DIPLOMARBEIT

Titel der Diplomarbeit „Gaspar Noés Enter the Void: Raumaufsichten und wegweisende Perspektiven in Subkulturen“

Verfasser Amelio August Nicotera

angestrebter akademischer Grad Magister der Philosophie (Mag.phil.)

Wien, 2013

Studienkennzahl lt. Studienblatt: A 317 Studienrichtung lt. Studienblatt: Theater-, Film- und Medienwissenschaft Betreuerin: ao. Univ.-Prof. Dr. Brigitte Marschall

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„Jed e K u n st gelan gte dab ei zu dem dialek tisch en U m sch lagsp u n k t, w o die M ittel den Zweck und die Formen den Inhalt zu bestimm en begonnen haben. Jed e gelan gte au ch bis zu r letzten logisch en K on seq u en z: zur Form , die sich selber In h alt ist. Also zum Nichts.“1

1 B a lá z s , B é la , Der Geist des Films, F r a n k fu r t a m M a in : S u h r k a m p 2 0 0 1 , S .7 0 ii iii

Danksagung

Mein Dank gilt

Barbara Hum m el Gudrun und Ruben Nicotera iv v

In h altsverzeich n is

1. Einleitung...... 1

1.1. Vorw ort...... 1 1.2. Forschungsfragen und Aufbau der Arbeit...... 3

2. Perspektiven...... 5

2.1. Gaspar Noé: Einflüsse, W erke und zeitliche Einbettung...... 5 2.2. Der Rezipient...... 14 2.3. Der K ünstler als Schöpfer...... 18 2.4. Visuelle Gestaltungsform en und Figuren...... 19 2.5. „Y ou talkin' to me?“...... 23 2.6. Licht als M edium ...... 26 2.7. Drogenperspektiven und Drogen als M edium ...... 30 2.8. Das schw eigende D asein...... 37

3. Religiöses...... 39

3.1. Einleitung...... 39 3.2. Das tibetanische Totenbuch oder das tibetische Buch der Toten(B a rd o T h öd ol)....41 3.3. Medienwechsel/ Transmedialität...... 49 3.4. Ehe und W ertevorstellungen...... 53 3.5. Der Regisseur als Scham ane...... 54

4. Rituelles...... 57

4.1. Les rites de passage von Arnold van Gennep...... 57 4.2. Rituelles in Enter the Void...... 58 4.3. K onstruierte, ritualisierte Seduktion als M etaebene...... 64

5. Räume und Nicht-Orte...... 70

5.1. Nicht-Orte von M arc Augé...... 70 5.2. Der Nicht-Ort I n te r n e t...... 73 vi

6. Existenzielles Grunderlebnis...... 75

7. Conclusio...... 79

8. Bibliographie...... 81

8.1. Literatur...... 81 8.2. Film ographie...... 83 8.3. Internetquellen...... 85

9. Anhang...... 89

9.1. Abstract...... 89 9.2. Lebenslauf...... 90 1

1. Einleitung

1.1. Vorw ort

„Wenn das Kino seine Wirkung ausübt, so darum, weil ich mich mit seinen Bildern identifiziere, w eil ich m ehr oder w eniger m ein Ich vergesse über dem , w as auf der L ein - wand vor sich geht. Ich bin nicht mehr in meinem eigenen Leben, ich bin in dem Film, der sich vor mir abspielt.“ (Henri Wallon)2

Fenster, die niemand öffnen möchte, werden in den Filmen des zeitgenössischen Regisseurs Gaspar Noé aufgerissen und erschaffen Einblicke durch Bilder in und von Welten, die dem Betrachter im Gedächtnis haften bleiben. Ergo ist eine Auseinan- dersetzung mit der Bildsprache des Filmes Enter the Void unerlässlich. D as F arben - meer alternierend mit Schwarz, die Leinwand bleibt an einer Stelle eine ganze Minute schwarz, um metaphorisch neun Monate Schwangerschaft darzustellen, ist einzigartig. D agegen kön n te diese A rt der In szen ierun g auch als eine m etaph orisch e Behandlung der Themen Tod und Auslöschung verstanden werden. Die Schwanger- sch aft w ü rd e so betrach tet fü r ein e F orm der N ich t- E xisten z steh en . Die Dialektik der Interpretationsmöglichkeiten skizziert bereits den durchgängig am phibolischen A ufbau von Enter the Void. Halluzination, Reinkarnation, Geschwisterbeziehung, O b session en , R itu ale, T rau - mata, Transzendenz, Geburt, Tod und Rausch – die Liste an behandelten Themen könnte noch zeilenw eise fortgeführt werden. Die offizielle Homepage von Enter the Void3 transportiert in ihrer Z ergliederung und Schw erelosigkeit die D ialektik der Sichtweisen des noch lebenden Protagonisten Oscar und seiner im weiteren Verlauf über der W elt schwebenden Seele. Die verschiedenen D im ensionen werden hier besonders deutlich und können als reprä- sen tativ fü r die System atik des F ilm es betrach tet w erd en . Entkryptisiert ist in Enter the Void der G rundgedanke, kongruierend m it den Ideen des Stoizism us – die kosm ologischen Elem ente und das universelle Prinzip –, eine

2 S tig le g g er, M a r c u s , Ritual & Verführung. Schaulust, Spektakel & Sinnlichkeit im Film, Berlin: Bertz &Fischer 2006, S. 13 3 http://ww w .enter-the-void.co.uk/#/menu 2

Seelenruhe zu erreichen und darüber hinaus die Energetik, wenn m an dieses Konstrukt nicht nur als naturphilosophische, sondern als immaterielle Perzeption von Ström ungen und som it von originären Perspektiven und Raum vorstellungen auffasst, enthalten. Die Narration aus der Ich-Perspektive wird in Enter the Void derart ausgereift ein ge - setzt, d ass sogar d er L id sch lag in tegriert w u rd e. D ie K am erap ersp ek tiven , d ie ein e Im m ersion in p rogressivem A u sm aß zu lassen , gek op p elt m it D arstellu n gen von Energien in unterschiedlichen Ausprägungen tragen zu einer völlig neuen Kognition des Raum es bei. Das Thema Tod gewinnt im Anfangsteil auch durch den Lidschlag einen präsenten Charakter. Die Nicht-Wahrnehm ung und somit Dunkelheit für die Augenblicke des eingefügten L idsch lages verleihen den A ufnah m en einen düsteren C h arakter. D ie Atmosphäre antizipiert darauf folgende Geschehnisse, ein Mechanismus, der in Enter th e V o id öfter zum E insatz kom m t, sich jedoch auch augen blicklich ins G egen teil verkehren kann. Rituale, ob es sich um Drogenkonsumenten, deren Beschaffungsmaßnahmen, die Einnahm e, orts- oder raum gebundene Prozedere, die Visualisierung des Tibetanischen Totenbuches u n d w e ite r e A u s fo r m u n g e n h a n d e lt, g ilt e s z u e r fo r s c h e n . Die Auswahl geht auf ein durch die Studienjahre und private Recherchen geschärftes In teresse an in terd iszip lin ären B etrach tu n gsw eisen u n d d em d ad u rch erw eiterten Spektrum an Interpretationsspielräum en zurück. Diese Arbeit stellt den Versuch dar, Sichtweisen, die den Disziplinen der verglei- ch en den R eligion sw issen sch aften , der Soziologie, der A n thropologie un d der K un st- geschichte entstam m en, m it denen aus einer film w issenschaftlichen W arte aus betrachteten Aspekten wie der Analyse von Perspektive, Ort und Zeit anhand von Enter the Void von G aspar N oé in dem R ahm en und U m fang einer D iplom arbeit abzuhandeln . Animiert durch die Sicht von Marcus Stiglegger, Film in erster Linie als seduktives System zu betrachten4, w ird m it d ieser A rb eit d er V ersu ch u n tern om m en , au ch anh and dieser A uffassung T eile von Enter the Void zu analysieren und zu interpretie - ren .

4 V g l. S tig le g g e r , S . 3 3 3

Aus Gründen der vereinfachten Lesbarkeit wird auf die Gleichstellung der Geschlechter in der verwendeten Sprache verzichtet.

1.2. Forschungsfragen und Aufbau der Arbeit

Eine Unterteilung in Kapitel erschien sinnvoll, wenn auch eine eindeutige Trennung nicht möglich war. Die Überschriften der einzelnen Kapitel dienen daher eher einer groben Orientierung und sind als H inw eise auf ein Bem ühen, alle für die einzelnen Themen relevanten Aspekte zusammentragen zu wollen, zu verstehen. Es ließ sich jedoch nicht verm eiden, die Ü berthem en m iteinander zu verbinden.

Im ersten K ap itel „E in leitu n g“ folgt au f ein V orw ort die G lied eru n g der A rb eit un d die einhergehenden Forschungsfragen.

Das zweite Kapitel „Perspektiven“ beschäftigt sich mit der Analyse von Perspekti- ven. Im pliziert ist das Verständnis von Perspektive als Oberbegriff für den Blick und verschiedene visuelle Ausform ungen. M it Perspektive sind gleichfalls Einblicke und Sichtweisen in und von diversen Lebenswelten gem eint. Das seduktive Vermögen und jene neue Betrachtungsweise auf das Medium Film, die durch M arcus Stiglegger geprägt wurde, sollen auch einbezogen werden. Steht die Narration, konkrete Themen oder die Visualisierung bei Enter the Void im V o rd e r- grund? Das tib etisch e B u ch d er T o ten is t fü r d ie A n a ly se v e r s c h ie d e n e r A sp e k te v o n B e d e u tu n g und wird daher in den einzelnen Kapiteln neben den weiteren behandelten Them en Platz in der Interpretation finden. W ie können religiös motivierte Riten und ein Totenbuch, das seit dem achten Jahrhundert nach Christus tradiert wurde, visuali- siert w erd en un d ad äq u at in die heu tige Z eit tran sp ortiert w erd en ? E n tsteh en au ß er- gew öhnliche Erzählweisen verbunden m it heterogenen oder hom ogenen Perspekti- ven? Die Analyse in dem Kapitel „Perspektiven“ soll unter Einbeziehung der Theorie von Marcus Stiglegger zu den seduktiven Qualitäten aufzeigen, dass die visuelle Inszenie- 4 rung des B ew usstseins des P rotagonisten Oscar und w eniger eine lineare H andlung im V ordergrund steht.

Das dritte Kapitel „Religiöses“ widmet sich mit einem Fokus auf das tibetische Buch der Toten religiösen T h em en in R elation zu Enter the Void. Welche Stellung nimmt das tibetische Buch der Toten in Enter the Void e in ? Ein Unterkapitel befasst sich diesbezüglich vorwiegend mit dem Begriff „M edien- wechsel/ Transmedialität“. Hierbei gilt es zu klären, ob es sich bei Enter the Void u m eine A daption einer literarisch en V orlage han delt. W ie ist der U m gan g m it dem Ursprungstext, dem tibetischen Buch der Toten? Eine D istanzierung von norm ativen Ansätzen wird angestrebt. Demnach soll keine Wertung vorgenomm en werden, da jeder M edienw echsel seine V or- und N achteile nach sich zieht, w as unter anderem daran liegt, dass sich jedes M edium anderer Zeichensystem e bedient.

Im vierten K ap itel „R itu elles“ w erd en die versch ied en en A u sp rägu n gen von R itu alen im F ilm behandelt, w obei das Phasenm odell von A rnold van G ennep in seinem Werk „Les rites de passage“ als O rientierung dient.

Schließlich beschäftigt sich das fünfte Kapitel „R äum e und Nicht-Orte“ m it dem von Michel Foucault entwickelten Begriff der Heterotopie und der F ortführung durch Marc Augé mittels der Einführung des Begriffes Nicht-Orte. F olglich w ird ein e Anwendung der Begrifflichkeiten auf Enter the Void und eine gedankliche W eiterfüh - rung respektive Ü bertragung auf Ä quivalentes in der heutigen Z eit angestrebt. D aher wird als These angedacht, dass das Internet einen entsprechenden Ort, der ephemere und transitorische Qualitäten aufweist, darstellt.

Alternative Interpretationsmöglichkeiten von Enter the Void w erden im sechsten Kapitel „Existenzielles Grunderlebnis“ vorgestellt.

Das siebte Kapitel „Conclusio“ enthält die zusammenfassenden Schlussfolgerungen, das achte Kapitel „Bibliographie“ die zu Rate gezogenen Quellen und das neunte Kapitel „Anhang“ beschließt die Arbeit. 5

2. Perspektiven

2.1. Gaspar Noé: Einflüsse, Werke und zeitliche Einbettung

„S ie hängen sehr an diesem M otiv, das C laude C habrol die 'Versuchung durch die Erniedrigung' genannt hat, und das Sie die Erniedrigung durch die Liebe nennen.“5

Gaspar Noé wurde am 27. Dezember 1963 in Buenos Aires, Argentinien geboren6. Luis Felipe Noé7, der V ater von G aspar N oé, ist ein argentinischer bildender K ünst - ler und erlebte in den 1960er Jahren eine produktive Schaffensperiode nach einem Jah rzeh n t der A u sb ildu n g un d beru flich en O rien tieru n g. A ls M aler w u rd e er in den Jah ren 1950 b is 1952 von H oracio B u tler au sgeb ildet, stu d ierte von 1951 b is 1954 Rechtswissenschaften an der Universidad de Buenos Aires, arbeitete in den Jahren von 1955 bis 1961 für verschiedene argentinische T ageszeitungen als Journalist und sch rieb vorn eh m lich K u n stk ritik en 8. 1961 schloss sich L uis F elipe N oé der Künstlergruppe Nueva Figuración Argentina9 an. Den Zenit ihres gemeinsamen Wirkens stellte die Auszeichnung mit dem Guggenheim International Award im Jah r1964 dar. Daraufhin erh ielt L u is F elip e N o é ein Guggenheim Fellowship u n d zo g mit seiner Familie für zwei Jahre nach New York. In jen er Z eit der ku ltu rellen U m b rü ch e w u rd e G asp ar N oé geb oren , w u ch s in B u en os Aires, New York und Paris auf und wurde stark durch seinen Vater und dessen künstlerisches Um feld geprägt. Im Gegensatz zu seinem Vater hat Gaspar Noé keine offizielle H om epage, aus der Inform ationen über sein W irken oder seine Ausbildung hervorgehen.

5 Anmerkung des Verfassers: François Truffaut zu Alfred Hitchcock, in: Truffaut, François, M r. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht?, M ü n c h e n : Wilhelm Heyne Verlag 2005; (Orig. Le cinéma selon Hitchcock, 1966), S. 293 6 http://ww w .imdb.de/nam e/nm0637615/ Z u g r iff a m 0 7 .0 4 .2 0 1 2 7 A n m e r k u n g d e s V e r fa s s e r s : L .F . N o é tr ä g t d e n S p itz n a m e n „ Yuyo“, der auf D eutsch m it „U nkraut“ gleichzusetzen ist. 8 V g l. http://luisfelipenoe.com /bio-e.php Z u g r iff a m 5 .2 .2 0 1 3 9 V g l. http://luisfelipenoe.com /bio-e.php Z u g r iff a m 5 .2 .2 0 1 3 ; A n m e r k u n g d e s V e r fa s s e r s : D ie Künstlergruppe und ihr künstlerischer Ausdruck ist auch unter dem Namen Otra Figuración b e k a n n t. 6

Einem äußerst ausführlichen Blog10 über G aspar N oé ist zu entnehm en, dass er nicht nur die École nationale supérieure Louis-Lumière abgeschlossen hat, sondern im Anschluss noch an der Philosophischen Fakultät der Université Paris 1 Panthéon- Sorbonne K u r s e b e s u c h te .11

In film geschichtlicher H insicht zum aktuellen europäischen Independent K ino zäh lend, sind N oés Film e nicht nur von der ästhetisch en W arte aus betrachtet außer- ordentlich, sondern auch unter technischen Gesichtspunkten richtungsw eisend. D ie Bezeichnung Independent K ino w ar kein G enus der U nterscheidung, sondern verw ies in der initialen P hase auf die unabhängigen P roduktionsbedingungen der m arktfüh - ren d en groß en F ilm stu d ios in d en V erein igten S taaten von A m erik a. In d er F olge wurde diese Sicht- und Verfahrensweise zu einer international gängigen Filmherstel- lungsm ethode und der B egriff Independent als genuine Bezeichnung eines neuen Genre etabliert. Die charakterisierenden Produktionsbedingungen implizierten eine autarke Finanzierung der Filme und deren Vertrieb. Aus diesen Gründen änderten sich die Ausrichtung und Wertigkeit von internationalen Filmfestivals. Ein direkter Verkauf von Film rechten und die Ü bernahm e des Vertriebes wurde durch die Entsendung von M itarbeitern auf die Festivals erm öglicht, die nach ausführlichen Sichtungen en tsch ieden , w elche F ilm produktion en für den E inkauf geeign et w ären . A uf diese Weise wurde der Independent F ilm zu einem ku lturü bergreifen d en P h än om en , das einen B ruch m it tradition ellen, hauptsäch lich am erikan isch en , P roduktion sw eisen darstellte und eine Fortentwicklung der Bestrebungen des bereits in der Post- Moderne etablierten Autorenkinos hin zu einem Kino der Neuzeit. Ein universelles Grundmuster lässt sich durch die in der vergangenen Dekade immer populärer werdenden virtuellen Vertriebsmöglichkeiten durch das Internet erkennen. Zahllose Anbieter wie Netflix bieten einen O nlinevertrieb für F ilm e an und w erden durch Netzwerke wie Vimeo, b e i d e n e n in sb e so n d e re K ü n stle r u n d M u sik e r k o ste n - frei dem R ezipienten ihre W erke vorstellen können, ergänzt.

10 A n m e r k u n g d e s V e r fa s s e r s : Le Temps Détruit Tout w ir d v o n e in e m B lo g g e r n a m e n s F r e d e r ic geschrieben, der auf die schriftliche Anfrage über die Quellen seiner Inform ationen nicht antwortete, aber die Zitierun g seines Blogs zuließ. 11 http://ww w .letem psdetruittout.net/pages/Biography-4560799.html Z u g r iff a m 0 5 .0 3 .2 0 1 3 7

Die Werke von Gaspar Noé spiegeln diese Zeit der Umbrüche und besonders den internationalen A spekt der A ufgliederung einzelner Produktionsschritte w ider. Drehorte in Japan und Kanada, die Postproduktion in Frankreich, die internationale Finanzierung, eine Riege internationaler Schauspieler und schließlich die Um set- zun g durch einen argen tinisch en Regisseur, der sein L eben interkulturell m it H aupt- sitz in P aris fristet, sin d n u r ein ige E lem en te, d ie d iese E n tw ick lu n g ein d rü ck lich wiedergeben. Obwohl in Enter the Void zu k ein em Z eitp u n k t tech n isch e, v isu elle o d er in h altlich e Merkmale eines Dokumentarfilms zu erkennen sind und er auch diesem Genre nicht zugeh örig ist, besitzt der F ilm doch insofern dokum en tarisch en C h arakter als die Protagonisten, ihre Lebensführung und alle Orte der Handlung von Enter the Void den Zeitgeist präzise abbilden.

Weiterhin stellt Enter the Void eine ästhetische E rfahrung dar, die außergew öhnlich ist und die M aßstäbe dessen, w as bis dato als ästhetisch interpretiert w urde, infrage stellt u n d folglich erw eitert. D ie F arb en in N oés F ilm en , S zen en ü b ergän ge d u rch lichtinduzierende G egenstände, unsichtbare Schnitte, die V erw endung neuester Filmtechnik sowie die interessante Schauspielführung, oftmals lediglich skizzenhafte Regieanweisungen, welche auf Grund der daraus entstehenden Spontaneität eine realitätsn äh ere Szen erie sch affen , sin d hier beisp ielh aft zu nen n en . Zusamm enfassend lässt sich sagen, dass Gaspar Noé in seinen Filmen den Zeitgeist besonders eindrücklich reflektiert, im Besonderen durch das Elem ent des Exzesses und die expliziten Gewaltdarstellungen. In der heutigen Gesellschaft lässt sich ein Hang zum Extremen erkennen. Grenzenlosigkeit wird angestrebt und wie im Film Irréversible d u rc h d e n C lu b Rectum rep räsen tiert, kön n te m an V ergleich e zu m ak tu el- len N achtleben in C lubs w ie beispielsw eise dem Berghain in B erlin und der hedonis- tischen P räm isse der T eilnehm er ziehen. Zugleich werden Einblicke in Gegenkulturen und deren jeweiliges Milieu gewährt. Das Dargestellte verweilt auf der Ebene des Zeitgenössischen. Es gibt keine zeitli- ch en Sprün ge in vergan gen e Z eiten un d es han delt sich nich t um die D arstellun g von historischen Begebenheiten. 8

Das Kostümdesign der Darsteller ist der jeweils aktuellen Mode der Herstellungs- jahre der F ilm e nachem pfunden und für die jew eilige A rbeitstätigkeit und L ebenssi- tuation, die nachgebildet w erden soll, angem essen.

Die expliziten Darstellungen von Gewalt erlebten Mitte der 1960er und der gesamten 1970er Jahre als visuelle A usw irkungen eine im m ense Steigerung durch eine neue Bildsprache und eine thematische Verarbeitung. Morde an Politikern und die Steige- ru n g d er K rim in alitätsraten in d en S täd ten h atten gleich falls ein en groß en E in flu ss auf in dieser Z eit produzierte F ilm e12 und prägten eine ganze Stilrichtung von Filmen wie Straw Dogs, Easy Rider, Taxi Driver o d e r Five Easy Pieces. Das Element der Zeit spielt in allen Filmen von Noé eine wichtige Rolle. In Carne werden Inserts – auf akustischer Ebene begleitet durch aufrüttelnde Tongestaltung – mit den voranschreitenden Jahren in die Geschichte zwischengefügt. In Irréversible w ied eru m w ird d ie N arration d u rch d as S tilm ittel ein er U m k eh ru n g der Zeitfolge bereichert. Zugleich wird durch die anachronische Narration determiniert, dass die zu Beginn des Filmes gezeigten Handlungen abgeschlossen sind und die nachfolgenden Ereig- nisse nichts mehr an der Entwicklung sow ie dem Ende ändern können; analog zur sem an tisch en B ed eu tu n g d es T erm in u s Irréversible wird in jedem Teilstück die Eigenschaft der Unwiderruflichkeit der Situation betont, wodurch bei dem Rezipien- ten ein G efühl der H ilflosigkeit sow ie der H andlungsunfähigkeit erw ächst. So werden zuerst alle explizit aggressiven Passagen gezeigt, dann wird das Publikum aus dem F ilm m it schönen B ildern – die einem H appy E n d gleich en m it der auf einer W iese liegen den glücklichen Alex, gespielt von Monica Bellucci, beinahe en tlassen . D araufhin w ird der Zusch auer w ieder aus der H arm on ie gerissen ; und die letzten Im pressionen, die er aus dem F ilm m itnehm en soll, gleichen einem flim - mernden Stroboskopgewitter. Als finales Statement wird daraufhin „le tem p s d étru it to u t“ eingeblendet. D iesem zur Seite wäre das Ende von Enter the Void zu stellen , w o n a ch d er R ein k arn atio n v o n Oscar in F orm der G eburt eines N eugeborenen – auch ein verm eintlich zu bejahen - des Ereignis – der Film m it der Einblendung von The Void endet. V erm eintlich

12 V g l. B o u z e r e a u , L a u r e n t, Ultraviolent Movies. F rom S a m P eck in p a h to Q u en tin T a ra n tin o, N ew Y ork : Carol Publishing Group 1996 9 deshalb, da von der W arte des tib etisch en B u ch es d er T o ten aus betrach tet die R einkar - nation als nicht erstrebenswert betrachtet wird. Ohne die Kenntnis dessen geht der Rezipient daher auch bei Enter the Void von einem A usgan g des Film es m it H appy En d aus. Bis auf Enter the Void sind die drei an deren F ilm e von N oé narrativ m iteinan der verw oben. Carne stellt als K urzfilm die V orgesch ich te zu Seul contre tous d a r u n d d a s scheinbar offene E nde von Seul contre tous und w as im A nschluss geschieht, w ird in der einleitenden Sequenz in Irréversible erläutert. In Enter the Void findet m an zahlreiche E lem ente oder T hem en, die in den drei vorausgehenden Film en bereits abgehandelt wurden und ihn zu einer Art Erw eite- ru n g u n d S yn th ese jen er F ilm e w erd en lassen . P h ilipp e N ah on in d er F igu r The Butcher spricht beispielsw eise von der L eere (Void), d ie ein erseits d as L eben d arstellt und die man andererseits mit dem Tod erreicht. Die bewegte, sozusagen fliegende Kamera in Irréversible wird in Enter the Void nur geringfügig modifiziert und aufgrund der techn ischen E n tw icklung zw isch en den beiden P roduktion en opti- miert. Die Figur des Markus in Irréversible erfüllt ähnliche Stereotypen w ie die Figur von Oscar in Enter the Void. D eren V erständnis von V ergnügen und A usgehen lässt sich auf zw ei K om ponenten reduzieren: D rogen w erden konsum iert und daraufhin sexuelle Kontakte angestrebt. Irréversible hebt sich durch den B ekanntheitsgrad des Schauspielerehepaares M onica Bellucci und Vincent Cassel, den diese bereits vor Veröffentlichung des Filmes genossen, von den anderen Filmen ab. In Enter the Void h ingegen w ar k einer der Schauspieler vor dem Film für eine gebotene schauspielerische Leistung oder eine nur mit ihm assoziierte Rolle bekannt. Die Figur des Alex13 w urde sogar m it einem sch au sp ielerisch en L aien besetzt.

Auch die aktuellen Filme Noés reihen sich inhaltlich und stilistisch einheitlich in das Gesam twerk ein. Die wiederkehrenden Them en stellen einen Bezug zu vorange- gangenen W erken dar und rufen diese in Erinnerung.

