TRIALOG 59

Zeitschrift für das Planen und Bauen in der Dritten Welt 4 / 1998

ASA-Projekte Arbeits- und Studienaufenthalte in Arbeits- und Studienaufenthalte Afrika, Asien und Lateinamerika

T r i a l o g 5 9 / 1 9 9 8 1 Editorial

Seit über dreißig Jahren bietet das ASA-Pro- neuen Schubs der städtischen Expansion aus- gramm jungen Menschen die Möglichkeit, be- einander. In Port-au-Prince haben Jules- rufliche und persönliche Erfahrungen in einem Edouard Jeannot und Ronald Redeker eine Land der „Dritten Welt“ zu sammeln. Diese beispielhafte “bidonville” detailliert in ihren Arbeits- und Studienaufenthalte bilden, quanti- Wachstumsprozessen analysiert. Ulrich Wag- tativ wie qualitativ, zweifellos das wichtigste ner beschreibt vor dem Hintergrund seiner Er- entwicklungspolitische „Nachwuchsprogramm“ fahrungen in San Salvador die Möglichkeiten in Deutschland. Insofern ist es auch für und Grenzen einer “Entwicklung von unten”. The ASA Programme certainly TRIALOG von Bedeutung und an der Zeit, ei- Die zunehmende Polarisierung der städtischen is one of the most important nen genaueren Blick auf das Programm, seine Entwicklung von Maputo ist das Thema, das development programmes in Projekte und deren Ergebnisse zu werfen. Das sich Frank Eckhardt gestellt hat. In Recife ver- Germany offering students vorliegende Heft stellt ausgewählte Projekte sucht man mit dem PREZEIS-Programm seit and young professionals the der letzten Jahre aus den Bereichen Stadtent- 1987 partizipative Sanierungskonzepte umzu- opportunity for projects and wicklung und Stadtpolitik, Selbsthilfe und Parti- setzen: Richard Rehm hat die Widersprüche workshops in over 40 zipation, Wohnungsversorgung und Architektur zwischen Anspruch und Realität analysiert. In countries of Africa, Asia and vor. Das Spektrum der Beiträge ist bewußt breit Bombay lebt ein beträchtlicher Teil der Bevöl- Latin America. TRIALOG gewählt, um zunächst einen Überblick über die kerung nach wie vor auf der Straße; die presents a selection of ASA project reports of the last Vielfalt der Arbeiten aus unterschiedlichsten schwierige Alltagsarbeit von drei NROs, die three years within the domain Ländern und Kulturen zu vermitteln. Im Vorder- versuchen, den marginalisierten Gruppen zu of urban planning and grund der Projekte steht weniger ein streng einem einigermaßen gesicherten Obdach zu development, participation „wissenschaftlicher“ Anspruch (und manche verhelfen, wird im Beitrag von Holger Wichert and self-help organisation, Aspekte des Dargelegten mögen „Fachleuten“ beschrieben. housing and squatter durchaus schon bekannt sein) als vielmehr ihr upgrading, architecture and von der unmittelbaren persönlichen Erfahrung Immer wieder führen ASA-StipendiatInnen building technologies. Within und Betroffenheit geprägter „Fallstudien-Cha- die Auseinandersetzung mit den in ihren Pro- these reports the different rakter“. Dabei wird in allen Fällen ein starkes jekten erfahrenen Themen auch nach der authors do not only deal with soziales Engagement für die schwachen und Rückkehr in Semester- oder Abschlußarbeiten aspects of physical planning but also with political, benachteiligten Bevölkerungsgruppen deutlich. noch weiter. Beispielhaft werden hier die Di- economic, social, and legal Dieser Einsatz für eine gerechtere Verteilung plomarbeiten von Ingo Knoth zur Siedlungs- aspects of the urban living der Güter und Lebenschancen macht die ASA- planung für die ZEIS Campo Grande in Recife conditions. The case studies StipendiatInnen auch nach ihrer Rückkehr bzw. von Oliver Gehlen für eine Umnutzung are located among others in nach Deutschland zu wichtigen Multiplikatoren der großen Textilmühlen in Bombay in Auszü- Porto Alegre and Recife in im Bemühen um eine größere entwicklungs- gen vorgestellt. Brazil, in Haiti and El Salva- politische Öffentlichkeit. dor, in Togo and in Der kleinstädtische und ländliche Raum und Africa, and Bombay in India. In In das Thema einführende Beiträge von Pe- die damit verbundenen Fragen und Aufgaben all the cases the participants ter Müller-Rockstroh und Stefan Thimmel können im vorliegenden Heft nur am Rande co-operated with local partners and institutions, like beschreiben und positionieren das ASA-Pro- gestreift werden. Benedikt Korf untersucht die e.g. local NGOs. More detailed gramm, seine geschichtliche Entwicklung, Auf- Dezentralisierungsbemühungen in Ghana am information about the gaben, Ziele und Verfahrensweisen. Michael Beispiel des Wassermanagements in zwei individual projects is available Peterek bewertet die Relevanz der Projekte ländlichen Gemeinden. Christine Wamsler from the authors via the aus der Sicht eines deutschen Hochschul- setzt sich mit der Architektur und Stadtentwick- TRIALOG editorial staff. instituts; aus der Perspektive des Südens ist lung von Bassar im Norden Togos auseinander. der Beitrag von Guadelupe Ortiz geschrieben. Abschließend stellen sich Dalk-Ascan Der Reigen der Projekte wird von Clóvis Bandilla und Christoph Vogt am Beispiel der Roberto Zimmermann mit einem Artikel über Stadt Concepción die Frage nach dem Begriff das Modell der „Partizipatorischen Haushalts- der städtischen Armut bzw. der “städtischen planung“ in Porto Alegre eröffnet. Die Mehrzahl Lebensqualität”. Anhand von ausgewählten der Beiträge thematisiert die informellen Wohn- Quartieren versuchen sie die Widersprüche quartiere in den städtischen Ballungsräumen. zwischen dem gängigen Verständnis von Ar- Bettina Köhler und Susanne Schindler set- mut und einer persönlichen Wahrnehmung zen sich mit der veränderten Rolle und dem er- von Lebensqualität in der Stadt aufzuzeigen. weiterten Aufgabenfeld der uruguayischen Wohnungsbaukooperativen angesichts eines Michael Peterek, Stefan Thimmel

2 T r i a l o g 5 9 / 1 9 9 8 TRIALOG 59

A Journal for Planning and Building in the Third World ASA-Projekte 4 / 1998 Arbeits- und Studienaufenthalte in Afrika, Asien und Lateinamerika

Inhalt / List of Contents

4 Das ASA-Programm Einstieg in die Probleme städtischer Entwicklung in der „Dritten Welt“ PETER MÜLLER-ROCKSTROH

5 Arbeits- und Studienaufenthalte in Afrika, Asien und Lateinamerika Projekte für die Öffnung der Einbahnstraße Entwicklungspolitik STEFAN THIMMEL

7 Planen und Bauen in globaler Perspektive Zur Relevanz des ASA-Programms aus Sicht einer Hochschule MICHAEL PETEREK

11 Vom Paternalismus zur Partizipation Die Erfahrung der demokratischen Haushaltsplanung in Porto Alegre CLOVIS ROBERTO ZIMMERMANN

15 Die „Wohnungsbaukooperativen in gegenseitiger Hilfe“ in der Stadtentwicklung von Montevideo BETTINA KÖHLER / SUSANNE SCHINDLER

20 Entwicklungsprozeß und Konsolidierung der Cité Jasmin in Port-au-Prince JULES-EDOUARD JEANNOT / RONALD REDEKER

24 Selbstorganisationsprozesse als Träger einer „Entwicklung von unten“ Das Beispiel der marginalisierten Stadtviertel von San Salvador ULRICH WAGNER

28 Im langen Schatten des Krieges Maputo auf dem Weg zu einer „normalen“ Stadt des Südens FRANK ECKARDT

31 Local Self-Reliance im Kontext der Dezentralisierung in Ghana Selbsthilfemodelle in der Wasserversorgung ländlicher Kommunen BENEDIKT KORF

36 PREZEIS - Konzeption und Umsetzung des partizipativen Sanierungsprogramms für die städtischen Armenviertel in Recife RICHARD REHM

40 Ein Urbanisierungsprojekt für die ZEIS Campo Grande in Recife INGO KNOTH

43 Strategien der sozialen Wohnraumversorgung in den Slums von Bombay HOLGER WICHERT

47 Umnutzungsvorschlag für die Cotton Textile Mill Kohinoor 1 und 2 in Bombay OLIVER GEHLEN

50 Architektur und Städtebau in Bassar, einer Kleinstadt in Togo CHRISTINE WAMSLER

54 Atlas der städtischen Lebensqualität in Concepción DALK-ASCAN BANDILLA / CHRISTOPH VOGT

59 Der „Consejo Coordinador de Comunidades“ in San Salvador und seine Erfahrung mit dem ASA-Programm GUADELUPE ORTIZ

60 Neue Bücher / Book Reviews

68 Veranstaltungen / Forthcoming Events

T r i a l o g 5 9 / 1 9 9 8 3 Das ASA-Programm Einstieg in die Probleme städtischer Entwicklung in Ländern der „Dritten Welt“

PETER MÜLLER-ROCKSTROH

The ASA Programme Seit Mitte der 50er Jahre hat sich die Zunah- entwicklungspolitisches Lernen hin orientierten me der Weltbevölkerung fast zu hundert Pro- Nachwuchsorchester wie dem ASA-Programm The rise of the cities and the zent auf die Kontinente Afrika, Asien und La- auch die Instrumente, Tonarten, Chöre erprobt growing world-wide teinamerika verlagert. Es sind vor allem die und mit- oder sogar vorgespielt werden, die in urbanisation will be one of the Städte, die ständig weiter wachsen. Hier su- die „Sätze“ jenes Konzerts gehören und zum most significant features of the chen und finden die meisten Menschen (in wel- Mitspielen Zugang und Motivation ergeben. st 21 century. Sustainable cher Qualität auch immer) ihre Lebenschan- urban concepts and policies cen. In den Städten entscheidet sich die Le- Das ASA-Programm hat solchen Stimmen are required. Since its beginning the ASA Program- bensform und die Lebensqualität der Zukunft und Themen immer wieder vielfältigsten Raum me has devoted its particular für den weitaus größten Teil der heute und gegeben. Und nicht nur den klassischen The- attention to these urban morgen lebenden Menschen in der „Einen men von Stadtentwicklung und Städtebau, Ar- problems, and especially to Welt“. Die Konferenz für Umwelt und Entwick- chitektur und Wohnformen: Die städtische Pa- the living conditions of the lung 1992 in Rio de Janeiro hat deshalb nicht lette von Nachhaltigkeit und Ressourcen- poorer groups of the nur die Notwendigkeit nachhaltiger Entwicklung nutzung, von Armut und sozialer Diversifizie- population, e.g. the in Bezug auf die schonende Nutzung der na- rung, vom Zerfall alter und Entstehen neuer marginalized inhabitants of the türlichen Ressourcen zum Thema der Entwick- Lebensformen, von Arbeit und Infrastruktur slums, barrios and favelas in lungspolitik (und eben nicht nur der Speziali- macht jährlich einen grösseren Teil der Projek- the countries of the South. sten für Entwicklungspolitik) gemacht, sie hat, te aus und kam auch in früheren Publikationen vor mehr als sechs Jahren, auch die Forderung des Programms zu vielfarbigem Ausdruck.1 1 nach Gerechtigkeit in der Verteilung der Le- Veröffentlicht wurden zu diesem benschancen und der Nutzung der materiellen Ein identifizierbarer Tenor eint viele der in Thema bisher u.a. folgende Titel: Güter der Erde als Voraussetzung für das Ge- diesem Heft versammelten Beiträge über Pro- Johannes Augel (Hrsg.): Zentrum und Peripherie. Urbane Entwick- lingen von Nachhaltigkeit bekräftigt. Entwick- jekte aus den Jahren 1996 und 1997; er macht lung und soziale Probleme einer lungspolitik für die Städte wird also auch in Zu- auch eine der wesentlichen programmatischen brasilianischen Großstadt, ASA- kunft ein Thema auf allen Ebenen und in allen Leitlinien von ASA bei aller thematischen, fach- Studien 22, Saarbrücken 1991; Sebastian Kasack: Wollt Ihr uns Sektoren entwicklungspolitischen Planens und lichen und methodischen Vielfalt aus: Da ist aus unserem Viertel vertreiben. Handelns sein. Hier auf der Ebene der konkre- zum einen - um es mit einem bekannten Slo- Stadtentwicklung in den Armen- ten und alltäglichen Lebenswirklichkeit der gan der Aktion Brot für die Welt zu formulieren vierteln von Luanda/Angola, ASA- Menschen bilden Wirtschaftsformen und Sozi- - die Forderung „den Armen Gerechtigkeit“ in Texte 2, Berlin 1992; Peter Grohmann, Veit Hannemann, alstrukturen, Steuern und Märkte, Arbeit und der Zuweisung und Verteilung von Lebens- Dirk Hoffmann (Hrsg.): Andere Migration, Veränderungen der Werte und Le- chancen einzuräumen. Da ist zum anderen, Städte - anderes Leben. Stadtent- bensformen in Familien und Verbänden, dem Ansatz vieler Projekte und Kooperationen wicklung, Umweltkrise und Selbst- hilfe in Afrika, Asien und Latein- Globalisierung und De-Industrialisierung, Al- an der Basis entsprechend, die entschiedene amerika, ASA-Studien 31, Saar- tern der Menschen und Singularisierung, Ver- Tendenz, den ungehörten Stimmen der Men- brücken 1995 kehr und kulturelle Trends das „Gesicht“ eben- schen aus der „Dritten Welt“, das heißt der so wie das „Gerippe“ unserer Gesellschaft. marginalisierten und abgehängten Welt der Slums, Barrios und Favelas, Gehör und An- Kein Wunder also, daß sich zum einen in ei- waltschaft zu verschaffen. ner Publikation wie dem vorliegenden Heft die

Dr. Peter Müller-Rockstroh, unterschiedlichsten Themen, Akkorde und Me- Den Herausgebern von TRIALOG und der promovierter Historiker, ar- beitet seit 1979 hauptberuf- lodien zu einem dennoch im ganzen stimmigen Redaktion des vorliegenden Heftes gebührt lich in der personellen Entwicklungszusammen- (nicht unbedingt melodischen), aber eben am der Dank der Teilnehmer/innen und der Mitar- arbeit. Von 1985 bis 1990 war Leitthema Stadtzukunft und Stadtentwicklung beiter/innen des ASA-Programms für die Chan- er Landesbeauftragter des Deutschen Entwicklungsdien- orientierten Konzert zusammenfinden. Kein ce, die diese Veröffentlichung bietet, den „Stim- stes in Brasilien. Seit 1990 ist er Leiter des ASA-Programms Wunder aber auch, daß zum anderen in einem men aus dem Süden“ Gehör in „unserer“ Welt in Berlin. auf entwicklungspolitische Aktualität und zu verschaffen.

4 T r i a l o g 5 9 / 1 9 9 8 Arbeits- und Studienaufenthalte in Afrika, Asien und Lateinamerika Projekte für die Öffnung der Einbahn- straße Entwicklungspolitik

STEFAN THIMMEL

Hauptziel des vor 38 Jahren von Studieren- teiligten: Es entstehen neue Kontakte zu Orga- Practical Experience in den in Frankfurt am Main ins Leben gerufenen nisationen in der „Dritten Welt“, oft schließen Africa, Asia and Latin ASA-Programms ist es, StudentInnen aller sich Semester- oder auch Diplomarbeiten an America Fachbereiche und jungen Berufstätigen die den Aufenthalt an. Das wichtigste Kriterium zur Chance eines entwicklungspolitischen Ein- Auswahl der Projekte ist neben der Durchführ- Students in Frankfurt have stiegs zu bieten. Träger des Programms ist seit barkeit des Projektes im Zeitraum von drei Mo- founded the ASA Programme 1981 die Carl Duisberg Gesellschaft (CDG) mit naten die Anbindung an eine Partner- 38 years ago. Its main objective is to offer students Sitz in Köln. Gefördert wird das Programm von organisation im Gastland. Seine Substanz und and young professionals the der CDG, dem Bundesministerium für wirt- seine Aktualität bezieht das Programm gerade opportunity to gain some schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung durch diese Kooperation mit den vielfältigen personal and practical (BMZ) sowie der Mehrzahl der deutschen Bun- Partnern. experience in countries of the desländer. Aber auch die TeilnehmerInnen tra- so-called Third World. In gen mit ihren eigenen Beiträgen zur finanziel- Trotz der unbestrittenen Qualität der Projekte financial terms the Program- len Absicherung und zur entwicklungs- und der einzigartigen Mitbestimmungs- me is supported by the Carl politischen Eigenständigkeit des Programms möglichkeiten der TeilnehmerInnen an der Pro- Duisberg Gesellschaft, the bei. grammgestaltung sind aber auch hier in den Federal Ministry of Economic letzten Jahren die zur Verfügung stehenden Co-operation, and by the majority of the German federal Anfangs als studentisches Programm konzi- Mittel gekürzt worden. Dabei enthält das Pro- states. On the average there piert, bietet das ASA-Programm seit 1984 auch gramm alle Komponenten einer zukunfts- are about 200 participants per für junge Berufstätige nichtakademischer Be- fähigen Entwicklungspolitik: Neben den year working in all kind of rufszweige Arbeits- und Studienaufenthalte an. Projektaufenthalten vor Ort sind hier vor allem projects and workshops in Neben sozialen und medizinisch-pflegerischen die Süd-Nord-Projekte, durch die es jungen about 40 different countries in sind hierbei auch immer mehr handwerkliche Menschen aus dem Süden ermöglicht wird, für Africa, Asia and Latin Berufsfelder vertreten. Die Projekte werden drei Monate die Situation in Deutschland ken- America. Former participants, jährlich aus einer Vielzahl von Vorschlägen nenzulernen, und die Aktivitäten der ehemali- academic institutions, NGOs, ausgewählt. Angeboten wurden auch in diesem gen TeilnehmerInnen im Bereich der and other organisations in Jahr wieder Arbeits- und Studienaufenthalte für entwicklungspolitischen Bildungsarbeit im In- Germany and abroad can submit proposals for projects. ca. 200 TeilnehmerInnen in mehr als 40 Län- land zu nennen. Project reports are available in dern aller Kontinente. the office of the ASA Program- Von der Wohnungsversorgung zu me in Berlin. Projektvorschläge können sowohl von ehe- Partizipationsprozessen maligen TeilnehmerInnen, von wissenschaftli- chen Einrichtungen, Nichtregierungs- Geradezu idealtypisch läßt sich an der Ent- organisationen im In- und Ausland als auch als wicklung einzelner Themenschwerpunkte über Eigenvorschläge eingereicht werden. Jedes mehrere Jahrzehnte hinweg ablesen, wie sich Jahr im September werden 180 bis 200 bestimmte Inhalte verändert haben. Im Bereich Projektvorschläge eingereicht und jedes Jahr Stadtentwicklung und Wohnungsversorgung im November werden aus ca. 1300 Bewerbun- kann man diese Entwicklung besonders gut gen die TeilnehmerInnen ausgewählt. verfolgen: Waren in den 70er und frühen 80er Jahren Projektthemen wie die Verbesserung Hier bietet sich gerade auch für Hochschulen der Wohnungsversorgung in den Entwicklungs- eine Chance, Projekte zu entwickeln und so ländern und die neuen Konzepte zu Selbsthilfe- den StudentInnen mit Interesse an der Situati- Programmen bestimmend, so traten in den on in außereuropäischen Ländern einen prakti- letzten Jahren immer mehr eher „weiche“ The- schen Bezug zur Lehre zu ermöglichen. Und in men wie Partizipationsprozesse und - den weitaus meisten Fällen profitieren alle Be- methoden, Dezentralisierungsansätze oder

T r i a l o g 5 9 / 1 9 9 8 5 Bombay (ASA-Projekt 1997): Strategien der sozialen Wohnungsversorgung / Fotos: Oliver Gehlen

auch die Verknüpfung von umwelt- und stadt- für ArchitektInnen und PlanerInnen eher verrin- politischen Themen in den Vordergrund. Die gert haben. So lagen im Programmjahr 1999 Projekte, die sich mit der Architektur in den z.B. für Lateinamerika nur zwei Projekte aus 1 einzelnen Ländern in Afrika, Asien und Latein- den Bereichen Stadtplanung und Architektur Siehe dazu auch den Beitrag von amerika beschäftigen, sind eher seltener ge- vor; entsprechend groß war die Zahl der Michael Peterek in diesem Heft 2 worden. BewerberInnen auf diese wenigen Plätze. Ei- Die Adressen sind über die gentlich unverständlich bei der wachsenden TRIALOG-Geschäftsstelle oder bei Ebenso hat sich auch das Profil der Partner- Bedeutung dieser Themen.1 Stefan Thimmel, Habitat Informati- onsbüro Berlin, Greifswalder organisationen in den Gastländern geändert. Straße 33a, 10405 Berlin, Tel. 030- Hier wird zunehmend die Zusammenarbeit mit Hier bietet sich also auch für die Hochschu- 42851585, Fax 030-42851586, Nichtregierungsorganisationen (NROs), die len ein Anreiz, aktiv zu werden und durch eige- e-mail: [email protected] ganz konkrete Arbeit mit den Menschen vor ne Projektvorschläge dieses Defizit auszuglei- zu erhalten. Ort machen, gesucht. chen. Nicht zuletzt durch die direkte Erfahrung und die Zusammenarbeit mit PartnerInnen vor Dokumentiert ist diese Entwicklung in den Ort während des dreimonatigen Aufenthalts in Auswertungsberichten der TeilnehmerInnen. Im einem Land Asiens, Afrikas oder Lateinameri- Archiv im Berliner Büro des ASA-Programms kas kann dazu beigetragen werden, die Sensi- können diese eingesehen und ausgeliehen bilität für die „Eine-Welt“ zu verstärken und im werden. Eine enorme Vielfalt von Projekten „Entwicklungsland Deutschland“ für einen Aus-

Stefan Thimmel, Dipl.-Ing. Ar- und Erfahrungsberichten liegt hier versteckt, gleich zwischen Nord und Süd mitzuarbeiten: chitektur und freier Journa- ein Potential, das noch viel zu wenig genutzt Kompetenzen, die sicher auch für die Arbeit list, war 1992 als ASA-Teil- nehmer in Uruguay. Seitdem wird. Bis auf wenige Ausnahmen stehen die von ArchitektInnen und PlanerInnen in arbeitet er u.a. als Tutor und Seminarleiter am ASA-Pro- Berichte allen InteressentInnen zur Ausleihe Deutschland immer mehr an Bedeutung gewin- gramm mit und ist Mitarbeiter des Habitat Informationsbü- zur Verfügung; auf Anfrage werden die Berichte nen. ros Berlin und von BERLIN 21, dem Zusammenschluß zugesandt. umwelt- und entwicklungs- politischer Gruppen und Or- Weitere Informationen zu den in diesem Heft ganisationen in Berlin. Er war In Bezug auf das Themengebiet Planen und dokumentierten Beiträgen können direkt bei für die Auswahl und Redakti- on der vorliegenden Beiträge Bauen in Entwicklungsländern ist insgesamt al- den AutorInnen angefragt werden.2 verantwortlich. lerdings festzustellen, daß sich die Angebote

6 T r i a l o g 5 9 / 1 9 9 8 Planen und Bauen in globaler Perspektive Zur Relevanz des ASA-Programms aus Sicht einer Hochschule

MICHAEL PETEREK

Mitte Oktober herrscht stets spannungsvolle den eigenen (fachlichen, universitären, aber University Experience with Erwartung: Pünktlich zum Semesterbeginn auch kulturellen) Tellerrand hinaus. Sie vermit- the ASA Programme steht das neue ASA-Programmheft bevor. Das teln einen Einblick in andere Lebensweisen Interesse der Studenten ist groß und, zumin- und Kulturen, fördern das Hineindenken und Several universities in dest in unserem Fachbereich, in den letzten den Umgang mit anderen Wertsystemen, wo- Germany deal with aspects of Jahren kontinuierlich gestiegen. Der Grund da- bei sie für das Fremde sensibilisieren und des- planning and building in countries of the South within für liegt darin, daß es ansonsten für interes- sen Unterschiede und Qualitäten begreifbar their teaching and research sierte Bewerber kaum Angebote an fachspezi- machen. Es sind Kompetenzen und Qualifika- programme. For them the ASA fischen Praktika und Arbeitsaufenthalten in den tionen, die in Zukunft, im Zeitalter einer wach- Programme is a welcome and Ländern Afrikas, Asien und Lateinamerikas senden weltweiten ökonomischen, aber auch important partner. There do gibt. Auch die „klassischen“ Dienste wie DED sozialen und kulturellen Verflechtung, immer not exist many other und GTZ bieten im Bereich der Bau-, wichtiger werden – im Sinne einer Befähigung possibilities for students to Siedlungs- und Stadtplanung (leider) kaum zum partnerschaftlich geführten, interkulturel- gain some practical Möglichkeiten für Praktika, Assistenzen und/ len Dialog. experience in the domain of oder Hospitationen in ihren Projekten. architecture and urban Insofern ist es wichtig, daß bei den ASA-Pro- planning in Africa, Asia or Latin America. The ASA An etlichen, wenn auch nicht allen, Architek- jekten das Lernen von den Ländern des Sü- projects promote intercultural tur- und Städtebaufakultäten der deutschen dens im Vordergrund steht – und nicht ein ein- and multi-disciplinary learning, Universitäten und Technischen Hochschulen ist seitiger Wissen- und Lösungstranfer in die sog. a competence that is der Bereich des Planen und Bauens in den Dritte Welt, was die Projekte der herkömmli- becoming more and more Ländern des Südens in Lehre und Forschung chen Entwicklungszusammenarbeit oftmals be- important today. By the grass- vertreten und dort - als Haupt- oder wichtige stimmt, bei denen ein Lerneffekt oder gar Ent- root orientation of most of the Teilaktivität – seit Jahren ein etablierter Be- wicklungsprozeß in umgekehrter Richtung projects (co-operation with the standteil des Unterrichtsangebots.1 Das ASA- meist nicht in Erwägung gezogen wird. Erst underprivileged population in Programm ist für diese Institute ein wichtiger langsam setzt ein Prozeß des Umdenkens ein, the marginalized quarters) und willkommener Partner, und die Projekte, der die Auseinandersetzung mit den Lebens- they emphasise the social relevance of physical planning die eine offensichtliche Lücke schließen, bilden und Arbeitsbedingungen in den Ländern des and advocate a eine zentrale Ergänzung des Lehrangebots in Südens als einen wechselseitigen Erfahrungs- consciousness for the variety diesem Bereich. austausch begreift, mit der Bereitschaft, auch and richness of world-wide eigene, eingefahrene Positionen und Maßstäbe architectural traditions and Worin liegen die Attraktivität und die spezifi- zu hinterfragen. Gerade dazu kann die Grund- planning and building cultures. sche Qualität der ASA-Projekte für die Hoch- philosophie der ASA-Projekte einen wichtigen After their return to Germany schulen? Hier lassen sich zunächst zwei eher Beitrag leisten. the students often continue allgemeine sowie anschließend weitere fach- their research by a follow-up spezifische Aspekte unterscheiden. Interdisziplinärer Austausch of publications, exhibitions and conferences, seminar and diploma theses, thus Interkulturelles Lernen ASA ermöglicht nicht nur, sondern fordert in contributing to an enlargement jedem einzelnen Projekt die Zusammenarbeit of the teaching and research ASA-Projekte eröffnen und fördern Chancen unterschiedlicher Fachrichtungen und Diszipli- programme of the concerned und Freiräume des Lernens, für die heute an nen, von Studenten und Berufstätigen, Akade- universities. Finally the ASA den Hochschulen, mit ihren meist sehr regle- mikern und Nichtakademikern. Auch dazu bie- Programme offers the mentierten und an der zügigen Vermittlung von tet der Alltag in den Hochschulen nur selten possibility to German anwendbarem Spezialwissen ausgerichteten Gelegenheit, trotz aller schönen Worte und Be- academic institutions to Studiengängen, kaum Zeit verbleibt. Im Gegen- teuerungen, in diese Richtung zu gehen. Auf- enlarge their network of inter- zug ermöglichen und erfordern die ASA-Auf- grund von übervollen Studien- und Stundenplä- national contacts and co- enthalte einen (selbst-)kritischen Blick über nen, fachlichen Scheuklappen, Bedenken vor operation.

