Rote Liste Der Blattkäfer (Insecta: Coleoptera: Chrysomelidae) Thüringens
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Rote Liste der Blattkäfer (Insecta: Coleoptera: Chrysomelidae) Thüringens Donacia dentata, der an Pfeilkraut lebende Schilfkäfer wurde erst im Zuge der Nachsuchen für die Rote Liste wiederentdeckt, extensiv bewirtschafteter Teich bei Pörmitz, 14.07.2011. (Aufn. F. FritzlAr) 249 Rote Liste der Blattkäfer (Insecta: Coleoptera: Chrysomelidae) Thüringens 2. Fassung, Stand: 10/2011 Frank Fritzlar Einleitung Blatt- und Samenkäfer sind phytophage Käfer meliebend, sind die farbenprächtigen Fallkäfer von geringer bis mittlerer Größe. Übersichten (Cryptocephalinae), die vor allem an Gehölz- zu Lebensweise und Formenreichtum dieser säumen und in verbuschtem Offenland auf- Gruppe geben schöller (1996) und kiPPenBerg treten. Die eigentlichen Blattkäfer (Chrysome- (2003). In der Familie der Blattkäfer sind einige linae) fallen oft durch Größe und metallischen habituell und auch in ihrer Lebensweise recht Glanz auf. Sehr artenreich sind die kleinen Erd- verschiedene Unterfamilien vereint. So leben flohkäfer (Alticinae), unter denen es viele hoch die Schilfkäfer (Donaciinae) spezialisiert in spezialisierte Arten gibt. Die flachen Schildkä- Uferbiotopen an verschiedenen Wasser- und fer (Cassidinae) sind wie weitere Unterfamilien Röhrichtpflanzen; ihre Larven entwickeln sich nur mit relativ wenigen Arten in Thüringen ver- unter Wasser. Weniger auf einzelne Arten von treten. Viele Arten (nach schöller 1996: 80 %!) Wirtspflanzen spezialisiert, aber meist sehr wär- sind stenotop, also eng an bestimmte Biotope Die Kalkflachmoore im Thüringer Becken sind für mehrere Blattkäferarten die letzten Refugien, so fürCassida ferruginea und Aphthona violacea, NSG „Alperstedter Ried”, 09.09.2009. (Aufn. F. FritzlAr) 250 gebunden. Sie zeigen enge Fraßpflanzenbin- dungen oder enge Bindungen an bestimmte mikroklimatische Verhältnisse. Viele dieser Ar- ten sind empfindlich gegen Biotopveränderun- gen und weisen ein sehr geringes Potenzial zur (Wieder)besiedlung von geeigneten Biotopen auf. Blattkäfer sind damit zur Zustandsanalyse, vor allem der verschiedensten Offenland-Bio- tope, besonders geeignet. Die meisten Blattkäfer ernähren sich von grü- nen Pflanzen. Dabei leben 70 % an krautigen Pflanzen, 23 % auf Gehölzen und 7 % an Grä- sern. Eine geringe Anzahl von Arten tritt gele- gentlich als Schädling in landwirtschaftlichen Kulturen auf. Größere Bedeutung hat hier nur der aus Nordamerika eingeschleppte Kartof- felkäfer. Kohlerdflöhe, Getreide-, Spargel-, und Lilienhähnchen leben ebenfalls an Kulturpflan- zen, sind aber von geringerer wirtschaftlicher Bedeutung. Cassida canaliculata, Larve. Die an Salbei lebende Art ist nur lokal gelegentlich zahlreicher, fehlt aber vielerorts, NSG „Leutratal- Das Arteninventar der Blattkäfer Thüringens Cospoth”, Jena, 1993. (Aufn. F. JuliCh) wurde von raPP (1934) erstmalig zusammen- gefasst. Seitdem konnten bis in jüngste Zeit führten zu einer mit anderen Insektengruppen Neunachweise und Wiederfunde gemeldet vergleichbaren soliden Datenbasis. werden (z. B. Fritzlar 2001a, Fritzlar 2009). Wei- Trotz verstärkter Nachsuchen in Gebieten mit tere zusammenfassende