Tabubruch Als Subkulturelle Praktik Diskursive Und Kulturelle Effekte Von Tabubrüchen Am Beispiel Des Battle-Rap
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Universität Heidelberg Germanistisches Seminar Masterarbeit Erstgutachter: Prof. Dr. Ekkehard Felder Zweitgutachter: Prof. Dr. Günter Leypoldt Tabubruch als subkulturelle Praktik Diskursive und kulturelle Effekte von Tabubrüchen am Beispiel des Battle-Rap Sven Bloching Scheffelstraße 21 68526 Ladenburg [email protected] Germanistik, Master, 6. FS 3173620 30.10.2020 Inhalt 1. Einleitung ........................................................................................................................... 1 2. Theoretische Zusammenhänge: Tabu, Identität und Diskurs ............................................. 6 2.1 Tabukomplex und Tabumechanismus ......................................................................... 6 2.1.1 Tabus und Tabuisierungen: Semiotische und semantische Eigenschaften .......... 7 2.1.2 Tabubrüche und ihre potenziellen Wirkungsweisen .......................................... 12 2.1.3 Ritualisierte Tabubrüche .................................................................................... 16 2.2 Identität durch Alterität: Der subkulturelle Tabubruch ............................................. 21 2.2.1 Identitätsstiftende Eigenschaften des Tabumechanismus .................................. 22 2.2.2 Zur Entlokalisierung und Abstraktion kultureller Praktiken .............................. 28 2.2.3 Heterotopologie der Battle-Rap-Kultur .............................................................. 33 2.3 Tabubrüche zwischen Produktion, Reproduktion und Rezeption ............................. 42 2.3.1 Zur technischen Reproduktion ritualisierter Werke ........................................... 43 2.3.2 Medienwirkungspotenziale und Rezeptionszusammenhänge ............................ 49 2.3.3 Tabukomplexe zwischen Intertextualität, Kontext und Diskurs ........................ 55 3. Analyse eines Tabubruchs und seiner diskursiven Effekte .............................................. 62 3.1 Analyse des Primärtextes ................................................................................... 62 3.2 Quantitative Voranalyse ..................................................................................... 69 3.3 Divergierende und konfligierende Lesarten ....................................................... 74 3.4 Normative Bewertung des Primärtextes ............................................................. 79 3.5 Distanzierungs- und Positionierungsmarker ...................................................... 85 4. Fazit .................................................................................................................................. 93 Literaturverzeichnis .................................................................................................................. 98 Tabellen- und Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Subjektive Konstruktion und intersubjektive Zirkulation von Bedeutung ........ 60 Tabelle 1: Rap-typische Topoi, die die Auschwitz-Zeile kontextualisieren, mit ausgewählten Beispielen aus JBG 3 ................................................................................................................ 68 Tabelle 2: Eine Auswahl der Keywords von Korpus 1 (270 Artikel verschiedenster Zeitungen) .................................................................................................................................................. 70 Tabelle 3: Eine Auswahl der Keywords von Korpus 2 (41 Artikel, inkl. Kommentare aus Hiphop-Medien) ....................................................................................................................... 71 Tabelle 4: Wertende Keywords in Korpus 1 ............................................................................ 73 Tabelle 5: Wertende Keywords in Korpus 2 ............................................................................ 73 Tabelle 6: Verhältnis von Lesart, Bewertung und Kulturbereich ............................................ 84 Tabelle 7: Form-Funktions-Zusammenhänge der kulturellen Positionierung im untersuchten Tabudiskurs .............................................................................................................................. 92 Notation ›Einfache deutsche Guillemets‹ indizieren ganzheitliche Begriffe mittleren Abstraktionsgrades auf der Bedeutungsebene sprachlicher Zeichen. KAPITÄLCHEN indizieren Teilkonzepte im Sinne von Bedeutungsaspekten sowie die dadurch evozierten Frames als Wissens- und Erwartungsrahmen. Kursiv geschrieben sind metasprachliche Erwähnungen objektsprachlicher Ausdrücke sowie Zitate aus dem Untersuchungsgegenstand; außerdem Eigennamen, emphatisch betonte Wörter oder Morpheme und fremdsprachige Fachbegriffe, wenn sie das erste Mal eingeführt werden. 