgehende frühere Beschluss des Preußischen Staatsministeriums Zimmern als Untermieter verbarg. Als es der geliebten Tochter Chris- seinerseits rechtswidrig gewesen war. Fritz Citron war in diesem Fall ta, die die Schule wegen der ständigen Zurücksetzungen als Folge der nur „Koreferent“; Berichterstatter war Heinrich Schellen, damals noch ihr zugerechneten Abstammung abgebrochen und ein Ballettstudium Präsidialrichter und bald darauf der maßgebliche leitende Beamte im aufgenommen hatte, unmittelbar nach den Novemberpogromen ge- Preußischen Innenministerium. Die Entscheidung fiel zugunsten des lang, mit einem „sauberen“ Pass über die Niederlande zu Verwandten Beamten und damit der NSDAP aus; die Darstellung bei Renate Citron- nach England zu entkommen, war der Lebenswille von Fritz Citron, Piorkowski, dass und wie ihr Großvater von Schnellen später behandelt der nie an eine Flucht aus Deutschland gedacht hatte, gebrochen. Am wurde, lässt darauf schließen, dass dessen Abneigung oder gar Feind- 15. November 1938, dem Tag, an dem sie glücklich in England ange- schaft aus jener Zeit stammte und unter anderem von der von Fritz Ci- kommen war, versuchte er sich in der Spree zu ertränken. Dabei noch tron in diesem Verfahren vertretenen Haltung geprägt war. Jedenfalls einmal „gerettet“, erhängte er sich am 26. Dezember 1938 in seinem wurde ihm 1933 an erster Stelle seine Mitgliedschaft im Republikani- möblierten Zimmer. Er war damit einer von 7000 Berliner Bürgern, die schen Richterbund vorgehalten, zu der er, wie aus den Personalakten wegen ihrer jüdischen Abstammung aus eigener Entscheidung den Tod zitiert wird, angab, der Grund sei gewesen, damit das Überhandneh- suchten23. Der älteste Sohn bei der Wehrmacht, die Tochter außerhalb men radikaler Tendenzen zu verhüten. Entgegen dem Votum von Bill Deutschlands in Sicherheit, blieb Charlotte Citron mit ihrer Mutter und Drews, der darin allenfalls einen Versetzungsgrund sah, verfügte das dem jüngsten Sohn in Berlin zurück, wo sie ihm den Besuch des Gym- Preußische Staatsministerium jedoch die Entlassung. nasiums ermöglichen konnte. Als die Mutter 1941 starb und der weitere Aufenthalt in der Großstadt zu gefährlich wurde, zog sie, die sich zur . Damit begannen die wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Auf einen weiteren Camouflage inzwischen Charlotte Citron-Furbach nannte, Bruchteil seiner bisherigen Dienstbezüge zurückgeworfen, konnte mit ihm nach Schleswig zu ihrem Bruder Curt, der nach Tätigkeiten sich Fritz Citron eine Zeit lang durch Fachaufsätze und Rezensionen in der feinkeramischen Industrie dort zuletzt Stadtdirektor war. Hier auf dem Gebiet des Genossenschaftsrechts, dem sein besonderes In- geriet Klaus-Jürgen Citron nach Kriegsende in das Wahrnehmungsfeld teresse galt, ein kleines Zusatzeinkommen verschaffen. Nachdem er eines Freundeskreises, der ihn für sein Leben prägen sollte. Dass der mit diesen Veröffentlichungen wie aus einem von ihm betreuten Kom- Versuch einer Vergewisserung über die von ihm zeitlebens verborge- mentar jedoch weiter mit Namen sogar in Gerichtsentscheidungen zu- nen familiären Vorbedingungen des späteren deutschen Botschafters stimmend zitiert wurde, wurde 1934 die „Juristische Wochenschrift“ tief in die Geschichte eines der traurigsten Kapitel der deutschen Justiz zu einer Hetzkampagne gegen den Autor und seine „marxistisch-jüdi- führen würde, ist Veröffentlichungen wie den hier vorgestellten und schen“ Auffassungen und Auslassungen benutzt. Eine dagegen ange- in ihren wesentlichen Aussagen wiedergegebenen zu verdanken, die strengte Verleumdungsklage wurde abgewiesen, keine Fachzeitschrift spät, aber nicht zu spät erscheinen.  nahm mehr Arbeiten von ihm an, der Walter de Gruyter Verlag ent- zog im die Herausgeberschaft für den „Parisius-Crüger“, die in andere 21 Vgl. oben bei Fn.10. Hände gelegt wurde. Versuche, die Entlassung und ihre Folgen durch 22 Christoph David Piorkowki, Die gelbe Karte aaO. S.154 ff. eine Versetzung in ein anderes Amt oder eine vorzeitige Zurruheset- 23 Andreas Nachama, Von Anfang an dabei. Berliner Zeitung v. 5. 12. 2016 S.10. unter Berufung auf Helmut Simon//Andreas Nachama/Julius Schoeps (Hrsg.), Juden in Berlin, verdikt 2.17 , Seite 20 verdikt 2.17 , Seite 21

Barbara Nohr Leider doch: viele NS-Verbrecher beziehen weiterhin Kriegsopferrente

. Am 20. Dezember 1950 trat das Gesetz deren Angehörige Versorgungsleistungen er- . Seither heißt es in § 1a BVG: über die Versorgung der Opfer des Krieges hielten, vorausgesetzt der Tatbestand nach § (1) Leistungen sind zu versagen, wenn der (Bundesversorgungsgesetz – BVG) mit Wir- 1 Absatz 1 BVG lag vor. Berechtigte oder derjenige, von dem sich kung vom 1. Oktober 1950 die Berechtigung ableitet, während der Herr- in Kraft.1 Das Gesetz, in schaft des Nationalsozialismus gegen die dem umfangreiche Leis- Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechts- tungen für die Berechtigten staatlichkeit verstoßen hat und er nach dem vorgesehen sind, beruht 13. November 1997 einen Antrag auf Leistun- auf dem Aufopferungsge- gen gestellt hat. Anhaltspunkte, die eine be- danken: „Dem deutschen sonders intensive Überprüfung erforderlich Versorgungsrecht“, so das machen, ob ein Berechtigter durch sein in- Bundessozialgericht „liegt dividuelles Verhalten gegen die Grundsätze der Gedanke zugrunde, der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit dass diejenigen Deutschen, verstoßen hat, können sich insbesondere aus die für ihr Vaterland beim militärischen . Bereits 1955 bzw. 1956 berichtete der Spie- einer freiwilligen Mitgliedschaft des Berech- Dienst oder im Krieg ein besonderes Opfer gel, dass schwer belastete Personen Kriegs- tigten in der SS ergeben. durch die Hingabe von Leben oder Gesund- opferrente erhielten. Der Artikel wies auf zwei (2) Leistungen sind mit Wirkung für die Zu- heit gebracht haben, entschädigt werden Fälle von Witwen prominenter NS-Verbrecher kunft ganz oder teilweise zu entziehen, wenn sollen (Aufopferungsanspruch).“ Die Gene- hin: Lisa Heydrich und Marion Freisler. Im ein Versagungsgrund im Sinne des Absatz ralklausel § 1 Absatz 1 BVG lautet: „Wer durch Frühjahr 1993 schließlich gab die Fernsehsen- 1 vorliegt und das Vertrauen des Berechtig- eine militärische oder militärähnliche Dienst- dung Panorama Anlass für eine breite öffent- ten auf eine fortwährende Gewährung der verrichtung oder durch einen Unfall während liche Debatte: dem Bericht zufolge erhielten Leistungen im Einzelfall auch angesichts der Ausübung des militärischen oder militär- 128 ehemalige Legionäre der Waffen-SS Leis- der Schwere der begangenen Verstöße nicht ähnlichen Dienstes oder durch die diesem tungen nach dem BVG, darunter Mitglieder überwiegend schutzbedürftig ist. Dienst eigentümlichen Verhältnisse eine ge- der Schutzmannschaften, die 1941 an Mas- (3) Soweit in den Fällen des Absatzes 2 die so- sundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält senerschießungen beteiligt gewesen seien. fortige Entziehung oder Minderung der Leis- wegen der gesundheitlichen und wirtschaft- In der Folge wurden Forderungen nach einer tungen zu unbilligen Härten führt, soll die lichen Folgen der Schädigung auf Antrag Ausschlussregelung laut, insbesondere vor Entziehung oder Minderung nach einer ange- Versorgung.“2 Eine zunächst im Entwurf vor- dem Hintergrund, dass die in Lettland leben- messenen Übergangsfrist erfolgen. gesehene Ausschlussregelung für politisch den Opfer der nationalsozialistischen Verfol- belastete Personen, die es ermöglicht hätte, gung und deren Hinterbliebene keinerlei Ent- . Mit der Gesetzesänderung gingen hohe Nazigrößen und Kriegsverbrechern die Ver- schädigungsleistungen erhielten. Erwartungen einher. Die nun ermöglichte sorgung zu versagen, wurde im Verlauf der Entziehung bzw. Versagung werde – so die „Bundestag streicht NS-Verbrechern die parlamentarischen Beratungen gestrichen. Hoffnungen – zu der längst überfälligen Kor- Rente“ Ein Sozialgesetz, so die Begründung, solle rektur führen. keine politischen Bestimmungen enthalten.3 . Am 8. Oktober 1997 legten die damali- So kam es, dass viele Nazi-Verbrecher oder gen Regierungsfraktionen CDU/CSU und FDP Kaum messbarerer Promillebereich 1 Zur historischen Entwicklung der Kriegs- und Wehr- schließlich den Entwurf eines Gesetzes zur dienstopferentschädigung vgl. Knickrehm in Knickrehm Änderung des Bundesversorgungsgesetzes . Das Bundesversorgungsgesetz (BVG) wird (Hrsg.): Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, Handkom- 4 mentar, 2012, vor § 1 BVG, Rdnr. 1 ff. vor, der die Einfügung eines § 1a in das BVG von den Ländern in alleiniger Zuständigkeit 2 Im Einzelnen umfasst das Gesetz folgende Leistungen: 1. vorsah. Die Rechtslage, nach der Leistungen ausgeführt. Für die Durchführung des neuen Heilbehandlung, Versehrtenleibesübungen und Krankenbe- nicht versagt oder eingestellt werden kön- § 1a BVG benötigte die zuständige Versor- handlung (§§ 10 bis 24a), 2. Leistungen der Kriegsopferfür- sorge (§§ 25 bis 27j), 3. Geschädigtenrente (§§ 29 bis 34) und nen, wenn der Berechtigte oder derjenige, gungsverwaltung in den Ländern externe Da- Pflegezulage (§ 35), 4. Bestattungsgeld (§ 36) und Sterbegeld von dem die Berechtigung abgeleitet wird ge- ten, da sich aus den Versorgungsakten in der (§ 37), 5. Hinterbliebenenrente (§§ 38 bis 52) und 6. Bestat- gen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Regel keine entsprechenden Anhaltspunkte tungsgeld beim Tod von Hinterbliebenen (§ 53). 3 So im Schlussbericht zur Neufassung des § 1a BVG, Sep- Rechtsstaatlichkeit verstoßen hat, sei nicht ergeben. Das innerhalb der Bundesregierung tember 2016, Seite 29 f., (mit Verweis auf Frank, Andreas: Die länger hinnehmbar. zuständige Bundesministerium für Arbeit Entschädigungsunwürdigkeit in der deutschen Kriegsopfer- und Soziales (BMAS) unterstützte die Länder- versorgung). 4 BT-Drucksache 13/8705. verdikt 2.17 , Seite 21

