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Sendung vom 13.05.2002, 20.15 Uhr

Renate Holm Kammersängerin im Gespräch mit Dr. Ernst Emrich

Emrich: Grüß Gott, verehrte Zuschauer. Ich begrüße Sie zum Alpha-Forum. Unser Gast ist heute die Kammersängerin Renate Holm. Gnädige Frau, die erste Frage wird Sie vielleicht ein wenig überraschen: Wie oft sind Sie eigentlich in Ihrem Leben entdeckt worden? Holm: Ja, das ist wirklich eine gute Frage. Ich glaube, das war genauso oft, wie ich eine neue Karriere angefangen habe. Das war tatsächlich einige Male der Fall. Aber die wichtigste Entdeckung war sicherlich die als Sängerin. Die Zweitwichtigste war diejenige als Schauspielerin. Emrich: Sie haben als Sängerin der leichten Muse angefangen und sind so bekannt geworden. Wir werden im Detail darauf noch zurückkommen. Ist es eigentlich wahr, dass Sie einmal als Schulkind ein gutes Zeugnis bekommen haben und deshalb die Erlaubnis erhielten, ins Kino zu gehen, wo dann Ihre Karriere als Sängerin ihren geheimen Anfang genommen hat? Holm: Ja, das ist richtig. Ich glaube, ich war elf Jahre alt, als ich damals in im Kino einen Film gesehen habe: In diesem Film spielte die "Madame Butterfly". Ich kann mich noch genau daran erinnern. Es war ein regnerischer Tag und ich habe auf dem ganzen, zwanzig Minuten langen Heimweg vom Kino so geweint, dass meine Mutter ganz entsetzt war und mich aufgeregt fragte: "Warum weinst du denn so, Kind, was ist denn nur passiert?" Ich konnte daraufhin nur sagen: "Mami, ich habe diesen Film gesehen und möchte deswegen unbedingt Sängerin werden." Ich habe wirklich den ganzen Weg über gedacht: "Lieber Gott, bitte lass mich Sängerin werden!” Von diesem Zeitpunkt an wusste ich dann für mein ganzes Leben: Wenn ich mir etwas ganz fest wünsche, wenn ich also aus vollem Herzen sagen kann, "lieber Gott, ich bitte dich, dass das wahr wird", dann kam das auch so. Ich habe das mindestens vier, fünf Mal in entscheidenden Situationen in meinem Leben so erfahren, es ist jedes Mal so eingetroffen! Emrich: Nichts gegen den lieben Gott und seine Hilfe uns Menschen gegenüber, wenn wir ihn darum bitten, aber ich vermute mal, da steckt schon auch ein starker eigener Wille und eine eigene Intensität dahinter, dass man eines Tages etwas werden will. Sie haben ja, wenn ich das richtig weiß, als Künstlerin mit der ganz leichten Muse, also im Schlagerfach begonnen. Die "Madame Butterfly" und damit dieses ganze Genre namens Oper kam erst sehr viel später. Holm: Ja, es war wirklich mein Traum, eines Tages einmal die "Madame Butterfly" zu singen. Aber es kam eigentlich nie wirklich dazu, weil sich nämlich herausgestellt hat, dass meine Stimme keine lyrisch-dramatische ist, wie ich mir das so sehr gewünscht hatte, sondern dass ich eine Koloratursängerin mit lyrischem Einschlag bin. Emrich: Kann man denn an einer Stimme so viel machen? Ich nehme mal an, dass Sie damals in Berlin bereits sehr früh eine Gesangsausbildung genossen haben. Holm: Ja. Emrich: Eine Stimme wird dabei von der Naturstimme durch die Führung der Gesangslehrerin oder des Gesangslehrers allmählich gebildet, wie man das nennt. Manche Leute fragen dann, ob so etwas mit der Zeit nicht künstlich wirkt. Nein, das Gegenteil ist der Fall: Man lernt die eigene Stimme so, wie man lernt, auf einem Instrument zu spielen. Holm: Das ist vollkommen richtig. Emrich: Was kann man dabei aber wirklich machen? Kann man aus einer lyrischen Stimme mit einer entsprechenden Technik, mit Atemtechniken usw., wirklich keinen dramatischen Sopran machen? Holm: Ja, das habe ich auch immer geglaubt. Man kann die Stimme vergrößern, das geht schon und das war bei mir ja auch der Fall. Denn ich hatte ursprünglich eine ganz kleine und sehr hohe Mikrofonstimme. Als ich dann nach Wien gekommen bin, habe ich diese Stimme zusammen mit einer Lehrerin vergrößert. Aber es gab dabei doch eine bestimmte Grenze und diese Grenze war dann später auch beweisbar. Es kommt nämlich letzten Endes immer darauf an, wie die jeweiligen Stimmbänder aussehen. Eine Birgit Nilsson z. B., diese hoch dramatische Sängerin, hatte dafür eben auch entsprechende Stimmbänder. Ich habe einmal einen befreundeten Hals-Nasen-Ohren-Arzt gefragt und der hat mir das genauer erklärt. Er sagte zu mir: "Renate, du hast so kleine Stimmbänder, dass es eigentlich unfassbar ist, dass du die 'Zerbinetta' und die 'Bohème' gesungen hast. Von den Stimmbändern her hast du wirklich das Optimalste herausgeholt, was überhaupt möglich ist." Meine Stimmbänder waren eben leider nicht für "Butterfly" und "Turandot" konzipiert. Emrich: Der Kunst des Sprach- und Stimmbildners sind also Grenzen gesetzt. Dies gilt aber auch für den eigenen Wunsch: Was nicht erreichbar ist, kann auch nicht erzwungen werden. Man kann eben auch nicht als über zwei Meter großer Hüne in kleine enge Formel-1-Rennwagen schlüpfen. Holm: Es kam noch etwas hinzu: Ich gehöre nämlich zu den Sängerinnen und Sängern, die eigentlich immer etwas unter ihrem eigentlichen Fach gesungen haben. Das ist vielleicht auch der Grund dafür, warum ich heute noch singen kann und mit meiner Stimme bis heute niemals Schwierigkeiten hatte. Wenn ich z. B. die "Butterfly" gesungen hätte, dann wäre das vielleicht auch anders gekommen. Ich hätte das ja in einer Zeit, in der z. B. die Erna Berger als ebenfalls nicht so dramatische Sängerin die "Butterfly" gesungen hat, auch singen können. Später dann haben natürlich die Freni, die Tebaldi und die Callas solche Maßstäbe auf diesem Gebiet gesetzt, dass wir mit unseren lyrischen Stimmen keine