Zehlendorf Altes Und Neues Von Menschen, Landschaften
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23 ISBN 978-3-9818311-2-2 € 3,00 2019 JAHRBUCH 2019 Zehlendorf Altes und Neues von Menschen, Landschaften JAHRBUCH und Bauwerken ZEHLENDORF Inhalt INHALTSVERZEICHNIS Inhalt Impressum . 4 Inhalt . 5 Vorwort . 7 Zeittafel Blick zurück von Jürgen Thonert . 8 Titelgeschichte Planung, Bau und Einweihung des Rathauses Zehlendorf von Heike Stange . 11 Zehlendorf Zeitreisen in das tropische Zehlendorf und in die Eiszeit von Achim Förster . .21 Der Pferdestall der Feldjäger am Erbbraukrug von Volker Mende . 29 Eine große Liebe in Zehlendorf (1935-1948) von Lothar Beckmann . 35 Zehlendorf-Mitte Zur Geschichte einer Zehlendorfer Buchhandlung von Lothar Schulz . 49 Die Geschichte der Zehlendorfer Stadtbücherei von Klaus-Peter Laschinsky . 53 Düppel Spaziergang zwischen Koppeln, Knast und Klause von Christian van Lessen . 61. Dahlem Der Kirchhof an der St .-Annen-Kirche in Dahlem von Christiane Holstein . 67 Schlachtensee Familie Ascher und die Niklasstraße 21/23 von Wolfgang Ellerbrock . 73 Die Familie Brandt in Schlachtensee von Dirk Jordan . 79 Wannsee Bahn-Verkehr von Wannsee nach Potsdam nach 1990 von Uwe Poppel . 87 Der Wannsee und seine Segelclubs von Hans Biegert . 93 Anhang Der Heimatverein Zehlendorf e .V . (1886) . 104 5 Schlachtensee SCHLACHTENSEE Expressionist – verfolgt als Jude Familie Ascher und die Niklasstraße 21/23 Dr . Wolfgang Am 21. Februar 2018 wurde auf Initi- Bleichröder als einer der reichsten Ellerbrock, ative von Rachel Stern, Direktorin der Männer Preußens. Minna Luise wird Studiendirektor Fritz Ascher Gesellschaft für verfolgte, als feine und elegante Frau beschrie- an einem Berliner verfemte und verbotene Kunst, New ben, die in späteren Jahren ihr Haar Oberstufenzen- York, für Fritz Ascher ein Stolperstein immer im „Dutt“ zusammennahm. trum, Mitglied der in der Niklasstraße 21/23 verlegt. Wer Die Familie Ascher lebte im Zen- AG Spurensuche Schlachtensee war Fritz Ascher, und welche Ge- trum von Berlin – zuerst in der Fried- und als Historiker schichte verbirgt sich hinter der Villa richstraße, dann in der Keithstraße Autor von „Mön- in der Niklasstraße? und ab 1895 in der Jägerstraße. Das che, Fischer und Hugo Ascher, der Vater des Ex- junge Paar bekam drei Kinder: Fritz Bürger – 100 Jah- pressionisten Fritz Ascher, wurde am Ascher wurde 1893, seine Schwestern re Landhauskolo- 27. Juli 1859 in Neugard (Hinterpom- Charlotte Hedwig 1894 und Margarete nie Schlachten- mern) geboren. Mit 28 Jahren ging er Lilly (Grete) 1897 geboren. Ihre El- see“ und Mitautor in die USA und studierte dort zwei tern waren jüdisch. Hugo Ascher trat von „Schlachten- Jahre lang Zahnmedizin in Pennsyl- 1899 aus der jüdischen Gemeinde aus, see – Häuser und Bewohner der vania. 1889 kehrte er mit 30 Jahren seine Frau Luise erst 1926. Die drei Villenkolonie“. als graduierter Dentist nach Berlin Kinder konvertierten 1901 zum Pro- zurück. Hier heiratete er am 27. Sep- testantismus. In der NS-Zeit galten sie tember 1891 Minna Luise Schneider alle nach den „Nürnberger Gesetzen“ (Berlin, 17. Januar 1867 – 17. Oktober von 1935 wieder als „Juden“. 