Das Magazin der Kulturstiftung der Länder Arsprototo 1 ⁄ 2020

#kulturgemeinsam Aus den Ländern Thema

Schleswig- Holstein Rostock Unibibliothek Mecklenburg- Druck De novo mundo Erwerbung, Seite 15 Vorpommern Berlin Deutsches Historisches Museum Hamburg George Grosz, Cain or Hitler in Hell Erwerbung, Seite 10 Schloss Charlottenburg Bremen Girandolen für König Friedrich Wilhelm I. Niedersachsen Erwerbung, Seite 17

Hannover Museum August Kestner Berlin Rehberg-Album Bielefeld Erwerbung, Seite 48 Kunsthalle Bielefeld Brandenburg , Rentner Sachsen- Dresden Erwerbung, Seite 17 Anhalt Nordrhein- Sächsische Landes­ Westfalen bibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek­ Köln Erfurt Dresden Museum Schnütgen Kassel Angermuseum Erfurt Silbermann-Archiv Arnt der Bilderschneider Museumslandschaft Altar aus Angelhausen Erwerbung, Seite 14 Ausstellung, Seite 77 Hessen Kassel Restaurierung, Seite 108 Blanckenhagen Freund- Sachsen schaftsalbum Hessen Erwerbung, Seite 48 Zwickau Düren Kunstsammlungen Zwickau Leopold-Hoesch-Museum Thüringen Mainz , Die Brücke & Papiermuseum Düren Landesmuseum Mainz Erwerbung, Seite 12 Karl Schmidt-Rottluff, Die Kaiser und die Ostsee (Schiffe am Strand) Säulen ihrer Macht Erwerbung nach Ausstellung, Seite 84 Restitiution, Seite 56

Rheinland- junge Ensemble Import Exportvom Kollektiv/das gespielt Welt“, neue „Schöne Bassam Ghazi Regisseur Fischer, Julia Bühnenfassung des Schauspiels Köln, Pfalz

Saar- land Bayern Mannheim Nördlingen Reiss-Engelhorn-Museum RiesKraterMuseum Kulturelle Bildung Barocker Hausaltar Meteorit Stubenberg Restaurierung, Seite 16 Erwerbung, Seite 9 Regensburg Die Kulturstiftung der Länder fördert seit vielen Jahren Projekte tischen Wert. Sie dienen auch der Auseinandersetzung über das Kunstforum Ostdeutsche Galerie Baden- Regensburg im Bereich der kulturellen Bildung. Kindern, Jugendlichen­ und eigene und das gemeinsame Selbstverständnis, über das, was Württemberg Alexander Kanoldt, Stillleben I, Erwachsenen den Zugang zu Kultur zu ermöglichen, berührt uns in einer Gesellschaft gemeinsam ist. Indem kulturelle Bil­ Erwerbung, Seite 17, und den Wesenskern dessen, was die Kulturstiftung der Länder dung Empa­thie, Ausdrucksfähigkeit und Verstehen fördert, be­ Helfen Sie mit Freiburg Memmingen ausmacht, weil die Förderung von Erwerbungen und Restau­ fähigt sie zu dieser Auseinandersetzung und im besten Sinne zu Strigel-Museum Spendenaufruf, Seite 44 Museum Natur und Mensch rierungen von Kulturgütern nationalen Ranges und von Aus­ Diskurs- und Demokratiefähigkeit. Deshalb ist die Förderung Japanische Holzschnitte Bernhard Strigel, Johannes Restaurierung, Seite 98 Cuspinian und seine Familie stellungen von internationaler Bedeutung kein Selbstzweck kultureller Bildung ein elementarer Baustein unserer Stiftungs­ Erwerbung, Seite 62 ist. Kunstwerke und Kulturgüter haben nicht nur einen ästhe­ tätigkeit. Seite 26 – 43

Arsprototo 1 ⁄ 2020 Autorinnen Editorial

kinder Leipzig e.V. e.V. Leipzig kinder

Prof. Dr. Markus Hilgert, Generalsekretär der Kulturstiftung der Länder Natascha Königs Der Entschluss, Klassische Archäologie, Alte Geschichte und Kunstgeschichte zu studieren, fiel für Natascha Königs schon früh. Zu mitrei­ ßend waren die homerischen Epen, die sicht­ Ina von Kunowski baren Zeugnisse der Antike rund um das Mit­ #kulturgemeinsam Solena, von gestaltet Verwandlung“, „Die des Buchs Cover Buch ­ von im Rahmen entstanden Jahre; 9 37) S. (siehe telmeer, die Sentenzen der Philosophen und Ina von Kunowski leitet die neu geschaffene Tragiker und die Schönheit und Lebendigkeit Stabsstelle Kulturelle Bildung bei der Kultur­ der antiken Kunst. Mit der Zeit wurde aus der Liebe Leserinnen und Leser, Schon lange vor der Covid-19-Pandemie und den dadurch be­ stiftung der Länder in Berlin. Als Historikerin Begeisterung für die Antike Begeisterung für dingten Einschränkungen des öffentlichen Lebens hatten wir interessiert sie sich dafür, wie man aus der Ge­ Kultur(en) auf der ganzen Welt. Museen wur­ ein Bild hat sich mir in den letzten Wochen ganz besonders ein­ uns vorgenommen, diese Ausgabe von Arsprototo dem Thema den bald zur zweiten Heimat, der Besuch von schichte eine Zukunft macht – dafür braucht geprägt: der Pianist Igor Levit am Flügel in einem abgedunkelten Kulturelle Bildung zu widmen. Seit nunmehr zwei Jahrzehnten man nicht nur Kreativität und Neugier, son­ Ausstellungen und Führungen in aller Welt dern auch Kontexte und Menschen, die dem trotz Körperbehinderung zur Leidenschaft. Raum, umgeben nur von Kameras, neben ihm ein gewaltiger Pa­ engagiert sich die Kulturstiftung der Länder auf diesem Gebiet Neuen und Unerwarteten Raum geben. Bei der Mit dieser Praxis schärfte sich nicht nur das pierstapel, bedruckt mit den 840 Wiederholungen von Eric Sa­ mit dem Ziel, die gesellschaftliche Teilhabe an Kultur zu verbes­ kulturellen Bildung kommt dies alles zusam­ Bewusstsein für Inhalte und ihre gelungene ties „Vexations“. Die Aufführung der „Quälereien“ sollte mehr als sern. Die Krisenerfahrung der vergangenen drei Monate hat uns men. Deswegen ist sie Ina von Kunowski ein Vermittlung, es erwachte auch das detektivi­ 15 Stunden dauern und war als Livestream im Internet zu verfol­ die Bedeutung einer breiten Teilhabe an Kultur als der Verstän­ sche Gespür, das alle Wissenschaft antreibt. Herzensanliegen. Bei der Stiftung Mercator gen. Wer wollte, konnte sich also vom frühen Samstagnachmit­ digungs- und Handlungsgrundlage gesellschaftlichen Zusam­ und der Bertelsmann Stiftung war sie für ver­ Wenn im und nach dem Studium also Praktika tag bis zum frühen Sonntagmorgen dem hypnotischen Bann der menlebens einmal mehr vor Augen geführt: Es ist das Wissen schiedene Programme der Kinder- und Ju­ Petra Olschowski und Projekte folgten, bei denen historische gendbildung verantwortlich. Im Kern ihrer und archäologische Kontexte, Fragen der scheinbar unendlich wiederkehrenden Akkorde hingeben und um gemeinsame, nicht verhandelbare Wertsetzungen wie Men­ Tätigkeitsfelder lagen die Themen Demokra­ 1965 in Stuttgart geboren, entschied sich Petra ­Provenienz und Ausstellungskonzeptionen zwar unabhängig davon, wo man sich gerade befand: im Wohn­ schenwürde, Mitgefühl und Solidarität, die uns als Gesellschaft tieförderung, sprachliche Bildung und Diver­ Olschowski zunächst für eine Lehre als Einzel­ im Mittelpunkt standen, so erscheint dies für zimmer, im Park, in der S-Bahn. Natürlich war ich mitunter ab­ stärker machen, die uns geistig ‚zusammenrücken‘ lassen, selbst handelskauffrau im Kunsthandel. Nach einem sität; immer verbunden mit der Frage nach Natascha Königs ebenso folgerichtig, wie die gelenkt oder hörte nicht hin, und irgendwann nach Mitternacht wenn dies körperlich nicht möglich ist. Studium der Kunstgeschichte und Germanis­ Tatsache, dass der Arbeit als Referentin der geeigneten Mitteln und Wegen zu mehr Bil­ muss ich eingeschlafen sein. Und doch hatte ich das Gefühl, et­ Gleichzeitig haben wir gelernt, wie wichtig es ist, dass Kultur dungs­­gerechtigkeit und verbesserten Teil­ tik in ihrer Heimatstadt war sie als Redakteurin Kulturstiftung der Länder eine Dissertation vo­ habe­­chancen. Mit dem Bundesfamilien­minis­ bei der Stuttgarter Zeitung tätig, zunächst im rausgegangen ist, die sich nicht zuletzt mit der was ganz Eigenes, Unvergessliches miterlebt zu haben, ‚gemein­ auch digital vermittelt werden kann. Natürlich ist der Twitter- terium und der Landesregierung Rheinland- Sportressort, dann in der Innenpolitik und im Frage befasste, inwieweit die hohe Wertschät­ sam‘ mit Tausenden anderer Menschen auf der ganzen Welt. Stream aus dem Wohnzimmer kein Ersatz für das Spiel im voll­ Pfalz hat von Kunowski politische Beteili­ Feuilleton. Bereits während ihres Studiums zung, die das Verdienst für das Gemeinwohl im Igor Levit selbst verglich Saties „Vexations“ mit einem besetzten Konzertsaal. Das leibhaftige Dabei-Sein hat für den gungsprozesse mit Akteuren der Zivilge­sell- ­arbeitete sie als freie Journalistin, Dozentin spätarchaischen Sparta genoss, die Ausbildung „stummen Schrei“, ein Schrei, mit dem Levit auf die existenti­ Menschen immer eine eigene Qualität. Entscheidend ist aber für Kostümkunde und Kunstgeschichte und der ersten Demokratie in Athen begünstigt hat. ­schaft und mit Jugendlichen umgesetzt. In elle und emotionale Not von Künstlerinnen und Künstlern wäh­ vielmehr, dass digitale Technologien uns zusätzliche Formen ­Corona-Zeiten wird kulturelle Bildung bei der kuratierte Ausstellungen im In- und Ausland. Für Arsprototo wirft Natascha Königs dieses rend der Covid-19-Pandemie aufmerksam machen wollte. Doch der Teilhabe an Kultur anbieten und damit die Vielfalt der Teil­ Querflötistin und Wahl-Berlinerin zuhause in Acht Jahre lang entwickelte sie als Ge­schäfts­ Mal einen Blick nach Mainz auf „Die Kaiser Form von lärmendem Ausdruckstanz mit einer füh­rerin der Kunststiftung Baden-Württem­ und die Säulen ihrer Macht“, die kommende es war wohl auch seine eigene Qual, die den Pianisten in den habechancen insgesamt erhöhen. Kultureinrichtungen tun also Zweijährigen improvisiert. Für Arsprototo berg GmbH spartenübergreifende Förderpro­ Große Landesausstellung in Rheinland-Pfalz. letzten Monaten den Kontakt mit seinem Publikum über Twitter gut daran, ihre Kompetenzen und Kapazitäten in diesem Bereich spannt sie ein Panorama der kulturellen Bil­ gramme, bis sie schließlich 2010 erste Rekto­ Seite 84 und Instagram suchen ließ: Gestreamte Hauskonzerte und die auszubauen. Wenn sie über digitale Kanäle auch solche Men­ rin der Staatlichen Akademie der Bildenden dung in Deutschland auf und beschreibt das Vorstellung, dass es viele Menschen gebe, die ihm zuhören und schen ansprechen können, die bislang keinen Zugang zu Kultur Künste in Stuttgart wurde. Seit vier Jahren ist Engagement der Kulturstiftung der Länder auf mit denen er seine Musik online teilen kann, das habe ihn „men­ hatten, in digitalen Formaten alternative Perspektiven auf Kultur diesem Feld. Seite 28 sie Staatssekretärin im Ministerium für Wis­ senschaft, Forschung und Kunst Baden-Würt­ tal und emotional gerettet“, so Levit. Was die für Livestreams ermöglichen und neue künstlerische Ausdrucksformen in digi­ temberg. Für Arsprototo schreibt sie über ihre erforderliche Technik und ihre Handhabung angeht, so musste talen Medien fördern, dann unterstützen sie eine zentrale Auf­ Überlegungen zur Neugestaltung der kulturel­ Levit die Voraussetzungen für seine digitalen Hauskonzerte gabe unserer Gesellschaft: Kultur gemeinsam zu gestalten. len Bildung in Baden-Württemberg, wie wich­ selbst schaffen – noch zu Beginn der Pandemie schrieb er an eine tig Kunst und Kultur im Umgang mit der Freundin: „Vom Streamen verstehe ich gar nichts!“ Ihr ­Corona-Krise sind und welche Rolle das neu entstehende Kompetenzzentrum Kulturelle Bildung zukünftig dabei übernehmen wird. 4 Seite 48 Arsprototo 1 ⁄ 2020 5 Inhalt Erwerbungen Thema Ausstellungen 9 Meteorit Stubenberg 28 Kultur begeistert 77 Heiliges Holz 10 Cain or Hitler in Hell Warum die Förderung kultureller Bildung Der Bildermagier Meister Arnt im Kölner immer wichtiger wird von Ina von Kunowski Museum Schnütgen von Johannes Fellmann von George Grosz 38 Kompetenz und Dialog 84 Hinter den Kulissen 12 Brücke Überlegungen zur Neugestaltung der kulturellen Die Kaiser und die Säulen ihrer Macht im Landes­ von Max Pechstein Bildung in Baden-Württemberg von Petra Olschowski museum Mainz von Natascha Königs 14 Silbermann-Archiv 40 „Teilhabe an einer vielfältigen, 15 Epistola Albericij, De novo mundo reichen Welt“ Restaurierungen Vanessa Reinwand-Weiss und Markus Hilgert 17 Stillleben I Das junge Ensemble des Schauspiels Köln spielt „Schöne im Gespräch über Strukturen, Koordination und 98 Das Ferne so nah neue Welt“, ein Stück nach dem Roman von Aldous Huxley von Alexander Kanoldt 28 Finanzierung kultureller Bildung Japanische Holzschnitte im Freiburger Museum Rentner Natur und Mensch von Ryan Schingerlin von Emil Nolde 106 Comeback für Kasper & Co. Girandolen für König Friedrich Wilhelm I. Das historische Hausmarionettentheater im Stadt­ historischen Museum Mainz von Hedwig Brüchert von Johann Engelbrecht Bei der Präsentation des Stubenberg-Meteoriten freut sich der Ehrengast, Apollo-Astronaut Charles Duke, für das 108 Getrennte Aufstellung 48 Rom sehen und zeichnen RiesKraterMuseum: „Wir beide waren zur gleichen Zeit im Weltall unterwegs“, scherzte der 10. Mann auf dem Mond Der Altar aus Angelhausen im Angermuseum Das Künstlerstammbuch von Wilhelm von 9 Erfurt von Jennifer Scheibel Blancken­hagen und das Sammel- und Souveniralbum der Familie des August Wilhelm Rehberg von Michael Zajonz Partner der KSL 56 Späte Fairness Karl Schmidt-Rottluffs Gemälde „Ostsee 68 Die Ernst von Siemens Kunststiftung (Schiffe am Strand)“ von Oliver Jungen 70 Die Alfred Toepfer Stiftung F. V. S . 62 Der Sohn des Donners Bernhard Strigels Porträt „Johannes Cuspinian Rubriken und seine Familie“ von Stefan Trinks 44 Helfen Sie mit Das Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg Aktuelles möchte ein Gemälde von Lovis Corinth restaurieren 18 „Wir lassen Kulturschaffende 88 Neue Bücher nicht allein“ Der Bayerische Staatsminister Bernd Sibler über die 89 Freundeskreis ⁄ Service Systemrelevanz von Kultur in Zeiten von Corona 90 Kunst und Kultur in den Ländern 22 Was lernen Kultureinrichtungen und Zahlen und Fakten zur Kulturpolitik aus der Corona-Krise? Kulturstiftung der Länder 2019 Prof. Dr. Markus Hilgert über Lockdown, 112 Impressum ⁄ Social Media ⁄ Digitalisierung und Kultur Bildnachweis

113 Förderer der Erwerbungen, Utagawa Hiroshige, Fuchsfeuer in der Neujahrsnacht Ausstellungen und Restaurierungen 98 unter dem Nesselbaum bei Oji, aus der Serie 100 berühmte in diesem Heft Ansichten von Edo, 1857

6 Arsprototo 1 ⁄ 2020 7 Erwerbung ⁄ Bayern Extraterres- trisches Kulturgut?

Bereits zum zweiten Mal hat die Kultur­ stiftung der Länder den Ankauf eines Meteo- riten durch das RiesKraterMuseum Nörd­ lingen gefördert. Wie passt das zu ihrem satzungsgemäßen Auftrag, besonders wichtige und bewahrungswürdige Zeugnisse für die deutsche Kultur zu bewahren? Kann es etwas geben, das weniger von Menschen- hand geschaffen und also weniger Kulturerbe ist als ein vom Himmel gefallener Stein? Nun, der Meteorit hat es wissenschaftlich in sich: CT-Scan des Stubenberg-Meteoriten: In blau erkennbar der sogenannte Sein Niedergang bei Stubenberg in Nieder- Eisenkies (Troilit), ein fast ausschließlich in Meteoriten vorkommendes bayern ist minutiös dokumentiert, er hat das Mineral, rot erscheint NiFe, eine Nickel-Eisen-Verbindung stattliche Gewicht von 1,3 kg – und er zog bereits im Vorfeld der Erwerbung das Inter- esse der Fachwelt auf sich. Denn Meteorite sind bis heute die einzigen Zeugen, die Auskunft über die Entstehung der Erde und des Sonnensystems geben können. Ihre Zusammensetzung erlaubt Rückschlüsse auf die Herkunft der chemischen Elemente, aus denen sich unsere Welt zusammensetzt. Das engagiert betriebene Museum im bayeri- schen Landkreis Donau-Ries wird den 4,6 Milliarden alten Sensationsfund dem Publi- Erwerbungen kum präsentieren und der Wissenschaft zugänglich machen.

Meteorit Stubenberg, RiesKraterMuseum 8 Nördlingen 9 Erwerbung ⁄ Berlin Aus der Hölle

Es war der ausdrückliche Wunsch der Fa­ milie Grosz, das Bild dauerhaft in Berlin zu zeigen, in der Stadt, in der der Künst­ ler geboren wurde und 1959 auch starb: Mit Unterstützung der Kulturstiftung der Länder erwarb das Deutsche Historische Museum in Berlin nun „Cain or Hitler in Hell“. Der 1893 in Berlin geborene George Grosz zählt mit seinen Gemälden, Grafi­ ken und Karikaturen zu den wichtigsten Künstlern der Weimarer Republik. Nach der Machtübernahme stürmten Natio­ nalsozialisten sein Atelier und zerstörten viele seiner Werke, die übrigen wurden als „entartete“ Kunst aus öffentlichen Sammlungen entfernt. Bereits im Januar 1933 war Grosz in die USA emigriert. Dort malte er eine Reihe von Bildern, in de­ nen er sich mit den grau­samen Gescheh­ nissen in Deutschland und Europa aus­ einandersetzte. „Cain or Hitler in Hell“ (1944) zeigt einen hockenden Mann vor einer brennenden Stadtlandschaft, zu seinen Füßen unzählige Skelette. Laut Grosz befindet sich das „Hitlerähnliche Ungeheuer“ in einer der Hölle entlehn­ ten Umgebung. Der Leichnam neben der Figur symbolisiert den erschlagenen Abel. Er steht, so Grosz, für die ermordete Menschlichkeit in Zeiten des National­ sozialismus.

Video „Cain or Hitler in Hell“ Sehen Sie das Video zum Ankauf: www.kulturstiftung.de/deutsche- exilkunst-im-deutschen-historischen- museum/

George Grosz, Cain or Hitler in Hell, 1944, 99 × 124,5 cm; Deutsches Historisches Museum, Berlin 11 Erwerbung ⁄ Sachsen Brücken- schlag

Gleich die erste Ausstellung wid­ mete er Max Pechstein (1881–1955): Als 1925 der erste hauptamtliche Direktor des König- Albert-Museums in Zwickau wurde, sollte die moderne Kunst einziehen ins Stadtmuseum. Avantgardistisch war das Programm, die Innenausstat­ tung ließ Gurlitt durch das Dessauer Bauhaus gestalten. Doch dem Erneue­ rer wurde seine progressive Museums­ politik zum Verhängnis, 1930 entließ ihn die Stadtverwaltung auf Druck konservativer Kreise wieder. In die heutigen Kunstsammlungen Zwickau Max Pechstein Museum kommt nun mit Unterstützung der Kulturstiftung der Länder Max Pechsteins Gemälde „Brücke“ von 1921. Der Künstler, der die Schrecken des Ersten Weltkriegs überwunden hatte, fand an seinem neuen Arbeitsort Leba in Hinterpom­ mern nach einer Schaffenskrise zu ­einem neuen Stil. Viele durch Gurlitt für Zwickau gesammelte Werke der Moderne, auch zahlreiche Pechstein- Werke, fielen später der Aktion „Ent­ artete Kunst“ zum Opfer. Jetzt gibt es in Zwickau wieder eine „Brücke“ zum Aufbruch dieses modernen Museums.

Max Pechstein, Brücke, 1921, 80 x 100 cm; Kunstsammlungen Zwickau 12 Max Pechstein Museum Erwerbung ⁄ Sachsen Erwerbung ⁄ Mecklenburg-Vorpommern Die Neue Welt Die ganze Welt in Farbe: Einer der ersten Drucke, der von der Ent­ deckung Amerikas berichtete, konnte jetzt mit Hilfe der Kultur- stiftung der Länder von der Universität Rostock angekauft werden. In den Jahren 1501/02 überquerte Seefahrer und Ent­ decker Amerigo Vespucci (ca. 1451– 1512) im Auftrag des portu- giesischen Königs Manuel I. den Atlantik. Was er entdeckte, war eine bisher unbekannte Land- masse – de Mundus Novus, die „Neue Welt“, wie er sie nannte. In Anerkennung dieser Leistung bekam sie bald darauf den Namen America, benannt nach ihrem Entdecker. Nach seiner Rückkehr berichtete Vespucci einem Freund in Form eines offenen Briefes von seiner Reise. Nachdem dieser ins Lateinische übersetzt worden war, folgten erste Druckausgaben, 1505 erschien der Rostocker Druck. Es ist der erste, der im Folioformat – also in einer Höhe von 35 – 45 cm – herausgebracht wurde. Der Buchdrucker Hermann Barckhusen entschied sich für diese ungewöhnliche Größe, um die kolorierte Illustration der Welt ganzseitig abbilden zu können. Der Rostocker Druck zeichnet sich Orgelwissen durch zahlreiche zeitgenössische Anmerkungen aus, die bisher unerforscht sind. Mit dem Erwerb kehrt die „Neue Welt“ nun an ihren Welche Geheimnisse stecken hinter dem raf­ Andreas Silbermann, erwerben. Die Groß­ Ursprungsort Rostock zurück und finierten Handwerk der bekannten Orgelbau­ familie Silbermann war schon zu ihren Lebzei­ kann dort umfassend wissen- erfamilie Silbermann? Fünf Bände, angelegt ten berühmt für ihre erstklassigen Orgeln. Über schaftlich untersucht werden. vom Orgelbauer Johann Andreas Silbermann das technische Wissen hinaus, das in Form von

(1712–83), dokumentieren das Wissen zur ausführ­lichen Beschreibungen, Illustrationen Kunst des Orgelbaus der Familie wie keine und Kupferstichen erfasst ist, dokumentieren andere Handschrift. Ein weiterer Band – die die Bände zudem, wie die Familie ihre Kennt­ „Specificationen“ – enthält Notizen aus dem nisse untereinander weitergegeben hat und in Handwerksbetrieb von Andreas Silbermann welchem Umfeld sie verkehrte und arbeitete. (1678–1734) und dessen Sohn Johann Andreas. Mit Unterstützung der Kulturstiftung der Län­ Podcast Hören Sie den Podcast mit Prof. Dr. der konnte die Sächsische Landesbibliothek Barbara Wiermann, Abteilungs­leiterin – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden Musik der SLUB, zur Erwerbung: www.kulturstiftung.de/dresden-silber- das Silbermann-Archiv, verfasst von Johann mann-archiv Kolorierte Illustration der „Neuen Welt“: Welt“: „Neuen der Illustration Kolorierte 14 1505, mundo, De novo Albericij. Epistola Rostock 20 cm; Universität x 25 Restaurierung ⁄ Baden-Württemberg Erwerbung ⁄ Bayern, Nordrhein-Westfalen, Berlin Geschichte verpflichtet Private Gleich nach der Fertigstellung erwarb der Fabrikant Leo Smoschewer Alexander Kanoldts (1881–1939) Gemälde „Stillleben I“ von 1927. Jahre später wurde seine Witwe gezwungen, es zu einem zu niedrigen Preis zu verkaufen. Ohne Zugriff auf den Erlös oder Möglichkeiten zur Flucht Andacht nahm sie sich kurz darauf das Leben. Nach der Restitution 2017 an ihre Erben erwarb nun das Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg das Meisterwerk der Neuen Sachlichkeit als Mahnmal für die Entrechtung jüdischer Bürger während der Zeit des Nationalsozialismus. Einen düsteren, unansehnlichen Dachbodenfund in ein Glanzstück des musealen Bestandes zurück zu verwandeln – dazu bedarf es technischer Versiertheit, genauer Materialkenntnis, einfühlsamen­ Rekonstruierens – und der Unter- stützung der Kulturstiftung der Länder zur Finanzierung der diffizilen Arbeit. Im Mannheimer Zeughaus, einem der Standorte der Reiss-Engelhorn-Museen, wird seit Kurzem wieder ein barocker Hausaltar Augsburger Provenienz gezeigt, der erst 1998 an Ort und Stelle wiederentdeckt worden war – in desolatem Zustand. Anfang des 18. Jahrhunderts entstanden, dokumentiert er mit seiner Materialvielfalt­ – verschie- dene Hölzer, Silber- und Goldfolie, gefärbtes Bein und Elfenbein sowie Perlmutter – und der virtuo- sen Ausgestaltung die Sorgfalt, die Charakterkopf Auftraggeber und spezialisierte Handwerker derlei sakralen 1929 hatte das Städtische Kunsthaus Biele- Geräten auch im privaten Umfeld feld erstmals das Gemälde „Rentner“ (1921) zumaßen. Als kunstkammerartige­ des Expressionisten Emil Nolde (1867– 1956) Preziosen unterstrichen solche erworben. Es war erst das zweite Werk von Kleinbildwerke nicht nur die überregionaler Bedeutung für die junge Bedeutung der Religion für die Zeit, Sammlung und galt als richtungsweisend sie lieferten gleichzeitig einen für deren Entwicklung. 1937 entfernte das Beleg für die ästhetische Bildung Reichsministerium für Volksaufklärung und und die finanzielle Potenz der Propaganda das Werk. Mit dem durch die Auftrag­geber. Wie kaum ein Kulturstiftung der Länder geförderten Rück- anderes Objekt aus privatem kauf knüpft die Kunsthalle Bielefeld an ihren Ursprung kann der Hausaltar diese ursprünglichen Sammlungsbestand Bandbreite an kultur- und an und erinnert an die Beschlagnahme. religionsgeschichtlichen­ Reprä- sentationen heute noch vor Augen führen. Metall und Macht

85 silberne Möbel und Ausstattungsstücke gab der preußische König Friedrich Wilhelm I. in den 1730er-Jahren in Augsburg in Auftrag.

Sechs überdauerten den Finanzbedarf der preußischen Kriege, darunter zwei je 22 Kilo schwere Silberleuchter. 1733 anlässlich einer 40 cm; 40 × dynastischen Doppelhochzeit entstanden, demonstrieren die monumentalen Leuchter mit preußischem Adler, königlichem Mon- gramm und braunschweigischen Löwen die Macht der Herrscherhäuser. Die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin- Brandenburg erwarb mit Unterstützung der Kulturstiftung der Länder die Girandolen, 87,6 cm; Kunstforum Ostdeutsche cm; Kunstforum 87,6

× die nun im Schloss Charlotten­burg von 50 cm; Stiftung Preußische Schlösser Schlösser cm; Stiftung Preußische 50

× preußischer Repräsen­tations- und Heirats- Mannheim Galerie Regensburg Kunsthalle Bielefeld Kunsthalle Barocker Hausaltar nach der Restaurierung, Restaurierung, nach der Hausaltar Barocker Emil Nolde, Rentner, 1921, 65 1921, Rentner, Nolde, Emil Friedrich Wilhelm I., Augsburg, 1733, Augsburg, Wilhelm I., Friedrich 54 und Gärten Berlin-Brandenburg und Gärten Alexander Kanoldt, Stillleben I/1927, 1927, 1927, Stillleben I/1927, Kanoldt, Alexander Augsburg, um 1705; Reiss-Engelhorn-Museum, Reiss-Engelhorn-Museum, um 1705; Augsburg, 110,5 Johann Engelbrecht, Girandole für König König für Girandole Engelbrecht, Johann politik erzählen. 17 Aktuelles ⁄ Pandemie und Kultur

erwähnt, einen umfassenden Kultur-Ret­ ausforderungen und bietet gleichzeitig die alle betreffen, diskutieren und auch tungsschirm auf den Weg gebracht. Als immense Chancen. Ich habe bereits in Anregungen und Impulse für die länder­ Kunstminister und Vorsitzender der Kul­ Zeiten vor dem Corona-Virus digitale spezifische Kulturpolitik mitnehmen. Wir „Wir lassen Kultur- turministerkonferenz ist mir aber auch Angebote im Kulturbereich sehr begrüßt. wollen mehr Menschen für das Angebot bewusst, dass die Kunst- und Kulturszene Mit digitalen Angeboten bewegen sich der Museen begeistern, Hürden abbauen nicht nur Soforthilfen benötigt, sondern unsere Kultureinrichtungen im Freistaat und eine größere gesellschaftliche Teil­ auch mittelfristig verstärkt unterstützt am Puls der Zeit. Eine große Stärke un­ habe am kulturellen Angebot unserer schaffende nicht allein“ werden muss. Das werden wir im Auge serer Kulturbetriebe ist ihre Offenheit Museen erreichen. Dazu muss aus meiner behalten. Es wird nun vor allem darauf für Menschen unterschiedlichster sozia­ Sicht die Kulturvermittlung und Digitali­ ankommen, wie es mit den Beschränkun­ ler und kultureller Herkunft. Deshalb ist sierung der Kulturangebote noch stärker gen gerade mit Blick auf Veranstaltungen es nur konsequent, dass sie auch offen in den Mittelpunkt gerückt werden. in Deutschland weitergeht. Es ist schlicht für die digitalen Besucherinnen und Be­ Was bedeutet die Corona-Pandemie für kulturelle Zeit für einen Neustart für Kunst und Kul­ sucher mit ihren Wünschen nach Parti­ Der Freistaat Bayern verfolgt bereits tur unter den veränderten Bedingungen. zipation und kreativer Teilhabe sind. In seit einigen Jahren eine Digitalisie- Einrichtungen und die Kulturpolitik? Gemeinsam mit meinen Länderkollegen Zeiten von Corona haben unsere Häuser rungsstrategie. Können Sie ein paar Über Kulturförderung, Onlinekultur und eine neue Solidarität und der Staatsministerin für Kultur und mit vielfältigen Online-Angeboten ihre Beispiele nennen, was in diesem Medien Monika Grütters habe ich ein Eck­ Sammlungen auch während der Schlie­ Kontext entstanden ist? in Zeiten von Corona äußert sich Bernd Sibler, punktepapier für Öffnungsstrategien kul­ ßung zugänglich gemacht. Man konnte Mit dem Internetportal bavarikon tureller Einrichtungen vorgelegt, das den und kann auch jetzt noch digital Einblicke präsentieren Archive, Bibliotheken und Vorsitzender der Kulturministerkonferenz und Beratungen der Bundeskanzlerin mit den in ihre Aktivitäten bekommen, berühmte Museen sowie Institutionen der Landes­ Bayerischer Staatsminister für Wissenschaft und Kunst Ministerpräsidenten dienen soll. In der Meisterwerke bestaunen, ergänzende verwaltung, der Denkmalpflege und der Zwischenzeit präsentieren viele Kultur­ Hintergrundinformationen erhalten oder Wissenschaft im Freistaat zum Beispiel Das Gespräch führte Hans-Georg Moek einrichtungen ihre Angebote verstärkt im über die sozialen Medien mit anderen ins ihre Kunst-, Kultur- und Wissensschätze Netz oder weisen darauf hin, dass sie ge­ Gespräch kommen. Die Museen arbei­ digital. Das Portal wird monatlich um rade an einem Online-Programm arbeiten. ten gemeinsam daran, den Bürgerinnen neue Inhalte erweitert und gewinnt lau­ Für so viel kreatives Engagement unserer und Bürgern ihr Angebot trotz widriger fend weitere Einrichtungen als neue Part­ Kulturschaffenden bin ich sehr dankbar. Bedingungen nahe – und sogar bis ins ner, damit wir Interessierten weltweit Herr Sibler, gerade wird viel über sys- habe und Pluralität unserer Gesellschaft fende und Kreative sowie die Kulturland­ Wohnzimmer – zu bringen. Die Kultur­ und kostenlos Zugang zu einem breiten temrelevante Branchen diskutiert sicher. Damit wird sie zum Garanten für schaft abzufedern und Existenzen zu si­ Die Digitalisierung von Kultureinrich- ministerkonferenz der Länder bietet hier Spektrum von Kulturgütern bieten kön­ und auch Sie haben dieser Tage ge- eine erfolgreiche Kulturvermittlung und chern, wurden deshalb auf Landes- und tungen war Ihnen bereits vor der Co- außerdem eine große Chance. Der Aus­ nen. Bei der virtuellen Hochschule Bay­ äußert „Kultur ist systemrelevant“: letztlich für eine freie Kunst, die für eine auf Bundesebene Soforthilfeprogramme rona-Krise ein Anliegen. tausch der Bundesländer untereinander ern kann man digital an Vorlesungen und Wie haben Sie das gemeint? demokratische Gesellschaft essenzielle eingerichtet. Der Freistaat allein hilft den Der digitale Wandel ist auch im ist für alle Beteiligten wertvoll: Hier kön­ Veranstaltungen teilnehmen. Unser Nati­ Wir alle wissen, dass Kunst und Kul­ Bedeutung besitzt. Betroffenen mit einem Kultur-Rettungs­ Kulturbereich eine der zentralen Her­ nen wir Themen wie die Digitalisierung, onaltheater begeistert mit seinem Format tur für unser Sozialleben elementar wich­ schirm in Höhe von 200 Millionen Euro STAATSOPER.TV seine Zuschauerinnen tig sind. In Theatern, Museen, Opern und Die Schließung von Kultureinrichtun- und sechs aufeinander abgestimmten und Zuschauer mit einem großen Strea­ Literaturhäusern kommen die Menschen gen hat ja auch verheerende Folgen Programmen, darunter unser Künstler­ ming-Angebot. Auch Sie bei der Kultur­ zusammen. Sie werden dort angeregt, ihr für Kulturschaffende. Wie haben Sie hilfsprogramm. Bayern ist sich als Kultur­ stiftung der Länder machen ja auf solche Weltbild zu hinterfragen und sich über in Bayern auf diese Ausnahmesitua- staat seiner besonderen Verantwortung neuen digitalen Angebote aufmerksam. das Erlebte auszutauschen. Der Besuch tion reagiert? für seine Kulturschaffenden bewusst. Ich habe den Eindruck, dass die Corona- einer kulturellen Veranstaltung führt also Die Bayerische Staatsregierung hat Deshalb wollen wir auch in der Krise ein Krise ein Inkubator für Digitalisierung ist. neben den sozialen Aspekten zu einer angesichts der Bedrohung durch das verlässlicher Partner sein. So erschließen sich uns neue Wege, um Reihe von Reflexionsprozessen, die un­ Corona-Virus schnell gehandelt: Anfang auch im Netz Interessierte für unsere glaublich wichtig für eine offene Gesell­ März haben wir zum Beispiel Kultur­ Sind die Maßnahmen, die vom Bun- kulturellen Angebote zu erreichen. Ich schaft, aber auch für jeden Einzelnen sind. einrichtungen wie Theater, Konzertsäle desrat verabschiedet wurden, denn hoffe, dass die Online-Angebote diese Auf diese kulturellen Angebote müssen oder Museen für den Besucherverkehr ausreichend? Menschen dazu inspirieren, sich nach der wir aus Gründen der Sicherheit momen­ geschlossen. Als Kunstminister hat mir Bei den damaligen Maßnahmen ging Krise auch das Original anzusehen. Ge­ tan leider weitgehend verzichten. Das das Herz geblutet, das Kulturleben am es zunächst einmal um eine Soforthilfe, rade eine jüngere Zielgruppe verspricht hinterlässt eine schmerzhafte Lücke. Ich Boden zu sehen. Die Schließungen und die den Betroffenen eine schnelle Pers­ frische Impulse für unseren Kulturbetrieb. habe aber auch die Hoffnung, dass unser Absagen waren aber zum Schutz der Be­ pektive bieten sollte. Das finde ich das reiches Kulturleben durch die Krise wie­ völkerung notwendig. Um die Auswir­ Entscheidende. Außerdem hat die Bay­ Sie wollen nicht nur ein jüngeres Bernd Sibler ist seit November 2018 der neu wertgeschätzt wird. Eine leben­ kungen der Corona-Pandemie auf unsere erische Staatsregierung zum Beispiel er­ Bayerischer Staatsminister für Wissenschaft Publikum, sondern auch junge Posi­ dige Kulturszene stellt die Vielfalt, Teil­ Künstlerinnen und Künstler, Kulturschaf­ gänzend zu den Bundeshilfen, wie bereits und Kunst tionen in der Kunst fördern. Das ist