Chance mehr hatten. Aber in der Zeit davor, in der wie gesagt auch eine Erna Berger die "Butterfly" gesungen hat, hätte ich das ebenfalls singen können. Allerdings nicht an der Wiener Staatsoper! In der Wiener Staatsoper haben nämlich die weltgrößten Sängerinnen gesungen und unter denen hatte man auf diesem Gebiet natürlich keine Chance. Ich wollte das auch erst gar nicht riskieren. Emrich: Sie hatten anstatt dessen ja ein anderes Fach, in dem Sie genauso zur Geltung gekommen sind. Holm: Ja, dieses Fach habe ich dann in der ganzen Welt gesungen. Emrich: Sie sind ein Berliner Kind. Sie sind in Berlin auf die Welt gekommen und dort dann auch aufgewachsen, freilich mit den Unterbrechungen aufgrund der Evakuierung während des Zweiten Weltkriegs. Damals sind Sie als Natur-Gesangstalent in der Schule sozusagen zum ersten Mal entdeckt worden. Das war während der Evakuierung in Lübben, als Sie dort auf das Knabengymnasium gingen. Holm: Richtig. Ich kann mich daran erinnern, dass ich damals in einer Schüleraufführung zum ersten Mal den Solopart in den "Jahreszeiten" gesungen habe. Da haben dann alle gesagt, dass die Renate eines Tages sicher mal Sängerin werden wird. Ich selbst konnte das gar nicht glauben. Und Sie werden es nicht für möglich halten, aber ich hatte damals an jenem Abend das gleiche Lampenfieber wie später 50 Jahre lang. Emrich: Und Sie hatten ja in der Tat soeben 50-jähriges Berufsjubiläum. Sie singen seit 50 Jahren. Holm: Ja, 1951 wurde ich entdeckt. Nun haben wir 2001 und das sind eben 50 Jahre, wie sich leicht ausrechnen lässt. Emrich: Ihre Mama hatte ja einige Sympathie für Gesang und Musik überhaupt. Holm: Ja, sehr. Emrich: Aber sie war dennoch der Meinung, dass Sie zuerst einmal etwas anderes lernen müssten, weil man so nicht anfangen könne. Zuerst mussten Sie also etwas lernen, mit dem man Geld verdienen kann. Holm: Ja, meine Mutti war eine sehr praktisch veranlagte Frau. Wir hatten nicht sehr viel Geld damals, genauer gesagt, wir hatten eigentlich überhaupt kein Geld, um ehrlich zu sein. Als wir 1949 nach Berlin zurückgekommen sind, ging es in der Tat darum, zuerst einmal einen ordentlichen Beruf zu lernen, wie das so schön heißt. Emrich: Einen Beruf, von dem man leben kann. Holm: So bin ich eben zahnärztliche Assistentin geworden. Emrich: Mit Examen! Holm: Ja, aber das war eigentlich auch der Grund dafür, dass ich mir mein Studium selbst bezahlen konnte. Denn ansonsten hätte mir das ja niemand bezahlt und Stipendien hat es damals auch noch nicht gegeben. Emrich: Sie haben also bereits während der Ausbildung ein gewisses Geld verdient und dieses Geld dann in Ihre Gesangsstunden, in Ihre Gesangsausbildung investiert. Holm: Ja, das stimmt, damit habe ich mein Studium finanziert. Emrich: Wer waren denn Ihre Gesangslehrerinnen? Holm: Ich hatte zuerst eine Lehrerin in Berlin, bei ihr habe ich angefangen. Als ich nach Wien gekommen bin, hatte ich noch weitere Lehrerinnen, u. a. Svanhilt Egilsdottir. Das waren also immer Frauen gewesen und ich hatte auch mein ganzes Leben lang Gesangsunterricht. Ich habe wirklich nie aufgehört zu studieren. Emrich: In dem Zusammenhang fällt mir ein Wort ein, dass Sie irgendwann einmal geäußert haben: "Höre nie auf anzufangen und fange nie an aufzuhören!" Holm: Ja, ich glaube, dass das für mich wirklich eine gewisse Lebensphilosophie ist. Auch in der Zeit, in der ich dann nicht mehr an der Oper war, habe ich mir gedacht, dass ich nicht aufhören werde zu singen. Das kann man auch gar nicht, wenn die Stimme noch o. k. ist. Der Kalender ist es ja, der einem dann diesen Strich durch die Rechnung macht, denn das hat ja nichts mit freiem Willen zu tun. Ich war 28 Jahre lang an der Wiener Staatsoper engagiert und dann gab es da auf einmal dieses Datum, "a number", wie man auf Englisch sagt: "Age is just a number!" Zu diesem Datum hieß es nämlich, ich müsse jetzt in Pension gehen. Emrich: Das ist ja in vielen Berufen sehr schwer. Holm: Für mich war das, als hätte mich jemand aus dem Nest geworfen. Emrich: Ja, das empfinden viele Menschen so. Ihre berufliche Entwicklung hatte, als Sie noch ein junges Mädchen waren, damit begonnen, dass Sie sich zusammen mit anderen Gesangsschülern überlegt haben, wo sie denn außer beim Gesangsunterricht und beim Üben zu Hause noch singen könnten. Sie haben dann plötzlich eine Annonce in der Zeitung gefunden: "Talente gesucht!" Das muss in Berlin irgendwo in einem Café gewesen sein. Wie war das genau? Holm: Ja, das war ein Café in Berlin, das "Janecker Dachgarten" hieß. Dieses Café war jahrelang eine Institution. "Wir suchen Talente!" hieß es dort. Dort konnten junge Sänger ihr tatsächliches oder vermeintliches Talent der Öffentlichkeit vorstellen. Emrich: Was singt man denn in einem Dachgarten-Café, in dem doch bestimmt alle Gäste auf lockere Stimmung eingestellt sind, während Sie doch von einer Ausbildung her kamen, die ins Opernfach hineingewiesen hat? Holm: Nun, dort haben auch Opernsängerinnen und Opernsänger gesungen, das war wirklich eine ganz bunte Mischung mit Chansons usw. Ich habe damals "Das Lied der Nachtigall" und die "Madame Butterfly" gesungen. Ich werde das in meinem ganzen Leben nicht vergessen: Es war nachts um zwölf Uhr, das Lokal war bumsvoll, es herrschte tolle Stimmung. Alle haben geraucht und es war deswegen derart verraucht, dass man die Leute am nächsten Tisch eigentlich schon nicht mehr erkennen konnte. Ich habe also mit der ersten Koloratur dieser "Nachtigall" angefangen und der Geräuschpegel in diesem Café ist immer mehr gesunken, bis es dann plötzlich