swissjazzorama jazzletter

Nr. 43, April 2019

EDITORIAL

Liebe Leserin, lieber Leser 1945 Cléon Cosmetto Das Wichtigste zuerst! Bevor wir Ihnen auf la vraie musique den Seiten 4 bis 7 acht Persönlichkeiten de vorstellen, die in der Presse und am Radio 1948 in der Schweiz den Jazz mit Erfolg ins Jan Slawe Zentrum stellten, berichten wir über einen Einführung ausserordentlichen Anlass, das Kickoff- in die Jazzmusik Konzert vom 9.11.2018, zum Start der Grün- 1977 dung von proswissjazz. Mit der Stiftung Jean-Roland proswissjazz soll das swissjazzorama Hippenmeyer Swiss Jazz Disco finanziell breit abgestützt und gesichert werden (siehe auch Seite 3). Wenn man auf ein vereinsgeschichtlich so wichtiges Ereignis wie die finanzielle Neu- strukturierung unserer Aktivitäten mit einem Konzert aufmerksam macht, soll es etwas ganz Besonderes sein: Jazzmusiker, deren Die Anfänge Geburtsdaten Jahrzehnte auseinander liegen, die aber so gekonnt zusammen- des Jazz spielen, wie wenn sie nie etwas anderes getan hätten. Wir würdigen den gelungenen in den Medien Anlass auf Seite 3. Fast zu einem schönen Brauch ist es gewor- den, dass René Bondt und Fernand Schlumpf der Schweiz eine Jazzkoryphäe im Seniorenalter zu einem Interview einladen. Für diese Aus- gabe konnten sie den einzigartigen gewinnen. Da ging's darum, wie er als klassisch ausgebildeter Musiker zum Jazz kam, wie und wo er als Pianist und Arran- geur, aber auch als Leiter der Jazzschule Auch wenn die Musik eines Jazzkonzertes Nach dem Zweiten Weltkrieg verbesserte arbeitete und wie er dabei auch den mit einem letzten Beckenschlag des Drum- sich die Situation. Für das Schreiben von Freejazz mit seiner Auffassung in Einklang mers endet, ist für eine nachhaltige Wir- Konzertkritiken und anderer Texte zum brachte. Siehe Seiten 10 bis 12. kung gesorgt, wenn rückschauend Medien Thema Jazz gab es bald einige Spezialisten, Einzigartig in seiner Art war auch der Alt- das Ereignis mit einem Beitrag würdigen. die über ein fundiertes Fachwissen verfüg- saxofonist , den wir Ihnen auf Noch vor einigen Jahrzehnten wurde der ten. Nicht unbedeutend waren in den Vier- Seite 13 vorstellen. Ein absolutes Unikat. kulturelle Wert von Jazz und Blues nur so zigerjahren die Bemühungen von Ernest Wer ausser Herb Geller war im amerika- eingestuft, dass sie mit einer Platzierung Berner, der in der Schweizer Film-Zeitung nischen Westcoastjazz etabliert und spielte in Lokalteilen vorlieb nehmen mussten. Im in Zusammenarbeit mit dem Journalisten später in einer deutschen Bigband während Kulturteil von Zeitungen suchte man sie Arthur Goepfert immer wieder solche Texte sage und schreibe 28 Jahren (!). vergebens, und sehr oft waren diese Bei- erscheinen liess. (Ernest Berner, selbst ein Herzlich träge von einer minimalen Fachkenntnis Jazzpianist mit beachtlichen Fähigkeiten, geprägt. Statt von den Leistungen der war der Vater von André Berner, dem Grün- Jimmy T. Schmid Musiker zu berichten, stellte man Ausser- der des Zürcher Amateur-Jazzfestivals.) musikalisches ins Zentrum (Alter und Klei- Erfreulich ist, dass wir Ihnen auf Seiten 4 Inhalt dung der Konzertbesucher, ihr frenetischer bis 7 eine Reihe von Persönlichkeiten der 2– 3 In eigener Sache Applaus etc.). Die Qualität dieser Texte war Schweizer Jazzgeschichte vorstellen kön- 4–7 Jazz in den Medien der Schweiz damals vom Zufall abhängig. Selbst unver- nen, die nicht als Musiker, aber Bücher und 8 Trouvaillen in unserem Archiv besserliche, von Vorurteilen geleitete Jazz- Artikel schreibend oder am Radio kommen- 9 Unsere Bibliothek wird vorgestellt 10–13 Joe Haider und Herb Geller skeptiker schrieben über eine Materie, mit tierend Wertvolles für die enorm wichtige 14 Was hat Harlem mit Limoges zu tun? der sie nur mangelhaft vertraut waren. Publizität des Jazz geleistet haben. J.T.S 15–16 Trouvaillen, In memoriam, Impressum einbezahlt worden. Die Aktion wird weiter zum Schweizer Jazz-Geschehen und Inter- IN EIGENER SACHE geführt. Sie ist nötig, damit wir den Ver- views mit Schweizer Jazz-Persönlichkeiten pflichtungen nachkommen können. Auch schliessen eine grosse Lücke in unseren dafür danken wir allen Archiv-Freunden Beständen. ganz herzlich. Von Radio DRS durften wir 8 Zügelkartons Message der Zentrale: voller CDs in Empfang nehmen, womit die Webseite: Radiogebühren, die Sie alle bezahlen, den – Vorstand Die neue Webseite wird laufend ergänzt Weg zurück ins Archiv des swissjazzorama und nachgeführt. Das Echo ist positiv und in Form von besten Jazz-CDs gefunden – Geschäftsleitung 2019 wird die alte Webseite vollständig haben. – Archiv ersetzt werden können. Nicht zu vergessen sind die zwei Instru- menten-Geschenke, ein Flügel und Der Vorstand hat sich nach der Jahres- Veranstaltungen: ein Banjo-Bass. Darüber werden Sie im versammlung 2018 diverse Male ge- Der Tag der offenen Türe war wieder ein nächsten Jazzletter Genaueres erfahren. troffen, um die wichtigsten Prioritäten Erfolg, und die Crew-Mitglieder haben den anzupacken und die neuen Mitglieder Tag genutzt, um gegenseitig wichtige Kontakte: im Vorstand «einzuarbeiten». Nachfol- Detailfragen abzuklären. Die Kontakte zu den Jazz-Hochschulen gend einige Details zur Arbeit des Vor- Die Veranstaltungen im Musikcontainer werden laufend weiter gepflegt sowie auch standes und der Geschäftsleitung. fs in Uster waren gut besucht. Der gemein- die Besprechungen mit Vertretern des Kan- same «Jazz Day»-Anlass mit dem Jazzclub tons Zürich betr. weiterer Unterstützung Kapitalbeschaffung, Stiftungsgesuche: Uster brachte, dank den internationalen unseres Archives. Immer schwieriger wird die dringend Stars um Engelbert Wrobel und Nicki Die internationalen Kontakte wurden notwendige Beschaffung von neuen Parrott, ein volles Haus. durch Klaus Nägeli und Konrad Korsunsky Betriebsmitteln für den Verein. Über zehn Joe Haider mit seinen Sparklettes und in Limoges (FR) gepflegt. Auf Einladung Gesuche an bekannte Stiftungen, die sich das Stiftungskonzert vom November mit der Direktorin wurde zum Jubiläum des kulturell engagieren, sind mit negativem der Präsentation von Pepe Lienhard Hot Club de Limoges (gegründet 1948), Entscheid zurückgekommen. Neue Mit- begeisterten die treuen Besucher vollauf. neben anderem, die Freundschaft mit dem glieder für den Verein durften wir begrüs- (Siehe auch Seite 3). Schweizer Jazzjournalisten Johnny Simmen sen. Sie ersetzen leider aber nur teilweise gefeiert. Mit einem grossen Artikel sind die Austritte infolge Todesfällen, ein rich- Archiv: wir im neuen Buch «Harlem à Limoges» tiger Zustrom an neuem Blut fehlt. Mit verschiedenen Führungen konnte das von Anne Legrand vertreten. Ein herzliches neue Archiv interessierten Mitgliedern und Dankeschön unserem Crew-Mitglied Kon- Stadt Uster: Kulturvereinen näher gebracht werden. rad Korsunsky, der den Artikel beigesteuert Gemäss Leitbild der Stadt Uster und auf- Auch der Stadtrat von Uster liess sich in die hat. (Siehe auch Artikel auf Seite 14 grund des bestehenden Leistungskontraktes Geheimnisse unseres Inventars einführen. und das Inserat auf Seite 16). wurde die Stadt angefragt für die Bewilli- Überragend waren neue Schenkungen von gung eines Startkapitals für die neue Stif- Donatoren, z.B. das ganz persönliche Archiv Weitere News erfahren Sie an tung. Um dieses Geschäft in der Ustermer des bekannten Jazzjournalisten Johannes der kommenden Jahresversammlung Behörde aktenkundig zu machen, wurde Anders. Seine Helvetica-CDs, seine Artikel vom Freitag, 12. April 2019. uns empfohlen, einen Businessplan zu erstellen und dann ein Gesuch auf offiziel- lem Weg einzugeben. Dieser Businessplan liegt nun vor, so dass 2019 das Gesuch eingereicht werden kann. Wir brauchen

Rettungsaktion für die Mietzinszah- Deine Hilfe! lungen an der Ackerstrasse in Uster: Mit der Aktion «Miet-Patenschaft – mit In unserem Archiv lagern noch einem Beitrag von CHF 100.–- finanzieren stapelweise Schachteln mit Sie pro Jahr 1 m2 Büro- resp. Archivfläche», Neueingängen. Diese müssen sind per 2018 CHF 16 000.– eingetroffen. kontrolliert, mit schon Vorhan- Wir haben unsere Liquidität entsprechend denem verglichen und dann verbessert. Dafür sind wir allen Spendern archiviert werden. Material, das sehr dankbar. Da jedoch budgetmässig wir schon haben, wird unserem gegen 70 000.– zu decken sind, genügt Shop übergeben. diese Aktion allein nicht. Für diese Arbeit brauchen NEU – «Aktion Rettungsschirm»: wir Deine Hilfe. Lieber Jazz- Ein Mitglied des Vorstandes hat einen freund, bitte melde Dich. persönlichen Brief versandt, um Gönner zu Du bestimmst selber Zeit finden, die mit einem speziellen Beitrag von und Arbeit, die Du für das CHF 2000.-– pro Jahr die «Schirmherr- Archiv leisten möchtest. schaft» über die Räume übernehmen, bis die Stiftung gegründet werden kann. Diese Unsere Irène Spieler gibt Dir wird dann die Mietverträge übernehmen. gerne weitere Auskünfte. Die Aktion wurde im November gestartet, (Telefon 044 94019 82) und es sind bis Ende Jahr CHF 12 000.–.

