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HISTORISCHER ATLAS 3, 8

VON BADEN-WÜRTTEMBERG Erläuterungen

Beiwort zur Karte 3,8

Vor- und frühgeschichtliche Anlagen

1. Das römische von ALFRED RÜSCH

Anhang: Der ehemalige Königshof in Rottweil von PETER SCHMIDT-THOMÉ

2. Heuneburg von EGON GERSBACH

3. Keltische Oppida (Burgstall-Finsterlohr und Altenburg) von FRANZ FISCHER

4. Der Runde Berg bei Urach von BERND KASCHAU

Das römische Rottweil Straßburg, dem römischen Argentorate, wurde eine von ALFRED RÜSCH Straße über Offenburg durch das Kinzigtal gebaut, die am Brandsteig zwischen und Waldmössin- Das römische Rottweil verdankt seine Entstehung gen, die Höhe erreichte. Dies geschah unter Kaiser seiner außergewöhnlich guten Lage, die die Römer für Vespasian spätestens 73/74 n.Chr. durch den Feldherrn die Okkupation Südwestdeutschlands nutzten. Wir Cn. Pinarius Cornelius Clemens. Von diesem Straßen- kennen bis heute fünf oder sechs Holzkastelle, von bau ist aus Offenburg ein Meilenstein erhalten. denen eines in Stein umgebaut wurde. Neben diesen Außerdem erhielt Clemens für seinen Feldzug in Kastellen und besonders nach dem Abzug des Militärs Rom die Triumphalehren. Zur Sicherung der Straße nach Norden und Osten, entwickelte sich hier die römi- und des damit gewonnenen Gebietes wurden Kastelle sche Zivilstadt – das municipium arae flaviae. in Waldmössingen und Rottweil erbaut. Sehr wahr- In augusteischer Zeit bildete der Rhein in seinem scheinlich führte diese Straße von Rottweil weiter nach gesamten Verlauf bis zum Bodensee die Grenze gegen , wo ein Kastell der bereits bestehenden das freie Germanien. Unter dem Kaiser Claudius etwa Donaulinie vermutet wird. In einer wohl gleichzeitigen 40 n.Chr. schob sich diese bis an die Donau nach Nor- Operation stießen die Römer von Süden aus Hüfingen den vor. Zur Sicherung des neuhinzugewonnenen Rau- nach Rottweil vor und errichteten auch hier eine mes errichteten die Römer eine Kette von Kastellen in Straße. Damit bestand eine direkte Verbindung sowohl Schleitheim (Kanton Schaffhausen), Hüfingen bei von Süden vom Legionslager Vindonissa, heute Win- Donaueschingen, in Tuttlingen (?) und weiter donau- disch bei Brugg im Kanton Argau als auch von Westen 1 abwärts. vom Legionslager Straßburg – Argentorate – nach Bei schnellen Truppenbewegungen vom Rhein zur Rottweil. Der neugewonnene Platz zu beiden Seiten unteren Donau mußte jedoch immer noch der zeitrau- des Neckaroberlaufes lag damit im Schnittpunkt bende Weg rheinaufwärts über Basel, das Bodenseege- zweier wichtiger Straßen in Südwestdeutschland. Da biet und das bayerische Voralpenland genommen wer- sich von hier aus das Land nach Norden und Osten den. Um diesem Zustand abzuhelfen und gleichzeitig zwischen Schwarzwald und Schwäbischer Alb öffnete, das nach Norden und Osten offene Dreieck besser zu war Rottweil der gegebene militärische Vorort für die schützen, unternahmen die Römer einen Feldzug, des- folgenden Jahrzehnte während der römischen Okku- sen genauer Ablauf heute noch nicht bekannt ist. Von pation. Kastelle und spätere Zivilsiedlung dehnen sich in 1 SCHÖNBERGER, H.: Kastell Oberstimm. Limesforschungen 18 Rottweil rechts und links des Neckars aus. Die linke (1978). Seite, das sogenannte Nikolausfeld, besitzt durch den

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hier beginnenden Steilabfall zum im Osten und tentura – des Lagers, könnten in Kastell III auch zwei Norden einen guten Schutz. Die Kastelle auf der rechten Kohorten gelegen haben. Die Ausgrabungen sowie die Neckarseite auf dem Höhenrücken der Flur Hoch- Auswertung der Funde2 haben gezeigt, daß dieses mauren, werden im Westen vom Neckar sowie im Nor- Kastell bald nach 72/73 n.Chr. erbaut und höchstens 10 den und Osten von dessen Nebenfluß, der Prim ge- bis 15 Jahre benützt wurde. Damit steht es sicher in schützt. Zusammenhang mit dem schriftlich überlieferten Feld- zug des Cn. Pinarius Cornelius Clemens desselben Jahres. Die Kastelle Unmittelbar südlich von Kastell III auf der rechten Neckarseite lag Kastell IV. Nach den letzten Unter- Die bedeutende Stellung, die Rottweil zur Zeit der suchungen scheint dieses Lager eine Größe von über 3 Flavier bei der Okkupation Südwestdeutschlands inne- ha gehabt zu haben. Die genaue Größe läßt sich nicht hatte, erkennen wir allein aus den archäologischen mehr angeben, da die Ostseite dieses Kastelles beim Befunden, da wir von diesen Vorgängen keinerlei Bau der Eisenbahn -Singen 1875 abgetragen schriftliche Quellen besitzen. Sicher nachgewiesen sind wurde. Im Norden, Westen und Süden umgaben dieses fünf Holzkastelle, von denen eines später in Stein um- Kastell zwei Verteidigungsgräben, die an der Nord- gebaut wurde. Ein weiteres, möglicherweise das sechste westecke einen leicht stumpfen Winkel bilden. Im Os- Kastell, wurde bei den letzten Untersuchungen im ten lag vermutlich nur ein Graben. Vor dem Westtor Frühjahr 1980 gefunden. Auf dem Plan sind die Kastelle stehen die Gräben etwas versetzt gegeneinander und im I–V nur schematisch nach dem Verlauf ihrer Vertei- Norden bildet der äußere Graben eine vorgezogene digungsgräben wiedergegeben, deren Lage noch nicht Schleife. Auch Kastell IV war nur aus Holz gebaut. überall gesichert ist. Wegen des geringen Maßstabes Tore wurden noch nicht ergraben. Von seiner Befesti- wurde darauf verzichtet, die jeweiligen Befestigungen gung kennen wir nur einen hölzernen Eckturm an der und Innenbauten einzuzeichnen. Die Numerierung der Nordwestecke sowie 30 m südlich einen Zwischen- Kastelle bedeutet keine zeitliche Abfolge, sondern nur turm. Die Umwehrung bestand möglicherweise nur aus die Reihenfolge ihrer Entdeckung. Bei Größenangaben einer Rasensodenmauer, die bisher nicht nachzuweisen zu den Kastellen wird jeweils von Innenkante zu ist. Sicher zugehörige Innenbauten sind ebenfalls nicht Innenkante der Verteidigungsgräben gemessen. bekannt. Kastell III bedeckt eine Fläche von ca. 3,9 ha. Es wird Die wenigen Funde aus den unteren Schichten der von einem Verteidigungsgraben umgeben und seine eingefüllten Kastellgräben zeigen, daß dies Kastell Befestigung besteht aus einer Holz-Erde-Konstruktion. bereits in domitianischer Zeit wieder aufgegeben war. Die vier Zugänge zum Kastell wurden von je zwei Da die Gräben von Kastell III und IV so nahe beiein- Tortürmen geschützt. Türme an den Ecken und in ander liegen, können beide Kastelle kaum gleichzeitig regelmäßigen Abständen an den Seiten verstärkten die nebeneinander benutzt worden sein. Wenn sich die Befestigung zusätzlich. Straße der späteren Zivilstadt mit der Straße deckt, die Die Innenbauten dieses Lagers waren, ebenso wie die von Vindonissa und Hüfingen über Hochmauren Kas- Befestigung, aus Holz errichtet, wobei nur der mittlere tell III erreicht, müßte Kastell IV kurzfristig vor jenem und rückwärtige Teil des 1968–70 entdeckten und benützt und wieder aufgegeben worden sein. Da sich untersuchten Kastelles ausgegraben werden konnte. Der bisher zwischen den Türmen keine eigentliche Um- vordere Teil war bereits überbaut. In diesem rückwär- wehrung fand, scheint dies ein weiteres Argument zu tigen Teil, der retentura, lagen die principia, das Stabs- sein, daß dieses Lager nur sehr kurzfristig belegt war. gebäude mit Fahnenheiligtum. Nördlich und südlich der Weder aus den Kastellgräben noch von anderen Stellen principia stand je ein größeres Gebäude mit Höfen und des Lagers besitzen wir Funde, die nur vorflavisch vielfältigen Innenräumen, in denen der Ausgräber die sind. Aus diesem Grunde können wir den Baubeginn Wohngebäude, das praetorium, von je zwei Lagerkom- frühestens in die ersten Regierungsjahre Vespasians, mandanten sah. Zwischen diesen praetoria und den 3 d.h. zwischen 70 und 74 n. Chr. ansetzen. nördlichen und südlichen Umwehrungen waren keine Gebäude zu erkennen. Hinter principia und den Kastell V liegt nahezu konzentrisch innerhalb von Kastell IV und hat ebenfalls zwei Verteidigungsgrä- praetoria fanden sich zu beiden Seiten der via decumana Mannschaftsbaracken mit den Unterkünften für die 2 Soldaten. Nach der Größe des Lagers sowie den PLANCK, D.: Arae Flaviae I. Neue Forschungen zur Mannschaftsbaracken allein in der retentura muß hier Geschichte des römischen Rottweil (Forschungen und Be- eine andere und größere Truppeneinheit als eine richte zur Vor- und Frühgeschichte in Baden-Württemberg 6,1) 1975. reguläre cohors quingenaria mit 500 Mann unterge- 3 bracht gewesen sein. Berücksichtigt man den noch zur RÜSCH, A.: Arae Flaviae. Die Militärlager und die Zivilsiedlung in Rottweil am Neckar. In: Aufstieg und Nie- Verfügung stehenden Raum im Vorderteil – der prae- dergang der römischen Welt II 5, 1 (1976), S. 568 ff. Abb. 4.

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ben, die allerdings schmäler und weniger tief angelegt war. Es dürfte in dieser Zeit nur mehr Nachschub- sind. Sein Flächeninhalt beträgt höchstens 1,7 ha und zwecken gedient haben. seine Umwehrung bestand aus zwei kräftigen Holzpfo- Bei den jüngsten Grabungen im Frühjahr 1980 wur- stenreihen, die eine Holz-Erde-Umwehrung gebildet de auf dem Nikolausfeld südöstlich von Kastell II ein haben werden. Von den Innenbauten konnten Teile der Spitzgraben sowie Reste eines hölzernen Eckturmes principia, eines größeren Gebäudes südlich derselben entdeckt. Ein zweiter davor liegender Graben ist auf (Magazin oder praetorium?) und wahrscheinlich Teile dem Plan noch nicht eingetragen. Vermutlich wurde von Mannschaftsbaracken nachgewiesen werden. In hier ein weiteres, Kastell VI, angeschnitten. ihrer Konstruktion wiesen diese Holzinnenbauten eine große Ähnlichkeit mit denen von Kastell III auf. Als Besatzung käme für Kastell V, wenn wir nur von der Die Truppeneinheiten in Rottweil Fläche ausgehen, eine cohors quingenaria (= 500 Mann) in Frage, wobei die Truppeneinheit selber In Rottweil wurden bisher gestempelte Ziegel von unbekannt ist. Wegen seiner Lage innerhalb von sechs verschiedenen Truppeneinheiten gefunden. Die Kastell IV und seiner kräftigeren und dauerhafteren Ziegel mit dem Stempel Leg(io) XI C(laudia) P(ia) Umwehrung vermuten wir, daß Kastell V zeitlich zwi- F(idelis) geben uns keinen sicheren Anhalt, daß Teile schen Kastell IV und Kastell III einzuordnen ist. dieser Legion in Rottweil stationiert waren. Diese Kastell I liegt auf der linken Seite des Neckars auf Legion war von 69 bis 101/02 n.Chr. in ihrem Lager in dem Nikolausfeld an einer herausragenden Gelän- Vindonissa stationiert und belieferte von dort und deecke. Hier beginnt das Steilufer des Flusses, der an anderen Ziegeleien aus das gesamte Einflußgebiet die- dieser Stelle von Süden nach Westen umbiegt. Von ser Einheit. diesem größten Lager in Rottweil wissen wir am we- Zahlreiche Ziegel mit dem Stempel Coh(ors) I nigsten. Bekannt ist bisher nur die 340 m lange Bitur(igum) bezeugen den Aufenthalt dieser Cohorte Nordseite sowie die 230 m lange Ostseite, die eine in Rottweil. Nach den gesicherten Fundzusammenhän- leicht stumpfwinklige Ecke bilden. Sein Flächeninhalt gen aus dem 1. Jahrhundert in Rottweil und dem Auf- läßt sich zwischen einer Mindestgröße von 8 und einer enthalt der Cohorte am Wetteraulimes in Langenhain Höchstgröße von 16 ha berechnen und ist für eine ab 122 n.Chr. könnte die Cohorte bereits ab domitiani- cohors oder ala viel zu groß, für eine legio dagegen zu scher Zeit in Rottweil stationiert gewesen sein. klein. Von einer Befestigung fehlt jede Spur und auch Eine weitere Cohorte ist für Rottweil durch den die wenigen Reste der Holzinnenbebauung ergeben Stempel Coh(ors) I F(lavia), deren voller Name wohl keinen Zusammenhang. Man vermutet in diesem Lager zu Cohors I Flavia Damascenorum milliaria equitata den kurzfristigen Standplatz einer Legions-Vexillatio, sagittariorum zu ergänzen ist, nachgewiesen. Ihr Auf- die hier vielleicht in vespasianischer Zeit lag. enthalt wäre in Rottweil im letzten Jahrzehnt des 1. Im gleichen Jahr 1913, in dem auch Kastell I ent- und dem ersten Jahrzehnt des 2. Jahrhunderts n.Chr. deckt wurde, fand man innerhalb dessen die Spuren möglich. eines zweiten Lagers, Kastell II. Es besaß einen ein- Zwei Ziegel der Coh(ors) II Aq(uitanorum) Eq(ui- fachen Spitzgraben, der eine Fläche von 5,8 ha tata) C(ivium) R(omanorum) belegen diese Truppe umschloß. Wegen geringer Reste von Holzspuren be- ebenfalls für das Ende des 1. oder den Beginn des saß dieses Kastell zu Beginn wahrscheinlich nur eine 2. Jahrhunderts in Rottweil. Holz-Erde-Umwehrung. Die Konstruktion der Um- Fünf Ziegel der Coh(ors) III Dal(matarum) P(ia) wehrung sowie Türme oder Tore sind von dieser ersten F(idelis) geben den Hinweis, daß diese Truppe in Rott- Ausbauphase – vielleicht in den Regierungsjahren des weil stationiert war. Dies kann wegen ihrer bekannten Domitian – nicht bekannt. In einer zweiten Phase wur- Standorte am obergermanischen Limes nur zwischen de das Kastell in Stein umgebaut. Von diesem Stein- etwa 100 und 122 n.Chr. gewesen sein. kastell kennen wir die Umfassungsmauer sowie das Als letztes fand sich in Rottweil der Ziegel einer Nordtor. Zahlreiche Mauern innerhalb des Kastelles Cohors II Hispanorum bei Ausgrabungen in frühmit- werden wegen ihrer Bauweise, vor allem aber wegen telalterlichen Zusammenhängen. Kein Ziegel mit ihrer Orientierung, Kastell II zugeordnet. Ihre Funktion Stempel konnte in Rottweil an seiner ursprünglich ver- ist jedoch unklar. Das Steinkastell wurde, nach sekun- bauten Stelle gefunden werden. Aus diesem Grunde där verbauten Ziegeln mit Stempeln der cohors III können wir von keiner der fünf in Rottweil nachgewie- Dalmatarum in dem späteren Bad auf dem Nikolaus- senen Truppenkörper sagen, in welchem Kastell sie feld bis in die Jahre um 120 n.Chr. von Truppen tatsächlich lagen. Alle Versuche, die fünf Hilfstrup- benützt. Damit war Kastell II das letzte noch benützte peneinheiten auf die fünf oder sechs bekannten Kastell in Rottweil, als die römische Grenze gegen das Kastelle zu verteilen, müssen daher bis jetzt Speku- freie Germanien schon weit nach Norden vorge- lation bleiben. schoben Auf die römischen Kastelle wurde ausführlicher eingegangen, als dies aus dem Plan hervorgeht. Es sollte damit betont werden, welche intensive mili- tärische 3

