Band 17 Mercuriale - Libellen in Baden-Württemberg 2017

Zur Überwinterung von Einleitung fusca im bayerischen Alpenvorland (: ) Unsere einheimischen Winterlibellen überdauern die kalte Jahreszeit im Imaginalstadium. Lange Zeit war jedoch unbekannt, wo sich die Tiere genau auf- von Elfi Miller & Jürgen Miller halten und wie sie sich dabei verhalten. Jödicke (1997) fasst den Kenntnisstand Leharstr. 6c, 86179 Augsburg dahingehend zusammen, dass die Ima- gines geschützte Orte aufsuchen und sich dabei unter Holz, Rinde oder abge- Abstract storbener Krautvegetation verkriechen. Bereits Ende der 1990er Jahre konnte Hibernation of in the für nachgewiesen prealpine area of Bavaria (Odonata: werden, dass die Tiere in unmittelbarer Lestidae) – From 2005 to 2017, we observed Umgebung der Fortpflanzungsgewässer the hibernation behaviour of Sympecma frei in der Ufervegetation überwintern. fusca. The individuals left the develop- Einschneien, Einreifen und Einfrieren mental water during autumn by stages. werden schadlos überstanden. Bei feh- During winter they perched at stems of lendem Frost können sich die Tiere different herbs, grasses and woody plants sogar bewegen, über den Schnee krab- in a forest clearing. This behavior appears beln und oberhalb einer Lufttemperatur to assure the highest chance of surviving von 15oC auch fliegen (Hiemeyer et al. the humid winter climate of the prealpine 2001). Auch für S. fusca konnte Anfang area. We discuss an alternative hiberna- der 2000er Jahre nachgewiesen werden, tion mode hidden under leaf litter, which dass sich die Imagines im Winter an we consider impossible in our study area. Waldrändern oder auf Lichtungen frei bewegen solange die Temperaturen dies ermöglichen (Wildermuth 2005). Zusammenfassung Sympecma fusca kann sich im Winter weit von den Reproduktionsgewässern Das Überwinterungsverhalten von entfernen, dabei werden die Tiere bevor- Sympecma fusca wurde in den Jahren 2005 zugt an Waldrändern oder Lichtungen bis 2017 untersucht. Die Individuen wan- mit gut entwickelter Krautschicht ange- dern im Herbst in Etappen vom Gewässer troffen wie Zufallsfunde von Schiel & ab und verbringen den Winter auf einer Hunger (2006) andeuten. Wir konnten Waldlichtung im Freien, da dies unter bereits zeigen, dass sich S. fusca im Herbst den örtlichen Gegebenheiten die höchste in Etappen vom Reproduktionsgewässer Überlebenschance bietet. Eine alternative zurückzieht und sich die Tiere nach Überwinterung unter Laubstreu wird dis- Einbruch der Kälte auf einer sonnigen kutiert und aufgrund der Ergebnisse für Lichtung als Überwinterungshabitat auf- das Ostallgäu ausgeschlossen. halten (Miller & Miller 2006). Dabei zeig- te sich auch, dass Tiere starben, wenn sie bei Tauwetter tagelang unter nassen

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Abb. 1: Reproduktionsgewässer von Sympecma fusca, der Seachtn-Weiher im Ostallgäu - Foto: E. & J. urzbeiträge

K Miller. Schnee gefangen blieben. Ein Großteil Beobachtungen der Tiere überwinterte frei sitzend an pflanzlichem Substrat in Bodennähe. Im Unsere langjährigen Daten aus den Gegensatz dazu deutet Schweighofer (2011) Jahren 2005 bis 2017 zeigen, dass die geringe Anzahl von Imagines, die frei sich die Imagines ab September vom an Grasbüscheln im Winter aufgefunden Reproduktionsgewässer, dem Seachtn- wurden, in Hinblick auf eine alternative Weiher (Abb. 1) im Ostallgäu bei Andechs Überwinterungsstrategie und postuliert, (47°57‘39‘‘ N, 11°12‘32‘‘ E) entfernen. dass die Tiere unter der Laubstreu überwin- Wir suchten daher die unmittelba- tern. Die Verschmutzung eines Weibches re Umgebung ab und fanden in einer im Frühjahr deutet der Autor als Folge größeren Fichtenwaldlichtung in einer von Bodenkontakt bei der Überwinterung Entfernung von 150 m eine große Anzahl unter Laubstreu. Ein Zufallsfund von von Winterlibellen. Die Tiere mussten eine Liechti & Jödicke (2011) belegt, dass ein viel befahrene Straße überfliegen, um auf Männchen von Sympecma fusca im diese Lichtung zu gelangen. Mitte Oktober Herbst aus der Laubstreu herauskroch, waren auf dieser Lichtung nur noch einzel- unter der es offensichtlich übernachtet ne Tiere auffindbar. Wir suchten den Wald hatte. Mit unseren Beobachtungen im dann anschließend systematisch ab und Ostallgäu möchten wir zum Verständnis wurden auf einer großen Waldlichtung in der Überwinterungsstrategien von S. fusca 728 m ü. NHN fündig, in einer Entfernung beitragen und insbesondere die Frage von ca. 1 km vom Seachtn-Weiher. Ende beleuchten, in welchem Habitat die Oktober/Anfang November flogen dort Imagines überwintern. bei sehr schönem Wetter eine große Zahl

