Warhols Wahre Heimat
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Gesellschaft LEGENDEN Warhols wahre Heimat Das einzige Pop-art-Museum Europas findet sich im hintersten Winkel der Ostslowakei – im Stammland der Familie von Andy Warhol, alias Andrijku Warhola. Von Alexander Smoltczyk ngrid Bezaková sitzt auf der Couch un- term Heiligenbild und stickt Pop-art in Iein Sofakissen. Sie stickt das Monroe- Motiv, die Katze Sam und Mohnblumen in Pink und Gelb. Ingrid ist selbst Monroe-blond; das sind viele hier in der Gegend. Aber nur sie hat einen Onkel Andrijku, der sich drüben, jenseits des Atlantiks, Andy Warhol nen- nen ließ und so bekannt wurde wie die Mickymaus. So wollte auch Ingrid nach New York fahren, Andys Bruder John hat- te sie eingeladen. Doch dann wurde das Visum verweigert. Und so sitzt Andy War- hols Nichte weiter in Miková, einem 146- Seelen-Dorf jenseits der Hohen Tatra, sitzt bei ihrer Mutter auf dem Sofa und stickt Mohnblumen auf Kissen, als sei sie fest entschlossen, die Ikonen ihres Pop-Onkels dorthin zurückzubringen, wo der sie ge- funden hatte: in die gute Stube. Das Dorf Miková liegt in einer Senke des Karpatengebirges, mitten in Ruthe- nien, einem ebenso gottverlassenen wie gottesfürchtigen Landstrich im äußeren Osten der Slowakei, wo man kyrillisch schreibt und noch jedem Auto hinterher- schaut. Mit rotem Blech sind die Dächer beschlagen, in den Gärten stehen Zwie- beln und Chrysanthemen und darüber der Erlöser aus bemaltem Blech. Bis heu- te holt man das Wasser aus dem Brunnen. Es ist ziemlich weit von Miková bis nach Manhattan. Zu Beginn des Jahrhunderts wanderten die Ruthenen zu Zehntausenden aus ihren Hungertälern aus und wurden Bergarbei- ter in den Kohlezechen rund um Pitts- burgh. Julia Warhola aus Miková wartete das Ende des Weltkriegs ab, borgte sich R. GALELLA Geld vom Pfarrer und folgte ihrem Mann. Grace Jones, Andy Warhol in New York (1987): Die Herkunft gern im Mysteriösen gehalten Völlig allein durchquerte sie Polen und be- stieg 1921 in Danzig ein Schiff nach Ame- schenken, aber in Medzilaborce umkehrte Familie. Aber nicht diese Reklamebilder. rika. Seither ist Julia Warhola die Heldin aus Angst vor den Kommunisten. Lieber die Katzen“, sagt der Heizer. An des Dorfes Miková. Das ist eine Legende. Andy Warhol hat den Wänden seines Hauses hängen Porzel- „Sie war eine starke Frau. Später schick- sich der Heimat seiner Eltern nie weiter lanputten und eine gestickte Kinderszene. te sie uns Päckchen mit Kopftüchern und genähert als bis Wien, und er hielt seine Das mächtigste Möbel ist ein Fernseher, Zeichnungen ihres Sohnes“, erinnert sich Herkunft gern im Mysteriösen. In der New der auf einem Campingtisch balanciert. Es Ingrids Mutter Helena. „Einmal war ein Yorker „Factory“ wäre ein leiblicher Vetter war dieser Fernseher, durch den Zavacki Stöckelschuh dabei, den Andrijku mit Blu- wie Jan Zavacki auch schlecht angekom- im Februar 1987 einen Blick auf eine lich- men bemalt hatte. Aber weil es ein einzel- men. Zavacki arbeitet als Heizer in Miko- tere Zukunft machen konnte: „Wir wuß- ner Schuh war, haben wir ihn weggewor- vá und steigt gerade von seinem „Welt- ten, daß Julias Sohn ein Maler ist. Aber fen. Ach Gott, sonst wären wir jetzt Mil- Trecker“ herunter, den er sich aus Mer- wir dachten mehr an einen Anstreicher. lionäre.