13 A n m e r k u n g d e s V e r fa s s e r s : N ic h t z u v e r w e c h s e ln m it d e r s o e b e n g e n a n n te n fe m in in e n F ig u r Alex aus Irréversible 10

In d em M u sik vid eo Love in Motion14 vo n SebastiAn, d ass G a sp ar N o é im Jah r 2 0 1 2 gefilm t hat, sind zahlreiche Stilm ittel seiner Arbeit vertreten. In dem einleitenden Teil komm t die pausenlos rotierende Kamerabewegung zum Einsatz, die bereits in Irréversible u n d Enter the Void auch hier das G efühl von einem V ertigo bei dem R ezi- pienten auslöst. Zuletzt Regie geführt hat Noé bei dem Segment von dem Episodenfilm 7 Days in Havana mit dem Titel Ritual:

„Yamilslaidi, an attractive African-Cuban schoolgirl is forced by her parents to go into a cleaning ritual. They are determined to get their daughter rid of the 'cu rse' she has been put on: loving girls.“15

Der Pitch, im F ach jarg o n au ch u n ter d em B eg riff Log Line bekan n t, un terstreich t nicht nur, dass Rituale in den Filmen von Gaspar Noé eine kontinuierlich verwen- dete Kom ponente darstellen, sondern zeigt auch einen Fokus auf sexuell konnotierte Rituale auf. Freiwilliger oder forcierter Geschlechtsverkehr, Fetischismus in all sein en V arian ten u n d m öglich e F olgen w ie d ie In fek tion m it G esch lech tsk ran k h ei- ten sind in jedem F ilm von N oé T eil der H andlung. D er T itel Ritual an tizipiert bereits, dass die dargestellten Rituale nicht mit dem Geschehen verwoben werden, son d ern allein d ie D ram atu rgie von d em S egm en t gestalten . N ich t m in d er w ird gleichzeitig sem iotisch bekräftigt, dass R ituale nicht nur die K onstruktion der Narration unterstützend eingesetzt werden, sondern eigenständige wiederkehrende Themen in den Filmen von Noé sind. Gleichermaßen werden religiöse Praktiken und Tabus zum Ausdruck gebracht. Der Plot ist zweigeteilt und darauf ausgerichtet die Rituale zu visualisieren und mittels der Komposition zu kontrastieren. Im ersten Teil wird Yamilslaidi, d ie P ro t- agon istin von Ritual, mit Freunden bei nächtlichen Tanzritualen in den Straßen von Havanna gezeigt. Musik ertönt aus einem mobilen Radiorekorder. Die anfangs gezeigten Tanzpaare der sich ausgelassen am üsierenden G ruppe sind heterosexuell gem ischt. D ie Tanzbew egungen sind sexuell konnotiert und die Gruppe besteht aus Minderjährigen. Eines der Mädchen nähert sich Yamilslaidi und sie beginnen sich zagh aft zu küssen . A m kom m en den M orgen w erden beide sch lafend halb nackt in

14 Http://vimeo.com/39164426 Z u g r iff a m 2 2 .1 2 .2 0 1 2 15 http://ww w .7daysinhavana.com /the-movie-gaspar-noe/#!prettyPhoto : Z u g riff 5 .2 .2 0 1 3 11 dem Bett von Yamilslaidi gezeigt. Ein harter Schnitt folgt und ein Closeup zeig t d ie en tsetzten G esich ter ihrer E ltern , die inzw isch en im Z im m er sind. W iederum ein harter Schnitt und Yamilslaidi wird in einer dunklen Um gebung von einer Fackel beleuchtet und unter bösen aggressiven Blicken herum stehender Erwachsener gezeigt, wie sie verschiedene Rituale über sich ergehen lassen m uss. K räuter und Pflanzen werden vor ihrem Körper geschwenkt. Im Anschluss wird ihre Kleidung zersch n itten un d „der Sch am an e“ w äsch t sie in einem Fluss. Sechzig Prozent der kubanischen Bevölkerung sind nach Auffassung des Heiligen Stuhles heutzutage katholisch.16 Im K atholizism us gibt es das T abu der gleich ge- sch lech tlich en L ieb e. In K u b a w ird zu d em die San tería, ein e afroam erik an isch e R eli- gion, ausgeübt. W ahrsagerei und M agie zählen zu üblichen Praktiken in der Ausübung der Santería. Im Katechismus der katholischen Kirche werden derartige Handlungen als Verstoß gegen die Gottesverehrung gewertet.17

Eine außergewöhnliche Gestaltung von Vor- und Abspann ist ein weiteres Charakte- ristik u m , dass in allen F ilm en von N oé zu fin d en ist. So wird im Anschluss an den Vorspann, in den auch der Titel Enter the Void ein g e- bunden ist, nach einer kurzen audiovisuellen Unterbrechung (das Bild ist schw arz und ohne Ton) das W ort Enter eingeblendet. W ie b ereits erw äh n t, en d et d er F ilm dann mit der Einblendung der W orte th e Void. D u rc h g ä n g ig w ird in d ie se m W e rk die M etaebene der Inserts ausgespart. Transportiert auf eine semantische Ebene wird den vereinzelt vertretenen Worten, die allesam t an Hauswänden in Form von Leuchtreklam en angebracht sind, eine hohe Bedeutung zuteil. So beginnt der Film auf dem Balkon des Protagonisten; auf der gegenüberliegenden Hauswand blinkt eine Leuchtreklame mit dem Wort Enter. D ie B ar, in d er Oscar ersch ossen w ird, heißt The Void; seine Schw ester Linda arbeitet als Stripperin in einem L okal m it dem N am en Sex, Money, Power und das G ebäude in der M aquette des japanischen M itbewohners von Alex, das später im F ilm parallel real existiert,

16 http://ww w .faz.net/aktuell/politik/ausland/benedikt-xvi-in-havanna-der-papst-und-die-legitimen- hoffnungen-der-kubaner-11698284.html 17 V g l. http://ww w .vatican.va/archive/DEU 0035/__P7L.HT M 12 heißt . A ll diese W orte sind Schlüsselw orte, sprechende N am en oder C odes für die In terpretation des F ilm es. Die in Bezug auf andere Filme Noés thematisierte Metaebene der Zwischentitel en thält auf inh altlich er E ben e direkte R eferen zpun kte zu dem fran zösisch en K ino der Nouvelle Vague, p rim ä r z u d e n W e rk e n d e r z w e ite n H ä lfte d e r 1 9 6 0 e r Ja h re v o n Jean -L u c G od ard . Dessen Film Week End en dete m it ein er Sch lusstafel, auf der „ fin d u cin ém a " zu lesen war. Der Versuch das Ende des Kinos zu bestimm en, damit eine neue Ära einzulei- ten , gleich w oh l den R ezipien ten verstört un d allein e w ieder in die R ealität zu en tlas - sen , b ein h altete b ereits d ie A b sich t, d ie von N oé m it d er E in b len d u n g von „ The Void“ verfolgt wird. Die Leere, das Nichts stellt unabhängig von der Verwendung in Form von Schrift eine M eta-eben e dar. R einkarn ation bedeutet etw as V orläufiges, es beinh altet eine Auffassung einer in Zyklen verlaufenden Existenz. Die Rahmung des Filmes durch eine Zergliederung des Titels scheint die Kernaus- sage des F ilm es zu unterm auern: D ie L eere ist jener O rt, an dem alles zeitlos geschieht. W ie bei einem Perpetuum m obile geht es auch hier um das im m er W ieder- kehrende, Zyklische. Kurz vor dem Ende des Filmes wird das Kind von Linda g e b o - ren , in d em Oscar reinkarniert ist. D ie R einkarnation bedeutet den Erhalt einer physischen neuen Hülle. Diese stellt eine Leere dar, die beseelt wird. Die Beseelung ist die F üllung des N ichts. In dem M om ent der R einkarnation 18 en tsteh t d u rch d ie Beseelung des Fleisches eine Z urücksetzun g des K örpers in dessen U rsprun gszu - stan d . D urch die W iedergeburt treten w ir in eine neues Stadium der E xistenz ein. Das Neugeborene verkörpert die Personifizierung der Leere. Folglich würde der Kreislauf von nun an aberm als b e g in n e n u n d g e r a d e a n d ie s e r S te lle e n d e t d e r F ilm . Weniger durch den Hintergrund des Religiösen geprägt sind die Abläufe in 2001: A Space Odyssey a u f ä h n lic h e W e is e a n g e o r d n e t u n d in h a ltlic h g e s ta lte t. Wie man unter anderem auch der Pressemitteilung auf der offiziellen Homepage en tneh m en kan n 19, h atte S tan ley K u b rick s 2001: A Space O dyssey durchgängig großen Einfluss auf Noés Schaffen und im Besonderen auf Enter the Void.

18 E r in n e r t s e i h ie r a n d ie B e d e u tu n g im L a te in is c h e n : W ie d e r fle is c h w e r d u n g (re- w ied er; in c a rn a tio n - F le isc h w e rd u n g ); http://de.pons.eu/dict/search/results/? q= reinkarnation& l= dela& in= & lf= de 19 V g l. http://ww w .enter-the-void.co.uk/press/EN T ER_TH E_VO ID-Production_N otes.pdf, S .6 13

Der Monolith bestimmt in Kubricks Film das Geschehen. Nichts hat stärkere Auswirkungen auf die Menschheit und bringt unkontrollierbarer Katastrophen mit sich . E in e M etap h er fü r ein göttlich es W esen ist d arau s ab zu leiten u n d w eck t d ie Erinnerung an den Beinamen Herr der Gezeiten. Die geschilderten Eigenschaften lassen es ebenso zu, den Kreis zu Enter the Void mittels einer anderen Zuordnung zu schließen: Der Monolith steht für die Zeit. Wenn die Leere der Ort in Enter the Void ist, in d em alles zeitlos gesch ieh t, d an n haftet dem M onolith im übertragenen Sinne die Eigenschaften der Leere an. An dieser Stelle lässt sich auch als Erweiterung des Spektrum s der Interpretationsansatz Perspektive als Zeit hinzufügen. Das Umherfliegen des Geistes von Oscar od er au ch d ie gan ze M in u te, in d er ein e sch w arze L ein w an d u n d d am it ein e P ersp ek tive in s D u n k el geb oten w ird , sin d Exempli, wie Perspektive durch ein Zeitliches eine narrative Komponente gewinnt. In diesen M om en ten gesch ieh t nich ts an d eres als bei dem F ilm en in der T otale ein es Baum es im Herbst, wobei durch die um fassende Perspektive erreicht wird, das Fallen der Blätter beobachten zu können. Diese Ereignisse, die nacheinander passie- ren , erm ö g lich en nicht nur die Feststellung, dass Zeit vergangen ist, sondern teilen essen tielle In form ation en w ie den O rt oder die Jah reszeit m it. Die durchgehende Verwendung der Ich-Perspektive in Lady in the Lake, einer verfilm ten Novelle von Raym ond Chandler, inspirierte Noé dazu, jene ebenso konse- quent in Enter the Void zu verw enden. D ie F igur des Philip Marlowe, in terp retiert durch Robert M ontgom ery, der auch selbst Regie geführt hat, klärt, wie der Titel verm uten lässt, als Privatdetektiv einen M ord an einer Frau auf. Am Anfang des Filmes wird Philip Marlowe a u f k o n v e n tio n e lle W e is e g e film t u n d s p r ic h t e in e E in le i- tung zu dem F ilm . Im A nschluss findet ein W echsel zu der Ich- P erspektive statt, die den Rest des Filmes beibehalten wird. Für den visualisierten Trip von Oscar d ien ten als In sp iratio n sq u elle fü r d ie U m set- zun g V ideos von dem Experim en talfilm er Jordan Belson , w ie Samadhi a u s d e m Ja h r 1967 oder auch Bardo, e in n e u e r e s W e r k a u s d e m J a h r 2 0 0 1 . D ie v e r w e n d e te n F a rb e n und die organischen Form en sind derart ähnlich, dass es den Anschein macht, es handele sich um eine Kopie. Diese eindeutige Referenz ist genauso wie bestimm te Übereinstimmungen zu dem Aufbau von 2001: A Space O dyssey als A usdruck einer 14

Hommage zu werten. In Interviews spricht Gaspar Noé offen über den Willen deren Videos nachzuahmen und nennt sowohl Jordan Belson als auch die Witney Brothers:

„T he best of those were m ade by Jordan Belson and the W itney Brothers: they were the experim en tal directors in the 1960s w ho also inspired the last scenes in S tan ley Kubrick’s 2001: A Space Odyssey. I took all their visuals, plus paintings and photo - graphs, to the com pany w ho produced E n ter the V oid a n d sa id: ca n you crea te som e- th in g th a t lo o k s lik e th is? “ 20

2.2. D er Rezipient

„Die Kamera nimmt das Auge mit“ (Balázs), sie „zwingt“ (Arnheim) den Zuschauer in ein e u n w illk ü rlich e Id en tifik a tio n m it d em G ez eig ten .“ 21

Noé multipliziert die Gedanken von Balázs und Arnheim. Die Kamera versucht nicht, die Blicke der Zuschauer zu verführen, hingegen simuliert sie den eigenen Blick des einzelnen Zuschauers. Die Grenzen verschwimmen, und die technisch ausgefeilte Darstellungsweise, jede fünfundzw anzigstel Sekunde w ird ein schw arzes Fotogram m eingefügt, um das naturgetreue Detail des Lidschlages zu imitieren, geht über eine im Sinne Balázs gem einte Inszenierung hinaus und führt zu einer völligen Im m ersion des Zuschauers mit dem Gezeigten. Arnheims Gedanke hingegen wird Noés Konzept annähernd gerecht. Id en tifik ation – vor allem m it Oscar, d e sse n L e b e n sstil, d e sse n U m fe ld u n d le tz tlic h sein em Sch eitern – sch ein t gew ü n sch t zu sein . Unwillkürlichkeit oder die ständige Konfrontation mit Ungewolltem sind paradoxal wirkende, jedoch sehr effiziente Verführungstechniken. Wie Marcus Stiglegger kurz erwähnt, befasste sich Siegfried Kracauer mit dem Versuch einer Wirkungsanalyse.22

20 V illie r s , J u s tin , Exclusive Interview, http://ww w .prospectmagazine.co.uk/magazine/exclusive- in te rv ie w -g a sp a r-n o e / 21 S tig le g g e r S .1 3 22 V g l. S tig le g g e r S .1 3 15

Sicherlich wäre es interessant, etwas Derartiges auf die Filme von Noé anzuw enden. Welcher Zuschauer geht in ein Kino oder zu einem Festival, um diesen Film zu sehen und verweilt für die D auer des Film es im Vorführungsraum ohne wegzugehen? Welcher Rezipient akzeptiert das Gesehene, unternimmt den Versuch sich auf die Im m ersion ein zu lassen od er setzt sich m it d er P rovok ation au sein an d er, d ass während der Filmschau im Grunde genomm en ein schizophrenes Gefühl durch die zeitgleiche Iden tifikation m it Oscar im K ino oder dem jew eiligen V orführungsraum geteilt wird. Bei Filmfestivals, unter anderem in Cannes, haben Zuschauer imm er wieder den Kinosaal verlassen und somit ihre Ablehnung gegenüber dem Gezeigten und der aufgezw un genen R ollenzuw eisung m an ifestiert. D ie sonderbare R elation zw isch en dem Regisseur Gaspar Noé und dem jeweiligen Rezipienten exem plifiziert die expli- zite T hem atisierun g eines solchen U m standes m it einem Zw isch en titel in Seul contre to u s, d er mit einem w arnenden, dreißigsekündigen C ountdow n die M öglichkeit bietet, den Raum zu verlassen oder sich mental auf das Kom m ende vorzubereiten. Daniel Arijon beschreibt den Kinobesucher wie folgt: „Der Kinobesucher von heute empfindet eine intuitive Abneigung gegen abstrakte und abstruse Form en filmischen Erzählens. Er wünscht sich eine Darstellung von Wirklichkeit – sei es äußere, innere oder phantasierte – , die nicht mit Vieldeutigkei- ten, V erfrem dungen und unentschlüsselbaren Sym bolen überladen ist.“ 23 Sicherlich muss erwähnt werden, dass Arijon diese Aussagen über den Kinobesucher Mitte der 1970er getroffen hat und die Aussagen daher als überholt angesehen werden könnten. Die Nachkriegszeit brachte eine internationale Erneuerung in der Filmsprache und der Produktion zuerst in europäischen Ländern und dann auch in Nordamerika mit sich.24 M itte der 1970er Jahre waren daher alle ausgefallenen Erzählformen bekannt.

23 A r ijo n , D a n ie l, Grammatik der Filmsprache. Das Handbuch, F r a n k fu r t a .M .: Z w e ita u s e n d e in s 2 0 0 3 , S . 12f. 24 A n m e r k u n g d e s V e r fa s s e r s : I n je d e m J a h r z e h n t d e r N a c h k r ie g s z e it is t e in e w ic h tig e B e w e g u n g hervorzuheben. Beginnend in den 1940er Jahren mit dem ita lien isch en N eo rea lism u s, g e fo lg t v o n d e r Nouvelle Vague in d e n 1 9 5 0 e r J a h r e n in F r a n k r e ic h , e n ts ta n d in D e u ts c h la n d in d e n 1 9 6 0 e r J a h r e n d e r Neue Deutsche Film u n d a m E n d e d e s J a h r z e h n ts in N o r d a m e r ik a New Hollywood. 16

Dadurch wird deutlich, dass die Charakterisierungen von Arijon nicht veraltet sind, son d ern d en K in ob esu ch er von Mainstream Filmen und nicht von Independent Filmen beschreiben.

Enter the Void, g e le se n a ls A u sd ru c k sm e d iu m d e r G e d a n k e n w e lt u n d d e r A u ssa g e n von N oé in der Tradition der politique des auteurs, b e in h a lte t a u f d e n a b g e h a n d e lte n Ebenen in verschiedentlich ausgeprägter Intensität und modifizierter Form grenz- überschreitende Konfrontationen mit dem Aspekt der M acht. Damit ist gemeint, dass ein Zuschauer, der sich aus freien Stücken dazu entschieden hat, sich dieses W erk anzuschauen, ad hoc nur zwei M öglichkeiten der Abw ehr besitzt: Seinen Blick durch das Schließen seiner Augen zu verwehren oder den Vorführungsraum zu verlassen. Andernfalls läuft er Gefahr, sich in einer devoten Position wiederzufinden und während der Vorführung zu akzeptieren, seinen Blick allem und in der von dem Regisseur gewollten Intensität und Wiederholungsfrequenz aus dessen dominanter Perspektive auszusetzen. Die Passivität und zugleich devote Position und für die Dauer des Filmes die Rolle des Rezipienten stellt gleicherm aßen ein wichtiges Them a des Filmes dar. Oscar ist eine völlig orientierun gslose Figur un d such t A blen kun g von der R ealität durch den ständigen K onsum von D rogen und das hauptsächlich dadurch erm öglichte E rleben von Parallelwelten. Hierbei handelt es sich um ein Phänomen, das vornehmlich seit der Einführung des Fernsehens und der diversen Medien, die in der Zwischenzeit etabliert wurden und heutzutage zur Verfügung stehen, zu beobachten war. Videogam es haben jedoch wie kein anderes M edium das Bedürfnis nach Parallelwelten zu einer Lebensform ange- hoben, die den Aufenthaltsort und das Verhalten ganzer Generationen von Kindern, Jugendlichen und inzw ischen auch E rw achsenen, der G am er der ersten Stunde, transform iert und von draußen in geschlossene R äum e verlagert hat. D er Spieler von Videogames spielt zwar aktiv, doch ist hier mit der Bewertung als Ausdruck von Passivität die Gegenüberstellung von Erleben in der Realität oder in der Virtualität gem eint. In der N atur, draußen Tennis zu spielen oder vor einem Fernsehgerät die Grundschlagarten des Tennisspiels in der Luft während des Spiels mit einer 17

Nintendo Wii zu sim ulieren, ist nicht gleichzusetzen. D er A ntrieb den W ohnraum zu verlassen, um einer A ktivität nachzugehen, ist bei dem G roßteil der Videogam er red u ziert od er völlig verloren gegan gen . Das Abdriften in virtuelle Welten kann in gleicher Weise auf Aktivitäten in sozialen Netzwerken, wo das Verhalten nach dem gleichen Prinzip gestaltet ist, übertragen werden. Die User verfolgen das Leben anderer virtuell, obwohl sie im wirklichen Leben vielleicht keinerlei Kontakt mit den beobachteten Personen pflegen. Ein weiteres Beispiel ist das teilweise stundenlange chatten mit befreundeten Kontakten, statt sich in ein em öffen tlich en od er privaten R au m m it diesen P erson en zu treffen . Auf die Spitze getrieben ist dieses Phänomen in dem in studentischen Kreisen inzwi- schen üblichen H abitus zu erkennen, m it dem eigenen M itbew ohner, der sich im Nebenzimmer befindet, über soziale Netzwerke, Nachrichtendienste oder sogar das Mobiltelefon zu kommunizieren. Die sprachliche Verarmung, die durch dabei haupt- säch lich gen u tzte A b k ü rzu n gen en tstan d en ist, soll an d ieser S telle n ich t w eiter analysiert oder them atisiert werden. Passivität, Kontaktarmut und Realitätsferne sind som it zu einer Einstellung gewor- den. Das Ziel vieler Rezipienten von Enter the Void, d ie je n e m so e b e n b e sc h rie b e n e n Profil entsprechen, und des Protagonisten Oscar is t d e c k u n g s g le ic h : D a s E r le b e n v o n (L eb en s-) Z eit in v irtu ellen W elten . D er W eg d o rth in ist jed o ch ein an d erer. Bemerkenswert ist auch der Einsatz der Ich-Perspektive von Enter the Void. D ie Faszination jedes Videogames wird durch die Identifikation des Spielers mit seinem virtuellen Alter Ego im m ens gesteigert. D ie Rezeption von Enter the Void erinn ert durch diese Elem ente sehr an die M öglichkeiten der Navigation in Videogam es. Bei der Übertragung der Eigenschaften eines virtuellen Spiels auf das M edium Film stel- len die frem de Steuerung durch den R egisseur G aspar N oé, die U nm öglichkeit sein Alter Ego zu lenken oder in das Geschehen einzugreifen, die Differenz dar. Wiederum macht diese Voraussetzung den Rezipienten noch passiver, da das Partizi- pative wegfällt, ist gleichzeitig aber eine allseits bekannte Grundvoraussetzung für das Erleben eines Films. 18

2.3. D er Künstler als Schöpfer

Wenn der Mensch spielt, als Kind mit Spielzeugen und als Erwachsener eventuell mit den Künsten, dann schafft er nicht nur Spielarten, sondern Welten und diese Welten sind weitere Ebenen von Wirklichkeiten. Ergo sind auch Menschen Schöpfer des Lebens, indem sie dem Gegenständlichen, dem M ateriellen das Leben einhau- ch en . D ies stellt nichts an deres dar, als den V ersuch G ott zu spielen. Im M ed iu m F ilm gib t es ein en Sch öp fer ein er eigen en W elt, in diesem F alle G a sp a r Noé. E r besitzt durch die verw en dete P erspektive die M ach t, seine G esch ich te so lenken zu können, w ie er m öchte. D en Protagonisten hat er m it einer göttlichen Aufsicht ausgestattet und lässt ihn vor seiner Reinkarnation am Ende des Filmes25 in verschiedene Personen hineinfliegen. Folglich hat der Protagonist Oscar nicht nur den Ü berblick über alles, ist allw issen d und om nipräsent, er kann sogar auch in jeden M enschen ohne dessen W issen eindringen . Der Geist von Oscar, der im m erfort h erum fliegt, repräsen tiert die Gesamtheit der Gedanken mit dem Stilmittel des allwissenden Erzählers. Vor allem die Perspektive erinnert sehr stark an das Gemälde Cristo de San Juan de la Cruz des spanischen M alers Salvador D alí von 1951, das in Kelvingrove Art Gallery and M useum in S c h o ttla n d 26 a u s g e s te llt w ir d . Wer kann auf Christus am Kreuz herabblicken? Im Grunde nur die Trinität. Dalí hat Christus aus dieser Sicht gemalt und provozierte auf diese Weise eine Gleichsetzung sein er selbst, des K ü n stlers D alí, m it der T rin ität. U n ab h än gig von dem fü r m an ch e Betrachter blasphemisch wirkenden Anteil dieser Aussage, geht es um den bereits th em atisierten G esich tsp u n k t, ein en K ü n stler als S ch ö p fer zu b etrach ten . Eine Antithese zu diesen Überlegungen stellt der Aufsatz „Der Tod des Autors“27 v o n Roland Barthes dar. Die Autor-Instanz und ihre Bedeutung wird darin hinterfragt mit dem Ergebnis, dass die Intention eines Autors völlig bedeutungslos und die Rele- vanz im Text im m anent sei und von dem Rezipienten erkannt werden könne. D ie Id ee des K ü n stlers als Sch öp fer w ird som it von B arth es n egiert. In n erh alb der L ite-

25 A n m e r k u n g d e s V e r fa s s e r s : H ie r b e i h a n d e lt e s s ic h u m e in e v o n m e h r e r e n Interpretationsm öglichkeiten von dem E nde 26 V g l. http://ww w .glasgowlife.org.uk/museum s/collections-research/online-collections- navigator/Pages/hom e.aspx 27 V g l. Barthes, Roland, „Der Tod des Autors“, Texte zur Theorie der Autorschaft, H g . F o tis Jan n id is, Stuttgart: Reclam 2000, S.185-193 19 ratu rw issen sch aft en tstan d d u rch jen en A u fsatz ein e D isk u ssion mit zahlreichen Beiträgen. In den 1990er Jahren entwickelte sich eine literaturtheoretische Gegenbe- wegung. „Die Rückkehr des Autors“28 nannte sich der Sam m elband, der die deutschsprachigen Beiträge zusamm enfasste. Hier wird die zyklische Wiederkehr von Bewegungen, Denkmodellen und Theorien in der Kulturwissenschaft deutlich.

2.4. Visuelle G estaltungsform en und Figuren

„Der gesamte Film ist aus der radikal subjektiven Perspektive der Hauptfigur gedreht. Während er lebt, sieht man mit seinen Augen, nach seinem Tod sieht man die Hand- lu n g a u s d er P ersp ek tiv e sein er S eele, d ie ü b er d en D in g en sch w eb t, u n d in d en R ü ck - blenden ist es, als w ürde m an hinter ihm her laufen.“(G aspar N oé)29

Der Einsatz von Weitwinkelobjektiven, Kamerakränen sowie die Unterbringung der Filmkamera an ungewöhnlichen Orten30 erzeugt nicht nur neue Perspektiven in Enter the Void, s o n d e r n s te llt e in e R e fle x io n ü b e r d a s M e d iu m F ilm d a r . In M etafilm en w ie Otto e mezzo, Le Mépris o d er in Mulholland Dr. w ird d er P ro zess der Filmherstellung und die Haltung gegenüber dem M edium Film them atisiert. In Enter the Void w ird d ies au f in d irek te W eise erreich t. E s w erd en Ü b erlegu n gen über die Kunst des Filmens und der Inszenierung angestellt, ohne einen Blick hinter die Kulissen zu erlauben, indem die M öglichkeiten des M edium s Film ausgereizt werden. Hierbei werden alle Bestandteile desselben, von der Filmkamera bis zu der physischen Bearbeitung des Filmm aterials, auf kreative, unkonventionelle W eise neu genutzt. D as M edium Film wird dadurch selbstreferenziell und regt wiederum die Rezipienten dazu an, über die Produktionsmodi von Enter the Void u n d ü ber d as Medium Film zu reflektieren. Die Differenz zu den „klassischen Metafilmen“ stellt

28 F o tis J a n n id is , G e r h a r d L a u e r , M a tía s M a r tín e z u n d S im o n e W in k o (H r s g .): Die Rückkehr des Autors. N ie m e y e r , T ü b in g e n 1 9 9 9 29 P e te r s , H a r a ld , Soll man ins Kino oder in Deckung gehen?, http://ww w .welt.de/kultur/article9218613/Soll-man-ins-Kino-oder-in-Deckung-gehen.html Z u g r iff a m 04.01.2013 30 I n d e r D o k u m e n ta tio n The Vice Guide To Film: Gaspar Noé w e r d e n in d e r P r o d u k tio n v o n Enter the Void g e z e ig te S c h a u p lä tz e a u fg e s u c h t u n d e r w ä h n t, d a s s d ie F ilm k a m e r a in S c h a c h td e c k e ln in d e n Straßen von Tokyo oder an dortigen Straßenlaternen angebracht wurde, um die gefilmten Perspektiven technisch zu realisieren: Vgl. http://ww w .vice.com /de/the-vice-guide-to-film/gaspar-noe- part-1-of-3--2 20 die W iderspiegelung der besagten Fragen dar, ohne diese explizit auf der narrativen und der visuellen Ebene zum Them a des Filmes zu machen. In Le Mépris wird dieser Denkanstoß auf konkrete Weise umgesetzt. Der Film beginnt in Cinnecittà. Hic et nunc wird der Rezipient m it der M etaebene der Film - produktion konfrontiert. Bereits während des Prologes wird ein kleines Filmteam während der Arbeit an einer Kamerafahrt gezeigt. Am Ende dieser Einstellung sch w en k t d ie K am era u n d rich tet sich au f d en R ezip ien ten im K in o. D ie ü b lich e Position des Rezipienten als Zuschauer oder je nach Thematik auch die eines Voyeurs wird verkehrt und somit suggeriert, dass der Rezipient nun im F o k u s d e s In teresses u n d zu m O b jek t d er B egierd e gew ord en ist. E in e an d ere In terp retation s- möglichkeit wäre, den Rezipienten als Involvierten zu betrachten und das Ausrichten der Kamera auf ihn als eine Andeutung zu verstehen, dass es sich bei dem beginnen- den Film um etwas handele, was den Rezipienten nicht nur betreffe, sondern von dem er auch ein Teil sei.