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Aktivität die Römer an diesem Platz entwickelten. Es ist wäre außerdem ein Übergang im Bereich von Staig daher ganz natürlich, daß sich neben und in der Folge und Hochmaurenstraße auf der Höhe der »Orpheus- dieser Kastelle in Rottweil eine zivile Stadt entwickelte, Villa« sowie weiter nördlich vor und unterhalb des deren Bedeutung der der militärischen entsprochen ha- Osttores von Kastell II. ben dürfte. Aus spätvespasianischer spätestens domitianischer Zeit finden wir in Rottweil bereits die ersten zivilen Holzbauten. Wir kennen diese aus dem Bereich der Municipium Arae Flaviae »Mansio«, dem Gebiet des vorherigen Kastelles III, südlich davon zu beiden Seiten der Straße von Hüfin- Außerhalb der Kastelle entlang der römischen Straßen gen, nördlich des Forums (?) und, südlich des Bades auf Hochmauren und im Nikolausfeld fanden sich bei unter der Pelagius-Kirche an der römischen Parallel- den Ausgrabungen der letzten Jahre zahlreiche Spuren straße. Alle diese Holzbauten sind nur mehr oder weni- von Holzbauten der ersten Zivilsiedlung von Rottweil. ger bruchstückhaft bekannt, da die Untersuchungs- Der Name dieser Siedlung ist uns aus zwei schriftlichen möglichkeiten zu klein waren oder die jüngeren römi- Quellen überliefert. In der Geographie des Claudius schen Steinbauten die älteren Zusammenhänge stark Ptolemaios vom Ende des 2. Jahrhunderts n.Chr. finden gestört haben. Lediglich am Südrand der Stadt, wo nur wir die bvmo&i Flao§yioi sowie in der sogenannten einzelne kleine Holzgebäude standen (westlich der Tabula Peutingeriana, einer spätrömischen Straßenkarte Straße nach Vindonissa in der Höhe des Tempelbezir- des 4. Jahrhunderts n.Chr. zwischen den Orten kes) fanden sich zusammenhängende, jedoch noch Brigobanne – Hüfingen und Sumelocenna – Rottenburg 4 nicht vollständige Grundrisse von Holzhäusern. Diese diese Bezeichnung aris flavis – die flavischen Altäre. Gebäude waren mindestens 30 m lang und 10–12 m Die römische Zivilsiedlung in Rottweil wird mit diesen breit und mit ihrer Schmalseite zur Straße hin orien- arae flaviae identifiziert. Auf einer hölzernen Wachs- tiert. Nach den erhaltenen Resten müssen sie eine schreibtafel, die 1950 aus einem römischen Brunnen einfache Fachwerkkonstruktion über im Boden liegen- geborgen wurde, haben wir Teile einer durchgedrückten den Schwellbalken besessen haben. Während die bis- Inschrift erhalten. Hier finden sich die Worte »actum her genannten Holzhäuser auf Hochmauren, d.h. rechts municipio aris«. Damit ist für arae flaviae als einziger des Neckars, liegen, konnten in jüngster Zeit zum Stadt der römischen Provinz Obergermanien das ersten Mal gleichartige Gebäudereste auch auf dem Muncipalrecht nachgewiesen, das der Stadt ein eigenes Nikolausfeld, also auf der linken Neckarseite knapp Selbstverwaltungsrecht verlieh. Die Inschrift selbst neben der dort vermuteten römischen Straße freigelegt stammt aus dem Jahre 186 n.Chr. Wegen des Namens werden. und nach der archäologisch nachgewiesenen Bauent- Am Südrand der Stadt zeigte sich, daß diese Häuser wicklung der Stadt, kann diese den Titel municipium höchstens 50 m von der Straße aus nach rückwärts rei- nur während der Zeit des flavischen Kaiserhauses, das chen. Hinter ihnen schließen sich nur noch vereinzelt heißt zwischen 69 und 96 n.Chr. erhalten haben. kleine und leichtere Gebäude wie Schuppen oder Der Grundriß und damit das äußere Bild von arae ähnliches an. Hier wie an anderen Stellen scheinen flaviae wurden, soweit dies bis heute in den Grundzügen sich die Holzhäuser in einem schmalen Streifen an die sichtbar wird, von den römischen Straßen geprägt. Die Straße anzulehnen. Wenn diese Einblicke auch noch Hauptstraße, die von Vindonissa und Hüfingen im sehr lückenhaft sind, scheint sich in den letzten Süden Rottweil erreicht, durchzieht die Flur Hochmau- Jahrzehnten des 1. Jahrhunderts in Rottweil doch das ren zwischen Neckar und Prim. Sie ist an mehreren Bild eines sehr ausgedehnten Straßendorfes abzuzeich- Stellen nachgewiesen und kann in ihrem Verlauf als nen. gesichert gelten. Nicht so sicher, jedoch aus der Lage der römischen Gebäude sowie von einzelnen Beobach- tungen wohl zu erschließen, ist eine Straße in Verlauf Die Steinbauten der heutigen »Römerstraße«. Sie liegt etwa 100 m west- Während die Holzbauweise am Stadtrand vorherr- lich und parallel zu der erstgenannten Straße. Die schend blieb, wurden am Ende des 1. und Beginn des Straße, die Rottweil von Westen von Straßburg her 2. Jh. im Zentrum der Stadt zu beiden Seiten der erreicht, ist im Gebiet von Rottweil archäologisch nicht großen Straße zahlreiche Steingebäude errichtet. Diese nachgewiesen. Der Verlauf der heutigen »Heerstraße« wurden zum Teil seit dem Ende des 18. vor allem aber markiert diesen Straßenzug. Nicht gesichert ist ebenso im 19. und frühen 20. Jahrhundert ausgegraben. We- die Stelle des Neckarüberganges, der an der bis jetzt gen des Standes der damaligen Grabungstechnik ken- vermuteten Stelle einen steilen Abhang vom Nikolaus- nen wir von diesen Häusern oft nicht mehr als die feld zum Neckar hinab überwinden müßte. Denkbar Grundrisse. Wir wissen so gut wie nichts über ihre Entstehungszeit, mögliche Umbauten und Erneue- 4 MILLER, K.: Die Peutinger‘sche Tafel (1962) in Segment III 5. rungen oder gar ihre Funktion. Nur die Gebäude, die bei den Ausgrabungen seit 1967 freigelegt wurden, können wir besser deuten. 4

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Wir kennen in Rottweil zwei Bäder auf Hochmauren 2.Jahrhundert n.Chr. entstanden zu sein. Auffallend ist und eines im Nikolausfeld. Beim Umbau der Pelagius- die Lage dieses Tempelbezirkes am äußersten Süd- Kirche entdeckte man am Ende des letzten Jahr- ostrand der Stadt in unmittelbarer Nähe zu dem ausge- hunderts ein Bad. Von diesem konnten nur die nördlich dehnten Töpfereiviertel. Gallo-römische Umgangstem- vor der Kirche gelegenen Teile untersucht werden. Die pel sind vor allem aus ehemals keltisch besiedelten Hypokaust-Anlage des Bades ist heute über eine Türe Gebieten in Britannien, Gallien und Süddeutschland an der Nordseite der Apsis zu begehen. Außer dem bekannt; in ihnen wurden wohl nur einheimische Göt- teilweise erhaltenen Grundriß ist wenig bekannt. Im ter verehrt, doch gibt es in Rottweil keinen Hinweis auf Bad stand ein labrum, eine Brunnenschale mit warmem den Namen einer Gottheit. aufsteigendem Wasser. Da solch ein labrum auch von Nördlich der Tempel und westlich der Hauptstraße den Bädern in Hüfingen und Vindonissa bekannt ist, schließt sich ein großes Areal an, das von langen hat man für alle diese Badeanlagen den gleichen Mauern umgeben ist. In diesem Bereich wird das Architekten vermutet. Vielleicht war dieses Bad das Forum der Stadt vermutet, in dessen Mitte die flavi- Kastellbad zu Kastell III. Das Bad auf dem Nikolaus- schen Altäre gestanden haben könnten, nach denen die feld ist mit 42 x 45 m die größte Anlage in Rottweil. Stadt ihren Namen hat. Man denkt hierbei an einen Dieses Bad wurde, nachdem es 1967 ausgegraben war, ähnlichen Bezirk wie in Cambodunum, dem römischen konserviert und ist heute an der Königs-Ecke-Hölder- Kempten. Der Nachweis dieser Altäre, der für die Stadt straße in einer Grünanlage zu besichtigen. Das Bad von ganz wesentlicher Bedeutung wäre, ist bis heute gehört zu dem nördlich der Alpen geläufigen Reihen- noch nicht gelungen. typ. An der Nordseite liegen die zwei Apodyteria (Umkleideräume) und dazwischen das Frigidarium (Kaltraum) sowie die Piscina (Kaltwasserbecken). Die Villae Südlich schließen sich hieran das Tepidarium (Lau- raum) sowie das Caldarium (Warmraum) an. Diese In den Gebäudeteilen nördlich dieses vermuteten beiden letzten Räume wurden über zwei große Prae- Forums begannen im Jahre 1784 unter dem späteren furnia an der Südseite beheizt. An das östliche Apo- Rottweiler Bürgermeister Johann Baptist Hofer die dyterium wurde später ein Sudatorium (Sauna) ersten archäologischen Ausgrabungen, die sofort zur angebaut. In den Abwasserkanälen des Bades fanden Entdeckung des Sol-Mosaikes führten. Dieses Mosaik sich in sekundärer Lage die vorher erwähnten gestem- wurde erst 1915/16 bei erneuten Ausgrabungen wieder- pelten Ziegel der in Rottweil stationierten Hilfs- entdeckt. truppen. Dies bedeutet, daß das Bad erst nach dem In der »Orpheus-Villa« besitzen wir eines der größ- Ende von Kastell II erbaut worden sein kann. Ein wei- ten Gebäude in Rottweil. Es füllt den gesamten Raum terer Hinweis, daß das Bad und Kastell II nicht gleich- zwischen der Hauptstraße und der westlichen Parallel- zeitig sein können, ist ihre unterschiedliche Orientie- straße. Diese Villa trägt ihren Namen nach dem 1834 rung. Es scheint danach erst in den Jahren um 120 hier gefundenen Orpheus-Mosaik, das heute im n.Chr. erbaut worden zu sein. Das dritte Bad wurde Museum Rottweil verwahrt wird. Besonders die 1968/69 im Gebiet des ehemaligen Kastelles III ausge- Orpheus-Villa zeigt deutlich, wie problematisch die graben. Dieses 22 x 24 m große Bad gehört zur »man- Grabungen des letzten Jahrhunderts heute für uns sind. sio«, auf die weiter unten eingegangen werden soll. Dieser Gebäudekomplex wurde mehrfach und nach Nach den Funden wurde es vom Beginn des 2. bis ins damaligen Kenntnissen sorgfältig ausgegraben und 3. Jhdt. hinein benützt. dennoch besitzen wir von ihm wenig mehr als den Am Südrand der Stadt auf Hochmauren wurden zwi- Grundriß. Es gibt kaum Anhaltspunkte für seine Ent- schen 1956 und 1961 insgesamt drei sogenannte gallo- stehungszeit und wir wissen nicht, welchen Verände- römische Umgangstempel entdeckt. Die Lage und Bau- rungen er im Laufe seiner Benützung unterworfen war. weise dieser Tempel konnte leider nur sehr unzurei- Allein das hier gefundene Mosaik zeigt uns, daß dieses chend beobachtet werden. Nördlich der Primtalstraße Gebäude oder auch nur ein Teil von ihm in der Zeit um lagen die beiden kleinen quadratischen Bauten mit 9 200 n.Chr. benützt wurde. bzw. 11 m Seitenlänge. Der kleinere Tempel hatte eine Während die Orpheus-Villa mit ihrer kleinräumigen quadratische Cella mit einem weiten Umgang, während Unterteilung, Kellern und Mosaikfußboden zumindest der größere eine sehr weite Cella mit einem schmalen teilweise an ein Wohngebäude erinnert, scheint die »Umgang« an nur zwei Seiten besaß. Nahezu doppelt »Villa A« eher ein öffentliches Gebäude gewesen zu so groß, mit 20 m Seitenlänge, war der südlichere der sein. Sein rechteckiger Innenhof wird von zahlreichen drei Tempel. Seine Lage ist nicht genau bekannt. Der kleinen Räumen umgeben und auf der der Straße abge- gesamte Tempelbezirk war vermutlich von einer Mau- wandten Seite liegt eine rechteckige Apsis mit einer er umgeben, von der sich in Westen und Süden Teile Hypokaust-Heizung. erhalten haben. Die beiden kleineren Tempel scheinen Zwischen der Villa A im Süden und dem Gebiet von bereits im 1.Jahrhundert, der größere erst im