“ Und um ihr Unglück voll zu ma- cedes-Achsen, Trabant-Motor, russischem Erst als das polnische Fernsehen von dem chen, erzählt Helena noch, wie Andrijku Blech und Ästen zusammenmontiert hat: Tod eines Warhol berichtete und diese eines Tages inkognito nach Miková reisen „Natürlich würde ich mir Bilder von And- Konserven zeigte, wußte ich, daß Andrijku wollte, um seine Verwandtschaft zu be- rijku aufhängen. Man ist ja stolz auf seine weltberühmt war.“ Damals war Zavacki 162 der spiegel 43/1998 Bürgermeister von Miková und begann herumzuerzählen, daß in Warhols Testa- ment auch sein Heimatdorf bedacht wor- den sei. „Unser Dorf war bekannt für sei- ne Mühlsteine. Mit einem Museum wären die Touristen aus aller Welt gekommen und hätten uns reich gemacht.“ Aber wieder ging das Glück vorbei an Miková, und Europas einziges Andy-War- hol-Museum wurde 1991 in Medzilaborce eröffnet, der nächsten Kreisstadt und mit gut 6000 Einwohnern das kulturelle Zen- trum der Gegend. FOTOS: K. KÁLLAY / BILDERBERG K. KÁLLAY FOTOS: Auf der „A. Warhola Straße“ schieben Dorf Miková in Ruthenien: Der Pfarrer verlieh Geld für die Emigration nach Pittsburgh Leute mit Schirmmützen und Kopftüchern ihre Räder zur Kaufhalle „Einheit“ oder zur Fabrik, wo Fritiermaschinen und Leit- planken hergestellt werden.Auf einem Hü- gel thront die orthodoxe Kirche, bemalt mit Heiligen in Disneyland-Farben, ihr zu Fü- ßen das ehemalige Kulturhaus, dank zwei- er als Campbell’s-Suppenkonserven (Selle- rie und Tomate) bemalter Kanalisations- röhren als Kunstmuseum zu erkennen. Der Direktor des „Andy Warhol Muse- um of Modern Art“ läßt sich entschuldigen, er müsse eine Klausur in der Volkshoch- schule von Humenné schreiben, wo er Kurse in Kunstgeschichte belegt hat. Am Schreibtisch des Direktors lehnt eine Ta- sche mit Steinpilzen. „Es ist schwer, gutes Personal für unser Museum zu bekom- men“, sagt Michal Bycko, der Kurator und ehemalige Kunsterzieher. „Medzilaborce, das ist wie eine Verbannung.“ Bycko ist ein gleichmütiger Hüne mit dem Gesicht eines Pilgervaters.Wie keiner der Museumsleute ist er je in den USA ge- wesen, kennt jedoch die gesamte Warhol- Literatur – sofern sie nicht in englisch ge- schrieben ist. „Andy ist zwar in Pittsburgh Warhol-Verwandte Helena, Ingrid Bezaková: „Wir wären jetzt Millionäre“ geboren. Aber sein ganzes Leben lang hat er zu Hause ruthenisch gesprochen. Es war buchstäblich seine Muttersprache“, sagt Bycko. „Die ersten Bilder im Leben Warhols waren die Ikonen im Zimmer von Julia und ihre Zeichnungen. Die flächige Malerei, die Serialität, die er so liebte, kann man mit ein wenig Phantasie in der Volks- ornamentik Rutheniens finden. Und in den Ikonostasen natürlich.