behörden durch Beschaffung und Vervielfäl- gericht stattgegeben (Urteil vom 6. Juli 2006 Administrative Schwierigkeiten und tä- tigung von Datensätzen des Bundesarchivs – B 9a V 5/05 R). Zwar stelle der vom Kläger terfreundliche Richterinnen und Richter? (Berlin-Document-Center), durch Erfassung verrichtete Wachdienst im Konzentrations- und Aufbereitung der Verfahrenskarteien . Die Wissenschaftler gelangen zu dem Er- lager Auschwitz einen fortgesetzten Verstoß der Zentralen Stelle der Landesjustizver- gebnis, dass die Diskrepanz zwischen den gegen die Grundsätze der Menschlichkeit dar. waltungen in Ludwigsburg und schließlich vom Simon Wiesenthal Center übermittelten Die Tatsachenfeststellungen des Landesso- durch Überlassung von ca. 76.000 Daten zu Namen und den tatsächlich erfolgten Entzie- zialgerichts reichten jedoch nicht aus, um potentiellen NS-Tätern, die das Simon Wie- hungen diverse Ursachen hatte (vgl. Seite 11 einen Befehlsnotstand des Klägers auszu- senthal Center im Rahmen von mehreren des Berichts): schließen. Das Simon Wiesenthal Center und aufeinander folgenden Werkverträgen an – bei den vom Simon Wiesenthal Center mithin die Autoren des Berichts lehnen eine das BMAS übermittelt hatte. Die Resultate übersandten 76.000 Datensätzen handel- Entlastung über die Figur des Befehlsnotstan- dieser umfangreichen Bemühungen jedoch te es sich um Personen, die nach Einschät- des dagegen ab. Im Bericht merken sie an, es waren deprimierend: im Sommer 2011 teilte zung des Centers während der NS-Zeit gebe keinen einzigen Fall, der belege, dass die die Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage gegen die Grundsätze der Menschlichkeit Verweigerung eines verbrecherischen Befehls der Fraktion DIE LINKE5 mit, lediglich in 99 oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen haben. mit einer Gefahr für Leib und Leben verbun- Fällen habe es einen Entzug gegeben. Seit Dem Simon Wiesenthal Center war jedoch den war. Im Gegenteil seien zahlreiche Fälle 2008 gab es überhaupt keine Entziehungen nicht bekannt, ob diese Personen über- dokumentiert, in denen Versetzungen oder mehr. Im Dezember 2013 beendete das BMAS haupt Kriegsopferrente bezogen haben. zumindest Versetzungswünsche möglich ge- seine Zusammenarbeit mit dem Simon Wie- – ein Teil dieser Personen bzw. deren Witwe/ wesen sind (Bericht Seite 108). „Diese Hand- senthal Center, „insbesondere weil die Zahl Witwer waren zum Zeitpunkt der Einfüh- lungsoption, die als ein wesentliches neues der Bezieher/innen von BVG-Leistungen in rung des § 1a BVG bereits verstorben. Forschungsergebnis der vergangenen Jahre den vergangenen Jahren in einem hohen Maß – Ferner haben rechtliche Ein- gesunken war. Die noch lebenden Kriegsopfer schränkungen, fehlendes hatten meist ein sehr hohes Alter. Die Bun- Personal und fehlende finan- desregierung war daher der Ansicht, dass es zielle Mittel dazu geführt, unwahrscheinlich sei, dass sich unter den ver- dass sich Überprüfungsver- bleibenden BVG-Leistungsbeziehenden noch fahren teils lange hingezo- NS-Täter befinden.“6 gen haben. Ein wesentlicher Grund war der Verzicht auf . Angesichts der anfangs für möglich gehal- die Digitalisierung der Lud- tenen Zahl von bis zu 50.000 potentiellen NS wigsburger Zentralkartei mit Tätern unter den rund eine Million Leistungs- den Personalien der Beschul- berechtigten ist die Rede vom „faktischen digten. gelten kann, blieb bei Entscheidungen über Scheitern der Gesetzesnovelle“ nachvoll- – Schließlich sei § 1a BVG vom Simon Wie- die Umsetzung des § 1a Bundesversorgungs- ziehbar. Der Anteil der Entziehungen, so die senthal Center, den zuständigen Behörden gesetz ausgeblendet,“ so der Vorwurf der Fraktion DIE LINKE, liege im kaum messbaren und der Justiz unterschiedlich ausgelegt Autoren (ebd.). Nach Auskunft des Landes- Promillebereich. worden, mit der Folge, dass die Betroffe- sozialgerichts wurde das Verfahren nach der nen erfolgreich gegen eine Entziehung Zurückverweisung durch Vergleich beendet. . Wie konnte das passieren? Diese Fra- vorgehen konnten. Das bedeutet vermutlich, dass zumindest ge stellte sich auch das für die Soziale Ent- eine teilweise Gewährung der vom Kläger be- schädigung zuständige Bundesministerium . Die Studie befasst sich sodann u. a. mit gehrten Versorgungsleistungen erfolgte. (BMAS). Zur Erforschung der Gründe für diese mehreren Entscheidungen verschiedener Ge- Diskrepanz hat das BMAS am 10. März 2015 richte aller Instanzen. Dabei machen die Auto- . In einem anderen Fall gab das Bundessozi- ein Forschungsprojekt zur Auswertung und ren eine ihres Erachtens konträre Auffassung algericht der Revision eines Klägers teilweise zur Erforschung der Gründe für die geringe zwischen den wissenschaftlichen Erkennt- statt. Der Kläger war Angehöriger der 1. SS-In- Zahl der Streichungen von Kriegsopferrenten nissen einerseits und der Rechtsprechung fanterie-Brigade und war mehrfach an Masse- in Auftrag gegeben. Im November 2016 leg- der Sozialgerichtsbarkeit bei der Beurteilung nerschießungen der unbewaffneten Zivilbe- ten die Autoren Dr. Stefan Klemp und Martin des Vorliegen eines „Befehlsnotstandes“ aus. völkerung beteiligt. Das BSG stellte fest, dass Hölzl (beide Simon Wiesenthal Center) ihren Das Bundessozialgericht hatte der Revision der Kläger gegen die Grundsätze der Mensch- Schlussbericht vor.7 eines KZ-Wachmanns im Sinne einer Zurück- lichkeit verstoßen hatte und dieser Verstoß verweisung der Sache an das Landessozial- ihm auch zuzurechnen und vorzuwerfen ist 5 BT-Drucksache 17/6270 6 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der („individuelle Schuld“). Allerdings hob es Fraktion DIE LINKE vom 25. Januar 2017, BT Drs. 18/10975 für NS-Täter“ kann unter http://www.bmas.de/DE/Service/ die Entziehung der Leistungen auf, soweit 7 Der Forschungsbericht „Die Neufassung des § 1a Bundes- Medien/Publikationen/Forschungsberichte/fb472-schlussbe- diese die Versorgung der Schädigungsfolge versorgungsgesetz (BVG): Streichung von Kriegsopferrenten richt.html abgerufen werden. verdikt 2.17 , Seite 22 verdikt 2.17 , Seite 23

„geschlossene Lungentuberkulose rechts“ der Kläger die Versorgungsleistungen für den . Vertreter von NS-Opferverbänden reagier- betrafen. Der Kläger hatte sich die Lungentu- Schaden Lungentuberkulose weiter erhielt. ten entsetzt auf den Bericht. Das Ergebnis berkulose infolge einer im Februar 1948 erlit- sei „ausgesprochen deprimierend“ so Efraim tenen Rippenfellentzündung zugezogen, als . Ein solches Ergebnis ist (inzwischen) Zuroff von Jerusalemer Simon Wiesenthal er polnischer Kriegsgefangener gewesen war. schwer zu vermitteln. Das aber kann wohl Center gegenüber der taz. Der Zentralrat der Hier sah das BSG den „erforderlichen System- kaum Maßstab der richterlichen Prüfung Juden: „Für viele NS-Opfer ist dies besonders bezug“ nicht als gegeben an: „Jedenfalls zum sein. Die Richter führen beachtliche Gründe bitter“. Zeitpunkt der Schädigung im Jahr 1948 kann für ihre Entscheidung an. Bei Aufnahme von er in seiner Eigenschaft als Kriegsgefange- Schäden ohne engen Systembezug entstünde . Auch nach Ansicht des BMAS ist die Bilanz ner mithin nicht mehr als Unterstützer eines eine vor Artikel 3 Absatz 1 GG nicht zu recht- „unbefriedigend“. Im Übrigen ist die Bundes- noch existierenden Unrechtsregimes angese- fertigende Ungleichbehandlung der Kriegs- regierung der Auffassung, „dass mit Einfüh- hen werden. Ebenso wenig wie dann noch von opfer untereinander. Das Merkmal des wäh- rung des § 1a BVG ein Signal der Anerkennung § 1a BVG erfasste Verstöße gegen die Mensch- rend der Herrschaft des Nationalsozialismus des Leidens der Opfer und zur Distanzierung lichkeit möglich waren, konnten gesundheit- begangenen Verstoßes gegen die Grundsätze von den Unrechtsmaßnahmen der NS-Täter liche Schädigungen im Zusammenhang mit der Menschlichkeit würde dadurch praktisch gesetzt wurde.“ Handlungsbedarf sieht sie einer Mitwirkung am NS-System eintreten“ zu einem rein persönlichen Unwürdigkeits- nicht. Welchen auch – nach jahrzehntelangen (ebd., Rdnr. 94 – zit. nach juris). Folge ist, dass kriterium (ebd. Rdnr. 88). Versäumnissen? 