1938), eine Enkelin von Louise Bleich- Hugo Ascher entwickelte zu- röder, einer Schwester des Bankiers sammen mit dem Chemiker Paul Gerson von Bleichröder (1822-1893). Steenbock einen künstlichen Zahn- Zeitgenossen zufolge galt Gerson von schmelz. Sie produzierten in einer Stolperstein- verlegung mit Rachel Stern. Foto Wolfgang Ellerbrock 73 SCHLACHTENSEE Fabrik in Schöneberg und verkauften Das Haus in der Niklasstraße 21/23 den Zahnschmelz ab 1904 durch die war 1909 bezugsfertig. Im selben Jahr Ascher GmbH. Das Unternehmen war studierte Fritz Ascher als 16-Jähriger sehr erfolgreich. bei Max Liebermann (1847-1935). Er ging 1912 für ein Jahr zur Kunstaka- Ein herrschaftliches Anwesen demie Königsberg in Ostpreußen. Schon bald kaufte Hugo Ascher ein Zurück in Berlin, lernte er Emil Nol- 3.000 Quadratmeter großes Grund- stück im damals noch nicht zu Berlin gehörenden Zehlendorf in der Ni- klasstraße 21/23. Dort wollte er von dem prominenten Architekten Profes- sor Paul Schultze-Naumburg (1869- 1949) ein hochherrschaftliches Anwe- Hugo und Minna Luise Ascher sen mit Herrschafts-, Wirtschafts- und Gärtnerhaus und einer Garage bauen Fotos lassen. Die Bauarbeiten übernahm die Bianca Stock, München Firma „Saalecker Werkstätten“, die Schultze-Naumburg gegründet hatte. de (1867-1956) in der Zeichen- und Paul Schultze-Naumburg galt als Malschule von Adolf Meyer ken- Kulturreformer der damaligen Jahr- nen. Für seine Arbeit stand Ascher hundertwende. 1907 gehörte er zu ein Atelier in der elterlichen Villa in den Mitbegründern des Deutschen Schlachtensee zur Verfügung. Fritz Werkbunds, dessen Ziel die Verbin- Ascher über sich: „Da ich von Hause dung moderner Technik und traditi- aus gut gestellt war, hatte ich es nicht oneller Formen war. Schultze-Naum- unbedingt nötig zu versuchen, aus burg wurde gerne von wohlhabenden meinem künstlerischen Schaffen er- Bauherren mit der Gestaltung von hebliche Geldverdienste zu erzielen.“ 2 Landhäusern betraut. Kaiser Wil- Von der Familie wurde Fritz in diesen helm II. (1859-1941) beauftragte ihn Jahren als lebensfroh und erfolgreich bei Frauen geschildert. Die Heirat der Töchter Im Jahr 1918 heiratete Charlotte, Fritz‘ ältere Schwester, Max Preindl und zog zu ihm nach München. Die jüngere Schwester Grete heiratete 1920 Ernst Villa Niklasstra- Birn. Jahre später, in der NS-Zeit, er- ße 21/23, Garten- wiesen sich diese ehelichen Verbin- ansicht 1976, kurz vor dem Abriss. dungen für die beiden Frauen als Lebensrettung: Beide hatten „Arier“ Foto Landesarchiv Rep 290 0187322 geheiratet und lebten in sogenannten 1912 mit dem Bau des Schlosses Ce- privilegierten Mischehen. cilienhof, unweit vom Ufer des Jung- Hugo Ascher zog sich 1919 mit fernsees in Potsdam. Seit 1930 enga- 60 Jahren aus der Firma Ascher gierte sich Schultze-Naumburg aktiv GmbH zurück. Als Geschäftsführer für die NSDAP.1 fungierte weiterhin Paul Steenbock, 74 SCHLACHTENSEE und für Hugo Ascher wurde sein der Bankdirektor W. Kochmann. Ein Schwiegersohn Ernst Birn neuer Ge- Großteil der Räume war unbewohnt. schäftsführer. Fritz Ascher erhielt schon 1933 als Zur selben Zeit ging Fritz Ascher, Jude und „entarteter Künstler“ Be- Hugos Sohn, für einige Monate nach rufsverbot. Seit 1934 musste er sich München. Dort wurde er mit den in Pensionen