Alma -Werfel. Einige Aspekte zu Leben und Werk

Wissenschaftliche Hausarbeit Zur Ersten (Künstlerisch-Wissenschaftlichen) Staatsprüfung Für das Amt des Studienrats mit dem Fach Musik

Vorgelegt von: Christiane Ebeling Hausotterstr. 23 13409 Berlin e-mail: [email protected]

Berlin, den 6. April 2000

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung 1

2. Quellenlage 4 2.1. Die Tagebuch-Suiten 4 2.2. Die Briefe 5 2.2.1.Die Briefe Gustav Mahlers an Alma Schindler-Mahler 6 2.2.2. Die Briefe Alexander Zemlinskys an Alma Schindler 7 2.3. Die Lieder 7 2.4. Autobiografische Schriften 8 2.4.1. . Erinnerungen und Briefe 9 2.4.2. And the bridge is love 9 2.4.3. Mein Leben 9 2.5. Biografien 10

3. Die Darstellung Alma Schindler-Mahlers 10 3.1. Die Selbstinterpretation in den Autobiografien 11 3.1.1. Die Darstellung der Jugend- und Ausbildungszeit 13 3.1.2. Die Darstellung des „Kompositionsverbots“ 17 3.2. Die Charakterisierung Alma Mahler-Werfels in den Biografien 20 3.2.1. Der Beginn der Biografien 21 3.2.2. Die Perspektive auf Alma Schindlers Jugend- und Ausbildungszeit 24 3.2.3. Die Darstellung des „Kompositionsverbots“ 28

4. Die Komponistin Alma Schindler in den Tagebuch-Suiten 34 4.1. Alma Schindlers Kindheit und Jugend in den Künstlerkreisen Wiens 34 4.1.1. Alma Schindlers Kunstrezeption 35 4.1.2. Alma Schindlers Literaturrezeption 36 4.1.3. Alma Schindlers Musikrezeption 38 4.2. Musikausübung zwischen Öffentlichkeit und Privatheit 41 4.2.1. Alma Schindlers pianistische Tätigkeit 41 4.2.2. Selbstverwirklichung zwischen Ehe und Professionalisierung 46 4.3. Komposition zwischen Selbstausdruck und Professionalisierung 50 4.4. Das Kompositionsstudium bei und Alexander Zemlinsky 54 4.4.1. Prinzipien des Kompositionsunterrichts bei Josef Labor 55 4.4.2. Prinzipien des Kompositionsunterrichts bei Alexander Zemlinsky 58 4.5. Das „Kompositionsverbot“ in den Tagebuch-Suiten 63 4.6. Die Kompositionen 69 4.6.1. Versuch der zeitlichen Einordnung 70 4.6.2. Die Lieder 78 4.6.3. Aufführungen und Publikationen 84

5. Rezensionen 86

6. Fazit 90

7. Zeittafel 93

8. Literaturverzeichnis 100 1. Einleitung

Wer war Alma Mahler-Werfel? Bei dieser Frage huschtüber die Gesichter der Befragten in den meisten Fällen ein tiefgründiges Lächeln. „Das war doch die...“ und im Folgenden sah ich mich oft in der Situation, mir die immer gleichen Episoden anzuhören: „Die war doch mit allen wichtigen Künstlern der Jahrhundertwende und des 20. Jahrhunderts verheiratet... oder waren es Affären?“ Alma Mahlers Bekanntheitsgrad gründet sich beständig auf die Rolle der Muse oder Femme fatale berühmter Männer, fast nie auf ihre Tätigkeit als Komponistin, um die es hier gehen soll. In dieser Arbeit wird unter einer Muse eine Frau verstanden, die das eigene schöpferische Talent dem Mann opfert, um sein „Genie“ inspirierend zu unterstützen. Die Rolle der Femme fatale bezeichnet eine erotisch faszinierende, aber grausame, die Männer ins Verderben stürzende Symbolfigur des 19. Jahrhunderts.1 Diese Weiblichkeitsbilder wurden im Wien des Fin de Siècle nicht nur Gegenstand intellektueller Auseinandersetzungen, sondern fanden sogar Eingang in die Alltagskultur: Suppenteller, Aschenbecher oder Tintengläser wurden mit der dämonischen Femme fatale geschmückt.2 Die außergewöhnliche Wirkungsgeschichte dieser Weiblichkeitsmythen in Dichtung, Malerei und Musik des 19. Jahrhunderts lässt sich psychoanalytisch als ambivalenter Ausdruck männlicher Sexualängste und –wünsche, aber auch als imaginäre Reaktion auf die Frauenbewegung deuten,3 die von vielen Männern als Verursacher des Zusammenbruchs der alten Ordnung angesehen wurden.4 Autoren, wie Otto Weininger verteidigten die männliche Domäne des Intellekts in Traktaten wie Geschlecht und Charakter.5 Die Darstellung der Person Alma Mahlers zur Zeit der Jahrhundertwende ist daher wenig erstaunlich. Verwunderlicher dagegen ist die heutige Rezeption: Es ist bedenklich, daß die heutige Rezeption der Komponistin noch immer von diesem Bild der zerstörerischen Verführerin – das allerdings keine Faszination mehr, sondern nur

1 Definitionen nach: Roster, Danielle: Allein mit meiner Musik. Komponistinnen in der europäischen Musikgeschichte, Echternach 1995, S.182 u. S.185/186. 2 Vgl. Schickedanz, Hans-Joachim: Femme fatale. Ein Mythos wird entblättert, Dortmund 1983, S.34. 3 Vgl. Artikel Femme fatale, in: Brockhaus Enzyklopädie Bd. 7, Mannheim 1988, S.189. 4 Vgl. Anderson, Harriet: Vision und Leidenschaft. Frauenbewegung im Fin de Siècle Wiens, Wien 1994, S.10. 5 Weininger, Otto: Geschlecht und Charakter. Eine prinzipielle Untersuchung, München 1997 [Reprint der 1. Aufl., Wien 1903].

1 noch Empörung hervorruft – bestimmt wird und alle anderen Aspekte ihrer Persönlichkeit vollkommen in den Hintergrund gedrängt werden.6

Nicht nur das Bild der Femme fatale, sondern auch das der Muse erlebte in den Biografien der 1980er Jahre ihre Renaissance. Das Zeitalter der inspirierenden weiblichen Muse für das männliche Genie als Klischee des 19. Jahrhunderts wird dort reproduziert.7 In dieser Arbeit werde ich mich mit der Frage beschäftigen, welches Bild Alma Mahlers entworfen wurde, aber auch damit, welches Bild sie selbst in ihren autobiografischen Schriften von sich entworfen hat. Relevant ist dabei nicht die Suche nach einer vermeintlichen Wahrheit in ihrem Lebenslauf, sondern die Analyse dessen, was nach ihrem Tod durch sie selbst und durch andere von ihr verbreitet wurde, d.h. welches Bild oder welche Legende bis heute von dieser Frauengestalt gezeichnet wird. Da die Rezeption und Bewertung musikalischer Werke von der öffentlichen Wahrnehmung des Komponisten oder der Komponistin abhängig ist, wird es aufschlussreich sein, welchen Stellenwert ihre musikalisch-kompositorische Arbeit in den (auto-) biografischen Werken einnimmt. Meine These ist also, dass die geringe musikwissenschaftliche Beschäftigung mit den erhalten gebliebenen Liedern auf das Bild Alma Mahlers als Femme fatale oder Muse zurückzuführen ist, das andere Aspekte ihrer Persönlichkeit – wie ihre Tätigkeit als Komponistin – außer Betracht lässt. Nach der Beschreibung der Quellenlage und der Vorgehensweise im Umgang mit den Quellen werden die Autobiografien und Biografien auf den Aspekt hin analysiert, welche Sicht auf die Person Alma Mahlers dort entworfen wurde und welche Auswirkungen dies auf die Betrachtung ihrer Kunst hat. Diese Analyse folgt der jüngsten Autobiografieforschung, die die Autobiografie nicht mehr als einen Text versteht, „der auf einem privilegierten apriorischen Zugang des Autobiographen zu seinem Selbst beruhte, sondern [...] als fiktiver Entwurf betrachtet werden“ 8 muss. Die Besonderheit des Themas liegt darin, dass 1997 – etwa ein Jahrzehnt nach dem Erscheinen der meisten Biografien – Alma Schindlers frühe Tagebücher

6 Roster: S.182. 7 Vgl. Roster: S.185. 8 Finck, Almut: Autobiographisches Schreiben nach dem Ende der Autobiographie, hrsg. von Gerhard Neuman, Ina Schabert, (=Geschlechterdifferenz und Literatur, Publikationen des Münchner Graduiertenkollegs) Bd.9, Berlin 1999, S.11.

2 unter dem Titel Alma Mahler-Werfel: Tagebuch-Suiten 1898-1902 veröffentlicht wurden,9 dem Zeitraum also, in dem sie nachweislich am meisten komponiert hat. Der Inhalt dieser frühen Tagebücher wurde aus Gründen der schwierigen Lesbarkeit von Alma Schindlers Handschrift kaum in den Biografien verwendet, obwohl sie den BiografInnen zur Verfügung standen.10 Daher ist es besonders interessant, ob die Publikation der Tagebuch-Suiten an der Sicht auf die Person und die Komponistin Alma Schindler-Mahler-Werfel etwas geändert hat oder nicht. Die Tagebücher sind Quellen, die es ermöglichen, den Bedingungen ihrer künstlerischen Arbeit und ihrem Studium bei Josef Labor und Alexander Zemlinsky auf die Spur zu kommen. Im Mittelpunkt dieser Arbeit wird also die Komponistin Alma Schindler stehen, deren künstlerische Lehrzeit schwankend zwischen Selbstausdruck und Professionalisierung anhand der Tagebuch-Suiten nachgezeichnet werden wird. Professionalisierung der Kompositionstätigkeit meint in diesem Zusammenhang stets den Prozess, kompositorisches Talent durch musikalische Bildung zu vervollkommnen, aber dabei nicht unbedingt ein bestimmtes Berufsbild anzustreben. Vom Komponieren allein war das finanzielle Auskommen nicht gesichert. Die zum Verdienen des Lebensunterhalts notwendigen musikalischen Berufe – wie eine Stelle als Dirigent – waren aber Frauen nicht zugänglich. Um über Komponistinnen des 19. Jahrhunderts überhaupt sprechen zu können, darf deshalb nicht der ausgeübte Beruf im Vordergrund stehen, sondern der professionelle Umgang mit der Kompositionstätigkeit. Die Betrachtung von Alma Schindler als Komponistin wird sich von der Kunst-, Literatur- und Musikrezeption über ihre Musikausübung an die eigene kompositorische Tätigkeit und ihre Kompositionen annähern. Die erhaltenen Lieder werde ich im Rahmen der Tagebuch-Suiten als Dokumente ihrer Lehrzeit einordnen und exemplarisch analysieren. Dabei richtet sich das Augenmerk weniger auf musiktheoretische Aspekte, als auf ihren biografischen und gesellschaftlichen Kontext.

9 Mahler-Werfel, Alma: Tagebuch-Suiten 1898-1902, hrsg. von , Susanne Rode- Breymann, Frankfurt/ Main 1997. Aus den Tagebuch-Suiten zitierte Stellen werden im Folgenden durch „Tagebuch-Suiten und Datum“ ausgewiesen. 10 Vgl. Einleitung der Tagebuch-Suiten S.VII.

3 Anhand der mir vorliegenden Rezensionen der Tagebuch-Suiten werde ich abschließend diskutieren, ob sich das Bild Alma Mahler-Werfels als Muse oder Femme fatale fortgesetzt hat oder ob die Tagebuch-Suiten eine neue Lesart im Hinblick auf sie als Komponistin hervorgerufen haben.11 In Bezug auf das Namensproblem werde ich den jeweils geltenden Namen von Alma Schindler-Mahler-Gropius-Werfel benutzen. Dieser Namensgebrauch widerspricht dem üblichen Umgang, die Komponistin familiär Alma zu nennen. Während die Männer ausnahmslos respektvoll mit Vor-und Nachnamen oder nur mit Nachnamen genannt werden, wird die Komponistin selbst nur äußerst selten mit ihrem vollständigen Namen genannt, sondern familiär als Alma bezeichnet, wobei solch kuriose Formulierungen wie „Alma und Mahler“, „Alma und das Genie Kokoschka“ usw. die Regel sind (man stelle sich die umgekehrte Formulierung nur vor: „Mahler-Schindler und Gustav“, „das Genie Mahler-Schindler und Oskar“).12

Um einen besseren Überblick über das Leben Alma Mahler-Werfels ermöglichen, ist der Arbeit eine Zeittafel angefügt.

2. Quellenlage

Die Erläuterung des Quellenmaterials halte ich aus dem Grund für sinnvoll, dass ich entgegen dem üblichen Gebrauch – neben den Tagebüchern, Briefen, Liedern und Autobiografien – die Biografien zu den Primärquellen zähle. Die Arbeit zielt nicht auf die Rekonstruktion von Alma Mahler-Werfels Leben, sondern auf das Bild, das sie von sich in den Autobiografien entwirft und das von den BiografInnen reproduziert wird.

2.1. Die Tagebuch-Suiten

Die frühen Tagebücher Alma Schindlers entstanden zwischen dem 25. Januar 1898 und dem 16. Januar 1902, d.h. zwischen ihrem 18. und 22. Lebensjahr. Das Autograf befindet sich im Nachlass Alma Mahler-Werfels und Franz Werfels in

11 An dieser Stelle bedanke ich mich bei der Mitherausgeberin der Tagebuch-Suiten, Susanne Rode-Breymann, die mir die Rezensionen zur Verfügung gestellt hat. 12 Roster: S.185.

4 der Mahler-Werfel Collection der Van Pelt Library, Special Collections, University of Pennsylvania in Philadelphia.13 Die 22 blau eingeschlagenen Hefte, von Alma Schindler „Suiten“ genannt, sind die Suite 4-25. Der Verbleib der Suiten 1-3 ist nicht bekannt. Anhand der verschiedenen Tinten und Schriftzüge lässt sich ablesen, dass Alma Mahler- Werfel ihre Tagebücher später mehrmals durchgesehen und korrigiert hat. Möglicherweise plante sie, die Tagebücher herauszugeben, da sie sie wenige Monate vor ihrem Tod noch einmal gründlich durchsah. In den ausführlichen Anmerkungen der Herausgeber sind diese Änderungen und Korrekturen kenntlich gemacht. Weiterhin sind Konzertbesuche, Adressen ihres Bekanntenkreises, Erklärungen zu Personen ihres Umfeldes u.ä. dort detailliert recherchiert beigefügt. Einige Zeichnungen Alma Schindlers sind als Faksimile in den Tagebuch-Suiten abgedruckt. Erinnerungsstücke, wie Briefe, Postkarten oder Fotos, sind im Anmerkungsapparat erwähnt. Alma Schindler schrieb beinahe täglich in ihr Tagebuch. Aus diesem Grund sind augenblickliche Stimmungen und Erlebnisse unmittelbar ausgedrückt. Bezogen auf meine Frage nach der Selbstinszenierung messe ich den Tagebuch-Suiten trotz der späteren Überarbeitungen eine größere Unmittelbarkeit als den anderen Quellen bei. Da das Führen eines Tagebuches für gewöhnlich intim und nicht für die Augen anderer Menschen bestimmt ist, fällt das Motiv der Selbstdarstellung hier weg.

2.2. Die Briefe

Die Briefe werden im Interpretationsteil zum Selbstentwurf Alma Mahlers nicht gesondert vorkommen, da nur noch die Briefe Gustav Mahlers und Alexander Zemlinskys an sie existieren und nicht ihr Gegenpart. Über den Selbstentwurf Alma Mahler-Werfels sagen sie deshalb nichts aus. Angeführt werden diese Briefe an den Stellen, wo sie über die Tagebücher, Lieder, Autobiografien und Biografien hinaus Informationen über die Komponistin liefern.

13 Diese Angaben über die Authentizität der Tagebuch-Suiten entnehme ich dem Arbeitsbericht

5 2.2.1. Die Briefe Gustav Mahlers an Alma Schindler-Mahler14

Für die Frage nach dem Selbstentwurf Alma Mahler-Werfels ist relevant, welche Briefe durch sie veröffentlicht wurden und welche nicht. Schon 1924 brachte sie Gustav Mahlers Briefe (1877-1911) im Paul Zsolnay Verlag, Wien/Berlin/Leipzig heraus. Die Publikation des zweiten Bandes, der ihre Erinnerungen und die Briefe Gustav Mahlers an sie beinhalten sollte, wurde immer wieder verschoben, da Alma Mahlers unverhüllte Angriffe auf noch lebende Personen das Risiko in sich bargen, Gerichtsverfahren zu evozieren. Im Jahre 1939 waren die meisten der von Alma Mahler angegriffenen Personen (z.B. die Geschwister und Jugendfreunde Gustav Mahlers) verstorben. Durch die Wirren des Krieges verschob sich die Drucklegung der Erinnerungen und Briefe. Sie wurden schließlich 1940 in Amsterdam publiziert, so dass der Zugriff des österreichischen und deutschen Bekanntenkreises auf das Buch bis Kriegsende erschwert war. Die Erinnerungen und Briefe enthalten 197 Briefe, davon 159 an Alma Mahler. Auslassungen und Korrekturen stammen von ihr. Vor der Drucklegung nahm sie noch verschiedene Änderungen vor, was in den Originalen der Typoskripte nachzuvollziehen ist. Den Versuch einer ersten wissenschaftlich-kritischen Ausgabe verfasste Donald Mitchel Muray/ London 1968 (dt. Übersetzung Berlin 1971). Bei allen Editionen blieb man immer bei dem Bestand der von Alma Mahler vorgelegten Quellen. In Ein Glück ohne Ruh‘ (GoR), herausgegeben von dem Mahler-Biografen Henry- Louis de la Grange und Günther Weiß, sind 1995 erstmals alle zugänglichen Briefe Gustav Mahlers an Alma Mahler (349 Briefe) in einer Edition vereint worden. Aus welchen Gründen Alma Mahler-Werfel die bis zu diesem Zeitpunkt unveröffentlichten Briefe nicht herausgebracht hatte, muss offen bleiben. Der Nachlass bzw. Kopien und Filme der Autografen Gustav Mahlers, sowie die Typoskripte der Erinnerungen und Briefe liegen heute in der 1985 durch de la Grange gegründeten Bibliothèque Musicale Gustav Mahler in Paris.

der Herausgeber, Tagebuch-Suiten: S.755. 14 Die Darstellung der Quellenlage dieser Briefe folgt dem Vorwort und dem Quellenbericht in: de La Grange, Henry-Louis, Weiß, Günther (Hrsg.): Ein Glück ohne Ruh‘. Die Briefe Gustav Mahlers an Alma, Berlin 1995, S.7-15. Diese Briefedition wird im Folgenden mit GoR abgekürzt.

6 In Briefzitaten beziehe ich mich, falls nicht anders ausgewiesen, auf Glück ohne Ruh‘, bei Zitaten aus dem Teil Gustav Mahler. Erinnerungen auf die Neuauflage von 1991, die als Taschenbuchausgabe ohne Briefe ediert wurde.15

2.2.2. Die Briefe Alexander Zemlinskys an Alma Schindler

Die Briefe des Kompositionslehrers Alexander Zemlinsky an Alma Schindler sind noch nicht veröffentlicht. Das Typoskript liegt zusammen mit den Originalbriefen in der Van Pelt Library, Special Collections an der University of Pennsylvania in Philadelphia. Zwar liegen mir die Briefe nicht vor, Juliane Urban arbeitete jedoch in ihrer Magisterarbeit16 mit einer Kopie des Typoskripts, die sich in der Bibliothèque Musicale Gustav Mahler in Paris befindet. Urban hat in ihrer Studie über die Lieder Alma Mahler-Werfels geb. Schindler die auch für diese Arbeit relevanten Teile des Briefwechsels, die die Studienzeit Alma Schindlers bei Alexander Zemlinsky betreffen, dokumentiert, so dass ich mich darauf beziehen werde. Im Kontext dieser Arbeit sind die Briefe Zemlinskys zusammen mit den Tagebüchern und den Autobiografien für die Rekonstruktion der Lehrzeit Alma Schindlers von Interesse.

2.3. Die Lieder

Die Lieder Alma Schindler-Mahlers lassen sich mit Hilfe der Tagebuch-Suiten in den Kontext ihrer Entstehung einordnen. Die Gedichtwahl, die Wahl der Gattung Klavierlied, sowie die Lieder als Produkte der Lehrzeit bei Josef Labor und Alexander Zemlinsky sind Zeugnisse der Bedingungen künstlerischer Arbeit und der Tätigkeit Alma Schindlers als Komponistin. Der Entstehungszusammenhang der Lieder ist daher für die Fragestellung dieser Arbeit von größerer Bedeutung als eine musiktheoretische Analyse, die in

15 Mahler, Alma: Gustav Mahler- Erinnerungen, Frankfurt/ Main 1991. 16 Urban, Juliane: Die Lieder von Alma Mahler-Werfel geb. Schindler, Magisterarbeit Freie Universität Berlin 1994, S.72-84.

7 ausführlicher Form den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde bzw. Thema einer eigenen Arbeit wäre.

2.4. Autobiografische Schriften

Die Rezeption der literarischen Gattung Autobiografie ist im Verlauf der letzten zwei Jahrzehnte einem Wandel unterzogen worden, der heute zu einem neuen Verständnis in der Forschung geführt hat. Nach herkömmlicher Definition steht die Gattung Autobiografie im Zusammenhang mit der Herausbildung des männli- chen, bürgerlichen Selbstbewusstseins, dass seit dem 18. Jahrhundert als Mittel benutzt wurde, eine bürgerliche Identität und gesellschaftliche Stellung zu erringen.17 Autobiografien von Frauen sind in dieser Zeit selten, da ihre Aufgabe nicht in dem Erlangen einer solchen Identität lag. Eine gelungene Autobiografie nach dem Muster der damaligen Zeit konnte also nur von einer Frau geschrieben werden, die gegen die bürgerliche Gesellschaft verstoßen hatte. Die Veröffentli- chung dieser Verstöße in einer Autobiografie geschah also meistens zu ihrem Nachteil. Autorinnen beschrieben sich häufig als Romanheldinnen, die der bürgerlichen Gesellschaft gegenüber keine spezifische Verantwortung zu tragen hatten.18 Erst seit Ende des 19. Jahrhunderts konnte eine Frau ihr Ringen um Beruf oder politisches Engagement in Autobiografien beschreiben. Auf die Autobiografien Alma Mahler-Werfels trifft – trotz des späteren Zeit- punkts der Publikation – davon zu, dass sie sich als eine Frau beschrieb, die durch mehrere Affären und Ehen gegen das bürgerliche Moralverständnis verstieß. Sie erlangte gerade dadurch einen großen Bekanntheitsgrad, mit der Folge, dass eigenständiges kompositorisches Engagement nicht mehr beschrieben wurde. Aus diesem Grund betrachte ich die autobiografischen Schriften Alma Mahler- Werfels – anders als die Tagebücher – mehr als Dokumente ihrer Selbstfindung und ihres Selbstentwurfes innerhalb der von ihr verinnerlichten bürgerlich- patriarchalen Gesellschaft denn als authentische Lebensberichte. Meine Perspek- tive zielt weniger auf lebensgeschichtliche Tatsachen als auf den Mythos, den Alma Mahler-Werfel durch diese Art zu schreiben von sich entwarf.

17 Vgl. Goodman, Katherine R.: Weibliche Autobiographien, in: Frauen – Literatur – Geschichte, hrsg. von Hiltrud Gnüg, Renate Möhrmann, 2.Aufl. Stuttgart 1999, S.166. 18 a.a.O.: S.168.

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2.4.1. Gustav Mahler. Erinnerungen und Briefe

Wie bereits erwähnt, publizierte Alma Mahler 1940 die Sicht auf ihr Leben mit Gustav Mahler. In diesem Buch beschreibt Alma Mahler die Zeit von ihrem Kennenlernen 1901 bis zum Tod Gustav Mahlers 1911. Die Zitate beziehen sich, falls nicht anders ausgewiesen, auf die jüngste Ausgabe von 1991, die ohne Briefe erschien.

2.4.2. And the bridge is love19

Diese im amerikanischen Exil entstandene Autobiografie Alma Mahler-Werfels wird in ihrem Wahrheitsgehalt am meisten angezweifelt, da sie wegen mangelnder Englischkenntnisse Alma Mahler-Werfels in Zusammenarbeit mit E.B. Ashton entstand. Deshalb ist es schwierig einzuschätzen, wie groß ihr eigener Einfluss auf die Autobiografie gewesen ist.20

2.4.3. Mein Leben21

Die deutsche Autobiografie Alma Mahler-Werfels weicht in vielen Punkten von der englischen Edition ab. Karen Monson traut „dank der einfühlsamen Bearbei- tung von Willy Haas“22 dieser Autobiografie einen größeren Wahrheitsgehalt zu. Im Gegensatz zur englischen Ausgabe hatte Alma Mahler-Werfel die deutsche vor Drucklegung lesen können. Monson zufolge habe sie aber unbegründet gedroht, die Verleger zu verklagen.23 Der Grund für Alma Mahler-Werfels angebliche Un- zufriedenheit mit der Ausgabe wird weder bei Monson noch an einem anderen Ort spezifiziert.

19 Mahler-Werfel, Alma (in Zusammenarbeit mit E.B. Ashton): And the brigde is love, New York 1958. 20Vgl. dazu: Monson, Karen: Alma Mahler-Werfel. Die unbezähmbare Muse, (London 1983) aus dem Englischen übersetzt von Renate Zeschitz, München 1985, S.316. 21Mahler-Werfel, Alma: Mein Leben, Frankfurt 1960. 22Monson: S.319. 23 a.a.O.: S.319.

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2.5. Biografien

An dieser Stelle werden die drei Biografien von Berndt W.Wessling, Karen Monson und Franςoise Giroud aufgenommen.24 Bezüglich der Fragestellung nach dem Bild Alma Mahler-Werfels, bekommen die Biografien den Status von Primärquellen. Wie bereits die Buchtitel bezeugen, legt meine Perspektive den Umgang der Bio- grafien als Primärquellen nahe. Sie werden auf die Fragen hin durchleuchtet, welches Bild von Alma Mahler und von ihr als Komponistin gezeichnet wurde, auf welche Quellen sich die BiografInnen bezogen – falls dies nachzuvollziehen ist – und welche Widersprüche möglicherweise zwischen Biografien, Tagebü- chern und Briefen existieren. Wie bereits erwähnt, beziehen sich die BiografInnen fast nie auf die bis zum Zeitpunkt der Entstehung der Biografien noch unveröf- fentlichten Tagebücher, sondern mehr auf die Autobiografien und die z.T. dort von Alma Mahler-Werfel zitierten Tagebuchstellen. Obwohl sie auf der einen Seite die Authentizität der Autobiografien in Frage stellen,25 benutzen sie auf der anderen Seite diese in den Autobiografien zitierten Tagebuchstellen, als handele es sich um tatsächliche Tagebucheinträge.

3. Die Darstellung Alma Mahlers

In diesem Kapitel wird anhand der Autobiografien und der Biografien nachvoll- zogen, welches Bild durch Alma Mahler-Werfel selbst und durch ihre BiografInnen von ihr als Komponistin und Persönlichkeit gezeichnet wurde. Es wird verdeutlicht werden, inwieweit Parallelen zwischen Autobiografien und Biografien zu finden sind. Ziel dieser Analyse wird es sein, den Zusammenhang zwischen der Perspektive auf Alma Mahler-Werfel und der Bewertung ihrer Kompositionstätigkeit und ihrer Kompositionen herauszuarbeiten.

24 Wessling, Berndt W.: Alma. Gefährtin von Gustav Mahler, , , , Düsseldorf 1983, Monson: a.a.O. Giroud, Franςoise: Alma Mahler oder die Kunst geliebt zu werden (Paris 1988), aus dem Französischen übersetzt von Ursel Schäfer, Wien/ Darmstadt 1989. 25 Monson: S. 316/ 319.

10 Da es in dieser Arbeit um die Sicht auf Alma Mahler-Werfel als Komponistin geht, wird in der Analyse besonders der Zeitraum der Jugendzeit bis zur Hochzeit mit Gustav Mahler berücksichtigt, in dem sie kompositorisch am meisten tätig war. Nur die Zeit von 1898-1902 ist durch die Tagebuch-Suiten belegt, so dass die Versionen in den Autobiografien und Biografien den Schilderungen in den Tage- büchern gegenübergestellt werden können. Um die Darstellung der (Auto-) Biografien auch über die Jugendzeit hinaus umfassend beurteilen zu können, fehlt den Tagebuch-Suiten entsprechendes Quellenmaterial. Schon aus den Zitaten der Autobiografien und Biografien wird deutlich werden, welche Perspektive auf Alma Mahler als Persönlichkeit und Komponistin verfolgt wird.

3.1. Die Selbstinterpretation in den Autobiografien

Was schreibt eine Frau mit knapp 80 Jahren über ihr Leben? Aus welchem Grund hinterlässt sie der Nachwelt eine Autobiografie? Welche Ereignisse ihres Lebens finden Eingang in eine solche Autobiografie, welche nehmen einen breiten Raum ein, welche einen geringeren und welche werden dabei weggelassen? Anhand solcher Fragen lässt sich der Spannung zwischen Selbstfindung und Selbstentwurf in ihren Autobiografien auf die Spur kommen. Als Selbstfindung kann der Prozess beschrieben werden, bei dem sie zum Ende ihres Lebens ihre eigene Position mit der Frage nach dem Lebenssinn, zu finden versuchte. Zeitlebens in Künstlerkreisen verkehrend, hatte sie zwar Kontakt mit vielen namhaften Künstlerpersönlichkeiten ihrer Zeit, hatte ihre eigene künstlerische Begabung im Hinblick auf eine mögliche Professionalisierung aber nicht verwirklicht. Als Selbstentwurf kann deshalb die Inszenierung ihres Lebens in der Mitte dieser Künstlerkreise gesehen werden. In ihren autobiografischen Schriften hat sie von sich das Bild einer berühmten Muse entworfen. So hat sie die Professionalisierung der Kompositionstätigkeit zwar nicht erreicht, errang aber durch die Selbstinsze- nierung als weiblicher Mittelpunkt der männlich dominierten Wiener Künstlerkreise eine gewisse Berühmtheit. Im Rückblick auf ihr Leben wurde aus dem Künstlerindasein mit eigenem künstlerischen Schaffensprozess ein Leben als

11 Kunstwerk an der Seite berühmter Männer der Jahrhundertwende. Auf diese Weise entstand ein Selbstporträt, das der Weiblichkeitstypologie der Muse und der Femme fatale im Fin de Siècle perfekt entsprach und gleichzeitig das der Mutter aussparte. In den Autobiografien wird also der Eindruck erweckt, dass Alma Mahler nie ein besonderes Interesse an ihrer Mutterschaft und an ihren Kindern hatte. Aus den autobiografischen Schriften erfährt man deshalb stets mehr über ihre Männer als über sie selbst. Die Autobiografien stehen auf der Literaturliste der WissenschaftlerInnen und Interessierten, die über das Leben von Gustav Mahler, Oskar Kokoschka, Franz Werfel, Alexander Zemlinsky und anderen etwas erfahren wollen. Hinzu kommt, dass Mein Leben und And the bridge is love im amerikanischen Exil entstanden sind. Durch den Verlust des Ortes und die Entwurzelung aus dem heimatlichen Wien entstand ein undeutliches Bild der Vergangenheit. Die alten Wiener Weiblichkeitsimaginationen (man denke an Otto Weininger oder Karl Kraus), die Weiblichkeit für den männlich-künstlerischen Schaffensprozeß vereinnahmten, legten sich wie Blattgold auf die verschwommenen Bilder der Erinnerung und gaben ihm wertvollen Glanz.26

Aus diesem Zitat wird deutlich, dass Alma Mahler-Werfel diese Weiblichkeitsbil- der soweit verinnerlicht hatte, dass sie ihr Leben rückblickend in ein Licht rückte, ihm auch ohne eigene Berühmtheit als Komponistin Glanz zu verleihen. Spätestens seit der Heirat mit Gustav Mahler war ihr Leben darauf eingerichtet, den „Wiener Weiblichkeitsimaginationen“ zu entsprechen. Also beschrieb sie ihr Leben als die „Perfekteste aller Musen“ und die „Gefährlichste aller Femmes fatales“. Im bürgerlichen Rahmen verschaffte ihr das die Legitimation, die sie brauchte, um eine Autobiografie schreiben zu können. In der Rolle der Femme fatale verstieß sie gegen die bürgerliche Moralvorstellung, in der Rolle der Muse erfüllte sie dagegen die Erwartungen der Männerwelt, das eigene Talent dem männlichen Genie unterzuordnen. Ihr Ringen um Anerkennung ihres musikali- schen Talentes konnte unter solchen Voraussetzungen keinen Eingang in die Autobiografien finden, denn hinter der Beschreibung der Rollen fand sich kein Platz für eine eigene Identität.

26 Rode-Breymann, Susanne: Die Komponistin Alma Mahler-Werfel, hrsg. von Niedersächsische Staatstheater GmbH, Brigitta Weber, Hannover 1999, (=Prinzenstraße – Hannoversche Hefte zur Theatergeschichte, Heft 10) S.11.

12 In diesem Zusammenhang ist bezeichnend, dass sie sich im ersten (auto-) biografischen Werk ihrem Leben mit Gustav Mahler widmet. Sie beschreibt, wie sie ihr Leben hinter Gustav Mahlers Leben zurückgestellt habe, und über sie selbst erfahren LeserInnen fast gar nichts. Dergestalt waren meine Erlebnisse. Ich hatte keine eigenen mehr, [...] denn ich blieb ein Mädchen neben ihm, [...] die Mutter der Kinder, die Hausfrau.27

Zwischen der Publikation von Gustav Mahler. Erinnerungen und Briefe und den beiden anderen Autobiografien liegen fast 20 Jahre im Exil.