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Kastell III im Norden auf beiden Seiten der Straße sehen halb der bewohnten Städte liegen, können wir aus wir auf dem Plan eine Vielzahl kleiner und größerer deren Lage die Ausdehnung der Stadt erschließen. Ein Mauerzüge, die jedoch keinen Bauzusammenhang er- Friedhof befand sich an der Straße nach Sumelocenna kennen lassen. Hier wurden in den letzten 150 Jahren im Norden von Hochmauren und ein zweiter im nur Einzelheiten beobachtet, die heute zum Teil nicht Westen des Nikolausfeldes an der Straße nach mehr genau lokalisiert werden können. Große Teile des Argentorate – Straßburg. Diese beiden Bestattungs- römischen Stadtzentrums gingen außerdem erst in den plätze können wir nur aus einzelnen Gräbern Jahren nach 1945 verloren, als dieses Gebiet modern erschließen. Ihre genaue Lage und Ausdehnung läßt überbaut wurde. Nur ein kleiner Teil des ehemaligen sich nicht mehr feststellen, da sie wegen der modernen Zentrums ist heute noch als Forschungs-»Reservat« Bebauung nicht mehr zugänglich sind. Einzig der zwischen dem Forum (?) im Süden und der Nordwest- Friedhof im Süden an der Straße nach Vindonissa ist ecke der Kastelle IV und V erhalten. heute noch zu großen Teilen erhalten und wird zur Zeit Die nördlichsten Gebäude auf Hochmauren befinden ausgegraben. Die Funde aus diesen Brandgräbern sich in dem Areal des früheren Kastelles III. Während zeigen, daß er vom Ende des 1. und im gesamten westlich der Straße von Hüfingen nur einzelne unzu- 2.Jhdt. n.Chr. benützt wurde. Ein Bestattungsplatz für sammenhängende Mauern bekannt geworden sind, die Zeit der frühesten militärischen und zivilen Nieder- konnten auf der Ostseite drei vollständige Gebäude frei- lassung ist bis jetzt noch nicht bekannt. gelegt werden: Die Villa C, ein kleines Bad sowie ein Auf dem Gesamtplan der römischen Stadt sind langes Haus mit je 10 Räumen beiderseits eines Mittel- Kastelle, Holz- und Steingebäude, Straßen sowie ganges. Dieses letzte Gebäude deutet man als Magazin, andere Einzelbefunde eingetragen. Daneben finden an das im Norden noch ein Wohntrakt angebaut war. sich zahlreiche römische Fundstellen (+), die sehr un- Alle diese Bauten werden einer Mansio – einer Stra- genau beobachtet sind. Sie liegen vor allem auf dem ßenstation – zugerechnet. Ein Ensemble solcher Gebäu- Nikolausfeld und zeigen, wie weit sich die Stadt auch detypen am Stadtrand in verkehrsgünstiger Lage ist auf der linken Neckarseite ausgedehnt hat. Gerade hier charakteristisch für eine römische Straßenstation.5 kennen wir wenige Bauten, da das Gebiet im Mittelal- Das Zentrum der Stadt auf Hochmauren ist von zahl- ter stark verändert wurde. Der westliche Friedhof gibt reichen Handwerksbetrieben umgeben. Wir kennen drei darum einen weiteren Anhaltspunkt, wieweit sich die Töpfereibetriebe: Im Gebiet von Kastell V und im Süden Stadt nach Westen ausgedehnt haben wird. Nach dem der Stadt zu beiden Seiten der Straße nach Vindonissa. jetzigen Wissensstand tritt dieser Stadtcharakter Eine dritte Töpferei lag vermutlich nördlich des Forums besonders in der Flur »Hochmauren« auf der rechten (?). Außerdem besitzen wir Anhaltspunkte für eisen-, Neckarseite hervor. Diese Stadt, das municipium arae bronze- und silberverarbeitende Betriebe. In den Holz- flaviae, war vom Ende des 1. bis ins 2.Jhdt. und viel- bauten am Südrand der Stadt saßen unter anderem leicht darüber hinaus bis an ihr Ende eine der bedeu- vielleicht auch Handwerker, die Horn verarbeiteten, da tendsten römischen Städte in Südwestdeutschland. Im sich hier ungewöhnlich viele Rinderhornzapfen fanden. Gefolge mehrerer Kastelle entstand in Rottweil eine Daneben scheint hier ein Fälscher gesessen zu haben, Stadt, die auch während ihrer Blütezeit ihre Herkunft der römische Denare nachgoß. In Steinbrüchen und aus einer Straßensiedlung nicht verleugnen konnte. Die Kalkbrennöfen unmittelbar östlich des Neckars hat man Geschichte des municipiums endet erst mit den Einfäl- das Baumaterial für die Steingebäude gewonnen. Ein len der Alamanen in den Jahren zwischen 233 und 260 Steingebäude von mehr als 90 x 60 m Grundfläche über n.Chr. den ehemaligen Ecken der Kastelle IV und V beher- bergte wohl nebeneinander Fabrikations- und Verkaufs- räume für Keramik- und Eisenerzeugnisse. Die Wasserversorgung der Stadt stammt zum großen Anhang Teil aus Holz- und Steinbrunnen. Außerdem kennen wir Teile von hölzernen Wasserleitungen, nicht dagegen Der ehemalige Königshof in Rottweil von Steinwasserleitungen oder gar Aquaedukte. Für die PETER SCHMIDT-THOME; Entwässerung sorgten zahlreiche offene Gräbchen oder gemauerte Kanäle. Auf welche Weise die Bäder ihren Das Gebiet des sogenannten Königshofes in Wasserbedarf deckten, ist nicht bekannt. Rottweil erstreckt sich auf dem westlichen Hochufer Drei Friedhöfe mit Brandbestattungen kennen wir des Neckar, im Bereich der Rottweiler Mittelstadt. Um aus Rottweil. Da römische Friedhöfe immer nur außer- die Jahrhundertwende war auf große Strecken, insbesondere im Westen, Norden und Osten der 5 Verlauf von Wall und Graben noch deutlich zu RÜSCH, A.: Fundberichte aus Baden-Württemberg 3, 1977, 443ff. erkennen. Heute ist er vollständig verschwunden. Auch sind nur noch geringe zusammenhängende Flä- chen des ehemals umfriedeten Areals nicht überbaut. Abgesehen von den seit über 6

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hundert Jahren immer wieder aufgenommenen archäo- Aussagen zurückgreifen zu können. Erstmals im Zu- logischen Untersuchungen auf dem Nikolausfeld, die sammenhang mit den Grabungen auf dem Nikolausfeld der Erforschung des römischen Rottweil dienten, fan- 1967 wurden auch planmäßige Aufzeichnungen über den im Königshofgebiet insbesondere nach 1945 nur die nichtrömischen Befunde angefertigt. Hinzu kom- notdürftige Baustellenuntersuchungen statt. Erstmals men die meist unter sehr ungünstigen Bedingungen 1975–1979 wurde am südöstlichen Rand in unmittel- entstandenen Fundberichte des ehrenamtlichen Kreis- barer Nachbarschaft der Pürschgerichtslinde eine plan- denkmalpflegers R. STRÖBEL in den Jahren seit ca. mäßige Ausgrabung unter nicht primär römischen 1946. Die Ausgrabungen des Landesdenkmalamtes in Gesichtspunkten durchgeführt. den Jahren 1975–1979 in unmittelbarer Nachbarschaft Das Königshofgebiet, wie es bis um die Jahrhundert- der Pürschgerichtslinde waren der erste Versuch einer wende von dem Wall umgrenzt war, umfaßt eine planmäßigen Erforschung des nichtrömischen Königs- Fläche von ca. 35 Hektar bei einer Länge bis zu 800 m hofgebietes. und einer Breite zwischen 400 und 500 m. Nur wenige Gebäude sind vor der Mitte des 19.Jh. entstanden. Sie liegen in unmittelbarer Nachbarschaft der Pürschge- Archäologische Befunde richtslinde. Eines davon, 1953 durch Brand zerstört, trug nachweislich um 1800 die Bezeichnung »Kö- Aufgrund der vorliegenden Untersuchungen lassen nigshof». sich folgende vorläufige Schlüsse zur Bedeutung des Die etwa von Ost nach West verlaufende Heerstraße, Rottweiler Königshofes ziehen. Neben den Kastell- die das Gebiet in zwei ungleiche Hälften teilt, wird tra- und Zivilanlagen im Bereich des Nikolausfeldes wurde ditionell mit dem Verlauf der Römerstraße gleichge- auch im Süden des Königshofgebietes eine römische setzt. Zivilbesiedlung nachgewiesen. Einzelne charakteristische Fundstücke stehen in Zu- sammenhang mit Baubefunden einer völkerwande- Quellenlage rungszeitlichen Siedlung des späten 4.–6.Jahrhunderts. Ein zweiter, offenbar ohne Unterbrechung aus dem Die erste Nennung des Königshofes geht in das 8.Jh. ersten hervorgehender Siedlungshorizont zeigt eine zurück und ist erstmals belegt in der ältesten Gallus- ausgedehntere Siedlung der Reihengräberzeit an. Vita in einem um das Jahr 771 zu datierenden Nachtrag, Spätestens diese war durch eine Holz-Erde-Befestigung wo es heißt: de uicinatu rotuuilla fisco publico. Dies ist umfriedet, welche jedoch nicht mit der ehedem großen zugleich der früheste Beleg für den Namen Rottweils. Wallanlage identisch ist. Die Nennung wiederholt sich in unterschiedlichen Im Verlauf des 9. Jh. wurde das Gebiet offenbar Schreibweisen in der um 820 entstandenen Gallus-Vita nach Aufgabe der älteren Siedlung neu überbaut. Es des Wettinus und in der des Walahfrid Strabo um 833/ entstand eine Siedlung mit Gewerbe- und Wirtschafts- 34. Daneben wurde 789 in rotunuilla, sub Ratolfo betrieben, die in unmittelbarer Beziehung zu einem comite ein Verkauf beurkundet; der Graf Ratolf in repräsentativen Gebäudekomplex unmittelbar nördlich Rottweil hatte offenbar übergeordnete Befugnisse der Pürschgerichtslinde stand. Offenbar handelt es sich (JÄNICHEN). Der Begriff »Königshof« als Umschrei- hier um den Kernbereich des Königshofes mit den bung eines bestimmten Gebietes hält sich in Rottweiler zugehörigen Versorgungseinrichtungen. Urkunden bis ins späte Mittelalter. Am 30. Januar 1348 Erst ein neuerlicher Ausbau zu Beginn des 11.Jh. gibt König Karl IV. den Königshof der Reichsstadt scheint sich, wenn auch in lockerer Streuung über das Rottweil zu Lehen. Ebenfalls mit dem Königshof eng gesamte Gebiet erstreckt zu haben. In diese Ausbau- verbunden ist das von 1146/47 bis 1418 bei der Pürsch- phase kann nun auch der bis um 1900 noch sichtbare gerichtslinde tagende Rottweiler Hofgericht. Wall gesetzt werden. Der repräsentative Gebäudekom- plex bei der Pürschgerichtslinde bestand weiter und bil- dete offenbar noch immer den Kern der Anlage. Forschungslage Nach einer bis in das beginnende 12.Jh. reichenden Blütezeit der mittlerweile wohl stadtartigen Anlage Die ältere wissenschaftliche Beschäftigung mit dem bricht die Besiedlung des Königshofgebietes schlagar- Königshof geschah ausschließlich im Zusammenhang tig fast vollständig ab. Der Kernbereich wurde durch mit der Erforschung des römischen und vorrömischen Feuer zerstört. Zwar wurde er erneut wiederhergestellt Rottweil. Erst der verdiente Rottweiler Heimatforscher und offenbar bis ins späte Mittelalter genutzt. Auch fin- A. STEINHAUSER beschäftigte sich mit dem Königshof- den sich verstreut über das ganze Gebiet häufiger spät- gebiet in nachrömischer Zeit eingehender. Ferner geht und auch nachmittelalterliche Keramik und gelegentli- natürlich die oben angeführte Quellenforschung zur che Siedlungsspuren. Es kann sich jedoch nur noch um Rottweiler Stadtgeschichte immer wieder auf die Frage verstreute Einzelanwesen gehandelt haben. Offenkun- der Deutung ein, ohne jedoch auf klare archäologische dig steht die Aufgabe des Königshofgebietes als ge-