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der

G emeinen W inter l ibe ll e

.Abb. 2: Überwinterung von Sympecma fusca frei an einem Fichtenzweig - Foto: E. & J. Miller. von S. fusca auf. Wir beobachteten dort rasch abtrocknet. Bei Föhn und geschlos- den ganzen Winter die Tiere, dies ließ sich sener Schneedecke beobachteten wir auch in den Folgejahren bestätigen. immer wieder Winterlibellen fliegend oder auf dem Schnee laufend. Wir den- ken, dass sich bis heute keiner Gedanken Diskussion gemacht hat über die Feuchtigkeit in der Laub- und Bodenstreu. Da die filigra- Aufgrund unserer Beobachtungen von nen Winterlibellen keine so ausgeprägten Sympecma fusca bei der Überwinterung Chitinpanzer besitzen wie etwa Laufkäfer, von 2005 bis 2017 sind wir zu folgendem würden sie im zum Teil sehr nassen Schluss gekommen: Im Alpenvorland wo Untergrund mechanisch beschädigt, ver- es im Winter viel regnet und der Schnee pilzen und verrotten. Schweighofer (2011) manchmal sehr lange liegen bleibt, haben vermutet aufgrund eines Habitatfotos aus die Winterlibellen in Bodennähe kaum Miller & Miller (2006), dass sich unse- eine Überlebenschance. Bei geschlossener re Überwinterungshabitate im Ostallgäu Schneedecke haben wir Tiere gefunden, grundlegend von den Habitaten im nieder- die bis 80 cm hoch an Ackerkratzdiestel österreichischen Alpenvorland unterschei- (Cirsium arvense), an Fichenreisig (Abb. 2) den: „Auf dem Habitatfoto sind unmittel- und anderen Pflanzen saßen. Hier hat- bar nur Koniferen, keine Laubbäume zu ten die Winterlibellen die Möglichkeit, erkennen,… Geschlossene Laubstreu ist dass der Regen oder der Schnee wieder dort kaum zu erwarten, somit mussten

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ten wir auch am Reproduktionsgewässer (Seachtn-Weiher), auch hier gibt es viele inter l ibe ll e Laubbäume und viel Unterholz, aber ab

W September wanderte S. fusca ab. In Gegenden wo es kaum Schnee gibt und die Laubschicht ziemlich trocken emeinen bleibt und kaum Unterwuchs vorhan- G den ist, kann eine Überwinterung in der der

Bodenstreu möglich sein. Dieser Nachweis ist naturgemäß schwer zu führen und steht nach unserer Meinung auch noch aus. Kontinuierliche Langzeituntersuchungen

w interung an Winterlibellen der letzten Jahre bele- gen zudem, dass ein Großteil der Imagines ber

Ü im Freien überwintert (z.B. Stalder 2014) : Beobachtungen wie in Liechti & Jödicke (2011) hatten wir auch im Oktober, November und Dezember, wenn es schneefrei war. Das beweist aber nicht, urzbeiträge dass S. fusca hier auch so überwintert. K Wir kommen zu folgendem Ergebnis: Wenn die Luftfeuchtigkeit stimmt und die Tiere im Trockenen sitzen, so haben sie die besten Überlebenschancen. Die Individuen, die sehr tief saßen und lange Abb. 3: Der Zitronenfalter überwintert ebenfalls eingeschneit waren, konnten wir selten wie die Winterlibellen frei in der Vegetation - Foto: wiederfinden, oder sie waren tot. Die glei- E. & J. Miller chen Verhaltensweisen stellten wir auch bei S. paedisca fest, nur in einem anderen die Libellen mehr oder weniger frei in der Biotop (1997-2014). Dort fanden wir auch Bodenvegetation oder Reisig überwintern den Zitronenfalter (Gonepterxy rhamni) im und konnten auch im Hochwinter regel- Freien bei der Überwinterung (Abb. 3) und mäßig beobachtet werden“. Das heißt, nicht in der Laubstreu. wenn Laubbäume da wären, würden die Tiere auch in der Laubstreu über- wintern. Dies ist jedoch nicht der Fall. Literatur Es gibt im selben Wald Bereiche mit vielen Buchen (Fagus sylvatica) und ein- Hiemeyer, F., E. Miller & J. Miller (2001): zelnen Eichen (Quercus robur) mit sehr Winterbeobachtungen an Sympecma hoher Laubstreu. Dieses Laub ist durch paedisca (Odonata: Lestidae). Libellula die viele Nässe zusammen geklebt und 20: 103-113. liegt sehr schwer am Boden. Hier haben Jödicke, R. (1997): Die Binsenjungfern und wir trotz intensiver Suche keine Tiere Winterlibellen Europas: Lestidae. Die gefunden. Das gleiche Ergebnis erziel- Neue Brehm-Bücherei 631. Westarp

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Wissenschaften, Mddeburg. Liechti, T & R. Jödicke (2011): Nachweis von Sympecma fusca unter Laubstreu :

(Odonata: Lestidae). Mercuriale 11: 39-42. Ü Miller, E. & J. Miller (2006): Beobachtungen ber

zum winterlichen Verhalten von w interung Sympecma fusca (Odonata: Lestidae). Libellula 25: 119-128. Schiel, F.-J. & H. Hunger (2006): Zufallsfunde

von Sympecma fusca in mutmaßlichen der

Überwinterungshabitaten fernab geeig- G

neter Entwicklungsgewässer. Mercuriale emeinen 6: 26-27. Schweighofer, W. (2011): Ein Jahr mit

Sympecma fusca in Niederösterreich W

(Odonata: Lestidae). Libellula 30: 157- inter l ibe ll e 172. Stalder, G. (2013): Aktivitäten der Gemeinen und der Sibirischen Winterlibelle (Sympecma fusca und Sympecma paedisca) im Spätherbst und Winter in ihrem Winterhabitat 2010- 2013. Mercuriale 13: 11-20. Wildermuth, H. (2005): Beobachtungen zur Spätherbst- und Winteraktivität der Gemeinen Winterlibelle (Sympecma fusca). Mercuriale 5: 35-39.

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