[IN EIGENER SACHE]

Bundesfachausschuss verabschiedet Barbara Wederhake

. Anlässlich ihrer Sitzung am 1. Juni 2017 haben die Mitglieder des . Eine besondere Herzensangelegenheit wurde für Barbara die Si- Bundesfachausschusses der Richterinnen und Richter, Staatsanwältin- cherung des Fortbestandes von verdikt nach der Übernahme der nen und Staatsanwälte in ver.di Barbara Wederhake als bisherige Leite- Zeitschrift in die Veranwortung der Bundesverwaltung. In vielen Ge- rin der Bundesfachgruppe Justiz verabschiedet. Mit Ablauf des Monats sprächen mit der Redaktion bemühte sie sich, den Fortbestand der Februar 2017 endete Barbaras hauptamtliche Gewerkschaftsarbeit. Zeitschrift bei knapper werdenden finanziellen Ressourcen zu sichern. Damit ist es auch ihr zu verdanken, dass nun das 100. Heft erscheinen . Barbara hat mit dem Bundesfachausschuss seit dem Jahr 2008 zu- konnte. sammengearbeitet. Zuvor war sie in unterschiedlichen gewerkschaft- lichen Funktionen tätig. Bevor sie im Jahr 2003 zum Bundesvorstand . Bevor sich Barbara und die Mitglieder des Bundesfachausschus- in das Beamtensekretariat wechselte, vertrat sie im Rechtsschutz des ses im Garten der “3 Schwestern” in Kreuzberg bei gutem Essen und Landesbezirks Berlin/Brandenburg ver.di-Mitglieder vor den Arbeits-, Getränken zusammensetzten, besuchten sie gemeinsam in der ver. Sozial- und Verwaltungsgerichten. Näher vorgestellt hatten wir Barba- di-Bundesverwaltung die Ausstellung “Im Kontext NSU – welche Frage ra in verdikt 2.08 (Seite 29). stellen Sie?”, die auch dieses Heft prägt.

. Für die langjährige engagierte Zusammenarbeit haben die Mitglieder . Bei vielen Gesprächen wünschten die Mitglieder des Bundesfach- des Bundesfachausschusses Barbara herzlich gedankt. Hervorzuheben ausschusses Barbara für die neue Lebensphase alles Gute, insbe- ist die Organisation der e-Justice-Tagungen (verdikt 1.17 S. 34), in deren sondere die Zeit für ihre künstlerischen Aktivitäten, die im Gewerk- Folge ein Netzwerk der Personal- und Richtervertretungen entstanden schaftsalltag allzu oft zurückstehen mussten. Ein Wiedersehen am ist, das gerade im Hinblick auf den Zusammenschluss der Bundesländer Rande einer Bundesfachausschusssitzung wurde versprochen. zu Entwicklungsverbänden wichtig ist. Die gut besuchten Tagungen für Richtervertretungen in Kassel (verdikt 2.10 S. 31) sind Vorläufer der nun Für den Bundesfachausschuss vom Land Brandenburg ausgerichteten Tagung der Richterakademie Karl Schulte  in Wustrau (verdikt 1.13 S. 17 und 1.15 S. 16). Sicher ein Highlight war die MEDEL-Tagung im Jahr 2013 in Berlin (verdikt 2.13 S. 14). verdikt 2.17 , Seite 23

Bundesfachgruppe Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte in ver.di – in der Bildmitte Barbara Wederhake

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

. mein Name ist Christian Hoffmeister und Dem Credo der „verdikt“ folgend möchte seit dem 1. Oktober 2017 bin ich als Gewerk- ich gerne meinen Teil dazu beitragen, dass schaftssekretär für Beamtenpolitik in der die Kolleginnen und Kollegen aus der Justiz Ver.di-Bundesverwaltung tätig. Als Nachfol- und ihre Anliegen im Interesse aller dort Be- ger von Barbara Wederhake werde ich mich schäftigten auch zukünftig als eine starke zukünftig um fachspezifische Angelegen- Stimme wahrgenommen werden. heiten im Bereich Beamtinnen und Beamte kümmern. Gleichzeitig – und das finde ich . Auf eine erfolgreiche Zusammenarbeit! als Volljurist mit Rechtsanwaltszulassung Christian Hoffmeister naturgemäß besonders reizvoll – bin ich im Fachbereich Bund und Länder für die Bundes- Meine Kontaktdaten: fachgruppe Justiz zuständig. Nach Berufssta- tionen unter anderem im Deutschen Bundes- Christian Hoffmeister tag und als Verbandsvertreter war ich zuletzt Gewerkschaftssekretär in ähnlicher Verantwortung mehrere Jahre als Ansprechpartner für Be- ver.di Bundesverwaltung | Ressort 12 amtenpolitik beim Bundesvorstand der Gewerkschaft der Polizei tätig. Fachbereich Bund und Länder | Bereich Beamtinnen und Beamte Ich freue mich, meine umfangreichen berufspraktischen Erfahrungen Paula-Thiede-Ufer 10 | 10179 Berlin hinsichtlich gewerkschaftspolitischer Interessenvertretung und be- Tel.: +49 (0) 30/6956 2132 | Fax: +49 (0) 30/6956 3552 amtenpolitischer Fragestellungen ab sofort bei ver.di einzubringen. E-Mail: [email protected]  verdikt 2.17 , Seite 24 verdikt 2.17 , Seite 25

[REZENSIONEN]

Martin Bender Christian Bommarius Der gute Deutsche – Die Ermordung Manga Bells in Kamerun 1914, Berenberg Verlag, Berlin 2015, 152 S., 20 €

Vergessener Kolonialismus – vergessene Fortsetzung der im Jahr 2015 in der Öffent- Verbrechen lichkeit begonnenen Diskussion um die deut- . Die deutsche Kolonialherrschaft im heuti- sche Kolonialherrschaft verstanden werden. gen Namibia, in Kamerun, Togo und Tansania, In diesem Zusammenhang ist zudem die Stu- in den deutschen Kolonien in China und in die „Skandal in Togo – Ein Kapitel deutscher der Südsee ist weitgehend vergessen, und es Kolonialherrschaft“ der Historikerin Rebekka scheint in der deutschen Öffentlichkeit auch Habermas zu nennen, die sich mit den Struk- Foto mit freundlicher Genehmigung von Herrn Jean-Pierre kein großes Interesse daran zu bestehen, dies turen kolonialer Herrschaft in den Zeiten des Félix-Eyoum zu ändern. Die während dieser Zeit begange- Kaiserreichs und mit dem kolonialen Alltag in nen Verbrechen des Deutschen Reichs spielen der deutschen Kolonie Togo beschäftigt. im gesellschaftlichen Bewusstsein kaum eine ten aber weiter Eigentümer des von ihnen Rolle. Der Rassismus jedoch, ein wesentlicher . In seiner nur etwa 150 Seiten umfassen- bewirtschafteten oder bebauten Bodens blei- Grund dieser Verbrechen, die mit den Namen den, jedoch überaus detailreichen, im Jahr ben. Außerdem sollten die Duala weiter das u. a. des Generalleutnants Lothar von Trotha, 2015 erschienenen Veröffentlichung „Der gute Monopol auf den Handel mit dem Hinterland des Kommandeurs der deutschen „Schutz- Deutsche – Die Ermordung Manga Bells in Ka- behalten. Dieser Handel mit Elfenbein, Kaut- truppen“ in ehemals Deutsch-Südwestafrika merun 1914“ erzählt der Journalist und Jurist schuk und Palmöl gegen Stoffe, Eisenwaren, Paul von Lettow-Vorbeck, Carl Peters und Christian Bommarius über den Beginn und Pulver, Tabak und Branntwein, die von den Adolf Lüderitz verbunden sind, bestimmt die Entwicklung der deutschen Kolonialherr- deutschen und britischen Faktoreien geliefert auch heute noch vielfach das Verhalten wei- schaft in Kamerun und über die Geschichte wurden, war für die Duala existentiell, denn ßer Mehrheitsgesellschaften gegenüber des Justizmordes an Rudolf Duala Manga Bell es war ihre wesentliche Einkommensquelle. schwarzen Minderheiten. und Adolf Ngoso, die am 7. durch „Wir wünschen, dass Weiße nicht hinaufge- das Bezirksgericht Duala wegen Hochverrats hen und mit den Buschleuten handeln, sie . Erinnert wurde an die deutsche koloni- zum Tod durch den Strang verurteilt und dürfen nicht mit unseren Märkten zu tun ale Vergangenheit Mitte des Jahres 2015 aus am folgenden Tag hingerichtet worden sind. haben, sie müssen hier an diesem Fluss blei- Anlass des faktischen Endes der deutschen Bommarius’ Bericht verbindet die Geschichte ben und uns Vertrauen schenken, so dass wir Kolonialherrschaft 1915 mit der Kapitulation der deutschen Kolonialherrschaft in Kame- mit unseren Buschleuten handeln“ (Zitat aus: der deutschen „Schutztruppen“ in Deutsch- run und ihre politischen und wirtschaftlichen Der gute Deutsche, S. 8). Diese Vereinbarung Südwestafrika. Bundestagspräsident Dr. Nor- Bedingungen mit der Erzählung des persön- bedeutete nach Vorstellung der Duala – so bert Lammert bezeichnete die in den Jahren lichen Schicksals von Manga Bell und Adolf Bommarius – keine Unterwerfung unter die 1903 bis 1908 im heutigen Namibia an den Ngoso. Während der Lektüre muss man sich deutsche staatliche Hoheit, sondern eine Völkern der Herrero und Nama begangenen als Leser immer wieder daran erinnern, dass Übertragung der Rechtsprechung auf die Verbrechen in einem Zeitungsartikel als Völ- es sich bei dem Inhalt der Erzählung nicht um Deutschen in den Fällen von Handelskonflik- kermord; von den etwa 80.000 Herrero über- einen historischen Roman handelt, sondern ten zwischen den Duala und Deutschen oder lebten nach Angaben eines UN-Reports nur um den Bericht eines tatsächlichen Gesche- den konkurrierenden Engländern und auch 15.000, von den etwa 20.000 Nama nur etwa hens, das vor gerade einmal einhundert Jah- bei Auseinandersetzungen zwischen ihnen 10.000. Eine Anerkennung der Verbrechen als ren stattgefunden hat und bis in die Gegen- und anderen Duala. Für die Deutschen war die Genozid verweigert die Bundesregierung in- wart nachwirkt. Vereinbarung dagegen eine Rechtsgrundlage des trotz entsprechender Verhandlungen der für die koloniale Besitzergreifung gegenüber Herrero und Nama. anderen europäischen Kolonialmächten. Der Vertrag . Zwei Ausstellungen zum deutschen Ko- . Die Vertreter zweier Hamburger Handels- . Noch im Juli 1884 übernahm der berühm- lonialismus im Landesmuseum in Hannover häuser, die bereits seit Jahrzehnten an der te und von Bismarck zum Reichskommissar („Heikles Erbe – Koloniale Spuren bis in die Küste Handel trieben, hatten im für Deutsch-Westafrika ernannte Arzt und Gegenwart“) und im Deutschen Historischen Juli 1884 mit den wichtigsten „Kings“ und Afrika-Forscher Dr. Gustav Nachtigall für das Museum in Berlin („Deutscher Kolonialismus „Chiefs“ der Duala vereinbart, dass die Ge- Deutsche Reich die „Souveränitätsrechte“ – Fragmente seiner Geschichte und Gegen- setzgebung und Verwaltung in Duala auf die über die Siedlung Duala. Mit der im Winter wart“) in den vergangenen Jahren können als Deutschen übergehen sollte. Die Duala soll- 1884/85 auf Einladung Bismarcks in Berlin verdikt 2.17 , Seite 25