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schlossene Siedlung in unmittelbarem und ursächlichem Böschung in ein Tälchen ab. Eine noch heute benutz- Zusammenhang mit der Gründung des mittelalterlichen bare Furt durch die Donau um 60 m überragend, Rottweil an seinem heutigen Platz. beherrschte der Burgberg weithin die Flußniederung mit der wichtigen Fernverbindung, die vermutlich durch den Verlauf der Römerstraße auf dem breiten Quellen und Literatur hochwasserfreien Kiesrücken inmitten des Tales nach- Vita Galli confessoris triplex. In: MGH SS rer. merov. 4.1902, gezeichnet wird. S. 229–337. Die Anfänge der Heuneburg als Wehranlage lassen JÄNICHEN, H.: und Huntari. In: Grundfragen der alemanni- sich bisher noch nicht sicher festlegen. Die ältesten schen Geschichte (Vorträge und Forschungen I) 1955. Befestigungswerke, ein mächtiger Spitzgraben und Urkundenbuch der Stadt Rottweil 1, bearb. von H.GÜNTHER eine dahinter liegende auffallend schwache Holz-Erde- (Württ. Geschichtsquellen 3) 1896. Mauer, sind durch die Ausgrabungen erst punktuell er- GRUBE, G.: Die Verfassung des Rottweiler Hofgerichts (Veröf- schlossen, doch läßt sich ihr mutmaßlicher Verlauf fentlichungen d. Kommission f. geschichtl. Landeskunde in einigermaßen zuverlässig rekonstruieren. Die Umweh- B.-W. B 55) 1969. rung setzte vermutlich an der Steilflanke im Süd- MAURER, H.: Rottweil und die Herzöge von Schwaben. Zu den hochmittelalterlichen Grundlagen des Rottweiler Hofgerichts. westen an und riegelte die Landbrücke in gerader In: ZRG Germ. Abt. 85 (1968) S. 59–77. Flucht ab. Dann folgte sie dem bogenförmigen Verlauf STEINHAUSER, A.: Der fränkische Königshof in Rottweil. In: des oberen Böschungsrandes des Burgbergs bis zum ZWLG 4 (1942) S. 251–261. Nordostsporn, querte diesen und endete schließlich am —: Zur Rottweiler Gründungsfrage. In: ZWLG 9 (1949/50) donauseitigen Steilhang. Die äußerste Bergspitze war S. 95–109. nicht in die Befestigung einbezogen, die schon von HECHT, W.: Der Rottweiler Königshof im Spätmittelalter. In: Natur hervorragend geschützte Ost- und Südseite des Deutsche Königspfalzen. Beiträge zu ihrer historischen und Burgbergs blieben ohne zusätzliche Sicherungen. Eine archäologischen Erforschung 3 (Veröffentlichung des Max- Innenbebauung ist möglich, doch bisher nicht nachge- Planck-Instituts für Geschichte 11/3; noch nicht erschienen). KLAPPAUF, L.: Die Grabungen in den Jahren 1975 und 1976 auf wiesen. Die Führung und Bauweise der Umwehrung dem Gebiet des ehemaligen Königshofes in Rottweil. In: erinnern an endneolithische Erdwerke, zeitlich ent- Forschungen und Berichte der Archäologie des Mittelalters in sprechende Funde fehlen, die Frage befestigte Sied- Baden-Württemberg 6 (1979) S. 97–111. lung oder Fluchtburg muß daher offen bleiben. —: Zum Abschluß der Grabungen auf dem Rottweiler Königshof. Zu Beginn der Mittelbronzezeit (16.Jh. v.Chr.) ent- In: Rottweiler Heimatblätter. – Beilage zum Schwarzwälder stand über den einplanierten Ruinen eine ungleich stär- Volksfreund Nr. 6 (1979) 40. Jg. ker bewehrte Anlage. Ihre Hauptverteidigungsfront im Demnächst wird von L. KLAPPAUF über die Ausgrabung im Westen wurde durch Aufschütten eines Erddammes Rottweiler Königshof eine Freiburger Dissertation vorgelegt werden. von mehr als 20 m Basisbreite um nahezu 4 m zum STRÖBEL, R.: Fundanzeigen in: Fundberichte aus Schwaben NF Vorland überhöht. Seine Führung, einer Bauklammer 18/II (1967). Die zahlreichen Berichte von STRÖBEL in der nicht unähnlich, ist aus der heutigen Topographie noch örtlichen Presse bei PLANK, Arae Flaviae. ersichtlich. Über dieses mächtige Erdwerk führte die in der einheimischen Blockwerktechnik aus Holz aufge- führte Ringmauer hinweg. Auf den übrigen Seiten Heuneburg folgte sie, den NO-Sporn ausgenommen, der vorgege- benen Geländekontur. Knapp 60 m burgeinwärts ver- von EGON GERSBACH lief parallel zum Mauerdamm ein tiefer Sohlgraben. Er scheint auf beiden Seiten nicht in die Bergflanken Die Heuneburg liegt knapp 30 km donauabwärts von gemündet, sondern schon vorher aufgehört zu haben. am Westrand einer fruchtbaren Becken- Über die verbliebenen Erdbrücken waren die ungleich landschaft, welche der Fluß nach seinem Durchbruch großen Befestigungshälften miteinander verbunden, so durch das Kalkgebirge der Schwäbischen Alb zwischen daß sie fortifikatorisch eine Einheit bildeten. Auch gibt Scheer und Riedlingen geschaffen hat. Der im Umriß es Anhaltspunkte dafür, daß nur wenig westlich der birnförmige Burgberg stellt heute eine von SW nach NO nördlichen Verbindungsstelle ein Tor den Mauerring schwach geneigte Tafel dar. Dieses knapp 3 ha große durchbrochen hat. Ein anderes könnte am oberen Ende Hochplateau ist aber erst im Zuge der Urbarmachung eines zur Furt hinabführenden Tälchens gelegen und der Ruinenstätte vermutlich im 14.Jahrhundert durch so eine direkte Verbindung zum Fernweg in der Fluß- Abtragung der Kuppe der zur Donau vorspringenden niederung ermöglicht haben. In beiden Befestigungs- Bergzunge entstanden. Diese war im Westen durch eine hälften war die Bebauung mit Pfosten- und Block- etwa 110 m breite leicht eingesattelte Landbrücke mit werkhäusern auf einen schmalen Streifen unmittelbar dem kuppigen Altmoränenland verbunden. Sie fiel im hinter der Umwehrung beschränkt. Die beiden weit- Süden und zur Donau hin mit ziemlich steilen Flanken, läufigen Innenräume sind anscheinend von jeder Über- nach Norden aber mit relativ flacher bauung freigehalten worden, wohl als Fluchtraum für die

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EGON GERSBACH / HEUNEBURG 3,8

Bevölkerung jenes Landstriches, dessen politischen Allerdings wird die topographische Darstellung der und wirtschaftlichen Mittelpunkt diese bedeutende einzelnen Bauzustände durch umfangreiche Zerstörun- Wehranlage gebildet hat; vermutlich bis zum Beginn gen, die mit der Aufschüttung der vier »Fürstenhügel« der frühen Urnenfelderzeit (12.Jh. v.Chr.). Funde der der jüngeren Burgherren-Nekropole verbunden waren, jüngeren Urnenfelderzeit deuten an, daß die Burg im 9. nahezu unmöglich gemacht. und 8. Jh. v. Chr. noch einmal, vielleicht nur kurz- Nach der Einäscherung der Burg und der aus glei- fristig, instandgesetzt und befestigt gewesen ist, doch chem Anlaß erfolgten Brandschatzung der offenen ist es bisher nicht gelungen, diesem Zeitabschnitt ein Tochtersiedlung bricht die Belegung der ältesten eigenes Befestigungssystem zuzuweisen. Nekropole der früheisenzeitlichen Heuneburg unver- Ihren nächsten und wohl stärksten Ausbau erfuhr mittelt ab. Für den Hohmichele, dem mit knapp 14 m die Heuneburg zu Beginn der späten Hallstattzeit um höchsten »Fürstengrabhügel« Mitteleuropas, in dessen die Wende des 7.Jh. v. Chr. Sie wurde der Sitz einer zentraler Holzkammer wohl zu Recht das leider zeitge- »fürstlichen« Grundherrschaft wohl keltischer Her- nössisch ausgeraubte Grab des Gründers der Heune- kunft. Eine zweizeilige Kastenmauer der gleichen burg vermutet wird, ist dies sicher bezeugt. Und für die einheimischen Bauart wie ihre bronzezeitliche anderen um diesen gewaltigen Grabhügel gescharten Vorgängerin umgürtete einen Innenraum, der zumin- kleineren Tumuli läßt sich dieser Vorgang trotz des dest im Südosten in eingezäunte Hofstätten eingeteilt noch unzureichenden Forschungsstandes zumindest war. Ähnliches deutet sich für die offene Ansiedlung recht wahrscheinlich machen. Dies trifft ebenso auf an, die auf einem flachen Moränenrücken im nordwest- zwei weitere monumentale »Fürstenhügel« zu, den lichen Vorland mit der Burg zugleich entstanden ist Lehenbühl und Rauhen Lehen, die im älteren Abschnitt und diese an Ausdehnung offenbar noch übertroffen der früheisenzeitlichen Burg im weiteren Umkreis in hat (auf der Karte rot gepunktet). In beiden Ansied- beherrschender Lage aufgeschüttet wurden. Daß lungen gibt es vielfältige Belege für das Bronzehand- zwischen beiden Ereignissen ein ursächlicher Zusam- werk. Es ist zu vermuten, daß auf der Burg noch wei- menhang besteht, ist ziemlich wahrscheinlich. Unter tere Handwerksbetriebe angesiedelt waren und auch dieser allerdings noch unbewiesenen Voraussetzung die Oberschicht dort wohnte. liegt daher die Vermutung nahe, daß die Zerstörung der Wahrscheinlich vor der Mitte des 6.Jh. v.Chr. wur- stark südländisch geprägten Burg zugleich die Ent- de die Burg von Grund auf umgestaltet. Man ersetzte machtung des eingesessenen Geschlechts bedeutete, die traditionelle Holz-Erde-Umwehrung durch eine und daß der ohne archäologisch faßbaren Zeitun- Lehmziegelmauer auf Steinsockel, wie sie von grie- terschied erfolgte Wiederaufbau sich unter einer ande- chischen Stadtbefestigungen bekannt, nördlich der Al- ren Herrschaft vollzog. In dieselbe Richtung deutet das pen aber einzigartig ist. Eine Abdeckung aus Holz bot Abbrechen der Belegung der bestehenden Begräbnis- zuverlässigen Schutz gegen das feuchte nordalpine stätten und die Anlage einer neuen Nekropole auf dem Klima. Auf den von Natur weniger geschützten Strek- Gelände der mit der Burg zugleich niedergebrannten kenabschnitten war die Mauer dicht mit Rechteck- Außensiedlung (grün). Die verschiedentlich zu finden- türmen besetzt (rot); auch darin ein Spiegelbild der de Auffassung, einer der Burgherren der »Gründerdy- griechischen Befestigungsarchitektur, doch wird die nastie« habe sich auf dem Platz seines eigens Repräsentation ebenfalls eine gewisse Rolle bei dieser eingeäscherten Anwesens in der Außensiedlung unter eindrucksvollen Turmfront gespielt haben. An ver- dem zweiten Hügel von rechts (Hg.4) begraben lassen, kehrstechnisch günstigen Stellen im Nordwesten und ist nicht mehr aufrecht zu erhalten; denn in dieser auf der Donauseite wurde der Mauerring von Toren Nekropole hat die Oberschicht offensichtlich erst nach unterbrochen. Er umschloß einen Innenraum, der, dem Fall der mit einer Lehmziegelmauer umgürteten soweit jetzt schon erkennbar ist, wohl in Quartiere mit Burg bis zur endgültigen Zerstörung der früheisenzeit- spezifischer Funktion eingeteilt war. Von diesen wurde lichen Heuneburg bestattet. Ein Besitzerwechsel würde einzig das ziemlich regelmäßig angelegte Viertel der zudem einleuchtend begründen, warum weder die erste Bronzegießer und Metallhandwerker, das in der SO- Neuanlage noch die zahlreichen nachfolgenden Bur- Ecke südlich des zum Donautor führenden Hauptweges genbauten mediterrane Einflüsse erkennen lassen, ob- angesiedelt war, auf dem Grundrißplan zur Darstellung schon von den Herrschenden Kontakte zum westlichen gebracht (rot). Obwohl die Innenbebauung im Laufe Mittelmeerraum wieder aufgenommen wurden. eines halben Jahrhunderts mehrfach vollständig erneu- Die Ringmauern wurden ohne Ausnahme in der tra- ert wurde, ist die Grundtendenz der Bebauungsplanung ditionellen Holzbauweise eine über der andern errich- anscheinend stets die gleiche geblieben bis zur Zer- tet. Sie besaßen neuerdings ein stützendes Pfostenge- störung der Burg nach einer Belagerung vermutlich um rüst und Fronten, die mit trocken aufgesetzten Bruch- 500 v.Chr. steinen verblendet waren, ob von Anfang an, muß of- Für die offene Ansiedlung im nordwestlichen Vor- fen bleiben. Wie zuvor wurden die geschickt dem land gibt es ebenfalls feste Anhaltspunkte nicht nur für Gelände angepaßten Mauerzüge von zwei Toren unter- eine ähnlich dichte Überbauung, sondern auch dafür, brochen: im Nordwesten infolge einer veränderten daß ihre Entwicklung wie auf der Burg verlaufen ist. äußeren Weg-

