Alicia de Larrocha SWR T al ap n e i s g i

r O 1977 • • 1986 D R E E M T E R AS Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR MOZART García Navarro Klavierkonzert Nr. 22 Es-Dur KV 482 SWR Sinfonieorchester Piano Concerto No.22 E flat Major K482 Baden-Baden und Freiburg Ernest Bour BEETHOVENKlavierkonzert Nr. 3 c-Moll op. 37 LARRPiano Concerto No.3 C Minor Op. 37 Zierlich, aber kraftvoll und Auskunft zu erhalten, eventuell auch Dinge zu erfahren, die etwas abseits vom musikmedia- stets beflügelt len Allerweltsgeschehen liegen. Ich betrat Mozart und Beethoven mit der den Raum, vorsichtig, versteht sich, denn Frau spanischen Pianistin Alicia de Larrocha Larrocha arbeitete offenbar sehr konzentriert. Als sie mich in der Tür bemerkte und ich mich Es war in der Mitte der 80er-Jahre – die spani- artig vorgestellt hatte, blickte sie prüfend he- sche Pianistin Alicia de Larrocha i de la Calle rüber und begrüßte mich mit den Worten: Klavierkonzert Nr. 22 Klavierkonzert Nr. 3 gastierte bei den Salzburger Festspielen und „Wissen Sie, ich hasse eigentlich Interviews!“ Es-Dur KV 482 34:41 c-Moll op. 37 37:33 bereitete sich in einem der für Vorbereitungs- Ich bedankte mich höflich und entsprach Piano Concerto No.22 Piano Concerto No.3 zwecke geeigneten Räume im Großen Fest- ihrer Überzeugung, indem ich mich leise aus E flat Major K482 C Minor Op. 37 spielhaus vor. Mit dem Mozarteum Orchester dem kleinen Saal entfernte … 1 I Allegro 13:43 4 I Allegro con brio 17:53 Salzburg stand unter der Leitung von Hans 2 5 Graf Mozarts C-Dur-Klavierkonzert KV 503 Gut zehn Jahre später trafen wir wieder II Andante 10:09 II Largo 10:10 auf dem Matinee-Programm. Es handelte sich aufein­ander – nun unter gänzlich anderen 3 III Allegro. Rondo 10:49 6 III Rondo. Allegro 9:29 – soweit sich das aus den Dokumenten der und rundherum günstigen Bedingungen. Ali- Festspiele ersehen lässt – um das erste Auf- cia de Larrocha gehörte zu jenen Musikern, treten der berühmten Katalanin im Rahmen die auf einem kleinen Musikfestival auf fünf Radio-Sinfonieorchester Stuttgart SWR Sinfonieorchester der traditionsreichen Veranstaltung. Bemer- der neun portugiesischen Azoren-Inseln solis- des SWR | García Navarro Baden-Baden und Freiburg | kenswert spät, denn Alicia de Larrocha kon- tisch und in kammermusikalischen Verbin- DEUTSCH Ernest Bour zertierte in Spanien bereits 1929 und seit dungen gleichsam musische Bande zwischen 1947 konnte man sie auf umfangreichen zwei Kontinenten knüpften und aufrecht hiel- Aufnahme | Recording: Aufnahme | Recording: Tourneen auch außer Landes erleben. ten. Wir scherzten über unser glückloses Salz- 15.01.1986 Stuttgart, Liederhalle 17.01.1977 Baden-Baden, burger Zusammentreffen. Und in den nächs- Hans Rosbaud Studio Alicia de Larrochas seit Jahren wesentlich für ten Tagen wurde sie – sofern sie Zeit fand – den weltweiten Ruf der Pianistin mitverant- nicht müde, von den Mühen, aber auch von wortliche Schallplattenfirma Decca war da- den Glückseligkeiten eines unsteten Pianis- mals der Überzeugung, es könnte doch nütz- tenlebens zu erzählen. Ein Thema bewegte Total Time: 72:24 lich sein, die Künstlerin dem mehrheitlich an die zierliche, im Allgemeinen sehr ernst, zu- Opern interessierten Salzburger Publikum nächst fast distanziert auftretende spanische etwas näher vorzustellen. So erhielt ich von Klavierhoheit ganz besonders, nämlich der den Salzburger Nachrichten den Auftrag, mich Umgang mit Vorurteilen, die einer Musikerin Digitales Remastering der SWR-Originalbänder | Digitally remastered from the original SWR tapes am Vortag des Konzerts im erwähnten Pro- von der iberischen Halbinsel vor allem im benraum einzufinden, um von der Künstlerin deutschsprachigen Kulturraum entgegenge-