T r i a l o g 5 9 / 1 9 9 8 7 1 zusätzlichem Arbeitsaufwand und anderen Vor- den tiefgreifenden Strukturveränderungen ge- Eigene Universitätsprofessuren behalten mehr bleibt das Bemühen um über- nauso betroffen ist. Die denkbaren Arbeitsfel- zum „Planen und Bauen in der Dritten Welt“ sind derzeit an den fachliches, projekt-orientiertes Lernen und Ar- der für „ASAten“ sind dabei weit gestreut, wie Architekturfakultäten in Berlin beiten meist auf der Strecke bzw. die große das breite Spektrum der in diesem Heft zusam- (TU), Stuttgart und Darmstadt ein- Ausnahme. Die ASA-Projekte hingegen ma- mengestellten Beiträge deutlich macht. gerichtet. Regelmäßige spezifische Lehrangebote bestehen darüber chen solche Vorgehensweisen zur conditio sine hinaus in Aachen, Braunschweig, qua non und leisten damit, am Beispiel konkre- Für einen (zwangsläufig kleineren) Kreis von Dortmund, Hamburg-Harburg und ter und praxisnaher Aufgabenstellungen, einen Teilnehmer und Teilnehmerinnen können die Karlsruhe. Auch an einigen Fach- hochschulen gibt es entsprechen- wichtigen Beitrag zur überfachlichen Koopera- Projekte darüber hinaus auch den „Einstieg“ in de Institute und Lehrbeauftragun- tion oftmals ganz unterschiedlicher Disziplinen, ein entsprechendes berufliches Tätigkeitsfeld gen. z.B. in der Zusammenarbeit zwischen Inge- bedeuten und damit einen ersten diesbezügli- nieurwissenschaften und Geistes- oder Sozial- chen Erfahrungsgewinn bieten. Eine Analyse wissenschaften. der „Biographien“ mancher vormaliger Stipen- diaten belegt dieses, wobei es bei den Projek- Ein neuartiges urbanes ten primär allerdings nicht um die Ausbildung Erfahrungsfeld von Fachleuten auf diesem Gebiet gehen kann und soll. Während noch vor wenigen Jahrzehnten Ur- banisierung und Metropolisierung vorrangig als Soziale Relevanz der Planung Phänomene der „entwickelten“, industrialisier- ten Welt betrachtet wurden, haben sich inzwi- Einen Schwerpunkt innerhalb der ASA-Pro- schen - in atemberaubenden Tempo - die Posi- jekte bildet die Auseinandersetzung mit der so- tionen radikal verschoben: Aus einer eher peri- zialen Relevanz von Architektur und Stadtpla- pheren Lage heraus avancierten die Metropo- nung. Die Mehrzahl der Projekte ist im basis- len der südliche Hemisphäre zu den global ge- orientierten oder auch informellen Bereich an- sehen zentralen Schauplätzen, an denen sich gesiedelt, setzt sich mit den Lebensumständen Stadtentwicklung, Siedlungs- und Wohnungs- der ärmeren und benachteiligteren Bevölke- bau heute vollziehen. Dies betrifft nicht nur die rungsschichten auseinander, die in vielen quantitativen Aspekte, die für mitteleuropäi- Städten und Ballungsräumen des Südens zwi- sche Maßstäbe kaum noch vorstellbare Grös- schen 50% und 80% der Gesamtbevölkerung senordnungen und Beschleunigungswerte er- ausmachen, von der „offiziellen“ Stadtplanung reichen, sondern darüber hinaus auch ganz aber oftmals vergessen werden. ASA-Projekte wesentliche qualitative Veränderungen, die in bemühen sich um Strategien, um diesen Be- der bisherigen Geschichte der Menschheit nachteiligungen entgegenzuwirken oder sie, ohne Vorbild sind. Entscheidende Erschei- soweit möglich, zumindest abzumildern. nungsformen, Erfahrungs- und Lernfelder der Stadtentwicklung haben sich heute aus Europa Dieses Engagement für die Schwächeren in die Regionen der sog. Dritten Welt verlagert und für diejenigen, die sich nicht alleine helfen – eine Tatsache, die unseren etablierten können, ist besonders wichtig in einer Zeit, in Eurozentrismus (auch im Bereich der Stadt- der im Städtebau – auch bei uns – eher eine planung) grundlegend in Frage stellt und jeden spektakuläre, aber vielfach nur vordergründige engagierten Planer zur Auseinandersetzung Ästhetisierung propagiert wird, die den Nutzer mit diesen Phänomenen herausfordern muß. und seine legitimen Bedürfnisse des Alltags weitgehend in den Hintergrund stellt. Damit Das ASA-Programm bietet hier vielfältige verbunden ist eine Tendenz zur Abschottung Möglichkeiten, einen unmittelbaren und per- und Ausgrenzung der Armen, der Schwachen, sönlichen Einblick in die Entwicklungsprozesse der Unerwünschten im städtischen Raum, wel- zu gewinnen: nicht nur in den explosionsartig che das Bild der großen Visionen und schönen Integration einer „Durchbruch- anwachsenden Agglomerationsräumen und Inszenierungen nur stören. Durch die unmittel- straße“ und ihrer Ränder in Metropolen, sondern auch in den mittleren und bare Konfrontation mit diesen Gruppen und ih- die Altstadt von Aleppo kleineren Städten mit ähnlich gelagerter Pro- ren alltäglichen Problemen wird in den ASA- (Skizzen von Heike Molz- blematik bzw. im ländlichen Hinterland, das – Projekten der Blick geschärft für die soziale berger; ASA-Projekt 1996) sozusagen als „Kehrseite“ der Medaille –von Gebrauchsfähigkeit der Stadt und für die zen-

8 T r i a l o g 5 9 / 1 9 9 8 trale Aufgabe der Planung, Kohäsion und Ländern des Südens kann dabei ein Bewußt- Verknüpfungspunkte zu schaffen statt die oh- sein für die weltweite Vielfalt der Baukulturen nehin schon bestehenden, sichtbaren und un- wecken, die unter der Hegemonie der moder- sichtbaren, Grenzen nur weiter zu verschärfen. nen westlichen Baukultur in den letzten Jahr- zehnten vielerorts unterzugehen drohten. Sie Abschied von Patentrezepten kann uns zeigen, wie unter anderen geographi- schen, klimatischen, kulturellen, aber auch so- Trotz aller gravierenden, existentiellen Pro- zialen und ökonomischen Bedingungen gebaut bleme überrascht in einer Vielzahl von Projek- und gesiedelt wird und damit ein Bewußtsein ten die Kreativität der Bewohner, deren Vitalität für Unterschiede zwischen einzelnen Regio- und Dynamik, die in flexiblen Entwicklungs-, nen, Ländern und Kontinenten wecken - für die Ausbau- und Veränderungsprozessen ihren Erkenntnis, daß es neben unserer eigenen Ausdruck erfährt. Davon sind die Teilnehmer noch viele andere, historisch wertvolle (und nach ihrer Rückkehr – trotz aller angetroffenen zum Teil sogar viel ältere) Bau- und Stadt- Probleme – immer wieder beeindruckt. In ihrem kulturen gibt, die, wie z.B. die orientalische prozeßorientierten Charakter und stufenweisen Stadt, die europäische Entwicklung entschei- Ausbau sind die vorgefundenen Siedlungen dend mitgeprägt haben. und baulich-räumlichen Strukturen vielfach besser als manches Modell einer förmlichen Planung den individuellen und kollektiven An- sprüchen und Möglichkeiten ihrer Bewohner angepaßt. Mit innovativen und informellen Pla- nungsmethoden, Ad-hoc-Entscheidungen, spe- zifischen Anpassungs- und „Nachrüstungs“- methoden, oft verbunden mit einer intensiven Einbindung der Bevölkerung in den Planungs- prozeß, werden binnen kürzester Zeit weitläufi- ge Stadtstrukturen geschaffen, denen es ge- lingt, die wachsende Bevölkerung, wenn auch unter kritischen Bedingungen, aufzunehmen Genossenschaftlicher Woh- und zu versorgen. In wenigen Jahren wird aus nungsbau im Westen von einer provisorischen Hüttensiedlung unter Um- Aleppo (ASA Süd-Nord-Pro- ständen ein konsolidiertes Stadtquartier. jekt 1998: Vergleich von Sied- lungsformen in Aleppo und Damit bilden diese Beispiele großmaßstäb- Karlsruhe) / Foto: Thonhofer liche „Städtebau-Laboratorien“ ganz eigener Art, die – bei allen materiellen und personellen Restriktionen – ein oftmals beeindruckendes Entwerfen mit den Augen eines Stadtmanagement aufweisen und uns manche Fremden Leitbilder, Paradigmen und Patentrezepte un- serer „förmlichen“ Architektur und Stadtpla- In ihrer methodischen Vorgehensweise besit- nung hinterfragen lassen, ebenso aber auch zen die ASA-Projekte, über die aufgeführten unsere vielfach überzogenen Ansprüche und Aspekte hinaus, eine weitere didaktische Be- Standards von Planung und Ausstattung mit ih- deutung: Die Beschäftigung mit Entwicklungs- rem - im globalen Vergleich – enormen und un- und Planungsaufgaben in unterschiedlichem haltbaren Ressourcen- und Flächenverbrauch. kulturellen Kontext und unter immer wieder an- Auch das ist ein wichtiger Lerneffekt, der gera- deren Rahmenbedingungen zwingt dazu, sich de für uns in der sog. entwickelten Welt große auf jede Aufgabe neu einzustellen - und damit Bedeutung besitzt. genau jenes „Schubladen-Denken“ vergange- ner Leitbilder und Architektur-Exporte abzule- Bewußtsein für die Vielfalt weltweiter gen. Ein solches Entwerfen „mit den Augen ei- Baukulturen nes Fremden“ kann auch zu Hause hilfreich sein: um vorbehaltlos, offen und skeptisch ge- Die baukünstlerische Leistung der Länder genüber allen allzu simplen Patentrezepten an des Südens erschöpft sich keineswegs im in- die Alltagsarbeit zu gehen. formellen Siedlungsbau. Auch im formellen Be- Praxisnahe Studienarbeiten und reich gibt es hervorragende Leistungen, so- Befruchtung der Lehre wohl in der Gegenwart (etwa in Indien, in Ägypten, in Mexiko, um nur wenige Beispiele Viele der Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu nennen) als auch im traditionellen Bauen führen die Auseinandersetzung mit den in ihren der Vergangenheit. Dieses kulturelle und bau- Projekten erfahrenen Themen und Problem- historische Erbe – in seinen Qualitäten wie in stellungen auch nach ihrer Rückkehr weiter. seinen Bedrohungen - wird in den ASA-Projek- Der Hochschulkontext bietet dafür gute Mög- ten regelmäßig thematisiert. Die Auseinander- lichkeiten in Form von sich anschließenden setzung mit dem Planen und Bauen in den Studien- und Projektarbeiten, Diplomarbeiten

T r i a l o g 5 9 / 1 9 9 8 9 oder Dissertationen und damit einer sinnvollen Verknüpfung von Theorie und Praxis. Die wei- tere Vertiefung und Reflexion der vor Ort ge- machten Erfahrungen ist jedoch nicht nur für die Beteiligten selbst, sondern auch für andere - Studierende wie Lehrpersonen - von Bedeu- tung. Die ASAten wirken im besten Fall als Multiplikatoren: Sie befruchten das Lehr- angebot durch Fachvorträge und persönliche Berichte, bringen ihre Erfahrungen in andere Lehrveranstaltungen ein oder tragen zur Ent- wicklung neuer Seminarangebote bei, in die auch andere Studentinnen und Studenten ein- bezogen sind.

Ausbau von internationalen Kooperationen

Für die beteiligten Institute bieten ASA-Pro- jekte die Chance, vorhandene Kooperationen weiterzuentwickeln und zu beleben bzw. neue Kontakte zu relevanten Institutionen in den Länden Afrikas, Asiens und Lateinamerikas aufzubauen. Damit leisten die ASA-Projekte ei- nen wichtigen Beitrag zu der - auch von politi- ASA Süd-Nord-Projekt 1998, scher Seite - immer wieder geforderten Inter- Vergleich von Siedlungsfor- nationalisierung der Lehre in Deutschland. So men in Aleppo und Karlsruhe konnten z.B. am Institut für Orts-, Regional- ten sich in Karlsruhe einen ebensolchen Zeit- oben / Selbstbauquartiere am und Landesplanung der Universität Karlsruhe raum mit aktuellen Siedlungsformen in Stadtrand von Aleppo / Foto: im Rahmen der ASA-Projekte der letzten Jahre Deutschland auseinandersetzen werden; ab- Langendörfer Kontakte und Kooperationen nach Aleppo (Sy- schließend soll ein gemeinsamer, vergleichen- rien), Curitiba (Brasilien) und Concepción (Chi- der Bericht aller vier Beteiligten entstehen. unten / Dichter Geschoß- le) fortentwickelt werden. Daß der Austausch wohnungsbau der Mittel- dabei nicht nur in einer Richtung (von Norden Wir können es uns heute – und das gilt schicht in Aleppo / Foto: nach Süden) verlaufen muß, zeigt das zur Zeit selbstverständlich nicht nur für die Hochschu- Reichl in Durchführung befindliche ASA-Süd-Nord- len - immer weniger leisten, das Problemfeld Projekt „Vergleich von Siedlungsformen in der sozial-räumlichen Entwicklung in Afrika, Aleppo und Karlsruhe“, bei dem sich zunächst Asien und Lateinamerika aus unserem Be- zwei deutsche Studentinnen drei Monate lang wußtsein auszublenden. Wachsende weltweite in Aleppo mit typischen Wohn- und Siedlungs- Verflechtungen tragen dazu bei, daß unser strukturen beschäftigen, bevor dann Anfang weiteres Wohlbefinden in Europa entscheidend des nächsten Jahres zwei syrische Absolven- auch davon abhängen wird, inwieweit die Län- der des Südens die extreme Verstädterung und die sich daraus ergebenden Folgeprobleme in den Griff bekommen werden; und umgekehrt wird eine tragfähige Entwicklung im Süden ohne die Wiederherstellung von nachhaltige- ren, weniger Energie und Ressourcen verbrau- chenden Lebens- und Siedlungsformen im Norden unmöglich sein. Dabei erreichen viele Phänomene des Planen und Bauens heute Di- mensionen und eine Komplexität, die mit den „klassischen“ Planungsmodellen nicht mehr zu beschreiben und zu bewältigen sind. Neuartige Phänomene verlangen innovative Lösungsan- sätze (oder bergen sie, vielleicht, zum Teil schon in sich selbst). Zu ihrer Bewältigung wird ein partnerschaftliches Zusammenwirken von Norden und Süden notwendig sein, ohne Über- Dr.-Ing. Michael Peterek, Ar- chitekt und Stadtplaner, Vor- heblichkeit, sondern mit der Bereitschaft auch standsmitglied von TRIALOG, lehrt „Stadtentwicklung in vom anderen zu lernen, zu geben und zu neh- Afrika, Asien und Lateiname- men. Dazu müssen und können die ASA-Pro- rika“ an der Universität Karls- ruhe und ist freiberuflich als jekte – in Bezug auf eine zentrale Zielgruppe Planer und Gutachter für Kommunen und internationa- und Generation – weiterhin einen entscheiden- le Institutionen tätig. den Beitrag leisten.

10 T r i a l o g 5 9 / 1 9 9 8 Vom Paternalismus zur Partizipation Die Erfahrung der demokratischen Haushaltsplanung in Porto Alegre

CLOVIS ROBERTO ZIMMERMANN

4 Während meines ASA-Aufenthaltes bei Alegre unter Einbeziehung der Zivil- The Participative Budget in FASE1 in Rio de Janeiro habe ich mich mit der gesellschaft erstellt. In diesem System, dem Porto Alegre Bedeutung der Bürgerbeteiligung für die Haus- Orçamento Participativo, sind es nicht nur haltsplanung in den ärmeren und marginalisier- Techniker und Bürokraten, die Entscheidungen The history of public budgets ten Kommunen der metropolitanen Region von über Einnahmen und Ausgaben der Stadtver- in Brazil is marked by serious Rio de Janeiro2 beschäftigt. FASE versucht waltung treffen. Es ist die Zivilgesellschaft deformations related to power dort, sowohl die Zivilgesellschaft3 als auch die selbst, die in einem Diskussions- und Bera- concentration, waste of resources, political affairs and Stadtverwaltungen für mehr Bürgerbeteiligung tungsprozeß sowohl über Einnahmen und Aus- corruption. In Porto Alegre, the zu aktivieren. Meine Aufgabe war die Beglei- gaben als auch vor allem über die Investi- capital of the State of Rio tung der Arbeit von FASE und die Mithilfe bei tionsschwerpunkte und die öffentlichen Sozial- Grande do Sul, this history der Organisation eines Seminars über die De- leistungen der Stadtverwaltung entscheidet. has been changed. Seven mokratisierung der Haushaltsplanung. Außer- Für Souza ist diese Methode der Verwaltungs- years ago the City Hall dem habe ich an der jährlichen Untersuchung form durch die „gemeinsame Planung mit der created an innovative system der Haushaltspolitik dieser Regionen mitgear- Gesellschaft“5 gekennzeichnet. to formulate and follow-up the beitet. Während meines Aufenthaltes wurden municipal budget. In this für mich folgende Hindernisse gegenüber der Die schwierige Anfangsphase des system, named Participative Budget, it is not only the Einführung eines partizipatorischen Ansatzes partizipatorischen Haushaltes technicians and politicians in der Region deutlich: who decide on the collection - Die Stadtverwaltung vertritt eine traditionell Die Vorgehensweise des Orçamento of taxes and spending of bürokratische Administrationsform. Die Be- Participativo wurde im Laufe der Jahre verbes- public money, but it is the völkerung wird lediglich als Zuschauer be- sert und an die entstehenden Probleme ange- population, through a debate trachtet. paßt. In den ersten zwei Jahren traten große and consultation process, who - In Hinblick auf die Haushaltsplanung treten Frustrationen auf, weil sowohl die Stadtverwal- defines and decides the in diesen Regionen „fiktive“ Daten auf, die tung als auch die Zivilgesellschaft keinerlei Er- amount of income and der Praxis der Stadtverwaltung nicht entspre- fahrung mit der Einführung institutionalisierter expenses, as well as where chen. Eine Studie der FASE ermittelte, daß Partizipationsprozesse hatten. In fünf Bezirken and when the investments will der Rechenschaftsbericht des Haushaltsjah- der Stadt wurden im August 1989 Veranstaltun- be done. The Participative Budget has proved that a res 1995 in Duque de Caxias das Doppelte gen organisiert, die offen für alle waren, die democratic and transparent der geplanten Ausgaben und Einnahmen ihre Forderungen stellen wollten. Diese Forde- administration of the aufwies. rungen wurden allerdings ohne Methodik er- resources is the only way to - Die Zivilbevölkerung traut einem Prozeß der faßt. Das Ergebnis der ersten Diskussionen avoid corruption and Demokratisierung der Haushaltsplanung we- war die Aufstellung eines „fiktiven“ Investitions- mishandling of public funds. nig zu. plans, an den sich die Regierung aber aus fi- Since its beginning, nanziellen Gründen nicht halten konnte. Ab investments of over 700 In Rio de Janeiro wurde mehrfach auf die Er- 1990 wurden die Finanzen der Stadt durch million dollars have been fahrung der Stadt Porto Alegre verwiesen. Da eine progressive Grundstücks- und Gebäude- decided by the Participative dieses Haushaltsplanungsmodell auch für mei- steuer wesentlich verbessert. Eine neue Kon- Budget, mainly in urban infrastructure and upgrading of ne Projektpartner eine neue Perspektive dar- zeption der „strategischen Planung“ wurde ein- existing quarters. In Porto stellte, verbrachte ich einige Wochen in Porto geführt. Diese ging mit der Gründung von zwei Alegre, today, the citizens Alegre, um diese Erfahrung näher zu betrach- neuen Institutionen für die Leitung des know and decide on public ten und studieren. Orçamento Participativo einher: der CRC (Ko- issues, transforming ordinationsstelle der Bürgerbeteiligung) und themselves in agents of their Orçamento Participativo – Gemeinsa- der GAPLAN (Planungsbehörde). Dabei wurde own future. me Planung mit der Gesellschaft eine „Methode zur Verteilung der Investitions- mittel“ (siehe weiter unten) eingeführt. Seit 1989 wird die Haushaltsplanung in Porto

T r i a l o g 5 9 / 1 9 9 8 11 Organigramm des Partizipatorischen Haushaltes / Quelle: Fedozzi, 1997

Strukturen des Partizipatorischen ministrativen Bezirkes, je zwei Vertretern aus 1 Haushaltes allen fünf thematischen Foren, einem Reprä- FASE (Federação dos Órgaos para Assistência Social e sentanten der Gewerkschaft des öffentlichen Educacional) ist eine der größten Nach Fedozzi6 wird die Struktur des Dienstes von Porto Alegre, einem Repräsen- NROs in Brasilien. Orçamento Participativo von drei Instanzen ge- tanten des Dachverbandes der Bewohner- 2 Die sog. Baixada Fluminense liegt tragen, die als Bindeglieder zwischen Stadt vereinigungen von Porto Alegre, einem Reprä- im Vorort von Rio und ist als eine und Zivilgesellschaft fungieren: sentanten des CRC (nicht stimmberechtigt) der gewalttätigsten Regionen Bra- - Administrative Einheiten und städtische Or- und einem Repräsentanten des GAPLAN siliens bekannt. Die Untersuchung hat sich auf die fünf Munizipien gane, die für die Leitung und die politischen (nicht stimmberechtigt). Entscheidungskompe- Duque de Caxias, Belford Roxo, Diskussionen verantwortlich sind: Dazu ge- tenz hat der Beirat vor allem bei der Aufteilung Nova Iguaçu, Nilópolis und São hören GAPLAN (Planungsbehörde), CRC der Investitionsmittel auf die sechzehn Bezirke João de Meriti begrenzt. (Koordinationsstelle der Bürgerbeteiligung), und bei Investitionen, die mehrere Bezirke be- 3 Unter dem Begriff der „Zivil- ASSEPLAS (Forum der Planungsberatung), treffen, weiterhin für andere Haushaltsposten gesellschaft“ verstehe ich einen FASCOM (Forum der Bürgerberatung), wie u.a. Personalkosten und Instandhaltungs- durch Mitsprache- und Mitwir- CROP (Koordinatoren der Stadtbezirke) und kosten. kungsrechte der Bürger festgeleg- ten öffentlichen Bereich, in dem CT (Koordinatoren der thematischen Foren). gesellschaftliche Interessen - Permanente institutionalisierte Partizipa- Die Bezirksdelegiertenforen staatsunabhängig organisiert und tionsinstanzen, wie der Beirat des artikuliert werden können. 4 Partizipatorischen Haushaltes (COP), Be- Aufgabe der Delegiertenforen des Partizipa- Porto Alegre ist mit 1,35 Millionen zirksversammlungen, Bezirksforen und the- torischen Haushaltes ist die Aufteilung der In- Einwohnern die Hauptstadt des matische Foren. Diese Instanzen sind sowohl vestitionsmittel innerhalb eines Bezirkes. Für Bundesstaates Rio Grande do Sul. Dort hat die seit 1989 amtierende für die Dynamik und die Form der Mitbestim- jeweils zehn Beteiligte in den jeweiligen Be- Administration der brasilianischen mung in der öffentlichen Verwaltung als auch zirksversammlungen wird ein Delegierter ge- Arbeiterpartei (PT) durch Untersu- für das Erarbeiten des Rechenschaftsberich- wählt. chungen bewiesen, daß Vorort- stadtteile 30 Jahre lang auf infra- tes verantwortlich. strukturelle Verbesserungen war- - Zivilgesellschaftliche Instanzen, die sich au- Funktionsweise des Orçamento ten mußten. tonom gegenüber der Stadtverwaltung orga- Participativo 5 nisieren. Diese Bevölkerungsgruppen bilden Souza, 1997, S.52 6 sich aus verschiedenen Basisorganisationen Die ursprünglich aus vier Bezirken bestehen- Fedozzi, 1997, S.113 heraus, die sich für den Diskussionsprozeß de Stadt wurde von der Regierung vor allem 7 in der Region einsetzen. nach sozio-ökonomischen Kriterien in sech- Souza, 1997, S.56 8 zehn administrative Bezirke aufgeteilt. Ein wei- Genro, 1997, S.26 Der Beirat des Partizipatorischen terer Grund war die Notwendigkeit überschau- 9 Haushaltes barer Größen für demokratische Beschlüsse. nach Angaben der brasilianischen Zeitchrift VEJA vom 14.8.1996 Zu diesen Verwaltungseinheiten kamen ab 10 Der Beirat des Partizipatorischen Haushaltes 1994 fünf thematische Foren hinzu: Verkehr Souza, 1997, S.74 besteht aus dem Zusammenschluß aller admi- und Transportwesen, Gesundheit und Soziales, 11 Schwaiger (1996, S.339) stellt fest, nistrativen Bezirke und trifft sich einmal wö- Erziehung, Kultur und Freizeit, Wirtschaftsent- daß dieses Modell inzwischen in chentlich. Als wichtigste institutionelle wicklung und Steuerpolitik, Stadtentwicklung mehr als 70 Städten Brasiliens an- Partizipationsinstanz der Zivilgesellschaft ist und -organisation. Diese ermöglichen es, über gewendet wird. der Beirat für die Teilung der Macht zwischen die Bezirke hinaus demokratische Entschei- 12 nach Schätzungen aus dem Jahr der Zivilgesellschaft und der Stadt zuständig. dungen zu treffen sowie eine Öffnung des Pro- 1995 Die Hauptfunktion des Beirats ist die Verhand- zesses für andere Bereiche, Organisationen 13 lung, die Kontrolle und die Begleitung der öf- und Akteure zu gewährleisten. Die Foren ha- Urtiz und Guimaraes, !995, S.4 14 fentlichen Arbeiten. Zusätzlich hat er ein Mitbe- ben in der Praxis Akteure mit sehr heteroge- Abers, 1996, S.1755 stimmungsrecht bei der Diskussion des neuen nen Interessen, wie Intellektuelle, Gewerk- 15 Haushaltes. Der Beirat des Partizipatorischen schaftler oder Unternehmer, in die Diskussion PMPA, 1995, S.73 16 Haushaltes setzt sich aus Vertretern folgender einbezogen. ebd. Gruppen zusammen: zwei Vertretern jedes ad-