abgehaltenen „Kongo-Konferenz“, auf der 13 „Fast jeder Soldat brachte zum Andenken ein 1905 zugeht, führt der Akwa-Clan einzelne Staaten, darunter die USA, Frankreich, Eng- Bakokohaupt nach der Beach.“ (Zitat aus: Der unter Gouverneur Jesko von Puttkammer in land, Belgien, Italien und Deutschland, Land gute Deutsche, S. 30) Kamerun begangene koloniale Verbrechen und Leute in Afrika untereinander aufteilen, auf. Rechtswidrige Zerstörungen von Gebäu- gehört das Deutsche Reich zu den anerkann- . Vor dem Hintergrund dieser von wirt- den der Einheimischen, Zwangsarbeit, exzes- ten Kolonialmächten. Das deutsche nun so schaftlichen Interessen des Deutschen Rei- sive Prügelstrafen mit der Seekuhpeitsche genannte Schutzgebiet Kamerun, in dem der ches und der deutschen Handelshäuser be- oder einem dicken, in Kohlenteer eingetauch- Hamburger Reeder, Übersee-Kaufmann und stimmten Kolonialpolitik erzählt Bommarius ten und im scharfen Sand umgewühlten und auch Reichstagsabgeordnete Adolph Woer- vom Leben und Schicksal des Rudolf Manga steifgetrockneten Tau ohne Rücksicht auf die mann wesentlichen wirtschaftlichen Einfluss Bell. Manga Bell ist ein Schüler von Theodor Person sind an der Tagesordnung. Außerdem ausübt, umfasst etwa 495.000 Quadratki- Christaller, dem ersten deutschen Reichs- wenden sie sich gegen den Steuerzwang und lometer; es ist nur 45.858 Quadratkilometer schullehrer in Kamerun, der 1887 als Sohn ei- die Verletzung des Vertrags von 1884. Als Re- kleiner als das Reichsgebiet. nes Missionars der Basler Mission im Dienst aktion hierauf werden die Unterzeichner der der Reichsregierung nach Kamerun entsandt Beschwerde am 6. Dezember 1905 durch den wurde, um „deutsche Bildung und Sitte, stellvertretenden Bezirksamtmann Lämmer- Die Durchsetzung kolonialer Interessen deutsche Sprache und deutschen Glauben in mann zu hohen Freiheitsstrafen mit Zwangs- . Berichte über die deutsche Kolonialherr- den dunklen Erdteil hinauszutragen“. Im Jahr arbeit verurteilt. schaft sind häufig verklärend exotisch und 1891 wird Manga Bell von seinem Vater Au- vermitteln den Eindruck, dass es sich hierbei gust Manga Ndumbe Bell, einem Häuptling . Dass Kolonialpolitik in der deutschen Öf- um Ereignisse aus „grauer Vorzeit“ handelt, der Duala, der in Bristol erzogen worden war, fentlichkeit wahrgenommen wird und von zu denen kein aktueller Bezug mehr herge- nach Deutschland geschickt, um dort Rechts- Bedeutung ist, machen die zum Teil heftigen stellt werden kann. Die Überzeugung, mit wissenschaften zu studieren. Begleitet wird Diskussionen hierüber auch im Reichstag all dem nichts mehr zu tun zu haben, nimmt er von Tube Meetoms, dessen Vater als Über- deutlich. Die Reichstagsabgeordneten Mat- setzer für die Deutschen thias Erzberger und Georg Ledebour brand- arbeitet und vom kaiserli- marken das Urteil u. a. als „Rachefeldzug auf chen Finanzrat Gustav Pahl sogenanntem gerichtlichen Weg“ und als aus Aalen in Württemberg. Missbrauch und Vergewaltigung. Aufgrund Manga Bell kommt beim einer Resolution des Reichstags Anfang 1906 Lehrer Gottlob Oesterle in wird eine Untersuchung der Angelegenheit Aalen unter, wird getauft, eingeleitet. Vernommen werden von Putt- konfirmiert, besucht die kammer und andere Kolonialbeamte sowie Grundschule und später der Oberrichter Dr. Meyer, dem in der Petition das Gymnasium in Ulm, vorgeworfen worden war, ein bereits verlob- uns der Autor durch seine detailreiche, durch das er mit der Mittleren Reife verlässt. Es fol- tes Mädchen von den Eltern gewaltsam ab- zahlreiche Quellenzitate belegte Darstellung gen Reisen nach Frankreich und England. gekauft und geheiratet zu haben, sowie die des brutalen und rassistischen deutschen Ko- Häuptlinge der Bell und der Akwa. Die Unter- lonialsystems. Dafür stehen Namen wie der . Als sein Vater 1902 nach Berlin reist, um zeichner der Petition werden am 26. Oktober des Eugen von Zimmerer, ehemaliger Land- im Namen der Duala und der Akwa beim Kai- 1906 von dem Assessor der Kolonialabteilung gerichtsrat in München, ab 1892 neuer Gou- ser und der Kolonialabteilung Beschwerden Rudolf Asmis, dem späteren Leiter der Dienst- verneur von Kamerun und der seines Stell- gegen die Unterdrückungsmaßnahmen und stelle Berlin des Kolonialpolitischen Amtes vertreters Heinrich Leist, der die Duala mit Grausamkeiten der deutschen Kolonialver- der NSDAP, „unter Anerkennung des Herren- „Vieh“ und „Schweine“ anredet. Als sich die waltung in Kamerun und auch die Unterbin- standpunkts der weißen Rasse gegenüber der Duala über die immer aggressiveren Versuche dung des für die Duala wichtigen Zwischen- Schwarzen“ wegen Beleidigung und verleum- der deutschen Kaufleute, das Zwischenhan- handels vorzubringen, begleitet Manga Bell derischer Beleidigung zu Freiheitsstrafen und delsmonopol der Duala zu zerschlagen und ihn als Dolmetscher; die Delegation steigt Verbannung zur Strafverbüßung in den Sü- die exzessiven Prügelstrafen beschweren, im Berliner Hotel Adlon ab. Die Beschwerden den Kameruns verurteilt. unternimmt der Chef der Polizeitruppe Ernst werden vom Kolonialamt auch entgegenge- Wehlan auf Weisung von von Zimmerer eine nommen, und die Duala erhalten einige ihre Enteignung und Umsiedlung überaus grausame Strafexpedition, den „“Ba- Anliegen betreffende Zusagen kokofeldzug“. Wehlan selbst schildert in sei- . Nachfolger Puttkammers als Gouver- nem Gefechtsbericht vom 30. November 1892 neur in Kamerun wird im Jahr 1907 dessen Gouverneur Jesko von Puttkammer die Zerstörung der Dörfer, die Vernichtung ehemaliger Stellvertreter Theodor Seitz. Die der Nährpflanzen und Kokospalmen und die . In einer weiteren Beschwerde an den deut- Ablösung Puttkammers ist allerdings nicht Tötung von Männern, Frauen und Kindern. schen Reichstag, die diesem am 5. September eine Folge der Beschwerden gegen seine bru- verdikt 2.17 , Seite 26 verdikt 2.17 , Seite 27