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proswissjazz Ein Jazzevent der seltenen Art

Am Freitag, 9. November 2018, 20.00 ging «Old Cats» bedankte sich das zahlreich Musiker und Moderator das Kickoff-Konzert zur Gründung der Stif- erschienene Publikum mit begeistertem tung proswissjazz mit viel Swing und Applaus. Für die Moderation war eine Das Trio: Jean-Paul Brodbeck, p Drive über die Bühne des Ustermer Musik- besondere Persönlichkeit der Schweizer Heiri Känzig, b containers. Was die zwei Kleinformationen Unterhaltungsmusik zuständig, der Band- Elmar Frey, dm mit Schweizer Jazzmusikern boten, war leader Pepe Lienhard. Sein Interview mit Jazz vom Feinsten. Eine Rhythmusgruppe Andrea Engi, dem Präsidenten des swiss- Die «Old Cats»: Mario Schneeberger, as mit dem ausgezeichneten Pianisten Jean- jazzorama, informierte die Anwesenden Bruno Spoerri, ts Paul Brodbeck sorgte für das musikalische über wichtige Details der Fondsgründung. Hans Kennel, tp Fundament für zwei Bands, die eine mit Wenn der finanzielle Kickoff so gut gelingt Paul Haag,tb drei jungen Bläsern, Absolventen von Jazz- wie der musikalische, wird sich das ein- Die «Youngsters»: Silvan Schmid, tp schulen, die andere mit vier Bläsern, be- zige Schweizerische Jazzarchiv swissjazz- Florian Weiss, tb kannte Senioren des Schweizer Jazz. Für orama als wichtiges Element im Ustermer Niculin Janett, as das präzise Tuttispiel und die stilsicher vor- Kulturleben bald in einem neuen Rahmen getragenen Soli der«Youngsters» und der etablieren. J.T.S. Moderation: Pepe Lienhard

Oben: Der Moderator Das Trio Mitte: Die «Old Cats» Die «Youngsters» Unten: Die Musiker verabschieden sich vom begeisterten Publikum

Fotos: Hans Burkhalter und Fred Herster 3 Archiv des swissjazzorama zweimal: Die Anfänge des Jazz SJO-Nummern BO 10005 und CP-41215. Cléon Cosmetto war ein am Konservato- in den Medien der Schweiz rium Lausanne ausgebildeter Pianist und ein ausgezeichneter Interpret von Wir beschränken uns hier aus naheliegenden Gründen nur auf die Vorstellung Beethoven-Sonaten sowie ein Jazzkenner. einiger namhafter Jazzspezialisten, die vor ein paar Jahrzehnten im Höhepunkt Er ist am 22. Februar 2013 im Alter von ihrer Zeit aktiv waren. Sie arbeiteten am Radio, schrieben für die Presse Artikel und 94 Jahren verstorben. Konzertkritiken, einige von ihnen waren auch Buchautoren. Eine Liste ihrer Werke, die in unserer Bibliothek eingereiht sind, umfasst 64 Titel, darunter 29, die in der Zum Inhalt der Broschüre La vraie Schweiz verlegt wurden. Zwei davon sind besonders bemerkenswert: Eine erste musique de Jazz: Es ist ein kleines Lese- kleine Broschüre zum Thema «Jazz» wurde auf französisch in der Schweiz geschrie- heft. Der Inhalt ist nicht einfach zu be- ben, gedruckt und kam 1945 heraus, im Jahr, als der zweite Weltkrieg zu Ende ging. schreiben. Zuerst wird festgestellt, dass es Verfasser war ein US-Amerikaner, der in Lausanne lebte: Cléon Cosmetto. zweierlei Jazz gibt: Richtigen (vraie) Jazz 1948 erschien dann das erste ausführliche Werk über den Jazz in deutscher Sprache und falschen Jazz (gemeint ist wohl kom- des polnisch-schweizerischen Doppelbürgers Jan Slawe «Einführung in die Jazzmu- merzieller Jazz). In etwa die Ansicht von sik» (Es erschien noch vor der ersten Buchproduktion des Deutschen Joachim Ernst Hugues Panassié. Dann gibt es ein paar Berendt. Sein «Das Jazzbuch» wurde 1953 als Fischer-Taschenbuch verlegt). Seiten Jazzentwicklung, wobei der Modern Notabene, für Fans, die sich für frühe Jazzbücher und Broschüren interessieren, ist Jazz (Bebop) mit nur acht (8) Zeilen abge- unsere Bibliothek eine wahre Fundgrube, J.T.S handelt wird. Die Meinung des Autors: Schwarze sind den weissen Musikern über- legen. Dann folgt ein Musiknotenvergleich: Philippi. Die ersten Eintragungen datieren Eine Chopin-Etüde mit dem Alligator Crawl von 1924, die letzten von 1976. von Fats Waller.Waller habe bei Chopin kopiert! Am Schluss wird mit Notenbei- Die für ihn wesentlichen Ereignisse hat spielen der Blues und die Blue Note erklärt. Philippi chronologisch dokumentiert. Ent- Johnny Simmen wird gedankt für seine halten sind Briefe, Fotos, Präsenzlisten, Hinweise zu diversen Punkten. Weil es ein Konzertprogramme, Manuskripte für Vor- Leseheft ist, enthält es manche interes- träge, Klubprogramme, Annoncen, Kritiken, sante Gedanken, die sich in Kürze nur Skizzen und Ähnliches. Oft ist vom jewei- schwer beschreiben lassen. Wer sich dafür ligen Ort eine Ansichtskarte beigefügt und interessiert, wie man den Jazz vor siebzig vielen Ereignissen ist ein Datumszettel Jahren einschätzte, sollte das Heft lesen. beigegeben, was eine exakte Datierung ermöglicht. Alles ist sorgfältig in die Alben Debatte Jazz contre classique (Jazz eingeklebt. kontra Klassik): 1946 wurde von Radio Sottens (früherer Name des Schweizer Jazz in der Schweiz, Mario Schneeberger hat eine Inhalts- Radios für die französische Schweiz) eine Zeitdokumente 1924–1976: analyse der Alben erstellt, mit Stichwort- große Debatte über Jazz und Klassik zwi- Verzeichnissen, die 550 Seiten umfasst. schen dem Dirigenten Ernest Ansermet, Hans Philippi (1905–1976) Alles ist im PDF-Format gespeichert. Inter- dem Musikkenner Emmanuel Buenzod, essantes lässt sich schnell finden und aus- dem Psychiater Dr. Boven, und dem klassi- Hans Philippi, geboren am 17. Dezember drucken. Die Alben sind bei ihm archiviert. schen Pianisten und Jazzkenner Cléon 1905 war einer der ersten Jazzfreunde in Sie werden nicht ausgeliehen, können aber Cosmetto organisiert. der Schweiz. Er bemühte sich um Anerken- nach Voranmeldung eingesehen werden. nung für diese neue Musik als Kunstform. Es werden auch Kopien erstellt (allfälliges Zusammenfassung: Wir sind hier in Er war beteiligt bei der Gründung des Hot Copyright vorbehalten). einer sehr didaktischen Debatte, die eine Club Basel, hatte eigene Sendereihen am gewisse Überlegenheit der klassischen Mu- Radio, hielt überall in der Schweiz Platten- Die Alben sind Zeugnis vom riesigen Ein- sik gegenüber allen anderen Musikarten vorträge und war mit Jazzgrössen wie satz von Hans Philippi für den Jazz in der beweisen möchte. Kritiker, die den Jazz Louis Armstrong und Kennern aus Frank- Schweiz über mehr als ein halbes Jahr- reich wie Hugues Panassié oder Charles hundert. Sie sind auch in unserem Archiv Delauney bekannt. vorhanden. WA

Eine ganz spezielle Geschichte, über die wir im Jazzletter 27, März Ein Amerikaner in der Schweiz: 2013, ausführlich berichtet haben: Cléon Cosmetto (1919–2013)

Im Februar 2004 erzählte eine Bekannte Cléon Cosmetto war ein US-amerikanischer bei einer Wohnungsräumung sei eine Bürger, der in Lausanne lebte. Seine kleine Anzahl Alben für die Müllabfuhr bereitge- Broschüre La vraie musique de Jazz war stellt worden. Diese handelten von Jazz eine der ersten Publikationen über Jazz, die und enthielten teilweise sehr altes Mate- in der Schweiz geschrieben, gedruckt und Ernest Ansermet: rial. Ob man das nicht retten sollte? Mario verlegt wurde. Umfang: 50 Seiten. Sprache: «Es ist möglich, Schneeberger durfte die Alben an sich Französisch. Die Broschüre ist 1945 im dass der Jazz ein paar Überraschungen nehmen. Sie sind nummeriert von 1 bis 28. Verlag Edition de l'Echiquier, J.-F. Chastel- in der Entwicklung Es sind die Erinnerungsalben von Hans lain, Lausanne, erschienen. Es gibt sie im der Musik bereithält».

4 «Negermusik» nennen (ein Ausdruck, der tete er weit über 100 der Swissair-exklusi- heute nicht mehr zulässig ist, Red.) glau- ven, 2-stündigen inflight Jazzprogramme. ben, dass dies eine Musik ist, die sich nur Simmens Texte waren sorgfältig recher- dem Vergnügen widmet und sich auf Im- chiert und verfasst; individuell, facetten- provisation und Variation beschränkt. Als reich und einzigartig. Er nutzte sein Sprach- Ergebnis kann der Jazz also nicht das talent wie die Meister der Jazzimprovisa- Niveau der klassischen Musik erreichen, tion, welche auch beim tausendsten Solo wo Komponisten Formen und Sprachen neu über «Body and Soul» noch schöpferisch erfinden, um Freiheit zu erlangen. Ernest improvisieren. Konrad Korsunsky Ansermet aber sagte: «Es ist möglich, dass der Jazz ein paar Überraschungen in der Der Nachlass von Johnny Simmen Entwicklung der Musik bereithält». WA ist in unserem Archiv abgelegt.

Pendler zwischen Kirche Klaus Koenig und das Jazz Live Trio. Johnny Simmen und Radiostudio: und Ray Bryant. Heinz Wehrle (1921–2012) neben der bereits erwähnten Aufforderung zum Jazz um weitere Gefässe wie Jazz- Persönliches zur Persönlichkeit: Wie Kurier, Eine Stunde Jazz oder New Sounds. viele Meilemerinnen und Meilemer ihr Ohr Auch Konzerte mit in der Schweiz gastie- nicht nur ihrem Kirchenorganisten am renden Stars und Ausschnitte vom Ama- Sonntag, sondern auch dem mit diesem in teur-Jazzfestival Zürich wurden nunmehr Personalunion agierenden Präsentator mitgeschnitten. Selbst am Fernsehen durfte der samstäglichen Jazzwunschsendung er im Studio Wolfbach gelegentlich Jazz- Aufforderung zum Jazz auf Radio Bero- sendungen präsentieren. Im Radio verlor münster liehen, ist nicht bekannt. Gewiss der Jazz den Ruch leichter Unterhaltung sind Orgel zusammen mit dem sich rhyth- und wurde mit Wehrles Zutun in den misch bewegenden und singenden Kir- Bereich der edleren Kultur verschoben. chenvolk in der Gospeltradition von christ- lich orientierten afroamerikanischern Kirch- Jazz Live: Die Idee, kostengünstig einen «Un amateur très profesionnel»: gemeinden für die Entwicklung des Jazz Gastsolisten zusammen mit einer Haus- Johnny Simmen (1918–2004) wesentlich. Wie auch immer, unser Gottes- rhythmusgruppe vor Publikum im Studio dienst begann jeweils samstags, pünktlich auftreten zu lassen, ging auf Heinz Wehrle Diesen treffenden Titel gab 1983 eine fran- um 14:00 Uhr vor dem Radiogerät sitzend, zurück und wurde nach 111 Sessions 1982 zösische Zeitung einem der bedeutendsten mit den ersten Takten von Miles Davis' leider eingestellt. Im Studio-Tonmeister aller Jazz-Autoren, dem Aargauer Johnny Milestones. Am Mikrofon: Heinz Wehrle. Klaus Koenig fand er einen Leader-Pianis- Simmen. Sie bezog sich dabei vorwiegend ten, der sich im später so genannten Jazz auf Simmens umfangreiche Tätigkeit als Im Studio und ausserhalb: 1954 empfahl Live Trio kongenial auf die jeweils eingela- Verfasser von über 3000 Artikeln. Zunächst der damalige Unterhaltungschef Walo denen Frontleute einzustellen wusste. Nach in Deutsch, zB in den Zürcher «Jazz News» Linder Heinz Wehrle in die Redaktion zur dem Auslaufen des Sendeformats besteht 1941, später vorwiegend in Englisch und Betreuung der sogenannten leichten Mu- das Trio jedoch mit unterschiedlichem Französisch für Melody Maker, Downbeat, sik, in die man auch den Jazz, der Wehrle Personal an Bass und Drums bis heute fort. Storyville, Mississippi Rag, Der Jazzfreund, besonders am Herzen lag, einzureihen Heinz Abler Coda, Point du Jazz, Bulletin du Hot Club gewillt war. Von Jan Slawe, dem vermitteln- Siehe Jazzletter 37, Seite 6 und 7 de France usw. Für seine Referate in der den Jazz-Solitär im deutsch-schweizeri- Schweiz, in Frankreich, Belgien und in den schen Rundfunkbetrieb übernahm Wehrle Von links: Walo Linder, Nat King Cole, USA schrieb er publikationsreife Manu- den Stab, und erweiterte das Angebot, Lance Tschannen, Heinz Wehrle. skripte, die bei den Kennern bis heute gesuchte Raritäten sind. Dies nicht nur wegen Simmens profunden Kenntnissen, seinen Hunderten von (Brief-) Freundschaf- ten mit Musikern sondern auch, weil er sich primär mit weniger bekannten Musikern intensiv befasste anstatt mit den grossen Stars, über die ohnehin schon viel publiziert worden war. Der grösste Teil seiner un- glaublich umfangreichen Korrespondenzen mit Musikern ging nach Simmens Tod an den Autor John Chilton, s. Jazz Letter 39. Nach dessen Hinschied fanden sie ein vor- läufiges Lager im englischen National Jazz Archive. Auch für Covertexte und für Bei- träge, Ratschläge oder Korrekturen in zahl- reichen Büchern war Simmen oft gefragt, so etwa als Redaktor von Bill Colemans «Trumpet Story» in den französischen und englischen Ausgaben. Schliesslich gestal-