3.1.1. Die Darstellung der Jugend- und Ausbildungszeit

Ich träumte von Reichtum nur darum, um schöpferischen Menschen die Wege zu ebnen.28

Dieses Zitat stammt aus dem Kontext der Beschreibung ihrer Jugendzeit. Dieser Zeitraum, der in den Tagebuch-Suiten auf 750 Seiten so ausführlich nachzuvoll- ziehen ist, beschreibt Alma Mahler-Werfel rückblickend in Mein Leben auf nur 30- und in And the bridge is love auf 21 Seiten.29 Mit Zitaten wie diesen gibt sie die Perspektive vor, aus der sie ihr Leben von der Nachwelt betrachtet haben möchte. Dabei schweigt sie über ihr Wanken in der Entscheidung zwischen Professionalisierung der Kompositionstätigkeit und dem traditionellen Dasein als Ehefrau, das aus den Tagebüchern hervorgeht. Dadurch hinterlässt sie den Ein- druck, als sei ihr Leben schicksalhaft ineinandergefügt gewesen. And the bridge is love beginnt mit einer Episode aus dem Jahre 1915 als Alma Mahler-Gropius ein Gedicht Franz Werfels (Der Erkennende) in die Hände fällt, das sie sofort in Musik setzte.30 Diesem Prolog, der ihre eigene kompositorische Arbeit voranstellt, folgt eine ausführliche Beschreibung der künstlerischen Abstammung väterlicherseits. Der Mutter, die bis zu ihrer Hochzeit Sängerin gewesen war, und ihre Karriere wegen ihrer Ehe aufgegeben hatte, widmet sie nur einen kurzen Absatz. Auffällig in beiden Autobiografien ist dabei, dass Alma Mahler-Werfel es vermeidet, sich selbst zu charakterisieren. Selten tritt sie als aktiv Handelnde in Erscheinung, sondern stets verschwindet ihre Persönlichkeit

27 GME: S.140/141. 28 Mein Leben: S.16. 29 Mein Leben umfasst 370 Seiten – And the bridge is love 308 Seiten. 30 And the bridge is love: S.3/4.

13 hinter der ausführlichen Darstellung der Menschen ihres Umfeldes. Die Jugendzeit interpretiert sie immer in Bezug auf ihren Vater , der verstarb als sie 13 Jahre alt war. Ich war gewohnt gewesen, ihm [dem Vater] alles zu Gefallen zu tun, meine ganze Eitelkeit und Ehrsucht hatte als einzige Befriedigung den Blick seiner verstehenden Augen gehabt.31

Aus psychoanalytischer Sicht lässt sich diese Vater-Tochter-Beziehung folgendermaßen beschreiben: Lieblingstöchter bleiben die Opfer ihrer Idee. [...] Hinter der scheinbar gut funktionierenden Fassade spielt sich gerade bei Lieblingstöchtern ein dramatisches Gefühlsleben ab. Denn die Autorität des Vaters kann von ihnen nie in Frage gestellt werden, sie bleiben gefangen in der Ausstrahlung des Mannes. Trotz ihrer Fähigkeiten müssen sie kleiner bleiben als er. [...] So bleiben Lieblingstöchter als gute Vater-Töchter trotz ihrer Fähigkeit und Intelligenz – in ihrem Gefühl immer auf den Vater als Mann fixiert, ihm ordnen sie sich unter.32

Und auch die Darstellung ihrer Affinität zur Musik kann in diesem Sinne interpretiert werden. Ja, sie durfte begabt sein, sie wurde in ihrer Ausbildung gefördert, aber nur zum Glanze des Vaters. [...] Der Dressurakt zur Lieblingstochter führt direkt in die Vaterfalle, in die Unterwerfung, zur weiblichen Frau im männlichen Sinn.33

Die Musikausübung dient in ihrer rückblickenden Perspektive in Mein Leben mehr der Abgrenzung gegen ihre neue Familie mit , dem Schüler ihres Vaters, als neuen Stiefvater, und weniger der Professionalisierung. Diese Jugendjahre trennten mich innerlich vollkommen von meiner Umgebung. Die Umgebung wurde mir gleichgültig und die Musik dafür alles. Ich lernte bei dem blinden Organisten Josef Labor Kontrapunkt, raste durch die Musikliteratur und schrie alle Wagner-Partien herunter, bis mein schöner Mezzosopran zum Teufel war. Ich lebte in einem Musikwunder, das ich mir selber erfand. Im Sinne meines Vaters suchte ich mir nun die Helfer meiner Jugend in älteren wissenden Männern unseres Künstlerkreises.34

Musik wird in dieser Darstellung nicht als Mittel zur eigenen Identitätsbildung beschrieben, sondern eher als Erfüllung der Erwartungen des Vaters und der Abgrenzung gegen ihre neuen Familienverhältnisse. Im Rückblick spielt Alma Mahler-Werfel ihre musikalischen Ambitionen als „erfundenes Musikwunder“ herunter. Die Musik rückt in den Hintergrund, während ihre Interpretation der Wünsche des Vaters im Vordergrund steht.

31 Mein Leben: S.20. 32 Steinbrecher, Sigrid: Die Vaterfalle. Die Macht der Väter über die Gefühle der Töchter, Hamburg 1991, S.54. 33 Steinbrecher: S.55. 34 Mein Leben: S.20/21.

14 Auch ihr literarisches und künstlerisches Interesse knüpft an die Umgebung ihres Vaters an. Max Burckhard als literarischer Mentor und als Mitgründer der Wiener Sezession werden ihre väterlichen Freunde. Ihre erste große Liebe zu Gustav Klimt knüpft also an diesen väterlichen Umkreis an, und das Scheitern derselben führt sie auf den Einfluss ihrer Mutter zurück. Unsere Liebe wurde grausam zerstört durch meine Mutter. Ihr Ehrenwort brechend, studierte sie täglich mein Tagebuchstammeln und wußte so um die Stationen meiner Liebe.35

An den wenigen Stellen, an denen sich die Identifizierung mit der eigenen Musik herauslesen lässt, sind die Musik und die Kompositionen für die junge Alma Schindler stets Ausdruck eigener Gefühlszustände. Je mehr ich an dieser Liebe litt, desto mehr versank ich in meiner eigenen Musik, und so wurde mein Unglück zur Quelle meiner größten Seligkeiten.36

In solchen Zitaten lässt sich ihr Wunsch nach eigener Kompositionstätigkeit erahnen. Die Identifikation mit der Musik wird aber auch hier nicht offen ausgedrückt, sondern verschwindet hinter dem Liebesleid, das als Anlass zum Komponieren beschrieben wird. So ist auch der Kompositionsunterricht bei Alexander Zemlinsky an die Erwähnung ihrer Verliebtheit in ihn gebunden. Das Musikinteresse steht nie für sich allein. Meine wilde Komponiererei wurde durch , der mein Talent sofort erkannt hatte, in ernste Bahnen gelenkt. Ich komponierte von einem Tag zum anderen vielseitige Sonatensätze, lebte nur meiner Arbeit und hatte mich plötzlich von allem gesellschaftlichen Treiben zurückgezogen. Und niemand konnte sich mein Verhalten erklären. Es war fast selbstverständlich, daß ich mich in Zemlinsky, der ein häßlicher Mensch war, verliebte.37

Im Rückblick verschweigt Alma Mahler-Werfel ihr Hadern mit dem Wunsch nach professioneller Kompositionstätigkeit, das die Tagebücher in ihrer Unmittelbar- keit dokumentieren. In einer weiblichen Autobiografie war aber für die Beschreibung der eigenen Identität kein Platz. Die nachträgliche Auseinanderset- zung mit den Bedingungen ihrer künstlerischen Arbeit hätte nicht nur die Rollenvorgabe der Muse und Femme fatale gesprengt, sondern gleichzeitig Kritik an den eingeschränkten Möglichkeiten weiblicher Kunstausübung in der bürgerlichen Gesellschaft geübt.

35 Mein Leben: S.26. 36 Mein Leben: S.28. 37 Mein Leben: S.28.

15 Diese wenigen distanzierten Sätze lassen die Möglichkeit einer Professionalisie- rung also nur versteckt vermuten. Urteile über Alma Mahler als Komponistin, die sich auf ihre eigenen Schilderungen beziehen, kommen deshalb meist zu dem Ergebnis, dass die „wilde Komponiererei“ nur eine vorübergehende Laune der jungen Alma Schindler gewesen sein kann. Die Inhalte der Kompositionsstunden bei Zemlinsky finden keinen Eingang in die autobiografischen Schriften mit Ausnahme des folgenden vielzitierten Abschnittes, der die Wichtigkeit des Unterrichts dokumentiert, aber auch ihre Kontakte zur Wiener Künstlergesellschaft in den Vordergrund stellt. Er war ein grandioser Lehrer. Er nahm ein kleines Thema gleichsam in seine geistigen Hände, knetete es, formte es in unzählige Varianten. [...] Zemlinsky war der geborene Lehrer, und das allein war das Wesentliche, das Wichtigste für mich, und nicht nur für mich, sondern für die ganze Musiker-Generation dieser Epoche. Sein Können, seine Meisterschaft waren einmalig.38

Größeren Raum räumt Alma Mahler-Werfel dem Beginn ihrer Liebesbeziehung zu Zemlinsky ein. Diese Darstellung der ersten Intimität mit Alexander Zemlinsky ist ein Beispiel dafür, dass Alma Mahler bei der Konstruktion ihres Lebens als Kunstwerk möglicherweise einem literarischen Vorbild folgte. Die Stunden vergingen. Ich und er [Zemlinsky] waren mit gleicher Leidenschaft in unsere Aufgabe vertieft. Vorerst. Dann aber spielte er mir einmal ‚Tristan‘ vor, ich lehnte am Klavier, meine Knie zitterten...wir sanken uns in die Arme.39

Diese Szene ist nachweislich von Alma Mahler-Werfel im Nachhinein durch die Umarmung ergänzt worden. Wieder einmal steht dadurch nicht das gemeinsame Musikinteresse von Lehrer und Schülerin im Vordergrund. Die Tagebuch-Suiten bezeugen nur das gemeinsame Musizieren: Nach der Stunde spielte Zemlinsky so großartig Tristan! Wir sangen beide dazu. – Es war einzig. – Mir zitterten die Knie.40

Assoziativ liegt an dieser Stelle der Gedanke an Thomas Manns Erzählung Tristan nahe41. Auch hier wird die Spannung zwischen zwei Liebenden während des Musizierens der Oper Tristan und Isolde von Wagner geschildert. In der Er- zählung Manns kommt es zwar nicht zu einer körperlichen Annäherung zwischen „Herrn Spinell“ und der „Gattin Herrn Klöterjahns“,42 das literarisch-musikalische Motiv des Tristan ist aber durchaus auch in Alma Mahler-Werfels Autobiografie

38 Mein Leben: S.30. 39 Mein Leben: S.29, siehe außerdem: And the bridge is love: S.13. 40 Tagebuch-Suiten: 11.12.1900. 41 Mann, Thomas: Der Tod in Venedig, Frankfurt/ Main 1982, darin Erzählung: Tristan S.68-103. 42 Mann: S.91.

16 erkennbar. Natürlich ist meine Assoziation zu spekulativ, da man aber davon ausgehen kann, dass Alma Mahler-Werfel die Erzählungen Thomas Manns zum Zeitpunkt des Verfassens der Autobiografien kannte, ist eine Parallele der musikalisch-literarischen Motivik nicht ganz von der Hand zu weisen. Literarische Motive nehmen in Alma Mahler-Werfels Darstellungsweise damit einen größeren Raum ein als ihre eigentliche Persönlichkeit.

3.1.2. Die Darstellung des „Komponierverbots“

Die Hintergründe und Reaktionen auf den Brief Gustav Mahlers vom 19. Dezember 1901, in dem Gustav Mahler von seiner Verlobten verlangte, ihre Kompositionstätigkeit aufzugeben, wurde von Alma Mahler-Werfel später immer verdunkelt. Sie behauptete des öfteren, diesen Brief vernichtet zu haben43 und daher fand er keinen Eingang in die Editionen von Gustav Mahler. Erinnerungen und Briefe. Offenbar bestand für Alma Mahler-Werfel kein Interesse, die Umstände dieses Wendepunktes ihrer künstlerischen Laufbahn zu beleuchten. In beiden Autobiografien verschweigt Alma Mahler-Werfel die Einzelheiten des Briefes und reduziert ihn auf den Aspekt des „Komponierverbots“. Dies war die Ursache und der Anfang einer harten Leidenszeit für mich. Gustav Mahler forderte brieflich sofortiges Aufgeben meiner Musik, ich müsse nur der seinen leben. [...] Die Askese, die man sich selber diktiert, ist richtig; aber die, zu der man befohlen wird, wie das in meiner Ehe mit Gustav Mahler geschah, reizte mich bis an die Grenze des mir Ertragbaren. Übrigens: ich hatte Gustav Mahler niemals eine Note meiner Musik gezeigt. Wir heirateten am 9. März 1902 in der Karlskirche in Wien.44

Gedanken über Entscheidungsalternativen – die Mutter habe in Anbetracht der Tatsache, „daß ich von meinem achtzehnten Lebensjahr an nur der Musik gelebt hatte“45 vorgeschlagen, Gustav Mahler zu verlassen – verschleiert Alma Mahler- Werfel. Dass zumindest anfänglich die Situation noch nicht entschieden war, belegen die Tagebücher, wie noch gezeigt werden wird.46 Da aber auch die Bekanntschaft mit Gustav Mahler in Mein Leben in bloß einem Satz berichtet und die Qualität der Beziehung gar nicht erörtert wird, erscheint die

43Der Brief befindet sich in ungekürzter Fassung in: GoR, S.104-111. Trotz der Behauptung Alma Mahler-Werfels fand ihn de la Grange als Typoskript dann im Nachlass. Das Autograf entdeckte Weiß im Jahre 1989 bei einem privaten Sammler in den USA (GoR: S.493). 44 Mein Leben: S.31. 45 MeinLeben: S.31. 46 Vgl. Tagebuch-Suiten: 20.Dezember 1901.

17 Entscheidung zugunsten des Hofoperndirektors, der von ihr die Aufgabe ihrer Kompositionstätigkeit forderte, wie ein Bruch. An dieser Stelle steht die Selbstdarstellung als Muse im Vordergrund. Das Hadern um mögliche Entscheidungsalternativen hätten dieses Bild gefährdet. Auch And the bridge is love ergänzt die Informationen nur spärlich: After all, I wanted him. I calmed down and wrote him a letter promising what he wanted me to promise. And I have kept my word.47

Auch ohne Hinzuziehung der Tagebuch-Suiten wirken die Aussagen Alma Mahler-Werfels an dieser Stelle unstimmig. Weder die Entscheidungsmotive, noch mögliche Alternativen finden Eingang in die Autobiografien. Auffällig ist die Passivität, mit der Alma Mahler-Werfel den Ablauf der Dinge darstellt. Indem sie die Szene als bedingungslose Kapitulation darstellt, fügt sie sich auch im autobiografischen Rückblick in die gängigen Vorstellungen von Weiblichkeit. Nach der Hochzeit begann ihrer Darstellung zufolge eine schwierige Eingewöh- nungszeit an den strengen Tagesablauf Gustav Mahlers. Sie schreibt, ihre Musik zu vermissen, aber nicht, ihre Situation verändern zu wollen. Ich habe meine Kompositionen wieder gespielt, meine Klaviersonate, meine vielen Lie- der. Ich fühle es wieder – Das! Das! Das! Ich sehne mich, wieder zu produzieren.[...] Ich muß meine Klavierstunden wieder aufnehmen! Komponieren darf ich ja nicht. Ich will wieder ein geistiges Innenleben führen, wie ehedem.48

Nicht nur die Art der Berichterstattung, sondern auch die Art des Schweigens tei- len mit, wie Alma Mahler-Werfel diesen Wendepunkt ihrer künstlerischen Lauf- bahn betrachtet haben möchte. Sie selbst mit ihren eigenen Vorstellungen findet dabei keinen Eingang in die Autobiografien. Ihre Reaktionen wirken fremdbe- stimmt. Ähnlich stellt sie die Situation dar, als Gustav Mahler 1910 ihre Lieder wiederentdeckt. In besonderer Kürze beschreibt sie das Ergebnis ihres jahrelangen Verzichts. Er war hingerissen von der Situation – ich nicht, denn zehn Jahre verlorene Entwicklung sind nicht mehr nachzuholen. Es war ein galvanisierter Leichnam, den er neu beleben wollte.49

Alma Mahler-Werfel scheint Wert darauf gelegt zu haben, den Verzicht auf ihre Musik in ganzer Endgültigkeit darzustellen. Aus den Autobiografien ist höchstens

47 And the bridge is love: S.19. 48 Mein Leben: S.36/37. 49 Mein Leben: S.48.

18 aus der bereits zitierten Passage von 1903, als sie ihre Kompositionen spielt, eine weitere Auseinandersetzung mit der eigenen Musik zu erkennen. Ob Alma Mahler ihre Komponiertätigkeit wirklich aufgegeben hat, wird im Laufe der Arbeit bei der Hinzuziehung der Briefe Zemlinskys noch zu erörtern sein. Fest steht an die- ser Stelle, dass Alma Mahler-Werfel die differenzierte Darstellung ihres Entschei- dungsprozesses vermied, um von sich ein Bild als Muse neben dem Genie Gustav Mahlers zu zeichnen. In diesen Abschnitten der Autobiografien vermittelt sie den Eindruck, sie habe während ihrer Ehe mit Mahler nie wieder komponiert. Fünf Jahre nach Mahlers Tod ist von diesem grundsätzlichen Verzicht keine Rede mehr. Im Jahre 1915 komponierte sie, wie sie selbst berichtet, das Lied Der Erkennende nach einem Gedicht von Franz Werfel: Ich kaufte mir die letzte Ausgabe der Monatsschrift ‚Die weißen Blätter‘, [...] und mein erster Blick fiel aus das Gedicht ‚Der Erkennende‘ von Franz Werfel. Das Gedicht schlug über mir zusammen...ich war vollkommen gebannt und der Seele Franz Werfels ausgeliefert. Das Gedicht gehört zu dem Schönsten, was ich überhaupt kenne. Ich habe, auf den Semmering zurückgekehrt, das Gedicht komponiert.50

Aus welchem Grund war es Alma Mahler an dieser Stelle nun doch möglich, den „galvanisierten Leichnam“ wiederzuerwecken? Hatte sie nach Mahlers Tod oder bereits vorher wieder komponiert? Wie kommt es, dass sie hier ihre Komponier- tätigkeit erstmals wieder explizit erwähnt? Die Endgültigkeit ihres Verzichts auf eigene Musik erfährt an dieser Stelle einen Bruch. Die aufgeworfenen Fragen sind anhand der Autobiografien nicht zu beantworten. Insgesamt lässt sich jedoch beobachten, dass Alma Mahler-Werfel in den Auto- biografien sich selten selbst beschreibt. Die Charakterisierung ihrer Person geschieht stets durch andere. Berichte über eigene Wünsche sind verflochten mit ihrer Selbstdarstellung in der Rolle der Muse oder der Femme fatale. Damit er- füllte sie die Erwartungen an weibliche Autobiografieschreibung, in der die eigene Identität hinter der Beschreibung der Rolle zurücktritt.

50 Mein Leben: S.82.

19

3.2. Die Charakterisierung Alma Mahler-Werfels in den Biografien

Da es nicht Ziel dieser Arbeit ist, eine neue Biografie über Alma Mahler-Werfel zu schreiben, werde ich anhand ausgewählter biografischer Ereignisse die Sichtweisen der AutorInnen auf Alma Mahler-Werfel herausarbeiten und gegenüberstellen. Wie auch schon in der Analyse der Autobiografien ist deshalb besonders die Jugendzeit vor ihrer ersten Ehe mit Gustav Mahler von Interesse, da diese Zeit die Schwelle zu einer möglichen musikalischen Professionalisierung markiert. Um aufzuzeigen, in welchem Maße die Sicht auf Alma Schindler-Mahlers kompositorisches Schaffen von der Sicht auf sie als Person beeinflusst wird, werden die Biografien unter folgenden Aspekten betrachtet: Auf welche Quellen stützen sich die Biografien? Gibt es widersprüchliche Aussagen? Wie wird Alma Mahler-Werfel charakterisiert? Welchen Raum nimmt die Jugendzeit ein? Auf welche Art und Weise wird Alma Schindler-Mahlers Komponiertätigkeit und ihre Musikanschauung geschildert bzw. bewertet? Zu den drei bereits erwähnten Biografien ziehe ich Artikel aus ausgewählten Komponistinnenlexika hinzu.51 Tendenziell lässt sich beobachten, dass Monson bei ihrer Charakterisierung Alma Mahler-Werfels mehr den Typus einer Muse und Giroud und Wessling mehr den einer Femme fatale betonen. Die drei Biografien sind unter keinem wissenschaftlichen Anspruch verfasst. Das zeigt sich darin, dass nur bei Monson Fußnoten die Herkunft von den im Fließtext gemachten Aussagen belegen. Allerdings geschieht dies in selektiver Form: Anhand einiger Beispiele wird deutlich werden, dass manche Aussagen bei Monson leicht zurückzuverfolgen sind, während andere einen Nachweis

51 Roster: Alma Mahler-Schindler S.182-197. Sonntag, Brunhilde/ Matthei, Renate (Hrsg.): Annäherungen II- an sieben Komponistinnen, Interviews und Selbstdarstellung, Kassel 1987. Gruber, Clemens: Alma Mahler-Werfel, in: Nicht nur Mozarts Rivalinnen. Leben und Schaffen der 23 österreichischen Komponistinnen. In der MGG und im New Grove finden sich keine Einträge über Alma Mahler.

20 vermissen lassen, bzw. nachweislich falsch zitiert werden. Über ihre eigene Vorgehensweise schreibt Monson im Vorwort: Ich habe mich nicht gescheut, Informationen oder Situationen, die ganz offensichtlich nicht der Wahrheit entsprechen konnten, wegzulassen. [...] Doch habe ich mich zugegebener Weise gelegentlich auch auf ein höchst unwissenschaftliches Kriterium eingelassen, nämlich auf meine feste Überzeugung, daß etwas stimmen müsse, einfach weil Alma diese Geschichte oder Situation nicht so ohne weiteres erfinden konnte.52

Obwohl Monson an der Authentizität der Autobiografien zweifelt, bezieht sie sich gerade auf diese. Dabei stand ihr – wie auch Giroud – die Mahler-Werfel Collection an der University of Pennsylvania zur Verfügung. Wessling dagegen beruft sich nur auf persönliche Gespräche mit Alma Mahler- Werfel,53 die er nach eigenem Bezeugen bereits für die Biografie von 1973 über Gustav Mahler verwendet hatte, auf Zeitzeugenaussagen, sowie auf die Autobiografien. Die Existenz der Mahler-Werfel Collection an der University of Pennsylvania schien ihm unbekannt zu sein. Aus diesem Grund treten in Wesslings Biografie grobe Ungenauigkeiten auf. Die Interviews der BiografInnen mit Zeitzeugen Alma Mahler-Werfels, die nur Giroud nicht als Quelle anführt, sind nicht nachprüfbar, da sie nirgendwo dokumentiert sind.

3.2.1. Der Beginn der Biografien

Schon zu Beginn der Biografien lässt sich die Intention und die Sichtweise der AutorInnen auf Alma Schindler-Mahler-Werfel herauslesen. Wessling beginnt seine Autobiografie aus der Perspektive eines Mannes, der die „zärtlichste Frau dieses Jahrhunderts“54 am Ende ihres Lebens in ihrer Wohnung in Manhattan kennengelernt hat und von dort zurückblickt auf die Reihe der Liebhaber, mit der diese Frau ihr Leben gefüllt habe. Dabei lässt Wessling es sich nicht nehmen, über die „Üppigkeit ihrer Formen“55 im Alter nachzudenken: Alma verfügte über eine voluminöse Oberweite, die ihr oft mehr als ihren Betrachtern zu denken gab.56

52 Monson: S.11/12. 53 Wessling: S.303. 54 Wessling: S.12. 55 Wessling: S.12. 56 Wessling: S.13.

21 Über die Beschreibung von Alma Mahler-Werfels sinnlich-erotischer Ausstrah- lung und der Wirkung auf die Männer ihres Umfeldes hinaus, ist keine weitere Charakterisierung vonseiten Wesslings zu finden. Wessling scheint an der Person Alma Mahler-Werfels nur aus voyeuristischer Sicht interessiert zu sein. Giroud stellt ihre Sicht auf die Person Alma Mahler-Werfel ebenfalls gleich zu Beginn dar: Stets war sie die Erobernde gewesen. Doch was dann kam...Mahler ist möglicherweise daran gestorben, daß er sie zu sehr geliebt hat, Kokoschka konnte ihren Verlust nie ver- winden, Gropius war ein Spielzeug in ihren Händen, und Werfel schrieb: ‚Sie gehört zu den wenigen Zauberfrauen, die es gibt...‘57 Die Begabung eines Mannes wirkte auf Alma so faszinierend wie auf andere Frauen das Geld [...] Der Mann, der sie, die Außergewöhnliche, bezaubert hatte, mußte selbst außer- gewöhnlich sein.58

Giroud gibt in ihrem Einleitungskapitel auch Kritisches zu bedenken: Und doch verfehlte sie in gewisser Weise ihr Lebensziel. [...] Alma aber wäre ohne sie [ihre Männer] heute vergessen. Jeder ihrer Männer war ein schöpferisches Genie. Alma hingegen hat nur dadurch eine Spur hinterlassen, daß sie ihnen wie mit einem Brandeisen ihr Zeichen einprägte. Teilte sie dieses Los mit allen Frauen ihres Jahrhunderts? Ganz gewiß, nur wurde in Almas Fall eine überdurchschnittliche Begabung vergeudet. [...] Sie komponierte. [...] Mit zwanzig hatte sie schon mehr als hundert Lieder, einige Instru- mentalstücke und den Entwurf zu einer Oper verfaßt. Sie war zur Künstlerin berufen. Doch statt als Musikerin Karriere zu machen, kopierte sie die Partituren ihres Eheman- nes.59

Im Weiteren geht Giroud aber nicht den Bedingungen künstlerischer Arbeit Alma Mahlers auf den Grund, sondern bleibt bei der bloßen Aufzählung des Reigens der Männer. Auch Monson betont die Affinität Alma Schindlers zur Musik. Sie habe die Vor- aussetzungen zu einer bedeutenden Komponistin gehabt und [w]äre sie ein Jahrhundert später auf die Welt gekommen, hätte sie Dirigentin werden können.60

Es ist unklar, woher Monson die Behauptung nimmt, Alma Schindler habe Diri- gentin werden wollen. In den autobiografischen Schriften findet sich nur in Gustav Mahler. Erinnerungen (GME) eine Stelle im Kontext der Bekanntschaft mit Gustav Mahlers, die auf Herkunft ihrer Aussage hinweisen könnte: Beim Abschied sagte ich, ich wolle als Kapellmeister an die Oper engagiert werden, wor- auf Mahler sagte, er verpflichte sich allen Ernstes, mich dirigieren zu lassen, ihm würde ich auf jeden Fall gefallen.61

57 Giroud: S.10. 58 Giroud: S.11. 59 Giroud: S.11/12. 60 Monson: S.10. 61 Gustav Mahler- Erinnerungen (GME) 1991, S.29.

22 Da Alma Schindler nie Dirigierunterricht genommen hat – im Unterschied zu Klavier- und Kompositionsunterricht – erscheint es übertrieben, aus einer im Zu- sammenhang mit einem Flirt getroffenen Aussage einen Berufswunsch herauszu- lesen, zumal Monson bei der Beschreibung der Bekanntschaft mit Gustav Mahler präzise der Darstellung in GME folgt.62 Etwas später greift Monson diesen Gedanken noch einmal auf. Dieses Mal steht allerdings die Behauptung im Vordergrund, Alma Schindler-Mahler habe an ihrer nicht gelungenen Karriere selbst großen Anteil: [Alma] hatte auch nicht vor, wie ihre Mutter einen Haushalt zu führen. Eigentlich wollte sie Dirigentin werden...oder Komponistin oder Pianistin. Richtig intensiv hat sie sich je- doch nie um einen Beruf gekümmert.63

Wie Monson fragt auch Giroud nicht nach Gründen für diesen Verzicht. Sie beschreibt in ihrem zweiten Kapitel die Atmosphäre im Wien der Jahrhundert- wende. Dabei kommt sie u.a. auf die Stellung der Frau in der Wiener Gesellschaft zu sprechen. Sie bezeichnet die patriarchalischen Einschätzungen Otto Weiningers in Geschlecht und Charakter als „Anmaßung“ und berichtet von der Gründung des Allgemeinen Österreichischen Frauenvereins (1893).64 In Bezug auf Alma Schindlers Bedingungen professioneller Musikausübung führt Giroud den Gedanken der Wiener Gesellschaft allerdings nicht zu Ende. Fragen der weiblichen Sozialisation insbesondere der weiblichen Musikausübung werden nicht diskutiert. Statt dessen beginnt gleich im das nächste Kapitel mit dem Satz: Damals hatte Alma schon mehr Flirts hinter sich, als schicklich war.65

Es wird also nicht deutlich, wieso Giroud über die Frauenbewegung berichtet, wenn sie Alma Schindler nicht in diesen Zusammenhang einordnet und gleich zu der Rolle der Femme fatale überleitet. Auch Brunhilde Sonntag, selbst Komponistin, schrieb 1987: Die Mischung aus künstlerischer Begabung und dem damit verbundenen Bedürfnis, künstlerisch produktiv zu werden und der ausgeprägten Weiblichkeitsstruktur mit einem überstarken Hinneigungsdrang zum Mann, der nicht selten in Herrschsucht und Überle- genheitsgehabe ausartete, bestimmte das Lebensschicksal dieser ungewöhnlichen Frau.66

Erstaunlich ist, dass eine solche Einschätzung in einem Komponistinnenlexikon zu finden ist, das es sich zu Aufgabe gemacht hat, die künstlerische Arbeit von

62 Monson: S.40 63 Monson: S.31. 64 Giroud: S.21-23. 65 Giroud: S.24. 66 Sonntag: S.9.

23 Komponistinnen zu dokumentieren. Der Grund dafür ist wahrscheinlich darin zu sehen, dass Sonntag Alma Mahler in ihrem Artikel einzig nach der Biografie Wesslings und nach der deutschsprachigen Autobiografie Mein Leben porträtiert.

3.2.2. Die Perspektive auf Alma Schindlers Jugend- und Ausbildungszeit

Die Beschreibung der Jugendzeit nimmt bei allen drei BiografInnen einen schmalen Raum ein. Der Zeitraum, der in der Edition der Tagebuch-Suiten 750 Seiten umfasst, beschränkt sich in den Biografien, wie auch schon in den Auto- biografien zu beobachten war, auf 20-30 von 200-300 Seiten. Diese Quantifizierung ist deshalb interessant, da sich dieser Zeitraum in den Ta- gebüchern als entscheidende Spanne der Adoleszenz darstellt, in der Alma Schindler zwischen Selbst-Entmutigung und Selbst-Ermutigung im Hinblick auf die Professionalisierung ihrer Kompositionstätigkeit schwankt. Die kurze Be- schreibung der Jugendzeit lässt daher auf ein geringes Interesse der BiografInnen an dieser Phase schließen. Zwar ist auch in Mein Leben und And the bridge is love diese Lebensphase sehr kurz beschrieben, Giroud und Monson lag das Autograf der Tagebuch-Suiten aber vor. Das Argument der schlechten Lesbarkeit muss re- lativiert werden, da die Biografinnen an manchen Stellen doch aus ihnen zitieren. In der Jugendzeit ist die Beschreibung der Eltern Alma Schindlers von Bedeu- tung: Giroud und Monson übernehmen Alma Mahler-Werfels Einschätzung aus Mein Leben, dass sie ihren Vater sehr geliebt habe, aber stets ein distanziertes Verhältnis zu ihrer Mutter gehabt habe, besonders nachdem diese nach dem Tod des Vaters Emil Jakob Schindlers (1893) seinen Schüler– Carl Moll – geheiratet hatte. Dieses Verhältnis spiegelt sich zwar auch in den Tagebüchern wider, die Biografinnen bringen aber zu keiner Zeit das Vorbild der Mutter, die ihre Bühnenkarriere zugunsten ihre Ehe aufgegeben hatte, für Alma Schindlers Lebensgestaltung zur Sprache. Bei Giroud, die ehemals französische Ministerin für Frauenfragen war,67 ist es bemerkenswert, wie sie die LeserInnen in die Jugendzeit Alma Schindlers einführt: Mit der knappen Beschreibung des familiären Umfeldes, ihrer kurzen Schulzeit und ihres besonderen Interesses für Musik – in zwei Sätzen wird der

67 Roster: S.184.

24 „Hunger nach Wagners Musik“, ihr Kontrapunktstudium und ihr literarisches Interesse abgehandelt – leitet Giroud über zu dem Burgtheaterdirektor Max Burckhard, der Alma Schindlers literarischer Mentor war. Burckhard fungiert an dieser Stelle als Bindeglied zwischen der kurzen Erwähnung von Ausbildung und künstlerischen Interessen Alma Schindlers und der nun folgenden Reihung der Männer ihrer Jugendzeit. Dabei werden die Männer stets als Opfer ihrer Provokationen eingeführt. Max Burckhard schulte ihren Geist. Er nahm sie mit ins Theater und in die Oper. Er war fünfundzwanzig Jahre älter als sie und hätte ihren Vater ersetzen können, wenn er sich nicht gegen alle Vernunft in sie verliebt hätte. Sie provozierte und quälte ihn... [...] ‚Seine starke Männlichkeit reizte mich‘, schrieb sie als Siebzehnjährige in ihr Tagebuch. Sie war neugierig, sein Interesse schmeichelte ihr, aber er brachte sie nicht durcheinander. Er amüsierte sie, mehr nicht. Gustav Klimt war der erste Mann, der sie aus der Fassung brachte.68

Der als Tagebuchnotiz zitierte Eintrag findet sich in Mein Leben,69 nicht in den Tagebüchern. Als Tagebuchaufzeichnungen getarnte Zitate aus der Autobiografie täuschen LeserInnen eine angebliche Authentizität vor, die zur stetigen Reproduktion der Femme fatale erheblich beiträgt. Eine direkte Charakterisierung Alma Schindlers nimmt Giroud in diesen Anfangskapiteln nicht vor. Sie charakterisiert sie indirekt durch eine ausführliche Beschreibung Gustav Klimts und seiner Arbeit bei der Gründung der Wiener Sezession und schließlich seiner Affäre mit Alma Schindler. Über ihn wird also mehr ausgesagt, als die LeserInnen bis zu diesem Zeitpunkt über die Hauptperson der Biografie erfahren haben. Die Gefühle über die erste Jugendliebe der siebzehnjährigen Alma Schindler werden dabei nicht berücksichtigt. Im Mittelpunkt der Perspektive steht weiterhin die Femme fatale und nicht die Persönlichkeit Alma Schindlers. Giroud schlägt von Klimt die Brücke zur nächsten Affäre: Klimts Nachfolge in Almas Herzen trat ein Komponist an, der heute wiederentdeckt wird: Alexander von Zemlinsky. Sie raubte ihm fast den Verstand. Sie ließ sich von ihm küssen, streicheln, erlaubte ihm fast jede Intimität bis auf die letzte. Einen Tag sprach sie von Verlobung, dann wieder lehnte sie eine Heirat kategorisch ab. Sie unterhielt mit ihm einen glühenden Briefwechsel, stürzte ihn in ein Wechselbad der Gefühle und quälte ihn zwei Jahre lang. Zemlinsky war Almas Musiklehrer.70

68 Giroud: S.25/26. 69 Mein Leben: S.21/22. 70 Giroud: S.30.

25 Dass sich Alexander Zemlinsky und Alma Schindler beim Spielen von Wagners Tristan das erste Mal in die Arme fallen, übernehmen Giroud, wie auch Monson aus Mein Leben.71 Der Unterricht bei Zemlinsky scheint Giroud nur in dem Maße zu interessieren, in welchem Alma Schindler dadurch Gelegenheiten gehabt habe, eine neue Männerbekanntschaft zu schließen. Als einziges- oder fast einziges weibliches Wesen unter Zemlinskys Musikschülern gab sich Alma alle Mühe, ihren Lehrer durch besondere Leistungen zu beeindrucken. Und das gelang ihr auch, obwohl er sie ausdrücklich vor übertriebenem jugendlichem Ehrgeiz warnte. Aber von Warnungen war ohnehin bald keine Rede mehr. Wenn Alma seinen Stunden fernblieb, kam er zum Privatunterricht in ihr Haus. Von da an waren sie unzertrennlich.72

Monson datiert den Beginn der Stunden auf das Jahr 1897.73 Aus den Tagebuch- Suiten geht hervor, dass die erste Kompositionsstunde erst am 18.10.1900 stattfand, während der Wunsch, bei Zemlinsky zu lernen, bereits im Mai 1900 geäußert wurde. Für die Einschätzung der erhaltenen Kompositionen ist es durchaus von Bedeutung, wann der Unterricht bei Zemlinsky begonnen hat. Insgesamt lernte sie bei ihm nur etwas länger als ein Jahr bis zu ihrer Verlobung mit Gustav Mahler. Wer annimmt, Alma Schindler habe drei Jahre intensiven Kompositionsunterricht gehabt, erwartet größere Leistungen als nach einjährigen intensiven Studien. Ähnliches gilt für Monsons Bewertung von Alma Schindlers literarischen Interessen. Fälschlicherweise datiert sie die Annäherung an das Werk Nietzsches mit Hilfe Burckhards auf das Jahr 1897, statt auf 1899. Sie traut Alma Schindler nur einen begrenztes Verständnisvermögen zu. Er [Burckhard] führte sie an das Werk Friedrich Nietzsches heran zu einer Zeit, da sie die tiefere Bedeutung der Worte dieses Philosophen noch kaum verstehen konnte.74

Woher Monson die Datierungen nimmt, bleibt unklar. In Mein Leben gibt Alma Mahler-Werfel keine Auskunft über die Daten. Dass sie auch sechs Jahre bei Josef Labor Kontrapunktstunden genommen hat75 – ein Jahr lang war sie Schülerin von beiden Lehrern – wird bei Monson nur mit einem Satz erwähnt,76 bei Giroud ist keine Rede von dem blinden Organisten.