und bei Privatleuten in Künstlern der Gruppe „ Blaue Reiter“ Berlin und Potsdam verstecken. bekannt. In Berlin war er mit George 1935 wollte die Laboratoriumsge- Grosz (1893-1959) und Käthe Kollwitz sellschaft Barsties mit Sitz in Wilmers- (1867-1945) befreundet. dorf im Haus in der Niklasstraße 21/23 Hugo Ascher vermietete seine Villa ein elektrophysisches Forschungsla- an den Kaufmann G. Eberbach und boratorium einrichten. Geplant waren zog 1922 mit seiner Frau in eine Pen- Forschungsarbeiten für die Luftfahrt, sion in der Niklasstraße 15, also in das Heeresnachrichtenwesen und die unmittelbarer Nähe seines Anwesens. Marine. Dazu sollte die Villa umgebaut Hier starb er am 18. August 1922 mit werden. Die Zehlendorfer Baupolizei 63 Jahren. Er wurde auf dem Fried- befürchtete jedoch eine Belästigung hof Zehlendorf an der heutigen On- der Nachbarn. Die Pläne wurden nicht umgesetzt.3 Zwei Jahre später, 1937, mietete die Krankenschwester Käte Bohnen das Haus. Luise Ascher starb mit 71 Jahren am 17. Oktober 1938 in Schöneberg. Sie wurde neben ihrem Mann auf dem Zehlendorfer Friedhof bestattet. Fritz Ascher Käte Bohnen kaufte schließlich das Foto Potsdam Haus und richtete dort ein Kur- und Museum, Wolf- Pflegeheim ein. Im selben Jahr wurde gang Ellerbrock die Niklasstraße in Chamberlainstra- kel-Tom-Straße bestattet. Seine Frau ße umbenannt. Der britische Kultur- Luise wurde Eigentümerin des Hauses philosoph und Schriftsteller Houston Niklasstraße 21/23. Sie vermietete das Stewart Chamberlain (1855-1927) ver- Haus weiterhin und zog wenige Mo- kündete in seinen umstrittenen Wer- nate später in eine Wohnung in der ken eine völkisch-mystische Ideologie Machnower Straße 22 in Zehlendorf. und hatte starken Einfluss auf die na- Dort wurde sie im Berliner Adress- tionalsozialistische Rassenideologie. buch bis 1932 geführt. Sie siedel- te dann zu ihrer Tochter Grete und Verfolgt und verhaftet ihrem Schwiegersohn Ernst Birn nach Nach der „Reichspogromnacht“ am Schöneberg um, blieb aber weiterhin 11. November 1938 wurde Fritz Ascher Eigentümerin des Hauses in der Ni- in Potsdam verhaftet und ins KZ Sach- klasstraße. Ernst Birn wurde als Ver- senhausen deportiert, dann ins Pots- walter der Villa eingesetzt. damer Polizeigefängnis verlegt. Sechs Monate später wurde er dank der Be- Wechselnde Bewohner mühungen des befreundeten Anwalts Bis 1926 wohnte der Gärtner H. Rei- Gerhard Grassmann und von Probst chelt als Mieter in diesem Haus, dann Heinrich Grüber (1891-1975), dem 75 SCHLACHTENSEE Leiter der „Hilfsstelle für nichtarische te die SS geeignete Häuser und ließ Christen“, entlassen. Im Juni 1942 soll- sie durch das „Rasse- und Siedlungs- te Fritz Ascher deportiert werden. Im hauptamt“ verwalten. Dort wohnten Polizeirevier warnte ihn Polizeihaupt- pro Haus etwa 20 bis 30 Studenten, in wachtmeister Heinrich Wolber vor der der Regel in Mehrbettzimmern. Bedin- drohenden Verhaftung.4 gung war, dass sie den Auslesegrund- sätzen der SS genügten, SS-Mitglie- Versteckt in einem Keller der wurden, SS-Dienst leisteten und Dieses Mal wandte sich Ascher an vor allem an der weltanschaulichen die Mutter seines Freundes, Martha Ausbildung und wehrsportmäßigen Grassmann, geb. Fenske (geboren am Ertüchtigung in