Schwierige Rückkehr
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Newsletter Nr. 27, Sommer 2018 Schwierige Rückkehr Erzählungen und Reflexionen über das Zurückkehren im Kontext von Exil und Vertreibung Lange Zeit galt das Exil, das durch die gewaltvolle Politik der Nationalsozialisten bedingt wurde, mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges 1945 als been- det. Die implizite Begründung, die in der Exillitera- turforschung bis in die Anfänge des 21. Jahrhun- derts dominierte, greift allerdings zu kurz: Mit dem Wegfall der Fluchtursachen werde das erzwungene Exil, das mit einer Rückkehr beendet werden könn- te, zu einer freiwilligen Migration. Bei diesem Er- klärungsmuster wurde die eigentliche Frage nach der Rückkehr der Exilanten lange vernachlässigt. Ist die Rückkehr in ein Land, das einen zuvor ge- waltvoll vertrieben hat, überhaupt ohne weiteres möglich? Und vor allem: Lässt sich mittels einer geo- grafischen Rückkehr das Exil beenden? Zahlreiche Texte, die nach 1945 entstanden sind, geben auf diese Fragen deutliche Antworten. Alfred Döblin etwa schreibt 1949: „Als ich wiederkam, da – kam ich nicht wieder. Du bist nicht mehr der, der Straßenschilder in Manhattan wegging, und du findest deine Wohnung nicht mehr, Foto: Naked Pictures of Bela die du verließest.“1 Einer ähnlichen Argumentation Arthur, CC BY-SA 3.0, edited Inhaltsverzeichnis: Der verlorene Sohn .......................................................................................................4 Rückkehr durch Dinge? Rückkehr als Nach-Exil ...............................................................................................6 Zu W. G. Sebalds Austerlitz ...................................................................................... 17 Vom Auffüllen der Kriegslücken Rückkehr in die Heimat ? Zur „Rückkehr“ von Sammlungen .........................................................................8 Zur Neuverhandlung von Zugehörigkeit in Vladimir Vertlibs Schimons Schweigen .............................................................. 18 „Aber man konnte ja immer noch heimkehren.“ Von Imaginationen der Rückkehr und dem Wunder „Da war es das Land. Rostig gelb. Von der Farbe frisch der Wiederbegegnung in Joseph Roths Hiob ...................................................9 geheilter Haut. Vielleicht wurde ich endlich befreit.“ Dimensionen von Rückkehr in Hisham Matars Die Rückkehr ................ 20 Die „undarstellbare Gemeinschaft“ Die Rückkehr einer Widerstandskämpferin “You can’t return to the past.” in Peter Weiss’ Die Ästhetik des Widerstands ................................................ 11 Rafael Cardoso in conversation with Cordula Greinert ............................. 21 Rückkehr in die Muttersprache? Neue Publikation zu P. Walter Jacob ................................................................... 25 Theodor W. Adornos Sprachbefremdung ....................................................... 12 Veranstaltungen der Forschungsstelle .............................................................. 26 Neue Kleidung braucht das Land Impressum ...................................................................................................................... 28 Miniatur über die Kleiderordnung in Hilde Domins Das zweite Paradies ...................................................................................................... 13 ,,Wir leben doch immer in der falschen Zeit“ ISSN (Print): 2366-7427 Rückkehrer als Provokation in Thomas Bernhards Heldenplatz ....... 15 ISSN (Online): 2366-7435 2 Newsletter Nr. 27, Sommer 2018 1 Alfred Döblin: Schicksals- folgend, beschreibt Carl Zuckmayer rückblickend differentielle Zuordnungen“11 erschwert. Dabei reise. Bericht und Bekenntnis seine versuchte Rückkehr nach Deutschland 1946: muss es sich aber nicht zwangsläufig um eine bloß [1949]. Olten 1980, 310. „Die Fahrt ins Exil ist ‚the journey of no return‘. Wer prekäre Stellung zwischen den Kulturen handeln. sie antritt und von der Heimkehr träumt, ist verlo- Der Zustand kann auch positiv gewendet für viel- 2 Carl Zuckmayer: Als wär’s ren. Er mag wiederkehren – aber der Ort, den er fältige Zugehörigkeiten stehen: „Home becomes ho- ein Stück von mir. Horen an die dann findet, ist nicht mehr der gleiche, den er ver- mes: a web of places that are cultivated through the Freundschaft. Frankfurt a. M. 1966, 461. lassen hat, und er ist selbst nicht mehr der gleiche, investment in the place of settlement and the place der fortgegangen ist. Er mag wiederkehren, [...] of origin. Return movements and other kinds of [a]ber er kehrt niemals heim.“2 Hermann Kesten transnational processes create links between these 3 Hermann Kesten: Das ewige nennt in seiner kurzen Abhandlung Das ewige Exil places”12. Salman Rushdie spricht in diesem Zusam- Exil. In: Ders. (Hg.): Ich lebe eben jenes sogar „eine Hölle ohne Exit.