Holzbauten der Moderne Die Entwicklung des industriellen Holzhausbaus

Museum Niesky Konrad-Wachsmann-Haus Holzbauten der Moderne Die Entwicklung des industriellen Holzbaus

Museum Niesky · Konrad-Wachsmann-Haus Sandstein Verlag 6 Grußwort 83 Christoph & Unmack – Europas 8 Vorworte größter Holzbauproduzent

89 Chronologie des Holzbaus

Inhalt bei Christoph & Unmack 12 Claudia Klinkenbusch 96 Die Doecker-Baracke in Krieg und Frieden 102 Die Baracken aus Niesky Das Konrad-Wachsmann-Haus in Niesky – und die nationalsozialistischen Lager Ein Holzbau im Spannungsfeld von Tradition 106 Die Ära der Wohnhäuser aus Holz und Moderne 112 Und nun wählen Sie bitte! 122 Die Konkurrenz 20 Eric Stenzel 128 Musterhaussiedlungen in Niesky Klassische Moderne – Die Wiederentdeckung der Farbigkeit im Konrad-Wachsmann-Haus

139 Konrad Wachsmann – Der Pionier 28 Claudia Wieltsch des industriellen Bauens Belebte Denkmale – Zu Umgang und Vermittlung der ehemaligen Werks- 142 Biografie Konrad Wachsmanns siedlung Niesky 146 Architekt und Forscher 154 Ein Holzhaus für jedermann

36 Wolfgang Rug Der Holzhallenbau – System Christoph & Unmack AG/Niesky 161 Moderner Holzbau 52 Marko Sauer 166 Die drei Holzbauweisen: Individualität aus dem Baukasten – 166 Blockbauweise Ein hybrides System für große Bauwerke 172 Fachwerk- oder Ständerbauweise in Holz 178 Tafelbauweise

184 Qualitätssicherung durch Holzbauvorschriften 188 Wettbewerbe und Ausstellungen 61 Das Konrad-Wachsmann-Haus – 196 Holzbauten der Weimarer Republik Ein Holzbau der Moderne 216 Holzbau aktuell 222 Baustoff der Zukunft 62 Eingangshalle 64 Herrenzimmer 66 Musikzimmer 68 Esszimmer und Wintergarten 70 Zur Geschichte 70 Ein Holzbau der Moderne 229 Anhang 72 Ein Haus für den Direktor 77 Chronologie der Mieter und Eigentümer 230 Autorenverzeichnis 231 Impressum Ausstellung | Dank 232 Impressum Katalog Das Konrad-Wachsmann-Haus in Niesky Ein Holzbau im Spannungsfeld von Tradition und Moderne