tale und willkürliche Amtsführung, sondern beschwert sich in einer weiteren schriftlichen Enteignungsmaßnahmen, untergräbt aber er wird vorzeitig pensioniert, weil er seiner Eingabe an den Reichstag zusammen mit an- zugleich die Autorität der Kolonialregierung. deutschen Geliebten Pässe auf einen falschen deren Duala-Häuptlingen über den Zwangs- Dass die deutsche Kolonialregierung nun- Namen ausgestellt und damit Urkundenfäl- verkauf zu Dumping-Preisen. In weiteren mehr beabsichtigt, Manga Bell „aus dem Weg schung begangen hat. Als Seitz zu Beginn des Petitionen an den Gouverneur Ebermaier zu räumen“, belegt Bommarius mit Äußerun- Jahres 1910 beginnt, ein Projekt der deutschen begründen die Petenten ihren Rechtsstand- gen des Bezirksamtmanns Hermann Röhm Kolonialbehörden umzusetzen, nämlich in punkt insbesondere mit der vertraglichen vom Bezirksamt in Kamerun, wonach Manga Duala die flussnahen Stadtviertel allein für Vereinbarung von 1884, in der den Duala das Bell „mit Rücksicht auf seine oppositionelle die Europäer vorzusehen und die Duala in Eigentum an dem von ihnen kultivierten Land Haltung“ zu verurteilen und zu verbannen ist. neue Quartiere u. a. in Überschwemmungs- und der Grund, auf dem ihre Dörfer errichtet In gleicher Weise äußert sich das Gouverne- gebiete am Stadtrand umzusiedeln, ver- sind, garantiert wird. Unterstützung ihres ment, das eine Entfernung Manga Bells aus schärft sich der Konflikt zwischen den Duala Anliegens erhalten die Duala allerdings auch Duala für erforderlich hält, um „die Eingebo- und den Deutschen. Die Einheimischen sollen nicht von den Missionsleitungen, die von den renen zu veranlassen, sich in ihr Schicksal zu enteignet und zwischen den von den Euro- geplanten Enteignungen ebenfalls profitie- fügen und freiwillig aus der Altstadt in die päern bewohnten Stadtteilen und den neuen ren. Neusiedlungen zu gehen.“ Noch vor der er- Quartieren soll eine ein Kilometer breite Frei- neuten Sitzung der Budgetkommission am 9. zone eingerichtet werden. Ziel der deutschen . Die Dramatik der weiteren Ereignisse Mai 1914 wird Manga Bell aufgrund der Aus- Kolonialpolitik ist, Duala zum größten Hafen schildert Bommarius im Folgenden überaus sage des einflussreichen Königs der Bamun an der Westküste Afrikas als Symbol einer er- anschaulich: Manga Bell wendet sich am 15. Njoya vor dem deutschen Gouvernement, folgreichen deutschen Weltpolitik auszubau- Januar 1913 erneut mit einem Telegramm an Manga Bell habe ihn als Verbündeten gegen en. Die Rassentrennung begründet Seitz mit den Reichstag, um den in Kürze zu erwarten- die deutsche Kolonialmacht gewinnen wol- der Bekämpfung der Malaria, aber vor allem den Enteignungsbeschluss doch noch zu ver- len, auf Anordnung Röhms wegen Hochver- hindern. Dies gelingt allerdings rats verhaftet. Ebenfalls wegen Hochverrats nicht, denn das vom Leiter des wird in Berlin verhaftet ein enger Vertrauter Postamts von Duala an das Be- Manga Bells, Ngoso Din, den die Versamm- zirksamt übergebene Telegramm lung der Duala-Oberen vom Gouvernement wird von diesem beschlagnahmt; unbemerkt nach Deutschland geschickt hat, der Enteignungsbeschluss ergeht um mit Manga Bells Bekanntem, dem Chef- am Nachmittag des 15. Januar redakteur der Zeitung „Welt am Montag“, in 1913. Auch danach beruft sich Berlin Kontakt aufzunehmen; Ende Mai 1914 Manga Bell auf den Rechtsgrund- wird er nach Kamerun zurückgebracht. Als soll sie dazu dienen, „dem Ansetzen und Ent- satz „pacta sunt servanda“ und auf die Einhal- Rechtsanwälte bevollmächtigt hat Ngoso Din wickeln zur sozialen und politischen Gleich- tung des Vertrags von 1884. Weitere Proteste die beiden bekannten Strafverteidiger Hugo stellung mit den Eingeborenen“ entgegenzu- beim Reichstag, beim Bezirksamt und beim Haase, den Vorsitzenden der SPD und SPD- wirken. Gouverneur bleiben erfolglos. Inzwischen Reichstagsfraktion und Strafverteidiger Karl protestiert die einheimische Bevölkerung Liebknechts im Hochverratsprozess vor dem . Welche Rolle kommt nun Rudolf Manga massiv gegen das Enteignungsverfahren. Die Reichsgericht im Jahr 1907 sowie Kurt Rosen- Bell bei dieser Entwicklung in Duala zu? Bom- deutsche Reichsregierung reagiert mit der feld, den Strafverteidiger Rosa Luxemburgs marius berichtet, dass Manga Bell im Jahr Entsendung dreier Kriegsschiffe, die Anfang in zwei politischen Prozessen. Manga Bells 1897 Emmy Engome Dayas, die Tochter des des Jahres 1914 vor der Küste von Kamerun Strafverteidiger sind nicht weniger bekannt: englischen Kaufmanns Thomas Dayas und eintreffen. Aufgrund einer weiteren Petition, Paul Levi, ebenfalls Strafverteidiger von Rosa seiner Ehefrau Tebedi Njanjo Eyum geheira- mit der sich die Budgetkommission, das ist Luxemburg und Dodo Hans Halpert, den Man- tet hat. Beide sind christlichen Glaubens und eine Kommission für den Reichshaushalts- ga Bell bereits im Jahr 1912 beauftragt hatte, gehören der Gemeinde der Basler Mission an. Etat, die Anträge zu den Etats zur Entschei- gegen die Enteignungen in Duala vorzugehen. Manga Bell wird im Jahr 1908 als Nachfolger dung in den Reichstag einbringt, am 18. März seines verstorbenen Vaters oberster Häupt- 1914 befasst, werden die Enteignungs-und Der Prozess ling des Bell-Clans. Er ist wohlhabend, Eigen- Umsiedlungsverfahren, die bereits eingelei- tümer mehrerer Kakao-Plantagen und wert- tet sind, bis zum Abschluss der Prüfung der . Weder die Prominenz der Verteidiger noch voller Grundstücke. Er besitzt einige schöne Vorwürfe eingestellt. das durch die Berichterstattung in der deut- Häuser, die er an deutsche Behörden und Ge- schen Presse geweckte öffentliche Interesse sellschaften vermietet hat. Gegen die geplan- . Die Nachricht über diesen Teilerfolg der an den Ereignissen in Kamerun bewahren te Enteignung wendet er sich am 30. Novem- Duala vor der Budgetkommission, für deren Manga Bell und Ngoso Din jedoch davor, dass ber 1911 als Sprecher des Duala-Volks mit einer Verbreitung im ganzen Land Manga Bell sorgt, das Verfahren gegen sie gegen alle rechts- telegrafischen Petition an den Reichstag und stützt den Widerstand der Duala gegen die staatlichen Grundsätze verstößt, sondern es verdikt 2.17 , Seite 27

geht allein um ihre schnelle Aburteilung und albehörde, die mit Festnahmen Hinrichtung. An der Hauptverhandlung, die und drastischen Strafen reagiert. auf den 17. September 1914 angesetzt ist, je- Die Duala-Dörfer werden zerstört, doch auf den 8. August 1914 vorgezogen wird, sehr viele der Duala werden um- können die vier Strafverteidiger nicht teilneh- gebracht. Dies hindert die Duala men, denn mit dem Beginn des Ersten Welt- letztlich jedoch nicht, mit den kriegs findet ein Schiffsverkehr mit Passagier- Niedermeyer, dem Untersuchungsführer ge- Engländern zusammenzuarbeiten und jede schiffen zwischen Deutschland und Kamerun gen Manga Bell und Ngoso Din gesprochen. Unterstützung bei der Einnahme Kameruns nicht mehr statt. Über den Prozessverlauf Beisitzer im Verfahren ist Rechtsanwalt Ru- durch englische Truppen zu leisten. existiert keine Niederschrift, und es gibt auch dolf Dix aus Leipzig, über dessen weiteren kein schriftliches Urteil, wohl aber einen im beruflichen Weg Bommarius ebenfalls Aus- . Zum Schluss seiner tief beeindruckenden Jahr 1928 erschienenen Bericht des Dr. Alfred kunft erteilt: im Dritten Reich verteidigt er Erzählung macht Bommarius noch einmal Etscheit in der Zeitschrift „Der Kolonialdeut- politische Oppositionelle, danach vertritt er deutlich, dass die deutsche Kolonialgeschich- sche“ der Deutschen Kolonialgesellschaft. Angeklagte in den Nürnberger Prozessen und te keine abgeschlossene geschichtliche Epi- Etscheit ist von der Kolonialregierung zwar ist Prozessbevollmächtigter der Bundesregie- sode ist, sondern sowohl in Kamerun als auch als Offizialverteidiger Manga Bells bestellt rung im KPD-Verbotsverfahren vor dem Bun- hier weiterwirkt. Er berichtet von einem Ge- worden, seine Darstellung der Ereignisse in desverfassungsgericht. spräch mit dem bayrischen Sonderschullehrer der Zeitschrift wirkt jedoch – so Bommarius – Jean-Pierre Félix-Eyoum über die Ermordung „als habe Manga Bells Verteidiger sein Plädo- . Dass Ankläger und Richter wie in einem von dessen Großonkel Manga Bell. In Kame- yer mit der Anklageschrift des Staatsanwalts Inquisitionsverfahren in einer Person auftre- run sei allgemein bekannt, und es lerne jedes vertauscht“. Über das Schicksal Etscheits in ten, hatte Gouverneur Ebermaier „wegen der Kind, dass der „Vater der Nation“ von den der Zeit des Faschismus berichtet der Autor, hochpolitischen Bedeutung der Angelegen- Deutschen ermordet worden sei. Félix-Eyoum dass dieser im Herbst 1944 im Konzentrati- heit“ zur Einhaltung strafprozessualer Min- ist in Duala geboren, in Frankreich zur Schu- onslager Flossenbürg ermordet worden ist, deststandards zuvor erfolglos zu verhindern le gegangen, hat in Deutschland studiert, nachdem ein Gestapo-Spitzel ihn und andere versucht. Nach der Ablehnung eines Gnaden- geheiratet und ist eingebürgert worden. Er Mitglieder des Solf-Kreises, eine Gruppe na- gesuchs werden Manga Bell und Ngoso Din vermisst in Deutschland die Auseinander- tionalkonservativer Widerständler, verraten am folgenden Tag hingerichtet. setzung mit der Kolonialgeschichte und die hatte. Übernahme der Verantwortung für den Ko- . Das Verfahren und die Hinrichtung der lonialismus und seine Verbrechen. Man kann . Das Urteil nach der sechseinhalbstündi- beiden Duala verstärken den Widerstand der nur hoffen, dass dieses Buch ein wenig dazu gen Hauptverhandlung wird von Assessor Einheimischen gegen die deutsche Koloni- beiträgt, das zu ändern. 