3 bracht wurden, wenn diese sich mit der Musik währte. Dabei bleibt es ja ein Vorteil, wenn nen Hände. Vielmehr gelang es ihr, auch die der Klavierkonzerte in Es-Dur KV 271 und dieser Regionen an die Öffentlichkeit wagte eine Interpretin ihre reichen Erfahrungen aus Voll- und Weitgriffigkeit etwa des d-Moll-Kon- C-Dur KV 415 überrascht hat. und sich dabei vielleicht nicht auf der glei- der Fremde einbringt, etwa mit der technisch zerts von Rachmaninoff – des berühmten chen ästhetischen Wellenlänge bewegte wie verwinkelten, vollgriffigen, explosiven und im „Dritten“ op. 30 – zu besiegen und sich damit Vielleicht wird der eine oder andere Hörer in ihre Kollegen aus Deutschland oder aus Ös- nächsten Moment schon wieder indirekt be- in einer Reihe mit den ganz Großen ihres Me- diesem Mozart-Spiel einen Hauch von katala- terreich. Es sei – so klagte sie –, als ob man leuchtenden, ja verklärenden Musik von Isaac tiers zu behaupten (London Symphony Or- nischem Stolz, eine Brise Flamenco verspüren, gegen eine musikphilologische Wand anspie- Albéniz – man denke an die Iberia-Sammlung! chestra unter André Previn – Decca LP SXL den gewissen südländischen „touch“, der ihre len würde, als ob man sich erst doppelt und Für die Analyse und dann vor allem für die 6746). Aufnahmen etwa des befreundeten Kompo- dreifach rechtfertigen müsse, falls man es klanglich-motorische Umsetzung etwa des c- nisten so nachhaltig präg- wagte, sich auf dem gleichsam ortsfremden Moll-Konzerts von Beethoven sind das wert- Zu den Werken Mozarts freilich hatte Alicia de te. Mit einem Mozart-Klavierkonzert aller- „klassischen“ und „romantischen“ Terrain zu volle Rücklagen, die Beethovens Musik von Larrocha eine innige und immer wieder aufs dings debütierte Alicia de Larrocha 1954 in betätigen. ortskundiger Enge befreien, sie als unver- Neue erprobte Beziehung. Der Mitschnitt den USA. Unter der Leitung von Alfred Wallen- gänglichen Gegenstand einer europäischen vom 15. Januar 1986 mit dem Radio-Sinfonie- stein spielte sie mit dem Los Angeles Philhar- Lobeshymnen also gab es überall, was Alica Gegenwart bestätigen. Die Studioaufnahme orchester Stuttgart unter der Leitung des spa- monic Orchestra das A-Dur-Konzert KV 488 –

H C S T U E D de Larrochas als maßstäblich gepriesene In- mit dem damaligen SWF Sinfonieorchester nischen Dirigenten García Navarro (1941– und im selben Programm auch Manuel de terpretationen der Klavierwerke von Soler, Baden-Baden unter der Leitung des kenntnis- 2001) belegt dies Takt für Takt und in den Fallas „Nächte in spanischen Gärten“. Diese Granados, Albéniz, de Falla und Mompou an- reichen, von 1964 bis 1979 die Geschicke des großzügiger gespannten Linien und Bögen. wie für sie erdachten und geschriebenen kon- belangte; leise, verhaltene, aber nicht selten Orchesters lenkenden Ernest Bour zeigt die Berührend in einer Mischung aus tonange- zertanten Stimmungsbilder waren auch Teil auch heftige Zweifel an der Kompetenz einer Pianistin von den ersten rollenden c-Moll-Ska- bender Raffinesse und rhetorischer Unge- des Konzerts mit dem Radio-Sinfonieorches- spanischen Musikerin im Hinblick etwa auf len an als Autorität im Sinne eines kämpferi- zwungenheit erklingt und vibriert das Andan- ter Stuttgart, dem der hier vorliegende Mo- DEUTSCH den „späten“ Beethoven oder den tieferen schen „Hier bin ich!“ Dem Seitenthema te des Klavierkonzerts in Es-Dur aus dem Jahr zart-Mitschnitt entnommen wurde. Sinn im angeblich Verborgenen der Mozart- sichert Alicia de Larrocha kantable Leichtig- 1785. Hier zeigt sich auch, mit welch kammer- Peter Cossé Klavierkonzerte. Alles Unsinn, sofern man keit, gleichwohl die Begleitfigur der linken musikalischer Einfühlung die Solistin auf das sich nicht von leichtfertigen, gewissermaßen Hand pulsierend im Spiel haltend. wundersame Geschehen im Bereich der Blä- „musikrassistischen“ Vorurteilen leiten und ser einzugehen vermochte, um diesen zu- betäuben lässt. Die beiden hier auf CD vorlie- Zum Zeitpunkt dieser Einspielung war Alicia gleich den Weg in Richtung sanften philhar- genden Interpretationen lassen keine Zweifel, de Larrocha 54 Jahre alt und verheiratet mit monischen Ausklingens zu weisen. Dem mit welch gestalterischer Umsicht und mit dem spanischen, 1982 verstorbenen Pianis- melancholischen Lächeln dieser konzertan- welch musikalischem Weitblick für die über- ten und Komponisten Juan Torra. Er kümmer- ten Abschiedsszene folgt ein tänzerisches, geordneten Zusammenhänge die Pianistin im te sich um die beiden Kinder Alicia und Juan, rhythmisch luftiges Allegro, dessen Verwirbe- Januar 1977 und im Januar 1986 zwei bedeu- während die Pianistin in allen wichtigen Mu- lungen und brillante Artigkeiten von einer tende Klavierkonzerte unter die Lupe nahm sikzentren konzertierte. Dabei erweiterte sie Andantino-Episode unterbrochen werden. Ein und zugleich dem Hier und Jetzt des lyrischen stetig ihr Repertoire und ihre Diskographie – dramaturgischer Kunstgriff, mit dem Mozart und dramatischen Geschehen freien Lauf ge- und dies nicht nur mit Rücksicht auf ihre klei- die Musikfreunde schon in den Finalsätzen