5 Tänzer auf vielen Hochzeiten: zendivision in der Schweiz interniert. Ge- LanceTschannen (1922–1984) wiss, an heutigen Umständen gemessen, ein reichlich abenteuerliches Schicksal für einen 17-Jährigen. Zumal auch ihm Persönlichkeit: Obwohl Tschannen in der in diesen Zeiten hierzulande übliche helvetischen Gefilden hier und dort in den Frondienst für Internierte zunächst nicht Genuss der Weihe als «Jazzpapst» kam, erspart blieb. war sein musikalisches Interesse breiter gefächert. Diesen Eindruck gewinnt, wer Nach Studien am ad hoc eingerichteten versucht, sich einen Überblick über sein polnischen Gymnasium Winterthur und der lebenslanges Engagement für Musik unter- Universität Zürich promovierte er als Dr. schiedlicher Provenienz zu verschaffen. Der phil. über das damals kaum verbreitet Spagat, einerseits das Amt des Präsidenten anerkannte Thema Jazz. Der Weg, einem der Gesellschaft für die Volksmusik in der wachsendem Publikum die Jazzmusik Schweiz zu bekleiden und anderseits die näher zu bringen, war damit geebnet und Swiss Jazz School in Bern mit zu begrün- Jan Slawe, wie er sich fortan der Einfach- den, schien ihm spielend zu gelingen. heit halber nannte, arbeite ab 1948 für Radio Beromünster und die NZZ und später Wirken: Wie schon angedeutet, war ab 1963 bis zu seinem Tod für den Tages- Tschannen salopp gesagt ein Hansdampf Anzeiger. in allen Gassen. Er produzierte die Schwei- zerische Musikanthologie Musica Helve- Würdigung: Jan Slawe öffnete in den 50er tica, war 1968–1979 sowohl Präsident der Jahren durch seine Präsenz am Radio den Europäischen Jazz-Föderation als auch ab Zugang vieler und insbesondere damals 1978 Präsident des Schweizer Musikrats. junger Menschen zum Jazz. Damit trug der Seine Mitarbeit war auch beim Zürcher 1956 zum Schweizer Bürger gewordene Amateur-Jazzfestival und als Geburtshelfer Slawe seinen Anteil zum Eingang des Jazz der Montreux Jazz Festivals gefragt. in die hiesige Kulturszene bei, zumal in der Für den Jazz Frühzeit des Zürcher Amateur-Jazzfestivals. mit unermüdlichem Elan: Radio: Hauptsächlich jedoch war Lance Er war eher den traditionelleren Stilarten Otto Flückiger (1929–2006) Tschannen ein Radiomann und förderte als des Jazz zugetan, den moderneren Formen, Leiter Kultur von Schweizer Radio Interna- insbesondere dem ab 1960 aufkommen- Wirft man einen Blick auf die swissjazz- tional SRI mit seiner Sendung Jazz Pano- den Free Jazz vermochte er weniger abzu- orama-Vorgeschichte, stellt man fest, rama während 25 Jahren die Vorliebe für gewinnen. dass wir Otto Flückigers Initiative viel zu diese Musik an vielen Ecken. Wohl wissend, verdanken haben. Als passionierter Jazz- dass die Präsentation dieser Musik kaum Werk: Sein schriftlicher Nachlass besteht historiker gründete er 1989 mit ein paar je mehr als ein Minderheitenpublikum im Wesentlichen aus drei Büchern: Freunden den Verein Pro Jazz Schweiz ansprechen wird, vermochte er doch ein und richtete in Rheinfelden das erste Jazz- solides Fundament, das die Einsturzgefahr – Einführung in die Jazzmusik, Basel, archiv ein, das dann 1992 in Arlesheim als in Grenzen hält, anzulegen. Verlag National-Zeitung, 1948. Schweizer Jazzmuseum eröffnet wurde. – Louis Armstrong: Zehn monographische 1998 fand die Verlegung nach Uster statt. Anekdotischer Exkurs in die Vergan- Studien, Basel, Papillons-Verlag, 1953. genheit: Im Juni 1964 erschien in der – Kleines Wörterbuch der Jazzmusik, Otto Flückiger kam 1929 in Basel zur Welt. kulturpolitischen Zeitschrift die linie ein Zürich, Sanssouci, 1953. Heinz Abler Ein frühes Erlebnis, das seine Jazzbegeiste- Beitrag von Lance Tschannen zum heute rung enorm verstärkte, war kurz nach dem leicht grotesk anmutenden Thema Ist Jazz zweiten Weltkrieg das Konzert des Don unmoralisch? Vor dem Hintergrund, dass Redman-Orchesters im ausverkauften Bas- Jazz damals in rassistischer Einfärbung ler Küchlin-Theater. Die Faszination Jazz noch immer verbreitet als «Negermusik» liess ihn nie mehr los. Auf mehreren Aus- mit allen dazu passenden kulturellen Vor- landreisen in den USA eignete er sich ein urteilen galt, gelangte Tschannen tapfer zur fundiertes Wissen an. Sein wachsendes abschliessenden Einsicht: «Jazz ist in der Interesse an der Geschichte des Jazz doku- Tat eine musikalische Sprache unserer Zeit mentierte er durch die Herausgabe von geworden, und wenn er unmoralisch sein Publikationen, durch Veröffentlichungen sollte, dann müssen wir grundsätzlich an von Tonträgern und durch die Mitarbeit an der Moral unseres heutigen Lebens zwei- Fachzeitschriften. Besonders verdient ge- feln». Wohl wahr. Heinz Abler macht hat er sich mit der Herausgabe der Geschichte des Schweizer Pionierorchesters Lanigiro. Otto Flückiger starb am 9. März Von der Front zum Jazz: 2006. Anlässlich der Verleihung des Jazz- Jan Slawe (1923–1982) preises der Region Basel, der Golden JAP Note 2003, durch den Jazzclub Aesch- Leben: Der als Jan Sypniewski in Krakau Pfeffingen ehrte ihn die Basler Zeitung mit geborene Slawe wurde nach dem Überfall einem grösseren Artikel «Ein unermüdlicher von Hitlers Wehrmacht auf Polen und der Schaffer zum Wohl des Jazz», Treffender im Juni 1940 erfolgten Niederlage Frank- lässt sich sein Einsatz für den Jazz kaum reichs als Mitglied der 2. polnischen Schüt- charakterisieren. J.T.S

6 Jazzkenner aus In der Swiss Jazz Disco kann man z.B. der welschen Schweiz: herausfinden, dass die Lanigiros zuerst The Jean-Roland Lanigiro Syncopating Melody Kings hiessen und bereits am 3. Juli 1926 im Radio Studio Hippenmeyer (*1943) Basel Aufnahmen machten. Das waren wahrscheinlich die ersten «Jazz»-Aufnah- Er ist Autor verschiedener Jazzbücher: Le men mit Schweizer Beteiligung. Die Musi- Jazz en Suisse 1930 –1970 (1971) – Jazz ker, die im Aufnahmestudio sassen, sind sur Films (1973) – Histoire(s ) du Jazz – aufgeführt, dabei war auch Hans Philippi. Sidney Bechet sowie einer Diskografie Er spielte brass bass, slide wistle und sang. Swiss Jazz Disco (1977). Brass bass steht für Tuba oder Sousaphone.

Den Jazz entdeckte er 1959, seither lässt er Ein zweites Beispiel: Der Altsaxofonist ihn nicht mehr los. Hippenmeyer ist Film- Flavio Ambrosetti (Vater von Franco und Schallplattensammler. Die Dokumen- Ambrosetti) machte irgendwo (!) in Swit- tensammlung, die er sich angelegt hat, ist zerland im Winter 1943 mit einem Sextett von beachtlicher Grösse. Um den Musikern Aufnahmen. Wieder ist die Besetzung direkt zu begegnen und sie zu interviewen, aufgeführt, u.a. waren Geo Voumard (p) reiste er viel in den USA und in Europa. und Sunny Lang (b) dabei. Er ist Autor zahlreicher Artikel über Jazz und von Beiträgen in der Revue Musicale Und ein drittes Beispiel: Sidney Bechet de Suisse romande. Die Swiss Jazz Disco machte am 19. März 1954 im privaten Rah- umfasst sämtliche, wie Hippenmeyer sagt, men in Genf Aufnahmen mit Claude Aubert handelsüblichen Aufnahmen, die von (ss), Wally Fawkes (cl), Raymond Droz (tb), Schweizer Musikern im In- und Ausland Henri Chaix (p) und René Marthaler (dm). Übrigens, die wertvolle Swiss Jazz Disco gemacht wurden. Die Diskografie enthält von Hippenmeyer ist nur eines von ca. mehr als 5300 Titel aus einem halben Jahr- 3500 Büchern, die im Archiv des swissjazz- hundert Schweizer Jazz. orama registriert und eingereiht sind. WA