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zuführung nunmehr nahe der NW-Ecke etwa in Höhe Kreuzbühl im weiteren Vorfeld der Befestigung, in der Tore der frühmittelalterlichen Burg (blau); auf der welchem sich deren Funktion widerspiegeln könnte, Flußseite zunächst an dem alten von Natur begünstigten weil eine Verbindung mit dem Ort Hundersingen (mit Standort, später an einer offenbar weiter nördlich gele- Pfarrkirche St. Martin) nicht in Betracht kommt, ist genen Stelle. noch nicht untersucht. Daher werden von der For- Obwohl der Bearbeitungsstand endgültige Aussagen schung vor allem zwei Möglichkeiten diskutiert: Zum noch nicht zuläßt und umfangreiche jüngere Störungen einen könnte die Wehranlage aus dem Schutzbedürfnis das Bild zusätzlich beeinträchtigen, scheint soviel einer adligen Familie heraus entstanden sein; ob als sicher, daß das ummauerte Areal zumindest im Süden in fester Sitz oder als Refugium für einen Herrenhof, für Hofstätten eingeteilt war. Diese waren mit z.T. unge- dessen Standort sich der Sporn des Talhofs der Burg wöhnlich großen Gebäuden, darunter ein dreischiffiges gerade gegenüber anbieten würde, ist offen. Zum Hallenhaus, überbaut und durch Zäune gegeneinander andern könnte die Wiederbefestigung auf eine Maß- abgegrenzt. Die Pfosten-, Ständer- und Schwellriegel- nahme der fränkischen Reichsgewalt im Zusammen- bauten waren häufig von Traufgräben umgeben, doch hang mit der Einrichtung der Alb-Donau-Huntaren fehlte ein systematisch angelegtes Entwässerungsnetz zurückzuführen sein, deren Aufgabe u.a. in der Siche- wie zu Zeiten der Lehmziegelmauer. Die Frage, welcher rung der für die fränkische Herrschaft lebenswichtigen Teil des weitläufigen Innenraumes der herrschenden Fernstraßen gesehen wird. Eine Auffassung, die im Schicht, welcher den übrigen Burgbewohnern vor- Südwesten durch archäologische Befunde zunehmend behalten war und ob die einmal innegehabten Areale bis gestützt wird. Zieht man die Funde von Waffen und zum gewaltsamen Ende der Heuneburg unverändert Teilen der Reiterausrüstung von der Burg zur Beurtei- geblieben sind, ist aus den genannten Gründen noch lung heran, spricht einiges für einen solchen Zusam- nicht zu beantworten. Wann die früheisenzeitliche Burg menhang. Die merowingerzeitliche Heuneburg wäre endgültig zerstört worden ist, wird in der Forschung dann am ehesten als militärischer Stützpunkt der Cen- kontrovers diskutiert, doch sprechen nicht zuletzt bau- tene Eritgau anzusprechen, die seit dem 9.Jahrhundert geschichtliche Erwägungen für einen Zeitpunkt um oder nach einem Amtsgrafen auch Goldineshuntare genannt bald nach 400 v. Chr. Dabei geht man davon aus, daß wurde. das gewaltsame Ende der Heuneburg nicht auf eine Von einer sicher vorauszusetzenden Holz-Erde- lokale Ursache, sondern vermutlich auf dieselben Umwehrung haben sich aus den nun schon öfter machtpolitischen Umwälzungen zurückzuführen ist, die genannten Gründen keine, von einem mächtigen Sohl- zur Zerstörung der Adelsburgen und »Fürstensitze« in graben dagegen deutliche Spuren erhalten. Er um- einer weiten Zone nordwärts der Alpen geführt haben. schloß den Fuß des Burgberges von Steilufer zu Steil- Der Untergang dieser Mittelpunkte lokaler und terri- ufer der Donau, auf dem Westabschnitt im Zuge der torialer Herrschaft bildet den Auftakt zu den keltischen beiden inneren Stränge des späteren Grabensystems Wanderungen die Donau abwärts und nach Italien. (blau). Der Zugang zur Befestigung wird nahe der Im 1.Jh. v.Chr. scheint die beherrschende Lage über NW-Ecke vermutet, wo Tore des frühen Mittelalters der alten Donausüdstraße, die sicherlich nichts von ihrer nachgewiesen sind, die sich einer genaueren zeitlichen früheren Bedeutung verloren hatte, erneut Anlaß zur Be- Zuweisung noch entziehen. In welcher Form der In- festigung des Burgberges gewesen zu sein. Mögli- nenraum überbaut war, ist unklar, zumindest einige der cherweise ist eine Umwehrung aus dieser Zeit noch in verstreut festgestellten Grubenhäuser gehören erst der Spuren zu fassen, die Innenbebauung aber der Urbar- nachfolgenden Befestigungsperiode an. machung der Ruinenstätte zum Opfer gefallen. Gleiches Zur Abwehr der Ungarneinfälle im 10.Jahrhundert dürfte auf Einrichtungen wohl eher militärischen als wurde die (noch instandgehaltene?) Wehranlage auf zivilen Charakters (Villa rustica) des ausgehenden 1. der Hauptangriffseite durch ein in die Tiefe gestaffeltes und 2.Jahrhunderts n.Chr. zutreffen, über deren Umfang gewaltiges Spitzgrabensystem (blau) und durch künst- wir nichts wissen. Auch diese nur kurzfristige Belegung liche Versteilung der Burgflanken verstärkt. Auch muß des Burgberges in der römischen Kaiserzeit wird am sie damals durch Angliederung einer kleinräumigen ehesten im Zusammenhang mit dem Ausbau der wich- Vorburg nach Westen erweitert worden sein, deren tigen Fernstraße in der Flußniederung zu sehen sein. Befestigungswerke – ein mächtiger Erdwall mit vorge- Spätestens seit dem 7.Jahrhundert muß die Heune- legtem Graben – etwa 1838 bis auf einen Wallrest im burg noch einmal für längere Zeit eine Rolle als befe- Nordwesten eingeebnet worden sind; ihr ursprüngli- stigter Platz gespielt haben. Die historischen Vorgänge, cher Verlauf ist noch nicht bekannt. Gleichfalls ver- die zu ihrer Wiederbelebung in der Merowingerzeit ge- schwunden ist die zweifellos vorauszusetzende Umfas- führt haben, sind noch schwer durchschaubar; es gibt zu sungsmauer der Hauptburg; nachgewiesen, obschon wenige feste Punkte, an die man anknüpfen kann. Und vermutlich nur in Resten, eine Innenbebauung mit ein- ein merowingerzeitlicher Begräbnisplatz auf dem getieften Häusern. Danach könnte es sich um die mit Wohngebäuden ausgestattete, ständig bewachte Flucht- burg des Eritgaues gehandelt haben, ausgebaut

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FRANZ FISCHER / KELTISCHE OPPIDA 3,8

und unterhalten von dem für die Grafschaft zuständi- GERSBACH, E.: Das Osttor (Donautor) der Heuneburg bei gen Grafenhaus. Hundersingen (Donau). In: Germania 54 (1976) S. 17ff. Anfang des 11.Jahrhunderts erfährt die Heuneburg DERS.: Zu Beginn und Funktion der Heuneburg bei Hunder- ihren letzten Ausbau zu einer dreiteiligen Anlage durch singen a.d. Donau (Kreis Sigmaringen) in der Merowinger- Abriegelung der SO-Ecke mit Sohlgraben und Holz- zeit. In: Festschr. Walter Drack (1977) S. 129 ff. Erde-Mauer. Dem Mauerbau mußten drei Gruben- häuser weichen. Über sie wurde die Zweipfostenmauer bogenförmig von Burgflanke zu Burgflanke hinwegge- Keltische Oppida führt, im Scheitel und im Nordosten von Toren unter- brochen. Im Innern der Eckbefestigung wurden ledig- (Burgstall-Finsterlohr und Altenburg) lich drei Grubenhäuser festgestellt, darunter ein Web- von FRANZ FISCHER haus, wie es in dieser Größe nur von königlichen Pfal- zen bekannt ist, aber kein Wohngebäude für die Herr- In Mittel- und Westeuropa gehören die Ruinen kelti- schaft. Dieses wird demnach ebenerdig errichtet wor- scher Oppida zu den eindrucksvollsten Denkmälern den sein. In der Verkleinerung des bewohnten Burgare- aus der Zeit kurz vor dem Beginn der römischen Herr- als auf eine Größe, die gerade für eine Familie mit schaft unter Caesar und Augustus. Sie bezeugen eine Gefolge ausreichend war, zeichnet sich eine Entwick- Entwicklung nicht nur des Siedlungswesens, sondern lung ab, die zur stark befestigten Dynastenburg zumeist auch der wirtschaftlichen, sozialen und politischen in Höhenlage führte, nach der sich der Adel fortan Organisation des Keltentums, die als spezielles Phäno- nannte. Dieses Stadium scheint auf der Heuneburg men der Stadtentstehung aus einheimischer Wurzel noch nicht erreicht, als der letzte archäologisch faßbare besonderes Interesse beansprucht. Bauabschnitt irgendwann nach der Mitte des 11.Jahr- Wenn wir diese Siedlungen »Oppida« nennen, grei- hunderts zu Ende ging. Es tritt uns in der benachbarten fen wir unmittelbar auf die Beschreibungen gallischer und gleichfalls wie die Heuneburg hoch über dem Fluß »Städte« zurück, die C. Iulius Caesar in seinen gelegenen, aber dichter an die Hauptfurt durch die Commentarii de bello Gallico (58 bis 50 v.Chr.) Donau herangerückten Baumburg entgegen, für die gegeben hat. Wir lassen den lateinischen Begriff 1090 in Dieterich von Buinburc Hochadel oder ein unübersetzt, weil er – grundsätzlich einen befestigten edelfreies Geschlecht bezeugt ist. Es würde überall im Platz bezeichnend – im Gegensatz zu der »Stadt« in Südwesten zu beobachtenden Vorgängen entsprechen, unserem gegenwärtigen Verständnis nichts über die wenn diese Turmhügelburg die Nachfolge der Heune- Rechtsstellung der so benannten Siedlung aussagt; burg angetreten hätte. diese Zurückhaltung ist geboten, weil weder Caesar noch andere antike Autoren erkennen lassen, ob die Quellen und Literatur: Oppida eine von den principes und nobiles, die die 2 GOESSLER, P.: Beschreibung des Oberamts Riedlingen, 1923 Politik beherrschten, auch nur in Ansätzen unabhän- S. 204 ff. gige Selbstverwaltung besaßen und damit trotz ihrer BITTEL, K. – RIETH, A.: Die Heuneburg an der oberen Donau, Einbindung in den jeweiligen Stammes- oder Gauver- ein frühkeltischer Fürstensitz (1951). band von spürbarem Eigengewicht waren. Sicher ist DEHN, W.: Die Heuneburg beim Talhof unweit Riedlingen (Kr. immerhin, daß wenigstens die bedeutenderen Oppida Saulgau). In: Fundber. aus Schwaben N.F. 14 (1957) S. 78 ff. im mittleren Gallien Versammlungsplätze der Stam- DERS.: Die Heuneburg an der oberen Donau und ihre Wehran- mesmagistrate waren, so daß sich an ihren Besitz auch lagen. In: Neue Ausgrabungen in Deutschland (V. Internat. die Herrschaft über den zugehörigen Verband knüpfte; Kongreß f. Vor- und Frühgeschichte Hamburg 1958) S.127ff. SCHIEK, S.: Vorbericht über die Ausgrabung des vierten Fürsten- dies erklärt, warum Caesar auf die Besetzung, notfalls grabhügels bei der Heuneburg. In: Germania 37 (1959) Eroberung gallischer Oppida so viel Mühe verwendet S. 117 ff. hat. Nicht ohne Grund hat er die wirtschaftliche Be- RIEK, G.: Der Hohmichele, ein Fürstengrabhügel der späten deutung dieser festen Plätze mehr als einmal hervor- Hallstattzeit bei der Heuneburg (Römisch-Germanische For- gehoben; er fand dort nicht nur eine zahlreiche und schungen 25) 1962. auch leistungsfähige Handwerkerschaft vor – moderne KIMMIG, W.–GERSBACH, E.: Die neuen Ausgrabungen auf der Ausgrabungen haben das an vielen Orten bestätigt –, Heuneburg. In: Germania 44 (1966) S. 102 ff. sondern auch umfangreiche Stapelplätze aller erdenk- KIMMIG, W.: Die Heuneburg an der oberen Donau (Führer zu vor- und frühgeschichtlichen Denkmälern in Württemberg lichen Waren und Güter. Die Oppida waren also zu- und Hohenzollern 1) 1968. gleich Handelsplätze. Dem entspricht auch, daß die KIMMIG, W. – GERSBACH, E.: Die Grabungen auf der Heuneburg archäologischen Zeugnisse für die einheimische, kel- 1966–1969. In: Germania 49 (1971) S. 21 ff. tische Münzprägung fast ganz auf die Oppida be- GERSBACH, E.: Die mittelbronzezeitlichen Wehranlagen der schränkt sind. Dieses Bild darf freilich nicht unbesehen Heuneburg bei Hundersingen a.d. Donau. In: Arch. verallgemeinert werden; denn neben den großen, Korrespondenzbl. 3 (1973) S. 417 ff. namentlich bekannten Oppida hat es eine Fülle auch KIMMIG, W.: Die Heuneburg an der oberen Donau. In: kleinerer und offenbar weniger wichtiger Plätze dieser Ausgrabungen in Deutschland, gefördert von der Deutschen Art gegeben. Geschichte und Bedeutung des ein- Forschungsgemeinschaft 1950–1975. Teil 1 (1975) S. 192ff. 11