4 5 Delicate, yet powerful and related to the everyday happenings in the thetic wavelength as her colleagues from consider the Iberia collection! These are valu- world of music media. I entered the room – Germany or Austria. It was as if one were try- able reserves for the analysis and especially always inspired cautiously, of course – for Ms. Larrocha was ing to play to a musical-philological wall, she for the visceral performance of Beethoven’s Mozart and Beethoven with the Spanish obviously working with great concentration. lamented, as if one had to justify oneself two Concerto in C Minor, for instance, capable of pianist Alicia de Larrocha When she noticed me in the door and I cour- or three times over, should one dare to per- liberating Beethoven’s music from the narrow teously introduced myself, she peered over at form on the quasi non-local “Classical” and straits of local interpretation, confirming it as It was the mid-1980s. The Spanish pianist Ali- me and greeted me with the words, “You “Romantic” terrain. an imperishable object of a European present. cia de Larrocha i de la Calle was making a know, I actually detest interviews!” I thanked The studio recordings with the Baden-Baden guest appearance at the Salzburg Festival and her politely and complied with her conviction Hence Alicia de Larrocha’s interpretations of and Freiburg Symphony Orchestra of the SWR getting ready in one of the rooms in the Great by quietly removing myself from the small piano works by Soler, Granados, Albéniz, de broadcasting company, conducted by the Festival Hall suitable for purposes of prepara- chamber … Falla and Mompou, garnered choruses of knowledgeable Ernest Bour, who shepherded tion. The program included Mozart’s Piano praise and were even lauded as setting stand- the orchestra from 1964 to 1979, shows the Concerto in C Major, K. 503, with the Salzburg A good ten years later we met again – al­beit ards; but there were muted, even frequently pianist to be an authority in the sense of a Mozarteum Orchestra conducted by Hans this time under entirely different and alto- vehement misgivings at the competence of pugnacious “here I am!” from the first rolling