Suisse romande: Presse écrite ONE MORE TIME Mensuel de l'Association des Musiciens – journalistes Michel Denoréaz (1924–2013) Genevois de Jazz (AGMJ) – périodiques Pionnier des analyses postcoloniales du Genève, depuis 1986. jazz, conférencier et journaliste, Michel Christian Steulet – publications Denoréaz fut le premier à présenter la VIBRATIONS musique des jazzmen suisses dès le début Lausanne, 1991–2013. Radio Suisse Romande des années 1960. Il est membre du jury des premières éditions du Montreux Raymond Colbert (1918–2009) Jazz Festival (voir son portrait dans la Publications (par ordre chronologique) Débute à Radio Lausanne en 1936; anime Jazzletter 2013-2). de 1943 à 1978 les émissions «Hollywood Cléon Cosmetto: «La vraie musique de jazz» sur les ondes», «De film en aiguille» puis René Langel (1925 ?) Lausanne, Editions de l'Echiquier, «Swing sérénade»*. Spécialiste du Clarinettiste, écrivain et journaliste pour de J.-F. Chastelain, 1945. jazz et des musiques populaires, il fut nombreux quotidiens romands, rédacteur responsable du département variété. en chef de la HOT REVUE (1945–1947) Christian Steulet: «Réception du jazz et co-fondateur du Festival international en Suisse 1920–1960» Géo Voumard (1920–2008) de jazz de Montreux en 1967. Fribourg, Institut d'histoire moderne Pianiste, directeur de 1966 à 1983 du et contemporaine, 1989. secteur «animation et divertissement» à la Radio Suisse Romande, promoteur Périodiques Christian Jacot-Descombes: «BBFC» de concerts de jazz à Epalinges et Lausanne, Les Cahiers de la Gazette, 1991. co-fondateur du Festival international HOT REVUE de jazz de Montreux en 1967. Lausanne, 1945–1947. René Langel: «Le jazz orphelin de l'Afrique» Paris, Payot (collection Rivages), 2001. Pierre Grandjean (1946) JAZZ 360° Preneur de son à Radio-Lausanne puis Sierre, 1977–1986. Pierre Bouru: «Le bonheur était animateur de l'émission «Europe Jazz». dans le jazz», Genève, Slatkine, 2003. Coréalisateur des enregistrements JAZZ PASSION de concerts au Montreux Jazz Festival Lausanne, 1990–1995. PS.*Swing Serenade war in den 40er- pendant vingt ans. Jahren eine der wenigen regelmässigen VIVA LA MUSICA Jazz-Sendungen am Schweizer Radio. Yvan Ischer (1961) Mensuel de l'Association pour Am Samstagnachmittag, 17.30 Uhr (Radio Saxophoniste et animateur de l'émission l'Encouragement de la Musique Sottens) versuchten wir jungen Jazzfans JAZZ sur la Radio Suisse Romande/Espace 2 Improvisée (AMR) zuhause zu sein, um die halbe Stunde depuis 1987, a succédé à Pierre Grandjean. Genève, depuis 1974. Jazz zu geniessen. (Red.)

7 Trouvaillen in unserem Archiv

Im Archiv des swissjazzorama sind viele ganz spezielle Objekte zu finden. Zum Beispiel die Notizbücher des Zürcher Rhythm Clubs aus dem Jahr 1935 u.w. Hier zeigen wir den Einband und die Seite 1 des Bandes IV. WA

Dies Buch ist Eigentum des Zürcher Rhythm Club.

Der Zweck dieses Clubs ist es, die Hot- Musik mit allen Mitteln zu fördern. Es ist daher jeder Freund von Hot-Jazz eingela- den, sich an ihm zu beteiligen durch Mitgliedschaft, welche durch den Wochen- beitrag von sfr. –.50 erworben wird, oder durch literarische Mitarbeit. Diese Zeilen stehen jedem offen, der sich ihnen in seriö- ser Absicht nähert. Zur Hauptsache werden hier Kritiken über Platten, Hot-Veranstal- tungen etc. verfasst, das Buch dient aber auch dafür, Meinungsgegensätze, soweit sie den Hot betreffen, aufzuklären. Die hier kritisierten Platten werden durch Unter- streichen wie folgt klassiert:

ganz grosse Platte (Linie rot) sehr gut (Linie blau) gut (Linie grün)

Zürich, 26. Mai 35.

J. Rasumowsky Jonny Simmen (Johnny) Jean Favre Max Herforth John Schatzmann

Zwei LP-Covers aus unserer Plattensammlung, gestaltet von David Stone Martin.

8 Papier ist (nicht) geduldig

Den Zugang zur BIBLIOTHEK auf der begriffe und Unübersetzbares, New York neuen Website findet man unter nicht Neu York). Warum Sie das Wort – Medien/Bücher. Dort den online-Katalog horribile dictu – «Neger» nicht finden, anklicken, und es erscheint untenstehende jedoch im Feld TITEL dreimal, lesen Sie Suchmaske (sjo_books). Die Bibliothek die Begründung im Jazzletter Nr. 33/2015. des SJO ist eine Magazin-Bibliothek, d.h. die rund dreieinhalb Tausend Bücher sind HELVETICA: Dieser griffige Titel bezeich- gemäss ihrer Signatur eingereiht, also net alles, was vom SJO gesammelt wird nicht systematisch und deshalb nur über und irgendeinen Bezug zur Schweiz hat. den online-Katalog auffindbar. Entscheiden Die entsprechenden Dokumente, Bücher Sie sich entweder für die Schnellsuche und Platten sind also als «Helvetica» oder für die Standard-Suche. Die Optio- gekennzeichnet und somit such- und nen helfen bei der Formulierung der Such- auffindbar. Das heisst aber nicht, dass wir Anfrage. Die Suchtipps beziehen sich nur Schweizerisches sammeln, das gäbe allgemein auf die Datenbanken des gerade bei den Büchern eine kümmerlich swissjazzorama (jazzdaten.ch und kleine Bibliothek. Überhaupt habe ich den archivdaten.jazzorama.ch). Eindruck, man schreibt oder produziert literatur. Dank ihnen ist es möglich, eine heutzutage im deutschsprachigen Raum aktuelle, gut dotierte Jazz-Bibliothek inklu- Zu den Feldern: SIGNATUR verrät etwas keine Bücher mehr über Jazz. Und wenn sive angrenzender Bereiche zu führen. über den Standort des einzelnen Exemp- dann doch, deutet im Titel nichts darauf lars: «BO-0….» bis zu 30cm Höhe, hin, dass es hauptsächlich um Jazz geht. Das Feld LINKS ist sichtbar, wenn es Inhalt «BO-05….» sind grösser als 30cm. Unter So z.B. im neusten Buch von Roger Willem- hat. Das sind dann Rezensionen und Hin- «BO-1….» finden sich Hefte, Broschüren, sen Musik! Über ein Lebensgefühl, das weise zum Buch, die als pdf-Datei mit Mappen, sie stehen in Boxen. «BO-2….» ich allen Leserinnen und Lesern wärmstens einem Klick aufgemacht werden oder dem ist Belletristik, «BO-3….» sind Disko- ans Herz, bzw. auf den Nachttisch legen Link folgend eine Webseite auftun können. grafien, «JS-40…» ist die Sammlung möchte. Allein die Aufzählung aller mit von Johnny Simmen, «CP-41…» die von «feinsinniger Wucht» beschriebenen Musi- Jetzt noch etwas Statistik. Schwerge- Claude Perrottet. ker und Musikerinnen würden den Umfang wichtig sind im SJO die Biografien ver- GENRE: Auswählen aus den vorgege- dieser Seite sprengen. Aus Willemsens treten: 282 Auto-, 196 Sammel- und 705 benen Begriffen der Drop-down-Liste. Nachlass stammen die Texte, Essays, Radio- Einzelbiografien (mit Überschneidungen). THEMA: Ein wichtiges Feld. Stichwort- moderationen und Rezensionen, geschrie- Neuanschaffungen 2017/2018: 274 Titel artig-präzise, sinntragende Wörter als ben mit viel Sachverstand und noch mehr (Neuerscheinungen und Antiquarisches). nähere Umschreibung des Buchinhalts in Einfühlungsvermögen, dabei spricht er deutscher Sprache (ausgenommen Fach- weder die «Geheimsprache der Musikwis- Bei den Helvetica kommen wir total auf senschaftler» noch das beachtliche 396 Titel, davon Neuanschaf- «Jägerlatein der Einge- fungen seit 2017: 20 Titel. Ich nenne nur swissjazzorama weihten». fünf davon: Meinrad Buholzer Always a Pleasure – Begegnungen mit Cecil Taylor; Apropos Sachverstand Biografien von Franco Ambrosetti und und Einfühlungsvermö- Gustav Sigg; Richard Köchlis Biografie gen – ein Hinweis in des Tampa Red; Christian Broeking über eigener Sache. Peter Iréne Schweizers Unbändiges Gefühl Rüedis Stolen Moments von Freiheit. haben wir selbstver- ständlich in unserem Im Übrigen verweise ich auf bereits er- Bestand. Darüber hinaus schienene Kolumnen aus meiner Feder im verfügen wir über eine Jazzletter: 2015 Nr. 32, 33 und 2017 Nr. 40. erweiterte und laufend Und noch ein Aufruf: Schenkt eure Jazz- aktualisierte Version von und jazznahen Bücher (nicht nur Platten Rüedis publizistischen und CDs) dem SJO, statt sie im Bücherge- Hervorbringungen – stell vergilben zu lassen. Mittlerweile ist fragen Sie den Biblio- die Chance gross, dass wir sie schon besit- thekar. zen, aber unser Shop nimmt sie gerne an.

Der aktuelle Zuwachs Zu guter Letzt noch ein Hinweis: Da wir betrifft v.a. Americana uns den Aufwand einer Ausleih-Administ- (z.B. im REIHENTITEL: ration aus finanziellen und personellen American Made Music Gründen nicht leisten können, dürfen die Series der University Bücher das SJO nicht verlassen – Ausnah- Press of Mississippi). men bedürfen des Einverständnises des Die amerikanischen Bibliothekars! Hingegen können die Universitäten sind sehr Doubletten-Exemplare in unserem Shop produktiv in der Musik- käuflich erworben werden. Bruno Gut

9 «Mean Something!» Ein kurzer Rundgang mit Joe Haider durch sein Leben und sein Werk

Dass man auch mit 82 Jahren auf der Höhe seiner Zeit und seiner Schaffenskraft sein kann, beweist Joe Haider allemal. Als Pianist, Arrrangeur, Leader und Pädagoge hat er sich eine Maxime Duke Ellingtons zu Herzen genommen: Jazz ist mehr als Handwerk, er muss ausdrucksstark sein. René Bondt und Fernand Schlumpf haben dem «schwäbischen Berner» Fragen gestellt.