In der A n fan gsseq u en z kon su m iert Oscar z u m e r s te n M a l d ie D r o g e DM T31 u n d fü h r t dam it ein sich durch den ganzen Film ziehendes visuelles Gestaltungsm ittel ein: Die runden F orm en, gekoppelt an das G efühl eines anhaltenden und im m er w iederkeh - ren d en , ch ron isch an m u ten d en V ertigos. D as L eb en w ird w ied erh olt d u rch d as Kreisläufige dargestellt. Dieses kreisförmige Element findet sich in Asien in der Gestalt von Mandalas wieder, worauf an späterer Stelle genauer eingegangen wird. Von einem technischen Standpunkt aus betrachtet werden diese Gestaltungsformen durch den Einsatz von W eitwinkelobjektiven erm öglicht. Sie unterstützen den perspektivischen Übergang von der Realität in die Sim ulation. Die Kontinuität der gezeigten Räume wird durch das Einsetzen des unsichtbaren Schnittes und zahlreicher Ausform ungen des Überganges scheinbar nie gebrochen. Der Tod von Oscar stellt eine Z äsur bezüglich des R aum gefühls dar. D ie intendierte Wirkung scheint die Darstellung aller Schauplätze in einem abstrakten, zusammen- hängenden Raum zu sein.

31 A n m e r k u n g d e s V e r fa s s e r s : DM T is t d ie A b k ü r z u n g v o n N,N-Dimethyltryptamin und ist ein halluzinogenes Tryptam in - Alkaloid. Es lässt sich in allerlei Pflanzen, in Spuren in Säugetieren oder Menschen auffinden. Beispielsweise sind hier die Hautdrüsensekrete der Aga- Kröte zu nennen (Vgl. http://ww w .drogen.net/dm t.php ) Vgl. Barker S.A., Monti J.A., Christian S.T.: N, N-dimethyltryptamine: an endogenous . I n : International R eview of N eurobiology. 2 2 , 1 9 8 1 , S . 8 3 – 1 1 0 21

Béla Balázs schrieb zu dieser Art der Montage: „Wenn Schauplätze ineinander überblenden, so bekommen sie etwas Schwebendes, Geistiges, wie etw a Erinn erun gsbilder.“32

Eine ungebrochene Wahrnehm ung des Raum s als Einheit wird durch eine ständige Präsenz von kräftigen Farben unterstützt. In dem Zimm er von Oscar kan n es n ie dunkel sein. W enn alle Lichtquellen innerhalb der W ohnung ausgeschaltet sind, blinken die Leuchtreklam en, die direkt an der Hausfassade angebracht sind, weiter und die stark illuminierte Um gebung ergänzt diese Gegebenheit. Die Selektion und die Intensität der Farben in Enter the Void treten a u c h d u rc h ih re Wirkung und deren Platzierung in den Vordergrund. Die einzelnen Schauplätze betrachtend wird deutlich, dass es sich es sich im m er um die gleiche Farbpalette handelt. Ob es sich dabei um eine M aquette, ein Striptease-Etablissem ent oder ein Geschäft handelt ist irrelevant. Ein weiterer Aspekt der besonderen Mise-en-scène ist die L ichtsetzung. D ie Schau - plätze sind dunkel gestaltet und punktuelle Lichsetzungen mit Neonfarben erzeugen kontrastreiche Einstellungen. D ie m eisten Lichtquellen sind durch einen Einsatz mit ununterbrochenem Blinken gekennzeichnet. Der Rhythmus des Films wird dadurch unabhängig von der M ontage geprägt. Diesen Effekt verwendet Gaspar Noé in den m eisten seiner A rbeiten. D urch das ständige B linken verändert sich das Raumgefüge und einzelne Flächen bekomm en fließende Konturen. Gepaart mit der Kameraführung, die keine räumlichen Grenzen kennt, entsteht das Gefühl, dass es sich um einen großen R aum handelt. D ieser räum liche Z usam m enhang w ird auch auf das B eziehungsgefüge der darin durch die Mise-en-scène angeordneten F iguren übertragen. Sie alle gehören zusam m en, konstituieren einen Kosm os, wie sinnbild- lic h a m E n d e d e s F ilm s im Love Hotel a u fg e z e ig t w ir d . Die Site-sp ecific A rt w ird durch die O rtsgebundenheit und dam it einhergehende Einm aligkeit eines Kunstwerkes charakterisiert. Die Tanzbar des Striptease-Etablissement Sex Money Power erinn ert unter anderem in der G estaltung ihrer F arben an die Installation von Jam es T urrel The Wolfsburg Project33 im K unstm useum W olfsburg Jahr 2009 und geh t über das üblicherw eise

32 B a lá z s , S . 6 2 33 http://ww w .kunstmuseum -wolfsburg.de/exhibition/110/Jam es_Turrell._The_W olfsburg_Project 22 intendierte Spektrum von F arben hinaus. H ervorzuheben und für dieses V ergleichs - moment von Bedeutung sind die ähnliche Rezeptionsästhetik und die Erzeugung eines illusion istisch en Raum gefüh ls. Die Licht-Kunst von James Turrell stellt eine Mischung von konzeptueller Kunst und Land-Art d a r . Die Installation von James Turrel, die verschieden ausgeprägte Intensität oder die konkrete W irkung einzelner Farben sei dabei unbeachtet, zeigt mit ihren M itteln auf gegenteiligem W ege das Phänom en auf. In dem zur Verm arktung der Ausstellung veröffentlichten Video34 b etritt d er M u seu m sd irek tor ein en d er A u sstellun gsräu m e durch einen weiteren Raum . Überraschend ist dabei lediglich, dass aus ersterem betrachtet der zw eite wie eine auf die W and projizierte Lichtfläche wirkt. Die W ahr- nehm ung des Raum es wird durch die Projektion verfälscht. Die reale Kontinuität der Räum e wird so auf künstliche W eise mit Hilfe der optischen Täuschung gebro- ch en . D as Z im m er von Oscar w ird durch die aussch ließ lich gläsern e F en sterfron t und die dahinter aufscheinenden Lichter und Leuchtreklam en bis ins Undefinier- bare verlängert. Der japanische Mitbewohner von Alex35 w ird w iederholt bei der A rbeit an einem Miniaturmodell von Tokyo gezeigt. Die Stadtlandschaft ist ein Mikrokosmos und stellt im K lein en den M ak rok osm os, die Stad t T ok yo, dar. Das T o k yo L o v e H o tel ist das Kernstück seiner Stadtauffassung. Es ist ein Ort der Reinkarnation. Oscar stellt, während ihm der japanische Mitbewohner das Love Hotel zeigt, d ie V orstellu n g in den Raum , dass in dem Hotel alle Bekannten und Freunde, die man habe, gleichzei- tig m itein an d er G esch lech tsv erk eh r h ätten . Die Landschaft in dem menschenleeren Modell ist ein Spiegel der großen Stadt: Anonymität, die nur ausnahmsweise aufgehoben wird durch die wenigen Darsteller im F ilm . A lle H auptfiguren leben abseits des täglichen G eschehens in der Stadt. Verachtung ist die treibende Kraft. Drogen werden gekauft, verkauft, Menschen werden zur Drogeneinnahme verführt, um sie sexuell gefügig zu machen. Werte gibt es keine. D om inan te un d devote Rollen w erden , je nach dem in w elcher K on stellation die Figuren aufeinander treffen, ausgetauscht. Die Figuren sind relativ einfach gehal- ten und handeln nicht nach klar zu kategorisierenden Schem ata oder C odices.

34 http://ww w .youtube.com /watch?v= s6RM A kqaOT 4& noredirect=1 35 A n m e r k u n g d e s V e r fa s s e r s : E in N a m e is t n ir g e n d s a u s fin d ig z u m a c h e n . 23

Die Gefühlswelt der einzelnen Figuren wird dem Rezipienten nicht nähergebracht, bis auf die zum eist auf allgem eine Unklarheit, Unsicherheit, Zukunfts- sow ie Exis- tenzängste zurückzuführenden A usbrüche von Linda, in d e n e n s ie Mario o d e r a n d e r e wenig betroffen wirkende anschreit. Die kalte Stimmung des Films mit seinen rauen Einblicken in Milieus entsteht unter anderem durch die grob und w eitestgehend dun kel belassen e Z eich nung der F igu - ren . W ie in ein em W estern , w o der nam en lose B ösew ich t sein en W eg geh t, leb en die Figuren vor sich hin und repräsentieren mehr ein gewisses Lebensgefühl als eine in d iv id u e lle L e b e n sg e sc h ic h te . Enter the Void w urde aus ökonom isch bestim m ten G ründen des V ertriebes und der Verträge mit der Produktionsfirma in zwei Fassungen für diverse Teilnahmen an Festivals, für die Kinos und für den privaten Home Cinema M ark t g esch n itten . D ie lä n g e re V e rsio n b e ste h t a u s n e u n R o lle n , d ie k ü rz e re a u s a c h t R o lle n , u n d w ie N o é selbst erk lärt, „funktioniere“ d e r F ilm tr o tz d e m n o c h .36 Alle thematisierten Elemente tragen zu der Annahme bei, dass weniger eine detail- lierte N arration im V ordergrund steht. D ie A tm osphäre, die W irkung auf den R ezi- pienten und neue Sichtweisen in Form von Perspektiven sind die tragenden Säulen von Enter the Void. Gaspar Noé konkretisiert diese These, indem er nicht nur den Fokus auf die visuelle In szen ieru n g b estätigt. E in e stark e n arrative T en d en z sei au ch vorh an d en , sie sei jedoch ein V ersuch, sich an der F orm ensprache, die durch den K onsum von psyche - delischen Drogen entsteht, zu orientieren.37

2.5. „You talkin' to me?“

Das ständig aufkommende Gefühl eines Vertigos stellt das Verbindungselement zw isch en dem Spiegelstadium 38 nach Jacques L acan und dem ersten B lick von dem Anderen39, d em B lic k d es P ro ta g o n iste n Oscar in d en S p iegel, u n d som it gleich falls den Blick zurück von der Leinw and auf den Rezipienten dar.

36 V g l. H e r a u s g e b e r N ik o A lm , S te fa n H ä c k e l, V ic e M a g a z in V o lu m e 4 N u m b e r 9 , S .6 9 37 V g l. http://ww w .youtube.com /watch?v= dU Sjm9Zspy4& list=FL nitFK bnpQ EtXK uK K -OyiAQ 38 V g l. Lacan, Jacques, Schriften I, H e m s b a c h : Q u a d r ig a 1 9 9 1 , S . 6 1 -7 0 39 V g l. S tig le g g e r , S . 2 1 24

Hier findet eine Verdreifachung der Spiegelproblematik statt: Oscar erkennt sich selbst; in d iesem M om en t, zu m ersten M al u n d zeitgleich , sieh t d er (p er Im m ersion den Blick von Oscar ü b e rn eh m e n d e) R ezip ien t Oscar u n d fo lg lich sich selb st; fern er wird der Rezipient von dem Medium durch die stattgefundene Imm ersion absor- biert, d.h. von dem Anderen, dem M edium determ iniert. Auf der Handlungsebene ist es eindeutig, dass Oscar sich selbst betrach tet. D ie Illu - sion d er völligen Im m ersion fü h rt jed och d azu , d ass d er R ezip ien t bereits in d ieser Anfangsszene mit dem Gefühl Mitwirkender zu sein versehen w ird und dass er dadurch seine Rechtschaffenheit zu verlieren beginnt. Er konsum iert auf einer virtu- ellen Eben e D rogen , w ird ersch ossen , ist durch die R äum e auf der Suche nach einem Körper zur Reinkarnation und wird freiwillig, unfreiwillig zum Voyeur. All das erfolgt in völliger H ilflosigkeit, A usgeliefertsein un d P assivität. W ie bei einem Wechselbad wird hierbei das Herz- und Kreislaufsystem durch die Schock- und Angstmomente erprobt; der Regisseur versetzt den Rezipienten in die eine Lage, wie die eines Piloten, der sich an einem Flugsimulator für den Einsatz in der Realität einübt. Völlig vernachlässigt wird bei diesen Betrachtungen die technische Komponente der Herstellung der Spiegelszene. Durch den Einsatz von Computer-Generated Imagery wurde der Kameramann in der Postproduktion des Filmes aus dem Spiegelbild weg- retu sch iert. Travis Bickle ist in Taxi Driver die Figur eines V ietnam veteran en , für den in der Folge seiner Rückkehr nach Am erika eine Eingliederung in das gesellschaftliche Leben unmöglich geworden ist. Seine durch die Teilnahme am Vietnamkrieg post- traum atischen B elastungstörungen, die sich in der U nfähigkeit, B eziehungen zu anderen M en schen zu füh ren , und in einer täglichen , dauerh aften Insom nia äußern, bringen Travis d azu , sein e S ch lafstö ru n gen zu ign orieren u n d d ah er au sged eh n te Nachtschichten als Taxifahrer anzunehmen. Die Fahrgäste verschaffen ihm Einbli- cke in eine abseits und parallel fun ktion ieren de G esellsch aftssch icht der N ach t, w ie sie üb ertragen au f den N ew Y ork er K on text gen au das M ilieu darstellt, zu dem Oscar in Enter the Void zäh lt. T rotzdem die traum atische V orgeschichte und das unw irtli- ch e U m feld beider F iguren sich zu entsprech en sch einen , kön nte ihre M otivation nicht diam etraler auseinander liegen. Oscar, als A b h än g ig er u n d D ro g en d ealer, ist 25 ein fester B estan dteil des M ilieus. N eben der such tgeleiteten M otivation D rogen zu kaufen, nutzt er wie seine analoge Figur Matthew „Sport“ in Taxi Driver d e n V e rk a u f von Drogen, um Prostituierte gefügig zu m achen. Travis hingegen m öchte und w ird m it äußerster G ew alt Matthew „Sport“ u n d d e ssen Kompagnons begegnen und mit diesem Akt der Selbstjustiz pars pro toto Iris re tte n und ihr dam it die M öglichkeit geben in ihr norm ales Leben zurückzukehren. Zurückkehrend zu dem Thema der Spiegelproblematik lassen sich in der Szene, die Travis bei der Ü bung seiner späteren Ansprache während der K onfrontation m it Matthew „Sport“ z e ig t, e in ig e e le m e n ta r e Ü b e r e in s tim m u n g e n fin d e n . Den Bezug zur konventionellen Realität haben sowohl Oscar a ls a u c h Travis v e rlo re n . Nur die Gewissheit, für welche Werte es einzustehen gilt, differenziert ihr Vorgehen. Und diesen Spiegel der Gesellschaft vorzuhalten ist, wonach Travis strebt. Seine Methode dies zu erreichen ist die Ausübung einer Selbstjustiz. Durch die Inszenie- ru n g u n d d ie K on fron tation m it d erartigen F ragen h ält d er R egisseu r M artin Scor- sese gleich falls der G esellsch aft ein en Sp iegel vor. „You talkin' to me?“ fragt Travis vor dem Spiegel stehend, adressiert an Matthew „S port“, der dies zu dem Z eitpunkt evidenterw eise nicht vernehm en kann, adressiert an sich selbst und sein Spiegelbild und durch den B lick von der L einw and zurück adressiert an jeden R ezipienten, der repräsentativ als T eil der G esellsch aft, deren Moral und Ordnung reflektieren soll. Zu einer Erweiterung und damit einem vorläufigen Höhepunkt im Sinne der thema- tisierten Spiegelproblem atik kom m t es bei einer V ervierfachung durch die Z itierung und Nachahm ung der Travis Spiegel-Szene in La Haine, w en n Vinz, g esp ielt v o n Vincent Cassel, wiederum jene Szene aus Taxi Driver zitiert un d vor dem Spiegel heimlich imitiert. Nur durch eine filmgeschichtliche Vorkenntnis des Rezipienten ist d ie se z u r k u ltu rg e sc h ic h tlic h e n W irk lic h k e it g e h ö re n d e D im e n sio n d e r E rin n e - ru n g üb erh au p t erfassb ar. 26

2.6. Licht als Medium

„G ott sprach: Es werde Licht. U nd es wurde Licht. G ott sah, dass das Licht gut war. Gott schied das Licht von der Finsternis und Gott nannte das Licht Tag und die Fins- ternis nannte er N acht. E s w urde A bend und es w urde M orgen: erster T ag.“ 40

Das Licht bewegte Maler dazu, die Städte zu verlassen, in der Natur zu arbeiten, diese zu m alen und auf neue W eise wahrzunehm en. Claude M onet wählte diesen Zugang fast täglich in seinem Garten, seine Malerei wird durch die einzigartige Malerei der Lichtverhältnisse gekennzeichnet, so wie sich die eminente Begabung in der M anier von Joaq u ín Sorolla y B astida in der nahezu leuchtenden D arstellung des Lichts manifestierte. David Hockney suchte nach über vierzig Jahren des Lebens in Los Angeles und der urbanistischen Pop-Art M alerei den R ückzu g n ach Y orksh ire, um die N atur un d dam it das reine Licht zurückzugewinnen. Hingegen hob Rembrandt die Bedeutung einer fokussierten , pun ktuellen Beleuchtun g hervor. In In n en räum en entsprach dies der künstlichen Beleuchtung, die in jener Zeit aus Kerzen bestand. Dadurch wurde eine m arkan te Differenzierung zwischen Dunkelheit und W esentlichem erzeugt vergleichbar der Illum inierung des Schauspielers im Theater. Zeitgenössische Lichtinstallationen, ob in geschlossenen, musealen Räum en oder an den entlegensten Orten, sind in ihrer Zielsetzung wie bereits der Nam e erläutert auf das M edium Licht spezialisiert. Dan Flavin erzeugt mit dem Einsatz von Neonröh- ren ein e A u srich tu n g sein er Ä sth etik , d ie viel von d em au sstrah lt, w as d er Z u sam - mensetzung der Farben in Enter the Void eig en ist: K o n v en tio n elle L eu ch tsto ffrö h - ren , die F lavin zu r K u n st erk oren h at u n d die in d er A lltagsk u ltu r Jap an s u n d dem Stadtbild Tokyos einen festen Platz einnehm en und sich zw ischen Kitsch, Trash und fetischisiertem K unstobjekt bew egen.

Die zunehmende Lichtverschmutzung verhindert es, die Umgebung so wahrzuneh- men, wie sie per se ist. Auf dem Lande ist ein Sternenhimmel nichts Außergewöhn- liches. In einer M etropole w ie T okyo ist die B etrachtung der Sterne etw as beinahe

40 O .A ., Die Bibel.Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift, S tu ttg a r t: Verlag Katholisches Bibelwerk GmbH 2010, S. 17 27

Unmögliches und rückt durch diese Tatsache auch völlig in den Hintergrund. Die fast ausschließlich künstlich e L ich terflut w ird durch die vertikale architekton isch e Entwicklung der Städte in den Vordergrund gestellt. Diese babylonischen Höhen und die enge Bebauung erzeugen enge Straßenfluchten, die das natürliche Licht durch den Einfallswinkel überhaupt nur zu bestimm ten Etagen durchdringen lassen. Die diversen Beispiele sollen mit unterschiedlichem Fokus, ohne darauf vertiefend einzugeh en , die abstrakte Bedeutun g des L ichtes aufzeigen . In Enter the Void sin d d ie L ich tq u ellen d ie erste m en tale K o m p o n en te, au f d ie m an im m er w ieder stößt, die schockt oder durch die entscheidende E rlebnisse entstehen. Das Individuum, verkörpert durch Oscar, erlebt radikale M om ente. D abei hat die Lichtquelle die Funktion einer Art Zäsur. Sie dient etliche Male dazu, einen existen- ziellen M om en t in F orm eines film isch en Ü bergan ges bei der M on tage abzusch lie- ßen. Die erfassten Ebenen stehen für den Übergang von der realen Welt, in diesem Fall in dem Paradigm a des L ebens von Oscar oder Linda in T okyo, in eine parallel vorhandene m entale Ebene. D er M ensch scheint in diesen Sequenzen wieder zu sich selbst zu fin d en . Z u gleich ist d er M en sch in d er W irk lich k eit, jed och au f ein er Ebene, in der er nicht mehr Individuum ist. Er ist Teil eines Weltgeschehens, eines Geschehens des Kosmos, der Existenz, des Ganzen.

In d er Z eit d es Im pressionism us wollte die aufstrebende Bürgerschicht ihren Alltag und Lebensinhalt abgebildet sehen. Damit wurde ikonographisch die Aristokratie, die vornehm lich im Jagdgew and auf ihren L ändereien oder bei dem Picknick m it Gleichgestellten dargestellt wurde, abgelöst. In dieser historischen Komponente bleibt die Nähe zu der Pop-Art und deren F unktion als geistiger W egbereiter hervor - zuh eben . In ihrer A usrichtun g stellt die A bbildun g einer Straßen szen e auf dem Pari- ser M ark t n ich ts an d eres d ar als d ie Campbell's Soup Cans von A n d y W arh ol: D as Einfangen der zeitgenössischen Populärkultur. Georges Seurat fügte mit der Technik des Pointillismus noch die M öglichkeit hinzu, das Licht zu konstruieren. Anschaulich werden beide zuletzt them atisierten Aspekte in d e sse n W e rk Un dimanche après-midi à l'Île de la Grande Jatte v e r k n ü p ft. 28

Noé hingegen provoziert, bringt jegliche Form von bürgerlicher Vorstellung, tradier- ten W erten ins W anken und durch die ungew öhnliche, teilw eise verletzende V erw en - dung werden dem Licht Attribute hinzugefügt, mit denen es nicht assoziiert wird: Das Dunkel, die Angst, Drogen, Sex und viele andere Tabus werden ins Licht gesetzt. Pointillismus als M altechnik verstanden, lässt die H erstellungsw eise eines G em äldes erken n en un d versucht nich t eine reine Im itation eines O bjektes, einer L an dsch aft oder einer Person zu sein. Die Entwicklung innerhalb der Kunstgeschichte und somit auch einer Geschichte der Bilder umfasst ein sehr breites und kom plexes Spektrum . Die folgende mit zahl- reichen A uslassungen versehene und nur der V eranschaulichung dienende A ufzäh - lu n g , so ll d ie z y k lisc h e n M u ste r d e r K u n stg e sc h ic h te h e rv o rh e b e n : S tillle b e n su c h - ten die R ealität auf illusionistische W eise w iederzugeben, der Pointillismus oder Collagen im Frühkubismus zeigten die P roduktionsvorgänge auf und dienten dadurch als W egbereiter der Konzeptkunst, b e i d e r d ie I d e e d e s o ft a b s tr a k te n , m a n c h m a l n ic h t fassbaren K unstw erkes einen m indestens genauso hohen Stellenw ert w ie das K unst- werk besitzt, hin zu einem Hyperrealismus der 1970er Jahre, der photographisch exakt hergestellt illusionistische Tendenzen zurück in den K unstdiskurs brachte, und absch ließen d zu der K unst von A i W eiW ei, der ganz im Sinn e un d der T radition von Marcel Duchamp den philosophischen, abstrakten Schwerpunkt zum Kern seiner Arbeit machte und präzises Handwerk vernachlässigte. Mary Acton beschreibt den Einfluss von Marcel Duchamp in ihrem Überblickswerk „Learning To Look At Modern Art“: „The legacy of Marcel Duchamp is most clearly seen in what is called Conceptual Art where the idea is paramount and so is the questioning partici- pation of the spectator.“41 Ein Betrachter wird notwendig, um einem Kunstwerk seine vollendete Bedeutung zu geben. D am it w ird der B etrachter T eil des K unstwerkes und dieses ohne sein Beiwohnen bedeutungslos. Ein vergleichbarer Ansatz wird von Noé verfolgt, indem er den R ezipien ten m ittels Im m ersion in den Protagon isten un d dessen L eben sw elt katapultiert.

41 A c to n , M a r y , Learning To Look At Modern Art, A b in g d o n : R o u tle d g e 6 2 0 1 0 , S . 7 6 f. 29

Die Ausführungen von W. Greisenegger in Bezug auf Licht und Farben lassen sich eben so auf die W irkun g im M edium F ilm übertragen : „Weißes, strahlendes Licht gilt als Erscheinungsform des Göttlichen, der Verklärung, der Engel.“42 Die außergewöhnliche Bedeutung des Lichtes für die christliche Religion ist jedem sakralen B au im m anent. Seit dem M ittelalter w urde das natürliche L icht zur Ausleuchtung von Vitraux, mehrfarbigen Bleiglasfenstern, genutzt. Ein moderner Bau wie die Kirche Dio Padre Misericordioso43 in R om , äußerlich die extravagante Form eines Segels imitierend, besteht größtenteils aus Glasflächen ohne die Ikonisie- ru n g der bem alten V itrau x. A u f m in im alistisch e W eise w ird das L ich t in den V ord er- grund gerückt und m it einer ausschließlich weißen Fassade, die wiederum das natür- liche L icht reflektiert, kom biniert. E xtrem w eißes und insbesondere helles L icht wird oft dafür herangezogen, eine Begegnung mit dem Göttlichen respektive Überir- dischen aufzuzeigen. Der japanische Architekt Tadao Andō verm och te m it d er R ealisieru n g sein er „Church of Light“ sow ohl eine Architektur des Lichtes um zusetzen, als auch durch dessen Einfall auf sem antischer Ebene den Rahm en zu gestalten. Die Sitzbänke im Hauptraum sind auf die Betonaußenmauer hin orientiert, die nur durch gläserne Lichtschlitze in Form eines Kreuzes durchbrochen ist. Bis auf diese für die G röße des R aum es m arginale L ichtm enge und w iederum abhängig von der In ten sität des T ageslich tes, sitzen die T eiln eh m er ein er M esse im D u n k eln . L ich t ist in diesem F all das M edium der B eleuchtung, suggeriert aber eines der „E rleuchtung“ zu sein. Noé spielt mit der Konnotierung des Göttlichen bei weißem Licht. Besonders eindrücklich w ird dies sow oh l am En de von Enter the Void a ls a u c h a m E n d e v o n Irré- versible. D a s w e iß e L ic h t w ird a ls C h iffre e in g e se tz t u n d k a n n z a h lre ic h e B e d e u tu n - gen haben, es unterstützt das Bestreben Noés alles Interpretatorische offenzulassen.

42 G r e is e n e g g e r , W o lfg a n g /T a d e u s z K r z e s z o w ia k (H g .), schein w erfen. TH EATER LIC H T TEC H N IK , Wien: Christian Brandstätter Verlag 2008, S. 16 43 http://ww w .diopadrem isericordioso.it/ 30

2.7. Drogenperspektiven und Drogen als Medium

„It's funny, you know D M T only lasts for six m inutes, but it really seem s like eternity. It's the sam e chem ical that your brain receives w hen you die. It's a little bit like dying would be the ultimate trip.“44

Der indirekte, von einigen Rezipienten gar nicht bemerkte Einfluss der verstärkten Einnahm e von Drogen durch Künstler, Musiker und Literaten ab den fünfziger Jah ren d es zw an zigsten Jah rh u n d erts h at sich im K in o u n d in d en T h em en d er Filme, der Entwicklung des Pop & Rock, ihren genreübergreifenden Mischformen sow ie in ein er gan zen G en eration d er G esellsch aft, d ie oft als Hippies k ategorisiert wurden, manifestiert. Weiter hat auch die Verbreitung der Musik durch populäre Medien der Zeit wie Fernsehen oder Radio oder spätestens durch das Abspielen der Schallplatten in den Zimm ern der Jugendlichen jener Zeit zu einer zwangsweisen Auseinandersetzung mit dem Thema Drogen bei älteren oder allgemein reservierteren, konservativeren Schichten geführt.