18 Arsprototo 1 ⁄ 2020 19 Aktuelles ⁄ Pandemie und Kultur neben Digitalität eines Ihrer Zu­ nen Serie Nachwuchskünstlerinnen und der Bayerischen Akademie des Schrei­ chen arbeiten hier zusammen. Im Rah­ den Schutz deutschen Kulturguts gegen unterschiedlichen Kräfte sind insgesamt kunftsthemen.­ -künstler aus Bayern vor. Und: Den soge­ bens widmen sich junge Schriftstellerin­ men der Hightech Agenda Bayern konn­ Abwanderung ins Ausland. Auch gibt es gut austariert. Ich sage zu solchen Diskus­ Mir liegt die Förderung junger bayerischer nannten Ministergang in meinem Minis­ nen und Schriftsteller aus dem ganzen ten sich die Kunsthochschulen außerdem verschiedene Möglichkeiten des Zusam­ sionen immer augenzwinkernd: Die Län­ Künstlerinnen und Künstler besonders terium habe ich im vergangenen Dezem­ deutschsprachigen Raum unter professi­ am Wettbewerb um 50 KI-Professuren menwirkens von Bund und Ländern im der haben den Bund gegründet und nicht am Herzen. Ich will Nachwuchskünstle­ ber kurzerhand in eine Ausstellungsfläche oneller Begleitung in mehrteiligen Jahres­ beteiligen, die der Freistaat Bayern neu Kulturbereich. Dieses muss jedoch part­ umgekehrt. Gerade beim Thema Kultur rinnen und -künstlern eine Plattform für umfunktioniert und für die Öffentlichkeit kursen konzentriert einem literarischen einrichten wird. Zwei konnten sich gegen nerschaftlich und respektvoll geschehen. und Kulturföderalismus wird das sehr ihre kreativen Ideen bieten und den Aus­ geöffnet. Interessierte erwarten nun span­ Vorhaben. Im Bereich der Musik fördert die immens starke Konkurrenz der Uni­ Der Bund muss akzeptieren, dass nach deutlich. Da brauchen wir diese Breite tausch zwischen Kunst und Wissenschaft nende Kunstwerke von Studentinnen und der Freistaat Bayern unter anderem Festi­ versitäten und Hochschulen durchsetzen unserer verfassungsmäßigen Ordnung und Vielfalt. ankurbeln. Unsere Gesellschaft lebt von Studenten unserer Kunstakademien. Ein­ vals und Orchester und eröffnet so gerade und eine Professur zur Künstlichen Intel­ die Länder hier die zentralen Akteure der Gestaltungskraft der jungen Genera­ zelne Künstlerinnen und Künstler können auch jungen Musikerinnen und Musikern ligenz gewinnen. Das ist visionär. sind. Da gibt es noch Verbesserungsbe­ Ein bisschen Zukunftsmusik: Wie tion und von ihren Impulsen zur Erneue­ wir mit unseren unterschiedlichen Sti­ Auftritts- und Entfaltungsmöglichkeiten. darf. wird die Corona-Krise die Kulturein- rung. Auch in der Kunst sind es besonders pendien- und Förderprogrammen unter­ Mit all diesen Maßnahmen wollen wir In Ihrer ersten Sitzung der Kultur­ richtungen verändert haben? die jungen Kreativen, die die Gegenwart stützen. Damit möchten wir unseren jun­ Künstlerinnen und Künstlern eine praxis­ ministerkonferenz als Vorsitzender Welche aktuellen Themen stehen Ich spüre gerade im Kunst- und Kul­ zu begreifen versuchen. Sie sind Teil gen Künstlerinnen und Künstlern dafür orientierte und qualitativ hochwertige haben Sie geäußert, den Föderalis- denn jetzt in der Kulturministerkon­ turbereich viel neue Solidarität und Krea­ der Avantgarde und ihre Themen wich­ Danke sagen, dass sie unser kulturelles Unterstützung anbieten – vor allem in den mus noch stärker als bisher in die ferenz, auch im Hinblick auf die Co- tivität. Das sollten wir als wertvolle Kraft tig für den gesellschaftlichen Diskurs. Leben bereichern. schwierigen ersten Jahren der Professio­ Kulturpolitik einbringen zu wollen. rona-Krise, an? auch nach der Krise nutzen. Ich habe die Kunst muss dabei auch Neues denken nalität. Gibt es da Handlungsbedarf? Wir werden analysieren, ob wir durch Hoffnung, dass so aus dieser schwierigen und Neues anstoßen, denn nur so kann Können Sie uns einige Beispiele kon- Allein in Bayern gibt es große Unter­ unsere digitalen Formate gerade in der Zeit auch etwas Zukunftsträchtiges ent­ sie die Grenzen unserer Wahrnehmung kreter Förderbeispiele des Freistaats Für die Weiterentwicklung der digita- schiede in der Kultur, allein wenn man Zeit des Lockdowns neue Zielgruppen stehen kann. erweitern und neue Perspektiven auf die Bayern nennen? len Rahmenbedingungen an bayeri- sich die Ballungsräume und die länd­ erreichen konnten. Natürlich müssen wir Welt ermöglichen. Es ist daher eine zen­ Seit 1965 verleiht der Freistaat bei­ schen Kunsthochschulen haben Sie lichen Regionen ansieht. Wenn man auch alle wirtschaftlichen Fragen für die Bernd Sibler ist am 19. Februar 1971 in trale Aufgabe der Kulturpolitik, junge spielsweise in jedem Jahr bis zu 16 Kunst­ erstmals einen Innovationsfonds von dann in den Norden, Westen oder Os­ Kunst- und Kulturschaffenden, die sich Straubing geboren. Nach seinem Studium Kunst zu fördern und geeignete Rahmen­ förderpreise an junge Künstlerinnen und zwei Millionen Euro eingerichtet. Wie ten Deutschlands blickt, wird eine große aus der Krise ergeben, diskutieren. Dar­ der Germanistik und Geschichte für das bedingungen zu schaffen. Künstlerinnen Künstler in den Sparten Bildende Kunst, profitieren davon konkret Digitalität Vielfalt deutlich – und das ist mir beson­ über hinaus möchte ich einen größeren Lehramt am Gymnasium an der Universi- und Künstler benötigen besonders am Darstellende Kunst, Musik und Tanz und Lehre? ders wichtig: Kulturföderalismus ist eine Fokus auf die Förderung von Kultur im tät Passau und dem Referendariat am Adal- sowie Literatur. Der Preis soll begabte Das digitale Zeitalter bedeutet für Stärke Deutschlands und drückt Vielfalt ländlichen Raum legen. Auch die For­ bert-Stifter Gymnasium Passau arbeitete er Nachwuchskünstlerinnen und -künstler die Kunst nachhaltige Transformationen, aus. Darin spiegelt sich auch das Selbst­ schung zu NS-verfolgungsbedingt entzo­ ein Jahr lang als Lehrer am Robert-Koch- auf ihrem eingeschlagenen Weg bestär­ aber auch ungeahnte Optionen. Gemein­ verständnis von Kunst und Kultur wider. genen Kulturgütern wollen wir verstärken. Gymnasium Deggendorf. 1998 zog Sibler „Gerade im Kunst- und ken und sie zur weiteren künstlerischen sam mit unseren Partnern in Kunst und Ein zentrales Motiv für die Gründung der Hinzu kommt, dass wir eine gemeinsame als Abgeordneter in den Bayerischen Land- Kulturbereich ist viel Entwicklung ermutigen. Jedes Jahr erhal­ Kultur wollen und müssen wir Zukunft Kultur-Ministerkonferenz war, die Be­ Position zum Umgang mit Objekten aus tag ein. 2008 bis 2011 war er Vorsitzender ten zudem je zwei aufstrebende Talente gestalten. Deshalb profitieren auch erst­ deutung der Länder und Kommunen und kolonialen Kontexten erarbeiten müssen. des Ausschusses Hochschulen, Forschung neue Solidarität und in den Sparten Bildende Kunst und Mu­ mals unsere Kunsthochschulen, die wich­ damit des Föderalismus für das Kultur­ Diese Fragen müssen wir mit allen Bun­ und Kultur im Bayerischen Landtag und des Kreativität zu spüren.“ sik die Möglichkeit eines sechsmonati­ tige Arbeit für unseren künstlerischen leben in Deutschland sichtbarer zu ma­ desländern gemeinsam beantworten. In Landesdenkmalrates. Zwischen 2007 und gen Aufenthalts in der Cité Internationale Nachwuchs leisten, von einem eigenen chen. Dazu gehört auch, dass die Bürge­ der Kulturministerkon­ferenz haben wir 2018 war er rund sieben Jahre lang Staats- des Arts in Paris. Ein weiteres Highlight Innovationsfonds für ihre Weiterentwick­ rinnen und Bürger verstehen, dass ihnen dafür ein passendes Forum. sekretär im Bayerischen Staatsministerium ist zweifelsohne das Stipendium für ei­ lung. Sie sind dabei die mentalen Inkuba­ der Föderalismus gerade im Kunst- und für Unterricht und Kultus und im Bayeri- Beginn ihrer Karriere Unterstützung, um nen halbjährigen Aufenthalt in den USA, tionsorte für zukünftige ästhetische The­ Kulturbereich konkrete Vorteile gegen­ Es gibt ja hin und wieder den Wunsch schen Staatsministerium für Bildung und ihre eigene künstlerische Position zu ent­ das jedes Jahr für drei bildende Künst­ orien und narrative Entwicklungen. Ihre über einer zentralstaatlichen Bündelung nach einem Bundeskulturministe- Kultus, Wissenschaft und Kunst. Im März wickeln und unsere Gesellschaft dadurch lerinnen und Künstler ausgelobt wird. digitalen Voraussetzungen für Forschung der Kulturkompetenz auf Bundesebene rium. Wie bewerten Sie diese Idee? 2018 wurde er zum Bayerischen Staatsmi- mitzugestalten. Eines meiner Leitmotive In der Literatur habe ich gerade die Ar­ und Lehre bestimmen deshalb maßgeb­ bringt. So gibt es in Deutschland zum Die Kulturhoheit ist das Kern­ nister für Unterricht und Kultus ernannt. als Kunstminister ist daher die Sichtbar­ beitsstipendien für Schriftstellerinnen lich die Chancen für den künstlerischen Beispiel eine ganze Reihe international stück der Eigenstaatlichkeit der Länder. Seit November 2018 ist Sibler Bayerischer keit. Ich will Kunstschaffenden eine Platt­ und Schriftsteller, Übersetzerinnen und Nachwuchs. An der Hochschule für Fern­ bedeutsamer Opernhäuser. In Staaten Deutschland hat eine vielfältige, leben­ Staatsminister für Wissenschaft und Kunst form bieten, um sich und ihre Arbeit vor­ Übersetzer höher dotiert. In der Bilden­ sehen und Film in München entwickeln mit nationaler Kulturverantwortung fin­ dige Kulturlandschaft, die der föderalen und seit Anfang 2020 Vorsitzender der Kul- zustellen. Dafür haben wir beispielsweise den Kunst fördert der Freistaat Bayern wir zum Beispiel einen neuen Studien­ den Sie Opernhäuser von Weltrang häu­ Tradition zu verdanken ist. Im Ergebnis turministerkonferenz. unser Kunst- und Wissenschaftsmaga­ im Rahmen des Atelierförderprogramms schwerpunkt VFX – Digitale Bildgestal­ fig nur in der jeweiligen Hauptstadt des ermöglicht der Kulturföderalismus die zin AVISO neu aufgestellt. Gerade junge die Anmietung von Atelierräumen, ins­ tung. Zudem laufen die konzeptionellen Landes. Natürlich gibt es Kompetenzen richtigen Modelle und Antworten für die Hans-Georg Moek ist Leiter Kommunika- Künstlerinnen und Künstler, Philosophen besondere auch in teureren Städten wie Vorbereitungen für ein transdisziplinä­ des Bundes für spezielle kulturelle Be­ Menschen vor Ort und ist Garant für ein tion der Kulturstiftung der Länder. und Literaten, aber auch Wissenschaftle­ München und Nürnberg. Im Rahmen der res vernetztes Digital Art Center der drei lange wie etwa die Hauptstadtkultur, die lebendiges Kulturleben in Deutschland. rinnen und Wissenschaftler können sich Debütantenförderung werden jungen bil­ Münchner Kunsthochschulen: Die Hoch­ nationale Repräsentation im Kulturbe­ Ich denke, dass die derzeitige Lösung Interview im Podcast dort nun verstärkt präsentieren. Auch auf denden Künstlerinnen und Künstlern Zu­ schule für Musik und Theater, die Hoch­ reich oder die auswärtige Kulturpolitik. mit der engagierten Kulturstaatsministe­ „Kultur in Zeiten von Corona“ unserem Instagram-Kanal wissenschaft. schüsse für die Produktion des Katalogs schule für Fernsehen und Film und die Und nicht zu vergessen die spezielle Ge­ rin Monika Grütters sehr gut ist. Wir ha­ Hören Sie ein Interview zum Thema mit Bernd Sibler: www.kulturstiftung.de/ kunst.bayern stellen wir in einer eige­ der ersten Einzelausstellung gewährt. In Akademie der Bildenden Künste Mün­ setzgebungskompetenz des Bundes für ben ein sehr enges Miteinander und die kultur-in-zeiten-von-corona/ oder auf iTunes und Spotify

20 Arsprototo 1 ⁄ 2020 21 Aktuelles ⁄ Pandemie und Kultur

Herr Hilgert, wie haben Sie Kultur teragieren oder mittanzen. Der Perspek­ lem Erbe zu vermitteln und in der Gesell­ und Kultureinrichtungen in Zeiten tivwechsel beispielsweise ist genau das, schaft zu verankern. des Lockdown wahrgenommen? was die Attraktivität digitaler Kulturkom­ Mich haben zwei Dinge bewegt. Das munikation ausmacht. Was wären denn geeignete Inhalte? eine war die große wirtschaftliche und Zunächst einmal die Inhalte, die auch persönliche Not vieler Menschen, die in Welche Konsequenzen müssen dar- originärer Gegenstand von Kultureinrich­ der Kultur aktiv sind, die freischaffenden aus gezogen werden? tungen sind. D.h. ich möchte wissen, wel­ Künstlerinnen und Künstler, aber auch Wir müssen sehr viel stärker darauf che Dinge sich in Museen befinden und die Kulturvermittlerinnen und Kultur­ achten, dass das, was digital kommuni­ was beispielsweise die Wissenschaft über vermittler in Museen. Wir haben gelernt ziert wird, in eine Kommunikationsstra­ diese Dinge aussagt. Aber ich will natür­ in dieser Zeit, dass gerade diese Perso­ tegie und auch in eine Vermittlungsstra­ lich auch wissen, ob in einem Museum nengruppe häufig freiberuflich arbei­ tegie eingebunden ist. Kulturvermittlung die Fragen beantwortet werden, die die tet, enorme Einnahmeausfälle hatte und fragt nach Methoden, Zielgruppen und Gesellschaft gerade an diese Dinge stellt. gleichzeitig auch nicht ohne weiteres von auch nach dem Profil des Hauses. D.h. Das heißt, die Relevanz der Objekte, der den Hilfsprogrammen profitieren konnte. ich erwarte letztlich als Nutzer, dass mir Kunstwerke in einem Museum erweist Da hat sich gezeigt, dass es ein Prekariat vermittelt wird, warum genau dieses An­ sich natürlich auch darin, dass die Fra­ in der Kulturinfrastruktur unseres Landes gebot sich in digitaler Form in den sozi­ gen der Gesellschaft an diese Objekte be­ gibt, das nicht existieren dürfte, wenn wir alen Medien wiederfindet oder im Inter­ antwortet werden können. Und dazu ge­ Kulturvermittlung als wichtige Aufgabe net. Und dann würde ich mir wünschen, hören heute zum Beispiel Fragen wie die begreifen. dass viel stärker die Möglichkeiten des nach der Provenienz oder ob die Objekte Zum anderen drängte sich mir die Mediums ausgeschöpft würden. Insofern rechtmäßig in das Eigentum des Muse­ Frage auf, wie gut digitale Kulturver­ ersetzt das Digitale natürlich nicht das ums gelangt sind. mittlung und digitale Kulturkommunika­ Analoge. Es eröffnet einen zusätzlichen Wir werden priorisieren müssen tion aufgestellt sind? Es gab auf einmal Erfahrungs- oder Erlebnisraum, der dann aufgrund sich verringernder Haushalts­ Livestreams von Konzerten und von The­ eben auch ein Vermittlungsraum ist. mittel und Steuermittel infolge der Co­ ateraufführungen. Man kann sagen: So Und dann muss man sicher auch rona-Krise. Die genannten Fragen wer­ viel Kultur gab es nie im Internet und in­ überlegen, wie man Angebote anspre­ den entscheidend sein, um die Relevanz den sozialen Medien. chender gestalten kann. Wir sind alle von eines Kulturhauses, einer Kulturinstitu­ Aber so bewegend wie das war, weil Fernsehen, Video oder Netflix verwöhnt tion unter Beweis zu stellen. Die Vermitt­ Was lernen es dem Bemühen entsprach, zu kommu­ durch hohe audiovisuelle Qualität. Ich lung der Relevanz ist insofern entschei­ nizieren mit anderen Menschen in der glaube dass, wenn Kulturkommunikation dend, als öffentliche, aus Steuermitteln Kultur, aber eben auch mit dem Publi­ und Kulturvermittlung attraktiv sein wol­ finanzierte Kulturförderung immer auch kum, so deutlich war natürlich anderer­ len, sich Kultureinrichtungen viel stärker – auch, nicht nur – danach fragen muss, Kultureinrichtungen seits, wie unvorbereitet die Krise die Kul­ in diesem Bereich weiterbilden müssen. was diese Kultur, was dieses Kulturschaf­ turinstitutionen und die Menschen in der fen mit Gesellschaft, mit den Menschen Kultur getroffen hat. Die Frage ist, ob es Sie haben von einem Prekariat im Be- zu tun hat, die diese Kultur finanzieren. nicht eher darum gehen müsste, in der reich der Kulturvermittlung gespro- Das ist keine ehrenrührige Frage, die und Kulturpolitik Kultur Formate und Inhalte zu schaffen, chen. Eigentlich wäre es doch Auf- nach dem Platz der Kultur in der Gesell­ die auf das Medium Internet bzw. auf so­ gabe dieser Experten, geeignete schaft, nach dem Platz einer Einrichtung ziale Medien zugeschnitten sind. Formate zu entwickeln. in der Gesellschaft fragt. Es ist ja für die Besucherin oder den Eine entscheidende Erkenntnis aus aus der Corona-Krise? Besucher nicht unbedingt so attraktiv, der Krise ist, dass wir an der zentralen Dieser Tage wurde immer wieder von wenn er tatsächlich nur das Ergebnis Schnittstelle zwischen Kultur und Gesell­ der Systemrelevanz der Kultur ge- der Arbeit oder die Arbeit selbst in einer schaft keine dauerhafte Struktur haben, sprochen. Wenn sie systemrelevant Kulturinstitution vermittelt bekommt. die es uns ermöglicht, diesen Bereich wei­ ist, sollte das die Kultur doch vor Kür- Interessanter ist ja eigentlich der Per­ terzuentwickeln. Diesen Bereich müssen zungen schützen? Prof. Dr. Markus Hilgert über die Kultur spektivwechsel, die Interaktion, die Par­ wir verstetigen, ihn strukturell konsoli­ Das würde ich mir wünschen. Aber tizipation. Ich glaube, genau das kön­ dieren. Das ist eine Diskussion, die wir die Behauptung alleine, dass Kultur sys­ in Zeiten des Lockdown, Digitalisierung und nen digitale Medien ermöglichen. Dass unbedingt führen müssen, weil diese temrelevant sei, reicht noch nicht aus, um Systemrelevanz von Kultur. sie durch virtuelle Realität auf einmal Schnittstelle eine ganz entscheidende ist, Steuermittel für die Kultur zu aktivieren. virtuell auf der Bühne stehen, mit den gerade auch um die Relevanz von Kultur Ich glaube, dass wir, wenn es um die Frage Das Interview führte Hans-Georg Moek Schauspielerinnen und Schauspielern in­ und Kultureinrichtungen und kulturel­ der gesellschaftlichen Bedeutung von

22 Arsprototo 1 ⁄ 2020 23 Aktuelles ⁄ Pandemie und Kultur

Kultur geht, gut beraten sind, rhetorisch gesamt geschieht oder vielleicht gesche­ öffentlichen Kulturveranstaltungen Gesellschaft und auch bei den Entschei­ Daran würde ich auch die Qualität präzise zu sein. Systemrelevanz bezieht hen sollte. Die Stadtgesellschaften haben fernbleibt, niemals ein Museum, eine dungsträgerinnen und Entscheidungs­ von Arbeit im Kulturbereich bemessen sich auf Daseinsvorsorge, also Leben, sich im Rahmen dieses Bewerbungsver­ Oper oder ein Theater besucht. Wie trägern von morgen für das, was Kultur wollen, ob sie die Innovationsfähigkeit Gesundheit oder auch unsere Sicherheit. fahrens auf den Weg gemacht, um darü­ erreicht man die? leistet und was eine Gesellschaft wert ist, hat, sich mit neuen Fragen auseinander­ Ich glaube, dass Kultur tatsächlich nicht ber zu verhandeln, was sie sind, wie sie Zunächst einmal muss man, wie bei wenn sie keine Kultur mehr hat, und dass zusetzen und bereit ist, aus der Kultur in diesem Sinne systemrelevant ist. sich sehen, wie sie miteinander umge­ jeder Kommunikation, zuhören. Das setzt sie in ihrem Zusammenhalt, in ihrem In­ heraus neue Antworten, weiterführende Aber Kultur ist natürlich etwas ande­ hen, wie sie miteinander sprechen, wie voraus, dass man mit diesen Menschen nersten gefährdet ist, wenn die Kultur Antworten auf gesellschaftliche Frage­ res und vielleicht auf einer ganz anderen sie die Diversität in den Städten aushan­ ins Gespräch kommt. Und da ist natürlich verloren geht. stellungen zu geben. Wenn das gelingt, Ebene noch sehr viel wichtiger. Ich würde deln und wie sie natürlich auf diesem Weg die Nicht-BesucherInnenforschung ein Wenn wir also wollen, dass künftige dann ist es natürlich für die Kulturpoli­ eher davon sprechen, dass Kultur Sys­ auch möglichst viele Akteure mitnehmen probates Mittel, aber es ist natürlich nicht Generationen genau dieses Bewusstsein tik sehr viel leichter zu sagen: Ich setze temvoraussetzung ist, weil wir nur durch können. Ganz unabhängig davon, wo das alleinige. Ich glaube, dass Kulturein­ haben, um Kultur zu fördern, sei es in Steuer­mittel dafür und nicht für den Aus­ die Kultur, also durch die gemeinsamen diese Akteure herkommen, welche Hin­ richtungen in den Stadtraum gehen müs­ der Politik oder in der Zivilgesellschaft, bau von Straßen ein. Denn was ich in die Codes, Symbole und Geschichten, die wir tergründe oder welche religiöse Orien­ sen. Viele machen das ja auch schon. Sie dann müssen wir heute damit beginnen, Kultur investiere, kann ich nicht im Sozi­ teilen, überhaupt in der Lage sind, mitei­ tierung sie haben. Und sie müssen sich müssen versuchen, auch in den sozialen unsere Kulturvermittlung so aufzustel­ alen oder in die Infrastruktur investieren. immer dabei fragen, welche kulturellen Medien über ihre Arbeit zu sprechen und len, dass diejenigen, die morgen Verant­ Dazu bedarf es einer Form von Quali­ Vorhaben auch förderungswürdig sind. herauszufinden, wo denn eigentlich die wortung tragen, es als selbstverständlich tätsnachweis. Das wird sich in der Nach- „Kultur und kulturelle Also auch dort geht es um Priori­ Barrieren liegen. Die kulturelle Bildung begreifen, dass Kultur und kulturelle Aus­ Coronazeit zunehmend als politische sierung, aber aus einem möglichst brei­ kennt sehr viele Projekte, wo das wirk­ drucksformen in ihrer gesamten Vielfalt Heraus­forderung zeigen: den Kulturbe­ Ausdrucksformen ten Konsens heraus. Das würde ich mir lich gut gelungen ist, wo Künstlerinnen gefördert werden müssen. reich insgesamt funktional zu halten, d. h. müssen in ihrer für die Kultur auch in der Bundesrepub­ und Künstler beispielsweise in Schulen kulturelle Infrastrukturen auf möglichst lik insgesamt wünschen: einen sehr viel gehen, z. B. in sogenannte Brennpunkt­ Glauben Sie nicht, dass die großen hohem Niveau zu erhalten. gesamten Vielfalt breiteren Diskurs darüber, welche Kultur schulen und mit jungen Menschen arbei­ namhaften Kultureinrichtungen im- Die zweite Herausforderung wird Seite 18: Das komplette Orchester der Bamber- wir wie in unserem gesellschaftlichen Zu­ ten, die von Zuhause aus keinen Zugang mer Besucher haben werden? sein, innerhalb des Kulturbereich zu pri­ gefördert werden.“ ger Symphoniker spielte im März 2020 online sammenleben haben wollen. zur Kultur vermittelt bekommen haben. Mit einer veränderten Sicht auf Kul­ orisieren und zu überlegen, was stelle ich gemeinsam die „Ode an die Freude“. Die Social Ich glaube, das Sich-Öffnen ist sehr tur, auf Geschichte und auch auf be­ so auf, dass es krisenfest in das nächste Symphony kann man auf dem YouTube-Kanal der Symphoniker sehen Gibt es denn diesen Konsens über wichtig. Das Ausgreifen in den Stadtraum, stimmte kulturelle Inhalte wird sich Jahrzehnt oder in die nächsten Jahr­ nander zu kommunizieren. Das, was die die Rolle von Kultur und Kulturein- das Museum oder die Kulturinstitution die Bewertung von Kultur und auch zehnte gehen kann, und was muss ich ge­ Standbilder aus der ersten rein digitalen Gesellschaft, was die Gruppen, was die richtungen in Deutschland nicht be- eben nicht als hermetisch abgeriegelten, von Objekten verändern. Das erleben hen lassen. Und das ist eine schwierige Ur­aufführung von „REFLECTIONS OF HOPE. Gemeinschaften zusammenhält, das sind reits? sozusagen sakralen Ort zu begreifen, son­ wir ja gerade durch die Globalisierung und schmerzhafte Entscheidung. Aber A symphonic answer to the Corona pandemic“ der Bamberger Symphoniker (Komposition: die Kommunikationswege und Kommu­ Es gibt sicher einen Konsens unter dern zu verstehen, dass Museen, Theater oder auch durch postkoloniales Denken. sie wird am Ende des Tages nur verant­ Eduard Resatsch, Film: Michael Wende) nikationsmittel, und die sind immer kul­ denjenigen, die politische Verantwortung und Opern überhaupt nur Sinn haben, Auch die Akzeptanz von bestimmten Mo­ wortbar getroffen werden können, wenn turell. So verstanden, ermöglicht uns Kul­ tragen, und das ist gut so und auch keine wenn sie zu den Menschen sprechen. Und dellen des Umgangs mit Kultur und Kul­ sie sich an Qualitätsmaßstäben orientiert. tur überhaupt erst das gesellschaftliche Selbstverständlichkeit. Es gibt einen Kon­ das setzt die Reflexion über Sprech- und turgegenständen wird sich verändern. Und einer dieser Qualitätsmaßstäbe ist Zusammenleben. Daran wird deutlich, sens innerhalb der Kultur und innerhalb Kommunikationskanäle voraus. Insofern glaube ich, dass das, was sich der Dienst am Gemeinwohl. Ein anderer dass wir natürlich alles dafür tun müs­ des Kulturbereichs. Gleichzeitig müssen Und da sind wir wieder beim Punkt, verändern kann, schon auch existenziell ist sicher die künstlerische Qualität und sen, um Kultur in ihrer Vielfalt und auch wir uns natürlich auch fragen, was mit den wir eben angesprochen haben: In ist, weil möglicherweise, und das deutet die Innovationsfähigkeit. Aber wichtig ist in ihrer Bandbreite zu erhalten und auch denjenigen ist, die die traditionellen Kul­ einer Zeit, in der immer mehr vor allem sich ja bereits an, für bestimmte Formen doch, dass die Kultur nicht den Kontakt die Zugänge zu dieser Kultur zu schaffen turinstitutionen eben nicht besuchen, die junge Menschen in sozialen Medien auf der Vermittlung oder auch der Nicht- zur Gesellschaft verliert, dass die Kultur bzw. zu verbreitern. Das bedeutet auch, nicht ins Theater, in eine Galerie oder in Videoplattformen unterwegs sind, müs­ Auseinandersetzung mit bestimmten fest verankert ist in dem, was jede und dass wir die Kultureinrichtungen als Orte die Oper gehen. sen wir uns im Kulturbereich viel stärker Themen die gesellschaftliche Akzeptanz jeder täglich tut. Und das ist die Aufgabe begreifen, an denen Symbole und Inter­ Viele Menschen kommen nicht in die Frage stellen, wie wir unsere Inhalte sinkt. Wenn wir auch in Zukunft eine Kul­ der Kultur, niemandes sonst. Das müssen pretationsmuster ausgehandelt werden Museen, weil ihnen diese Welt fremd ist. so aufbereiten, dass sie eben auch in die­ turpolitik erwarten, die Museen, Thea­ diejenigen Menschen tun, die in der Kul­ und sich auch eben verändern können. Ich glaube, dass Politik an der Stelle an­ sen Medien anspruchsvoll und attraktiv ter und Opern fördert, dann müssen wir tur arbeiten, die Verantwortung tragen Denn das ist notwendig, damit eine Ge­ setzen muss, indem sie Zugänge zur Kul­ sind und Teilhabe ermöglichen. Das setzt gleichzeitig dafür sorgen, dass diese Kul­ für die Kultur und dafür, dass es großar­ sellschaft sich weiter entwickelt. tur schafft, und zwar eben nicht nur zur voraus, dass sich Institutionen im Bereich tureinrichtungen innovationsfähig sind, tige kulturelle Angebote auch noch in 20 Wenn Sie mir ein Beispiel aus unserer Hochkultur, sondern zu einer Kultur, die der Kulturvermittlung sehr viel stärker dass sie sich in ihren Fragestellungen oder 30 Jahren gibt, die öffentlich finan­ eigenen Arbeit gestatten: Wir betreuen ja sich als Systemvoraussetzung versteht, aufstellen. auch an gesamtgesellschaftlichen Fra­ ziert sind. den nationalen Wettbewerb um den Titel die sich als Voraussetzung für den gesell­ Ich glaube auch, dass das nicht nur gestellungen orientieren und ihre tradi­ Kulturhauptstadt Europas 2025. Und da schaftlichen Zusammenhalt versteht. ein frommer Wunsch ist, sondern dass es tionellen angestammten Inhalte danach Interview im Podcast sieht man in gewisser Weise im Kleinen hier wirklich um das Überleben des Kul­ befragen, ob sie uns etwas im Kontext „Lernen aus der Krise“ in den Bewerberstädten genau das, was Es gibt tatsächlich Erhebungen, nach turbereichs geht so wie wir ihn kennen. unserer heutigen Fragestellungen zu Hören Sie das vollständige Interview mit Prof. Dr. Markus Hilgert: letztlich auch in unserer Gesellschaft ins­ denen die Hälfte der Deutschen Wichtig dafür ist ein Bewusstsein in der ­sagen haben. www.kulturstiftung.de/kultur-lernen- krise oder auf iTunes und Spotify

24 Arsprototo 1 ⁄ 2020 25 Kinder im Alter von drei bis fünf Jahren in Interaktion mit der Installation „Jupiter im Oktogon“ von Rebecca Horn im Eingangsoktogon des Museum Wiesbaden, Hessisches Landesmuseum für Kunst und Natur. Unter dem Titel Mein Museum! fand in Kooperation mit zwei Wiesbadener Kindertageseinrichtungen ein äs­ thetisches Forschen im Museum als künstlerischer Pro­ zess mit Kindern im Alter von drei Jahren und ihren Er­ zieherinnen und Erziehern statt. „Für die Orte, in denen großformatige, raumbezogene Kunstinstallationen ge­ zeigt werden, haben wir Vermittlungskisten entwickelt, die über alltägliches Material an die Erfahrungswelt der Kinder anknüpfen und zum aktiven, spielerischen Begreifen und Gestalten einladen. Für die Konzeption und das Erproben nehmen wir uns gemeinsam mit den Erzieherinnen Zeit. Diese Entschleunigung bietet auch ihnen die Gelegenheit, die Kinder in anderen, neuen Zusammenhängen zu beob­ achten und zu erleben“, so Astrid Lembcke-Thiel, Kuratorin Bildung, Vermittlung, Besucherbeziehungen am Museum Wiesbaden, über die seit 2017 stattfindende Projektarbeit im Rahmen von Kunst und Spiele, einem Programm der Robert Bosch Stiftung und der Stiftung Brandenburger Tor. „Die Anwesenheit der Dreijährigen verändert auch das Bewusstsein musealer Bildungsarbeit der Kolleginnen und Kollegen im Haus sowie des Publikums. Der Umgang mit sehr jungen Kindern in den Ausstellungen ermöglicht allen Beteiligten eine neue Sichtweise und Haltung auf die In­ stitution.“ Thema kulturelle Bildung

26 Arsprototo 1 ⁄ 2020 27 Thema kulturelle Bildung

Die Kulturstiftung der Länder fördert kulturelle Bildung. Was sich dahinter verbirgt und warum das gesellschaftlich immer wichtiger wird von Ina von Kunowski

An einem Novemberabend im Jahr 2016 saß ich im stockdunklen ten wurde, war jedoch keine Reportage in der Tagesschau, kein Zuschauerraum des Depot 2 am Schauspiel Köln. Schülerinnen wissenschaftlicher Vortrag und auch kein aufgesagter Text eines und Schüler einer örtlichen Abendschule bringen eigene Ge­ lange toten Dichters. schichten auf die Bühne, so lautete die Ankündigung. Was ich Wir im Publikum erlebten, wie 20 Jugendliche und junge in den nächsten zwei Stunden sah, war genau das und zugleich Erwachsene ein bewegendes Gespräch über ihre Biografien be­ das Museum etwas ganz anderes. gannen. Über Flucht, Kriegserfahrungen, Identität und Heimat, Zur selben Zeit war der Höhepunkt der Migration nach Eu­ Diskriminierung, Freundschaft und Liebe. Die jungen Protago­ ropa gerade überwunden – in Deutschland steckten Politik und nisten saßen tagsüber in der Schule, an der Supermarktkasse, Gesellschaft in einer Zerreißprobe; wir diskutierten über Fragen im Hörsaal. Manche hatten die Schule abgebrochen und suchten Kunst und Spiele Kunst der Unterbringung und Integration hunderttausender geflüchte­ nach einer Perspektive. ter Menschen, über Rückführungen und das EU-Abkommen mit Es war ein authentischer, humorvoller, kluger und ernst­ der Türkei. Rechte Gewalt einerseits und Gesten der Mensch­ hafter Einbllick in die Wirklichkeiten der jungen Generation in lichkeit andererseits prägten die täglichen Nachrichten. Als im Deutschland, so unterschiedlich sie auch sein mögen. Was das Theatersaal das Licht anging, erlebte ich an diesem Abend eine Verbindende dort auf der Bühne war? Kunst. Und zwar Kunst Reflexion genau dieser weltpolitischen Lage. Was dort gebo­ von so hoher Qualität und Überzeugungskraft, dass die Perfor­ Ostwall im Dortmunder U und begegnen dabei ganz im Dortmunder Ostwall Weltentdecker und Farbmischer: Drei- und Vierjährige und Drei- und Farbmischer: Weltentdecker selbstverständlich zeitgenössischer Kunst. Im Hintergrund Im Hintergrund Kunst. zeitgenössischer selbstverständlich erkunden im Rahmen von von erkunden im Rahmen Jochen Gerz’ Arbeit „Das Geschenk“ aus dem Jahr 2000 Jahr aus dem „Das Geschenk“ Arbeit Gerz’ Jochen

Kunst und Spiele – phantasievolle Kulturvermittlung für Kinder, ein Programm der Robert Bosch Stiftung und der Stiftung Brandenburger Tor

Frühkindliche kulturelle Bildung nachhaltig an Kulturein- werden bewährte Formate im Haus verankert und in das richtungen verankern und dafür strukturelle Prozesse an- öffentliche Programmangebot übernommen. Optional stoßen – das ist das wichtigste Ziel des Förderprogramms können die teilnehmenden Institutionen ihr Wissen und Kunst und Spiele der Robert Bosch Stiftung in Koopera- Erfahrungen in der dritten Phase an neue Partner weiter- tion mit der Stiftung Brandenburger Tor. Seit 2013 hat sich geben. „Kulturelle Vermittlungsprogramme für sehr junge ein Netzwerk aus bundesweit 23 renommierten Kunst- Kinder an Kunst- und Kultureinrichtungen sollen selbst- und Kultureinrichtungen und ihren Bildungspartnern ge- verständlich werden“, betont Kronast. Bei der Öffentlich- bildet, darunter u. a. das Filmmuseum Potsdam, die Baye- keitsarbeit über die Veranstaltungsorganisation bis hin rischen Staatsgemäldesammlungen, das Kunstmuseum zur Programmumsetzung unterstützen die Mitarbeiterin- Bonn, das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin, Marta Her- nen und externe Experten der kooperierenden Stiftungen ford und das Klimahaus Bremerhaven. „Die Anwesenheit tatkräftig die Institutionen. Bundesweite Netzwerkaktivi- sehr junger Kinder an Kunst- und Kultureinrichtungen soll täten und Qualifizierungsangebote flankieren die Pro- selbstverständlich werden. Dieses Ziel ist nicht unrealis- grammstruktur. Eine programmbegleitende Evaluierung Kultur tisch, aber es ist herausfordernd“, sagt Programmleiterin erfasst wertvolle Erkenntnisse und Anregungen hinsicht- Natalie Kronast von der Stiftung Brandenburger Tor. „Kul- lich der Zielerreichung und Wirkung in den Einrichtungen tureinrichtungen haben den Auftrag, Menschen unabhän- und bei den Programmbeteiligten. Auch die herausfor- gig von Alter und gesellschaftlicher Herkunft kulturelle dernde Frage nach der Qualität der Kunst und Spiele-­ Teilhabe zu ermöglichen. Und in der UN-Kinderrechtskon- Aktivitäten und ihren Wirkungen auf die Kinder wird dabei vention heißt es unmissverständlich: ‚Jedes Kind hat das in Modellprojekten erörtert. Recht auf volle Beteiligung am kulturellen und künstleri- www.kunstundspiele.org schen Leben.’ Die Anwesenheit der Jüngsten ist für uns Ausgehend von Kunst und Spiele initiierten die Pro- begeistert deshalb keine Frage des Ob, sondern des Wie.“ grammverantwortlichen mit anderen Stiftungen und Ex- Ästhetische Zugänge für die Jüngsten zu entwickeln, perten aus Kultur, Bildung und Wissenschaft das Netz- phantasiereiche und altersgerechte Formate zu konzipie- werk „Frühkindliche Kulturelle Bildung“, um das Thema ren, dafür stellt das Programm den Teilnehmern in bis zu noch mehr in die Breite zu tragen. Gemeinsam streben die drei Förderphasen jeweils bis zu 30.000 Euro zur Verfü- Teilnehmer Veränderungen auf politischer, fachlicher und gung. In der ersten Phase erproben die Kultureinrichtun- struktureller Ebene an. Gefördert wird das Netzwerk gen zusammen mit einem Kooperationspartner aus dem durch die Robert Bosch Stiftung, als Träger und Sitz der Bildungsbereich – Kita, Grundschule oder Ausbildungs- Geschäftsstelle konnte die Deutsche Kinder- und Ju- einrichtung –, welche Angebote in den Einrichtungen gendstiftung gewonnen werden. sinnvoll eingesetzt werden können. In der zweiten Phase www.dkjs.de/netzwerk-fkb