Auflistungen liegen früheren Vorkommen ab 2008 konnte nur eine landesbezogen (Fritzlar 1999) bzw. bundesweit als verschollen geltende Art wiederentdeckt (köhler & klausnitzer 1998) vor. Seit der letzten werden: Aphthona violacea (Alperstedter Ried, Roten Liste (Fritzlar 2001b) konnten 8 Arten 28.8.2011). Zudem gelang die Bestätigung von neu entdeckt werden, in den meisten Fällen Ar- zwei Arten, die sonst in die Kategorie 0 einzu- ten, die schon länger zur Thüringer Fauna ge- stufen gewesen wären (= ohne Nachweis nach hören (Fritzlar 2001a, 2003, 2005, 2009) – etwa 1960): Donacia dentata (Pörmitz, 14.7.2011) der ausschließlich an der sehr seltenen Warzen- und Cassida subreticulata (Bad Frankenhausen, wolfsmilch (Euphorbia verrucosa) lebende Floh- 2.8.2011) (alle Nachweise: Fritzlar, unveröff.). käfer Aphthona delicatula oder der Schildkäfer Der Einstufung der Arten liegt ansonsten der Cassida leucanthemi, der erst jüngst beschrie- Kenntnisstand Ende 2010 zugrunde. ben worden ist und für dessen Vorkommen bei Der jüngst erschienene Katalog der paläarkti- Eisenach im Berliner Naturkundemuseum Be- schen Blattkäfer (löBl & sMetana 2010) wird als lege entdeckt worden sind (sekerka 2007, Fritz- taxonomisches Bezugswerk verwendet. Dies lar 2009). Die weiteren neu nachgewiesenen bringt eine Reihe von Namensänderungen mit Arten sind Cryptocephalus bameuli, Phyllotreta sich. Der Schilfkäfer Plateumaris discolor wird austriaca, Longitarsus strigicollis, Chaetocne- gemäß löBl & sMetana (2010) als von P. sericeus ma procerula, Psylliodes reitteri und Psylliodes verschiedene Art betrachtet, in der vorliegen- toelgi. Die Meldung eines aktuellen Fundes von den Liste aber nicht separat geführt, weil kein Dibolia femoralis (Fritzlar 1998) ist eine Fehl- gesicherter Nachweis der Art vorliegt. Im Rah- meldung. Diese Informationen sowie die unpu- men der vorliegenden Gefährdungsanalyse bliziert vorliegenden Datensammlungen der gelten 404 Blattkäferarten als in Thüringen hei- Thüringer Landesanstalt für Umwelt und Geo- misch. Der Kartoffelkäfer (Leptinotarsa decemli- logie Jena und des Naturkundemuseums Erfurt neata) wird als Neozoon nicht bewertet. 251 Gefährdungssituation der Blatt- und Samenkäfer Thüringens Thüringen: 403 bewertete Arten Gefährdungskategorie 0 1 2 3 R G V D * Blattkäfer 53 36 53 72 1 0 17 0 171 Anteil (%) 13,2 9,0 13,2 17,9 0,3 0 4,2 0 42,2 Summe (Anteil) Gefährdet: 215 (53,4 %) Ungefährdet: 188 (46,6 %) Flussauen ganze ökologische Gruppen betref- fen. Aus naturschutzfachlicher Sicht ebenso bemerkenswert ist die geringe Gefährdung bestimmter Wärme liebender Arten, die in Thü- ringen relativ stabile Bestände besitzen. So sind z. B. Haar-Langbeinblattkäfer (Lachnaia sex- punctata), Querköpfiger Stierkäfer (Cheilotoma musciformis) sowie die Langfuß-Erdfloharten Longitarsus nanus, Longitarsus obliteratoides und Longitarsus quadriguttatus in Thüringen deutlich weniger gefährdet als z. B. in Deutsch- land insgesamt (vgl. geiser 1998, Fritzlar et al. Cassida subreticulata, der Schildkäfer wäre ohne den aktuellen 2010). Der Ungarische Schildkäfer (Cassida pan- Wiederfund als verschollen zu führen gewesen, NSG “Südwest- nonica), der Feiste Langfußerdfloh (Longitarsus Kyffhäuser”, Kosakenberg, Bad