Die Medienlandschaft hat sich seither stark gewandelt und die Bedeutung des Kinos, Fernsehens und analoger Tonträger bedeutend zurückentwickelt. Gleichwohl bleibt der Einfluss aus Noés Jugend bestehen, wie m an beispielweise an den psychedeli- sch en B ild ern von Alex in Enter the Void erken n en kan n , un d die T h em en w ie die Fragen nach der Selbstfindung, die keine der Figuren in Enter the Void abgeschlossen hat, nach dem Sinn des Lebens, dem Um gang mit anderen M enschen und einem Leben in der Gesellschaft werden durch die gewählte Bildsprache in das Hier und Jetzt üb ersetzt. In den w en igsten F ällen der historisch m ed ialen V erm ittlu n g der heu tigen Z eit w ird erklärt, dass teilw eise sch on die N am en sgebun g bedeutender R ockban ds auf die Auseinandersetzung mit Drogen oder vielmehr auf ein Leben mit Drogen zurückzu- führen ist, w ie sich dies ausgesprochen deutlich an dem B eispiel der R ockband The Doors z e ig e n lä s s t, d ie s ic h n a c h d e m B u c h The Doors of Perception von Aldous H uxley benannt haben, in dem es um die Droge Meskalin g e h t.

44 E in e d e m F ilm e n tn o m m e n e E r k lä r u n g v o n Alex ü b e r d ie D r o g e DM T 31

Jen er w ied eru m bezieh t sich m it sein em T itel au f ein en V ers des D ich ters W illiam Blake. Die Konnotation des Versteils The Doors of Perception reich t som it vo n d er Verwendung als Titel von Meskalin-Versuchsbeschreibungen durch Huxley bis hin zur N am en sgebun g für eine der einflussreich sten M usikgruppen der 1960er Jah re The Doors.45 D ie A rt der H erangehensw eise, um die W irkung von D rogen zur G änze zu versteh en , ist sow oh l bei H uxley als auch bei dem Protagon isten des F ilm s The Trip von R oger C orm an deckungsgleich: D er Selbstversuch soll in beiden F ällen Einsichten gewähren, Sinneserweiterung ermöglichen und Fragen beantworten. Demnach spricht Paul Groves, gesp ielt von P eter F on d a, am A n fan g d es F ilm s darüber, dass er mit sich selbst ins Reine kom m en, gleichzeitig etwas herausfinden sow ie sich ü b er V ersch ied en es k lar w erd en m öch te: Z u sam m en gefasst streb t d er Protagonist eine Katharsis an, wobei ihm die Einnahm e von LSD h e lfe n s o ll. Was bezwecken die Protagonisten in Enter the Void m it dem K onsum von D rogen? Wie bereits erwähnt hat keiner von ihnen die eigene Selbstfindung abgeschlossen. Man könnte sogar so weit gehen zu sagen, dass die Mehrzahl an dem Punkt ange- langt ist, an dem durch die D rogenabhängigkeit oder deren regelm äßigen K onsum der Bezug zum eigenen Ich verloren geht. Der Rausch von Oscar am A n fan g des Filmes und der dargestellte Trip zeugen zwar von einer Sinneserweiterung, die weiteren Ausschnitte aus seinem Leben zeigen jedoch, dass er bei jeder möglichen Gelegenheit Drogen konsumieren will, um das eigentliche Leben, die mangelnde Entwicklung und wiederum dadurch resultierende Probleme auszublenden. Nicht zu vergessen ist an dieser Stelle, dass Oscar auch w ährend er erschossen w ird unter Drogeneinfluss steht. Auf die Frage hin, was die Kernaussage seines Filmes Enter the Void sei, an tw o rtete Gaspar Noé, dass es darum gehe, dass das Leben des Protagonisten nicht völlig bedeutungslos gewesen sei, dieser repräsentativ für einen von M illionen M enschen stehe und dass in sehr vielen F ällen ein ganzes M enschenleben auf eine einzige extrem traum atisch e Erfah run g zurückzufüh ren sei.46

45 V g l. M ü lle r , U lf (H g .), D e r H a s c h is c h -C lu b . E in lite r a r is c h e r D r o g e n tr ip , K ö ln : T r o p e n V e r la g 2002. Peter W eibel 46 V g l. H e r a u s g e b e r N ik o A lm , S te fa n H ä c k e l, V ic e M a g a z in V o lu m e 3 N u m b e r 9 , S .3 7 32

In d em F ilm The Trip w erden die einzelnen V orbereitungen für eine D rogen ein - nahm e inklusive psychologischer Vorbereitung dargestellt. Wiederholt werden Elemente seines Trips gezeigt. Dabei wechseln sich positive, freudige E rlebnisse m it alptraum artigen Sequenzen ab. Wie eine Schutzperson führt John Paul in das frem de Szenario einer kom m uneähnli- ch en G em einsch aft ein, in w elcher der D ealer lebt. D ort w ird der B rauch des Rauchens eines Joints in großer Gruppe von der Kamera in Gänze verfolgt, um das Gemeinschaftsgefühl dieser Figuren zu demonstrieren und die übergeordnete Rolle des K ollektivs, das durch die Präsenz der D rogen zusam m engehalten wird. D as Haus, als Schauplatz des ersten Teils der Handlung betrachtet, bereitet den Zuschauer durch die gezeigte Ausstattung auf den weiteren Verlauf vor. John b e g le i- tet im A nschluss an die B egrüßungszerem onie Paul in ab g etren n te R äu m lich k eiten und umsorgt ihn in einer Kom bination ein es M ediziners und Psychologen. G erade die Couch, auf die der Protagonist sich legen soll und auf der er gebeten wird sich völlig zu entspannen, lässt solche Assoziationen aufkom m en. Nach der Einnahme beginnen die Traumsequenzen des Trips – psychedelische Bilder, die in ihrer Machart sehr stark an die gleichnamige Kunstrichtung, die gerade in der Entstehungszeit des Film s m assiv an Popularität gew ann, erinnern. Entsprechend sieht man bunte Kraftfelder und kontrastierte, kaleidoskopartige Strukturen und Oberflächenabbildungen in Form von Projektionen auf die Körper von Paul u n d Sally, s e in e r F r a u , m it d e r e r im R a u s c h G e s c h le c h ts v e r k e h r h a t. Die Verarbeitung ungelöster Probleme in der Realität werden metaphorisch in den Traum im Rausch projiziert, gleich der oben beschriebenen stilistischen Lösung der Regisseurs. Für unangenehm e Passagen des Trips werden bei dem Genre Horrorfilm A n leih en gem acht. Ähnlich werden regelm äßig Erinnerungen von Oscar au s sein er K in d h eit teilw eise als Sublim inalbilder oder in gan zen Sequenzen gezeigt. D ie M utter von Oscar red et ih m als K in d g u t zu u n d erk lärt ih m , d ass sie ih n ü b er alles lieb e u n d im m er auf ihn aufpassen w ürde, sogar vom H im m el aus. Oscar, d e r v e ru n sic h e rt z u sein sch ein t, fragt sie darau fh in , ob sie ih n od er sein en V ater resp ek tive ih ren M an n mehr liebe. Sie entgegnet, dass sie beide gleich stark liebe, es sich aber um eine ganz andere A rt der L iebe han dele. D ie M ontage zeigt daraufhin bereits eine w eitere 33

Rückblende, in der Oscar einen H otelflur entlang läuft. D ie Tonspur aus dem Gespräch mit der Mutter läuft jedoch weiter und man hört Oscar fragen , w aru m es sich u m ein e an d ere A rt von L ieb e h an d ele. S ein e S tim m e w ird d u rch sp h ärisch anm utende K länge und ein siren enh aftes D röhn en begleitet, das w iederholt im Film eingesetzt w ird, w äh ren d er einen H otelgan g en tlang läuft un d eine Z im m ertür öffnet. H ierauf sieht er seine Eltern beim Geschlechtsverkehr. D ie K am era blendet kurz ab und augenblicklich wieder auf und man sieht in einer ähnlichen Kadrierung Alex, der G eschlechtsverkehr in einem anderen R aum m it einer asiatischen F rau hat. Oscar s c h lie ß t d ie T ü r u n d e s w ird d e u tlic h , d a ss e in Z e its p ru n g s ta ttg e fu n d e n h a t, e r erw ach sen ist un d sich in einer D iskothek befindet. H ervorzuh eben ist, dass er un ter Drogeneinfluss steht und dass ähnlich wie in der bereits beschriebenen Szene in The Trip innerhalb des R ausches belastende E rlebnisse zutage treten. B ei der T ongestal- tung w ird von einem ständigen W echsel zw ischen crescen do und decrescendo Gebrauch gemacht. Obgleich sich der Schauplatz geändert hat und elektronische Musik als Sphärenklang aus der Diskothek ertönt, läuft das Dröhnen auf einer weite- ren T on sp u r syn ch ron w eiter. B eid e T on sp u ren ergän zen sich op tim al, da die elek - tronische M usik rein instrum entell ist und von einem ausgeprägten B ass getragen wird, etwas was auch das dauerhafte Dröhnen charakterisiert. Der Ton und die Musik werden in Enter the Void w enig zur U nterm alung eingesetzt, sondern zeichnen sich eh er d u rch ein kon trap u n k tisch e V erw en d u n g au s.D as rau sch artige G efü h l m it der visuellen Ästhetik eines Traum s, einzelne Bilder werden aus dem K ontext herausgelöst und blitzartig durch den Schnitt aneinander gefügt, wird durch die nahtlos ineinander übergehenden Tonspuren verstärkt. Eine dahingleitende, zerflie- ßende Em pfindung wird exem plarisch an dieser Szene aufgezeigt, repräsentiert aber große Teile des Film s. D ie K am eraperspektive ist wie in allen Rückblenden verän- dert. M an sieht nicht mehr aus der Perspektive von Oscar u n d so m it ist in d e n R ü c k - blenden auch das Gefühl der um fassenden Im m ersion nicht mehr gegeben. Es findet eine V ersch iebun g der K am era hinter die Figur von Oscar, d e sse n H in te rk o p f d a b e i dauerhaft im Kader platziert wird, statt. Die Bewegung einer ständigen Verfolgung von Oscar w ird so m it sim u liert. G asp ar N o é erk lärt in ein em In terv iew in Der Welt 34 auf die F rage hin, w arum die P erspektive dergestalt von ihm verw en det w erde: „Wenn ich träume, sehe ich mich auch immer von hinten.“47 Am Anfang von Enter the Void ist Oscar noch lebendig und konsum iert die D roge DM T. Der visualisierte Trip wird derart dargestellt, dass weder er selbst als Konsu- ment alle Erfahrungen in seinen Trips durchlebt noch dass dies eine fiktive, fremde Person an seiner Stelle tut, da seine Erfahrungen aus abstrakten Eindrücken von Farben und Sphären bestehen, in denen weder Personen noch Gegenstände aus dem Diesseits vorkommen. Ergo wird bei diesem Selbstexperiment die Droge DM T n ic h t als M edium ben utzt. D er Proban d verm ittelt w eder durch Sprache oder A ufzeich - nungen seine Eindrücke und ist alleine. Im weiteren Verlauf wird minutenlang nicht gesprochen und die W ahrnehm ung des Zuschauers wird trotz des Prim ärreizes der akustisch en E ben e, auf der ein D urch einander an T onfolgen zu hören ist, auf den Bildrausch gelenkt. Man könnte demnach davon sprechen, dass ein anderer Kanal des M ediums Droge genutzt wird.

Durch den Bildrausch wird eine ähnliche Beschreibungsebene gewählt wie in „High Priest“ von T im othy L eary. D er F ernseher als K om m unikationsm edium zw ischen der Außenw elt und dem sich im Rausch befindlichen Probanden spielt eine heraus- ragende R olle in dessen A ufzeichnungen: „Vergiss dich selbst. Stell deinen Empfang um auf das große Bild.“48 Durch das Medium Droge soll das eigene Ich zurückgestellt und dadurch Energie gew onnen werden, um andere Em pfangskanäle freizulegen. D em Probanden werden im R ausch m aschinelle E igenschaften zugesprochen. E r schaltet sich an und aus, so wie das Medium. Der Proband verfolgt den Fernseher durch ganz neue Wahrneh- mungsverknüpfungen einerseits passiv und andererseits aktiv.

Albert Hofmann, der die psychische Wirkung von LSD en td eck t h at, sch ild ert in sein en B esch reib u n gen „LSD – mein Sorgenkind“, in d en en er ein en S elbstversu ch mit LSD festgehalten hat, in auffallend ähnlicher W eise die W ahrnehm ungsverände -

47 P e te r s , H a r a ld , Soll man ins Kino oder in Deckung gehen?, http://ww w .welt.de/kultur/article9218613/Soll-man-ins-Kino-oder-in-Deckung-gehen.html Z u g r iff a m 04.01.2013 48 M ü lle r , U lf (H g .), D e r H a s c h is c h -C lu b . E in lite r a r is c h e r D r o g e n tr ip , K ö ln : T r o p e n V e r la g 2 0 0 2 , S.168 35 ru n gen , w ie sie film isch von R oger C orm an in sein em b ereits th em atisierten F ilm The Trip um gesetzt w urden. D em entsprechend spricht er gleichfalls von intensivem , kaleidoskopartigem Farbenspiel, das in höchstem M aße ohne Pause durch seine angeregte Phantasie auf ihn einw irkte. Ferner schildert H ofm ann, dass die akustische Wahrnehmung auf eine Bildebene transportiert wird. Geräusche und Töne werden mit anderen Worten in farbige Bilder übersetzt. Diese synästhetische Erläuterung gibt der oben beschriebenen Passage im Film, in der minutenlang nur Töne zu hören sind, eine andere Bedeutung. W enn man von einer m öglich en V isualisierun g zu T ön en ausgeh t, kön n te m an in der film isch en Variante folglich von einer umgekehrten Entstehungsart ausgehen: Zu ausgewählten Tönen werden passende Bilder mit kontrastreichen Farben phantasiert und filmisch um gesetzt. Das ständige Brum m en, einem Grollen gleich, richtet sich auch nach Beschreibungen in dem tibetischen Buch der Toten. Zudem gibt es analoge Stellen in Hofmanns Text, die von Angstzuständen handeln, die sich in Erscheinungen von D äm onen und H exengestalten m anifestieren vergleichbar, den Paul im F ilm e rsc h e in e n d e n gesichtslosen Reitern. Einen auffal- lenden U nterschied zw ischen dem realen B eschreibungstext eines Selbstversuches und der Um setzung des imaginierten, fiktionalen Drehbuches gilt es hervorzuheben: Hofmann scheint körperlich nach der Einnahme der Droge LSD se h r sc h w a c h g e w e - sen zu sein und beschreibt dem nach, w ie er in sein B ett getragen w urde und auch längere Z eit nicht verständlich sprechen konnte.49 Im F ilm h in gegen sch ein t Paul w ähren d seines gesam ten R auschzustandes voller Energie zu sein, was auch durch sein ständiges Um herirren bekräftigt wird. Zusamm enfassend lässt sich sagen, dass Hofmann durch den Selbstversuch zufällig und unbeabsichtigt in einen derartigen Rausch geraten ist und durch das M edium Droge körperlich in einem Maße eingeschränkt wurde, dass er nur mit fremder Hilfe, die streckenw eise durch einen Arzt geleistet wurde, den Rausch überstehen konnte.

Wissenswert erscheint die Vielfalt der Bewusstseinsveränderungen, die durch die Einnahm e von LSD erreich t w erden kön n en . So besch reibt T im othy L eary seine Halluzinationen, die er nach der Einnahme von LSD hatte, folgenderm aßen:

49 V g l. M ü lle r , U lf (H g .), D e r H a s c h is c h -C lu b . E in lite r a r is c h e r D r o g e n tr ip , K ö ln : T r o p e n V e r la g 2002; S.151ff. 36

„Ein endlos tiefer, morastiger Sumpf von einem anderen Planeten, brodelnd und damp- fend vor E nergie und L eben, und in dem S um pfland ein riesiger B aum (...) U nd dann wie ein kosmischer Staubsauger, machte dieser Baum schwwuuups, und jede Zelle meines Körpers wurde in die Wurzeln, Zweige, Äste und Blätter dieses Baumes hinein- gezogen.“50

Im V orfeld zu den R auschzuständen gibt es in jeder der B eschreibungen und auch in der filmischen Darstellung eine Phase, in der gar nichts passiert oder sich der Rausch nur schleichend bem erkbar macht. Hier könnte man eine zeitliche Beschreibungs- kom ponente einführen und diese Zw ischenzeit als Inkubationszeit betiteln. An dem Zitat deutlich erkennbar gibt es weitere, abstrakte Phasen eines Rausches, die sich zum eist in den Gedanken des Probanden abspielen. An dieser Stelle ist eine weitere Passage von Bedeutung, in der Leary die Begegnung mit seiner Tochter während eines Trips beschreibt. Wie bei einer Fernsehfamilie findet ein Begrü- ßungsdialog zwischen den beiden statt. Die Verhaltensm uster einer stereotyp am eri- kanischen Tochter scheinen ihn derart aus der Bahn zu werfen, dass er voller Schuld- gefühle eine em otionale R eaktion durchlebt, w elche nicht nur die A ufarbeitung dieser Situation, sondern durch die Intensität die eines ganzen Lebens zu beinhalten sch ein t. Im w eiteren V erlau f trifft er eb en falls au f sein en Soh n , der vor d em F ern seh er sitzt. Schlagartig verändert sich die W ahrnehm ung dadurch wieder in eine ganz andere Richtung. Das gesamte Erleben während des Trips scheint einer Fernseherfahrung zu gleichen un d der F ern seh er w ird als ein M edium der K om m un ikation zw isch en einem göttlichen W esen un d den M en sch en an geseh en : „Plötzlich wusste ich, dass alles eine Botschaft der unpersönlichen, unnachgiebigen, grenzen- lo sen , g ö ttlich en In tellig en z ist [...].“51 So kann m an auch den beschriebenen Um gang zwischen Vater und Tochter als Ritualisierung der Abläufe mit Seriencharakter verstehen.

50 M ü lle r , U lf (H g .), D e r H a s c h is c h -C lu b . E in lite r a r is c h e r D r o g e n tr ip , K ö ln : T r o p e n V e r la g 2 0 0 2 ; S . 163 51 M ü lle r , U lf (H g .), D e r H a s c h is c h -C lu b . E in lite r a r is c h e r D r o g e n tr ip , K ö ln : T r o p e n V e r la g 2 0 0 2 , S . 166 37

Als Novum bei den Beschreibungen von Leary bleibt somit die Erweiterung um die religiöse K om ponente und deren A nknüpfung an das M edium F ernseher, w elches das Fam ilienleben bestimm t und das Fam ilienbild vorprägt. Drogenkonsum kann die Möglichkeit außerkörperlicher Erfahrungen begünstigen, wie dies an späterer Stelle noch thematisiert wird.

2.8. Das schweigende Dasein

„R aum und Landschaft,/ das G esicht der D inge,/ den R hythm us der M assen/ und den heimlichen Ausdruck des schw eigenden D aseins.“ (B éla Balázs)52

Das Ritual des Protagonisten Oscar – D ro g en alleine, heim lich zu kon sum ieren un d die W irkung dieser im Anschluss alleine zu genießen – ist der Ausdruck des schw ei- genden Daseins wie es Balázs form uliert. In diesem F all ein D asein , das au tark bestritten w ird , in ein em m axim alen R ü ck zu g aus der G esellsch aft besteht und sch w eigend – nonkom m unikativ – selbstbestim m t und doch verstellt sow ie frem dgesteuert gefristet wird. Für Oscar existiert F reun dsch aft nur zw eckgebun den . H ier ist beispielsw eise auch Alex zu nen n en , der den K on takt zum D rogen dealer herstellte. E in m en sch lich er Austausch findet demnach nur auf der Basis des lebenssteuernden Elements, der Droge, statt. Alex hingegen stellt den w issenden, m ahnenden G egenpol dar, der über die W irkun - gen der D rogen exakt inform iert ist und vor der G renzüberschreitung der gesell- sch aftlich en N orm en w arn t. E b en so d ie Illegalität d es D rogen k on su m s u n d d en Weiterverkauf prangert er wiederholt an. Alex stellt in nicht näher zu bestim m ender Form die Moral und auch das Gewissen der intakten Gesellschaft dar, obgleich er gleichzeitig ein Leben als K ünstler m it Exzessen führt. Der Rhythmus des Lebens ist mutiert, damit einher gehen zunehmende Bedeutungs- losigkeit norm ativer W erte sow ie E nttabuisierung. D ie D roge, der daran gekoppelte Konsum und Beschaffungsrituale stellen die neue Abfolge im Leben dar.

52 Balázs, Béla, Der Geist des Films, F r a n k fu r t a m M a in : S u h r k a m p 2 0 0 1 , S . 1 5 38

Oscar erw eckt den A n sch ein, dass L iebe für ihn nich t m eh r existiere. E r sagt zw ar im m e r w ie d e r „ I love you“ zu seiner Schw ester, dennoch lässt er sie auf die schiefe Bahn geraten und als Stripperin enden. Wie die Liebesbekundungen an die Schwester bleibt auch der Versuch, sich bei Victor zu entschuldigen, vordergründig, die innere D istanz w irkt nach außen als Gleichgültigkeit. Die Mutation respektive Verschiebung ist vollkommen. Inzest wird angedeutet und ödipale W ünsche in Phantasien geäußert. Oscar sch läft in sein er V orstellun g m it der eigen en M utter, w äh ren d er bereits in einer an deren W elt seiner Sch w ester beim Sex zusch aut. In dem M aße, w ie der Zusch auer an dem sexuellen V erkeh r der Sch w ester teilnim m t, w erden die G renzen zum V oyeurism us fließend. A llgem ein gültige soziale Regeln interessieren Oscar nich t m eh r, er versucht sie aufzubrechen und sch läft auch mit der Mutter eines seiner Kunden, Victor, d er ih n d arau fh in an d ie T ok yoer Drogenpolizei verrät. Die Mutation erschafft eine verstellte Perspektive, einer ständi- gen T otalen gleich. V isuell w ird dies deutlich, dadurch dass Oscars Seele durch Wände fliegt. Sie und somit er sind omnipräsent – Gott gleich.

William S. Burroughs, Vertreter der Beatgeneration, schreibt in seinem Buch Junky53 auf die Frage hin, wie m an zu einem Junky werde: „It's not a choice, but a w ay of life.“ 54 Linda w ir ft Oscar v o r , d a s s e r e in J u n k y s e i. D ie s e r s a g t e r s e i k e in e r , is t a b e r e in e r . Es geht um das Ritual sich zu entschuldigen, es wird vollzogen, da es von den ande- ren erw artet w ird , ist ab er nich t ern st gem ein t. Die Arbeit der Schwester im Rotlichtmilieu ist ebenfalls ein Beispiel für die Perver- sion resp ek tive der U m k eh r des L eb en s. Ist sie später nach der A b treib u n g un d der G eb u rt w ied er ein geglied ert in die norm a- le n S tru k tu re n u n d fä h ig z u lie b e n o d e r g e h t e s in d e m Z u sa m m e n sc h lu ss m it Alex nicht um Liebe? Versucht sie das geringere Übel zu wählen, den einfachen W eg su ch en d od er leh n t sie d ie U n erträglich k eit d es A llein sein s ab , in fo lge d es N ich ter- trag en k ö n n en s d es sch w eigen d en D a sein s?

53 W illia m S . B u r r o u g h s , J u n k y , H a r m o n d s w o r th : P e n g u in 1 9 8 1 54 W illia m S . B u r r o u g h s , J u n k y , H a r m o n d s w o r th : P e n g u in 1 9 8 1 , S .3 3 39

3. Religiöses

3.1. Einleitung

Nach eigenen Angaben ist Gaspar Noé keiner Religion oder Sekte zugehörig.55 Nahtoderfahrungen sind seiner Meinung nach in Wirklichkeit Träume der Beteilig- ten gew esen, die sich im N achhinein an nichts erinnern könnten und um ihrem Umfeld Ängste vor dem Tod nehmen zu können, erfänden sie diese in Wirklichkeit geträum ten Erlebnisse.

Gaspar Noé bedient sich eines Synkretismus, der vor allem in Japan und weiteren asiatischen L än dern eine übliche Form der A usübun g von religiösen V orstellungen ist. S o ist Oscar aus K anada stam m end christlich geprägt. In der H andlung w ird dies nicht direkt them atisiert und durch die Lebensführung der Protagonisten hat man den Eindruck, dass es sich bei ihnen um Agnostiker oder Atheisten handelt. Der einzige A n satzpun kt, um von einer christlichen Erziehun g auszugeh en , ist die T atsa- ch e, dass sow oh l Oscar als auch seine Schw ester Linda in einem W aisenhaus aufge- wachsen sind und derartige Institutionen in der Regel von einem christlichen Träger betrieben werden oder zum indest eine christlich ausgerichtete Ethik verm itteln. Ein evidenter Bezug zu Religion oder dergestaltigen Themen scheint auf den ersten Blick bei der unvoreingenomm enen Rezeption nicht erkennbar zu sein. In gewisser Hinsicht ist eine Kritik oder auch ein Aufbegehren gegen etablierte Religionen zu erken n en . Bruno, d er D ro g en d ealer in Enter the Void, trägt eine K ette m it einem auffallend großen K reuz. Bei einer U n terteilun g in G ut und Böse w äre sein Charak - ter letzterer K ategorie zuzuordnen. D ie scheinbare A utorität von Bruno, d ie er m it einer aggressiven M im ik un d dem en tsprech en der K örpersprach e aufzubauen versucht, wird dam it religiös konnotiert. Alex w arn t Oscar im V o rfeld d es ersten T reffen s m it A n ek d o ten v o r Bruno. D e sse n unm enschliches H andeln gegenüber D rogenabhängigen prangert Alex an. In der Wohnung von Bruno halten sich regelm äßig m ännliche A siaten, die von ihm in sein er W oh n u n g in kom atösen Däm m erzuständen von einer D rogeneinnahm e zur

55 V g l. H e r a u s g e b e r N ik o A lm , S te fa n H ä c k e l, V ic e M a g a z in V o lu m e 4 N u m b e r 9 , S .6 9 40 nächsten angeleitet werden, auf. Bruno m ach t sie m it D rogen gefü gig, u m sich im Anschluss sexuell an ihnen zu vergehen. Um seinen Hals trägt Bruno e in e K e tte m it einem großen christlichen K reuz, w obei er w eder ein G eistlicher noch ein religiöser Mensch ist. Ganz im Gegenteil handelt es sich bei Bruno u m ein e F igu r, d ie ein e Personifizierung des Bösen darstellt. Ihn mit der Requisite eines Kreuzes zu insze- nieren, stellt aus religiöser Sicht eine blasphem ische Handlung dar. Alex w eckt das Interesse von Oscar für die buddhistische R eligion m it der L eihgabe des tibetischen Buches der Toten. A uf diese W eise betrachtet handelt es sich hier um zw ei gegen sätzlich e P ole, die eine klare Z uw eisun g bezüglich der Sym pathien des Regisseurs enthalten. Eine Kritik am Katholizismus ist somit erkennbar. Nur die Kenntnis des tibetanischen Totenbuches56 erm öglicht es dem R ezipien ten, die dem Film zu Grunde gelegte Struktur und die daran geknüpften Abläufe zu verste- hen. Jenes wurde erstmalig außerhalb Asiens in einer englischen Übersetzung durch den am erikanischen Anthropologen W . Y. Evans-W entz m ittels einer Veröffentli- ch un g durch die Oxford University Press d e r w e s tlic h e n W e lt z u g ä n g lic h g e m a c h t. Ausgehend von den Diziplinen der Theater-, Film- und Medienwissenschaft wurden zw ei A usgaben zu R ate gezogen , um sich interdisziplinär der fach frem den M aterie zu nähern und den Zugang aufgrund eines Spektrum s an Betrachtungsweisen zu verein- fa ch en . Die erste ausgewählte Veröffentlichung enthält einen Abriss der Bedeutung des tibe- ta n isch en T o ten b u ch es von einer religiösen, historischen und textkritischen W arte aus betrachtet durch den deutschen Interpretator der buddhistischen und daoistischen Lehren Lama Anagarika Govinda, ergänzt durch einen psychologischen Komm entar von Carl Gustav Jung sow ie ein drittes Vorw ort, Die Wissenschaft vom Tode, v o n J o h n Woodroffe, einem englischen Professor für indisches Recht. Die Wahl, diese drei Einleitungen dem eigentlichen Buche voranzustellen, zeugen von der K om plexität der Schrift selbst und der Schw ierigkeit eines tiefer gehenden Verständnisses für eine westliche Leserschaft. Die sprachliche und gedankliche Ausrichtung ist völlig anders konnotiert.