ganz still war. Es herrschte Totenstille! Dies hat dann angehalten, bis ich meine beiden Lieder zu Ende gesungen hatte. Danach gab es dann wirklich einen wahnsinnigen Applaus. So kam es, dass ich dort an diesem Abend den ersten Preis bekommen habe. Emrich: Wie alt waren Sie damals? Holm: Das ist eine gute Frage. Ich war wohl 18 oder 19 Jahre alt. Emrich: Dabei muss jemand zugehört haben, der dann später auf Sie zugekommen ist. Holm: Ja, das war damals der Heinz Henschke. Aber auch vom RIAS war jemand dort gewesen: der Leiter der Abteilung Musik, Ernst Ferch. Diese beiden haben mir dann die ersten Chancen gegeben. Emrich: Das war also auf der einen Seite der NWDR und auf der anderen der RIAS. Holm: Ja, das waren diese beiden Sender. Emrich: Wie ging es dann weiter? Denn das Merkwürdige war ja, dass der Weg eben nicht vom Singen dieser Schlager und von der leichten Muse zur Oper geführt hat. Stattdessen kam da der Film daher, in dem freilich die Musik ein tragendes Element war. Viele der älteren Zuschauer kennen Sie bestimmt noch aus dieser Zeit. Sie haben wie viele Filme gedreht? Es müssen so an die 15 gewesen sein. Holm: Nein, nicht ganz, es waren nur 13. Man muss im Leben auch Glück haben. Das große Glück, das ich hatte, bestand darin, dass ich in eine bestimmte Lücke hineinkam. Marta Eggert war damals in dieser Zeit ein großer Star im Kino, aber letztlich haben sich bei ihr die Dinge dann im Laufe der Zeit doch etwas verändert. Ich konnte daher genau in diese Lücke hineinstoßen, die sie hinterlassen hatte, denn ich habe in den ersten Filmen immer so ein bisschen diese Marta-Eggert-Lieder gesungen. Ich war also ein Koloratursopran, aber ich hatte immer die Ambition, mir immer alles etwas schwerer zu machen, als es in Wirklichkeit ist. Aus dem Grund habe ich mir immer in diese ganz normalen Lieder noch die allerschwierigsten Koloraturen hineingeschrieben. Emrich: Sie haben das sogar beim "Walzertraum in Wien" so gemacht. Holm: Ja, dort ganz besonders. Dort habe ich mir die Koloraturen aus der "Lucia de Lammermoor" eingebaut. Das heißt, ich habe es mir immer schwerer gemacht, als es eigentlich notwendig war. Ich habe aber dadurch immer ein hohes Niveau gehalten. In der Schlagerzeit, als ich z. B. "Das Fräulein vom Amt" gesungen habe, war es noch nicht so, sondern erst bei "Schön ist die Welt" mit fing es an, dass meine Stimme etwas größer wurde. Das war ja schon Operette und nicht mehr Schlager. Aber in der Schlagerzeit, als ich noch mit all den Schlagerstars wie Bully Buhlan, Gerhard Wendland, Rudi Schurike oder mit der kleinen Cornelia Froboess zusammengearbeitet habe, die heute eine so großartige Schauspielerin ist und die damals ihr berühmtes Lied "Pack die Badehose ein" gesungen hat, war ich eben immer die "Nachtigall" aus Berlin. Emrich: Dieses "Vogelbild" hat Sie ja noch länger begleitet, denn später in Wien hat man Sie zumindest zeitweise das "Lercherl", also die kleine Lerche genannt. Holm: Richtig. Ich hieß immer "Die Lerche aus Wien" und "Die Nachtigall aus Berlin". Emrich: Apropos Berlin und Wien: Sie sind in Berlin geboren. Wie lange aber leben Sie nun schon in Wien? Ein halbes Leben lang? Holm: Ja, ein halbes Leben. Ich bin seit 1957 in Wien. Von dem Moment an, als mich die Volksoper zum Vorsingen gerufen hat, habe ich ja keinen einzigen Film mehr gedreht. Als ich dort sofort einen Vertrag bekommen habe, habe ich überhaupt keine Filme mehr gemacht und keine Schlager mehr gesungen. Ich habe nur noch studiert. Emrich: Wenn Sie Berlin und Wien vergleichen und wenn Sie meinetwegen vom Himmel kommend die Wahl zwischen diesen beiden Städten hätten, wo würden Sie dann lieber wohnen wollen? Was ist Ihnen also mehr Heimat: Berlin oder Wien? Holm: Man ist ehrlicherweise immer dort zu Hause, wo man seinen beruflichen Erfolg hat, das steht außer Zweifel. Dort, wo ich mein Geld verdiene, bin ich zu Hause, so ist es nun einmal. Ich hatte damals die Wahl zwischen Musical, denn ich hätte die deutsche Erstaufführung von "My fair Lady" in Berlin singen sollen, und Oper, denn ich hatte ja diese Einladung zum Vorsingen an die Volksoper in Wien. Ich habe mich auch in dieser Situation für das Schwerere entschieden. Und auch für viel weniger Geld, wie ich an dieser Stelle schon einmal sagen muss. Gerade unlängst hat ja Professor Prawy die Sache so genannt, wie sie wirklich war: Es hat damals niemand anderen gegeben, der so wie ich bereits im Film und im Schlager eine große Karriere hingelegt und in diesen sechs Jahren bereits viel Geld verdient hatte, um dann in Wien wieder mit 300 Mark im Monat quasi bei Null anzufangen. Das habe ich wirklich nur wegen der Kunst so gemacht. Emrich: Marcel Prawy hält ja eine ganze Menge auf Sie. Sind Sie alte Freunde? Kennen Sie sich schon sehr lange? Holm: Ja, wir kennen uns bereits aus meiner Schlagerzeit, denn Marcel Prawy hat damals Olive Moorefield, eine Musicalsängerin, begleitet. Sie war auch oft auf unseren Tourneen mit dabei. Aus dem Grund habe ich eben Marcel Prawy bereits 1954/55 kennen gelernt. Ich werde übermorgen bei seinem 90. Geburtstag singen, da bekommt er von mir sein Geburtstagsständchen. Emrich: Sie haben vorhin Cornelia Froboess erwähnt. Bei meinen Überlegungen vor unserem Gespräch ist mir eingefallen, dass sie einen ähnlichen Weg wie Sie gegangen ist. Sie kam ja auch vom Schlager her und ist dann in das ernste Fach der Theaterschauspielerin gegangen, während Sie ins Musiktheater gegangen sind. Beide haben Sie also im Schlager angefangen und wurden dann im seriösen Fach so ungemein erfolgreich. Holm: Das schließt aber natürlich nicht aus – und das muss ich immer wieder betonen – , dass es eigentlich zwischen der E- und der U-Musik keinen wirklich eklatanten Unterschied gibt. Emrich: Das sagt ja Marcel Prawy auch. Holm: Herr Bernstein hat das auch immer gesagt: Es gibt nur gute und schlechte Musik! Ich habe immer und mit großer Liebe und Freude – und mache das heute noch – diese wunderbaren Lieder von Robert Stolz gesungen oder kleine Operettenliedchen oder bestimmte Serenaden usw. Das habe ich neben der Oper immer gerne gesungen. Ich habe ja auch in vielen Operetten mitgewirkt, mit und Rudolf Schock usw. Emrich: Man muss sich einmal vorstellen, wem Sie alles hautnah begegnet sind in dieser Zeit. Für uns waren das die großen Stars der Leinwand oder von der Bühne oder vom Fernsehen, die wir lediglich aus großer Distanz wahrnehmen konnten. Sie aber hatten mit all diesen Leuten direkt zu tun. Rudolf Schock hat Ihnen ja auch ein bisschen geholfen mit einem deutlichen Hinweis im Hinblick auf die Zukunft Ihrer Stimme und deren Möglichkeiten. Holm: Er war wirklich ein sehr wesentlicher Partner für mich, weil wir so viele Platten miteinander gemacht haben. Dies galt aber auch z. B. für Nicolai Gedda oder Fritz Wunderlich. An diesen Leuten konnte ich sehen, wie viel mir an Größe und Entwicklung der Stimme noch fehlte. Das waren alles wirklich wunderbare Kollegen. Ich hatte überhaupt immer großes Glück mit Kollegen und Kolleginnen. Ich bin nun einmal eine Lernende, ich bin wissbegierig und will lernen. Ich bin wie ein Schwamm, der alles aufsaugt. Ich nehme auch Kritik gerne an. Das war mein ganzes Leben lang so. Emrich: Auch von Kritikern? Holm: Ja, eine konstruktive Kritik hat mir immer sehr viel geholfen. Der Kritiker Karl Löbl in Wien hat in seiner ersten Kritik über mich damals geschrieben: "Da kommt nun eine kleine Sängerin aus Berlin mit einer Stimme, die eine Meisterin im gesanglichen Fliegengewicht ist." Das hat mich natürlich schon ein bisschen getroffen. Emrich: Das war der Hinweis auf die damalige Zartheit Ihrer Stimme. Holm: Ja, das war so. Dieser Mann hat mich dann als Kritiker wirklich "verfolgt". Aber zum Schluss hieß es dann eben auch bei ihm: "Wien hat wieder eine 'Sophie'!" Das war die Zeit, als ich dann in Wien im "Rosenkavalier" so großen Erfolg mit meiner Rolle der "Sophie" hatte. Heute sagt er, die größte Überraschung sei für ihn gewesen, dass ich eine so unglaublich exzellente "Zerbinetta" gesungen habe. Das hatte er nämlich am Anfang so nie vermutet. Emrich: Sie sagen zusammen mit den großen Kollegen wie Bernstein und anderen, dass es keine leichte Musik und keine schwere Musik und keine ernste Musik und keine heitere Musik gibt, sondern nur gute und schlechte Musik. Das wollen wir ja alle gerne glauben, aber glauben es denn die Kollegen auch? Ich will hier nur einmal an Friedrich Gulda erinnern, diesen hervorragenden Pianisten, diesen Mozartpianisten wie er im Buch stand. Ihm haben die Jazzmusiker eigentlich nie abgenommen, dass er auch Jazz machen könnte. So ist es auch anderen im umgekehrten Fall gegangen. Chesterton hat einmal gesagt: "Ich war früher Buchhalter, seitdem meinen die Buchhalter, ich sei ein hervorragender Schriftsteller und die Schriftsteller sagen, ich wäre ein guter Buchhalter!" Hat es also Schwierigkeiten für Sie gegeben, als Sie mit dieser Vergangenheit von Berlin nach Wien kamen? Holm: Ja, ohne Frage. Das zu beweisen, dass ich mehr konnte, als Schlager zu singen und in Filmen mitzuspielen, war hart. Ich bin ja quasi von Null aus sofort mitten hineingesprungen. Ich hatte keine Hochschulausbildung und ich hatte auch nur zwei Jahre am Stück Gesang studiert. Ich habe dann aber die Partituren wie z. B. für das "Blondchen" einfach auswendig gelernt und bin auf die Bühne gegangen. Ich muss Ihnen sagen, dass ich zu dem Zeitpunkt die Oper eigentlich überhaupt nicht von innen gekannt habe. Die Volksoper und die Staatsoper in Wien waren wirklich die ersten Opernhäuser, die ich von innen gesehen habe! Und dann durfte ich gleich diese großen Hauptrollen dort singen! Ich muss schon sagen, dass die Kollegen am Anfang nicht sehr freundlich waren. Emrich: Sie waren misstrauisch und maulten wohl, mit wem sie hier singen müssten. Holm: Genau. Aber spätestens mit meiner zweiten Rolle, also mit dem "Blondchen" und diesem Hohen E hatte ich doch bewiesen, dass ich das kann. Es hatte nämlich vor mir an der Wiener Staatsoper zehn Jahre lang kein "Blondchen" mit dem Hohen E gegeben. Da kam nun ich daher – Doktor Böhm dirigierte – und hatte gleich einen so großen Erfolg damit! Da haben dann Gott sei Dank doch alle gesagt: "Ah, so, da gehört sie wohl doch zu uns!" Emrich: Das war ja auch eine Frage der Disziplin und der Selbstbeherrschung, um so etwas aushalten zu können. Ihre Mama hatte Sie dafür in gewisser Hinsicht doch ein bisschen trainiert: Stimmt das? Holm: Ja, das ist richtig. Meine Mutti war sehr streng, ich gehöre also noch zu den wirklich autoritär erzogenen Kindern. Diese Art der Erziehung war auch mit handgreiflichen Dingen verbunden. Manchmal war das in meiner Kindheit wirklich nicht sehr einfach. Aber auch später noch war das nicht sehr einfach: Bis ich 21 Jahre alt war, hat es hin und wieder eine Backpfeife gegeben. Ich habe auch lange danach immer noch gezuckt, wenn meine Mutter an mir vorbeiging. Sie hat mich mit 23 Jahren noch gefragt, warum ich immer so zucke, wenn sie an mir vorbeigeht. Ich dachte halt immer noch, dass ich wieder eine verpasst bekomme. Emrich: Tatsächlich? Holm: Ja, doch, aber man vergisst und