71 Giroud: S.31, Monson: S.28. 72 Giroud: S.30. 73 Monson: S.26. 74 Monson: S.21. Vgl. z.B. Tagebuch-Suiten: 29.Dezember 1899. 75 Vgl. Rode-Breymann: S.85. 76 Monson: S.19.

26 Auch die kurze Phase der Kontrapunktstudien bei Robert Gound ab 1. November 1901 finden keinen Eingang in die Biografien. Trotzdem betrachtet Monson das Unterrichtsverhältnis zwischen Alma Schindler und Alexander Zemlinsky wesentlich differenzierter als Giroud. Sie stellt Zemlinsky als bedeutenden Musikpädagogen seiner Zeit vor – z.B. auch als Lehrer Arnold Schönbergs – geht aber auch auf Inhalte der Kompositionsstunden Alma Schindlers ein. Die Studienzeit und deren Intensität verstärkten Almas Zuneigung zur Musik. [...] Sie nahm ihre Kompositionsübungen sehr ernst. Als einer der wenigen weiblichen Vertreter in Zemlinskys Klasse wollte sie beweisen, daß das weibliche Geschlecht durchaus mithalten konnte. Darüber hinaus gefiel ihr die intellektuelle Herausforderung, und es begann ihr bewußt zu werden, daß sie mehr leisten konnte, als bisher von ihr gefordert worden war. Zemlinsky ließ sie Sonatensätze und Lieder bearbeiten und lenkte ihren ungestümen Tatendrang in ernste Bahnen. Er klärte sie ganz ehrlich darüber auf, welche ihrer Ideen machbar waren und von welchen sie besser noch die Finger lassen sollte. Alma hatte beachtliches Talent – ihre Energie war noch größer.77

Monson hat das Unterrichtsverhältnis, wie aus den Fußnoten ihrer Biografie zu entnehmen ist, in den Tagebüchern und Briefen zwischen Zemlinsky und Alma Schindler recherchiert. Im Anschluss leitet aber auch sie zu dem Liebesverhältnis der beiden über. Durch die falsche Datierung des Unterrichtsbeginns, erscheint auch das Liebesverhältnis länger als es tatsächlich gewesen ist. Dadurch entsteht der Eindruck, dass Alma Schindler Zemlinsky von 1897-1901 im Unklaren über eine mögliche Verlobung zwischen ihnen gelassen habe, bevor sie 1901 Gustav Mahler kennengelernt und sich mit ihm plötzlich verlobte. Giroud verallgemeinert den angeblichen Umgang mit Zemlinsky auch auf weitere Beziehungen: Aber kaum hatte er aufzumucken gewagt, zog sie wieder die Zügel an. Denn ihr Musiklehrer war ihr wichtig, in jeder Beziehung. Mit geradezu unglaublicher Naivität klagte sie, daß sie ihm stets mehr gebe, als sie von ihm zurückbekomme – ein Vorwurf im übrigen, der keinem ihrer späteren Männer erspart blieb: Sie war zeitlebens der Überzeugung, daß die Männer ihr mehr schuldeten, als sie ihr gaben, denn sie verlangte alles!78

Wessling stellt den Beginn des Unterrichtsverhältnisses verkehrt dar. In seiner Version habe Max Burckhard Zemlinsky befohlen, Alma Schindler zu unterrichten. Nicht ohne Hintergedanken: Zemlinsky wirkte angeblich als Mann so abstoßend, daß keine Leidenschaftsausbrüche von seiten Almas zu befürchten waren.79

77 Monson: S.27. 78 Giroud: S.32. 79 Wessling: S.32.

27 Die Datierung des Unterrichtsbeginns lässt Wessling aus. Nach seinen Ausführungen habe Alma Schindler mit Klavierunterricht bei Zemlinsky begonnen, der sich erst langsam zu Kompositionsstunden ausweitete, als sie ihm eigene Kompositionen vorgespielt habe.80 Wessling geht soweit auf Alma Schindlers kompositorisches Schaffen ein, dass er beschreibt, wie sie unter Zemlinskys Anleitung ihre Lieder auf Texte von Dehmel, Hartleben, Falke, Rilke und Heine zu Papier gebracht habe, die 1910 von der gedruckt wurden. Zwischen Zemlinskys und Alma Schindlers Liedern sieht Wessling einige Gemeinsamkeiten im Beschreiten der Schwelle zwischen Tradition und Moderne: Die Gleichberechtigung aller zwölf Halbtöne, die Motivlosigkeit der Begleitstimmen, tastender Wille zur Reduktion, ein Klavier-Accompagnato, das bei größter harmonischer Differenziertheit dennoch auf figuralen Ballast verzichtet. [...] Mit anderen Worten: Sie war auf dem Wege zur Komposition mit zwölf Tönen. Das Ziel hätte sie gewiß erreicht, wäre nicht Mahler mit seinem aggressiven Verbot dazwischengekommen, das Eigenschöpferische ein für allemal zu begraben.81

Damit kommt Wessling auf das „Komponierverbot“ Gustav Mahlers, formuliert in seinem Brief vom 19. Dezember 1901, zu sprechen.82 Dieser Brief hat sich aufgrund von Alma Mahlers Aussagen in den autobiografischen Schriften schon sehr früh zu einer Legende hochstilisiert. Erste Veröffentlichungen dieses von Alma Mahler zurückbehaltenen Materials finden sich in de La Granges Mahler- Biografie,83 später aber auch bei Giroud84.

3.2.3. Die Darstellung des „Komponierverbots“

Wessling, der für das Verfassen seiner Biografie den Brief nicht vorliegen hatte,85 wertet das „Komponierverbot“ als Verrat an der Künstlerin Alma Schindler. Die Schilderung dieser Episode fällt bei Wessling zwar ausgesprochen kurz aus, weist aber deutlich Gustav Mahler die Rolle des ungerechten Ehemanns zu. Diese Aufforderung kam nicht von ungefähr. Almas Behauptung, Mahler habe nie auch nur eine Note von ihr gesehen, stimmt nicht. Er war informiert, wie alle ihre Freunde und

80 Wessling: S.33. 81 Wessling: S.35. 82 GoR, S.104-111. Die gekürzte Fassung des Briefes findet sich auch bei Giroud, S.50-56. 83 de la Grange, Henry-Louis: Gustav Mahler, New York 1973,(Oxford 1995), S.684-690. 84 Giroud: S. 50-56. 85 Wessling bezieht sich nicht auf diesen Brief. Wie oben dargestellt war der Brief noch nicht veröffentlicht.

28 Freundinnen, die Lieder und Stücke kannten, die sie unter Anleitung Zemlinskys geschrieben hatte. Kopien davon lagen längst bei der Universal Edition.86

Ob Mahler ihre Lieder kennengelernt hat, lässt sich aufgrund des Quellenmateri- als nichts eindeutig beantworten. Alma Mahler-Werfel stellt es in den Autobiogra- fien stets so dar, dass Gustav Mahler die frühen Kompositionen nicht gekannt habe. Obwohl Wessling mit dieser Aussage einer geplanten Veröffentlichung der Lieder nicht richtig liegt – die ersten Lieder Alma Mahlers wurden erst 1910 durch die Initiative Gustav Mahlers veröffentlicht – bekräftigt er durch die Er- wähnung des angeblichen Publikationserfolgs der Lieder die oben erläuterte Un- gerechtigkeit Mahlers gegenüber seiner Frau, sie zur Aufgabe ihres Erfolges zu nötigen. Die im gleichen Jahr (engl.:1983) und 1985 im Deutschen erschienene Biografie Monsons zitiert Auszüge des Briefes nach de la Grange. Als Reaktion auf den Brief konstruiert Monson Alma Schindlers Gedankengänge im Konzept ihrer eigenen Interpretation. Alma glaubte oder war zu der Überzeugung gekommen, daß ihr musikalisches Talent be- achtlich wäre. Zwar hatte sie die hochfliegenden Pläne, eine Konzertpianistin oder eine Dirigentin zu werden, an den Nagel gehängt, aber sie war überzeugt davon, daß sie irgendwann einmal Werke von großer Schönheit komponieren würde. Es kam Alma nicht in den Sinn, daß sie in diese Gesellschaft von Männern, die sie als ihre Freunde betrach- tete, nur aufgenommen worden war, weil sie schön war.87

Monson nimmt in solchen Abschnitten eine Abwertung der Kompositionstätigkeit vor, indem sie Alma Schindler die Konsequenz im Verfolgen ihrer musikalischen Berufswahl abspricht. Dadurch entsteht der Eindruck, die Kompositionstätigkeit sei – wie der Plan Konzertpianistin oder Dirigentin zu werden – nur eine vorüber- gehende Laune gewesen. Für Monson ist deshalb die Entscheidung Alma Schindlers, die Kompositionstä- tigkeit aufzugeben, mehr eine logische Folge dieser Inkonsequenz als ein Bruch im Lebenslauf. Alma zeigte ihrer Mutter den langen Brief von Gustav. Obwohl Anna diesen Mann so lieb gewonnen hatte, riet sie ihrer Tochter, ihn zu verlassen. Almas Stiefvater schloß sich dieser Meinung an, aber da war es schon zu spät. Alma hatte sich bereits entschieden, Gustavs Forderungen nachzukommen und ihm, gemäß seines Vorschlags, sofort zu antworten.88

Da Monson nie von einer Professionalisierung der Kompositionstätigkeit ausge- gangen ist, muss sie Entscheidungsalternativen Alma Schindlers nicht weiter

86 Wessling: S.55. 87 Monson: S.57. 88 Monson: S.58/59.

29 diskutieren. Ihr Konzept, Alma Mahler-Werfels Leben in der Rolle der Muse zu beschreiben, vervollständigt sich an dieser Stelle. Sie wollte sich um ihn [Gustav Mahler] kümmern und für ihn sorgen.89 Die Geschehnisse werden dieser Perspektive auf Alma Mahler-Werfel angepasst, Alternativen finden keinen Platz. Giroud schafft zu Beginn des Kapitels über Gustav Mahler die Vorbedingungen, wie sie das Verhältnis zwischen ihm und Alma Schindler betrachtet möchte. Dieser Mann war ihr ebenbürtig. Ein Herrenmensch. Er besaß das entsprechende Format, er war ehrgeizig, er war berühmt. Und er war zwanzig Jahre älter als sie.90

Es folgt ein ausführliches Porträt Gustav Mahlers, das in Mein Leben und And the bridge is love fehlt und nur in Gustav Mahler. Erinnerungen zu finden ist.91 In der Einschätzung des „Komponierverbot“-Briefes folgt Giroud ihrer zu Beginn des Kapitels geschaffenen Prämisse. Aus den Worten Girouds spricht Zynismus darüber, dass Alma Schindler das erste Mal in ihrem Leben den Kampf gegen einen Mann verloren habe. Das war wohl der seltsamste Brief, den jemals eine vom Schicksal verwöhnte junge Frau bekommen hatte. [...] Ihr Wunsch, „sie selbst zu werden und zu sein“ entlockt ihm spöttische Bemerkungen. Er belächelt ihre literarischen und philosophischen Vorlieben im Ton eines Mannes, der ihr zwanzig Jahre Lebenserfahrung voraus hat und auf einer höheren Warte steht... Ja, er spricht ihr schlicht und einfach jede Eigenständigkeit ab, er verleibt sie sich ein und saugt sie auf. Sie spricht von ihrer Musik – ihre Musik? Welche Musik?92

Bei der Beschreibung von Almas Reaktion auf den Brief fällt Girouds kriegeri- sches Vokabular auf. Dadurch entsteht der Eindruck Mahler habe einen Sieg da- vongetragen – eine Interpretation Girouds, die Zynismus über den „ersten Misserfolg“ der jungen Frau ausdrückt. Die Antwort, die Alma am nächsten Morgen an Mahler schickte, kam einer bedingungs- losen Kapitulation gleich. Er hatte Forderungen gestellt: nun gut, sie willigte ein.93

Zur Begründung der „Kapitulation“ nennt Giroud das nächtliche Gespräch Almas mit ihrer Mutter: Aber Mutter und Tochter verband eine höchst ambivalente Beziehung, und je nachdrück- licher Anna zur Trennung riet, desto mehr berauschte sich Alma an der Idee, sich auf dem Altar der Kunst zu opfern.94

89 Monson: S. 58. 90 Giroud: S.34. 91 GME: S.26-31. 92 Giroud: S.56. 93 Giroud: S.56. 94 Giroud: S.56.

30 Im Gegensatz zu Monson versucht Giroud die Lücke, Alma Schindlers Entschei- dung nachzuvollziehen, durch die Psychologisierung der Mutter-Tochter- Beziehung zu füllen. Sie hatte aber die Kompositionstätigkeit Alma Schindlers bis zu diesem Punkt kaum erwähnt. Die Idee einer Professionalisierung kommt bei ihr daher gar nicht auf. Ihre Erzählperspektive richtet sich stets auf die Rolle der Femme fatale, die die Männer ins Verderben stürzt. Mahlers Verbot, das Alma Schindler in die Rolle der Muse zurückweist, ist aus ihrer Sicht nur gerecht. Während in den Biografien die Rolle Alma Schindlers als Muse oder Femme fatale betont wird, trifft Eva Rieger eine Schuldzuweisung gegenüber Mahler. Alma Mahler-Werfel habe zwar ihr späteres Leben frei von bürgerlichen Zwängen gestaltet, sich in ihrer Jugend jedoch dem „Komponierverbot“ gefügt.95 Beim Versuch, den Konflikt schöpferischer Frauen zwischen Mann und Musik zu ent- scheiden, resümiert sie: Der Widerspruch Mahlers, der darin besteht, daß er seiner Frau das Komponieren verbot und sie seinen Belangen unterordnete, um dann in metaphysischer „Erhabenheit“, quasi entmaterialisiert und ins Visionäre gerückt, das Weibliche pauschal zu glorifizieren, ist nicht nur in seiner subjektiven Psyche zu suchen, sondern er ist ein Widerspruch unserer Kultur schlechthin.96

Ähnlich urteilt auch Constantin Floros. Gustav Mahler habe herrische, despoti- sche Züge gehabt, seine Forderungen und Vorstellungen seien in der Männerwelt um 1900 aber durchaus normal gewesen.97 Die Darstellung des „Kompositionsverbots“ findet sich bei allen genannten AutorInnen aus geschlechtsspezifischer Sicht – Gustav Mahler verbietet und Alma Schindler geht auf seine Forderungen ein. In den Betrachtungen werden aber weder Bedingungen und Möglichkeiten professioneller künstlerischer Arbeit für eine Frau der Jahrhundertwende, noch Motive der Entscheidungsfindung Alma Schindlers diskutiert. So, wie Gustav Mahler von ihr verlangte, das Komponieren aufzugeben, stellen die BiografInnen auch seine Forderung dar, sie solle wieder damit anfangen, als die beiden 1910 in ihre schwerste Ehekrise geraten waren. Allen Befürchtungen zum Trotz war Gustav begeistert von Almas Liedern.[...] Dann drehte er sich um und befahl ihr, wieder zu komponieren. Er nahm es damit ebenso genau

95 Rieger, Eva: Frau und Musik, Frankfurt 1980, S.31. 96 Rieger, Eva: Frau, Musik und Männerherrschaft. Zum Ausschluß der Frau aus d.dt. Musikpädagogik, Musikwissenschaft und Musikausübung, 2.Aufl., Kassel 1988, S.206. 97 Floros, Constantin: Alma. Der „Asket“ und die lebenszugewandte Frau, in ders.: Gustav Mahler. Visionär und Despot, Zürich/ München 1998, S.135.

31 wie neun Jahre zuvor mit der Weisung, daß sie sofort ihre Musik aufzugeben habe. Beide Male mußte sie sich sofort fügen.98

Monson diskutiert nicht, ob Alma Mahler nach zehnjährigem Kompositionsver- zicht überhaupt in der Lage gewesen wäre, wieder damit zu beginnen. Sie enthält sich dieser Frage, obwohl sie der Darstellung der Autobiografien folgt, dass Alma Mahler das Komponieren nach dem Brief Mahlers aufgegeben habe. Monson gibt genauso wenig zu bedenken, ob Alma Mahler in den zehn Jahren vielleicht doch komponierte. Wieder bestätigt sie ihre Sicht, Alma Schindler-Mahler eine profes- sionelle Musiktätigkeit nie zugetraut zu haben. Vielleicht war es ohnehin besser, daß der Raum in ihrem Leben, den die Kompositions- kunst eingenommen hatte, mit anderen Beschäftigungen ausgefüllt war. Nie hatte sie den Mut – ganz zu schweigen von der Zeit – gehabt, ernsthaft zum Komponieren zurückzu- kehren.99

Da aus keiner Quelle hervorgeht, wie der Alltag Alma Mahlers aussah, ist die Darstellung, Zeitmangel habe sie vom Komponieren abgehalten eine fiktive An- nahme Monsons. Dies passt in ihr Konzept, Alma Mahler als Muse ohne eigene künstlerische Ambitionen zu beschreiben. Bei Giroud kommt die Episode nicht vor. Im Kontext der Ehekrise zieht sie es vor, seitenweise über Alma Mahlers Verhältnis zu Walter Gropius zu berichten, den sie bei einer Erholungskur kennengelernt hatte. Diese Episode, die Giroud als weiteren Beweis ihrer Interpretation Alma Mahler-Werfels als Femme fatale anführt, bekommt in diesem Zusammenhang eine besondere Gewichtung, da sie in Mein Leben verschwiegen wird. Ob Alma Mahler während ihrer Ehe mit Gustav tatsächlich ihre Kompositionstä- tigkeit aufgeben hat, kann bezweifelt werden. Mit Sicherheit ist zu sagen, dass eines der erhalten gebliebenen Lieder Der Erkennende nach einem Gedicht von Franz Werfel lange nach dem „Komponierverbot“, aber auch einige Jahre nach Gustav Mahlers Tod entstand (1915).100 Eine abschließende Diskussion werde ich im Zusammenhang mit den Tagebuch-Suiten und der neuesten Forschung vor- nehmen. Der Vergleich der Biografien soll an dieser Stelle beendet werden. Da die Tagebuch-Suiten kurz vor Alma Schindlers Verlobung mit Gustav Mahler enden, fehlt über dieses Datum hinaus der Bezugspunkt zu authentischem Quellenmate-

98 Monson: S.123. 99 Monson: S.124. 100 Mein Leben: S.82.

32 rial. Zwar lassen sich auch im Weiteren Widersprüche und einseitige Darstellungen finden, das Zusammenleben mit Oskar Kokoschka, Walter Gropius und Franz Werfel ist für die Betrachtung von Alma Mahler als Komponistin aber weniger entscheidend. Alle BiografInnen übernehmen in den meisten Punkten die Schilderungen aus den Autobiografien, verschärfen aber noch die Sicht auf sie als Femme fatale (bei Giroud) und als Muse (bei Monson). Giroud kannte die Biografie Monsons. Mög- licherweise wollte sie die Darstellung Alma Mahler-Werfels als Muse um ihre Sicht der Femme fatale erweitern. Trotz teilweise kritischer Bemerkungen Monsons und Girouds über die Umbruchzeit zur Jahrhundertwende und die auf- kommende Frauenbewegung, der durch zeitgenössische Autoren wie Otto Weininger und Karl Kraus im Sinne der alten Ordnung entgegengewirkt wurde, erfolgt im Falle Alma Mahlers keine Einordnung in den zeitlichen und gesell- schaftlichen Zusammenhang. Obwohl zumindest Monson und Giroud das Autograf der Tagebücher in Philadelphia zur Verfügung stand, benutzten sie dieses Quellenmaterial kaum. Wesslings Darstellung ist aufgrund ihrer Fehler schwer mit den anderen beiden Biografien zu vergleichen. In seiner Darstellung wird die Rolle der Femme fatale zur Rolle der Prostituierten – im Sinne Weiningers – übersteigert. Unklar bleibt jedoch, aus welchen Motiven die genannten BiografInnen sich mit der Figur Alma Mahler-Werfels beschäftigten. Einleuchtend wäre gewesen, aufgrund neuer Quellenfunde die Angaben der Autobiografien in einer Biografie zu korrigieren. Da die BiografInnen Alma Schindler die Professionalisierung der Komposition- stätigkeit nicht zutrauten, wurde dieser Teil der Persönlichkeit kaum beleuchtet. In den Biografien der 1980er Jahre werden die aus dem 19. Jahrhundert stammenden Weiblichkeitstypologien der Muse und der Femme fatale im Sinne der Idealisie- rung des Patriarchats reproduziert. Die Persönlichkeit Alma Mahler-Werfels ist dabei von keinem Interesse. Während in den Autobiografien die verinnerlichten Gesellschaftszwänge der Autorin nachvollzogen werden konnten, übernehmen die BiografInnen unreflektiert diese Darstellungen.

33 4. Die Komponistin Alma Schindler in den Tagebuch-Suiten

Im Folgenden soll die künstlerische und musikalische Entwicklung Alma Schindlers anhand der Tagebuch-Suiten nachvollzogen werden und in den Kon- text der Möglichkeiten weiblicher Musikausübung im Wien des Fin de Siècle eingeordnet werden. Die Betrachtung nähert sich von ihrer Kunst-, Literatur- und Musikrezeption über die eigene Musikausübung und eigene Komponiertätigkeit bis an die Kompositionen und ihre Aufführungen an.101

4.1. Alma Schindlers Kindheit und Jugend in den Künstlerkreisen Wiens

Wie Alma Schindler selbst immer betonte, verbrachte sie ihre Kindheit in einem glücklichem Umfeld. Ihr Vater, der Landschaftsmaler Emil Jakob Schindler, hatte seit 1885 ein Schloss mit einem großen Garten in Plankenberg gemietet, wo die Schindlers ihre Sommer verbrachten. Nur im Winter wohnte die Familie in Wien. Schon früh hatte die junge Alma Schindler – wie auch ihre Schwester Grete – die Möglichkeit, durch Teilhabe am kulturellen Leben der Erwachsenen zu künstlerischer Bildung zu gelangen, obwohl die Schwestern kaum die Schule besuchten. Nach dem Tod des Vaters am 8. August 1892 und der Wiederverheiratung der Mutter Anna, ging Alma Schindler ihr Leitbild verloren. Auf der einen Seite hat sie für ihren Stiefvater Carl Moll als Künstler nur Geringschätzung übrig, wie sie am 10. August 1899102 schrieb: Und Carl...ist ein recht fleißiger, tüchtiger Maler, aber nie wird ers zu einer wahren Künstlerschaft bringen.

Besonders einsam fühlte sich Alma Schindler seit der Geburt ihrer Stiefschwester Maria und der Verlobung ihrer Schwester Grete. Für sie wuchs der Druck, aus dem Haus zu gehen. Kein Mensch mag mich! Kein Mensch liebt mich! [...] Niemanden haben, der einen interessiert, dem man sagen kann, wies einem ums Herz ist.103

101 Die Vorgehensweise folgt Susanne Rode-Breymanns Porträt der Komponistin in der Reihe der Rode-Breymann. 102 Im Text gemachte Datierungen beziehen sich, falls nicht anders vermerkt, auf Eintragungen in den Tagebuch-Suiten. In diesen Fällen wird keine zusätzliche Datumsangabe als Fußnote gemacht. Hervorhebungen, wie in diesem Zitat, entstammen dem Original. 103 Tagebuch-Suiten: 10. September 1899.

34 Möglicherweise wurde sie aus dieser Einsamkeit heraus zur fleißigen Tagebuchschreiberin.104 Auf der anderen Seite war Carl Moll Mitbegründer der Wiener Sezession, so dass seine Stieftöchter in ständigem Kontakt mit den Wiener Künstlerkreisen standen, in denen sich Alma Schindler schon früh souverän zu bewegen wusste. Häufig war sie Mittelpunkt der durch die Wiener Kunstmäzene veranstalteten Bälle. Ich war die Schönste. Man arrangierte Kämpfe mit der siegesreichen – Alma Schindler. Ich tanzte rasend.105

Der Umgang mit bekannten Künstlern war den Schwestern Schindler also selbstverständlich.

4.1.1. Alma Schindlers Kunstrezeption

Als Tochter eines Malers wurde schon früh ihr künstlerischer Blick geschult und auch ihre eigenen Zeichnungen (viele der Modeentwürfe sind in den Tagebuch- Suiten abgedruckt) bezeugen ihr Talent: Mama kramte in alten Papieren – und fand ein Buch ganz gezeichnet und gedichtet von mir. Carl schaute es an und sah, dass ich viel Talent zum Zeichnen habe.106

Trotz der ambivalenten Beziehung zu ihrer Familie wurde ihre musikalische und künstlerische Bildung mit Offenheit gefördert. Sie bekam eine fundierte pianisti- schen Ausbildung, und ihre vorsichtigen Schritte hinsichtlich kompositorischer Ambitionen erhielten Unterstützung. Zu beobachten ist, dass sich Alma Schindlers Interessen über den Zeitraum der Tagebuch-Suiten (1898-1902) veränderten. Während sie zu Beginn sehr ausführ- lich über die ersten Ausstellungen der Wiener Sezession schrieb – ihre Tagebücher lesen sich an diesen Stellen wie eine Dokumentation der Anfänge der Wiener Sezession – verschob sich später ihr Interesse zugunsten der Musik.107 Ihre Urteile über Kunstwerke sind durchaus differenziert und durchdacht, wie z.B. der Eintrag über Gustav Klimts Schubert am Klavier vom 23.Mai 1899 bezeugt: Kl.(s) Werke sind unbestritten die schönsten Bilder drin.[...] Der Schubert ist herrlich, doch hätte ich lieber den Schumann in die Umgebung gesetzt. Schubert sitzt am Clavier, [...] und das Ganze ist in schummerigem Kerzenglanz – also eigentlich der Schubertschen Melodie, die so ursprünglich und gesund ist, vollkommen fremd.

104 Vgl. Rode-Breymann: S. 19. 105 Tagebuch-Suiten: 4. März 1901. 106 Tagebuch-Suiten: 18. Mai 1899. 107 Vgl. Rode-Breymann: S.21.

35

Gustav Klimt wurde nicht nur der Mentor Alma Schindlers, der sie an die Kunst der Sezession heranführte, sondern auch ihre erste große Liebe. Diese von den Eltern argwöhnisch beäugte Affäre (Klimt reiste Alma Schindler im Frühjahr 1899 nach Italien nach und die Mutter las in ihrem Tagebuch über den ersten Kuss) fand schließlich im Mai 1899 ein Ende durch das Verbot des Umgangs mit ihm durch ihre Eltern. Lange noch lähmte sie der Liebeskummer und wurde seitenweise zum Inhalt ihrer Tagebücher. Und ich muss weinen, denn ich habe ja alles verloren, meinen Vater, meinen Klimt, und stehe nun auch im Begriffe, meine Mutter zu verlieren: Drei Menschen, die meine Welt waren... Mir ist so elend, dass ichs gar nicht sagen kann... so verlassen und so einsam, und dabei muss ich lustig sein, denn man kennt nur die lustige Alma, die Fesche, die Über- müthige! Und wie sieht es in mir aus? Seit einer Woche habe ich keinen Ton componiert.108

Dieses Zitat drückt deutlich das Spannungsfeld aus, in dem sich Alma Schindler befand, und das sich fast motivisch durch die gesamten Tagebuch-Suiten verfolgen lässt: Seit der Wiederverheiratung der Mutter fühlte sich Alma Schindler immer weniger zu ihrer Familie zugehörig und sehnte sich danach, eigenständig zu sein bzw. zu heiraten. In Folge dessen orientierte sie sich an dem künstlerischen Umfeld des Vaters, die das hübsche Mädchen gerne in ihrer Mitte aufnahmen. Für sie vermischte sich dadurch ihr künstlerisches Interesse mit dem Interesse an den Künstlern. Die Entwicklung der eigenen künstlerische Arbeit war unmittelbar abhängig von diesem Spannungsfeld.

4.1.2. Alma Schindlers Literaturrezeption

Neben dem Interesse an der Kunst verraten die Tagebuch-Suiten auch Alma Schindlers literarische Rezeption. Rode-Breymann zeigt die Bedeutung der Literatur besonders für die Jugend des Bildungsbürgertums auf: Literarische Fiktion und erlebte Realität schoben sich dabei in vielfältigen Überblendungen ineinander, so daß Welterfahrung von den Mustern ästhetischer Sinn- stiftung untrennbar wurde. [...] Hier konnten restriktive Bildungsvorstellungen der Eltern unterlaufen werden und war der auf Selbstfindung zielende Bildungshunger der jungen Leute nur schwer kontrollierbar.109

108 Tagebuch-Suiten: 22.Juli 1899. 109 Rode-Breymann S.25.

36

Rode-Breymann vergleicht die literarische Rezeption Alma Schindlers mit der des jungen , für den die Literatur einen ähnlichen Stellenwert in seinem Selbstfindungsprozess einnahm. Da Berg in einem mit Alma Schindler vergleich- baren Umfeld mit ähnlichen musikalischen Ambitionen aufwuchs, sind Parallelen augenfällig. Auch bei Stefan Zweig finden sich Hinweise zur Bestätigung der zitierten These. In seiner Autobiografie Die Welt von gestern beschreibt er, wie das Interesse an der allerneuesten Literatur und Poetik, sowie an eigenen Dichtungen an der Institution der Schule vorbei, von den Jungen mit Fanatismus verfolgt und ausprobiert wurde.110 Für Alma Schindler, die als Mädchen keine Schule besuchte, war das Lesen die einzige Möglichkeit zur Erweiterung ihres Bildungshorizontes. In der Diskussion mit gleichgesinnten Gesprächspartnern – beispielsweise mit Klimt, Olbrich oder Burckhard – konnte sie zwar keine gesellschaftlichen Realitäten umstoßen, konnte aber dennoch eine Nische der Ebenbürtigkeit erlangen. In den Sommermonaten 1899 lernte sie bei Spaziergängen Goethes Faust aus- wendig und führte lange Gespräche darüber mit Burckhard. Mit einem solch geistreichen Menschen ein ernstes Thema besprechen, gehört für mich zu den schönsten Dingen.111

Mit Begeisterung las sie den theologischen Roman Ernest Renans Das Leben Jesu und verglich ihn mit David Friedrich Strauss‘ historischer Abhandlung über Das Leben Jesu. Auch Friedrich Nietzsches Jenseits von Gut und Böse befand sich auf Alma Schindlers Literaturliste. Obwohl ihr die BiografInnen, wie bereits dargestellt, das Verständnis dieser philosophischen Schriften absprechen, finden sich in den Ta- gebüchern Hinweise auf eine eigenständige Erarbeitung. Abends – in meinem einsamen Bett – wollte mich die Wehmuth noch einmal beschlei- chen. Ich aber nahm den Nietzsche zur Hand und las mir die Bekümmernis weg.112

Auf dem Gebiet der Dichtung interessierte sie sich für die zeitgenössischen Schriftsteller, die auch von Stefan Zweig als Schüler fanatisch verfolgt wurden:113 , und seien an dieser Stelle genannt. Die Begeisterung für Hugo von Hofmannsthal teilte Alma

110 Zweig, Stefan: Die Welt von gestern, Frankfurt 1979, S.32-58. 111 Tagebuch-Suiten: 17. Juli 1899. 112 Tagebuch-Suiten: 4. September 1900. 113 Zweig: S.32-58.