56 D a s tib e ta n is c h e T o te n b u c h o d e r d ie N a h to d - E r fa h r u n g e n a u f d e r B a r d o -S tu fe (e in W e is h e its b u c h der M enschheit 1991 Deutsche Übersetzung von Louise Göpfert- M arch 41

Die zweite Fassung57 beinhaltet gleichfalls das Geleitwort von Lam a Anagarika Govinda, gefolgt von einer Einführung der Herausgeberin Eva K. Dargyay und einem Brevier von G esch e L obsan g D argyay über das religiöse L eben in T ibet. Die Vielfalt an Auslegungsmöglichkeiten von religiösen Themen ist bereits im asiati- sch en R au m erk en n b ar u n d fin d et ein en A u sd ru ck in d er U n terteilu n g in versch ie - dene Schulen. Die Diversität ist insbesondere durch eine geographische und inhaltliche Subdivi- sion zu verstehen. So erlangten die A nschauungen des tibetanischen T otenbuches hauptsächlich in Tibet, China und Japan Verbreitung.58 Im H in d u ism u s gib t es zah lreich e Sch riften , die ein e A rt A n leitu n g fü r den Sterb en - den oder Verstorbenen, der sich in der Überquerung zum Jenseits befindet und davor geschützt werden soll in einer der Interw elten wiedergeboren zu werden.59 Diese Ausrichtung wird ebenso im tibetanischen Originaltitel deutlich, der transkri- biert in „Bardo Thödol“ eine Entsprechung findet. Bardo heißt „Zw ischenzustand“ und der gesam te Titel hieße „ Befreiung durch das Hören im Zw ischenzustand“.60 Obgleich sich das tib eta n isch e T o ten b u ch auch an lebende R ezipienten richtet und nicht ausschließlich am Sterbebett vorgetragen wird, liegt die Pointierung auf dem „Z w ischenzustand“. In Enter the Void nehm en die V isualisierungen dieses Z w ischen - stad iu m s gleich falls den größ ten T eil der H an d lu n g ein .

3.2. Das tibetanische Totenbuch oder das tibetische Buch der Toten (Bardo Thödol)

Das Yoga-Tantra vereint die Quintessenz und bildet somit die Schnittmenge zw isch en den K apiteln R eligiöses un d R ituelles, w ie R obert T h urm an in den einlei- tenden K apiteln der von ihm veröffentlichten A usgabe des Tibetischen Totenbuches erläutert. R eligion als etw as System atisch es aufgefasst, besteht aus versch ieden en Komponenten, die ihre Ausübung erst ermöglichen. Ein harmonisches Verwoben- sein der einzelnen Segm ente erm öglicht die W eiterentw icklung, V erbreitung und Tradierung. Die Kreierung und ständige Modifikation von Ritualen ist hierfür signi- fik a n t.

57 E v a K . D a r g y a y - D a s tib e tis c h e B u c h d e r T o te n , S c h e r z V e r la g , 1 9 7 7 58 V g l. R e in h a r t H u m m e l S .5 9 59 V g l. R e in h a r t H u m m e l S . 5 8 60 V g l. R e in h a r t H u m m e l S . 5 9 42

Die Rituale der Initiation des Yoga-Tantra s c h e in e n s e h r d iffiz il u n d in v ie r H a u p tk a - tegorien der E inw eihungen unterteilt, die folgend in nuce zusam m engefasst sind: Während der „Vasen-Initiation“ soll eine Versunkenheit in den eigenen Körper erreicht w erden ; „D ie geheim e E inw eihung“, richtet das H auptaugenm erk auf die Sprache, „die Weisheits-Intuitions-E rm ächtigung“, mit einem Schw erpunkt auf die Ausein- andersetzung mit dem Geist, sowie die „Wort-Initiation“61, die die drei Elem ente des Körpers, der Sprache und des Geistes als eine Unität betrachtet und potenziert im Vergleich zu den drei vorausgegangenen Initiationen den Zugang zu einer hohen In tegration seb en e d er V ollen d u n gsstu fe zu lässt u n d ein e E n tsp rech u n g zu d en Lehren der Großen Vollkomm enheit darstellt. Die Veränderung der Protagonisten von Enter the Void durch die A usübung von Ritualen, die teilweise den Charakter von Initiationen besitzen, sind essenziell für die Dramaturgie des Spielfilmes. Prinzipiell fehlt ein Urteil, ob der Glaube an Tod und Reinkarnation als Ursache oder als Folge von Riten einzustufen ist. Als Folge kann m an die Vorstellung katego- risieren b ei In itiation s- u n d O rd in ation szerem on ien , b ei d en en d ie E k stase, d ie Externalisierung, ein Traum oder der Schlaf eine gesonderte Rolle innehaben.62

Im B u d d h ism u s, w en igsten s in der A u sü b u n g in asiatisch en L än d ern , gib t es Initiati- onsriten wie die Rasur von dem Haupthaar in Folge der Aufnahm e in ein Kloster. Die Lehren des Buddhas sind unter dem Begriff Dharma zusammengefasst und die beschriebenen Riten des Yoga-Tantras sind gleichfalls Riten der Initiation. Ein wichtiges Element stellt die Abstimm ung auf die persönlichen Bedürfnisse des Schülers dar. Hierfür bietet der Buddhism us eine strukturierte Hierarchie. Der M eis- ter, auch L am a genannt, ist auf G ebiete spezialisiert und daher kann es zu der Auswahl diverser Meister für einzelne Initiationen komm en. Die Protagonisten, die entscheidend für die Narration von Enter the Void sin d , stam - men aus unterschiedlichen Ländern. Ein auch dadurch bedingtes Wiederkehrendes ist d ie R e ise . Oscar u n d Linda w aren als K inder bereits m it ihren E ltern nach Japan

61 V g l. Thurman, Robert A. F. (Hg.), Das Tibetische Totenbuch oder Das Große Buch der Natürlichen Befreiung durch Verstehen im Zwischenzustand, W o lfg a n g K r ü g e r V e r la g , F r a n k fu r t a m M a in , 1 9 9 6 Originalausgabe Robert A. F. Thurman The Tibetan Book of the Dead, B a n ta m B o o k s , N e w Y o r k 1 9 9 4 ), S. 113 62 V g l. V a n G e n n e p S . 1 7 6 43 gereist, ein eindeutiger oder nebensächlicher Grund, warum es Oscar als E rw ach se- nen dorthin verschlägt. Entscheidend dabei ist, dass diese Handlung die Motivation sein er Sch w ester Linda darstellen w ird, gleichfalls nach T okyo zu ziehen. W as kenn - zeichn et die Stim m un g einer R eise? V iele der R eisen den un d alle gen auer gezeichn e- ten F iguren des F ilm es befinden sich auf der Suche. Jene als Sinnbild verstanden im p liz ie rt je g lic h e F o rm v o n U n k la rh e ite n , W ü n sc h e n u n d V a ria b le n . Im tibetischen B uch der T oten w erd en d ie In terw elten un d deren Z w isch en zu stän d e mit immer neuen Variablen und Modifikationsmöglichkeiten auf die wiederum Ratschläge folgen, versehen und vermitteln ein Gefühl der Reise. In der filmischen Umsetzung wird dieses Gefühl durch den umherfliegenden Geist erzeugt. Wie bei einem Prozess in einem G erich t, gegliedert durch die einzelnen V erh an dlun gstage, Prozessordnungen und Inhalte, bedingt eine Handlung oder Unterlassung zwangs- läufig eine K onsequenz und im F alle des T otenbuches das E intreten in einen w eite - ren Z u stan d . Licht-Meditation in Kombination mit urbanistischen Wunschvorstellungen ist, was der japanische M itbewohner von Alex praktiziert. B ezeichnenderw eise ist er nam en - los, w odurch er w eniger anonym , vielm ehr austauschbar und entindividualisiert ersch eint. A ls einer der w en igen Japan er, die nich t nur als K om parsen in Enter the Void fungieren, repräsen tiert er im G egensatz zu Mario, d e m C lu b b e sitz e r, Z u h ä lte r und Partner Lindas, d e n a u sg e w o g e n en u n d d u rc h se in e T ä tig k e it im ü b e rtra g e n en Sinne meditierenden Teil der japanischen Bevölkerung. Wie buddhistische Mönche bei der langwierigen Vorbereitung eines Mandalas, die als Zw eck nicht nur ein perfektes Farben spiel, sondern zugleich auch das M editieren während der Vorbereitungsprozedur verfolgen, arbeitet dieser japanische Mitbewoh- ner in ähnlicher W eise an seiner Maquette des Love Hotels. Mandalas werden zumeist von Anhängern des Buddhismus in Japan und Tibet als kreisförm ige oder vieleckige Diagram m e hergestellt und dienen als Hilfsm ittel der Meditation. In den Mandalas werden mystische Themen dargestellt und sollen beim Herstellenden das Versenken durch die gleichzeitige Meditation vereinfachen.63 M it dem Versenken soll der M editierende eine vertiefte und vornehm lich geistige

63 V g l. B r o c k h a u s , S .4 9 0 44

Konzentration, ein Verlegen der Fixierung auf den eigenen Körper hin zu einer Loslösung von dem eigenen Ich, erlangen. In dem K om m en tar zu dem ersten T eil des tibetisch en B u ch es der T oten w ird erläu - tert, dass unterschiedliche Praktiken angew andt w ürden, um einen klaren, nicht getrübten Geist und in der Folge seine Lichthaftigkeit zu erzielen. Eine davon sei, sich auf B uchstaben zu konzentrieren, jedoch unter keinen U m ständen auf Mantras. Die zweite Möglichkeit sei, sich Lichtkreisen zu widmen.64 Auch die Meditation mit Licht unterstützt in erster Linie den Prozess des sich Versenkens und somit die Konzentration auf den eigenen Geist. Eine der augenscheinlichen Charakteristika der Maquettenstadt in Enter the Void sin d d ie leu ch ten d en N eon farb en . D ie grellen F arb en , d ie im m er w ied er ein gesetzt werden und somit die Stimm ung nachhaltig prägen. Ein weiteres Beispiel ist der Besuch eines Geschäftes von Linda u n d Oscar am M orgen nach einer N acht in der Diskothek. Unabhängig von deren verfälschter Perspektive durch Alkohol- und Drogenkonsum vermitteln alleine die Farben losgelöst von den gezeigten Verkaufs- objekten einen irreal wirkenden Eindruck, etwas traum haftes wie in den künstlichen Welten der Spielzeuge. Gen Ende des Films erlangt die Maquette eine additionale Bedeutung. Mit der Hotelmetapher des Love Hotels wird die Aussage gem acht, dass ein Ort, der dem Willen des Regisseurs entsprechend die Ästhetik eines Flipperspieles aufweist und som it gar kein L eb en bein h altet, der O rt der W irk lich k eit w ird , die R ealität ist. In 2001: A Space O dyssey diente Stanley Kubrick die Verwendung von M aquetten und M iniaturm odellen als Grundlage für die Raum schiffe und Flugsimulationen im Weltraum. Die Frage nach der Funktion und dem Einfluss der Maquette als Meta- stad t stellt sich au ch in diesem W erk . Noé kontrastiert sonach mannigfach virtuelle Welten mit filmischen Realitäten und vice versa. Bei dem Rezipienten hinterlässt dies eine stetige Unsicherheit, ob es sich um Halluzinationen des schw ebenden Geistes, chronologisch einzuordnende Teil- handlungen oder aus dem Kontext gerissene Rückblenden handelt. Bezug nehm end auf das Love Hotel des M itbew ohners bleibt anzum erken, dass dieses eine M aquette darstellt. Jen e, üblich erw eise von A rch itekten in der Planun gsph ase

64 V g l. d a s tib e tis c h e B u c h d e r T o te n , S .8 4 45 angefertigt, erfüllen den Zw eck eines Plan es, etw as, das in Realität um gesetzt w erden möchte. Somit könnte man das wiederholte Visualisieren der Arbeit an der Maquette und deren Fortschritte auch als M etapher für Spielzeug, das zur Realität werden kann oder wird, betrachten. Denn eine Stadt aus Spielzeug erfüllt nur ihren Sinn, wenn auch mit ihr gespielt wird, was der japanische Mitbewohner imm er wieder tut, insbesondere m it T aschenlam pen, denen als L ichtquelle w iederum eine besondere Bedeutung zuteilwerden. Ein weiteres Beispiel für die Symbiose von filmischer Realität und virtueller Welt stellt seine voyeuristische Beleuchtung der unter Drogeneinfluss stehenden Linda und einer F reundin aus dem Striplokal, die sexuelle Handlungen vollziehen, dar, die in einen durch die räumliche Nähe realisierbaren direkten Anschluss der Beleuchtung des Love Hotels, ein es T eiles sein er M aq u ette, die sich zu diesem Zeitpunkt noch im Entwurf befindet, mündet. Hier wird dessen sp ätere E xisten z h erau fb esch w oren , in d em der V organ g su ggeriert ein e Ü b ertragu n g von Lebensenergie fände statt, indem Licht diese von den Frauenkörpern hin zu den Objekten transportiere. Zu welchem weiteren Zweck wird etliche Male die konzipierende Arbeit an einer Maquette in Enter the Void g e z e ig t? Die Planung ist ein Teil des Spiels, es ist eine Form des Spiels. Die Mittel, in diesem Fall eine Maquette, sind leblos. Die verwendeten Materialien sind gleichfalls leblos. Der Spieler gleicht dem Aktionisten bei der Fluxus-Bewegung, in d e r Konzeptkunst oder bei einer Performance. D e r S p ie le r sc h a fft d a s K u n stw e rk , in d e m e r e s p la n t u n d nach dessen Entstehung als solches annimm t. Der Anonym ität eines Spielgegenstan- des muss die Tatsache gegenübergestellt werden, dass der Spieler als Schöpfer dem Materiellen den Geist einhaucht und es dadurch zum Kunstwerk wird. Ein weiteres Beispiel aus der Kunstgeschichte ist das Deckenfresko von Michelangelo in der sixti- nischen Kapelle in Rom . Dort ist die Erschaffung Adam s zu sehen. In dieser Darstel- lung streckt G ott seinen Z eigefinger aus, um A dam zu berühren, um ihm das L eben zu verleihen . Die Kernaussage65 v o n Enter the Void ist, dass der Z yklus von L eben, T od, Z w ischen - zustan d (Void) und R einkarnation nicht durchbrochen w ird. A us w estlicher P erspek -

65 A n m e r k u n g d e s V e r fa s s e r s : I n d ie s e r D ip lo m a r b e it w e r d e n v e r s c h ie d e n e Interpretationsm öglichkeiten von Enter the Void v o r g e s te llt u n d a n d ie s e r S te lle w ir d d ie je n ig e besprochen, die sich auf die Visualisierung von dem tib etisch en B u ch d er T o ten s tü tz t. 46 tive w ürde m an annehm en, dass eine W iedergeburt oder gar ein In-statu-nascendi ein w ün sch en sw ertes Ereign is sei. A us buddh istisch er Sicht w ird jedoch ein Zustand, der völlig losgelöst von allem W eltlichen ist, angestrebt. D iesen nennt m an das Nirwana. A u s d e m S a n sk rit ü b e rse tz t sin d v o r a lle m z w e i B ed e u tu n g e n z u n e n n e n : „das Verwehen“ und „das Erlöschen einer Flam m e“.66 Als Erlösung verstanden, impliziert das Nirwana ein sich N eigen des L ebenstriebes in to to . Heilige, die in der Lage sind alle Ausprägungen von Hass, Gier und Wahn in sich selbst zu elim in ieren , sin d bereits im D iesseits in d er L age d en Z u stan d d es Nirwa- nas z u e r r e ic h e n . Auf den Zustand des Parinirwanas, der m it dem B eginn des T odes gleichzusetzen ist, folgend, verhindert das Nirwana d ie R e in k a r n a tio n in e in e m in d iv id u e lle n W e s e n . Das Nirwana kann nur durch eine negative D efinition näher bestim m t w erden. E s eint das G egen teil alles Irdischen in sich, w as im Buddh ism us als Samsara b e z e ic h n e t wird, und stellt die Inversion alles em pirischen S eins u n d som it einen Z u stan d der höchsten Seligkeit dar. Ein Heiliger befindet sich sich imm erfort in diesem Gleichgewicht, wie man es vereinfachend um schreiben könnte, im Besitze von W eisheit und Güte und losgelöst von dem Karma, d e n V e r g e ltu n g s k a u sa litä te n d e r T a te n , u n d je g lic h e n a n d e r e n T r ie - ben und ist dem W ohlsein aller Kreaturen verpflichtet.67 Das Bardo Thödol68 b e ste h t a u s d re i T e ile n . Der Zwischenzustand des Werdens w ird d e r dritte Teil übersetzt genannt. Im fünften Unterkapitel findet sich das Erscheinen des künftigen D aseinsbereichs. D ie diversen M öglichkeiten der R einkarnation w erden m it sech s L ich tern besch rieb en :

„Das weiße, strahlenlose Licht der Götter wird dir aufgehen und ebenso das rote Licht der Asura, das blaue Licht der M enschen, das grüne Licht der Tiere, das gelbe Licht der Hungergeister und das rauchige, strahlenlose Licht der Höllenwesen.“ 69

66 D e r g r o ß e B r o c k h a u s , A c h te r B a n d , S . 4 2 2 , s e c h s z e h n te A u fla g e , F .A . B r o c k h a u s W ie s b a d e n 67 V g l. D e r g r o ß e B r o c k h a u s , A c h te r B a n d , S . 4 2 2 , s e c h z e h n te A u fla g e , F .A . B r o c k h a u s W ie s b a d e n 68 D a s Bardo Thödol w ir d a u f v e r s c h ie d e n e W e is e ü b e r s e tz t: Das tibetanische Totenbuch o d e r Das tib etisch e B u ch d er T o ten s in d n u r z w e i m ö g lic h e V a r ia n te n u n d e s tr ä g t a u c h d e s ö fte r e n fo lg e n d e n o d e r äh n lich e U n tertitel, wie in der Ü bersetzun g von Eva K . D argyay: Diese Große Befreiung durch Hören. 69 D a s tib e tis c h e B u c h d e r T o te n , S .1 7 2 47

Dem Leser respektive dem Zuhörer, in der Regel wird das Totenbuch einer im Ster- ben befindlichen oder bereits verstorbenen Person durch einen Lam a am Sterbebett vorgetragen, w ird anem pfohlen über das ihm erscheinende L icht zu m editieren. Ebenso wird dazu geraten, sich in das Licht hinein zu versenken. Übertragen auf die film ische U m setzung von N oé kann dies m it dem in verschiedene L ichtquellen hineinfliegenden Geist oder unter technischen Gesichtspunkten betrachtet mit der Kameraführung verglichen werden. Durch den Vorgang der Versenkung in das Licht und die Betrachtung solle die Reinkarnation verhindert werden.70 A n z u stre b e n sei ein W ech sel von L ich t-M ed itation u n d Yi-dam71, das auch als „reine Gestalt der Halluzination“ um schrieben wird und eine Legitimation für die Unklarheit der Ebenen des Filmes darstellt. Wie bereits zuvor th em atisiert bleibt in der film isch en In szen ieru n g m eh rm als u n k lar, ob es sich b ei d em G esch eh en , d as d er R ezip ien t durch die Perspektive von Oscars G eist sieh t, um reales G esch eh en od er eine von einem der Protagon isten im aginierte M etaeben e han delt. E in w eiteres in der R eihe der bereits aufgezählten Verwirrung stiftenden Elem ente stellt die mögliche Visuali- sieru n g ein es T rau m es von Linda in Oscars W ohnung dar. Bereits zeitlich nach dessen Tod einzuordnen, erwacht L in d a und teilt Mario m it, sie habe geträum t, dass Oscar w eiterhin am L eben sei. G leichfalls ist ein T raum Oscars zu nennen, der wiederum Linda m itte ilt, e r h a b e w ie d e r v o n d e m V e r k e h r s u n fa ll g e tr ä u m t, d e n b e id e als K inder m it ihren E ltern erlitten haben und der sie zu V ollw aisen m ach te. D er Verkehrsunfall ist ein einschneidender Schicksalsschlag. D ie häufige R epetition m it geringfügigen M odifikationen erlangt eine narrative Bedeutung und Berechtigung durch die Benutzung in einer M etaebene. Der Zustand der Leere und Transzendenz sei gleichfalls mit dem Wechselspiel der Meditationen erstrebenswert. Dazu müsse man die eigene „Geist-Natur“72 einer

70 V g l. D a s tib e tis c h e B u c h d e r T o te n , S . 1 7 3 71 Anmerkung des Verfassers: Eva K. Dargyay schreibt in ihrem Glossar zu dem Begriff Yi-dam, dass es sich um arch etypisch e K räfte han dele, die im L aufe des spirituellen W eges visuell erfah ren w erden . Diese Visualisationen erscheinen im Gewand indotibetischer Gottheiten, häufig in sch reck en erregen d er F orm . D er Y i-d am sei som it ein e göttlich e E rsch ein u n g der arch etyp isch en Kräfte, die nicht den aktuellen Stand des Individuums zeigen, sondern Phasen aus dem Ende der sp iritu ellen E n tw ick lu n g darstellen . D ie K räfte hab en V orb ild ch arak ter. Y i-d am seien jed och nich t als G ötter zu versteh en . W äh ren d der Erm äch tigun gsw eihen kön n e ein L am a einem Sch üler behilflich sein, sich seines eigenen Yi-dam bew ußt zu werden. In den Sam m lungen der Universität Wien befinden sich Torma, die für einen Yi-dam gefertigt werden. Torma sind Opferkuchen für eine Schutzgottheit und Teil der rituellen Praxis der Bön-Tradition (Vgl. http://bibliothek.univie.ac.at/sam m lungen/objekt_des_m onats/008475.html ). 72 D a s tib e tis c h e B u c h d e r T o te n , S .1 7 3 48 klaren Begrenzung entziehen und ins Unendliche ausdehnen, bis sie die gleiche Weite des „Wesens des Wahren Seins“73 erlange.74 Dieser Zustand ermögliche eine Verhinderung der Reinkarnation und die Buddha-Werdung.75 Von der Warte der vergleichenden Religionswissenschaften aus betrachtet finden sich exem pli causa im antiken G riechenland äquivalente G edanken aus w estlicher Sicht. D ie Palingenesis steh t im P lato n ism u s fü r ein e R ein k arn ation d er S eele. A u s ch ristlich theologisch er Sich t kan n die Palingenesis auch m etaphorisch für eine Wiedergeburt stehen, die durch den Akt der Taufe erreicht werden kann. Wie dem Kommentar des ersten Teiles zu entnehmen ist, hat die Übersetzerin Eva. K. Dargyay den Begriff Geist-Natur a n a lo g z u d e m tib e tisc h e n B e g riff ra n g-rig k re ie rt, um die Bedeutung möglichst treffend wiederzugeben. Durch M editation könne man die Ausrichtung und Richtung der Kräfte nach innen lenken, woraufhin sie irgend- wann am Mittelpunkt angelangt auf die Leere respektive die Natur des Geistes sto ß e n würden. Demzufolge fasst der Begriff ra n g-rig hauptsäch lich zw ei A spekte zusam - men: Die meditative Introspektion o d e r Ein-Sicht u n d d ie Natur des Geistes.76 Die Leere und damit die Natur des Geistes is t w ie d e r u m in d e r h e u tig e n Z e it e in S in n - bild für den Tod. Naturwissenschaftlich wird er als term inaler Zustand eingestuft und als Zerstörer des Lebens.77 Thurman trägt folgende für die Analyse von Enter the Void relevanten A usführungen über den Tod zusam m en:

„ Er wird mit Schlaf, Dunkelheit und Bewußtlosigkeit in Verbindung gebracht, und von den G lücklichen – oder von denen, die glauben sich glücklich fühlen zu müssen – gefürchtet; von den Leidenden, den von unerträglichem Schm erz und von Verzweiflung Heimgesuchten jedoch wird er als endgültige Betäubung herbeigesehnt.“78

Drei der aufgezählten Attribute des Todes finden eine Entsprechung in der charak- terlich en

73 E b d ., S .1 7 3 74 V g l. D a s tib e tis c h e B u c h d e r T o te n , S .1 7 3 75 V g l. E b d ., 1 7 3 76 V g l. D a s tib e tis c h e B u c h d e r T o te n , S . 8 5 77 V g l. Thurman, Robert A. F. (Hg.), Das Tibetische Totenbuch oder Das Große Buch der Natürlichen Befreiung durch Verstehen im Zwischenzustand, S . 4 7 78 T h u r m a n , R o b e r t A . F . (H g .), Das Tibetische Totenbuch oder Das Große Buch der Natürlichen Befreiung durch Verstehen im Zwischenzustand, S . 4 7 49

Ausgestaltung der Figuren in Enter the Void. Die Dunkelheit steht für das N ach tleben. Die Bewußtlosigkeit repräsentiert die O hnm acht m it der die Figuren dem L eben gegenüberstehen. D ie en dgültige B etäubu ng ist der Verlust der Kontrolle eines Drogenabhängigen. Von einer ständigen Betäubung erlöst er sich durch eine Verab- reich u n g ein er Ü b erd osis, den „G oldenen Schuss“. D ie F ig u re n in Enter the Void sin d alle betäubt und größten teils kontinuierlich unter D rogen einfluss. Für einen „G olde- nen Schuss“ gibt es zw ei m ögliche M otivationen: E ine fahrlässige Ü berdosierung oder der W unsch bewusst einen Suizid zu begehen.

