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ANDY SCHERRER "SPIRIT OF THE BAND" FOTO: PEEWEE WINDMÜLLER

"Bescheidener Gigant", "stiller Riese", "Doyen der Schweizer Klang seines Tenors und wie er damit spielt Saxophon-Szene", "herausragende Stimme im europäischen waren alleweil Botschaft genug: voluminös, Jazz", "so spielen nur die ganz Grossen": Bei Andy Scherrer transparent und schlüssig in allen Lagen und liegen Superlative nahe. Nun erhält er verdientermassen den Registern, mit feinen farblichen Nuancen und Schattierungen, ein Saxophonist, dem man Schweizer Musikpreis. Von Steff Rohrbach immer zuhört – weil er wirklich was zu sagen "Als es hiess, ich würde diesen auch mit dem Klavier ein ganz erstaunlicher hat. Preis bekommen, war ich schon sehr über- Begleiter und Erzähler ist, dieser monolithi- Seine musikalische Ausbildung rascht, hatte ich doch angenommen, dafür sche Grande des Jazz hat den vom Bundes- begann siebenjährig mit der Violine. Drei Jah- kämen nur Musiker mit sogenannten experi- amt für Kultur vergebenen Preis wahrlich ver- re später, 1956, übersiedelte die Familie vom mentellen Projekten infrage." Der Anflug eines dient. Emmental nach Basel, wo Andy den ersten leisen Lächelns huscht über Andy Scherrers Andy Scherrer stand mit Grössen Saxophonunterricht von Albert Bertschmann Gesicht, als wir uns im Studio seines Sohnes wie und , Curtis erhielt, der Bratschist im Sinfonieorchester in Basel treffen – Michael ist Sound Engineer Fuller, Kenny Clark, Mel Lewis, Abdullah Ibra- und Lehrer am Konservatorium war. "Eine Gei- und Producer. Scherrer war nie einer der him oder dem -Joe Haider Or- ge auch nur zu halten, hat mir Schwierigkei- grossen Worte und sichtlichen Gefühls regun- chester auf der Bühne und wirkte an Fern- ten bereitet, auch war die Violine damals im gen – die Anerkennung aber freut ihn. Und sehproduktionen mit Gary Burton und Cedar Jazz nicht sehr gefragt. Das waren mit die keine Frage: Dieser bescheidene Mann, der Walton mit. Andere würden solche Namen als Gründe, das Instrument zu wechseln. Klang- mit seinem Saxophon alles zu sagen weiss Eigenwerbung nutzen, Scherrer hat nie damit lich sind sich beide ähnlich, sieht man vom Ton- und unsere Seele im Innersten zu treffen ver- hausiert. Er ist kein Verkäufer, nicht seiner anfang und -ende ab. In Kurorchestern über- steht, dieser hingebungsvolle Musiker, der Musik – und seiner selbst schon gar nicht. Der nahmen häufig Geigen den Saxophonpart." 28 J A Z Z PORTRAIT

