Hildchens Legenden finden Die Neo-Menschen Kein Glück
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Kultur die Begierde ganz erlischt. „Jugend, Schön- heit, Kraft: Die Kriterien der körperlichen Liebe sind dieselben wie bei den Nazis“, schreibt Houellebecq alias Daniel. Im kaum auszuhaltenden Endstadium wird der Sex eine reine Causa mentalis: Das arme Opfer mit dem „Körper eines alten Mannes voller jugendlichem Begehren“ denkt nur noch an Sex. Damit erlischt das Leben, denn alle Energie ist sexueller Art. Daniel, der wie verrückt seiner entschwun- denen Esther nachstellt, begeht folgerichtig Selbstmord, und Houellebecq prophezeit den Menschen eine schon bald drastisch sin- kende Lebenserwartung, auf gut 50 Jahre für Frauen und gut 60 für Männer. Der Wunsch nach Unsterblichkeit hinge- gen erhält sich; er ist sogar das Einzige, was von den Religionen übrig bleibt. Da- niel1 ist der Sekte der Elohim beigetreten, die ihren Jüngern ewige Wiedergeburt dank revolutionärer Reproduktionstechni- ken verheißt, besserer noch als Klonen: Die lästige Kindheitsphase wird über- sprungen, beim Tod des alten das neue Ex- emplar binnen 24, höchstens 48 Stunden geliefert. Das ist Dienst am Kunden. So kommt es, dass Daniel mitsamt seinem Hund Fox genetisch überlebt, ohne dersel- be zu sein. Denn beim Neo-Menschen wur- den die Auslöser des Leidens weggezüchtet – und mithin alle Triebe und Gefühle. Die Neo-Menschen leben in scheinbar reiner Rationalität, streng isoliert, und kommuni- zieren nur elektronisch miteinander. Allein BILDERDIENST / ULLSTEIN KPA eine abgeschwächte, untragische, nur le- Weltstar Knef (sechziger Jahre): Lebensbericht mit Auslassungen und Schönfärbereien benserhaltende Energie wurde ihnen be- wahrt, die ausreicht, das Denkvermögen als befreites Denken zu gewährleisten. STARS Ist das die Erlösung, die Abwesenheit von Schmerz, die individuelle Freiheit und die Unabhängigkeit? Anders als geplant, Hildchens Legenden finden die Neo-Menschen kein Glück. Die Eintönigkeit, die nur von sporadischem Sie war Deutschlands letzte große Diva. Ihr Buch „Der geschenkte Gedankenaustausch unterbrochene Routi- ne ihres Lebens führt zu Traurigkeit, Me- Gaul“ war ein Welt-Bestseller. Nun behauptet ein lancholie und Apathie. Die Lebensgier lässt Biograf: Hildegard Knef hat ihre Fans absichtlich getäuscht. sich eben doch nicht ganz austreten. Am Ende machen sich zwei Neo-Men- ie lebte nach der Regel: Privates ist Glück kennt nur Minuten“ hinter der schen, Marie23 und Daniel25, auf den Weg, strikt öffentlich. Die Erfolge, Nieder- „kunstvoll inszenierten Lebenskulisse“ die eine aus den Ruinen von New York, der Slagen, die gelungenen wie die miss- nun die andere, wahre Geschichte des Stars andere aus der Dürre Südspaniens, um glückten Comeback-Versuche, die rund 60 enthüllen*. eine neue Gesellschaft, ein unbekanntes Operationen, intime Details aus ihren drei Durchaus bewundernd folgt er den Kar- Paradies zu suchen, vielleicht in der Ge- Ehen – Hildegard Knef, Deutschlands letz- rieresprüngen der Knef, beschreibt ihre Fil- gend von Lanzarote. Gegen alle Vernunft te Diva, packte für ihr Publikum gern alles merfolge, würdigt ihre Bedeutung als lassen sie sich zu diesem Wagnis und sei- aus. Alle sollten