3.3. Medienwechsel/ Transmedialität

Bei der Auseinandersetzung mit dem Thema Medienwechsel/ Transmedialität ist im Vorfeld der Versuch einer Begriffsklärung zu unternehmen. Da es zu diesem Thema voneinander abw eichende Interpretationen und B egriffszuordnungen gibt, stützt sich diese A rb eit au f C h iel K atten b elts A u sfü h ru n gen .79 In d iesen w ird d er B egriff d er Transmedialität, der die Ü bersetzung von einem Medium in ein anderes umschreibt, in zwei Unterkategorien aufgeteilt. Die eine, die für diese A rbeit von B edeutung ist, bezieht sich auf den Inhalt, speziell auf das Repräsentierte und die erzählte Geschichte, wobei durch den Medienwechsel w ä h re n d des Vorgangs der Übersetzung die charakteristischen Attribute des Ursprungsm edi- um s verschw inden. Die andere beschäftigt sich m it d er F orm , in d er h au p tsäch lich stilistisch e V erfah ren , d ie K on stru k tion sp rin zip ien od er ästh etisch e V erfah ren sw ei- sen betrach tet w erd en .80 Durch die stattfindende Übersetzung des tibetischen Buches der Toten in ein v isu elles Medium entsteht im Falle von Enter the Void, w ie a u c h b e i je d e r a n d e re n A d a p tio n einer literarisch en V orlage, eine große V erän derun g der W ah rneh m un g, w om it gem eint ist, dass der U rsprungstext aktiv, sow ie im eigenen R hythm us gelesen werden kann und der Film passiv geschaut wird und seine eigene Zeitlichkeit vorgibt. D er Zuschauer kann sow ohl beim Lesen durch die W iederholung einzelner

79 S c h o e n m a k e r s , H e n r i / S te fa n B lä s k e (H g .), Theater und Medien/Theatre and the Media. Grundlagen - Analysen - Perspektiven. Eine Bestandsaufnahme, B ie le fe ld : tr a n s c r ip t 2 0 0 8 . 80 E b d ., S . 1 2 8 50

Sätze, wie auch beim Film durch Hin- und Herspulen diese Zeitlichkeit durchbre- ch en . D erselbe E ffekt w ird durch eingelegte Pausen erzeugt. D ie Z eit spielt allge- mein eine besonders wichtige Rolle bei dem Medienwechsel, da der Ursprungstext zum eist bei einer T h eaterauffüh run g un d fast ausn ah m slos bei einer V erfilm un g gekürzt wird. D em Zuschauer des Film es gehen som it etliche Inform ationen verlo- ren , w en n er au ch an d ere, d ie in dem tibetanischen Totenbuch nicht vorhanden sind hinzugewinnt. M öglicherweise erschw ert diese Verkürzung die ohnehin schon sch w ierige R ezep tion des tibetischen Buch der Toten um so m ehr. D a es sich bei dem tibetisch en B uch der T oten um eine Schrift, einen religiösen F ührer handelt, entfällt die M öglichkeit, einen Vergleich zu vorausgegangen Theaterinszenierungen anzu- stellen . Darüber hinaus bedingt das Ursprungsmedium der Literatur ein weiteres Element: Die jedem Leser eigenen Bilder, die durch die persönliche Phantasie erzeugt werden und im Laufe der Lektüre ergänzt oder veränderbar werden, können nach dem Medienwechsel gar nicht erst entstehen, da die eigene Vorstellungskraft durch die vorgegebenen Eindrücke der subjektiven Sichtweise des Regisseurs blockiert werden. Gleichfalls gehen durch den Prozess der Übersetzung in ein anderes Medium die Eigenarten des Ursprungsmedium s verloren. Somit findet zunächst eine Reduktion statt, um die erzäh lte G esch ich te tran sp ortieren zu kön n en , die dan n m it der Sp rach e und den eigenen M öglichkeiten des anderen M edium s auf eine neue W eise erzählt wird. Diese Reduktion ist vor allem darauf zurückzuführen, dass ein Film viel mehr Rezi- pienten als die Literatur aufweist und sich dem nach auch an die Konventionen der Zuschauerschaft und der Filmindustrie halten muss, die eine bestimm te Filmlänge aus ökon om isch und psych ologisch bedingten G ründen festgesetzt hat und dadurch en tsch eiden den E influss auf die Produktion en ausüben . N ich tsdestow en iger gibt es gerade in der Industriesparte Independentfilm M öglich keiten auf Hollywood-E rzäh l- muster zu verzichten und den Prozess des Medienwechsels in einer Weise zu vollzie- hen, die sich näher an dem W erk des Ursprungsm edium orientiert und som it den Versuch unternimm t eine Geschichte unverändert, nur in einem anderen Medium rep räsen tiert, darzu stellen . 51

In sein er Ä sth etik , sein er M ach art un d sein er id eellen A u srich tu n g ist Enter the Void ein Independent F ilm . E in e B e s e tz u n g , m it in d e r E n ts te h u n g s z e it w e ltw e it b e k a n n te n Schauspielern, würde auf einen durchschnittlichen Zuschauer eher kontraproduktiv einw irken . Ein Star als H auptdarsteller w ürde durch sein Im age un d die un w eigerli- ch e Erinn erun g an von ihm zuvor gespielte R ollen eine Blockade bei dem R ezipien - ten hervorrufen, die verhindert dass m an von seiner P erson abstrahieren und sich vollkom m en auf dessen Schauspiel und dessen Figur in Enter the Void einlassen könnte. Die Herangehensweise von Gaspar Noé Enter the Void zu inszenieren ist textlich nicht an das Ursprungsm edium angelehnt und imitiert dieses in keiner W eise. Zugleich könnte man eine Imitation des Medium s Theater feststellen. Durch den um herfliegenden Geist und die Kontinuität der Räum e wird zwar ein gegenteiliges Gefühl erzeugt, die meisten Szenen wurden jedoch in geschlossenen Räumen und mit wenigen Schauspielern gedreht. Diese Aspekte könnten eine Übersetzung der ästhetisch en K onvention en des T h eaters hin zum F ilm darstellen . Insofern kann auch von einer m edium übergreifen den Form der In tertextualität gesprochen w erden, in der A rt, dass N oé m it dem M edium F ilm auf das M edium T heater verw eist. D ies ist insofern von B edeutung, als das T heater nicht im Sinne der literarischen V orlage das Ursprungsm edium ist, jedoch in Bezug auf den Versuch eines M edienw echsels mehrere Jahrhunderte lang das einzige andere Medium neben der Literatur darstellte. Folglich gibt es eine Aufführungs- und Interpretationstradition, die Noé in ih re n G e sta ltu n g sp rin z ip ie n z itie rt. D ie A u se in a n d e rse tz u n g m it a n d ere n M ed ie n , ihrer gegenseitigen B eeinflussung und A bhängigkeit, erfolgt w ährend des gesam ten Films. Die Motivation den Film zu realisieren scheint ebenfalls in einem der Hauptpro- blem e des M edienw echsels zu liegen: W ie kann m an das tibetische B uch der Toten einem Publikum näh er bringen , das keinerlei V orw issen über dieses hat? Der Geist von Oscar w ird zu einer A rt m odernem allw issen den E rzäh ler, der die Abläufe des tibetischen B uches der Toten in die heutige Zeit transportiert und sie dadurch verständlicher macht. Auf visueller Ebene wird dem Rezipienten wiederholt das tibetische Buch der Toten als M edium B uch gezeigt. D ies kom m t einer A ufforde - 52 ru n g gleich , sich m it diesem als In formationsquelle zu beschäftigen oder soll zumin- dest die Neugier des aufmerksam en, interessierten Rezipienten wecken. Der Umgang mit der Sprache des Ursprungsmediums und eine präzise Übertragung in d a s n e u e M e d iu m sin d b e so n d e rs w ic h tig b e i e in e m M ed ie n w ec h se l. K e in e r d e r Dialoge in Enter the Void basiert auf den originalen oder bearbeiteten T extpassagen aus dem tibetischen Buch der Toten. N ic h t z u v e rn a c h lä ssig e n ist d ie T a tsa c h e , d a ss d e r Ursprungstext auf Tibetisch verfasst ist und Enter the Void bis auf w en ige kurze japa - nische Dialoge ausschließlich in Englisch gehalten ist. Diese Form des Medienwech- sels bed in gt in d er F olge au f ein er m en sch lich psych ologisch en B asis ein e R eak tion der Neugier bei dem aufmerksam en interessierten Zuschauer und den W illen sich an den Text zu wagen. Som it kann ein indirekter rückw ärtiger M edienw echsel, vom Film zum Text zurück, stattfinden. In d irek t, d a sich erlich n u r ein T eil d es P u b li- kum s im Nachhinein Interesse verspüren wird sich mit dem Original auseinander zu setzen u n d d as O rigin al n u r als visu eller A n reiz in d en F ilm ein geb au t w u rd e. D er Rezipient erfährt auch nur durch Dialoge zwischen Alex u n d Oscar b ru ch stü ck h aft, wovon der Inhalt des tibetischen Buches der Toten h a n d e lt. Abschließend lässt sich sagen, dass bei der Analyse von Enter the Void d e u tlic h w ird , dass es sich nicht um eine Literaturverfilmung handelt. Bei Filmen mit einer literari- sch en V orlage gilt es in erster L in ie den U m gan g m it dem U rsprun gstext zu an alysie- ren un d zu th em atisieren in w elch er F orm der M ed ien w ech sel vollzogen w ird . Für Enter the Void b iete t das tibetische B uch der T oten auf inhaltlicher E bene nur eine Struktur für die Narration. Zudem stellt es lediglich die M öglichkeit einer Anleh- nung dar und ist nicht eine akkurate Visualisierung. Im Rahm en des M öglichen werden die im Buch beschriebenen Vorgänge und Möglichkeiten genutzt, um den von G aspar N oé gew ählten Ausgang des Film es zu unterstützen . D ie Z eitlosigkeit der Gedanken, die in dem tibetischen Buch der Toten geäußert w erden, soll durch ihre adäquate Ü bertragun g auf sem iotischer E bene in die heutige Z eit, die heutigen Lebensformen und die veränderte Weltsicht der Menschen führen. 53

3.4. Ehe und Wertevorstellungen

In d er w irren , b etäu b ten L eb en sfü h ru n g steh en d ie S en tim en te d er F igu ren im Vordergrund. D ie gegenw ärtige Stim m ung und die B efriedigung ihrer Süchte m oti- viert sie zu agieren oder zu stagnieren. D ie Illusion am gesellschaftlichen Leben teil- zuh aben sch eint bei den F iguren auch durch ihre un tersch iedlichen A rbeitsfelder gegeben. Die Wertevorstellungen aller Figuren basieren nicht auf einem ethischen Bewußt- sein . Z u d em ist ein m oralisch gep rägter V erh alten sk od ex n ich t erk en n b ar. Ih r Lebensprinzip impliziert die Negierung des Alltags. Um dies zu unterstreichen, üben alle F iguren T ätigkeiten aus, die der U nterhaltung dienen , illegale H an dlungen einsch ließen , am oralisch sind un d skrupellos ersch einen . Die Ehe ist sowohl in den christlichen Religionen als auch in deren Ausübung von zen traler Bedeutun g. Im Buddh ism us w ird eine Eh esch ließun g nich t so stark bew er- tet und n eutral betrach tet. E s gibt allerdin gs A n leitungen w ie ein e glücklich e E h e zu bestreiten sei. In Enter the Void w ird die E he als eine veraltete, nicht funktionierende K onvention dargestellt. Im Verlauf des Films werden nur zwei Ehepaare gezeigt und beide Ehe sin d au s u n tersch ied lich en G rü n d en zu m S ch eitern veru rteilt. D as erste E h ep aar sin d d ie E ltern von Oscar und Linda, d ie d er In szen ieru n g n ach zu u rteilen ein e glückliche Ehe geführt zu haben scheinen. Der äußert brutal dargestellte Unfalltod der Eltern stellt ein vorzeitiges Ende ihrer Liebesbeziehung und damit der Ehe dar. Die Entwicklung von Linda u n d Oscar und das Gros der Problem e von der Kindheit bis zum frühen Erwachsensein scheint auf dieses traum atische Erlebnis deduzierbar zu sein. In E n ter th e V o id w e rd e n d u rc h d ie zah lreich en R ückblenden E instellun gen oder gar Sequen zen w iederh olt. K eine dieser Auszüge aus dem Leben von Oscar w ird jedoch so oft und in unterschiedlich langen A usschnitten gezeigt w ie der A utounfall. A llein der visualisierte Schm erz wird zur Bürde für den Rezipienten. Möglicherweise führen diese unverarbeiteten Erlebnisse des Geschwisterpaares zu einem unbew ussten D ran g, den m on ogam en glücklichen L eben sstil der Eltern in der Umkehr, in dem eigenen promiskuitiven Verhalten, auszuleben. 54

Das zweite Ehepaar in Enter the Void sin d d ie E ltern von Victor. S o w o h l Victor als auch sein V ater erzäh len Oscar, d ie E lte rn h ä tte n sic h k e n n e n g e le rn t, a ls d ie M u tte r als G ogo- T änzerin in einer Bar gearbeitet habe. Suzy, d ie M u tte r v o n Victor, b ie tet Oscar an , ih m zu h elfen d as G eld fü r d as F lu g - tick et v o n Linda zu beschaffen. D araufhin verführt Suzy Oscar, d e m sie d a s V e rsp re - ch en abn im m t, dass diese A ffäre ein G eh eim n is bleiben m uss. Sie haben heim lich miteinander Geschlechtsverkehr und bei einem Besuch in der elterlichen Wohnung von Victor d e c k t d ie s e r d ie B e z ie h u n g a u f. Hiermit konfrontiert er Oscar zun äch st bei einem Treffen in dessen W ohnung, en tlockt ihm ein G estän dn is un d m ach t seinem U n m ut im A ffekt L uft, indem er eine Bierflasch e in dessen G esich t zertrüm m ert un d davon läuft. Sch lussen dlich füh rt diese Entwicklung zu dem Verrat gegenüber der Polizei in Tokyo und daraufhin zu dem Tod Oscars. In A nw esenheit des V aters w ill Victor den Sachverhalt aufklären, Suzy leu gn et d en Ehebruch und überzeugt ihren Mann. Seine Rückendeckung manifestiert dieser in einem A kt körperlicher G ew alt gegen über dem eigen en Soh n un d verstößt ihn daraufhin. Möglicherweise tragen diese Ereignisse bei zu einer sexuellen Umorientierung Victors zur H om osexualität. A m Ende des Film s in der O rgie im Love Hotel wird Victor b e im g le ic h g e s c h le c h tlic h e n O r a lv e r k e h r g e z e ig t.

3.5. D er Regisseur als Scham ane

In n erh alb ein er F ilm p rod u k tion n im m t d er R egisseu r ein e leiten d e F u n k tion ein . Bei der Verfilmung eines selbstverfassten Drehbuches und nicht minder bei der Adaption eines literarischen Textes, ist die Voraussetzung für einen gelungenen Medienwechsel eine der zentralen Fähigkeiten eines Regisseurs: Die Auswahl und in der Folge die Kadrierung von aus seiner subjektiven W arte aus gesehenen und für die Veröffentlichung gewählten Vorgängen im Leben. Als Führungsperson ist er Seher, Sehender und Scham ane. In Enter the Void ist Alex der Scham ane und K ünst- ler. E r und sein japanischer M itbew ohner sind die einzigen F iguren, die etw as ersch affen un d sich durch ihre K un st ausdrücken . D ie F igur des Alex rep räsen tiert 55 sin n b ild lich G asp ar N oé, der die F u n k tion ein es ku ltu rellen , religiösen M ittlers h at. Ausgehend von einer Visualisierung des tibetischen Buches der Toten in Enter the Void, käm e diese Funktion in der Verm ittlung des Gehalts des Buches gegenüber dem Kinopublikum zur Geltung. Inhaltlich repräsentiert Enter the Void diesen A n satz. Der Film stellt die Schnittmenge der menschlichen und der Welt eines Geistes dar. Wie dies so oft die Arbeit eines Regisseurs ist, verbindet Noé somit zwei Welten. Er hat dam it eine Doppelrolle: Alex, S ch am an e u n d A lter E go N oés, verm ittelt als Grenzgänger zwischen Diesseits und Jenseits. Gleichzeitig stellt Alex im F ilm u n d Noé in der Wirklichkeit den Mittler und das Bindeglied zwischen der Gesellschaft und ihren Randform en dar. Eine zusätzliche Funktion, sowohl von Alex im F ilm a ls a u c h v o n N o é in d e r R e a liä t, ist d ie d e s D ro g e n sc h a m a n e n . Alex fü h rt Oscar in die W elt der D rogen ein. N oé zeigt minutenlang die Visualisierung von einem Drogentrip, macht Drogen zu einem der Themen in Enter the Void u n d d ie R ezep tion d es F ilm s zu ein em D rogen erleb n is. Noé als Künstler wird zu einer Symbiose des filmischen und des realen Schamanen. Alex ist gen E nde des F ilm s w ie alle anderen F iguren im Love Hotel. D ie se s k a n n a ls ein betretbares un d erlebbares O rakel, in dem die Beziehun gen der Figuren un terein - ander und deren generelle Bedeutung aufgedeckt werden, angesehen werden. Zugleich ist das Love Hotel ein e M etap h er fü r d ie L ieb e, als ein zige L ö su n g in d er Existenz und als übergeordnetes Prinzip. Die Liebe genießt auch in der Religion eine besondere Bedeutung, beispielsweise in dem Postulat der Nächstenliebe. Im Love Hotel geht es daher nicht vorrangig wie auf den ersten Blick erscheinend um Geschlechtsverkehr. Die vertikale Ausrichtung des Gebäudes stellt eine Stufenfolge dar. In den unteren „niederen“ Etagen der Existenz wird der Koitus als reine Lust dargestellt. Im Penthouse, der „höchsten“ Stufe der Existenz, dient der Geschlechts- verkehr als M etapher und zugleich als M anifestation der Liebe. Daher erlebt der Zuschauer den gesamten Akt des Koitus bis hin zu der Fertilisation. Das Bild der Liebe in ihrer reinsten Form durch die Zeugung und anschließende Menschwerdung schließt und eröffnet den Fluss des ununterbrochenen Seins. Diese Darstellung stellt eine Anlehnung an Glaubensinhalte im Buddhismus dar, die Thur- man folgendermaßen beschreibt: 56

„D ie T ibeter haben die vernünftige A nsicht, daß das Leben grenzenlos ist, daß w ir weder aus dem Nichts kommen, noch einfach zu Nichts werden können. Wir sind sow oh l a n fa n glos a ls a u ch en d los.“ 81

Die christlichen Religionen konnotieren das Attribut des Ewigen nur mit einer gött- lichen E xistenz. D iese hat keinen A nfang und kein E nde. In Enter the Void w ird su ggeriert, dass ein E w igk eitserleb n is du rch D rogen k on su m erlan gt w erd en kön n e. Alex, K ünstler und E rzeuger eines K indes, leitet als Scham ane das P rinzip der L iebe durch den Film. Er erlebt selbst eine W andlung von einer physischen hin zu einer transzendenten L iebe. D urch diese Ü berlegungen erschließen sich w eitere A ussagen über den Kreislauf des Lebens: Das Verlorensein der Figuren in Enter the Void u n d Oscars T od können durch die L iebe überw unden w erden. D ies stellt auch den G rund dar, warum Oscars M u tte r a ls s e h r lie b e v o ll g e g e n ü b e r ih r e n K in d e r n d e r a r t h ä u fig in die Narration eingebunden wird. Tod wird nicht als Verlust dargestellt, sondern als Teil eines ewigen Kreislaufs, der die Liebe impliziert. Die Liebe zu Linda lä sst Oscar seine A n gst und alle U nsicherh eiten, die er in sein em Leben angesamm elt hat, überwinden. Der Schamane Alex w arnt Oscar, k an n ih n nicht von seinen autodestruktiven Handlungen abhalten. Oscars L iebe zu seiner Schw ester wird durch Alex w eitergelebt. E iner der seltenen W echsel in der P erspek - tiv e im Love Hotel, w e g v o n e in e r A u fsic h t, h in z u e in e m point of view shot aus dem Körper von Alex h e r a u s , u n te r s tr e ic h e n d ie s e T h e s e .

81Thurman, S. 44 57

4. Rituelles

„Für Gruppen wie für Individuen bedeutet leben unaufhörlich sich trennen und wieder vereinigen, Z ustand und F orm verändern, sterben und w iedergeboren w erden. E s bedeutet handeln und innehalten, w arten und sich ausruhen, um dann erneut, aber anders zu handeln.“82

4.1. Les rites de passage v o n A r n o ld v a n G e n n e p

Von der Volkskunde und der Ethnographie wurden ad infinitum Riten als kongruie- ren d ein gestu ft, d a sie m it d er gleich en In ten tion von d en m eisten V ölkern trotz abw eichender Zerem onien vollzogen werden.83 Das Leben verlangt dem Individuum Modifikationen in seiner Art und Weise zu leben und eine zyklische N eu-P ositionierung innerhalb der G esellschaft ab. Die Phasen enthalten partiell einander ähnelnde Charakteristika. Der Vorgang der Geburt beispielsweise läutet ebenso einen neuen Abschnitt ein wie das Wechseln der Arbeitsstätte oder die Pensionierung. Wie Arnold van Gennep erläutert, erfüllen all diese Veränderungen einen analogen Zweck: „Das Individuum aus einer genau definierten Situation in eine andere, ebenso genau definierte hinüberzuführen.“ 84 Weiterhin schlussfolgert van Gennep, dass similäre Ziele gleichartige Methoden zu deren Erlangung voraussetzen und dass ein Individuum sich durch das Überschrei- ten von G renzen, das E inleiten sow ie A bschließen von L ebensetappen verändert.85 Demnach weisen Zeremonien, die aus Anlass einer Geburt, der Kindheit, der sozia- le n P u b e rtä t, d e r V e rlo b u n g , d e r H e ira t, d e r S c h w a n g e rsc h a ft, d e r E lte rn sc h a ft, d e r Initiation in religiöse G em einschaften sow ie der B estattung praktiziert w erden, ähnliche Strukturen auf.86

82 V a n G e n n e p S . 1 8 2 83 V g l. V a n G e n n e p S . 1 8 3 84 V a n G e n n e p S . 1 5 85 V g l. V a n G e n n e p S . 1 5 86 V g l. v a n G e n n e p S . 1 5 f. 58

Der Rhythmus des menschlichen Lebens gleiche in solchen Belangen den Abfolgen der natürlichen Prozesse sow ie den rhythm ischen Gesetzen folgenden kosm ischen Modifikationen. Jene Übergangsriten, d ie a u c h v o n B ed eu tu n g fü r d ie D y n a m ik d es menschlichen Leben seien, hier wären exemplarisch Feierlichkeiten für das Neujahr oder M onatsübergänge m it Vollm ond zu nennen, seien besonders aufschlussreich.87 Van Gennep wählt primär eine grobe Aufgliederung in Theorie (Religion) u n d Technik (M a gie). Die Theorie un terteilt sich in den D ynam ism us, d er monoistisch un d unpersönlich zu ch arakterisieren ist, u n d Animismus, d er als dualistisch und persönlich bezeichnet werden kann. Der Überbegriff Animismus vereinigt vier Tendenzen und deren Zwischenstufen: Totemismus, Spiritismus, Polydämonismus u n d Theismus. D ie Techni- ken, die in Form von Riten umgesetzt werden, erscheinen van Gennep in z w e i A rte n su b stan ziiert: Sympathetische u n d kontagiöse R iten .88 U nd diese w erden w iederum in direkte, indirekte und positive sow ie negative, in Erscheinung tretend durch Tabus beziehungsweise Riten kategorisiert. „Die sympathetischen Riten basieren auf dem Glauben an die Wirkung des Gleichen auf das G leiche, des G egen satzes auf den G egen satz, des Behältnisses auf den Inh alt (und um gekehrt), des A bbildes auf das A bgebildete (und um gekehrt), des W orts auf die Tat.“89 Kontagiös bezeichnet van G ennep hingegen R iten, die an den G lauben der Ü bertrag - barkeit, trotz einer Distanz oder durch unm ittelbaren Kontakt gekoppelt seien, da es sich um natürliche r e s p e k tiv e erw orben e Q u alitäten stofflicher A rt h a n d e le .90

4.2. Rituelles in Enter the Void

Bei näherer Betrachtung der Begriffe Ritual und Ritus gilt es zunächst eine Unter- scheidung vorzunehm en, da beide unabhängig von ihrer allgem einen B edeutung auch eine fachspezifische innerhalb der wissenschaftlichen D isziplinen haben. Ersterer impliziert in seiner allgemeinen Form den Ritus und charakterisiert sich durch zahlreiche Elem ente als der um fassendere Begriff. Verhaltensweisen von

87 Vgl. van Gennep S. 15f. 88 V a n G e n n e p S .1 6 89 Ebd. 90 V g l. V a n G e n n e p S . 1 7 f. 59

Tieren und deren Fluchtverhalten91 genauso wie m enschliche Verhaltensm uster, welche bedeutsam bei der Analyse von Enter the Void sind, fallen darunter. D ie Begrifflichkeit des Ritus hingegen beschreibt religiöse Handlungen, festliche Zere- monien und gesellschaftliche, kulturell gebundene Abläufe wie die japanische Teeze- rem on ie, bei d er es je n ach L eh rer u n d Sch u le V ariation en gib t, ab er G ru n d m u ster im m er gleich bleiben. M anifestationen von Z w angsstörungen, veraltend auch Anan- kasm en92, und deren U nterteilung in Z w angsvorstellungen und Z w angshandlungen, wie beispielsweise ein bestimm tes, imm er gleiches Vorgehen, die Wohnungstür auf unübliche W eise mit einer bestimm ten persönlich konnotierten Abfolge zu versper- ren , w ie es der P rotagon ist Melvin Udall in As Good As It Gets93 vollzieh t, ken n zeich - nen ein Ritual. Drogenkonsum ist ein zentrales Thema in Enter the Void. D ie se D ro g e n a b h ä n g ig k e it weist vergleich bare Stad ien w ie diverse In itiation sprozesse auf. D er K on su m folgt meistens einem Dreisatz bestehend aus Konditionierung auf den Wirkstoff, einer darauf folgenden Überwindung gefolgt von einem Abhärten, was eine Steigerung der Dosis erzeugt.