28 Thema kulturelle Bildung

mances des Import Export Kollektivs heute Teil des regulären hung zur Freiheit. Heute gibt es viele unterschiedliche Begriffe, Spielplans des Schauspiel Kölns sind und dort neben Henrik viele Spielarten und zudem ein komplexes Netz an kommuna­ Ibsens „Nora“ und der „Jungfrau von Orleans“ von Friedrich len, regionalen, staatlichen und privaten Trägern und Förderern Schiller stehen. Die letzten Vorstellungen waren allesamt aus­ der kulturellen Bildung. verkauft, bis im März 2020 aufgrund der Corona-Pandemie alle In der Bundesrepublik der 1970er-Jahre haben Konzepte Kultureinrichtungen vorerst schließen mussten. kultureller Bildung eine verstärkte Aufmerksamkeit bekom­ „Bastel-biografisches Theater“ nennt der Regisseur und men; und zwar im Zuge einer allgemeinen Forderung nach mehr Theaterpädagoge Bassam Ghazi sein Werk mit dem Import- Selbstbestimmung und Mitbestimmung in Bildung und Kultur, Export-Kollektiv. Natürlich steckt mehr dahinter als impro­

visierte Bastelei: Ästhetischer Anspruch, pädagogische Ziele, soziale Werte. Was Ghazi da vermittelt, ist kulturelle Bildung. Es geht um Teilhabe Sie entstehe „im Wechselspiel von Rezeption und Produktion, an der Kultur als Grundrecht individuellem und gemeinschaftlichem Lernen, ästhetischer Wahrnehmung, Erkenntnis und künstlerischem Handeln“, so jedes Menschen formuliert es die Kultusministerkonferenz der Länder in minis­ terialem Deutsch. Dabei kann kulturelle Bildung etwas sehr Handfestes sein, weil sie im besten Fall Antworten liefert auf aber auch von Seiten der Kunst selbst, die sich neu definierte die drängenden Fragen der Jugend, die sich auch Erwachsene und als eine soziale Kraft begriff. Joseph Beuys’ berühmter Satz immer wieder stellen: In was für einer Welt will ich leben? Was „Jeder Mensch ist ein Künstler“ mag die Geister nach wie vor trage ich dazu bei? Zu welcher Gruppe gehöre ich? Welchen Wer­ scheiden, markiert aber einen wichtigen Wendepunkt, eine Hin­ ten will ich folgen? Und wie stehe ich zu denen, die andere Werte wendung zur Kunst, die sich nicht nur mit dem Wahren, Guten haben als ich selbst? und Schönen auseinandersetzt, sondern gesellschaftliche Ver­ In einer Gesellschaft, in der sich das Verbindende von Volks­ hältnisse reflektiert und sich sozial engagiert. Seitdem ist Parti­ parteien, Kirche und Traditionsfamilie immer weiter lockert und zipation ein wesentliches Element in der Kunst und in der kul­ Lenbachhaus München Lenbachhaus Aus den Video-Mitschnitten des Online-Figurentheaters, des Online-Figurentheaters, Video-Mitschnitten den Aus die nach neuem Zusammenhalt sucht, hat sich die Kulturstif­ turellen Bildungsarbeit. tung der Länder dazu entschlossen, die kulturelle Bildung in Nach der ersten PISA-Studie im Jahr 2000, die das wohl­ Bei den Lenbachs zuhause, Online-Figurentheater, Deutschland weiter zu fördern. Sie tut es im Auftrag der 16 Län­ habende Deutschland auf einen beschämenden mittleren Rang Lenbachhaus, München der und genau an den Stellen, an denen länderübergreifende, einordnete, gingen die Interpretationen darüber, welche Kom­ deutschlandweite Aktivitäten gefragt sind – etwa beim Aufbau petenzen der Jugend in Zukunft wichtig seien, stark auseinan­ von Netzwerken, beim Transfer von Wissen und Good-Practice- der. Musik- und Kunstunterricht wurden seitdem vernachlässigt, Dass kulturelle Bildung auch in Zeiten von Corona Spaß Soundstücken ein Hörspiel geschnitten wurde, zeichne- Beispielen, bei Fragen der Evaluation und der Forschung, die die so die Wahrnehmung vieler Pädagogen. PISA hat den Eindruck macht, hat das Münchner Lenbachhaus gezeigt: Bei den ten die Teilnehmenden die Figuren und Dekorationen, die Wirksamkeit kultureller Bildung untersucht. Wir möchten ge­ verstärkt, Kultur sei Luxus und es komme vor allem auf Qualifi­ Lenbachs zuhause ist ein künstlerisches Beteiligungspro- dann von den Museumsmitarbeitern ausgedruckt und jekt für Kinder und Jugendliche, die Online-Figurenthea- montiert wurden. Bei der anschließenden Redaktionssit- meinsam mit Partnern kulturelle Bildung in Politik und Gesell­ kationen in Naturwissenschaften und Sprachen an. terwerkstatt griff dabei die aktuelle Situation auf. Grund- zung im Videochat konnten die Kinder dann das bisherige schaft weiter aufwerten. Dass Kunst und Kultur es überhaupt erst ermöglichen kön­ idee war, dass auch die Lenbachs, die fiktiven Bewohner Material mit eigenen Hörstücken (Krimi, Podcast, Nach- Seit langem gehört die Förderung kultureller Bildung zum nen, Jugendliche für jegliche Art der Bildung zu öffnen, drang des Museums, wie alle momentan nicht vor die Tür gehen. richtensendung in Eigenregie) und weiteren Dekoratio- Die Familie ist also zuhause, kann Fernsehen und per Vi- nen noch komplettieren. Zum Abschluss wurde die Folge Engagement der Kulturstiftung der Länder für den Erhalt und 2004 erstmals mit Projekten wie „Rhythm is it“ ins öffentliche deo mit Bekannten telefonieren. Aber was sehen und hö- vom Vortag präsentiert und diskutiert. Die Mitarbeiter den öffentlichen Zugang zu materiellen Kulturgütern wie Ge­ Bewusstsein. Der Dokumentarfilm über eine Zusammenarbeit ren die Familienmitglieder? Was könnten sie darüber hin- des Lenbachhauses spielten jeweils anschließend an die mälden, Skulpturen oder archäologischen Funden von gesamt­ der Berliner Philharmoniker mit 240 Jugendlichen und dem Cho­ aus in ihren vier Wänden, dem Museum, alles erleben? Workshops das von den Kindern entwickelte Hörstück als Dazu entstanden gemeinsam produzierte Figurenthea- Theaterstück auf einer Bühne, aus dem Videomitschnitt staatlicher Bedeutung. Von der kulturellen Bildung und der reografen Royston Maldoom führte vor Augen, welche posi­tiven tervideos. An jedem Projekttag kamen die Mitarbeiter der wurde eine fertige Schnittfassung erstellt. Kulturvermittlung gehen Impulse aus, die für den gesamten Kul­ Effekte Kulturprojekte gerade für Schüler aus bildungsfernen Kunstvermittlung mit den jungen Teilnehmenden in einer turbetrieb wichtig sind: Es sind die Fragen nach gesellschaftli­ Schichten haben können. Der Film markiert den Beginn einer Videokonferenz zusammen und haben über diese und ei- Die Videos von Bei den Lenbachs zuhause cher Beteiligung und gerechter Teilhabe an Kunst und Kultur. neuen Welle der zielgerichteten Förderung und Professionali­ nen Wiki zusammengearbeitet. Jeden Tag arbeiteten um finden Sie hier: www.lenbachhaus.de/blog/eine- die fünf Kinder und Jugendliche gemeinsam an einem figurentheaterwerkstatt-aus-der-distanz Kulturelle Bildung muss daher ein integraler Bestandteil von sierung: Im neuen Jahrtausend ist die staatliche Unterstützung Drehbuch. Anschließend wurden die Rollen verteilt und kulturpolitischer Programmatik und Förderung sein. ebenso wie das Engagement privater Stiftungen für kulturelle Bil­ die einzelnen Textteile von den Kindern und Jugendlichen Über das, was kulturelle Bildung sei, was sie für den einzel­ dung ausgeweitet worden. In diese Jahre des Aufbruchs fiel auch zuhause über ein Smartphone oder ein Aufnahmegerät selbstständig eingesprochen und anschließend an die nen Menschen und für die Gesellschaft bedeuten kann, ist seit der Startschuss für das Programm „Kinder zum Olymp!“ der Kul­ Museumsmitarbeiter geschickt. Während aus diesen der Aufklärung viel geschrieben und gesagt worden. Friedrich­ turstiftung der Länder in Kooperation mit der Bundeszentrale Schiller hob im Jahr 1793 in seinen Briefen „Über die ästhetische für politische Bildung und der Stiftung „Jugend Bildung Kultur“ Erziehung des Menschen“ die befreiende Wirkung der Kunst der Unternehmensberatung PricewaterhouseCoopers – ab 2005 hervor. Sie sei zwar „immer nur leitbildhafte Vorbereitung, bloße auch der Kulturstiftung des Bundes. Ein wichtiger Wegbereiter. Vorwegnahme im Phantasie-Bereich des Möglichen“,­ setze aber „TV aus, zum Kunstgebet!“ überschrieb die Süddeutsche auch „das Individuum in Freiheit“. Kulturelle Bildung als Erzie­ Zeitung am 2. Februar 2004 einen Bericht über den ersten

Arsprototo 1 ⁄ 2020 31 Thema kulturelle Bildung

­„Kinder zum Olymp“-Kongress in Leipzig, der sich mit Leiden­ senschaftler und Künstler. Der Rat beschäftigt sich mit der Lage schaft und einer Menge Sachverstand für die Förderung der äs­ und Qualität kultureller Bildung in Deutschland, gibt Empfeh­ thetischen Bildung und Erziehung einsetzte. Einer Roadshow lungen an Politik und Wissenschaft, fungiert als Impulsgeber gleich fanden dann alle zwei Jahre in verschiedenen Ländern und Drehschreibe für den deutschlandweiten Austausch. Weil Deutschlands weitere Kongresse statt. Sie zeigten gute Beispiele sie nachweislich grundlegende Kompetenzen fördert, hat kultu­ und brachten die Profis der Szene zusammen, stifteten Netz­ relle Bildung mehr und mehr an bildungspolitischer Bedeutung werke. Kitas und Schulen wurden darin bestärkt, der kulturellen gewonnen. Bildung aller Kinder und Jugendlichen nicht nur über die musi­ Kulturelle Bildung vermittelt die Kompetenz, sich in den schen Fächer wie Kunst und Musik, sondern über Kooperationen kulturellen Ausdrucksformen, die unsere Gesellschaft ausma­

mit Kultureinrichtungen gerecht zu werden. Dies wurde auch im chen, bewegen zu können. Wer beispielsweise nie Gelegenheit Zuge des Ausbaus von Ganztagsschulen immer wichtiger. hatte, das Alphabet zu lernen, kann nicht lesen und an den gro­ In den letzten Jahren ist der Begriff der Teilhabe in Bezug auf ßen Geschichten unserer Gesellschaft teilhaben. Die Techni­ die kulturelle Bildung noch erweitert worden – es geht um Teil­ ken beherrschen zu lernen und die Geschichte zu kennen ist das habe an der Kultur als Grundrecht jedes Menschen, aber auch Eine. Sie ermöglichen das Verständnis unseres kulturellen Er­ um die Bildungspotenziale der kulturellen Bildung und um die bes. Die gesellschaftliche Bedeutung, die dem entspringt, ist das Möglichkeiten, Kindern und Jugendlichen unabhängig von den Andere: Kulturelle Bildung vermittelt das Handwerkszeug, um Voraussetzungen ihrer Elternhäuser einen Zugang zu Kunst und das Erbe in die Zukunft fortzuschreiben. zu Kultur zu ermöglichen. Und sie fügt der allgemeinen Bildung etwas hinzu, das nicht „Kulturelle Bildung ist Allgemeinbildung in den Künsten gelehrt, sondern nur erworben werden kann: die Fähigkeit, sich und durch die Künste.“ So lautet der Grundsatz des unabhän­ zu reflektieren, sich in andere Menschen einzufühlen, seine gigen Expertenrates „Rat für Kulturelle Bildung“, dem derzeit Stimme zu erheben, anderen zuhören zu können, selber zu den­ elf Fachleute unterschiedlicher Disziplinien angehören, Wis­ ken und zu handeln. Projekt UZWEI_Kulturelle Bildung im Dortmunder U, 2018 U, Bildung im Dortmunder UZWEI_Kulturelle Projekt Anlaufstellen für kulturelle Verbände, Akademien plan, Leistungen für Bildung und Teilhabe UZWEI, im Studio der Workshop offener VR-Installation, Bundesministerium für Bildung und Bildung in den Ländern und Initiativen Forschung: Programm „Kultur macht stark“ Das Dortmunder U ist ein Labor für digital vermittelte Kultur Einige Länder haben neben zentralen Anlauf- Auswahl stellen und Förderprogrammen auch Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- Förder­möglichkeiten Landesvereinigungen für kulturelle Bildung, und Jugendbildung (BKJ e.V.): Zentrum für Kunst und Kreativität nennt sich das Dort- ­kulturelle Bildung nutzt das Dortmunder U deshalb ins­ die als Ansprechpartner fungieren. www.bkj.de Eine Übersicht über Fördermöglichkeiten munder U – im Kellereihochhaus der früheren Dortmun- besondere die digitalen Medien zur Vermittlung, um für kulturelle Bildung auf kommunaler Ebene, der Union-Brauerei hat sich im Rahmen der Kulturhaupt- ­spielerische und partizipative Ansätze zu verfolgen. Ob Auswahl Bundesakademie für Kulturelle Bildung auf Landesebene und bundesweit hat die stadt RUHR.2010 ein interdisziplinäres Kulturhaus ge- Instagram-Workshop, Virtual Reality-Parcours oder Wolfenbüttel: Berliner Projektfonds Kulturelle Bildung: Bundeszentrale für politische Bildung gründet. Das Museum Ostwall, der Hartware Medien- Gaming-Club – auf der UZWEI, der Plattform für junge www.bundesakademie.de www.kubinaut.de zusammengestellt: KunstVerein, die kulturelle Bildungseinrichtung UZWEI, Me­dienschaffende, finden Jugendliche ein Zukunftslabor www.bpb.de/partner/akquisos/292038/ die Fachhochschule Dortmund, die Technische Universi- der kulturellen Bildung. Plattform Kulturelle Bildung Brandenburg: Akademie der Kulturellen Bildung kulturelle-bildung-foerdermoeglichkeiten tät Dortmund und weitere Vereine kooperieren bei ihren Kulturelle Institutionen treten im Turm des Dortmun- www.plattformkulturellebildung.de des Bundes und des Landes NRW: www.kulturellebildung.de Angeboten: Ausstellungen, Filmprogramme, Workshops, der U in den Dialog mit Kreativwirtschaft und Forschung, Kulturkoffer Hessen: Clubabende, Video- und Klangkunst und Kurse für Kinder das Zentrum möchte eine zeitgemäße Erforschung und www.kulturkoffer.hessen.de Rat für Kulturelle Bildung: Vorhaben der und Jugendliche locken mit wachsendem Erfolg Men- Reflexion der vernetzten Welt darstellen. Denn die euro- www.rat-kulturelle-bildung.de schen aus Stadt und Region in das Kulturzentrum. „Das päischen Museen und Kulturorte sind fast überall auf der Arbeitsstelle Kulturelle Bildung Nordrhein- Kultur­stiftung der Länder Dortmunder U ist ein Kunstzentrum eigener Art. Es ist Suche nach neuen Strategien im Audience Development. Westfalen: Kulturelle Bildung. Online: mehr Centre Pompidou als Louvre, sein Bezugsfeld keine Kunst und Kultur wird zunehmend digital vermittelt. www.kulturellebildung-nrw.de www.kubi-online.de Die Kulturstiftung der Länder und die Beauf- Museumsmeile, sondern ein Kreativquartier“, sagt der Kultur.Land.Schule. Fachstelle Kulturelle Initiative Kulturelle Integration: tragte der Bundesregierung für Kultur und ehemalige Leiter Kurt Eichler. Als Forum für gesellschaft- www.dortmunder-u.de Bildung Mecklenburg-Vorpommern: www.kulturelle-integration.de Medien loben erstmalig im Jahr 2020 den liche Debatten will das Dortmunder U ein offener Ort sein www.kubi-mv.de von Bund und Ländern gemeinsam ins Leben und als Begleiter des Strukturwandels im Ruhrgebiet mit gerufenen Deutschen Preis für Kulturelle neuartigen kulturellen Formaten fungieren. „Die Verzah- Generation K. Kultur trifft Schule Förderprogramme Bildung aus. Ausgezeichnet werden erfolg- nung zwischen Kunst und Alltagswelt ist Programm“, sagt (Rheinland-Pfalz): versprechende Konzepte oder Projekte, die Eichler. www.generationk.de des Bundes digitale Instrumente innovativ einsetzen Einen Schwerpunkt legt das Zentrum dabei auf die Auswahl und sich durch ein hohes Potenzial für den Auswirkung von Digitalisierung und Vernetzung auf die Beauftragte der Bundesregierung für Transfer in die Breite auszeichnen. Außer- soziale Kommunikation, auf die Vermittlung von Kultur wie Kultur und Medien: Förderung von Modell- dem ist in Kooperation mit der Kulturstiftung auch die Produktionsbedingungen von Kunst. Für die projekten und spartenbezogene des Bundes und der Bundeszentrale für Förderfonds politische Bildung auch eine Kongress-Reihe zur kulturellen Bildung in Vorbereitung. Kulturstiftung des Bundes: Weitere Veranstaltungen, Förderinitiativen Förderschwerpunkt Kulturelle Bildung und Wissensformate sind in der Entwicklung. Bundesministerium für Familie, Senioren, Aktuelle Informationen finden Sie jeweils Frauen und Jugend (BMFSFJ): Förderung unter www.kulturstiftung.de/kulturelle- der politischen und kulturellen Kinder- und bildung auf der Webseite der Kulturstiftung 32 Jugendarbeit aus dem Kinder- und Jugend- der Länder. Thema kulturelle Bildung

Wird kulturelle Bildung überfrachtet? Nein, es hat Hand und nen Töpfen gefördert. Überall in Deutschland finden an Thea­ Fuß. Studien wie etwa die aus dem „Forschungsfonds Kulturelle tern, Museen und Opernhäusern, in Universitäten, Bibliotheken Bildung“ zeigen, dass sie unter bestimmten Bedingungen wirkt: und in den Medien vorbildliche Kulturprojekte mit jungen und Tanz und Bewegungstheater beispielsweise können sich positiv älteren Besuchern, mit Laien-Künstlerinnen und Interessierten auf die Kreativität auswirken. statt. Beim Tanzen, Musizieren, Gestalten oder Zeichnen können Viele private deutsche Stiftungen wie die Robert Bosch Stif­ wir Kompetenzen erwerben, die über bloße Fächer oder Wis­ tung, die Stiftung Mercator und die Bertelsmann Stiftung haben sensgebiete hinausgehen. Überfachliche Kompetenzen oder große Programme auch für eine strukturelle Verankerung kultu­ Soft Skills – wie man sie nun immer bezeichnen möchte. Flexibel reller Bildung auf den Weg gebracht wie beispielsweise „Kunst denken, kreativ neue Wege und Lösungen finden, seine Stimme und Spiele“ in der frühkindlichen Bildung, die „Musikalische erheben und im Austausch mit anderen Kompromisse finden Grundschule“ oder „Kulturagenten für kreative Schulen“ an können –, all diese Fähigkeiten hat die gemeinnützige Organi­ weiterführenden Schulen. Einige deutsche Länder haben Kom­ sation „Partnership for 21st Century Learning“ in den Vereinig­ petenzzentren und Anlaufstellen für kulturelle Bildung geschaf­ ten Staaten im Konzept der „Competencies for the 21st century“ fen oder Förderprogramme für kulturelle Bildung initiiert und verdichtet; dahinter stecken Größen der US-amerikanischen mit finanziellen Mitteln ausgestattet. Im Kulturfördergesetz des Politik, des Bildungssektors und der Wirtschaft. Als Kernkom­ Landes Nordrhein-Westfalen, im Dezember 2014 in Kraft ge­ petenzen werden bestimmt: Kreativität, Kommunikation, Ko­ treten, steht kulturelle Bildung neben den Schwerpunkten der operation, kritisches Denken. Weltweit ist dieses Konzept in „Produktion und Präsentation der Künste“ und dem „Erhalt des unterschied­lichen Varianten dankbar aufgegriffen worden; es kulturellen Erbes“ – wie es wirkt, wird sich zeigen. scheint nur zu gut zu passen in unsere Lebens- und Arbeitswelt, Währenddessen entstehen neue Kulturorte. Einen davon die von einem schnellen Wandel und dem Digitalen geprägt ist. hat sich der Rat für kulturelle Bildung in einer repräsentativen Fürsprecher in Deutschland sind beispielsweise der Chef der Umfrage unter 12- bis 19-jährigen genauer angesehen. Die On­ PISA-Studien, Andreas Schleicher, oder auch Bildungsinitiati­ line-Video-Plattform YouTube ist digitales Leitmedium in die­ ven wie „Education Y“ in Düsseldorf. ser Altersgruppe. „Für viele der Jugendlichen sind die Videos Das junge Ensemble des Schauspiels Köln spielt „Schöne spielt des Schauspiels Köln Das junge Ensemble neue Welt“, ein Stück nach dem Roman von Aldous Huxley von nach dem Roman ein Stück Welt“, neue Diese Sicht ist umstritten. Zu Recht? Der Blick auf die Wir­ auch in hohem Maße anregend, künstlerisch aktiv zu werden kungen, die Nutzbarkeit und Indienstnahme der kulturellen Bil­ – sie fühlen sich in Bereichen wie Tanz, Film, Musik, Gaming „Schöne neue Welt“ im dung ist ambivalent. Denn verschwindet bei der Zweckorientie­ oder Zeichnen zum Nachahmen und Mitmachen inspiriert“, so Schauspiel Köln rung nicht die Kunst als genau das, was eigentlich im Zentrum die Autoren der Studie. der Auseinandersetzung steht mit all ihrem Eigensinn? Ihrer YouTube ein Kulturort? Genau wie die klassischen Medien Freiheit, zu entwickeln, ergebnisoffen zu sein, nicht vom Ende, sich fragen müssen, wo ihr Publikum in Zukunft journalistische Der Roman „Schöne neue Welt“ von Aldous Huxley bietet sondern vom Anfang her zu denken, sich am Menschen und sei­ Inhalte konsumieren wird – der YouTube-Star Rezo hat in die­ die Basis für das neue Stück des jungen Ensembles am Schauspiel Köln. 15 junge Menschen des Import Export nen Bedürfnissen zu orientieren? sem Jahr die wichtigste deutsche Journalisten-Auszeichnung, Kollektivs untersuchen, wie sehr der „koloniale Blick“ in Im Jahr 2007 erregte die Deutsche Kammerphilharmo­ den Nannen-Preis gewonnen – genauso müssen Kultureinrich­ unserer eigenen Perspektive auf fremde Kulturen veran- nie Bremen, schon damals ein Orchester von Weltrang, großes tungen sich fragen, wo und wie sie in Zukunft ihr Publikum errei­ kert ist und fragen nach Parallelen der Schönen neuen Welt und unserer heutigen Gesellschaft. Acht Wochen Aufsehen, als sie Probenräume in einer Bremer Gesamtschule chen. Es ist wohl das Spontane und Unfertige, das vermeintlich probten die jungen Teilnehmer, seit September 2019 er- bezog. Mitten in einem von Kinderarmut und Bildungsbenach­ Authentische und die Offenheit gegenüber neuen Themen und lebte das Stück schon 17 ausverkaufte Aufführungen als teiligung geprägten Stadtteil. Das Orchester rief das „Zukunfts­ Ausdrucksformen, die gerade junge Menschen anspricht. fester Bestandteil des Repertoires des Schauspiels Köln. labor“ ins Leben, aus dem musikalisch-soziale, regelmäßig Mechthild Eickhoff, Geschäftsführerin des Fonds Sozio­ Das Import Export Kollektiv ist das junge Ensemble am Schauspiel Köln. Das diverse Ensemble vereint 28 stattfindende Projekte wie die „Stadtteil-Oper“ hervorgingen. kultur, hat einige Jahre als Leiterin der UZWEI im Dortmunder junge Menschen im Alter von 14 bis 32 Jahren aus sehr Auch Begegnungen zwischen den Profi-Musikern und den jun­ U junge Menschen in der Medienwerkstatt oder bei Filmwork­ vielfältigen Lebenswelten und mit unterschiedlichem Er- gen Leuten auf den Fluren, in der Mensa, bei Probebesuchen shops begleitet und partizipative Ausstellungen realisiert. Digi­ fahrungswissen. Das Kollektiv wurde bereits 2008 unter der künstlerischen Leitung von Bassam Ghazi als freies und in speziellen Musikklassen sind nicht selten. So simpel, so tale Mittel wie Tablets und Smartphones kamen dabei zum Ein­ Jugendtheaterensemble in Köln-Mülheim gegründet. herausragend: Räumliche Nähe schafft Begegnungen, schafft satz. Viel wichtiger sei aber die Einsicht, so Eickhoff, dass die Seit 2015 gehört das junge Ensemble zum Schauspiel Chancen. Digitalität unsere Gesellschaft in einen neuen Zustand versetzt Köln und entwickelt in jeder Spielzeit eine Produktion un- ter professionellen Bedingungen. Die jungen Künstler des Die Enquête-Kommission des deutschen Bundestages habe. „Wir denken und handeln in Netzwerken, kommunizieren Kollektivs werden für Workshops, Proben und Auftritte „Kultur in Deutschland“ markierte, ebenfalls im Jahr 2007, ein schneller und einfacher, sind am Dialog orientiert, trauen uns, finanziell honoriert. massives Umsetzungsproblem im Feld der kulturellen Bildung. Dinge auszuprobieren, zu verwerfen und ungewöhnliche Sicht­ Der Befund: viel Programmatik, viele gute Projekte, wenig Brei­ weisen und Communities einzubinden.“ Mit dieser Grundhal­ tenwirkung. Und heute? Fest steht, dass kulturelle Bildung eine tung sind Kultureinrichtungen also gefordert, auf je eigene Art unverzichtbare öffentliche Aufgabe geworden und aus der Ju­ und Weise erfinderisch zu werden und im Sinne einer Plattform gend-, Kultur-, Bildungs- und Sozialpolitik nicht wegzudenken auch Räume und Rollen frei zu geben, um gesellschaftlich be­ ist. Sie wird in vielen Politikfeldern und aus vielen verschiede­ deutsam zu bleiben.

34 Arsprototo 1 ⁄ 2020 35 Thema kulturelle Bildung Interessen, Zugänge, Finanzierung: Zahlen zur kulturellen Bildung in Deutschland Wie wichtig es ist, junge Generationen in Deutschland auch dächtnis behalten, dass die Identitäten tief in unserem Innern über die Auseinandersetzung mit Kunst und Kultur an freiheit­ weder fixiert sind noch uns zwangsläufig durch den Zufall der lich-demokratische Werte zu binden, liegt auf der Hand. Viele Geburt beschert werden. Identität kann zur Spaltung, aber auch Kultureinrichtungen werden von politisch rechten Gruppierun­ zur Einigung benutzt werden.“ Anteil an der deutschen Bevölkerung, der die Aussage bejaht, es seien vor allem die klassischen deutschen Dichter und Denker „Webvideos sind für viele Jugend­ gen unter Druck gesetzt, insbesondere in ländlichen Regionen, Hier liegt eine zentrale Aufgabe kultureller Bildung und wie Goethe, Schiller und Kant, die unsere Kultur ausmachten liche kulturelle Leitmedien.“ wo es nicht viele kulturelle Angebote gibt. „In diesen Zeiten gibt Kulturvermittlung in der demokratischen Gesellschaft: dass sie im Jahr 2000: 71% es keine Neutralität. Wir müssen für unsere Werte einstehen,“ Diskurse über Identitäten anstößt, hinterfragt und beflügelt. im Jahr 2016: 46%. sagt Judith Schilling, Geschäftsführerin des Treibhaus e.V. in der Und dass sie dies im Sinne unserer freiheitlich-demokratischen 86 Prozent der 12- bis 19-Jährigen Jugendlichen in Deutschland Anteil der 14- bis 29-Jährigen, die sich 1997 nutzen die Webvideo-Plattform YouTube mindestens einmal pro sächsischen Kleinstadt Döbeln. „In unseren Projekten wie dem Grundordnung bestmöglich tun kann, darin müssen Staat und für Kunst und Kultur interessieren: 42% Woche, 41% mehrmals die Woche. Café Courage oder der Siebdruckwerkstatt bringen wir unter­ Zivilgesellschaft die handelnden Personen und Institutionen Anteil der 14- bis 29-Jährigen, die sich 2017 Beliebteste Genres auf YouTube: schiedlichste Menschen aller Altersstufen zusammen. Wir bie­ unterstützen, ihnen die finanziellen Grundlagen dauerhaft be­ für Kunst und Kultur interessieren: 33% „Let’s Play, Gaming, Gaming Trailer“ mit 74 Prozent bei den Jungen ten Raum für verschiedene Sichtweisen. Zum Streiten und Dis­ reitstellen, ihnen Aufmerksamkeit und Wertschätzung entge­ „Musikvideos / Konzerte“ mit 65 Prozent bei den Mädchen kutieren, aber auch als Schutzraum, in dem man sich entfalten genbringen. 40% der besonders an Tanz und Choreografien interessierten kann.“ Zum Glück gibt es immer wieder Menschen, die einfach 12- bis 19-Jährigen Mädchen fühlen sich durch die Webvideos Einer der führenden politischen Denker unserer Zeit und loslegen. Die spielen, was sie bewegt und es damit vermögen, „Kulturelles Interesse „sehr“ angeregt, sich für diese Aktivitäten zu interessieren oder sie selbst auszuüben. Professor an der Stanford University in Californien, Francis Fu­ uns zu bewegen. Wie das junge Ensemble in Köln. Für die kom­ wird in hohem 38% der männlichen Befragten, die sich vor allem für den Bereich kuyama, resümiert in seinem aktuellen Buch über die Lage der mende Spielzeit steht ein neues Stück an. Es heißt „Schöne neue Computerspiele und Gaming interessieren, geben an, dass sie liberalen Demokratien in der Welt mit dem Titel „Identity. The Welt“. sich durch YouTube „sehr“ angeregt fühlen, sich für diese Demand for Dignity and the Politics of Resentment“ (dt. „Iden­ Ina von Kunowski leitet die Stabsstelle Kulturelle Bildung Maße familiär tradiert.“ Aktivitäten zu interessieren oder sie selbst auszuüben. tität. Wie der Verlust der Würde unsere Demokratie gefährdet“): bei der Kulturstiftung der Länder. Bei 74% der nach eigenen Angaben kulturinteressierten Schüle- „Wir werden nie aufhören, Identitätsmaßstäbe an uns selbst und rinnen und Schüler, von denen zumindest ein Elternteil über einen unsere Gesellschaften anzulegen. Dennoch müssen wir im Ge­ Die Praxisbeispiele stellte Johannes Fellmann zusammen. Hochschulabschluss verfügt, waren die Eltern der Auslöser für das eigene Interesse an Kultur. „Die jungen Menschen Bei 33% der nach eigenen Angaben kulturinteressierten Schülerin- nen und Schüler aus eher bildungsfernen Elternhäusern haben ihre in Deutschland Eltern das Interesse an Kultur geweckt. 56% sagen, es habe sich „einfach so entwickelt“; 37% sagen, dass ihre Lehrer Auslöser für ihr werden vielfältiger.“ Interesse an Kultur seien. Der Anteil der nicht-deutschen Jugendlichen nahm gegenüber 2015 um fünf Prozentpunkte auf 15 Prozent zu.

Insgesamt sind 30 Prozent der Jugendlichen entweder

nicht-deutscher Nationalität oder haben einen „Musik ist Migrationshintergrund. 39 % der Jugendlichen in Deutschland sind eher weltoffen orientiert. 33 % sind eher populistisch orientiert. Schwerpunkt 28 % sind nicht eindeutig positioniert. Mehr als die Hälfte der Jugendlichen in Deutschland (56%) hat Angst vor einer wachsenden Feindlichkeit zwischen Menschen, die unterschiedlicher Meinung sind. bei kulturellen Anzahl der an kultureller Bildung beteiligten Förderer in Deutschland in den Jahren 2008 bis 2010: 2035 Kinder machen Bücher Mister- und Misses-Welt“ von Cleo, Cleo, von und Misses-Welt“ Mister- Rechts: Cover von „Der Maulwurf „Der von Cover Rechts: Caspar, 9 Jahre Caspar, 8 Jahre 8 Jahre Links: Cover des Buches „Die bunte des Buches Cover Links: findet drei Freunde“ von Leo undvon Freunde“ drei findet Ganztags- Gesamtausgaben für kulturelle Bildungsmaßnahmen in den Jahren 2008 bis 2010 ohne die künstlerischen Schulfächer: Sie heißen Das magische Ei, Der Weihnachtsmann in der Linie mit der Haltung zu tun, aus der Erwachsene den Kin- 9,68 Milliarden € Bierflasche, Monster unter sich, Langhaar Lisa, Die bunte dern begegnen: sie zu achten als selbständig denkende angeboten.“ Gesamtausgaben für kulturelle Bildungsmaßnahmen inkl. der Mister-und-Misses-Welt oder Konrad die Kartoffel – 107 und handelnde junge Menschen, sie ernst zu nehmen mit künstlerischen Schulfächer in den Jahren 2008 bis 2010: Bücher kann man im Online-Shop des Vereins Buchkinder allem, was da ist. Als erwachsene Begleiter verstehen wir 23,4 Milliarden € Leipzig bestellen. Zwischen 13 und 22 Euro kosten die uns als Raumgeber für eigene Erfahrungsmöglichkeiten, 77% der befragten Schulleitungen haben kulturelle Bildung in reich illustrierten Kinderbücher. Das Außergewöhnliche: um eigene Ideen und Vorstellungen hervorzubringen“, das Schulprogramm aufgenommen oder planen dies zu tun. Alle Ausgaben sind von Kindern selbst geschrieben, illus- sagt Susanne Tenzler-Häusler vom Verein. Zitate und statistische Angaben stammen aus den folgenden Studien: Dr. Steffen de triert und gesetzt und in der vereinseigenen Manufaktur Enorm wichtig und motivierend sei die Präsentation Anteil von Schulen, die im außerunterrichtlichen Ganztag Sombre (2017), Allensbacher Markt- und Werbeträgeranalyse: Bildungsbürgertum gedruckt. Schon seit 2001 gibt es die Buch- und Schreib- der fertigen Bücher, ob vor den anderen Kindern oder so- ein Musik-Angebot bereitstellen: 88%; und Massenkultur; Rat für Kulturelle Bildung (2015), Jugend/Kunst/Erfahrung. Hori- werkstatt für Kinder und Jugendliche im Alter von 4 – 18 gar auf der Leipziger und Frankfurter Buchmesse. „Spie- Literatur-, Film- und Designangebote spielen im Vergleich zont 2015. Studie: Kulturverständnis, kulturelle Interessen und Aktivitäten von Schü- lerinnen und Schülern der 9. und 10. Klassen an allgemeinbildenden Schulen. Begeg- Jahren. Dort können die jungen Autoren mit zurückhal- lerisch übernehmen die Autoren Verantwortung für ihr eine weitaus geringere Rolle . nungsmöglichkeiten und Erfahrungen mit den Künsten; Rat für Kulturelle Bildung tender Unterstützung von Erwachsenen ihren Ideen freien ­literarisches Produkt und entwickeln neben Kreativität (2017), Kulturelle Bildung an Ganztagsschulen. Schulleitungsbefragung zur Gestal- Lauf lassen. und kommunikativen Fähigkeiten auch soziale Kompe- Der Anteil ausgebildeter Künstlerinnen und Kulturpädagogen tung und Qualitätssicherung des kulturellen Ganztagsangebots; Rat für Kulturelle im freiwilligen kulturellen Ganztagsangebot der Schulen liegt nach Bildung (2019), Jugend/YouTube/Kulturelle Bildung. Horizont 2019. Studie: Eine re- Denn Vorgaben oder Einmischung in Inhalte sind bei tenz“, berichtet Tenzler-Häusler. Schätzungen der befragten Schulleitungen im Durchschnitt bei präsentative Umfrage unter 12- bis 19-Jährigen zur Nutzung kultureller Bildungsan- Buchkinder Leipzig tabu: „Buchkinderarbeit hat in erster www.buchkinder.de weniger als 20% gebote an digitalen Kulturorten; Mathias Albert u.a. (2019), Jugend 2019. Eine Genera- tion meldet sich zu Wort. 18. Shell Jugendstudie; Susanne Keuchel (2013): Mapping kulturelle Bildung. Hinweis: Die Vielzahl verantwortlicher Akteure und die Breite des Begriffs „kulturelle Bildung“ erschwert bis heute eine systematische Erhebung der 36 Finanzierung kultureller Bildung. Die angegebenen Werte gelten als Orientierung. Thema kulturelle Bildung ⁄ Baden-Württemberg

fen, Bilder, Texte, Klänge zu erleben, die diese innere Spannung, jektförderung dabei eine wichtige Rolle spielen kann. Um die die die Sorge, Trauer und existenzielle Angst, aber auch die Lust dort gemachten Erfahrungen aber zu verstetigen und besser und Freude in der Schwere spiegeln und zugleich über den All­ weiterentwickeln zu können, um Best-Practice-Modelle sinn­ Kompetenz und tag hinaus weisen. Dazu kommt ein weiterer Aspekt, der mich voll zu evaluieren, um Ergebnisse aus der Forschung produktiv nachdenklich stimmt: In einer Krise wie dieser verstärken sich für beide Seiten in die Kulturarbeit einbringen zu können und die gesellschaftlichen Unterschiede zwischen bildungsnahen um den Dialog zwischen den Sparten auf hohem Niveau halten und bildungsfernen Bevölkerungsgruppen und auch zwischen und international vernetzen zu können, braucht es mehr als das. Dialog den verschiedenen kulturellen Zugehörigkeiten – und das gilt Mit dem Kompetenzzentrum Kulturelle Bildung, Vermitt­ insbesondere auch für Kunst und Kultur. Denn nur wer bereits lung und Teilhabe, das sich zunächst auf die außerschulische Zugang hat, der findet jetzt die richtigen Bücher oder hört on­ Bildung konzentriert, schaffen wir eine Einrichtung, die auf line Konzerte, sieht Ausstellungen, Theaterproduktionen, Per­ lange Sicht mehrere Ebenen im Blick behält. Dazu gehören pro­ Überlegungen zur Neugestaltung der formances und die spannenden digitalen Programme, die – Co­ fessionelle Beratung, Expertise, Netzwerkfunktion, Prozess- und rona zum Trotz – entstehen. Strukturentwicklung, Erprobung neuer Formate, Wirkungsana­ kulturellen Bildung in Baden-Württemberg Wenn unsere kulturellen Angebote Menschen auf unbe­ lyse, Steuerung und Evaluierung, Fort- und Weiterbildung, Wis­ von Petra Olschowski stimmte Zeit nicht mehr in den direkten Austausch mit den senstransfer in den Forschungs- und Schulbereich – und zwar Künsten und in den tatsächlichen Dialog miteinander bringen, von den international agierenden Kulturinstitutionen bis hin zur geht das vor allem zu Lasten der Kinder und Jugendlichen, die Amateurkunst. im Elternhaus keine kulturellen Impulse bekommen können. Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen und vom aktu­ Aber auch die Lebensqualität anderer Generationen leidet. Man ellen Ausnahmezustand weit mehr bestärkt als gebremst, ist es denke an Alleinstehende oder an Seniorinnen und Senioren, die unser Ziel, kulturelle Teilhabe – und damit ist immer auch inter­ Diese Wochen und Monate, die unter dem Eindruck der Corona- An der Vorarbeit zu diesem parlamentarischen Beschluss haben oft über ihr Engagement für Kunst und Kultur sozial eingebun­ kulturelle Teilhabe gemeint – als Kernaufgabe neu zu denken, Pandemie stehen, verändern unseren Blick auf die Welt. Noch wir über Jahre gearbeitet. Es haben Gespräche im kleinen und den sind. Darüber hinaus finden viele migrantische Gruppen auszubauen und strukturell zu verankern. wissen wir nicht, wie lang die Krise andauern und ob sie länger­ großen Kreis stattgefunden, Experten haben getagt, Fachbeiräte keinerlei Möglichkeit für den Austausch mit anderen mehr. All dies haben wir bereits vor März 2020 so formuliert und fristige Konsequenzen mit sich bringen wird. Aber wir merken, haben ihre Empfehlungen abgegeben, die schwierige Grenzzie­ Ich verstehe Kulturpolitik in weiten Teilen auch als Ge­ gedacht. Was nun hat sich seither geändert? Es ist in den letz­ dass sie uns verändert. Immer wieder liest man zurzeit, dass es hung zwischen schulischer und außerschulischer Bildung wurde sellschaftspolitik. Kulturelle Bildung begreifen wir im Minis­ ten Wochen noch deutlicher geworden, welche Bedeutung dem nach dieser Zeit keine Rückkehr zum Davor geben kann. Aber wieder und wieder diskutiert. Darüber hinaus wurden Förder­ terium daher auch als lebenslangen Lern- und Auseinander­ Thema zukommt und wie dringlich es ist, dass die Kultur sich wenn man ehrlich ist, weiß man nicht, ob das wirklich stimmt programme aufgelegt, einzelne Formate – zum Beispiel im Be­ setzungsprozess des Menschen mit sich, seiner Umwelt, seiner noch mehr aus ihren üblichen Kreisen und Zirkeln hinaus be­ und wir nicht doch schnell vergessen, und auch nicht, was diese reich Theaterpädagogik – wurden erprobt und das Potenzial di­ Geschichte, der Gesellschaft und der Kultur selbst im Medium wegt, damit sie auch in existenziell schwierigen Zeiten wie die­ Behauptung genau bedeutet. Das Virus hat uns überrascht und gitaler Angebote insbesondere für die Vermittlungsarbeit der der Künste. Unser Ziel ist, dass kulturelle Teilhabe und Diver­ sen eine breite Wirkung entfaltet. Es ist aber auch offensichtlich beherrscht im Moment unser Denken und Handeln. In der kom­ Museen deutlich gestärkt. Und immer hatten wir dabei die Frage sität daher mehr noch als bisher das Profil staatlicher und vom geworden, dass wir bei all unserem Werben für ein vielfältiges, menden Zeit wird es aber auch darum gehen, aus der eher re­ im Blick, die seit so vielen Jahrzehnten relevant und doch noch Land geförderter Einrichtungen und Projekte prägen muss. In interessiertes und offenes, ein neugieriges und dialogbereites agierenden Haltung heraus zu finden und die gemachte Erfah­ nicht gelöst ist: Wie erreichen wir mehr Menschen und diversere den letzten Jahren haben wir gesehen, dass eine gezielte Pro­ Publikum die Einrichtungen selbst und die Künstlerinnen und rung zu gestalten: Was wollen wir, das bleibt? Was kann und Gruppen? Wie gewinnen wir sie für die Kunst? Wie ermöglichen Künstler nicht aus dem Blick verlieren dürfen. Die Schließung muss jetzt vielleicht tatsächlich anders werden? Wie sollte es wir den Dialog zwischen Menschen unterschiedlicher Lebens­ der Einrichtungen zeigt uns nicht nur, wie sehr Kunst und Kultur werden? realitäten über die Kunst? uns fehlen, sie weist mit aller Klarheit darauf hin, wie prekär die All dies gilt auch für die Kulturpolitik und für einen ihrer Gerade dieser Dialog ist nun gestört. Gerade die Idee der Arbeitsverhältnisse im Kultur- und Kreativbereich sehr oft sind. wichtigen Aspekte: die kulturelle Bildung. Es ist daher riskant, Öffnung und Begegnung, die dahinter steht, ist beinahe unmög­ Ein Kompetenzzentrum, das es sich zur Aufgabe macht, kul­ in einer solchen Phase des Wandels einen Text zu schreiben, der lich gemacht. Aber wird sie durch ein Virus grundlegend in Frage turelle Bildung, Vermittlung und Teilhabe zu stärken, muss auch das Danach im Blick hat und auf Erfahrungen der Zeit davor be­ gestellt? Im Gegenteil. dafür sensibilisieren. Denn ohne die Künstlerinnen und Künst­ ruht. Auch wenn – wie unter einem Brennglas – die Probleme in Denn eins erfahren wir im Moment auch: Die Schließung ler und ihre Kraft, ihre Ideen, ihre Potenziale, wird es in Zukunft diesem Bereich gerade jetzt deutlich werden. aller Kultureinrichtungen über Monate hinweg hat vielen in der keine Kultur mehr geben. Das werden wir stärker als bisher vor­ Daher zunächst ein kurzer Blick auf das Davor. Im Ministe­ Gesellschaft gezeigt, wie schmerzlich sie das gemeinsame Erle­ gesehen berücksichtigen. rium für Wissenschaft, Forschung und Kunst haben wir in die­ ben von Kunst und Kultur vermissen, was für eine zentral wich­ Vielleicht ist das Danach tatsächlich anders als das Davor. sem Jahr kulturpolitisch ein klares Ziel formuliert, das durch die tige Rolle Museen, Theater, Konzerte, Oper, Ballett, Lesungen Wir werden sehen. Sicher ist, dass vieles, was wir gedacht und Haushaltsbeschlüsse des Landtags von Baden-Württemberg un­ und Kino für unser Leben spielen. Für unser Miteinander. geplant haben, richtig und wichtig bleibt. Ein paar Monate spä­ terlegt ist: Das Thema kulturelle Bildung, Vermittlung und Teil­ Auch wenn viele Kultureinrichtungen durch digitale Ange­ ter als ursprünglich geplant, wird unser Kompetenzzentrum hof­ habe für alle Gruppen der Gesellschaft im außerschulischen Be­ bote die Kluft zu ihrem Publikum auf originelle Weise zu über­ fentlich zum Ende dieses Jahres an den Start gehen – mit einer reich soll entscheidend und langfristig gestärkt werden durch brücken suchen und das zum kulturellen Bildungsauftrag gehört: Erfahrung im Gepäck, die wir nicht eingeplant hatten, die uns die Gründung eines spartenübergreifenden, interkulturell agie­ Die Leerstelle bleibt. Der Platz neben einem ist nicht besetzt. aber dabei hilft, unsere Aufgabe noch weiter zu präzisieren und renden Kompetenzzentrums als Plattform und als strategischer Dabei wäre die Kunst so wichtig, um zu verstehen, zu re­ Im Rahmen des Dialogs „Kulturpolitik für die mit noch mehr Energie voran zu treiben. Zukunft“ sprach Staatssekretärin Partner für die Institutionen sowie durch die deutliche Aufsto­ flektieren, sich auszutauschen, zu verorten, was gerade mit uns Petra Olschowski im November 2019 mit Petra Olschowski ist Staatssekretärin im Ministerium für ckung von Personal- und Programmmitteln. als Individuen und als Gesellschaft passiert. Es könnte uns hel­ Jugendlichen im Dullenkopf-Park in Karlsruhe Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg.