Frankenhausen, 02.08.2011. languidus) und der Wiener Langbaucherdfloh (Aufn. F. FritzlAr) (Psylliodes vindobonensis) kommen sogar (fast) ausschließlich in Thüringen vor. Viele Arten feh- Die hohe Zahl der als verschollen geltenden len in angrenzenden Gebieten teils großflächig, Arten wird wohl durch künftige Wiederfunde z. B. schon in Südniedersachsen oder auch in noch reduziert werden können, doch sind eine Sachsen. Hier sind die Thüringer Bestände für Reihe von Arten mit hoher Wahrscheinlichkeit den überregionalen Erhaltungszustand höchst in Thüringen endgültig ausgestorben, z. B. die bedeutsam. Auenwiesen bewohnenden Fallkäfer Crypto- Im Gegensatz zur durchschnittlich geringeren cephalus laetus und C. anticus, der Adonisrös- Gefährdung der wärmeliebenden Arten sind chen-Blattkäfer Entomoscelis adonidis, die an Arten der Flussauen überdurchschnittlich ge- Ulmen lebende Xanthogaleruca luteola oder fährdet. Dies betrifft feuchteliebende Arten der ehemals auf Salzwiesen lebende Phaedon wie verschiedene Schilfkäfer (Donacia spp.) als concinnus. auch wärmeliebende Arten, die z. B. an Weiden auf Schotterbänken leben (wie die Scheckenkä- Die Gefährdung der Blattkäfer geht trotz de- fer Pachybrachis sinuatus und P. hieroglyphicus). ren oft enger Wirtspflanzenbindung nur zum Auch spezialisierte Arten seltener Biotoptypen, Teil von der Gefährdung einzelner Pflanzenar- wie Moorarten sowie Arten von Salzstellen und ten aus. Auch viele gefährdete Blattkäfer leben Sandstandorten sind überdurchschnittliche an weit verbreiteten Pflanzen. Vielmehr sind gefährdet. Habitatzerstörung und Flächenverluste natur- naher Standorte mit längerer Biotoptraditi- Neben allgemeinen Gefährdungen wie Flä- on eine wichtige Rückgangsursache. Ebenso cheninanspruchnahme, Intensivierung der bedeutsam sind die mit der Veränderung der Landnutzung, allgemeine Eutrophierung, Ver- Landnutzung einhergehenden Landschafts- änderung des Landschaftswasserhaushaltes veränderungen, die z. B. über den enormen usw., die meist über die Veränderungen von Verlust magerer Feucht- und Nassstandorte in Flora und Vegetation sowie des Lokalklimas 252 wirken, sind vor allem die eng an gefährdete Biotope (Moore, Salzstellen usw.) gebundenen Arten gefährdet. Zudem müssen für einzelne Artengruppen der Blattkäfer weitere in ihrer Lebensweise begrün- dete Gefährdungen angenommen werden. So sind die submers lebenden Larven der Schilfkä- fer (Donaciinae) auch gegenüber kurzzeitigen Störungen der Habitate wie Wasserstandsab- senkung, Gewässerunterhaltungsmaßnahmen oder Eutrophierung empfindlich. Viele Fallkäfer (Cryptocephalinae) besitzen Larven, die Streu- fresser sind und hohe Ansprüche an das Boden- Oreina alpestris (Unterart O. a. polymorha). Der Bergblattkäfer Mikroklima stellen. Sie sind in ähnlicher Weise kommt weltweit ausschließlich in Thüringer Wald, Frankenwald, komplex an ihre Lebensräume gebunden und Rhön und Harz vor, Freibachgrund, Stützerbach, 10.07.2010. störungsempfindlich wie die Sackkäfer und (Aufn. F. FritzlAr) ihre Verwandten (Clytrinae), die unter anderem das Vorkommen bestimmter Ameisen, magere Vegetation bzw. besonnte Bodenstellen, aber auch bestimmte Gebüsche (vor allem aus Ro- saceae, Quercus oder Salix) benötigen. Unter den