Ein weiteres wichtiges Ritual in Enter the Void stellt d as B estattu n g sritu al d es P ro t- agon isten Oscar dar. D a es sich um eine U rnenbestattung handelt, ist das T rauerri- tual m odifiziert: D ie K örperlosigkeit des V erstorbenen bedingt eine E ntm ystifizie - ru n g der B estattu n gszerem on ie un d nim m t ih r dam it au ch die räu m lich e D im en sion , in der T rauer ausgelebt w erden kann. In früheren Z eiten w urde im F am ilienkreise oder auch m it F reunden des V erstorbenen im Sterbezim m er, das oft in dem Eingangsbereich des Hauses lag, Abschied genomm en. Dort wurden die für den Kulturkreis und die soziale Schicht angemessenen Trauerrituale vollzogen. In Indo- nesien dauern traditionelle Bestattungsriten m ehrere M onate und implizieren verschiedene Prozeduren.94 V ergleichbar dazu sind die T rauerriten in w estlichen Ländern, die ein ganzes Jahr dauern. Der Glaube der indischen Kol inkludiert die Rückkehr eines Toten auf die Erde und die Möglichkeit in dem Erstgeborenen eines

91 V g l. W is s e n s c h a ftlic h e r R a t d e r D u d e n r e d a k tio n , Duden , Das große Fremdwörterbuch, Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus AG: Mannheim, 1994, S.1204 92 V g l. D u d e n , S . 9 2 93 http://akas.imdb.com /title/tt0119822/ , Z u g r iff a m 0 9 .1 0 .2 0 1 2 94 V g l. V a n G e n n e p S . 1 4 5 60

Verwandten reinkarniert zu werden.95 D ie A u flistun g dieser V erfah ren sw eisen soll verdeutlichen, dass einige der Visualisierungen und Teile der D ram aturgie in Enter th e V o id d ie s e R ite n r e fle k tie r e n , d a b e i h a n d e lt e s s ic h u m e in e S y n th e s e v o n R itu a le n und religiösen Traditionen. Diese Reflexion bedeutet eine Übertragung traditioneller Riten ins moderne Tokyo mittels der Narration der konkreten Geschichte in Enter th e V o id . Ohne die Aufbahrung des Leichnams ist die Trennung von einem Verstorbenen nur noch in abgewandelter Form möglich. Der Tote besteht nur noch aus Asche und befindet sich in dieser m odifizierten Form in einem herm etisch verschlossenen Aufbewahrungsgefäß, der Urne. Linda erk en n t d ie Ü b erreste in d er U rn e n ich t als ih ren B ru d er an . N ach m eh rfa- ch em W einen un d W utausbrüch en entsch eidet sie sich dafür, die A sch e in die Spüle der ehem aligen W ohnung Oscars, d ie sie z u d ie se m Z e itp u n k t b e w o h n t, z u sc h ü tte n und herunter zu spülen. Van Gennep erläutert, dass es unterschiedliche Vorstellungen für den Verbleib der Seelen nach dem Tode gäbe. Einige der Seelen 96 b e s itz e n d ie F ä h ig k e it a u c h ü b e r d e n Tod hinaus entweder ewig oder zeitweilig weiter zu leben, andere sterben zusamm en mit dem Körper.97 Die Hinterbliebenen eines Verstorbenen durchleben eine Umwandlungsphase, d ie m it den Trennungsriten beginnt und mit sukzessiven Reintegrationsriten abgeschlossen wird. Eine Ausnahmesituation, die laut van Gennep den Prozess der Reintegration beeinflusst, stellt eine anhaltende „körperliche B eziehung (z.B. durch eine Schw anger- sch a ft) zu m T oten “ 98 d a r . Der Geist von Oscar ist in der L age die physischen B arrieren zu durchbrechen und tritt sow ohl in den K örper von Mario als auch in den K örper von Alex ein, w äh ren d diese m it seiner Schw ester Linda Geschlechtsverkehr haben. Es bleibt unklar, ob diese Fähigkeit lediglich eine Darstellung von Oscars O m nipräsenz als G eist unter- streich en soll. Die Szene kann jedoch auch als Metapher begriffen werden, die veran-

95 V g l. E b d . S . 1 4 8 96 A n m e r k u n g d e s V e r fa s s e r s : V a n G e n n e p n e n n t h ie r b e is p ie ls w e is e A te m s e e le , S c h a tte n s e e le , Miniaturseele, Lebensseele, Blutseele und Kopfseele. 97 V g l. V a n G e n n e p S . 1 4 3 98 E b d . S . 1 4 4 61 sch au lich t, d ass Oscar Teil an einer physischen Befruchtung seiner Schwester nehm en will und ihm dies als Geist möglich ist.

Van Gennep unterscheidet zwei Riten, die Sexualpraktiken implizieren. Die Unter- scheidung hängt davon ab, ob der G eschlechtsverkehr außerhalb des R itus m it einem Tabu belegt ist. Die Tabuisierung basiere auf der Bewertung einer Gesellschaft, dass der Geschlechtsverkehr unrein sei und eine magisch-religiöse Gefahr darstelle.99 In dem L ove H otel w erd en dem R ezip ien ten die m eisten F igu ren au s dem F ilm beim Geschlechtsverkehr gezeigt. Die Kameraperspektive ist dabei die des herumirrenden Geistes von Oscar. Der rituelle Geschlechtsverkehr kann als Teil von Initiationszeremonien erfolgen. Der Sex hat innerhalb der Zeremonie symbolischen Charakter, er ist Ausdruck der Angliederung. Durch die Vereinigung aller Mitglieder einer Gruppe soll eine feste und tiefe Bindung zwischen ihnen entstehen.100

Im P en th ou se des Love Hotels w e rd e n Alex u n d Linda, d ie z u m e rste n M a l m ite in a n - der schlafen, zuerst mittels einer Aufsicht gezeigt. Die Kam era fliegt in Alex h in e in , der Rezipient durchlebt eine weitere Im m ersion und „schläft“ mit Linda. D a ra u fh in wechselt die Kamera in eine intravaginale Perspektive. Alex erlebt seinen K lim ax und sein Ejakulat wird durch den Organism us von L in d a hindurch bis zur B efruch - tu n g v o n d er K am era b eg leitet. Diese Befruchtung ist für die erste Interpretationsvariante, die eine Reinkarnation von Oscar durch die Schw angerschaft von Linda voraussetzt, von B edeutung. A uch wenn es nicht Linda ist, die m an am Schluss im K rankenhaus sieht, ist sie doch zum zw eiten M al nach der A btreibun g sch w an ger. Geschlechtsverkehr muss nicht zwangsläufig mit Unreinem assoziiert werden. In der konträren Auffassung enthält die Kohabitation jedoch auch das Attribut des „Macht- vollen“101 u n d g e w in n t d u r c h d ie s e „ Ambivalenz des Sakralen“102 eine Son derfun ktion . Der kollektive Geschlechtsverkehr im Love Hotel ist in diesem Z usam m enhang als Ritus und Medium zugleich auszulegen. Alle Figuren werden durch den gewährten

99 V g l. V a n G e n n e p S . 1 6 3 100 V g l. E b d . S . 1 6 4 101 E b d . S . 1 6 3 102 V g l. E b d . 62

Einblick demaskiert und offenbaren den Grundm otor ihres Seins: Die Liebe und die Fortführung des Lebens. Die Orgie im Love Hotel kön n te m an dah er auch als V isualisierun g einer starken Energie interpretieren, alle Geschlechtsorgane leuchten mit Neonfarben. Das wahre Gesicht der Menschen wird gezeigt. Die Neonfarben durchleuchten sie. Wird der Geschlechtsverkehr mit einer Prostituierten vollzogen, die im Vorfeld einer Gottheit geweiht worden ist, ist dies ein Modus, um sich mit dieser Gottheit zu iden- tifizieren o d er u m m it ih r in K o n tak t zu treten 103. B e i N o é fu n g ie rt d e r K o itu s n a c h diesem Prinzip als M edium der Kom m unikation mit dem Übernatürlichen, weshalb er diesen im D etail un d un zen siert visualisiert. Die erste Schwangerschaft und die erste Niederkunft heben sich unter rituellen Gesichtspunkten von späteren Schwangerschaften ab. Diverse Völker schenken der Geburt des männlichen Erstgeborenen besondere Achtung.104 Oscar ist nicht nur männlich, sondern auch der Erstgeborene. Seine Geburt ist ein zentrales Ereignis im Film. Enter the Void en det m it einer G eburtsszen e un d es hän gt von dem Interpretati- onsansatz ab, ob es sich um seine ursprüngliche Geburt oder um seine Reinkarnation handelt. Bereits in der Anfangssequenz unterhält sich Oscar m it Alex u n d m erk t an , dass er, falls Linda v o n Mario schw anger w erden sollte, das K ind töten w ürde. D avon ausgehend, dass die G eburt am Ende des Film es Oscars E rinnerung an seine eigene Geburt darstellt, würde diese einzige wirkliche Niederkunft die rituelle Sonderrolle unterstreichen. De facto ist nicht zu klären, ob es sich bei Lindas erster, vo n ein er Abtreibung gefolgten Schwangerschaft, um einen Trip von Oscar handelt. D enn innerhalb der T rips kom m t es zu A ngstvisionen der Z ukunft, an der er als V erstorbe - ner nicht teilnehm en kann. Die Unterscheidung von Angstvision und tatsächlicher Erinnerung ist nicht imm er eindeutig. Festzuhalten ist, dass seine Angstvisionen im Zusamm enhang mit Linda stehen, was den Rezipienten im m er wieder an deren ursprüngliches Versprechen erinnert.

Im tib eta n isch en T o ten b u ch sin d etliche B esch reibungen zu finden, die R ituale in ihrer Umsetzung darstellen. Die buddhistische Wesenheit des tib eta n isch en T o ten b u ch es überwiegt, obzwar scham anistische Züge in ihm zu erkennen sind. Die Aufgabe des

103 V g l. E b d . S . 1 6 3 104 V g l. E b d . S . 1 6 9 63

Scham anen war es, Sterbende zu begleiten, indem er durch Trom m eln in einen Zustand der Trance geriet, während der er der Seele des Verstorbenen als Medium diente. Der Scham ane begleitete die Seele in der Zw ischenw elt und verhalf ihr sich in d e r W e lt d e r L e b e n d e n w ie d e r z u sta b ilisie re n .105 Der lamaistische Mönch skandiert am Totenbett das tib eta n isch e T o ten b u ch und ersetzt son ach das Ritual des Sch am an en . Dieses rituelle Zeremoniell wird in Enter the Void in jeglicher H in sicht vern achläs- sigt. Oscar verstirbt sofort am S ch au p latz sein er E rsch ieß u n g d u rch d ie jap an isch e Polizei, Keishi-chō. D ie b eteiligten tok yoter P olizeib eam ten u n d sp äter ärztlich es Personal untersuchen ihn und transportieren ihn auf einer Totenbahre ab. Vor seiner Kremation wird eine zweite Leichenschau durchgeführt. Linda so w ie ih r ja p a n isc h e r „L ebensgefährte“ und C lubbesitzer Mario erh alten d ie M öglich k eit den L eich n am von Oscar zu seh en , u m d ie Id en tität d es T o ten zu attestieren . D er T o te u n d sein e Seele bleiben dem nach völlig unvorbereitet für den folgenden „Z w ischenzustand“. In effectu vern eigt sich das P erson al im K rem atorium lediglich respektvoll vor dem Leichnam im verschlossenen Sarg, bevor er verbrannt und später in der Urne depo- niert wird. Die Verkümmerung des Bestattungsrituals wird durch diese Szene im Krematorium them atisiert. Selbsterklärend könnte das F ehlen des R itus durch die frem dländische Herkunft von Oscar und m angels seiner buddhistischen Religionszugehörigkeit begründet werden. Andererseits stellt der Film inhaltlich nur eine Anlehnung an die Riten und geschilderten Abläufe des tib eta n isch en T o ten b u ch es dar und m uss dem nach nicht zwangsläufig jedes Elem ent narrativ berücksichtigen. Ein Element dieses Ritus ist dennoch insofern vorhanden, als dass Alex d ie R o lle d e s Scham anen und Lam as verkörpert. Statt es zu Lebzeiten am Sterbebett zu rezitieren, le ih t e r Oscar d as B u ch m it d er A u fford eru n g, es zu lesen . B eim ersten B esu ch in Oscars W o h n u n g e r fo lg t d ie N a c h fr a g e , o b e r d a s B u c h g e le s e n h a b e . Wiederum dient die Rezitation des tib eta n isch en T o ten b u ch es der Beruhigung des Toten, da dieser in Unwissenheit über seinen Zustand beunruhigt ist.

105 V g l. R e in h a r t H u m m e l S .5 9 64

Die buddhistische Qualität des Bardo Thödol steht trotz der thematisierten schama- nistischen Elem ente im Vordergrund. Die Schule der „W eg der Alten“ (Theravâda) findet hier keine A nw endung, sondern der B uddhism us des „G roßen F ahrzeugs“ (M ah ây ân a).106

4.3. Konstruierte, ritualisierte Seduktion als Metaebene

Universelle Grundmuster lassen sich auch genreübergreifend im Aufbau von Filmen erken n en . D er R ezipient eines F ilm s ist in erster L inie B eobach ter. Lässt er sich jedoch auf die Struktur und E rzählform des F ilm es ein und som it dessen originelle Dramaturgie, ist es dem Rezipienten als aktivem Zuschauer möglich solche univer- sellen G rundm uster zu erkennen, die der D ram aturgie des F ilm es zugrunde liegen. Der Unterschied dieser Rezeption beruht auf der Fähigkeit des Zuschauers sich bew usst und zugleich weltvergessen durch die M etaphorik des Film s verführen zu lassen und som it die G enese von neuen Sinnzusam m enhängen zu erm öglichen. Der sexuelle Aspekt des Voyeurismus wird in Enter the Void durch die Ikonisierung von Linda in d en V ord ergru n d gerü ck t. S ie d u rch leb t ein e W an d lun g, d ie d er d es Rezipienten sehr ähnlich ist. Bei ihrer Ankunft in Tokyo stellt sie das unschuldige Mädchen dar, das ihren Teddybär als verbindendes Element der gemeinsamen Kind- heit mit Oscar u n d als S ch u tz sch ild m it un d vor sich h erfü h rt. Ih re äu ß ere E rsch ei- nung entspricht einer ihrer eigen en E rotik n ich t bew ussten jun gen F rau. Die Verwandlung zur Femme fatale e rfo lg t n a h tlo s u n d lä sst sic h a u f Oscar z u rü c k fü h re n , der ihr Drogen anbietet, einen Kontrollverlust herausfordert und sie dadurch ihre eigen e E rotik entdecken lässt. A n dererseits bringt Linda ih r B estreben , sich sexuell zu em an zipieren in der W ah l ihrer K leidun g zum A usdruck. Sie trägt nur ein golde- nes Oberteil eines Bikinis. Ih re erste T an zein lage in der D isk oth ek un d die dam it ein h ergeh en d e w eltvergessen e Selbstinszenierung markiert den W endepunkt ihrer sexuellen Em anzipation. Aufgrund des anachronistischen Erzählstils in Enter the Void w ird Linda zu erst als professionelle Tänzerin im Striptease-Etablissem ent gezeigt. Erst an späterer Stelle wird die Begründung für ihren Wandel zur Stripperin geliefert, indem dieser erste

106 V g l. R e in h a r t H u m m e l S .5 9 65 em an zipatorisch e A kt der Stilisierun g als begeh rte F rau erzäh lt w ird. So ersch ließt sich erst suk zessiv das P u zzle ein zeln er E reign isse, die dem R ezip ien ten erm öglich en den realen Handlungsablauf zu rekonstruieren. Christian Mikunda beschreibt die physischen Auswirkungen eines Films auf den Zuschauer in seinem Werk Kino spüren107. S e in e T h e se n la sse n sic h a u f d ie F ilm sp ra - ch e von Enter the Void anw en den. In den 1950er Jahren habe die am erikanisch e Film - in d u strie d a s Cinerama-B reitw andverfahren als eine A lternative zum F ernsehen lanciert, um den R ezipienten die M öglichkeit von visuellen und em otionalen E rleb - nissen zu geben.108 Das Format Cinerama hatte einen derart großen E influss auf die R ezipienten im Kino, dass diese die Bewegung auf der Leinwand selbst spürten. Ein typisches Gefühl sei jenes in der Magengrube, was man normalerweise verspüre, wenn man an einer A ch terbah n fahrt teilneh m e. D ie se k in e tisc h e n V o rg ä n g e w e rd e n in d e r P sy c h o - logie m it dem T erm inus in d u z ierte B ew eg u n g b e z e ic h n e t.109 In d em Ü b erb lick sw erk Film verstehen von Jam es M onaco ist eine gem alte Illustra- tion, die zu W erbezw ecken für This is Cinerama im Jahr 1952 veröffentlicht w urde, abgebildet. Im V ordergrun d ist das Publikum zu erken nen , das auf eine L einw and blickt, auf der eine aus der Ego-Perspektive abgebildete Achterbahnfahrt zu erken- nen ist. M onaco verweist auf die Darstellung der Köpfe der Zuschauer, die in den Nacken zurückgelegt sind.110 Die Bewegungsempfindungen würden durch Signale der beiden Gleichgewichtsor- gane im inneren O hr gespürt und die Eigenbew egung des W ahrnehm enden werde durch ein Fließm uster charakterisiert, das sich über die gesam te Netzhautfläche ausstrecke.111

107 M ik u n d a , C h r is tia n , Kino spüren. S tra te g ie n d e r e m o tio n a le n F ilm g e sta ltu n g , M ü n c h e n : F ilm la n d Presse Verlag 1986 108 V g l. M ik u n d a , S .1 4 9 109 V g l. E b d . 110 V g l. Monaco, James, Film verstehen. Kunst, Technik, Sprache, Geschichte und Theorie des Films und der M edien, R e in b e k b e i H a m b u r g : R o w o h lt8 2 0 0 6 ; (O r ig . H o w to r e a d a film .T h e Art,Technology, Language, History and Theory of Film and Media, New York: Oxford Univ. Press1977), S. 107 111 V g l. M ik u n d a , S .1 5 1 66

Der immer wiederkehrende Verkehrsunfall, den Oscar u n d Linda in ih rer K in d h eit erlitten haben , w ird gen auso w ie alle an deren R ückblenden als over the shoulder112 innerhalb des U nfallw agens dargestellt. Nach außen fließende Punkte und konzentrisch anwachsende Projektionsformen über die gesam te Netzhautfläche würden zu der W ahrnehm ung führen, dass der Rezipient selbst sich nach vorne bewege.113 D ie se F o rm d e r D a rste llu n g w ird so w o h l bei der gem einsam en Achterbahnfahrt von Linda u n d Oscar verw endet als auch bei der Inszenierung des Autounfalls, bei dem insbesondere die Scheinw erfer des im Tunnel nahenden Lastkraftwagens nach außen fließende Punkte darstellen. Den Höhepunkt stellt die Kombination des Gefühls, sich nach vorne zu bewegen bei der Achterbahnfahrt und dem Erschaudern durch den Autounfall dar. Oscar und Linda fahren m it der A chterbahn eine T eilstrecke durch einen T unnel. E s erfolgt ein harter Schnitt und der Rezipient befindet sich schließlich zeitlich und örtlich in einer gan z anderen R ückblende. N äm lich in einem A ussch n itt, dem letzten T eil der für die E ltern tödlich ausgehenden A utofahrt durch den T unnel, bei dem der Zuschauer zum wiederholten Male den Zusamm enstoß mit dem Lastkraftwagen erlebt. D ie Z usam m enfügun g beider kon trärer B ew egun gen veran sch aulicht die konstruierte Seduktion: Der Rezipient wird dazu angeregt sich zurückzulehn en , u m dann im nächsten M om ent überraschend durch den Aufprall von dem Unfall nach vorne katapultiert zu werden.

Die Analogie zwischen Christian Mikunda und Marcus Stiglegger liegt in der Analyse der Motivation des Rezipienten und der Methoden, wie jene von den Regis- seu ren verfü h rt w erd en . Mikunda argumentiert, dass ausnahmslos ein fundam entales S treben nach L ustgew inn 114 zu erken n en sei. D abei bezieh t er sich einerseits auf die ph ysisch e B ereicherun g durch induzierte Bewegungen. Hierfür nennt er exem plarisch das Gefühl, als Rezipi- en t durch den L ichtkorridor in 2001: A Space Odyssey katapultiert zu werden.115 In seiner A rgum entation bezieht er sich w iederum auf den T iefenpsychologen A lexan -

112 K a tz , S te v e n D ., film d irectin g sh o t b y sh o t. v isu a liz in g fro m co n cep t to screen , Studio City, California: Michael Wiese Productions 1991, S. 360 113 V g l. M ik u n d a , S .1 5 2 114 M ik u n d a , S . 2 2 3 115 V g l. M ik u n d a S .2 2 4 67 der Low en, der davon ausging, dass intensive Körpergefühle unterstützend für eine gesteigerte Selbstwahrnehm ung seien. B ew egungsrituale in (K inder-)Spielen, Vergnügungsformen und Sportarten für Erwachsene, rhythmische Gymnastik oder Tanzen in der Diskothek dienen einer Erneuerung des Körperbewusstseins.116 H ie r- bei sei angem erkt, dass von Low ens Theorien einen visionären Charakter besitzen, da er sich auf das Ende der 1970er Jahre bezieht. Anfang der 1980er Jahre begann jener K örperkult und F itnessw ahn, der heutzutage durch die w eltw eite E xpansion von Fitness-Studio K etten einen H öhepunkt erlebt. Diese Thesen zu Körperbewusstsein und Selbsterfahrung sind relevant für die Analyse der Figur Lindas. Ih re E m an zip a tio n b e g in n t d u rc h d ie A u sü b u n g so lch e r Körperrituale. Auf die Befreiung durch das Tanzen in der Diskothek folgt die Professionalisierung und Perfektionieru n g als T än zerin in d em Strip tease-E tab lisse- ment. Das veränderte Bewusstsein für den eigenen Körper wird inszeniert. Mikunda sieht die Wahl derartiger Inszenierungen als einen Ausdruck eines elemen- taren B edürfnisses der M enschen nach körperlichen E m pfindungen und verw endet im H in b lic k d a ra u f d e n B e g riff em otion ale F ilm sprache.117 Er veranschaulicht den Zusamm enhang von tiefenpsychologischen Ursachen für Körperblockaden und physische Kunstformen. Hierbei stützt er sich h auptsäch lich auf die A usführungen von A lexan der L ow en s. D a das Bew usstsein der eigen en Iden - tität davon abhänge, in w elchem physischen Z ustand m an sich befinde, könne im Extremfall eine Erkrankung an Schizophrenie eintreffen, sobald die Grenzen zw isch en der U m w elt un d dem Selbst n ich t m eh r klar definierbar seien.118 E ine physische Kunstform wie der Film diene daher dazu einen Ausgleich zu den entsinn- lichenden M echanism en zu erzielen und durch eine gesteigerte E m pfindungsfähig - keit der eigenen Entfrem dung entgegenzuw irken.119 D ie besch rieb en e V erw en d u n g der physisch wirkenden M echanism en wird in Enter the Void m it gänzlich konträrem Effekt in die Handlung integriert eingesetzt. Dem Zuschauer bleibt die Möglichkeit verw ehrt, sich einen Ausgleich zu verschaffen oder gar Entspannung zu em pfinden. Der Rezipient bekommt nicht die Möglichkeit, einen Ausgleich zu erlangen oder Entspannung zu verspüren. Es komm t nahezu zu einer physischen Gewalt ohne

116 E b d . S .2 2 4 117 V g l. M ik u n d a S .2 2 4 118 V g l. M ik u n d a S .2 2 5 119 V g l. M ik u n d a S .2 2 5 68

Körperkontakt. Das wiederholte Erleben des Autounfalls reicht völlig aus, den Kino- saal verk ram p ft un d versp an n t zu verlassen .

Charles de Brosse analysierte Objekte des Fetisches mit religiöser Relevanz in seinem 1760 veröffentlichten W erk „Du culte des dieux fétiches“120. D e r U n tertite l im p liz ie rt bereits die angestrebte Gegenüberstellung von antiken ägyptischen K ulten m it in jener Z eit aktuellen K ulten in den R eligionen W estafrikas. Rückblickend kreierte de Brosse eine Analysekategorie für das Thema Fetisch im Bereich der Religionswissen- sch aften . Sigm und Freud bezeichnet einen Fetisch121 als A u sd ru ck ein er A b n orm ität, n ich t aber eines L eiden ssym ptom es. D er Fetisch gen eriere sich aus der K astrationsangst eines Jun gen , die in den K inderjah ren aufkom m t, sobald er realisiert, dass die Mutter keinen Penis besitzt.122 Der konträre Fall wird in dem Film Marnie von A lfred H itchcock behandelt. Marnie Edgar tötete als K ind einen M atrosen, der F reier ihrer M utter w ar, und kom pensiert dieses Traum a m it verschiedenen Fetischen. Sie ist Kleptom anin, wird bei einem Diebstahl ertappt und lernt dadurch eines ihrer Opfer, Mark Rutland, k en n en , d e r diesen Vorfall benutzt, um sie zur Heirat zu zwingen. Bei diesem den Film bestim - menden unerwiderten Begehren handelt es sich um eine fetischistische Liebe. Mark ist se x u e ll v o n Marnie an g ezo g en , g erad e w eil sie ein e D ieb in ist. Ih re R eak tio n au f dessen Begehren besteht darin, sich selbst imm er mehr zum Fetisch zu stilisieren, indem sie keinen sexuellen K ontakt und ein ausschließlich asexuelles V erhältnis zulässt. In der Produktion szeit des F ilm s w urde ein derartiges w eibliches V erh alten mit dem heutzutage überholten Begriff der Frigidität erklärt. Ihre Ablehnung findet ihren stärksten A usdruck in einem Selbstm ordversuch. O hne V ater aufgew achsen, äußert sich der ph allisch e E rsatz in einer ausgeprägten L iebe von Marnie für ihr

120 D e r v o lls tä n d ig e T ite l la u te t „ Du culte des dieux fétiches ou Parallèle de l'anchienne Religion de l'E g y p te a v ec la R elig io n a ctu elle d e N ig ritie “ (V gl. Lizensfreie Veröffentlichung bei archive.org: http://ia600500.us.archive.org/12/item s/CharlesDeBrosses- DuCultesDesDieuxFtiches1760/CharlesDeBrosses-DuCultesDesDieuxFtiches1760-1988Fayard.pdf 121 D ie B e d e u tu n g v o n d e m W o r t F e tis c h w ir d b e r e its a u s d e r K o m b in a tio n d e r e ty m o lo g is c h e n Herkunft aus lateinisch facticius (nachgemacht, künstlich) und portugiesisch feitiço, Zauber(mittel), fa ssb a r (V g l. http://ww w .duden.de/rechtschreibung/Fetisch) 122 V g l. http://archive.org/stream /InternationaleZeitschriftFrPsychoanalyseXv.Band1927H eft4/IZ_X V _1927_ Heft4_k_djvu.txt 69

Pferd. Schlüssel und Schatullen werden wiederholt gezeigt, was das Augenm erk des Zuschauers auf sie lenkt und ihnen eine besondere Bedeutung verleiht. Hier sei ange- merkt, dass eine Gemeinsamkeit der Fetisch-Theorien von de Bosse und Freud die Verehrung des Fetisches ist. Darüber hinaus dienen im Fetischismus Objekte als Kompensation eines gegenständlichen oder menschlichen Verlustes. Beiden Fetischisten gelingt es zum Ende des Filmes ihre psychischen Störungen zu überwinden, sodass sie im Stande sind, eine konventionelle Beziehung zu führen. 70

5. Räume und Nicht-Orte

5.1. Nicht-Orte von Marc Augé

Die Anthropologie ist unzertrennlich mit den gegenwärtigen gesellschaftlichen Entwicklungen im Einklang. An einem beliebigen Ort, dem augenblicklichen Hier, hält sich ein praktizierender Ethnologe auf und deskribiert sein Um feld.123

Gaspar Noé verlangt dem Zuschauer bereits im Vorfeld eine Auseinandersetzung mit der Them atik des Raum es und des Ortes durch den mehrdeutigen Titel „Enter the Void“124ab. D ie D ifferen zierung der Begriffe O rt und R aum w ird sch w erpunktm äßig in Nicht-Orte v o n M a r c A u g é a b g e h a n d e lt. A u g é s tü tz t s ic h a u f d ie H y p o th e s e , d a s s e s in d e r „Ü berm oderne“ Nicht-Orte gibt, die Räum e sind, denen er jedoch die anthropo- logische K lassifizierung des O rtes abspricht.125 W eder der O rt noch ein Nicht-Ort existiert in einer rein en F orm merkt er einschränkend an.126 Nicht-Orte w erden als tran sito risch ch arak terisiert u n d fo lg en d erm aß en d efin iert:

„Wie man leicht erkennt, bezeichnen wir mit dem Ausdruck 'Nicht-Ort' z w e i v e rs c h ie - dene, jedoch einander ergänzende R ealitäten: R äum e, die in B ezug auf bestimm te Zwecke (Verkehr, Transit, Handel, Freizeit) konstituiert sind, und die Beziehung, die das Individuum zu diesen Räum en unterhält.“127

Vergangenes, die alten Orte, sin d nich t in tegriert un d w erd en zu O rte n d e r E rin n e ru n g . Augé spricht den Nicht-Orten identitätsstiftenden Charakter ab. In d iesem S in n e erlebt Oscar die Stadt Tokyo als solche als Nicht-Ort. Der Ansatz von Marcel Duchamp die Relation von Kunstwerk und Betrachter zu bestim m en, weist eine Analogie zu den Thesen von M ichel de Certeau in Die Kunst

123 V g l. A u g é , M a r c , Nicht-Orte, M ü n c h e n : C .H . B e c k 2 2 0 1 1 (O rig . Non- Lieux. Introduction à une anthropologie de la surm odernité, P a r is : É d itio n s d u S e u il 1 9 9 2 ), S . 1 9 124 A n m e r k u n g d e s V e r fa s s e r s : Ü b e r s e tz u n g s m ö g lic h k e ite n w ä r e n : B e tr itt d e n le e r e n R a u m o d e r Tritt in die Leere ein 125 V g l. E b d . 126 V g l. E b d . 127 Augé, S. 96 71 des H andelns128 au f: „(...)erst die F ußgänger verw andeln die von der S tadtplanung geom e- trisch a ls O rt d efin ierte S tra ß e in ein en R a u m .“ 129 Die Definitionsmerkmale der Begriffe für die Heterotopien von M ichel F oucault und der Nicht-Orte von M arc Augé treffen in beachtlichem Um fang auf die visualisierten Räume in Enter the Void zu. W esentlich ist eine U nterscheidung in A ußen- und In n en räu m e. Im A n sch lu ss an d en T od von Oscar sieht der R ezipient A ußenräum e vornehm lich als Transiträume aus der P erspektive dessen herum irrenden G eistes. D as unbehagliche Gefühl, hervorgerufen durch die unkonventionelle Navigation und die Verwirrung des menschlichen räumlichen Vorstellungsvermögens, sind Aspekte, die dem nicht-identitätsstiftenden A ttribut, das von A ugé geprägt w urde, anhaften und den Film charakterisieren. Nahtlose Raumübergänge werden begünstigt durch die Möglichkeiten, die sich durch die fliegenden Bewegungen von Oscars G eist eröffnen , aber au ch d u rch das Element des Lichtes in Kombination mit dem Sounddesign erreicht. Grundsätzlich besitzen Zimmer oder Wohnungen in Großstädten, durch die unmit- telbare A nbindung an Straßen oder F ußgängerzonen und die B eleuchtung durch Straßenlaternen oder vergleichbare Leuchtm ittel sow ie im speziellen Fall von Tokyo einer un erm esslichen A n zah l von L euch treklam en , w en iger die M öglich keit einer Abgrenzung zum Außenraum. Hiermit ist gemeint, dass in einem Landhaus nachts eine klare Trennung zwischen Haus und der angrenzenden Natur oder einem Garten durch die natürliche Dunkel- heit respektive der künstlichen Beleuchtung im Haus gegeben ist. Auf akustischer Ebene verhält es sich ähnlich. Bis auf reduzierte Geräusche aus der Natur wie dem Wind oder Tönen von Tieren, ist es möglich eine völlige Stille zu erleben. Das Zimmer von Oscar kann jedoch niem als völlig abgedunkelt w erden und som it eine klare A bgrenzun g als privater R aum erlan gen . V or allem die L euch treklam e gegenüber der W ohnung, die vierundzw anzig Stunden blinkend, versehen m it dem Wort „Enter“ einlädt einzutreten, bekräftigt, ungeachtet der bereits them atisierten sem iotisch en B ed eu tu n g, d ie In ten tion d as R au m gefü ge erw eitert zu erleb en , d ie Grenzen und folglich auch alle Charakteristika des Erlebens jenes personenbezoge- nen, eine eigene Identität erzeugenden Gefühles beim Rezipienten zu verhindern.