Klaus Thommes Joachim Wagner, Ende der Wahrheitssuche – Justiz zwischen Macht und Ohnmacht, München 2017

. Die Justiz und ihr Innenleben wird in letzter Zeit immer mehr zum doch schauerlich über den Rücken. So schlimm wird’s dann aber doch Gegenstand der Erörterung.1 Hier reiht sich auch das zu besprechende nicht. Wagner hat sich viel Arbeit gemacht, viel gelesen5, eine Fragebo- Buch ein.2 Wagner, der auf der Rückseite des Buchs als promovierter genaktion durchgeführt und viele Gespräche geführt, besonders gern Jurist firmiert, ist von Beruf Journalist und hat vor nicht allzu langer offenbar mit Gerichtspräsidenten und –präsidentinnen und am aller- Zeit Bücher über Anwälte3 und über islamische Gerichte4 veröffent- liebsten mit denen, die „führen“ wollen (S. 224 ff). Gegen allzu pinge- licht. Bücher verkauft man wohl besser, wenn man ihnen knackige lige Kritik hat sich der Autor gleich am Anfang immunisiert – das Buch Titel verpasst – so auch hier: „Ende der Wahrheitssuche“ – da läuft es erhebt keinen wissenschaftlichen Anspruch (S. 7). 1 Vgl. auch Gnisa, Das Ende der Gerechtigkeit – Ein Richter schlägt Alarm, Freiburg 2017 und dazu die Rezension von Rolf Lamprecht in der SZ v. 11. September 2017; literarisch und sehr zu . Er berichtet über die Baustellen, die man als lange in der Justiz Tä- empfehlen Petra Morsbach, Justizpalast, München 2017. tiger so kennt und reichert das immer mal mit steilen Bemerkungen 2 Vgl. auch die Rezension von Lamprecht, SZ v. 24. April 2017. 3 Vorsicht Rechtsanwalt, München 2014. 4 Richter ohne Gesetz: Islamische Paralleljustiz gefährdet unseren Rechtsstaat – Wie Imame 5 sogar Sachen, die Richter nicht lesen dürfen, nämlich die berühmt-berüchtigte Sachsen in Deutschland die Scharia anwenden. Statistik und die Berliner Tabelle. verdikt 2.17 , Seite 28 verdikt 2.17 , Seite 29

an. Dabei beherrscht er die Kunst des beherzten einerseits – anderer- arbeiten zu wollen, völlig abwegig und einer Beamtenmentalität ge- seits. Mal findet er konsensuale Streitbeilegung gut – mal ist sie ein schuldet (u.a. S. 88). Er spricht insoweit von einem „freiwilligen akade- Menetekel und Zeichen für das allgemeine Herunterkommen und den mischen Übersoll“ (S. 208). Verzicht auf Wahrheitssuche. Mal findet er, die Justiz sei kaputt ge- spart worden, mal sagt er, es sei eine „Mär“ (S. 206), dass die Justiz . Was den Autor in besonderer Weise umtreibt, ist die Feminisierung überlastet sei. Wenn sie nur ihre Binnenreserven hebe, dann könne sie der Justiz (S. 30 ff, 215 f und passim: „Spirale des Geschlechteraus- auch so ihre Aufgaben lösen. Oft fragt sich der Leser – wie denn jetzt? tauschs dreht sich immer schneller“, „gehobener Volksschulbetrieb“ S. 30, „ist es schon vorgekommen, dass eine Vergewaltigungsklage . Zentral wird über Richter und Richterinnen gesprochen.6 Man kann vor drei Richterinnen verhandelt wurde“: horribile dictu). Er nimmt die immer merken, wenn es ans Eingemachte geht – dann heißen sie Einstellung von immer mehr Frauen zur Kenntnis und räumt deren plötzlich „Justizdiener“ oder „Robenträger“, wenn bessere Examensnoten ein. es nicht ganz so schlimm wird, sind es „Justizjuris- Gleichzeitig skandalisiert ten“. So ganz leicht abschätzig ist es fast immer. Die er diese gesellschaftliche sind dann manchmal hochqualifiziert, manchmal Wirklichkeit aber und for- haben sie eine Beamtenmentalität, weil sie finden, dert Obergrenzen. Über ein dass 40 bis 42 Stunden Arbeit genug sind. „Hoch- gewisses Maß hinaus dürfe qualifiziert“ sind alle, die zwei Prädikatsexamina das nicht gehen. Zur Begrün- haben (vgl. etwa S. 214).7 Wie man das immer noch dung wird da nicht mehr auf – angesichts der Zufälligkeiten und Irrationalitäten „die Natur der Frau“ oder der juristischen Staatsexamina – behaupten kann, ähnliches abgestellt. Son- erschließt sich mir eigentlich immer weniger. Ob dern er meint, das Ansehen sich die Qualitäten, die die Gesellschaft von „guten“ Richterinnen und der Justiz leide darunter, wenn der richterliche Beruf zu einem „weibli- Richtern erwartet, durch diese Examina erkennen lässt, scheint mir chen“ Beruf werde. Möglicherweise stimmt das sogar. In der sozialwis- doch überaus fraglich. senschaftlichen Forschung finden sich für andere Berufsgruppen (z.B. Grundschullehrer) durchaus Indizien für solche Effekte. Aber muss sich . Jedenfalls, das scheint mir eine Hauptthese zu sein, arbeiten viele die Gesellschaft nicht fragen, wieso sie immer noch mit solchen Refle- bis sehr viele Richter und Richterinnen nicht genug und nicht effizi- xen reagiert? Muss Mann davor kapitulieren? ent genug, um die Aufgaben zu erfüllen. Das kommt nicht ganz so grobschlächtig daher – vielmehr wird immer wieder eingeräumt, dass . Daneben weist Wagner auch darauf hin, ein wesentlicher Beweg- es Ecken und Winkel in der Justiz gibt, wo es durchaus sehr viel zu grund für Frauen, den richterlichen Beruf zu ergreifen, sei die Mög- tun gibt und wo die Dinge auch unüberschaubarer und komplizierter lichkeit, Beruf und Familie zu vereinbaren. So wie er das hinschreibt, geworden sind (z.B. in der Ziviljustiz, S. 93, immerhin der größte Teil erweckt er zuweilen den Eindruck, das sei etwas Schlimmes. Auf einer aller gerichtlicher Verfahren). Gleichzeitig werden viele Stellen aufge- tatsächlichen Ebene hat er zunächst wohl durchaus Recht. Die Ar- zeigt, wo es nach Wagners Auffassung noch Binnenreserven zu heben beitsbedingungen in Großkanzleien und in der Wirtschaft sind eben gibt. Manches alte Vorurteil wird gebracht: Verwaltungsrichter sind zu weitgehend immer noch nicht so, dass es möglich ist, neben der Er- wissenschaftlich und zu gründlich und schreiben zu viel; Arbeitsrich- werbsarbeit auch noch die Mindestanforderungen von Zuwendung an ter sind zu arbeitnehmerfreundlich; Richter und Richterinnen sind ei- Kinder und Familie zu erbringen. Nach wie vor ist Familienarbeit in die- gentlich nie im Gericht und für die Prozessparteien nicht zu erreichen.8 ser Gesellschaft die Sache der Frauen. Was sollen also die hervorragend Wagner ist der Meinung, angesichts ihrer akademischen Ausbildung qualifizierten Juristinnen anderes machen, als sich einen Arbeitgeber müssten Richter und Richterinnen eigentlich mindestens 45 Stunden suchen, der es ihnen wenigstens halbwegs ermöglicht, beides zu tun: in der Woche arbeiten. In anderen Berufsgruppen – z. B. bei Journalis- Ihrer Qualifikation entsprechend zu arbeiten und dennoch nicht auf ten9 – sei jedenfalls der Anspruch, nur die geschuldeten 40 Stunden Kinder und Familie zu verzichten. Das hat dann gewisse Folgen: Zei- 6 Der nichtrichterliche Bereich wird nicht in den Blick genommen (S. 6), indessen „katastro- ten der Mutterschaft, Erziehungsurlaub und Teilzeitstellen. Wagner phale Zustände“ eingeräumt. spricht insoweit von „erheblichen Effizienzverlusten“ (S.208). „Der 7 Viele Kollegen und Kolleginnen scheinen ihre Examensnote indessen ebenfalls als An- spruch auf ein lebenslang hohes Gehalt zu verstehen, was auch verwundert (S. 19,75). Rechtsgemeinschaft drohen weitere Effektivitäts- und Qualitätseinbu- 8 Das gilt allerdings auch für die von Wagner so geschätzten „Freiberufler z.B. Ärzte, Anwälte ßen“ (S. 37). Die Landesjustizverwaltungen nehmen das achselzuckend und Politiker“ (S. 207). hin und sehen keinerlei Anlass, entsprechende Stellenerhöhungen vor- 9 Kleines Revanchefoul: Wenn man die Gehälter der festangestellten Hierarchen im öffent- 10 lich – rechtlichen Rundfunk, aus dem auch der Autor kommt, zur Kenntnis nimmt – z.B. hat zunehmen. Festzuhalten ist dabei aber: Wer in der Justiz Teilzeit ar- die ehemalige Direktorin des Landesfunkhauses in Hannover mehr verdient als der niedersäch- sische Ministerpräsident – dann fragt man sich doch, ob hier nicht Äpfel mit Birnen verglichen 10 Wagner berichtet eine interessante Ausnahme – die in Hessen eingeführte „Taskforce werden. Mutterschutz“ (S. 208). Das sei allen Hauptrichterräten zur Aufnahme in die einschlägigen verdikt 2.17 , Seite 29