37 Schindler mit Zemlinsky seitdem dieser ihr sein Tanzpoem nach Hofmannsthals Triumph der Zeit gezeigt hatte. Bei ihrem eigenen musikdramatischen Kompositi- onsversuch wählte sie schließlich auch eine Vorlage Hofmannsthals. Für den Zugang zur Literatur wurde Burckhard für Alma Schindler zur zentralen Figur. Weihnachten 1900 schenkte er ihr große Mengen Bücher: Burckhards Geschenk freut mich am meisten, weil es so lieb-rührend erdacht ist. 30 Bände allein von ihm. Mein ganzes Zimmer ist voll Bücher, mir ja so das liebste.114

Auch hinsichtlich ihrer Theaterbesuche fungierte Burckhard – politisch progressi- ver Direktor des Wiener Burgtheaters – als ihr Mentor. Dennoch sind Einträge in den Tagebüchern über Burgtheaterbesuche eher selten. Häufig dagegen berichtete Alma Schindler über Besuche des 1889 eröffneten Volkstheaters. Rode-Breymann vermutet, dass die Kunstmäzene des Volkstheaters aus dem Umfeld der Familie Moll/ Schindler für einen Preisnachlass sorgten115 und Eintrittskarten deshalb für dieses Theater erschwinglicher waren, als für das . Im Volkstheater sah Alma Schindler vor allem Lustspiele, Volksstücke, Komödien oder Märchen- spiele, die ihr auch besonders gut gefielen.

4.1.3. Alma Schindlers Musikrezeption

Alma Schindlers besonderes musikalisches Interesse galt der Oper, die sie noch häufiger besuchte als das Theater. Ihre Bewertung zielte meistens auf die Leistungen der Sänger, unter denen Alma Schindler ihre besonderen Idole aus- machte. Besondere Bewunderung erhielten dabei Lilli Lehmann, Anna von Mildenburg und der Erik Schmedes, den Alma Schindler bald persönlich kennenlernte und der zu ihrem Schwarm wurde. Und dann...Schmedes! Er war so gut. Wenn ich ihn jetzt da hätte, wäre ich zu allem fähig. – Ich bin halt verrückt. Diese Musik ist sinnverwirrend. Und der war es auch. Er sah mich!116

Die Opern Richard Wagners standen im Mittelpunkt des musikalischen Interesses Alma Schindlers. Mit seinen Opern war sie wie mit keinen anderen vertraut. Als einen der Höhepunkte beschrieb sie Besuch der Bayreuther Festspiele im Sommer 1899. Ausführlich listete sie die Besetzungen der von ihr besuchten Opern auf.

114 Tagebuch-Suiten: 24. Dezember 1900. 115 Vgl. Rode-Breymann: S.31. 116 Tagebuch-Suiten: 23. März 1900.

38 Die Meistersinger in Bayreuth das erste mal hören! Das war mein Wunsch. Er ist in Er- füllung gegangen, und wie glänzend hat er sich bewährt. So viel Lebensfrische, an Lust und Liebe, an Frohsinn und Genialität wird nie mehr beisammen sein. Die Meistersinger sind so menschlich schön, dass sie dadurch göttlich sind. Ich war nicht so erregt wie gestern, aber ich fühlte auch heute, das Leben ist wieder schön.117

Rode-Breymann vermutet bei Alma Schindlers häufigen Opernbesuchen wieder die Unterstützung der Wiener Mäzene. Bei den Berichten über die Besuche ist meist von der Begleitung Hennebergs oder Hellmanns die Rede.118 Die Begeisterung für Wagner-Opern drückte sich zudem im Spielen der Klavier- auszüge aus. Schon als 20-jährige besaß sie dafür die pianistischen Fähigkeiten. Abends allein. Spielte 2 Stunden lang: Meistersinger, Tristan und Walküre. Bin wieder ganz hingerissen von dieser Schönheit. [...] Ich jauchzte ordentlich bei jeder schönen Modulation, bei jeder schönen Stelle. Wagners Schönheit ist unertragbar groß – ich sinke immer langsam zusammen unter der Last dieser Wonne.119

Unter den Wagner-Opern war Tristan und Isolde Alma Schindlers erklärte Lieb- lingsoper. Keine andere Erwähnung eines Werkes erfolgt in der Häufigkeit wie die des Tristan. Die „Oper aller Opern“120 zieht sich motivisch durch Stimmungs- schwankungen und Liebeskummer, wie z.B. im Zusammenhang mit Alexander Zemlinsky. Abends Tristan – mit Zemlinsky. Ich sagte ihm, dass ich mich fühle wie ein gefallener Engel. [..] Ich muss sagen, ich habe noch nie so einen Tristan erlebt. Der III. Act begann – so furchtbar traurig und einsam. Ich konnte die Thränen kaum zurückhalten. Ich habe ihn also wirklich und vollkommen verloren.121

Trotz der Wagner-Leidenschaft sah Alma Schindler natürlich auch andere Opern an der Wiener Hofoper, wie z.B. Bizets Carmen, Bellinis Norma, Verdis Aida oder einige Mozart-Opern. Meist fiel ihre Berichterstattung hier aber knapper aus als bei Wagner. Im Laufe des in den Tagebüchern erfassten Zeitraumes lässt sich bei Alma Schindler eine Tendenz von einem äußerst emotionalen zu einem rationalerem Zugang zur Musik beobachten.122 Auch nutzte sie die besuchten Aufführungen zunehmend zu Studienzwecken in Fragen der Orchestrierung oder Stimmführung. Ihren Bildungsnotstand versuchte sie durch die Schärfung ihrer Hörwahrnehmung zu kompensieren. Nach dem Konzertbesuch von Griegs Peer Gynt am 15. August 1898 schrieb sie beispielsweise:

117 Tagebuch-Suiten: 1. August 1899. 118 Vgl. Rode-Breymann: S.35. 119 Tagebuch-Suiten: 21. Februar 1899. 120 Tagebuch-Suiten: 24. Oktober 1899. 121 Tagebuch-Suiten: 12. März 1901. 122 Rode-Breymann: S.39.

39 Ich stehe fast immer bei der Kapelle, um mich ein bischen über die Orchestrierung zu orientieren.

Anhand von Wagners Götterdämmerung studierte sie am 26. März 1900 zunächst die Stimmführung: Komme eben aus der Götterdämmerung. Sah die ganze Zeit ins Orchester und beobachtete die Stimmführung – außer wenn Schmedes auf der Bühne war.

Bei der nächsten Aufführung am 11. Mai 1900 setzte sie sich eine neue Priorität: Ich wende meine ganze Aufmerksamkeit jetzt der Orchestrierung zu. Wagner ist ein raffinierter Kerl.

Auf diese Weise sammelte sich Alma Schindler ihre musikalische Erfahrung mühselig zusammen, damit sie die Voraussetzungen dafür hatte, neben Liedern auch Instrumentalstücke komponieren zu können. Auch sinfonischen Werken begegnete großer Aufmerksamkeit. Sie war regelmäßige Besucherin der philharmonischen Konzerte im Musikvereinssaal. Zum ersten Konzert, in dem sie Gustav Mahler als Dirigenten erlebte, schrieb sie am 20. November 1898: Gustav Mahler dirigierte. Dann kam der Torso der h-moll Symphonie von Schubert, welcher himmlisch ist, und zum Schluss die ‚Symphonie phantastique‘ von Hector Berlioz. Sehr verrückt, aber famos. Der letzte Satz, ein Hexensabbath. Berlioz träumt, man begrabe ihn, und an seinem Leichenbegräbnis nähmen nur Unholde, Hexen und alle möglichen Gespenster theil. Der Satz ist großartig – unheimlich förmlich. Der 3te Satz ist wahnsinnig laut und – inhaltsleer. Im Ganzen war das Concert ausgezeichnet. Orchester- musik ist doch die edelste – reinste.

An den Urteilen über Orchestermusik lässt sich beobachten, wie Alma Schindler ihren ausschließlich emotionalen Zugang zur Musik um einen rationalen erweiterte. Ganz besonders gilt dies für Mozart. Seinem Werk stand sie zunächst fast ablehnend gegenüber: Ich kann ehrlich sagen, dass ich mich in der Mozartsymphonie furchtbar gelangweilt habe. Ich hatte das Gefühl, aufregend ist die Sache nicht, dafür aber lang. Die Zeit hat sich geändert. Man will nicht mehr diese hypernativen Themen. Die Ohren sind verdorben durch Wagner, Liszt etc. Beim Beethoven fühlte ich mit. Der ist durch und durch modern und verständlich, für Mozart fehlt mir alles, was man zum Vertiefen in eine Künstlernatur und seine Werke braucht...Liebe, Verständnis, Interesse. Ja, alles.123

Alma Schindler begriff im Laufe der Zeit Mozarts künstlerische Bedeutung, ohne seine Musik zu mögen. Nach einem Konzertbesuch am 11. Februar 1900 gab sie über die gehörten Stücke von Bruckner und Zemlinsky ihr genaues Urteil ab. Zu Mozarts Serenade in D-Dur schrieb sie dagegen: Mozart – so weit bin ich noch nicht.

123 Tagebuch-Suiten: 5. November 1899.

40 Erst allmählich gewann sie den Zugang zu seiner Musik. Nach dem Besuch von Figaros Hochzeit am 23. April 1900 urteilte sie: Diese Oper gefällt mir ungemein – sie ist jung und modern – und dabei 116 Jahre alt. Diese Art Musik hat absolut nichts Hinreissendes, Nervenerregendes -–wie die Wagnersche – aber süß ist sie – ungemein weiß und süß. [...] Ich muss aufrichtig sagen, heute habe ich Respect vor Mozart bekommen. Dass ich den vorher nicht hatte, braucht ja niemand zu wissen. Das heißt Ehrfurcht – ja, Ehrfurcht habe ich eigentlich immer vor ihm gehabt – aber Liebe keine. Und nun liebe ich seine Musik.

Anhand der Beispiele wird deutlich, wie sich Alma Schindlers Musikauffassung veränderte. Zunächst orientierte sie sich nur am Zeitgeist der Romantik und hatte einen ausschließlich emotionalen Zugang zur Musik. Durch intensive Beschäfti- gung und viele Opern- und Konzertbesuche kam ein rationaler Zugang hinzu.

4.2. Musikausübung zwischen Öffentlichkeit und Privatheit

Der Besuch einer Schule war in der bürgerlichen Kultur des Fin de Siècle für Mädchen keineswegs selbstverständlich – auch Alma Schindler erwarb sich ihre Bildung durch autodidaktisches Lernen – Klavierunterricht dagegen war obligato- rischer Bildungsbestandteil für sie. Pianistische Fähigkeiten durften jedoch das Maß des Zeitvertreibs nicht überschreiten.124 Am Klavier entsprach die Körperhaltung dem bürgerlichen Benimmkodex und war deshalb das Instrument für Mädchen.125

4.2.1. Alma Schindlers pianistische Tätigkeit

Wie ihre Schwester Gretl hatte Alma Schindler einmal wöchentlich Klavierunter- richt bei Adele Radnitzky-Mandlick. Wann sie mit dem Unterricht begonnen hatte, ist nicht bekannt. Adele Radnitzky-Mandlick hatte bei Julius Epstein am Wiener Konservatorium der Gesellschaft für Musikfreunde studiert und war als Pianistin und Pädagogin tätig. Rode-Breymann vermutet, dass sie möglicherweise 1895 den Kompositi- onsunterricht Alma Schindlers bei Josef Labor arrangiert hatte, da sie mit diesem

124 Sabin, Stefana: Frauen am Klavier, Frankfurt/ Main, Leipzig 1998. 125 Sabin: S.31/32.

41 künstlerisch und menschlich in enger Verbindung stand und häufig seine Klavierwerke zur Aufführung brachte.126 In den Tagebüchern ist der Klavierunterricht seltener vermerkt als die „Labor- stunden“, wie Alma Schindler ihren Kompositionsunterricht bezeichnete. Ob sich dadurch auf eine geringere Priorität des Klavierunterrichts gegenüber dem Kom- positionsunterricht schließen lässt, oder ob sie ihn als nicht erwähnenswerte Selbstverständlichkeit ansah, bleibt dahingestellt. An welchen Stücken sie gerade arbeitete, ist deshalb nur selten zu erfahren. Mit Sicherheit waren Alma Schindlers pianistische Fähigkeiten über das bürgerliche Maß hinaus ausgebildet. Mit 18 Jahren übte sie an Stücken von Chopin und Brahms, wie sie am 16. April 1898 berichtete: Frau Adele da. Sie war sehr zufrieden, gab mir eine sehr schwere Chopinetude und eine Brahmsballade auf.

Schon wenige Tage später – am 23. April 1898 – ist bereits von einem anderen Stück die Rede, das im Klavierunterricht behandelte wurde: Frau Adele – Chopin. Ich lege in die Des dur Nocturne mein ganzes bisheriges Leben. Es ist, als ob es Chopin für mich, für mein Seelenleben geschrieben hätte...

Dass sie offensichtlich schnell lernte, beweist auch die folgende Begebenheit: Am 17. Dezember 1898 hatte sie von „Frau Adele“ die Erlaubnis bekommen, die Kla- vierbearbeitung von Wagners Feuerzauber aus der Walküre zu studieren. Schon wenige Wochen später – am 31. Januar 1899 – trat sie öffentlich bei einem der von Adele Radnitzky-Mandlick veranstalteten „Musikabende“ auf. Im Tagebuch vermerkte sie allerdings ihre Unzufriedenheit mit ihrer pianistischen Tagesform: Ich spielte sehr mäßig, patzte im Feuerzauber empfindlich...hatte einen großen Applaus und bekam unzählige Schmeicheleien zu hören.

Adele Radnitzky-Mandlick setzte sich für die Aufführung von Alma Schindlers Liedern bei ihren Kammermusikabenden ein. Erlebte heute eine große Freude. Frau Adele kam und sagte: Du, Alma, ich habe mit dem Labor gesprochen und ihn gefragt, ob es ihm etwas machen würde, wenn Deine Lieder in einem Kammermusikabend bei mir gesungen würden. Er sagte, dass es ihm gar nichts mache, er gar nicht dagegen sei und sich im Gegentheil dazu freuen würde. Und ich... auch ich freue mich.127

126 Vgl. Rode-Breymann: S.42. 127 Tagebuch-Suiten: 2. Oktober 1899.

42 Beim Kammermusikabend am 2. Februar 1900 wurde der Plan der öffentlichen Aufführung der Lieder verwirklicht und sie selbst nahm pianistisch an Kammer- musik teil, so dass sie diesmal zufriedener war als sonst: N.M [nachmittags] in der Kammermusik der Frau Adele das erstmals gespielt. Ich muss sagen – gut gespielt. Das es-dur Quartett von Schumann. [...] Die Freystätt sang meine Lieder. Eins verpatzte sie total, die andern recht gut. Sie gefielen.

Die „Musikabende“ fanden im halb-öffentlichen Rahmen statt. Sie waren zwar keine öffentlichen Konzertveranstaltungen der Wiener Kulturszene, wurden aber immerhin auch von Professoren des Konservatoriums der Gesellschaft für Musik- freunde aufmerksam verfolgt, wie Alma Schindler über den bereits erwähnten Abend berichtete: Professor Epstein kam zu mir nachdem ich gespielt hatte und sagte, Haben Sie denn noch nicht öffentlich gespielt? Sie gehören in den Conzertsaal. Da gehöre ich nämlich gar nicht hin, aber was weiß denn er...

Dabei war gut ein Jahr vorher schon einmal die Rede davon gewesen, dass Alma Schindler zu Professor Epstein wechseln sollte, was aber durch die Eltern nicht sehr unterstützt worden war: In der Früh ärgerte ich mich über 5 Dinge: I. hat Carl mit Frau Adele über Epstein ge- sprochen, und sie bat ihn, mich noch ein Jahr bei ihr zu lassen, da sie glaube, dass Epstein mich für 3 Monate nicht nehmen werde. Das ist alles recht, aber wir wissen ja noch nicht einmal, ob wir nach Italien gehen werden. – Und dann bin ich 19 Jahre, und da kann man doch schließlich einmal anfangen zu studieren.128

Zu diesem Zeitpunkt hatte sie offensichtlich eine professionelle Klavierausbildung im Sinn, die sie zunehmend verwarf, wie sie öffentliche Auftritte zu verabscheuen begann. Häufig war sie mit ihrer Leistung unzufrieden und einmal verhinderte sie ein Vorspiel sogar auf recht drastische Art und Weise: Sie [Frau Adele] hielt mir einen langen Vortrag, dass ich morgen spielen solle. Dann ich in die Küche und schnitt mich so mörderisch tief in den linken Daumen, dass die ganze Küche voll Blut war. Auf morgen freue ich mich diebisch.129

Auftritte im öffentlichen Raum schienen Alma Schindler also weniger zu liegen. Um so häufiger spielte sie jedoch im privaten Bereich der ausgedehnten künstleri- schen Nachbarschaft und des sezessionistischen Umfeldes, wo sie oft an das Kla- vier gebeten wurde. Auch bei Vorspielen im privaten Rahmen hing ihr Wunsch vorzuspielen sehr von ihrer augenblicklichen Stimmung ab. Manchmal ließ sie sich länger bitten, bis sie sich schließlich überreden ließ. Ob sie in Vorspielstim- mung kam, hing davon ab, wie intim die Situation war. Je fremder die

128 Tagebuch-Suiten: 5. November 1898. 129 Tagebuch-Suiten: 23. November 1898.

43 Atmosphäre war, desto weniger gerne schien sie vorspielen zu wollen. Wenn sie aber in der entsprechenden Stimmung war, lief sie zu pianistischer Hochform auf, so dass sie sogar selbst mit ihrer Leistung zufrieden war. In der Dämmerung spielte ich Clavier. – Die Stimmung war himmlisch, vor den Fenstern plätscherte der Springbrunnen, und alle lagen im Finstern auf Fauteuils und Sopha. – Ich kann sagen, dass ich wirklich recht nett spielte. Es kommt bei mir eben alles auf die Stimmung an – und die war da. Ich spielte Schumann, Schubert (Lieder), Chopin – und Wagner. Spielte vielleicht eine Stunde, und alle raunzten wie ich aufhörte. – Der Abend war ungemein poetisch.130

Ihr Repertoire beinhaltete vor allem die Klavierauszüge von Wagner-Opern, Schumann- und Schubert-Lieder und Klavierliteratur von Chopin oder Brahms. Als sie einmal aufgefordert wurde, etwas von Bach oder Beethoven zu spielen, musste sie passen: [Lichtwark] liebt Bach und Beethoven, und das Vergnügen konnte ich ihm nicht machen. So spielte ich erst Schubert, dann Wagner. [...] Dann sang Mama Lieder von mir – mein allerletztes auch: Stumme Liebe – Text von Lenau. Sie gefielen recht gut. Lichtwark sagte: Das hätte ich Ihnen nicht zugetraut.131

Wie bereits angedeutet, kamen Alma Schindlers Lieder im halb-öffentlichen Rahmen häufiger zur Aufführung. Meistens begleitete sie den Gesang ihrer Mutter am Klavier. Die Mutter [spielte] als Vortragende eine wichtige Rolle, was Alma mit einer bis an Un- dankbarkeit grenzenden Selbstverständlichkeit übergeht. Wahrend sie das Künstlertum des Vaters gar nicht genug rühmen kann, begegnet sie der musikalischen Begabung der Mutter mit vollkommener Nichtbeachtung und scheint sich in keinem Moment gefragt zu haben, wie es denn dazu gekommen ist, daß die Mutter ihre ausgebildete Stimme nur beim häuslichen Musizieren zu Gehör bringen konnte. Sie zieht keine Schlüsse aus dem Lebensweg ihrer Mutter.132

Ihre Lieder schienen auf ein aufmerksames Interesse bei dem hauptsächlich kunstverständigen Publikum gestoßen zu sein und fanden in diesem Rahmen eine gewisse Verbreitung. Alma Schindler hatte also die Möglichkeit, auch ihren neuen Lieder den sachverständigen ZuhörerInnen vorzustellen und bekam häufiger Lob und Ermutigung, produktiv tätig zu sein: Dann sang Mama meine 3 Lieder, Gleich und gleich und Ich wandle unter Blumen. Sie gefielen, besonders aber O.[Olbrich].133 Er fand, dass ich viel zu wenig Anerkennung finde.134

130 Tagebuch-Suiten: 1. Juni 1898. 131 Tagebuch-Suiten: 21. Januar 1900. 132 Rode-Breymann: S.47/48. 133 Olbrich war Architekt und Mitbegründer der Wiener Sezession. Nach einer Trauerphase nach der Verliebtheit in Klimt, schwärmte Alma Schindler vergeblich für Olbrich, der kurze Zeit später von Wien nach Darmstadt umsiedelte. 134 Tagebuch-Suiten: 29. November 1899.

44 Aber nicht nur im heimischen Wiener Umkreis erfuhr sie Achtung für ihre kom- positorischen Leistungen. So kam es auf der Italienreise der Familie Moll/ Schindler im Frühjahr 1899 in Neapel zu einer der privaten Vorspielsituationen: Abends spielt ich Clavier vor. Mama sang eins meiner Lieder, und ich spielte meine 3 Stücke. Die Sachen gefielen ehrlich. Eine alte Engländerin hielt eine lange Rede, die man mir folgendermaßen verdolmetschte: Ja, Fräulein, componieren Sie nur weiter, comp. Sie Opern, Lieder, wie es Ihnen gefällt. Zeigen Sie den Männern, dass wir auch was leisten können. Sie haben das Zeug dazu. [...] Auch mein Spiel gefiel, und man sagte mir viele Complimente darüber. Doch... was liegt daran?135

Das Konzertieren am Klavier als künstlerische Identifikation verlor für Alma Schindler trotz allseitiger Anerkennung in dem Maße an Bedeutung, wie ihre Aversion gegen Auftritte wuchs. Eine kurze Episode machte noch einmal das Klavier zum Mittelpunkt, nämlich in der Tätigkeit als Klavierlehrerin. Diese Beschäftigung verließ den privaten Rah- men und war für Frauen gesellschaftlich anerkannt. Damit war sie die einzige Möglichkeit, musische Begabung beruflich zu entfalten und selbständig Geld zu verdienen Im Sommer 1899 hatte Alma Schindler mit ihrer Freundin Gretl Hellmann Kla- vierunterricht vereinbart. Die erste Stunde fand am 30. September 1899 statt. Vormittags Gretl Hellmann die I. Clavierstunde gegeben. Ich bin jetzt ernstlich ihre Lehrerin, bekomme für 8 Stunden 6 fl.

Aber schon wenige Tage später erhielt das Vorhaben einen Rückschlag. Am 6. Oktober 1899 schrieb Alma Schindler enttäuscht: Gretl Hellmann wollte gerne bei mir Clavier Unterricht nehmen, ihre Lehrerin aufgeben und ganz ernst studieren. Auf das freute ich mich nun damisch. Wie sehr ich mich gefreut habe, weiß ich erst heute, wo die ganze Geschichte für mich verloren gieng. Heute schreibt sie mir nämlich, ihre Mama wolle es deshalb nicht, weil wir zu intim sind, um die Sache ernst zu betreiben. Ich hatte mit Frau Adele drüber gesprochen, hatte den Lehrplan des ganzen Winters mir vorbereitet, hatte mich innig darauf gefreut und nun... Jede neue Enttäuschung macht mich muth-...wortloser. Alles, was ich mir vornehme, zerrinnt unter meinen Fingern.

Gretl Hellmann schien den Unterricht bei ihrer Mutter aber doch noch durchzusetzen. Am 14. Oktober 1899 fand der erste Termin statt und Alma Schindler reflektierte die Stunde. Abends Gretl H.s erste Stunde bei mir. Sie hat rasend geübt. Spielte auch die Etuden etc, gut, nur der Schumann...Ob man einem Geschöpf, das seelenlos spielt, Seele eintrichtern kann?

In den weiteren Monaten notierte sie nicht den Inhalt des Unterrichts, sondern höchstens das Stattfinden desselben. Am 5. April 1900 endete das Lehrerin-

135 Tagebuch-Suiten: 31. März 1899.

45 Schülerin Verhältnis, möglicherweise weil Gretl Hellmanns Lust am „rasenden Üben“ nachließ.

4.2.2. Selbstverwirklichung zwischen Ehe und Professionalisierung

In Bezug auf eine mögliche Professionalisierung brachte Alma Schindler dem Komponieren größeres Interesse entgegen als der pianistischen Tätigkeit, aber auch hier schwankte sie ständig zwischen Euphorie und Ermutigungen einerseits und Rückschlägen und Entmutigungen andererseits. Bevor sie die Entscheidung traf, durch die Ehe mit Gustav Mahler einen traditionell weiblichen Lebenslauf zu beschreiten, hatte die Ambivalenz zwischen eigener Produktivität und gesellschaftlichen Schranken ihr Leben geprägt. Dass dieser vorgegebene Weg um die Jahrhundertwende langsam seine Selbstver- ständlichkeit verlor, beweist die häufige Auseinandersetzung in der Literatur. Bei- spielhaft ist hier Arthur Schnitzlers Roman Der Weg ins Freie zu nennen, der damals eine kontroverse Diskussion bezüglich dieses Themas nach sich zog.136 Auch die Frauenbewegung setzte sich mit der Problematik der Frauen zwischen Ehe und Musikausübung zunehmend auseinander. So kritisierte 1898 S. Jessel in ihrem Vortrag Warum gibt es so wenige Komponistinnen?, gehalten in der Orts- gruppe des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins in Frankfurt/Main,137 dass die musikalische Erziehung von Mädchen unzureichend sei. Den Frauen werde zwar musikalische Begabung zugestanden, aber keine berufliche Ausübung der Kom- position. Um die Entwicklung der Frauen zu Komponistinnen zu verhindern, würden sie nur in Haushaltsdingen ausgebildet, intensive musikalische Bildung werde ihnen jedoch vorenthalten. Auch seien die beruflichen Aussichten für Frauen entmutigend. Neben einem aufkommenden öffentlichen Bewusstsein für diese Thematik hatte Alma Schindler auch persönlichen Kontakt zu Frauen, die als Vorbilder für eine künstlerische Lebensentscheidung geeignet gewesen wären

136 Vgl. Rode-Breymann: S.65/66. 137 Der Vortrag ist nachgedruckt in: Rieger, Eva: Frau und Musik, S.153-159.

46 Der Sängerin Lilli Lehmann beispielsweise brachte sie für ihre Bühnenkarriere große Bewunderung entgegen. Sie ließ sich nach der Aufführung von Beethovens am 9. Februar 1898 zu folgendem Wunsch hinreißen: Ich möchte ein große That thun. Möchte eine wirklich gute Oper componieren, was bei Frauen wohl noch nie der Fall war. Ja, das möchte ich. Mit einem Wort, ich möchte etwas sein und werden, und das ist unmöglich- & Warum? Mir fehlte die Begabung nicht, mir – fehlt nur der Ernst, der immer nothwendig ist, bei jedem Streben, bei jeder Kunst. – Ach Gott, gib mir irgend eine Pflicht, gib mir etwas Großes zu thun!! Gib mir das Glück!

Diese Art Aussagen, die in den Tagebüchern öfter dokumentiert sind, beweisen, dass Alma Schindler durchaus mit dem Gedanken spielte, eine künstlerische Laufbahn einzuschlagen, auch wenn andere Erlebnisse in gleicher Weise ihre Pläne auf entmutigende Weise durchkreuzten. Dieses Schwanken lähmte sie in ihrem uneingeschränkten Engagement für ihre künstlerische Ausbildung. Doch nicht alle Frauen ihres Umfeldes, die einen künstlerischen Lebensweg ein- geschlagen hatten, standen so hoch in Alma Schindlers Gunst wie Lilli Lehmann. Beispielsweise hatte sie für die künstlerische Leistung der Sängerin Anna Prasch- Passy, die sich im Oktober 1899138 noch für Almas Unterricht in Instrumentation einsetzen sollte, nur Geringschätzung übrig: Abends Prasch – Concert. Es war mäßig. Sie hat eine kleine, äußerst geschulte Stimme, welche einen aber völlig kalt lässt.139

Auch die französische Komponistin und Pianistin Cécile Chaminade, deren Werke Alma Schindler einige Male im Konzert hörte, stießen bei ihr eher auf Verachtung als auf Bewunderung, so dass Chaminade für sie nicht als Vorbild geeignet war. Eigentlich ist diese große Componistin nicht wert, auch nur mit einem Wort hier berührt zu werden, denn sie ist eine Schande des weiblichen Geschlechts. Ich spreche nur von ihr, weil sie mir eine bittere Enttäuschung gebracht hat. Ich dachte, man hört selten von einer Componistin, aber eine ist ja doch da, die rettet mich – Cecile Chaminade – die ich fast nur dem Namen nach kannte. Nun weiß ich, nach dem Conzert, ein Weib kann nichts erreichen, nie, nie, nie. [...] So etwas scheussliches habe ich nie gehört.140

Aber auch andere Frauen, die zwar keine künstlerische Laufbahn anstrebten, sondern ein Studium an der Universität aufgenommen hatten, fanden sich in Alma Schindlers Bekanntenkreis. Alle drei Töchter des Ehepaares Conrat, in deren Salon sie häufig verkehrte, gingen Wege der Selbstverwirklichung. Ilse, die älte- ste, wurde erfolgreiche Bildhauerin, die zweite, Erica promovierte in Kunstge-

138 Vlg. Tagebuch-Suiten: 17. Oktober 1899. 139 Tagebuch-Suiten: 22. März 1898. 140 Tagebuch-Suiten: 28. Februar 1899. Cécile Chaminade (1857-1944) hatte mit 8 Jahren zu komponieren und mit 18 Jahren zu konzertieren begonnen. Die meisten ihrer Werke sind in

47 schichte und auch die jüngste, Lilli Conrat studierte.141 Alma Schindler konnte ihre traditionellen Vorstellungen von Weiblichkeit offenbar schlecht mit neuen Wegen studierender oder Kunst ausübender Frauen vereinbaren. Über Lilli Conrat, mit der sie sich eigentlich gut verstand, notierte sie ihre Skepsis. Mit 6 Jahren lernte sie schon den ganzen Tag, mit 17 Jahren hat sie maturiert. Die hat halt einfach lernen gelernt. – Sie ist verlobt – ohne jede Erotik verliebt – das III. Geschlecht!142

Ich – Staat-Herrscher – würde die studierenden Weibern zur Ehe wohl – aber nicht zur Mutterschaft zukommen lassen. [...] Denn ein an Geist und Körper überbildetes Weib – u. die Schwangerschaft: Es ist der Ruin der kommenden Generationen.143

Diese Aussagen spiegeln Alma Schindlers Verinnerlichung der patriarchalischen Denkmuster wider, in denen die Vereinbarkeit von Karriere und (einer glücklichen) Ehe für Frauen grundsätzlich ausgeschlossen war. In ihrer Auseinandersetzung mit kunstschaffenden Frauen kam ihr am 21. De- zember 1898 einmal folgende Idee: Warum hat eine Frau noch nie etwas auf dem Gebiet der Musik geleistet? [...] Die Frauen haben, nehmen wir Rosa Bonheur (Thiermalerin), Kauffmann (Landschaft), Vigée- Lebrun (Portraits), wenn ich mich nicht irre, alle mehr oder weniger die Natur abgeschrie- ben. [...] Dichterinnen... Dr Ricarda Huch, Gabriele Reuter, Ebner-Eschenbach, sie alle beschreiben Züge aus ihrem Leben... treffend und naturwahr, aber... Genie! Ja Genie! Und nun Musik. Sie ist die schwerst verständliche und geistig durchdrungenste Kunst, und... kommt ganz aus dem Herzen. Da gibts kein Naturabschreiben – man käme da über die Vogelstimmen und Mühlenräder nachahmenden Lieder nicht hinweg. Da heißts eine Stimmung wiedergeben, und die Stimmung ist ein augenblicklicher Zustand des Herzens. Und ich... ein Frauenzimmer mit einem so kleinen Herzen und noch kleinerem Gehirn, will darin etwas leisten! – Pa!...

An anderen Tagen konnte sie aber wieder anderer Meinung sein. Der Roman Aus guter Familie von Gabriele Reuter brachte sie zu gegenteiligen Schlussfolgerungen. Ein famoses Buch! Dieses Irren nach Freiheit und Liebe und diese grenzenlose Enge der Umgebung, die alles hemmt, alles zerstört. Oh, es ist famos – und wahr! Ja, die Frauen werden! Ich bin überzeugt, ihnen gehört ein gut Theil der Zukunft.144

Dieses Schwanken in ihren Ansichten spiegelt ihre eigene Ambivalenz zwischen Professionalisierung und Ehe wider. Der Lebenslauf von Frauen, die ihre sängerische oder schauspielerische Laufbahn aufgrund ihrer Eheschließung aufgegeben hatten, war Alma Schindler aus ihrer Umgebung vielleicht vertrauter. Neben ihrer Mutter gehörte dazu beispielsweise

Vergessenheit geraten – mit Ausnahme des Concertinos op.107 für Flöte und Orchester. (Vgl. Tagebuch-Suiten: S.781, Fußnote 35) 141 Vgl. Rode-Breymann: S.71/72. 142 Tagebuch-Suiten: 5. Dezember 1900. 143 Tagebuch-Suiten: 14. November 1900. 144 Tagebuch-Suiten: 4. September 1899.

48 ihre Freundin Christine Geiringer geb. Bukovics, die zwischen 1880-1884 am Wiener Stadttheater Schauspielerin gewesen war und ihre Bühnenkarriere zugun- sten der Ehe mit dem Gesangsprofessor, Pianisten und Komponisten Gustav Geiringer beendet hatte145. Der Vergleich der verschiedenen Biografien von Frauen aus Alma Schindlers Umfeld verdeutlicht, dass sie durchaus unterschiedliche Fälle kannte und reflektierte. Die tradierten Geschlechterrollen prägten Alma Schindlers Lebensentscheidung, auch wenn sie ihr durchaus bewusst waren und sie sie häufiger verwünschte. Sie hinterfragte sie aber nie ernsthaft. In Wahrheit, meine Unfreiheit ist grenzenlos – und gerade mich drückt das entsetzlich. Ich vertrag‘ es einmal nicht, gebunden zu sein an Händen und Füßen. Ach – nur ein Mann sein!146

Aus welchem Grund sie den Entschluss gegen ihre künstlerischen Ambitionen und für ein traditionelles Eheleben traf, kann nicht eindeutig beantwortet werden. Möglicherweise war ihr der beschwerliche Weg weiblicher Kunstausübung zwischen dem Dasein als Klavierlehrerin und der Aufführung eigener Werke im kleinen Rahmen zu mühsam. Sie hatte zwar innerhalb ihres künstlerischen Um- feldes einige ermutigende Erfolge errungen, um diese aber auch außerhalb dieses geschützten Raumes auszudehnen, fehlten ihr Mut und Durchsetzungswille. Kunst ausübenden Frauen brachte Alma Schindler meistens ein größeres Maß an Kritik entgegen als Männern. Sie hielt sich selbst zwar für talentiert, wollte aber auf keinen Fall in dergleichen Mittelmäßigkeit eingestuft werden, die sie diesen Frauen so oft nachsagte. Da sie Ehe und Karriere für unvereinbar hielt, bzw. „studierende Weiber“ für unweiblich, musste sie sich zwischen eigener Kunstaus- übung und Ehe eindeutig entscheiden. Sie traf eine traditionelle weibliche Leben- sentscheidung zugunsten der Ehe, weil sie einer eigenen künstlerischen Karriere offenbar skeptisch gegenüberstand.