Claudia Klinkenbusch

Unter den annähernd 100 erhaltenen Holzhäusern, die zwischen 1918 und 1940 durch die Christoph & Unmack AG in Niesky errichtet wur- den, nimmt das Wohnhaus in der Goethestraße 2 eine besondere Stel- lung ein. Es unterscheidet sich in seiner architektonischen Gestaltung deutlich von den anderen Holzbauten in der Stadt. Das 1927 fertigge- stellte Gebäude verweist mit seiner streng formalen Fassadenkom- position auf die Formensprache der Klassischen Moderne und ist ein selten erhaltenes Zeugnis des modernen Holzbaus in industrialisier- ter Blockbauweise. Darüber hinaus ist es in Niesky das einzige, das nachweislich auf einen persönlichen Entwurf Konrad Wachsmanns zurückzuführen ist.1 Das Konrad-Wachsmann-Haus wurde 1983 in die Denkmalliste der DDR aufgenommen und hat heute den Rang eines Baudenkmals von nationaler Bedeutung. Dem langjährigen Leerstand und drohenden Verfall seit 1989 folgte im Jahr 2014 die Wiederbelebung des Hauses mit einer öffentlich-kulturellen Nutzung. Nach Abschluss umfassen- der und sorgfältiger Restaurierungsmaßnahmen konnte es seine neue Nutzung als Museum, Archiv und Holzbauforum aufnehmen.2 Das ­Gebäude steht heute beispielhaft für die Entwicklungen des modernen Holzbaus in der Weimarer Zeit und ist daher selbst anschauliches Hauptobjekt der neu eingerichteten Ausstellung. Die Errichtung des Konrad-Wachsmann-Hauses erfolgte in einer Auch wenn der Fokus auf den neuen Materialien lag, profitierte das 1 Ansicht von der Goethe-/ Zeit, die von einer großen Dynamik gekennzeichnet war. Die gesell- traditionelle, schon seit Jahrhunderten im Bau verwendete Holz Bautzener Straße · 2014 Foto: Volker Kreidler, schaftspolitischen Ereignisse des frühen 20. Jahrhunderts führten zu ebenso von der immensen Forschungsentwicklung jener Jahre. Durch einem Bruch mit tradierten Auffassungen und überkommenen Struk- die Fortschritte im Ingenieurholzbau entstanden beeindruckende turen, sie ermöglichten die Ausbildung unterschiedlicher Lebens­ Holzbauwerke, die das große Entwicklungspotenzial des »altherge- formen sowie einer enormen kulturellen Vielfalt. Die Architektur war brachten« Baustoffs für die Architekten der Moderne belegten. Konrad geprägt von einer großen Forschungs- und Experimentierfreude sowie Wachsmann, Bruno Taut, , Hans Scharoun, Martin Wag- von zahlreichen technischen und sozialen Errungenschaften. Charak- ner, , Richard Riemerschmid, Ernst May, Bruno Paul teristisch ist die Verwendung neuer Materialien, Konstruktionen und und andere haben sich intensiv mit der Entwicklung des modernen Gestaltungsformen. So entstanden aufsehenerregende Bauten aus Holzbaus beschäftigt. Hiervon zeugen zahlreiche innovative Bauten, Glas, Stahl und Beton, die auch heute noch wesentlich den Blick auf die oft in enger Zusammenarbeit mit den ausführenden Firmen er- das architektonische Schaffen dieser Zeit bestimmen. richtet wurden.3

12 13 ­sondern auch die Chance, in den mit modernsten Maschinen ausge- statteten Werkshallen zu forschen und zu experimentieren. Für ihn war, neben der Funktionalität und der Verfeinerung der Konstruktion, vor allem die industrielle Produktionsweise von großem Interesse. Mit Begeisterung widmete er sich zudem der architektonischen Gestal- tung und übersetzte den Traditionsbaustoff Holz überzeugend in eine zeitgenössisch-moderne Formensprache.5 Das Nieskyer Konrad- Wachsmann-Haus verdeutlicht eindrucksvoll und beispielhaft sein Experimentieren und Ausloten konstruktiver und gestalterischer Möglichkeiten. Konrad Wachsmann entwarf das Wohnhaus für Wilhelm Verlohr, ein Vorstandsmitglied der Christoph & Unmack AG, und seine Familie als einen schlichten, kubischen Baukörper auf rechteckigem Grund- riss. Das dunkle, schwarzbraun lasierte Holz, die großen, hell gestri- chenen Fensteröffnungen in den für jene Jahre typischen liegenden Formaten sowie die präzise Geometrie des steil aufragenden Walm- daches mit den roten Biberschwanzziegeln bestimmen seinen Cha- rakter. Ein markanter Gartenzaun umfasst das große Grundstück und unterstreicht den formal strengen Gesamteindruck. Bis auf den Wind- fang am Nebeneingang der Westfassade, der 1935 durch den zweiten Eigentümer ergänzt wurde, ist es heute wieder in seiner ursprüng­ lichen Gestaltung zu erleben. Die Gebäudeansichten weisen jeweils sehr unterschiedliche und streng formale Fassadenkompositionen auf. Wachsmann arbeitete in seinen Entwürfen gern mit Gegensätzen etwa von Symmetrie und Asymmetrie, von offenen und geschlossenen Wandflächen, von Flä- chigkeit und Plastizität sowie von heller und dunkler Farbgebung. Markant stehen die weißen Fenster mit ihren hell-elfenbeinfarbenen Einfassungen im Gegensatz zu der schwarzbraunen Lasur der Boh- lenwand. Die Nordfassade an der Bautzener Straße zeigt diesen formalen Gestaltungsansatz am deutlichsten: So ist das sechs Meter breite, fünf- teilige Hauptfenster im Obergeschoss symmetrisch in der Fassaden- mitte positioniert und steht mit einer Gruppe asymmetrisch angeord- neter Fenster im Erdgeschoss gestalterisch in enger Beziehung. Ein 2 Gartenseite mit großzüger Terrasse Einer der modernsten und größten Holzbaubetriebe war die Chris- kleines einteiliges Fenster fügt sich nicht in diese Anordnung. Wachs- 2014 · Foto: Volker Kreidler, Berlin toph & Unmack AG in Niesky. Bereits seit den 1880er-Jahren hatte mann verwendet die Öffnung als zusätzliche kompositorische Irrita- sich das Unternehmen durch die Produktion von transportablen tion, ein Motiv, welches sich in vielen seiner Bauwerke wiederfindet. Barackenbauten einen Namen gemacht. Vor allem die wachsenden Gebäudeansichten, die den Straßen zugewandt sind, gestaltete er Anforderungen des Ingenieurholzbaus führten dazu, dass hier eigene zur Wahrung der Privatsphäre im Erdgeschossbereich überwiegend Forschungsabteilungen für die Entwicklung neuer Konstruktionsde- geschlossen. Hier bestimmen die großen Fensteröffnungen im Ober- tails und Verbindungselemente eingerichtet wurden. Die zahlreichen geschoss die Rhythmisierung der Fassade. Die gartenseitige Südfas- angemeldeten Patente der Firma zeugen von ihrem wichtigen Beitrag sade hingegen verfügt in beiden Geschossen über breit gelagerte zur Modernisierung des Holzbaus. Fenster, die das Haus zum Garten hin öffnen. Die große Terrasse mit Hierher kam Konrad Wachsmann als junger, noch unbekannter einer über ihre gesamte Breite reichenden Stufenanlage bildet einen Architekt.4 In den Jahren 1926 bis 1929 erhielt er nicht nur die fließenden Übergang des Gebäudes zum parkähnlichen Garten mit Mög­ lichkeit, zahlreiche Holzbauten zu entwerfen und zu realisieren, seinen großen, alten Bäumen.