128 D e C e r te a u , M ic h e l, Kunst des Handelns, Berlin, Merve-Verlag, 1988. 129 Augé, S. 84 72

Das ununterbrochene Blinken der Leuchtreklamen, die somit wider jeden natürli- ch en R h ythm us fun ktion ieren un d folglich die G esetze der N atur ign orieren un d um kehren, stehen metaphorisch für zwei Leitmotive von Enter the Void: S äm tlich e Protagonisten, die abseits der Gesellschaft vor allem nachts leben und som it gleich- falls die natürlichen A bläufe verkehren, und für das verm ittelte R aum gefühl, das Tokyo zu einem einzigen Raum verschmelzen lässt. Bei geöffneter Balkontür fällt in diesem Sinne die letzte Begrenzung weg. Rein physisch gibt es keine Grenze mehr. Die eintretende Geräuschkulisse und die om ni- präsente Lichterflut erlauben keine Differenzierung mehr zu dem , was das Zim m er von Oscar, in w elches durch zahlreiche R ückblenden und die D arstellung des V erlau - fes des w eiteren L ebens von Linda auch in der F olge der Ü bernahm e der W ohnung nach dem Ableben von Oscar im m er w ieder zurückgekehrt w ird, intim kennzeich - net. Der Film beginnt nicht in diesem Zimm er, einem der zentrale Orte des Filmes, sondern m it der E inblendung des Schildes „Enter“ an der gegenüberliegenden H aus- wand und draußen auf dem Balkon. Auf ein visuell farbenfroh inszeniertes Intro, dem zu folgen Unw ohlsein erzeugt auf Grund der extrem beschleunigten M ontage psychedelischer, mit Pop-Art R em iniszenzen graphisch ausgestalteter Schriftzüge, die im m e rfort auf den R ezipienten niederprasseln , folgt auf ein en M om ent der Stille, in der die Leinw and in vollkom m enes Schw arz gehüllt wird und auch auf akustischer Ebene nichts zu vernehm en ist, die Einblendung von Enter. Wie schon an anderer Stelle kommentiert, stellt das visualisierte Schild mit th e V o id am F ilm en de eine R ahm un g dar und ist gleich zeitig titelgeben d. D ie M eh rdeutig - keit auch kleinster Aspekte wird an dieser Stelle besonders eindrücklich nachvoll- ziehbar. Die semiotische Doppelung erhält durch ihre Repetition, das Abblenden des Teiles von dem Titel Enter w ird von dem B eginn des F ilm es m it dem A ufblenden auf die Leuchtreklame mit dem Wort Enter fortgeführt, einen im perativen C harakter. Bezeichnenderweise beginnt der Film nicht mit einem Menschen oder einer Totalen, die den filmischen Raum vorstellt, sondern mit einer wiederholten Aufforderung, die dam it affirm ativ, imperativisch und zugleich verwirrend ist, da sie das Intro und den eigen tlich en Beginn des Film es nicht un m issverstän dlich tren n t. Im ersten M om en t 73 fragt sich der R ezipien t, ob der F ilm n un begin n t oder ob die zw eite H älfte des T itels in ä h n lic h e r W e ise in sz e n ie rt w ird , w a s b is z u m E n d e d e s F ilm e s a u sb le ib t. In der F olge des A nfangsdialoges von Linda u n d Oscar treten w ir über den B alkon in das Zimm er ein. Repräsentativ für die soeben veranschaulichte Konstruktion von Raumgefühl verkehrt bereits ein solcher Beginn und die damit verbundene Naviga- tion, ein R aum w ird üblicherw eise durch das E intreten durch eine T ür dem R ezipi- en ten vorgestellt, das G efüh l von G ren zen hin zu einer fließen den K on tinuität. Von einem technischen Standpunkt aus betrachtet komm t noch die Ebene des Kunstlichtes und somit der Konstruktion von Licht durch den Einsatz verschiede- ner Scheinwerfer hinzu. Der Einfall von Sonnenlicht auf einen Baum wirft naturge- mäß Schatten. Durch das Hinzuziehen von Strahlern, die den Baum aus verschiede- nen W inkeln zusätzlich beleuchten, kann die Schattenbildung sehr stark reduziert werden. Bei der Herstellung eines Filmes und gerade in Ermangelung von natürli- ch em L ich t w ie bei N ach taufnah m en ist es U sus kün stliche L ichtquellen w ie R eflek - toren und zahlreiche Scheinw erfer, die für den R ezipienten im G egensatz zu Lampen, die Teil der szenographischen Gestaltung sind und somit als Interieur im Kader des einzelnen Frame sichtbar sind, einzusetzen. Das Licht erzeugt die Orte und Räum e. Die Bildung des Raum es durch das M edium Licht hängt wiederum von der individuellen W ahrnehm ung des Rezipienten ab. Allgemein wird durch den verstärkten Einsatz von Kunstlicht der artifizielle und en tfrem dete Ch arakter der urban en L eben sw elt hervorgeh oben .

5.2. D e r Nicht-Ort I n te r n e t

In tern etseiten sin d virtu ell gestaltete Gegenräume. D u rch d ie Im itatio n , sei es m it photographischem oder filmischen M aterial, stellen sie genaue Abbildungen oder Nachbildungen dar. Es handelt sich gemeinhin um virtuelle Einkaufsstraßen, die eine N avigation w ie in C om puterspielen zulassen un d sich einer analogen Ä sthetik bedienen. Das Internet ermöglicht zugleich den Spielern unter den Menschen Handlungen, die stören d en C h arak ter b esitzen u n d statt id en titätsstiften d vielm eh r id en titätsverw ir- ren d w irk en . D azu zäh len H ack er, die V iren in das In tern et ein sp eisen un d dad u rch 74 das ganze oder Teile des System s erlahm en lassen, ebenso wie Personen, die nur durch das Einspeichern einer erfundenen Rezension über ein Produkt großen Einfluss auf eine potentielle Käuferschaft und deren Verhalten erwirken. Lobbyis- mus, Marketingstrategien oder gar die Zensur und Blockierung des Zuganges zu ganzen Teilen des Internets sind weitere Exem pel, die jene m anipulativen H andlun - gen treffend beschreiben. Dies ist in einem virtuellen Raum möglich, obwohl er nur eine von einem Computer sim u lierte artifizielle W id ersp iegelu n g ein er zu m eist ob jek tiven R ealität d arstellt. Erwähnt seien hier diejenigen Internetseiten mit ausschließlich oder hauptsächlich abbildendem dokum entarischen Charakter.

Da es sich um eine Welt der Abstrakta handelt, nämlich alle Gedanken, Ideen, die Menschen weltweit in das Internet stellen, kann es nur als Raum der Ideen gelten. Dieser geht als Gegenentwurf zur materiellen Welt über den durch die menschliche Kultur bis dato geprägten Begriff hinaus, insofern als ihm räumliche Eigenschaften anh aften, die nicht zur G änze abstrakt sind und auch eine A rt „E igen leben “ aufzu - weisen scheinen. Das Internet ist ein Ort und doch kein Ort, es mutet wie ein Zwischenzustand an. 75

6. Existenzielles G runderlebnis

Die vorangegangenen Kapitel beziehen verschiedene Disziplinen in die Beobachtun- gen, A nalysen und schließlich Interpretationen m it ein. W ie bereits in den Forschungsfragen konkretisiert wurde, ist die These dieser Arbeit, dass die visuelle In szen ieru n g un d nich t die N arration im V ord ergru n d von Enter the Void s te h e n . Gleichzeitig stellt der Aufbau des Filmes eine Visualisierung der Geschehnisse vor und nach dem Eintritt des Todes dar, die im tib etisch en B u ch d er T o ten gesch ild ert werden. Gegen die Interpretation einer Reinkarnation von Oscar a m E n d e d e s F ilm e s sp ric h t, dass es sich in der finalen Szene im Krankenhaus und der Geburt nicht um Linda handelt. Aus der unscharfen Perspektive des Neugeborenen erfolgt der Blick in Richtung sein er M u tter. B ei p räziser B etrach tu n g w ird d eu tlich , d ass es sich u m d ie M u tter von Oscar u n d n ich t u m Linda handelt. D ie trübe W ahrnehm ung eines N eugebore- nen wird filmisch um gesetzt und erm öglicht das schem enhafte Gesicht als das der Mutter zu identifizieren. Dies ermöglicht die alternative Schlussfolgerung, dass das Ende des Filmes eine weitere Rückblende darstellt und Oscar sich an seine eigene G eburt erinnert. D avon ausgeh end w äre die T hese der G eburt als einer D arstellung der R einkarn ation von Oscar w id erleg t. G leich falls fällt d ie th em atisierte L esart, d ie G eb u rt au s w estlich er Sicht als Happy-End zu d eu ten , w eg. D ie E rin n eru n g an d ie eigen e G eb u rt w ü rd e auch bedeuten, dass das w eiße L icht nicht sym bolisch ein göttliches W esen repräsen - tieren soll, sondern auf verstörende W eise ein unvergessliches, traum atisches E rleb - nis darstellt. Die Trennung der Nabelschnur und dam it die physische Loslösung von der M utter könnten die Verlustängste gegenüber der eigenen Schw ester Linda versinnbildlichen.

In Enter the Void w ird von vornherein m it dem A ufbau der klassischen D ram aturgie gebrochen. W eder eine Gliederung in eine Struktur m it fünf Akten, wie sie in der Französischen Klassik verw endet w urde, noch die zeitgenössisch übliche U nterteilung in d re i A k te ist b e i Enter the Void m ö g lic h . 76

Keine Lösung des Konfliktes wird dem Rezipienten angeboten. Es findet keine Aufklärung über das Leben der Protagonisten oder derartig gelagerte Entwicklungen statt. D ah er w ird auch am En de keine eindeutige L esart des gesam ten Film es offe- riert. Enter the Void h a t fo lg lic h e in o ffe n e s E n d e .

Die alternative Interpretation wäre, dass nur der Anfang von E n te r th e V o id eindeutig ist und der Schuss auf der T oilette das eigentliche E nde des F ilm es m arkiert. D er restlich e F ilm w äre ein e S ym b iose au s P h an tasien , d ie d as zu k ü n ftige L eb en d es Umfeldes von Oscar b e tr e ffe n u n d R ü c k b le n d e n in s e in v e r g a n g e n e s L e b e n . Die perspektivische Trennung würde diese These unterstützen. Alle Rückblenden werden als over the shoulder im G egensatz zu der E go-P erspektive des um herfliegen - den Geistes von Oscar gesetzt. D ie Perspektive von Oscars G eist könnte m an als Ausdruck einer außerkörperlichen Erfahrung interpretieren. Alex erzäh lt Oscar in einer R ückblen de von einer derartigen E rfah run g, die er un ter D rogen einfluss gem acht hat. Nach dem vermeintlichen Tod von Oscar lä u ft Alex v o r d e r P o liz e i w e g u n d v e r ste c k t sich . E r w ird au f der Straß e gezeigt, w ie er sich au s dem M ü ll ern äh rt, w ie ih m n ach einer Zeit eine Jacke gebrach t un d w ie er Feuer m ach t, um sich zu w ärm en . Trotz des elliptischen Erzählens entsteht der Eindruck, es sei wenig Zeit vergangen. Durch die anachronistische Erzähltechnik bleibt völlig unklar, wie groß die Zeiträum e sein sollen, in denen die Geschehnisse oder imaginierten Ereignisse statt- finden. D ie dazw ischen geschnittenen R ückblenden stellen ein w eiteres verw irrendes Element dar, was die Perzeption von Zeit angeht. In gleicher Weise könnte man daraus schließen, dass es sich dabei um eine Bestätigung handelt, dass es sich nur um Halluzinationen von Oscar h a n d e lt, d e r w e ite r h in in d e r T o ile tte im „ Void“ liegt.

Prinzipiell könnte man den Erzählstil auch als spezifisches Merkm al eines Genres betrachten. Folglich würde es sich bei Enter the Void um einen fragm en tarischen Film handeln. Bereits zur Zeit der Romantik gab es innerhalb der Literatur die Gattung Fragment. Alain Bergala sieht in dem Fragment ein eigenständiges filmpädagogisches Konzept: 77

„ In der P ädagogik des F ragm ents vereinigen sich die V orzüge von V erdichtung und F rische, durch die sich die Bilder dauerhafter und genauer ins Gedächtnis einprägen.“ 130

In d er B ar „Void“ gibt es nun zw ei M öglichkeiten die narrative Fortentwicklung zu deuten. Die erste Variante würde implizieren, dass Oscar noch unter D rogeneinfluss steh t. Oscar h at, b ev o r er sich in d ie B ar „ Void“ begibt, DM T geraucht und scheint noch berauscht zu sein. Das hieße, Oscar ist noch unter D rogeneinfluss, w ährend der Schuss fällt. Die Phantasien wären dam it Halluzinationen, die er auf Grund eines Drogentrips hat. Gen Ende des Filmes und nach einer ganzen Zeit von Rückblenden und der Perspektive des Geistes von Oscar w ird die Szene vor dem Spiegel von dem F ilm an - fa n g w ied erh o lt. Oscar benäßt sich unter D rogen einfluss m it W asser das G esicht. Einerseits könnte diese Wiederholung, die den Rezipienten noch einm al in die im m ersive P osition durch den P erspektivw echsel bringt, bestätigen, dass Oscar d ie ganze Zeit unter D rogen stand, noch im m er steht und dass alle Visualisierungen Teile von seinem Trip sind. Andererseits könnte es bedeuten, dass Noé darauf abzielt, dem Zusch auer zu suggerieren, der ganze Film w äre w ie ein D rogen trip für den Rezipienten und die W iederholung der Spiegelszene würde diesen Zustand noch einm al vergegen w ärtigen . In d er zw eiten V arian te w ü rd e Oscar eine N ahtoderfahrung durchleben. D ie R ück - blenden in die Kindheit und in sein späteres Leben würden als „Film“ vor seinem inneren A uge ablaufen. Von Bedeutung für diese Annahmen ist die Tonebene in der Szene auf der Toilette im „ Void“. U ndeutlich hört m an Oscar, der sich selber fragt, ob er soeben ersch ossen wurde und direkt im Anschluss sich in Erinnerung ruft, dass er eine Schwester habe. Die Bindung zu der Schwester und der Schwur, sie niemals zu verlassen sind der wichtigste Bestandteil der Narration. Die Blutsbrüderschaft der Kinder und Gesprä- ch e sow oh l als K inder als auch als E rw achsene im P ark rufen dem R ezipienten den geschlossenen Pakt der Geschw ister im m er wieder in Erinnerung. N eben dem Auto- unfall wird die Trennungsszene zwischen den Geschw istern als Kinder besonders dram atisch visualisiert. Die Eltern sind verstorben und der Pakt wurde gebrochen.

130 B e r g a la A la in , Kino als Kunst. Filmvermittlung an der Schule und anderswo, Marburg: Schüren 2006, S. 86 78

Linda w irft d ie s Oscar schreiend und heulend vor, obw ohl er in der R olle des K indes überhaupt keinen Einfluss auf diese Entwicklung haben konnte. Ein zentraler Fokus liegt in Enter the Void a u f d e r D a r s te llu n g d e r B e z ie h u n g v o n d e n Geschwistern und aller implizierten Schwierigkeiten. Der Tod der Eltern, das getrennte Aufwachsen und die finanziellen und em otionalen U nklarheiten hindern Oscar und Linda nicht daran, im frühen Erw achsenenalter w ieder zueinander zu finden. M an könnte den D rogenverkauf von Oscar n ic h t a ls B e s c h a ffu n g s k r im in a litä t deuten, sondern in ursprünglicher Absicht als einzige greifbare M öglichkeit, das Leben wieder mit der Schwester zu teilen und ihr auf diesem Wege das Flugticket zu fin a n zie ren . Oscar sch ein t kein erlei A u sb ildu n g zu h ab en u n d sich erlich au ch von mangelnder Motivation getrieben zu sein, eine legale Arbeit auszuüben zu wollen, doch wird nicht der Eindruck verm ittelt, dass er Drogen verkaufe, um die eigene Sucht zu finanzieren.

Zurückkehrend zu dem Modell von Bergala ist anzum erken, dass eine fragmentari- sch e V orgeh en sw eise im p liziert, ein en F ilm n ich t n u r als K u n st, son d ern au ch als Konzept anzusehen. Ein Fragment besitzt Lücken und ist unvollendet. Die Flashs von Oscar, o b e s sic h u m R ü c k b le n d e n , W a h rn e h m u n g e n se in e s G e iste s o d e r P h a n - tasien , die er unter D rogeneinfluss hat, handelt, haben einen flüchtigen C harakter. Die Erinnerung einer Person an den eigenen Rauschzustand ist verändert und formal durch den fragm entarischen Charakter des Films übersetzt. Bei einer Visualisierung eines fragm en tarisch en G edäch tnisses stellt sich die Frage der U nzuverlässigkeit des Erzählers. Der Erzähler Oscar bleibt nicht m onoperspektivisch, sondern m acht m ultiperspekti- visch von extrem un tersch iedlichen Perspektiven G ebrauch . Es w erden drei Perspek - tiv en ein g esetzt: D er point of view shot131 w ird für den lebenden O scar verw endet. E in over the shoulder w ird für alle Rückblenden verw endet. D ie T otale und A ufsicht kom m t in den Szenen zum Einsatz, die Phantasien von Oscar d a r s te lle n . Dem Rezipienten werden Ausschnitte gezeigt. Eine eigene Interpretation muss erstellt w erden und bei einem N eben einan der von m öglichen L esarten bleibt ihm die Entscheidung überlassen, welcher er den Vorzug gibt.

131 Katz, Steven D., film d irectin g sh o t b y sh o t. v isu a liz in g fro m co n cep t to screen , Studio City, California: Michael Wiese Productions 1991, S. 361 79

7. Conclusio

Aus der Analyse von Enter the Void sin d drei Interp retation san sätze hervorgegan gen : Das erste Interpretationsmodell geht davon aus, dass Enter the Void eine V isualisie- ru n g des tibetischen Buches der Toten m it e in e m Happy-End für eine w estliche Z uschau - ersch aft ist. Dabei wird das Einblenden des Gesichtes von Oscars M utter im K rankenhaus kurz vor dem Ende des Film s nicht als Rückblende interpretiert. Es ist eine Erinnerung in Form eines Subliminalbilds an Oscars e ig e n e G e b u r t, g le ic h z e itig w ir d a b e r w e ite r h in der Geburtsvorgang des K indes von der Schw ester Linda m it Alex gezeigt. D as Neugeborene wäre damit eine Reinkarnation von Oscar. Auch die Em bryonalstellung sein es toten K örp ers w ü rd e in diesen K on text verw eisen . Das zweite Modell der Interpretation stützt sich auf die Annahme, dass der Film nur bis zu dem Schuss in der Toilette von der Bar „V oid“ linear und zuverlässig erzäh lt wird. Danach ist eine klare Unterscheidung zwischen Realität und Phantasie nicht mehr zu treffen. Hierbei bleibt Oscar in d er T o ilette lieg en . A u f d em B o d en lieg en d und noch unter Drogeneinfluss stehend hat er einen Trip. Die Rückblenden in sein bisheriges Leben deuten darauf hin, dass er im Sterben liegt und sein Leben an ihm „vorbeizieht“. D ie Zukunftsphantasien, die von dem eigenen V erbranntw erden im Krematorium bis hin zu allen Geschehnissen, die Linda und sein Umfeld betreffen, sin d als B ad T rip zu deu ten . In diesem F all en d et der F ilm m it D rogen visu alisieru n - gen, Oscar s tir b t n ic h t u n d d e r A u s g a n g s o w ie d e r G r o ß te il d e s F ilm s b le ib e n o ffe n . Das dritte Interpretationsmodell betrachtet Enter the Void als F ragm ent. A lle E benen sin d au fgelöst, alles ist verm isch t. D ie E rzäh lpersp ek tive w an d elt sich , ist n ich t konsequent und nicht zuverlässig. Das Gesicht von Oscars M u tter stellt in diesem Fall keine Projektion eines Subliminalbildes auf Linda d a r . E s is t a ls e in e le tz te E rin - nerung vor dem Tod zu interpretieren. D er K reislauf des Lebens wäre dam it geschlossen: Oscar w ird angesch ossen, erlebt eine V erm ischun g von R ückblen den und Phantasien und erinnert sich am Ende an den Anfang seines Lebens.

Neben diesen Interpretationsmodellen ist in dem Plot ein Fokus auf die Beziehung der Geschw ister Oscar u n d Linda zu erkennen. V on D ialogen w ird w enig G ebrauch 80 gem acht, die Charaktere der wenigen Figuren sind nicht tiefgehend gestaltet und sp ielen nu r am R an d e ein e R olle.

Bei dem Medienwechsel, der überhaupt nur bei dem ersten Interpretationsmodell in Frage komm t, handelt es sich nicht um eine Literaturverfilmung im konventionellen Sinne. Der Text des tibetischen Buches der Toten h a t k e in e rle i E in flu ss a u f d ie D ia lo g e in d e m D re h b u c h v o n Enter the Void. 81

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Carne. R e g ie : G a s p a r N o é , 2 0 0 4 (O r ig . Carne, 1 9 9 1 ).

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Marnie. R e g ie : A lfr e d H itc h c o c k , 2 0 0 8 (O r ig . Marnie, 1 9 6 4 ).

Menschenfeind. R e g ie : G a s p a r N o é , 2 0 0 4 (O r ig . Seul contre tous, 1 9 9 8 ).

Mulholland Drive- Straße der Finsternis. R eg ie : D a v id L y n c h , 2 0 0 2 (O rig . Mulholland Dr., 2 0 0 1 ).

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Taxi Driver. R e g ie : M a r tin S c o r s e s e , 2 0 0 2 (O r ig . Taxi Driver, 1 9 7 6 ).

The Terminal. Regie: Steven Spielberg, 2006 (Orig. The Terminal, 2 0 0 4 ). 85

The Trip. R e g ie : R o g e r C o r m a n , 2 0 0 7 (O r ig . The Trip, 1 9 6 7 ).

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8.3. Internetquellen

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http://ww w .vatican.va/archive/DEU 0035/__P7L .HT M Zugriff am 08.03.2013 89

9. Anhang

9.1. Abstract

Der Regisseur Gaspar Noé wirft mit seinem Film Enter the Void zah lreich e F ragen auf. Diese Diplomarbeit stellt den Versuch dar, sich interdisziplinär den Themen von Enter the Void anzunähern und den P lot zu analysieren. D araus sind drei disparate In terp retation sm od elle h ervorgegan gen . Je n ach gew äh ltem M od ell än d ert sich d ie Lesart und die Essenz von Enter the Void. Den Schwerpunkt bildet d ie in Enter the Void verw en d ete P ersp ek tive. D er B egriff wird in Teilaspekte weitgefächert aufgegliedert. Die Rolle des tibetischen Buches der Toten u n d re lig iö s e r T h e m e n w e r d e n n e b e n r itu e l- len P raktiken und deren B edeutung abgehandelt. Abschließend wendet sich die Arbeit dem Begriff Nicht-Orte zu und versucht ein e eigen e Ü bertragun g auf den „Ort“ I n te r n e t. 90

9.2. Lebenslauf

Angaben zur Person

Name Am elio August Nicotera Geburtsdatum 06.05.1985, Bonn (D eutschland) E-mail a melio@ n ic o te ra .e u

Bildung

1991- 1995 Besuch der Grundschule Gotenschule in B o n n , D e u ts c h la n d

1995- 2005 Besuch und Abitur am Aloisiuskolleg (privates G ym nasium m it In tern at in T rägersch aft des Jesu iten o rd en s) in B on n , D eu tsch - la n d

2005- 2006 Zivildienst, Kinderhaus e.V. Bonn, D e u ts c h la n d

2006- 2007 Studium der Rechtswissenschaften, Universität Bonn, D e u tsc h - la n d

2007 Umzug nach Wien, Österreich

Seit 2007 Studium der T heater-, Film- und M edienw issenschaft (D ip lo m stu d ien g an g ), Universität Wien, Ö s te r r e ic h

2010- 2011 Einjähriger Erasmus-S tu d ien au fen th alt an d er F ak u ltät Facoltà di Lettere e Filosofia im Studienfach DAMS an der Università degli Studi Rom a Tre, R o m , I ta lie n