145 Rode-Breymann: S.66/67. 146 Tagebuch-Suiten: 7. August 1900.

49

4.3. Komposition zwischen Selbstausdruck und Professionalisierung

Wie ihr Klavierspiel hing auch Alma Schindlers schöpferisch-kompositorische von ihren Stimmungen ab. Komponieren war, ähnlich wie Tagebuch-Schreiben, etwas sehr Privates und Intimes für Alma Schindler, etwas, das sie bevorzugt am Abend und allein tat. Aus diesem Grund sind häufig Tagebucheinträge der folgenden Art zu finden: Ich war allein zu Hause. Componierte ein Lied.147

Abends allein. Habe ein kleines Liederl componiert. Goethe natürlich!148

Alma Schindler befasste sich zunächst hauptsächlich – wenn auch nicht aus- schließlich – mit der Komposition von Liedern. Diese Gattung entsprach dem Zeitgeist des Fin de Siècle, denn Gedichte und Lieder waren konstitutiver Bestandteil der bürgerlichen Salonkultur, so dass das Lied auch die Gattung war, die in diesem halb-öffentlichen Rahmen zur Aufführung gelangen konnte. Stimmungen, die in den Gedichten ausgedrückt waren, regten Alma Schindlers kompositorische Kreativität an. Vergleichbar mit Anton Webern oder Alban Berg setzte auch sie sich viel mit Lyrik auseinander. Berg beispielsweise komponierte zunächst nur nach seinen literarischen Interessen und seinen Stimmungen: Ich hatte noch ein wenig zu tun – bald war’s geschehen – dann zog’s mich zum Clavier. Ich wollte den ersten Eindruck festhalten, den das Gedicht von Hoffmanstal [sic] in mir wach rief.149

Alma Schindlers Empfindungsintensität schlug sich mehr als vorgegebene musikalische Formmodelle auf ihre Liedkompositionen nieder. Ihre Lieder gleichen frei assoziierenden, träumerischen Selbstgesprächen eines empfindungsstarken jungen Menschen.150

Komposition bedeutete für Alma Schindler – wie für Alban Berg – die Möglichkeit zum Selbstausdruck. Bei Alma Schindler war die Gedichtauswahl häufig an ihre gegenwärtige Stimmung gebunden, was einmal sogar ihrer Schwester Gretl auffiel:

147 Tagebuch-Suiten: 2. Februar 1898. 148 Tagebuch-Suiten: 17. März 1898. 149 Zitat aus einem Jugendbrief Bergs an Watznauer vom 20. November 1903, Kopie des Autografen in: Berg, Erich Alban (Hrsg.): Alban Berg. Leben und Werk in Daten und Bildern. Frankfurt/ Main 1976, S.79. 150 Rode-Breymann: S.74.

50 [Gretl:] Wo Du nur immer Texte herhast, die so auf Deinen Zustand passen. Ich kenne Dich, und alle Menschen, die Deine Lieder hören werden, werden Deinen Zustand kennen. [Alma:] Es ist richtig, mich drängts nur, Lieder zu schreiben, die zu meiner Stimmung passen, und das können keine Schnadahüpferln sein. Ich habe noch nie, weder ein lustiges Lied noch ein lustiges Stück geschrieben, ich kann nicht!151

Durch die vollkommene Identifikation mit dem Inhalt der Gedichte werden die Lieder zu Dokumenten der Selbstfindung Alma Schindlers in der Zeit ihrer Adoleszenz. Sie bevorzugte vor allem Gedichte, die die Stimmung der Nacht zum Inhalt hatten und diese verherrlichten. Einerseits sah sie dort die mondglänzende Schönheit ausgedrückt, andererseits Dunkelheit. Die Mondnacht diente Alma Schindler aber auch als Projektionsfläche für eigene Wünsche. Ich bin in einer solchen Raserei, dass ich aufhören musste zu componieren. – Ich glaube, ich werde verrückt. Ich weiß nicht, was mit mir vorgeht. Ich hasse, ich liebe... Ich möchte sterben. – Ich componiere ein Lied: Meine Nächte – ich kam nicht weiter – unfrei. – Wenn ich nur jemanden hätte zum umarmen – zum küssen – zu tod küssen – nur einmal lieben – nur einmal genießen und dann sterben.152

Schöpferische Stimmungen und Schaffensschwankungen hingen bei Alma Schindler eng mit Gefühlen von Liebe und Sehnsucht zusammen, wie sich in den Tagebüchern leicht nachvollziehen lässt. Unerwiderte Liebe, wie im Beispiel der Verliebtheit in Olbrich, wirkte meist als Schaffensimpuls. Componierte viel, aber mehr mit dem Verstand wie mit dem Herzen. Ich habe wenig erfunden und doch nicht schlecht gearbeitet. Ach, wenn nur Olbrich bald käme, dann gienge es gleich besser von Statten. Der reizt mich immer so sonderbar.153

Andersherum löste der Zustand von erwiderter Liebe das Ausbleiben von Ideen aus, wie im Fall der Verliebtheit zu Mahler. Ich bin auf etwas gekommen. Die Kunst entsteht aus der Liebe. Während sie – Liebe – beim Mann Werkzeug zum Schaffen ist, ist sie bei der Frau Hauptgedanke. Ich war immer nie so unfruchtbar, wie in den Zeiten der Liebe. Ich sitze am Clavier, warte, warte – u. es kommt nichts. Ich kann auch an nichts concentriert denken, wie an das.154

Dass die jungen KomponistInnen mit der Ausdeutung ihrer Stimmungen weniger Schwierigkeiten hatten als mit der Umsetzung von form- oder satztechnischen Aufgaben, ist aus den beschriebenen Zusammenhängen heraus leicht verständlich. Der Unterschied liegt nur in den verschiedenen Bewertungen der frühen identitätsbildenden Kompositionen. Was bei Alban Berg und Anton Webern positiv als produktive Entwicklungsstufe ihrer Jugendzeit angesehen wird, wird

151 Tagebuch-Suiten: 5. Januar 1899. 152 Tagebuch-Suiten: 19. März 1900. 153 Tagebuch-Suiten: 20. Dezember 1899. 154 Tagebuch-Suiten: 9. November 1901.

51 bei Alma Schindler negativ als Unfähigkeit, in anderen Gattungen und Formen zu komponieren, angekreidet. In Bezug auf die Beurteilung der frühen Kompositionen werden also häufig geschlechtsspezifische Unterscheidungen vorgenommen. Nicht nur die inneren, sondern auch die äußeren Bedingungen hatten Einfluss auf ihre kreative Arbeit. Alma Schindler teilte bis zur Übersiedlung der Familie in das neue Haus auf der Hohen Warte im September 1901 – also bis zu ihrem 22. Lebensjahr – ein Zimmer mit ihrer Schwester Gretl. Es fehlten ihr die Freiräume, sich ungestört auf ihre Arbeit konzentrieren zu können. So kam es häufiger zu Störungen, weil jemand ins Zimmer kam. Abends componiert: es gieng trefflich, mir fiel alles mögliche ein. Da geht die Thüre auf: Mama kommt mit einem Buch, setzt sich. Nicht lange nachher Carl. Die Stimmung war beim Teufel. [...] Allein sein, ein bissel Geld haben, unabhängig sein – oh wie herrlich wäre das! [...] Ich geh schnell nach dem Nachtmahl herauf, glücklich, dass ich nun allein im Wohnzimmer bin, frei bin, componieren kann. Mama kommt, bleibt, und ich bin gerade jetzt gestimmt, jetzt kann ich. Eine Stunde drauf bin ich wieder steryl. Und Mama sagt: Sei froh, wenns mich nicht geniert.155

Alma Schindler wurde von ihren Eltern zwar in der für Mädchen üblichen Weise unterstützt, ging es aber um Freiräume und Förderungen, die eine Professionali- sierung vorangetrieben hätten, fand sie – wie auch schon im Fall des Klavierunter- richts bei Professor Epstein – wenig Verständnis. Aus diesem Grund suchte sich Alma Schindler ihre ersehnte Einsamkeit oft auf Spaziergängen oder in Räumen des Hauses ohne Klavier. Gestern abends noch spazieren gegangen – allein – nur mit meinem Skizzenbuch. Componierte.156

Die Suche nach Zurückgezogenheit zum Komponieren beweist, dass Alma Schindlers musikalisch-kompositorisches Talent auch ohne Klavier auskam. Schaffensschwankungen hingen des Weiteren eng mit ihren gesellschaftlichen Verpflichtungen zusammen, die sie oft von ihrer Kompositionstätigkeit ablenkten. Josef Labor und noch eindringlicher Alexander Zemlinsky stellten sie vor eine Entscheidung. Er [Zemlinsky] war unsagbar ruppig. Ich lachte nur zu dem Thun... innerlich wurmte es mich. Er sagte: Entweder Sie componieren, oder Sie gehen in Gesellschaften – eines von beiden. Wählen Sie aber lieber das, war Ihnen näher liegt – gehen Sie in Gesellschaften.157

155 Tagebuch-Suiten: 8. Januar 1900. 156 Tagebuch-Suiten: 20. Mai 1901. 157 Tagebuch-Suiten: 4. März 1901.

52 In Zeiten ihrer Abwesenheit von Gesellschaftsveranstaltungen fühlte sie die innere Identifikation mit ihrem kompositorischen Schaffen. Mir ist auch gar nicht leid, das zu versäumen. Überhaupt fühle ich mich jetzt allem gesell- schaftlichen Treiben so völlig fern, dank meines Schaffens, das mir so große, innere Freude macht, dass ich mich direct fürchte, mit der Außenwelt in Contact zu treten.158

Ihr Wunsch „Wenn ich doch nur etwas erreichen könnte“159 wurde immer wieder von diesem Antagonismus durchkreuzt, und es gelang ihr nie ganz, sich von gesellschaftlichen Anlässen fernzuhalten. Ich werde mich nie ganz in die Sache vertiefen können. [...] Es ist mein größter Kummer, dass ich eine Halbnatur bin.160

Auf diese Weise geriet Alma Schindler in einen stetigen Kreislauf. Sie wurde durch Entmutigung und Selbstzweifel geplagt, wenn ihr die Konzentration auf ihr kompositorisches Schaffen nicht gelang. Wenn sie in Zeiten des Verzichts auf gesellschaftliche Ereignisse künstlerische Fortschritte machte, fühlte sie sich zu professionellen Ambitionen ermutigt. Da sie sich aber in ihrem Elternhaus seit der Wiederverheiratung der Mutter und der Geburt der Stiefschwester nicht mehr wohl fühlte, suchte sie im gesellschaftlichen Treiben nach einem Ausweg – mit anderen Worten – sie wollte heiraten, um dem Familienleben zu entkommen. Judith Förner bringt in ihrer Arbeit die geschlechtsspezifische Entwicklung von Kreativität treffend auf den Punkt.161 Dies [das sinkende Selbstbewusstsein], zusammen mit der während der Adoleszenz sich vollziehenden Ausrichtung auf Attraktivität für und Bestätigung durch Jungen bietet keine gute Grundlage für die Ausbildung eigener musikalisch-künstlerischer Produktivität, deren Besonderheit gerade in der Unabhängigkeit von Gefallenwollen und äußerer Bestätigung liegt. Unter den gegebenen gesellschaftlichen Bedingungen gestaltet sich die Adoleszenz für Mädchen tendenziell keineswegs im Sinne eines „Aufbruchs“, eines „Freiraums“ zum Experimentieren mit und Finden von neuen Rollen und Lebensentwürfen, [...] sondern stellt vielmehr eine Zeit der erzwungenen Selbstrück- nahme, Selbstbeschränkung und der Ausrichtung an den Wünschen anderer dar, mit der Abnahme des Zutrauens in sich selbst und die eigenen Fähigkeiten.162

Auch wenn diese Arbeit die heutigen Bedingungen künstlerischer Produktivität beleuchtet, sind die genannten geschlechtsspezifischen Einflüsse während der Adoleszenz durchaus auch im Falle von Alma Schindler für bedenkenswert und zutreffend.

158 Tagebuch-Suiten: 2. Januar 1899. 159 Tagebuch-Suiten: 27. Dezember 1898. 160 Tagebuch-Suiten: 12. Mai 1900. 161 Förner, Judith: Die Bedeutung der Adoleszenz im weiblichen Lebenszusammenhang für die Ausbildung künstlerischer-musikalischer Produktivität, Wissenschaftliche Hausarbeit an der Hochschule der Künste Berlin 1995. Ich danke Beatrix Borchard, die mir diese Arbeit zur Verfügung gestellt hat. 162 a.a.O.: S.87.

53 Auch Zeitgenossen reflektierten über die Adoleszenz als problematische Le- bensphase, wie Alma Schindlers späterer Ehemann Franz Werfel in seiner Er- zählung über seine Stieftochter und Alma Mahler-Werfels Tochter Manon.163 Während der Adoleszenz Manons schien ihre Leidenschaft fürs Deklamieren und Theaterspielen zu erlöschen. Daß es die Scham vor dem starken Ausdruck, die Scheu vor der Selbstentblößung sein mochte, wie sie in der Geschlechtsreife alle feineren Naturen überkommt, daran dachte ich nicht.164

Von Interesse ist hier, dass Franz Werfels Reflexion über die Adoleszenz offenbar nicht von Alma Mahler-Werfel übernommen wurde. Auch wenn davon auszugehen ist, dass sie die Werke ihres Mannes kannte, hat sie ihre eigene künstlerische Laufbahn in ihren Autobiografien nicht auf diese Weise beleuchtet.

4.4. Das Kompositionsstudium bei Josef Labor und Alexander Zemlinsky

Alfred Claytons Einschätzung von 1995, dass über Alma Schindlers Lehrzeit bei Alexander Zemlinsky kaum Überblick zu gewinnen sei, da Alma Mahlers Manuskripte in den letzten Kriegstagen verbrannt worden seien,165 ist heute nicht mehr aktuell. Anhand der Tagebuch-Suiten und der bisher unveröffentlichten Briefe Zemlinskys an Alma Schindler166 lässt sich das Unterrichtsverhältnis nun rekonstruieren. So sind diese Quellen sicherlich auch für die Verallgemeinerung der Prinzipien von Zemlinskys Kompositionsunterricht fruchtbar und sagen etwas über seine künstlerisch-pädagogische Beziehung zu seinen Schülern aus, die Clayton in seinem Aufsatz bereits versucht hatte, zu beleuchten. Das Gleiche gilt für Alma Schindlers Unterricht bei dem blinden Organisten Josef Labor, der bislang kaum Erwähnung gefunden hat und nun anhand der Tagebuch- Suiten im Vergleich zu Zemlinskys Unterricht anschaulich nachvollzogen werden kann.

163Werfel, Franz: Manon, in: Erzählungen aus zwei Welten Bd. 3, hrsg. von Adolf Klarmann, Frankfurt/ Main 1954. 164 a.a.O.: S.395. 165Clayton, Alfred: Alexander Zemlinskys künstlerisch-pädagogische Beziehung zu seinen Schülern, in: Alexander Zemlinsky. Ästhetik, Stil und Umfeld, hrsg. von Hartmut Krones, Wien usw. 1995, (=Wiener Schriften zur Stilkunde und Aufführungspraxis. Sonderband 1), S.309. 166 Wie bereits erwähnt, liegen mir diese unveröffentlichten Briefe zwar nicht vor, die für die Unterrichtszeit relevanten Briefe sind jedoch zu einem großen Teil zitiert in: Urban, Juliane: Die Lieder von Alma Mahler-Werfel geb. Schindler, Magisterarbeit Freie Universität Berlin 1994, S.74-83.

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4.1.1. Prinzipien des Kompositionsunterrichts bei Josef Labor

Seit 1895 – also seit Alma Schindlers 16. Lebensjahr – fand der Unterricht einmal wöchentlich Dienstags in Labors Wohnung statt. Der Unterricht beanspruchte oft länger als die geplante Zeitstunde, denn neben den Unterrichtsinhalten sprachen sie allgemein über Kunst oder diskutierten aktuelle Themen, wie beispielsweise am 25. Oktober 1899 die „moderne Erziehung“: Ich sprach gestern mit dem Labor über moderne Erziehung. Warum lernt der Bursche denken und das Mädchen nicht? [...] Warum wird denn einem Mädel alles so schrecklich leicht (schwer) gemacht? Das sollten die Frauen anstreben: Die Emancipation der Frauen ist nicht möglich, wenn ihr Gedenken nicht systematisch geschult wird, gedrillt wird. Er musste mir recht geben.

Da es für bürgerliche Familien allgemein üblich war, den Sommer nicht in der Stadt, sondern in der „Sommerfrische“ zu verbringen, setzte auch der Unterricht während des Sommers aus, so dass meist im Juni Vermerke wie diese zu finden sind. Letzte Stunde beim Labor. Mir war furchtbar leid. Auf meine Frage, ob er mich nächstes Jahr wieder nähme, sagte er: Ich freue mich schon darauf und werde Sie mit offnen [sic] Armen wieder aufnehmen.167

Wegen der Blindheit des Lehrers spielte Alma Schindler ihm ihre Kompositionen – hauptsächlich Lieder und Klavierstücke – am Klavier vor und Labor korrigierte nach Gehör. Alma Schindlers Notationen entbehrten also der schriftlichen Korrektur. Labor war wieder zufrieden. Ich spielte ihm mein Adagio und mein Lied ‚die Frühlingsnacht‘ vor. Sie sind ja furchtbar productif, sagte er. Ich bringe ihm zu jeder Stunde 2 Sachen, meistens ein Stück und ein Lied. Mir macht das ganze eine große, große Freude. Wenn ich doch nur etwas erreichen könnte! Meine Seligkeit kennt keine Grenzen.168

Nach sechs Jahren Unterricht – im Frühjahr 1899 – schlug Labor die Vertiefung der musiktheoretischen Studien in Form von Kontrapunktunterricht vor. Alma Schindler hatte Vorbehalte, obwohl ihr bewusst war, dass der rationale Zugang für ihre kompositorische Entwicklung unentbehrlich war.

167 Tagebuch-Suiten: 14. Juni 1898. 168 Tagebuch-Suiten: 27. Dezember 1898.

55 Nächstes Jahr will er mich vom Contrapunkt schmecken lassen. Das ist eine gefährlich Sache. Große Talente befreit er, kleine erdrückt er. Lieber erdrücken lassen von der Wucht dieser Wissenschaft als unwissend dahinleben, ein kleines Talent ‚behüten‘.169

Auch im Umfeld der Sezession stieß das Vorhaben der Kontrapunktstudien auf Widerspruch gegen den sie sich zu verteidigen versuchte, so wie sie einige Tage nach der Vereinbarung des Unterrichts mit Olbrich stritt. Mit Olbrich hatte ich einen großen Streit und bin ganz entsetzt über seine hirnverbrannten Ansichten. Er meinte, ich solle nicht Contrapunkt lernen: Sie haben Empfindungen, Einfälle, mehr brauchen Sie nicht. Brechen Sie mit der Tradition, werfen Sie den alten Plunder von sich, seien Sie modern, individuell, sie haben das Zeug dazu. Umsonst suchte ich ihn zu überzeugen, dass das Können die Hauptsache sei, auf dem sich alles aufbaut – das ist eben Secession (wie sie nicht sein soll) und (deshalb) verwerflich: Mit solchen Ansichten kommt man nicht weiter.170

Alma Schindler geriet auf diesem Wege in den Zwiespalt zwischen Tradition und Moderne. Olbrich plädierte für Modernität ohne das Erlernen des traditionellen Unterrichtskanons während Labor diese Konzepte verteidigte. Labor. Ich spielte ihm 2 meiner Lieder vor, und er meinte, dass sie zu secessionistisch seien.171

Obwohl Alma Schindler Vorbehalte hatte, begann im Oktober 1899 der Kontra- punktunterricht. Nebenbei schien sich Alma Schindler aber auch für Anderes zu interessieren. Am 13. Oktober 1899 versuchte sie ein Gedicht von Henrik Ibsen zu vertonen – am 17. Oktober dachte sie über Unterricht in Instrumentation nach. Nachdem ihr Vorhaben – wie bereits erwähnt – von der Sängerin Anna Prasch unterstützt worden war, trug sie es Labor vor. Ich frug ihn wegen Instrumentationslehre, und er sagte: Erst Contrapunkt. Und recht hat nun wieder Labor.172

Labor legte als Pianist und Organist seine Priorität mehr auf kontrapunktische Formen und Kammermusik, weniger auf Instrumentation, auch wenn sich seine Schülerin mit dem neuen Unterrichtsgegenstand schwer tat. Der Contrapunkt, das ist die allergraueste Theorie. Beim Suchen einer Oberstimme für einen Choral wurde ich halb wahnsinnig von dem ewigen ‚Zurück‘ des Labor.173

Und Labor war unzufrieden mit ihren Leistungen in dem neuen Fach. Labor. Er war sehr unzufrieden. Ja, wenn Sies so treiben, dann geben Sies lieber auf. Ich war unglücklich.174

169 Tagebuch-Suiten: 28. Februar 1899. 170 Tagebuch-Suiten: 4. März 1899. 171 Tagebuch-Suiten: 15. März 1898. 172 Tagebuch-Suiten: 17. Oktober 1899. 173 Tagebuch-Suiten: 24. Oktober 1899. 174 Tagebuch-Suiten: 31. Oktober 1899.

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Die frustrierende Beschäftigung mit dem Kontrapunkt endete vorerst nach etwa einem Jahr. Im November 1901 versuchte Alma Schindler bei einem neuen Lehrer – Robert Gound – einen neuen Zugang zu dem Fach zu bekommen, nachdem Zemlinsky ihr dazu geraten hatte. Über die Stunden bei Gound ist aus den Tage- büchern inhaltlich nichts zu erfahren. Sie werden bloß als Termine erwähnt. Labors pädagogisches Konzept bestand darin, seine SchülerInnen langsam heran- reifen zu lassen. „Gipfelstürmer“ fanden wenig Gnade vor seinen Augen. Er sagte: Nichts ist gefährlicher für ein junges Talent als das, sich nicht reif werden lassen. Die warnendsten Beispiele sollten für alle jungen Künstler Rubinstein & Goldmark sein – 2 solche Talente, untergegangen, weil sie nicht abwarteten, bis sie fertig waren.175

Neben den Inhalten des Kontrapunkts und der Korrektur von Alma Schindlers Kompositionen war das Lernen an klassischen Vorbildern Unterrichtsgegenstand in der „Laborstunde“. Alma Schindler hatte mit Labors Konzept der Nachahmung aber Schwierigkeiten, da sie ihre Ergebnisse häufig als Plagiate ihrer Vorbilder empfand. Ich componierte ein Lied, doch lehnt sichs stark an Schumann an und macht mir deshalb keine Freude.176

In Labors Unterricht fehlte die Abstraktion der musikalischen Parameter (z.B. Form oder harmonische Prinzipien) und ihr Transfer auf eigene Kompositionen. Anhand Alma Schindlers Berichte aus den „Laborstunden“ lässt sich entnehmen, dass Labor über wenige pauschale Sätze hinaus kaum begründete Kritik an ihren Kompositionen anbrachte. Meistens beschränkten sich seine Kommentare auf allgemeine Aussagen, die selten die Fehler präzisierten. Habe ihm alles vorgespielt: Hinaus ist zu lange und ist zuviel Clavierstück. Qual ist ungesund mit schlechter Melodik und detralogisch (Detralogie: Erinnerung), der Text zu dumm. Der Morgen ist gut, nur die Abweichung nach As-dur unnöthig. Einsamer Gang hat sehr gute Sachen. Der Satz der Sonate ist gut, mein Muth, die Sache anzupacken, zu bestaunen. Die Etude fade.177

Labors Aussagen beschränkten sich auf das Allgemeine und als Alma Schindler ihm acht ihrer Lieder am 17. Januar 1899 vorspielte, lautete sein Kommentar „Das ist aller Ehren wert... für ein Mädel.“ Alma Schindler machte in solchen Situationen oft sich selbst für den wenig systematischen und wenig herausfor- dernden Unterricht verantwortlich.

175 Tagebuch-Suiten: 28. Februar 1899. 176 Tagebuch-Suiten: 3. Februar 1899. 177 Tagebuch-Suiten: 3. Oktober 1899.

57 Spielte dem Labor das neue Lied vor, und er sagte, dass es eines meiner besten Lieder sei, ein gutes Lied. Das macht mir viel Freude, obwohl ichs gewusst hatte. Im übrigen mache ich technisch keine Fortschritte – ich kann halt nicht denken.178

Auch wenn Labor Alma Schindlers Talent auffiel, förderte er sie nicht in dem Maße, wie andere seiner Schüler179, denen er eine Komponistenkarriere zutraute (Julius Bittner, Paul Wittgenstein und Arnold Schönberg). Mangelnde Systematik und fehlende Herausforderung in der Kritik an ihren Kompositionen ließen Alma Schindler die Lust verlieren. Während sie bereits bei Zemlinsky mit dem Unter- richt begonnen hatte, liefen ihre Stunden bei Labor noch ein Jahr weiter, über die sie inhaltlich aber immer weniger in ihr Tagebuch schrieb. Ihr Studium bei Zemlinsky hielt sie vor ihm geheim, bis sie ihm am 8. Oktober 1901 darüber beichtete und das Unterrichtsverhältnis beendet wurde. Sie selbst resümierte über die jahrelange Zusammenarbeit: Ich habe 6 Jahre bei ihm gelernt – nicht allzuviel gelernt, aber doch stets einen warmen, antheilnehmenden Freund bei ihm gefunden.180

Wahrscheinlich hatten Labors Vorurteile gegenüber der Professionalisierung von kunstschaffenden Frauen die Mittelmäßigkeit seiner Unterrichtskonzepte hervor- gerufen und schließlich dazu beigetragen, dass Alma Schindler nicht mehr genügend Herausforderung fand – Herausforderung, die sie im Unterricht bei Zemlinsky zu diesem Zeitpunkt bereits kennengelernt hatte.

4.4.2. Prinzipien des Kompositionsunterrichts bei Alexander Zemlinsky

Zemlinskys Unterricht setzte ein, als Alma am Wendepunkt zwischen Dilettantismus und Professionalisierung stand – in etwa vergleichbar dem Entwicklungsstand von Alban Berg bei Beginn seines Unterrichts bei Schönberg.181

Alma Schindler hatte bei Alexander Zemlinsky einige prominente Mitschüler, als sie bei ihm am 18. Oktober 1900 mit dem Kompositionsunterricht begann. Unter ihnen waren Erich Wolfgang Korngold, Rudolf Stefan Hoffmann, Karl Weigl und Arnold Schönberg.182 Zemlinsky war bei einem Gesellschaftskonzert im März 1900 eines ihrer Lieder aufgefallen, der Unterricht begann aber erst ein gutes halbes Jahr später.

178 Tagebuch-Suiten: 23. Januar 1900. 179 Rode-Breymann: S.89. 180 Tagebuch-Suiten: 15. Oktober 1901. 181 Rode-Breymann: S.88. 182 Über Zemlinskys Unterrichtsverhältnis zu diesen Schülern vgl. Clayton: S.310/311.

58 Zemlinsky sagte mir nun, dass mein Lied ihm außerordentlich gefalle, dass ich ein ausgesprochenes Talent habe.183

Der Wunsch, in ein Unterrichtsverhältnis zu treten, kam bald ich ihre auf. Ich denke Tag und Nacht nurmehr an eine Sache: Ich möchte beim Zemlinsky lernen. Wenn Mama’s nur erlaubt.184

Am 1. Juni 1900 bestätigte Zemlinsky seinerseits ihre Anfrage. Schon in der ersten Stunde zeichnete sich ab, welche anderen Prinzipien den Unterricht beherrschen sollten. Zwar kritisierte Zemlinsky Alma Schindler, jedoch lernte sie anhand der konstruktiven Kritik, Fehler zu verbessern. Ich spielte ihm den Lobgesang und den Engelgesang vor. Er war durchaus unzufrieden. – Stimmung verfehlt – und er erklärte mir warum. Es war so ungemein interessant, er hatte in allem so recht, dass ich ganz beglückt bin und war.185

Als Zemlinskys pädagogisches Konzept beschreibt Clayton, dass dessen Schüler ihre eigene musikalische Auffassung entwickelten sollten, um ihre Individualität zur Geltung zu bringen. Dabei sei Zemlinsky strikt gegen die Anwendung starrer Systeme gewesen.186 Meine Unterrichtsmethode geht zum Unterschiede gewisser Unterrichtsarten dahin, daß meine Schüler alles bisher für gut und notwendig Gegoltene zu erlernen haben, um dann erst das zu verlernen bzw. umzulernen, was ihnen ihre Begabung zu deren freien Entfal- tung als notwendig diktiert. Nur die können ganz frei von allem Hergebrachten und Ueberwundenem sein, die durch alles durchgegangen sind und alles beherrschen. Bei einem Genie ist es vielleicht anders. Genies brauchen auch keinen Unterricht zu nehmen...187

Dieses Programm schlug für Alma Schindler die Brücke zwischen dem musiktheoretischen Lernen und der kreativen Anwendung desselben und verwurzelte das Neue in der Tradition, wie sie es bei Labor zu vermissen begonnen hatte. Von vornherein teilten Zemlinsky und Alma Schindler ihre Affinität zur Oper und zum Lied und bevorzugten die gleichen Dichter. Beiden lagen die vokalen Gattungen offensichtlich näher als die Laborschen Kontrapunktstudien und die Kammermusik.

183 Tagebuch-Suiten: 10. März 1900. 184 Tagebuch-Suiten: 22. Mai 1900. 185 Tagebuch-Suiten: 18. Oktober 1900. 186 Vgl. Clayton: S.303. 187 Zitiert nach Clayton: S.305. Die Aussage geht zurück auf Alexander Zemlinsky, den Hugo Robert Fleischmann zitierte in: Ders.: Alexander Zemlinsky und die neue Kunst, in: Der Auftakt 1, (1920/21).

59 In einem herausfordernden Lernklima spornte Zemlinsky Alma Schindler durch begründete Kritik an und wusste die Gradwanderung zwischen Kritik und Ermutigung angemessen einzuschätzen. In seinem Brief vom 19. Juni 1901188 schrieb Zemlinsky: Ich bin ganz froh, daß Du meine herbe – vielleicht etwas zu herbe Kritik nicht übler aufgenommen hast. Ich hatte eigentlich ein bissel Angst, nachdem ich Dir den Brief schickte. Aber so muß es sein! Je früher und strenger Kritik an eigenen Werken geübt wird – man wächst in seinen eigenen Anforderungen mit der Strenge derselben. Bekommt man einmal das Einsehen, daß man nichts gemacht hat, und verliert dabei den Mut nicht, spürt immer neue Kraft zur Arbeit – dann ists fein! Das ist schon ein kleines Zeichen!

Wie auch bei Labor lernte Alma Schindler in Zemlinskys Unterricht anhand klassischer Vorbilder. Anders als Labor forderte Zemlinsky aber den Transfer auf ein allgemeines Prinzip. Diese Technik empfand Alma Schindler als motivierend. An der Hand der Beethovenschen Claviersonaten gieng er vor – logisch, klar, distinct. [...] Ich soll jetzt mit meinen Liedern aufhören und muss für die nächste Stunde nach Muster der ersten Perioden und Sätze aus einzelnen Sonaten kleine Sätze machen. – Ich thus mit Wonne – Zemlinsky ist ein famoser Kerl.189

Auch bei der Korrektur einer Sonate verwies Zemlinsky auf Beethovens Vorbild, um dort Kriterien für das eigene Komponieren abzuleiten. Auch müßte das zweite Thema sich mehr unterscheiden vom früheren. Sieh doch Beethoven daraufhin an. Nicht nur die Motive durchspielen; harmonisch analysieren.190

Diese Korrekturbriefe entstammen der Zeit der Sommerfrische 1901191 der Familie Moll/Schindler. Der Unterricht wurde durch Briefwechsel aufrechterhalten und den offiziellen Unterrichtsbriefen versteckte Liebesbriefe beigefügt, da sich das Unterrichtsverhältnis in ein Liebesverhältnis auszudehnen begann. Zemlinsky scheint Alma Schindler den Weg zur Professionalisierung zugetraut zu haben, auch wenn er den negativen Einfluss ihrer gesellschaftlichen Verpflichtungen auf ihre Arbeit durchaus scharf kritisierte. Besonders im Sommer 1901 ist aus Zemlinskys Briefen immer wieder zu entnehmen, dass er von der Entwicklungsfähigkeit seiner Schülerin und ihren Fortschritten – besonders hinsichtlich ihrer Liedkompositionen überzeugt war. Am 8. Juni 1901 schrieb er: Dein Lied hat mich so gefreut, fast jedem Menschen, der zu mir kam, hab ichs vorgespielt (ohne die Widmung zu zeigen – fürchte nichts). Es hat auch gut gefallen.

188 Brief zitiert nach Urban: S.80. Urban zitiert ihn als undatierten Brief. Rode-Breymann datiert ihn auf den 19. Juni 1901, vgl.: Rode-Breymann: S.90. 189 Tagebuch-Suiten: 22. November 1900. 190 Undatierter Brief zitiert nach: Urban: S.81. 191 Im Jahr 1901 verbrachte die Familie von Mitte Mai bis Ende September die Sommerfrische in St. Gilgen bei Ischl.