14 15 4 Blick von der Galerie in die ehemaligen Schlafräume · 2014 Foto: Volker Kreidler, Berlin

3 Blick in die zweigeschossige Treppen- Der Grundriss ist gekennzeichnet durch Großzügigkeit und eine kieren der glänzend schwarze Geländerhandlauf wie auch die Rottöne halle nach der Rekonstruktion klare, sachliche Gliederung der Nutzungsbereiche. Die Wohnräume des Treppengeländers mit einer kontrastreichen Linienführung die der bauzeitlichen Farbgebung · 2014 im Erdgeschoss sind miteinander verbunden und orientieren sich dynamische Bewegung der Treppe im Raum, während die ebenfalls in Foto: Volker Kreidler, Berlin ebenso wie die große Gartenterrasse nach Süden, während die Funk- Blau gehaltene Treppenwange bandartig auf der Galerie umlaufend tionsräume mit Hauseingang, Küche und Treppenhalle im nördlichen fortgeführt wird. Als vertikales Gliederungselement steht der ver- Gebäudeteil angeordnet sind. putzte, schlicht weiß gestrichene Schornstein wie ein Pfeiler dieser Viel Tageslicht fällt durch das ungewöhnlich große Fenster der Farb- und Raumdynamik entgegen. Nordfassade in die zweigeschossige Halle und unterstreicht deren Die ehemaligen Gesellschaftsräume, Musik-, Herren- und Speise- überaus großzügige Raumwirkung. Die einläufige Treppe führt auf zimmer mit Wintergarten, sind jeweils durch große verglaste, zweiflü- eine umlaufende Galerie im Obergeschoss, von der aus die ehemali- gelige Schiebetüren verbunden und orientieren sich mit raumbreiten gen Schlafräume der Familie erschlossen werden. Fensteröffnungen nach Süden zur Terrasse und dem Garten. Überraschend wirkt die intensive Farbigkeit aller Räume, die nach Im Gegensatz zur bohlensichtigen Eingangshalle haben die drei den Befunden der Restauratoren wieder in ihrer Erstfassung herge- Gesellschaftsräume jeweils unterschiedliche Wandbekleidungen mit stellt werden konnte. In der Treppenhalle dominieren kräftige Blau- dahinterliegender Dämmung. Das Musikzimmer ist heute wieder mit und Rottöne. Sie ergänzen das eher zurückhaltend neutrale Grau der einem textilen Wandbelag ausgestattet. Hier wurden im Zuge der Res­ Wände und heben einzelne architektonische Elemente hervor. So mar- taurierungsarbeiten unter den vorhandenen Hartfaserplatten Reste