12 T r i a l o g 5 9 / 1 9 9 8 Kriterien zur Mittelvergabe

Im Jahr 1995 wurden vom Beirat des Partizi- patorischen Haushaltes sieben Schwerpunkt- bereiche festgelegt: - Kanalisation - Asphaltierungen - Grundstücksregulierung - Gesundheitswesen - Bildung - Stadtorganisation - öffentlicher Nahverkehr

Sobald die Prioritäten der Bezirke aufgestellt sind, liegt die zentrale Aufgabe darin, die für In- vestitionen zur Verfügung stehenden Mittel auf die Bezirke zu verteilen. Diese Aufteilung ba- siert auf Kriterien, die für alle sechzehn Bezir- ke gleich sind: - Defizit an öffentlichen Dienstleistungen und Infrastruktur im Bezirk. Bezirken und in den thematischen Foren Ver- Kriterienliste zur Vertei- Der Fehlbedarf an Dienstleistungen und In- sammlungen durchgeführt, die sowohl für alle lung der Investitionen / frastruktur in einem Bezirk wird aus den Da- Bürger als auch für jede Bürgerinitiative offen Quelle: Souza, 1997 ten der Stadtverwaltung ermittelt. Je größer sind. Die Treffen werden von CRC und der Bedarf ist, desto höher fällt die Bewer- GAPLAN geleitet und durch die Stadtverwal- tung („Note“, sh. Tabelle) aus. tung und den Oberbürgermeister begleitet. Vor - Anteil der armen Bevölkerung im Bezirk den offiziellen Veranstaltungen treffen sich die - Gesamteinwohnerzahl des Bezirks Bewohner der Bezirke, um ihre Forderungen - Priorität der jeweiligen Investitionsmaß- aufzustellen. nahme für den Bezirk selbst Der Prozeß durchläuft drei Runden: Die erste Für jeden Bezirk werden die Noten der vier Runde wird jedes Jahr von Mitte März bis Mitte Kriterien mit der jeweiligen Gewichtung multi- April in Anwesenheit von Vertretern der Stadt pliziert und die daraus folgenden Ergebnisse durchgeführt. Das Datum wird über Radio, addiert. Die Punkte aller Bezirke werden zu- Fernsehen, Zeitungen, Plakate und Flugblätter sammengezählt und daraus der prozentuale bekanntgegeben. Die Stadtverwaltung berich- Anteil jedes Bezirks an der jeweiligen tet über den aktuellen Stand der im letzten oben / Verteilung der Investi- Investitionsart errechnet. Die Prioritäten der Jahr beschlossenen Arbeiten und über den In- tionsmittel am Beispiel Bezirke werden addiert und in einer Rangfolge vestitionsplan für das laufende Jahr. Anschlies- „Asphaltierung“ (in Metern) / Quelle: City Hall of Porto aufgelistet, um Anteil und Schwerpunkte der send wird der Rechenschaftsbericht debattiert. Alegre, 1995 Investitionen in den Bezirken deutlich zu ma- Weiterhin stellt die Verwaltung die Bestimmun- chen. Daraus wird der Prozentsatz jeder gen des Orçamento Participativo vor, d.h. die unten / Rangfolge der Prioritä- Investitionsart festgelegt. Die ersten Prioritäten Geschäftsordnung, und erläutert die allgemei- ten / Quelle: Souza, 1997 bekommen mehr Investitionsmittel als die nachrangigen. Diese Vorgehensweise führt zu einer transparenten und demokratischen Mittel- vergabe. So erhalten z.B. Bezirke mit einer gu- ten Infrastruktur und einem geringeren Anteil an armer Bevölkerung weniger Mittel. Diese Investitionspolitik ermöglicht eine Umkehr der bisherigen Präferenzen in der brasilianischen Verwaltung, weg von großen Prestigeprojekten und hin zu vielen kleinen, weniger sichtbaren, aber dringend notwendigen Investitionen für die bislang immer vergessenen Bezirke und Bevölkerungsteile.

Der Partizipationsprozeß

Die genannten Kriterien zur Mittelvergabe bilden den Rahmen des Orçamento Participativo. Dabei definiert die Zivilgesell- schaft selbst das Ziel und die Zuteilung der Mittel innerhalb der Stadt oder des Bezirks. In diesem Prozeß werden zweimal jährlich in den

T r i a l o g 5 9 / 1 9 9 8 13 nen Kriterien zur Verteilung von Ressourcen eine der 42 besten auf der Welt und eine der unter den Bezirken.7 Die Bevölkerung wertet 22 besten innerhalb Lateinamerikas ausge- den Rechenschaftsbericht kritisch aus. Die zeichnet.10 Stadtverwaltung muß sich für ihre Entschei- - Das Modell wird auch in anderen Städten dungen rechtfertigen. Dann wählt die Bevölke- und Regionen nachgeahmt, so z.B. seit 1993 Literatur rung ihre Delegierten. Die Delegierten bilden in Belo Horizonte, der drittgrößten Stadt Bra- Rebecca Abers: „Inventando a das „Bezirksdelegiertenforum“ des Orçamento siliens, und seit 1995 im Bundesstaat Democracia: Distribuição dos 11 Recursos Públicos através da Participativo und sind für die Leitung des Dis- Amapá. Participação Popular em Porto kussionsprozesses mit der Bevölkerung ver- - In den zehn Jahren seit Beginn des Alegre, RGS“, in: Novos recortes antwortlich. Orçamento Participativo wurde der Sanie- territoriais, novos sujeitos sociais: desafios ao planejamento, vol.3. rung Priorität eingeräumt. So sind heute 98% Recife: ANPUR, 1997, S.1735- Die sog. „Zwischenrunde“ wird von Mitte der Bevölkerung mit Wasseranschlüssen ver- 1759 April bis Anfang Juni durchgeführt. Diese Run- sorgt, und bis Ende 1996 sollten 85% der Luciano Fedozzi: Orçamento de hat keinen offiziellen Charakter und erfolgt Haushalte an die Kanalisation angeschlos- Participativo. Reflexões sobre a ohne die Anwesenheit der Stadtverwaltung. In sen sein;12 1989 waren dies nur 46% der experiência de Porto Alegre, Tomo 13 Editorial/FASE: Porto Alegre, 1997 jedem Stadtteil, von jeder Bürgerinitiative und Haushalte. jeder Einwohnervereinigung können Versamm- - Lernprozesse sind in Porto Alegre sichtbar Tarso Genro: „Orçamento Participativo e Democracia“, in: lungen organisiert werden, um Prioritäten hin- geworden. Die Menschen lernen allmählich ders. und Ubiratan de Souza, sichtlich möglicher Bauvorhaben und Dienstlei- die Praxis der demokratischen Planung ken- Orçamento Participativo. A stungen aufzustellen. Die Stadtverwaltung er- nen: ein Treffen zu organisieren, eine Tages- experiência de Porto Alegre, São Paulo: Editora Fundação Perseu teilt technische Informationen und macht Vor- ordnung aufzustellen, Diskussionen zu koor- Abramo, 1997 schläge für mögliche Infrastrukturmaßnahmen dinieren und öffentlich strukturiert zu re- 14 PMPA - Prefeitura Municipal de und notwendige Bauarbeiten. den. Porto Alegre: Orçamento - Durch den Orçamento Participativo ist die Participativo Porto Alegre. Você é Die zweite Runde erfolgt von Anfang Juni bis Anzahl der Elendsviertel stetig zurückgegan- quem faz uma cidade de verdade, Porto Alegre: Unidade Editorial, Anfang Juli. Diese Runde wird unter den glei- gen. Das frühere Elendsviertel Vila 1995 chen Kriterien und der gleichen Methode Planetário ist ein gutes Beispiel dafür. Dort Eva Schwaiger: „Das partizipative durchgeführt wie die erste Runde. Die Stadt- standen früher mehr als hundert ärmliche Budgeterstellungsmodell in Porto verwaltung stellt die vorgesehenen Finanzmit- Hütten, die aus Plastik, Pappe und Bau- Alegre. Lokale Reformpolitik durch tel und die Verteilungskriterien für das kom- resten zusammengezimmert waren. Es fehl- Stärkung der Zivilgesellschaft“, in: Journal für Entwicklungspolitik, XII/ mende Jahr vor. Die Kriterien werden vom Bei- te an sanitären Einrichtungen, und in der Re- 3, 1996, S.331-342 rat des Partizipatorischen Haushaltes während genzeit versanken die Bewohner im 15 Ubiratan de Souza: „A des Jahres ausgearbeitet. Die in der vorheri- Schlamm. Heute stehen dort 88 Zement- Experiência de Porto Alegre“, in: gen Runde gewählten Delegierten stellen die steinhäuser, in denen rund 500 Menschen Tarso Genro und Ubiratan de Forderungen der Bezirke vor. In jedem Bezirk wohnen. Die meisten Bewohner gehen einer Souza, Orçamento Participativo. A experiência de Porto Alegre, São werden je zwei Vertreter und zwei Stellvertreter regelmäßigen Arbeit nach. Deoclécio Silva, Paulo: Editora Fundação Perseu für den Beirat des Partizipatorischen Haushal- Präsident der Bewohnervereinigung von Vila Abramo, 1997 tes und für die thematischen Foren gewählt. Planetário, zeigt stolz auf die hübsche neue José Eduardo Urtiz und Rafael Siedlung: „Früher war dieses Viertel den Leu- Guimarães: Democracia e Beteiligung der Bevölkerung participação popular na esfera ten in der Nachbarschaft ein Dorn im Auge, 16 pública: a experiência de Porto heute ist jeder stolz darauf.“ Alegre, Textmanuskript zur UN- Das Vertrauen der Zivilgesellschaft in diesen Konferenz Habitat II in Istanbul, Prozeß ist vor allem dadurch entstanden, daß Schlußbemerkung 1995 die Stadtverwaltung die Entscheidungen auch Zeitschrift VEJA, 14. August 8 1996, S. 34-35 bei leeren Kassen respektierte. Selbst als die Die Erfahrung der brasilianischen Geschich- Investitionen verspätet realisiert wurden, ist bei te hat gezeigt, daß es nicht reicht, die Inhaber der Bevölkerung der Eindruck entstanden, daß öffentlicher Macht auszuwechseln, um zu ge- diese Investitionen durch ihre Entscheidung sellschaftlichen Veränderungen zu gelangen. zustande kamen. Das anwachsende Vertrauen Die partizipatorischen Institutionen des der Zivilgesellschaft in diesen Prozeß spiegelt Orçamento Participativo verkörpern wirkliche Clóvis Roberto Zimmermann ist Brasilianer und studiert sich auch im Anstieg der Teilnehmerzahlen bei strukturelle Veränderungen, die den Willen der Soziologie und Theologie in Heidelberg. Als Stipendiat den offiziellen und inoffiziellen Veranstaltungen Bevölkerung ausführen. Diese Erfahrung bricht des ASA-Programms hielt er sich von Juli bis Oktober wieder. Werden letztere mitgezählt, dann sind mit den traditionellen politischen Gewohnhei- 1997 in Rio de Janeiro und Porto Alegre auf. Der Titel sei- es heute bereits mehr als 100.000 Menschen, ten, nach denen die Partizipation der Bürger nes ASA-Projekts lautete: die sich jedes Jahr an der Diskussion über die nach dem Tag der Wahl zu Ende geht. Partizi- “Untersuchungen zur Stadtentwicklungspolitik und Verteilung der Investitionsmittel beteiligen.9 pation und Planung werden nicht mehr nur zu den Chancen zivil- gesellschaftlicher Partizipati- sporadisch und spontan in Form einer Konsul- on in Rio de Janeiro und Por- to Alegre/Brasilien”. Der Ergebnisse der partizipatorischen tation organisiert, sondern sind dauerhaft insti- Projektpartner FASE (Federação dos Órgaos para Politik tutionalisiert worden. Der institutionalisierte Assistência Social e Educacional) ist eine der Planungsprozeß hat durch die Sammlung von größten NGOs Brasiliens und Nach zehn Jahren Erfahrung mit der parti- langen und kontinuierlichen Erfahrungen der in vielen Bereichen der öffent- lichen Politik tätig. Adresse: zipatorischen Politik gibt es zahlreiche Erfolgs- Bürger an Verständnis gewonnen. Entschei- Rua das Palmeiras 91, 22270- 070 Rio de Janeiro, Brasilien. meldungen: dend ist dabei, daß die Stadtverwaltung die Weitere Informationen beim Autor oder der Bertelsmann - Die UN-Konferenz Habitat II in Istanbul hat Planungsentscheidungen der Zivilgesellschaft Stiftung. die Verwaltungsform von Porto Alegre als akzeptiert und auch umsetzt.

14 T r i a l o g 5 9 / 1 9 9 8 Die „Wohnungsbaukooperativen in gegenseitiger Hilfe“ in der Stadtentwicklung von Montevideo

BETTINA KÖHLER / SUSANNE SCHINDLER

Wir sind in Uruguay, um die Rolle der schen, die aus wirtschaftlichen Gründen aus The Role of the Mutual Aid „Wohnungsbaukooperativen in gegenseitiger der Innenstadt wegziehen. Das gewandelte Housing Co-operatives in Hilfe“ in der Stadtentwicklung Montevideos zu Bevölkerungsprofil der asentamientos bestätigt Montevideo beobachten. Bislang haben wir nur Bilder von dies: Während noch vor zehn Jahren vorwie- den Gebäuden der seit dreißig Jahren beste- gend Menschen ohne feste Arbeit in den The rapid expansion of henden Kooperativen gesehen: hübsche Rei- asentamientos unterkamen, sind es heute Montevideo’s asentamientos henhäuser in Sichtmauerwerk mit gepflegten auch Angestellte oder Krankenschwestern, irregulares has become a symbol for the ongoing Gärten und funktionierenden Sozialeinrichtun- also Menschen mit regelmäßigem Einkommen. impoverishment of Uruguay’s gen. An unserem ersten Morgen spazieren wir Deren Lohn reicht für die steigenden Mieten population. People are durch das charmante, wenn auch leicht maro- nicht mehr aus. increasingly incapable of de Zentrum der 1,3-Millionen-Stadt. Da sticht paying the rising rents in the uns bei einem Zeitschriftenkiosk die Frontseite Das Wachstum der asentamientos ist aber inner city districts. How is der Wochenzeitschrift tres mit ihrer dramati- auch politisch bedingt, geduldet, wenn nicht Uruguay’s thirty-year-old mu- schen Schlagzeile ins Auge: Asentamientos sogar gefördert. Der Titel des Artikels trifft das tual aid co-operative housing irregulares. La marginalidad crece bloque Herz der Sache: Die asentamientos wachsen movement going to cope with sobre bloque - „Illegale Siedlungen. Die Stein um Stein, und in Stein bauen bedeutet, this situation? The current Marginalität wächst Stein um Stein“. Es stellt auf Dauer zu planen. Man rechnet nicht damit, approach of both municipal and national government is to sich heraus, daß uns die „revista de bald wieder wegzuziehen. Die Konsequenz für regularise the asentamientos, actualidad“ ankündigt, was uns die folgenden die Stadt - tres zitiert hier Jorge di Paula, i.e. to upgrade infrastructure drei Monate begleiten wird: den Kampf mit der Architekturprofessor in Montevideo: „Die and grant the inhabitants the gesellschaftlichen Verarmung und städtischen Haupteigenschaft dieses Phänomens ist seine right to the land. This does Marginalisierung. Wie verbreitet die Besorgnis Beschleunigung. Es stellt die Hauptmodalität not, however, solve the basic um die Marginalisierung ist, wird im Sprachge- des Stadtwachstums dar.“ housing problems. brauch deutlich. Der Begriff asentamiento, Furthermore, and worse for wörtlich übersetzt „Siedlung“, bezeichnet heute Der momentane Lösungsansatz sowohl der the urban development, the die illegale, ärmliche, ohne Versorgung errich- linken Stadtregierung als auch der konservati- well-equipped inner city tete Version am Stadtrand und nicht etwa die ven Landesregierung angesichts der continues to be vacated. The only alternative offered by the positive Version des menschlich geschaffenen, asentamientos heißt Regularisierung. Daß die government for the lowest angemessenen Wohnraums. Welche Rolle linke Stadtregierung, seit 1990 an der Macht, income groups are the kommt der Kooperativenbewegung in diesem Besetzer von öffentlichem Land nicht vertrei- núcleos básicos evolutivos, Kontext zu? ben lassen würde, war nicht schwer vorherzu- thought of as “emergency” sagen. Tatsächlich kommentieren viele, daß solutions. Their location at the Die Praxis der Regularisierung der „Besetzungsboom“ mit der Regierungszeit periphery, however, the cost of der Frente Amplio einhergeht. Seit einigen Jah- 18,000 US $ per unit, and the Der Leitartikel von tres erläutert die Fakten ren nun werden die asentamientos aber nicht lack of social assistance have der asentamientos. Seit 1984 wachsen die ille- einfach nur geduldet, sie werden regularisiert. severely been critiqued by galen Siedlungen am Stadtrand um jährlich Den Besetzern wird das Land zugesprochen, experts as producing equally unsatisfactory solutions. Since zehn Prozent. Insgesamt, so schätzt das Woh- und mit der Hilfe eines interdisziplinären Teams 1968, the mutual aid co-opera- nungsbauministerium, lebten Ende 1997 aus Architekten, Sozialarbeitern und Notaren, tives have been very 185.000 Menschen in den Hüttensiedlungen. dem Instituto de Asesoramiento Técnico (IAT), successful in developing Wahrscheinlich sind es mehr. Beunruhigend werden infrastrukturelle und bauliche Verbes- quality housing. Their fortune ist, daß die Ursache der Ausbreitung der Sied- serungen durchgeführt. Ein flächendeckendes (in terms of financial lungen nicht, wie in anderen lateinamerikani- Programm solcher Regularisierungsmaßnah- supports), however, has schen Großstädten, demographischer Art ist, men wurde 1997 von der Stadtverwaltung ge- depended directly on the denn die Bevölkerung Montevideos stagniert. startet. political situation. After the Die Bewohner der asentamientos sind Men-

T r i a l o g 5 9 / 1 9 9 8 15 Die Regularisierungspolitik ist auf den ersten wurde an zwei Tagen zum Thema Wohnungs- early years of massive Blick lobenswert, da sie Menschen zu ihrem ei- bau ausschließlich über die núcleos gestritten. support and after the repression during the military genen Boden verhilft und versucht, eine beste- Die vom Staat finanzierten und zum Preis von dictatorship and in the years hende Situation aufzuwerten. Die städtebauli- 18.000 US $ von privaten Firmen geplanten thereafter only recently they chen und wirtschaftlichen Konsequenzen sind und ausgeführten Minimallösungen sind offizi- had a comeback. Represented jedoch gravierend. Montevideo ist möglicher- ell als Notlösungen für Familien mit einem mo- by FUCVAM, the co-operati- weise die einzige Stadt Lateinamerikas, die natlichen Einkommen unter 300 US $ gedacht. ves have attempted to shift nicht von einem massiven Bevölkerungswachs- Der Familie wird, unabhängig von ihrer their focus from their shrinking tum betroffen ist. Trotzdem breitet sich die Haushaltsgröße, ein Kernhaus von 32 qm auf traditional trade union basis Stadt flächenmäßig unkontrolliert in uner- 100 qm Land zugesprochen, bestehend aus ei- towards more marginalized schlossene Gebiete aus. Die Innenstadt dage- nem Zimmer, einer Wohnküche und einem Ba- groups, partially in the gen, die über soziale, infrastrukturelle und kul- dezimmer. Wie der Name impliziert, soll das asentamientos. Even more successful have been turelle Angebote verfügt, entvölkert sich. Die Haus nach Bedarf erweitert werden können. attempts at developing low- Kosten für die nachträgliche Erschließung der Fünf Jahre lang zahlen die Bewohner eine mo- cost constructions as well as entlegenen Gebiete sind hoch und wären zu natliche Nominalrate von 20 US $. Das Geld pilot projects in the dilapidated vermeiden. Mehr noch ist die Regularisierungs- kommt der Betreuung der Siedlung durch ein historic centre of Montevideo praxis das Eingeständnis einer Planungs- IAT-Team zugute. Nach erfolgreicher Abzahlung to consolidate the inner city. ohnmacht. Daß eine Bodenreform von Nöten werden die Bewohner Eigentümer von Haus Ultimately, Montevideo’s wäre und der Erwerb von Wohneigentum er- und Boden. problems cannot be solved by strebenswert ist, wird durch die nachträgliche isolated projects. For this Regularisierung indirekt eingestanden. Was ist daran auszusetzen? Die Architekten reason FUCVAM is bemängeln die Qualität der Ausführung: Priva- advocating the reforma urbana seeing itself as the nucleus of Die staatliche Wohnungspolitik te Firmen haben wenig Interesse, die Kon- a broad social movement. struktion korrekt auszuführen. Die Planer kriti- Die Regularisierungsrhetorik der staatlichen sieren die Standorte der wegen der Bodenprei- Regierung ist ein Zeichen des Unwillens, dem se meist an der Stadtgrenze gelegenen Sied- 1 1968 durch das Ley de Vivienda in der Verfas- lungen, die letztlich die gleichen Stigmatisie- Das Wohnungsbauministerium wurde erst 1990 wieder eingerich- sung festgeschriebenen Recht auf angemes- rungen hervorrufen wie die asentamientos. tet, nachdem während der Militär- senen Wohnraum nachzukommen; und somit Und die Sozialarbeiter sehen sich überfordert diktatur die Banco Hipotecario, die ist auch nicht schwer zu verstehen, warum die durch die mangelnde Vorbereitung der Bewoh- staatliche Hypothekenbank Uru- guays, nicht nur mit den finanz- konservative Regierung, nach anfänglicher Be- ner, die aus unterschiedlichen Stadtgebieten, spezifischen, sondern auch mit stürzung über die Verletzung von Eigentum so auch aus den oft verfallenen Gebäuden der den sozialen Wohnungsfragen be- durch die Landbesetzer, diese mittlerweile dul- Innenstadt, hierher versetzt werden. Am heftig- schäftigt war. det. Es entledigt den Staat seiner Verpflichtung sten verurteilt man, daß das Wohnungsbaumi- 2 1 So der damalige Wirtschaftsmini- Wohnraum zu planen, da die Eigeninitiative der nisterium ausschließlich diese Wohnform för- ster Villegas, zitiert in Fernando Bewohner diese Funktion übernimmt. In dieser dert. Das Thema NBE erhitzt die Gemüter der Nopitsch: Descentralización Konjunktur bieten also die Landbesetzungen Experten. Denn alle wissen, daß man für den municipal y participación popular, Montevideo, CPP 1989 eine attraktive Möglichkeit, endlich ein Eigen- gleichen Betrag weit besseren Wohnraum heim zu besitzen. Man braucht nur ein paar schaffen kann. Als Beweis dafür werden die Jahre auszuharren. Wohnungsbaukooperativen angeführt: Sowohl in sozialer, finanzieller und städtebaulicher Weise leisten sie Beispielhaftes.

Luchar hasta vencer oder die Politik der Wohnungsbaukooperativen

Die Wohnungsbaukooperativen Uruguays gelten inzwischen als vorbildliche Organisa- tionsform, die internationale Anerkennung - so etwa durch die Vereinten Nationen - gefunden hat. Aber der Einfluß der Kooperativen ist auch in anderen Ländern des Kontinents zu finden: So geht São Paulos massive Förderung der mutirão-Projekte direkt auf das uruguayische Beispiel zurück.