60 Merkwürdigerweise hat man gefunden, daß die Arbeit besser sei als die Erfindung: Du fängst auch an gefährlich zu werden, heißt das.192

Im Sommer 1901 wagte Alma Schindler sich erstmals an die Vertonung einer Szene aus einem Drama von Hugo von Hofmannsthal heran.193 Zemlinsky unterstützte die Arbeit zunächst, da er mit seiner Schülerin den Übergang von der textumsetzenden Form des Liedes auf die Ebene größerer Formen erproben wollte. Die Vertonung der Szene machte Alma Schindler jedoch Schwierigkeiten und er riet ihr vorerst ab, den musikdramatischen Versuch weiterzuführen. Ich sage nicht, daß sie nicht einmal so etwas machen könnten – jedoch, ich kann auch nicht sagen (nämlich mit Sicherheit), daß sie genügend Talent dazu haben! Ich weiß es vorläufig nicht. Schließlich wären Sie damit wirklich eine fabelhafte Ausnahme. Meines Wissens hat noch nie eine Frau etwas derartiges Gutes gemacht! Lieder, das ist gewöhnlich das Feld der Weiber!194

Trotz seiner Einschätzung korrigierte er ihr Manuskript ausführlich und verwarf ihren Versuch nicht einfach. Hat man eine Szene disponiert, muß man sich klar werden, welche Grundmotive dieselbe beherrschen, – die müssen zuerst erfunden werden. [...] Nämlich gewöhnlich ist es der Fall – (bei Anfängern in erster Linie) daß man bei ersten Szenen immer ein langsames, schleppendes Tempo empfindet. Das ist der Haken und ist meistenteils unrichtig. [...] Betrachten Sie einmal das ganze Buch des Tristan [...] dann werden Sie die Bemerkung machen, daß die meisten Szenen [...] auch für ein langsames Tempo geeignet sind. [...] Ferner noch: [...] Haarscharf die inneren Motive der Handlungen des Menschen unterscheiden! Das wäre so in Umrissen meine Lehre für die sehr gründlichen Studien von Opern und durch eigene Erfahrung und ein bissel Begabung mir errungen! Aber vorerst muß man korrekte Harmonien schreiben können, gute plastische Formen bauen können: das ist einige Grade tiefer – muß also viel früher noch gelernt werden.195

Auch wenn der musikdramatische Versuch fehlschlug, fand Zemlinsky schon an Alma Schindlers nächstem ihm zugesandten Manuskript einer Sonate mehr Gefallen. Meine Alma, ich freue mich Dir sagen zu könne, daß der mir gesandte Sonatenteil viel besser ausgefallen ist als die Oper.196

Wieder korrigierte Zemlinsky ernsthaft die Komposition und forderte sie auf, stärker kontrastierende Themen für Haupt- und Seitensatz zu finden. Bei einem zweiten Versuch schien Alma Schindler Zemlinskys Ratschläge befolgt zu haben, denn er fiel besser aus als der erste.197

192 Zitiert nach Urban: S. 76. Die Datierung des Briefes ist zu entnehmen aus Rode-Breymann: S.98. 193 Rode-Breymann vermutet, dass es sich um die Eröffnungsszene von Madonna Dianora und der Amme aus dem 1898 erstveröffentlichten und in Berlin uraufgeführten Drama Die Frau im Fenster gehandelt habe; vgl. Rode-Breymann: S.98. 194 Brief Zemlinskys an Alma Schindler 13. Juni 1901, zitiert nach Urban: S.79, Datierung nach Rode-Breymann: S.89. 195 Brief 13. Juni 1901; zitiert nach Urban: S.79. 196 Brief Juni 1901; zitiert nach Urban: S.81. 197 Vgl.: Rode-Breymann: S.100.

61 In dem einen Jahr des Kompositionsunterrichts bei Alexander Zemlinsky machte Alma Schindler offenbar große Fortschritte, da sie anhand klassischer Vorbilder lernte, ihre Kenntnisse über Form zu stabilisieren und auf eigene Kompositionen anzuwenden. Zemlinsky schien an ihre Entwicklungsfähigkeit ernsthaft geglaubt zu haben, sah jedoch im Hinblick auf eine Professionalisierung die Problematik der tradierten Geschlechterrollen. Dann Zem. [Zemlinsky]. Er hatte wieder Freude an meinen Sachen. Sagte, wie schade es sei, dass ich nicht als Bub auf die Welt gekommen sei. Denn um mein Talent sei es direkt schade. Sie werden als Mädel noch viel zu leiden haben, wenn Sie sich behaupten wollen.198

Den Stimmungsgehalt ihrer Lieder schien er sehr gemocht zu haben und einige ihrer Ideen fand er sogar beneidenswert. Ich spielte ihm mein Sommerernte vor. Er fand, dass sogar sehr schöne Dinge darunter seien. Bei einigen Stellen beneidete er mich sogar. Ich will wieder fest arbeiten.199

Auch als Interpret setzte er sich mit Alma Schindlers Kompositionen auseinander, so dass sie schwärmend schrieb. Er spielte mein Lied In meines Vaters Garten mit einer solchen Schönheit, wie ich es nie spielen kann.200

Sicherlich verstärkte sich das gegenseitige Einfühlungsvermögen der beiden in dem Maße, wie zu dem Unterrichtsverhältnis ein Liebesverhältnis hinzukam, bei dem Alma Schindler sogar über eine mögliche Heirat nachdachte. Solange aber der Unterricht andauerte, unterstützte er ihre kompositorischen Ambitionen durch konstruktive Kritik und ernsthafte Auseinandersetzungen. Zemlinsky legte großen Wert auf das Erlernen von kompositionstechnischen Grundlagen wie die tonartliche und formale Planung einer Komposition und ergänzte damit Alma Schindlers Vorliebe, Stimmungen zum Ausdruck zu bringen.

198 Tagebuch-Suiten: 28. März 1901. 199 Tagebuch-Suiten: 11. Oktober 1901. 200 Tagebuch-Suiten: 2. November 1901.

62 4.5. Das „Kompositionsverbot“ in den Tagebuch-Suiten

So einseitig wie sich der Wendepunkt des künstlerischen Werdegangs von Alma Schindler in den Autobiografien und Biografien darstellt, kann er nach Konsultation der Tagebuch-Suiten nicht mehr gesehen werden. Zwar ist auch in dieser Quelle der entscheidende Tag, an dem Gustav Mahlers Brief Alma Schindler erreichte, kurz gehalten, jedoch entwerfen die Tagebücher ein detaillierteres Bild ihrer Auseinandersetzung zwischen Eheschließung und Professionalisierung der Musik auch schon im Vorfeld des Briefes vom 19. Dezember 1901. Bei Erhalt des Briefes sind Alma Schindler mögliche Entscheidungsalternativen zumindest noch durch den Kopf gegangen, auch wenn sie sich für die Aufgabe ihrer Musik entschied. V.M. [vormittags] zu Hause – dieser Brief. Mir blieb das Herz stehn... Meine Musik hergeben – weggeben – das, wofür ich bis jetzt gelebt. Mein erster Gedanke war – ihm abschreiben. Ich musste weinen – denn da begriff ich, dass ich ihn liebe. [...] Ich habe das Gefühl, als hätte man mir mit kalter Faust das Herz aus der Brust genommen. Mama u. ich haben bis tief in die Nacht von ihm gesprochen. Sie hat den Brief gelesen-! Ich war so rathlos. Ich finde es so unüberlegt, ungeschickt von ihm. Es hätte ja kommen können, von allein... ganz sachte... Aber einen ewigen Stachel wird das zurücklassen...201

Worüber Mutter und Tochter in dem nächtlichen Gespräch geredet haben könnten, wurde später Inhalt vieler Spekulationen. Die Tagebuch-Suiten liefern zum Verständnis der Situation wenig Anhaltspunkte. Klar wird, dass Alma Schindler zumindest in ihrer ersten Reaktion nicht, wie in den Autobiografien dargestellt, einfach Mahlers Forderung zustimmte, sondern die Alternative, Mahler zu verlassen, in Erwägung zog. Ob sie je überlegt hat, Mahler ihre Kompositionen nahe zu bringen und innerhalb ihrer Beziehung für ihre Musik zu kämpfen, muss auch anhand der Tagebuch-Suiten offen bleiben. Der Konflikt hatte sich schon in den ersten Wochen der näheren Bekanntschaft mit Mahler langsam abgezeichnet. Für Alma Schindler wurde die Wahl zwischen Zemlinsky und Mahler – die Liebesbeziehung zu Zemlinsky war zu diesem Zeitpunkt noch nicht beendet – auch eine Wahl zwischen Ausübung ihrer Kompositionstätigkeit und Ehe. Schon früh spürte sie, dass Mahler ihre Musik neben seiner nicht akzeptieren würde, aber auch, dass es ihr selbst schwer fiel, Zugang zu Mahlers Kompositionen zu finden.

201 Tagebuch-Suiten: 20. Dezember 1901.

63 Ich bin in einem furchtbaren Dilemma. Leise sagte ich mir immer ‚mein Geliebter‘ und immer sage ich ‚Alex‘ hinterher. Kann ich den Mahler so lieb haben, wie er es verdient, und wie es in meiner Macht liegt? Werde ich je seine Kunst verstehn, u. er die meine!? Bei Alex dieses beiderseitige Verständnis. Er liebt jeden Ton von mir. [...] Eines peinigt mich: ob Mahler mich zur Arbeit animieren wird – ob er meine Kunst unterstützen wird – ob er sie so lieben wird, wie Alex. Denn der liebt sie direct.202

Im Tagebucheintrag vom 3. Dezember 1901 gibt es einen kurzen Hinweis, der an der Darstellung der Autobiografien, dass Mahler nie eine Note von ihren Kompositionen gesehen habe, Zweifel aufkommen lässt. Mahler sagte nur: Das ist ja erst zu nehmen. Das hatte ich nicht erwartet! Nicht nur bei Mahler, sondern auch während der Liebesbeziehung zu Zemlinsky, hatte Alma Schindler sich schon einmal Gedanken gemacht, ob sie im Falle einer Eheschließung mit Zemlinsky ihr Studium fortführen könne. Der Grund für diese Sorgen lag in diesem Fall nicht in einer möglichen mangelnden Unterstützung, sondern in der finanziellen Lage Zemlinskys, denn er verdiente in seiner Tätigkeit als Lehrer, Dirigent und Komponist offensichtlich nicht viel Geld. Ich liebe Alex, u. doch der Zweifel! Wird er mich weiter studieren lassen, werde ich in diesem kleinen Hauswesen Zeit dazu haben?203

Alle Menschen des persönlichen Umfeldes Alma Schindlers hatten ihr von einer Ehe mit Zemlinsky abgeraten, da er „arm und hässlich“ gewesen sei. Möglicherweise war die Tatsache, dass Mahler Hofoperndirektor in Wien war, umgekehrt Grund für die Erwägung einer Ehe mit ihm. Einen Tag vor Erhalt des „Komponierverbotbriefes“ hatte sie ihre Sorgen im Freundeskreis ausgesprochen. Wir sprachen viel über Gustav. Ich redete mir meinen Groll etwas von der Seele. Das Ganze, was in mir tobt, musste heraus. Wenn wir soweit kommen, und ich werde die Seine, so muss ich schon jetzt mich gehörig rühren, um mir den Platz zu sichern, der mir gebührt... nämlich künstlerisch. Er hält von meiner Kunst gar nichts – von seiner viel – und ich halte von seiner Kunst gar nichts und von meiner viel. – So ist es!204

Ob schließlich das ambivalente Verhältnis zur Mutter, die ihr laut Mein Leben205 zur Beendigung der Beziehung zu Mahler geraten hatte, ausschlaggebend für eine Art Trotzentscheidung gewesen ist, bleibt spekulativ, wenn auch plausibel. Die im Tagebuch dokumentierten Zweifel hätten auf den Brief Mahlers mehr Kampfgeist erwarten lassen. Am Tag nach dem Erhalt des Briefes hatte Alma Schindler alle Alternativen und alle Zweifel verdrängt.

202 Tagebuch-Suiten: 3. Dezember 1901. 203 Tagebuch-Suiten: 20. Juni 1901. 204 Tagebuch-Suiten: 19. Dezember 1901. 205 Mein Leben: S.31.

64 In der früh seinen Brief durchgelesen – und so warm kams auf einmal über mich. Wie wärs, wenn ich ihm zu Liebe verzichten würde? Auf das, was gewesen! Muss ich mir doch gestehn, dass mich kaum eine Musik jetzt interessiert, als die seine. Ja – er hat recht. Ich muss ihm ganz leben, damit er glücklich wird. Und ich fühle jetzt gar seltsam, dass ich ihn tief u. echt liebe. [...] Er kam – liebend und gut wie immer. [...] Alles will ich ihm geben. Meine Seele gehört ihm. Ach, wenn nur alles klar wäre!206

Die Sicht auf Alma Schindler in der Rolle der Frau, die keine andere Möglichkeit hatte, als auf Mahlers Forderungen einzugehen, muss dahingehend revidiert werden, dass Alma Schindler die Entscheidung für die Ehe mit dem Hofoperndirektor selbst getroffen hat. Mahler hatte ihr in dem Brief seine Bedingungen von Ehe mitgeteilt, die sie im Fall der Eheschließung zu akzeptieren hatte. Aber daß Du so werden mußt, ‚wie ich es brauche‘, wenn wir glücklich werden sollen, mein Eheweib und nicht mein College – das ist sicher! Bedeutet dies für Dich einen Abbruch Deines Lebens und glaubst Du auf einen Dir unentbehrlichen Höhepunkt des Seins verzichten zu müssen, wenn Du Deine Musik aufgibst, um die Meine zu besitzen, und auch zu sein? Dies muß zwischen uns klar sein, bevor wir an einen Bund fürs Leben denken dürfen.207

Alma Schindler zog es vor, die Beziehung zu Mahler aufrecht zu erhalten und auf seine Forderungen einzugehen. Nicht allein Mahler trägt die Verantwortung dafür, dass Alma Schindler ihren vorher in den Tagebüchern dokumentierten Kampfgeist an dieser Stelle aufgab. So kategorisch wie Mahler eine Entscheidung verlangte, so eindeutig lenkte sie auf seine Forderungen ein. Welche Motive hatten Alma Schindler zur Preisgabe ihrer identitätsbildenden Tätigkeit eigenen Kompositionsschaffens bewogen? Welche familiären und gesellschaftlichen Faktoren hatten zu der Entscheidung beitragen?208 Primäres Motiv für Alma Schindlers Entscheidung war sicherlich ihre familiäre Situation, in der sie sich nach dem Tod ihres Vaters und der Wiederverheiratung der Mutter immer fremder gefühlt hatte. Spätestens seit der Heirat ihrer Schwester Gretl und der Geburt ihrer Stiefschwester Maria wuchs der Druck, sich zu verheiraten. Der fast 20 Jahre ältere Mahler bot ihr den gesellschaftlichen Aufstieg und war ihr die Vaterfigur, die sie verloren hatte. Des Weiteren spielte ohne Zweifel der Kontext der gesellschaftlichen Mentalität des Wiens der Jahrhundertwende eine Rolle. Gesellschaftliche Rollenkonzepte waren durch die aufkommende Frauenbewegung zwar ins Wanken geraten, wurden gleichzeitig aber in Traktaten wie Otto Weiningers Geschlecht und

206 Tagebuch-Suiten: 21. Dezember 1901. 207 GoR: 19. Dezember 1901, S. 108. 208 Die folgenden Überlegungen folgen, soweit nicht anders ausgewiesen: Rode-Breymann: S.104- 112, S.129/130.

65 Charakter konsolidiert. Weininger charakterisierte Frauen innerhalb der Pole von Mutterschaft und Prostitution209 und diese Vorstellungen durchzogen alle Teile der Gesellschaft. Für Alma Schindler war Mutterschaft nicht erstrebenswert. Wenn sie darüber schrieb, dann nur in abwertender Art und Weise. Habe heute viel componiert und will jetzt einen Cyklus machen. Eines der Lieder behandelt die Schwangerschaft, und – ich bin überzeugt – nie ist dieser unschöne Gegenstand so schön besungen worden.210

Um sich selbst der Einordnung in die Muttertypologie zu entziehen, riskierte sie bei Einkaufsbummeln oder beim Flanieren auf der Wiener Ringstraße ihren Ruf als gut erzogenes Mädchen aus angesehenem Hause, die bei – nicht immer zufälligen – Begegnungen die Aufmerksamkeit der Männer auf sich zog. Die Tagebücher dokumentieren in dieser Hinsicht eindrücklich die Bekanntschaft mit dem Tenor der Hofoper Eric Schmedes. Es schmeichelte Alma Schindler, mit Schmedes in der Öffentlichkeit gesehen zu werden, auch wenn sie ihren Ruf gefährdete und Schmedes verheiratet war. Im Zurückgehen traf ich Schmedes in der Kärthnerstraße... und er geleitete mich nach Hause. Morgen wissens die Spatzen am Dach. Er erzählte mir, dass sie knapp vor der Scheidung waren. Mein Name wurde auch genannt beim Advocaten, aber nicht unangenehm für mich.211

Alma Schindler versuchte – wie an diesem und ähnlichen Beispielen nachzuvollziehen ist – innerhalb dieser gesellschaftlichen Rollenkonzepte ihre Identität zu finden. Es scharten sich die Männer um mich wie die Mücken um die Lampe. Und ich fühlte mich so recht als Königin.212

Alma Schindler war in ihrem Umfeld als Schönheit bekannt. Schönheit als weibliche Eigenschaft fungierte als Inspirationsquelle für männliche Kreativität. Weiblichkeit wurde für den künstlerischen Schaffensprozess von Männern vereinnahmt. Aber an weiblicher Lust nährt sich der männliche Geist. Sie schafft seine Werke. Durch all das, was dem Weib nicht gegeben ist, bewirkt es, daß der Mann seine Gaben nütze. Bücher und Bilder werden von der Frau geschaffen, – nicht von jener, die sie selbst schreibt und malt. Ein Werk wird zur Welt gebracht: hier zeugte das Weib, was der Mann gebar.213

209 Vgl. Weininger: Kapitel: Mutterschaft und Prostitution, S.280-313. 210 Tagebuch-Suiten: 30. März 1900. 211 Tagebuch-Suiten: 20. März 1900. 212 Tagebuch-Suiten: 10.März 1900. 213 Kraus, Karl: Kehraus, in: Die Fackel Nr. 229 vom 2. Juli 1907, S.12; zitiert nach Rode- Breymann: S.109.

66 Alma Schindler gehörte zu der heranwachsenden Generation, die sich ausschließlich an ästhetischen Werten orientierte und von ihrer künstlerisch- literarischen Bildung alles Selbstbewusstsein ableitete. In dem 20 Jahre älteren Gustav Mahler traf sie einen Mann, der diese Generation, mit der sie sich so identifizierte, in ihrem Selbstbewusstsein und ihrer Individualität in Frage stellte. Alle diese Burckhards – Zemlinskys etc. sind keine Individualitäten. Jeder von ihnen hat so eine Domäne – [...] und diese Domänen verteidigen sie – innerlich auch nur sehr unselbständig und immer auf der Hut gegen ihre – ‚Nahrung‘, um nicht unoriginell zu werden. [...] Meine Alma! Sieh! Deine ganze Jugend – also Dein ganzes Leben – ist fortwährend bedroht gewesen durch diese höchst unklaren und im Trüben auf falscher Fährte suchenden, alles innere Leben durch lautes Schreien betäubenden, Kern und Schale fortwährend verwechselnden Gefährten begleitet, geleitet (währenddem Du immer selbständig zu sein glaubtest) und mißhandelt gewesen.214

Damit zerstörte Mahler nicht nur Alma Schindlers künstlerische Vorbilder, sondern auch die Wege, die ihr das künstlerische Umfeld hinsichtlich eigener Kreativität geboten hatten. Die ohnehin vorhandene Ambivalenz zwischen Ermutigung zu eigenem Schaffen und Entmutigung unter der Last der tradierten Geschlechterrollen wurde durch Mahlers Brief auf der Seite des Minderwertigkeitsgefühls verstärkt. Frauen, die versuchten, die ihnen zugedachte begrenzte Welt zu verlassen, brauchten einen unerschütterlichen Willen, ein überdurchschnittliches Durchhaltevermögen und einen ausgeprägten Mut [...], um ein Leben außerhalb der bürgerlich-patriarchalen Normen zu führen, um sich von den Fremd-Definitionen zu befreien und eine eigene Identität entwickeln zu können.215

Alma Schindler teilte jedoch die Zweifel an weiblicher Kreativität und hatte für ihre möglichen Vorbilder – Cécile Chaminade oder Anna Prasch zu wenig Bewunderung übrig, um selbst einen Weg gegen die bürgerlich-patriarchalen Normen einzuschlagen. Tradierte Geschlechterrollen, von denen Alma Schindler sich nicht befreien konnte, ihr noch inkonstantes Selbstbild sowie ihr höchst schwankendes Selbstverständnis als schöpferische Frau standen in vollkommen labilem Gleichgewicht zueinander.216

Alma Schindler hatte die Geschlechterrollen soweit internalisiert, dass sie ihre persönlichen Versagensängste nicht von der zugewiesenen Rollenidentität von Weiblichkeit zu trennen wusste. Obwohl sie in einem künstlerischen Milieu aufwuchs, war ihre Kreativität wenig über das für Mädchen übliche Maß gefördert

214 GoR: 19. Dezember 1901, S. 106. 215 Severit, Frauke: Wien um 1900 – eine Stadt im Widerstreit von Tradition und Moderne, in: dies. (Hrsg.): Das alles war ich. Politikerinnen, Künstlerinnen, Exzentikerinnen der Wiener Moderne, Wien usw. 1998, S.22. 216 Rode-Breymann: S.110.

67 worden. Mahlers Brief kam zu einem Zeitpunkt, an dem sie den Sprung in eine künstlerische Laufbahn zu wenig vor Augen hatte, als dass sie ernsthaft eine lukrative Eheschließung gegen das Dasein einer Komponistin hätte eintauschen können. Die aus heutiger Sicht so wenig nachvollziehbare Entscheidung bekommt im Kontext des gesellschaftlichen Umfeldes des Wien um die Jahrhundertwende und unter Berücksichtigung von Alma Schindlers Charakterzügen zusätzliche Dimensionen, die in den Autobiografien und Biografien keine Erwähnung fanden. Ob Alma Schindler tatsächlich von einem Tag auf den nächsten mit dem Komponieren aufhörte, ist nicht eindeutig zu beantworten. Rode-Breymann führt aus, dass Alma Mahler-Werfel vermutlich 1960 in einem Radiointerview die Zweifel an der Geschichte des „Komponierverbots“ geschürt habe, indem sie berichtete, nach ihrer Heirat „nicht viel“ Zeit für ihre musikalischen Studien gehabt zu haben.217 Da der Unterricht bei Zemlinsky Mahlers Eifersucht nährte, fanden die Stunden wahrscheinlich zunächst ein Ende. Den eigenen Ausführungen in Mein Leben zufolge war die erste Zeit der Ehe mit Mahler wegen des fehlenden eigenen Musikschaffens sehr schwer. Auch wenn der Unterricht bei Zemlinsky nicht mehr stattfand, wurde der Brief- kontakt jedoch weiterhin aufrechterhalten. Rode-Breymann zitiert Briefstellen, die Hinweise auf einen Versuch Alma Mahlers geben, Zemlinsky 1904 gegen Honorar für Stunden zu engagieren.218 Zemlinsky habe das Geld zurückgewiesen, da er für regelmäßige Stunden nicht die Zeit gehabt habe, sei aber hin und wieder zum Musizieren zu ihr gekommen. Zwischen Frühjahr 1904 und Dezember 1906 habe diese gemeinsame Musizier- stunde gelegentlich stattgefunden. Die Erwähnungen sind zu schemenhaft, um Mutmaßungen über die Inhalte dieser Musik- oder Musizierstunden anzustellen: Kann sein, man plauschte nur, kann sein, man spielte Klavier, kann aber auch sein, man sah Kompositionen von Zemlinsky (und vielleicht von Alma?) an.219

Der eigenen Darstellung zufolge hat Alma Mahler ihre Kompositionen in einer Mappe stets bei sich geführt.

217 Rode-Breymann: S.112. 218 Rode-Breymann: S.129. 219 Rode-Breymann: S.129.

68 Der Sarg mit diesen Geschöpfen war eine Mappe, die ich immer im Frühjahr an den Sommerort und im Herbst wieder nach Wien mitgeschleppt hatte; ich war mit dieser Sache niemals fertig geworden.220

Rode-Breymann geht davon aus, dass Alma Mahler-Werfel häufig in ihre alten Dokumente hineinsah.221 Bei ihren Tagebüchern lasse sich dieses an den Überar- beitungen beweisen. Die eigene Darstellung Alma Mahler-Werfels, stets eine verschlossene Mappe mit sich zu führen, ohne diese zu öffnen, sei wenig plausibel. Sicherlich sind die Ausführungen Rode-Breymanns nicht eindeutig zu beweisen. Indizien weisen aber darauf hin, dass die Darstellung in den Autobiografien und Biografien, die mit großer Eindeutigkeit das Ende von Alma Mahlers Komponiertätigkeit deklarieren, nicht mehr zweifelsfrei übernommen werden kann.

4.6. Die Kompositionen

Nur wenige Kompositionen Alma Schindler-Mahler-Werfels sind heute erhalten und publiziert. Bei diesen Kompositionen handelt es sich ausnahmslos um Klavierlieder, so dass häufig der Eindruck entstanden ist, dass Alma Schindler- Mahler-Werfel nur Werke dieser Gattung komponiert habe, was die Tagebuch- Suiten jedoch widerlegen. Zugänglich sind heute die im Dezember 1910 bei der Wiener Universal Edition erschienenen 5 Lieder, die 1915 im gleichen Verlag veröffentlichten 4 Lieder und die 1924 bei Josef Weinberger publizierten 5 Gesänge. Herta Blaukopf fasste diese vierzehn Lieder unter dem Titel Sämtliche Lieder zu einer Neuausgabe bei der Universal Edition zusammen.222 Darüber hinaus existieren zwei unveröffentlichte Lieder im Besitz Susan M. Fillers. Eine Kopie der Abschrift Fillers befindet sich im Anhang der Magisterarbeit von Juliane Urban.223 Ob weitere Kompositionen in Archiven oder in Privatbesitz erhalten geblieben sind, ist beim heutigen Stand der Forschung nicht zu beantworten.

220 GME: S.207. 221 Rode-Breymann: S.130. 222 Die Ausgabe der Sämtlichen Lieder ist ohne Jahresangabe. 223 Urban: S. A27-38. Die Handschriften befinden sich laut Urban im Besitz von Susan M. Filler in Chicago, die eine Kopie der internationalen Gustav Mahler Gesellschaft überlassen habe.

69 4.6.1. Versuch der zeitlichen Einordnung

Ausgehend von der Annahme, dass Alma Mahler nach ihrer Verheiratung mit dem Komponieren aufhörte, müssten sich die meisten der Lieder in die Zeit vor 1902 einordnen lassen. Dieses ist anhand der Tagebuch-Suiten aber nur für vier der Lieder eindeutig möglich. Gesichert ist die Datierung nur für die Vertonung von Franz Werfels Gedicht Der Erkennende, das Alma Mahler im Oktober 1915 in der Monatszeitschrift Die weißen Blätter entdeckt hatte.224 Die verbleibenden neun bzw. elf Lieder lassen sich nicht exakt datieren.225

Datiert Nicht eindeutig datierbar

5 Lieder (1910 veröffentlicht)

Nr.1 Die stille Nacht (Richard Dehmel) Nr.2. In meines Vaters Garten (Otto Erich Hartleben) Komponiert vor 2. November 1901) Nr.3 Laue Sommernacht (Otto Julius Bierbaum) 226 Nr.4 Bei dir ist es traut (Rainer Maria Rilke) Nr.5 Ich wandle unter Blumen () Komponiert am 7. Januar 1899

4 Lieder (1915 veröffentlicht)

Nr.1 Licht der Nacht (Otto Julius Bierbaum) Nr.2 Waldseligkeit (Richard Dehmel) Nr.3 Ansturm (Richard Dehmel) Nr.4 Erntelied (Gustav Falke)

224 Mein Leben: S.69. 225 Die Datierung der veröffentlichten Lieder ist übernommen aus: Rode-Breymann: S.132. 226 Urban weist darauf hin, dass zwar die Druckausgabe der Lieder Falke als Autor von Laue Sommernacht anführt, das Gedicht aber Bierbaum unter dem Titel Gefunden zuzuschreiben ist. Urban: S.33. Auch Rode-Breymann führt das Gedicht unter dem Namen Bierbaums an.

70

5 Gesänge (1924 veröffentlicht)

Nr.1 Hymne () Nr.2 Ekstase (Otto Julius Bierbaum) Komponiert am 14. März 1901 Nr.3 Der Erkennende (Franz Werfel) Komponiert im Oktober 1915 Nr.4 Lobgesang (Richard Dehmel) Komponiert am 16. Juni 1900 Nr.5 Hymne an die Nacht (Novalis) Unveröffentlichte Lieder

Nr.1 Leise weht ein erstes Blühn von den Lindenbäumen (Rainer Maria Rilke) Nr.2 Kennst Du meine Nächte (Dichter unbekannt)

Darüber hinaus lassen sich anhand Alma Schindlers literarischer Interessen Ver- mutungen über die Datierung einiger undatierter Lieder anstellen. So begeisterte sie sich im Juli 1901 für die Gedichte Otto Julius Bierbaums. Ein dicker Band Gedichte. Irrgarten der Liebe Bierbaum – die Gedichte – numeriertes Exemplar, Büttenpapier, Pergamenteinband, Goldschnitt – herrlich.227

Möglicherweise ist also im Zuge des Interesses für den Dichter nicht nur im März 1901 Ekstase entstanden, sondern auch die beiden anderen Bierbaum- Vertonungen Laue Sommernacht und Licht der Nacht. Vielleicht ist das Erntelied auf ein Gedicht von Gustav Falke im gleichen Zu- sammenhang wie die Vertonung von Gib dich darein entstanden. Am 13. Juli 1898 schrieb Alma Schindler neben einigen anderen Gedichten Gib dich darein in ihr Tagebuch228 und eine Vertonung dieses Textes fertigte sie am 28. Dezember 1898 an. Im Sommer 1898 schien sie sich besonders für die Lyrik Rainer Maria Rilkes zu interessieren. Am 20. Juni 1898 schrieb sie Rilkes Liebesgedicht Lehnen im Abendgarten beide in ihr Tagebuch. Rode-Breymann vermutet, dass für Alma Schindler in diesem Gedicht der Beginn der Verliebtheit zu Gustav Klimt ausge-

227 Tagebuch-Suiten: 4. Juli 1901. 228 Tagebuch-Suiten: 13.Juli 1898, vgl. Anm. 18, S.774.

71 drückt sei.229 Das Gedicht regte sie auch zur Vertonung230 und zu einer tschechisch klingenden, vermutlich kryptografischen Umsetzung an, die sie am 28. Juni 1898 in ihr Tagebuch schrieb. Auch am 16. Juni 1900 vertonte sie Gedichte von Rilke. Ziemlich viel componiert. 2 Gesänge. Texte von Richard Dehmel und Rainer Maria Rilke. Halb Lied, halb Sprache, halb Choral – eine ganz eigenthümliche Kunstgattung, die ich mir da zusammen gearbeitet habe.

Rilke interessierte sie noch einmal im August 1900. Ich wußte von Anfang an, dass ich es nur so machen werde. Es kam über mich. Text: Rainer Maria Rilke.231

Wann genau die Rilke-Vertonung Bei dir ist es traut entstanden ist, bleibt offen. Jedoch ist es gut möglich, dass Alma Schindler im Zusammenhang mit ihrem Interesses für den Dichter nicht nur die im Tagebuch erwähnten Kompositionen erarbeitete. Mit großer Wahrscheinlichkeit gehört Bei dir ist es traut also zu den frühen Kompositionen bis 1902. Bei den Dehmel-Vertonungen Die stille Stadt und Waldseligkeit ist die Einord- nung weniger eindeutig vorzunehmen. Zwar spielte sie ihr Lied Lobgesang auf einen Text von Richard Dehmel nach der Sommerpause am 25. September 1900 Josef Labor vor und auch von einer oder mehreren Dehmel-Vertonungen war – wie zitiert – im Juni 1900 die Rede, weitere Einträge im Sinne eines verstärkten Interesses für den Dichter sind in den Tagebüchern jedoch nicht zu finden. Die Dehmel-Vertonung Ansturm zählen de la Grange, Weiß und Martner in Glück ohne Ruh‘ zu den Liedern, die nach der Wiederentdeckung von Alma Mahlers Liedern durch Gustav Mahler 1911 neu entstanden sind. Sie begründen ihre Ein- ordnung damit, dass Alma Mahler den Text zu einer Liebeserklärung an Walter Gropius umgeformt habe, als sie 1910 eine Affäre mit ihm begonnen hatte.232 Da das Gedicht aber nicht eindeutig auf Walter Gropius hinweist, ist die Umformung des Gedichtes meines Erachtens noch kein Beweis, die Datierung von Ansturm für 1910 vorzunehmen. Bei beiden Dehmel-Vertonungen Lobgesang und Ansturm handelt es sich um „eigentümliche Kunstgattungen halb Lied – halb Sprache“, von denen am 16. Juni 1900 in den Tagebüchern die Rede ist. Von welchem der beiden Lieder Alma

229 Rode-Breymann: S.133/134. 230 Tagebuch-Suiten: 26. Juni 1898. 231 Tagebuch-Suiten: 5. August 1900. 232 GoR: S.465.

72 Schindler sprach, lässt sich nicht rekonstruieren. So lassen sich bei der Datierung der Dehmel-Lieder zwar Indizien zusammentragen, von eindeutiger Einordnung kann jedoch nicht ausgegangen werden. Dass Alma Mahler um 1910 wieder komponierte, findet sich in einem Brief Gustav Mahlers an seine Schwiegermutter Anna Moll. Von Almscherl kann ich Dir diesmal das Allerschönste berichten. [...]. Fleißig ist sie und hat ein paar neue reizende Lieder gemacht, die von einem großen Fortschritt zeugen.233

Welche Kompositionen zu den „reizenden Liedern“ gehörten, erschließt sich nicht aus dem Zusammenhang. Hypothetisch ist auch der Versuch einer Einordnung der Novalis-Gesänge. In einem unveröffentlichten, nicht datierten Brief Franz Werfels, den er im Vorfeld der Veröffentlichung der 5 Gesänge an Alma Mahler schrieb, verdichten sich die Hinweise, dass die Novalis-Vertonungen vor 1924 entstanden sein könnten. Mein geliebtes Almerl, selbstverständlich musst Du Deine Lieder gleich dem Weinberger zum Druck geben. Ich freue mich rasend auf die Korrekturen. Inhalt: 2 Novalishymnen, Erkennenden, Ekstase, und das fünfte mit dem Meer und der Liebe, dem wellenhaften Motiv. Anordnung: 3 Teile I. 1.) Ekstase, 2.) Tief wie das Meer oder ähnlich II. Der Erkennende III. 2 Hymnen des Novalis. Es wäre herrlich, wenn Du, während der Korrektur, noch ein oder das andere Lied schreiben (Novalis) oder ein älteres umarbeiten würdest, daß diese drei Teile ergänzt sind, aber es ist nicht nötig. Auch so wird das ein ausgezeichnetes, objektiv wunderschönes Heft. Das ganze nenne nicht „Lieder“ sondern „Gesänge“, weil Dir die pathetischere form [sic] viel mehr liegt.234

Ob die Novalis-Gesänge tatsächlich erst kurz vor der Veröffentlichung der 5 Gesänge entstanden sind oder bereits vorher, ist nicht klar zu beantworten. Sicher ist nur, dass die Novalis-Gesänge nicht zwischen 1898 und 1902 entstanden sind, da der Dichter in den Tagebuch-Suiten keine Erwähnung findet. Der Versuch einer Datierung bei den publizierten Liedern ist also schwierig. Über diese erhalten gebliebenen Kompositionen hinaus finden sich in den Tagebuch- Suiten mehr oder weniger genaue Angaben zu 47 Einzelliedern und drei Lieder- zyklen, die im Folgenden tabellarisch aufgelistet werden.235 Die mit Fragezeichen versehenen Einträge deuten auf fehlende Angaben hin.