wissen, dass es für Hild- Chansonsängerin („Ich brauch Tapeten- ner Verheißung durch die Entdeckung ei- chen, wie sie sich gern nennen ließ, nicht wechsel, sprach die Birke“). Aber Trim- nes Gedichts hinreißen, das Daniel1 kurz nur rote Rosen regnete: ein Star mit Sta- born durchleuchtet auch die Legenden, die vor seinem Tod an Esther geschickt hatte: cheln, witzig, mutig, ehrlich. die Knef selbst wie einen Schleier um ihr „Und die Liebe, die alles so leicht macht, Jetzt, gut drei Jahre nach dem Tod der Leben gewoben hat. Dir alles schenkt, und zwar sogleich; Schauspielerin, Chansonsängerin, Autorin Das meiste, und das ist auch Trimborns Es gibt in der Mitte der Zeit und Vorzeige-Berlinerin zeichnet eine Bio- Hauptquelle, hat die Knef 1970 in ihrem Die Möglichkeit einer Insel.“ grafie den abenteuerlichen Lebensweg der Memoirenband „Der geschenkte Gaul“, Ja, ist es möglich? Houellebecq, der De- Knef noch einmal kritisch nach. Mit er- einem in 17 Sprachen übersetzten Welt- pressive, der Erschöpfte und Gehetzte, der staunlichen Ergebnissen. erfolg, selbst ausgeplaudert. skandalöse Sexwütige, das Inbild des Welt- Rechtzeitig zu ihrem 80. Geburtstag schmerzes, wäre am Ende das, was er wohl am 28. Dezember will der Berliner Film- * Jürgen Trimborn: „Hildegard Knef – Das Glück kennt schon immer war: ein unheilbarer Roman- wissenschaftler Jürgen Trimborn, 34, in nur Minuten“. Deutsche Verlags-Anstalt, München; 544 tiker. Romain Leick seinem Buch „Hildegard Knef – Das Seiten; 19,90 Euro. 132 der spiegel 34/2005 Ein vorläufiger Lebensbericht mit einigen Trimborn lässt zwischen den Zeilen wurde als Memoirenschreiberin endgültig gravierenden Auslassungen und Schönfär- durchblicken, dass die Schauspielerin den zu Deutschlands Parade-Star. bereien, wie der Biograf herausfand. So Amerikanern möglicherweise einen Tipp Gerade in diese erfolgreichste Zeit ihres habe die Knef beispielsweise nicht die über den Aufenthaltsort des ehemals so Lebens fällt auch ihr psychischer Verfall. Wahrheit geschrieben über ihr Verhältnis mächtigen Nazis gegeben haben könnte. Ihre Süchte (Medikamente und Alkohol) zu einem ihrer Liebhaber, Ewald von De- Auch aus diesem Grunde habe die Knef steigern sich. Sie ist reizbar, bekommt Ei- mandowsky, einem der höchsten Funk- das wahre Ende ihrer Affäre mit Deman- fersuchtsanfälle, wird gewalttätig. Immer tionäre im Filmbetrieb der Nazis. dowsky verschleiert, so legt Trimborn na- häufiger flüchtet sie sich in Krankheiten – Die junge Hildegard – mindestens so ehr- he. Zudem bestünden ihre Erlebnisberich- ein altes Muster. geizig wie talentiert – wollte unbedingt te aus jener Zeit ohnehin „zu einem Vaterlos aufgewachsen, lehnt das Kind Schauspielerin werden. Nach der Schule großen Prozentsatz aus freien Erfindun- den Mann ab, den seine verwitwete Mutter hat sie, mitten im Krieg, immerhin eine gen“. Was Knef im „Gaul“ behauptet er- heiraten will. Hildegard, die ihren unbe- Stelle als Zeichenlehrling in der Trickfilm- lebt zu haben, müsse Monate gedauert kannten Vater idolisiert, rächt sich mit im- Abteilung der Ufa ergattert. Aber sie drängt haben. In Wahrheit sei sie aber nur un- mer neuen Krankheiten. Einmal schneidet es vor die Kamera. 