Neben der Regularisierungspraxis gibt es Die Kooperativen als staatlich geförderte Der Wohnraum, der in den asentamientos entsteht, sei er von staatlicher Seite natürlich auch ein offiziel- Wohnungsform sind im genannten Wohnbau- noch so kreativ und ein- les Wohnraumversorgungsprogramm, aber der gesetz von 1968 als eine der möglichen drucksvoll aus diversen Programmteil für die unteren Einkommens- Förderungsarten festgeschrieben. Es gibt da- recycelten Materialien zusam- schichten stellt, wie die asentamientos, für Ar- von zwei Arten: mengefügt, entspricht den chitekten, Planer und Sozialarbeiter ein - Por ahorro previo - das sind Kooperativen, Minimalanforderungen an ei- Schreckgespenst dar: Es sind die núcleos die 15% der Baukosten durch Angespartes nen angemessenen Wohn- básicos evolutivos, die NBEs. Auf dem urugua- aufbringen. raum nicht / Foto: Köhler yischen Architektenkongress im Oktober 1997 - Por ayuda mutua, wörtlich übersetzt „durch

16 T r i a l o g 5 9 / 1 9 9 8 gegenseitige Hilfe“ - das sind Kooperativen, Unificadora de Cooperativas de Vivienda por in denen der Eigenbeitrag in Form von Bau- Ayuda Mutua, als gesellschaftlich mobilisieren- arbeit geleistet wird und zwar pro Familie de Kraft an Bedeutung. Obwohl die Sitzungen zwanzig Stunden wöchentlich. ständig überwacht und viele Mitglieder auch in- haftiert wurden, waren die Koooperativen nicht Der Baukredit kommt bei beiden Formen vollständig zu verbieten. Gewerkschaften wur- vom Staat und wird über 25 Jahre zu einem den verboten, Universitäten wurden geschlos- geringen Zinssatz zurückgezahlt. Zur Finanzie- rung des staatlichen Wohnbauförderung wurde mit dem Wohnungsbaugesetz auch eine Lohn- steuer von 2% festgeschrieben, die dem Fondo Nacional de Vivienda zugute kommt. Auch das Grundstück wird idealerweise vom Staat ge- stellt. Die Planung des Projekts erfolgt bei bei- den Formen durch ein IAT-Team, ausgewählt und beauftragt von der aus mindestens zehn Personen bestehenden Kooperative. Der we- sentliche Unterschied zwischen den beiden Kooperativenformen besteht in der Art des Ei- gentums. Während bei den Bauspar- kooperativen die Wohnung nach Fertigstellung in das Eigentum der Familien übergeht und diese fortan als individuelle Schuldner haften, bleiben die Wohnungen bei den „Kooperativen in gegenseitiger Hilfe“ im Besitz der Kooperati- sen. Aber Leute aus ihren Wohnungen zu wer- Die Wohnform der nucleos ve und werden auch gemeinsam verwaltet. Die fen, das war selbst den uruguayischen Militärs basicos evolutivos / Foto: Köh- Kooperative haftet hier als Gemeinschaft, und zu riskant. Die große Machtprobe mit der Mili- ler die Mitglieder haben ein lebenslanges, vererb- tärregierung kam 1984, als diese das Kollektiv- bares Nutzungsrecht. eigentum der Kooperativen in Privateigentum umwandeln wollte. FUCVAM organisierte eine Nach dem Erlaß des Wohnungsbaugesetzes spektakuläre Unterschriftensammlung, bei der erfreuten sich die Kooperativen massiver staat- an einem Tag mehr als 330.000 Unterschriften licher Unterstützung. Schon 1971 zählte man zusammenkamen. Die Bemühungen der Re- 210 Kooperativen mit insgesamt 6.700 Famili- gierung waren gescheitert: Der Leitspruch von en. Das Produkt dieser Zeit ist noch heute zu FUCVAM, luchar hasta vencer, hatte sich aus- erkennen: qualitativ herausragender Woh- gezahlt. nungsbau. Kennzeichnend für diese ersten Ko- operativen sind Siedlungsstrukturen ähnlich denen der europäischen Reformbewegung aus den 20er Jahren unseres Jahrhunderts: zwei- geschossige Reihenhäuser aus Sicht- mauerwerk mit kleinen Vor- und Hintergärten, dazu kommen Gemeinschaftsräume und - je nach Größe der Kooperative - Turnhalle, Kin- dergarten und Poliklinik.

Mit der Militärdiktatur kam die anfänglich massive Förderung der Kooperativen ab 1975 zu einem Stillstand. Teils wurde dies mit einer neoliberalen Wirtschaftspolitik begründet, die staatliche Förderung im Wohnungsbau für falsch ansah, teils waren aber auch politische Gründe im Spiel: Die Mitglieder der Kooperati- Die Wohnungsbaukooperativen heute ven, überdurchschnittlich gut organisiert, ge- Ein Beispiel aus der Hochkon- junktur der Kooperativen in hörten in der Mehrheit auch Gewerkschaften Mit der Rückkehr zur Demokratie 1985 er- den frühen 70er Jahren: an und vertraten eine gemeinschafts- hoffte man sich auch wieder eine substantielle Conjunto José P. Varela mit orientierte, kooperative Gesellschaftsvision. Unterstützung des kooperativen Wohnungs- 3.500 Wohneinheiten. IAT: Man bezeichnete die Kooperativen als „Gefahr baus. Der konservativen Regierung aber waren CEDAS / Foto: Köhler für die nationale Sicherheit“2, und bis zur die Kooperativen wegen wiederholter Rückkehr zur Demokratie 1985 wurden sie nur Zahlungsstreiks angesichts erhöhter Zinsraten noch sporadisch gefördert. in den vergangenen Jahren weiterhin suspekt. Um die Bewegung zu unterbinden, gewährte Unter diesen Umständen gewann der 1970 man nicht nur keine Kredite, sondern verwei- gegründete Dachverband der „Kooperativen in gerte den Kooperativen auch den Status als ju- gegenseitiger Hilfe“, FUCVAM - Federación ristische Person und damit die rechtliche

T r i a l o g 5 9 / 1 9 9 8 17 schließlich im Februar 1998, vierzehn Jahre nach Gründung, eingeweiht.

Die politische Lobbyarbeit für das Überleben und Wachstum der Kooperativenbewegung wurde so zum Hauptanliegen von FUCVAM, die heute etwa 300 Kooperativen mit insge- samt 12.000 Familien vertritt.5 Dank der un- nachgiebigen Verhandlungsarbeit werden heu- te wieder Kooperativen gefördert. Eine Beset- zung des Ministeriums, wie im Herbst 1998, hilft nach, wenn die Verhandlungen zu schei- tern drohen. Periodisch hilft auch die Konjunk- tur der Vorwahlzeit: Dann sind die meisten Poli- tiker relativ spendierfreudig. Unter der politi- schen Arbeit hat aber die soziale Arbeit gelit- ten. Dieses Versäumnis versucht man heute durch eine verstärkte Jugend- und Altersarbeit FUCVAM hat die verfallene In- Grundlage, die eine Kooperative zum Funktio- wieder nachzuholen. nenstadt entdeckt: An diesem nieren braucht. Zwischen 1985 und 1989 wur- Standort entsteht in Kürze das den nur elf von 211 Anträgen positiv beschie- Kooperativen als Lösung? kooperative Projekt den. COVIREUS / Foto: Köhler Die anfangs genannten sozialen und wirt- Erst mit dem Regierungswechsel im Jahr schaftlichen Veränderungen Uruguays (Stich- rechte Seite / Das kooperative Projekt COVICIVI in der Alt- 1990 begann in Montevideo ein neuer Auf- wort asentamientos) haben FUCVAM und die stadt von Montevideo, beste- schwung für die Kooperativen. In der Stadtver- IATs zum Umdenken gezwungen. Das bedeu- hend aus Alt- und Neubau, mit waltung erklärte man sie zur bevorzugten Or- tet in erster Linie, daß mit weniger Geld gebaut insgesamt 34 Wohnungen. ganisationsform im Wohnungsbau, initiierte und neue gesellschaftliche Gruppen integriert 1998 wurde COVICIVI Finalist verschiedene als Kooperativen organisierte werden müssen; darüber hinaus geht es aber beim Mies van der Rohe- Sanierungsprojekte in der Altstadt3 und stellte auch um einen Lösungsansatz zur Frage der Preis, Barcelona, für Bauten in Bauland für Neubauten zur Verfügung. Auch Stadtentwicklung als Ganzem. Lateinamerika / IAT: Hacer de Sur, 1992-98 auf nationaler Ebene schuf die Wiedereinfüh- rung eines Wohnungsbauministeriums eine Mit weniger Geld besser zu bauen ist einer- bessere Ausgangslage für die Unterstützung seits durch die schrumpfenden Kredite bedingt; 3 von Kooperativen. Die Jahre der Unterdrük- andererseits gibt es auch immer mehr Pilot- Kerstin Zillmann: „Ein Selbsthilfe- projekt alleinerziehender Frauen - kung hatten die Kooperativenbewegung in ih- projekte für kostengünstiges Bauen, die mitein- Altbauerneuerung in der Ciudad rem Wachstum jedoch stark gezeichnet. Von ander konkurrieren, so z.B. Projekte in der in Vieja in Montevideo“, in: TRIALOG der Gesamtheit der zwischen 1969 und 1992 Uruguay bislang relativ unbekannten Holz- 44, 1995 4 realisierten Projekte wurden im Zeitraum 1969 rahmenbauweise oder mit vorfabrizierten Pa- Teresa Buroni: Notizen für ein bis 1976 63,3%, 1977-84 23,3% und 1985-92 neelen. Auch das Schreckgespenst núcleo Buch, 1997 nur 6,3% gebaut.4 Als Beispiel für die langwie- básico evolutivo hat einen Wettbewerb ausge- 5 Für aktuelle Informationen siehe: rigen Prozesse, welche die Gründung einer löst, kostengünstig zu bauen: Dabei ist es ge- http://www.chasque.apc.org/ Kooperative heute nach sich zieht, steht die lungen, für die gleichen 18.000 US $ besseren fucvam Kooperative COVITEA: 1984 gegründet, be- Wohnraum zu schaffen; so ist z.B. eine zwei- 6 setzten die Mitglieder 1989 - nach fünf Jahren - geschossige, innen ausbaubare Wohneinheit Stefan Thimmel: „Dezentralisierung von Montevideo - Nachhaltige Ver- städtisches Land; die Wohnungen wurden mit 72 qm (statt 32 qm) in den Kooperativen änderungen auf der kommunalen Ebene“, in: TRIALOG 55, 1997 7 Siehe auch: vecinet-notici@s, elektronische Nachrichten über Kommunal- und Stadtentwicklung, sowie Kooperativen: http:// www.chasque.apc.org/guifont/ vecinet.htm

Alternative zum núcleo básico evolutivo: Unter Einsatz von ayuda mutua wird zu den glei- chen Kosten doppelt soviel Wohnraum geschaffen. Die Er- weiterung erfolgt hier im Inne- ren: Die obere Etage wird erst in einer zweiten Bauphase vervollständigt; das gewährlei- stet ein einheitliches äußeres Erscheinungsbild der Häuser / IAT: CCU, 1991

18 T r i a l o g 5 9 / 1 9 9 8 heute Standard für die untersten Einkommens- Daß die Kooperativen dennoch einen gewissen Literaturhinweise schichten. Vorbildcharakter haben, erkennt man an Zur Geschichte des Wohnungs- Tierritos Stolz über den Bauplatz für den zu- baus in Uruguay: Sozial waren und sind viele der Projekte künftigen salón comunal: Die Idee für diesen Marta Risso, Yolanda Boronat: außerordentlich schwierig. Der Organisations- Gemeinschaftsraum, man könnte darauf wet- La vivienda de interes social en el Uruguay, 1970-1983, Fundación aufwand ist groß, lange Sitzungen, Abstim- ten, hat er von der benachbarten Kooperative de Cultura Universitaria, Montevi- mungen, Verwaltungsarbeit sind keine selbst- abgeschaut. FUCVAM versucht also weiterhin, deo 1992 verständlichen Gewohnheiten. Die traditionelle asentamientos zu organisieren und zu beraten. Juan Pablo Tierra, Juan E. Basis der Kooperativen - die organisierte Ar- In diesem Sinne kam im Sommer 1998 der er- Camou: El proceso de la vivienda beiterklasse, auf der auch die Identität der ste „Encuentro de Asentamientos Populares en el Uruguay de 1963 a 1980, CLAEH, Montevideo 1983 FUCVAM beruht - gibt es heute kaum noch. Urbanos“ zustande. Man betont zwar nach wie vor, daß der Prozeß Zu den Kooperativen: eine Kooperative zu gründen, zu verwalten und Die späte Akzeptanz der Sanierungsprojekte Daniel Chaves: FUCVAM, la historia viva, Montevideo 1990 zu bauen eine bildende Funktion habe und in der Altstadt seitens der FUCVAM beruht auf schon immer hatte, aber viele der heutigen Ge- der anfänglichen Schwierigkeit, sich vom ange- Rosario M. Fossati, Gustavo Gonzalez: ¿Quo vadis Montevi- nossenschaftler haben keinen festen Arbeits- stammten Bild der neu zu erbauenden, gesell- deo? Alternativas urbanas para los platz oder es arbeiten beide Elternteile oder schaftlich visionären Siedlungen zu verab- sectores de menores recursos. die Familie besteht aus einer alleinerziehenden schieden. Angesichts der Diskussionen um die Montevideo 1996 Mutter. Für viele ist es deshalb nicht mehr Entleerung der Innenstadt hat man inzwischen Charna Fuhrman: MUJEFA ya möglich, wöchentlich zwanzig Stunden auf der aber eingesehen, daß auch in der „traditionel- tiene casa. Proyecto piloto y sus impactos en el Uruguay, Montevi- Baustelle zu arbeiten. len“ Stadt lebenswerter Wohnraum entstehen deo 1996 kann. Die von der Stadtverwaltung mit dem Zur Stadtentwicklung Montevideos: FUCVAM besteht aber seit jeher auf dieser Ziel, untere Einkommensschichten in der In- Instituto de Teoría de la bildenden, man könnte auch sagen „missiona- nenstadt zu halten, initiierten und mittlerweile Arquitectura y Urbanismo (ITU), rischen“ Aufgabe der Kooperativen. Man habe fertiggestellten reciclaje-Pilotprojekte sind zu Universidad de la República schon immer „Stadt gebaut“, die Kooperativen Erfolgsgeschichten geworden. Oriental del Uruguay: Montevideo - una aproximación a su hätten die Pflicht, sich auch in die marginali- conocimiento, Montevideo 1994 sierten Viertel hinaus auszudehnen. Dement- Letztlich sind die Probleme der Stadt und der Intendencia Municipal de Monte- sprechend versucht man, auch die Bewohner Wohnraumversorgung struktureller Art und ge- video: Hacia un Plan de Montevi- der asentamientos zu organisieren, stellt dabei hen über Einzelprojekte hinaus. So versucht deo. Avance del Plan de aber Schwierigkeiten fest. Meist liegt das Hin- auch FUCVAM verstärkt, grundsätzliche Ant- Ordenamiento Territorial 1989- 2005, Montevideo 1997 dernis in deren hierarchisch geprägter sozialen worten zu finden. Seit Jahren arbeitet FUCVAM Struktur. So gibt es im allgemeinen einen líder, deshalb zum Thema Reforma Urbana: Gefor- Günter Mertins: Beiträge zur Stadtgeografie Montevideos, Mar- einen Chef, der die Besetzung plante und dert wird eine konsequente Bodenpolitik, die burg 1987 durchführte und dem man zu gehorchen hat - den Zugang zu einem Stück Land für alle er- wie z.B. „Tierrito“ (genannt nach seiner Bega- möglicht. Darüber hinaus eröffnet die 1990 in- Bettina Köhler, Dipl.-Ing. bung, Land zu besetzen), Chef des zwei Jahre stitutionalisierte Dezentralisierung Montevi- Landschaftsplanung aus Ber- 6 lin, und Susanne Schindler, alten asentamiento Nuestros Niños: Er wurde deos Möglichkeiten für eine breitere Einfluß- Architekturstudentin an der Hochschule der Künste Ber- seitens der Kooperativen angesprochen und ju- nahme, denn überdurchnittlich viele Mitglieder lin, waren Ende 1997/Anfang 1998 als ASA-Stipendiatinnen ristisch beraten, sich aber als Kooperative zu der concejos vecinales, der neuen Bezirks- in Uruguay. Der Titel des Pro- 7 jekts lautete „Alternative konstituieren käme für ihn einer Abhängigkeit bürgerräte, sind Mitglieder von Kooperativen. Kommunalstrukturen“. Ihr vom Staat, der Bürokratie und natürlich einem Hier liegt das Potential, die vielen gemachten Projektpartner war FUCVAM. Weitere Infos bei den Autorin- Verlust seiner Autorität gleich. Denn der Erfahrung in stadtentwicklungspolitische Arbeit nen, bei Stefan Thimmel vom Habitat Informationsbüro Ber- Solidaritäts- und Gleichberechtigungsgedanke einfließen zu lassen: Denn die kooperativen lin oder bei FUCVAM, Javier Vidal, E.V.Haedo 2219, 11200 der Kooperativen hat mit der Organisations- Projekte sind mehr als nur hübsche Reihen- Montevideo, Uruguay; e-mail: form der meisten asentamientos wenig gemein. haussiedlungen. [email protected]

T r i a l o g 5 9 / 1 9 9 8 19 Entwicklungsprozeß und Konsolidierung der Cité Jasmin in Port-au-Prince

JULES-EDOUARD JEANNOT / RONALD REDEKER

A Development Concept for 1988 lebten in der Agglomeration von Port- the Cité Jasmin in Port-au- au-Prince, der Hauptstadt Haitis, ca. 1,6 Millio- Prince nen Einwohner. Im Jahr 2000 werden mehr als drei Millionen dort leben, eine Expansion, die In 1988 Port au Prince had heute neben der natürlichen Bevölkerungszu- approximately 1.6 million nahme vor allem auf die interne Migration zu- inhabitants. By the year 2000 rückzuführen ist. it will have more than three million, a fact that is showing dramatic consequences on Trotz der Konzentration der wirtschaftlichen the urban development, like Ressourcen sind Arbeitslosigkeit und Unterbe- e.g. the uncontrolled spread of schäftigung in Port-au-Prince stark ausgeprägt. the agglomeration, especially Dabei ist die große Mehrheit der Einwohner on the steep slopes of the von formellen Arbeitsverhältnissen ausge- „Morne de I’Hôpital“ south of schlossen und dadurch auf Tätigkeiten im infor- the city centre. Most of the mellen Sektor angewiesen. Die Folgen sind people there are living in eine erhebliche Polarisierung am Arbeitsmarkt critical conditions. Taking the und im sozialräumlichen Gefüge der Stadt.1 Cité Jasmin and its 6,000 Das wirtschaftliche und soziale Elend wird be- inhabitants as a case study the following aspects have sonders in den „bidonvilles“ sichtbar. Die mei- been examined: the socio- sten Bewohner leben dort unter prekären, oft economic situation; the living menschenunwürdigen Bedingungen. Dramati- conditions, concerning sche Folgen für die Stadtentwicklung sind zu deficiencies in technical befürchten, wenn die Landflucht anhält. Die infrastructure, insufficient Problematik findet ihren Niederschlag in der ra- health, social and educational schen und unkontrollierten Ausdehnung der nen Marginalviertel sind einem relativ schnel- institutions, ecological Stadt, vor allem nach Norden in Richtung der len Wandel der sozialen und baulichen problems, a high building ertragreichsten Agrarflächen des Landes, zum Strukturmerkmale unterworfen. Nach einer an- density and problems of „Cul-de-Sac“-Tal und im Süden an den Hängen fänglichen Pionierphase, die durch bitterste Ar- building construction; the social organisation of the des „Morne de l’Hôpital“. mut geprägt ist, beginnen einige Siedler ihre neighbourhoods; the current anfangs mit provisorischen Materialien gebau- strategies, instruments and Die „bidonvilles“ - ten Behausungen zu sichern, oftmals mit fe- planning methods of external Marginalviertel in Haiti sten Baustoffen. Neben der baulichen Konsoli- NGOs and state dierung stellten sich aber auch soziale organisations; the process Wegen der Nähe zur Stadtmitte (Entfernung Konsolidierungsprozesse (lokale Organisation and dynamics of etwa 30 Minuten zu Fuß) werden besonders und gegenseitige Hilfe) und zunehmende „uncontrolled“ development in die Wohnviertel am Fuß des „Morne de Marktprozesse (informeller Bodenmarkt, Ver- an informal settlement. Finally, l’Hôpital“ von Zuwanderern und unteren Ein- mietung, Hausverkäufe) ein. Ein problemati- a bottom-up concept was kommensgruppen bevorzugt. Die räumliche scher Aspekt dieses Prozesses ist die Verdich- developed to improve the living conditions within the Ausdehnung zählt hier zu den größten der tung, bei der jede Freifläche als Standort für settlement under the present Stadt. Die unkontrollierte Siedlungsausbreitung neue, eingeschossige Hütten geopfert wird. general economic and political führt u.a. zu Konflikten mit der Stadtentwick- Außerdem werden diese dichtbevölkerten circumstances. Thereby an lungsbehörde und der staatlichen Umwelt- „bidonvilles“ (ca. 1.500 EW/ha) nicht mit der incrementalist approach - an behörde OSAMH.2 notwendigen Infrastruktur ausgestattet, was die open planning process - is bestehenden sozialen Probleme noch ver- proposed initiated by the Die an den steilen Hängen des „Morne de schärft. community organisation with l’Hôpital“ erstmals vor ca. 30 Jahren entstande-

20 T r i a l o g 5 9 / 1 9 9 8 Untersuchungen in der Cité Jasmin Die vier Entwicklungsphasen the help of local and external der Cité Jasmin activists. More important than Am Beispiel der Cité Jasmin (ca. 6.000 Ein- projects are the planning wohner, davon 40% Kinder unter 14 Jahren), Bei der Besiedlung der Cité Jasmin lassen methods and (participation) am Fuß des „Morne de l’Hôpital“ im Süden von sich vier Entwicklungsphasen unterscheiden: instruments guiding a self- Port-au-Prince gelegen, wurden die heutige - In der Pionierphase erfolgte die Inbesitznah- organised development. Wohnmisere der großen Mehrheit der Bevölke- me und illegale grobe Parzellierung eines rung und typische Stadtentwicklungsprobleme Teilgebiets der heutigen Cité Jasmin. in Port-au-Prince exemplarisch untersucht. Im - In der zweiten Phase ab Ende der 70er Jah- 1 einzelnen wurden folgende Aspekte analysiert: re erfolgten die ersten Unterverpachtungen Die Polarisierung in der haitiani- schen Gesellschaft hat sich seit - die sozio-ökonomische Situation der Bevöl- und Untervermietungen als Anzeichen einer 1980 und besonders während der kerung (Bevölkerungsstruktur, ökonomische beginnenden Verdichtung sowie, ab Anfang politischen Krisen Anfang der 90er Situation, Bildungs- und Gesundheits- der 80er Jahre, die bauliche Konsolidierung Jahre erheblich verschärft. Dies situation), der ersten Häuser. Diese Phase war mit dem drückt sich in einer Erhöhung des Anteils der beiden untersten Ein- - die Wohnverhältnisse (Umweltsituation, Bau der Haupterschließungsstraße (1985) kommensgruppen von 10% auf Infrastrukturversorgung, baulich-räumliche und der praktisch vollständigen Verdichtung 12% bzw. von 42% auf 57% aus, Situation, Eigentumsverhältnisse). des bis dahin besiedelten Bereiches abge- zu Lasten der Mittelschicht mit ei- ner Verringerung von 45% auf schlossen. 25%. Der Anteil der Bevölkerung Darüber hinaus konnte während des ASA- - Die dritte Phase begann mit der „dèchou- im informellen Sektor wird derzeit Aufenthalts die soziale Organisation der Bevöl- kaj“3 eines angrenzenden Voodo-Tempels auf 60% geschätzt. 1988 lebten 61% der Haushalte in informellen kerung der Cité Jasmin beobachtet werden, und der anschließenden Bebauung dieses Siedlungen, die insgesamt 19% insbesondere die Aktivitäten der Bewohner- zum Besitz eines Großgrundbesitzers gehö- der Stadtfläche beanspruchen. Die organisation „Association des Jeunes de la renden Gebietes. In dieser Phase, die eine Bevölkerungsdichte ist dort mit 800 bis 1.700 EW/ha extrem hoch. Cité Jasmin“ (AJCJ), einer Organisation mit ei- weitere räumliche Ausdehnung der Cité Jas- (Capital Consult/Técina, Etude ner starken Verankerung im Viertel. Die Aktivi- min bis zu ihren heutigen Ausmaßen be- séctorielle sur le logement dans la täten der im Viertel agierenden externen Ak- inhaltete, war die Bautätigkeit am größten. région métropolitaine de Port-au- Prince, Rapport final, Vol. I/II: teure (staatliche Organisationen und NROs) Es wurden viele neue Häuser, fast alle aus UNDP, UNCHS/HABITAT, Projet wurden ebenfalls untersucht. Dadurch war Zementsteinen, gebaut. Daneben erfolgte in No. HAI/90/005, Appui au Secteur auch ein Einblick in die bisherige Infrastruktur- den anderen Bereichen die Konsolidierung des établissements humains et à und Stadterneuerungspolitik der Regierung von älteren Gebäuden. Am Ende dieser Pha- l’aménagement territorial en Haiti, Port-au-Prince, Juni 1993) möglich. Schließlich wurde ein eigener Ansatz se stand die Zerstörung des Straßenan- 2 zur Verbesserung der baulich-räumlichen und schlusses an das öffentliche Straßennetz Organisme de Surveillance et sozial-ökonomischen Situation der Bewohner durch den Hurrikan „Gordon“ im November d’Aménagement du Morne de l’Hôpital des Viertels erarbeitet. 1994. - In der aktuellen Phase ist die Situation in der linke Seite / Garküche an der Methodisches Vorgehen Cité Jasmin durch eine starke Nachfrage von Hauptstraße des Viertels Wohnraum aufgrund der günstigen Mieten Grundlage der Untersuchung waren auf- gekennzeichnet. Gleichzeitig sind u.a. die Die Cité Jasmin, Teilgebiet der grund mangelnder Literatur Interviews mit Ver- Kinder der Pioniere gezwungen, die Cité Phase 1 der Besiedelung tretern von NROs und staatlichen Stellen, die vor Ort tätig waren. Interviews mit zwei Vor- standsvertretern der Bewohnerorganisation AJCJ schlossen sich an. Dadurch wurde neben den eigenen Beobachtungen und der Samm- lung allgemeiner Informationen ein Überblick über die Siedlungsentwicklung sowie die sozio- ökonomischen Verhältnisse im Viertel gewon- nen. Anschließend wurden zusammen mit dem Vorstand der AJCJ in einer ersten Analyse die Hauptprobleme der Cité Jasmin zusammenge- stellt. Danach folgte die Phase der nicht reprä- sentativen Befragung einzelner Familien, die nach folgenden Kriterien ausgewählt wurden: - möglichst große Streuung in der Siedlung - Zuzugsdatum (Pioniere und neu Hinzugezo- gene) - Alters- und Familienstruktur - Wohnverhältnisse der betroffenen Haushalte (Zahl der bewohnten Räume) und baulicher Zustand der Häuser (verwendete Baumate- rialien) - Eigentumsverhältnisse (Hauseigentümer oder Mieter) sowie darüber hinausgehende sozio-ökonomische Faktoren wie äußerlich sichtbarer Lebensstandard.