16 17 einer bauzeitlichen Stoffbespannung geborgen, die aus akustischen Fassade erkennbar, es entsteht eine glatte, modern wirkende Fassa- Gründen mit einer Watteschicht hinterlegt war. Im ehemaligen Herren­ denhaut. Die markant vorstehenden Balkenköpfe der Geschossdecke zimmer konnte das überwiegend aus der Bauzeit erhaltene, braunrot auf der Ost- und Westfassade werden als horizontale Gliederungs­ lasierte Sperrholz wiederverwendet werden, während der Platten­ elemente in die ansonsten ruhige Fassadengestaltung eingebunden. belag im Speisezimmer ausgetauscht werden musste. Auffällig ist die Ausstattung des Nieskyer Wohnhauses mit einem Auch die ehemaligen Schlafräume im Obergeschoss sind, bis auf hohen, massiven Walmdach statt eines Flachdaches, wie es in den das Gästezimmer, jeweils durch Türen miteinander verbunden. Hier 1920er-Jahren häufig verwendet wurde. Dieses Element ist dem waren einige Räume ebenfalls ursprünglich bohlensichtig, mussten Schwindungsverhalten der Blockbohlen und deren Fugendichte ge- aber aufgrund der heutigen Anforderungen an Büroräume mit Innen- schuldet. Um Bauschäden durch unterschiedliche Wandsetzungen zu dämmungen versehen werden. vermeiden, bedarf es hier einer gleichmäßigen Druckbelastung von Das Dachgeschoss ist nur in Teilen ausgebaut und diente ur- oben durch ein schweres, mit Tonziegeln belegtes Dach. Konrad sprünglich der Unterkunft von Hausbediensteten. Aktuell ist hier ein Wachsmann löste diese gestalterische Schwierigkeit souverän, indem Teil der Haustechnik eingerichtet. Im Kellergeschoss befinden sich er dem Dach des Nieskyer Wohnhauses eine strenge, klare Form gab, heute das historische Archiv der Stadt sowie ein weiterer Teil der Ge- die das Gebäude nahezu kristallin wirken lässt. bäudetechnik. Zahlreiche konstruktive und gestalterische Lösungen am Konrad- Das Konrad-Wachsmann-Haus ist in vorgefertigter Blockbauweise Wachsmann-Haus verdeutlichen beispielhaft seine Experimentier- errichtet. Bevorzugt eingesetzt wurde diese Konstruktionsart bei re- und Innovationsfreude, aber auch die Herausforderungen des Bauens präsentativen Bauaufgaben. Sie galt als besonders solide und dauer- im Spannungsfeld einer traditionellen Bauweise und moderner Ge- haft, der hohe Holzverbrauch machte die Ausführung im Vergleich zu staltungsprinzipien. leichten Holzbaukonstruktionen kostenintensiver­. Die Wände von Hierzu noch einmal abschließend Konrad Wachsmann: »Jede tech- Blockbauten bestehen aus übereinander geschichteten massiven nisch reine Konstruktion hat ihre charakteristischen Formen. So wan- Rund- oder Kanthölzern, zu deren Aussteifung eine Verkämmung mit delt auch die neue Form der Holzbearbeitung das äußere Gesicht des den quer stehenden Wänden benötigt wird. Charakteristisch sind Bauwerks. Es muss eine neue Form entstehen.«8 daher die sichtbar überstehenden Bohlenenden sowohl in der Fassa- denfläche als auch an den Gebäudeecken. Die modernen Neuerungen in dieser traditionellen Bauweise bezogen sich vor allem auf die in- Anmerkungen dustrielle Herstellung von qualitativ hochwertigen Wandbohlen, deren 1 Es ist eines der wenigen Holzbauten überhaupt, die heute noch von ihm erhal- verbesserte Profilierung und auf die konsequente Reduzierung des ten sind. Bei den anderen bislang bekannten handelt es sich um das Wochen- Materialeinsatzes. Die so optimierten, in der Regel nur noch sieben endhaus für in Caputh, das Erdwissenschaftliche Institut in Zentimeter schlanken Holzbohlen wurden hochkant gestellt und mit Racibórz (Polen) und einen Krankenpavillon in an der Oder. Alle Bau- ten wurden von Christoph & Unmack ausgeführt. Das Haus Estrich im Bran- Nut und Federn sowie mit stabilisierenden Holzdübeln verbunden. denburgischen Jüterbog ist in Massivbauweise errichtet. Für Konrad Wachsmann stellt »[…] das Blockhaus überhaupt den 2 Mit der Planung und Bauüberwachung der Restaurierungsarbeiten war das Inbegriff des Holzhauses dar. Denn abgesehen von den hohen qua­ Dresdner Architekturbüro Klinkenbusch + Kunze betraut. litativen Eigenschaften der Konstruktion zeigt es am reinsten das 3 Einen Teil der Bauten veröffentlichte Konrad Wachsmann in seinem Buch: Holz- ­urwüchsige Material des Holzes. Bei aller konstruktiver Verfeinerung hausbau. Technik und Gestaltung, Berlin 1930. 4 Wachsmann gelangte 1926 auf Empfehlung von Hans Poelzig nach Niesky, der ist das Prinzip auch das gleiche geblieben wie bei dem primitiven in dieser Zeit als beratender Architekt im Aufsichtsrat von Christoph & Unmack 6 Blockhaus der Alten.« vertreten war. Die konstruktiven Erfordernisse des Blockbaus erschwerten die 5 Neben dem Nieskyer Wohnhaus sind hier vor allem das Verwaltungsgebäude Anwendung charakteristischer klassisch-moderner Gestaltungsprin- der Berliner Verkehrsbetriebe (1928), das Kinder-Walderholungsheim in Sprem- berg (1928), das Erdwissenschaftliche Institut in Racibórz (1928) und das Som- zipien mit großen ungestörten Fassadenflächen. Aus diesem Grund merhaus für Albert Einstein in Caputh (1929) zu nennen. wiesen die zeitgenössischen Blockbauten in der Regel auch eher tra- 6 Wachsmann, Holzhausbau (wie Anm. 3), S. 30. dierte Formen auf.7 7 Ein Großteil der Blockbauten war eher rustikal im sogenannten Schweizer oder In Niesky gelang Wachsmann durch Verfeinerung konstruktiver auch Nordischen Stil ausgeführt, während die klassisch-modernen Holzbauten Details ein formal durchdachter Bau mit moderner Formensprache. in der Regel in Ständer- oder Tafelbauweise errichtet wurden. 8 Wachsmann, Holzhausbau (wie Anm. 3), S. 7. Er vermied die rustikal wirkenden Verkämmungen der Innenwände in der Außenwand, indem er sie innenseitig verdeckt in eine Nut der Außenwände einschob. Die Raumaufteilung ist somit nicht mehr in der