1942 gelingt es dem gefähr drei Wochen unterwegs gewesen. sie sich mit einer Rasierklinge sogar den Mädchen, Probeaufnahmen bei der Ufa Denn im Mai 1945, so Trimborn, „mischt Fuß auf. Sie will Aufmerksamkeit, Liebe. zu machen. Es wird in deren Nicht lange nach dem über- Schauspielschule aufgenommen. wältigenden Erfolg ihres „Ge- 1944 – der Krieg ist längst ent- schenkten Gauls“ wird bei der schieden – hat sie wieder Glück. Knef im Juni 1973 eine Ge- Die attraktive Frau lernt Ewald schwulst in der linken Brust ent- von Demandowsky kennen. Er deckt. Zunächst lautete die Dia- ist „Reichsfilmdramaturg“ und gnose: gutartig. Wochen später für Kinoangelegenheiten seit wird das Gewächs in Salzburg 1937 die rechte Hand von Pro- entfernt – und offensichtlich als pagandaminister Goebbels. Zu- Karzinom erkannt; über das dem ist Demandowsky auch Krebsdrama verfasste Knef ei- noch Produktionschef der Film- nen weiteren Bestseller, „Das firma Tobis. Im deutschen Ki- Urteil“. Trimborn deutet in sei- nowesen gibt es für eine Schau- nem Buch an, die Schauspielerin spielerin kaum eine hilfreichere habe sich zu der Operation ent- Männerbekanntschaft. schlossen, obwohl das medizi- Hildegard Knef beginnt, was nisch möglicherweise nicht nötig sie auch im „Geschenkten Gaul“ gewesen sei. Die Geschichte nicht verschweigt, eine Affäre CINETEXT passt ihm offenbar zu gut zu der mit dem mächtigen Mann. Die Filmstar Knef, Partner Hans Albers*: Herber Sex-Appeal These von dem krankheitssüch- 18-jährige Hildegard zieht in tigen Star. Der damals behan- Demandowskys Villa in Dahlem und ge- sie sich bereits wieder in das aufflackern- delnde Salzburger Gynäkologe Prof. Gün- nießt den Luxus. de Theaterleben der zerstörten Stadt“. ther Reiffenstuhl will von solchen Thesen Als die russische Armee Berlin erobert, Diese Engagements sind die ersten Bau- nichts wissen. Dem SPIEGEL bestätigt er: will sie, so schreibt sie in ihren Memoiren, steine zu Knefs Karriere. Die Filme „Die „Es war glasklar Krebs.“ am 18. April 1945, als Mann verkleidet, ge- Mörder sind unter uns“ (1946) und „Film So verdienstvoll Trimborns Recherchen meinsam mit ihrem Geliebten die Haupt- ohne Titel“ (1947) machten sie bekannt – aus der Frühzeit von Knefs Karriere sind: stadt zu Fuß verlassen haben – und später in als junge ungekünstelte Schauspielerin mit An einigen Stellen wirkt sein Buch speku- russische Kriegsgefangenschaft gekommen herb-apartem Sex-Appeal. Ein unbelasteter lativ und methodisch fragwürdig. Um zu sein. Sie habe aber nach Wochen allein flie- kommender Star, so schien es. belegen, dass die nach einer erfolglosen hen und sich mühsam nach Berlin durch- Mit ihrem Mann Kurt Hirsch, Sohn Gesangstournee von PR abhängige Künst- schlagen können. Von Demandowsky ist jüdisch-tschechischer Emigranten, ging lerin auch vor dreisten Lügen nicht zurück- fortan im „Geschenkten Gaul“ nicht mehr die Knef 1947 in die USA. Doch die schreckt, behauptet Trimborn, sie habe An- die Rede. Nachschlagewerke über Nazi-Grö- erhoffte Hollywood-Karriere blieb zu- fang der achtziger Jahre „kurzerhand zwei ßen melden, er sei seit 1945 verschollen. nächst aus. Enttäuscht kam sie 1950 nach ausländische Preise für sich“ erfunden, den Autor Trimborn hat andere Informatio- Deutschland zurück, wo sie in einem