3,8 FRANZ FISCHER / KELTISCHE OPPIDA

zelnen Oppidums lassen sich daher, besonders wenn Altenburg-Rheinau am Hochrhein mit einer Ausgra- keinerlei Überlieferung vorliegt, nur mit Hilfe einer bung im Innenraum angegangen wurde; Tarodunum bei möglichst umfassenden archäologischen Untersuchung Kirchzarten und Burgstall bei Finsterlohr haben bisher erkennen. so gut wie keine, das Heidengraben-Oppidum auf der Das Interesse an den keltischen Oppida ist ausgegan- Schwäbischen Alb nur so geringfügige Siedlungsspuren gen von den bis in die Renaissance zurückreichenden ergeben, daß die Frage gestellt werden konnte, ob es Bemühungen, die in der antiken Überlieferung bezeug- sich vielleicht nicht doch nur um Refugien, das heißt ten Orte zu lokalisieren. Die archäologische Erfor- um ad hoc errichtete Zufluchtsstätten ohne Dauerbe- schung dagegen hat erst sehr viel später eingesetzt. siedlung handle. Indessen bleibt abzuwarten, ob sich Beide Wege wurden verständlicherweise zuerst dort dieser Eindruck bei künftigen Sondierungen der Innen- beschritten, wo die keltischen Oppida in der frühen räume bestätigt. Die kleineren, erst kürzlich erkannten Landesgeschichte eine betonte Rolle gespielt haben – in Oppida auf dem Breisacher Münsterberg und auf dem Frankreich. Der kräftigste Impuls zu ihrer archäologi- Limberg bei Obersasbach im nordwestlichen Vorge- schen Untersuchung ist Napoleon III. zu verdanken, der lände des Kaiserstuhls sind bisher nur vorläufig veröf- zur Vorbereitung seiner viel beachteten »Histoire de fentlicht. Nach wie vor umstritten sind die gelegentlich Jules César« (1865/66) die Erforschung nicht nur der als Oppida in Anspruch genommenen Befestigungsan- wichtigeren Schlachtfelder seines Helden im Mit- lagen auf dem Heiligenberg bei und dem Ipf telmeergebiet, sondern auch der bedeutenderen galli- bei Bopfingen am Westrand des Rieses. Angesichts der schen »Städte« anregte oder gar unmittelbar durchfüh- spärlichen Überlieferung über Zustände und Völkerbe- ren ließ. Lag dabei in Gergovia (nahe Clermont- wegungen in Südwestdeutschland während der letzten Ferrand, Dép. Puy-de-Dôme) und in Alesia (heute Alise- Jahrhunderte vor dem Beginn der römischen Besetzung Sainte-Reine, Dép. Côte-d‘Or), aber auch in an Rhein und Donau ist der Forschungsstand jedenfalls Uxellodunum (Puy d‘Issolud bei Vayrac an der immer noch höchst unbefriedigend. Ein kurzer Über- Dordogne, Dép. Lot) das Hauptinteresse bei den römi- blick wird das deutlich zeigen. schen Belagerungswerken, so konnten G. Bulliot und Die große Befestigung bei Kirchzarten östlich von später sein Neffe J. Déchelette auf dem Mont Beuvray im Breisgau ist zuerst 1818 von Julius Leicht- in den Monts de Morvan, dem antiken Bibracte, len mit dem in der »Geographie« des Ptolemaios (II ausgedehnte Reste einer in Quartiere gegliederten, stadt- 11,15) genannten Tarodunum identifiziert worden, artigen Siedlung inmitten einer 135 Hektar Fläche nachdem Lorenz Oken 1815 den zwingenden sprachge- einschließenden Befestigung nachweisen. Dieses Bild schichtlichen Zusammenhang mit den Ortsnamen Zar- von Bibracte hat die Vorstellung von Gestalt, Funktion ten und Kirchzarten auf Grund einer St. Galler Urkunde und Bedeutung des keltischen Oppidums schlechthin für von 765, die von Zarduna und von marcha Zar- lange Zeit geprägt. Heute wissen wir jedoch, daß es dunensis spricht, nachgewiesen hatte. Die 6 km lange, bestenfalls für die frühen und mittleren Regierungsjahre ein Gebiet von 190 Hektar umschließende Befestigung des Augustus, das heißt für die Zeit vor der Verlegung liegt auf einer diluvialen Schotterterrasse im Osten des der gesamten Siedlung nach dem neugegründeten Zartener Talkessels und nutzt deren bis 15 m hohe, Augustodunum (Autun, Dép. Saône-et-Loire) im Jahre 5 offenbar künstlich geböschte Ränder über den Wiesen- v.Chr. zutrifft, also nur sehr bedingt für die Zeit Caesars gründen der beiden Dreisam-Quellflüsse: Wagensteig- – um von früheren Jahrzehnten ganz zu schweigen – bach im Norden und Rot- oder Höllbach im Süden. Im gelten kann und schon gar nicht verallgemeinert werden Südosten, wo sich die Terrasse talaufwärts fortsetzt, darf. schneidet eine geradlinige, in der Mitte stumpf abge- Die von Napoleon III. inaugurierten Untersuchungen winkelte Befestigung (»Heidengraben«) das geschützte der bekanntesten gallischen Oppida haben auch die Er- Gelände vom Hinterland ab (Abb. 1). Zwei Untersu- forschung ähnlicher, längst bekannter Anlagen in Süd- chungen an der südlichen Flanke ergaben eine aus gro- und Westdeutschland stimuliert. Sie begann vereinzelt ßen Geröllen trocken aufgesetzte, mächtige Steinfront, schon vor 1900 im weiteren Zusammenhang mit den hinter der – nur noch zum Teil erhalten – ein rampen- zahlreichen Untersuchungen römischer Militäranlagen, förmiger Damm aus Erde ohne jeden Einbau ange- nicht zuletzt des Limes und seiner Kastelle, blieb aber schüttet war. An der Knickstelle des »Heidengrabens« bis nach dem 2. Weltkrieg auf kleinere Sondierungen haben E.Fabricius und F.Leonhard 1901 die Reste eines der Befestigungen beschränkt. Mit der 1955 von wahrscheinlich zangenförmigen Tores aufgedeckt; in W.Krämer begonnenen weiträumigen Untersuchung des der anschließenden Befestigung fanden sich einige der Oppidums von Manching bei Ingolstadt wurde erstmals typischen, bis zu 30 cm langen vierkantigen Eisen- versucht, eine solche Großsiedlung weiträumig durch nägel, wie sie in Gallien fast regelmäßig in Befesti- Ausgrabung zu untersuchen. Dies hat zu Ausgrabungen gungen, die nach der Beschreibung Caesars (b. G. 7,23) auch in anderen keltischen Oppida angeregt. In Süd- errichtet waren, angetroffen wurden. Die wenigen, in westdeutschland ist der Forschungsstand zur Zeit vor Torgasse und Grabenkopf zutage gekommenen spätla- allem dadurch bestimmt, daß von den vier großen kel- tènezeitlichen Tongefäßfragmente sind bis heute die tischen Oppida bisher nur das von

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einzigen, freilich auch unmißverständlichen Zeugen Schlitze darbieten –, gegen die ein heute noch bis 5 m einer unmittelbar vorrömischen Erbauung der ganzen hoher Kieswall geschüttet wurde; Front und Wall Anlage geblieben. Eine schärfere zeitliche Bestimmung waren mit hölzernen Querankern verbunden. Die Front ergibt sich daraus aber leider nicht. Da Tarodunum in ist, nachdem sie offenbar durch Verrottung hölzerner der römischen Kaiserzeit als Oppidum nicht weiter- Teile schadhaft geworden war, durch Vorblenden einer geführt wurde, muß Ptolemaios den Namen einer zweiten Mauer gleicher Konstruktion repariert worden; frühen, nicht mehr eruierbaren Quelle entnommen wenn man die Ergebnisse der auf 20 m beschränkten haben, die diesen typischen Oppidum-Namen mit Untersuchung verallgemeinern dürfte, wäre zu sagen, der -dunum-Endung nannte. daß auch diese Frontmauer auf natürliche Weise ver- Das Oppidum von Altenburg-Rheinau am Hoch- fallen ist. Die ursprüngliche Front des Walls am Rhein- rhein ist auf beiden Ufern des Stroms in einer großen auer »Keltengraben« ist von etwas anderer, wenn auch Doppelschleife wenig unterhalb des Rheinfalls ange- verwandter Konstruktion. – Von einem inzwischen legt. Die vom Fluß gebildeten Halbinseln bei Alten- verschollenen Scherbenfund in Rheinau abgesehen, burg (Gemeinde Jestetten, Landkreis ) und liegen Siedlungsspuren bisher nur aus dem Gebiet Rheinau (Bezirk Andelfingen, Kanton Zürich) werden wenig östlich der »Schanz« bei Altenburg vor; sie durch Befestigungen, die seit dem 16.Jahrhundert lite- wurden seit 1930 durch eine Kiesgrube angeschnitten rarisch bezeugt sind, von ihrem jeweiligen Hinterland und stehen seit 1972 in systematischer Untersuchung. abgeschnitten: bei Altenburg durch den über 750 m Noch ist das erfaßte Areal zu klein, um den Bebau- langen Wall »Schanz«, auf den sich der Ortsname ungsplan erkennen zu können. Dagegen erlauben es die beziehen dürfte, bei Rheinau durch den sogenannten sehr zahlreichen Funde, die Besiedlungsdauer für die »Keltengraben«, der freilich sicher mittelalterlich über- Zeit vom frühen 1.Jahrhundert v.Chr. bis ungefähr zum formt ist und dessen stadtseitiger Wall bis 1840 die Jahre 15 v.Chr. zu bestimmen, in dem die beiden Stadtmauer von Rheinau getragen hat. Tore sind weder jungen Stiefsöhne des Augustus, Tiberius und Drusus, im einen noch im anderen Fall bekannt. Die »Schanz« die Alpenvölker zwischen Brenner und Großem bei Altenburg besaß ursprünglich eine aus gewaltigen St. Bernhard und das nördliche Voralpenland bis zur Holzpfosten mit trocken aufgemauerten Lücken Donau unterwarfen. Speisegeschirr und Weinampho- konstruierte Front – eine sogenannte Pfostenschlitz- ren aus Italien, aber auch aus dem südlichen Gallien front, weil sich im Ausgrabungszustand die Pfosten- und aus Katalonien bezeugen lücken wie große 13