“ Tatsächlich erscheint die Schnörkel- schrift von Julia Warhola aus Miková auf vielen von Warhols frühen Zeichnungen, mitsamt den Rechtschreibfehlern*. Im Medzilaborcer Museum ist ein von Julia Warhola koloriertes Foto zu sehen, auf dem sie ihrem stets bläßlichen Sohn die Wangen rot gemalt hat – eine Technik, die Warhol sich zu eigen machen würde. Bycko führt durch ungeheizte Flure in einen der beiden turnhallengroßen Säle. Jede freie Fläche ist liebevoll mit Warhol- Motiven bemalt oder tapeziert, überall * In Deutschland zur Zeit zu sehen: „Andy Warhol – Aquarelle, Gouachen, Zeichnungen“, Kunsthalle Tü- bingen (bis zum 29. November); „Andy Warhol – A Factory“, noch bis zum 10. Januar 1999 im Kunst- Warhol-Nichte Ingrid bei der Handarbeit: Pop-Ikonen für die Sofaecke museum Wolfsburg. der spiegel 43/1998 163 Gesellschaft Kuhköpfe, Konserven, Mohnblumen und Weihnachten.“ Zum Abschied fuhr ein Lenin-Bild: „Ich zeigte es und sagte, daß Selbstporträts. Plattenhüllen der „Velvet „Mensch, schwarz wie der Teufel, aber ein Warhol in seinem Herzen Kommunist ge- Underground“ schweben an Schnüren, guter Mensch“ die Tante zum Flughafen. wesen sei. Das hat sie überzeugt.“ eine Wolke aus Dollarscheinen, und es gibt Andy ließ sich von ihr nicht küssen, son- Die Partei stellte das überdimensionier- ein „Art Café“, das nach dem Vorbild der dern sagte nur sein „Oko, oko“ und ging. te und deswegen schon damals leerste- Factory mit Alufolie ausgekleidet ist. Alle Die Sichtung von Warhols Tante ermu- hende Kulturhaus von Medzilaborce zur Räume sind vollkommen leer: „Das tigte Bycko, Kontakt zur Warhol-Stiftung in Verfügung, und zur endgültigen Eröffnung schlechte Wetter“, sagt der Kurator. New York aufzunehmen: „Ich hatte Un- 1991 kam sogar Ultra Violet, Warhols Mu- Den Namen Warhol hörte Bycko zum terschriften gesammelt, von Václav Havel se und Siegelbewahrerin, die spontan ein erstenmal in den Siebzigern: „Er klang slo- und anderen Intellektuellen, damit die „giant pink fluo heart“ schuf, das über den wakisch. Warchol bedeutet im galizisch- Amerikaner nicht glaubten, sie hätten es Eingang geschraubt wurde. polnischen Dialekt Störenfried oder Her- hier mit mongolischen Hirten zu tun.“ Die Etwa 8000 Besucher seien es im Jahr. umtreiber. Ich machte mich auf die Suche Stiftung bot ihm an, sich Originaldrucke Nicht viele, aber: „Ins Verhältnis gesetzt zur Einwohnerzahl sind wir erfolgreicher als die Kollegen in Pittsburgh.“ Zwei, drei Touristen kommen am Tag und regelmäßig Schulklassen, die dann mit hellblauen Par- kettschonern über den Sneakern durch die Räume schlurfen, die Anoraks bedruckt mit US-Markennamen. Für sie macht Bycko sein Museum. Er veranstaltet Mal- Happenings für Kinder, wenn es mal nicht regnet, lädt Graffitisten aus Bratislava und stellt, in Ermangelung lokaler Avantgarde, Pollock-Epigonen und ruthenische Frei- zeitsurrealisten aus. „Es war natürlich ein Wagnis, in einer Welt des Mangels, wo die Leute Coca-Cola nur aus dem Fernsehen kannten, die Ob- jekte der Überflußgesellschaft zu zele- brieren“, sagt der Kurator. „Deswegen set- zen wir, im Unterschied zu den Kollegen vom Pittsburgher Museum, auf Fetisch-Art. Wir wollen den Menschen Warhol zeigen, eben unseren Andrijku.“ So sind neben den 23 Original-Sieb- drucken auch zwei Lederjacken ausgestellt, Besucher im Warhol-Museum: „Gewiß Teufelswerk“ das Taufkleid der Familie Warhola, eine Sonnenbrille und Andys er- nach seiner Familie.“ In Miková stieß ster Fotoapparat, eine „Agfa Bycko auf eine (inzwischen verstorbene) Iso-Pak C“, sowie ein Konto- Bäuerin namens Eva Zavacková, der auszug von Julia. Ein Neben- Großmutter von Ingrid. Sie erzählte, ein-