233 Brief vom Februar 1911, zitiert in: GoR: S.464. 234 Zitiert nach: Rode-Breymann: S.135. 235 Tabelle entnommen aus Rode-Breymann: S.137.

73 Datum Titel und Text Dichter 02.02.1898 Wanderers Nachtlied Joh. W. v. Goethe 17.03.1898 Gleich und gleich: Joh. W. v. Goethe Ein Blumenglöckchen vom Boden hervor 11.05.1898 ? ? 26.06.1898 Lehnten im Abendgarten beide Rainer Maria Rilke 22.11.1898 ? ? 30.11.1898 Wie es gieng: Am Kreuzweg Wohlgemuth stand ein Weißdornstrauch ??.12.1898 ? ? 20.12.1898 Die Frühlingsnacht: Wie die M. Weyreuther Blätter raunten 28.12.1898 Gieb dich darein: Ich wollte das Gustav Falke Reis ausreuten 05.01.1899 Nicht lange täuschte mich das Heinrich Heine Glück 07.01.1899 Ich wandle unter Blumen und Heinrich Heine blühe selber mit 13.01.1899 ? ? ??.01.1899 ? ? 24.01.1899 ? Heinrich Heine 24.01.1899 ? ? 27.01.1899 ? ? 03.02.1899 ? ? 20.05.1899 Wiegenlied ? 04.06.1899 Hinaus: Meine alte Heimat Otto Körner 05.06.1899 ? ? 12.06.1899 Nixe ? 26.08.1899 Die Erinnerung ? 15.09.1899 Einsamer Gang: Felder im Wind Leo Greiner 17.09.1899 ? Leo Greiner ??.09.1899 Tränenkinder Leo Greiner 20.09.1899 Ich will den Sturm Leo Greiner ??.??.1899 Qual ? ??.??.1899 Der Morgen ? 07.10.1899 Ich trat in jene Hallen Heinrich Heine

74 13.10.1899 ? Henrik Ibsen ??.12.1899 Aus meiner Erinnerung erblühen ? 09.01.1900 Zyklus: Schilflieder Nikolaus Lenau 21.01.1900 Stumme Liebe Nikolaus Lenau 19.03.1900 Meine Nächte ? 30.03.1900 Zyklus mit drei Liedern darunter: ? Und reden sie Dir jetzt von Schande ??.06.1900 ? ? 16.06.1900 Lobgesang [?]236 Richard Dehmel 16.06.1900 ? Rainer Maria Rilke 05.08.1900 Zyklus mit drei Liedern Nr.2 Rainer Maria Rilke ??.??.1900 Engelsgesang ? 21.10.1900 ? ? 16.11.1900 ? Eduard Mörike ??.11.1900 Abend ? ??.11.1900 Unvermeidlich ? ??.11.1900 Er ist´s (?) Eduard Mörike 15.03.1901 ? ? 15.03.1901 ? ? 24.03.1901 Ekstase: Gott, deine Himmel Otto Julius Bierbaum sind mir aufgetan 22.04.1901 ? ? ??.??.1901 In meines Vaters Garten Otto Erich Hartleben

Auch anhand dieser Auflistung bestätigt sich noch einmal die These, dass Alma Schindler meistens mehrere Gedichte von einem Dichter hintereinander vertonte. Diese Beobachtung unterstützt die oben dargestellten Datierungsversuche. Da man nicht davon ausgehen kann, dass Alma Schindler akribischalle Kompositio- nen in ihrem Tagebuch eintrug, sind wahrscheinlich über die hier aufgelisteten Lieder hinaus in dem Zeitraum von 1898-1902 noch weitere entstanden. Weniger gut sind die Kompositionen in anderen Gattungen nachzuvollziehen, da sie nicht – wie die Lieder – mit Titeln versehen sind, sondern nur von Rondo, Adagio, Klavierstück oder Variation die Rede ist. In den Tagebüchern sind etwa

236 Wie oben dargestellt, ist nicht eindeutig klar, ob es sich bei der Dehmel-Vertonung um Lobgesang handelt. Am 25. September 1900 spielte Alma Schindler jedoch das Lied Josef Labor vor.

75 20 Klavierkompositionen genannt, von denen vermutlich viele fragmentarisch blieben. Davon sind Folgende anhand der Tagebücher nachzuweisen, wenn die Erwähnung auch nichts über den Ausarbeitungsgrad aussagt: Juni 1898: 5 Variationen über ein eigenes Thema November 1898: 2 Sonatensätze 15. Dezember 1898: Klavierstück: Vom Küssen 20. Mai 1899: Fantasia über Klimts Motto: „Aus meiner Einsamkeit komme ich. In meine Einsamkeit gehe ich, denn mir genügen mein eigenen Gedanken.“ Juni 1899: 1. Satz einer Sonate Dezember 1899: Etude Mai 1900: Thema und Variationen Oktober 1900: Fuge November 1900: Novelette Invention Dezember 1900: Zehn Kontrapunktsätze September 1901: Rondo.

Die Pläne Alma Schindlers sinfonische Werke oder Kammermusik zu schreiben, scheiterten an den fehlenden Grundlagen in Instrumentation, wie beispielsweise bei einem Klaviertrio. Gestern ein Trio mit Clavierbegleitung begonnen, doch muss ichs steh’n lassen, da ich mich in den Streichinstrumenten zu wenig auskenne und erst ein bischen daran studieren muss in Wien.237

In der Zeit vor einem der Kammermusikabende von Adele Radnitzky-Mandlick komponierte Alma Schindler im November und Dezember 1899 zwei Violinsonaten. Des Weiteren arbeitete sie auf Anraten Zemlinskys während des Sommers 1901 an einem Chorsatz für gemischten Chor auf einen Text von Gustav Falke238 und am 31. Oktober 1901 begann sie mit einer Vertonung eines Goethe-Gedichtes für drei Solisten und Chor. Neben all diesen Gattungen schwebte es Alma Schindler immer wieder vor, eine Oper zu komponieren.

237 Tagebuch-Suiten: 1. September 1899. 238 Tagebuch-Suiten: 3. August 1901.

76 Herr mein Gott, gieb mir Kraft, das zu vollbringen, wonach mein ganzes Innre verlanget – eine Oper – und Ver sacrum muss sie heißen. [...] Mein Traum wäre das!239

Im Sommer 1899 schien sich eine Möglichkeit dazu zu ergeben, als Max Burck- hard sie fragte, ob sie einen seiner Texte zu einer Operette zu verarbeiten wolle. [Burckhard:] Ich will Ihnen offen sagen, Heuberger will den Text zu einer Operette oder Oper von mir. [...] Jedenfalls ist das eine ganz guter Stoff für eine Operette. Auf einmal sagte Burckhard zu mir: Wollen Sie es machen? Es wäre das ein Grund für mich daran zu arbeiten. Ich freute mich riesig, denn ich habe das Gefühl, es müsste ja gehen. Jedenfalls erwies er mir viel Vertrauen damit. Leider habe ich wenig Operettengelüste. Mich ziehts zur Oper. Mein seligster Augenblick wäre es, eine erste Oper mit Erfolg aufgeführt zu sehen. Ich lechze nach Ruhm und Erfolg.240

Ähnlich verhielt es sich mit einem musikdramatischen Plan Olbrichs im Juni 1900. Er [Olbrich] sagte mir, dass er mir sein Drama schicken werde, und ich solle an den Stellen, so die Sprache aufhört, die Musik einfallen lassen. Bis zum nächsten Frühjahr solls fertig sein – aber ohne Texteintheilungen etc. Er will es als erste im Darmstädter Theater aufführen lassen. Streng – verrückt. Ich werde das nicht zu seiner Zufriedenheit können.241

Auch wenn aus beiden Vorschlägen nichts geworden ist, zeugen sie von der Affi- nität Alma Schindlers zu dieser Gattung und von dem Vertrauen Burckhards und Olbrichs in ihre kompositorischen Fähigkeiten. Konkrete Formen nahm schließ- lich der Opernversuch auf einen Text von Hugo von Hofmannsthal im Sommer 1901 unter der Anleitung von Zemlinsky an, mit dem sie – wie bereits dargestellt – nicht auf Anhieb zurechtkam.

239 Tagebuch-Suiten: 6. Januar 1899. 240 Tagebuch-Suiten: 18. Juli 1899. 241 Tagebuch-Suiten: 3. Juni 1900.

77

4.6.2. Die Lieder

Von musikwissenschaftlicher Seite gibt es bis heute sehr wenige Auseinanderset- zungen mit den erhalten gebliebenen Liedern Alma Schindler-Mahler-Werfels. Die erste Beschäftigung mit einigen der Lieder findet sich bei Warren Storey Smith aus dem Jahr 1950.242 Anlässlich des 100. Geburtstags Alma Mahlers erschien 1979 ein Artikel Robert Schollums in der Österreichischen Musikzeitschrift „nicht so sehr, um sie in dieser Funktion [als Komponistin] zu ‚entdecken‘, sondern um ihr Musikverständnis und dessen Einfluß auf ihren Gatten richtig beurteilen zu können.“243 Weitere kurze Detailstudien der Lieder befinden sich bei Susan Filler, die sich offensichtlich (als Besitzerin der Autografen der beiden unveröffentlichten Lieder) musikwissen- schaftlich besonders um die Kompositionen bemühte.244 Die ausführlichste Be- schäftigung findet sich in der Magisterarbeit Juliane Urbans (1994), die dort erstmals musikwissenschaftliche Analysen von allen Liedern anfertigt und den Forschungsstand bis zu jenem Zeitpunkt zusammenfasst. Da ihr die frühen Tage- bücher noch nicht zur Verfügung standen, kommt sie besonders in Bezug auf die Datierungsproblematik auf andere Ergebnisse als es unter Hinzuziehung der Tagebuch-Suiten nun möglich ist. In diesem Teil der Arbeit geht es um zweierlei: Zum einen um die Charakteristik und die Tonsprache der Lieder im Zusammenhang mit eigenen Aussagen Alma Schindlers aus den Tagebüchern, zum anderen aber auch um die Bewertungen der Kompositionen, die die MusikwissenschaftlerInnen in ihre Analysen einge- flochten haben. Für ihre Lieder wählte Alma Schindler – mit Ausnahme der Gedichte Goethes, Heines und später Novalis‘ – ausschließlich zeitgenössische Texte. Die Dichter,

242 Der Artikel The songs of Alma Mahler befindet sich in der Zeitschrift Chord and Discord 2, 1950, die während meiner Literaturrecherche jedoch nicht auffindbar war. Da es aber nur diese wenige Literatur über die Lieder gibt, sei der Artikel an dieser Stelle angeführt. Er wurde zitiert bei Urban und bibliografiert bei Susan Filler: Gustav and Alma Mahler. A guide to research, New York 1989. 243 Schollum, Robert: Die Lieder von Alma Maria Schindler-Mahler, in: Österreichische Musikzeitschrift 1979, S.544. 244Filler, Susan M.: A composers wife as composer. The songs of Alma Mahler, in: Journal of Musicological Research, New York u.a. 1983, S.427-442. Filler, Susan M.: Alma Mahler. Der Erkennende, in: Historical Anthology of Music by Women, Hrsg. James R. Briscoe, Bloomington 1987, S.245-247. Auch diese Studie war nicht auffindbar, ist aber in den Bibliografien aufgeführt.

78 für die sich Alma Schindler in ihrer Jugendzeit interessierte, waren zu dem Zeit- punkt, zu dem ihre Werke rezipiert und in Liedern vertont wurden, selbst noch jung. Die Dichtergeneration um Richard Dehmel (1863-1920), Rainer Maria Rilke (1863-1920), Otto Julius Bierbaum (1865-1910), Gustav Falke (1853-1916) und Otto Erich Hartleben (1864-1905) gehörten der Darstellung Stefan Zweigs zufolge zu den bewunderten und in den Wiener Kaffeehäusern rezipierten Literaten der jungen Generation. ‚Junge Leute entdecken sich ihre Dichter, weil sie sich sie entdecken wollen.‘ Wir witterten in der Tat den Wind, noch ehe er über die Grenze kam, weil wir unablässig mit gespannten Nüstern lebten. Wir fanden das Neue, weil wir das Neue wollten, weil wir hungerten nach etwas, das uns und nur uns gehörte, – nicht der Welt unserer Väter, unserer Umwelt. Jugend besitzt wie gewisse Tiere einen ausgezeichneten Instinkt für Witterungsumschläge, und so spürte unsere Generation, ehe es unsere Lehrer und die Universitäten wußten, daß mit dem alten Jahrhundert auch in den Kunstanschauungen etwas zu Ende ging.245

Alma Schindler bewegte sich als junge Frau nicht in den Wiener Kaffeehäusern – dieses Forum war nur Männern vorbehalten – sie hatte aber durch ihr künstlerisches Umfeld unmittelbaren Kontakt zu allen Ereignissen der Wiener Kulturszene. Juliane Urban macht darauf aufmerksam, dass die Texte der Lieder häufig wesentliche Abweichungen im Vergleich zu den Gesamtausgaben der Gedichte aufweisen.246 Möglicherweise lassen sich diese Abweichungen aber dadurch erklären, dass Alma Schindler die jeweils ersten Ausgaben und vielleicht sogar handschriftliche Versionen der Gedichte vorgelegen haben. In den Tagebuch- Suiten ist über die Benutzung bestimmter Ausgaben jedoch nichts ausgesagt. Wie bereits im Kapitel über Alma Schindlers Literaturrezeption dargestellt wurde, diente ihr die Literatur nicht nur dem Zeitvertreib, sondern wurde zum Objekt ihrer Identifikation. Filler vergleicht die Textauswahl Alma Schindlers mit der Gustav Mahlers mit dem Wissen, dass die meisten ihrer Lieder vor der Zeit (bis 1902) mit Mahler entstanden. Her choice of texts varied greatly from her husband’s also. They seem to have shared only one poet (Heine, to whom Mahler never returned after his student days) and they did not share any actual texts.247

245 Zweig: S.43. 246 Urban: S.7. 247 Filler: S.429.

79 Der Vergleich der Kompositionen von Gustav und Alma Mahler wird stets da- durch legitimiert, dass die beiden verheiratet waren. Ohne diese familiäre Verbin- dung läge dieser Vergleich nicht nahe, da zu unterschiedliche Kompositionsstile angewandt wurden. Indem trotz dieses Bewusstseins Alma Schindlers neben Gustav Mahlers Kompositionen gestellt werden, wird so getan, als hätte es doch Bezugspunkte gegeben. Dabei interessiert die MusikwissenschaftlerInnen meist mehr der Einfluss Alma Mahlers auf Gustav Mahlers Kompositionen als eine eigenständige Analyse ihrer Lieder. In den Tagebüchern finden sich mehrere Stellen, in denen Alma Schindler sich mit Gedichten ihrer jeweiligen Lebensphase entsprechend identifizierte. Beispielsweise vertonte sie am 15. September 1899 Leo Greiners Gedicht Einsamer Gang als ihre Schwester Gretl sich verlobt hatte, die Stiefschwester geboren war und sie sich in ihrer Familie daraufhin fremd und einsam fühlte. Die beiden erhalten gebliebenen Lieder Ich wandle unter Blumen (Heine) und Ekstase (Bierbaum), deren Entstehung die Tagebücher am eindeutigsten und detailliertesten dokumentieren, können darüber Auskunft geben, aus welcher mo- mentanen Lebenslage oder Stimmung heraus Alma Schindler sie komponierte und wie sich das auf die Kompositionen niederschlug. Unter diesem Aspekt soll beispielhaft die Heine-Vertonung betrachtet werden. Ich wandle unter Blumen entstand am 7. Januar 1899. In dieser Zeit scheint sich Alma Schindler mit Heine-Gedichten beschäftigt zu haben, am 5. und 24. Januar 1899 vertonte sie zwei weitere Texte des Dichters. Sie schwärmte währenddessen immer intensiver für Gustav Klimt, eine Verliebtheit, die im Sommer 1899 ihren Höhepunkt erreichte. Componierte eben in 5° ein kleines Liederl.

Ich wandle unter Blumen und blühe selber mit. Ich wandle wie im Traume und wanke bei jedem Schritt.

Oh halt mich fest, Geliebte, Vor Liebestrunkenheit Fall ich Dir sonst zu Füßen ...und der Garten ist voller Leut!

Obs gut ist, weiß ich nicht. Nur weiß ich, Liebesleidenschaft ist genug drin. Das ganze ist ein cromatischer [sic] Lauf! Verrückt ist’s – ob das dem Labor nicht einen geringen Schreck einjagen wird.248

248 Tagebuch-Suiten: 7. Januar 1899.

80 Dieses kürzeste aller erhalten gebliebenen Lieder ist, wie Alma Schindler selbst schrieb, von Chromatik bestimmt. Die Singstimme durchschreitet chromatisch aufsteigend eine ganze Oktave von g‘ bis g‘‘. Bei „fall ich Dir sonst zu Füßen“ (T.11/12) fällt das erreichte g‘‘ tonsymbolisch wieder auf den Ausgangston g‘ zurück. Der chromatische Aufstieg bleibt zuvor in T.7 bei „und schwanke bei jedem Schritt“ stehen und „schwankt“ wortausdeutend zwischen h‘ und a‘ hin und her.249

Notenbeispiel T.7/8 Notenbeispiel: T.11/12

Die beiden Strophen des Liedes sind – trotz der strophenübergreifenden Chromatik – im Charakter und im Tempo sehr unterschiedlich komponiert. Die zweite Strophe folgt der ersten „träumenden“ im rasanten Tempo „Plötzlich sehr schnell“. Am Beispiel dieses Liedes lassen sich häufig benutzte Parameter Alma Schindlers nachvollziehen. Der Effekt der Chromatik, der in die meisten Lieder Alma Schindlers Eingang gefunden hat, spielt laut Schollum zeitbedingt eine große Rolle.250 Charakteristisch für ihre Komponierweise sind aber auch die raschen Stimmungswechsel, die sich in Tempi- und Taktwechseln und großer dynamischer Bandbreite vollziehen. Des Weiteren benutzt Alma Schindler mit Vorliebe musikalische Wortmalerei, wie z.B. hohe Töne bei Licht, Christ, Himmel und tiefe Töne bei Finsternis, Nacht, Dunkel. Schollum bewertet diese Klangornamentik in den Liedern als „typisch weiblich“, ein Ausdruck, der in der Werkbetrachtung männlicher Komponisten sicherlich selten Eingang findet, auch wenn sich beispielsweise Berg in seinen frühen Lieder ähnlicher textausdeutender Klangmalerei bediente. Als typisch weiblich könnte man die vielen ausgezeichneten, aber nicht durchwegs auch sinnvoll ausgewerteten Ideen bezeichnen, die schon auf den kleinsten Textanstoß hin vorhanden sind.251

249 Alle Notenbeispiel sind entnommen aus: Schindler-Mahler, Alma Maria: Sämtliche Lieder für mittlere Stimme und Klavier, Universal Edition 18016. 250 Schollum: S.549. 251 Schollum: S.548.

81

Bei den meisten der Lieder handelt es sich um variierte Strophenlieder oder um durchkomponierte Lieder. Einfache Strophenlieder sind nicht zu finden. In Alma Schindlers Kompositionen finden sich verschiedenste Stile. Urban ver- mutet, dass dies in den vielen persönlichen Kontakten zu Komponisten und Musikern sein Ursache hatte.252 Filler fasst ihren Eindruck der Lieder wie folgt zusammen: Alma’s style was a mixture of the old and the new. She employed the huge chords, broken and solid, beloved of Brahms and Liszt; but in many cases her form shows astonishing compression and economy. While not as adventuresome as her fellow student, , she did venture into paths that Mahler did not try till near the end of his life.253

Bezüglich der Einschätzung der Modernität von Alma Schindlers Liedern gegen- über denen Schönbergs ist Schollum anderer Meinung. [Almas Tonsprache] kommt naturgemäß von Zemlinsky und – über diesen – etwa von Wagner (harmonisch) und Brahms (formal). Ihr Ausgangspunkt ist also der gleiche wie der der Lieder op.1 von Schönberg, wobei sie von Anbeginn an ‚moderner‘ als der noch fast ganz ‚Brahmsische‘ Schönberg von op.1 und teilweise auch op.2 und 3 ist. Vergleicht man Zemlinskys Lieder mit denen seiner Schülerin254, so findet sich die gleiche tonal gebundene, aber harmonisch doch oft stark irisierende Klangwelt: man merkt das Ringen um Überwindung der Tonalität.255

Tatsächlich lässt sich beispielsweise in dem Lied In meines Vaters Garten eine Art Wagnersche Leitmotivik finden. Dieses längste der 14 Lieder umfasst acht Strophen mit zwei immer wiederkehrenden Textzeilen, wobei die Worte „süßer Traum“ auf die immer gleiche Weise in Musik gesetzt wurden, während die Strophen durchkomponiert angelegt sind.

Notenbsp. In meines Vaters Garten T.8-12.

252 Urban: S.18. 253 Filler: S.430. 254 An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass das Dehmel-Gedicht Ansturm von Lehrer und Schülerin vertont wurde. Beide Lieder finden sich in: Rode-Breymann: S.115-117 (Zemlinsky) und S.123-125 (Schindler). 255 Schollum: S.547/548.

82 Harmonisch entfernt sich Alma Schindler nie ganz von der Tonalität. Schollum bezeichnet ihre harmonische Vorgehensweise als häufig „am Rande der Atonikalität“.256 Almas melodische Begabung springt sofort ins Auge und macht die Lieder selbst dann noch sanglich, wenn, wie in den Liedern von 1901 – der 22jährigen also! – oft eine erstaunlich kühne und originelle Harmonik [...] die Singstimme in ihren Bann zieht.257

Als weitere Charakteristik vieler Lieder ist die weite Ausnutzung der Klaviatur zu nennen. Arpeggien und weit angelegte Akkorde werden bevorzugt zur Textaus- deutung gewählt. In der Dehmel-Vertonung Ansturm weitet sich mit der im Gedicht beschriebenen inneren „Aufruhr“ der Tonraum und die Notenwerte werden verkürzt. Arpeggien symbolisieren diese Aufgeregtheit.

Notenbsp. Ansturm T. 19.

Diese Vorliebe für orchestrales Effekte am Klavier lässt sich als einzige Möglich- keit Alma Schindlers verstehen, Klangräume zumindest an diesem Instrument auszunutzen. Ihre ganze Gefühlswelt brauchte den Raum der gesamten Klaviatur. Selbst wenn Alma Schindler mit dem gleichen Eifer wie bei den Liedern Orchesterwerke geschrieben hätte, wären diese innerhalb der Möglichkeiten öffentlicher Privatheit, die Alma Schindler zur Verfügung standen, wahrscheinlich nie zur Aufführung gelangt. Alma Schindlers Vertonungen orientieren sich stets sehr am Text. In einigen Fällen, wie z.B. in Hymne an die Nacht (Novalis) sind Taktwechsel dem Rede- fluss des Textes angepasst. Der in den Tagebüchern dokumentierte Charakterzug Alma Schindlers, zwischen extremen Gefühlen und Lebensauffassungen zu schwanken, findet sich auch in den Liedern wieder. Textausdeutende Effekte der Dynamik, des Klangs, des Text-

256 Schollum: S.549. 257 Schollum: S.548.

83 flusses und der Harmonik sind zwar auch bei anderen Komponisten zu finden, sind aber bei Alma Schindler in besonderem Maße zu finden. Die Lieder sind Dokumente der Lehrzeit und der Adoleszenz im Sinne einer Suche nach musikali- scher und persönlicher Identität, da sie so stark auf Texten beruhen, die Alma Schindlers Stimmungen widerspiegelten. Gleichzeitig sind sie Dokumente der Jahrhundertwende in Wien, denn sie vermitteln den Aufbruch von Tradition (Tonalität) zur Moderne (Atonalität), einen Schritt, den Alma Schindler im Fall der fortgesetzten Kompositionstätigkeit wahrscheinlich mitvollzogen hätte, wie sich in ihren frühen Werken bereits ankündigt.

4.6.3. Aufführungen und Publikationen

Wie bereits dargestellt, kamen Alma Schindlers Lieder und Klavierstücke verhält- nismäßig oft im Freundeskreis zur Aufführung. In den Tagebüchern ist aber auch einmal von einem Vortrag im Salon ihres Zahnarztes die Rede, also bei einer Auf- führung bei einem weniger nahestehenden Bekannten. Abends bei Robicsek [Zahnarzt].Es waren nur Bloch und Blau da. Blau nahm meine Lieder mit. Ich spielte meine Stücke, und man sagte allgemein, dass sie nicht wie von einer Frau componiert klängen.258

Die Wiener Gesellschaftsabende boten für junge talentierte Menschen ein Forum, eigene Kompositionen zur Aufführung zu bringen. Dem Rahmen entsprechend kamen besonders Lieder, Klavierstücke und kammermusikalische Werke dort zur Aufführung. Kompositionen für größere Besetzungen konnten in Ermangelung von Platz und einer großen Anzahl von (Orchester-) MusikerInnen nicht gespielt werden. Einige Lieder Alma Schindlers gelangten auf Anstoß ihres Lehrers Labor bei einem Kammermusikabend von Adele Radnitzky-Mandlick am 2. Februar 1900 zur öffentlichen Aufführung. Dem Vortragsabend waren mehrere Proben voraus- gegangen. Eine Schülerin – Fräulein Freistätt – war die Interpretin der Lieder. Sie hatte Unterricht bei einer ehemals erfolgreichen Sängerin der Wiener Hofoper und der New Yorker Metropolitan , die nun als Gesangspädagogin tätig war und auch die Proben für den Abend begleitete. N.M. [nachmittags] bei der Marianne Brandt. Sie sang meine Lieder selbst mit einer verhältnismäßig unglaublich frischen Stimme und einem famosen Können. Sie gefiel mir

258 Tagebuch-Suiten: 14. März 1898.

84 ungemein. Alles was sie sagt, hat Hand und Fuß. Ich lernte viel von ihr. – Freystätt kam dann auch und sang meine Lieder schon recht gut.259

Trotz der ausführlichen Vorbereitung dieses Abends erwähnte Alma Schindler die öffentliche Aufführung ihrer Lieder dann recht kurz. Wie bereits dargestellt, erhielt sie an diesem Abend große Anerkennung von dem Klavierprofessor Epstein nach ihrem eigenen pianistischen Vortrag. Carl Moll schlug im Juni 1900 die Privatveröffentlichung von Alma Schindlers Liedern vor. Ihr selbst war die Idee nicht so recht. N.M. [nachmittags] hatte mir Carl [...] meine 3 Mai-Lieder gedruckt – Bürstenabzug. Moser wird sie zeichnen. Die Idee ist sehr lieb von Carl, aber mir ist das Ganze nicht angenehm – ein bischen dilettantenhaft – und vielleicht ärgere ich mich später darüber.260

Wie Alma Schindler wollte auch Alban Berg die Lieder seiner Lehrzeit nie veröffentlichen. Seine frühen Lieder wurden schließlich nach seinem Tod publi- ziert. Die Reaktion Alma Schindlers ist ähnlich zurückhaltend. Zemlinsky war gegen die Privatveröffentlichung, da das Druckmanuskript zu fehlerhaft war. In einem Brief vom 8. August 1900 schrieb er an Alma Schindler: Es sind in den 3 Liedern so unerhört viel Fehler, einerseits von Ihrem Manuskript herrührend, andererseits aber vom Drucker, durch unglaublichste Stellung der Noten übereinander, nie dagewesene Zeichen, daß mir der Kopf brummte. Ich sagte: werden selbst alle Fehler ausgebessert, so wird die Sache noch immer so schlecht u. unleserlich erscheinen, dass es besser ist ich gebe folgenden Rath: Wenn es irgend möglich ist, mit nicht grossem Verluste verbunden, dann machen Sie das Ganze rückgängig u. schreiben ein neues Manuskript (dieselben Lieder bitte!) u. bringen mir das vor Drucklegung u. lassen die Lieder bei Eberle machen. [...] Das hat ein Drucker gemacht, der nie im Leben 2 Zeilen Noten gesehen u. gedruckt hat.261

Öffentliche Konzerte erfolgten erst wieder nach vielen Jahren. In Wien waren vier der 5 Lieder nach ihrer Publikation durch Gustav Mahler (1910) bei einem Liederabend der Sängerin Thea Drill-Orridge am 11. Dezember 1910 uraufgeführt worden. Am Klavier begleitete Alexander Zemlinsky. Gustav Mahler veranlasste eine Aufführung von Laue Sommernacht in New York. Eigentlich hatte er gewollt, dass alle fünf Lieder bei dem Liederabend der Sängerin Frances Alda Gatti-Casazza am 3. März 1911 gesungen würden, die Änderung des Programms war aber zu kurzfristig. Laue Sommernacht war so erfolgreich, dass es wiederholt werden musste.262 In einem Brief an Anna Moll schilderte Gustav Mahler den künstlerischen Erfolg der Lieder in New York.

259 Tagebuch-Suiten: 29. Januar 1900. 260 Tagebuch-Suiten: 21. Juni 1900, vgl. auch Fußnote 8, S.810. 261 unveröffentlichter Brief zitiert nach: Rode-Breymann: S:141/142. 262 vgl. GoR: S.464

85 Ihre Lieder machen Furore hier und werden demnächst von zwei verschiedenen Sängerinnen gesungen werden.263

In jüngster Zeit fanden die Lieder Alma Schindler-Mahler-Werfels zu einer Renaissance, die sie sich selbst wahrscheinlich nie erträumt hätte. Nachdem sie noch zu ihren Lebzeiten die Wiederentdeckung der Werke Gustav Mahlers hatte verfolgen können, lässt sich seit dem Artikel über ihre Lieder aus dem Jahr 1979 von Robert Schollum und der Gesamtausgabe der Lieder durch Herta Blaukopf eine erhöhtes Interesse beobachten. Seit Mitte der 80er Jahre wurden die Lieder erstmals eingespielt. Aber auch in den 90er Jahren entstanden noch einige Auf- nahmen, sowie eine Orchestrierung von David und Colin und Matthews.

5. Rezensionen

Im Anschluss an die Publikation der Tagebuch-Suiten 1997, die im Übrigen auch in einer etwas gekürzten Fassung in englischer Sprache erschienen ist, wurde in wissenschaftlichen Zeitschriften, Wochenmagazinen, Tages- und Wochenzeitun- gen und in der Boulevardpresse im In- und Ausland der Inhalt des Buches zahl- reich rezensiert, bekam also ein beachtliches Maß an öffentlicher Aufmerksam- keit. Die Rezensionen liefern einen Querschnitt der öffentlichen Rezeption und geben die Lesart für die Tagebuch-Suiten vor. Im Hinblick auf die Fragestellung dieser Arbeit ist es interessant, ob im öffentli- chen Bewusstsein die Publikation der Tagebuch-Suiten etwas an dem Bild und an der Sicht auf Alma Schindler-Mahler-Werfel verändert hat, oder ob aus dem Zu- sammenhang der Tagebücher tendenziös die Textstellen herausgenommen wurden, die das Bild einer Muse oder einer Femme fatale reproduzieren. Welche Schlagzeilen benutzen RedakteurInnen, um auf die Tagebücher aufmerk- sam zu machen? Welche Art von Artikeln werden bei den redaktionellen Sitzungen in die Kulturteile der Zeitungen und Magazine aufgenommen? Die früheste mir vorliegende Rezension vom 15. Oktober 1997 aus der Süddeutschen Zeitung264 lobt die Edition der Tagebücher zunächst als Dokumen- tation einer Persönlichkeit des Wiens der Jahrhundertwende.

263 GoR: Brief vom Februar 1911, S.464/465. 264 Graf, Hansjörg: Lehrjahre einer Windsbraut, in: Beilage der Süddeutschen Zeitung 15.10.1997.

86 Die Präsentation der ungekürzten Fassung dieser Notizen ermöglicht, was keine Biographie zu leisten vermag: die unvoreingenommene Betrachtung und Analyse eines widersprüchlichen Charakters.

Diese „unvoreingenommene Analyse“ verfolgt der Autor Hansjörg Graf aber keineswegs konsequent. In dem Artikel ist die Kompositionstätigkeit Alma Schindlers nicht von Interesse und in der zweiten Hälfte wird das „Liebeskarussel“ und das „riskantes Feld erotischer Parallelaktionen“ beschrieben, auf das Alma Schindler sich gewagt habe. Vermutlich war der Spiegel265 als eine der ersten Zeitschriften, in der die Tagebuch-Suiten rezensiert wurde, meinungsbildend für weitere Artikel anderer Zeitungen. Alma Schindlers Leben wird an der Seite berühmter Männer aus sexualisierender Perspektive kommentiert. Sie hat Kunstgenies betört wie keine andere vor oder nach ihr. Womit umgarnte sie die Kreativen? War sie Muse oder Megäre, Dummchen im Glück oder Dauer- Nymphomanin?266

Das Wiener Boulevardblatt Neue Kronenzeitung reiht in ihrem Artikel Tagebuch- zitate aneinander, die stets einseitig die Liebesbeziehungen in den Vordergrund stellen.267 Diese Art von Collagetechnik suggeriert Authentizität der durch die Zitate gemachten Aussagen, verschweigt aber Aspekte, die über die Liebesbezie- hungen hinaus den Tagebüchern zu entnehmen sind. Aber nicht nur die Boulevardzeitungen bedienen sich einseitiger Berichterstattung. Auch im Literaturteil der Zeit268 beginnt der Autor damit, in der ersten Spalte der ausführlichen Rezension die intimsten und erotischsten Stellen der Tagebuch-Suiten zu zitieren. Im Folgenden ist von der musikalischen Tätig- keit Alma Schindlers die Rede, jedoch trifft der Autor abwertende Urteile über ihr Talent, ohne bei seiner Bewertung gesellschaftliche Bedingungen für die künstle- rische Arbeit von Frauen zu berücksichtigen. Sie studiert, zunächst ohne rechten Erfolg, den Kontrapunkt und die strenge Form. [...] Immerhin, Zemlinsky hätte ihre musikalische Passion wohl geduldet. [...] Die Äußerungen Zemlinskys lassen einen liebenswürdigen Dilettantismus vermuten. Hätte es sich anders verhalten, wäre es ihr leichter geworden, sich die Voraussetzungen der Kom- position anzueignen: Clara Schumann und Fanny Mendelssohn meisterten den Kontra- punkt.269

265 Saltzwedel, Johannes: „Weib möchte ich sein“, in: Der Spiegel 51/1997. 266 a.a.O.: S.220. 267 Die Neue Kronenzeitung veröffentlichte zwei Artikel. Der erste vom 3.1.1998 ist sehr kurz gehalten, während der zweite vom 1.-3.3.1998 aus den Tagebuchauszügen einen Fortsetzungsroman konstruiert. 268 Harprecht, Klaus: Die Katze und die Genies, in: Die Zeit Nr.10, 26.2.1998. 269 a.a.O.: S.50.