38 Arsprototo 1 ⁄ 2020 39 Thema kulturelle Bildung

Marion Kuchenny: Herr Hilgert, wie nen. Und ich glaube, da sind Künste und Stärkenorientierung, das sind im Kern würden Sie jemandem erklären, was ästhetischen Praxen ein gutes Spielfeld. alles pädagogische Werte beziehungs­ „kulturelle Bildung“ ist, der damit bis- weise Konzepte, die deutlich machen, lang noch nicht in Berührung gekom- Für diejenigen, die jetzt sagen „aber dass es um den Einzelnen geht. Jeder ist men ist? das kostet doch alles unser Steuer- sozusagen für die Gesellschaft wertvoll, Hilgert: Grundsätzlich beschäftigt geld“ − warum wäre dieses Geld aus und wir müssen aus jedem einzelnen he­ sie sich mit der Teilhabe an bestimmten Ihrer Sicht gut angelegt? rauskitzeln − pädagogisch oder vermit­ Praktiken und Inhalten. Und mit dem Hilgert: Bildung ist immer ein ho­ telnd durch die Beschäftigung mit allge­ Abbau der Barrieren, die den Zugang hes Gut und immer eine gut angelegte meinen Werten, Kunst und Kultur −, dass dazu verwehren. Wir wissen, dass Barri­ Investition. Denn das Ziel ist es, die Ge­ diese einzelne Person für die Gesellschaft eren zum Museums- oder Theaterbesuch sellschaft und die Entscheidungsträger einen größtmöglichen Beitrag und Wert nicht unbedingt primär finanzieller Natur und -trägerinnen von morgen für Kultur erbringen kann. Das heißt „kulturelle Bil­ sind, sondern dass sie auch sozial kondi­ und kulturelle Inhalte zu sensibilisieren. dung“ ist kein normfreier Begriff, sie geht tioniert sind, ob man sich zugehörig fühlt Wir sprechen im Bereich des Kulturer­ mit starken Werten einher. oder nicht. Kulturelle Bildung kann diese bes, aber auch in anderen Bereichen des Barrieren abbauen und dafür sorgen, dass Kultursektors immer häufiger davon, wie Wie lässt sich denn der Grad an kul- man einerseits an Kultur teilhat, anderer­ wichtig die Zivilgesellschaft ist. Aber wer tureller Bildung, also der Erfolg sol- seits aber auch selbst in die künstlerisch bereitet die Zivilgesellschaft auf die The­ cher Bildungsanstrengungen ermit- kreative Produktion gehen kann. men und Herausforderungen vor, die in teln? In der schulischen Ausbildung ganz vielfältiger Form im Kulturbereich haben wir ein Notensystem, wie kann Kulturelle Bildung ist gerade in un­ existieren? Es sind die Menschen vor Ort, das im Bereich kulturelle Bildung seren Zeiten wichtig, denn sie kann die dafür sorgen, dass beispielsweise Bib­ funktionieren? dazu beitragen, die Gesellschaft liotheken nach wie vor geöffnet sind. Und Hilgert: Da sprechen Sie ein zentrales nicht nur zu stabilisieren, sondern um solche Menschen auch in Zukunft zu Problem im Bereich kulturelle Bildung an. Kulturelle Bildung – auch im Kern als Gemeinschaft zu- haben, ist es, glaube ich, gut investiertes Meines Erachtens fehlt es nach wie vor sammenzuhalten. Würden Sie diese Steuergeld, in kulturelle Bildung zu inves­ an belastbaren Kriterien, um diese Wir­ Einschätzung teilen? tieren. Die ästhetisch-künstlerische Pra­ kung auch langfristig zu dokumentieren. Reinwand-Weiss: Ja, aber ich würde xis ist wichtig, aber es geht auch darum, Da muss man Möglichkeiten finden, die „Teilhabe an einer noch einen Schritt vorher anfangen. Mir sich in Diskursen um Architektur oder über das hinausgehen, was bislang geleis­ ist es in der kulturellen Bildung wichtig, Literatur sicher bewegen zu können, ein tet worden ist. Denn die politische Bereit­ dass es um die Künste oder ästhetische Gespür dafür zu entwickeln und sie wert­ schaft und auch die Akzeptanz, kulturelle Praxen geht. Wir sprechen nicht nur von zuschätzen. Bildung und die Forschung weiterhin zu vielfältigen, der Hochkultur, sondern eben vor allem finanzieren, hängen wesentlich davon ab, von vielfältigen ästhetischen Praxen und Stichwort „Zivilgesellschaft“: Damit dass man solche Wirkungsindikatoren Künsten. Und kulturelle Bildung ist eine eine Gesellschaft gut und friedlich entwickelt und vorlegen kann. Langfristig Bildung in diesen Künsten, aber auch funktioniert, braucht es einen Werte- angelegte Beobachtungen können helfen, reichen Welt“ durch diese Künste. Das heißt durch die kanon und ein Leitbild. Was kann die- zu verstehen, was kulturelle Bildung bei­ Beschäftigung mit ästhetischen Pra­ ses Leitbild sein? Diese Vision, die spielsweise im Gehirn, bei der Koordina­ xen werden Kompetenzen angeregt, die vielleicht auch hinter dem Begriff tionsfähigkeit des Körpers oder den Karri­ wir gesellschaftlich und jeder einzelne „kulturelle Bildung“ steckt? erewegen von Menschen bewirkt. auch für seine persönliche Entwicklung Reinwand-Weiss: Der Begriff der kul­ braucht. Allen voran zu nennen ist da die turellen Bildung hat seine Wurzeln vor al­ Wenn wir uns gesellschaftliche Her- Wahrnehmungs- und die Ausdrucksfä­ lem in den 1970er-Jahren, und man hat ausforderungen im Zusammenhang Prof. Dr. Vanessa-Isabelle Reinwand-Weiss, Direktorin der higkeit. Es leuchtet ein, dass jemand, der damit eine Demokratisierung von Kul­ mit kultureller Bildung anschauen, gut zuhören, genau hinsehen, sich inten­ tur verbunden. Es gibt heute noch das dann ist Migration ein großes Thema, Bundesakademie für kulturelle Bildung, und siv mit Inhalten beschäftigen kann und Schlagwort „Kultur für alle und von al­ das in alle Lebensbereiche unserer Prof. Dr. Markus Hilgert, Generalsekretär der Kulturstiftung der auch fähig ist, diese Inhalte aufzuneh­ len“. Das ist heute noch der Kern des Ver­ Gesellschaft hineinwirkt. Was kann, men und in persönlicher Art und Weise ständnisses von kultureller Bildung. Wir was muss kulturelle Bildung hier leis- der Länder, im Gespräch mit wiederzugeben, erfolgreich ist im Leben. wollen eine Kulturlandschaft, die allen ten? Marion Kuchenny über Strukturen, Koordination Wir brauchen solche Personen in unserer zugänglich ist. Kulturelle Bildung ver­ Reinwand-Weiss: Kulturelle Bildung Gesellschaft, die auf veränderte Bedin­ bindet sich auch mit Prinzipien wie Frei­ ist kein Allheilmittel für alle sozialen und und Finanzierung kultureller Bildung gungen gut und passend reagieren kön­ willigkeit, Heterogenität, Diversität und gesellschaftlichen Herausforderungen.

40 Arsprototo 1 ⁄ 2020 41 Thema kulturelle Bildung

Aber das Feld kultureller Bildungsakteure um ein wertvolles oder ein weniger wert­ man es für richtig hält, dass kulturelle Bil­ eben auch die Schaffung einer Grundlage Wenn wir jetzt eine Perspektive ent- Es geht um die Persönlichkeitsbildung, kann bei sich und bei der Art und Weise, volles Angebot handelt. Diese beiden Be­ dung eine große Rolle spielt. für zukünftige Forschung in diesem Be­ werfen würden, was wären die Fra- die Ermächtigung zur Teilhabe an einer wie sie in Deutschland angeboten wird, reiche sind ganz entscheidend. Reinwand-Weiss: Kulturelle Bildung reich. gen und vordringlichen Themen, mit vielfältigen, reichen Welt. Wenn uns das anfangen. Und da müssen wir den kultu­ sollte in der Schule aber nicht nur in den denen sich kulturelle Bildung in Zu- gelingt, und ich wünsche mir, dass uns rellen Kanon, den wir in unseren Kultur­ Angesichts der Rechtsextremismus- Fächern Musik und bildende Kunst ihren Frau Reinwand-Weiss, wo wäre für kunft befassen muss? das gelingt, dann haben wir für die Ge­ einrichtungen präsentieren, noch auswei­ debatte und der Anschläge, die wir in Platz haben, sondern wir sollten Schulen Sie Nachbesserungsbedarf? Reinwand-Weiss: Ein ganz drängen­ sellschaften von morgen einen wichtigen ten. Das ist häufig ein westlicher, ein sehr diesem Zusammenhang erlebt ha- als Schulen denken, die von Kultur und Reinwand-Weiss: Vielfalt ist natür­ des Problem durch die Corona-Krise ist, Dienst erwiesen. europäischer Kanon. Dagegen ist erst ben, was kann kulturelle Bildung ästhetischen Praxen durchzogen sind lich gut. Allerdings ist das Problem in der dass das außerschulische Feld in starke einmal nichts einzuwenden, aber unsere dazu beitragen, das Demokratiever- und das in jedem Fach, so kann das Ler­ kulturellen Bildung, dass es sehr viele Nöte gerät. Und dass durch Einsparmaß­ Ich danke Ihnen herzlich für das Ge- Gesellschaft ist vielfältiger, heterogener. ständnis und die Akzeptanz unserer nen viel gewinnbringender ermöglicht Zuständigkeiten gibt. Und wenn es sehr nahmen, die sicherlich folgen werden, spräch. Schließen möchte ich mit Und auch das Angebot muss vielfältiger freiheitlich-demokratischen Grund- werden. Eine solche Schule muss anders viele Zuständigkeiten gibt, ist auch nie­ vieles, was in den letzten Jahren durch den Worten des amerikanischen werden. Auch VermittlerInnen in den ordnung zu stärken? gedacht werden, anders in Zeitrhythmen mand so wirklich verantwortlich. Was Projekte und Modellvorhaben aufgebaut Schriftstellers und Regisseurs Paul Künsten müssen mehr Sensibilität entwi­ Reinwand-Weiss: Die Künste sind und Fächergrenzen. wir uns wünschen würden, wäre eine zen­ und erprobt werden konnte, versandet. Auster: „Der wahre Sinn der Kunst ckeln für Fragen der Vielfalt und Hetero­ ein gutes Mittel, um Reflexions- und Em­ trale Stelle, an die man sich wenden kann, Insofern müssen wir uns jetzt darüber liegt nicht darin, schöne Objekte zu genität. Es gibt Studien, die zeigen, dass pathiefähigkeit zu stärken. Die brauchen wenn man Vorhaben vorantreiben will, unterhalten, wie wir diese vielen freien schaffen. Es ist vielmehr eine Me- das in vielen Punkten sicherlich weit ent­ wir, um in einer freiheitlich demokrati­ gerne auch im Verbund. Ein Austausch Strukturen sichern können. Das Thema thode, um zu verstehen, ein Weg, die wickelte Feld kultureller Bildung Nach­ schen Grundordnung zusammenzuleben. Kulturelle Bildung ist natürlich wichtig und eine Übersicht ist sicher allgemein bekannt, aber man Welt zu durchdringen und den eige- holbedarf hat, was Themen der Diversi­ Denn wenn ich mich nicht in die Lage ei­ muss weitergedacht über das, was es in Deutschland gibt, ist muss jetzt auch in den Ländern und nen Platz darin zu finden.“ tät und Migration betrifft und dass auch nes anderen hineinversetzen kann, nicht die Voraussetzung und Grundlage dafür. vor Ort handeln. Ein weiterer wichtiger hier Alltagsrassismen eine Rolle spielen. verstehen kann, warum er so handelt oder und zukunftsorientiert Es braucht klarere Strukturen, die auch Punkt ist zudem die Qualität der Aus-, bestimmte Argumente vorbringt, dann angeboten werden zwischen Bund und Ländern abgestimmt Fort- und Weiterbildung des Personals Schauen wir auf die Entwicklungen werde ich sicherlich nie in einen Dialog sind. in der kulturellen Bildung. Es kann nicht rund um die Corona-Krise und wie treten und nie zu einer Einigung kommen. sein, dass man ästhetische Kompetenzen schnell sich unsere Arbeitswelt auf Eine umfassende, auch kulturelle Bildung Wie steht es denn um die Finanzen? Laien überlässt, wo man in anderen Be­ die digitale Ebene verlagert hat und ist eine wesentliche Voraussetzung dafür. Wenn wir jetzt schon in diesem Be- Hilgert: In der derzeitigen Situation reichen Staatsexamen und langjährige verlagern musste: Was bedeutet die- reich Strukturen sind, dann frage ich ist es schwierig, über öffentliche Finan­ Ausbildungen fordert. Auch im Feld der ser Themenbereich für die kulturelle An welchen Stellen und in welcher natürlich den Generalsekretär der zen zu sprechen. Wir müssen uns jetzt auf kulturellen Bildung kann nur Wirkung Bildung? Form könnte man diese Kernkompe- Kulturstiftung der Länder nach den eine Zeit einstellen, in der Steuergelder zeigen, was in einer professionellen Art Hilgert: „Digitalität“, „digitale Kom­ tenzen fördern? Schwierigkeiten. Es gibt viele Zu- nicht so üppig fließen oder vorwiegend und Weise angeleitet, vermittelt, gedacht petenz“, aber auch „digitale Transforma­ Hilgert: Zunächst in den Schulen. ständigkeiten, es gibt Bund, Länder, in anderen Bereichen investiert werden. und ausgeführt wird. Seit 17 Jahren arbeitet die gebürtige Rheinländerin Marion Kuchenny als tion“ sind wie für andere Bereiche auch Wir sollten darüber nachdenken, wie Kommunen, Stiftungen. Wie gut ist In Deutschland stehen wir, was die Rah­ Moderatorin beim Hessischen Rundfunk. für die kulturelle Bildung hoch relevant. wir Methoden, Instrumente und Inhalte das aus Ihrer Sicht alles koordiniert? menbedingungen und Investitionen in Was würden Sie sich für den Bereich Neben dem Moderieren großer Da geht es zum einen um die nahelie­ in die schulischen Curricula integrieren Hilgert: Koordiniert ist es nach mei­ kulturelle Bildung sowie entsprechende kulturelle Bildung in der Zukunft wün- Veranstaltungen gibt die erfahrene Journalistin zudem ihr Wissen in Medien- gende Frage: Inwieweit können wir digi­ können. Oft ist der Kunst- und auch der ner Einschätzung nach nicht und ich bin Infrastrukturen betrifft, recht gut da. Ich schen? Trainings weiter. tale Anwendungen nutzen, um kulturelle Musikunterricht nicht der Bereich, der mir auch nicht sicher, ob es koordiniert glaube auch, dass für gute kulturelle Bil­ Hilgert: Ich würde mir wünschen, Bildung zu betreiben? Können wir neue am stärksten gefördert wird. Wir müssen werden muss in einem Kulturföderalis­ dung im Vergleich zu anderen Politikbe­ dass zum einen eintritt, was Frau Rein­ Personengruppen über digitale Kanäle dafür sorgen, dass Demokratiefähigkeit, mus, der sich auf die Fahnen geschrie­ reichen gar nicht so viel Geld notwendig, wand-Weiss eingefordert hat, dass sich ansprechen? Und andererseits aber auch Diskussionsfähigkeit und auch die Bereit­ ben hat, dass Vielfältigkeit und dezent­ sondern die Qualität entscheidend ist. Kultur in der schulischen Bildung trans­ die Frage, ob nicht auch die Nutzung von schaft, sich mit neuen Fragen auseinan­ rale Strukturen eben auch ein hohes Gut Insofern bin ich hoffnungsvoll, denn das versal durch alle Bereiche durchzieht. Die digitalen Anwendungen Gegenstand der derzusetzen, in der Schule entwickelt und sind. Aus meiner Sicht fehlen der Aus­ Thema ist auf Bundesebene schon seit Qualitäts- und Ausbildungsstandards kulturellen Bildung selbst ist? Es gab vor angeleitet werden. Darüber hinaus muss tausch, das Voneinander-Lernen und die langer Zeit als wichtig anerkannt. Der sollten angehoben werden und wün­ nicht allzu langer Zeit eine Studie zum man überlegen, welche ergänzenden, au­ Nachnutzung von erfolgreich erprobten Bund hat wesentlich investiert, Länder schenswert wäre eine größere Akzeptanz Nutzerverhalten auf YouTube, wo sich ge­ ßerschulischen Formate es geben kann. Modellen. In den Ländern entstehen seit und Kommunen auch. Daher denke ich, für die Leistungsfähigkeit und Notwen­ zeigt hat, dass gerade jüngere Menschen Wo man sich freier bewegen, mit ande­ geraumer Zeit Infrastrukturen, es gibt dass wenn wir mehr Synergien nutzen digkeit kultureller Bildung in Politik und unter 20 zu einem ganz erheblichen An­ ren unmoderiert zusammensein und kre­ Bundesakademien, und für mich ist vor­ und wenn, wie Frau Reinwand-Weiss zu Gesellschaft. Um das erreichen zu kön­ teil − deutlich über 80 Prozent − regel­ ativ werden kann. Das kann der Chor, die dergründig eher die Frage, ob das, was Recht sagt, doch eines Tages ein Ort, ein nen, brauchen wir eine stärkere Orien­ mäßig YouTube nutzen. Da stellt sich Jugendgruppe oder auch der Sportver­ gerade auch aus öffentlichen Mitteln ­fi Denkraum gefunden wird, in dem kultu­ tierung auf die Wirkungsforschung. Wir die Frage, ob es möglich ist, Kriterien zu ein sein. Daran merken wir, dass der zi­ nanziert ist, nicht so aufbereitet werden relle Bildung weitergedacht und auch zu­ müssen deutlich machen, warum es so entwickeln, mit denen die verschiedenen vilgesellschaftliche Rahmen, also auch kann, zum Beispiel auf einer Plattform, kunftsorientiert angeboten wird, dass der wichtig ist, dass man sich kulturell bil­ Interview im Podcast Angebote auf diesem Kanal eingeordnet die Vereine, ganz entscheidend ist, um dass es von anderen nachgenutzt werden Einsatz der Mittel nicht nur gerechtfertigt, det. Und wir müssen zeigen, dass es um „Kulturelle Bildung – was, wozu?“ werden können. Also inwieweit es mög­ die kulturelle Bildungsinfrastruktur stark kann. Da würde ich mir mehr Austausch sondern dann auch relativ moderat ist. mehr geht als nur „ästhetische Bildung“, Hören Sie das komplette Interview unter www.kulturstiftung.de/ lich ist, selbst zu unterscheiden, ob es sich zu halten. Da muss man ansetzen, wenn und Professionalität wünschen und damit um mehr als Klavier spielen oder tanzen. kulturelle-bildung-was-wozu oder auf iTunes und Spotify

42 Arsprototo 1 ⁄ 2020 43 Helfen Sie mit! Helfen Sie mit ⁄ Bayern piau (Ostpreußen) geboren wurde, und daher, dass die Fehlstellen ergänzt, ge­ Das Kunstforum 1925 in Zandvoort (Holland) verstarb, kittet und modelliert werden. Für die Re­ Morbide Einsichten Ostdeutsche Galerie zählt zu den wichtigsten künstlerischen staurierung des „Geschlachteten Ochsen“ Positionen des KOG. Corinth studierte werden 4.800 Euro veranschlagt. Aus in Regensburg möchte in Königsberg und Paris, war in München unserem Etat können 1.000 Euro aufge­ Lovis Corinths und Berlin tätig. Das KOG verwahrt drei­ bracht werden. Wir bitten Sie, liebe Lese­ zehn Gemälde, darunter Hauptwerke wie rinnen und Leser von Arsprototo, herzlich „Geschlachteten „Das große Martyrium“ (1907), sowie ein um Ihre Mithilfe für die verbleibenden Ochsen“ restaurieren beachtliches Konvolut an Skizzenbü­ Kosten. chern, Zeichnungen und Druckgraphiken. Dr. Agnes Tieze, Direktorin, Ein pastoser, fast wilder Farbauftrag 2025 wird das KOG Corinth aus An­ und Dr. Verena Hein, Sammlungsleiterin bringt das tote Fleisch des „Geschlach­ lass seines 100. Todestages mit einem Gemälde/Skulptur, KOG Regensburg. teten Ochsen“ dem Betrachtenden ex­ großen Auftritt feiern. Nach der großen trem nah. Aufgehängt an den Hinter­ Retrospektive im Jahr 2008, die das KOG läufen klafft der Körper auf, die Haut ist gemeinsam mit dem Museum der Bilden­ zum Teil abgezogen und hinterfängt mit den Künste in Leipzig und dem Musée weißen Partien den Kadaver. Lovis Co­ d’Orsay in Paris organisierte, soll Corinth rinth schuf dieses Gemälde im Jahr 1905, unter neuen inhaltlichen Schwerpunkten ein Jahr, nachdem der Kunsthändler vorgestellt werden. Für dieses Ausstel­ Paul Cassirer ihn mit Max Liebermann lungsprojekt sind umfassende Restau­ und Max Slevogt als das „Triumvirat des rierungsmaßnahmen notwendig. Vor al­ deutschen Impressionismus“ bezeichnet lem der „Geschlachtete Ochse“, der sich hatte. Corinths Thema ist hier die ma­ derzeit im Depot befindet und nicht zu­ lerische Darstellung von Haut, Blut und gänglich gemacht werden kann, bereitet Fleisch, inspiriert von der holländischen große Sorge. Die Gemälderestaurierung Barockmalerei. In seinem Schaffen hat er für das KOG erfolgt nicht über das Muse­ sich fast ein Dutzend Mal mit Schlacht­ umsteam, sondern wird auf Honorarbasis hofszenen auseinandergesetzt. Neben vergeben. der atmosphärischen Wiedergabe der alle Der „Geschlachtete Ochse“ war 2008 Sinne einnehmenden handwerklichen in oben erwähnter Ausstellung in allen Szenerie, wie beim 1893 entstandenen drei Stationen zu sehen. Bereits 2005 Gemälde mit dem Titel „Im Schlachthaus“ wurde die Leinwand aus dem fragilen (Staatsgalerie Stuttgart), sind es immer Originalrahmen gelöst. Nun hat sich der wieder die aufgebrochenen, farblich dif­ Zustand des Gemäldes selbst verschlim­ ferenzierten Tierkadaver, die Corinths mert. Die Begutachtung durch eine frei­ Interesse wecken. Auch in Ölskizzen be­ berufliche Gemälderestauratorin hat schäftigte sich Corinth, der als Sohn eines ergeben, dass eine Bearbeitung des Ge­ Gerbers geboren wurde, mit dieser The­ mäldes sowie des Originalrahmens not­ Bruchstücke des Originalrahmens müssen verleimt werden matik. Im „Geschlachteten Ochsen“ steht wendig ist. An einigen Stellen, vor allem nur noch die Malerei selbst im Zentrum. in der Bildmitte, wurde eine splittrige Corinths Fragen nach den Möglichkei­ Bildschicht mit Malschichtlockerungen Kunstforum Ostdeutsche Galerie ten der Malerei durchzieht sein gesamtes festgestellt. Bereits bestehende Fehlstel­ Dr.-Johann-Maier Str. 5, 93049 Regensburg Schaffen. Er überwand das Historienbild, len sollten fixiert und wiederaufgebaut Telefon 0941-29714-0 www.kunstforum.net indem er die Inszenierung des Augen­ werden, so dass das Werk in neuem Glanz [email protected] blicks in den Vordergrund rückte, und ge­ erstrahlen kann. Für die geplante Ausstel­ rade in seinem Spätwerk scheint die vitale lung möchten wir das Gemälde restau­ Wir bitten Sie, liebe Leserin und lieber Leser, Farbigkeit der Landschaft seine eigene riert und im Originalrahmen vorstellen. um Unterstützung für das Kunstforum Ostdeutsche Galerie in Regensburg. Krankheit zu überwinden. An allen Eckornamenten des Rahmens ist Spenden Sie für die Restaurierung des Aus den meisten Werkgruppen kann der Stuck gebrochen, die an Eisendrähten Gemäldes „Geschlachteter Ochse“ von das Kunstforum Ostdeutsche Galerie in hängenden Bruchstücke sind mit kleine­ Lovis Corinth und überweisen Sie unter dem Stichwort „Corinth“ auf das Konto des Regensburg (KOG) Beispiele im Bestand ren und größeren Ausbrüchen und Fehl­ Museums. Überweisungsträger finden Sie aufzeigen. Lovis Corinth, der 1858 in Ta­ stellen an den Kanten erhalten. Nötig ist im Heft nach der Seite 114. Vielen Dank! Lovis Corinths „Geschlachteter Ochse“, 1905, zählt zu den herausragenden Darstellungen 44 von Fleisch und Blut in der Malerei. Arsprototo 1 ⁄ 2020 45 Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg Auf Einladung des hannoverschen Erwerbung ⁄ Hessen, Niedersachsen Gesandten August Kestner reiste die Familie Rehberg nach Rom. Das dort entstandene gleichnamige Sammelalbum konnte jetzt für Hannover erworben werden

Rudolph Wiegmann, August Kestner mit der Malermütze, 1832, 30 x 22,3 cm, ehem. Museum August Kestner (Kriegsverlust)

Erwerbungen

46 Erwerbung ⁄ Hessen, Niedersachsen

Das wichtigste Souvenir einer Künstlern für sie angefertigten und ihnen gewidmeten Zeich­ nungen Alben zusammenstellen. Dabei mischt sich Bedeuten­ Italienreise um 1800: Im des mit Amateurhaft-Liebenswürdigem. Persönliche Bindung Album Amicorum sammelte und Bedeutung zählt. Im Sammel- und Erinnerungsalbum der Goethezeit ist das spontane und intime Medium der Zeichnung man Zeichnungen der in Rom ganz bei sich selbst. getroffenen Künstler. Derzeit werden beide Neuerwerbungen an ihren jeweili­ gen Standorten wissenschaftlich erschlossen. Die Zwischen­ Zwei bedeutende Alben kamen ergebnisse, die Christiane Lukatis aus Kassel und Anne Viola Siebert aus Hannover im Gespräch preisgeben, klingen viel­ jetzt nach Kassel und Hannover versprechend. Im Oktober 2020 sollen, wenn sich die Planun­ von Michael Zajonz gen verwirklichen lassen, Blanckenhagen- und Rehberg-Album erstmals gemeinsam in Kassel und 2021 in der Casa di Goethe Nur zwei Jahrzehnte, und doch eine neue Zeit. Als der livlän­ in Rom ausgestellt werden. Unabhängig davon, ob die Ausstel­ dische Kaufmann, Gutsbesitzer und Kunstsammler Wilhelm lung im realen oder vielleicht nur im virtuellen Raum stattfindet, von Blanckenhagen (1761–1840) mit seiner Familie 1810 nach wird es eine Einladung zum Reisen in Gedanken sein. Rom kommt, leidet die Ewige Stadt unter Napoleons Beset­ Die Zusammenschau als Glücksfall, genussvoll zum ver­ zung, doch die Gemeinde der deutschsprachigen Künstler Roms gleichenden Sehen einladend. Und zu vergleichen gibt es eini­ glaubt noch an das Ideal des Klassizismus. Als 1828–1830 der ges: So waren Blanckenhagen und Rehberg nicht nur annähernd Hannoversche Staatsmann und Publizist August Wilhelm Reh­ gleich alt und beide von bürgerlicher Abstammung – obgleich berg (1757–1836) mit Frau und Töchtern Italien bereist, bestim­ der baltische Kaufmann Blanckenhagen ein von adligen Zeitge­ Bertel Thorvaldsen, Bacchus und Amor, 1810, men zwar teilweise noch immer dieselben „Deutschrömer“ die nossen wie den Humboldts wenig goutiertes „von“ im Namen 16,5 × 20,9 cm; Museumslandschaft Hessen-Kassel Kunstszene der Stadt, doch der Zeitgeist hat sich gründlich ge­ trug. Beide blickten auf ein berufliches Lebenswerk zurück, als wandelt. Nicht mehr antikisch inspirierte Idealschönheit ist das sie mit ihren Frauen und – beinahe erwachsenen – Kindern ins Johann Baese, L'Italia (Oleander), 1830, 17 × 14,5 cm; Museum August Kestner, Hannover Maß aller Dinge, seit die ästhetischen Normen in Bewegung ge­ Sehnsuchtsland Italien aufbrachen. Beide waren gut vernetzt raten sind. Vorboten eines neuen, sozialen Realismus konkur­ und verfügten mit Caroline von Humboldt und Friederike Brun rieren mit wiedererwachter Religiosität und Innerlichkeit. Das (Blanckenhagen) sowie August Kestner (Rehberg) über einfluss­ Zeitalter der Aufklärung ist endgültig vorbei, man steckt mitten reiche Ansprechpartner in Rom, die ihnen als Türöffner in die in der Restauration. deutschsprachige Künstlerkolonie dienten. Und sie interessier­ Ablesen lässt sich diese Epochendrift an zwei Freundschafts- ten sich, obgleich ihre Aufenthalte zwei Jahrzehnte auseinander und Souveniralben, in denen die Romreisenden Blanckenhagen lagen, teilweise für dieselben Künstler. und Rehberg Zeichnungen zusammenstellten, die sie während So gibt es in beiden Alben Zeichnungen von Bertel Thor­ ihres Italienaufenthaltes im direkten Kontakt mit meist deutsch­ valdsen, dem klassizistischen dänischen Großbildhauer (und sprachigen Künstlern gesammelt haben. Beide Alben wurden in zunehmend auch Großverdiener), der über vier Jahrzehnte lang den Familien geschätzt und haben lange, das Blanckenhagen- der deutsch-skandinavischen Künstlergemeinde Roms als pri­ Album sogar bis zuletzt, in Familienbesitz überdauert. Mit Un­ mus inter pares vorstand. In beiden Alben vertreten sind auch terstützung der Kulturstiftung der Länder und weiterer Förderer die Brüder Johannes und Franz Riepenhausen aus Göttingen, die Rom sehen konnten die kunsthistorisch und kulturgeschichtlich wertvollen als bekennende Raffael-Jünger den Nazarenern nahestanden, in Konvolute nun erworben werden: Das Blanckenhagen-Album gemeinsam signierten Werken als frühes Künstlerkollektiv auf­ bereichert seit einigen Monaten die Graphische Sammlung der traten und ebenfalls als deutsch-römische Institution galten. Museumslandschaft Hessen Kassel und das Rehberg-Album er­ Das Blanckenhagen-Album enthält – sehr seltene – einzeln gänzt seit Herbst 2018 die reichen Bestände des Museums Au­ signierte Werke der Riepenhausen-Brüder: Franz Riepenhausen und gust Kestner in Hannover. In beiden Fällen schließen sie Samm­ steuert die Allegorie einer Caritas, sein Bruder Johannes eine lungslücken. virtuose Federzeichnung des von Johann Heinrich Tischbein in Seit der Grand Tour englischer Adeliger im 18. Jahrhundert die gerade entstehende vaterländische Historienmalerei einge­ gehörte solch ein Album Amicorum zu den Pflichtsouvenirs führten Themas „Konradin von Schwaben und Friedrich I. von zeichnen des großen, bleibende Eindrücke vermittelnden Italien-Erleb­ Baden vernehmen beim Schachspiel ihr Todesurteil“ bei. Für nisses. Nun, im neuen Jahrhundert, nach Goethes Italienreise August Wilhelm Rehberg zeichnet einer der beiden Brüder, ver­ und gewissermaßen als mentalitätsgeschichtliches Resultat der mutlich Johannes, dann 20 Jahre später die Bleistiftskizze einer Französischen Revolution, werden auch Vertreter des deutsch­ „Madonna mit Kind und Johannesknaben“, noch immer voller sprachigen Bildungs- und Wirtschaftsbürgertums zu Sammlern, Schwung und Linienschönheit am großen Vorbild Raffael Maß mehr noch: zu Autoren, die aus erworbenen, oft sogar von den nehmend, ohne dessen theologischer Präzision nachzueifern.

48 Arsprototo 1 ⁄ 2020 49 Erwerbung ⁄ Hessen, Niedersachsen

Für den 1821 wegen seiner reformfreundlichen Haltung zwangs­ pensionierten Königlich Hannoverschen Geheimen Kabinetts­ rat Rehberg (heute entspräche das einem Ministerrang) waren die Riepenhausen-Brüder zudem Landsleute – damals ein nicht unwesentlicher Orientierungspunkt für Reisende in der Fremde, der Spuren in beiden Alben hinterließ. Das Wechselspiel von landsmannschaftlicher Sympathie und internationaler Perspektive wird bereits in Wilhelm von Blanckenhagens Künstlerauswahl sichtbar. Als nobilitierter Gutsbesitzer gehörte der Deutschbalte zur proeuropäisch sozi­ alisierten Oberschicht des von Riga aus verwalteten kaiserlich- russischen Gouvernements Livland. Und so tritt Blanckenhagen sowohl in Kontakt zum zeichnenden englischen Griechenland- Kenner Edward Dodwell wie zu Bertel Thorvaldsen, mit dem er über ein Denkmal anlässlich des 100. Jahrestags der „Befrei­ ung“ Rigas von schwedischer Herrschaft durch Zar Peter den Großen verhandelt. Eine zauberhafte Ideenskizze zum Relief „Bacchus gibt Amor zu trinken“ von 1810 dokumentiert die ­persönliche Wertschätzung beider Männer. Neben solchen ­internationalen Berühmtheiten aber bittet Blanckenhagen ­seinen livländischen Landsmann Carl Gotthard Grass sowie den Russen Fjodor Michailowitsch Matwejeff um Beiträge zum Album. Gerade die am römischen Kunstmarkt weniger etablier­ ten Künstler erhofften sich durch die – meist nicht honorierte – Aufforderung, einen Beitrag zum Sammelalbum eines wohlha­ benden Reisenden zu leisten, lukrative Folgeaufträge. Sowohl von Grass, der 1804 gemeinsam mit Karl Friedrich Schinkel das noch wenig erschlossene Sizilien erkundet hatte, wie von Mat­ wejeff erwarb Blanckenhagen je zwei Landschaftsgemälde. Teile von Blanckenhagens in Rom begründeter Kunstsammlung, die dieser 1820 an die Universität Dorpat (heute Tartu) verkaufen musste, haben sich im Kunstmuseum von Woronesch erhalten, so auch die beiden Gemälde Matwejeffs. Beide Künstler liefer­ ten für das Blanckenhagen-Album je eine sizilianische Land­ schaft ab. Bis nach Sizilien wagt sich die Familie Blanckenhagen im Frühjahr 1810 nicht vor, wohl aber nach Neapel, neben Rom klassischer Anlauf- und oftmals auch südlicher Endpunkt dama­ liger Italienreisen. In Neapel wird neben der deutsch-dänischen Schriftstellerin Friederike Brun und ihrer durch freizügige Tanz­ darbietungen berühmten Tochter Ida Quartier bezogen. Hier Johannes oder Franz Riepenhausen, Madonna trifft man auf Christoph Heinrich Kniep, den Freund Goethes mit Kind und Johannesknaben, 22,3 × 18 cm, undatiert; Museum August Kestner und Tischbeins, damals schon eine lebende Legende. Der al­ ternde Künstler steuert zwei herrlich sparsam akzentuierte süd­ Linke Seite oben: Eduard Magnus, liche Landschaften zum Album bei. Thorvaldsen spielt Gitarre zum Saltarello der Künstlerisches Neuland betritt Blanckenhagen hingegen Damen Rehberg, undatiert, 18,5 × 24,8 cm; Museum August Kestner mit seinem Interesse für die gerade aus Wien nach Rom über­ gesiedelten Lukasbrüder Johann Friedrich Overbeck und Franz Linke Seite unten: Friedrich Overbeck, Pforr. Neben der stupenden Federzeichnung „Rebekka und Rückkehr von der Reise und Bekränzung der Penaten, 1810, 17 × 16,6 cm; Museums­ Eliezer am Brunnen“ des deutsch-römischen Altmeisters Jo­ landschaft Hessen-Kassel seph Anton Koch gehören ihre beiden Blätter, so verschieden sie

Arsprototo 1 ⁄ 2020 51 Linke Seite: Johann Evangelist Erwerbung ⁄ Hessen, Niedersachsen Scheffer von Leonhardshoff, Maria mit Christuskind und Johannesknaben;­ Graphische Sammlung Museumslandschaft Hessen-Kassel

Rechts: Gottlieb Schick, Karten­ spielende Bettler; Graphische Sammlung, Museumslandschaft Hessen-Kassel

Unten: Friedrich Nerly, Villa Raffaelo, 1829, 18 × 24,2 cm; Museum August Kestner, Hannover

Arsprototo 1 ⁄ 2020 53 Joseph Anton Koch, Rebekka und Elieser am Erwerbung ⁄ Hessen, Niedersachsen Brunnen, 1810, 24,3 × 31 cm; Museumslandschaft Hessen-Kassel

Christian Daniel Rauch, Venus und Mars; Graphische Sammlung, Museumslandschaft Hessen-Kassel