verzeiht ja auch. Ich habe dann auch gemerkt, dass mir diese ungeheure Disziplin und Strenge und der Respekt anderen Leuten gegenüber sehr geholfen haben. Meine Mutter hatte mir wirklich eingebläut, vor älteren Leuten Respekt zu haben, vor Leistungen Respekt zu haben. Ich bin natürlich immer sofort aufgesprungen, wenn eine etwas ältere Person in die Straßenbahn zugestiegen ist usw. Da ist man sofort aufgesprungen wie von der Tarantel gestochen, so etwas gibt es heute ja gar nicht mehr. In meinem Beruf hat mir das natürlich sehr geholfen, denn die Kollegen, mit denen ich in Wien gearbeitet habe, waren ja alle schon etwas älter. Ich muss nur an die großen Partner denken, die ich damals hatte. Josef Meinrad z. B. war damals bereits ein sehr, sehr großer Star. Ich dagegen war sehr devot, weil ich eben sehr devot erzogen worden war. Genau diese Erziehung hat mir damals zum Glück gereicht: Ich war unglaublich anpassungsfähig und devot und habe auch nie widersprochen, sondern immer angenommen, was die Stars zu mir gesagt haben. Emrich: Es ist ja für die damaligen Stars kein Kompliment, wenn sie so viel Unterwürfigkeit brauchten, um jemanden als Kollegen annehmen zu können. Holm: Ach nee, das würde ich nicht so sehen. Emrich: Man kann es natürlich auch anders sehen: Hat sich denn Ihr Verhalten in dem Sinne gelohnt, dass diese großen Kollegen dafür etwas preisgegeben haben von ihrer Erfahrung und ihrer Kunst, sodass Sie bei ihnen etwas lernen konnten? Holm: Ich habe jedenfalls immer mit Dankbarkeit Ratschläge von Menschen angenommen, die sehr viel mehr konnten als ich und die mir überlegen waren. Das hat sich bis heute so gehalten: Ich suche mir auch als Gesprächspartner immer Leute aus, die mir überlegen sind und die viele Dinge besser wissen als ich. Ich lerne nämlich auch heute noch gerne hinzu. Emrich: Im Zusammenhang mit dieser Disziplin hat es ja auch eine sehr unangenehme Seite gegeben, die sich freilich erst offenbart hat, als Sie mit dem allerersten Beruf aufhörten, für den Sie ausgebildet waren. Diese Zahnärztin, bei der Sie Ihre Ausbildung zur zahnärztlichen Assistentin gemacht haben, hat Ihnen da nämlich gesagt, dass Ihre Mama sie sogar noch dazu ermuntert hatte, Sie sehr streng ranzunehmen. Ist das korrekt? Holm: Ja, das stimmt. Das war nicht schön und das war auch sehr traurig. Das hat mir auch eine sehr unangenehme Gallenblasenentzündung eingebracht, die ich mein Leben lang nicht losgeworden bin, ich habe darunter wirklich schwer gelitten. Meine Mutti hat diese Geschichte später dann auch wirklich bereut. Da hatte sie die Strenge wirklich übertrieben. Emrich: Damals gab es eben noch die Einstellung vieler Eltern, dass man die Jugend gar nicht hart genug anfassen könne, damit sie für das Leben hart genug gerüstet sei. Holm: Richtig. Emrich: Damit kommt man natürlich irgendwann zu dem Punkt, wo man sich fragt, was denn nun besser gewesen sei: dieses Training in Härte und Disziplin, in Ordnung und Gefügigkeit oder die Liebe der Mutter, die man auf diese Weise ein bisschen entbehrt hat. Sicherlich war Ihre Mutter nicht lieblos Ihnen gegenüber, aber Sie hat ihre Liebe eben versteckt hinter diesem Verhalten. Holm: Meine Mutter hat mich wirklich unendlich geliebt. Aber wie das eben so ist: Den man liebt, den züchtigt man! Man darf aber vor allem eines nicht vergessen in diesem Zusammenhang. In reiferen Jahren, als ich dies alles zu verarbeiten hatte – meine Mutter ist mit 93 Jahren gestorben und wir hatten eigentlich 40 Jahre lang große Schwierigkeiten miteinander –, habe ich das langsam verstanden. Die Sache war nämlich die, dass meine Mutti selbst nie eine Mutter oder einen Vater gehabt hatte. Sie war Vollwaise und man hatte sie abgeschoben. Sie hatte in ihrer Kindheit wirklich ein trauriges Schicksal. Wenn man wie meine Mutter die Mutterliebe bzw. die Vaterliebe selbst nie erfahren hat, dann muss man später natürlich das größte Verständnis für solche Menschen haben. Später habe ich dann wirklich alles immer unter diesem Blickwinkel gesehen. Woher hätte meine Mutter es denn besser wissen sollen? Ich habe also gelernt, dieses Verständnis für sie aufzubringen. Manchmal ist mir das freilich schon noch ein bisschen schwer gefallen, denn sie war ja bis ins hohe Alter hinein so, wie sie immer gewesen war. Emrich: Wir haben bisher vom Vater nicht gesprochen. Ihr Eltern haben sich getrennt, als Sie elf, zwölf Jahre alt waren. Hatte es denn mit Ihrem Vater eine andere Art des menschlichen Umgangs gegeben als mit der Mutter? War er in diesem Sinne umgänglicher gewesen? Holm: Es tut mir wirklich ein bisschen weh, darüber zu reden, aber ich kann das doch kurz ein wenig erörtern. Das eigentliche Problem war, dass ich ein Vati-Kind war. Meine Mutter war die Strenge, während mein Vater immer wieder mal gesagt hat: "Lass doch das Kind so essen, wie es isst!" Ich habe einmal bei Tisch bei der Suppe ein wenig geschlürft: Peng, hatte ich hinten wieder einen Rumser drinnen. "Man schlürft nicht! Man darf das Schlürfen beim Essen nicht hören!" Der Vati saß daneben und hat nur gesagt: "Nun lass doch das Kind essen! Hauptsache, es schmeckt ihm!" Da stellt sich die Frage, was besser ist. Ich habe dadurch jedenfalls für mein Leben gelernt, in Gesellschaft eine Suppe ohne Schlürfen zu essen. Das war natürlich viel besser, als wenn ich das nicht gekonnt hätte. Das größere Problem war aber – und das hat meiner Mutter natürlich furchtbar wehgetan –, dass sich ein Kind in solchen Situationen selbstverständlich zu demjenigen Elternteil hingezogen fühlt, der nicht schimpft, der