Joe, dein sympathisches Schwäbisch qualifizierte ich mich zwar nicht für höhere vermischt sich ab und zu mit ein paar akademische Weihen, aber für eine kauf- Helvetismen. Das eine verweist auf männischen Lehre im Stuttgarter Radio- deine Herkunft, das andere auf deine Musikhaus Barth. Dort kreuzten eines Wahlheimat Bern. Zeitlich überschaust Tages zwei Berliner Typen auf und wollten du acht aktiv mitgestaltete Lebens- eine Tuba kaufen. Das konnten die – Banjo- jahrzehnte. Wenn du heute zurück- spieler Dieter Baier und Drummer Karlheinz blickst, drängt sich da, öfter als früher, Bergemann von der Schwabenland-Dixie- Vergangenes ins Blickfeld? band – sich überhaupt nicht leisten, aber Ja, das ist dem Alter geschuldet. Mit 82 sie überraschten mich mit der Frage, ob ich beginnt man, schon die halben, nicht nur denn eine Tuba leihen und mit ihnen spie- die ganzen Lebensjahre zu zählen. Lässt len könnte. Als Stift war ich mit dem gan- man die eigene Vita Revue passieren und zen Instrumentarium des Hauses recht gut überlegt, mit wem man wann und wo vertraut, aber mein Ja zur Tuba entsprang freilich früh ein Hang zum Improvisieren gespielt hat, dann kann es einem schon schon grenzenloser Selbstüberschätzung. auf dem Tasteninstrument bemerkbar, kein schwindlig werden. Das Erinnerungsver- Und als es zur Frage kam ob ich denn jazzmässiges Improvisieren, eher ein ge- mögen zeigt zwar Lücken, die Highlights wüsste, was Jazz sei, musste ich verneinen. dankenlos-witziges Klimpern. Es war dann aber sind mir sehr präsent. Am folgenden Donnerstag war ich freilich Bergemann, der mich auf die damals wich- bei der wöchentlichen Probe der Schwa- tigen Jazzpianisten aufmerksam machte – Kulturschock auf einem Panzer benland Dixie mit einer gebrauchten Tuba etwa auf Bud Powell. Was ich von dem dabei und blies die in einem kleinforma- dann auf Platten zu hören bekam, gefiel War es für den kleinen Haider schon tigen Harmoniebüchlein notierten Grund- mir aber nicht. Auch ein Gillespie-Konzert eine Sternstunde, als er 1945, unmittel- töne runter. Die Sache gefiel mir sehr, sie in Stuttgart empfand ich nicht als Ohren- bar nach Kriegsende in Deutschland, lag ausserhalb des Üblichen und gab mir schmaus. Dem knapp achtzehnjährigen einem amerikanischen Panzer begeg- das Gefühl, was Besonderes zu sein. Und Haider gefiel Armstrong, nicht Bebop! nete, von einem Besatzungsmitglied – weil damals bei vielen Jugendlichen der Es brauchte einige Zeit, bis bei mir der notabene einem schwarzen – aufs amerikanische Lifestyle einsickerte, wurde Groschen fiel. Inspirierend wirkte neben Gefährt gehoben und mit einer Tafel aus dem Herbert Haider –- zum Leidwesen Bergemann in Stuttgart der gleichaltrige, Hershey-Schokolade beschenkt wurde? meiner Mutter – flugs ein Joe, der viele aber im Jazz weiter fortgeschrittene Da war ich ganze neun Jahre alt. Die Szene neue Leute kennenlernte. Freund Berge- Pianist und Arrangeur Wolfgang Dauner. wirkte irreal. Meine Mutter hatte mir stets mann nahm mich mit in den von Dieter Auch wir formierten dann eine Band, die mit dem schwarzen Mann gedroht, wenn Zimmerle geleiteten Jazzklub Schlüssel. den neuen Stil aufnahm. Da machte ich ich mal nicht parierte, und da war nun Zimmerle war Redaktor im Süddeutschen als Pianist mit. plötzlich dieser dunkelhäutige GI, der mich Rundfunk, Abteilung leichte Musik, und mit Schokolade fütterte und ein Radio mit- betreute dort eine eigene Sendung. Zweimal Stuttgart-München führte, aus dem Jazz dudelte. Tadd Dame- rons Stück Hot House drang an mein Ohr. Leichte Musik? Wo blieb da der Swing? Entsprach denn die soziale Reifung Aber das wusste ich damals nicht, ich habe Den Begriff Swing haben wir damals gar des jungen Haider dem Aufbruch im das erst später rekonstruieren können. nicht diskutiert, jedenfalls wir in Stuttgart musikalischen Bereich? Nach dem Krieg waren ganz andere Dinge nicht. Man war dem Two-Beat-Oldtime Bei aller Freude an unserer Musik und ihrer alltäglich. Wir Jungs spielten fussball- verpflichtet. In den ersten Nachkriegs- Wirkung in der Öffentlichkeit belastete kickend in Stuttgarter Ruinen, fühlten uns jahren vollzog sich unter dem Regime der mich die Trennung meiner Eltern, die gewissermassen vogelfrei, denn eine Zeit- Besatzungszonen vieles sehr isoliert. Zum während meiner Gymnasialzeit zur Folge lang gab es keine Schule. Erst später wurde ersten Mal in meinem Leben verliess ich hatte, dass der Vater nach München zog der Unterricht wieder aufgenommen. den Raum Stuttgart, als wir 1955 mit der und erwirkte, dass ich unter seine Obhut Schwabenland-Band am Amateur-Jazz- kam. Als Schwabe kam ich aber mit den Vermutlich mit altem deutschem festival in Düsseldorf auftraten. Bayern nicht zurecht und wurde wieder Liedgut, fernab vom Jazz ... nach Stuttgart zurückgeschickt, wo meine Gesungen wurde jedenfalls im Gymnasium, Auftritt zu dritt, du an der Tuba? Klassenkameraden eine Runde weiter aber auch dort war der Jazz weit weg. In Auftritt in voller Dixieformation, samt waren und ich zurückversetzt wurde. Da meinem Elternhaus war andere Musik will- einem Mann am Klavier. Dieses Instrument begann mein Körper zu streiken, ich brach kommen, da stand ein Klavier, und als war mir selber auch nicht fremd. Mein zusammen und kam mit Hirnhautent- Akkordeonist brachte ich es zur württem- Bruder, meine Schwester und ich hatten als zündung ins Krankenhaus. Verzweifelte bergischen Jugendmeisterschaft. Mit dem Jugendliche Klavierunterricht gehabt – Reaktion meiner Mutter nach der Gene- Tango Warum weinst du kleine Tamara klassisch natürlich. Bei mir machte sich sung: «Was mach ich bloss mit dir?»

10 wollen, musst Ehrgeiz und Inspiration spüren. In dem Moment, wo ich ein Podium betrete und auf dem Klavierstuhl Platz nehme, verändert sich für mich die Welt. Die pianistische Tagesform spielt da eine höchst untergeordnete Rolle, entscheidend ist die Inspiration hier und jetzt.

Übergehend vom Pianisten zum Arran- geur Haider drängt sich die Frage auf, wie Joe Haider seine Inspirationslust via Arrangement auf die Mitmusiker überträgt. Was ist befriedigender am arrangierten Jazz: das Klangerlebnis oder das soziale Interplay? Vorweg ein Geständnis: Gewisse Dinge kann ich nicht. Ich bin sicher nicht der grösste Bigband-Arrangeur der Welt. Im Vergleich etwa zu Maria Schneider bin ich ein Waisenknabe. Aber ich habe im Laufe der Zeit als Arrangeur einen eigenständi- gen klanglichen Weg über die Besetzung Da kam wohl die Lehre bei Radio Barth Ich nehme dich als orchestralen, nicht gefunden – zuerst mit Streichern, dann gerade zur richtigen Zeit? als linearen Pianisten wahr. Joe Haider auch mit Vokalistinnen. Die Wahl der Ich erlernte dort jedenfalls das Musikinstru- sucht nicht um jeden Preis die techni- Tonart, die Tempobestimmung, das richtige mentengeschäft von der Pike auf. Und in sche Artistik, er bringt die Vielfalt der Abmischen bei Livekonzerten – all das wird der Freizeit ging es bei mir auch pianistisch Harmonien zu Geltung. wichtig bei diesen Sound-Experimenten. vorwärts, so dass mich eines Tages ein Kol- Voll widersprechen will ich nicht, aber doch Das hat mit dem klassischen Arrangieren lege mit der Frage konfrontierte: «Warum etwas korrigieren. Ein richtiger Beboper nicht übermässig viel zu tun, da geht es studierst du eigentlich nicht Musik?» Nun, war ich nie, mir war früh bewusst, dass es zunächst mal um eine Klangsuche. ich war zwanzig, hatte Talent, aber auch gilt, im Spiel Eigenständiges zu entwickeln. eine sichere Stelle und konnte mir anfäng- Also musste ich etwas finden, das mich von Hörst du ein Arrangement schon lich kaum vorstellen, einen solchen Schritt den andern Pianisten abhebt. Ich nahm mir genau, bevor du es niederschreibst zu tun, zumal eine Ausbildung ausgerech- stets ein Wort Duke Ellingtons zu Herzen: und proben lässt? net in München zur Debatte stand. Aber «Mean something!» Man attestiert mir, ein Ja. mit Hilfe von Münchner Kollegen meldete ausdrucksstarker Pianist zu sein. Ausdruck ich mich in der Folge beim Trapp'schen bedeutet mir mehr als Technik. Und lässt du gewisse Abweichungen, Konservatorium – einem Vorläufer des die möglicherweise attraktiv tönen, heutigen Richard Strauss-Konservatoriums Mehr Herz als Kopf… im Aneignungsprozess zu? – zur Prüfung an. Nun musste ich heimlich Ja, aber ab und zu beweise ich, dass es Nein, ich möchte meine Version hören. Das üben, denn ich traute mich nicht, die auch anders geht -– dann nämlich, wenn liegt manchmal nur in Lautstärke-Nuancen. Mutter in meine Pläne einzuweihen. Nach ich ein horrendes Tempo anschlage und im Oder beim Tempo geht es darum, wie eine einjähriger Vorbereitung bestand ich die Stück das erste Solo spiele. Meine Stilbil- Phrase klingt. In dieser Hinsicht brachte Aufnahmeprüfung. Und jetzt musste ich dung hat gedauert. Bis ich da Anerkennung mich die klassische Ausbildung in Komposi- zuhause beichten, dass ich zwecks Studium fand, verging viel Zeit. Heute kann ich da- tion deutlich weiter. Inspirierend war für meine Lebensstelle in Stuttgart aufgeben rüber lachen. Als Lehrer an der Jazzschule mich auch , der als Arran- und schon am Folgetag nach München habe ich Ausdrucksstärke nie unterbunden, geur genial demonstriert hat, wie man eine ziehen werde. Schwäbisches Drama, dann sondern gefördert. Ich war nie ein Purist kleine Bigband mit drei Trompeten, drei Tränen und am Schluss mütterlicher Segen! und wollte, dass die Schüler eigene Wege Posaunen und drei Reeds klanglich erwei- Den Abend vergesse ich nie mehr. Mutter suchen, statt dem Trend nachzulaufen. tert, indem man die traditionellen Bläser- gab mir 300 Mark mit, die noch am glei- Sections mischt. chen Abend mit Freunden in Alkohol Lebenslanges Lernen gilt wohl auch aufgelöst wurden. Das war mein Start auf für einen Jazzmentor, nicht zuletzt, Der Arrangeur Joe Haider braucht für einer neuen Wegstrecke. wenn er im Alter zu spüren bekommt, ein Projekt gute, willige Interpreten – dass die motorischen Fähigkeiten und die kann er sich nach Eignung Haider – der Pianist und Arrangeur schwinden. Ist das für Dich ein Thema? zusammensuchen wie ein Filmregisseur Bei den Aufnahmen zu unserer aktuellen sein Darstellerteam. Arbeitet der Ein Vorschlag: Wir überspringen diese Trio-Platte meinte der Produzent zu mir: Pädagoge Haider mit einer vorgege- Strecke und landen in der Gegenwart, «Joe, es ist alles okay.» Ich stelle bei mir benen Auswahl von Musikern oder blicken von dort aus aber zurück auf selber nicht fest, dass ich mehr Übungsauf- Workshopteilnehmern, dann sieht die die verschiedenen Ebenen deines wand treiben müsste, um dem technischen Sache wohl anders aus … professionellen Musikerlebens. Wenn Level zu genügen. Ich intensiviere das In der Tat. Bist du Schulleiter, hast neben- ich dem Pianisten Joe Haider zuhöre, Fingertraining aber in den Wochen vor her Fächer zu unterrichten und kriegst dann hör ich – auf eine simple Formel neuen Aufnahmen. Das Ideelle, das Aus- jedes Semester eine Schar Schüler zuge- gebracht – nicht Bud Powell, sondern drucksmässige überlasse ich dagegen dem teilt, Begabte und weniger Begabte, dann Erroll Garner. Moment. Es gibt allerdings eine Vorausset- kann so ziemlich alles geschehen. Ich habe Wieso das denn? zung, damit die Sache gut wird. Du musst es immer so gerichtet, dass ich bei neuen