Rechts: August Kestner, Porträt des August Wilhelm Rehberg, 1830, 24 × 19,4 cm; ehem. Museum August Kestner (Kriegsverlust)

sind, zu den künstlerischen Höhepunkten des Albums. Thema­ Kunsthistorisch gründlich erforscht wurde das noch immer im tisch schlagen Overbecks Familienallegorie „Rückkehr von der Originaleinband erhaltene Album bereits durch Johannes Mys­ Reise und Bekränzung der Penaten“ und Pforrs Illustration zu sok (Deutsche Künstler in Rom um August Kestner und Ber­ Herders „Cid“-Übersetzung souverän den Bogen zwischen Mit­ tel Thorvaldsen. Das Rehberg-Album, Rhema-Verlag, Münster telalter und Antike, formal blättern sie das gesamte Spektrum­ 2012). Doch die Untersuchung sozialer und biographischer Netz­ nazarenischer Zeichenkunst zwischen räumlicher Disziplin und werke zwischen den Reisenden, ihren römischen Vermittlern Linienzauber auf. und den Künstlern, wie sie Christiane Lukatis und Anne Viola Ob allerdings der persönliche Kontakt zwischen Künst­ Siebert weiter vorantreiben, dürfte etliche Neubewertungen be­ ler und Auftraggeber alle Erwartungen erfüllte, darf bezwei­ reit halten. Und Fragen stellen sich viele. Etwa mit welchem Ita­ felt werden. In einem Brief an seinen Vater beklagte sich Over­ lienbild im Kopf deutsche Bildungsbürger der Goethezeit nach beck, er habe von Blanckenhagen lediglich „einen ergebensten Italien reisten? Wie die Künstler darauf reagierten? Oder wie Bückling zum Dank“ erhalten und schloss mit dem Stoßseufzer: man mit den Klischees und nationalen Stereotypen spielte, nach­ „O warum muß die Kunst nach Brod gehen!“ dem der internationale Klassizismus, dem noch Goethe gehul­ Noch weniger der Rolle eines klassischen Mäzens entsprach digt hatte, nicht mehr à la mode war? Johann Baeses großspurig August Wilhelm Rehberg, der, einigermaßen mittellos, mit sei­ „L’Italia“ betitelter Oleanderzweig vor quietschblauem Grund, ner Familie auf Einladung von August Kestner Rom und Italien Carl Wilhelm Götzloffs einer Operette entsprungenes Briganten­ bereiste. Kestner, Jurist, Archäologe und Kunstkenner, war Han­ paar oder Eduard Magnus‘ Assimilationsphantasie „Thorvaldsen noverscher Gesandter beim Heiligen Stuhl und wie nur wenige spielt Gitarre zum Saltarello der Damen Rehberg“ geben deut­ Deutsche seiner Generation in Rom vernetzt. Für kunstbegeis­ liche Hinweise. Nicht immer hat das Reisen in Gedanken mit der terte Landsleute war er der ideale Cicerone. Der 20 Jahre ältere Realität zu tun. Bereichernd ist es gerade deshalb. Rehberg profitierte von Kestners Kontakten zu Künstlern wie Michael Zajonz ist Kunsthistoriker und Journalist in Berlin. Bertel Thorvaldsen, den Riepenhausen-Brüdern, Wilhelm Ahl­ born, Eduard Magnus, Carl Wilhelm Götzloff, Friedrich Nerly Museumslandschaft Hessen-Kassel Museum August Kestner und Johann Baese. Ihre Zeichnungen, dazu solche des sehr Schloss Wilhelmshöhe Trammplatz 3, 30159 Hannover Schlosspark 1, 34131 Kassel Telefon 0511 - 16842730 ­respektabel dilettierenden Kestner, versammelt das Rehberg- Telefon 0561 - 316800 www.hannover.de/Museum- Album. www.museum-kassel.de August-Kestner

Arsprototo 1 ⁄ 2020 55 Erwerbung ⁄ Nordrhein-Westfalen

Ein Gemälde von Karl Schmidt-Rottluff, erwies sich als Raubkunst. Das Leopold-Hoesch- Museum begab sich auf Spurensuche, um die Provenienz aufzuklären – und fand die rechtmäßigen Eigentümer von Oliver Jungen

Toni und Hugo Benario (rechts) blieben in Berlin, während ihre Kinder in den 1930er-Jahren vor der nationalsozialisti- schen Verfolgung flohen. Hugo Benario, der in Berlin mit Seidenstoffen handelte und leidenschaftlicher­ Kunst­ sammler war, wurde 1937 zu einer hohen Geldstrafe wegen angeblicher Devisenvergehen verurteilt. Er starb kurz darauf an einem Herzleiden. Seiner Frau Toni gelang die Flucht. Die Berliner Kunstsammlung der Benarios ver- schwand damals unter ungeklärten Umständen Späte Fairness

Karl Schmidt-Rottluff, Ostsee (Schiffe am Strand), 1922, 103 × 125 cm; Leopold-Hoesch-Museum & Papiermuseum, Düren

56 Arsprototo 1 ⁄ 2020 57 Erwerbung ⁄ Nordrhein-Westfalen

Als Karl Schmidt-Rottluff im Jahr 1922 drei in der aufgewühlten des der Kontakt mit den von Beginn an sehr an einer Koopera­ Ostsee liegende Segelboote malte, dabei in einer für ihn selten tion interessierten Erben gewesen sei. genauen Übereinstimmung das Motiv eines kurz zuvor im pom­ Tatsächlich wussten die Nachfahren des einst millionen­ merschen Jershöft entstandenen Aquarells wiederholend, war schweren Textilkaufmanns und bedeutenden Kunstsammlers der Mitbegründer der Künstlergruppe „Brücke“ auf dem Zenit Hugo Benario nicht, dass sich ein Werk aus der Kunstsammlung seines Könnens. Leuchtend wirken die Farbflächen, kantig ist des Urgroßvaters im Dürener Museum erhalten hat. Hugo Ben­ die Sprache, aber nicht mehr ganz so streng wie zu Schmidt- ario und seine Frau Toni bewohnten bis Mitte der 1920er- Jahre Rottluffs expressionistischer Hochphase. Die physisch starke eine großbürgerliche Villa in Berlin-Dahlem und pflegten per­ Präsenz des Motivs öffnet sich rhythmisch in die Bildtiefe hinein. sönlichen Umgang mit zeitgenössischen Künstlern. Die Kunst­ Leise macht der ferne Horizont eine Andeutung von Geschichte. sammlung, die neben moderner Kunst auch antike Stücke, Alte Und in der Tat: Diese Schiffe sollten noch durch manche Stür­ Meister und Kunstgewerbliches umfasste, muss enorm gewesen men segeln. sein. Einen großen Teil davon verkaufte der Sammler 1927 auf Die Provenienz des beeindruckenden Ölgemäldes, das einer Auktion. Danach konzentrierte sich Hugo Benario, wie es Heinrich Appel im Jahr 1952 auf Vermittlung des Kunsthänd­ etwa dem Geschäftsbuch der Galerie Paul Cassirer zu entneh­ lers Wilhelm Grosshennig für das von ihm geleitete Leopold- men ist, auf die Vertreter der Klassischen Moderne: Kees van Hoesch-Museum (LHM) in Düren angekauft hat, war bis vor Dongen, Oskar Kokoschka, Georg Kolbe, , wenigen Jahren unhinterfragt. Dann wurde es neben einem Ge­ Max Pechstein, Wilhelm Lehmbruck, Hans Purrmann und einige mälde von Heinrich Campendonk zum prominentesten Resti­ mehr, darunter eben auch Karl Schmidt-Rottluff. Das Bild „Ost­ tutionsfall des Hauses. Dass dabei anders als im Falle des Cam­ see“ muss sich spätestens im Jahr 1928 in seinem Besitz befun­ pendonk vorab kein Restitutionsgesuch vorgelegen hat, erklärt den haben, weil Benario es in diesem Jahr an die Nationalgalerie sich nicht zuletzt dadurch, dass das Bild in Düren nicht unter sei­ Berlin auslieh. Gekauft wurde das Werk – das deuten Etikettreste nem vom Künstler vergebenen Titel „Ostsee“ inventarisiert war, auf der Rückseite an – wohl nicht bei Cassirer, sondern in der sondern als „Schiffe am Strand“. Will Grohmanns Œuvrekata­ Berliner Galerie von Ferdinand Möller, dem Geschäftsführer der log zu Schmidt-Rottluff aus dem Jahr 1956 führt daher fälschlich Freien Secession, und zwar vermutlich um die Jahre 1922/1923. zwei Werke auf, womit die Spur des Dürener Werks verwischt Dass wir heute entscheidend viel mehr über Hugo Benario und Die Nachfahren Jörg und Natascha Reichelt-Benario am 17. Dezember 2018, war. Dass dieser Irrtum aufgeklärt und der Status des Gemäl­ die Geschichte des Schmidt-Rottluff-Bildes wissen, verdan­ dem Tag der Restitution des als höchstwahrscheinlich NS-verfolgungsbedingt entzogen ken wir dem renommierten Provenienzforscher Kai Artinger, erwiesen werden konnte, geht auf die Initiative der ehemaligen der im Auftrag des DZK zweieinhalb Jahre lang die Dürener LHM-Direktorin Renate Goldmann zurück. In einem vom Deut­ Sammlung erforscht hat. In geradezu kriminalistischer Fein­ schen Zentrum Kulturgutverluste (DZK) geförderten Projekt hat arbeit ging er der Eigentumsgeschichte des prominenten See­ das Museum zwischen Mai 2015 und November 2017 seinen ge­ stücks nach. Diese Forschungen zum „Ostsee“-Bild erstreckten samten von 1933 bis in die Nachkriegszeit erworbenen Bestand sich, wie der Kunsthistoriker im Gespräch erläutert, über den – über 2.000 Werke – proaktiv überprüfen lassen. gesamten Projektzeitraum. Wie sehr es dabei auf ein gutes Ge­ Ein „Wahnsinnsaufwand“ sei dies gewesen, sagt Tina Roß­ spür und glückliche Fügungen ankam, zeigt ein Fund gleich zu broich, die auch für Provenienzfragen zuständige Sammlungs­ Beginn der Untersuchungen: Weil das Kunsthaus Zürich Benario registrarin am Leopold-Hoesch-Museum, und ganz abgeschlos­ sen seien die juristisch teils sehr aufwändigen Rückgaben noch nicht. Zudem stehe hinter einigen Werken noch ein Fragezei­ chen. Was sich sicher als Raubkunst erwiesen hat, waren neben den beiden Gemälden – auch der Campendonk ist inzwischen restituiert und zurückgekauft – rund 180 Druckgraphiken, die sich auf vier Sammlungszusammenhänge verteilen. „Im Prinzip sollten alle Häuser ihre eigene Sammlung in dieser Weise auf­ arbeiten“, glaubt Roßbroich, aber selbst mit der Unterstützung durch das Magdeburger DZK seien die Eigenleistungen und der Folgeaufwand für das Museum nicht zu unterschätzen. Das pro­ aktive Vorgehen nach den Kriterien der Washingtoner Erklärung von 1998, die eine faire und gerechte Lösung in Verbleibs- und Entschädigungsfragen anmahnt, sei inzwischen verbreitet, aber dennoch gebe es mitunter wohl die Sorge, für die getroffenen

Entscheidungen öffentlich kritisiert zu werden. Roßbroich be­ Das Museum machte seine Recherchen zur Provenienz nachvollziehbar: tont jedoch, wie berührend im Fall des Schmidt-Rottluff-Gemäl­ Das Leopold-Hoesch-Museum in Düren Installationsansicht der Ausstellung „Unsere Werte? Provenienzforschung­ im Dialog: Leopold-Hoesch-Museum und das WALLRAF“, 2016/17

58 Arsprototo 1 ⁄ 2020 59 Erwerbung ⁄ Nordrhein-Westfalen

1933 ein Kokoschka-Gemälde abgekauft hat, sah sich Artinger die dortige Akte Benario genauer an und stellte fest, dass am 28. Januar und am 13. Februar 1933 dem Schweizer Museum auch, wenngleich erfolglos, das Gemälde „Ostsee“ zum Kauf ange­ boten worden ist. Doch nicht nur das: Der Sammler hatte sogar Schwarzweißfotos mitgeschickt, mit deren Hilfe sich die Identi­ tät des Bildes „Ostsee“ mit dem in Düren bewahrten zweifellos belegen ließ. Das sei ein entscheidender Moment gewesen, sagt Artinger im Rückblick, weil das Problem mit der Werkidentität nun aus dem Weg geräumt war. Weiterhin belegt dieser Fund, dass der jüdische Unterneh­ mer Benario zwei Wochen nach Hitlers Machtergreifung vom 30. Januar 1933 noch im Besitz des fraglichen Bildes war. Dass er zu dieser Zeit versuchte, mehrere Werke zu verkaufen, könnte bereits auf finanzielle Schwierigkeiten auf Grund von Verfol­ gungsmaßnahmen hindeuten. Die Anmietung preiswerterer Wohnungen und diverse briefliche Äußerungen zeigen laut Ar­ tinger, dass die ökonomische wie rechtliche Situation Hugo Be­ narios im nationalsozialistischen Deutschland immer prekärer wurde. Im Jahr 1936 schied er als Gesellschafter aus dem eige­ nen Unternehmen, einer Texilfabrik-Vertretung, aus und wurde in einem Devisenstrafverfahren zu Haft- und Geldstrafen ver­ urteilt. Das NS-Regime nutzte solche Verfahren häufig, um die Aneignung jüdischer Vermögen zu legitimieren. Der während des Prozesses schwer erkrankte Hugo Benario starb Anfang 1937 an einem Herzinfarkt. Seine Witwe Toni floh im Juni 1939 un­ Bibliothek und Musikzimmer in der Villa Benario in Berlin-Dahlem in der und Musikzimmer Bibliothek ter Aufbringung der üblichen Zwangsabgaben nach Großbritan­ nien; das Bild „Ostsee“ hatte sie definitiv nicht dabei. Es muss zuvor von ihr oder noch von ihrem Ehemann verkauft oder von Die Titeländerung hält Artinger übrigens nicht für eine bewusste NS-Behörden beschlagnahmt worden sein. Verschleierungstaktik des langjährigen Direktors des Leopold- Für nicht unwahrscheinlich hält Artinger den Rückkauf Hoesch-Museums: „Appel hätte gar keinen Grund dazu gehabt, durch die Galerie Ferdinand Möller. Auch als eine der vier deut­ weil ihn die Herkunft einfach nicht interessierte. So war das da­ schen Galerien, die mit der „Verwertung“ beschlagnahmter mals.“ Ob es bei den Verkäufern solche Absichten gegeben hat, Werke moderner Kunst beauftragt war, könnte Möller an das lässt sich nicht mehr eruieren. Inzwischen trage das Bild wie­ Bild gelangt sein. Der Nachbesitzer des Gemäldes, der in Berlin der seinen ursprünglichen Titel und sei samt Erläuterung seiner lebende Lebkuchenfabrikant Paul Wiegmann, der seine Kunst­ bewegten, zu einem guten Abschluss gekommenen Geschichte sammlung nachweislich auch durch „Verwertungsbestände“ im Sammlungsbereich des Museums ausgestellt, sagt Tina Roß­ sogenannter entarteter Kunst erweiterte und oft bei Möller ein­ broich. Auch Artinger stellt heraus, dass man glücklich darüber Das Gemälde stammt aus dem Besitz der Familie Hess, die kaufte, könnte günstig an das Werk gelangt sein. Wiegmanns Le­ sein dürfe, wenn durch die Anstrengungen, den Willen und die während des Nationalsozialismus verfolgungsbedingt Teile der bensgefährtin und Erbin Annie Marnitz verkaufte das Bild dann Offenheit der Beteiligten – Museum, Forschung, Stadt, Erben, Sammlung verkaufen musste. Campendonks Tierbildnis verblieb nach der Emigration der Familie beim Kölner Kunst- 1952 für 4.000 Deutsche Mark und ohne Angaben zur Proveni­ Förderer – wie hier eine für alle Seiten faire und gütliche Eini­ verein in Obhut, wo es durch einen Mitarbeiter gestohlen enz nach Düren. gung herbeigeführt werden könne. „Ostsee“ ist ein Paradefall wurde. Der Dürener Kartonagenfabrikant und Sammler Es gilt nun eine Beweislastumkehr: Solange nicht nachge­ für den Erfolg der Anwendung der Washingtoner Prinzipien im Dr. Felix Peltzer erwarb das Gemälde Anfang der 1950er-Jahre in der Galerie Nebelung in Düsseldorf. Nach dessen Tod wiesen werden kann, dass den Benarios zwischen Februar 1933 Museumskontext. schenkte es seine Witwe Emma Peltzer-Dörrenberg 1955 dem und Dezember 1936 ein marktüblicher Preis gezahlt worden Oliver Jungen arbeitet als Kultur­journalist, Leopold-Hoesch-Museum. Da es sich bei dem Werk nach­ ist, kann ein zu dieser Zeit von als Juden Verfolgten bzw. unter vornehmlich für die Frankfurter Allgemeine Zeitung. weislich um NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut Zwang verkauftes Werk als NS-verfolgungsbedingt entzogen handelt, entschloss sich die Stadt Düren gemäß den Prinzipien der Washingtoner Erklärung von 1998, das Werk an die Erbin gelten. Unter dieser Voraussetzung wurde „Ostsee“ im Dezem­ zu restituieren und konnte u. a. mit Unterstützung der Kultur­ ber 2018 restituiert und zugleich zurückgekauft. Neben der Kul­ stiftung der Länder eine Lösung für dessen Verbleib in turstiftung der Länder mit anteilig 267.000 Euro beteiligten sich Leopold-Hoesch-Museum Düren erzielen. Hoeschplatz 1, 52349 Düren daran die Ernst von Siemens Kunststiftung, die Stadt Düren und Telefon 02421 - 250 Heinrich Campendonk, Bild mit Tieren, 1917, weitere Förderer auf Bundes-, Landes- und Bezirksebene. www.leopoldhoeschmuseum.de 60,5 × 76,5 cm; Leopold-Hoesch-Museum, Düren

60 Erwerbung ⁄ Bayern

Diesem wohlgenährten Familienvater mit mit seinem leicht abgewinkelten Mittel­ Bernhard Strigels seiner teuren Pelzhaube und dem ebenso finger, der einen Zentimeter vor der glat­ Porträt von „Johannes verbrämten taubenblauen Brokatober­ ten steingrauen Brüstung vor Vater und Der Sohn gewand verdanken die Habsburger, dass Sohn aus dem Bild herausweist. Zugleich Cuspinian mit Familie“ ihr um 1500 noch sehr überschaubares bedeckt Cuspinian aber die Hand seines begeisterte Charles I. Land im 18. Jahrhundert zum Riesenreich zweitältesten Sohnes aus erster Ehe, des wie Wilhelm von Bode: Österreich-Ungarn wurde. Der in Drei­ zwölfjährigen Nikolaus Chrisostomus. des Donners viertellebensgröße und mit Familie dar­ Dieser trägt ein schwarzes Barrett mit drei Es ist Sippenbild gestellte Johannes Cuspinian (1473–1529) knopfartigen Silberapplikationen. Der äl­ fädelte in zehn Jahren diplomatischer Ar­ teste Sohn, der fünfzehnjährige Sebastian des Dichters und beit am ungarischen Hof 1515 die Dop­ Felix, legt seine Hand vor die Brust, wobei Dynastienstifters im pelhochzeit zwischen zwei Enkeln seines ihre Außenseite zugleich die linke Schul­ Auftraggebers Kaiser Maximilian, Maria ter des jüngeren Bruders berührt. Johan­ Habsburgerreich (1505–1558) und dem späteren Ferdinand I. nes Cuspinian umfängt ihn mit seiner Lin­ von Stefan Trinks (1503–1564) und zwei Kindern König Wla­ ken an der Schulter. Im Schatten dieser dislaws II. von Ungarn, Anna (1503–1547) pyramidalen Konstruktion aus Vater und und dessen Nachfolger Ludwig II. (1506– Söhnen steht – auch gestisch völlig iso­ 1526), ein. In dem fünf Jahre später von liert – Cuspinians zweite Frau Agnes Stai­ Bernhard Strigel (1460–1528) in Wien ge­ ner (gest. 1525), deren verschränkte Arme malten Porträt, das sich nach seinem An­ Strigel so malt, dass der Ehering an ihrer kauf in einer Londoner Auktion heute im rechten Hand gerade noch sichtbar bleibt. Strigel-Museum Memmingen befindet, Das Ganze lässt der Maler vor einem tief­ ist von Cuspinians Erfolg außer den all­ blauen See und unter einem entlaubten gemeinen Anzeichen von Wohlstand wie Baum stattfinden, es ist demnach Herbst dem edlen Rückenmarderpelz und der oder Winter. An einem der Äste hängt Goldkette über den Schultern nichts zu wie ein Damoklesschwert über den Söh­ sehen. Es ist ein Familienporträt, als sol­ nen eine Holztafel mit der an sie gerich­ ches eines der ersten und kompositionell teten lateinischen Aufforderung im Plu­ ungewöhnlich. Links steht Cuspinian in ral, sich stets um Gottesfurcht, Klugheit, aller Körperfülle neben einem Baum und Aufrichtigkeit zu bemühen: „Filii, co­ vollführt enigmatisch eine Zeigegeste lite Deum, discite prudentia[m], diligite

Bernhard Strigel, Johannes Cuspinian und seine Familie, Die sogenannte Wiener Doppelhochzeit am 22. Juli 1515 während des 1520, 70,7 × 60 cm; Strigel-Museum Memmingen Ersten Wiener Kongresses: Václav Brožík, Tu felix Austria nube, 1896, 430 × 730 cm; Österreichische Galerie Belvedere, Wien Arsprototo 1 ⁄ 2020 63 Erwerbung ⁄ Bayern

Cuspinian-Porträts sich ehemals in der Sammlung des englischen Königs be­ fanden, wird kein Zufall sein, sondern ist eher Indiz für eine gezielte Sammel­ tätigkeit nordalpiner Maler und von Hu­ manistenbildnissen. Bis heute prangt der Brandstempel mit den bekrönten Lettern CR für Carolus Rex auf der Rückseite, seit das Gemälde um 1639 durch den Diplo­ maten Robert Anstruther dem englischen König übergeben wurde. Im 19. Jahrhun­ dert gelangte es dann in die Berliner Ge­ mäldegalerie, wo Wilhelm Bode es un­ ter den schon zum Verkauf bestimmten Bildern aus der Sammlung Eduard Solly aufstöberte. Bode bemerkte 1880 als ers­ ter, dass eine seiner Meinung nach „weit­ schweifige“ Inschrift die gesamte Rück­ seite des Bildes füllt, nachdem er die dicke Schmutzschicht vom Restaurator hatte abwaschen lassen. Zum Vorschein kam unter anderem der – möglicher­ weise von Cuspinian selbst – latinisierte Name des Künstlers, „Strigil“. Zuvor trug der Autor des Gemäldes den Notnamen „Meister der Hirscher-Tafeln“. Cuspinian hatte bereits seinen eigenen Familienna­ men Spießhaymer (nach dem unweit sei­ nes Geburtsortes Schweinfurt gelegenen Spiesheim) umgewandelt: von „cuspis“, lateinisch Spieß. Die Identifizierung Stri­ Kaiser Maximilian I., Melchior Pfintzing, Hans Leonhard Schäufelein, Theuer- dank greift Löwe ins Maul, aus: Die geuerlicheiten vnd einsteils der ge- gels war wichtig, denn das „Bildnis Kaiser schichten des loblichen streytparen vnd hochberümbten helds vnd Ritters Maximilians und seiner Familie“ in Wien herr Tewrdannckhs, 1517, 26,3 × 37,2 cm; Bayerische Staatsbibliothek München (s. Abb. S. 67), das Vorbild des Memmin­ ger Cuspinian-Porträts, wurde zu Bo­ honestate[m]!“ Das Mahnpapier ist auf stand nicht perfekt ist. Die Zuschreibung des Zeit noch Grünewald zugeschrieben. der Tafel mit Wachs fixiert und weist per­ an Strigel aber gelang schon im Jahr 1880, Mit dem Familienporträt kehrt folglich spektivisch verkürzt wie die Tabula bei in dem Wilhelm Bode, damals noch As­ der Grundstein der Strigel-Forschung Altdorfers „Alexanderschlacht“ in Mün­ sistent in der Skulpturensammlung der an den Ort seiner Entstehung zurück. chen oder bei Dürers „Adam und Eva“ Königlichen­ Museen zu Berlin eine fol­ Bode gelangen Fund und Zuschreibung im Madrider Prado in die Tiefe des Bild­ genreiche Entdeckung machte. wohl auch deshalb, weil er als ausgebil­ raums. Weitere lateinische Versalinschrif­ Wohin das Bild nach dem Tod Cuspi­ deter Jurist an komplexen lateinischen ten mit biblischen Zweitnamen in Gold nians 1529 geriet, ist nur zum Teil bekannt. Inschriften vor allem der Renaissance schweben jeweils über den Dargestellten. Nachgewiesen besaß König Charles I. von interessiert war. Eine wie die herausfor­ Selbst wenn man heute noch nicht wüsste, England (1600–1649) in den 1640er-Jah­ dernde Strigelsche, die mit sieben Zei­ dass die Tafeln von Strigel stammen – die ren den Strigel nebst anderen hervorra­ len in römischer Antiqua beginnt, in der Inschrift auf der Rückseite des Familienbildnisses von Bernhard Strigel Modellierung der Gesichter aus nuan­ genden deutschen Gemälden wie Lu­ Mitte der Tafel mit fünf Zeilen in einer cierten Abstufungen des Inkarnats, ohne cas Cranachs Bildnissen des Johannes abgewandelten geschwungenen Kanz­ scharfe Linien oder Schattierungen, ist Cuspinian und dessen erster Frau Anna leischrift fortfährt, um unten in weiteren charakteristisch für den Memminger Ma­ Putsch (1485–1513) aus dem Jahr 1502 fünf Zeilen Antiqua zu enden, eine solche ler. Und das, obwohl die Gesichter stark (heute Sammlung Oskar Reinhart „Am Inschrift mit Stichworten wie „Apelles“, berieben sind und der Erhaltungszu­ Römerholz“, Winterthur). Dass die drei „Alexander“, „manu sinistra per specula

64 Erwerbung ⁄ Bayern ferme sexagenarius Viennae pingebat“, Gegen die geschlossene Pyramide, wel­ bestellte, das sich eng an dem zuvor ent­ köpfige Heilige Sippe gemalt. Wie aber also „mit der linken Hand und sechzig­ che die Männer dieser Familie bilden, standenen Familienbildnis Maximilians war der Kaiser – denn dieser muss seinen jährig mit Brille in Wien gemalt“, muss scheint die Frau keine Chance zu haben. orientiert. Es zeigt ihn mit seinem früh Segen für diese Verähnlichung mit der ihn ad hoc in den Bann geschlagen haben. Mit verschränkten Armen steht sie buch­ verstorbenen Sohn Philipp I., „dem Schö­ Heiligen Familie auf dem Ursprungspor­ Die lateinische Beschriftung der 71 Zen­ stäblich am Rande, während ihr der äl­ nen“ (1478–1506), dessen Söhnen, den trät gegeben haben – von einer derart ge­ timeter hohen Tafel dürfte Strigel nicht teste Sohn Sebastian Felix offenbar die späteren Kaisern Karl V. (1500–1558) und wagten Genealogie zu überzeugen? Maxi­ schwergefallen sein: Gleich die erste er­ kalte Schulter zeigt. Und doch wäre Stri­ Ferdinand I. (1503–1564), dem 1515 ange­ milian war nicht nur der letzte Ritter mit haltene urkundliche Nennung des Malers gel nicht der anspielungsreiche Künstler, heirateten Enkel Ludwig II. sowie seiner seiner Innsbrucker Grabanlage von Bron­ aus dem Jahr 1506 gilt einem Auftrag für der sich mit solchen Mitteln große Popu­ zu diesem Zeitpunkt ebenfalls schon ver­ zefiguren in Rüstungen als genealogi­ die Beschriftung des Chorgestühls der larität ermalte, hätte er nicht auch hier storbenen ersten Frau, Maria von Burgund schem Großprojekt; er befasste sich auch Schnitzer Hans Daprazhaus und Heinrich ein Detail eingebracht, dass die rand­ (1457–1482). Hier steht der Kaiser eben­ zeitlebens fast manisch mit Stammbäu­ Stark in St. Martin in Memmingen, wofür ständige Lage Agnes Stainers im Bild et­ falls am linken Rand, Sohn und Enkel mit men, Wappenkunde und Historie. Strigels Strigel ein „trinkgelt von der geschrift in was mildert: Der gut sichtbare Ring an markantem Habsburgerkinn sind neben Gruppenbild mit seiner demonstrativen dem gestiell“ erhielt. Sein Faible für aus­ der rechten Hand weist sie als Ehefrau ihm aufgereiht. Alle Dargestellten sind Genealogie männlicher Nachkommen­ giebigen Schrifteinsatz hat ihn lebens­ aus. Es ist kein Zufall, dass Strigel die über die sich jeweils berührenden Hände schaft ist dafür ebenso ein Beispiel wie lang begleitet. Es wird in seinen späteren Gestik aller Dargestellten stark betont; verbunden, nur die Verstorbenen erschei­ seine anderen monumentalen Auftrags­ Jahren in lutherisch wortgläubigeren Zei­ das noch zu Lebzeiten nach den Vorga­ nen distanziert und wenden ihre Blicke ab. werke, wie das vor Wappen überbordende, ten, in denen er sich im Auftrag der Stadt ben Cuspinians in Renaissanceformen Auch auf dem kaiserlichen Familienpor­ für ihn von den renommiertesten Künst­ Memmingen wiederholt mit Predigern errichtete Epitaph von 1529 für den Wie­ trät sind die Personen wie auf dem Bild­ lern seiner Zeit illuminierte Gebetbuch, des neuen Glaubens beschäftigen musste, ner Stephansdom scheint sich auf Strigels nis der Cuspinians nicht mit ihren realen der Versroman „Theuerdank“ (1517), der eher noch zugenommen haben. Gemälde zu beziehen. Cuspinian trägt im Namen, sondern lateinisch mit biblischen (unvollendete) „Weißkunig“ oder die Wo immer sich Kaiser Maximilian Epitaph dasselbe Barrett und den Pelzkra­ Namen der sogenannten Heiligen Sippe jüngst in der Gruft seines Vaters, Fried­ aufhielt, war meist auch Cuspinian; der gen, vor allem aber sind seine Hände auf­ bezeichnet: Maximilian ist Cleophas, der rich III., im Wiener Stephansdom lokali­ im Auftrag seiner Heimatstadt Memmin­ fällig überkreuzt. Die Finger der rechten „leibliche Bruder Josephs, Ehemann der sierten Inschriften. Während sich der ita­ gen diplomatisch tätige Strigel – durch Hand greifen in eines von vier auf einer göttlichen Maria“, wie die Inschrift be­ lienische Adel eher bis zu den römischen seine Missionen mit dem Hofstaat be­ Brüstung liegenden Büchern; für die Gat­ sagt. Philipp wird als „Jacobus Minor“, Geschlechtern zurückverfolgte, war es kannt – wollte dem nach Konrad Celtis tin Agnes hingegen hat der Bildhauer die Jakobus der Jüngere benannt und Maria für die eigentümliche Mischung des Hu­ (1459–1508) zweitwichtigsten Huma­ übereinandergelegten Hände des Stri­ als „Maria Cleophas Soror Vir[gine]“, die manismus von Celtis und Cuspinian am nisten des Habsburgers offenbar an ge­ gelschen Familienporträts übernommen. Schwester oder Schwägerin Mariens. Sie Wiener Hof charakteristisch, sich in eine Es handelt sich demnach anders als in gilt als Mutter von „Jakobus dem Klei­ christliche Genealogie einzureihen. Ma­ Cranachs zwei Einzelporträts der Cuspi­ nen“, der häufig mit dem gleichnamigen ximilian wird somit ehrerbietig über sei­ nians, die dessen Forschungen zu Sym­ Apostel gleichgesetzt wurde. Strigel war nen Vertrauten Cuspinian vom Hofmaler Wohin das Bild nach Bernhard Strigel, Familie des Kaisers Maximilian I., bolen und Allegorien aufgreifen und spie­ also gehalten, den Kaiser als Schwager Strigel in engster Nachfolge Christi ver­ dem Tod Cuspinians nach 1515; 72,8 × 60,4 cm; Kunsthistorisches Museum Wien geln, bei Strigels Bild überwiegend um der Muttergottes zu einem wichtigen Teil ewigt. Diese künstlerische Einbettung in geriet, ist nur eine Sprache der Gesten. Cuspinian wird der erweiterten Heiligen Familie Jesu zu zeichnet. Um 1500 jedoch ist Johannes Lieblingsjüngers Jesu bezeichnen, seine die weit verzweigte christliche „Urfamilie“ zum Teil bekannt als begnadeter Poet und Orator, als Ver­ machen, nicht aber zu übertreiben. Zwar neben Petrus der unbestritten wichtigste Söhne als Johannes und Jakobus? Es han­ in den beiden Familienporträts konnte so fasser etlicher Bücher zur antiken Rhe­ ist Maria Cleophas eine der drei Marien unter den Zwölfen: als Dritter berufen, delt sich um eine sogenannte Verähnli­ für immer an die von Cuspinian arran­ torik und diplomatischer Einfädler der unterm Kreuz, Maximilian maßt sich aber mit vierundzwanzig Jahren jüngster der chung. Das ikonographische Vorbild sind gierte österreichisch-ungarische Dop­ lehrten Anspielungen in nichts nachste­ habsburgischen Doppelhochzeit gefeiert. nicht die Position des Joseph als Zieh­ Apostel, nach Christi Kreuzigungstod für die um 1520 äußerst beliebten und auf ei­ pelhochzeit von 1515 erinnern – den Hö­ hen. Als Hofkünstler, der als einziger den Seit dem Jahr 1500 war Cuspinian Rek­ vater Jesu an. Auf dem 1520 gewisserma­ dessen Mutter Maria Sorgender. Er ist ner Tafel zusammengestellten Bilder der hepunkt eines ungewöhnlich bewegten Kaiser wiederholt porträtiert hatte, ver­ tor der Wiener Universität, 1508 wurde er ßen „nachbestellten“ Familienbildnis als mutmaßlich Gelehrtester unter den Heiligen Sippe, der vielköpfigen Familie Lebens, das Strigel in ebenso ungewöhn­ gleicht er sich stolz mit Apelles als legen­ Nachfolger seines verstorbenen Freundes der Cuspinians lässt sich dieser von Stri­ Jüngern zugleich Verfasser eines der vier Jesu. Nicht nur hatte Jesus der Bibel zu­ licher Form festhielt. därem Hofkünstler Alexanders des Gro­ Celtis, des vom Kaiser lorbeergekrönten gel auf dem Bild inschriftlich als „Zebe­ kanonischen Evangelien; in Cuspinians folge fünf Geschwister; vielmehr sind Der Kunsthistoriker Dr. Stefan Trinks ist ßen. Strigel betont sicher auf Cuspinians „poeta laureatus“, als Professor für Poe­ deus“ bezeichnen. Der Name Johannes Zeit – vor der biblischen Textkritik – wird auch deren Frauen wie Salome und ihre Privatdozent für Kunstgeschichte an der ausdrücklichen Wunsch, dass dieser im tik und Rhetorik. Nicht zuletzt zeigt dies Zebedäus, in Anlehnung an Lukas 9,54 ihm zudem die apokalyptische Johannes­ Kinder auf diesen volkreichen Gemälden Humboldt-Universität zu Berlin und leitet fränkischen Schweinfurt geboren sei, von der erhobene Zeigefinger der drei lateini­ wegen seines Furors oft „Sohn des Don­ offenbarung zugeschrieben, was zu sei­ anwesend. Johannes ist ebenfalls der jün­ das Kunstressort der Frankfurter Allge­ wo auch Konrad Celtis als dessen engster schen Imperative auf der Tafel über den ners“ genannt und heutzutage als Bei­ nem Namen „Donnersohn“ zu passen gere Bruder Jakobus des Älteren, weshalb meinen Zeitung. Freund stammt, und bezeichnet ihn ex­ beiden Söhnen, die dieses „Testament“ name kaum mehr vertraut, ist aber nicht schien. Dieser bedeutende Mann soll in Abgrenzung zu diesem der fast gleich­ plizit als Ostfranken („Franc[on]us“), ein offensichtlich fortsetzen sollen. weniger als der Familienname des Apos­ als Bischof von Ephesos im gesegneten große Sohn Cuspinians von Strigel im Ge­ Strigel-Museum Verweis auf die von Celtis propagierte ur­ Allerdings war die Grundkomposi­ tels Johannes, des Lieblingsjüngers Jesu, Alter von hundertundeinem Jahr sanft mälde als „Iacobus Minor“ benannt wird. Martin-Luther-Platz 1 87700 Memmingen alt-mythische Abstammung der Franken tion vorgegeben, und Strigel blieb Spiel­ als der er sich nicht ohne Dünkel im nach entschlafen sein. Warum aber lässt sich Strigel selbst hatte auf die Rückseite des Telefon 08331 - 850245 von griechischen Druiden. raum nur im Detail, da Cuspinian ein Bild ihm benannten Evangelium selbst be­ Cuspinian als Vater dieses nicht uneitlen Wiener Familienbildes die „echte“, viel­ www.memmingen.de

66 Arsprototo 1 ⁄ 2020 67 Partner der KSL: Partner der KSL ⁄ EvS Kunststiftung Es war eine feierliche Zeremonie, bei der Kaiser Constans dem ren kaum versehentlich auf dem Acker aus der Tasche gefallen germanischen Heerführer die schwere Goldmünze einst in die sein. Als sie in den Boden kam, sah die Landschaft noch anders Hand drückte. Ein prächtiges Stück: Mit neun Gramm Gewicht aus. Ganz in der Nähe verlief eine uralte Wegtrasse, gesäumt Die Ernst von Siemens und einem Durchmesser von fast drei Zentimetern war sie dop­ von Gruppen von prähistorischen Grabhügeln. Auf einer Geest­ pelt so groß wie die gewöhnlichen römischen Goldmünzen jener kuppe thronte ein besonders imposanter Grabhügel, am Fuß Tage. Nur für besondere Verdienste bekamen die Verbündeten der Erhebung fiel der Hang in sumpfiges Gelände ab. Das Moor Kunststiftung des Kaisers ein solches Multiplum, wie diese Sonderprägungen und die alten Gräber bildeten somit die typische Kulisse für ger­ genannt wurden, verliehen. Der Heerführer, dem der Kaiser die manische Opfergaben. Vermutlich wird also das Multiplum als Münze überreichte, hatte sie sich redlich verdient. Aus seiner ­Geschenk an die Götter im Moor niedergelegt worden sein. feuchten Heimat nahe der Elbmündung an der Nordsee hatte er Der Fund gehörte nach niedersächsischem Recht zur Hälfte einen Trupp sächsischer Söldner zum Heer des Kaisers geführt dem Entdecker und zur Hälfte dem Grundbesitzer, auf dessen und Seite an Seite mit ihm gekämpft. Stolz würde er die schwere Grundstück der Fund gemacht wurde. Für Finder Glüsing ein Goldmünze nun zu Hause vorzeigen können. glücklicher Nebeneffekt: Er ist ein zertifizierter Sondengänger 1675 Jahre später fiepte der Metalldetektor von Matthias und arbeitet bereits seit vielen Jahren mit der Kreisarchäolo­ Glüsing laut auf, als er ihn über einen Acker bei Schwinge im gie Stade zusammen – nicht um Schätze zu finden, sondern aus Landkreis Stade bewegte. Das Gerät hatte das Multiplum aufge­ echtem Interesse für die Vergangenheit. Dank des Ankaufs der spürt. Nur wenige Zentimeter unter der Oberfläche lag jene gol­ Ernst von Siemens Kunststiftung kann das Multiplum nun im dene Ehrenmünze, die einst tatsächlich ein römischer Kaiser in Schwedenspeicher der Stadt Stade einem breiten Publikum zu­ seinen Fingern gehalten hatte. Fast perfekt überdauerte sie die gänglich gemacht und damit anschaulich ein wichtiges Kapitel Zeit im Acker, lediglich ein paar Kratzer hat sie vermutlich durch der lokalen Geschichte erzählt werden. „Der Finder, die Denk­ eine Pflugschar abbekommen. Auf der Vorderseite ist noch im­ malpflege und die Museen Stade haben vorbildlich zusammen­ mer klar und deutlich die Büste von Kaiser Constans, Sohn von gearbeitet. Eine Goldmünze von einzigartigem kulturellen Wert Konstantin dem Großen, zu erkennen, umrahmt von seinem Na­ und Zeugnis der Verbindung des spätantiken römischen Kaisers men: FL IVL CONS-TANS P F AVG, Flavius Iulius Constans Pius Constans mit einem germanischen Herrscher kann so zukünf­ Felix Augustus. Auf der Rückseite halten zwei Siegesgöttinnen tig nahe ihres Fundortes der Öffentlichkeit präsentiert werden“, einen Kranz mit einer Inschrift, die auf das zehnjährige Jubiläum freut sich Generalsekretär Dr. Martin Hoernes. „Gern hat die seiner Thronbesteigung im Jahr 342 verweist. Der Sieg, den die Ernst von Siemens Kunststiftung den Ankauf unterstützt.“ Göttinnen feiern, ist Constans' Triumph über die Franken eben­ Dr. Angelika Franz ist Archäologin und Wissenschaftsjournalistin. falls im Jahr 342. Auch der Ort, an dem die Münze geprägt wurde, ist vermerkt – sie stammt aus Siscia, dem heutigen Sisak in Kro­ atien. Damit ist sie ein Einzelstück – aus dem ganzen römischen Reich ist kein zweites Multiplum des Kaisers Constans dieser Prägung bekannt. Wer genau der Germane war, dem der Kaiser das Multiplum übergab, wird niemand mehr herausfinden können. Denn aus dem 4. Jahrhundert sind noch keine Namen von bedeutenden Sachsen aus der Region der Elbmündung überliefert. Vielleicht Goldmultiplum von Kaiser Constans (reg. 337– Ernst von Siemens war er nicht nur ein einfacher Kommandant einer militärischen 350), gefunden bei Schwinge. Gold, 9g (2 Solidi), Einheit, sondern gehörte sogar der kaiserlichen Leibwache an. Durchmesser ca. 29 mm, geprägt 342/43 Kunststiftung Sicher ist, dass die Germanen ab der Mitte des 4. Jahrhunderts Erwerbungen, Ausstellungen, Restaurierungen mehr und mehr Verantwortung und wichtige Positionen im rö­ und Bestandskataloge fördert die EvSK. Bei mischen Heer übernahmen. Bald stellten sie die zahlenmäßig Auktionen oder Verhandlungen sind es die kurz­ fristige Re­ak­­ti­ons­zeit des fachkundigen Stiftungs­ größte Gruppe der Heermeister, konnten sogar zum römischen rates und die Möglichkeit von zinslosen Vorfinan­ Konsul aufsteigen und übten entsprechend politischen Einfluss zierungen, die prominente Ankäufe ermöglichen: am römischen Kaiserhof aus. Die Sachsen waren zu dem Zeit­ Der Finder des Multiplums, der zertifizierte Sondengänger jüngst die Elfenbeinsammlung Winkler für das punkt ein noch recht junger, aufstrebender germanischer Stam­ Matthias Glüsing, bei der Arbeit mit dem Metalldetektor auf Liebieghaus Frankfurt oder den Mars Giambo­ mesverband. Dass Kaiser Constans einen von ihnen mit einem der Grabungsfläche lognas für die Kunstsammlungen Dresden. goldenen Multiplum bedachte, zeigt aber, dass die Sachsen in Interview im Podcast den 40er-Jahren des 4. Jahrhunderts in Niedersachsen bereits Ackergold „Was macht die Ernst von Siemens Museumsverein Stade e.V. eine Elite gebildet hatten. Kunststiftung?“ Hören Sie das Interview Wasser West 39, 21682 Stade mit dem Generalsekretär Dr. Martin Da die Goldmünze sowohl einen hohen Material- als auch Hoernes: www.kulturstiftung.de/ Telefon 04141 - 797730 partner/ oder auf iTunes und Spotify ideellen Wert hat, wird sie dem Besitzer oder dessen Nachfah­ www.museen-stade.de