1. Einleitung Die Jünglinge von Innen wollen sein, wie die von draußen, nämlich tough/ Vor allem aber unangepasst/ Das Korsett ihrer Moral ein wenig lockern, was dann doch kaum einer schafft/ Und auch nicht will, wenn er mal ehrlich ist, herrje, es ist vertrackt/ Also schaut man mit Angstlust auf den Hinterhof herab/ Als schöne Drohkulisse, unverstellt, archaisch bloßer Kraft/ Vorsichtig sympathisierend, doch nicht ohne, dass/ man nicht auch angewidert bliebe von dem fremden, rohen Pack/ Und zwischen all dem Drama, zwischen all dem kurz vor knapp/ Ist man heimlich stolz auf sich, als hätt' man selbst was durchgemacht1 Aus Sicht der Mehrheitsgesellschaft wirft die Subkultur des deutschen Rap dringliche, schein- bar unlösbare Rätsel auf. Einerseits stellt sie aktuell eine der größten, einfluss- und erfolgreichs- ten Sub- und Jugendkulturen dar, andererseits bedienen ihre gewaltvollen, vulgären Texte oft- mals gerade jene Themen, deren Versprachlichung konsensual als unangenehm bis unmoralisch gilt. Wie ist das möglich? Die gegenkulturellen Kräfte des Rap scheinen von Markt und Mehr- heitsgesellschaft meist wohl etabliert und geradezu kooptiert, doch immer wieder sorgen be- sonders gewaltverherrlichende oder diffamierende Textzeilen aus der Rapkultur für ein größe- res Medienecho und Debatten über die Grenzen der künstlerischen Freiheit. Das jüngste Bei- spiel liefert Anfang 2020 die Kampagne „#unhatewomen“ des feministischen Vereins terre des femmes, in deren Zusammenhang Frauen (bzw. Menschen, deren Aussehen als ›weiblich‹ gilt) Zitate aus Raptexten vorlesen, die am Ende des Videos als „Gewalt gegen Frauen“ bezeichnet werden.2 In derartigen Problematisierungen von Raptexten betreffen die Sorgen der involvier- ten Diskursakteure3 meist eine allgemeine ‚Verrohung‘ der Sprache, die Gefühle der jeweils betroffenen marginalisierten Menschengruppen und/oder einen negativen Einfluss besonders auf jugendliche Hörer. Die vorliegende Arbeit widmet sich den Fragen nach dem Ursprung und der Ritualisierung solcher beleidigender Tabubrüche, ihrem numinosen Reiz auf ihre aktiven Rezipienten, ihren identitätsstiftenden Effekten speziell für Subkulturen und schließlich ihren gefürchteten Rezeptionswirkungen, die zuletzt anhand eines konkreten Beispiels – des soge- nannten „ECHO-Skandals“ – untersucht und plausibilisiert werden sollen. Bei der 27. und letzten ECHO-Preisverleihung am 12. April 2018 wurde den beiden Rappern Kollegah und Farid Bang für ihr gemeinsames Album Jung, brutal, gutaussehend 3 1 Prezident: „Zitadelle Peripherie“ 2 https://www.youtube.com/watch?v=C4d8rmS6IBc (zuletzt aufgerufen am 26.10.2020) 3 Aus Mangel an sinnvollen und praktikablen Alternativen wird in der vorliegenden Arbeit nach wie vor das ge- nerische Maskulinum verwendet. Frauen sind dadurch nicht explizit „mitgemeint“, sondern vielmehr genauso nicht erwähnt wie Männer und alle anderen Geschlechter. Personenendungen, die grammatisch ein maskulines Genus mit sich bringen, werden also ausschließlich in ihrer Funktion verwendet, eine Person zu versprachlichen bzw. zu imaginieren, nicht einen bestimmten Sexus. Die variable ‚Geschlecht‘ soll dadurch, so die Hoffnung des Autors, an Bedeutung und Unterscheidungskraft verlieren. 1 (kurz: JBG3) der ECHO in der Kategorie Hip-Hop/Urban National verliehen. Schon im Vor- feld hatten sich einige Diskursakteure, wie etwa das Internationale Auschwitz Komitee, gegen die Preisverleihung für dieses Album – ausgerechnet am Holocaustgedenktag – ausgesprochen. Der Ethik-Rat des ECHO hatte die kritisierten Zeilen des Albums geprüft und es schließlich zur Preisverleihung zugelassen, sich stützend auf die künstlerische Freiheit und verbale Provoka- tion als typisches Stilmittel der Rapmusik. Die tatsächliche Verleihung des ECHO, die sich rein an Verkaufszahlen orientiert, an die beiden Rapper führte zu einer Welle der Empörung bei Zuschauern, bei anderen Musikern, die ihre Preise zurückgaben, bei Sponsoren, die ihre Zu- sammenarbeit kündigten, und schließlich zur Auflösung des ECHO-Preises; zur Indizierung des Albums JBG3 und zu einem Rechtsverfahren wegen Holocaust-Leugnung und wegen Volksverhetzung, das allerdings wieder eingestellt wurde. Vor allem eine Zeile, für die den beiden Rappern Antisemitismus vorgeworfen wurde, stand im Fokus der Kritik. Auf dem Song „0815“ rappt Farid Bang: Und wegen mir sind sie beim Auftritt bewaffnet/ Mein Körper definierter als von Auschwitzinsassen Im anschließenden Diskurs wurde die Zeile – zusammen mit anderen schockierenden, gewalt- verherrlichenden und vulgären Zeilen – neben Provokation auch als Tabubruch bezeichnet und auch in der vorliegenden Arbeit soll die Zeile im Zusammenhang des Tabukomplexes unter- sucht werden. Sie steht somit exemplarisch für eine Subkultur, die mit ihren Texten immer wieder deliberativ in der Mehrheitsgesellschaft aneckt