nicht streng ist usw. Für sie war das sicherlich auch schwierig, für mich jedoch war die Situation furchtbar. Ich habe meinen Vater wirklich sehr geliebt, aber als ich elf Jahre alt war, ging die Ehe meiner Eltern eben auseinander. Wenn ich Kollegen und Freunde treffe, die davon erzählen, dass sie eine wunderbare Kindheit hatten, dass beide Eltern noch leben und dass sich beide Generationen vertragen, dann kann ich immer nur sagen: Eltern können nichts Besseres für ihre Kinder tun als das! Es sind nicht die vielen Spielsachen, es ist nicht das viele Geld, es ist nicht das Verwöhnen mit materiellen Dingen, das Kinder glücklich macht. Nein, das Wichtigste ist, dass die Eltern zusammen sind und den Kindern ihre Liebe schenken können, bis es selbst erwachsen geworden ist. Das ist das schönste Geschenk, das Eltern ihren Kindern geben können – und das sage ich auch immer allen Menschen. Emrich: Lassen Sie uns doch ein wenig weiter in Wien "spazieren gehen". Es hat damals in der Volksoper für Sie ein aufregendes und Lampenfieber- gesättigtes Vorsingen gegeben. Wer hat Sie denn eigentlich eingeladen, für den "Walzertraum" vorzusingen? Was ist da bei diesem Vorsingen passiert? Holm: Ich bekam nach dem Film "Schön ist die Welt" eines Tages ein Telegramm von der Volksoper in Wien. Damit ist eigentlich mein größter Traum in Erfüllung gegangen. In dem Telegramm stand: "Habe Sie in dem Film 'Schön ist die Welt' gesehen. Stopp. Würde Sie gerne einladen, in Wien in meiner Operette 'Ein Walzertraum' die 'Prinzessin Helen' zu singen. Stopp. ." Ich wusste ja noch nicht einmal, wie man nach Wien kommt, denn ich war davor noch nie in Wien gewesen. Ich hatte damals mein erstes Auto und so bin ich eben mit meiner Mutter zusammen von Berlin aus nach Wien gefahren. Das war alles furchtbar strapaziös, wir sind wohl zehn, elf Stunden lang gefahren. Wir mussten damals noch über den Riederberg, denn die Autobahn hat es zu der Zeit noch nicht gegeben. Ich kam also in Wien an und berlinerisch wie ich eben war, habe ich an der Pforte der Volksoper gesagt, ich würde gerne den Herrn Marischka sprechen. Der Portier sagte nach einer würdevollen Pause daraufhin nur: "Sie meinen den Hofrat Doktor Professor Marischka?" Ich meinte: "Ja, wie auch immer, den will ich sprechen." Denn diese vielen Titel konnte ich eh nicht wiederholen, weil ich sie bestimmt durcheinander gebracht hätte. Ich kam also auf die Bühne und sollte vorsingen. Was passierte aber? Ich singe die "Gilda" vor und dabei gibt es diese große Koloratur, die mit dem Hohen E aufhört. Ich war so etwas von aufgeregt, denn ich sang zum ersten Mal ohne Mikrofon auf so einer großen Bühne. Damit war mein Traum in Erfüllung gegangen. Prompt bin ich ausgestiegen und prompt in einer Terz höher gelandet, sodass dann diese Kadenz unsingbar war. Das wäre dann nämlich noch einmal eine Terz höher gewesen. Ich habe fast geweint, als ich unterbrechen musste und zu den Leuten gesagt habe: "Entschuldigen Sie bitte, ich muss noch einmal anfangen, ich bin da in eine falsche Oktave gekommen!" Daraufhin haben alle Anwesenden gelacht. Von dem Moment an war der Bann gebrochen, das war mein großes Glück. Durch dieses Unterbrechen und durch dieses Lachen all der anderen habe ich hinterher phänomenal vorgesungen und sofort meinen Vertrag bekommen. Emrich: Das war der Start für die Operette und später für Ihre Opernkarriere. Holm: Ja, denn zwei Jahre später habe ich schon Oper gesungen. Emrich: Wer waren denn die bedeutendsten Gestalten, die Sie damals an der Oper als Dirigenten, als Regisseure kennen gelernt haben? Holm: Die Dirigenten waren damals der Professor Hollreiser und der Doktor Böhm, denn ich habe mein erstes "Blondchen" unter Böhm gesungen. Emrich: Gemeint ist damit Doktor Karl Böhm, der allgemein nur "der Doktor" genannt wurde. Holm: Ja, das war Karl Böhm. Er war der Strengste von allen. Auch hier war es wieder gut, dass ich von Mutti so streng erzogen worden war, denn seine Strenge, die ja viele Sänger regelrecht umgehauen und sie zum Weinen gebracht hat, habe ich ganz gut schlucken können. Das war damals ein großer Vorteil. Und dann kam natürlich , der mir den Opernvertrag gegeben hat. Er hat mich an die Wiener Staatsoper gebunden. Danach kamen dann alle diese großen Dirigenten, unter denen ich gesungen habe. Es kam dann vor allem die "Bohème": Karajan hat ja überhaupt keine "Bohème" mehr gemacht ohne mich als "Musette". Für mich war das wirklich ein ganz, ganz großes Ereignis. Die Wiener sagen zu uns Deutschen ja normalerweise immer Piefke oder, wie in meinem Fall, Piefkinesin, weil wir für sie eben die Piefkinesen sind. Es war wirklich ein ganz, ganz großes Erlebnis, als einzige Piefkinesin in diesem großen italienischen Ensemble mit dabei sein zu dürfen: mit Mirella Freni, mit Pavarotti, die damals meine Partner waren – ebenso wie später meinetwegen Carreras oder Domingo. Emrich: Sind die Unterschiede zwischen den Dirigenten wirklich so deutlich, dass sich das z. B. auch in der Dauer einer Aufführung niederschlägt? Bei Symphonien sagt man gelegentlich, dass sie bei dem einen Dirigenten weit länger dauern als bei anderen, weil er sie im Tempo langsamer nimmt. Gab und gibt es so etwas an der Oper auch? Holm: Davon kann ich wirklich im wahrsten Sinne des Wortes ein Liedchen singen. Ich habe z. B. einmal an einem Donnerstag unter Karajan in Salzburg die "Bohème" gesungen. Zwei Tage später habe ich sie dann in München unter Carlos Kleiber geprobt. Schon bei der Probe fing es an, dass er z. B. im vierten Akt das Gebet mindestens um ein Drittel schneller genommen hat als Karajan. Ich habe bei der Probe natürlich auf meinem Karajan-Tempo bestanden. Ich war ja auch eingesungen darauf. Er meinte nur: "Sagen Sie mal, von wem haben Sie denn dieses schleppende Tempo?" "Ich habe vorgestern noch unter Herrn von Karajan diese Rolle gesungen." "Na ja, das ist mir nun auch egal, bei mir stirbt nicht die 'Musette' im vierten Akt, sondern die 'Mimi'." Er wollte das jedenfalls sehr viel schneller haben. Wir haben uns dann aber doch geeinigt. Auch mit Carlos Kleiber habe ich eine weitere schöne Sache erlebt: Die Aufführung des "Rosenkavaliers" war unter Carlos Kleiber um sage und schreibe 25 Minuten eher zu Ende als einige Zeit davor unter Doktor Karl Böhm. Sie müssen sich vorstellen, dass all diese gesanglich schweren Stellen bei diesen Rollen immer in einem gewissen Tempo einstudiert waren. Man hatte das doch alles in einer bestimmten Art und Weise drauf. Nun musste das alles aber ganz, ganz anders gemacht werden. Das war in der Tat nicht einfach. Jeder von diesen Dirigenten war aber ganz bestimmt ein Könner seines Fachs und hatte tatsächlich immer gute Gründe, warum er die Dinge so und nicht anders gemacht hat. Die einen liebten es eben schneller und die anderen langsamer. Dem Publikum ging es ja genauso. Emrich: Sagen Sie doch bitte noch ein paar Worte zur Regie im Musiktheater. Im normalen Theater weiß man ja, wie notwendig der Regisseur ist. In der Oper werden Regisseure jedoch gelegentlich für entbehrlich gehalten. Andere wiederum lieben es, völlig neu einzusteigen: Sie werden wegen ihrer Erfahrung und ihrem Können auf dem Gebiet der Regie geholt, obwohl sie womöglich keinerlei musikalische Vorbildung haben. Auch dabei können ganz tolle Inszenierungen entstehen. Wird aber nicht manchmal den Sängern ein bisschen viel abverlangt bei solchen Sachen, wenn sie z. B. auf der Bühne in unmöglichen Haltungen ihre normale gesangliche Leistung bringen sollen? Holm: Mit den Regisseuren, mit denen ich gearbeitet habe, hat das immer geklappt, sie waren oft sehr rücksichtsvoll. Wenn man z. B. gesagt hat, dass man beim Singen eines ganz großen und hohen Tons gerade an dieser Stelle den Ton auch aussingen und erst dann meinetwegen auf einen Stuhl steigen möchte, dann ging das in Ordnung. Denn wenn man mit dem Fuß auf den Stuhl steigen und gleichzeitig das Hohe E singen soll, dann ist das doch ein bisschen problematisch. Ich muss sagen, dass es eigentlich keinen einzigen Regisseur gegeben hat, der das nicht verstanden hätte. Wenn man aber als Sängerin an die Rampe geht, um dort seine Arie zu singen und dabei nur deswegen aus der Rolle herausfällt, dann hat das natürlich kein Regisseur gerne gesehen. Ich muss auch sagen, dass diese Ablehnung vollkommen berechtigt war. Emrich: So etwas ist ja heute auch aus der Sicht der Sänger und Sängerinnen überholt. Holm: Ja, denn jeder Sänger spielt doch auch gerne. Wenn ich mir nur mal überlege, wie viele Rollen ich unter Otto Schenk gespielt habe! Ich war irrsinnig glücklich, dass ich da das Spielen auch unter ganz extremen sängerischen Bedingungen noch gelernt habe. In den schwierigsten Koloraturphasen meinetwegen in der "Fledermaus" war es ja so: Auch wenn ich vorher wunderbar gespielt habe, bin ich jedes Mal, wenn die Kadenz kam, aus der Rolle ausgestiegen. Ich habe aufgehört zu spielen, bin auf der Bühne gestanden und habe mir nur noch gedacht: "Lieber Gott, lass mich diese Koloratur jetzt gut singen, lass mich diese Koloratur jetzt gut singen!" Eines Tages hat Otto Schenk dann zu mir gesagt: "Warum steigst du aus? Du bist nicht mehr die 'Adele' in dem Moment. Was ist los, Holmin? Spiel bitte weiter!" Er hat mir dann so Sachen beigebracht, dass ich während einer Koloratur dann meinetwegen mit dem rechten Fuß dieses oder mit dem linken jenes kleine Schrittchen mache usw. Als ich das dann drauf hatte, waren auch diese Koloraturen fast ohne Lampenfieber brillant. Das war wirklich eine tolle Hilfe gewesen für mich. Emrich: Es ist schön, wenn einem Regisseure auf solche Weise helfen können. Das Stichwort "Fledermaus" ist schon gefallen. Wir haben einen kleinen Filmausschnitt parat: Sie in der Rolle der 'Adele'. Das wollen wir uns jetzt gemeinsam anschauen. Holm: Ja, das ist genau diese Stelle, von der ich gerade erzählt habe. (Filmeinblendung) Emrich: Bravo, bravo, mein Kompliment! Holm: Danke schön. Emrich: Das sieht aus, als hätte das wirklich Spaß gemacht. Holm: Ja, das hat auch Spaß gemacht. Das Lampenfieber muss man dabei halt einfach unterdrücken, auch wenn... Emrich: Vergisst man das nicht eh, wenn man mittendrin ist? Da läuft es dann doch auch ein bisschen von selbst, oder? Holm: Wenn die schwierigsten Koloraturen mal vorbei sind, dann macht es natürlich nur noch Spaß. Emrich: War das übrigens das Hohe E, das wir da gehört haben? Holm: Das war das Hohe D. Emrich: Da ging es also noch einmal um einen ganzen Ton höher. Holm: Diese Fledermaus-Inszenierung mit dem Otto Schenk wird ja allgemein als die Jahrhundert-Fledermaus bezeichnet, weil sie einen so überwältigenden Erfolg hatte und hat. Bis heute spielt man das ja an jedem Silvester. Bei dieser Inszenierung hat es noch etwas gegeben, was sehr interessant war. Ich hatte ja davor schon mit dem Otto Schenk wahnsinnig viele Sachen gemeinsam gemacht. Wir hatten dabei immer so ganz kleine Reibereien miteinander, weil ich eben immer zu viel hinterfragt habe. Ich habe es später wirklich einsehen müssen, dass ich nicht zu viel hinterfragen darf. Er hat vor kurzem eine Laudatio auf mich gehalten und dabei etwas ganz Wunderbares formuliert. Er hat gesagt: "Die Renate, mit ihren selbst gebastelten Schwierigkeiten, die sie dann immer noch in eine Rolle hineingebracht hat. Das war oft so schwierig mit ihr. Aber in der Rolle hat sie dann eben doch immer Recht gehabt, d. h. das ist dann immer der Rolle zugute gekommen." Aber diese "selbst gebastelten Schwierigkeiten" sind ein Ausdruck, der wirklich auch für mein ganzes Leben passt. Denn ich hatte ja schon vorhin darüber gesprochen: Es war gar nicht vorgesehen, dass ich da und dort eine Koloratur singe, es stand nirgends, dass ich bestimmte Dinge in einem Atem nehmen müsste... Emrich: Aber genau das wollten Sie und genau das haben Sie gemacht. Holm: Ja, da habe ich mir eben immer selbst diese Schwierigkeiten gemacht. Das ist komisch, nicht wahr? Emrich: Das macht halt genau dieses Pünktchen auf dem i aus, das ist genau das, was darüber hinausgeht. Holm: Ja, vermutlich. Emrich: Sie waren die "Adele" des Jahrhunderts, Sie waren eine "Jahrhundert- Adele". Und so etwas sagt in Wien niemand ohne Bedacht! Holm: Das Schwierige dabei war für mich dieser Wienerische Dialekt. Ich konnte z. B. verschiedene Dinge anfangs nicht richtig aussprechen. Ich habe immer alles mit einem "o" ausgesprochen. Ich habe immer "mei orme Tont" ("meine arme Tante") gesagt anstatt "mei oarme Tant". Denn die "Tant" z. B. hat nun einmal ein "a" und kein "o". Schenk hat dann immer zu mir gesagt: "Das ist keine 'Tont'! Ich sage ja auch nicht 'Renote' zu dir, du heißt 'Renate'!" Da habe ich das dann allmählich begriffen. Emrich: Das ist ja auch wirklich eine Umstellung vom lockeren Berliner Mundwerk auf dieses manchmal recht breite Wienerische. Sie haben in Deutschland freilich nicht nur gesungen und Oper gespielt, Sie haben auch Theater gespielt. Es kommt ja nur ganz, ganz selten vor, dass eine Sängerin zur Schauspielerin wird. Sie haben in Berlin im "Theater am Kurfürstendamm" 111 Vorstellungen mit einem Stück von Curt Götz gegeben. Mit wem haben Sie das gespielt? Holm: Das war damals auch so ein Fall, bei dem ich mir gesagt habe: "Höre nie auf anzufangen!" Also habe ich mich getraut, auch mal mit dem Theater anzufangen. Ich hatte nämlich ein Angebot bekommen: Georg Thomalla hatte gesagt, dass er dieses Stück so gerne mit mir spielen würde. Davor habe ich es eigentlich nicht für möglich gehalten, dass ich reines Sprechtheater machen könnte. Das war dann aber wirklich ein Riesenerfolg. Danach habe ich dann in Wien auch noch am Volkstheater in einem sehr, sehr dramatischen Stück von Lina Wertmüller mitgespielt. Das war das Stück "Liebe und Magie in Mamas Küche" und ich hatte darin eine hoch dramatische Rolle. Emrich: Nun haben Sie wieder so etwas Ähnliches vor, diesmal in Frankfurt. Holm: Ja, jetzt bin ich demnächst in Frankfurt zu sehen, in der deutschen Erstaufführung des Stücks "Das Quartett". Darüber hinaus habe ich ja auch Musical gemacht: die "Follies" von Sondheim. Ich hätte also ununterbrochen durchspielen können. Aber ich habe doch in Wien mein Refugium mit meinen vielen Tieren! Dafür brauche ich eben auch meine Zeit und dafür bringe ich schon auch viele Opfer, denn ich bin einfach gerne auf meiner Mühle. Ich habe mir nämlich schon vor vielen Jahren eine 350 Jahre alte Mühle gekauft, mit vielen Tieren, denen es damals nicht gut ging und die wir quasi aufgefangen haben. Für mich ist das heute immer wieder der glücklichste Moment im Leben, wenn ich in diese Mühle komme und meine 30 Tiere wieder sehe. Ich hatte freilich auch schon manchmal an die 60 Tiere. Dort kann ich mich erholen. Emrich: Welche Tiere haben Sie denn dort? Wir haben nicht mehr sehr viel Zeit, aber für eine Beschreibung der Menagerie muss unsere Zeit einfach noch reichen. Holm: Ich habe dort z. B. Esel, Ziegen, Schafe, viele Hunde, viele Katzen, Meerschweinchen, Hasen usw. Emrich: Vertragen sich denn Hund und Katz bei Ihnen? Holm: Ja, bei uns vertragen sich Hund und Katz, obwohl das natürlich nicht immer einfach ist. Darüber hinaus betreibe ich dort ja auch ein bisschen Ackerbau und Viehzucht. Ich habe eigenes Kleeheu, eigene Karotten usw. Das wird alles biologisch angebaut, ich mache das nämlich schon seit 30 Jahren so. Ich esse also bereits seit 30 Jahren biologisches Gemüse und nicht erst, seit das modern geworden ist! Emrich: Sie haben also Ihr Refugium und Ihren Wohnsitz etwas außerhalb von Wien in einer solchen idyllischen alten Mühle. Holm: Ja, das ist aber mein Zweitwohnsitz. Der Erstwohnsitz ist natürlich immer noch in Wien, denn sonst ginge das mit meiner Arbeit ja nicht. Wann immer ich aber Zeit habe, fahre ich raus zu meiner Mühle. Emrich: Versorgt dort in der Zwischenzeit jemand anderer den Hof? Holm: Ja, ich habe einen wunderbaren Verwalter, er ist schon 35 Jahre bei mir. Er ist ein ehemaliger Bauer, der das alles auch wirklich kann. Vorgestern war ich gerade wieder dort, um nach dem Rechten zu schauen. Wenn meinetwegen eingewintert werden muss, dann brauchen die Hasen natürlich auch mehr Stroh, alles muss abgedichtet werden usw. Auf der Mühle ist jedenfalls alles prima in Ordnung. Emrich: Man soll nie anfangen aufzuhören und man soll nie aufhören anzufangen. Mit Blick auf den ersten Teil dieses Satzes wünsche ich Ihnen noch viel Erfolg bei all dem, was Sie noch vorhaben. Holm: Danke schön. Emrich: Ich wünsche Ihnen für Ihre Tiere viel Glück und alles Gute, damit sie gut gedeihen und Sie Ihre Freude an ihnen haben. Und ich hoffe, wir sehen Sie noch oft auf der Bühne. Vielen Dank. Holm: Ich danke Ihnen vielmals.

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