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Das Konrad-Wachsmann-Haus – Ein Holzbau der Moderne

60 61 Das Direktorenhaus empfängt die Besucher in einer zwei- geschossigen, lichtdurchfluteten Eingangshalle mit groß- zügiger Raumwirkung. Die Wände wurden so belassen, dass die Holzbohlen sichtbar sind. Der Schornstein steht als Pfeiler frei im Raum und wirkt als vertikales Gliede- rungselement.

Eingangshalle Links des Eingangs liegen die repräsentativen Gesell- schaftsräume: das ehemalige Herren-, Musik- und Spei- sezimmer. Eine unauffällige Tür unter der Treppe führt zum Küchen- und Wirtschaftstrakt. Im Windfang sind eine geräumige Garderobe eingebaut und das Gäste-WC unter- gebracht. Eine Galerie erschließt die Räume im Ober­ geschoss.

62 Herrenzimmer

Der Raum findet sich im Grundriss als »Herrenzimmer«. Dies war eine im großbürgerlichen Milieu übliche Bezeich- nung für einen den Männern vorbehaltenen Raum. Häufig wurde er als Rückzugsort, für Gesprächsrunden und als Raucherzimmer genutzt. Die Nutzung spiegelt sich in der repräsentativen und gleichzeitig sachlich modernen Ge- staltung des Raumes wider.