H S I L G N E Graf. As far as can be seen from the docu- gether more favorable circumstances. Alicia the Spanish musician with regard to the “late” C Minor scale onward. Alicia de Larrocha se- ments of the festival, this was the first time de Larrocha was among those musicians at a Beethoven, for instance, or the deeper mean- cures an effortless cantabile for the subsidi- the famed Catalan musician had appeared at small music festival on five of the nine islands ings allegedly hidden in Mozart’s piano con- ary theme, while yet keeping the accompany- the traditional event. Remarkably late, for Ali- of the Portuguese Azores who was, in a man- certos. Nothing but nonsense, unless one al- ing figure in the left hand vibrantly in play. cia de Larrocha had been giving concerts in ner of speaking, weaving and sustaining mu- lowed oneself to be misled and deafened by as early as 1929 and had often been on sical bonds between two continents, both as frivolous, rather “musically racist” prejudices. At the time of this recording, Alicia de Larro- ENGLISH tour abroad, as well, since 1947. a soloist and in chamber music ensembles. The two interpretations on this CD leave no cha was 54 years old and married to the Span- We jested about our unfortunate meeting in doubt of the pianist’s creative circumspection ish pianist and composer Juan Torra, who died Alicia de Larrocha’s record company, Decca, Salzburg. And in the next few days she did not and musical vision with regard to overarching in 1982. He took care of their two children, which had been one of the key factors in the tire of telling me, when­ever she found time, contexts when scrutinizing, in January 1977 Alicia and Juan, while his wife gave concerts pianist’s worldwide reputation, was at that of the struggles as well as the delights in­ and January 1986, two major piano concertos, in all major music centers. In the process, she time convinced that it could be useful to give volved in the unsettled life of a pianist. One while at the same time giving full scope to constantly expanded her repertoire and dis- the artist an opportunity to be viewed more topic especially moved the frail, generally very the here and now of the lyrical and dramatic cography – and did so by taking consideration closely by the Salzburg audience, which was serious and at first rather stand­offish Spanish phenomena. In this sense, it remains advan- not only for her small hands. Instead, she was largely interested in opera. Thus I received or- piano luminary, and that was how to deal tageous for a performer to contribute her rich able to accomplish the full, wide spans of ders from the Salzburger Nachrichten newspa- with the prejudices encountered by a musi­ experience from foreign lands, as with the such pieces as Rachmaninov’s Concerto in per to turn up at the above-mentioned re- cian from the Iberian peninsula, particular in technically contorted, full-handed music of D Minor, op. 30, the famous “Third”, and thus hearsal room on the day before the concert to German-speaking regions, whenever she Isaac Albéniz, which is often explosive but stand her ground with the greats of her pro- obtain information from the artist, perhaps dared publicly play the music of these regions then again soon returns to an indirectly illu- fession (London Symphony Orchestra, con- even to learn things which were not directly without, perhaps, keeping to the same es­ minating, even transforming, nature – just ducted by André Previn – Decca LP SXL 6746).

6 7 Of course, Alicia de Larrocha had an intimate, Perhaps a listener or two will sense in this repeatedly tried and tested relationship to performance of Mozart a hint of Catalan works by Mozart. The live recording of Janu- pride, a pinch of flamenco, a certain southern ary 15, 1986 with the Radio Symphony Or- “touch”, which was so marked in her record- chestra Stuttgart under the baton of the ings with her friend, composer Federico Mom- Spanish conductor García Navarro (1941– pou, for instance. However, Alicia de Larrocha 2001) proves this in every measure and in its also played a Mozart piano concerto at USA liberally tensed lines and arcs. The Andante of premiere in 1954. She played the Concerto in the Piano Concerto in E flat Major of 1785 re- A Major, K. 488, with the Los Angeles Philhar- sounds and vibrates touchingly with a mix- monic under Alfred Wallenstein – and in the ture of predominant refinements and same program, ’s “Nights in rhetoric­al abandon. Here, too, we see the un- Spanish Gardens”. These tone pictures, which derstanding of this soloist, schooled in play- seem to have been conceived and written just ing chamber music, for the wondrous things for her, were also part of the concert with the

H S I L G N E happening in the wind section, showing Radio Symphony Orchestra Stuttgart, from them simultaneously the way to fade out which the live recording of Mozart presented with philharmonic softness. The melancholy here was taken. smile of this concertante farewell scene is fol- Peter Cossé lowed by a dance-like, rhythmically breezy Al- legro, whose swirls and brilliant suavities are interrupted by an andantino episode. A dra- matic artifice with which Mozart had already surprised music aficionados in the final move- ments of the Piano Concertos E flat Major, K. 271, and C Major, K. 415.

Aufnahme | Recording: 1–3 15.01.1986 Stuttgart, Liederhalle; 4–6 17.01.1977 Baden-Baden, Hans Rosbaud Studio • Toningenieur | Sound Engineer: 1–3 Bernhard Bauer; 4–6 Herr Klövekorn • Tonmeister | Artistic Director: 1–3 Dietmar Wolf; 4–6 Wolfgang Wtorczyk • Digital Remastering: Gabriele Starke, Boris Kellenbenz • Ausführender Produzent | Executive Producer: Dr. Sören Meyer-Eller • Einführungstext | Program notes: Peter Cossé • Redaktion | Editing: SME • Design: Wolfgang During • Verlag | Publisher: 1–6 Breitkopf & Härtel • Übersetzung | Translation: Dr. Miguel Carazo & Associates Digitales Remastering der SWR-Originalbänder | Digitally remastered from the original SWR tapes