beitet, muss in der Regel mehr arbeiten, als es seinem Teilzeitanteil Kollegen und Kolleginnen, die sich möglicherweise hinter Unabhän- entspricht und noch dazu hochorganisiert sein, weil der Betrieb nur gigkeit verstecken. Muss das nicht im Interesse des Gesamtsystems in ganz kleinem Umfang auf elterliche Zwänge Rücksicht nimmt. Das hingenommen werden? All diese Präsidenten und Präsidentinnen, die ist in aller Regel nur mit Nachtarbeit und Unterstützung von außen sich bei Wagner über die Unabhängigkeit beschweren (S. 47 f), führen zu schaffen. Diese Wirklichkeiten fallen bei Joachim Wagner allerdings die Dienstaufsicht (dazu S. 64 ff, 104 f). Dieses Instrument zu nutzen, nahezu komplett unter den Tisch. um gegen tatsächlichen Schlendrian bei richterlicher Tätigkeit anzu- gehen ist ihnen aber zu mühsam, weil sie die direkte Auseinanderset- . Eine andere Ursache der Misere der Justiz ist nach Auffassung zung scheuen. Richter und Richterinnen wehren sich zuweilen und da Wagners die junge Richtergeneration, die nicht mehr Kind von Marx müsste man ja wasserdichte Bescheide hinkriegen. Ist Arbeit? Ja! sondern von Coca-Cola sei (S. 39 ff). Einerseits hochqualifiziert und andererseits unpolitisch sei der Blick für gesellschaftliche Probleme . Was ist noch alles schlimm? Das Dogma der Unversetzbarkeit (S. verloren gegangen – etwa auch in der Arbeitsgerichtsbarkeit. Über 50), der gesetzliche Richter als Selbstfesselung der Justiz (S. 52), Kon- die klagt Wagner dann aber an anderer Stelle, sie sei viel zu arbeit- kurrentenklagen (S. 60 ff), Richter sehen „Gerechtigkeit“ nicht mehr nehmerfreundlich (S. 193 f). Der neuen Richtergeneration fehle das als Ziel an (S. 86) und führen keine Beweisaufnahmen mehr durch (S. politische Engagement und das wirke sich nachteilig auf die Arbeits- 98). ergebnisse aus. Das ist ja mal was Neues. War der Richterschaft bisher nicht immer vorgeworfen worden, sie sei zu politisch und bringe ihr . Wagner gibt immer wieder am Ende eines Abschnitts knackige Zu- eigenes Vorverständnis zu sehr ein? Verbirgt sich hinter diesem Vor- sammenfassungen des zuvor Erarbeiteten. Auffällig ist nur, dass diese wurf mehr als die üblichen Vorwürfe einer älteren gegen eine jüngere Texte oft gar nicht von dem getragen werden, was er zuvor ausgeführt Generation? hat. So heißt es etwa auf S. 117 kurz und griffig, die Strafjustiz sei weder objektiv noch subjektiv überlastet. Vorher wird ausführlich geschildert, wie schwierig das Geschäft für die Kammern an den Landgerichten ge- worden ist und wie sie kaum dagegen ankommen, vielfach mit Über- lastungsanzeigen reagieren, vom Gesetzgeber (von Wagner durchaus kritisiert) des dritten Mitglieds beraubt werden (S. 131) usw. Passt das? Im weiteren Text heißt es dann auch: „Die Verfolgung von Wirtschafts- delikten ist zeitaufwendig, die Staatsanwaltschaft ist unterbesetzt, und die Amtsrichter sind mit ihren hohen Fallzahlen überfordert“ (S. 118). Auf S. 127 spricht er vom „Räderwerk der Massenabfertigung“ und auf S. 134 davon, dass Haftentlassungen durch hohe Belastung und un- zureichende personelle Ausstattung mit verursacht werden. Ähnliche . Die Unabhängigkeit – die ist hypertroph. Da wird als erstes der alte Brüche in der Argumentation könnten auch an manch anderer Stelle Nationalsozialist Willi Geiger11 als Zeuge angerufen, der ausgeführt aufgezeigt werden. hat, man dürfe die Unabhängigkeit nicht zur Unangreifbarkeit hoch- stilisieren. Aha. Das war im Nationalsozialismus in der Tat nicht so. . Es ließe sich noch manches sagen und berichten – insbesondere zu Ein nicht genannt werden wollender Gerichtspräsident will „die Unab- den beiden Gerichtsbarkeiten, die ich von innen kenne, da ließe sich hängigkeit am liebsten in die Tonne treten“ (S. 48). Oha! „Wegen der so manches einwenden. Es soll aber auch nicht verschwiegen werden, Überdehnung der Unabhängigkeitsgarantie hat sich die Erledigungs- dass Wagner so manche richterliche Hysterie treffend aufspießt. Soll statistik neben der Entscheidung über die Beförderung zum wirksams- man das Buch lesen? Es ist schmissig formuliert, liest sich so weg und ten Steuerungsinstrument der Gerichtsverwaltung entwickelt“ (S. ist gut für Leute mit zu niedrigem Blutdruck. Es ist in sich an vielen 49). Ist eine Gerichtsverwaltung denn dazu da, die Rechtsprechung zu Stellen widersprüchlich und bestätigt jedem die schon vorhandenen steuern? Schlimm ist für Wagner, dass Richter letztlich selbst – etwa Vorurteile.12  in Gestalt der obersten Bundesgerichte – darüber entscheiden, wie weit Unabhängigkeit reicht. Die Frage, wer es denn sonst tun sollte, wird vorsichtshalber nicht gestellt. Muss man das in Anbetracht all der Vorgänge in anderen Ländern, die nicht zuletzt in diesem Heft do- kumentiert werden, noch weiter kommentieren? Klar kennen wir alle Forderungskataloge empfohlen. 11 Kramer, Helmut: Willi Geiger. Vom Antisemiten und Staatsanwalt am NS-Sondergericht zum Richter am Bundesverfassungsgericht, Kurzbiographie in NS-Belastete aus dem Raum 12 Eine Kurzfassung findet sich online unter dem Titel „Gerichtsverfahren dauern in Deutsch- Nordbaden, September 2017; zuvor schon in KJ 1994, 232 ff. land zu lang“ veröffentlicht am 21. Mai 2017 auf der Seite von Welt N 24. verdikt 2.17 , Seite 30 verdikt 2.17 , Seite 31

[RECHT LITERARISCH]

„Das wühlt mich immer noch auf“

Interview mit Bernd Asbrock zu seiner Mitwirkung am Theaterstück Terror von Ferdinand von Schirach in Bremen

Ein Terrorist entführt eine Passagiermaschi- ne und zwingt die Piloten, Kurs auf ein voll Foto: Claudia Hoppens besetztes Fußballstadion zu nehmen. Gegen den Befehl seiner Vorgesetzten schießt ein einem Stück, das inhaltlich hoch brisant und Erfahrung. Ich bin als Neuling in dieser Szene Kampfpilot der Luftwaffe das Flugzeug in von bedrückender Realität ist. Ich hatte auch von allen mit großer Offenheit und Freund- letzter Minute ab, alle Insassen sterben. Nun schon gewisse Vorerfahrungen damit, mei- lichkeit empfangen worden. Mit ihren guten steht der Pilot vor Gericht, weil er 164 Men- nen Beruf in eine Art Inszenierung einzubrin- Tipps konnten die Profis auch mein Lampen- schen getötet hat, um 70.000 zu retten. Seine gen. So war ich einige Jahre im Rahmen der fieber in Grenzen halten. Bemerkenswert war Richter sind die Theaterbesucher, sie müssen Bremer Juristenausbildung als Dozent an sog. das hohe Interesse, das die Schauspielerinnen über Schuld oder Unschuld urteilen. Moot Courts beteiligt, also an nachgestellten und Schauspieler und die anderen Beteiligten Gerichtsverhandlungen, die mit Studierenden an meiner Berufspraxis und den Erfahrungen . verdikt: Wie kommt ein Strafrichter auf als weiteren Verfahrensbeteiligten im Land- mit größeren Strafprozessen zeigten. Im Ge- eine Theaterbühne? gericht durchgeführt wurden. Überdies hatte genzug konnte ich einen guten Einblick in . Bernd Asbrock: Das Ganze begann mit ich einmal die Rolle des Strafrichters in ei- den Theateralltag gewinnen. Für mich war einer Anfrage, ob ich als weiterer Akteur für ner TV-Sendung übernommen, in der jeweils es höchst beeindruckend, wie die Schauspie- die Rolle des vorsitzenden Richters in diesem Schulklassen als Jury über einen Fall urteilen ler die doch sehr langen und oft juristischen Stück zur Verfügung stehen wolle. Dazu muss mussten und im Anschluss mit dem Berufs- Texte frei vortrugen und sich auch mit deren man wissen, dass die Inszenierung des Bre- richter über seine juristische Einschätzung Inhalt auseinandergesetzt hatten. mer Kriminaltheaters deutschlandweit wohl diskutiert haben. . verdikt: Wie stehst du zu dem Stück die einzige ist, bei der der Richter nicht durch . verdikt: Welche Unterschiede zwischen ei- selbst, einmal aus juristischer und zum ande- einen Schauspieler dargestellt wird. Man ner echten Gerichtsverhandlung und diesem ren aus gesellschaftspolitischer Sicht? wollte in Bremen stattdessen gern jemanden Theaterstück hast du wahrgenommen? . Bernd Asbrock: Wie schon gesagt, ist das haben, der zumindest der Justiz nahesteht. . Bernd Asbrock: Das betrifft vor allem den Stück durch die Beteiligung des Publikums als . verdikt: Gab es dafür irgendwelche beson- Schluss. Brausenden Beifall bei der Urteilsver- entscheidende Instanz ein sehr ungewöhnli- deren Beweggründe? kündung erlebt man sonst nicht! Im Ernst: Der ches Experiment. Mich hat daran zwar auch Autor ist ein erfahrener Strafver- die juristische Seite gereizt, vor allem aber die teidiger. Er hat das Stück, was im Stück vom Autor angelegte Dramaturgie. den tatsächlichen Ablauf einer Die zugrundeliegende Frage, ob ich Leben Hauptverhandlung angeht, gegen Leben abwägen darf, und das noch sehr realistisch gestaltet, von zugespitzt, wenn es um eine sehr viel größe- der Eröffnung der Sitzung über re Anzahl von möglicherweise zu rettenden die Belehrung der Zeugen und Menschenleben geht, ist hoch moralisch und die Beweisaufnahme bis hin zu emotional aufgeladen und dazu noch von be- den Plädoyers und der Urteils- drückender Aktualität. Die Beantwortung ist verkündung. Die entscheidende für jedermann, auch für den Juristen, trotz . Bernd Asbrock: Dem Regisseur ging es da- Abweichung von der Gerichtsrealität liegt da- der jedenfalls verfassungsrechtlich geklärten rum, diese Rolle möglichst realitätsnah zu be- rin, dass die Rolle der Schöffen und letztlich Rechtslage nicht einfach. Auch bei mir wur- setzen. Das versucht er auch bei Gastspielen, die Verantwortung für die Entscheidung Ver- den immer wieder durchaus unterschiedliche z. B. im Bremer Umland. Dort sind dann z. T. urteilung oder Freispruch allein dem Laienpu- Gedanken ausgelöst, und die Intensität des andere Richterkollegen im Einsatz. Zu dieser blikum übertragen wird, also ähnlich wie wir Stückes wühlt mich auch jetzt – nach 12 Auf- Realitätsnähe gehört, dass das Stück auch an es aus dem anglo-amerikanischen Geschwo- führungen – immer noch auf. Das geht dem Orten außerhalb des Theaters gezeigt wird. renenprozess kennen. Ich hatte dann jeweils Publikum ebenso und macht offenbar den Er- . verdikt: Was hat dich daran gereizt, diese das von den Zuschauern mehrheitlich gefass- folg des Stückes aus. Der Regisseur, der auch Rolle zu übernehmen? te Urteil zu verkünden. überregional viele Aufführungen besucht hat, . Bernd Asbrock: Ich fand es sehr spannend, . verdikt: Wie gestaltete sich das Verhältnis bestätigt das. Ohne Ausnahme spricht dieses einmal die mir beruflich sehr vertraute Rolle zu den Schauspielerkollegen und –kollegin- „Gerichtsdrama“ das Publikum sehr stark an, des Vorsitzenden einer Strafkammer in einem nen? und es gibt kaum Theaterstücke, die während Theaterstück zu spielen, und dazu noch in . Bernd Asbrock: Das war eine sehr positive der Aufführung so viel gespannte Aufmerk- verdikt 2.17 , Seite 31