68 Arsprototo 1 ⁄ 2020 69 Partner der KSL ⁄ Toepfer-Stiftung

Partner der KSL: Die Biografien begleiten, Verände- Erforschung der Geschichte von Stifter und Stiftung beauftragt. 2000 liegt der Bericht vor: „Toepfer war weder ein Förderer der rungen wagen, Raum geben: Nationalsozialisten vor 1933 noch ein begeisterter Anhänger des Alfred Toepfer Stiftung F.V.S . Ihrer Fördertätigkeit geht die nationalsozialistischen Regimes in den 12 Jahren danach“, heißt es in der Einleitung. Bekämpft habe er die Diktatur jedoch nie. Alfred Toepfer Stiftung F. V. S . bald Zu Beginn der 2008 erschienenen Biografie erklärt der Histo­ 90 Jahre nach, in der Freien riker Jan Zimmermann, „wie bei anderen konservativen Nati­ onalisten gab es zwischen [Toepfer] und dem NS-Regime ge­ und Hansestadt Hamburg – und nügend Berührungspunkte, die ihn glauben ließen, er könne in dessen Rahmen seine eigenen Ziele verwirklichen“. Auf mehre­ darüber hinaus ren hundert Seiten legen Zimmermann und die Wissenschaft­ ler der Kommission in ihren jeweiligen Publikationen die his­ Supermärkte, Apotheken, Tankstellen sind auf, sonst hat alles torischen Begebenheiten dar. Die zentralen Erkenntnisse listet zu. In ganz Italien erliegt das öffentliche Leben dem Pandemie­ die Stiftung auf ihrer Webseite auf: Die Unterstützung Toepfers schutz. Besonders in den nördlichen Regionen grassiert das von „einzelnen Zielsetzungen, Personen und Organisationen“ Virus. Die Theaterkompanie Compagnia dell’Argine aus San des NS-Regimes ist offenkundig, die personellen Kontinuitäten Lazzaro di Savena stellt – wie alle anderen – ihre Arbeit Anfang nach dem Zweiten Weltkrieg ebenso. Das macht die Stiftung ge­ März bis auf Weiteres ein. Ihre Zukunft und die ihres vor den genüber denjenigen, die von ihr gefördert werden oder mit ihr Toren Bolognas gelegenen Teatro ITC: ungewiss. Besonders zusammenarbeiten, mit Nachdruck transparent. Auch die nach in Zeiten der Krise fühle man sich als Kulturschaffende allein, dem Tod des Stifters vorgenommene Namensänderung versteht berichtet die Leiterin und Gründerin der Compagnia, Micaela die Stiftung als Zeichen der Nachvollziehbarkeit. Casalboni. Umso schöner sei es, in diesen Momenten gesehen Das Stiftungskapital, das auf den unternehmerischen Tä­ zu werden. Nicht nur wahrgenommen, sondern ausgezeichnet tigkeiten der Getreide- und Futtermittelhandelsfirmen Alfred ist die Arbeit der Compagnia dell’Argine seit Anfang April durch C. Toepfers gründet, setzt die Förderinstitution heute vor allem den mit 20.000 Euro dotierten Max-Brauer-Preis der Alfred zur Unterstützung von Talenten aus den Bereichen Kultur, Wis­ Toepfer Stiftung F.V.S. senschaft, Bildung, aber auch Naturschutz und Denkmalpflege „Benannt nach dem ersten Hamburger Bürgermeister der ein. „Wir haben uns auf diesen methodischen Schwerpunkt Nachkriegszeit, wird der Preis üblicherweise für Verdienste geeinigt. Wir wollen Menschen fördern, qualifizieren und er­ um die Freie und Hansestadt Hamburg vergeben“, erklärt Vor­ mutigen, die etwas Besonderes wollen und deshalb Unterstüt­ standsvorsitzender Ansgar Wimmer, „doch wir sind auch eine zung brauchen – sei es in Form von finanziellen Mitteln, Netz­ europäische Stiftung. Letztlich ist die Diskussion unseres Ku­ werken oder Räumen.“ Dabei lassen sich die vermeintlich weit ratoriums so ausgegangen, dass wir ein Zeichen der Solidarität ausein­anderliegenden Bereiche Kultur und Naturschutz manch­ in Europa setzen wollten.“ Darüber ist die Freude in San Laz­ mal überraschend gut verbinden, findet Ansgar Wimmer: „Bei zaro groß: „In diesen schweren Zeiten ist es auch irgendwie das der diesjährigen Preisträgerin unseres Kulturpreises KAIROS, Erscheinen eines Lichtes am Ende dieses Tunnels, durch den Agnes Meyer-Brandis, ist die Linie zwischen Forstwirtschaft und wir alle Europäerinnen und Europäer gehen: ein Licht der Hoff­ bildender Kunst ganz nah. In ihrer künstlerischen Praxis hat sie nung, des Widerstands und der Widerstandsfähigkeit, ein Licht unter anderem zu wandernden Bäumen geforscht.“ Gerade die Preisträgerin des Max-Brauer-Preises 2020 − die freie Theater- der Zusammenarbeit und Solidarität durch Dialog, Kultur und neuen Zugänge zur Natur befand die Jury der mit 75.000 Euro kompanie Compagnia dell’Argine und ihr Teatro ITC in Kunst“, so Micaela Casalboni. dotierten Auszeichnung preiswürdig. San Lazzaro bei der Show „The Legacy of Babel“ im Rahmen des Bevor die diesjährigen Preisträgerinnen und Preisträger Förderung durch Preise stand jedoch vor allem in der Ver­ Projekts „Exoduses“, 2018 ihre Ehrung annahmen, wiesen die Hamburger auf die Ge­ gangenheit der Stiftung im Mittelpunkt, in den letzten Jahren schichte der eigenen Stiftung und ihres Gründers hin. „Wir ge­ fokussierten sich die Programme auf (Weiter-)Qualifizierung hen damit offensiv auf diejenigen zu, die wir auszeichnen“, be­ und Netzwerkarbeit. Für den Erfolg dieser Strategiewende steht tont Ansgar Wimmer, „sodass wir etwaige Fragen beantworten unter anderem museion21 – Die Museumsakademie. Gemein­ und Diskussionen führen können.“ Denn die Geschichte der sam mit der Kulturstiftung der Länder, der Volkswagen-Stiftung, 1931 als Stiftung F.V.S. gegründeten Einrichtung wirft immer der Körber-Stiftung und dem Deutschen Museumsbund ermög­ Europa wieder kritische Fragen auf: Wie stand Alfred Toepfer zum na­ lichte die Toepfer Stiftung von 2014 bis 2017 talentierten Nach­ tionalsozialistischen Regime, in seiner unternehmerischen wie wuchsführungskräften den Aufstieg in die Leitungsebene, sei seiner Fördertätigkeit? War der Wehrmachtshauptmann wirk­ es in der Alten Nationalgalerie in Berlin oder den Chemnitzer lich „nicht belastet“, wie das Entnazifizierungsverfahren 1947 Kunstsammlungen, um nur zwei Beispiele zu nennen. Bereits an der Alster urteilte? Erst nach dem Tod Toepfers im Oktober 1993 wächst ein Jahr zuvor eröffneten die Museumsstipendien Kulturelle der Druck, und eine Historikerkommission wird 1995 mit der ­Vielfalt und Migration jungen Hochschulabsolventinnen und

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-absolventen die Museumswelt. Ausgehend von der Vermutung, Situationen analysieren und dann Wandel katalysieren: Dieser dass der Berufseinstieg in den Museumssektor für manche am Methodik folgt nicht nur Heimspiel, sondern auch die weiteren Nachnamen scheitern könnte, schloss sich die Stiftung mit der Förderlinien der zweiten programmatischen Säule der Stiftung: Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung sowie der Stif­ Veränderungen wagen. Auch die 2020 an den Start gegangene tung Polytechnische Gesellschaft Frankfurt zum Experiment Ideen- und Handlungschmiede setzt dort an. „Unser Stiftungs­ zusammen. „Die meisten ehemaligen Stipendiatinnen und Sti­ kapital verdankt sich auch einem landwirtschaftlichen Betrieb, pendiaten haben inzwischen ihren Platz in der Museumswelt ge­ daher ist Naturschutz für uns von jeher ein wichtiges Thema. funden“, berichtet Uta Gielke, Programmleiterin des Bereichs Doch wie passen Landwirtschaft und Nachhaltigkeit gut zu­ Kultur, „gerade weil das Programm so erfolgreich war, können sammen? In unserem jüngsten Projekt versuchen kluge Köpfe, wir es nun einstellen. Wir haben Inklusion angestoßen – doch den scheinbaren Gegensatz zwischen konventioneller Landwirt­ letztendlich liegt es an den Museen, sich im Rahmen ihrer ei­ schaft und Naturschutz in die Zukunft zu bringen“, erklärt Ans­ genen Personalpolitik dafür zu entscheiden.“ gar Wimmer. Zum Begleiten von Biografien, wie die Stiftung die Haupt­ Bei der dritten Gruppe von Projekten gibt die Toepfer Stif­ säule ihres dreigeteilten Förderansatzes nennt, entstanden und tung Raum – für Konzerte, Ausstellungen, Geschichten, sei es entstehen immer wieder neue Ansätze. Am längsten hält sich auf Gut Siggen oder in der Millerntorwache. Diese beherbergt das Hanseatic Scholarship Program, das Studierende aus Oxford das Museum für Hamburgische Geschichtchen. In der Summe und Cambridge an die Alster bringt. „Als junger Theaterdrama­ entsteht hier eine weitere Stadtgeschichte: Hamburgerinnen turg nahm auch Sam Mendes die Chance eines Stipendiums der und Hamburger erzählen ihre Alltagsgeschichten, ihre Kriegs­ Stiftung wahr“, erinnert Ansgar Wimmer, „lange bevor sein Film erlebnisse, ihre Erinnerungen an historische Ereignisse wie die ‚American Beauty‘ ihm einen Oscar einbrachte und er Regisseur Große Flut. Ehrenamtliche Zuhörerinnen und Zuhörer leiten die von James Bond wurde.“ Das neueste Konzept richtet sich an Gespräche, freiwillige Technikerinnen und Techniker zeichnen junge europäische Journalistinnen und Journalisten, „weil wir sie auf und veröffentlichen sie mit Erlaubnis auf millerntorwa­ festgestellt haben, dass der investigative Journalismus in Europa che.org. leider zu einer bedrohten Spezies geworden ist. Und weil freier „Vorhandene Talente zu erkennen, sie ernst zu nehmen und Konzert im Rahmen der Sommerakademie Concerto21., Journalismus vielerorts unter Beschuss ist“, begründet der Vor­ zu wertschätzen, das ist unsere Aufgabe. Wir bieten ein Ange­ 2014, Seminarzentrum Gut Siggen standsvorsitzende die Notwendigkeit des Programms. bot zur Verfeinerung, zur Vertiefung, zur Weiterbildung – nicht Doch nicht nur europäische Entwicklungen nehmen die mehr, aber auch nicht weniger“, findet Uta Gielke. Für die Zu­ zwölf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Hamburger Ge­ kunft bedeutet das auch, „einen wachen Blick, Neugier und Un­ schäftsstelle in den Blick. „Gerade Bildung findet vor Ort statt. nachgiebigkeit“ zu bewahren, um zeitgemäße Programme zu Als relativ kleine Stiftung bedeutet Bildungsarbeit für uns, lokal offerieren, schließt Ansgar Wimmer. anzusetzen“, erklärt Fritz Rummel, zuständig für die Programm­ Antonia Kölbl ist Kunsthistorikerin in Berlin. ­ leitung Bildung. „Daher haben wir 2012 das Projekt ‚Heimspiel. Für Bildung’ mit unserer Partnerin, der Joachim Herz Stiftung, Alfred Toepfer Stiftung initiiert.“ An drei Standorten – Rahlstedt, Neuwiedenthal und F.V.S . seit 2016 Billstedt – läuft das Projekt für je zehn Jahre, um ge­ Die gemeinnützige Stiftung mit Sitz in meinsam mit den Bildungsakteurinnen und -akteuren und Be­ Hamburg engagiert sich europaweit auf den hörden vor Ort nachhaltige Netzwerke zu etablieren. Die best­ Gebieten Kunst und Kultur, Europäische möglichste Begleitung zum Schulabschluss und das Verhindern Integration, Bildung, Wissenschaft und von Schulabbrüchen, darum geht es in den Stadtteilen, die mit Naturschutz. Sie unterstützt Menschen, die diversen Herausforderungen konfrontiert sind, so Rummel. etwas Besonderes bewegen wollen, durch die Vergabe von Stipendien und Preise, und Durch ihre sozial deprivierte Lage treffen gesellschaftliche An­ fördert Qualifizierungen. Mit der Kultur­ strengungen die Heimspiel-Orte besonders. „Wie auch schon stiftung der Länder und weiteren Förderern 2015, als die Stadtteilbevölkerung migrationsbedingt schnell entwickelte sie museion21., ein Projekt zur wuchs, müssen wir auch jetzt angesichts der Pandemie agil re­ Vernetzung und Weiterbildung von agieren. Die Schulschließungen verschärfen die Bildungsbe­ Führungs­kräften im Museumsbereich. nachteiligung, so dass hier gezielte Angebote für Fachkräfte, Interview im Podcast aber auch finanzielle Unterstützung z. B. für technische Geräte „Was macht die Alfred Toepfer Stiftung F.V.S.?“ im Rahmen eines Notfallfonds aktuell helfen können“, berichtet Hören Sie dazu den Vorstands­- vor­sitzenden Ansgar Wimmer: Fritz Rummel, der für die Koordination in Rahlstedt zuständig www.kulturstiftung.de/partner/ ist. Entscheidend für den gemeinsamen Erfolg vor Ort, so der oder auf iTunes und Spotify

Projektleiter, sind insbesondere „ehrlich gemeinte Wertschät­ Agnes Meyer-Brandis, Preisträgerin des KAIROS- zung und Anerkennung, gelebte Partizipation“. Preises 2020, Projekt L.I.N.Q., Living Ice Notion Quest, El Calafate, Argentinien, 2009

72 Arsprototo 1 ⁄ 2020 73 Werkstatt des Meisters Arnt von Kalkar und Zwolle, Georgsaltar (Detail), 1483-1487, St. Nicolai, Kalkar Ausstellung ⁄ Rheinland-Pfalz

Ausstellungen

74 Werkstatt des Meisters Arnt von Kalkar und Zwolle, Kartäuseraltar mit der Beweinung Christi, Ausstellungen ⁄ Nordrhein-Westfalen um 1483, 97,5 × 45 × 21,5 cm (Flügel geschlossen); Musée de Cluny, Paris

Heiliges Holz

Beseelter schnitzen konnte um 1500 keiner am Niederrhein: Den Bildermagier Meister Arnt präsentiert jetzt das Kölner Museum Schnütgen von Johannes Fellmann

76 Arsprototo 1 ⁄ 2020 77 Ausstellungen ⁄ Nordrhein-Westfalen

Werkstatt des Meisters Arnt von Kalkar und Zwolle, Suggestiv, manipulativ, hemmungslos emotional sind seine Ge­ Himmelfahrtschristus, um 1476, Höhe 99 cm; Museum Kurhaus Kleve schichten. Blendend die eingesetzten Mittel, goldstrotzend die Szenerie. Erzählen ohne Worte seine Meisterschaft: Was Arnt, Werkstatt des Meisters Arnt von Kalkar und Zwolle, Engel mit den Arma Christi, um 1477, der Bilderschneider, da ins Eichenholz schnitzte, was die Maler Höhe 131,5 cm, St. Viktor, Xanten an Farben und Effekten seinen Werken beigaben, gehört zum Wirkungsvollsten, was die spätgotische Kunst am Niederrhein aufzubieten hatte. Kurz bevor Tilman Riemenschneider die Farbe aus den Skulpturen verbannte, kurz bevor der Bildersturm die Kirchen und Klöster heimsuchte, kurz bevor auch Katholiken die traditionelle Kirchenausstattung in ihrer Opulenz hinterfrag­ ten, wirken die Werke Meister Arnts wie eine expressive letzte Leistungsschau der spätmittelalterlichen Erzählkunst. In Köln ist der spätgotische Holzschnitzer nun mit seinen besten Werken vertreten: Das Museum Schnütgen hat für die erste monographische Ausstellung rund 60 Werke, die wichtigs­ ten Altäre und Figuren Arnts, aus Kirchen und Museen versam­ melt, darunter drei seiner Hauptwerke: den Georgsaltar aus der Kalkarer Kirche St. Nicolai, das Kartäuser-Altärchen aus dem Pariser Cluny-Museum, daneben das in der Kölner Sammlung aufbewahrte und jüngst ergänzte Dreikönigsrelief. Denkbar, dass die mittelalterliche Kerzenbeleuchtung einer Pfarrkirche oder die exklusive Umgebung einer Privatkapelle die ursprüngliche Wirkmacht der Schnitzwerke authentischer zei­ gen könnten. Aber auch schon von Weitem, aus dem digitalen Corona-Abstand, lässt sich erkennen, was Meister Arnts Kunst seinerzeit so begehrt machte. Vermutlich gleich zwei Werkstät­ ten parallel führte der Schnitzer zeitweise, in Kalkar und hun­ dert Kilometer nordwestlich im niederländischen Zwolle, mit etlichen, gut geschulten Mitarbeitern. Seine Werke, in Holz und Stein, als Großformat für Kirchenausstattungen oder für Her­ zog Johann I. und seinen Hof in Brüssel, aber auch für private Auftraggeber, sind heute vor allem im Gebiet des ehemaligen Herzogtums Kleve zu finden. Wenig weiß man sonst über Arnt Beeldesnider selbst, der 1460 erstmalig in Dokumenten erwähnt wird und 1491 in Zwolle stirbt. Seinem unverwechselbaren Stil ist zu verdanken, dass man überhaupt, seit den 1960er-Jahren, das Wirken über­- schaut und viele Werke zuschreiben kann. Denn das ein­ zige archivalisch gesicherte Werk ist Arnts Grabchristus. Die Kölner Ausstellung, von Schnütgen-Direktor Moritz ­Woelk, Volontär Volker Hille, Kuratorin Karen Straub und Arnt-­ Experte Guido de Werd in Szene gesetzt, zieht spannende Pa­ rallelen zwischen den Kunstgattungen, kann zeigen, wie sich graphische und bildnerische Werke beeinflussten. Auch wie Arnt in den Ateliers geschickt die serielle Produktion seiner realistischen Figuren mithilfe von Modellen plante, lässt sich im direkten Vergleich gut erkennen. Das sicherte die Quali­ tät der Ausführung, die Figuren konnten für wechselnde Se­ quenzen angepasst und variiert werden. Wobei Arnt seinen Protagonisten immer ihre je eigene Persönlichkeit verlieh, durch fein nuancierte Hauttöne und eine charakteristische Gestik und Mimik.

78 Werkstatt des Meisters Arnt von Kalkar und Zwolle, Georgsaltar, 1483–1487, Schrein: 362 x 241 x 45,5 cm, St. Nicolai, Kalkar Anbetung der Heiligen Drei Könige (mit der Ausstellungen ⁄ Nordrhein-Westfalen Ergänzung durch die neu erworbenen Fragmente), Werkstatt des Meisters Arnt von Kalkar und Zwolle, 1480–1490; Museum Schnütgen, Köln So wurde Arnt zum Virtuosen des Erzählens in Bildern, ein subtiler, alle technischen Raffinessen nutzender Künstler. Arnt lenkt den Blick, er spitzt dramatische Szenen zu, Figuren sind nicht statisch, sondern sind immer in Bewegung. Dramaturgisch überrascht Arnt neben seiner dynamischen Bildführung, indem er die gewohnte Lesart der biblischen Geschichten brach. Nicht die Kreuzigung in Golgatha, nicht die Grablegung rückte Arnt in den Mittelpunkt seines Passionsretabels, das sich heute im Pari­ ser Musée de Cluny befindet. Nein, bei diesem Hausaltar wählte er die Beweinung des toten Christus als Hauptmotiv. Beeinflusst durch die populären Bildschöpfungen Rogier van der Weydens, setzte er auf unmittelbare Anteilnahme, verstärkt nicht zuletzt durch plastisch gearbeitete Tränen der Begleiter Jesu. Die ein­ schlägigen biblischen Szenen der Leidensgeschichte sind mit­ samt ihrem dramatischen Potential Staffage für den intimen Moment der Trauer. Der mutmaßliche Auftraggeber, ein Kar­ täusermönch, ließ sich von Arnt sogar prominent in die zent­ rale Szene integrieren. Das kompakte, handliche Retabel ist für Guido de Werd „das schönste niederrheinländische Beispiel aus dem ‚Herbst des Mittelalters‘“. Auch im Georgsretabel ging Arnt moderne Wege: Nicht die

Martern dominieren, sondern der Kampf des goldstrahlenden Meister IAM von Zwolle, Drachenkampf des hl. Georg, Ritters steht zentral. Der Drachenbesieger Georg stirbt als ver­ um 1470–1480, 19,1 x 13,1 cm; Rijksmuseum, Amsterdam ehrter Held. Dass sich Arnt weder um die Chronologie scherte noch die Grundstruktur der tradierten Georgsvita bediente, ben: Denn er trägt noch die originale Fassung, eine Seltenheit, kann Karen Straub in ihrem Beitrag für den Katalog stringent wurden die Altäre doch je nach Zustand und Mode über die Jahr­ zeigen. Die Marter im siedenden Blei, das Pfählen, die Marter hunderte mit nicht immer der Wirkung zuträglichen neuen An­ mit Reißhaken und Feuer oder das Rädern bilden den Fond, strichen versehen. während das heroische Handeln Georgs eine neue Bewertung Eingestreute Glassplitter auf den Felsen und Wegen, po­ erhält. So steuerte Arnt den Rezeptionsprozess, kommentierte lierte Glanzvergoldungen, mit Silber unterlegte Details, Press­ und erneuerte die alten Geschichten. Und mischte sich gezielt brokatauflagen, helle Grüntöne, tiefblaues Azurit, feinste Farb­ ins persönliche Erlebnis der Andacht. Die unmittelbare Wirkung verläufe, aus Pergament gefertigte Applikationen, Blütenmuster, verstärkte Arnt noch mit einem Regiekniff: Es versetzte den Ort Edelsteinimitate aus zähflüssigem Harz, Reflexpunkte, vergol­ der Handlung in die reale Wirklichkeit der Kirchen­besucher, dete Bleikugeln, ein Zaumzeug aus mattvergoldetem Leder mit Georg kämpft vor den Toren Kalkars gegen den gefährlichen blau gefassten Papierhinterlegungen: Die Auftraggeber, u. a. die Drachen, die meisten Figuren sind zudem überwiegend in zeit­ Kalkarer Georgs-Bruderschaft, waren sicher hocherfreut über genössische Mode gewandet. Arnt arrangierte nicht ein Ne­ die gelungene Fassung des Georgsaltars. In der Folge bestellte beneinander der verschiedenen Episoden, sondern bettete die die Liebfrauen-Gesellschaft auch den Hochaltar für St. Nicolai Geschichte insgesamt in einen einzigen Landschaftsraum. Die noch bei Meister Arnt. Was sich schließlich als fast unüberwind­ starke Verzahnung erzeugt einen Sog, wobei durch eine subtile barer Nachteil erweisen sollte, denn als Arnt an Weihnachten perspektivische Gruppierung Haupt- und Nebenhandlung auf 1491 über der Herstellung plötzlich starb, dauerte es lange Jahre, engstem Raum ausbalanciert werden. Den Kunstgriff, den Ho­ um in Ludwig Jupan einen einigermaßen würdigen Nachfolger rizont weit an den oberen Bildrand zu setzen, um damit einen für die Fertigstellung des Altars zu finden. Andere Bildhauer, die tiefen und weiten Raum zu schaffen, hat Arnt den gemalten Pa­ Probefiguren fertigen durften, waren wohl nicht modern genug, noramen Hans Memlings entlehnt. um Meister Arnts Erbe anzutreten, vermutet Direktor Woelk. Wie genau die Zusammenarbeit des Schnitzers mit den so­ Johannes Fellmann ist Redakteur von Arsprototo. genannten Fassmalern war, die Farbe in die Figuren und Altäre Arnt der Bilderschneider – brachten, lässt sich heute nicht mehr im Detail nachvollziehen. Meister der beseelten Skulpturen Doch die Wissenschaftler erkennen an bestimmten Merkma­ 25.6. – 20.9.2020 len der Schnitzführung, dass es detaillierte Planungen gegeben Museum Schnütgen Leonhard-Tietz-Straße 10, 50676 Köln haben muss für die eindrucksvollen Farbfassungen. Besonders Telefon 0221 - 22131355 der frisch restaurierte Georgsaltar kann darüber Auskunft ge­ www.museum-schnuetgen.de

82 Ausstellung ⁄ Rheinland-Pfalz

Wen die Bücher von George Raymond Richard Martin oder die darauf basierende Fantasy-Serie Game of Thrones begeis­ tert haben, der kann sich demnächst im Landesmuseum Mainz für Teile des europäischen Mittelalters auf die Spuren des his­ torischen Game of Thrones begeben. Denn die große rheinland- pfälzische Landes­ausstellung mit dem Titel „Die Kaiser und die Säulen ihrer Macht. Von Karl dem Großen bis Friedrich Barba­ rossa“ wird sich mithilfe der Kulturstiftung der Länder und einer Reihe weiterer Förderer vom 9. September 2020 bis zum 18. Ap­ ril 2021 den Netzwerken und Fundamenten kaiserlicher Macht im frühen und hohen Mittelalter widmen. Dazu versammelt die Ausstellung hochkarätige Exponate und seltene Leihgaben, da­ runter kostbare Handschriften, Urkunden, Kreuze, Fibeln und Gewänder. Was die Ausstellung konkret erreichen will, erläutern Tho­ mas Metz, Generaldirektor der Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz, und Dr. Stefanie Hahn, rheinland-pfälzisches Ministerium für Wissenschaft, Weiterbildung und Kultur: „Die Landesausstellung wird einen Blick hinter die Kulissen kaiser­ licher Herrschaft werfen und ein differenziertes Bild von Kaiser­ Codex Egberti, um 980, tum vermitteln: Die vom Papst gesalbten Kaiser herrschten nicht 27 × 21 cm; Stadtbibliothek Trier unbestritten mit absoluter Macht über ihr Reich, sondern beweg­ ten sich in einem spannungsvollen und mitunter auch brüchigen­ Machtgefüge mit Bischöfen, Fürsten, Rittern und Städten. Un­ verzichtbare Grundlage für die Kaiser und Könige im Mittel­ alter war dabei stets die Herrschaft über den Raum am Rhein als politische, wirtschaftliche und kulturelle Zentrallandschaft Ada Evangeliar, Evangelist Matthäus, daneben der Anfang des Europas, geprägt durch die Herrscherhäuser der Karolinger, Matthäus-Evangeliums, 795/810, 36,6 × 24,5 cm; Stadtbibliothek Trier Ottonen, Salier und Staufer.“ Anders als jedoch im Falle des fiktiven Game of Thrones, des­ sen Autor für seine Erzählung frei aus allen Epochen, Regionen, historischen Stoffen und Mythen schöpfen konnte, um eine spannende Geschichte zu erzählen, benötigen die historischen Objekte natürlich eine starke Einbettung in den Kontext ihrer Zeit, damit sich ihre machtpolitische Bedeutung, ihre spirituelle Hinter den Aufladung und ihre kunsthistorische Signifikanz den Besuche­ rinnen und Besuchern der Ausstellung eröffnen können. Um dies zu gewährleisten, wird die Ausstellung nebst Ein­ führung und Epilog aus vier thematischen Sektionen bestehen. Kulissen Diese werden sich jeweils einzelnen Säulen der Macht widmen und zugleich in chronologischer Abfolge mit einem historischen Zeitabschnitt verknüpft sein. So liegt der Schwerpunkt der ers­ ten Sektion auf Karl dem Großen (gest. 814) und stellt den Raum Die Große Landesausstellung in Mainz zeigt am Rhein als Machtbasis dieses und aller folgenden Kaiser vor. Tatsächlich wurden unter diesem mächtigsten aller Karolinger mittelalterliche Exponate von Weltrang: viele der politischen, ideellen und kulturellen Grundlagen ge­ Worauf stützte sich die Macht schaffen, die den Raum am Rhein für viele Jahrhunderte zum geistlichen und weltlichen Gravitationszentrum werden ließen. der großen Kaiser von Karl dem Großen Hier konzentrierte sich bald, in Nachbarschaft zu alten römi­ schen Städten wie Köln und Trier, die neue Macht – mit Metz als Reichskreuz König Rudolfs von Rheinfelden bis zu Friedrich Barbarossa? (sog. Adelheidkreuz), Vorderseite: Ende 11. Jh., ursprünglichem Stammsitz der Karolinger, mit der Ingelheimer Rückseite: 1141–1170, 82,9 × 65,4 × 7,4–7,8 cm; von Natascha Königs Kaiserpfalz, mit Mainz als Erzbistum und natürlich mit Aachen. Benediktinerstift St. Paul im Lavanttal

84 Arsprototo 1 ⁄ 2020 85 Ausstellung ⁄ Rheinland-Pfalz

Ideell vollzog Karl unter dem Einfluss des irisch-angelsächsi­ Nichte des byzantinischen Kaisers, sie erwies sich jedoch nach schen Mönchtums – vor allem in Gestalt seines Beraters Alkuin dem Tod Otto II. als geschickte Regentin und Diplomatin für ih­ (gest. 804) – eine enge Anbindung an den Stuhl Petri und den ren minderjährigen Sohn Otto III. In ihrem Bestreben, die Herr­ Papst. Die Krönung Karls durch Papst Leo III. am 25. Dezember schaft zu sichern, stützte sie sich maßgeblich auf Willigis, den 800 in Rom vollendete diese Entwicklung und führte zur fol­ Erzbischof von Mainz und Erzkanzler, der auch Stifter des Do­ genreichen Wiederbelebung des weströmisch-antiken Kaiser­ mes zu Mainz ist. tums. Diese praktische wie ideelle Verbindung zwischen Antike Die dritte Sektion ist der Auseinandersetzung zwischen und Christentum spiegelt sich auch in einem herausragenden den salischen Kaisern Heinrich IV. (gest. 1106) und Heinrich V. Beispiel der karolingischen Buchmalerei. Denn das sogenannte (gest. 1125) vorbehalten und thematisiert das Erstarken einzelner Ada-Evangeliar aus der Hofschule Karls des Großen in Aachen Fürsten sowie den Aufstieg der Städte und ihrer Beamten. Es ist (Abb. S. 84) beeindruckt nicht nur durch großformatige Darstel­ auch die Zeit des sprichwörtlich gewordenen Gangs Heinrichs IV. lungen der Evangelisten, sondern führt mit der in Gold geschrie­ nach Canossa im Jahre 1077 während des berühmten Investitur­ benen karolingischen Minuskel auch die Weiterentwicklung ei­ streits mit Papst Gregor VII. (gest. 1085), dessen formale Beendi­ nes lateinischen Schrifttyps vor, der zwar nicht hier entstanden, gung erst das Wormser Konkordat von 1122 brachte. aber von hier verbreitet, über viele Jahrhunderte für die Schreib­ Die vierte Sektion stellt die Beziehung des Staufers Fried­ stuben des Mittelalters bestimmend bleiben sollte. Neben Gold rich I. Barbarossa (gest. 1190) zum Raum am Rhein und die kul­ war auch Purpur seit der Antike eine vorrangig kaiserliche Farbe, turelle Blüte des Rittertums vor. Mainz hatte auch für Friedrich Malereien wie im Codex Egberti (Abb. S. 85) aus ottonischer Zeit I. Barbarossa eine große Bedeutung. Denn 1184 hielt er zu Mainz sind allein deshalb besonders wertvoll. einen Hoftag ab, bei dem die Schwertleite seiner Söhne statt­ Während uns die äußere Pracht eines solchen Buches auch fand. Auch der Gelehrte Otto von Freising erwähnt die Reise nach über 1.200 Jahren nicht entgeht, fehlt dem aufgeklärten Friedrichs I. nach Mainz und sagt über die Stadt sinngemäß, hier Menschen unserer Zeit jedoch der Zugang zum religiösen Emp­ werde die größte Kraft des Reiches („maxima vis regni“) sicht­ finden der Zeitgenossen, die alles Erlebte von Gott und seinen bar. Als Inbegriff der mittelhochdeutschen Lyrik und der ritter­ Heiligen her deuteten, dem Alltagsgeschehen Hintersinn und lichen Minne stellt die Ausstellung nicht zuletzt den berühmten Symbolkraft beimaßen und ihre Heilserwartung auf das Jen­ Codex Manesse vor, der zwischen 1300 und 1340 entstanden ist. seits richteten. Deshalb kann ein derartiges Buch in seinem ma­ Beachtung finden Mainz, Worms und Speyer schließlich auch teriellen Wert für uns Heutige nur ein ungefähres Abbild seiner als geistige Zentren des aschkenasischen Judentums, dessen tal­ Bedeutung sein. Einen guten Eindruck von der Wirkmacht der mudische Gelehrsamkeit u. a. bis nach Weißrussland ausstrahlte. Religion vermitteln allerdings auch heute noch die drei großen Abschließend gibt die Ausstellung einen Ausblick auf die mit der romanischen Dome von Mainz, Worms und Speyer. Goldenen Bulle von 1356 veränderten Machtverhältnisse, als Dieser Geist durchströmt auch das Sakramentar Heinrichs die Kurfürsten per Gesetz aufgewertet wurden und erhebliche II., das als eines der Schlüsselwerke der zweiten Sektion der Macht von den Kaisern und Königen auf sie überging. Die Säu­ Ausstellung gelten darf. Diese hat die Macht der Kirche und Erz­ len der Macht waren endgültig selbst zu Zentren der Macht ge­ bischöfe zum Thema und räumt eben diesem letzten Ottonen worden. Heinrich II. (gest. 1024) einen besonderen Platz ein. Kaum etwas Seit April hat die Generaldirektion Kulturelles Erbe Rhein­ anderes als der religiöse Gehalt eines Textes rechtfertigte die land-Pfalz ihre Digitalaktivitäten vor dem Hintergrund der Herstellung eines solch aufwändigen und kostspieligen Werks. Corona-Lage erheblich ausgeweitet. Unter dem Motto „Wir War dies doch der Fall und erhielten etwa Urkunden eine derart machen Geschichte lebendig“ lädt sie zu einer digitalen Entde­ prachtvolle Ausgestaltung, so handelte es sich um Dokumente ckungsreise in die Sammlungen ein. „Auch in der aktuell schwie­ von Weltrang. rigen Situation wünschen sich die Menschen weiterhin eine Teil­ Dies gilt für die Heiratsurkunde von Otto II. und der byzanti­ habe am kulturellen Erbe“, sagte Kulturminister Konrad Wolf, nischen Prinzessin Theophanu aus dem Jahre 972. Die Urkunde und Thomas Metz kündigt an, dass bei #KulturErbeOnline da­ ist eine aus drei Pergamentstücken zusammengesetzte Rolle, bei auch für die Landesaustellung ein großes Angebot erarbeitet die knapp eineinhalb Meter lang und 40 cm breit ist. Das pur­ werden wird. purfarbene und indigoblaue Pergament ist mit goldener Tinte Dr. Natascha Königs ist Referentin des Vorstands beschrieben und mit Medaillons, goldenen Bordüren und tier­ der Kulturstiftung der Länder. figuralen Szenen unterlegt. Die Urkunde, für die kein echter Die Kaiser und die Säulen ihrer Macht Purpur verwendet wurde, kopiert typische Urkunden des by­ Von Karl dem Großen bis Friedrich Barbarossa Meister Heinrich Frauenlob, Codex Manesse, zantinischen Kaiserhofs und ist das Ergebnis einer langwieri­ 9.9.2020– 18.4.2021 um 1300, Nachträge bis etwa 1340, 35,5 × 25 cm; Universitätsbibliothek Heidelberg gen Heiratsdiplomatie, mit deren Hilfe sich der fränkische Kai­ Landesmuseum Mainz Große Bleiche 49–51, 55116 Mainz ser dem byzantinischen Kaiser gleichzustellen suchte. Zwar war www.landesmuseum-mainz.de Theophanu keine in Purpur geborene Kaisertochter, sondern nur www.kaiser2020.de