Wände und Decken sind mit großformatigen Sperrholz- platten verkleidet. Die Leisten, die deren Stoßkanten ver- decken, dienen zugleich als Schmuckelement. Das Eichen­ parkett hat vermutlich der zweite Hauseigentümer in den 1930er-Jahren verlegen lassen.

Aus der Bauzeit ist der eingebaute Bücherschrank mit Glasschiebetüren erhalten; ein fehlendes Element konnte rekonstruiert werden.

Die Terrassentür führt in den parkähnlichen Garten.

64 65 Musikzimmer

Der zentrale Raum im Wohnbereich ist das sogenannte Musikzimmer. Durch die vom Eingang aus gesehene rechte Glasschiebetür gelangte man in das Speisezimmer. Auf der linken Seite schloss sich das Herrenzimmer an. Sind beide Türen geöffnet, steht ein einziger großer Raum für Empfänge und Feierlichkeiten zur Verfügung.

Über die frühere Ausstattung des Musikzimmers ist nichts bekannt. Während der Sanierung wurden jedoch hinter den Hartfaserplatten der Wände Reste einer Stoffbespan- nung gefunden: Eine Watteschicht zwischen mehreren Lagen Baumwoll- und Leinenstoff sorgte für eine hervor- ragende Akustik im Raum. Die neue Stoffbespannung greift das Motiv der historischen Oberfläche auf. Das ver- mutlich bauzeitliche Eichenparkett konnte erhalten wer- den.

Unterhalb der Decke ist ein Zugeisen sichtbar, das wäh- rend der Sanierungen zur Stabilisierung der Nord- und Südfassade eingebaut wurde.

66 67 Esszimmer und Wintergarten

Das Esszimmer ist mit dem Küchen- und Wirtschaftstrakt verbunden. Die Zugangstür fügt sich optisch in die Wand- gestaltung ein. Direkt neben ihr befindet sich eine Durch- reiche für Speisen und Geschirr. Der Raum wird durch einen Wintergarten erweitert. Die große Fensterfläche lenkt den Blick in den Garten, eine Tür führt auf die Terrasse.

Beim Wintergarten handelt es sich um einen Anbau in Ständerbauweise. Wegen mangelhafter Abdichtung des darüberliegenden Balkons wies er so erhebliche Wasser- schäden auf, dass in den 1980er-Jahren ein vollständiger Neuaufbau notwendig war. Dabei wurden die originalen Türen und Fenster wieder eingebaut und der Terrazzo­ boden aus der Bauzeit durch Parkett ersetzt.

Wände und Decken waren ursprünglich mit feuerhem- menden Lignatplatten von Christoph & Unmack belegt. Diese boten einen idealen Untergrund für Tapeten oder Farbanstriche. Aufgrund von Schadstoffbelastung wurden

Fotos (S. 62 – 69): sie bei der Sanierung gegen modernes Holzplattenmate- Volker Kreidler, Berlin rial ausgetauscht.

68 69 Im Jahr 1927 hat die Holzbaufirma Christoph & Unmack das Haus nach den Plänen des Architekten Konrad Wachs- mann errichtet. Nach vielen Jahren des Leerstands sa- nierte die Stadt Niesky von 2011 bis 2014 das vom Verfall bedrohte Gebäude. Seitdem ist es ein Museum und Infor- mationsforum für den aktuellen Holzbau.

Konrad Wachsmann hat sich als Pionier des industriellen Bauens weltweit einen Namen gemacht. Dieses von ihm entworfene Wohnhaus gilt als ein bedeutendes Denkmal des modernen, industrialisierten Holzbaus.

Ein Holzbau der Moderne Für gewöhnlich bringt man mit der modernen Architektur der Weimarer Republik sachliche Bauten aus Stahl, Glas und Beton in Verbindung. Doch zur gleichen Zeit gelangen mit dem traditionellen Baustoff Holz technische und ästhe­ tische Neuerungen. Im Nationalsozialismus wurde jedoch die Weiterentwicklung des zivilen Holzbaus unterbrochen. Nach 1945 war der Holzbau in Deutschland eher eine Randerscheinung.