Scherrer ging in Basel ins Real- Hop-Jazz-Band beim Mentoring-Projekt der Ganz ins Scherrer-Bild passt, gymnasium – zusammen mit Peter Schmid- Migros (mit Jean-Paul Brodbeck, Wolfgang dass gerade mal eine gute Handvoll Alben lin, dem Drummer und späteren TCB-Gründer Zwiauer, Michael Wipf und Mike 'Tron' Mory halbwegs unter seinem Namen erschienen (1947–2015). Die Konstellation dieser Freund- an den Turntables) kam Mitte der 1990er- sind: Drei hat er Joe Henderson, Mal Waldron schaft lässt vermuten, dass sowohl der Wech- Jahre zu früh", blickt Andy zurück. Und das und Clifford Jordan gewidmet, je ein tolles sel zum Saxophon im Alter von fünfzehn als Vienna Art Orchestra, zu dem er von 1991 bis Duo mit Bill Carrothers und Oliver Tabeling auch die spätere Hinwendung zum Jazz na- 2007 als überragender Solist und, so nahmen eingespielt und im famosen Trio mit Wolf- türlicher Logik entsprichen. Der Zugang zum wir's wahr, als stabiler Gravitationspunkt ge- gang Muthspiel und Larry Grenadier genie- Saxophon und zum Jazz lief autodidaktisch hörte? "Eine grossartige Zeit." ssen wir seinen Ton, seine Phrasierung und und übers Ohr. Im Austausch mit Schmidlin "Spirit of the band" nannte ihn seine ganze Poesie sowohl mit dem Tenor- als und dem sieben Jahre älteren Bass, Posau- der musikalisch wie sprachlich spürsinnige auch mit dem Sopransaxophon. Auf wie vie- ne und Vibraphon spielenden Isla Eckinger, Mathias Rüegg, der Leiter des VAO, und die- len Aufnahmen insgesamt mag er als unüber- Gründer der Swing Band "Hot Mallets" und ser "spirit", Scherrers Präsenz, verlieh noch hörbar grosse Stimme präsent sein, der sonst dritter Basler im Bund, waren Platten von zen- jeder Band eine besondere Unmittelbarkeit. doch eher leise Andy Scherrer? Q traler Bedeutung. Der Saxophonist, so überra- Scherrer spielte mit Klaus Koenig und Magog, schend es klingen mag, spielte auf seiner Su- Makaya & The New Tsotsis, mit seinem Spe- che nach dem ureigenen Sound keine noch cial Sextett (Domenic Landolf, Jürg Bucher, DISKOGRAPHIE (Auswahl) so aufregenden Soli nach und kopierte nicht. Fabian Gisler, Dré Pallemaerts, featuring US- ³ Bearcat – Scherrer, Brodbeck, Gisler, Strüby, Transkriptionen gab es noch kaum. Er spielte Pianist Bill Carrothers), im Quartett mit Wil- prod. T. Gsteiger (Fontastix, 2016) auch Klavier und Hammond -Orgel und nach liam Evans, Stephan Kurmann und Jorge Ros- ³ out of the bird's eye – Andy Scherrer, William Evans, Stephan Kurmann, Jorge Rossy (TCB, 2013) der Schule in diversen Bands – bis er, inzwi- sy und auch im Donat Fisch Quartett mit Bänz ³ Drumfree – Wolfgang Muthspiel, Andy schen 27-jährig, bei Ivan Roth Saxophon stu- Oester und Norbert Pfammatter. Das Quar- Scherrer, Larry Grenadier (Material, 2011) dierte und weiter als Freelancer unterwegs tett mit Brodbeck, Fabian Gisler und Claudio ³ Happy House – Makaya Ntshoko & the New Tsotsis (Steeple Chase, 2008) war. Strüby ist sein aktuelles. In Cojazz mit Peter ³ Wrong is Right – Andy Scherrer Special Sextet 1975 begann Scherrer, an der Schmidlin, Isla Eckinger oder Stephan Kur- feat. Bill Carrothers (TCB, 2008) Swiss Jazz School in zu unterrichten: mann war Scherrer als zurückhaltender und ³ Second Step – Andy Scherrer (mit Evans/Eckinger/Pallemaerts) (TCB, 2000) Nicht bloss die Elite der Schweizer Saxo- fast nur begleitender Pianist mit Akkorden ³ Duke Ellington's Sound Of Love – phonisten wurde von ihm geprägt, in seinen ausgeprägt eigenständiger Farblichkeit und Vienna Art Orchestra (TCB, 1999) Workshop wollten alle: ein von Notenmaterial untrüglichem Timing zu hören. Die Auflistung ³ Invitation – Cojazz (Scherrer/Kurmann/ Schmidlin) feat. Ann Malcolm (TCB, 1989) befreites Ear-Training als zentrale Komponen- muss rudimentär bleiben. Von seinen weni- ³ Invitation – Cojazz (Scherrer/Kurmann/ te von Jazz und Improvisation, ganz Scherrer- gen eigenen Kompositionen erwähnt er bloss Schmidlin) feat Ann Malcolm (TCB, 1989) like und mit Fortsetzung in Basel (FHNW). "Zu die eine: "Little Man, What Now?", mit Lyrics Die Preisverleihung "Schweizer Musikpreis" dieser Zeit waren Schmidlin und ich ausser- und Stimme Ann Malcolms. Für Andy Scher- findet am 20. September 2019 im Rahmen des dem mit verschiedenen Gruppen in freier Im- rer standen eben stets die Band und die Musik Festivals ZeitRäume in Anwesenheit von Bundes- rat Alain Berset im Kunstmuseum Basel statt. provisation unterwegs. Chapter 12, die Hip- anderer im Zentrum.

helvetia.ch/wertsachen Trompete. Gestohlen. Ersetzt.