86 Neue Bücher Freunden Sie sich Japanische Kultur erben. Objekte – Holzschnitte Wege – Akteure mit uns an!

Der japanische Holzschnitt – eine Druckgrafik, Wer erbt das kulturelle Erbe in unserer globa­ die ihren Ursprung bereits im 8. Jahrhundert lisierten Welt? Aus vielfältigen Blickwinkeln findet und auch heute von großer Beliebtheit werfen Autorinnen und Autoren aus Kunst­ ist. Vor allem der sich im 18. Jahrhundert ent­ geschichte, Kulturanthropologie, Geschichts- Der Freundeskreis Die Kulturstiftung wickelnde Farbholzschnitt beeinflusste auch und Musikwissenschaft sowie Museum Stu­ europäische Künstler. 63 Holzschnitte aus der dies vielfältige Fragen zu diesem komplexen der Kulturstiftung der Länder Sammlung Ernst Grosse (1862–1927) präsen­ Thema auf: Wie und in welcher Form kann auf tiert der Band, ergänzt werden die prachtvol­ kulturelles Erbe zugegriffen werden, wie las­ der Länder len farbigen Darstellungen von umfangreichen sen sich Sharing heritage-Konzepte in die kul­ Essays über den Ethnologen und Kunstsamm­ turelle Bildung integrieren? In den Beiträgen ler Grosse sowie über die Entstehung und wird nach tragfähigen Lösungen gesucht, wie Kommen Sie den bedeutenden Kunstschätzen un- Die Kulturstiftung der Länder wurde 1987 von den Technik des japanischen Holzschnitts. sich die transkulturellen Gesellschaften diesen seres Landes in Museen und Sammlungen, Schlös- Ländern der Bundesrepublik Deutschland gegrün­ Herausforderungen stellen können. sern und Gärten näher: Seit 1999 begleitet ein det und nahm am 1. April 1988 in Berlin ihre Arbeit Hans Bjarne Thom- Freundeskreis die Kulturstiftung der Länder, um auf. Im Oktober 1991 traten die neuen Bundeslän­ sen (Hg.), Japani- Katharina Christa sche Holzschnitte Schüppel und die Ziele der ersten länder­übergreifenden Einrich- der bei. Als Stiftung Bürgerlichen Rechts verfolgt aus der Sammlung Barbara Welzel tung dieser Art nachhaltig zu unterstützen und ihr sie ausschließlich gemeinnützige Zwecke. Sie hat Karl Hagemeister. Ernst Grosse, (Hg.), Kultur Fundament in der Gesellschaft weiter zu stärken. die Berechtigung, steuerlich wirksame Spendenbe­ Michael Imhof erben. Objekte – „…das Licht, das ewig Verlag, Petersberg. Wege – Akteure, Mit ihrem Jahresbeitrag ab 500 Euro fördern die scheinigungen auszustellen. Spenden an die Kul­ Japanische holzschnitte 208 Seiten mit 101 Dietrich Reimer Mitglieder des Freundeskreises insbesondere in turstiftung der Länder sind steuerlich abzugsfähig. wechselt“ Japanese Woodblock prints farbigen Abbildun- Verlag, Berlin. Ost- und Mittel­deutschland die Restaurierung von Die Kulturstiftung der Länder unterstützt und be­ gen, zweisprachig 222 Seiten mit „Die Landschaft ist still, anmutig und lebt ei­ Kunst- und Kulturgütern und eröffnen dem Muse- rät deutsche Museen, Bibliotheken und Archive bei (deutsch/englisch), 50 Abbildungen gentlich nur durch die Stimmung, die ich im­ 29,95 Euro in Farbe und 20 umsnachwuchs mit jährlichen Reise­stipendien zur der Erwerbung, Vermittlung und Bewahrung von mer mehr in letzter Zeit liebte. Die Stimmung in Schwarzweiß, Kunstmesse TEFAF in Maastricht kostbare Einbli- national wertvollem Kulturgut. ist die Trägerin des seelischen Elements 39,90 Euro cke in den Kunstmarkt. Der Junge Freundeskreis der Landschaft…“, schreibt Karl Hagemeister Weitere Informationen zur Satzung und den (1848–1933) in seiner Autobiographie 1928. Der goldene Atlas fördert mit seinem Beitrag ab 100 Euro insbesonde- Initiativen finden Sie in diesem Heft nach Seite 90 Der in Werder an der Havel geborene Ma­ Brandbücher re Museumsvolontäre z.B. mit der alljährlichen Rei- Facettenreiche Geschichten und spannende und unter www.kulturstiftung.de ler war Gründungsmitglied der Berliner Seces­ se zur Kunstmesse Art Basel oder der Vergabe des Entdeckungsgeschichte aus mehr als zweitau­ Aschebücher sion und zählt als einer der frühen Impressio­ send Jahren verbindet Edward Brooke-Hit­ Volontär­spreises für die Umsetzung künstlerischer nisten zu den Wegbereitern der modernen Farbe, Kohle, Rußpartikel, auch Asche – fein ching zu einem lebendigen Panorama, indem Projekte an Museen. Auf gemeinsamen Reisen Landschaftsmalerei in Deutschland. Doch Zeit zermahlen oder in Stücken –, die der verhee­ er mit großen Entdeckern über die Kontinente seines Lebens blieb er seiner havelländischen rende Brand der Anna Amalia Bibliothek in wandeln die Mitglieder beider Freundeskreise auf Arsprototo hinweg in ferne Welten und Kulturen auf­ Heimat mit ihren Seen, Sumpf- und Wiesenge­ Weimar 2004 zurückließ, sind die Werkstoffe, den Spuren unseres kulturellen Erbes und erhalten bricht. Die überraschenden Erkenntnisse der bieten stark verbunden. „…das Licht, das ewig aus denen Hannes Möller seine Bilder formt. exklusiven Zugang zu privaten Sammlungen und zu Arsprototo, das Magazin der Kulturstiftung der Unwägbarkeiten damaliger Entdeckungsrei­ wechselt“, beschreibt seine selbst formulierte Auf Bütten entstehen in einer speziellen Mixed- sen, physische Torturen des unmotorisierten den sammelnden Einrichtungen, die sich der Be- Länder, erscheint zweimal im Jahr und berich­ künstlerische Auffassung und seine Faszina­ Media-Technik Bücherporträts, die das Zer­ Reisens sowie das Aufeinanderprallen von wahrung dieses Erbes verschreiben. tet über die Tätigkeit der Stiftung, ihrer Freundes­ tion für die Naturphänomene Licht, Wind und störte wie kleinste Erbanlagen bewahren, um Wunsch und Wirklichkeit heben den Wagemut kreise und über die Kunst und Kultur in den Wolken, die ihn immer wieder neu inspirierten sich den lädierten Vorbildern mit größter Au­ der Abenteurer anschaulich hervor. Im präch­ Wenn Sie mehr über die Aktivitäten unserer und seine Kunst bestimmten. Der in Koopera­ thentizität zu nähern. Die 40 Arbeiten der Zyk­ Ländern. Das Abonnement ist kostenlos.­ Wir tigen großformatigen Atlas illustrieren bisher Freundeskreise und ihre Fördertätigkeit tion von Potsdam Museum, Museum Georg len „Brandbücher“ und „Aschebücher“, die möchten Sie dennoch herzlich bitten, sich mit ei­ unveröffentlichte Land- und Seekarten die bis erfahren möchten, informieren Sie sich gerne unter Schäfer in Schweinfurt und Kunstmuseum Ah­ das Studienzentrum der Herzogin Anna Ama­ nem kleinen Beitrag an den Herstellungs- und Ver­ dato unbekannte Welt und werden von Gemäl­ www.kulturstiftung.de/freundeskreis renshoop entstandene Band gibt einen retro­ lia Bibliothek vereint ausstellte, zeigt der Band, den sowie Originalfotografien aus Privat­ oder sprechen Sie uns direkt an: triebskosten zu beteiligen. Bitte überweisen Sie spektiven Überblick über das malerische und der in seinen Beiträgen grundlegenden Fragen [email protected] oder sammlungen, von Händlern und aus Archiven unter dem Stichwort „Arsprototo“ auf eines unse­ grafische Schaffen Hagemeisters von 1870 bis nach kultureller Überlieferung nachgeht. 030-893635-17 reich ergänzt. 1916 und zeigt dabei bisher noch nie öffentlich rer Konten (beispielsweise 20 Euro). Vielen Dank! gezeigte Werke aus Privatsammlungen. Reinhard Laube Leider können wir Ihnen für diesen Beitrag keine

Edward MitBrooke-Hit der Ausstellung „Brandbücher | Aschebücher“ hat - der Künstler Hannes Möller eine neue Ausstellungs- fl äche im Studienzentrum der Herzogin Anna Amalia BRANDBÜCHER (Hg.), Brandbücher Spendenbescheinigung ausstellen. Bibliothek eröff net. Beiträge aus Sicht von Politik, ching, DerKunstgeschichte, goldene Kulturphilosophie, Restaurierungs- wissenschaft und Bibliothek zeigen, dass diese Bilder ASCHEBÜCHER grundsätzliche Fragen von Kultur und kultureller Aschebücher. Jutta Götzmann und Hendrikje Warmt (Hg.), Überlieferung aufwerfen. Die neue Publikationsreihe der Bibliothek eröff net diese Perspektiven. Perspektiven auf Hannes Möllers Atlas. Die abenteu- künstlerische Intervention in der Karl Hagemeister, „…das Licht, das ewig Herzogin Anna Amalia Bibliothek Perspektiven auf erlichen Reisen der So können Sie Arsprototo bestellen: wechselt“. Landschaftsmalerei des deut- Hannes Möllers großen Seefahrer, per E-Mail: [email protected] schen Impressionismus, Wienand Verlag, künstlerische Entdecker und im Internet: www.kulturstiftung.de Köln. 256 Seiten mit 165 Abbildungen in Intervention in der KONSTELLATIONEN 1 KONSTELLATIONEN Forscher, dtv ASCHEBÜCHER | BRANDBÜCHER · 1 KONSTELLATIONEN Farbe und 12 in Schwarzweiß, 34 Euro Herzogin Anna Verlagsgesellschaft, Amalia Bibliothek, München. 256 Klassik Stiftung Seiten mit durch­ Weimar, Weimar. gehend farbigen 94 Seiten mit 40 Abbildungen, Abbildungen in 88 30 Euro Farbe, 19,95 Euro Arsprototo 1 ⁄ 2020 89 Kunst und Kultur Katharina Grosse (*1961) mit ihren Schattenzeiten. Zwischen Kosmos expansiv-explosiven Farbinstallati­ Impressionismus Künstler zwischen und Pathos onen. Nicht nur die historische in Russland. von Carolin Hilker-Möll Halle, sondern auch Gelände hinter in den Ländern Anpassung Mit fast 1.000 Fotografien offen­ Aufbruch zur dem Museum und die ihren Abriss und Widerstand barte der Kunst- und Bildwissen­ erwartende Fassade der Rieckhal­ Avantgarde Jahren geborene Margarethe von schaftler Aby Warburg (1866–1929) len bilden Leinwand, Sockel und BADEN- Savoyen (1420–1479) widmet sich Wenn klar ist, dass Unschuldige das Nachleben der Antike in seinem Ausstellungsraum zugleich. Sehge­ Blüten und Pastelltöne, signiert von das Hauptstaatsarchiv Stuttgart. ermordet werden, darf man dann Bildatlas. Während das Haus der wohnheiten, Denk- wie Wahrneh­ Kasimir Malewitsch, Vater von 150 Briefe schildern das außerge­ noch in seiner „geheizten Wohnung Kulturen der Welt erstmals seit dem mungsformen stellt Grosse mit „Schwarzes Quadrat auf weißem WÜRTTEMBERG wöhnliche Leben der Mäzenin und am Tisch sitzen und Tee trinken? Todesjahr Warburgs dessen Mag­ Grund“ (1915) und Begründer ihrem raumgreifenden Gestus zur Stifterin, zeichnen ihr dynastisches Mache ich mich“, fragte sich num Opus mit dem originalen Disposition. radikal abstrakter Kunst? Wie und kulturelles Netzwerk nach. Helmuth James Graf von Moltke Bildmaterial zeigt, präsentiert die Natalja Gontscharowa, Michail Hamburger Bahnhof, Berlin Bevor sie in die Schweiz und nach 1941, „dadurch nicht mitschuldig?“ Gemäldegalerie 50 Kunstwerke aus Larionow und andere begann der www.smb.museum Italien weiterzieht, präsentiert die Dieser brandaktuellen Frage geht dem Themenbereich „Kosmos und russische Künstler seine Karriere 14.6.2020–10.1.2021 von der Kulturstiftung der Länder „Schattenzeiten“ nach: Wie verhal­ Pathos“. Entstanden in der Vor- mit impressionistischer Malerei.

geförderte Ausstellung die höfische ten sich Kunstschaffende in Zeiten und Frühgeschichte bis zur Neuzeit 1904 sah er Claude Monets „Kathe­ Kultur des Spätmittelalters. von Zensur und Unterdrückung? führen die Objekte – darunter drale von Rouen“ in Moskau: „Von Hauptstaatsarchiv Stuttgart Auf Anpassung und Widerstand Gemälde Botticellis und Rem­ BRANDENBURG diesem Moment an wurde ich www.landesarchiv-bw.de untersucht die Ausstellungen Wer- brandts – aus zehn Sammlungen der Impressionist.“ Wie international 10.9. – 4.12.2020 ke des gesamten 20. Jahrhunderts. Berliner Museen die bildmächtige diese Bildsprache um 1900 war, Argumentation des Hamburgers verdeutlicht die Ausstellung. Für Schloßmuseum Murnau, vor Augen. Malewitsch und seine Zeitgenossen Murnau am Staffelsee stellte sie die erste Etappe einer Anselm Kiefer www.schlossmuseum-murnau.de Gemäldegalerie, Berlin avantgardistischen Kunstentwick­ bis 6.9.2020 www.smb.museum Camille Pissarro, Der Gärtner, 1899 So groß und so herausfordernd wie Wassily Kandinsky, Kallmünz – Gabriele Münter beim Malen I, Sommer 1903 8.8. –1.11.2020 lung dar. Ausgehend vom Studium ihre Themen ist die Kunst Anselm Unter freiem Himmel. des Lichtes trieben sie das Projekt Mit allen Sinnen! Kiefers (*1945). Deutsche Ge­ der europäischen Moderne maß­ schichte, Judentum und Erinne­ Unterwegs mit Wassily Kandinsky BERLIN Katharina Grosse geblich mit voran. Französische rungskultur verhandelt der Künstler Museum Barberini, Potsdam in seinen raumgreifenden Werken, und Gabriele Münter Die Künstlerin verwandelt den Malerei www.museum-barberini.com oft arbeitet er sie in Blei und Asche Im blauen Kleid steht sie am Naabufer, ein weißer Sonnenschirm spen­ Hamburger Bahnhof zu einer ihrer 7.11.2020 – 14.2.2021 Mit Freude nahm Mary Cassatt die heraus. Den drei Werkphasen det Gabriele Münter (1877–1962) Schatten, während sie die Ansicht von Bildwelten. Innen- und Außenraum Ilja Repin, Auf dem Feldweg. Vera Einladung von Edgar Degas an, sich Kiefers widmet sich die Schau, die Repina mit ihren Kindern, 1879 Kallmünz festhält. So stellt Wassily Kandinsky (1866–1944) seine Part­ des Museums für Gegenwart er- dem Kreis um ihn anzuschließen: Arbeiten aus der Sammlung des nerin 1903 dar. Im Jahr zuvor verbrachten sie den Sommer zusammen in obert die in Freiburg i. Br. geborene „Endlich konnte ich mit absoluter 2019 verstorbenen Hans Grothe Kochel, Münter als Studentin in Kandinskys Malereiklasse. Das gemein­ Unabhängigkeit arbeiten.“ Jenseits zeigt. Neben der Sonderausstellung same Arbeiten auf Reisen verband die beiden bis 1908, als sie sich dauer­ von Akademie und Konvention, der großformatigen, mehrdimensio­ haft in München niederließen. Auf die künstlerische Auseinanderset­ Ich, Du, Wir. unter freiem Himmel ließ die nalen Bilder und Skulpturen instal­- zung dieser sechs Jahre blickt die Ausstellung im Lenbachhaus. Klein­ Weltempfänger „Satellit 1400 Gruppe um Claude Monet, Camille liert das Museum die Arbeit „Der Das Bildnis in der DDR formatige Gemälde, Fotografien aus Münters Kodak, Zeichnungen und professional“, Grundig AG, 1980 Pissarro und Auguste Renoir seit Verlorene Buchstabe“ dauerhaft. Skizzen zeigen die Arbeit in Kallmünz wie in Karthago. Dem sozialistischen „Wir“, vom Staat gefor­ den 1860er-Jahren in hohem Kunsthalle Mannheim ON AIR. dert, setzten die Künstlerinnen und Künst­ Tempo auf ihren Leinwänden eine Lenbachhaus, München www.kuma.art ler der DDR immer wieder ihr „Ich“ in Port­ neue Malerei entstehen. Die www.lenbachhaus.de 100 Jahre Radio 13.11.2020 – 6.6.2021 räts entgegen und luden ihr Publikum ein Geschichte dieser Entwicklung 13.10.2020 – 6.6.2021 zur Begegnung mit dem „Du“ im Bild. Die­ zeigt die Stuttgarter Staatsgalerie Endbahnhof Königs Wusterhausen? Im Gegenteil – dort, wo heute die sem Spannungsverhältnis geht die Sonder­ mit rund 60 Werken, darunter 33 französischen Besatzung, erschie­ Berliner S46 endet, nahm das erste ausstellung nach mit rund 90 Werken der wenig ausgestellte Arbeiten privater Francisco nen sind sie erst postum. Die 33 BAYERN elektronische Massenmedium der Malerei wie Bildhauerei. Einzel-, aber auch Sammlungen. Die Schau folgt der Radierungen der Stierkämpfe de Goya. Welt seinen Anfang in Deutschland. Gruppenporträts ermöglichen durch die Methode des Impressionismus: im veröffentlichte Goya noch zu Techniker der Reichspost bescher­ Präsentation in lockerer Chronologie die scheinbar Wohlbekannten Neues Radierungen Lebzeiten. Kritik an Krieg und ten der Republik vor hundert Jahren Entwicklung einer eigenen Sicht der Besu­ finden. Klerus wich dem Spektakel; nicht Zwei Tage auf dem Markt reichten ein ganz besonderes Weihnachts­ cherinnen und Besucher auf die sich teils mehr gesellschaftliche Missstände Staatsgalerie Stuttgart aus, um Francisco de Goya (1746– geschenk: die erste Rundfunkaus­ widersprechenden künstlerischen Positio­ wie Armut und Machtmissbrauch www.staatsgalerie.de 1828) mit „Los Caprichos“ europa­ sendung am 22. Dezember 1920. nen. Bildnisse aus den Händen Angelika 16.10.2020 – 7.3.2021 radierte der Spanier, sondern weit bekannt zu machen. 1799 aus Dieses Jubiläum feiert das Museum und Werner Tübkes, Neo Rauchs und vieler beliebtes Volksvergnügen. Der Furcht vor der Inquisition nicht für Kommunikation Berlin, geför­ mehr geben nicht nur individuelle Gesichts­ kommerzielle Erfolg, den er sich weiter verkauft, begründete das dert von der Kulturstiftung der züge wieder, sondern entführen in fiktive Die Tochter des davon erhoffte, blieb jedoch aus. gesellschaftskritische Werk den Länder. Schon vorab lassen sich mit Szenarien und gleichnishafte Bildwelten.

Papstes. Marga- Ruhm des spanischen Hofkünstlers. Museum Lothar Fischer, #100Jahre100Postings Fun Facts Die stilistische Bandbreite der Exponate be­

Auch die zwei folgenden Zyklen Neumarkt i.d.OPf. eindruckt: Neben Sozialistischem Realis­ und Behind-the-Scenes rund um rethe von Savoyen www.museum-lothar-fischer.de mus finden sich Expressionismus, Impres­ „Desastres de la guerra“ und „La Ausstellung und Medium finden. Tauromaquia“ stellt das Museum 25.10.2020 – 24.1.2021 sionismus wie Kubismus. Königin von Sizilien, Kurfürstin der Museum für Kommunikation Berlin Lothar Fischer aus. 82 Radierungen Pfalz, Gräfin von Württemberg und Francisco de Goya, Der Traum www.mfk-berlin.de Brandenburgisches Landesmuseum des „Schrecken des Krieges“ Tochter des Papstes: Der vor 600 der Vernunft gebiert Ungeheuer, 25.9.2020 – 29.8.2021 für moderne Kunst, Frankfurt (Oder) um 1799 entstanden in den Jahren der www.blmk.de 90 Curt Querner, Selbstbildnis, 1949 11.9.–15.11.2020 91 Globalisierung stehen hier auf dem zen das Bild dieses für die Evoluti­ Programm. Insbesondere Kunst­ Max Beckmann. Copy & Paste. onstheorie so wichtigen Säugetiers. BREMEN werken aus den Jahren nach 1945 HESSEN weiblich-männlich Wiederholung im Hessisches Landesmuseum wird nun mehr Platz gegeben. Darmstadt Zarte Männerfiguren, schlagkräf­ japanischen Bild Kunsthalle Bremen www.hlmd.de tige Heldinnen, auch sie lassen sich www.kunsthalle-bremen.de Wer kopiert, kreiert keine Kunst? 18.8.2020 – 25.4.2021 in den Gemälden, Plastiken und Dauerausstellung Ganz im Gegenteil, Nachahmung Zeichnungen Max Beckmanns ist Hommage und Einordnung in (1884–1950) finden, denn der Bildtraditionen zugleich in der Künstler schrieb Geschlechterrollen MECKLENBURG- japanischen Kultur. Die Motive nicht nur fest, er öffnete sie auch. HAMBURG berühmter Farbholzschnitte und Sich selbst jedoch stellte er stets als Malereien aus dem Inselstaat VORPOMMERN

Verkörperung männlich konnotier­ Lovis Corinth, Ziege, 1905. finden seit dem 17. Jahrhundert ter Ideale dar. Erstmals untersucht Skizze zu dem Gemälde Kindheit immer wieder neue Formen, bis in eine Ausstellung die klar ausformu­ des Zeus, 1905–1906 die Gegenwart hinein. Anhand von lierten und zugleich widersprüchli­ 100 Objekten zeichnet die Ausstel­

chen Weiblichkeits- wie Männlich­ lung Entstehung, Adaption und Am Anfang war keits-Bilder im Beckmann’schen Gustave Courbet, Die Steilküste bei Étretat, 1869 Verbreitung von Bildern nach. Edgar Degas, Kleine Œuvre. Dabei treten Formen vierzehnjährige Tänzerin, 1881 die Zeichnung. Japanische Holzschnittmeister sind zwischenmenschlicher Begegnung Sight Seeing. Die Welt als Attraktion ebenso vertreten wie Hamburger Formen und – vom Werben zum Widerstreit – Kunstschaffende. En Passant. Funktionen seit hervor. Darstellungen antiker Weltwunder und Touri-Schnappschüsse auf Ins­ Museum für Kunst und Gewerbe Impressionismus tagram: Sie weckten und wecken den Wunsch, berühmte Sehenswür­ Hamburger Kunsthalle der Renaissance Hamburg digkeiten zu besuchen – und zugleich erschaffen sie diese. Zu einer Zeit, www.hamburger-kunsthalle.de Max Beckmann, www.mkg-hamburg.de in Skulptur wo Reisen eher in die Ferne gerückt sind, geht die Kunsthalle Emden der Odysseus und Kalypso, 1943 25.9.2020 – 24.1.2021 Eine erste Ideenskizze, ein grober bis 30.8.2020 Alf Löhr, The Expense Wechselwirkung zwischen den Sehenswürdigkeiten selbst und ihren Dass sich Licht, Farbe, Bewegung, ja of Spirit, 2018 Kompositionsentwurf, Bearbeitun­ Bildern auf den Grund. Wie wurden der Eiffelturm, der Grand Canyon sogar Flüchtigkeit in Bronze gießen gen von Details anhand von kleinen oder Schloss Neuschwanstein zu weltweit bekannten sights, die es zu lassen, zeigen die präsentierten Studien, schließlich die reinge­ sehen gilt? Wie konnten die zirkulierenden Bilder ihre Popularität gene­ impressionistischen Skulpturen. Der Sturm. zeichnete Vorlage: Die Zeichnung rieren? Gibt es dafür politische oder symbolische Gründe? Mit 150 Ex­ Ihre unterschiedlichen Spielarten Neue Malerei begleitet künstlerische Idee von ponaten sucht das Museum nach Antworten und lädt ein zum sehn­ sind vertreten durch Edgar Degas, ihrer ersten Sichtbarwerdung bis suchtsvollen Blick auf Venedig oder die Akropolis. August Rodin, Medardo Rosso, von Alf Löhr zur finalen Konzeption. Diese Paolo Troubetzkoy und Rembrandt Kunsthalle Emden vielfältigen Formen und Funktio­ Die drei jüngsten Serien des Malers Bugatti. Die weitaus bekannteren www.kunsthalle-emden.de nen veranschaulichen 50 Originale Alf Löhr (*1957) „Sturm“, „Frag­ impressionistischen Medien der bis 6.9.2020 des Bremer Kupferstichkabinetts mente“ und „Blaue Bilder“ zeugen Malerei, Pastelle und Zeichnungen aus fünf Jahrhunderten. Annibale von einer tiefen Auseinanderset­ stehen den Plastiken als Dialogpart­ Carracci, Lovis Corinth, Albrecht zung mit der Natur. Nicht nur die des Bildhauers Klaus Hack (*1966) nerinnen zur Seite. So lassen sich Barbara Kasten. Dürer, Paula Modersohn-Becker immer stärker und öfter wehenden und des Malers Manfred Zoller Möglichkeiten wie Herausforderun­ und viele andere bedienten sich des zerstörerischen Winde finden (*1947) gemeinsam. Trotz ihrer Works gen des bildhauerischen Mediums Mediums für ihre Werkprozesse. Eingang in die Bilder, sie bannen jeweils eigenen Handschrift werden in der Auseinandersetzung mit dem Einen Vorgeschmack auf die zugleich Wirbelstürme der Gefühle so stilistische Gemeinsamkeiten der Ein schlanker Titel für Jahrzehnte Stil erkennen. Sonderausstellung gibt die Kusto­ in dramatische Farben. Es folgt, das befreundeten Künstler deutlich, tritt künstlerischen Schaffens und din Christine Demele in der Städel Museum, Frankfurt a. M. zeigen die bunten „Fragmente“, die in beiden Werken zu findende Experimentierens: Die in den USA „Kunstpause Online“ auf YouTube. www.staedelmuseum.de die Klärung auf den Sturm. Weite, tektonische Sinnlichkeit hervor. als artist’s artist gefeierte Barbara bis 25.10.2020 ruhige Seeansichten stehen dann Kasten (*1936) blickt auf ein halbes Kunstsammlung Neubrandenburg Kunsthalle Bremen im Zentrum der „Blauen Bilder“. Jahrzehnt fotografischer, skulptu­ www.kunstsammlung-neu- www.kunsthalle-bremen.de raler und Videoarbeiten zurück. Staatliches Museum Schwerin brandenburg.de bis 6.9.2020 Urpferd 2.0 Erstmals in Europa widmet sich ein www.museum-schwerin.de 18.6.–30.8.2020 Museum nun diesem farbintensiven 14.8.–8.11.2020 Remix 2020. Das Hessische Landesmuseum und faszinierenden Œuvre. Von Darmstadt verfügt über eine frühen Fotogrammen und feminis­ Die Sammlung Stallung der besonderen Art: Rund Skulptur, Malerei tischen Fotos bis hin zu mit Skulp­ 70 Urpferdchen zählt sie, 2015 und NIEDERSACHSEN neu sehen tur und Analogbild spielenden 2016 gesellten sich die letzten und Assemblage. Videos fächert die Wolfsburger beiden hinzu. Sie alle wurden aus Internationale Kunstgeschichte von Klaus Hack und Ausstellung alle Werkphasen

August Macke, Afrikanische Landschaft, 1914 Landschaft, Afrikanische Macke, August der Grube Messel geborgen, die vor Bremen aus erzählt: Das leistet die Kastens auf. Realität und Illusion 25 Jahren als erstes deutsches Manfred Zoller neue Dauerausstellung, die Wenig­ Obschon der jung im Ersten Weltkrieg Gefallene maß­ lassen sich dabei immer schwerer Naturdenkmal auf die UNESCO- gesehenes aus dem Depotschlum­ August Macke. geblich am europäischen Projekt der Moderne betei­ auseinanderhalten. Vor Ort soll Liste des Welterbes aufgenommen Weiß gefasste, aus Fichtenstämmen mer erweckt und neben altbekann­ Paradies! Paradies? ligt war, steht sein Werk für einen harmonischen Wan­ auch eine neue Arbeit entstehen. wurde. Nach 48 Millionen Jahren im geschnitzte Holzskulpturen und ten Werken chronologisch präsen­ del: Den klassischen Gattungen Landschaft, Stillleben Ölschiefer ziehen die Skelette, -reliefs begegnen bunten, aus Kunstmuseum Wolfsburg tiert. Arbeiten vom Mittelalter bis In zehn Jahren lässt sich einiges schaffen, wie die Ret­ und Porträt blieb er verschrieben, während er in Ge­ darunter 30 vollständige, nun in die abstrakten Formen zusammenge­ www.kunstmuseum-wolfsburg.de zur Gegenwart gruppieren sich rospektive zu August Macke (1887–1914) zeigt. Von sei­ mälden, Zeichnungen, Grafiken und Aquarellen neue bis 8.11.2020 Museumsvitrinen ein. Digitale wie setzten Ölgemälden, Collagen und Barbara Kasten, Sideways/Corner, zudem in Themenräumen: Kolonia­ nem Berliner Lehrer Lovis Corinth in den Impressio­ Formen suchte. analoge Rekonstruktionen ergän­ Assemblagen. Zum zweiten Mal 2016, Video (digital) lismus und Welthandel, Natur und nismus eingewiesen, entdeckte der Maler in Paris Fau­ Museum Wiesbaden zeigt eine Ausstellung die Werke vismus und Futurismus für sich, in München den www.museum-wiesbaden.de Expressionismus der Künstlergruppe Blauer Reiter. 92 30.10.2020–14.2.2021 Arsprototo 1 ⁄ 2020 93 Caspar David Friedrich und die Düsseldorfer Malerschule Barlach (1844–1922) Kunst als „eine illustrieren, sondern in ihrer (*1974). Reduziert und spaßig Sache allertiefster Menschlichkeit“ Ordnung zu ergünden, konnte er sie zugleich, laden seine Positionen Von Delacroix NORDRHEIN- Eine Trendwende steht im Zentrum des gemeinsamen Projekts des SAARLAND (1918). Sein Frühwerk, vom Jugend­ weiterentwickeln. Anlässlich seines Besucherinnen und Besucher ein, bis Warhol Düsseldorfer Kunstpalastes und des Leipziger Museums der bilden­ stil geprägt, steht im Zentrum. Auch 90. Geburtstages zeigt die Ausstel­ sich zu bewegen, Teil der Arbeit zu Blätter aus den Ateliers von Jac­ WESTFALEN den Künste. In den 1830er-Jahren war Caspar David Friedrich die Dresdner Studienzeit, seine spä­ lung „Das Leben beschreiben“ sein werden. Anlässlich des deutsch-dä­ ques-Louis David, Eugène Delac­ (1774 – 1840) kaum noch angesagt, in war nun der neue Realismus. tere Verfemung durch den NS-Staat Werk. nischen kulturellen Freundschafts­ roix, Jean-Auguste-Dominique Die von der Kulturstiftung der Länder geförderte Ausstellung bringt und die posthume Anerkennung in jahres 2020 präsentiert das Kieler Kunstmuseum Kloster Unser Ingres oder Théodore Rousseau Friedrich und weitere Dresdner Romantiker mit Hauptvertretern der DDR wie Bundesrepublik beleuch­ Haus den Wahl-Berliner in seiner Lieben Frauen Madgeburg bilden den Schwerpunkt der 40 Düsseldorfer Malerschule zusammen. Gegensätze und Kritik, die sei­ ten die Kuratoren. kunstmuseum-magdeburg.de Sammlung. Werke, die mit Hilfe des Sammlers nerzeit in Briefen verewigt wurden, bebildern nun 120 Gemälde. bis 30.8.2020 Albertinum, Dresden Kunsthalle zu Kiel und Mäzens Wilhelm Winterstein

Museum Kunstpalast, Düsseldorf albertinum.skd.museum www.kunsthalle-kiel.de die Graphische Sammlung der www.kunstpalast.de Fabrice Monteiro, Untitled 1, 8.8.2020 – 10.1.2021 3.10.2020 – 24.1.2021 Klassikstiftung ergänzen. Auch 2013. Aus der Serie „The Prophecy“ 15.10.2020 – 7.2.2021 deutsche Zeichner sind vertreten, SCHLESWIG- wie Johann Heinrich Wilhelm Afrika im Blick Gerd Richter Tischbein oder Carl Gustav Carus. 1961/62 HOLSTEIN THÜRINGEN Mit Andy Warhols Goethe-Köpfen der Fotografen Andy Warhol, Flowers, 1964, fand eine aktuellere Arbeit Eingang Ende 1962 registrierte er das nach Private Collection Dort der Eiffelturm, hier der Big in die Bestände. Die Neuzugänge einer Fotovorlage gemalte Bild Ben oder das Empire State Buil­ treten nun in Dialog mit 30 weite­ „Tisch“ mit der Nummer 1. Doch ding, da das Brandenburger Tor: ren Werken, die schon länger nach Andy Warhol Now Auf Fotos erkennen wir Städte wie dass dies durchaus nicht sein erstes Weimar gehören. Ein klares Samm­

Werk war, betont die Kabinett-Aus­ lungsprofil zeichnet sich ab. Ob im Manhattan der 1960er-Jahre Paris, London, New York und Berlin stellung. In den achtzehn Monaten oder heute in Köln: Der Sohn sofort wieder. Die Ausstellung Schiller-Museum, Weimar zwischen seiner Flucht aus der DDR Achille Bénouville, Blick auf den russischer Immigraten und Pionier richtet unseren Blick nun auf www.klassik-stiftung.de und dem Beginn seines Werkver­ Konstantinsbogen in Rom, um 1845 queerer Gegenkultur verkörpert afrikanische Metropolen wie das Aktualität. Nach einem Sommer in nigerianische Lagos oder das zeichnisses in Düsseldorf entwi­ der Londoner Tate Modern ziehen kongolesische Kinshasa – brum­ ckelte Gerhard Richter (*1932) – da­ 100 Werke Andy Warhols mende Millionenstädte. Fotografen mals Gerd genannt – seine eigene

(1928 – 1987) im Herbst in das des Kontinents und seiner Diaspora Bildsprache an der Kunstakademie.

Museum Ludwig ein. Die erweiterte laden ein in urbane Welten, Alltags­ Briefe, Fotos und auch fünf Ge­ mälde legen diese oft nicht thema­ Edvard Munch, Sommertag auf künstlerische Praxis des Pop Artists Caspar David Friedrich, Lebensstufen, um 1834 räume und Industriestätten. dem Anleger, 1888 begegnet in der Sonderausstellung Aufgezeigt werden Spuren der tisierte Zeit offen. drängenden gesellschaftlichen Geschichte und Momente, in denen Albertinum, Dresden Fragen. Politische und kulturelle jedes Jahres. Pop Art und Pop-Mu­ sich die Natur der Stadt widersetzt. Seestücke sik – ein neues Lebensgefühl in Bild albertinum.skd.museum Umbrüche wirkten auf den Sieb­ Auch Pop-Kultur belebt die Fotos. 29.8. – 29.11.2020 RHEINLAND-PFALZ und Ton steht im Zentrum dieser Auch wenn es seine Erscheinung druckvirtuosen ein, zugleich finden Weltkulturerbe Völklinger Hütte, stetig wandelt, so ist es doch immer biografische Auseinandersetzungen Ausstellung. Völklingen präsent, das Meer in der Malerei, Eingang in seine Arbeiten. Wilhelm-Hack-Museum, www.voelklinger-huette.de „von der Romantik bis zur klassi­ Ludwigshafen bis 1.11.2020 Museum Ludwig, Köln SACHSEN-ANHALT schen Moderne“. Die gezeigten www.wilhelmhack.museum www.museum-ludwig.de 6.6. – 13.9.2020 Seestücke führen ein nicht ab­ 10.10.2020 – 21.2.2021 ebbendes Interesse an Nord- und Ostsee vor Augen. Vom erschre­ SACHSEN Vom Rhein ckenden Realismus über malerische Passion Strände bis hin zu symbolischer nach Italien Leidenschaft Erhöhung: Jeder der 28 Maler

interpretierte das Sujet gemäß dem Alle Wege führten nach Rom für die Emotion als Triebfeder: Je verzeh­ künstlerischen Nachwuchstalente vorherrschenden, aber auch render sie ist, desto mehr kann sie Dieter Asmus, Taucherin, 1972 des 19. Jahrhunderts. Wer sich auf persönlichen Stil. In einer zeitgleich bewegen. Starke Gefühle stehen die „Grand Tour“ begab, die Wieland Förster, Umarmung II, 1973 laufenden Schau lässt sich auch ein am Beginn gesellschaftlicher und Good Vibrations: europäische Bildungsreise der Blick auf Seestücke der Gegenwart politischer Veränderungen, sie Neuzeit, verbrachte oft mehrere Wieland Förster werfen. initiieren Erfindungen und Ent­ Sommer in der Jahre in Italien. Menschen, Land­ wicklung. Doch nicht nur in ge­ , Schreibender Pro- Museum Kunst der Westküste, Pop-Art schaft und vor allem Kunst und In Dresden, seiner Geburtsstadt, Alkersum / Föhr lebten, auch in Bildwelten steht phet (Johannes auf Patmos), 1919 2017–2018 Manichino, Stelzmann, Volker Kulturdenkmäler ließen sich hier und Berlin, der späteren Wahlhei­ www.mkdw.de Leidenschaft oft im Mittelpunkt. In den Fifties beginnt die Story: im Original und unter der warmen mat, gestalten sie den öffentlichen bis 10.1.2021 Die Kunstgeschichte großer Eine neue Kunstform poppt in Volker Stelzmann Sonne studieren. Doch wie genau Ernst Barlach zum Raum, die Plastiken Wieland Gefühle, von Leonardo Da Vinci London auf, findet ihren Weg über sahen Reise und Aufenthalt auf? Försters (*1930). Wie kaum einem Tagsüber Feinmechaniker, abends Kunststudent: Anfang der 1960er- bis zu Martha Rosler, erzählt die den Atlantik und mit Andy Warhol 150. Geburtstag Welche Gefahren begegneten den Kollegen gelang es dem Bildhauer, Jahre besuchte Volker Stelzmann (*1940) die Abendmalschule der Hoch­ Sonderausstellung. Hass und und Roy Lichtenstein zum Ruhm. Right Here. jungen Leuten unterwegs? Diesen Im Jubiläumsjahr des expressionis­ seiner Kunst in der zweiten Hälfte schule für Grafik und Buchkunst Leipzig. Knapp zwanzig Jahre später Eifersucht, Begehren und Liebe Im Jahrzehnt darauf entwickeln die Fragen geht die Koblenzer Ausstel­ tischen Bildhauers, Zeichners, des 20. Jahrhunderts noch etwas Right Now. unterrichtete er dort selbst, ab 1983 als Professor. Anlässlich des 80. Ge­ beherrschen diese Werke. Beatles dazu den Soundtrack und lung nach. Grafikers und Autors präsentiert Neues hinzufügen. Gerade weil er burtstags des bekannten Vertreters der Leipziger Schule stellt die Aus­ LWL – Museum für Kunst und die Beach Boys verbreiten ihn mit das Albertinum in Zusammenarbeit das Bestreben moderner Bildhaue­ Zum Spiel braucht es nicht viel, das stellung sein Schaffen in seiner gesamten Breite aus. Mittelrhein Museum Koblenz Kultur, Münster ihren „Good Vibrations“ an den mit dem Ernst Barlach Haus 150 rei anerkannte, die Welt nicht zu weiß auch der in Kopenhagen Angermuseum, Erfurt www.lwl.org Stränden Kaliforniens. Der Som­ www.mittelrhein-museum.de geborene Künstler Jeppe Hein Arbeiten. In Zeichnungen und www.kunstmuseen.erfurt.de 9.10.2020 – 14.2.2021 merurlaub avanciert zum Highlight 17.7.2020 – 17.1.2021 Holzskulpturen verewigte Ernst 30.8. – 15.11.2020 95 1857, Edo, heute Tokio. Der Künstler Utagawa Hiroshige (1797–1858) wählt in seinem Druck Abendschauer über der Großen Brücke in Atake einen Blick aus der Vogelperspektive auf die Shin-Ōhashi-Brücke im Bezirk Atake, die den Fluss Sumida überquert. Dunkle Blau- und Grautöne bestimmen den Hintergrund, wodurch sich die helle Straße deutlich als Hauptmotiv abhebt. Auf ihr kämpfen sich Personen durch den heftigen Regen, sich unter Schirme, Hüte oder Decken duckend. Dabei ist der gesamte Druck durchzogen von dunklen und hellen, diagonal verlaufenden Linien, die das Niederprasseln des Regens eindrucksvoll wiedergeben. Diese Regendarstellung galt als charakteristisch für den Künstler und wurde als Hiroshige-Regen bekannt. Zahlreiche westliche Künstler haben diese Darstellungsform adaptiert, darunter auch Vincent van Gogh. Der Druck ist Teil der jetzt restaurierten Sammlung von Ernst Grosse im Freiburger Museum Natur und Mensch.