T r i a l o g 5 9 / 1 9 9 8 21 Jasmin zu verlassen, da sie aufgrund der - das Scheitern einer geregelten Müll- und Ab- großen Verdichtung bei der Gründung von wasserentsorgung, was negative Auswirkun- Familien keinen geeigneten Wohnraum mehr gen auf die Hygiene und die Außenraum- finden. qualität hat.

Da eine weitere räumliche Ausdehnung nicht Insgesamt wurden bei der Analyse die mehr möglich ist, ist heute insgesamt eine Sta- schwierigen Lebensbedingungen in der Cité gnation zu verzeichnen, die vor allem auf den Jasmin deutlich, die dort z.T. aber nicht als sol- fehlenden Straßenanschluß zurückzuführen ist. che wahrgenommen werden. So werden die Zwar findet auch weiterhin eine Konsolidierung drei illegalen, von der öffentlichen Wasserver- der vorhandenen Bausubstanz statt, jedoch in sorgung abgezweigten Wasserstellen, die es einem viel geringeren Tempo und Ausmaß als für die ca. 6.000 Bewohner gibt, als ausrei- in der Phase zuvor. chend empfunden, da sie eine zumindest re- gelmäßige, ortsnahe Wasserversorgung ge- währleisten.

Im Vergleich vor allem zu den jüngeren „bidonvilles“, in denen die Lebensbedingungen und insbesondere der Zustand der Wohnge- bäude ungleich schlechter sind, sind die Be- wohner der Cité Jasmin nach fast 30 Jahren über den Zustand provisorischer Behausungen hinaus und befinden sich größtenteils in einer Phase der Umstellung der Baumaterialien von Holz auf Beton bzw. haben diese bereits vollzo- gen. Das setzt jedoch relativ stabile sozio-öko- nomische Verhältnisse voraus, die offensicht- Holzhaus in der Cité Jasmin Analyse der Hauptprobleme lich - wenn auch insbesondere im ökonomi- der Cité Jasmin schen Bereich auf niedrigem Niveau - gegeben sind. Als schwerwiegendstes Problem ragt die mangelhafte Infrastruktur heraus, die sich im Dieser Konsolidierungsprozeß birgt jedoch Vergleich zur Situation vor zehn Jahren z.T. so- auch Probleme in sich, da er in den letzten gar noch verschlechtert hat, wie Jahren mit einer erheblichen Verdichtung der - die unzureichende Verkehrserschließung des Cité verbunden war. Neben der baulich-räumli- Viertels (die Straße besteht praktisch nicht chen Verdichtung betrifft dies insbesondere die mehr, das Viertel ist nur noch zu Fuß zu er- Belegung der Gebäude. Der überwiegende Teil reichen), verbunden mit negativen Folgeer- der ausschließlich eingeschossigen Häuser scheinungen bzgl. der Einbindung in das verfügt lediglich über einen oder zwei Räume. gesamtstädtische Gefüge sowie für den öko- 73% aller Haushalte (mit durchschnittlich Konsolidierung eines Holzhau- nomischen und baulichen Bereich, sechs Mitgliedern) bewohnen nur einen Raum. ses durch den Bau eines Ge- - die nicht ausreichende Ausstattung mit den Auf Siedlungsebene liegt die durchschnittliche bäudes aus festen Baumate- erforderlichen Gesundheits-, Sozial- und Bil- Belegung pro Raum bei 4,3 Personen, d.h., je- rialien um das alte Gebäude dungseinrichtungen, wodurch sich die sozia- der Bewohner hat ca. 3 qm Wohnfläche zur herum len Probleme verschärfen, Verfügung. Für Ein-Raum-Haushalte liegt die- ser Wert bei 2,2 qm. Insgesamt wurden 304 Mieterhaushalte und 273 Eigentümerhaushalte gezählt. Festzustellen ist, daß die Wohnsitua- tion der Mieter bezüglich Wohnungsgröße und Zustand des Hauses erheblich schlechter als die der Hauseigentümer ist. So wohnen fast alle Mieterhaushalte, aber nur rund die Hälfte der Eigentümerhaushalte in einem Raum. Weit weniger als die Hälfte der Mieter, jedoch fast zwei Drittel der Eigentümer wohnen in Häusern aus Betonsteinen.

Die Folge der Verdichtung ist u.a., daß die Kinder von Pionieren gezwungen sind, das Viertel zu verlassen. Das bedeutet, daß sich der Druck auf die umliegenden Viertel bzw. die - die nicht weiter ausgebaute Strom- und Was- gesamte Stadt erhöht und auch die Gefahr ei- serversorgung, die für eine immer weiter ner weiteren Siedlungsausbreitung an den wachsende Bevölkerungszahl ausreichen Hängen des „Morne de l’Hôpital“. Die ökologi- muß, schen Folgen dieser raschen Ausdehnung sind

22 T r i a l o g 5 9 / 1 9 9 8 u.a. Abholzung und Bodenversiegelung. Die einzelnen behandelt werden. Am Beispiel der 3 daraus resultierende Erosion verursacht bei Elektrizitätsversorgung - 80% der Haushalte Dieses kreolische Wort bedeutet Entwurzelung. Darunter ist die heftigen Regenfällen häufig Überschwemmun- sind mit riskanten illegalen Anschlüssen ver- Plünderung von Häusern und Be- gen in der Stadtmitte. sorgt - läßt sich aber der vielleicht wichtigste sitzständen politischer Gegner zu Gedanke dieses Ansatzes verdeutlichen. An- verstehen, hier ehemaliger Regimeanhänger des 1986 ent- Der besondere Trumpf der Cité Jasmin ist genommen es würde von staatlicher Seite oder machteten Diktators Duvalier. Die- der hohe Organisierungsgrad ihrer Bevölke- von Hilfsorganisationen, also „von oben nach ses spontan oder organisiert auf- rung, den die Arbeit der Bewohnerorganisation unten“, eine gut funktionierende Stromversor- tretende Phänomen ist seit der AJCJ bewirkt hat. Dadurch besteht die Mög- gung im Viertel installiert: Viele Erfahrungen Kolonialzeit bekannt und war in den letzten 10 Jahren nach jedem lichkeit Interessen bestimmter zu vertreten so- weisen darauf hin, daß spätestens nach fünf politischen Umsturz zu beobach- wie gemeinschaftliche Projekte zu verwirkli- Jahren, vermutlich erheblich früher, die Anlage ten. chen, u.a. Gemeinschaftseinrichtungen sowie so weit „heruntergewirtschaftet“ wäre, daß ihr 4 Haiti hat seit dem Rücktritt des Mi- eine Verbesserung des öffentlichen Raums. Standard nicht wesentlich höher läge als der nisterpräsidenten und seines Kabi- Das ist umso wichtiger, als der Staat und die Standard der illegalen Anschlüsse heute. Da- netts im Juli 1997 seit über einem Kommunalverwaltung aufgrund politischer4, in- hinter steht folgender Grundsatz: Jedes von Jahr keine Regierung mehr. 5 stitutioneller und finanzieller Probleme prak- außen implementierte System mit hohem Stan- Die Erfahrungen, die wir als ASA- tisch nicht präsent sind. dard wird von den Nutzern stets wieder soweit Stipendiaten in der Cité Jasmin auf ein niedrigeres Niveau „herunterge- gemacht haben, führten zu der Gründung des Vereins Haiti- Gleichgültig welche Verbesserungsmaßnah- schraubt“, bis es den Ansprüchen der Men- Degage e.V. Dieser vermittelt seit men auch durchgeführt werden, sie werden im- schen vor Ort genügt. Alle Ansätze, die dies Oktober 1996 u.a. Schulpaten- mer mit einer Aufwertung des Viertels verbun- nicht berücksichtigen, gehen an der Realität schaften für 50 DM im Jahr, damit den sein und damit auch zu einem Anstieg der vorbei. ein von der AJCJ ausgewähltes Kind ein Jahr lang die Schule in Pachten und Mieten führen. Da die Höhe der der Cité Jasmin besuchen kann. Pacht keine so große Belastung darstellt, dürf- Wie könnte ein solcher Ablauf aber verhin- Die Eltern müssen für Aufnahme- ten vor allem die Eigentümer an der Aufwer- dert werden? Hier beginnt die eigentliche gebühren, Schuluniform und - material aufkommen. Die Kinder tung interessiert sein. Dagegen sind die Aus- Konzeptarbeit: mit den Bewohnern in kleinen leisten im Gegenzug zwei Stunden wirkungen auf Mieter ungleich schwerwiegen- Schritten - orientiert an dem, was sie selber wöchentlich soziale Arbeit im Vier- der, da sie gerade aufgrund der im Vergleich zu wollen - Verbesserungen zu initiieren und dann tel. Auf diese Vereinbarung hat die AJCJ Wert gelegt, um einer Ent- den umliegenden Vierteln geringeren Mieten in zu sehen, was als nächster Schritt möglich ist. wicklung zur Abhängigkeit und das Quartier gezogen sind. Sollte eine Anglei- Wir begeben uns dabei in einen langfristigen Passivität entgegenzuwirken. Wei- chung an die Mietpreise in der Umgebung er- Prozeß mit nicht unbedingt vorhersehbaren Lö- tere Informationen bei Haiti Dégagé e.V., c/o Schrader, reicht werden, so wäre ein Verdrängungs- sungen, die aus mitteleuropäischer Sicht viel- Sillemstr. 56, 20257 Hamburg, prozeß der Ärmeren die Folge. Das dürfte letzt- leicht äußerst unkonventionell anmuten mögen: Fon/Fax: 040/4918955. endlich auch Auswirkungen auf die derzeitige so z.B. der Idee, eine Straßenbeleuchtung im Gesellschaftsstruktur und vor allem den Zu- Viertel zu installieren, die von allen Bewohnern sammenhalt und die Identifizierung mit der Cité direkt angezapft werden kann. Jasmin haben. Die konkrete Umsetzung eines solchen Mo- Ein „bottom-up“-Konzept dells5 wird sicherlich Probleme mit sich brin- für die Cité Jasmin gen, die erst in der Praxis gelöst werden kön- nen. Es ist der Versuch, mehr Transparenz in Am Ende der Studie stand die Entwicklung die Stadterneuerungspolitik zu bringen. Bei eines Konzeptes mit dem Ziel, durch die Her- entsprechendem Erfolg wäre zu überlegen, wie ausarbeitung von flankierenden Maßnahmen diese lokalen Eigeninitativen langfristig in eine die schon ablaufenden Entwicklungsprozesse gesamtstädtische partizipative Organisations- und Ansätze der Selbstorganisation im Viertel struktur integriert werden könnten. Damit hät- zu lenken und zu verstärken und dadurch die ten die Betroffenen ein Mitspracherecht in der Eine der drei Wasserstellen Lebensverhältnisse der Bevölkerung zu ver- Stadterneuerung. Im Gegenzug hätten die zu- für ca. 6.000 Einwohner bessern. Dabei wurde, in bewußter Abgren- ständigen Behörden die Möglichkeit, diejenigen zung zu den derzeitigen staatlichen Konzep- Aufgaben besser wahrzunehmen, ohne dabei ten, eine stärkere Beteiligung der Betroffenen repressiv zu wirken, die sich z.Z. ihrem Einfluß an der Planung und bei der Durchführung der entziehen. Aber eine solche Diskussion steht in Jules-Edouard Jeannot, Dipl.- Ing. Städtebau/Stadtplanung Projekte angestrebt, um die Eigeninitiative der Haiti erst am Anfang. Sie müßte weitergeführt und Dipl.Ing. Architekt (FH), und Ronald Redeker, Dipl.- Bevölkerung zu fördern. Die aktive Mitarbeit werden und könnte vielleicht, angesichts des Ing. Stadt- und Regionalpla- nung und Dipl.Verw. (FH), wa- soll dazu führen, das Interesse und die Fähig- Scheiterns der bisherigen Konzepte, einen ren von Juli bis Oktober 1996 keit wachsen zu lassen, Agenten der Verände- grundsätzlichen Wandel in der Herangehens- als ASA-Stipendiaten in Haiti. Titel des Projekts: „Entwick- rung und nicht Empfänger einer externen Hilfe- weise an die städtischen Probleme in die Wege lung und Konsolidierung der Cité Jasmin in Port-au-Prince/ leistung zu sein. Dahinter steht die Hoffnung, leiten. Haiti“. Projektpartner war die Association des Jeunes de la daß sich die Menschen mehr mit dem identifi- Cité Jasmin, eine lokale Bewohnerorganisation zieren, was sie gemeinsam erreichen wollen, (Adresse: AJCJ, c/o Guibert Desmolières, Route des und selbst eine größere Verantwortung über- Dalles 182, Port-au-Prince, nehmen. Haiti WI). Weitere Infomationen bei den Autoren oder bei Haiti Dégagé e.V., c/o Schrader, Sillemstr. 56, 20257 Das im Rahmen des ASA-Projektes entwik- Hamburg, Fon/Fax: 040/ kelte „bottom-up“-Konzept kann hier nicht im 4918955.

T r i a l o g 5 9 / 1 9 9 8 23 Selbstorganisationsprozesse als Träger einer „Entwicklung von unten“ Das Beispiel der marginalisierten Stadtviertel von San Salvador

ULRICH WAGNER

Processes of Self- Im Rahmen unseres ASA-Aufenthaltes in El Beteiligungsformen näher ausgestaltet. Es war organisation in Marginalized Salvador im Sommer 1996 untersuchten wir unter der Bevölkerung ein offenes Geheimnis, Quarters of San Salvador die Organisationsstrukturen der Bevölkerung daß die Regierung sich weniger von selbstlo- von marginalisierten Stadtvierteln der Haupt- sen Motiven leiten ließ, sondern in der gesetzli- The Salvadorian Constitution stadt San Salvador. Wir gelangten zu der Er- chen Förderung von Organisationsformen (1983) and the Municipal Law kenntnis, daß diese Strukturen von elementa- auch ein Mittel der strategischen Kriegsführung form 1986 provide the legal rer Bedeutung im Entwicklungsprozeß sind. Je- sah. Auf diese Weise waren mehr und bessere background for a self- des Konzept zur Überwindung der Marginalität Informationen über die Bevölkerung vor Ort zu organisation in the marginalized quarters allowing der Bevölkerung muß sie berücksichtigen und erhalten. Diesen negativen „Beigeschmack“ the population to form local einbinden. Nur über die Partizipation der Bevöl- konnten die Partizipationsformen bis heute associations. The kerung erscheinen entwicklungspolitische Er- nicht ablegen. municipalities are supposed to folge möglich. Dies gilt gerade auch für planeri- promote and support these sche oder Bauvorhaben im Bereich der Stadt- Das CM enthält in Art. 2 eine Garantie bür- associations, but in reality they entwicklung, denn sie berühren das unmittelba- gerschaftlicher Beteiligung, die von der often try to prevent their re Lebensumfeld der Menschen. Wenn diese Gemeindeführung aktiv zu fördern ist. Die efforts for legalisation. In an dessen Gestaltung nicht mitwirken, sind Förderungspflicht bedeutet auch, daß die general assemblies the Mißerfolge vorprogrammiert. Gemeindeführung unterschiedliche inhabitants elect their own Organisations- und Beteiligungsformen akzep- “government”, the junta directiva. It represents the Wir werden im folgenden die Selbst- tieren muß. Das wichtigste Instrument für die quarter versus the local organisationsprozesse vor dem Hintergrund Marginalsiedlungen sind die asociaciones 1 government and the NGOs, unserer Erfahrungen in San Salvador be- comunales (Art. 118 CM). Es handelt sich um organises projects and schreiben und auf der Grundlage unserer Er- organisierte, dauerhafte Zusammenschlüsse activities and co-operates gebnisse Möglichkeiten und Grenzen von Bewohnern2 eines Stadtteils, einer colonia within the network of the partizipativer Ansätze in der Entwicklungs- oder sonstigen Gruppen mit mehr als 25 Per- Coordinador de comunidades zusammenarbeit diskutieren. Zunächst werden sonen. Sie verfügen gemäß Art. 119 CM über (CCC). Thus the self- gesetzliche Vorgaben und Spielräume der eine eigene Rechtspersönlichkeit. Das bedeu- organisation of the population Selbstorganisation in El Salvador dargelegt, tet, daß sie im Rechtsverkehr unter dem Na- of the marginalized quarters anschließend konkrete Beobachtungen und Er- men der Vereinigung auftreten und Rechtsge- has become the driving force of a “bottom-up” development. kenntnisse aus unserer Projektarbeit vorge- schäfte abschließen oder Fördergelder kanali- In a situation like in El Salva- stellt. Zum Schluß zeigen wir einige weiterfüh- sieren können. Auffallend ist, daß die Rechts- dor where the central rende Gedanken zur Gestaltung der persönlichkeit unabhängig von privatrechtli- government is not willing to Entwicklungszusammenarbeit an der Schwelle chen Belangen, im Falle von Marginal- promote the great majority of zum 21. Jahrhundert auf. siedlungen etwa Eigentums- und Besitzfragen, the population, there has to verliehen wird. Dies ist für die Siedlungen von evolve such a kind of Gesetzliche Formen der Selbst- großer Bedeutung, da ihre Bewohner überwie- “opposite social power”. The organisation gend nicht Eigentümer des Grund und Bodens motivation and self- sind. Asociaciones comunales verfügen nach consciousness of the people Die Selbstorganisation der Bevölkerung und dem Gesetz über umfangreiche Beteiligungs- deserve our respect, without them development is die Beteiligung organisierter Gruppen an der rechte. Sie beteiligen sich an der Diskussion impossible. Kommunalentwicklung wird durch die salvado- kommunaler Probleme oder Situationen und rianische Rechtsordnung begünstigt. So geht unterstützen die Gemeindeführung (consejo) die Verfassung von 1983 von einer weitreichen- bei der Suche nach Lösungen. Die Gemeinde- den politischen Beteiligung der organisierten führung hat sich gemäß Art. 124 CM regelmäs- Bevölkerung auf der Kommunalebene aus. Im sig und unaufgefordert mit den asociaciones código municipal (Gemeindegesetz, im folgen- comunales zu besprechen. Ein formelles den CM) aus dem Jahre 1986 wurden einzelne Stimmrecht ist dagegen nicht vorgesehen.

24 T r i a l o g 5 9 / 1 9 9 8 Eine asociación comunal muß ein Statut ha- ben, wobei gemäß Art. 120 CM weitreichende Gestaltungsfreiheiten bestehen. Beispielsweise können sich die Vereinigungen eigene Vorstel- lungen über ihren Namen, ihre Ziele, die geo- graphische Eingrenzung oder die Verwaltungs- und Führungsstruktur bilden. Auf diese Weise dienen die asociaciones comunales nicht nur zur Entfaltung politischer Mitspracherechte, sondern auch als Träger partizipativer Projekte Partizipatorische Slumsanie- der Stadtentwicklung. Das Statut wird zusam- rung in San Esteban, San Sal- men mit einem formellen Antrag auf Verleihung vador / Foto: Ulrich Wagner der Rechtspersönlichkeit beim Bürgermeister eingereicht. Nach positiver Prüfung beschließt in die Siedlungen geleitet werden. Dies könnte der Gemeinderat die Verleihung, die am Tag einer der Gründe für die Verabschiedung eines der Veröffentlichung der Statuten im Diario Gesetzes zur finanziellen Kontrolle der NROs Oficial (amtliches Gesetzblatt von El Salvador) Anfang 1997 gewesen sein, mit dem vorrangig in Kraft tritt. die versteckte Parteienfinanzierung der FMLN3 und verschiedentlich bekannt gewordene Geld- Rechtsordnung und Rechtswirklichkeit fallen wäscheaktivitäten der NROs bekämpft werden 1 allerdings stark auseinander. Von einer aktiven sollen. El Salvador ist seit 1823 unabhän- Förderung organisatorischer Zusammen- gig und das kleinste und am dich- schlüsse in den Marginalsiedlungen seitens Selbstorganisation in marginalisier- testen besiedelte Land Mittelameri- kas (knapp 6 Millionen Einwohner der alcaldía (Stadtverwaltung) kann keine ten Stadtvierteln von San Salvador auf einer Fläche, die ungefähr der Rede sein. Auch die kommunalen Beteiligungs- Größe des Bundeslandes Hessen möglichkeiten spielen für die organisierten Im Großraum San Salvador, der Area entspricht). Von 1980 bis 1992 wur- Siedlungen wegen fehlender Akzeptanz und Metropolitana de San Salvador (AMSS), lebt de das Land von einem Bürger- krieg zwischen der Regierungs- Förderung kaum eine Rolle. Für sie geht es über ein Viertel der Gesamtbevölkerung des armee und der linken Guerrilla-Be- hauptsächlich darum, ihre Siedlung zu „legali- Landes (ca. 1,5 Millionen Menschen). Nach wegung, die sich zur Frente sieren“, wie es im Sprachgebrauch heißt. Zwar verschiedenen Schätzungen gibt es ca. 300 bis Farabundo Martí para la Liberalización Nacional (FMLN) ist allen bewußt, daß mit der Verleihung der 350 Marginalsiedlungen in der AMSS, die hin- zusammengeschlossen hatte, zer- Rechtspersönlichkeit keine Übertragung des sichtlich ihrer Größe, ihres Entstehungsjahres, rissen. Die Friedensvereinba- Eigentums und rechtmäßigen Besitzes von ihrer demographischen Zusammensetzung, ih- rungen kamen auf Vermittlung der UNO zustande und sahen u.a. eine Grund und Boden verbunden ist, die Siedlun- rer Bebauung etc. sehr heterogen sind. Sie Agrarreform und eine Wiederein- gen werden jedoch in die Lage versetzt, mit ei- sind über die ganze Stadt verteilt zu finden, lie- gliederung der Streitkräfte und der ner Stimme zu sprechen, an in- und ausländi- gen häufig an Flußabhängen und erscheinen FMLN in das zivile und politische Leben vor. Bei den Kommunalwah- sche Projektmittel zu gelangen und ihrer Sied- einzeln betrachtet nicht so groß und gewaltig len im März 1997 gelang es der lung einen quasi-legitimatorischen Anstrich zu wie in anderen lateinamerikanischen Metropo- FMLN erstmals, den Bürgermeister verleihen, mit dem sie der Gefahr kurzfristiger len. der Hauptstadt San Salvador und Räumungsaktionen oder dergleichen begeg- anderer wichtiger Städte zu stellen. Bei den gleichzeitigen Parlaments- nen wollen. Natürlich war es uns im Rahmen unseres wahlen konnte sie die absolute Aufenthaltes nicht möglich, eine umfassende Mehrheit der rechtsgerichteten Re- Der verfassungsrechtliche Grundsatz der (in- Analyse aller Marginalsiedlungen durchzufüh- gierungspartei ARENA (Alianza Republicana Nacionalista) bre- formellen oder formellen) Vereinigungsfreiheit ren. Unsere Ergebnisse beruhen insofern auf chen. Im März 1999 stehen die ist für die Marginalsiedlungen insoweit von Be- eigenen Beobachtungen in den dreizehn von nächsten Präsidentschaftswahlen deutung, als sie sich einem Interessenverband uns besuchten Siedlungen, auf Gesprächen an. Die Verfassung stammt aus dem Jahr 1983 und sieht eine prä- ihrer Wahl anschließen können. In San Salva- mit deren Bewohnern, mit Vertretern von sidiale Republik mit starker Zen- dor existiert eine Vielzahl von Nichtregierungs- Basisorganisationen wie dem Consejo tralgewalt vor. organisationen (NROs), die sich im Bereich der Coordinador de Comunidades (CCC)4 und an- 2 Das im gesamten Verlauf des Arti- Stadt- und Kommunalentwicklung engagieren. deren staatlichen und nicht-staatlichen Institu- kels benutzte maskuline Ge- Einige dieser Organisationen sind nach dem tionen sowie auf vorhandenem Datenmaterial. schlecht bei Personen und Perso- verheerenden Erdbeben von 1986 entstanden, nengruppen ist rein grammatikali- die meisten jedoch im Zusammenhang mit In unserer Untersuchung gingen wir von der scher Art und schließt auch die fe- minine Form mit ein. dem Bürgerkrieg und der damit verbundenen Hypothese aus, daß Selbstorganisation der 3 Migration, die zu einer massiven Vermehrung Bevölkerung ein geeignetes und wirksames Frente Farabundo Martí para la der Marginalsiedlungen in der Hauptstadtzone Mittel zur Befreiung aus der Armut ist, welches Liberalización Nacional, ehemalige Guerrillaorganisation, die sich führte. Die Selbstorganisation in diesem Be- durch den zunehmenden Verlust der nach dem Ende des Bürgerkrieges reich wird vom Gesetz nicht geregelt und damit Steuerungskapazitäten der Kommunalverwal- 1992 als politische Partei konstitu- von seiten des Staates auch nicht unterstützt. tungen einen immer höheren Stellenwert bei iert hat. 4 Im Gegenteil sieht sich die Stadtverwaltung der Überwindung der Marginalität erlangt hat. Siehe auch den Beitrag von eher in einer Gegnerschaft oder im sozialen Zunächst ist festzuhalten, daß wir in allen Sied- Guadalupe Ortíz in diesem Heft Bereich zumindest in einer Konkurrenzsituation lungen mehr oder weniger stark ausgeprägte zu den Basisorganisationen. Insbesondere be- Organisationsstrukturen der Bevölkerung vor- trachtet sie die Praxis mit Mißtrauen, daß Gel- fanden, sich der oberflächliche Eindruck beim der unter Umgehung der städtischen Instanzen Blick auf eine solche Siedlung, die Menschen

T r i a l o g 5 9 / 1 9 9 8 25 würden dort eher unorganisiert nebeneinander Im Sinne einer nachhaltigen Stadtentwick- herleben, also nicht bestätigte. lung gebietet sich die Zusammenarbeit mit die- sen demokratisch legitimierten Vertretungen Die oben beschriebene Möglichkeit der „Le- der Siedlungen für jeden Eingriff von außen, galisierung“ als asociación comunal ist zwar in der die Belange der Bewohner berührt. Ein vielen Marginalsiedlungen ein wichtiges Ziel, Slumsanierungsprojekt kann darauf ebensowe- seine Realisierung scheitert aber meist schon nig verzichten wie ein Dezentralisierungsvor- im Ansatz am Widerstand der Stadtverwaltung. haben, ein Wohnungsbau- oder Stadtteil- Die Bildung der Organisationsstrukturen in den planungsprojekt so wenig wie ein Kreditpro- Siedlungen läuft insofern zwar vor dem Hinter- gramm im informellen Sektor, wenn sie langfri- grund der gesetzlichen Vorgaben ab, nutzt aber stig erfolgreich sein wollen. 5 deren weitgehenden Gestaltungsspielraum. Am 29.09.1996 wohnten wir der asamblea general der Siedlung Dennoch zeigen sich interessanterweise relativ Eine in vielerlei Hinsicht vorbildliche Organi- Corazón de María 2 bei, auf der große Übereinstimmungen untereinander, was sation fanden wir in der Siedlung Corazón de u.a. über die Fertigstellung des einerseits daran liegt, daß bestimmte vorhan- María 2 im Stadtteil Colonia Escalón vor. Es Gemeindehauses (der casa dene Strukturen in älteren Siedlungen von an- herrschte ein großes Gemeinschaftsgefühl, die comunal, bis dato eine halboffene Hütte mit kleinem Vorplatz) und deren übernommen werden, und andererseits engagierte junta directiva animierte die Bewoh- eine gemeinsame Säuberungsakti- daran, daß kleine basisorientierte NROs erfolg- ner zu gemeinsamen Aktionen, die immer wie- on in der Siedlung diskutiert wur- reiche Modelle transferieren und über gesetzli- der zu sichtbaren, wenn auch kleinen Fort- de. 6 6 che Möglichkeiten informieren. schritten im Zusammenleben führten. Auch Nur ein Beispiel ist die Betonie- gab es eine junta directiva juvenil, ein Präsidi- rung der Wege. Dadurch müssen Das Selbstorganisationssystem, das wir in um der Kinder und Jugendlichen, wodurch die- die Menschen in der Regenzeit nicht durch Schlamm waten, um seinen Grundzügen in allen Siedlungen vorfan- se früh an demokratische Strukturen herange- zu ihren Hütten zu gelangen. den, beruht auf einer funktionalen Aufgaben- führt wurden. Abgesandte der junta directiva 7 verteilung und kollektiven Entscheidungs- juvenil konnten an den Sitzungen „der Großen“ Programa de Renovación Urbana Integral (PRUI) findungsprozessen, die demokratischen Anfor- teilnehmen und wurden gehört. Leider erreich- 8 derungen im großen und ganzen gerecht wer- te uns dieses Jahr die Nachricht, daß die von Ungenauigkeiten bei der Auswahl den. Die asamblea general ist die Vollver- anderen Siedlungen als Musterbeispiel ange- der Zielgruppe hatten zur Folge, sammlung der Bewohner einer Siedlung, die sehenen Strukturen in Corazón de María 2 daß viele der Bewohner der neu- gebauten Wohnungen ihre monatli- sich zumeist alle ein bis zwei Wochen zusam- durch verschiedene personelle Veränderungen chen Raten nicht (mehr) zahlen menfindet. Das Stimmrecht wird entweder pro in der junta directiva zusammengebrochen konnten und vor dem Rausschmiß Kopf oder pro Familie ausgeübt. Es werden An- sind. Die neue Führung hat angesichts des standen. 9 gelegenheiten von allgemeinem Interesse be- mangelnden Willens der Regierung zur Dezen- Es wirkt wie ein schlechter Scherz, sprochen und beschlossen.5 Die asamblea tralisierung und der damit verbundenen Wider- wenn uns erzählt wird, daß wäh- general wählt ihr Präsidium, die junta directiva, stände auf gemeindlicher Ebene resigniert und rend des Bürgerkrieges in der comunidad La Montañona in der für ein bis zwei Jahre. Ihr gehören fünf bis zehn sich frustriert von der Zusammenarbeit mit Region Chalatenango 33 Familien Mitglieder an, die verschiedene Funktionen dem CCC abgewandt. Es kamen zwar immer lebten, um die sich zeitweilig 30 ausüben, zu denen die des Präsidenten, des wieder in- und ausländische Beobachter in die NROs kümmerten. Offenbar rei- sten die NRO-Vertreter jeweils mit Vizepräsidenten, des Schatzmeisters, des „Vorzeigesiedlung“, verließen sie anschließend eigenen Fahrzeugen an und arbei- síndico (rechtlicher Vertreter) und des Proto- aber auch wieder, ohne daß sich an der Situa- teten auf der Grundlage eigener kollführers zählen. Sie verwaltet die Beiträge tion der Bevölkerung etwas geändert hätte. An- Konzepte. Hier kann von einer Bil- dung wirksamer Gegenmächte der Familien, die für Gemeinschaftsaufgaben scheinend bestimmen jetzt Drogengeschäfte nicht die Rede sein. bestimmt sind. Die Mitglieder der junta directiva das Bild in Corazón de María 2; die bringen treffen sich mindestens einmal wöchentlich und wenigstens Geld in die Siedlung. repräsentieren die Siedlung sowohl nach innen als auch nach außen. Dieses Beispiel zeigt, wie labil Selbst- organisationsprozesse sein können. Jedes So entsenden sie beispielsweise aus ihrer Konzept oder Projekt, das die Verbesserung Mitte Abgesandte zu den wöchentlichen Ver- der Lebensbedingungen der marginalisierten Eingang zur Siedlung Corazon sammlungen des CCC, wo Kontakte zwischen Bevölkerung in den Städten der Dritten Welt de Maria 2 / Foto: Ulrich den Siedlungen hergestellt und ein gegenseiti- zum Ziel hat, sollte daher die vorhandenen Wagner ger Austausch gefördert wird. Strukturen der Selbstorganisation einzelner Marginalsiedlungen akzeptieren, stärken und in Planung und Umsetzung einbinden. Auf ihre Vernetzung über Basisorganisationen wie dem CCC kann und sollte dabei ebenfalls gebaut werden. Auch größere NROs, staatliche Institu- tionen und die internationale Entwicklungs- zusammenarbeit müssen mit ihren Projekten auf dieser Basis aufbauen, um erfolgreich zu sein. Auf Schwierigkeiten, die entstehen, wenn dies nicht in ausreichendem Maße geschieht, sind wir im Zusammenhang mit einem groß an- gelegten Stadtentwicklungsprojekt der Stadt- verwaltung von San Salvador und der Deut-

26 T r i a l o g 5 9 / 1 9 9 8 schen Gesellschaft für Technische Zusammen- von der „Bildung von Gegenmächten“ die Rede arbeit mbH (GTZ) gestoßen7, beim dem sich ist, wird häufig der Begriff der „Zivilgesell- Teile der „Begünstigten“ später über den Tisch schaft“ bemüht, die sich - vertreten durch gezogen fühlten.8 NROs - zu einem gleichberechtigten Mitspieler im staatlichen Machtgefüge entwickeln soll Zusammenfassend läßt sich sagen, daß wir (Stichwort: Global Governance). Wir können die eingangs aufgestellte Hypothese, daß uns angesichts unserer Erfahrungen aus den Selbstorganisation ein wichtiger Schritt zur Be- Siedlungen nur schwer vorstellen, was unter freiung aus der Armut sei, durch unsere Beob- „Zivilgesellschaft“ zu verstehen ist. Selbst die Wohnungsbau im Rahmen achtungen bestätigt sahen. Nur wer sich orga- Bevölkerungsstruktur innerhalb einer Siedlung des PRUI-Projektes, nisiert und solidarisiert, hat überhaupt eine ist so heterogen, daß eine NRO niemals eine Condominio Brasil / Foto: Chance, wahrgenommen zu werden. demokratische Legitimationsbasis hätte. Im Ulrich Wagner Kontext El Salvadors ist „Zivilgesellschaft“ ein Möglichkeiten und Grenzen einer idealisierendes Konstrukt, das letztlich nicht „Entwicklung von unten“ weiterhilft.

Die Selbstorganisation der Bevölkerung in Auch ohne den Begriff der „Zivilgesellschaft“ den Marginalsiedlungen von San Salvador ist zu bemühen, sehen wir in der Förderung von Literatur Ausdruck des Bestrebens, angesichts der Ohn- Selbstorganisationsstrukturen der armen Be- Ricardo Cordova Macias und macht und der mangelnden Steuerungs- völkerungsschichten eine der großen Zukunft- Hilda Caldera: Centroamérica. fähigkeit des Zentralstaates die Geschicke in saufgaben der Entwicklungspolitik. Entschei- Gobierno Local y participación die eigenen Hände zu nehmen. Zwar hat die dend ist, daß sich ihr Schwerpunkt von einer ciudadana. Parte No. 4: El Salva- dor, San Salvador: Imprenta Distanzierung des Staates von sozialen Belan- unkoordinierten Einzelprojektarbeit weg- Criterio, 1996 gen in El Salvador Tradition, doch ist der Staat bewegt, um „das Ganze“ in den Blick zu be- Eckhard Deutsche, Uwe Holtz heute angesichts einer stark ausgeprägten kommen.9 und Roland Röscheisen (Hrsg.): neoliberalen Globalisierungspolitik weniger Zukunftsfähige Entwicklungspolitik. Standpunkte und Strategien, Bad denn je willens und in der Lage, seiner verfas- Bezogen auf Projekte der Stadtentwicklung Honnef: Horlemann, 1998 sungsrechtlichen Sozialfürsorgepflicht nachzu- bedeuten die vorstehenden Ausführungen fol- GTZ: Renovación Urbana Integral. kommen. Der „Staat als Entwicklungsmotor“, in gendes: Einzelinteressen der Planer oder ein- Asistencia a un Programa den 60er Jahren noch die leitbildhafte Vorstel- zelner Bewohner müssen zwar berücksichtigt, Municipal de Mejoramiento Barrial lung der lateinamerikanischen Regierungen dürfen jedoch nicht verabsolutiert werden. (PRUI - AMSS), San Salvador: von der Steuerung der Gesellschaft und ihrer Stadtentwicklungsprojekte „am Reißbrett“ ha- (Eigenverlag), Mai 1994 Ziele, ist zugunsten einer Politik des staatli- ben sich in den meisten Fällen als nicht FUNDASAL: 1994/1995 Carta Urbana, 1. Auflage, San Salvador: chen Rückzugs aus allen gesellschaftlichen zukunftsfähig („nachhaltig“) erwiesen. Am Unidad de Planificación y Bereichen, einschließlich der Wirtschaft, gewi- Ende ist es die Zielgruppe eines Stadtentwick- Estudios, 1996 chen. lungsprojekts, die in den Siedlungen lebt. Des- FUNDE (Hrsg.): Desarrollo Regio- halb sind ihre Interessen vorrangig zu berück- nal/Local en El Salvador. Reto Entwicklungsimpulse „von oben“ bleiben zu- sichtigen, auch wenn sie unter idealplaneri- Estratégico del Siglo XXI, 1. Aufla- ge, San Salvador: Algier’s nehmend aus. Gerade in diesem Umstand lie- schen Gesichtspunkten nicht die beste Lö- Impresores, August 1997 gen jedoch beträchtliche Chancen für die ar- sungsmöglichkeit darstellen. Die armen Bevöl- Mario Lungo Uclés und Francis- men Bevölkerungsschichten, ihr Konzept einer kerungsschichten sind heute mehr denn je co Oporto: Area Metropolitana de „Entwicklung von unten“ zu verfolgen. Daß sie Subjekte der Entwicklung und nicht Objekte ei- San Salvador. Estadísticas diese Chance ergreifen, konnten wir in den ner zwar gut gemeinten, aber im Ergebnis kon- Básicas, San Salvador: Flacso/ Proyecto El Salvador, Februar Siedlungen eindrucksvoll erleben, wenn auch struktivistischen Entwicklungsplanung. Aktive 1994 die materiellen und finanziellen Möglichkeiten Teilhabe in einem demokratischen System Mario Lungo Uclés: Una sehr bescheiden und die politischen Einfluß- heißt aber, daß sich diese Interessen organi- Alternativa para San Salvador, möglichkeiten (noch) gering sind. Oft hörten wir sieren und artikulieren müssen. Auf diese Wei- San Salvador: Flacso/Proyecto El die Aussage von Siedlungsbewohnern, es sei se wandelt sich die Rolle eines Projektleiters, Salvador, April 1994 ihnen im Krieg materiell besser gegangen und der seinen Arbeitsschwerpunkt mehr auf die Victor Antonio Orellana: El Sal- vador. Políticas de descentrali- sie hätten weniger Angst gehabt als heute. Al- Koordination organisierter Interessen richten zación y capacidades de gestión lerdings kann von durchgreifender Resignation muß. Dabei geht es nicht nur um die Vermitt- administrativa y financiera de las oder einem bloßen Lamentieren über die Zu- lung zwischen Interessen von Bewohnern, son- municipalidades, San Salvador: stände nicht die Rede sein. Im Gegenteil, die dern vor allem auch um eine bessere Koordi- Imprenta Criterio, Oktober 1997 Menschen sind motiviert, sich selbst zum Sub- nation der Konzepte von NROs, die sich im jekt ihrer eigenen Entwicklung zu machen. Vor- Projektumfeld engagieren. Dies ist ein Prozeß, Klaus Sakowski, Rechtsan- aussetzung ist allerdings ein ausreichender der viel Zeit in Anspruch nimmt, dessen Erfolg walt aus Steinheim, und Ul- Organisationsgrad sowie stabile und funktio- man nicht immer messen (und deshalb schwe- rich Wagner, Student der Volkswirtschaftslehre aus nierende Strukturen, um eine wirksame rer gegenüber Geldgebern rechtfertigen) kann Berlin, waren von Juli bis Ok- tober 1996 in El Salvador. Der „Gegenmacht“ zum Zentralstaat bilden zu kön- und der aus entwicklungsplanerischer Sicht Titel des Projektes lautete „Untersuchung der Organisa- nen. Auf diese Weise könnten sich die Selbst- gelegentlich nur zu zweitbesten Lösungen tionsstrukturen in marginali- sierten Stadtvierteln von San organisationsbestrebungen in den Marginal- führt. Dennoch verdient die Motivation und das Salvador, El Salvador“. Partnerorganisation war der siedlungen zu einem wirkungsvollen Selbstbewußtsein der Menschen in den Consejo Coordinador de Entwicklungsinstrument herausbilden. Marginalsiedlungen den größten Respekt. Comunidades (Adresse: CCC, 5a Calle Pte 316, San Salva- Ohne sie ist „Entwicklung“ in einem richtig ver- dor, El Salvador, C.A., Tel./ Fax: 503-221 53 98). Soweit im entwicklungspolitischen Kontext standenen Sinne heute nicht mehr denkbar.

T r i a l o g 5 9 / 1 9 9 8 27 Im langen Schatten des Krieges Maputo auf dem Weg zu einer „normalen“ Stadt des Südens

FRANK ECKARDT

Maputo on its way to a Anflug auf Maputo: eine afrikanische Stadt le in den dreißiger Jahren anhand der industri- ”normal” city of the South am Indischen Ozean samt Hochhaus-Silhouet- ellen Urbanisierung der USA theoretisch aus- te. Wären die Wracks der Schiffe und die gearbeitet haben, wurde auch durch den Bür- After the Portuguese palhotas beim Landeanflug nicht ins Sichtfeld gerkrieg nicht in Frage gestellt, schließlich wa- colonisation and the following geraten, hätte sich der Betrachter an den Great ren die Bewohner an der Peripherie von Mapu- socialist experiments Maputo, Lake versetzt fühlen können. Maputos Baixa to die am meisten bedrohten. the capital of Mozambique, is knüpft in der Tat an die Stadtarchitektur der facing another important Moderne an. Aus der Nähe betrachtet zeigt die Schon die Projekte der fünfziger Jahren wa- transformation. With the introduction of a market Skyline aber das Mißlingen dieses Vorhabens. ren diesen Vorstellungen gefolgt und hatten die economy the urban War das Hochhaus in den Industrieländern die Anlage der Industriezonen von Matola und agglomeration is increasingly mechanisierte Lösung der Zuteilung des ver- Machava mit sich gebracht. Nach den damali- falling apart into a modern knappten Gutes „Wohnfläche“, so entpuppt gen Vorstellungen sollte dort die Produktion ”concrete city” on the one and sich dieses vertikale Einpferchen der Men- oder Verarbeitung von Nahrungsmitteln, Klei- an underprivileged schen in Mosambiks Hauptstadt als karikiertes dung, metallurgischen Erzeugnissen und Ze- agglomeration of primitive Glaubenssymbol einer nachholenden Entwick- ment erfolgen. Die Produkte kamen in erster Li- ”straw huts” on the other hand. lung. Die ökonomische Vergewaltigung durch nie einer kleinen Schicht von Käufern zu gute. Maputo is attracting more and eine forcierte Industrialisierung seitens des fa- Dies waren zumeist die portugiesischen oder more people from the rural schistischen portugiesischen estado novo und asiatischen Stadtbewohner. Die ansässigen areas although the living conditions in the marginalized das sozialistische Ostblock-Plagiatentum ha- Mosambikaner profitierten durch die geschaffe- quarters deteriorate ben heute nur verlassene Firmenflächen und nen Arbeitsplätze in gewissem Umfang aber constantly. The basic vor sich dahin schimmelnde Wohnblöcke hin- auch davon. Das führte zu einer ersten Welle infrastructure is missing and terlassen - und damit eine Stadt, die versucht der Land-Stadt-Flucht, wie sie nun wiederum land is getting increasingly hat, fremde Träume zu realisieren, dabei aber im vollen Umfang einsetzt. scarce. With the introduction immer mehr zu einem Alptraum wird, den an- of land ownership by the natio- dere afrikanische Großstädte von Lagos bis Für die Entwicklung der Stadt hatte dies bis nal government of the former Johannesburg heute bereits erleben. 1975 zur Konsequenz, daß sich der Bereich socialist republic further L. Marques modernisierte, d.h., der alten Duali- problems have been created Zementierte Verhältnisse tät von Unter- und Oberstadt (Baixa und Alta) with the result that new inhabitants some times have folgte eine Transformation der städtischen Geo- more rights than established Die Einführung der Marktwirtschaft hat Ma- graphie durch eine Reihe von neuen orthogo- homeowners. puto in einen beschleunigten Transformations- nalen Straßenverläufen. Damit entstand auch prozeß hineingezogen. Während des Bürger- ein Wasserbedürfnis, dem die Stadt heute nicht kriegs suchten hier viele Menschen Zuflucht mehr nachkommen kann. Mit der Wasserver- vor der Gewalt. Große Gruppen von Flüchtlin- sorgung für die moderne Oberstadt, die weder gen wurden danach mit Hilfe internationaler Zugang zu Brunnen, wie die canico-Vorstädte, Organisationen in ihre ursprünglichen noch Wassertanks auf dem Dach, wie die Herkunftsregionen repatriiert. Trotz der schwie- Summershield-Villen, hat, ist die Stadt absolut rigen Kriegsumstände haben sich das Bild der überfordert. Stadt und die Art der Stadtentwicklung nicht grundlegend verändert. Nach den klassischen Eine neue Zweiteilung in eine cidade Paradigmen der Moderne wächst eine Stadt in cemento und eine „Strohhütten-Stadt“ verfe- konzentrischen Kreisen von innen nach außen; stigt die Illusion einer Annäherung an europäi- dabei „sickern“ die sozialen Errungenschaften sche Urbanität. Mit der Ausbreitung der in gleicher Weise von den reichsten zu den „Zementstadt“ entlang der heutigen Avenidas ärmsten Wohngebieten durch. Dieses Stadt- Karl Marx, Lenine, Angola, Xipamanine, verständnis, das Park und die Chicagoer Schu- Trabalho und OAU geht ein Verdrängungs-

28 T r i a l o g 5 9 / 1 9 9 8 prozeß einher, der zur Vertreibung der Ärmsten fentliche Ämter und ausländische NGOs ver- an die Grenzen der Stadt führt. Für diese erge- deutlichen durch ihre sichtbare Anwesenheit ben sich weitere Nachteile aus ungünstigen zugleich die Unmöglichkeit, mit diesen die ei- natürlichen Umständen: An erster Stelle ist hier genen Bedürfnisse nach formalisierter Arbeit, die Bodenerosion zu nennen. In Ost-West- Bildung, Wohnung, Hygiene und Gesundheit Richtung, der Lage der Stadt entsprechend, verwirklichen zu können. Jedes Jahr kommen links / Die Skyline von Maputo siedeln sich die Canico-Bewohner in einem mehr Menschen nach Maputo. Die Zahl der tat- / Foto: Eckardt Umkreis von acht Kilometern so dicht wie mög- sächlichen Einwohner dieser Metropole läßt lich an die „Zementstadt“ an. Dies hat zur Kon- sich, trotz aller statistischen Bemühungen, nur sequenz, daß kein geeignetes Abwasser- schätzen. Die Bevölkerung Maputos hat sich system für die heftigen Monsunregen angelegt innerhalb von fünfzig Jahren verfünffacht und werden konnte. Die plötzlich einsetzenden Re- in den neunziger Jahren die Millionengrenze gen können daher in nur wenigen Stunden überschritten - und dies, obwohl die nationale ganze Häuser abtragen. Zusätzlich sind die Wachstumsrate im gleichen Zeitraum eher ab- Böden stark ausgelaugt, da die Bewohner im genommen hat. Louis Cabral. Der Friedhof als Laufe der De-Industralisierung nach Einfüh- Spiel- und Wohnraum rung der Marktwirtschaft immer mehr auf eine Subsistenzwirtschaft angewiesen sind und die seit den sechziger Jahren vorhandenen machambas (Gärten) intensiv nutzen. Durch den gleichfalls zunehmenden Autoverkehr, den eine Stadt der Moderne mit sich bringt, entste- hen den Vorstadtbewohnern weitere Nachteile. Da die Straßen ihrer Viertel nicht asphaltiert sind, wirbeln bremsende und startende Reifen riesige Staubwolken auf, die nicht nur die Luft- verschmutzung zu einem ernsten Problem wer- den lassen, sondern auch den Erosionsprozeß anheizen.

Endstation Vorstadt

„Nein, uns geht es nicht gut“, gesteht die stolze Fernanda Chiliane. Sie sei alt und habe nach ihrem Heimatdorf Sehnsucht. Im Vale do Influene lebt sie nun mit ihrer jüngeren Schwe- ster in einer bescheidenen Hütte. Viele andere Flüchtlinge haben der Stadt den Rücken ge- kehrt, doch die beiden Kriegswitwen entschlos- sen sich zu bleiben. Ihre Hoffnung, das biß- Lebensnotwendige Erreichbarkeit chen ersparte Geld werde ihnen im Alter hel- fen, in Maputo medizinische Hilfe in Anspruch Maputo implodiert. War die räumliche Ord- nehmen zu können, hat sich durch die Inflation nung während der Kolonialzeit zum Teil mit Ge- zerschlagen. Nun leben sie zwischen der Aus- walt durchgesetzt worden, so entwickelt sich fallstraße nach Matola und einer Kloake, die nun ein Bedürfnis nach Neuordnung der Stadt, ehemals aus Inhambane stammende Fischer ohne daß sich dieses bisher politisch artikuliert zum Abstellen ihrer spärlichen Boote benutzen. hat. Die vom Teufelskreislauf der urbanen Ar- Mücken tanzen auf dem stehenden Wasser, mut Betroffenen nutzen ihre einzige Chance, der Lärm der Autos ist ohrenbetäubend und um soziales Kapital zu akkumulieren: die Tätig- der Weg zu den Krankenhäusern, die der keit in der informellen Ökonomie. Doch auch Grund für den Verbleib der Schwestern gewe- hier bleibt die „Hoffnung Stadt“ nur der An- sen sind, erscheint Fernanda unendlich weit. knüpfungspunkt für eine Überlebensstrategie „Aber es ist trotzdem besser hier. Zumindest des Einzelnen. Wochentags fährt man mit dem haben wir die Stadt in der Nähe.“ Bus in die Baixa und breitet die selbst produ- zierten Tomaten, Salate oder anderes Gemüse In der Stadt zu sein bleibt also ein Wert an aus den machambas aus; sonntags ruht man sich, selbst wenn sich die Versprechungen sich davon vor der heimischen Hütte aus. An- nicht erfüllen. Doch das muß nicht für alle so dere nutzen die dezentralisierten Märkte, die sein. Durch Maputos „Wasserkopf“-Funktion ist sich in allen Stadtteilen etabliert haben. Für auch realiter eine enorme Anziehungskraft der beide ist die Erreichbarkeit durch die potentiel- Hauptstadt festzustellen. „Brückenköpfe“ für die len Kunden lebensnotwendig. Daher siedeln Zuwanderung nach Maputo bilden die Hütten sich die Verkäufer, die mehr als Nahrungsmit- der Verwandten in der Canico-Stadt. Doch hier tel, wie z.B. Möbel, anbieten, auch dort an, wo erfolgt die Ernüchterung. Universität, höhere sie per Auto oder Bus zu erreichen sind. Schulen, Hotels, Banken, Krankenhäuser, öf-

T r i a l o g 5 9 / 1 9 9 8 29 Die Transportwege sind die Adern einer pul- cher Schulgelder, die beim Wechsel in eine der sierenden Stadt, deren Zugänglichkeit die Teil- nähergelegenen Schulen fällig wären, kann in habe an der städtischen Versorgung regelt. Je der Regel nicht geleistet werden; eine eigene weiter man vom Zentrum entfernt wohnt und je Schule steht in Zimpeto als Bauruine unvollen- länger die Anfahrtswege werden, desto det herum. Ähnlich sieht die veränderte Er- schwieriger ist es für die Kinder, eine Schulbil- reichbarkeit des zentralen Krankenhauses in dung zu erhalten, und für die Erwachsenen, ei- Maputo aus. Der Wunsch nach einer eigenen ner Arbeit, z. B. in den reicheren Haushalten Gesundheitsstation direkt in Zimpeto steht des- von Sommershield, nachzugehen. Dieser Pro- halb ganz oben auf der Wunschliste aller Be- blematik ist sich die Stadtverwaltung durchaus wohner.

Politik gefragt

Aber nicht nur die Sicherstellung von Infra- struktur darf als eine stadtpolitische Aufgabe angesehen werden. Auch der Umsiedlungsvor- gang selbst sollte politisch kontrolliert werden. So wurde in den uns bekannten Fällen den einzelnen Unternehmen die Bemessung und Auszahlung der Entschädigungsbeträge über- lassen. Hierbei erweist sich die oftmals unge- klärte Eigentumsfrage, bedingt durch die illega- le oder nur mündlich seitens des örtlichen grupo dinamizador autorisierte Niederlassung von Neuankömmlingen, als großes Problem. Der Preisbildung für den Umzug sind die Be- troffenen im Grunde wehrlos ausgesetzt. Will- kür und cabretismo (Korruption) stehen dabei auf der Tagesordnung, da es keine politische Partizipation, keine Kontroll- und Beschwerde- bewußt. Ihr Plan, „in die Vorstädte zu sprin- instanzen gibt. „Ich verstehe die Frage nicht“, Der Vorort Zimpeto - Endstati- gen“, kann deshalb auch nur gelingen, wenn antworten dementsprechend viele der Umge- on für die Umgesiedelten. Viel damit eine Verlagerung der infrastrukturellen siedelten überrascht auf die Frage, ob ihre Zu- Platz, aber wenig Infrastruktur Maßnahmen an die Peripherie und ein Ausbau stimmung zum Umsiedlungsvorhaben von den / Foto: Eckardt des öffentlichen Personennahverkehrs auf den Verantwortlichen eingeholt worden sei. So ist nach außen führenden Achsen erfolgt. es auch nicht verwunderlich, daß Betroffenen in gleicher Ausgangslage unterschiedlich viel Will man die durch die Überbevölkerung ein- ausgezahlt wurde und ihnen die verschieden- zelner Stadtteile entstandenen Probleme - wo- sten Abzüge für den Neuerwerb des ursprüng- für die nun seit Jahren andauernde Besetzung lich als kostenlos versprochenen Grundstück des Friedhofes in Luis Cabral durch mehr als aufgebürdet wurden. Zimpeto wird so für man- tausend Menschen das eindringlichste Alarm- chen zu einem Alptraum: Von den Alteingeses- signal ist - durch Umsiedlungsmaßnahmen lö- senen wenig freundlich begrüßt - für manche sen, so ist politisch noch mehr gefordert. Es sind sie nur Diebe -, erhalten die Neusiedler reicht nicht, einen möglichen Investor zu fin- die am weitesten von der an der Avenida de den, der das Gelände in geeigneter Form über- Mocambique befindlichen Bushaltestelle abge- nehmen will und die Umsiedlungsmaßnahme legenen Wohngelegenheiten. Auch die Versor- finanziert. Sicherlich mag in der wirtschaftli- gung mit Elektrizität und Kanalisation bleibt auf chen Misere der Stadt dieses vielen bereits als die nahe der Avenida gelegenen Behausungen gelungen erscheinen. Doch unsere Untersu- begrenzt. chungen, etwa am Beispiel der durch die däni- sche Firma ADPP durchgeführten Um- In Zimpeto müssen die Zugezogenen also siedlungsmaßnahme von Polana Canico A schlechtere Lebensumstände hinnehmen und nach Zimpeto, zeigen, daß sich die Politik zu darüber hinaus noch innerhalb von drei Mona- früh von ihrer Verantwortung für die Umgesie- ten eine gewissen Minimalstandards entspre- delten verabschiedet hat. Richtigerweise haben chende Hütte errichten, was die Betroffenen die Verantwortlichen angeregt, die Fahrpläne meist überfordert. Statt also Zeit zu haben, des ÖPNV so zu gestalten, daß die Busse nun langsam Geld anzusparen und eine stabilere Frank Eckardt, Student der Politikwissenschaften an der wieder nach Zimpeto fahren, damit die Benut- Behausung aufzubauen, müssen sie das drin- Gesamthochschule Kassel, und Frank Dubert, Student zung der mindestens doppelt so teueren priva- gend benötigte Geld für ein Provisorium aus- der Verwaltungswissen- schaften in Konstanz, waren ten Sammeltaxis nicht erforderlich ist. In der geben, um von hier nicht wieder vollkommen von Juli bis November 1996 Praxis hat sich dieses allerdings als nicht aus- mittellos - und dann auch noch obdachlos - in Maputo. Der Titel des Pro- jekts lautete: „Umsiedlungs- reichend erwiesen. Viele Kinder der Umgesie- vertrieben zu werden. maßnahmen in Maputo“. Projektträger war die Univer- delten können nicht mehr in ihre ehemalige sität E. Mondlane in Maputo. Grundschule gehen; die Entrichtung zusätzli-

30 T r i a l o g 5 9 / 1 9 9 8 Local Self-Reliance im Kontext der Dezentralisierung in Ghana Selbsthilfemodelle in der Wasser- versorgung ländlicher Kommunen

BENEDIKT KORF

„Dezentralisierung“ als Schlagwort wurde in Fähigkeiten meistens unterschätzt werden, Decentralisation and Local der Politik Ghanas eigentlich von jeder Regie- sondern der Staatselite selbst. Self-reliance in Rural rung seit der Unabhängigkeit des Landes als Communities in Ghana politische Zielsetzung postuliert. Unter diesem Als weiteres Hemmnis steht der urban bias Begriff wurden ganz unterschiedliche Konzepte vieler Verwaltungsangestellter und Politiker ei- Decentralisation has been a einer Strukturierung der Verwaltungs- ner wirklichen Dezentralisierung entgegen. key word in Ghanaian politics institutionen des Landes subsumiert. Es stellt Entwicklungsprogramme konzentrieren sich since Ghana became inde- pendent in 1957. Under the sich die Frage, inwieweit mit diesen Program- häufig auf die städtischen Zentren und ver- presidency of men wirklich Entscheidungskompetenzen und nachlässigen deren Umland sowie den ländli- administrative responsibilities damit Macht von der Zentralregierung auf unte- chen Raum. Im Bereich der Wasserversorgung were transferred from central re Verwaltungsinstanzen übertragen wurden. werden in Ghana mit Unterstützung bi- und government to the district Insbesondere die Partizipation der Bevölke- multilateraler Geber umfangreiche Infrastruk- assemblies by the Local rung auf lokaler Ebene und ihr empowerment turprogramme zur Sanierung der Wasserver- Government Act of 1988. The zu eigenständiger Problemlösungskompetenz sorgung der Distrikthauptstädte durchgeführt. author discusses the blieben in vielen Fällen unzureichend, wie Im Distrikt Sunyani in der Region Brong Ahafo consequences of the nachfolgendes Fallbeispiel aus Westghana be- in Westghana werden im Rahmen des Water decentralisation programme legen soll. Sector Rehabilitation Project das Wasserver- for two villages at the outskirts of the town of Sunyani sorgungsnetz und die Wasseraufbereitungsan- 2 considering their particular Die bisherige Dezentralisierungs- lage am Fluß Tano saniert. Dieses Programm problems with the politik erstreckt sich jedoch nur auf die unmittelbar management of water supply angrenzenden und an das Wasserver- facilities. In both of the villages Unter der Regierung von J.J. Rawlings wurde sorgungsnetz angeschlossenen Kommunen. the community was unable to ein umfangreiches Dezentralisierungs- Viele ländliche Kommunen in diesem Distrikt maintain the boreholes and to programm in die Wege geleitet, das eine werden von keinem Entwicklungsprogramm raise funds for repair works. Gebietsreform, die Stärkung lokaler politischer abgedeckt und bleiben auf die Unterstützung As a consequence, the wells Institutionen und die Dekonzentration der Ver- kirchlicher NGOs oder den guten Willen der broke down forcing the waltung umfassen sollte. 1988 wurden im Local Distriktverwaltung angewiesen. Letztere wie- population to return to traditional water sources like Government Act den neu zugeschnittenen Di- derum verteilt die wenigen ihr zur Verfügung small streams and ponds. The strikten weitergehende Aufgaben übertragen. stehenden finanziellen und technischen Mittel raising and management of Ayee (1994) merkt in diesem Zusammenhang oft nach politischem Gutdünken. financial means proved to be allerdings zu Recht kritisch an, daß in einer Si- particularly delicate because tuation, in der eine Zentralregierung ein Neue Modelle der Selbsthilfe in der of misuse of funds in former Dezentralisierungsprogramm durchführt, „der ländlichen Regionalentwicklung times. Household interviews Grad und die Form der Dezentralisierung auf revealed that women prefer to das beschränkt wird, was denen, die an der In neueren Selbsthilfeansätzen wird der use the traditional water Macht sind, als akzeptabel erscheint und ihre Förderschwerpunkt auf die Mikroebene der sources as soon as they have Existenz nicht bedroht“.1 Dörfer gelegt. Rauch (1997) hat ein Modell der to pay for water at the well. Only in the dry season, when ländlichen Regionalentwicklung konzipiert, das these sources fall dry, they Grundsätzlich ist auch heute noch eine tiefe sowohl Selbsthilfeorganisationen auf Dorf- return to the village wells. The Kluft zwischen Verwaltern und Verwalteten - ebene als auch privates Unternehmertum, lo- author therefore suggests zwischen Bürokratie und Bevölkerung - zu er- kale und regionale NGOs und die öffentliche introducing a general water kennen. Vielfach wird den locals mit einem „we Verwaltung in Programme integriert, da jedem fee for every household have to educate people“ immer noch jegliche dieser Akteure eine spezifische Aufgabe zu- instead of charging every Kompetenz abgesprochen. Streng betrachtet kommt. Dieser „institutionelle Pluralismus“ hebt bucket of water at the handelt es sich hier aber nicht um Ignoranz der das staatliche Monopol auf, das bislang borehole, because this is betroffenen Bevölkerung, deren Wissen und Entwicklungsanstrengungen eher blockiert als easier to handle and to

T r i a l o g 5 9 / 1 9 9 8 31 control. Any new model of community participation, however, can hardly be implemented successfully by outside experts. Their role should be that of advisers rat- her than project managers, whereas the villagers themselves should decide about the most appropriate management system for their particular village.

Selbsthilfemodell der ländli- chen Entwicklung nach Rauch (1997)

1 Joseph R.A. Ayee: An Anatomy of Public Policy Implementation. Case of Decentralisation Policies in Gha- na, Aldershot 1994, S. 212 2 , Ministry of Local Government and Rural Development: Preparation of Development Plans and gefördert hat. Der Staat konzentriert sich auf und werden dabei von den Entwicklungs- Infrastructure Programmes in seine Kernaufgaben und wird dadurch gleich- programmen lediglich unterstützt. Durch diesen Selected Towns. Final Report Vol. zeitig entlastet und gestärkt.3 Ansatz erhofft man sich ein langfristiges orga- 2: Sunyani, Accra. Außerdem: Gha- na Water and Sewage Corporation nisatorisches Engagement der Betroffenen, um (GWSC): Water Sector Rehabilita- Als Philosophie hinter diesem Selbsthilfe- die Nachhaltigkeit im Betrieb technischer Anla- tion Project Area A. Planning Re- modell steht das Konzept der self-reliance: gen zu erhöhen. port, Sunyani 1992 3 Übertragen auf die Ebene des Dorfes meint Vgl. T. Rauch: „Ländliche Regional- dies eine möglichst weitreichende Unabhän- Gründe für mangelnde Partizipation entwicklung“, in: M. Schulz (Hrsg.), gigkeit dörflicher Strukturen von der Unterstüt- Entwicklung - Die Perspektive der Entwicklungssoziologie, Westdeut- zung durch externe Organisationen. Erfahrungen in der Entwicklungspraxis ha- scher Verlag: Opladen 1997, S. Partizipative Infrastrukturprojekte sind durch ben gezeigt, daß in vielen Projekten die 357-383 die drei Schlagworte sense of ownership, Nutzergruppen eines Projektes nur schwer zu 4 responsible use und sustainability geprägt. Da- einer Eigenbeteiligung zu animieren sind. Die G. Braun: „Vom Mythos des Tradi- tionalismus“, in: E+Z 8/9, 1986, mit verbunden ist eine Beteiligung der Zielgrup- Gründe sind vielschichtig und werden durch S. 15 pen gemäß ihrer finanziellen Kapazitäten an ökonomische und sozio-kulturelle Faktoren be- einflußt. „Traditionelles“ Verhalten unterliegt im Kontext einer Subsistenzökonomie und Über- lebenssicherungsstrategie ihrer eigenen Ratio- nalität, die den gegebenen Umweltbedingun- gen oftmals eher entsprechen kann als die Problemlösungsansätze ausländischer Exper- ten. Innovationen scheitern somit häufig nicht einfach an passivem „traditionellen“ Verhalten, sondern werden vielmehr nach eingehender rationaler Bewertung von den Zielgruppen aus für sie guten Gründen bewußt abgelehnt. Braun (1986) bezeichnet dieses Verhalten als „Subsistenzethik“: Wichtig sei für die Gruppen die Sicherung ihrer Existenz, weshalb Neue- rungen grundsätzlich skeptisch hinsichtlich ih- rer potentiellen Risiken bewertet würden. „Ver- breiteter Fatalismus, der Rückzug in die Subsistenzproduktion und offenkundige Passi- vität [...] können so Bestandteile einer kalku- lierten Defensivstrategie sein“4, die im Rah- Rationales Entscheidungsmo- den Kosten eines Projektes. Das Idealbild sieht men der Sicherung der Subsistenzproduktion dell. Der Einzelne beteiligt sich in der lokalen Bevölkerung den Projektinitiator, und der sozialen Solidargemeinschaft durch- nur, wenn er den Nutzertrag der Dienstleistungen und Unterstützung aus ei- aus ihre Motive hat. höher bewertet als die nem Entwicklungsprogramm nachfragt. Die Opportunitätskosten. Zielgruppen verfolgen also ihr eigenes Projekt Nicht-Beteiligung an Gemeinschaftsaktivi-

32 T r i a l o g 5 9 / 1 9 9 8 täten kann aber auch rein ökonomisch begrün- det sein. Hier kann das rationale Entschei- dungsmodell des homo oeconomicus hilfreich zur Analyse sein, auch wenn eine Übertragung auf den afrikanischen Kontext im allgemeinen problematisch erscheint.5 Jedes einzelne Mit- glied eines Dorfes wird sich nur dann an einer Gemeinschaftsaktion eines partizipativen Pro- jektes beteiligen, wenn es den Nutzertrag aus Haushaltseinkommens bewegt sich bei den Nutzungsraten der unter- dem Projekt höher bewertet als die Oppor- meisten im Bereich von 80 bis 100 DM pro Mo- schiedlichen Wasserquellen in tunitätskosten, die ihm aus dem Zeit- und nat. Die öffentliche Infrastruktur ist in beiden Adantia in der Regen- und der eventuell finanziellen Aufwand entstehen. Indi- Dörfern mangelhaft: Die Verbindungsstraße Trockenzeit viduen werden, folgt man der Logik dieses Mo- nach Odumasi und Sunyani ist nicht befestigt dells, nur dann kooperatives Verhalten im Pro- und wird bei starken Regenfällen unpassierbar. jekt zeigen, wenn ihnen nichtkooperatives Ver- Beide Dörfer sind bisher nicht an die Stromver- halten uneffizient erscheint.6 sorgung angeschlossen. 5 Zu diesen ökonomischen Erwägungen kom- Wasserversorgung in Adantia und Zur Problematik der Übertragung des men sozio-kulturelle Faktoren auf Dorfebene Kwatire ökonomischen Verhaltensmodells auf hinzu. Die vielfach postulierte Homogenität tra- afrikanische Gesellschaften vgl. F. Bliss: „Kultur und Entwicklung - Ein ditioneller dörflicher Gesellschaften verzerrt die Die Bevölkerung in Adantia und Kwatire zu wenig beachteter Aspekt in tatsächlich vorhandenen Machtstrukturen, die konnte in den letzten 25 Jahren nur für jeweils Entwicklungstheorie und -praxis“, in: eine Partizipation gerade benachteiligter Grup- kurze Zeiten auf funktionierende technische E+Z, Nr. 5/6, 1997, S. 138-141. In 7 diesem Fall erscheint das Modell pen behindern können. Eine stark ausdiffe- Einrichtungen der Wasserversorgung zurück- m.E. jedoch durchaus übertragbar, renzierte ökonomische und soziale Hierarchie greifen. In der meisten Zeit waren sie auf tradi- da auch in afrikanischen Gesell- kann marginalisierte Gruppen davon abhalten, tionelle Wasserquellen angewiesen, also Bä- schaften Kosten-Nutzen-Abwägun- gen im täglichen Leben eine wichtige kooperativ an Selbsthilfeeinsätzen teilzuhaben, che und Tümpel, aus denen Wasser geschöpft Rolle spielen. da sie lediglich auf die ausführende Rolle redu- wurde. Diese Wasserquellen sind unzuverläs- 6 ziert und nicht in die Entscheidungsfindung in- sig und stellen nur Wasser mit schlechter Qua- Vgl. R. Eyben und S. Ladbury: „Popular participation in aid-assisted tegriert werden. Dorfeliten dominieren in vielen lität zur Verfügung. Eine Verbesserung der Si- projects: why more in theory than in Fällen den Partizipations- und Selbsthilfe- tuation stellte sich Anfang der siebziger Jahre practice ?“, in: N. Nelson und S. prozeß und stellen außerdem sicher, daß der ein, als beide Dörfer an das Wasserversor- Wright (Hrsg.), Power and Participatory Development - Theory Nutzen aus den Projekten vor allem ihnen zu- gungsnetz der Stadt Sunyani angeschlossen and Practice, Intermediate gute kommt. und in beiden mehrere öffentliche Zapfstellen Technology Publications: London eingerichtet wurden. Nach nur zwei Jahren Be- 1995, S. 192-200 7 Fallstudie Kwatire und Adantia triebsdauer brach das System aufgrund einer Vgl. J. N. Pretty und I. Scoones: im Distrikt Sunyani beschädigten Versorgungsleitung zusammen. „Institutionalizing adaptive planning In den folgenden 15 Jahren blieben beide Dör- and local-level concerns: Looking to Das folgende Fallbeispiel aus Westghana fer wiederum auf die traditionellen Wasser- the future“, in: N. Nelson und S. Wright (Hrsg.), Power and soll die Probleme veranschaulichen, mit denen quellen angewiesen. Erst Anfang der neunziger Participatory Development - Theory ländliche Gemeinden im Bereich der Wasser- Jahre wurden durch eine amerikanische NGO and Practice, Intermediate versorgung konfrontiert sind. Im Rahmen des sukzessive mehrere Bohrbrunnen mit Hand- Technology Publications: London 1995, S. 157-169 ASA-Programms wurde 1997 mit Unterstüt- pumpen in beiden Dörfern errichtet. Diese 8 zung des DED, dem Development Office der Brunnen sollten von den Dorfbewohnern eigen- In diesem Zusammenhang sei mei- katholischen Diözese und der Distrikt- verantwortlich betrieben werden. Die Dorfge- ner Projektpartnerin Simone Wilding, die den Abschnitt über Abwasser- verwaltung von Sunyani eine Studie zur Situati- meinschaften konnten jedoch den langfristigen und Abfallbeseitigung bearbeitet hat, on der Wasserversorgung in Kwatire und Betrieb der Anlagen, die immer wieder techni- herzlich gedankt. Vgl. den ASA-Be- Adantia erstellt.8 sche Probleme aufwiesen, nicht sicherstellen. richt: ASA-Project Water and Da die Brunnen ohne Beteiligung der Bevölke- Sanitation in Rural Communities of Sunyani District: Final Report, Kwatire und Adantia liegen mit einer Entfer- rung errichtet wurden und die NGO keine aus- prepared by Simone Wilding and Be- nung von ungefähr 15 km noch im direkten reichenden Ausbildungsmöglichkeiten für die nedikt Korf, Part A & B, Sunyani Einzugsbereich der Regionalhauptstadt Schulung lokaler Techniker und Buchhalter an- Sept. 1997, sowie B. Korf: Partizipative Ansätze in wasser- Sunyani. Genaue Daten zur Bevölkerungszahl geboten hatte, ist dies nur allzu verständlich. wirtschaftlichen Entwicklungsprojek- liegen nicht vor; die Town Committees der bei- ten im ländlichen Raum - Angewandt den Gemeinden schätzen die Einwohnerzahl Wasserbedarf und Wasserquellen auf zwei Projekte in Tansania und Ghana, unveröffentlichte Diplomar- auf jeweils ungefähr 2.500 bis 3.000 Men- beit am Institut für Wasserbau und schen. Landwirtschaft wird hier vornehmlich Die Haushaltsbefragungen ergaben für Wasserwirtschaft der RWTH auf Subsistenzbasis betrieben. Hauptanbau- Adantia und Kwatire unterschiedliche Ergeb- Aachen, Aachen 1998, insbes. S. 56- produkte der Kleinstbauern sind Mais, Maniok, nisse. In Kwatire kann der Dorfbrunnen unent- 82 Yams und Kochbananen. Neben der Tätigkeit in geltlich genutzt werden, während in Adantia der Landwirtschaft haben einige Dorfbewohner pro Eimer Wasser eine Gebühr entrichtet wer- auch eine feste Anstellung im öffentlichen den muß. Legt man die Angaben der einzelnen Dienst, z.B. als Lehrer oder in der Verwaltung Haushalte zugrunde, können die Wasser- in Sunyani. Andere sind als Händler oder gebühren schnell ein Viertel des verfügbaren Handwerker tätig. Die Größenordnung des Einkommens erreichen.

T r i a l o g 5 9 / 1 9 9 8 33 Um Geld zu sparen, nutzen viele Frauen in gründen oder ein bereits bestehendes Komitee Adantia deshalb die Dorfbrunnen nur in der mit diesen Aufgaben zu beauftragen. Das Ko- Trockenzeit, wenn die traditionelle Wasser- mitee läßt Dorftechniker schulen, damit diese quelle - in diesem Fall ein Bach in der Nähe einfache Reparatur- und Wartungsarbeiten des Dorfes - austrocknet. In der Regenzeit hin- selbst durchführen können. Außerdem sollte gegen ist die Kundenzahl an den Brunnen sehr das Wasserkomitee die Verantwortung für die niedrig, da die meisten Frauen dann auf das sanitären Anlagen und die Abfallbeseitigung Bachwasser zurückgreifen.9 In Extremzeiten, übernehmen. Gleichzeitig muß über Gebühren wenn die Bohrbrunnen außer Betrieb sind und ein Finanzierungsfonds für Reparaturarbeiten die traditionellen Wasserquellen trocken fallen, und zur Bezahlung von Aufwandsentschädi- sind die Frauen oft gezwungen, weite Entfer- gungen für die Dorftechniker erhoben werden. nungen zu Fuß zurückzulegen oder hohe Prei- In der Vergangenheit wurden damit in beiden se zu bezahlen, um Wasser zu erhalten. In sol- Dörfern allerdings negative Erfahrungen ge- chen Situationen sinkt der Verbrauch pro Kopf macht, da es zur Veruntreuung von Geldern auf weniger als zehn Liter pro Tag, einen Wert, kam, was wiederum die grundsätzlich vorhan- der auch unter hygienischen Gesichtspunkten dene Zahlungsbereitschaft der Dorfbewohner kritisch ist. In Kwatire hingegen wird der Dorf- brunnen das ganze Jahr hindurch genutzt, da dort keine Gebühren verlangt werden.

Mangelhaftes dörfliches Brunnen- management

Die hohen Ausfallzeiten der installierten Handpumpen in beiden Gemeinden sind einer- seits auf eine mangelhafte Technologie zurück- zuführen, andererseits auf die Unfähigkeit der Dorfbewohner/innen von Dorfgemeinschaft, Finanzumlagen für Repara- Adantia beim Kartieren ihres turarbeiten zu erheben. Meist warten die Dorf- Dorfes / Foto: Benedikt Korf bewohner auf die Unterstützung der Distrikt- verwaltung, deren finanzielle und technische Kapazitäten jedoch sehr beschränkt sind. Hin- 9 zu kommt, daß die Distriktverwaltung offen- verringert hat. Um das Vertrauen der Bevölke- Untersuchungen in Nordghana ka- sichtlich finanzielle Zuwendungen nach politi- rung in die Verwaltung der Finanzmittel wieder- men zu ähnlichen Ergebnissen: Auch in den dort untersuchten schen und verwandtschaftlichen Kriterien ver- zugewinnen, ist es deshalb notwendig, ein ein- Dörfern wurden die Brunnen von gibt. So ist deren weitaus größere Bereitschaft faches und transparentes Buchhaltungssystem vielen Bewohnern nur in der Trok- zur Hilfe für Kwatire im Vergleich zum lediglich einzuführen. kenzeit genutzt, wenn die traditio- nellen Wasserquellen nicht mehr 500 m davon entfernt liegenden Adantia wohl ausreichend Wasser führen. Vgl. S. vor dem Hintergrund zu sehen, daß der District Dies erscheint leichter, wenn in Zukunft Ge- B. Kendie: „Survey of water use Chief Executive, der höchste Beamte im Di- bühren nicht mehr pro Eimer an den Dorf- behaviour in rural North Ghana“, in: Natural Resources Forum Vol. strikt, aus ersterem Dorf stammt. brunnen, sondern pauschal als monatliche Ab- 16, No. 2, May 1992, S. 126-131 gabe für jeden Haushalt erhoben werden. Die 10 Hinzu kommt die Gefahr der Abhängigkeit Einnahmen aus dieser Abgabe sind transpa- Vgl. in diesem Zusammenhang von obskuren Organisationen: In Adantia wur- renter und können leichter kontrolliert werden. auch D. Curtis: „Power to the people. Rethinking community de zum Zeitpunkt unseres Aufenthalts der Gleichzeitig fallen die Personalkosten weg, die development“, in: N. Nelson und S. Dorfbrunnen von einer kirchlichen Sekte betrie- bisher durch das Kassieren der Wasser- Wright (Hrsg.), Power and ben, die dem Dorf einen Kredit für Reparaturar- gebühren an den Brunnen entstanden. Die Be- Participatory Development - Theory and Practice, Intermediate beiten zur Verfügung gestellt hatte und diesen wohner bezahlen mit dieser Abgabe für die Op- Technology Publications: London nun über Wassergebühren am Brunnen tion, den Brunnen zu nutzen. Damit entfällt der 1995,S. 115-124 refinanzieren wollte. Auf einer einberufenen Zwang, aufgrund zu hoher Preise Wasser ein- 11 Vgl. J. Briscoe und D. de Ferranti: Versammlung der Dorfältesten konnte der ver- sparen oder zu den traditionellen Wasser- Water for Rural Communities. antwortliche Priester keine nachvollziehbaren quellen zurückkehren zu müssen. Überschlägli- Helping People Help Themselves, Zahlen vorlegen; außerdem standen die Zah- che Berechnungen zeigen, daß bereits eine The World Bank, Washington D.C. 1988 len im Widerspruch zu den Ergebnissen unse- geringe monatliche Abgabe von ein bis zwei rer Haushaltsbefragung. Es scheint wahr- DM pro Haushalt ausreicht, um die anfallenden scheinlich, daß die Organisation mehr Gebüh- Reparaturkosten zu decken. Soziale ren verlangt hat, als ihr tatsächlich Kosten ent- Unausgewogenheiten, die mit einer Pauschal- standen sind. abgabe verbunden sein können, werden in vie- len Dörfern einvernehmlich ausgeglichen: So Die angeführten Punkte verdeutlichen die ist es zum Beispiel üblich, daß herausragende Notwendigkeit eines von externer Hilfe mög- Persönlichkeiten des Dorflebens höhere Beiträ- lichst unabhängigen dörflichen Management- ge bezahlen. Andererseits wird häufig auf systems für die Brunnenanlagen. Dazu er- Sanktionen verzichtet, wenn arme Haushalte scheint es sinnvoll, ein eigenständiges ihre Gebühren nicht entrichten.10 Im übrigen „Wasserkomitee“ mit klaren Kompetenzen zu wurden pauschale Abgaben in beiden Dörfern

34 T r i a l o g 5 9 / 1 9 9 8 bereits in der Vergangenheit erhoben, um Re- tung für Sauberkeit und Betrieb der Anlagen paraturkosten ad hoc zu finanzieren. Es geht sowie auf die Beteiligung an freiwilligen Ar- hier also eher um eine Institutionalisierung sol- beitseinsätzen beschränkt, ohne daß damit cher Gebühren, um langfristig die Finanzierung auch ihre Lebenssituation verbessert worden der Unterhaltungskosten zu sichern. wäre.

Traditionelle Autoritäten und dörfliche Schlußfolgerungen Institutionen Dörfliche Managementsysteme für Brunnen In Ghanas ländlichen Regionen der Akan oder andere technische Anlagen sind oft mit spielen traditionelle Autoritäten wie der Dorf- Herausforderungen konfrontiert, die Dorfge- häuptling (chief) und der Ältestenrat (elders) meinschaften - zumindest auf den ersten Blick noch eine wichtige Rolle. Der chief - aus einer - überfordert erscheinen lassen. Dennoch kann königlichen Familie stammend - wird von den auf einen Selbsthilfeansatz, der die Wasserver- Familienoberhäuptern bestimmter adeliger Fa- sorgung möglichst unabhängig von externer fi- milien im Dorf gewählt und kann von diesen je- nanzieller Unterstützung sicherstellt, im ländli- derzeit wieder abgesetzt werden, wenn er sei- chen Raum nicht verzichtet werden. nen Pflichten nicht nachkommt. Der chief hat Der von der ghanaischen Regierung im Rah- dadurch eine starke Stellung, daß er in seiner men ihres Dezentralisierungsprogramms im- Funktion als Treuhänder des stammeseigenen mer wieder eingeforderte spirit of self-help an Bodens Nutzungsrechte vergibt und die Rolle den grass roots würde vielerorts vielleicht eines Schlichters und Richters wahrnimmt. leichter einzulösen sein, wenn die staatliche

Neben diesen traditionellen Autoritäten gibt es in Ghana im Rahmen der Dezentralisie- rungspolitik etablierte dörfliche Institutionen. Das Town Development Committee wird von der Bevölkerung gewählt und übernimmt die Aufgaben eines Dorfparlaments. Weiterhin wählt das Dorf einen Abgeordneten für die District Assembly - den Assembly-man. Dar- über hinaus arbeiten im Dorf verschiedene Ko- mitees und Gruppen, die einen nicht unerhebli- chen Einfluß erringen können, wie z.B. kirchli- Venn-Diagramm von Adantia, che Organisationen. gezeichnet von zwei Dorf- lehrern der dortigen Methodist Primary School. Ein Venn-Dia- Die offiziellen politischen Institutionen kön- gramm stellt Verknüpfungen nen nur in enger Zusammenarbeit mit dem verschiedener miteinander in chief Einfluß erlangen. Es ist deshalb essenti- Verbindung stehender Institu- ell, die traditionellen Dorfeliten miteinzubinden. tionen dar. Die Größe eines Andererseits ist aber auch unverkennbar, daß Kreises gibt die Wichtigkeit ihre Autorität insbesondere in der jüngeren Ge- der Institution an, die Entfer- nung der Kreise voneinander, neration zurückgeht. So klagte der chief von wie nahe die einzelnen Institu- Adantia, daß eine Mobilisierung gerade der tionen zueinander stehen. jungen Männer für Gemeinschaftsaktionen der Gemeinde zunehmend schwieriger werde. Bürokratie sich flexibler und weniger arrogant gegenüber den von ihr oft als ungebildet und Die Rolle der Frauen in der Wasser- ignorant bezeichneten Kleinbauern und -bäue- wirtschaft Benedikt Korf, Student des rinnen zeigen würde. Es wird Zeit, daß auslän- Bauingenieurwesens (Was- dische Experten und die einheimische Staats- serbau und Wasserwirtschaft) und der Geographie, war ge- Frauen sind aufgrund der ihnen in der tradi- elite das Wissen und die Fähigkeiten der ländli- meinsam mit Simone Wilding, Studentin der Regionalpla- tionellen Arbeitsteilung zukommenden Verant- chen Bevölkerung, nach rationalen Maßstäben nung, von Juli bis September 1997 in Ghana. Der Titel des wortung für die Ressourcen Wasser und Ener- handeln und Probleme lösen zu können, aner- Projektes lautete: „Water and Sanitation in Rural gie die wichtigsten Ansprechpartner bei kennen. Wie sonst hätten diese bei den vor- Communities of Sunyani District“. Projektpartner war Wasserprojekten im ländlichen Raum. In vielen handenen ungünstigen ökonomischen und die District Assembly von Fällen konnte die Nachhaltgkeit von Projekten ökologischen Rahmenbedingungen im ländli- Sunyan, ein weiterer An- sprechpartner auch das verbessert werden, wenn Frauen in die Pro- chen Raum in Vergangenheit und Gegenwart Development Office der Catholic Diocese of Sunyani. jektarbeit einbezogen wurden.11 Allerdings ha- ihre Subsistenz sichern können? ben sich auch Probleme bei der Partizipation der Frauen ergeben, weil diese den traditionel- len Rollenvorstellungen in den Dörfern wider- sprach. Frauen wurden zwar in Komitees ge- wählt, aber eine Beteiligung an der Entschei- dungsfindung wurde ihnen oft nicht zugebilligt. Ihre Partizipation blieb dann auf die Verantwor-

T r i a l o g 5 9 / 1 9 9 8 35 PREZEIS - Konzeption und Umsetzung des partizipativen Sanierungsprogramms für die städtischen Armenviertel in Recife

RICHARD REHM

PREZEIS – an Upgrading Wo früher am liebsten abgerissen worden Jahre wieder auf. In der Redemokratisierungs- Programme for the Poor wäre, soll heute saniert werden. Wie sich an phase Mitte der achziger Jahre traten Recifes Quarters in Recife zahlreichen Programmen und Initiativen in bra- Gruppierungen des movimento popular in eine silianischen Städten absehen läßt, hat sich ein neue Phase, was Mobilisierung, Konsolidie- Since the return of democracy Bewußtseinswandel in der Behandlung der rung und Artikulation anging. Die Gruppen wur- in Brazil in 1988 a new attitude Favelas vollzogen. Eines der ersten und den nicht nur zahlreicher, sondern begannen towards the favelas emerged. fortschrittlichsten Programme entstand 1987 in sich auch auf gesamtstädtischer Ebene zu- The aim of the local Recife: das Programm zur Urbanisierung und sammenzuschließen. 1983 wurde ein großer authorities now is the redevelopment of the slums Legalisierung von Armenvierteln, kurz Erfolg im Kampf um die Anerkennung der instead of their demolition. In PREZEIS. Als Auffangbecken für die verarmte Favelas erzielt: 27 Armenviertel wurden im Flä- 1987 the PREZEIS, one of the Landbevölkerung des Nordostens und ohne chennutzungsplan der Stadt Recife als ZEIS first and most progressive nennenswerte Industrie ist die soziale Lage in (Zonen von besonderem sozialen Interesse) upgrading programmes, was dieser Millionenmetropole besonders prekär. ausgewiesen. Eine ZEIS wird als spontane brought into being in Recife. Über 50% der Bewohner Recifes leben in Wohnsiedlung auf öffentlichem oder privatem About 50% of the inhabitants Favelas. Die Favelados selbst, wie die Bewoh- Eigentum definiert, die nicht über Basis- of the metropolis of the poor ner der Armenviertel genannt werden, waren infrastruktur und eine Regelung des Grundbe- northeastern part of Brazil live an dem politischen Kurswechsel maßgeblich sitzes verfügt. Dieser Status bedeutet für die in slums and favelas. The beteiligt. Favelabewohner auch eine relative Sicherheit PREZEIS programme is based on the recognition that vor Vertreibung. Mit der Rückkehr zur Demo- the favelas are the appropriate Movimento popular - das Volk kratie fanden die Gruppierungen des solution for that part of the kämpft um seinen Besitz movimento popular Zugang zu den politischen population, which is excluded Gremien der Stadt. Als ein Ergebnis der Zu- from the formal housing Als Reaktion auf die Umsiedlungs- und sammenarbeit zwischen der Stadt, Vertretern market. The social and urban Vertreibungspolitik begannen sich schon An- der Kirche und des movimento popular wurde structures in the favelas are fang der dreißiger Jahre Bewohnervereini- 1987 das PREZEIS gesetzlich verabschiedet. recognised as values, which gungen zu organisieren. Aus diesen Vereini- Mit dem neuen Gesetz konnten jetzt auch wei- should be preserved. The gungen und anderen Gruppen, die sich für die tere Favelas als ZEIS anerkannt werden. central tasks of the PREZEIS Rechte und Bedürfnisse der Armen einsetzten, programme are urbanisation and legalisation. Urbanisation entstand das movimento popular. Es gewann PREZEIS - eine neue Zukunft means the supply with social vor allem in den fünfziger Jahren immer mehr für die Favelas? and technical infrastructure. an Einfluß und verbuchte Erfolge im Kampf ge- By legalisation of their gen die Vertreibung. Mit der Machtübernahme Die Konzeption des Programms folgt der Ein- property the inhabitants der Militärs 1964 erfolgte ein Einschnitt: Verei- sicht, daß Favelas keine vorübergehenden Pro- should be protected from nigungen und Gruppen des movimento popular bleme städtischer Entwicklung sind, die es zu expulsion. The participation of wurden verboten. Die meisten Vereinigungen beseitigen gilt. Vielmehr sind sie adäquate Lö- the inhabitants is of great bestanden dennoch im Untergrund weiter. Daß sungen für die Bevölkerungsteile, die vom for- importance. In the COMUL das movimento popular nicht völlig gestoppt mellen Wohnungsmarkt ausgeschlossen sind. commission elected werden konnte, erklärt sich schon aus alleine Darüber hinaus werden die gewachsenen so- representatives of the inhabitants participate in all aus der extremen Not, die in den Favelas zialen und städtebaulichen Strukturen als Wer- decisions concerning the herrschte, und diese wurde in der Folge noch te anerkannt, die es zu bewahren gilt. Nichts- future development of the größer. Die Militärregierung setzte wieder ver- destotrotz sind große Anstrengungen notwen- respective favela. stärkt auf eine Politik der Umsiedlungen. Dazu dig, um gesunde Wohn- und Lebensbedingun- kam eine Wirtschaftspolitik, die zur weiteren gen in den Favelas zu schaffen. Das PREZEIS Verarmung breiter Bevölkerungsschichten führ- ist das zentrale Instrument der Stadtplanung, te. Widerstand begann sich zu regen und das um dies zu erreichen. Die Ziele des PREZEIS movimento popular lebte Mitte der siebziger sind im einzelnen:

36 T r i a l o g 5 9 / 1 9 9 8 - eine Vertreibung der Bewohner zu verhin- der ZEIS kann auf Betreiben der Bewohner hin dern, eine COMUL (Kommission zur Urbanisierung - die Bewohner mit der nötigen Infrastruktur und Legalisierung des Grundbesitzes) gegrün- und Wohnraum zu versorgen, det werden. Diese trifft die Entscheidungen in - die baulichen und natürlichen Charakteristika allen Fragen der Urbanisierung und Legalisie- zu erhalten, rung, welche die Favela betreffen. Sie hat fünf - die Bewohner zu beteiligen, Mitglieder: - die Schaffung von Arbeitsplätzen für die Be- - zwei Vertreter der Bewohner der betreffen- wohner zu fördern. den Favela, - zwei Vertreter der öffentlichen Hand (in der Diese Ziele sollen im wesentlichen durch Ur- Regel ein Architekt und ein Sozialarbeiter banisierung und Legalisierung des Besitzes in des Stadtplanungsamtes), den als ZEIS anerkannten Favelas umgesetzt - ein Vertreter einer Nichtregierungs- werden. Urbanisierung bedeutet die Versor- organisation, welche die Favela berät. gung mit technischer und sozialer Infrastruktur und die Einbindung in das Stadtgefüge. Die Die öffentlichen Versammlungen der COMUL Planung und Umsetzung soll hierbei in drei finden alle vierzehn Tage statt. Hier erfahren Schritten geschehen. Im ersten erfolgen eine die Bewohner den neuesten Stand der Planun- umfassende Bestandsanalyse, die Konzeption gen. Sie können auch mit ihren Ideen und eines städtebaulichen Rahmenplans (Plano Wünschen darauf Einfluß nehmen. Urbanístico) und sowie die Ausarbeitung von Ausführungsplänen mit detaillierten Lösungen der ingenieurtechnischen Fragen. Im zweiten Schritt werden vom Stadtplanungsamt Bauun- ternehmen verpflichtet, deren Arbeiten auch vom Amt kontrolliert werden. Damit die durch die Maßnahmen erreichten Qualitäten auf Dau- er gesichert und die Bauvorschriften eingehal- ten werden, soll in der dritten und letzten Pha- se eine kontinuierliche Kontrolle erfolgen.

Die Legalisierung der Besitzverhältnisse

Damit der Plano Urbanístico Gesetzesstatus erlangen kann, müssen zuvor die Bewohner das Besitzrecht über das von ihnen besetzte Land übertragen bekommen. Die Legalisierung der Besitzverhältnisse ist die zweite wesentli- che Aufgabe des PREZEIS. Zunächst muß her- ausgefunden werden, wer Eigentümer der be- setzten Grundstücke ist. Je nachdem, ob sie Übergeordnetes Organ aller ZEIS ist das sich in privatem oder öffentlichen Besitz befin- Fórum do PREZEIS. Im Fórum versammeln Eine typische Favela in Recife / Foto: Rehm den, ergeben sich verschiedene juristische sich die Vertreter der Bewohner mit Vertretern Möglichkeiten der Legalisierung. Bei Privatbe- aus Politik, Verwaltung und der im PREZEIS tä- sitz wird das in der Bundesverfassung festge- tigen NROs. Das Fórum vertritt die Interessen schriebene Gesetz Usucapião angewendet: der ZEIS nach außen, berät über gesetzliche Dabei handelt es sich im Prinzip um eine Ent- und administrative Vorgänge und diskutiert eignung wegen Nichtnutzung eines Grund- konkrete Probleme. Hier wird auch darüber ent- stücks, wenn der Besetzer bestimmte Bedin- schieden, wie die zu Verfügung stehenden Fi- gungen erfüllt; soziale Belange werden damit nanzmittel unter den Favelas aufgeteilt werden. über das Eigentumsrecht gestellt. Handelt es sich um öffentlichen Besitz, kann zwischen Das Fórum wird von drei Kammern mit den Besetzer und öffentlicher Hand ein gesetzlich Themenschwerpunkten Urbanisierung, Legali- geregelter Pachtvertrag abgeschlossen wer- sierung sowie Haushalt und Finanzen unter- den. stützt. Die Kammern setzen sich aus je zwei Vertretern der Bewohner, der öffentlichen Hand Der partizipative Ansatz des PREZEIS und der NROs zusammen. In den Kammern sollen die fachlichen Diskussionen geführt wer- Ein wesentlicher Gedanke des PREZEIS ist den, um das Fórum zu entlasten und Entschei- es auch, die Bewohner am gesamten Prozeß dungen vorzubereiten. Die Câmara de der Urbanisierung und Legalisierung zu beteili- Urbanização schlägt dem Fórum beispielswei- gen. Dazu wurden gesetzlich verankerte Insti- se Projekte vor, die in Auftrag gegeben werden tutionen und Gremien geschaffen, die der sollen, und erörtert technische Detailfragen Stadtverwaltung angegliedert sind. Auf Ebene dieser Projekte.

T r i a l o g 5 9 / 1 9 9 8 37 links / Vor der Sanierung / Foto: Rehm Wie sieht die Wirklichkeit aus? standteil des Plano Urbanístico sind die „Bau- vorschriften“, welche z.B. die Mindestbreiten rechts / Nach der Sanierung / Unser Interesse galt der Frage, inwieweit die für Wege und Straßen, die maximale Überbau- Foto: Rehm gesetzlich festgelegten Ziele des PREZEIS tat- ung eines Grundstücks, die maximale sächlich umgesetzt werden. Als Gegenstand Geschoßzahl festlegen. Dadurch sollen gesun- für unsere Untersuchung wählten wir die de Wohnbedingungen garantiert und die städ- bisland erstellten Planos Urbanísticos. Befragt tebaulichen Charakteristika der Favela gesi- wurden die an der Erarbeitung der Pläne betei- chert werden. ligten COMUL-Mitglieder. Besonderes Gewicht lag auf der Frage, inwieweit die Bewohner tat- „Die Pläne sind gut. Sie müßten sächlich an den Entscheidungsprozessen be- nur umgesetzt werden.“ teiligt sind. So lautete das Urteil zahlreicher Befragten. Die Planos Urbanísticos bestehen aus zwei Die Ergebnisse der Interviews und die Unter- Teilen. Im ersten erfolgt eine Bestandsanalyse suchung der Pläne ergaben ein übereinstim- (Einbindung der Favela in Stadt und Land- mendes Bild. Die Pläne berücksichtigen die schaft, Versorgung mit technischer und sozialer Ziele, zu denen sie einen sinnvollen Beitrag lei- Infrastruktur, städtebauliche Strukturen), aus sten, in zufriedenstellendem Maße. Das Pro- der Mängel und Potentiale abgeleitet werden. blem liegt vielmehr in der fehlenden Umset- Im zweiten, planerischen Teil erfolgt eine Neu- zung. Bislang wurden die Planungen lediglich ordnung der Favela; die angestrebten Verände- in einer Favela realisiert; in diesem Fall liefen rungen zielen dabei auf Planung und Umsetzung parallel. In den ande- - ein funktionales Wegenetz, ren Fällen waren nach Planfertigstellung bis zu - die Ausweisung von neuen Wohnflächen, zwei Jahre vergangen, in dieser Zeit hatten insbesondere für Bewohner, die umgesiedelt sich vor allem durch Neubesetzungen und Um- werden müssen, weil ihr Haus „im Weg“ oder bauten Veränderungen ergeben. Die Pläne auf gefährdeten Flächen, wie z.B. müßten dementsprechend zunächst einmal er- Überschwemmungsflächen, steht und heblich überarbeitet, wenn nicht gar neu er- - die Versorgung mit Freiflächen. stellt werden.

Abschließend werden die Kosten für die Warum überhaupt Pläne machen, wenn die- Baumaßnahmen geschätzt. Ein wichtiger Be- se sich aus Geldmangel nicht umsetzen las- sen? Für den Fall, daß unerwartet öffentliche Gelder zur Verfügung stehen, kann der Plan aus der Schublade gezogen werden. Die Favela kann außerdem mit dem Plan in der Hand besser Gelder für sich einfordern. Da die Inhalte der Pläne auf das Wesentliche redu- ziert und ihre Erstellungskosten recht gering Versammlung der sind, überwiegt dieser Vorteil die angesproche- Bewohnervertreter / Foto: nen Nachteile. Rehm Die Frage nach der Beteiligung beschränk-

38 T r i a l o g 5 9 / 1 9 9 8 ten wir im wesentlichen auf den Entschei- sten Planos Urbanísticos erstellt und zahlrei- dungsprozeß innerhalb der COMUL. Da wir che Favelas neu als ZEIS ausgewiesen. Ende selbst an den Sitzungen nicht teilnehmen 1996 existierten 65 ZEIS, in denen insgesamt konnten, mußten wir uns in der Bewertung auf etwa die Hälfte der Favelabewohner Recifes le- die Aussagen der COMUL-Mitglieder stützen. ben. 31 ZEIS besaßen eine COMUL. Eine Befragt wurden alle Mitglieder der acht Haushaltssperre führte 1997 dazu, daß viele Favelas, für die bislang ein Plano Urbanístico Urbanisierungsmaßnahmen auf Eis gelegt wur- erstellt worden war. Bis auf wenige Ausnahmen den. Nur in einer Favela wurden die geplanten befanden alle, daß die Entscheidungsfindung Maßnahmen bisher vollständig abgeschlossen. unter den Beteiligten gleichberechtigt und ge- meinschaftlich verlief; auch am Informations- Der Erfolg des PREZEIS hängt nicht von sei- fluß gab es nichts zu beanstanden. Wie sehr ner Konzeption ab. Das PREZEIS ist ein gelun- sich die Bewohner tatsächlich beteiligten bzw. genes Beispiel für eine fortschrittliche ihre Vertreter sich engagierten, unterschied Sanierungspolitik, die stadtplanerische, sozia- sich allerdings von Favela zu Favela erheblich. le, ökonomische, ökologische und wohnungs- Als Gründe wurden fehlende Organisation und politische Ziele vereint. Das Problem liegt viel- Literatur Politisierung auf Seiten der Bewohner und mehr in den überkommenen politischen Struk- mangelnde Kompetenz ihrer Vertreter genannt. turen und insbesondere in der fehlenden politi- ARRUAR (Hrsg.): PREZEIS - Pla- no de regularização de zonas Als ein weiteres Problem erwiesen sich die schen Bereitschaft, die Prioritäten in der Stadt- especiais de interesse social - um klientelistischen Strukturen. Viele Bewohner- entwicklung anders zu setzen und mehr Mittel espaço institutional para exercício vertreter stehen in einem Arbeitsverhältnis bei für das PREZEIS bereitzustellen. Ursprünglich da cidadania, Recife1995 Politikern oder kooperieren mit ihnen, daraus sollte ein bestimmter Prozentsatz des städti- FASE-NE, CENDHEC, URB- RECIFE (Hrsg.): PREZEIS. Manu- resultiert der nicht unbegründete Verdacht, daß schen Gesamthaushalts in den eigenen Haus- al para Lideranças, Recife 1997 die Vertreter manipuliert werden könnten. halt des PREZEIS fließen; inzwischen wird je- Salvador Soler Lostao: O doch bei den Haushaltsverhandlungen jedes PREZEIS - um processo de Die Arbeit der COMUL hängt stark vom En- Jahr aufs neue über den Umfang der Mittel ge- participação popular na formação gagement und der Berufsethik einzelner Perso- stritten. Insgesamt wird der Umfang der Gelder da cidade, Recife 1991 nen ab. Hier wäre eine stärkere Kontrolle wün- weder der Dringlichkeit der Probleme in den Marcelo Teles de Mendonça: A schenswert. Denkbar wären themenbezogene Favelas gerecht noch dem Anteil an der Ge- participação popular em canais institucionais, Recife 1995 Arbeitskreise in den Favelas. Mit ihrer fachli- samtbevölkerung Recifes, die in den Armen- chen Kompetenz könnten sie Entscheidungen vierteln leben. mittragen und kontrollieren. Ein weiteres Problem sind die klientelisti- Zehn Jahre PREZEIS schen Strukturen in den Beziehungen zwi- schen Bewohnervertretern und Politikern. Poli- In den zehn Jahren seines Bestehens hat tiker boykottieren demokratische Entschei- das PREZEIS Höhen und Tiefen erlebt. Die po- dungsstrukturen, wie sie beispielsweise im litische Unterstützung und damit auch der PREZEIS existieren; stattdessen pflegen sie

Institutionen und Gremien, die am PREZEIS beteiligt sind

Richard Rehm, Student der Landschaftsarchitektur aus Hannover, war zusammen mit Ingo Knoth, Architekturstu- dent aus Weimar, von August bis Oktober 1997 in Recife. Der Titel des Projekts lautete: „Entwicklung städtischer Ar- menviertel in Recife/Brasilien. Handlungsspielraum hingen in starkem Maße lieber persönliche Beziehungen zu den Armen- Untersuchung des von der Ausrichtung der jeweiligen politischen vierteln, um sich dort durch Gefälligkeiten partizipativen Sanierungs- programms PREZEIS am Bei- Führung ab. Zum Beispiel geschah von 1988 Wählerstimmen zu sichern. