Joe Kaeser Brachte Es Aus Einfachen Verhältnissen in Niederbayern An
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2. MAI 2019 DIE ZEIT N o 19 Schwarz, stolz und schön: Der Freiheitskampf der Kosmetik-Pionierin Madam C. J. Walker DOSSIER Seite 17 13 oe Kaeser erzählt gerade von seiner Zeit davon ab, wie gut er sich mit Politikern auf der an der Realschule in Niederbayern, als ganzen Welt versteht. ihm sein Pressesprecher vom Beifahrersitz Joe Kaeser wiederum ist ein sehr spezieller Sie- des Wagens aus das Telefon nach hinten mens-Chef. Es ist bei ihm nicht immer klar, ob er reicht. Der Vorstandschef von Siemens noch Geschäfte macht oder schon Politik. Manchmal ist an der amerikanischen Westküste auf hat es den Anschein, als verstehe er sich nicht als dem Weg von San Francisco nach Sacra- Industriemanager, sondern als Industriekanzler. mento. Dort will er eine Zugfabrik seines Konzerns Eine kleine Auswahl: Jbesuchen. Am Apparat ist eine Mitarbeiterin aus Kurz nach der Annexion der Krim, die EU dis- dem zweiten Fahrzeug. Sie kümmert sich unter- kutiert über Sanktionen gegen Russland, reist Kaeser wegs um Kaesers Kommunikation und gehört wie nach Moskau, um sich mit Präsident Wladimir Putin der Sprecher und ein Sicherheitsmann zu der klei- zu treffen. Es sieht aus wie ein Solidaritätsbesuch bei nen Reisegruppe, mit der Joe Kaeser in dieser einem Autokraten. Fotos: Thomas Pirot für DIE ZEIT; Science Source/akg (o.) Science Source/akg für DIE ZEIT; Thomas Pirot Fotos: Woche im März 2019 durch Amerika tourt. Als die AfD-Fraktionschefin Alice Weidel in einer Kaeser übernimmt das Handy. Rede von »Kopftuchmädchen« spricht, kritisiert »Heute Nachmittag? ... Soll ich ihn anrufen? ... Kaeser sie öffentlich. Es wirkt wie eine Verteidigung Ich habe die Mobilnummer. Ich rufe ihn in zwei der liberalen, offenen Gesellschaft. Minuten an.« Nachdem der saudi-arabische Journalist Jamal Kaeser gibt das Telefon wieder nach vorn. Er sucht Kha shog gi mutmaßlich auf Anweisung seiner eigenen nun auf seinem eigenen Gerät eine Nummer, während Regierung ermordet wurde, stornieren westliche er weiter über seine Kindheit spricht und davon, dass Konzernchefs ihre Teilnahme an einer Wirtschafts- Schule ihm nicht wichtig gewesen sei, die Hausauf- konferenz in der saudi-arabischen Hauptstadt Riad. gaben habe er notfalls im Bus gemacht, mit dem er Kaeser dagegen sagt: »Wenn ich nirgendwo mehr morgens durch die niederbayerische Landschaft fuhr. hindürfte, wo Menschen verschwinden, könnte ich Dann hat er die Nummer gefunden. Er sagt: »Ich gleich zu Hause bleiben.« Es mutet an, als sei er der müsste nun kurz den Gouverneur von Ohio anrufen.« Verbündete einer Diktatur. Kaeser wählt die Nummer, am anderen Ende hebt Worum geht es diesem Mann? Sieht er sich als sofort jemand ab. Kaeser sagt: »Hi, hier ist Joe Kaeser. Manager, als Politiker oder einfach nur als Bürger, der Ist da Gouverneur Kasich?« gern seine Meinung sagt? John Kasich war Bewerber um die Präsident- Diese Fragen standen am Anfang einer Recherche, schaftskandidatur der Republikaner und bis Januar bei der die ZEIT den Siemens-Chef mehr als ein Jahr Gouverneur des US-Bundesstaates Ohio. Nach zwei lang begleitet hat, beginnend Anfang 2018, als man- Amtszeiten durfte er nicht mehr kandidieren. In che der genannten Konflikte noch gar nicht abzuse- seiner Partei ist er weiter ein einflussreicher Mann. hen waren. Es wird ein Jahr voller Widersprüche, in Zurzeit deutet er gern an, 2020 gegen den Präsiden- dem Joe Kaeser erkennen muss, wie hilflos der Chef ten Donald Trump antreten zu wollen. eines Weltkonzerns mitunter sein kann. Ein Jahr, in Kaeser berichtet von der Reise: Kalifornien, schö- dem er auf öffentlichen Druck hin eine Entscheidung nes Wetter, Zugfabrik, Sacramento. Dann lange Pau- revidieren muss. Aber auch ein Jahr, an dessen Ende se, Kasich spricht. Kaeser: »... Nett. ... Cool. ... Sie er so mächtig sein wird wie kein Siemens-Chef vor machen Scherze! ... Aha. ... Haha.« ihm – und keiner nach ihm. Nach ein paar Minuten ist der Small-Talk-Part zu Ende. Kaeser geht an die Arbeit. Das erste Treffen findet in seinem Münchner Büro Der Vorstandschef hat auf dieser Reise viele Mis- statt. Eigentlich soll es nur ein lockeres Kennenlernen sionen, eine davon ist es, den Amerikanern und ihrem sein. Doch Joe Kaeser hört an diesem Abend im Präsidenten beizubringen, dass Siemens auch ein Februar vergangenen Jahres nicht auf zu reden. Wenn amerikanisches Unternehmen ist. er mit Journalisten spricht, lässt er sonst gern leicht Im Oktober hat Siemens eine Vereinbarung mit vernuschelte, unvollständige Sätze im Raum stehen, dem Irak geschlossen. Der Konzern soll in dem vom deren unausgesprochene Teile nicht selten zu kleinen Krieg versehrten Land Kraftwerke und Stromnetze Gemeinheiten über andere mächtige und weniger bauen und dafür mehrere Mil liar den Dollar kassieren. mächtige Menschen führen. Kaeser schaut dann gern Die amerikanische Regierung war nicht begeistert. dabei zu, wie sich die Journalisten darüber hermachen. Angesichts der vielen im Irak gefallenen US-Soldaten Jetzt ist das anders. Kaeser setzt weder Punkt noch verlangt sie, dass der Zuschlag an den amerikanischen Komma. Es geht ihm nämlich um eine Person, bei Siemens-Konkurrenten General Electric geht. Also deren Interpretation er nichts dem Zufall überlassen machten Trumps Leute Druck in Bagdad. Kaeser will. Es geht um Joe Kaeser, und der hat im Moment suchte die Unterstützung der Bundesregierung, er flog viel Ärger – in der Presse, in den sozialen Medien. selbst noch einmal in den Irak. In der Zwischenzeit Wenige Tage zuvor war Kaeser beim Weltwirt- gab es dort einen Regierungswechsel. Die Sache ist schaftsforum in Davos. Beim Dinner saß er neben nun sehr unübersichtlich. Donald Trump. Vor laufenden Kameras lobte er Um den Auftrag nicht zu verlieren, arbeiten der den US-Präsidenten für seine Entscheidung, die Siemens-Chef und seine Lobbyisten seit Monaten Unternehmenssteuern zu senken. Er versicherte daran, zwei Zahlen im Umfeld des amerikanischen ihm, Siemens werde in Amerika demnächst Turbi- Präsidenten zu deponieren. Auch der ehrgeizige nen produzieren – und das, nachdem er zuvor Kasich soll diese Zahlen kennen. Kaeser sagt ins Tele- angekündigt hatte, eine Turbinenfabrik im sächsi- fon: »Wenn ich all die Tweets aus dem Weißen Haus schen Görlitz zu schließen. lese, frage ich mich, wie wir als Unternehmen mit »Fauxpas beim Dinner mit dem Präsidenten«, 50.000 Leuten und mehr als 16 Mil liar den Euro schrieb das Handelsblatt. Umsatz in den USA damit umgehen sollen, als Frem- »Unterwerfung«, titelte die Süddeutsche Zeitung. de behandelt zu werden.« Damit Kasich auch wirklich »Trumps großer Huldiger«, formulierte die Welt. versteht, worum es geht, sagt Kaeser noch: »Wir »Jede Minute in diesem Gespräch war Kalkül«, wollen als Firma behandelt werden, die qualifizierte sagt Joe Kaeser jetzt, an diesem Abend in seinem und gut bezahlte Jobs für fleißige amerikanische Büro. Er ist nun ganz in der Rolle des Managers: Männer und Frauen bereitstellt.« »Wenn ich neben dem amerikanischen Präsiden- Bevor er auflegt, schlägt Kaeser ein Treffen vor ten sitze, werde ich ihm nicht live im Fernsehen und ermutigt den Gouverneur zu einer erneuten Kan- sagen, was mir alles nicht gefällt. Ich vertrete ein didatur für die US-Präsidentschaft. Er sagt: »Jeder Unternehmen und habe Verantwortung für Zig- wartet darauf, dass Sie wieder angreifen.« tausende von Jobs. Da gibt es eben In te res sen- Während dieser Autofahrt deutet Kaeser oft auf lagen. Das vergisst man gern, wenn man dann so Berge und Brücken, die man sich anschauen solle. Bei etwas im Fernsehen sieht und denkt: Oh Gott, ist Flügen über Kalifornien organisiert er für seine Mit- der überfreundlich zu diesem Mann.« reisenden Plätze am Fenster, damit sie alles sehen Joe Kaeser ist einer, über den Freunde wie Fein- können. Es wirkt, als sei er ein bisschen stolz. Tatsäch- de erzählen, dass es kaum einen Manager gebe, der Siemens-Chef Joe Kaeser in der Konzernzentrale in München, April 2019 lich sind ihm die USA in den Neunzigern so sehr zur so berechnend denke wie er. Er wird also auch mit Heimat geworden, dass er sogar seinen Namen ange- den Gesprächen in diesem Jahr mit der ZEIT ein passt hat. Aus Josef Käser hat er Joe Kaeser gemacht. Kalkül verbinden. Er sagt: »Dann kriegt jemand, Damals war er Finanzchef von Siemens Micro- der über den eigenen Tellerrand denkt und ein electronics mit Sitz im Silicon Valley. Heute ist er bisschen gutmeinend ist, vielleicht ein besseres Siemens-Chef für die ganze Welt und lebt mit seiner Gesicht von diesem Typen und eine Synthese Frau wieder in Niederbayern. Den Namen aus Ame- davon, wie das alles zusammenhängt.« rika hat er behalten. Früher war er der Käser Sepp. Der Typ, das ist er, Joe Kaeser. Erst der Nachname, dann der Vorname, so ist das in Als Kaeser an einem Junimorgen 2018 am Niederbayern. Und nun, nach dem langen Weg vom Münchner Flughafen in den Privatjet steigt, kommt Sepp über den Josef zum Joe, telefoniert er wie selbst- er vom Frühstück mit Markus Söder, dem bayeri- verständlich mit einem Mann, der sich das mächtigs- schen Ministerpräsidenten. Die Zeitungen sind voll te Amt der Welt zutraut. Er ist jetzt 61 Jahre alt, an mit Berichten über den Flüchtlingsstreit zwischen Der Industriekanzler den Sepp von damals erinnert noch die bayerische den Unions par teien. Außerdem schreibt die interna- Farbe in seinem Englisch. Sonst ist die Realschule in tionale Presse über die Verhaftung des Audi-Chefs Niederbayern in diesem Moment ziemlich weit weg. Rupert Stadler. Er musste am Vortag im Zuge des Kaeser sagt nach dem Telefonat: »Es ist immer Diesel-Betruges in Untersuchungshaft. gut, auf diejenigen zu setzen, die später noch einmal Kaeser ist auf dem Weg nach Zürich. Er lässt wichtiger werden.« sich in einen der vier beigen Ledersitze fallen, links Joe Kaeser brachte es aus einfachen Verhältnissen Die 172 Jahre währende Geschichte von Sie- in Flugrichtung, da sitzt er meistens, und sagt: mens ist auch eine Geschichte vom Geschäft mit »Das ist ja kein so gutes Deutschland-Bild gerade. dem Staat. Der Gründer Werner von Siemens Der Regierungsstreit in Berlin, Topmanager wer- in Niederbayern an die Spitze des deutschen schickte seine Brüder nach Großbritannien, nach den verhaftet.