“3 Diese drei menhang in seinem Essay Heimatländer der Phanta- nicht in der Bundesrepublik. München 1964, 9-28, hier: 15. exemplarischen Stimmen, an die sich viele weitere sie (1982) von dem „Gefühl des Verlustes“, das Exi- anschließen lassen, legen den Schluss nahe, dass der lanten verfolgt: „von dem Verlangen zurückzu- Zustand des Exils durch keine Rückkehr rückgängig blicken, selbst wenn man Gefahr läuft, in eine Salz- zu machen ist. (Siehe zu der theoretischen Etablie- säule verwandelt zu werden. Aber wenn wir den- 4 Hans-Georg Gadamer: Hilde rung des Begriffes ‚Nach-Exil‘ den Artikel von Phi- noch zurückblicken, müssen wir es in dem – tiefe Domin, Dichterin der Rückkehr lipp Wulf, S. 6). Doch auch das wäre ein vorschnelles Unsicherheit auslösenden – Bewusstsein tun, […] [1971]. In: Bettina v. Wan- genheim (Hg.): Vokabular der Urteil. So entwirft beispielsweise Hilde Domin, von dass es uns nicht gelingen wird, haargenau das zu- Erinnerungen. Zum Werk von Hans-Georg Gadamer als „Dichterin der Rückkehr“4 rückzugewinnen, was wir verloren haben; dass wir Hilde Domin. Frankfurt a. M. bezeichnet, in ihrem Roman Das zweite Paradies ein […] Fiktionen erschaffen, […] unsichtbare, imaginä- 1998, 29-35, hier: 29. anderes Bild als die bisher angeführten Autoren. Bei re Heimatländer […] der Phantasie.“13 Die literari- Domin erscheint die Rückkehr nach Deutschland als sche Auseinandersetzung mit den Ambivalenzen 5 Domin: Das zweite Paradies. Rückkehr in ein „zweites Paradies“. Diese gelingt und Brüchen der Rückkehr setzt laut Rushdie zudem Roman in Segmenten [1968]. allerdings nur, wenn man sich von der Vorstellung ein kreatives Potential frei:14 „so unsicher und ver- Frankfurt a. M. 1993, 133. verabschiedet, in ein erstes Paradies und damit in änderlich dieser Boden auch sein mag, er ist kein den Zustand vor der Vertreibung zurückkehren zu unfruchtbares Territorium für einen Schriftstel- 6 Gadamer: Hilde Domin, 31. können: „Das zweite Paradies […] ist nicht weniger ler.“15 Paradies als das frühere. Wir müssen nur erst durch In Rushdies Zitat verbirgt sich außerdem eine inter- 7 Gadamer: Hilde Domin, 33. die Wirklichkeit hindurch.“5 (Vgl. zu der Verknüp- textuelle Anspielung auf eine biblische Rückkehr- fung des Motives der Kleidung mit dem der Rück- Erzählung. Im Alten Testament erhält Lot von Gott 8 Denise Reimann: „denn man kehr in Domins Das zweite Paradies den Artikel von den Rat, mit seiner Familie vor der geplanten Zer- liebt immer nur ein Phantom.“ Carla Swiderski, S. 14). Damit ist, wie Gadamer re- störung Sodoms zu fliehen, ohne sich umzudrehen. Heimatumschreibung einer Remigrantin in Hilde Domins sümiert, die Rückkehr „ein neuer Abschied – der Seine Frau allerdings blickt während der Flucht zu- lyrischem Roman „Das zweite dritte Abschied. Denn jetzt erst ist das, wovon man rück und wird daraufhin zur Salzsäule.16 So be- Paradies“. In: Chiara Conterno Abschied nehmen mußte, ganz von einem geschie- schreibt auch Rushdie die schmerzhaften Folgen des u. Walter Busch (Hg.): Weibliche 6 7 jüdische Stimmen deutscher den.“ Die Rückkehr in ein „Andersgewordenes“ Zurückblickens, setzt dem daraus folgenden Anblick Lyriker aus der Zeit von Verfol- birgt gleichzeitig die Möglichkeit, „die Vorstellung der zerstörten Heimat aber eine phantastische Hei- gung und Exil. Würzburg 2012, einer in sich geschlossenen und mit sich selbst iden- mat entgegen. Auch Domins bereits erwähnter Ro- 145-163, hier: 160. tischen [...] Heimat zu hinterfragen, deren Grenzen man, Das zweite Paradies, ruft einen biblischen Prä- 9 Gunther Gebhard, Oliver aufzuzeigen und umzuschreiben.“8 Damit ist ein we- text auf. Auf diese Weise werden Erfahrungen von Geisler u. Steffen Schröter: sentlicher Punkt aufgeworfen, der sich unweigerlich Flucht und Vertreibung mit der jüdisch-christlichen Heimatdenken: Konjunkturen und Konturen. Statt einer Ein- mit dem Problemhorizont von Rückkehr verbindet: Erzählung des Sündenfalls verknüpft, die Phanta- leitung. In: Dies. (Hg.): Heimat. Denn diese fragt immer auch nach (Neu-)Bewertun- sien von Rückkehr in ein endzeitliches Paradies im- Konturen und Konjunkturen gen von Heimat, Zugehörigkeit und Identität. Die Be- mer schon mitdenkt: „Das Erlebnis der Vertreibung eines umstrittenen Konzepts. Bielefeld 2007, 9-56, hier: 10. wegungsfiguren, die Narrativen der Rückkehr zu- aus dem Paradies und die dauernde Suche nach ei- grunde liegen, sind also mehrdirektional. Damit nem zweiten Paradies ist die allgemeine Conditio 10 Sünne Juterczenka u. Kai eröffnen Erzählungen von Rückkehr dynamische Humana, von Adam und Eva bis zu uns.“17 Ein wei- Marcel Sicks: Die Schwelle der und transnationale Perspektiven. Das erkennt man teres biblisches Motiv, das sich wiederholt auch in Heimkehr. Einleitung. In: Dies. (Hg.): Figurationen der Heim-