Grenzüberschreitende Governance in Der Großregion Saarlorlux
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Stadtentwicklung Grenzüberschreitende Governance in der Großregion SaarLorLux Florian Weber Grenzüberschreitende Governance in der Großregion SaarLorLux Grenzregionen sind häufig mit dem Makel einer peripheren Lage versehen. Aus der ,Not‘ wurde und wird gleichzeitig immer mehr in der Europäischen Union eine ,Tu- gend‘ gemacht, was sich in der Institutionalisierung grenzüberschreitender Zusam- menarbeit niederschlägt, bei der auch Kommunen wichtige Akteure darstellen. Am Beispiel der Großregion SaarLorLux wird gezeigt, wie auf unterschiedlichen admi- nistrativen Ebenen und über Ebenen hinweg Kooperationsformen zugunsten einer grenzüberschreitenden Regionalentwicklung etabliert wurden. Die Grenzschließun- gen im Zuge der COVID-19-Pandemie wirken hier wie ein Rückversetzen in vergange- ne Zeiten, wobei das entschlossene gemeinsame kommunalpolitische Handeln zeigt, dass die Errungenschaften der Zusammenarbeit nicht einfach aufgegeben werden. Vor siebzig Jahren, am 9. Mai 1950, stellte der damalige fran- zu, die aufgrund dieser Randlage entfernt von den Zentren zösische Außenminister Robert Schuman in Paris einen Plan häufig wirtschaftlich wie politisch eher als Peripherie betrach- zu einer gemeinsamen Verwaltung der deutschen und franzö- tet wurden (u.v. Chilla et al. 2010). Nichtsdestotrotz gehen sischen Kohle- und Stahlproduktion vor – gerade einmal fünf von dort gleichzeitig Dynamiken aus, Nachteile der periphe- Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und einer lan- ren Lage auszugleichen, so bereits 1958 mit der EUREGIO im gen ,Erbfeindschaft‘. Auf dieser Grundlage entstand im Jahr deutsch-niederländischen Grenzgebiet als zunächst informel- 1951 der Vertrag der Europäischen Gemeinschaft für Kohle lem kommunalem Zusammenschluss, die heute als gemeinsa- und Stahl, mit dem die Länder Belgien, Frankreich, Luxem- mer Zweckverband 129 deutsche und niederländische Städte, burg, Niederlande und Italien freien Zugang zu den Kohle- Gemeinden, (Land-)Kreise und Waterschappen bündelt (Engl und Stahlmärkten der beteiligten Partnerländer erhielten – der 2017, S. 43). Ausgangspunkt des europäischen Einigungsprozesses. Das Ziel einer grenzüberschreitenden Zusammenarbeit geht Neben nationalstaatlichen Bestrebungen ,von oben‘ trugen aktiv von der kommunalen Ebene aus. Parallel sind weitere und tragen (ergänzend) regionale und lokale Initiativen zu politisch Handelnde und administrative Ebenen von Belang. einem weitergehenden koordinierten Handeln über natio- Grenzüberschreitende Regionalentwicklung wird damit zu ei- nale Grenzen hinweg in Europa bei. Besonderes Augenmerk ner Frage unterschiedlicher Skalen und gleichzeitig verschie- kommt hier den Gebieten an den nationalstaatlichen Rändern dener Institutionalisierungsgrade. Zur Verdeutlichung rückt im Abb. 1: Ein Symbol für offene Grenzen: der luxemburgische Winzerort Schengen gegenüber der deutschen Gemeinde Perl (Foto: Florian Weber 2019) vhw FWS 4 / Juli – August 2020 183 Stadtentwicklung Grenzüberschreitende Governance in der Großregion SaarLorLux Folgenden die Großregion im ,Herzen Europas‘, in der auch 2), was die Namensgebung erschwert. Zur Verortung wird Schengen – bekannt für das Schengener Abkommen aus dem gerne von ,Großregion SaarLoxLux (Plus)‘ gesprochen. Die Jahr 1985 zugunsten offener Grenzen – liegt (Abb. 1), bei- skizzierten ,Meilensteine‘ deuten bereits an, dass eine Institu- spielhaft in den Fokus. tionalisierung und Entscheidungsfindung gesamtregional eher top down erfolgte, das heißt, kooperativ und partizipativ an- Die ,Großregion‘ als ,Dach‘ gelegten Formen der Zusammenarbeit kommt bis heute eine nachgeordnete Rolle zu. Zwar besteht seit 1995 als gemein- Die einführend skizzierte Entwicklung hin zur Gemeinschaft nütziger Verein die EuRegio SaarLorLux+, die mehr als vierzig für Kohle und Stahl bezog sich unter anderem auf die Grenz- Gebietskörperschaften umfasst und so auch die Kooperation region des Saargebiets (seit 1957: Saarland), Lothringens und zwischen Kommunen der Großregion befördern will, aber sie Luxemburgs sowie Walloniens, was den Nukleus für eine dorti- ist kein aktiver Teil der Governance-Struktur um den Gipfel ge Institutionalisierung der Zusammenarbeit darstellt. Im Zuge der Großregion. Damit ist eine gewisse ,Exekutivdominanz‘ der Montankrise befasste sich die deutsch-französische Regie- für das Raumkonstrukt der Großregion zu beobachten (aus- rungskommission 1969 explizit mit der deutsch-französisch- führlich hierzu Lorig et al. 2016). EU-INTERREG-Fördermittel luxemburgischen Situation, 1971 wurde die Einrichtung einer für die Großregion können allerdings durchaus als Bestandteil Regierungs- sowie einer Regionalkommission unter deutscher, zur Forcierung von Bottom-up-Initiativen