87 Im Focus270 hingegen finden sich keine Aussagen zur Komponistin Alma Schindler, so dass LeserInnen der Rezension ein musikalisches Talent nicht vor- gestellt wird. Nach langen Ausführungen über Alma Mahler-Werfels angebliche „Charakterlosigkeit“ und einer Aufzählung aller Künstler, die ihr „zum Opfer gefallen“ seien, kommt der Autor zu einem Ergebnis, das das Komponierverbot betrifft. Tatsächlich hielt sie sich für begabter als Mahler, bis er ihr dann genervt das Komponieren schlichtweg verbot.271

Neben dem Zitieren von ausgewählten (erotischen) Intimitäten des Tagebuchs und den abwertenden Urteilen über Alma Schindlers Kompositionstätigkeit wird in den Rezensionen häufig angeblicher Antisemitismus zum Thema der ersten Spalten. In einem umfangreichen Artikel in The Sunday Times272 findet der Musikwissenschaftler Bryan Appleyard273 erstaunliche Vergleiche bei der Charakterisierung der Femme fatale. At time Alma sounds like Bridget Jones – man-hungry and out of control, waking up after one drinking spree with her white dress covered in vomit. Then there is a touch of Bart Simpson’s sister, Lisa – cultivated yet naively romantic about art and constantly yearning to be swept away to some higher plane. And, finally, there is whiff of Joseph Goebbels – Jew-hating and lost in pagan dream of Teutonic supremacy. She was a woman who absorbed her age.274

Trotz des musikwissenschaftlichen Hintergrunds des Autors bekundet die Rezen- sion kein Interesse an der Komponistin und ihren Schaffensbedingungen. Im Vor- dergrund steht ein weiteres Mal die Hervorhebung der Liebesaffären. Nur wenige Rezensionen verzichten auf die Aufzählung von Affären. In dem Artikel Renate Wagners im Wiener Journal275 geht es um Alma Schindlers „Bildung und Erlebnisfähigkeit“, um ihre Kunst- und Musikverständnis und um eine Einordnung in den gesellschaftlichen Rahmen des Fin de Siècle. Als Tochter des großen Schindler bewegt Alma sich ganz selbstverständlich in den künstlerischen Kreisen Wiens, wo Maler, Musiker und Schriftsteller sich mit (teils) jüdischen Kapitalisten mischen.276

In einer Rezension aus dem BBC Music Magazine wird die Betrachtung auf die Bedingungen künstlerischer Arbeit Alma Schindlers ausgedehnt. Die gesell- schaftlichen Voraussetzungen für weibliche Kreativität werden einbezogen.

270 Fuld, Werner: Bis die Zähne schmerzten, in: Focus 5.1.1998. 271 a.a.O.: S.80. 272 Appleyard, Bryan: Femme fatale, in: The Sunday Times Culture 25.10.1998. 273 Musikwissenschaftler in Oxford. 274 a.a.O.: S.2. 275Wagner, Renate: Ein wahres „Nervengeschöpf“, in: Wiener Journal Feb.1998. 276 a.a.O.: S.38.

88 Sensual and artistic desires and frustration were all but inextricable for her: she despairs at the lack of rigorous intellectual training available to women; she agonises over her own lack of technique as a composer.277

Eine differenzierte Rezension findet sich in der musikwissenschaftlichen Zeit- schrift Music and Letters.278 Hier werden Rezeptionen der Tagebücher kritisiert, in denen behauptet werde, die Transkription habe keine neuen Informationen hervorgebracht. If we forget the rancour of the Mahlerians [...] and shelve the conventionally misogynist discourse in which Alma’s image has been constructed, even with her own later connivance, as a heartless and rather vulgar femme fatale, the person we meet as she attempts to construct herself is a lively, intelligent and clearly gifted young woman.279

Peter Franklin betrachtet die Tagebuch-Suiten als kulturhistorisches Dokument einer Komponistin, die mit ihrem künstlerischen Talent an die Grenzen der Ge- schlechterrollen geraten sei. Ihre Schwierigkeiten in der männlich dominierten Künstlerszene ordnet er in den Kontext der Wiener patriarchalischen bürgerlichen Gesellschaft ein (patriarchal bourgeois society). Die Zeitschrift Music and Letters ist als musikwissenschaftliche Zeitschrift jedoch nur einer schmalen musikinteressierten Leserschaft zugänglich. Einer breiten Öffentlichkeit wurde in den Zeitungen und Magazinen die Repro- duktion der alten patriarchalischen Muster verkauft. Das Bild der Femme fatale, wie auch das der Muse ist, in diesen Rezensionen weiterhin vorherrschend, und es besteht offensichtlich kein Interesse, aus den frühen Tagebücher die bisher unbekannten Informationen über Alma Schindler-Mahler-Werfel einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Auch die als seriös eingestuften Tageszei- tungen und Wochenmagazine nutzen Berichte über die Intimsphäre einer jungen Frau, ihre Verhältnisse zu Künstlern und über ihre angeblichen antisemitischen Tendenzen, um ihre Auflagenzahlen zu stärken. Durch tendenziös ausgewählte Zitate wird das Bild Alma Schindlers als Muse auf der einen und Femme fatale auf der anderen Seite stetig reproduziert. In den gleichen Zeitungen und Magazi- nen werden an anderer Stelle frauenfeindliche Tendenzen angeprangert. Durch die Rezensionen der Tagebuch-Suiten bekam die Person Alma Schindler- Mahler-Werfel eine hohes Maß an Aufmerksamkeit, die aber nicht zur Dekonstruktion des bestehenden Bildes beigetragen hat.

277 Finch, Hilary: Alma Mahler-Werfel. Diaries 1898-1902, in: BBC Music Magazine, Dez.1998. 278Franklin, Peter: Alma Mahler-Werfel. Diaries 1898-1902, in: Music and Letters, Vol.80 No.4, Nov.1999. 279 a.a.O.: S.650.

89 6. Fazit

Haben wir es nun mit einer vergessenen Komponistin zu tun? Kann man Alma Schindler-Mahler-Werfel überhaupt als Komponistin bezeichnen, wenn doch nur so wenige ihrer Kompositionen erhalten geblieben sind? Welche Aussagen lassen sich über sie als Komponistin und Person treffen? Geschichte, das wissen wir alle von politisch brisanten Themen deutscher Vergangenheit, ist nicht die Vergangenheit als solche, sondern das, was wir von ihr zu erfassen vermögen, was wir aus unserer Perspektive, unserem Erkenntnisinteresse daraus machen. Jede Zeit entwirft andere, der vergangenen Wirklichkeit mehr oder weniger nah kommende Bilder, die sich dann als geschichtliche „Tatsachen“ einnisten.280

Deutlich trifft dieses auf Alma Schindler-Mahler-Werfel zu. In ihren Autobiogra- fien entwarf sie von sich ein Bild an der Seite berühmter Männer, das von ihrer frühen Tätigkeit als Komponistin nicht mehr viel übrig ließ. Bezüglich ihrer Kompositionstätigkeit hinterließ sie den Eindruck, nach der Heirat mit Gustav Mahler mehrere Jahre keine einzige Note mehr geschrieben zu haben. Alma Mahler-Werfel konstruierte ihr Leben als Kunstwerk. In für Autobiografien von Frauen typischer Weise ließ sie dabei die Tätigkeit unbeleuchtet, mit der sie sich in jungen Jahren am meisten identifiziert hatte. In den Autobiografien ist ihre Rolle als Muse oder Femme fatale beschrieben, die als fiktiver Entwurf betrachtet werden muss. In diesem Selbstentwurf zeigt sich die Nicht-Identität, da das Kom- ponieren als Identifikationsobjekt aus ihren Schilderungen herausfällt. Die Biografien der 1980er Jahre übernahmen unreflektiert die Darstellung der Autobiografien, nicht bedenkend, dass Autobiografien keine „Tatsachen“ wider- spiegeln, sondern einen fiktiven Selbstentwurf darstellen. Die BiografInnen beschränkten sich einseitig auf die Reproduktion der aus dem 19. Jahrhundert stammenden Weiblichkeitsbilder. Dabei ließen sie alle Aspekte außer Acht, die die Kompositionstätigkeit Alma Mahler-Werfels näher beleuchtet hätten. Aufgrund der Publikation der Tagebuch-Suiten im Jahr 1997 ist es heute möglich, das von Alma Mahler-Werfel in den Autobiografien entworfene Bild zu korrigie- ren bzw. zu ergänzen. Die Tagebuch-Suiten vermitteln eindrücklich die Atmosphäre der Wiener Jahrhundertwende aus der subjektiven Sicht der jungen Alma Schindler. Sie sind ein kulturhistorisches Dokument ihre Jugend und spiegeln die Wiener Sezession und die Salonkultur um die Jahrhundertwende wider. Anhand der Aufzeichnungen aus den Jahren 1898-1902 lässt sich

280 Rode-Breymann: Der schwere Mut, in: Hannoversche Allgemeine Zeitung, 1.12.1999, S.6.

90 beobachten, wie sich Alma Schindlers Interesse von der Kunst auf die Musik verlagerte. Schon in jungen Jahren besaß sie souveräne pianistische Fähigkeiten und das Komponieren wurde immer mehr zum Mittelpunkt ihres Engagements. Als sie 1900 mit dem Kompositionsstudium bei Alexander Zemlinsky begann, hatte sie einen in etwa vergleichbaren Stand erreicht wie Alban Berg zu Beginn seines Studiums bei Arnold Schönberg. Beide interessierten sich dem Zeitgeist entsprechend für Lyrik und vertonten ihre Stimmungen in Liedern. Grundlage dieser Vertonungen waren fast ausschließlich Gedichte von zeitgenössischen Schriftstellern. Auch bezüglich ihrer Fortschritte gab es kaum Unterschiede. Denn daß wir alle längst zu schreiben oder zu dichten, zu musizieren oder zu rezitieren begonnen hatten, war selbstverständlich. [...] Jeder suchte in sich ein Talent und versuchte es zu entfalten. [...] Zwei oder drei waren ausgezeichnet ausgebildete Musiker, hatten sich aber nicht entschlossen, ob sie Komponisten, Virtuosen oder Dirigenten werden wollten. [...] [D]as Niveau, das wir mit siebzehn Jahren erreichten, [ging] weit über das Dilettantische hinaus.281

Auch Alma Schindler hatte „das Dilettantische“ mit jungen Jahren bereits über- wunden. Der bei Zweig ausgedrückte selbstverständliche Weg zur künstlerischen Professionalisierung war von Alma Schindler aber weniger leicht zu beschreiten, als es jungen Männern wie Stefan Zweig oder auch Alban Berg möglich war. Restriktive Bildungsvorstellungen machten es Alma Schindler schwer, über das für Mädchen übliche Maß hinaus zu musikalischen Kenntnissen und Fähigkeiten zu gelangen. Unterricht in Instrumentation wurde ihr verweigert, und als sie ein Klavierstudium bei Julius Epstein beginnen wollte, lehnten die Eltern ihr Anliegen ab. Aus ihrem künstlerischen Umfeld, wo sie die Möglichkeit hatte, im halb-öffentlichen Rahmen ihre Kompositionen zur Aufführung zu bringen, bekam sie viel Lob und Ermutigung für ihre Tätigkeit. Aufgrund der dauernden Beein- trächtigungen ihrer künstlerischen Ambitionen und der geringen Aussicht, einen musikalischen Beruf zu ergreifen, traf sie schließlich eine zeittypische Entscheidung weiblicher Sozialisation: die eigene Profession zugunsten der Ehe aufzugeben. Die Lieder sind als Dokumente ihrer Lehrzeit zu betrachten. In ihnen sind starke Stimmungsschwankungen mittels einer großen dynamischen Bandbreite, einem immensen Tonumfang und in textausdeutender Tonsymbolik ausgedrückt. Das Interesse für die Komponistin Alma Schindler-Mahler-Werfel ist jedoch auch von musikwissenschaftlicher Seite eher gering. Nur wenige Abhandlungen

281 Zweig: S.50.

91 beschäftigen sich mit den Liedern. Selten werden sie unabhängig von Gustav Mahlers Kompositionen betrachtet – ähnlich wie auch ihre Person immer in Beziehung zu anderen (Männern) gesetzt wird. Selbst die Herausgeber der Tagebuch-Suiten haben ein unterschiedliches Interesse an dieser Frau: Während Susanne Rode-Breymann in ihrem Buch über die Komponistin Alma Mahler- Werfel die Tagebücher in den Kontext der Wiener Gesellschaft stellt, beleuchtet Antony Beaumont die Bedingungen künstlerischer Arbeit nicht und kommt zu folgendem Ergebnis: Aber schon die wenigen Notenbeispiele, die Alma in ihr Tagebuch einträgt, zeugen von mangelhaftem Gehör und geradezu niederschmetternder Unkenntnis der musiktheoretischen Grundsätze. Sie beschränkt sich auf Lieder und Klaviermusik; einmal aber möchte sie ein Klaviertrio komponieren, muß das Vorhaben jedoch aufgeben, weil sei nicht so recht weiß, wie man die Streichinstrumente behandelt.282

Die Auseinandersetzung mit Alma Schindler-Mahler-Werfels Liedern zielt also häufig auf die Abwertung ihres künstlerischen Talents, da selten versucht wird, diese in den Gesamtzusammenhang ihrer Entstehungsgeschichte einzuordnen. Wer die Lieder als „Kunstwerke“ einer erfahrenen Komponistin – nicht einer Kompositionsschülerin – betrachtet, kommt zwangsläufig zu einer negativen Bewertung ihres Talents. Das einseitige Bild Alma Schindler-Mahler-Werfels als Femme fatale oder Muse hat also dazu geführt hat, dass ihre Tätigkeit als Komponistin gar nicht erst in den Blickpunkt des (musikwissenschaftlichen) Erkenntnisinteresses gelangte. Indem sich die Printmedien – auch nach der Veröffentlichung der Tagebuch- Suiten – nur für die Sicht auf Alma Schindler-Mahler-Werfel als Femme fatale und als Muse interessieren, werden auch im „Fin de Siècle des 20. Jahrhunderts“ die Klischees von Weiblichkeit des 19. Jahrhunderts reproduziert. Ob man Alma Schindler-Mahler-Werfel also als Komponistin betrachtet, hängt davon ab, welches Erkenntnisinteresse der Beschäftigung mit ihrer Person voran- geht. Die Mythenbildung erschwerte die Auseinandersetzung mit ihr als Komponistin. Die Publikation der frühen Tagebücher ermöglichen nun jedoch eine Annäherung an die Komponistin Alma Schindler-Mahler-Werfel.

282 Tagebuch-Suiten: S.XIII. Entnommen aus der Einleitung der Tagebuch-Suiten, die als Briefwechsel verfasst ist. Brief Antony Beaumonts an Susanne Rode-Breymann vom 4.10.1994.

92 7. Zeittafel

Zur besseren Orientierung über Alma Mahler-Werfels Lebensdaten sei an dieser Stelle eine Zeittafel angefügt. Dabei ist auffällig, dass Alma Mahler-Werfels Tätigkeiten häufig nicht erwähnt sind, sondern nur die Ereignisse aus ihrem Um- feld, wie z.B. die Uraufführung von Mahlers Sinfonien. Da neben den Autobio- grafien und Biografien kaum Quellenmaterial existiert, in dem Alma Mahler- Werfels Leben nicht ausschließlich an der Seite berühmter Männer dargestellt ist, entsteht bei der Konstruktion einer Zeittafel dieses etwas schiefe Bild. Die Zeittafel ist angelehnt an Karen Monsons Übersicht.283 Die historischen Ereignisse, die Monson anfügt, sind hier weggelassen. Widersprüche zwischen Monsons Datierung und anderen Quellen sind kenntlich gemacht.

1879 31.August: Geburt Alma Maria Schindlers als Tochter des Malers Emil Jakob Schindler und Anna von Bergen in Wien. 1881 Geburt der Schwester Grete. 1883 18.Mai: Geburt von Walter Gropius in Berlin. 1884 Vater Emil Jakob Schindler erwirbt Grundbesitz in Plankenburg, wo die Familie Schindler die meiste Zeit des Jahres verbringt. 1886 1. März: Geburt Oskar Kokoschkas. 1890 10.September: Geburt Franz Werfels in Prag. 1892 9.August: Tod des Vaters Emil Jakob Schindler auf Sylt 1894 Kurzzeitiger Besuch Alma Schindlers einer Schule. Seit 1895 Förderung der literarischen Interessen Alma Schindlers durch den Wiener Burgtheaterdirektor Max Burckhard. Kontrapunkt- und Kompositionsunterricht bei dem Organisten Josef Labor. 1897 Mutter Anna Schindler heiratet in zweiter Ehe den Schüler ihres verstorbenen Mannes, Carl Moll. Gustav Mahler wird Direktor der Wiener Hofoper. Gründung der Wiener Sezession (Josef Hoffmann, Gustav Klimt, Carl Moll, Kolo Moser, Otto Wagner.)

283 Monson: S.343-373.

93 1898-1902 Tagebuch-Suiten. 1898 Freundschaft und erste Verliebtheit zu Gustav Klimt. Umzug der Familie Moll in die Wiener Theresianumgasse. 1899 9.August: Geburt der Stiefschwester Maria Moll. 1900 18.Oktober: Erste Kompositionsstunde bei Alexander Zem- linsky.284 Beziehung zu Alexander Zemlinsky. 1901 Beendigung des Unterrichtsverhältnisses mit Josef Labor. Herbst: Umzug der Familie Moll in den Bezirk Hohe Warte. 25.November: Uraufführung von Gustav Mahlers 4. Sinfonie in München. November: Beginn der Beziehung zu Gustav Mahler. 20.Dezember: Brief Gustav Mahlers mit dem „Kompositionsver- bot“. 23.Dezember: Verlobung mit Gustav Mahler. 1902 9. März: Hochzeit Alma Schindlers mit Gustav Mahler in Wien. 12.Juni: Uraufführung von Mahlers 3.Sinfonie in Krefeld. 3.November: Geburt der Tochter Maria Anna. 1904 15.Juni: Geburt der Tochter Anna Maria. 18.Oktober: Uraufführung von Mahlers 5. Sinfonie in Köln unter eigener Leitung. 1905 Uraufführung von Mahlers in Wien. 1906 27.Mai: Uraufführung von Mahlers 6. Sinfonie in Essen. 1907 12.Juli: Tod der Tochter Maria Anna. Krise an der Wiener Hofoper – Gustav Mahler löst seinen Vertrag. 1908 Gustav Mahler wird Dirigent an der New York . 19.September: Uraufführung von Gustav Mahlers 7. Sinfonie in Prag. Erneute Konzertsaison in New York – erstmals mit der gesamten Familie. 1909 Februar: Alma Mahler erleidet eine Fehlgeburt.

284 Wie bereits angeführt, irrt sich Monson in der Datierung des ersten Unterrichts bei Alexander Zemlinsky. Die Datierung hier folgt den Tagebuch-Suiten.

94 Herbst: Dritte Amerikareise der Mahlers. Gustav Mahler wird Chefdirigent der Philharmonic Society of New York. 1910 April: Rückkehr nach Europa. Ab Ende Mai: Alma Mahler zur Kur in Tobelbad, wo sie Walter Gropius kennenlernt. Ehekrise: Gustav Mahler lässt sich von in Leyden/ Holland beraten. 12. September: Uraufführung von Gustav Mahlers 8. Sinfonie in München. Herbst: Gustav Mahler veranlasst die Veröffentlichung der 5 Lieder Alma Mahlers bei der Universal Edition. Vierte Amerikareise. Familie Mahler erwirbt ein Haus in Breitenstein/ Semmering. 1911 Mahler dirigiert sein letztes Konzert in New York. April: Alma Mahler fährt mit ihrem todkranken Ehemann erst nach Paris danach nach Wien. 18. Mai: Tod Gustav Mahlers. Beisetzung neben der Tochter Maria Anna. 1912 Frühjahr: Beginn der engen Beziehung Alma Mahlers zu Oskar Kokoschka. 26.Juni: Uraufführung von Mahlers 9. Sinfonie durch in Wien. Sommer: Fahrten nach Holland und in die Schweiz – mit Oskar Kokoschka. 1913 Oskar Kokoschka versucht, Alma Mahler zu einer Eheschließung zu überreden, die sie ablehnt. August: Reise nach Tre Croci/ Dolomiten mit Kokoschka.

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1914 Beginn des Ersten Weltkrieges. Dezember: Alma Mahler nimmt Briefkontakt zu Walter Gropius auf.285 Die Windsbraut, Gemälde von Oskar Kokoschka. 1915 Januar: Walter Gropius im Feldlazarett. Kokoschka als Soldat bei der Kavallerie. Schwere Verwundung. Frühjahr: Alma Mahler bei Walter Gropius in Berlin. Mai: endgültiges Ende der Beziehung Alma Mahlers zu Oskar Kokoschka. 18. August: Hochzeit mit Walter Gropius, der aber weiterhin Kriegsdienst abzuleisten hat. Oktober: Alma Mahler entdeckt Franz Werfels Gedicht Der Erkennende und komponiert ein Lied auf den Text. Veröffentlichung der 4 Lieder. 1916 5. Oktober: Geburt der Tochter . 1917 Herbst: Bekanntschaft mit Franz Werfel. 1918 Januar: Beginn der Beziehung mit Franz Werfel. Ende des Ersten Weltkrieges: Berufung Walter Gropius‘ nach Berlin. Juli: Vorzeitige Geburt des Sohnes Martin Carl Johannes.286 1919 Walter Gropius gründet das in Weimar. Frühjahr: Sohn Martin stirbt. März: Besuch Alma Mahler-Gropius in Weimar bei Walter Gropius zusammen mit der Tochter Manon. 1920 Jahresanfang: Reise nach Italien mit Franz Werfel und Manon. Die Scheidung von Walter Gropius wird eingeleitet. 15.Oktober: Uraufführung von Franz Werfels Drama Der Spiegelmensch in Leipzig.

285 Giroud zufolge stand Alma Mahler seit dem Beginn der Affäre während der Kur in Tobelbad mit Walter Gropius in Briefkontakt Ihre Affäre sei erst 1912 zu Ende gewesen, der Briefkontakt sei geblieben. Giroud: S.133. Wahrscheinlich bezieht sich Giroud auf die Biografie Reginhald Isaacs: Walter Gropius. Bd.1, Berlin 1983/84. 286 Da noch keine Vaterschaftstests existierten, war Alma Mahler-Gropius der Vater Martins nicht eindeutig klar. Mein Leben: S.115.

96 1922 Erwerb eines Hauses in Venedig. 1923 Abwechselndes Wohnen in Venedig und am Semmering, zusammen mit Franz Werfel. 1924 Reise mit Franz Werfel in den Nahen Osten. Publikation der Briefe Mahlers durch Alma Mahler. 1925 Enge Freundschaft mit Alban und Helene Berg. Veröffentlichung der 5 Gesänge. Uraufführung von Alban Bergs Oper Wozzeck. Alban Berg widmet Alma Mahler den Klavierauszug der Oper, da diese den Druck finanziell unterstützt hatte. 1929 6. Juli: Hochzeit Alma Mahlers mit Franz Werfel. Hochzeitsreise in den Nahen Osten. 1931 Umzug in das neue Haus auf der Hohen Warte. 1932 Hinwendung Alma Mahler-Werfels zum römisch- katholischen Glauben, Freundschaft zum Theologieprofessor Johannes Hollnsteiner. 1933 30. Januar: Machtergreifung Hitlers in Deutschland. Franz Werfel: Die vierzig Tage des Musa Dagh, Roman. 1934 April: Tochter Manon erkrankt in Venedig an Kinderlähmung 1935 Ostern: Tod Manons. Alban Berg widmet der verstorbenen Manon sein Violinkonzert: Im Angedenken eines Engels. Herbst: Ehepaar Werfel in New York zur Uraufführung von Franz Werfels Weg der Verheißung. 24. Dezember: Tod Alban Bergs. Verkauf des Hauses in Venedig. 1936 Verkauf des Hauses auf der Hohen Warte. 1938 Alma und Franz Werfel in Mailand. Er bleibt in Mailand während sie in Wien letzte Angelegenheiten regelt. Ab März: Alma Mahler-Werfel verlässt Wien, um ins Exil zu gehen. Fahrt nach Prag, Budapest, Zagreb, Triest und Mailand, wo Franz Werfel wartet. Erste Exilniederlassung in Sanary-sur-Mer in Südfrankreich. Herzerkrankung Franz Werfels.

97 November: Tod der Mutter Anna Moll in Wien. 1939 September: Beginn des Zweiten Weltkrieges. Jahresende: Aufenthalt in Paris. Um 1940 Almas Schwester Gretl wird unter der Naziherrschaft in Deutschland ermordet. 1940 Emigration der Werfels mit Golo und über Frank- reich, Spanien und Portugal in die USA. 13. Oktober: Ankunft in New York. Herausgabe von: Gustav Mahler. Erinnerungen und Briefe in Amsterdam. 1941 Franz Werfel: Das Lied der Bernadette, Roman. 1942 Bekanntschaft der Werfels mit Erich Maria Remarque. 16. März: Tod Zemlinskys in Larchmont/ New York. September: Umzug nach Beverly Hills. Freundschaft der Werfels mit Friedrich Torberg. 1943 Kauf eines Sommerhauses in Santa Barbara. Franz Werfel erleidet mehrere Herzanfälle. 23. Dezember: Premiere des Films: Das Lied der Bernadette. (wegen des schlechten Gesundheitszustandes Franz Werfels können die Werfels nicht dabei sein.) 1944 Besserer Gesundheitszustand Franz Werfels. Arbeit an seinem Roman Der Stern der Ungeborenen. 1945 Mai: Kriegsende 17. August: Franz Werfel beendet den Roman Der Stern der Ungeborenen. 26. August: Tod Franz Werfels in Beverly Hills. 1946 Alma Mahler-Werfel erhält die amerikanische Staatsbürgerschaft. 1947 Spätsommer: Europareise: Besuch in London bei Tochter Anna und Enkelin Marina; Aufenthalt in Wien; Bemühungen, den eigenen Besitz zu sichern. 1948 Jahresanfang: Besuch der Tochter Anna in Beverly Hills. 1950 Tochter Anna und Enkelin Marina ziehen nach Beverly Glen. April: Alma Mahler-Werfel lässt Mahlers unvollendete 10. Sinfonie in Druck geben.

98 1952 Alma Mahler-Werfel zieht nach New York/ Manhattan. 1953 Januar/ Februar: Rom-Aufenthalt. 1954 Herbst: Rom-Aufenthalt. 1958 Alma Mahler-Werfels englischsprachige Autobiografie And the bridge is love erscheint. 1959 widmet Alma Mahler-Werfel das Nocturno für Tenor und kleines Orchester. 1960 Alma Mahler-Werfels Autobiografie Mein Leben erscheint. 1964 31. August: Feier des 85. Geburtstages. 11.Dezember: Tod Alma Mahler-Werfels aufgrund einer Lungen- entzündung in New York. Sie wird neben Manon in Wien/ Grinzing beigesetzt.

99 9. Literaturverzeichnis*

Primärliteratur

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Henry-Louis de La Grange, Günther Weiß (Hrsg.): Ein Glück ohne Ruh`. Die Briefe Gustav Mahlers an Alma, Berlin 1995.

Biografien

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Monson, Karen: Alma Mahler-Werfel. Die unbezähmbare Muse (London 1983), aus dem Englischen übersetzt von Renate Zeschitz, München 1985.

Wessling, Berndt W.: Alma. Gefährtin von Gustav Mahler, Oskar Kokoschka, Walter Gropius, Franz Werfel, Düsseldorf 1983.

Sekundärliteratur

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* In der Arbeit nicht zitierte Literatur diente zur Annäherung an das Thema. Blaukopf, Herta: Alma Mahler als Komponistin. Vorwort zu: Sämtliche Lieder von Alma Maria Schindler, Wien (UE 18016) o.J.

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Ausgaben der Lieder

Handschriften

Die beiden Handschriften von Leise weht ein erste Blühn von den Lindenbäumen und Kennst Du meine Nächte? befinden sich nach Angaben von Juliane Urban (Urban: S.90) im Besitz von Susan M. Filler, Chicago, die eine Kopie der Internationalen Gustav Mahler Gesellschaft/ Wien überlassen hat. Eine Kopie dieser Handschriften befinden sich in: Urban, Juliane: Die Lieder von Alma Mahler-Werfel – geb. Schindler, Magisterarbeit Freie Universität Berlin 1994.

Drucke

Mahler, Alma: Sieben Lieder für mittlere Stimme und Orchester, orchestriert von David & (1995), Partitur, Universal Edition 19793.

Schindler-Mahler, Alma Maria: Sämtliche Lieder für mittlere Stimme und Klavier, Universal Edition 18016.

Diskografie

Alma Mahler: Vier Lieder. in: Lili Boulanger und Alma Mahler. Katherine Ciesinski (Mezzo-Sopran), Ted Taylor (Klavier) U.S.A. 1983.

Alma Mahler-Werfel: Sämtliche Lieder. Isabel Lippitz (Sopran), Barbara Heller (Klavier) cpo 1987.

Alma Mahler, Gustav Mahler: Lieder. Hanna Schaer (Mezzo-Sopran), Franςoise Tillard (Piano), Darunter von Alma Mahler-Werfel: 5 Lieder, Notre Dame de Liban 1990.

Clara Schumann, Fanny Mendelssohn, Alma Mahler: Lieder. Christian Högman (Sopran), Roland Pöntinen (Piano) darunter von Alma Mahler-Werfel Laue Sommernacht, Ich wandle unter Blumen aus den Fünf Liedern, Vier Lieder und Der Erkennende und Lobgesang aus den Fünf Gesängen, BIS 1995.

Mahler, Mahler and friends. Songs by Alma Mahler, Gustav Mahler, Alexander Zemlinsky und Anne Gjevang (Alt), Einar Stehen-Nokleberg (Klavier) darunter von Alma Mahler-Werfel: Fünf Lieder, Victoria AS 1995.

Alma Mahler-Werfel: Complete Songs Ruth Ziesak (Sopran), Iris Vermillion (Mezzo-Sopran), Christian Elsner (Tenor), Cord Garben (Klavier), cpo 1997.

Alexander Zemlinsky: Eine Florentinische Tragödie. Alma Mahler: Lieder. Iris Vermillion (Mezzo-Sopran), Royal Concertgebouw Orchestra, Ltg. Riccardo Chailly Darunter von Alma Mahler-Werfel: Die stille Stadt, Laue Sommernacht, Licht in der Nacht, Waldseligkeit, Bei dir ist es traut, Erntelied, Orchestriert von Colin & David Matthews, decca (Entartete Musik) 1997.

Verfilmung

Manker, Paulus (Drehbuch/ Regie): Alma – The movie, basierend auf einem Polydrama von Joshua Sobol, Nanook Film Wien 1998 (ausgestrahlt: arte 1998, ORF 1999).

Wandel, Juliane (Drehbuch): Meine Sinnlichkeit ist grenzenlos (für arte produziert) 1997.

Rezensionen

Annan, Gabriele: Not Sex, but Sexy, in: London review of books 10.12.1998.

Appleyard, Bryan: Femme fatale, in: The Sunday Times Culture 25.10.1998.

Finch, Hilary: Alma Mahler-Werfel. Diaries 1898-1902, in: BBC Music Magazine 12/1998.

Fischer, Jens-Malte: Auf der Schaumkrone des Wiener Fin de Siècle, in: Neue Zürcher Zeitung 21./22.6.1998.

Franklin, Peter: Alma Mahler-Werfel. Diaries 1898-1092, in: Music and letters Vol. 80 No.4, Oxford 11/1999.

Fuld, Werner: Bis die Zähne schmerzten, in: Focus 5.1.1998.

Graf, Hansjörg: Lehrjahre einer Windsbraut, in: Beilage der Süddeutschen Zeitung Nr.237, 15.10.1997.

Harprecht, Klaus: Die Katze und die Genies, in: Die Zeit Nr.10, 26.2.1998.

Harries, Susie: Groupies of genius, in: The Times Literary Supplement 20.11.1998.

Harrison, Max: Alma and her men, in: Hampstead & Highgate Express 13.11.1998.

Hensher, Philip: Getting off with the nearest genius, in: The Spectator 7.11.1998.

Hillger, Andreas: Die Erziehung der Gefühle. Selbstzeugnisse der erfolgreichen Muse von 1908 bis 1912 [sic], in: Mitteldeutsche Zeitung 3.2.1998.

Jungheinrich, Hans-Klaus: Vollkommene Verführbarkeit, in: Frankfurter Rundschau 28.2.1998.

Klein, Erdmute: Entzifferung einer Muse, in: Rheinischer Merkur 13.2.1998.

Macdonald, Marianne: Viennese whirl, in: The Observer Review 15.11.1998.

Maddox, Brenda: She longed for rape, in: Literary Review, 12/1998.

Neubauer, Simon: Selbstenthüllung einer Ungestümen, in: Weser Kurier Bremen, 8.1.1998. Rode-Breymann, Susanne: Der schwere Mut, in: Hannoversche Allgemeine Zeitung 1.12.1999. (bei diesem Artikel handelt es sich nicht um eine Rezension, sondern um die Buchankündigung ihrer Ausgabe in der Reihe Prinzenstraße (s.o.)).

Saltzwedel, Johannes: „Weib möchte ich sein“, in: Der Spiegel 51/1997, 15.12.1997.

Schnegdar, Karin: In schöner Reinschrift zu lesen..., in: Kronen Zeitung Wien 10.12.1997.

Wagner, Renate: Ein wahres „Nervengeschöpf“, in: Wiener Journal, 2/1998.

(Verf. unbekannt ):Musik, Liebe und Wien, in: Neue Kronen Zeitung (unabhängig) 3.1.1998.

(Verf. unbekannt): Alma die Zauberfrau, in: Neue Kronen Zeitung (unabhängig), 1.-3.3.1998 (=Tagebuchauszüge als Fortsetzungsroman).