Im Zusammenhang mit der aktuellen Debatte um Klima- wandel, Ressourcenschonung und Nachhaltigkeit gewinnt das alte Baumaterial neue Bedeutung. Heute entstehen sogar Hochhäuser in Holzbauweise.

1 Konrad-Wachsmann-Haus Eingangshalle · um 1927 K. Wachsmann · Holzhausbau Berlin 1930

70 Konrad Wachsmann – Der Pionier des industriellen Bauens

138 139 Konrad Wachsmann gilt als Pionier des industriellen Bau- ens. Seine Konstruktionssysteme ermöglichten Hallen- bauwerke mit großer Spannweite, die weltweit Aufsehen erregten.

Der Architekt und Hochschullehrer war für seine weg­ weisenden Lehrmethoden zur Teamarbeit und durch seine Vortragsreisen in die Hörsäle der Welt vor allem in Fach- kreisen bekannt. Seine Zielsetzung war die Industriali­ sierung des Bauens, das heißt die Umstellung auf maschi- nelle Herstellungstechnik. Diese erforderte die Unter­ teilung von Gebäuden in genormte Elemente.

Auch als Wegbereiter des modernen Holzbaus hat sich Wachsmann einen Namen gemacht. In den 1940er-Jahren entwickelte er zusammen mit Walter Gropius ein Fertig- teil-Holzhaus aus standardisierten Bauelementen, die sie in ihrer eigenen Fabrik in den USA seriell produzierten.

Die Grundlagen dafür hatte Wachsmann in seiner Zeit bei Christoph & Unmack erarbeitet. Bei der Nieskyer Holz- baufirma hatte er zahlreiche Arten von Holzbauten in mo- derner Formensprache entworfen. Das bekannteste Bei- spiel ist das Sommerhaus für Albert Einstein im branden- burgischen Caputh.

1 Der Architekt als Lehrer Konrad Wachsmann war ein sehr engagierter, expe- rimentierfreudiger und angesehener Hochschul­ lehrer, der sich intensiv mit den Möglichkeiten einer produktiven Teamarbeit auseinandersetzte und ­dadurch die Ausbildungsmethodik reformierte. Akademie der Künste, Berlin, Konrad-Wachsmann- Archiv, KWA-205 F.81 · um 1959

140 141 2 Konrad Wachsmann als Tischlerlehrling Konrad Wachsmann begann 1917 eine Lehre in der Tischlerei Münning in Frank- furt an der Oder, nachdem er die Schule ohne Abschluss verlassen hatte. Akademie der Künste, Berlin, Konrad- Wachsmann-Archiv, KWA-210 F.12 um 1917

1901 Am 16. Mai wird Konrad Wachsmann in Frankfurt an der Oder als Sohn einer jüdischen Apothekerfamilie geboren.

1922 – 1925 Nach einer Ausbildung zum Tischler studiert er Architektur bei Hein-

Biografie Konrad Wachsmanns rich Tessenow in sowie an der Kunstgewerbeschule Berlin und wird anschließend Meisterschüler von Hans Poelzig.

1926 – 1929 Durch die Vermittlung Hans Poelzigs bekommt er eine Stelle bei Christoph & Unmack in Niesky, wo er an der technischen und ästhe- tischen Verbesserung der Holzhausfertigung mitwirkt.

3 Porträt der Familie Wachsmann Konrad Wachsmann, auf dem Schoß des Vaters sitzend, mit seinen Eltern und seinen älteren Geschwistern. Akademie der Künste, Berlin, Konrad-Wachs- mann-Archiv, KWA-210_F.3b · um 1904

4 | 5 ® Brief von Konrad Wachsmann an seine Mutter Elsa Wachsmann vom 9. April 1929 Wachsmann berichtet in seinem Brief davon, dass Albert Einstein ihn mit dem Bau eines Sommerhauses beauftragt habe. Beigefügt ist eine Entwurfsskizze. Akademie der Künste, Berlin, Konrad-Wachs- mann-Archiv, KWA-26 Bl.7

142 143 1929 Er erhält den Auftrag, ein Sommerhaus für Albert Einstein zu entwer- fen und macht sich selbstständig. Im selben Jahr plant er das Haus Dr. Estrich in Jüterbog (Brandenburg) in Massivbauweise.