11 Scherrer, Roman Schwaller, Sandy Patton 17. Confirmation – /Joe Haider Joe Haider biografisch… oder Don Menza. Trio (JHM Records) – Geboren als Herbert Karl Anton Haider – Von 2000 bis 2011 Zusammenarbeit mit 18. Walking Tiptoe – Joe Haider/Bert Joris am 3. Januar 1936 in Darmstadt. Brigitte Dietrich Jazz Orchestra und Doppel- Big Band (JHM Records) – Wird als Lehrling im Stuttgarter Radio- quartett mit Streichern Mysterious. 19. Waltz for ever my love – Sandy Patton & Musikhaus Barth für den lokalen Oldtime- – 2016 Präsentation des Albums Keep It Dark Joe Haider Trio (JHM Records) Jazz gewonnen und schliesst sich, zuerst als mit einer grossformatigen Besetzung. 20. Bilein – Don Menza-Joe Haider Tubaspieler, dann als Pianist, unter dem – 2018 Joe Haider konzertiert frisch wie eh (JHM Records) Namen Joe Haider der Amateurszene an. und je mit dem Joe Haider Jazz Orchestra 21. Grandfather's Garden – Joe Haider Trio – Ab 1960 Musikstudium am Trapp'schen & The Sparklettes Back to the Roots und (JHM Records) Konservatorium (heute Richard Strauss- dem neuem Joe Haider Trio Waltz for ever. 22. Consequences – Dietrich/Haider Konservatorium) in München. Jazz Orchestra (JHM Records) – 1965 bis 1968 Pianist des Haustrios im 23. A Magyar/The Hungarian/Die Unga- Münchner Jazzclub «Domicile». Begleitet … und diskografisch rische – Joe Haider Trio (JHM Records) dort, wie auch danach als Leiter des Jazz- 24. A Sunday in Switzerland – Joe Haider Trio Ensembles im Bayerischen Rundfunks, 1. A Land of Dolls – Four for Jazz (Intercord) (JHM Records) bedeutende Jazzmusiker – beispielsweise 2. Katzenvilla – Joe Haider Trio 25. Mysterious – Joe Haider Double Quartet , Dusko Goykovich, Nathan (Intercord/JHM Records) (Double Moon Records) Davis, Booker Ervin, Klaus Doldinger, Hans 3. Power of Nature – Four for Jazz (Intercord) 26. CINQ – Quintet (TCB Records) Koller, , , George Mraz, 4. Sunday Child – Four for Jazz (Intercord) 27. Lebenslinien – Joe Haider's Eleven , Philly Joe Jones und . 5. Cafe de Pyrennes – Joe Haider Trio (Kick) (Musiques Suisses) – Ab 1970 Mitglied der Schweizer Formation 6. Give Me A Double – Joe Haider/Slide 28. A Moment in Montreux – Joe Haider Trio Four for Jazz (mit Heinz Bigler, Isla Eckinger, Hampton Orchestra (MPS) (Sound Hills) Peter Giger). Gründung eines eigenen Trios 7. Reconciliation – Joe Haider Quintet (EGO) 29. She was Looking at the Moon – mit Bassist Isla Eckinger und Drummer Pierre 8. Just for Fun – Sal Nistico Quartet (EGO) Joe Haider Quartet (JHM Records) Favre sowie einer Combo mit Dusko Goyko- 9. Thoughts – Leszek Zadlo Ensemble (EGO) 30. Keep it Dark – Joe Haider Jazz Orchestra vich. Daneben gemeinsam mit Slide 10. Serenade to a Planet – & Kaleidoskope String Quartet Hampton Co-Leader einer Bigband, in der Benny Bailey Quintet (EGO) (Challenge Records) u.a. mitspielte. 11. East of Isar – Benny Bailey Quintet (EGO) 31. Back to the Roots – Joe Haider – 1984 bis 1995 Leitung der Swiss Jazz 12. After a Long Time – Goykovich/Haider Jazz Orchestra & The Sparklettes School in Bern. Großer Kulturpreis des Quintet (EGO) (Challenge Records) Kantons Bern 1994 für Haiders Verdienste 13. The Essential Point – Joe Haider Quartet 32. Waltz for ever – Joe Haider Trio auf dem Gebiet der Musik. (JPV/Pläne) (Challenge Records) – 1988 Deutscher Schallplattenpreis für 14. Keep Hot – Joe Haider/Mel Lewis Orchestra (Jeton/JHM Records) eine Produktion des Joe Haider Orchestra In unserem Archiv ist Joe Haider featuring Mel Lewis. 15. Up Shot – Joe Haider Sextet (JLM) – Tourneen mit , dann mit 16. Magic Box – Joe Haider Quintet aktuell mit 16 Tonaufnahmen Rhythmusgruppe und Solisten wie Andy (JHM Records) sehr gut dokumentiert.

Schülern den Anfang machte und damit pausenlos spielt wie ein Verrückter. Sein haben damals fürs Geld gespielt, auch vorweg einige Massstäbe setzen konnte. Publikum beeindruckt die Intensität, die Tanzmusik, heute unterrichten manche Du erkennst sogleich, wie einer am Klavier sportliche Leistung des Vortrags, kaum die Berufsmusiker an diversen Schulen, um sitzt. Dann kommt bei Pianisten schon die musikalische Aussage. Das erklärt vieles, über die Runden zu kommen. nächste Frage: Fingertechnik oder Armtech- auch in Bezug auf die gestellte Frage: Es nik? Ich bin ein Verfechter der Fingertech- geht nicht um europäischen oder ameri- Wohin entwickelt sich der Jazz heute, nik, weil die Spannung in den Fingern kanischen Jazz, es geht um Personen, die wie kann er sich künftig definieren? steckt. Das hat Vorteile. konsequent ihren Weg gehen. Jazz hat nichts mit Hiphop zu tun, wohl aber mit Blues oder mit Gospel. Das Fatale Ewiggestrige – Ewigmorgige Du hast die Jazzschule Bern zehn Jahre ist, dass der Jazzer nicht rechtzeitig einge- lang geleitet. Ein quantitativer Ver- griffen hat bei der stilistischen Breitenent- 1945 erlebtest du einen kleinen Kultur- gleich mit der berühmten Bostoner wicklung und allgemeinen Inanspruch- schock. Mit den amerikanischen GIs Berklee School of Music verbietet sich nahme des Jazz. Der Jazzmusiker hätte viel kam eine Menge Jazz nach Europa. schon im Ansatz. Wie beurteilst Du eine früher seine Musik verteidigen müssen. US-Jazzer tourten durch die Alte Welt, qualitative Gegenüberstellung? Stattdessen hat sich das Lager gespalten in manche blieben sogar als gewisser- Amerikanische Musikschulen kennen einen Ewiggestrige und die Ewigmorgige. In einer massen unerreichbare Vorbilder für die hörsaalartigen Betrieb, der nicht ins Detail aktuellen Fernsehdokumentation über Ella Europäer. Du und andere haben indes geht, sondern die Studenten anweist, sich Fitzgerald berichtet die junge schwarze viel getan für eine universellere Auf- vieles selber zu erarbeiten. Die Europäer Schlagzeugerin Terri Lyne Carrington, fassung von Jazz. Gibt es noch immer sind da detailversessener, hier wird dem Lehrerin an der Berklee School, dass sich markante Unterschiede diesseits und Musikschüler praktisch alles wie ein Butter- dort rund 500 Vokalisten und Vokalistinnen jenseits des Atlantiks? brot vor die Nase gesetzt. Dies im Gegen- in Ausbildung befinden. Und von denen Ich würde den Freejazz, die Avantgarde satz zu unseren Anfängen. Damals waren habe sich niemand Ella und ihren meister- überhaupt, als typisch europäisch bezeich- wir auf uns selber angewiesen, es gab kein haften Scat-Gesang zum Vorbild genom- nen. In amerikanischen Clubs – nimm «Real Book», bestenfalls alte Schellack- men, weil angeblich zu schwer. Dabei Village Vanguard in New York als Beispiel – platten. Musiker aus unserer Generation gehört doch das Solieren über ein richtiges hat man sich schnell wieder vom Freejazz waren darum anpassungsfähiger als die Bebop-Stück zum Unabdingbaren im Jazz. verabschiedet, weil das Publikum nicht heutigen, nicht selten getrieben von mate- mitkam. Du kannst nicht eine Woche lang riellem Zwang. Man kämpfte um jeden Gig, Bill Frisell anhören, das ist so kompliziert war glücklich über ein Studio-Aufgebot. Vielen Dank, lieber Joe Haider, für die- und dicht, dass du nicht mal einen einzel- Bedenken, wie man die nächste Miete sen gesprächsweisen Rundgang durch nen Abend richtig verdauen kannst. Oder zahlen soll, kennen manche Berufsmusiker sechs Jahrzehnte persönlich erlebten nimm Cecil Tayler, der eine Stunde lang heute auch, aber in anderer Form: Wir und kraftvoll mitgestalteten Jazz.

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Herb Geller – An American in Germany

Von den Lighthouse Allstars in Hermosa Beach, Kalifornien, bis zur NDR-Bigband Leider wurde die produktive Zusammenar- in Hamburg ist nicht nur geografisch, sondern auch musikalisch ein weiter Weg. beit der Gellers plötzlich beendet. Doch sowohl als Westcoast-Musiker als auch als Lead Alto-Player und Solist eines grossen deutschen Jazzorchesters war Herb Geller Extraklasse. Er galt neben Im Alter von nur 30 Jahren starb Lorraine Bud Shank und Art Pepper als einer der besten Altsaxofonisten des Westcoastjazz. Geller-Walsh an einem heimtückischen Nach dem plötzlichen Tod seiner Frau Lorraine, die während ein paar Jahren seine Asthma-Anfall. Tief betroffen von diesem Weggefährtin am Piano war, zog er nach Europa und sicherte sich dort in der Schicksalsschlag, entschloss sich Herb, der Jazzszene einen Vorzugsplatz, hauptsächlich in Deutschland. Jimmy T. Schmid zu dieser Zeit mit einer Benny Goodman- Bigband in Chile unterwegs war, nicht mehr nach den USA zurückzukehren. Er Herb und Lorraine Geller reiste per Schiff nach Europa. Für den Westcoastjazz ging das Kapitel «Geller» jäh zu Ende.