Restaurierungen

96 Restaurierung ⁄ Baden-Württemberg Das Ferne so nah

Im Freiburger Museum Natur und Mensch wurden japanische Holzschnitte aus der Sammlung Ernst Grosse restauriert von Ryan Schingerlin

Es war die bis dato folgenreichste Medienrevolution, vergleich­ bar nur mit der Entwicklung der Telekommunikation oder der digitalen Kommunikation unserer Zeit: drucken. Als im 8. Jahr­ hundert der Buddhismus Staatsreligion in Japan wurde, über­ nahm man mit den Erzählungen auch die Technik und Tradition des Holzschnitts aus China. Zwar ist der Holzschnitt ein sehr aufwändiges Druckver­ fahren, an dem unterschiedlichste Berufsgruppen beteiligt sind, in der Hauptsache Künstler, Drucker, Holzschneider, Verleger. Doch für die Vervielfältigung von Texten war das Verfahren sehr effektiv: Handgeschriebene Abschriften waren oftmals fehler­ Die Edo-Zeit (1603–1867), benannt nach der Stadt Edo, haft, weil eine einzige falsch gesetzte Linie den Inhalt erheb­ heute Tokio, impliziert die längste Friedensperiode der lich verändern kann. Eine saubere, korrigierte Abschrift durch japanischen Geschichte in der Regierungszeit der Tokugawa-Shogune. Mit ihr kam nicht nur Frieden, sondern das Holzschnittverfahren genügte, um Texte sowie Bilder prä­ auch mehr Wohlstand und Freizeit in das Land. zise und massenhaft zur Verfügung zu haben. So lebten die Ab­ Die Menschen entwickelten ein Bedürfnis nach Unterhal- bildungen buddhistischer Gottheiten von einer sehr genauen tung. Es entstanden lizensierte Vergnügungsviertel wie und kleinteiligen Ikonographie, die eine Unterscheidung der Yoshiwara oder unterhaltende Kunstformen wie das Kabuki-Theater. Aus dem traditionellen japanischen Theater verschiedenen Götter möglich machte. Auch hier konnte der entwickelten sich bald eigenständige Genres. kleinste Fehler den Inhalt einer Illustration verändern, die Iden­ So wurden Schlachtenszenen, die ursprünglich auf der tität einer Gottheit und deren Wirkmacht gefährden. Japanische Bühne aufgeführt wurden, nun in Druckform verewigt, wie in dem Bild Magische Szene aus dem Genpei-Krieg (1823). Holzschnitte zeigen uns heute noch eine Welt voller bunter Far­ Dieses zeigt eine Schlüsselszene eines Kabuki-Stücks, das ben, prachtvoller Gewänder, bekannter Landschaften. Kunstvoll von der Vorherrschaft der Familien Taira und Minamoto über ziehen die graphischen Linien und farbigen Flächen die Betrach­ Japan insbesondere während des Genpei-Krieges (1180 –1185) erzählt. Die drei Figuren repräsentieren tenden in ihren Bann. Dass die Stücke den Weg nach Freiburg historische Persönlichkeiten dieser Zeit. fanden, ist dem Ethnologen und damaligen Direktor der Städ­ tischen Kunstsammlungen Ernst Grosse (1862–1927) zu verdan­ Fans des Kabuki-Theaters kommen auf ihre Kosten in ken. 60 Blätter konnten dank der Förderung der Kulturstiftung Utagawa Kunisadas (1786–1865) Winterszene mit Glück verheißender Schauspielerprozession, die um 1830 der Länder im Rahmen der Initiative „Kunst auf Lager“ restau­ entstand. Eingehüllt in warme Kleidung passieren zehn riert werden. Kabuki-Schauspieler die Ryogoku-Brücke, ein architektoni- sches Wahrzeichen Edos. Dort auf die verehrten Bühnen- stars zu treffen, war zwar völlig unrealistisch, doch die Drucke verkauften sich ausnehmend gut, da die Szene den 98 Fans eine gewisse Nähe zu ihren Stars vermittelte. Die Drucke der „schönen Frauen“, Restaurierung ⁄ Baden-Württemberg die nach Europa gelangten, prägten hier mehr als alles andere die Wahrnehmung der japanischen Frau als exotisches und erotisches Wesen. Delikat geschminkt und gehüllt in luxuri- öse Kimonos – als Motive auf Holzschnitten begegneten japanische Frauen erstmals den Blicken europäischer Sammler. Einschlägige Darstellungen in den Arbeiten von hiesigen Künstlern und Komponisten verstärkten diesen Eindruck noch. So trägt die im Druck Karauta vom Chōshiya von 1805 links gezeigte Geisha einen für ihren Berufsstand typischen Seiden­ kimono, der mit einem breiten Gürtel um die Taille, den soge- nannten obi, am Rücken zuge- bunden ist. Ihr Erscheinungsbild ist schlicht und elegant. Die Kurtisane hingegen trägt ein aufwändig besticktes Gewand, das mit einem schmalen Gürtel vorne lose zusammengebunden ist. Ihr Haar ist durch zahlreiche Haarnadeln geschmückt – je mehr, desto höher war der Status innerhalb ihres Berufsstandes. Geishas und Kurtisanen lebten zwar beide in Vergnügungsvier- teln, doch gab es beträchtliche Unterschiede: Während Geishas als professionelle Gesellschafte- rinnen mit Musik, Tanz und Spiel unterhielten, waren für sexuelle Dienste ausschließlich die Kurtisanen zuständig. Die Serie Wettstreit zwischen Geishas und Kurtisanen entstand 1805.

Zu den künstlerischen Höhepunkten zählen die sogenannten surimono: Drucke, die zu privaten Anlässen in Auftrag gegeben wurden und deshalb gerne etwas mehr kosten durften. Auf teuren Materialien und mit aufwändiger Technik zeigen diese Drucke besondere Ereignisse im Leben wie Hochzeiten, Namensänderungen oder Jahreswechsel in Form einer Kombination aus Bild und Gedicht. Im Neujahrsdruck mit Fischen und Lackschale (ca. 1830) ist die besondere Qualität der Materialien unter anderem in der Lackschale erkennbar: Mit dem Einsatz von Metallspänen wird der Eindruck erweckt, die Schale sei mit Gold- und Silber verziert.

Die kostbare Zutat in der von den japanischen Alpen ge- rahmten Seelandschaft des Künstlers Katsushika Hokusai kam aus Deutschland: Der für die tiefen Blautöne verant- wortliche synthetische Farbstoff, das „Berliner Blau“, wurde importiert, obwohl er anfänglich teuer war. Dafür hielt er länger als die traditionellen pflanzlichen Pigmente. Der Druck Der Suwa-See in der Provinz Shinshū stammt aus der Serie 36 Ansichten des Berges Fuji von 1830. Arsprototo 1 ⁄ 2020 101 Aus den kolorierten Drucken der tausend Buddhas: Hier sind nur die Umrisslinien durch das Holzschnittverfahren auf das Papier gebracht. Die Flächen wurden nachträglich von Hand eingefärbt. Bei dem vorliegenden Druck handelt es sich vermutlich um einen Ausschnitt aus einem ur- sprünglich größeren Werk. Die frühesten Holzschnitte dienten der Verbreitung buddhistischen Gedankenguts und gelangten aus China nach Japan. Die Technik bot gleich mehrere Vorteile: Es war weniger zeitaufwändig als zu zeichnen. Zudem wurden die komplexen Eigenschaften der Gottheiten detailliert gezeigt, was die Wirkmacht der Abbildungen beeinflusste.

Das Kabuki-Theater entstand im frühen 17. Jahrhundert und entwickelte sich aus anzüglichen Tänzen, die öffent- lich vorgeführt wurden. Anfangs wurden die Rollen von Frauen oder Jungen gespielt, was jedoch bald von der Regierung verboten wurde. So entstand eine Form von Schauspielerei, in der ausschließlich männliche Darsteller akzeptiert waren. Dies wird in dem Bild Heimliche Verab­ redung im Schnee von 1823 deutlich, in dem der für seine weiblichen Rollen bekannte Schauspieler Iwai Shijaku I (1804–1885) gemeinsam mit seinem Schauspielkollegen Ichikawa Danjūrō VII (1791–1859) in dem Stück Der Blumen-Einsiedler in den Bergen dargestellt ist.

102 Restaurierung ⁄ Baden-Württemberg

Japanische Holzschnitte waren im Westen sehr beliebt. Kunst­ kenner verehren die besondere Qualität des Druckes. Ernst Grosse befasste sich Zeit seines Lebens intensiv mit ostasiati­ scher Kunst. Für die universitäre Sammlung Freiburg und später für die Stadt Freiburg erwarb er bedeutende Kunstwerke, dar­ unter zahlreiche Holzschnitte aus Japan. Mit späteren Ankäufen und Schenkungen von Grosse und seiner befreundeten Mäzenin Marie Meyer (1834–1915) ist ein umfangreiches Konvolut japani­ scher Drucke entstanden, das heute zur Ethnologischen Samm­ lung des Museums Natur und Mensch in Freiburg gehört. Durch die mit Unterstützung der Kulturstiftung der Länder im Rah­ men des Programms „Kunst auf Lager“ erfolgte Restaurierung konnte ein Großteil der Drucke wieder ausgestellt werden. Ein umfangreicher Katalog mit zahlreichen Abbildungen begleitete die bereits im Jahr 2018 gezeigte Ausstellung der Sammlung. Ryan Schingerlin ist Kunsthistorikerin in Berlin und redaktionelle Mitarbeiterin dieser Ausgabe von Arsprototo.

Museum Natur und Mensch Gerberau 32, 79098 Freiburg Telefon 0761 - 2012566 www.freiburg.de Bildergalerie „Bildarchiv Japanische Holzschnitte“ Sehen Sie weitere Holzschnitte unter https://onlinesammlung.freiburg.de/ de/alben/japanische-holzschnitte

Im 16. Jahrhundert wurden in Japan erste Bücher ge- druckt, die keinen ausschließlich buddhistischen Inhalt hatten. Nach chinesischem Vorbild – erste weltliche Romane gelangten in gedruckter Form nach Japan – druckte man nun auch japanische Klassiker, deren Texte mit Illustrationen geschmückt wurden. Ein Beispiel ist das Werk Harumichi no Tsuraki von Hishikawa Moronobu (1618–1694). Hier bezieht sich die Zeichnung unter dem Text auf den Inhalt eines Gedichtes des Lyrikers und Höflings Harumichi no Tsuraki (?–920), das die abgebil- dete Landschaft im oberen Drittel des Holzschnitts beschreibt. Das Hauptmotiv stellt den Lyriker selbst dar, der von seinen Dienerinnen umsorgt wird.

Einen Einblick in die wirtschaftliche Entwicklung der Hauptstadt Edo gibt Utagawa Hiroshige in seiner Serie 100 berühmte Ansichten von Edo von 1857. Die Stadtviertel waren nach Berufsständen gegliedert und benannt. Im Bezirk Kanda waren die Färber ansässig: Auf Holzgestellen trocknen dort Stoffe in Indigotönen. Gewonnen aus den Blättern der japanischen Indigopflanze, war das Blau der bedeutendste Farbstoff in der damaligen Textilproduktion.

Rechte Seite: Dieser berühmte Entwurf Der Quell der Liebe von Utamaro Kitagawa stammt aus einer Serie von Liebes­geschichten. Er erzählt vom Angestellten Mohei, der sich in Osan, die Frau seines Meisters verliebt. Hier zeigt Mohei ihr einen tätowierten Schriftzug auf seinem Arm: „Osan ist mein Schicksal“. Bei dem Blatt handelt es sich um einen Nachdruck von 1904 des Verlegers Sakai Tobei (1844–1911), der einige Druckfolgen japanischer Holzschnitte neuauflegte, als diese mehr und mehr an Sammler im Westen verkauft wurden und aus Japan verschwanden. Restaurierung ⁄ Rheinland-Pfalz

In Mainz konnten Dank der Die Sammlung des Stadthistorischen Mu­ geschnürt und wieder spielbar gemacht – zer Oberholzer mit dem Maler Kohl vor seums Mainz ist im Besitz eines komplet­ dabei verarbeitete Markus Dorner allein fast hundert Jahren verbunden hat: die Spenden der Arsprototo- ten Theaters mit prächtigem Portalvor­ mehrere tausend Meter an original Salz­ Liebe zum gestalterischen Detail und der Leserschaft Marionetten und hang und raffinierter Beleuchtung! Wenn burger Marionettenfäden! Ebenso wurde gepflegte Stil eines märchenhaften Rea­ auch der Bühnenausschnitt lediglich die hölzerne Bühne, an der der Zahn der lismus. Bühnenbilder eines historischen über die bescheidenen Ausmaße eines Zeit genagt hatte, samt Vorhang, Beleuch­ Bei den Wiederaufführungen waren Hausmarionettentheaters Bildschirms verfügt – also damit an Pa­ tung und Kulissen für mehrere Märchen mit Enkeln und Urenkelin auch Nach­ piertheater der Biedermeierzeit erinnert der Gebrüder Grimm und von Wilhelm kommen des Porträt- und Landschafts­ restauriert werden – und die dazugehörigen „Schauspieler“ Hauff wieder instandgesetzt. Anschlie­ malers Hans Kohl anwesend, die auch an gerade mal 15 Zentimeter messen, so hat ßend hätten die höchst empfindlichen die aktive künstlerische Beteiligung der man es doch mit einem großen Schatz zu historischen Marionetten eigentlich di­ Ehefrauen der beiden Künstler erinner­ tun. Die künstlerischen Väter dieses klei­ rekt den Weg in verschlossene Ausstel­ ten. Als kongeniale Partnerin von Walter Aufführung von „Kalif Storch“ auf der originalen Mario- nettenbühne von Hans Kohl, wiederaufgeführt 2018/19 nen Theaters waren am Rhein und an der lungsvitrinen gefunden, wäre da nicht Oberholzer zeichnete die Textilgestalte­ in Bad Kreuznach und Mainz Isar zu ihrer Zeit anerkannte Meister ih­ die verlockende und reizvolle Idee im rin Lisl Oberholzer für die Figurenkos­ res Fachs: der Mainzer Maler Hans Kohl Raum gestanden, die ganze Ausstattung tüme verantwortlich, die sie dann auch (1897–1990) und der Münchner Bildhauer noch einmal im Museum für Puppenthe­ Hand in Hand mit Hans Kohls Ehefrau und Puppenschnitzer Walter Oberholzer aterKultur der Stadt Bad Kreuznach und Anni ausführte. (1893–1980), langjähriger Ausstatter des im Stadthistorischen Museum Mainz ge­ Nun ist das restaurierte Hausmario­ traditionsreichen Münchner Marionet­ spielt zu präsentieren. nettentheater von Hans Kohl und Walter Comeback für tentheaters von Hilmar Binter. Um 1916 Nach 90 Jahren war es also wieder so­ Oberholzer in alter Pracht wieder in der lernten sich beide Künstler an der Aka­ weit, im Hausmarionettentheater Kohl/ Dauerausstellung im Stadthistorischen demie der Bildenden Künste in München Oberholzer hob sich erneut der Vorhang Museum Mainz zu bewundern. Unser kennen, und das in Mainzer Obhut be­ zum „Kalif Storch“ (Münchner Premiere Dank gilt Markus Dorner, der es nicht Kasper & Co. findliche historische Hausmarionetten­ anno 1927). Die Geschichte vom „Kalif nur versteht, meisterhaft die Puppen zu theater, welches ab dem Jahr 1925 bespielt Storch“ orientiert sich an dem gleichna­ führen, sondern der die fast 50 Mario­ wurde, gilt als Ergebnis ihrer Künstler­ migen Kunstmärchen des Dichters Wil­ netten in unzähligen Arbeitsstunden mit freundschaft. Diese antiquarischen Ma­ helm Hauff: Der Kalif Chasid kauft von Expertise, handwerklichem Geschick rionetten, gezeichnet von Hans Kohl und einem Krämer eine Dose mit geheimnis­ und viel Fingerspitzengefühl zu neuem geschnitzt von Walter Oberholzer, fan­ vollem Pulver, mit dem man sich in Tiere Leben erweckt hat. Und ganz besonders den sich bei ihrer Wiederentdeckung zu­ verwandeln kann. Doch ist man erst ein­ danken wir den Leserinnen und Lesern nächst in einem Karton als verwickeltes mal verwandelt, darf man nicht mehr la­ von Arsprototo, die das große Projekt Knäuel aus hölzernen Führungskreuzen, chen. Sobald man lacht, vergisst man das der vollständigen Restaurierung dieses Fädengewirr, Knoten und Gliedmaßen. Zauberwort zur Zurückverwandlung in einzigartigen Schatzes durch ihre Spen­ Die Mainzer Museumsleiterin Hed­ menschliche Gestalt. den überhaupt erst möglich gemacht wig Brüchert und Markus Dorner, der Zur Freude der Zuschauer trat zu­ haben! Leiter des Museums für Puppentheater­ nächst in alter Münchner Tradition der Dr. Hedwig Brüchert ist Historikerin an Kultur (PuK) der Stadt Bad Kreuznach, Kasperl Larifari auf, um den Zuschauern der Johannes Gutenberg-Universität Mainz erkannten den Wert dieses musealen von Heute die Aufführungssituation von und Geschäftsführerin des Fördervereins Schatzes und haben sich mit Sorgfalt da­ damals zu erläutern. Beim eigentlichen Stadthistorisches Museum Mainz e.V. rum gekümmert, dass sich Marionetten Märchenspiel war Eleen Dorner als Er­ und Bühnenbilder nun dem (Museums-) zählerin zu hören, passende orientalische Publikum im neuen alten Glanz zeigen Klänge komponierte und spielte Klaus können. Ermöglicht wurde dieses ar­ Dreier live am Klavier und die Mini-Ma­ beitsintensive Unterfangen durch zahlrei­ rionettenwelt dirigierte Markus Dorner, che Spenderinnen und Spender, die sich der auch die Textfassung nach verbürg­ nach einem Hilferuf in Arsprototo 1/2014 ten historischen Quellen verfasste. Als für diesen einzigartigen Schatz begeister­ eine der Vorlagen diente dabei das Text­ Förderverein Stadthistorisches ten und ihn vor dem Verfall retten wollten. buch des St. Galler Marionettentheaters, Museum Mainz e.V. Über vier Jahre lang hat dann das an dem sich nachweislich auch Mario­ In der Meielache 21, 55122 Mainz Team des PuK-Museums die fast fünfzig nettentheaterdirektor Hans Kohl seiner­ Telefon 06131-676565 Marionetten, entworfen von Hans Kohl 1924/25 in München Kasperl Larifari, die Traditionsfigur www.stadtmuseum-mainz.de und geschnitzt von Walter Oberholzer für verschiedene Märchen der des Münchener Puppentheaters kleinen Marionetten von Hans Kohl und zeit orientierte. Im bildnerischen Bereich www.stiftung-stadtmuseum-mainz.de Gebrüder Grimm und von Wilhelm Hauff, Höhe ca. 15 cm, restauriert Walter Oberholzer restauriert, neu auf­ zeigte sich noch einmal, was den Schnit­ www.bad-kreuznach.de/puk und neu geschnürt von Markus Dorner, Museum für Puppenkultur (PUK) Bad Kreuznach

106 Arsprototo 1 ⁄ 2020 107 Restaurierung ⁄ Thüringen

Rund 30 Kilometer von der thüringischen Auferstehungs­altar aus der Liebfrauen­ sowie die Geißelung Christi und die Dor­ Landeshauptstadt Erfurt entfernt liegt kirche in Arnstadt unweit von Angelhau­ nenkrönung. das Dorf Angelhausen. Jahrhundertelang sen schuf. Im 16. Jahrhundert wurde das Im Zuge der getrennten Aufstellung war in der dortigen Kirche St. Johannis Retabel nach Angelhausen umgesetzt. der Altarteile in der Kirche (vermutlich ein Altar aufgestellt, der als Schlüsselob­ Rund 200 Jahre später (1886) führten ­Bau- 1886) wurden die Flügelrahmen abgear­ jekt in der kunsthistorischen Forschung maßnahmen am Kirchengebäude zu ei­ beitet, um diese an den neuen Standort zum Schaffen in der ersten Hälfte des 15. ner getrennten Aufstellung des Mittel­ anzupassen. Zwischen 1936 und 1953 er­ Jahrhunderts im Raum Erfurt gilt. Vor schreins und der Altarflügel. Nach erneu­ folgten Konsolidierungsmaßnahmen mit mehr als 100 Jahren wurde der Altar aus­ ten Umbaumaßnahmen verzichtete man einer Wachs-Harz-Mischung, die heute einandergenommen, an verschiedenen 1936 gänzlich auf die Aufstellung des erheblich verbräunt ist. Auch die Kittun­ Orten und unter ungünstigen Bedingun­ ­Altars, die Flügel wurden als Leihgabe an gen und Übermalungen der Tafelgemälde gen eingelagert. Die Übernahme des Al­ das Thüringer Museum Eisenach über­ der Werktagsseite stammen aus dieser tars 2014 als Dauerleihgabe an das An­ geben. Ende des 20. Jahrhunderts verfiel Zeit. Ein großflächig über Fehlstellen germuseum Erfurt bietet erstmals eine die Kirche zusehends, ein Dachschaden und angrenzende Bereiche gespachtelter Perspektive zu dessen Erhaltung und öf­ führte zu Wasserschäden am Schrein. Es konventioneller Ölkitt kann nur schwer fentlicher Präsentation. Mit Unterstüt­ folgte eine Auslagerung an verschiedene als Konservierungsmaßnahme verstan­ zung der Kulturstiftung der Länder und Orte, bis schließlich 2014 der langfris­ den werden. Es folgten weitere Konso­ des Freundeskreises der Kulturstiftung tige Leihvertrag mit dem Angermuseum lidierungsmaßnahmen mit verschiede­ der Länder wird der Altar im Rahmen Erfurt geschlossen werden konnte. Eine nen Festigungsmitteln, die zum Teil die der Initiative „Kunst auf Lager“ seit drei Wiederaufstellung des Altars in der Kir­ Wiederbehandlung bei neuen Fassungs­ Jahren restauriert und ausstellungsfä­ che in Angelhausen ist aus Platzgründen lockerungen erschweren und sich stö­ hig gemacht. Ende des Jahres 2020 soll heute nicht mehr möglich. rend auf der Oberfläche abzeichnen. Alle er dann der Öffentlichkeit im Angermu­ Tafelmalereien und Schreinskulptu­ Altarteile sind durch die langjährige La­ seum Erfurt präsentiert werden. ren zieren den frühgotischen Altarschrein. gerung erheblich verschmutzt, aufliegen­ Um 1430 wurde das Altarretabel (der Nur sechs von ehemals sieben Skulpturen der Staub ist mit den eingetragenen Fes­ Altaraufsatz) geschaffen, vermutlich je­ sind erhalten, sie zeigen die Heiligen Bar­ tigungsmitteln zu einer Schmutzkruste doch nicht für die Kirche St. Johannis in bara und Margaretha, Maria mit Kind und verbacken. Angelhausen. Disproportionen zwischen den Heiligen Paulus sowie die Apostel Pe­ Die ungünstigen klimatischen Be­ den Maßen des Altars und den Raumma­ trus und Jakobus d. Ä. Auf der Rückseite dingungen in der Kirche sowie der Lage­ ßen der Kirche lassen darauf schließen, der Skulptur der Heiligen Margaretha be­ rungen führten zu umfangreichen Verlus­ dass der Altar ursprünglich für eine grö­ findet sich eine unverhüllte Knochenre­ ten. Großflächige Fehlstellen prägen die ßere Kirche in der Umgebung gedacht liquie, ein Zeugnis der liturgischen Nut­ Fassung und Tafelmalereien. Ein aktiver war. Wer ihn anfertigte, ist unbekannt, zung des Altars im Spätmittelalter. Auf Holzschädlingsbefall trug zusätzlich zur es besteht aber wahrscheinlich ein Zu­ den Altarflügeln dargestellt sind die Ma­ Schwächung der Holzsubstanz bei. Eine sammenhang zu der Werkstatt, die den rienkrönung und Heimsuchung Mariä Herausforderung bei der Restaurierung

Altarretabel aus der Kirche Angelhausen- Oberndorf, um 1430, Probeaufstellung des Retabels 2019, Mittelschrein mit Getrennte geöffneten Altarflügeln 210 × 530 cm; Angermuseum Erfurt

Linke Seite: Altarretabel aus der Kirche Angelhausen-Oberndorf, um 1430, Altarflügel Aufstellung mit der Darstellung der Geißelung Christi und Dornenkrönung (Werktagsansicht) und der Marienkrönung und Heimsuchung Mariä (Festtagsansicht), Arbeitsaufnahme Restaurierung des 2019 nach Abschluss der Restaurierung der Tafelgemälde und Rahmung, vor der Altars aus Angelhausen Retabelaufstellung, Angermuseum Erfurt

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waren die Größe des Schreins und seine haltende Retuschen. Drei Jahre dauerte empfindliche Reaktion auf klimatische die Konservierung und Restaurierung Schwankungen. Um weitere Schwan­ des Mittelschreins, der Skulpturen, Tafel­ kungen und Transporte zu vermeiden, malereien, Flügelrahmen und die Ergän­ wurde im Angermuseum Erfurt ein Teil zung des Mariensockels. In diesem Jahr der Ausstellungsfläche abgetrennt und sollen der Schrein und die Flügel zusam­ der Schrein vor Ort konserviert und re­ mengebracht werden. Da die Holzsubs­ stauriert, erklärt Projektkoordinatorin tanz geschädigt ist, muss eine spezielle Altarretabel aus der Kirche Annemarie Huhn. Während die Figuren Stütz-Rahmen-Konstruktion angefertigt Angelhausen-Oberndorf, um 1430, und der Schreinhintergrund kaum über­ werden, damit der Altar dann in die Dau­ Altarschrein mit eingestellten Figuren, nach vorläufigem Abschluss der arbeitet wurden und weitestgehend in erausstellung des Angermuseums Erfurt Restaurierungsarbeiten 2020, ihrer Originalfassung erhalten sind, sind überführt werden kann. Angermuseum Erfurt die Flügel stark verändert. Diese unter­ Jennifer Scheibel arbeitet in der schiedlichen Zustände zusammenzu­ Kommunikationsabteilung­ der Linke Seite: Figuren aus dem Altarretabel aus der Kirche Angelhausen-Oberndorf, bringen, stellte das Restauratorenteam Kulturstiftung der Länder. um 1430: Madonna mit dem unter vor weitere Herausforderungen. Sie ent­ ­Verwendung von wenigen Originalteilen fernten unsachgemäße Überarbeitungen Angermuseum Erfurt rekonstruierten Sockel, Apostel Petrus Anger 18, 99084 Erfurt und Heiliger Paulus, nach vorläufigem und Übermalungen und integrierten die Telefon 0361 - 6551640 Abschluss der Restaurierungsarbeiten umfangreichen Fehlstellen durch zurück­ www.kunstmuseen.erfurt.de/angermuseum 2020, Angermuseum Erfurt

Arsprototo 1 ⁄ 2020 111 Impressum Multimedia- Bildnachweis Titel: © Stiftung Bamberger Symphoniker - Bayerische Arsprototo Staats­philharmonie; S. 3.: © Foto: Ana Lukenda; S. 4 o.l.: © Förderer Das Magazin der Kulturstiftung der Länder Inhalte Foto: Jobst von Kunowski; S. 4 m.: © Ministerium für Wissen- Lützowplatz 9, 10785 Berlin schaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg, Foto Sa- Materialien zum Orgelbau Kulturstiftung der Länder, Hessi­ In dieser Arsprototo-Ausgabe finden Sie unter bine Arndt; S. 4 o.r.: © Foto: Johannes Fellmann; S. 5 o.l.: © Erwerbungen von Johann Andreas Silbermann, sche Kulturstiftung, Museumsver­ Telefon 030 - 89 36 35-27 Fax 030 - 893635-26 zahlreichen Artikeln QR-Codes. Diese können Foto: Götz Schleser; S. 5. o.r.: © Buchkinder Leipzig e.V.; S. 6: © Foto: Dr. Oliver Sachs; S. 7 o.: © Foto: Ana Lukenda; S. 7 u.: © 18. Jahrhundert ein Kassel e.V. E-Mail [email protected] Sie mithilfe Ihres Smartphones einlesen oder deutscher Museen, Foto: Axel Kilian; S. 9 o.: © Foto: Tomáš Zikmund (Brno Univer- Kulturstiftung der Länder, Beauf­ Internet www.kulturstiftung.de den Web-Links neben den Codes folgen. sity of Technology, CZ); S. 9 u.: © Foto: Katja Münch (Munich Bibliotheken und tragte der Bundesregierung für Seite 82: Die Kaiser und die Säulen Öffnen Sie auf Ihrem Smartphone die Foto- Show, 2019); S. 10-11: © Estate of George Grosz, Princeton, Herausgeber Prof. Dr. Markus Hilgert, N.J./VG Bild-Kunst, Bonn 2020; S. 12-13: © 2020 Pechstein – ihrer Macht, Von Karl dem Großen Funktion und richten Sie diese auf die schwar­ Archive in diesem Kultur und Medien, Ernst von Generalsekretär der Kulturstiftung der Länder Hamburg/Tökendorf © Fotoatelier LORENZ, Zschorlau; S. 14: bis Friedrich Barbarossa, Landes- ze Abbildung. Dann öffnet sich in Ihrem Brow­ © Auktionshaus Kaupp, Fotografie Oliver Edelbruch; S. 15: © Siemens Kunststiftung Leiter Kommunikation Hans-Georg Moek Heft und museum Mainz ser eine Webseite mit den weiteren Inhalten. Foto: Universitätsbibliothek Rostock; S. 16: © Reiss-Engel- (V. i. S. d. 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Beuermann Kulturstiftung der Länder, Lukenda; S. 37: © Buchkinder Leipzig e. V.; S. 39: © Foto: Elias Antike & Gegenwart, Kunst- und RESTAURIERUNGEN Konzeption und Gestaltung Stan Hema mit Siebert; S. 40 l.: © Foto: Götz Schleser; S. 40 r.: © Foto: Katja Alfried Krupp von Bohlen und Kulturstiftung Hannover Vladimir Llovet Casademont, www.stanhema.com Zimmermann; S. 43: © Marion Kuchenny, Foto: Sabrina Feige; Halbach-Stiftung, Johannes und S. 44: © Foto: Wolfram Schmidt; S. 45: © Foto: Andreas Lands- kron; S. 47, 48 r., 50 o., 52-53, 55 r.: © Museen für Kulturge- Annitta Fries-Stiftung Abonnements Arsprototo – Abonnementservice, schichte Hannover, Museum August Kestner; S. 48 l., 50 u., 54: Bessemerstraße 51, 12103 Berlin © Graphische Sammlung Museumslandschaft Hessen-Kas- Seite 9: Meteorit Stubenberg, E-Mail [email protected] sel; S. 51: © Museum August Kestner, Foto: Christian Rose; S. 52 o., 53 o., 55 l.: © Graphische Sammlung Museumsland- 2019 Telefon 030 - 89 36 35-36 Fax 030 - 26 55 56‑71 Social-Media-Kanäle schaft Hessen-Kassel, Foto: Ute Brunzel; S. 56, 60: © Jörg Be- Kulturstiftung der Länder, Lan­ Seite 16: Hausaltar, Augsburg, Erscheinungsweise zweimal jährlich nario, Foto: Adolf Quidde, Photographische Anstalt für Repro- desstelle für die nichtstaatlichen Seite 54: Karl Schmidt-Rottluff, um 1705 Erscheinungstermin dieser Ausgabe: 22.6.2020 duktion und technische Aufnahmen; S. 57, 59 o., 59 u.: © VG der Kulturstiftung Bild-Kunst / Foto: Peter Hinschläger; S. 58: © Leopold- Museen in Bayern, Münchner Ostsee (Schiffe am Strand), 1922 Kulturstiftung der Länder, Lan­ Gedruckte Auflage dieser Ausgabe: 7.500 Hoesch-Museum, Foto: Peter Hinschläger 2020; S. 61: © Leo- Mineralientage Fachmesse GmbH, Seite 17: Alexander Kanoldt, Kulturstiftung der Länder, Ministe­ desstelle für Museumsbetreuung der Länder pold-Hoesch-Museum & Papiermuseum Düren; VG Bild- Carbon-Werke Weißgerber GmbH Stillleben I/1927, 1927 rium für Kultur und Wissenschaft Baden-Württemberg Nachdruck von Bildern und Artikeln, Sie finden alle Social-Media-Kanäle mit Kunst, Bonn 2020; Foto: Peter Hinschläger; S. 62, 65: © Foto: Strigel-Museum/Carsten Eisfeld; S. 63: © Österreichische & Co KG, Sparkasse Dillingen- Kulturstiftung der Länder, Beauf­ des Landes NRW / Bezirksregie­ auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Verlinkungen im Überblick unter Galerie Belvedere; S. 64: Bayerische Staatsbibliothek Mün- tragte der Bundesregierung für rung Köln, Ernst von Siemens Genehmigung der Redaktion. www.kulturstiftung.de/social-media- chen, 2 L.impr.membr. 64, Kupferstich 16, urn:nbn:de:bvb:12- Nördlingen, Raiffeisen-Volksbank bsb00013106-2; S. 67: © KHM-Museumsverband; S. 68: © Ries eG, Geopark Ries e.V., ARLT Kultur und Medien, Ernst von Kunststiftung, Beauftrage der ueberblick/ oder über den QR-Code: Landkreis Stade, Foto: Christina Kohnen; S. 69: © Landkreis Litho Mega-Satz-Service, Berlin Komplettbau GmbH, Carl Heuchel Siemens Kunststiftung, Freunde Bundesregierung für Kultur und Herstellung Buch- und Offsetdruckerei Stade, Foto: Dietrich Alsdorf; S. 70: © Compagnia del Teatro dell'Argine, Foto: Lucio Summa; S. 73 o.: © Alfred Toepfer Stif- GmbH & Co. KG, BAUER Aktienge­ und Förderer des Kunstforums Medien, Stadt Düren H. Heenemann GmbH & Co., Berlin tung F.V.S.; S. 73 u.: © Agnes Meyer-Brandis, VG Bild-Kunst, sellschaft, Rotary Club Nördlingen, Ostdeutsche Galerie in Regensburg Vertrieb OML KG, Berlin 2020; S. 75, 78, 79, 80-81: © Foto: Stephan Kube, Greven; S. 76: Seite 95: Restaurierung von Münchener Mineralienfreunde e.V. ISSN 1860 - 3327 © bpk / RMN - Grand Palais, Jean-Gilles Berizzi; S. 82: © Rijks- 65 japanischen Holzschnitten museum, Amsterdam; S. 83: © Museum Schnütgen, Foto: (MM), Vereinigung zur Förderung Rheinisches Bildarchiv, Köln, H. Buchen; S. 84, 85 o.: © Stadt- aus dem Bestand der Städtischen Kulturstiftung der Länder bibliothek Trier, Foto: Anja Runkel; S. 85 u.: © Gerfried Sitar, der Geowissenschaften e.V. Museen Freiburg i. Br. Stiftung bürgerlichen Rechts Twitter: @LaenderKultur Benediktinerstift St. Paul im Lavanttal; S. 87: © Universitätsbi- Kulturstiftung der Länder bliothek Heidelberg; S.88: Copyrights bei den Verlagen; S. 90 Lützowplatz 9, 10785 Berlin Instagram: kulturstiftungderlaender l.: © Staatsgalerie Stuttgart, Leihgabe der Freunde der Staats- Seite 60: Bernhard Strigel, Telefon 030 - 89 36 35-0 Fax 030 - 893635-26 Facebook: Kulturstiftung der Länder galerie Stuttgart; S. 90 m.: © Morat-Institut für Kunst und Johannes Cuspinian und seine E-Mail [email protected] YouTube: Kulturstiftung der Länder Kunstwissenschaft, Freiburg im Breisgau; S. 90 r.: © Städti- sche Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München; S. 91 l.: Seite 17: Emil Nolde, Familie, 1520 Internet www.kulturstiftung.de © Museum für Kommunikation Berlin; S. 91 m.: © Staatliche Rentner, 1920 Kulturstiftung der Länder, Ernst Generalsekretär Prof. Dr. Markus Hilgert Tretjakow-Galerie Moskau; S. 91 u.m.: Foto: Kuhnert, Bernd, Kulturstiftung der Länder, Brigitte von Siemens Kunststiftung, Stellv. Generalsekretär Prof. Dr. Frank Druffner Berlin © VG Bild-Kunst, Bonn 2020; S. 92 l.: © Kunsthalle Bre- Seite 10: George Grosz, men – Der Kunstverein in Bremen, Kupferstichkabinett; S. 92 Cain or Hitler in Hell, 1944 und Arend Oetker, privater Geld­ Sparkassenstiftung Memmingen- Dezernentinnen Dr. Britta Kaiser-Schuster, Die Podcasts der m.: © VG Bild-Kunst, Bonn 2020 © Hamburger Kunsthalle / geber, Stadt Bielefeld Mindelheim Dr. Stephanie Tasch bpk Foto: Elke Walford; S. 92 u.m.: © Kunsthalle Mannheim, Kulturstiftung der Länder, Beauf­ Seite 110: Restaurierung der Leiter Kommunikation Hans-Georg Moek Kulturstiftung der Foto: Kunsthalle Mannheim; S. 93 l.: © Europäische Privat- tragte der Bundesregierung für Marionetten und Bühnenbilder sammlung, Foto: Städel Museum, Horst Ziegenfusz; S. 93 m.: Kultur und Medien eines historischen Hausmarionet- Redaktionsleitung Arsprototo Carolin Länder © Alf Löhr; S. 93 o.r.: © Von der Heydt-Museum, Wuppertal. Hilker-Möll Foto: Antje Zeis-Loi, Medienzentrum Wuppertal; S. 93 u.r.: © tentheaters des Stadthistorischen Förderungen, Initiativen, kulturpolitische Barbara Kasten, Courtesy die Künstlerin und Kadel Willborn, AUSSTELLUNGEN Museums Mainz, 1924/25 Mitarbeiterin Kommunikation Jennifer Düsseldorf; S. 94 l.: © 2020 The Andy Warhol Foundation for Scheibel Debatten und Hintergründe. the Visual Arts, Inc. / Licensed by DACS, London; S. 94 o.m.: © Arsprototo-Leserschaft Leiter Verwaltung Ronny Günther Museum der bildenden Künste, Leipzig Foto: InGestalt Mi- Seite 17: Johann Engelbrecht, chael Ehritt; S. 94 u.m.: © VG Bild-Kunst, Bonn 2020; S. 94 o.r.: Finanzbuchhalterin Jana Dziakowski © Fabrice Monteiro; S. 94 u.r.: © Kupferstichkabinett, Staat­ Girandolen für König Friedrich Kaufmännische Mitarbeiterin Ellen Gloyna liche Kunstsammlungen Dresden; S. 95 l.: © Wieland Förster, Wilhelm I., 1733 Seite 12: Max Pechstein, Brücke, Sekretariat Gabriele Lorenz, Monika Michalak Foto: Thea Henkel © VG Bild-Kunst, Bonn 2020; S. 95 m.: © Kulturstiftung der Länder, Ernst Museum Kunst der Westküste, Alkersum/Föhr Foto: Helmut 1921 Referentin des Vorstands Dr. Natascha Königs Kunde; S. 95 o.r.: © Klassik Stiftung Weimar, Dauerleihgabe von Siemens Kunststiftung, Rudolf- Kulturstiftung der Länder, Ernst Seite 73: Arnt der Bilderschneider (Elternzeitvertretung) des Freundeskreises Bauhaus.Weimar.Moderne. Die Kunst- August Oetker-Stiftung, Freunde Hören, abonnieren, herunterladen! freunde e.V.; S. 95 u.r.: Foto: DIE GALERIE, Frankf./M., Anger- von Siemens Kunststiftung, Her­ – Meister der beseelten Skulptu- Seite 106: Restaurierung des Altars der Preußischen Schlösser und Hier finden Sie alle Podcasts und Plattformen museum, Erfurt, © VG Bild-Kunst 2020; S. 97-105: © Foto: Axel mann Reemtsma Stiftung ren, Museum Schnütgen, Köln aus Angelhausen, um 1430 Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in dieser Kilian; S. 106-107: © Foto: Martin Steinmetz; S. 108: © Foto: im Überblick: Gärten e.V. Kulturstiftung der Länder, Ernst Kulturstiftung der Länder, Freundes­ Publikation überwiegend die männliche Form M. Schoder/A. Wehrsig; S. 109: © Foto: Annemarie Huhn; Podigee: Kulturstiftung der Länder S. 110-111: © Stadtverwaltung Erfurt, Foto: Dirk Urban; S. 114 von Siemens Kunststiftung, Rudolf- kreis der Kulturstiftung der Länder, in der Bezeichnung von Personen verwendet. Die Spotify: Kulturstiftung der Länder links v.o.n.u.: © David Vuillaume, Deutscher Museumsbund August Oetker-Stiftung, Kunststif­ Ernst von Siemens Kunststiftung, Bezeichnungen sind geschlechtsneutral zu verstehen. e. V.; Foto: Stephen King; Foto: Screenshot Video Rundfunk- iTunes: Kulturstiftung der Länder chor Berlin © David Stingl; © Berliner Ensemble, mitte v.o.n.u: tung NRW, Peter und Irene Ludwig Thüringisches Landesamt für YouTube: Kulturstiftung der Länder © Igor Levit; © Städtische Galerie Dresden; © Museum Stiftung, Kölner Kulturstiftung der Denkmalpflege, Evangelische Kirche Speyer; © Zeppelin Museum, rechts v.o.n.u.: © Kunsthalle (Podcast-Playlist) München; © LWL-Museum für Archäologie, Landschaftsver- Kreissparkasse Köln, Freundeskreis in Mitteldeutschland (EKM), Seite 14: Silbermann-Archiv, band West­falen-Lippe (LWL); © Internationaler Museumstag, Museum Schnütgen Angermuseum Erfurt, Rudolf-Au­ Deutscher Museumsbund e. V.; © LWL-Museum für Archäo­ Aufzeichnungen und gesammelte Seite 45: Künstlerstammbuch von gust Oetker-Stiftung logie, Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) Titel­ Wilhelm von Blanckenhagen, 1810 rückseite: © Stiftung Bamberger Symphoniker – Bayerische 112 Staatsphilharmonie­ Arsprototo 1 ⁄ 2020 113 #closedbutopen

#closedbutopen – geschlossen, aber ­dennoch offen. Der Hashtag steht für Online- führungen und -lesungen, Konzerte und Museumsbesuche im Netz. Emblematische Lebenszeichen einer Kultur in Quarantäne im Frühjahr 2020.

114 www.kulturstiftung.de

Umschlag: Die Bamberger Symphoniker spielen online gemeinsam die „Ode an die Freude“, März 2020 (s.a. Seite 22 im Heft)