1930 Wachsmann veröffentlicht sein Buch »Holzhausbau – Technik und Gestaltung«.

1932/33 In Anerkennung seiner Leistungen im Holzbau erhält Wachsmann den Rom-Preis der Preußischen Akademie der Künste in Verbindung mit einem Stipendium der Villa Massimo. Diese verlässt er aus Protest nach dem Wahlsieg der Nationalsozialisten.

6 1933 – 1938 Konrad Wachsmann und Albert Einstein Wachsmann ist als Architekt in Granada und Rom tätig. auf der Terrasse des Sommerhauses 7 in Caputh 1941 USAF Hangar Projekt Akademie der Künste, Berlin, Konrad- Mit der Hilfe von Albert Einstein und Walter Gropius gelingt ihm, zu- Modell eines Konstruktionssystems für Wachsmann-Archiv, KWA-152 F.15 große Hallenbauten, ein Forschungspro- sammen mit seiner Ehefrau Anna Krauss, über Südfrankreich die um 1929 jekt der US-amerikanischen Luftwaffe. Flucht in die USA. Seine Mutter, Schwester und ein Neffe werden in Akademie der Künste, Berlin, Konrad- einem Konzentrationslager in Riga ermordet. Wachsmann-Archiv, KWA-126 F.17a ca. 1950 – 1953 1942 Wachsmann gründet zusammen mit Gropius die General Panel Cor- poration, eine Fabrik zur Herstellung vorgefertigter Holzhäuser für 8 den amerikanischen Markt. Auf der Suche nach dem Wesen der Architektur Ab 1949 Konrad Wachsmann veröffentlichte 1961 Architekturfotografien, die er bei seinen widmet er sich der Forschung und Lehre. Er erhält eine Professur am Reisen, ausgehend von seinem Rom-­ Institute of Design in und später an der University of Southern Aufenthalt bis zu seiner Emigration in die California und leitet einige Jahre die Architekturklasse der Internatio­ USA, aufgenommen hat. nalen Salzburger Sommerakademie. In dieser Zeit lernt er seine zweite K. Wachsmann: Aspekte · Wiesbaden 1961 Frau Judith, geborene Boess-Kaersten, kennen.

1961 Die gemeinsame Tochter Ray wird geboren.

1980 Konrad Wachsmann stirbt in Los Angeles. Seine letzte Ruhestätte fin- det er seinem Wunsch entsprechend in seiner Geburtsstadt Frankfurt an der Oder.

1999 Die Akademie der Künste in Berlin erwirbt Konrad Wachsmanns Nachlass.

144 145 Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war Niesky das führende Zentrum des modernen Holz­ hausbaus. Die Christoph & Unmack AG produ­ zierte von hier aus unter anderem private und kommunale Wohnhäuser sowie öffentliche Bauten für Kunden auf der ganzen Welt und arbeitete mit namhaften Architekten wie Hans Scharoun, Henry van de Velde, Albinmüller oder Hans Poelzig zusammen.

Konrad Wachsmann, der einige Jahre Chef­ architekt der Firma war, hat sich als Pionier des industriellen Bauens weltweit einen Namen gemacht. Das von ihm entworfene Direktorenwohnhaus in Niesky, 1927 im Stil der Klassischen Moderne errichtet, gilt als besonderes Zeugnis der industrialisierten, vorgefertigten Holzbauweise. Es wurde denk­ malgerecht saniert und 2014 als »Forum Konrad-Wachsmann-Haus Niesky – Infor­- ma­tion, Austausch, Erlebnis Holzhausbau« wiedereröffnet.

Die Dauerausstellung »Holzbauten der Moderne« gibt einen Einblick in die Entwick­ lung des industrialisierten Holzhausbaus. Im vorliegenden Ausstellungskatalog kann diese Dokumentation nachverfolgt werden. Zudem befasst sich ein ergänzender Essayteil mit den Ergebnissen der Farbuntersuchungen im Konrad-Wachsmann-Haus, mit dem Inge­ nieurholzbau der Firma Christoph & Unmack und mit aktuellen Tendenzen im Holzbau.

Sandstein ISBN 978-3-95498-165-6