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ebenso wie eine bronzene Siegelkapsel intensive Han- vorgeschlagene Identifizierung mit dem in der »Geo- delsbeziehungen nach dem Süden, deren Masse wahr- graphie« des Ptolemaios (II 11,15) erwähnten Riusi- scheinlich über die westschweizerischen Seen, Aare und ava, das sonst mit dem römischen Rißtissen gleich- Rhein nach dem Norden gelangte. In den Glas- und gesetzt wird, ist bisher ohne Widerhall geblieben. Metallwerkstätten am Ort wurden offenbar vornehmlich Das Oppidum Burgstall bei Finsterlohr (Gemeinde einheimische Rohstoffe verarbeitet, außerdem auch Creglingen, Main-Tauber-Kreis) liegt auf einer ins Münzen geprägt; unter den mehr als 70 keltischen Taubertal vorspringenden und von einem kleinen Sei- Stücken befinden sich 41 Silbermünzen, dazu tritt ein tental eingeengten Hochfläche, die im Südwesten römischer Denar, ein serratus aus dem frühen 1.Jh. durch zwei mächtige Wälle mit breiten Bermen und v.Chr. Diese Funde belegen deutlich die Lage an der tiefen Gräben gesichert wird; die Befestigung, die Grenze zwischen dem Helvetiergebiet und dem vin- einen Raum von 123,5 Hektar umschließt, ist rundum delikischen Alpenvorland in Allgäu und Oberbayern, geführt. Dicht an der Nordwestecke befindet sich ein aber auch die Bedeutung als Handels- und Umschlag- typisches Zangentor mit 31 m langer Torgasse, in de- platz an einem in vorrömischer Zeit viel benutzten ren innerstem, deutlich verengtem Drittel zwei doppel- Rheinübergang. Der antike Name des Oppidums ist un- flügelige Verschlüsse nachgewiesen wurden. Im In- bekannt. Seine Auflassung dürfte mit dem Alpenfeld- nenwall der Südwestfront steckt eine Pfostenschlitz- zug, spätestens mit den anschließenden Maßnahmen zur front, die gleiche Konstruktion wurde am Ostrand militärischen Sicherung der neugewonnenen Gebiete zu- festgestellt; die rampenförmige Hinterschüttung enthält sammenhängen, das Schicksal seiner Bewohner bleibt hölzerne Queranker, ist aber nach den Untersuchungen dunkel. am Straßendurchbruch nahe der Südwestecke schon Das Oppidum »Heidengraben« bei Grabenstetten auf auf kurzer Strecke unterschiedlich konstruiert. In der der Schwäbischen Alb bei Urach (Abb. 2) ist mit über Torgasse wurden spätlatènezeitliche Scherben gefun- 1660 Hektar Fläche die größte Befestigungsanlage ihrer den, der Innenraum blieb trotz vielfacher Nachsuche Zeit in Mitteleuropa; freilich bezieht sich diese Di- bisher so gut wie fundleer, ohne daß freilich eine mension nur auf die äußeren Befestigungslinien, die im Ausgrabung stattgefunden hätte. Die relative Häufig- Nordwesten und Norden die Aufgänge aus den benach- keit sogenannter »glatter Regenbogenschüsselchen« im barten Tälern, im Süden den Zugang von der Albhoch- Umkreis dieses Oppidums ist als Hinweis auf eine hier fläche her abriegeln. Die bisher nur aus wenigen Indi- ansässige Prägestätte interpretiert worden – ob mit zien postulierbare Siedlung wird dagegen von einer Recht, bleibt abzuwarten. Auffallend ist die Häufigkeit eigens hierfür angelegten inneren Befestigung, die einen der in der Umgebung beobachteten Spuren kleinerer Raum von 153 Hektar umschließt, besonders geschützt Siedlungen der jüngeren Latènezeit, die sonst in der (sogenannte Elsachstadt westlich von Grabenstetten). unmittelbaren Nachbarschaft eines Oppidums eher Wie sich diese verschiedenen Linien zeitlich zueinander auszubleiben pflegen. Da die spärlichen Funde aus verhalten, wie besonders die Verdoppelung der gegen dem Tor keine genauere, die erwähnten Münzen viel- Süden abschirmenden Anlagen mitten durch Graben- leicht eine Datierung um oder kurz nach 100 v.Chr. an- stetten und 1000 m südlich des Ortes zu deuten ist, läßt deuten, wird man einen Zusammenhang mit diesen der Befund allein nicht erkennen. Die Übereinstimmung kleineren Siedlungen im Auge behalten müssen. Der in zwischen äußerer und innerer Linie in der Konstruktion der Torgasse angetroffene Brandschutt wird als Hin- der Mauern – ausschließlich Pfostenschlitzfront – und weis auf kriegerische Ereignisse zu verstehen sein, in der Tore – durchweg, so weit erhalten, liegen welchen das Oppidum sein Ende gefunden haben Zangentore vor – legt aber die Vermutung nahe, daß dürfte. beide Linien wenigstens zeitweise nebeneinander in Den hier nur grob skizzierten Forschungsstand auf Funktion waren; wahrscheinlich entsprangen sie beide dem Hintergrund der spärlichen antiken Überlieferung einer einzigen Planung und sind entsprechend als zu verstehen ist zur Zeit noch kaum möglich. Man einheitliches Werk aufzufassen. Die bisher spärlichen wird hierbei aber immer von der räumlichen Zugehö- Funde, fast durchweg Aufsammlungen, stammen mit rigkeit im Einzelfall ausgehen müssen. Tarodunum, geringen Ausnahmen aus dem Gebiet der Elsachstadt. der mons Brisiacus (Münsterberg von Breisach) und Besondere Beachtung verdienen die hier und im der Limberg bei Obersasbach sind auf die Oberrhein- Umkreis relativ häufigen keltischen Münzen mit einem Ebene und damit auf Gallien bezogen, mit dem damals hohen Anteil an goldenen »Regenbogenschüsselchen«. kaum, jedenfalls wenig durchlässigen Schwarzwald im Leider geben diese Funde alle bisher nur wenig für die Rücken, und werden entsprechend einzuordnen sein. genauere Datierung des Oppidums aus. Zwar hat die Altenburg-Rheinau hängt unmittelbar mit dem Sied- Spanne zwischen den Kimbernkriegen (113–101 v.Chr.) lungsgebiet der Helvetier in der Schweiz nördlich der und den gallischen Feldzügen Caesars (58–50 v.Chr.) Alpen zusammen, sein Ende scheint ganz durch das einige Wahrscheinlichkeit für sich, ist aber keineswegs Vordringen Roms in das nördliche Voralpenland be- zureichend sicher. Der antike Name des Oppidums ist stimmt zu sein. Die Oppida Heidengraben bei Graben- nicht bekannt; die 1924 von P.Reinecke stetten und Burgstall bei Finsterlohr gehören wiederum einer anderen Region an, wenn sie denn überhaupt zusammen 14

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Fundberichte aus Baden-Württemberg, Bd. 6

Abb. 4 Der Heidengraben bei Grabenstetten (Archäologische Einträge F.FISCHER). Ausschnitt aus TK 1 : 50 000, Blatt L 7522, mit Ge- nehmigung des Landesvermessungsamtes Baden-Württemberg.

Archäologische Karte des Oppidums Heidengraben

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gesehen werden dürfen. Ihre Entstehung freilich zeigt Burgstall bei Finsterlohr noch einen Zustand politischer Stabilität an, wie er in BITTEL, K.: Das keltische Oppidum bei Finsterlohr. Württem- der Zeit Caesars in diesem Raum schon nicht mehr si- bergisch Franken N.F. 24/25, 1949/50, S. 69–86. cher vorausgesetzt werden darf. Ob die Aufgabe des ZÜRN, H.: Grabungen im Oppidum von Finsterlohr. Fundbe- einen oder des anderen, ob gar beider Oppida in irgend richte aus Baden-Württemberg 3, 1977, S. 231–264. einem Zusammenhang mit dem hier noch immer nur nebelhaften Auftreten von frühen Germanen – ob der Breisach-Münsterberg (mons Brisiacus) Name Ariovist hier genannt werden darf, ist keineswegs BENDER, H.: Neuere Untersuchungen auf dem Münsterberg in sicher – stehen könnte, darüber können nach Lage der Breisach (1966–1975) 1. Die vorrömische Zeit. Archäolo- Dinge nur sorgfältig geplante, großzügige Untersu- gisches Korrespondenzblatt 6, 1976, S. 213–224. chungen der einzelnen Plätze Aufschluß geben. Sicher ist zur Zeit nur, daß der Heidengraben und das Oppi- Limberg bei Obersasbach dum von Finsterlohr bei der römischen Besetzung des FINGERLIN, G.: Keltenstadt und Römerlager: Der Limberg bei Neckarlandes und beim Vorschieben der Grenze bis Sasbach. Archäologische Nachrichten aus Baden 10 (1973) zum äußeren Limes längst verlassen waren. S. 5–9; 15 (1975) S. 9–15; 16 (1976) S. 8.

Heiligenberg bei Heidelberg (?)

Literatur MILOJCIC, V.: Der Heiligenberg bei Heidelberg. In: Führer zu vor- und frühgeschichtlichen Denkmälern 3: - Allgemeines Odenwald-Lorsch-Ladenburg (1965) S. 175–181. WEHNER, J.: Die Bedeutung des Städtewesens für die Kulturent- wicklung des frühen Keltentums. Die Welt als Geschichte 4, Ipf bei Bopfingen (?) 1939, S. 380–390. DEHN, W.: Vor- und frühgeschichtliche Bodendenkmale aus DEHN, W.: Die gallischen »Oppida« bei Cäsar. Saalburg-Jahrbuch dem Ries. Jahrbuch des Historischen Vereins für Nördlingen 10, 1951, S. 36–49. und das Ries 23, 1950, S. 5–52, besonders 15f. FISCHER, F.: Die keltischen Oppida Südwestdeutschlands und ihre historische Situation. Archeologické rozhledy 23, 1971, S. 417–431. DEHN, W.: »Mediolanum«. Lagetypen spätkeltischer Oppida. In: Der Runde Berg bei Urach Studien aus Alteuropa 2 (1965) S. 117–128. von BERND KASCHAU SCHAEFF U. und TAYLOR A. K.: Spätkeltische Oppida im Raum nördlich der Alpen. In: Ausgrabungen in Deutschland Westlich der Urach liegt in einem Seitental des gefördert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft 1950– Flüßchens Erms der durch zwei Seitenbäche aus der 1975 (1975) 3, S. 322–327. Schwäbischen Alb herauserodierte »Runde Berg«. CHRIST, K.: Antike Münzfunde Südwestdeutschlands. Vestigia 3 Seine Kuppe erhebt sich etwa 250 m über das (1960). Schwemmtal. Bis in das 18.Jahrhundert wurde er als »Hohenburg« bezeichnet. Trotz einer ausgedehnten Tarodunum Talbasis trägt der Runde Berg ein lediglich 300 m FISCHER, F.: Beiträge zur Kenntnis von Tarodunum. Badische langes und bis zu 50 m breites, länglich tropfen- Fundberichte 22, 1962, S. 37–49. förmiges Gipfelplateau, das ringsherum in einen Steil- KLEIBER, W.: Zwischen Antike und Mittelalter. Das Kontinuitäts- hang mit beträchtlichem Gefälle übergeht. Verbunden problem in Südwestdeutschland im Lichte der Sprachge- schichtsforschung. Frühmittelalterliche Studien 7, 1973, ist es mit der Albhochfläche nach Südwesten durch S. 27–52. einen bis zu 3 m breiten Grat mit beiderseitigem Steilabfall, über den der einzig mögliche Fahrweg und Altenburg-Rheinau bequeme Zugang führt. Im Südosten des Berghanges befinden sich, etwa auf FISCHER, F.: Das Oppidum von Altenburg-Rheinau. Germania 44, 1966, S. 286–312. halber Höhe zwischen Kuppe und Talsohle, zwei FISCHER, F.: Untersuchungen im spätkeltischen Oppidum von Al- Hangterrassen, deren untere an Ausdehnung die Fläche tenburg-Rheinau. In: Ausgrabungen in Deutschland gefördert des Gipfelplateaus wesentlich übertrifft und zudem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft 1950–1975 eine Wasserstelle aufweist (Terrasse III). Die darüber- (1975) 1, S. 312–323. liegende (Terrasse II) ist in ihrem Ausmaß bedeutend ALLEN, D.F.: The Coins from the Oppidum of Altenburg and the kleiner. Bushel Series. Germania 56, 1978, S. 190–229. Vom Gipfelplateau führt der Weg in südlicher Rich- tung auf den Albaufstieg »Fohlensteige«, dessen Name Heidengraben bei Grabenstetten aus jüngerer Zeit stammt. Über diesen Weg gelangt FISCHER, F.: Der Heidengraben bei Grabenstetten, ein keltisches man auf die Albhochfläche zum Gelände des im Oppidum auf der Schwäbischen Alb bei Urach. Führer zu ar- 19.Jahrhundert abgegangenen »Rutschenhofes« (Ter- chäologischen Denkmälern in Württemberg und Hohenzollern 2 rasse IV). Dort befindet sich eine Quelle auf dem 2 (1979). Grund einer Doline.