Deutschland

Nach kürzeren Jobs, die Herb in Frankreich u.a. mit den ebenfalls nach Europa dislo- zierten zwei Kennys, dem Drummer und dem Pianisten Kenny Drew, zusammenbrachte, meldete sich die RIAS- Bigband aus Berlin mit einem interessanten Angebot. Herb akzeptierte und zog nach Berlin, wo er sich neben weiteren amerika- nischen Musikern, z.B. dem Trompeter Herbert Arnold Geller kam am 2. November Claude Thornhill, Lucky Millinder und an- Benny Bailey und dem Trombonisten Nat 1928 in Los Angeles zur Welt. Musik war deren reputierten Orchestern seine ersten Peck, in das RIAS-Ensemble eingliederte. bei der Familie Geller durchaus keine Ne- Bigband-Erfahrungen. In Berlin traf er Christine Rabsch, seine bensache. Die Mutter arbeitete in Kinos im zweite Frau. Nach drei Jahren offerierte Grossraum L.A. am Klavier als Begleiterin Lorraine ihm die NDR-Bigband, Hamburg, quasi die von Stummfilmen. Herb erhielt mit acht Stelle seines Lebens als Leadalto-Player Jahren von einem Freund der Familie, der Nach drei Jahren in New York kam Herb und Arrangeur. einen Musikladen besass und Unterricht zurück nach Los Angeles und spielte mit erteilen konnte, ein Altsaxofon. Zum Altsax allen, die in der Region Rang und Namen Dass ein Sideman fast drei Jahrzehnte im kam zwei Jahre später die Klarinette. hatten. Mit Bill Holman, Shelly Manne, gleichen Orchester spielt, ist ziemlich sel- Marty Paich, Barney Kessel u.v.a. Aus einer ten. Herb Geller war während 28 Jahren Benny Carter und Begegnung mit der Pianistin Lorraine bei der NDR-Bigband, die sich während Walsh wurde bald mehr. Sie zogen nach dieser Zeit vom Nachkriegs-Tanzorchester Herbs Vorbild als Saxofonist war bald ein- New York und heirateten. Lorraine wurde zu einem modernen Spitzenensemble wan- mal Benny Carter.Von seiner Erfindungs- Herbs ideale, musikalisch absolut gleich- delte. Herb Gellers Beitrag zu dieser Ent- gabe und seiner Technik war er sehr beein- gesinnte Partnerin. wicklung war beträchtlich. Seine NDR- druckt. Als Teenager spielte Herb in der Aktivitäten waren vielfältig. Das Altsaxofon High School Band. Dort traf er den jungen Nach der Heirat liessen sich die Gellers in blieb zwar immer sein Vorzugsinstrument, Pianisten Russ Freeman, der durch und L.A. nieder und spielten mit verschiedenen doch mit seinem unermüdlichen Elan, ar- durch ein Fan von Charlie Parker war. Nicht Westküsten-Musikern, u.a. auch mit den beitete Herb auch ständig daran, weitere lange ging's, und der Parker-Funke sprang Lighthouse Allstars des Bassisten Howard Holzblasinstrumente zu beherrschen: von Russ zu Herb. Hauptinspirationsquelle Rumsey. Für das Label EmArcy gab es Klarinette, Flöte, Oboe, um hier nur drei war nun auch für Herb das Spiel Parkers. eine Reihe von Aufnahmen, deren jazzge- zu nennen. Auch als Musical-Komponist Auch später, als er sich eigene Jazzthemen schichtlicher Wert hoch zu schätzen ist. fand er mit «Playing Jazz» (seine musika- ausdachte, war er stark von Parkers Musik Zwei LPs unserer Sammlung dokumentie- lische Autobiografie) und «Jazzie Josie B.» beeinflusst. ren in idealer Weise die Musik, welche die grosse Beachtung, Gellers Mitte der Fünfzigerjahre zusammen Mit etwas mehr als zwanzig Jahren wagte mit hochkarätigen Bebop-Exponenten der Für seine nebenamtliche Lehrtätigkeit an Herb Geller als junger Musiker den Sprung Westcoast-Jazzszene aufnahmen. Beson- der Hochschule für Musik in Hamburg über den Kontinent nach New York, wo er ders erwähnenswert sind: der Trompeter wurde er mit dem Titel «Professor» aus- von Jack Fina, einem weniger bekannten Conte Candoli, der Drummer Laurence gezeichnet. Trotz dieser und weiterer Bandleader engagiert wurde. In dessen Marable und die Bassisten Curtis Counce Ehrungen blieb Herb Geller bescheiden wie Saxsection sass kein geringerer als der und .Was hier gespielt immer. Sein Kommentar zu den Auszeich- Altsaxofonist Paul Desmond. Obwohl sie wurde, ist kompromissloser Bebop. Das nungen war: «Well, my friends still call musikalisch nicht immer der gleichen Auf- Repertoire umfasst nur wenige Standards, me Herb». Am 19. Dezember 2013 starb er fassung waren, wurden Paul und Herb gute viele Themen stammen von Lorraine oder mit 85 Jahren in einem Hamburger Spital Freunde. In New York holte sich Herb bei Herb. Wahrscheinlich oft von beiden. an einer Lungenentzündung.

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eine CD übertragen. Kopien davon durften Was hat Harlem wir den Behörden, Organisatoren und Co-Referenten als Gastgeschenk des swiss- mit Limoges zu tun? jazzoramas überreichen. Daneben nutzten wir die Gelegenheit, an allen Anlässen Im Jazzletter Nr. 42 erläuterte Jacques Rohner die Entstehung der Jazz- die neuen französischen jazzorama-Flug- Beziehungen zwischen der Schweiz und Frankreich. Langjährige Freundschaften blätter zu verteilen. Zusammenfassend entstanden ab 1938 zwischen Jazzkennern hier und dort. dürfen wir feststellen, dass unsere Begeg- nungen eine frische Basis für die Beziehun- Neuere Kontakte zwischen dem swissjazz- Der Schweizer Simmen wurde als einziger gen des swissjazzorama mit der internatio- orama und Frankreich ergaben sich durch ausländischer Autor präsentiert, auf glei- nal orientierten Jazzwelt geschaffen haben. die Besuche von Frau Dr.Anne Legrand und chem Niveau wie die französischen Jazz- ihren Besuchergruppen an verschiedenen pioniere Hugues Panassié und Jean-Marie Sehr angenehm überrascht waren wir von Ascona Festivals. Anne ist die Jazz-Histo- Masse. Masse war auch Schlagzeuger, der offenen, freundschaftlichen Atmos- rikerin an der Bibliothèque Nationale de Maler, Hot Club-Gründer und -Präsident, phäre unter den Teilnehmern, welche France, Paris, wo sie unter anderem die Impresario von 500+ Konzerten (!), Grün- teilweise mit ihren Vortragsthemata (z.B. Sammlung des Legats von Charles Delau- der und treibende Kraft von «Radio Swing Panassié oder Delaunay) entweder stark im nay betreut. Zudem ist sie sowohl Jazz- FM» von Limoges mit täglich 24 Stunden traditionellen oder im modernen Bereich kennerin, eine grossartige Organisatorin Jazz, auch heute noch. Der gebürtige Aar- identifiziert waren. Dazu gab es jedoch und Ausstellungsgestalterin. Sie hat genau gauer Simmen war in Frankreich ein oft keine einzige gehässige Bemerkung, trotz die richtige Persönlichkeit, um in Limoges und gern gesehener Referent. Es war für des jahrelangen Glaubensstreites, der auf das Doppeljubiläum «100 Jahre Jazz» und uns eine grosse Freude festzustellen, dass dem Thema «traditional vs. modern» vor «70 Jahre Hot Club de Limoges» durch- ihn zahlreiche Besucher und Experten allem in Frankreich ausgetragen worden zuziehen. 1918 spielten die afro-amerikani- des Kolloquiums persönlich gekannt und ist. Hat da vielleicht Johnny Simmens aus- schen Soldaten vom dortigen Militärspital hoch geschätzt haben. Dank der perfekten geprägte und gelebte Offenheit für Neues erstmals Jazz in öffentlichen Auftritten. Die frankophonen Übersetzungshilfe von im Jazz noch eine weitere, eine langfristig Jubiläumsanlässe mit dem Titel «Harlem à Michèle Pfenninger-Simmen, der Tochter entschärfende, wohltuende Auswirkung Limoges» fanden durch das ganze Jahr von Johnny, und von Jacques Rohner gehabt? Konrad Korsunsky 2018 unter der Ägide des Stadtpräsidenten, während der Vorbereitungen kam unser Emile R. Lombertie statt: Konzerte, Aus- Beitrag trotz unserem «français fédéral»- Reminder: Besuchen Sie wieder einmal stellungen, Filme, Dokumente, Radio- und Akzent sehr gut an. Ebenso erfeulich war die Simmen-Sammlung in Uster oder auf TV-Sendungen, das wunderschöne Buch es zu sehen, dass unser Referatskonzept im www.swissjazzorama.ch «Harlem à Limoges», (Editions Les Ardents, Dialogstil, mit den begleitenden Beamer- Limoges) und ein internationales Kollo- Fotos von Simmen mit vielen seiner Musi- Abbildungen (im Uhrzeigersinn): quium im vergangenen Oktober. kerfreunde gut aufgenommen worden ist. Klaus Naegeli vor der Bibliothèque Francophone Zudem beschränkten wir uns auf acht Multimédia, Limoges. Ein Referat über Johnny Simmen Musikbeispiele. Wir spielten diese ganz Anne Legrand, Organisatorin des Inter- ab, während fast alle andern Referenten nationalen Jazz Kolloqiums. Zu diesem wurden Klaus Naegeli und jeweils nur ein paar Takte antönten und Klaus Naegeli und Konrad Korsunsky… Konrad Korsunsky vom swissjazzorama als ausblendeten – keine gute Idee. So kommt …und während der der Simmen-Präsentation Referenten im Rahmen des Themen-Nach- keine Stimmung auf. Die acht von uns ge- (Leinwandbild). mittags «Ecrire sur le Jazz» eingeladen. wählten Titel hat Thomas Reich perfekt auf Viele Zuhörer im Auditorium der Bibliothèque.

14 BLICK INS ARCHIV IN MEMORIAM TROUVAILLEN findet man viele in unserem Archiv

«The Georgians» mit Frank Guarente: Erste Tonaufnahme in der Schweiz 1926 ROY HARGROVE im Café Esplanade in Zürich US-amerikanischer Trompeter mit einer amerikanischen des Post Bop, 16.10.1969–02.11.2018 Hot Band. Diese wurde Hargrove gehört zu den zahlreichen Alumni unter dem Schweizer der Berklee School Of Music in Boston. In Label Kalophon-Record der Überzeile ist er zwar als Post-Bop Musi- veröffentlicht. ker affichiert, sein musikalisches Spektrum bedeckte jedoch weite Bereiche innerhalb Frank Guarente, geboren als Francesco Saverio Guarente am 5. Oktober 1893 in Montemiletto, Italien, gestorben am 21. Juli 1942 in New York City war ein US-amerikanischer Jazz-Trompeter, Komponist und des Jazz und anverwandter Richtungen. Bandleader. 1923 hatte er mit den Georgians und mit Spechts Orchester grosse Erfolge in London und Nach dem von seinem Entdecker Wynton Paris. Ab 1924 leitete er eigene Bands und machte in der Schweiz Aufnahmen für das Label Kalophon. Marsalis geförderten Einstieg als «Young Dann spielte er in der britischen Tanzband von Bert Firma. 1928 kehrte er in die USA zurück. fs Lion» in der Post Bob Welt tat er sich etwa 1997 mit der Gruppe Crisol auf der live in Italien entstandenen CD Habana als Latin 1957 erschien eine Sonderausgabe Stephen Longstreet, geboren als Henri Weiner Jazzer hervor. Dies brachte ihm 1998 einen des Knaurs Jazz Lexikon (1907– 2002) war ein US-amerikanischer Schrift- Grammy ein. Das Bewusstsein, wo seine steller, Drehbuchautor und Illustrator. Er ver- für den Buchclub Ex Libris Zürich. öffentlichte auch unter diversen Pseudonymen. Wurzeln lagen, trat indes in der Zusam- 11-jährig lernte er den Sänger Paul Robeson menarbeit mit älteren und bestandenen Dieses Lexikon war eine gute Hilfe für kennen. Von ihm lernte er viel über Musik. Grössen, wie etwa oder Joe junge Jazzfans, sich in deutscher Sprache Später studierte er an der New York School Henderson, zu Tage. Als er ab 2003 seine über Jazz, Orte, Stile, Musiker und of Fine and Applied Art. Bald war er zeichnend Musik um den RH Factor (Name seiner da- in Greenwich Village und im Cotton Club in Musikerinnen zu informieren. Harlem anzutreffen. Er ging auch nach Paris, wo malige Gruppe) erweiterte, fanden auch er Pablo Picasso und Henri Matisse begegnete. Hip Hop, Soul und Funk Eingang in sein Aber erst die 170 Illustrationen von Zurück in den USA beschäftigte er sich wieder Schaffen. Der ausgesprochen groovige Stephen Longstreet machten das Buch zu mit dem Jazz und zeichnete Jazzgrössen wie Ansatz dieser Musik begeisterte auch ein Count Basie, Billie Holiday, Sarah Vaughan, einer Trouvaille. Die Zeichnungen entstan- Duke Ellington u.a. Seine Arbeiten wurden auch Publikum ausserhalb der engeren Szene. den in einem Zeitraum von ca. 20 Jahren. in diversen Museen ausgestellt. WA Schon im Titel Directions in Music, einge- spielt zusammen mit Mike Brecker, Herbie Hancock, John Patitucci und Brian Blade, deutet sich der Anspruch an, als dieses Quintett am 25. Oktober 2001 die Bühne betrat. Ort des Geschehens war die be- rühmte Massey Hall in Toronto, wo schon 48 Jahre zuvor ein anderes Quintett ein legendäres Konzert gegeben hatte: Charlie Parker mit , Bud Powell, Charles Mingus und Max Roach. Das Ge- wicht dieser Vorgänger wird Hargrove im Fortgang der Jazzgeschichte kaum erlan- gen, aber als ebenso umtriebiger Musiker wie hervorragender Trompeter wird er lan- ge in bester Erinnerung bleiben. Am Ende seines nicht überlangen Lebens, das leider auch nicht frei von Drogen verlief, war er erschöpft und starb an Nierenversagen.