Impressum samkeit erzeugen und dann in der Beratungs- ter Eingangskontrollen jedes Besuchers. Aus Herausgeber pause in den Foyers derart hitzige Diskussio- dem Publikum gab es bei diesen Aufführun- Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft nen auslösen. gen viele Stimmen, die danach fragten, war- ver.di, . verdikt: Wie beurteilst du die Reaktionen um das Stück nicht immer im Gericht gespielt Frank Bsirske, Vorsitzender, in der Öffentlichkeit auf das Stück? werde, weil dessen Intensität dadurch noch Wolfgang Pieper, Mitglied des Bernd Asbrock: In den Medien wird das Stück gesteigert sei. Bundesvorstandes ganz überwiegend als sehr gelungen ange- . verdikt: Wie beurteilst du die Ergebnisse Bundesfachbereich Bund + Länder sehen. Es ist in Deutschland inzwischen an der vor der Urteilsverkündung in der Pause Paula-Thiede-Ufer 10, 10179 Berlin 46 Bühnen gespielt worden und läuft immer durchgeführten Publikumsabstimmungen, verdikt erscheint seit 2002 als Nachfolge- noch. Die Kritik ist zum Teil juristisch-dog- und wie ist das nach deiner Kenntnis bei den rin von ötv in der Rechtspflege (ötvR,1972 matischer Natur. Sie gipfelt darin, dass dem anderen Bremer Aufführungen und deutsch- bis 2000) Stück von einem Jura-Professor eine „grandi- landweit gelaufen? ose juristische Fehlleistung“ attestiert wird. . Bernd Asbrock: Es gibt von Anfang an eine Fachgruppen Justiz Das kann ich so nicht teilen. In der Tat gibt Statistik über die Abstimmungsergebnisse Bund es einige juristische Ungenauigkeiten und sämtlicher Aufführungen, die auch im Inter- Nord auf dem Hintergrund unseres Strafrechts- net abrufbar ist. Danach wurde „Terror“ in 2 Hamburg systems auch Ungereimtheiten, die ich aber Jahren (Oktober 2015 – Oktober 2017) insge- Niedersachsen-Bremen unter dem Strich nicht für entscheidend er- samt an 66 Bühnen im deutschsprachigen NRW achte. Für mich ist es immer ein Theaterstück Raum gespielt. Auf der Basis von 31 Auffüh- Hessen als Kunstform geblieben, und ich meine, rungen in Bremen gab es 24 Freisprüche, das Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen dass man bei allem die Intention des Autors entspricht 77 %. Bei meinen 12 Aufführungen Bayern im Vordergrund sehen muss. Möglicherwei- waren es übrigens 9 Freisprüche. Insgesamt – se hätte er einiges für das Publikum anders auf der Basis von 1.471 Verhandlungen – über- Presserechtlich verantwortlich aufbereiten können. Jedoch habe ich bei wiegen insoweit die Freisprüche noch deutli- Christian Hoffmeister meinen Aufführungen nicht erlebt, dass das cher mit 91 %. Man muss diese statistischen Gewerkschaftssekretär Publikum mit der Entscheidung überfordert Aussagen jedoch weiter differenzieren. Wenn ver.di Bundesverwaltung war, wie Kritiker meinen. Auch wurde in den man nämlich nicht die Abstimmungsergeb- [email protected] Gesprächen nach den Aufführungen nie zum nisse der Aufführungen zugrunde legt, son- Redaktion Ausdruck gebracht, dass man die juristische dern die jeweils abgegebene Anzahl der Stim- Martin Bender men betrachtet, überwiegen die Freisprüche Seite überhaupt nicht verstanden habe. Ich Uwe Boysen wurde nur öfter gefragt, wie ich als Richter in Bremen lediglich relativ knapp mit 54,5 Barbara Nohr in diesem Fall entschieden hätte. Jeder Zu- % und bundesweit, bei insgesamt 359.500 Klaus Thommes schauer steht zwar allein vor der Entschei- Schöffen, mit 61,1 % der Stimmen. In Bremen dung, aber er ist damit nicht allein gelassen. gibt es also durchschnittlich deutlich mehr Kontakt Das Stück enthält eine Menge von Hinweisen Besucher, die für eine Verurteilung stimmen. [email protected] und Argumenten, etwa in den sog. Belehrun- Im Ergebnis heißt das, das Publikum ist ei- gen des Vorsitzenden und den Plädoyers von gentlich gespalten. Bei der Erstaufführung in Online Ausgabe / E-paper Staatsanwältin und Verteidiger, so dass jeder Bremen war das Abstimmungsergebnis sogar www.verdikt.verdi.de Zuschauer eine gute Basis für seine Entschei- 139 zu 139! Das widerspricht der Kritik, wonach www.verdikt-epaper.verdi.de dung hat. das Stück populistisch und eine Manipulation verdikt: Noch einmal zurück zu den Bremer des Publikums zum Freispruch sei, wie etwa Art Direction/Layout Aufführungen. Was war hier das Besondere, Koloc in verdikt Heft 2.16 argumentiert. block\m Büro für Gestaltung. insbesondere bei der letzten Aufführung? . verdikt: Willst du deine „Schauspielkarrie- Bernd Asbrock: Neben der Besetzung der re“ noch fortsetzen? Gestaltung/Druck Richterrolle mit einem Laiendarsteller ist man . Bernd Asbrock: Ich würde das durchaus Berger + Herrmann GmbH, in Bremen bemüht, das Stück nicht nur im gerne wieder machen. Es ist eine persönliche [email protected] Bremer Kriminaltheater zu spielen, sondern Herausforderung, aber auch eine große Berei- auch ins Umland zu gehen oder in andere cherung. Auflage Spielstätten in Bremen. Das ist vielfach ge- . Verdikt: Bernd, vielen Dank für das Ge- 3.500 Stück schehen. Der größte Wunsch des Regisseurs spräch. Papier und der Theaterleitung war es aber, das Stück . Die Fragen für verdikt stellte Uwe Boysen. Recyclingpapier aus 100 Prozent auch im Schwurgerichtssaal des Bremer Land- wiederaufbereiteten und de-inkten Fasern gerichts aufzuführen. Das konnte zuletzt Ferdinand von Schirach, TERROR, Ein Theater- zweimal realisiert werden, einschließlich ech- stück, Piper Verlag 2. Auflage 2015, 164 S., 16 €  verdikt 2.17 , Seite 32

SICHER IST SICHER Mit unserer Dienst- und Vermögensschadenhaftpflicht

Darüber braucht man eigentlich nicht zu sprechen: Nur mit einer vernünftigen Privathaftpflichtversicherung geht der kluge Mensch auf Nummer Sicher.

Darüber sollte man allerdings sprechen: Die Möglichkeit, die bestehende Privathaftpflichtversicherung mit einer leistungs- starken Dienst- und Vermögenshaftpflicht zu ergänzen, auf die kein/e Beschäftigte/r des öffentlichen Dienstes verzichten kann. Und das: ★ Mit 3 %-Nachlass zusätzlich zu allen Nachlässen für ver.di-Mitglieder und ihre Angehörigen

Ausführliche Informationen. Persönliche Beratung ★ Ein Klick: www.verdi-Mitgliederservice.de/ver.dikt ★ Eine Mail: [email protected]

in Partnerschaft mit