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Vor allem auf dem Gipfelplateau und am und unter- lage wurde noch nicht festgestellt, möglicherweise halb seines Randes wurden seit dem 19.Jahrhundert befand sie sich im Nordwesten dieser Befestigung. Die Oberflächenfunde gemacht und kleinere Sondagen Datierung der Doppelpfostenreihe in den Beginn der durchgeführt. Auch die Terrassen II–III und das Rut- frühalemannischen Zeit ergibt sich aus den Funden aus schenhofgelände erbrachten Funde, die zeitlich mit den Pfostenlöchern. Diese enthalten, von Störungen denen von der Kuppe übereinstimmen. aus jüngeren Siedlungsperioden abgesehen, lediglich Seit dem Jahre 1967 wurden jährlich planmäßige Funde der vorgeschichtlichen Siedlungsphasen. Die Ausgrabungen, bisher ausschließlich auf dem Gipfel- Anlage muß also erbaut worden sein, als noch keine plateau (Terrasse I), durchgeführt. Bis zum Jahre 1979 alemannischen Funde in den Boden und damit auch in wurden systematisch etwa 9000 qm untersucht. das Verfüllungsmaterial für die Pfostenlöcher gelangt Die Funde belegen, daß der Runde Berg seit der waren. Am Sporn des Gipfelplateaus wurde ein in den Jungsteinzeit begangen wurde. Eine dauernde Besied- gewachsenen Felsen eingetiefter Palisadengraben lung in dieser Zeit wurde nicht nachgewiesen. Die (Befestigung 1) aufgefunden, der die Doppelpfosten- Funde und Befunde aus der Zeit des Übergangs von der reihe stellenweise überschneidet oder parallel zu ihr frühen zur mittleren Bronzezeit häufen sich derartig, verläuft. Die Funde aus der Verfüllung datieren diesen daß man nun mit einer dauernden Besiedlung rechnen Graben in einen späteren Zeitabschnitt als den der kann (um 1700 v.Chr.). Doppelpfostenreihe. Die erste länger währende und den Großteil des Gip- Über die Bebauung des Plateaus, das zahlreiche felplateaus bedeckende Besiedlung ist erst für die Ur- Pfostengruben innerhalb und außerhalb der Doppelpfo- nenfelderzeit nachweisbar, vor allem für die späten stenanlage aufweist, ist beim derzeitigen Stand der Stufen. Bei dem derzeitigen Stand der Bearbeitung ist Aufarbeitung von Fundmaterial und Befunden noch noch nicht festzulegen, welche Baubefunde der Urnen- keine endgültige Aussage möglich. Auf dem von der felderzeit zuzuweisen sind. Vorerst belegen nur die Doppelreihe eingeschlossenen Areal ist jedoch eine zahlreichen Feuerstellen in ungestörten Schichten, deutliche Häufung der spätrömischen, aus dem datiert durch große Mengen urnenfelderzeitlicher linksrheinischen Gebiet importierten Drehscheibenke- Keramik und Kleinfunde, sowie zahlreiche Fragmente ramik festzustellen, während außerhalb der Anlage, im von Hüttenbewurf eine dauernde Besiedlung. Die Feu- westlichen Teil des Gipfelplateaus, der Anteil der erstellen liegen an der Abbruchkante des Gipfelpla- handgemachten, quarzgemagerten Keramik überwiegt. teaus zum Steilhang. Da von der Kuppe immer wieder Im frühen 6.Jahrhundert findet die alemannische der Schutt der Vorsiedler hangabwärts verlagert wurde, Besiedlung auf der Kuppe ein jähes und gewaltsames ist anzunehmen, daß sich die urnenfelderzeitliche Ende, worauf verbrannte Kleinfunde und die Hort- Besiedlung nicht nur entlang der Hangkante, sondern funde vom Steilhang unterhalb des Plateaus, die sämt- auch über den gesamten Innenraum des Plateaus lich in diese Zeitspanne datiert werden können, hin- erstreckte (um 1200 v.Chr.). weisen. Zeugnisse aus der Hallstatt- und Latène-Zeit fehlen Nach einer etwa 150 Jahre andauernden Siedlungs- auf dem Runden Berg völlig. Erst aus der frühen und lücke zeugen Funde von einer Wiederbesiedlung des mittleren römischen Kaiserzeit kennen wir vereinzelte Berges ab der Mitte des 7.Jahrhunderts. Im 8.Jahr- Streufunde, sowohl von der Kuppe wie auch von den hundert bricht sie wieder ab, um im 9./10.Jahrhundert Hangterrassen und dem Rutschenhofgelände, die von nochmals aufzuleben. Gewiß ist die Belegung bis in gelegentlicher Begehung des Berges sprechen oder in die erste Hälfte des 10.Jahrhunderts, wie es neben späterer Zeit in die Siedlung heraufgebracht wurden. Kleinfunden auch eine Münze von Ludwig dem Kinde Im späten 3.Jahrhundert, nach dem Untergang der anzeigt. Allerdings ist ein genaues Siedlungsenddatum römischen Herrschaft im rechtsrheinischen Gebiet, wegen der schwierigen Datierungsmöglichkeit des beginnt eine intensive Besiedlung auf dem Runden Fundmaterials dieser Zeit noch nicht anzugeben. Berg. Dies ergaben die Plangrabungen auf der Berg- Aus Mittelalter und Neuzeit sind Begehungen und kuppe und die Streufunde von den Terrassen II–III kurzfristige Besiedlung durch Funde belegt. Über dem sowie vom Rutschenhof, die den Funden vom Gipfel- Ostteil des großen Pfostenbaus häufen sich Keramik plateau zeitlich entsprechen. Schon zu Beginn der und Kleinfunde des 16./17.Jahrhunderts (Flächen K/ Besiedlung wurde eine Befestigungsanlage errichtet. L 37). Sie ist uns in Form von Pfostenlochpaaren erhalten, die In die zweite frühgeschichtliche Siedlungsphase des an der Hangkante des Plateaus, am Übergang zum Runden Berges, die in der 2. Hälfte des 7.Jahrhunderts Steilhang in regelmäßigen Abständen in den gewachse- beginnt, gehören die Steinbauten, die in Trockenmau- nen Felsen eingetieft wurden (Befestigung 2). Die ge- ertechnik oder unter Verwendung von Lehmmörtel samte Anlage hat einen Umfang von etwa 220 m und errichtet wurden. An der Hangkante umläuft das Gip- schließt eine Fläche von ungefähr 2600 qm ein. Merk- felplateau im Norden, Osten und Süden ein künstlich würdigerweise überquert sie den Rücken des Plateaus hergestelltes Terrassenband von etwa 10 m Breite. in seiner Mitte von Norden nach Süden. Eine Toran- Direkt am Übergang dieses Bandes zum Steilhang liegt

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eine weitgehend abgerutschte Trockenmauer, deren arbeiter und der Händler, die auch mit Feinwaagen Außenkante bisher nicht deutlich gefaßt werden konnte umzugehen verstanden, was für den Runden Berg (Befestigung 3). Hinter dieser Wallmauer liegen durch zahlreiche Funde belegt ist. Dies alles spiegelt Räume, die man von der Technik ihrer Errichtung her ein Milieu wieder, das uns sonst nur durch die reichen in zwei Gruppen teilen kann: einmal die großen Recht- Beigaben aus den gleichzeitigen sogenannten »Fürsten- eckbauten mit Seitenlängen von ungefähr 9 mal 6 m, gräbern« vermittelt wird. Verbunden mit der regen mit sorgfältig herausgearbeiteter Felsoberfläche als Handwerkstätigkeit sind die reichen Importe von Laufböden und mit aus behauenen Platten errichteten Metallgegenständen, Glas- und Keramikgefäßen aus Mauern (Räume I, II und IV), daneben kleinere Bauten, dem byzantinischen, mediterranen und römisch häufig grubenartig in den gewachsenen Felsen ein- besetzten linksrheinischem Gebiet und auch der Ge- getieft, mit aus Kleingestein flüchtig errichteten Mau- brauch römischer Münzen zu sehen. ern (Räume VI, VII, X und ev. XV). Über die Gesamt- Die Befunde der Ausgrabungen gestatteten bisher konstruktion dieser Gebäude ist nichts bekannt, doch keine Abgrenzung zwischen »Vornehmen« und Hand- lassen die großen Mengen von Mauerversturz in ihrem werkern als Trägern des großen Reichtums der Sied- Innern, vor allem bei den Räumen der ersten Gruppe, lung, was eine Beantwortung der Frage, ob es sich auf beachtliche Wandstärken und -höhen schließen. beim Runden Berg um einen Adelssitz gehandelt hat, Neben den Steinbauten sind noch kleinere rechteckige nicht ermöglicht. Pfostenbauten vorhanden, deren Böden grubenartig in Das gewaltsame Ende der ersten alemannischen den Felsen eingetieft sind. Die Wände wurden getragen Besiedlung im frühen 6.Jahrhundert wirft die Frage durch neun Pfosten (Raum VIII), bzw. sechs Pfosten auf, ob die Zerstörung mit dem Siege Chlodwigs über (Räume IX und XI). die Alemannen und mit ihrer Eingliederung in das Einen auf der Kuppe einmaligen Befund stellt der fränkische Reich zusammenhängt oder mit einer rein große Pfostenbau dar, eine Anlage mit mächtigen, in inneralemannischen Auseinandersetzung zu erklären den Felsen gehauenen Pfostengruben. Seine Länge ist. beträgt nahezu 20 m, seine Breite etwa 10 m. Nach Während die Kuppe des Berges im 6. und im frühen Funden aus den Pfostengruben kann eine Errichtung in 7.Jahrhundert unbesiedelt ist, zeigen drei Reihengrä- der Zeit um 700 n. Chr. angenommen werden. berfelder im Stadtbereich von Urach, daß hier im 6./7. Ein reines Repräsentationsbauwerk scheint der Rest Jahrhundert mindestens ebensoviele Hofstätten gestan- einer nach Süden gerichteten Apsis darzustellen (Flä- den haben. Dieses weist daraufhin, daß der Ort, von che M 35). Sie wurde aus flachen Platten eines rötlich- dem das Geschlecht der Grafen von Urach seinen braunen Gesteins errichtet, das aus dem Neckartal auf Namen trägt, bereits in der Merowingerzeit eine ge- den Berg hinaufgeschafft wurde. Der Grundriß und der wisse politische und wirtschaftliche Bedeutung besaß. Gesamtumfang dieses Gebäudes ist unbekannt. Die Funde zeigen, daß der Runde Berg in der zwei- Im Südteil des Gipfelplateaus liegen die Reste ten Hälfte des 7.Jahrhunderts wieder besiedelt war. Ihr dreier kammerartiger Räume von kleineren Ausmaßen, Ausdünnen um die Mitte des 8.Jahrhunderts spricht deren starke Brandspuren an den Innenwänden für ihre von einem weiteren Abwandern der Bevölkerung. Benutzung als Öfen sprechen (Flächen N 34, N 35 und Auch hier erhebt sich wieder die Frage, ob es sich um N 37). eine erneute fränkische Einwirkung handeln könnte, Da auf der Bergkuppe keine Wasserstelle vorhan- wenn man das sogenannte Blutbad von Cannstatt vom den ist, stellt sich die Frage, wie das Problem der Was- Jahre 746 in Betracht zieht. serversorgung gelöst wurde. Eine Möglichkeit stellen Im 9./10.Jahrhundert nimmt die Zahl der Funde Anlagen wie die der Zisterne dar (Fläche L 33). wieder zu, was eine Wiederbelegung der Kuppe an- Ähnliche Anlagen wie die befestigte Höhensiedlung zeigt. Ein Übergang von der frühmittelalterlichen Hö- auf dem Runden Berg bei Urach sind uns durch ältere henburg zur hochmittelalterlichen Adelsburg vollzieht Ausgrabungen und durch Streufunde bekannt. Zu nen- sich auf dem Runden Berg nicht. Im frühen 11.Jahr- nen wären die alemannischen Burgen Gelbe Bürg bei hundert wird die Nachfolgeburg, der Hohenurach, auf Dittenheim, Kr. Gunzenhausen, der Glauberg bei Glau- dem Nachbarberg errichtet. berg, Kr. Büdingen oder der Lochenstein bei Hausen, Endgültige Aufschlüsse über viele Probleme, die die Kr. Balingen (Weitere Beispiele bei MILDENBERGER, Aufdeckung dieser Höhensiedlung gebracht hat, wer- 1978). den wohl erst nach der Gesamtaufbearbeitung des Die meist kleinen Innenflächen dieser befestigten Fundmaterials und der damit verbundenen Zuordnung Burgen lassen kaum auf Fliehburgen schließen. Er- von Baubefunden gelöst werden können. staunlich aber ist bei diesen Anlagen, soweit dies bekannt wurde, die Konzentration von handwerklichen Literatur Niederlassungen auf kleinen Raum, wie die der Gold- schmiede, Bronze-, Eisen- und Glasverarbeiter, Gagat-, Zur Ausgrabung: Knochen- und Geweihschnitzer, Halbedelsteinbe- MILOJCIC, V.: Der Runde Berg bei Urach. Ergebnisse der Unter- suchungen von 1967–1974. In: Ausgrabungen in Deutschland,

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gefördert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft 1950– MILOJCIC (+), V.: Zu den bisherigen Ergebnissen der Unter- 1975. Römisch-Germanisches Zentralmuseum zu Mainz. Bd. suchungen am Runden Berg bei Urach. 1968–1975. In: II (1975) S. 181 ff. Vorträge und Forschungen 22. Hg. Konstanzer Arbeitskreis Der Runde Berg bei Urach I. Die frühgeschichtlichen Klein- f. mittelalterliche Geschichte 1979. 519ff. funde der Plangrabungen, bearb. von R. CHRISTLEIN (Abh. Heidelberger Akad. Wiss., phil.-hist. Kl. 1974 Nr. I). Zu alemannischen Höhensiedlungen (zuletzt): MILOJCIC, V.: Der Runde Berg bei Urach II. Die Drehscheiben- MILDENBERGER, G.: Germanische Burgen. (Veröffentlichungen keramik aus den Plangrabungen 1967–1972 von B. KASCHAU (Heidelberger Akad. Wiss. Kommission für Alemannische d. Altertumskomm. im Provinzialinst. f. Westfälische Altertumskunde, Schriften 2) 1976. Landes- u. Volksforschung des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe, Bd. 6) 1978. MILOJCIC, V.: Der Runde Berg bei Urach II. Kleinfunde der frühgeschichtlichen Perioden aus den Plangrabungen 1967– 1972 von R. CHRISTLEIN (Heidelberger Akad. Wiss. Kom- mission f. Alemannische Altertumskunde, Schriften 4) 1979.

Historischer Atlas von Baden-Württemberg: Erläuterungen Herausgegeben von der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg Zeichnung der Abbildung Runder Berg: Ludwig Schwarzenbek, Stuttgart Die Abbildung des Heidengrabens mit freundlicher Genehmigung des Vereins für Vor- und Frühgeschichte in Württemberg und Hohenzollern aus: Der Heidengraben bei Grabenstetten. Führer zu archäologischen Denkmälern in Baden-Württemberg2, Konrad-Theiss-Verlag, 2. Aufl. 1979 Druck der Erläuterungen: Offizin Chr. Scheufele, Stuttgart

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