Als helvetisches P.S: lässt sich anzufügen, dass Hargrove, der in seinen Performances dem Flügelhorn eine ebenbürtige Rolle beimass, sich für seine Instrumente der Fertigkeiten des Aargauer Instrumenten- bauers Inderbinen bediente. Heinz Abler

15 er sich verschrieben hatte, geschuldet war. Die Gewinnerin mehrerer Grammies (den letzten IN MEMORIAM Spielweise ist auch unter dem Begriff «Honkin'» 2007) trat sie später in Personality Shows und Zusammengestellt von Heinz Abler geläufig. Als «Rampensau» beglückte McNeely vor allen auch in Las Vegas auf, wo sie sich das Publikum zudem mit akrobatischen Einla- naturgemäss eher vom engeren Jazzfach ent- RANDY WESTON gen, indem er das Saxofon am Boden, auf dem fernte, ehe sie sich ab den Achtzigern vor allem US-amerikanischer Pianist Rücken liegend, spielte. Er wechselte häufig die auch zusammen mit dem Pianisten Ramsey und Komponist des Modern Jazz Record-Labels, seine wahre Bestimmung jedoch Lewis wieder auf der Jazz-Szene zurückmeldete. 06.04.1926– 01.09.2018 fand er gewiss – wie gesagt – an der Rampe. Weston ist gewiss einer derjenigen, auf den die CURT PRINA Zuschreibung Afroamerikaner punktgenau passt. BILL WATROUS Schweizer Pianist, Posaunist, Nachdem er dem R&B, dem nachfolgenden Be- US-amerikanischer Posaunist Arrangeur und Komponist und Hardbop entwachsen war, widmete er sich des Modern Jazz 31.8.1928–18.5.2018 zeit seines langen Lebens der Verbindung mit 08.06.1939–02.07.2018 Curt Prina war einer der profiliertesten Schwei- der afrikanischen Herkunft seiner eigenen Kultur. Watrous gehörte zu jenen Posaunisten, die ihr zer Jazzmusiker in der Zeit, als Jazz noch haupt- Er bereiste den afrikanische Kontinent, lebte dort Instrument aus der Tradition von J.J. Johnson sächlich Tanzmusik war. Schon als Teenager ging während Jahren und tauchte insbesondere in heraus eher elegant als kraftstrotzend zu spielen er 1946 mit der damals in der Schweiz bekann- die mystische Welt der marokkanischen Gnawa- wussten. So war er ein wohl geschätztes Mit- ten Bigband von Bob Huber auf eine Spanien- Bruderschaft ein. Diese auch spirituell unterleg- glied in Big Bands (Woody Herman, Maynard tournee. 1948 engagierte Fred Böhler den Zür- ten Reisen zwischen den einzelnen Kulturen Ferguson oder Quincy Jones), aber auch Leiter cher für sein Sextett als Pianist und Arrangeur. bilden sich in seiner Musik ab, was seinen einer eigenen unter dem Namen Manhattan Ein grosser Karriereknick nach oben gelang ihm, Beitrag zum Jazz aus der Masse heraus hebt. Wildlife Refuge Big Band firmierenden Truppe. als er anfangs der Fünfzigerjahre Mitglied des Er trat auch als Bandmate der Jazz-Rock-Gruppe Hazy Osterwald-Sextetts wurde. Er spielte Piano, HAMIET BLUIETT Ten Wheel Drive sowie zusammen mit Kai Posaune, arrangierte und komponierte. Als wich- US-amerikanischer Baritonsaxofonist Winding, und Jiggs Whig- tiger Exponent des Schweizer Swingjazz wird er und Flötist des Avantgarde Jazz ham unter dem Titel Trombone Summit auf. uns stets in bester Erinnerung bleiben. J.T.S 16.09.1940–04.10.2018 Bluiett war ein Mitbegründer der Black Artists ERICH KLEINSCHUSTER Group (BAG) in St.Louis, neben der weit bekann- Österreichischer Posaunist teren Chicagoer AACM (Association for the des Modern Jazz Advancement of Creative Muscians) eine wei- 23.01.1930 –12.09.2018 Harlem à Limoges – tere Gemeinschaft zur Förderung kreativer afro- Kleinschusters Herkunft aus der österreichischen auch auf CD! amerikanischer Musikkultur. Somit waren die Jazz-Metropole Graz erleichterte ihm den Zu- Voraussetzungen gegeben, um mit Kollegen aus gang zur europäischen Szene, wo er unter ande- der Region wie Oliver Lake und Julius Hemphill rem in den Big Bands von Kenny Clarke/Francy zusammen mit David Murray das über lange Boland sowie bei George Gruntz' Concert Jazz 19 Live- Jahre die Avantgardeszene bereichernde World Band im Posaunensatz sass. Bis 1982, ihrem Radiomitschnitte Saxophone Quartet zu gründen. Dort übernahm Ende, leitete er überdies die ORF-Big Band. er den Baritonpart und trat in dieser Funktion Ausserdem widmete er sich in Wien und seiner 1946 –1959 auch des öfteren am Willisauer Jazz Festival auf. Heimatstadt Graz der Ausbildung des Jazz-Nach- wuchses und organisierte den Jazz-Sommer TOMASZ STANKO Graz, eine feste Grösse in der europäischen Jazz mit Claude Bolling, Buck Clayton, Polnischer Trompeter Agenda. Guy Lafitte, Willie «The Lion» Smith, des zeitgenössischen Jazz WAYNE DOCKERY Albert Nicholas, , 11.07.1942–29.07.2018 Bill Coleman, Lionel Hampton u.a. Stankos eigenwillger Stil, getragen von einem US-amerikanischer Bassist Ton, den man als von «rauher Wärme» kenn- des Jazz zeichnen könnte, liess sich nach dem Anspielen 26.06.1941–12.06.2018 Preis: 15 Euro. Zu beziehen bei: weniger Takte eines Stücks erkennen. Aus der Wayne Dockery war der jüngere Bruder des Bibliothèque Francophone Multimédia, polnischen Szene, die sich um den Pianisten und Pianisten Sam Dockery, mit dem er die Mitglied- Place Aimé-Césaire 2, 87000 Limoges Komponisten Krzysztof Komeda gruppiert hatte, schaft, wenn auch zeitlich auseinandeliegend, wuchs Stanko zu einem Leader heran, der sich bei 's Jazz Messengers teilte. Dockery, (France). bfm.limoges.fr anfänglich an Konzepten von Ornette Coleman der eigentlich Mathematik und Geschichte orientierte. Für ECM, dem Label dem er während studiert hatte, erschien in vielen Gruppen des 40 Jahren die Treue hielt, nahm er zahlreiche Hard und Post Bop, so etwa bei oder Alben als Leader auf. In den letzten Jahren Hal Galper. 1990 zog er nach Paris, wo er vor vornehmlich mit seinem polnischen und New allem in Gruppen um Archie Shepp und Sonny Korrigenda Yorker Quartett. Fortune auftrat. In der 42. Ausgabe des Jazzletters ist uns im JERRY GONZALEZ SONNY FORTUNE Nachruf für Lukas «Cheese» Burckhardt ein Fehler bei der Schreibweise des Namens unter- US-amerikanischer Trompeter und US-amerikanischer Alt- und laufen. Nicht «Burkhardt» sondern «Burckhardt» Perkussionist des Afro-Cuban Jazz Sopransaxofonist des Post Bop Jazz (mit ck) ist richtig. 05.06.1949–01.10.2018 19.05.1939 – 25.10.2018 Gonzalez, puertoricanischer Herkunft, brachte Fortune, der zuweilen auch als Flötist wirkte das Kunststück fertig, sich als Trompeter und kam zunächst aus der Rhythm & Blues-Welt, Congalero gleichermassen einen Namen zu ehe er sich ab der Mitte der 60er Jahre bis machen. Seine Spielwiese war der Salsa, auf der in die frühen 70er den Grupen um Elvin Jones, er sich mit seiner Fort Apache Band tummelte. Mongo Santamaria sowie McCoy Tyner an- IMPRESSUM Die überaus gekonnte Musik dieser Gruppe war schloss. Tyner und Jones sind Schlüsselnamen, Der Jazzletter erscheint 2–3 x jährlich und ist noch immer State oft the art in diesem die auf John Coltrane verweisen und damit Redaktion: Jimmy T. Schmid (J.T.S.) Latin-Genre und verbreitet ein locker entspann- stilistisch auch Fortune kennzeichnen. Neben Layout: Walter Abry (WA) tes Ambiente ohne trivial zu sein. Darüber vielen anderen Engagements spielte der stark Copyright: swissjazzorama hinaus spielte Gonzalez häufig Flügelhorn und unterschätzte Fortune auch bei Miles Davis, Ackerstrasse 45, 8610 Uster, +41(0)44 940 19 82 nahm ironischerweise als Perkussionist 1986 mit bevor sich dieser zwischen 1975 und 1980 [email protected] www.jazzorama.ch Franco Ambrosetti die Scheibe Movies auf. aus der Szene verabschiedete. Contact pour la Suisse romande:Vakant BIG JAY MCNEELY NANCY WILSON Contato per la Svizzera italiana: Vakant US-amerikanischer Tenorsaxofonist US-amerikanische Sängerin Mitarbeiter dieser Nummer: Heinz Abler (ha), des Rhythm & Blues des Modern Jazz, R&B und Pop Walter Abry (WA), René Bondt, Hans Burkhalter, 29.04.1927–16.09.2018 20.02.1937–13.12.2018 Fred Herster. Bruno Gut, Konrad Korsunsky, McNeely war auf seinen Instrument alles andere Wilson durchlebte ihre ergiebigen Jahre als Klaus Naegeli, Fernand Schlumpf (fs), Jimmy T. als ein Leisetreter, was wohl der Stilrichtung, der Jazz-Sängerin in den sechziger Jahren. Als Schmid (J.T.S.), Irène Spieler, Christian Steulet

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