gelesen werden. französischer und luxemburgischer Beteiligung beschlossen, um die regionalen Anliegen zu betrachten. Seitdem nimmt die Formalisierung zu, unter anderem mit der Gründung eines Landespolitische Initiative im Saarland Interregionalen Parlamentarierrates 1986, dem ersten ,Gipfel Eine überregionale Aufmerksamkeit erlangte das Saarland im der Großregion‘ 1995 unter Einbeziehung der höchsten poli- Jahr 2014, als die dortige Landesregierung die sogenannte tischen Ebene der Partnerregionen bis hin zur Gründung des ,Frankreichstrategie‘ vorstellte, die die Vision und Zielsetzung Europäischen Verbundes für Territoriale Zusammenarbeit ,Gip- auf saarländischer Seite beinhaltet, innerhalb einer Genera- felsekretariat der Großregion‘ 2014. tion Anstrengungen zu unternehmen, dass ein „leistungsfä- Der Verbund soll die Zusammenarbeit von Institutionen und higer mehrsprachiger Raum deutsch-französischer Prägung“ Akteuren begleiten und Anlaufstelle für die Bevölkerung so- entsteht (Landesregierung des Saarlandes 2014, S. 4). Vom wie Schnittstelle in Richtung europäischer Institutionen sein Grundprinzip her ist der Zugang zunächst einem territorialen (EVTZ Gipfelsekretariat der Großregion 2020; vgl. bspw. auch Governance-Ansatz (siehe Hooghe/Marks 2003) zuzuordnen, Wille 2015). Anzumerken ist, dass die Bezeichnung der Regi- also vom Raumzuschnitt des Saarlandes ausgehend, doch on als ,Großregion‘ selbst für viele Bewohner eher unklar und wird gleichzeitig auf eine enge Verflechtung hin zu Frankreich, abstrakt ausfällt, viel eingängiger ist die frühere Bezeichnung durchaus auch zu Luxemburg durch ein partnerschaftliches SaarLorLux als Name für das Montandreieck (Schulz 1997, S. Handeln hingewirkt, womit ein funktionales grenzüberschrei- 35), doch gehören heute auch Rheinland-Pfalz und ein Teil tendes Borderland ,gewoben‘ wird. Formale nationalstaatliche Belgiens zum Kooperationsraum mit mehr als 11,5 Millionen Grenzen werden so nicht mehr als Trennlinie, sondern gerade- Einwohnern und über 240.000 Grenzpendlern dazu (vgl. Abb. zu als verbindendes Element verstanden. Auf französischer Seite griff die Region Lothringen den Vorstoß auf, woraus eine Stratégie Allemagne (Deutschlandstrategie) resul- tierte, die unter anderem die Relevanz von Sprachkennt- nissen und den Austausch zwischen Partnerstädten betont, die jedoch in dieser Form nicht verabschiedet wurde, da 2016 Lothringen im Zuge der Gebietsreform in die neuere und größere Region Grand Est integriert wurde. Deren neuer Regio- nalrat betont zwar auch die Abb. 2: Die ,Großregion‘ (Quelle: Darstellung Florian Weber auf Grundlage von Hartz/Caesar 2018, S. 43) Bedeutung deutsch-franzö- 184 vhw FWS 4 / Juli – August 2020 Stadtentwicklung Grenzüberschreitende Governance in der Großregion SaarLorLux Abb. 3: Abgesperrter Grenzübergang zwischen Silwingen (Saarland) und Waldwisse (Département Moselle) (Foto: Brigitte Weber, April 2020) sischer Beziehungen, wird aber zielbezogen weniger explizit. hen kommunalen Gebietskörperschaften ausgehend infor- Die saarländischen Bemühungen seit 2014 beziehen aktiv die melle Beziehungen, um Herausforderungen zu bearbeiten – kommunale Ebene mit ein, bspw. mit der Förderung zweispra- Governance bottom up also (Schulz 1997). chiger Kitas oder dem grenzüberschreitenden Austausch von Ein markantes Beispiel grenzüberschreitender Institutionali- Verwaltungspersonal (Landesregierung des Saarlandes 2014, sierung stellt die Gründung des Städtenetzes QuattroPole der 2020). Denn Kommunen können zur Überwindung von Gren- Oberzentren Luxemburg, Metz, Saarbrücken und Trier (vgl. zen, zum wirtschaftlichen Erfolg und zur regionalen Identität Abb. 2) im Jahr 2000 auf Grundlage enger Verflechtungen beitragen – genau dort wird auch die europäische Integration dar, die sich zuvor wirtschaftlich, gesellschaftlich und kultu- im Alltag gelebt bzw. vorangebracht (Europäische Kommission rell bereits herausgebildet hatten. Die Akteure streben ein 2017, S. 18). Auf Landesebene angestoßen wird insgesamt auf gemeinsames Standortmarketing, Struktur- und Wirtschafts- ein Zusammenspiel unterschiedlicher administrativer Ebenen förderung sowie eine intensivierte Zusammenarbeit an, wo- und Akteure gesetzt. Eine ausführlichere Analyse zum grenz- bei gewisse Hürden keinesfalls ausbleiben (zur Nieden 2005). überschreitenden, an die Frankreichstrategie geknüpften kom- 2014 wurde ein eingetragener Verein nach deutschem Recht munalen Handeln steht noch aus. gegründet, um eine Verstetigung des administrativen Aus- tauschs und des gemeinsamen Handelns zu erreichen (Quatt- Kommunales Engagement roPole e.V. 2020). Wenden wir den Blick nun direkt auf die kommunale Ebene, Und schließlich sei der Eurodistrikt SaarMoselle angeführt, geht der grenzüberschreitende Austausch in der Nachkriegs- der auf einem sich entwickelnden Austausch seit den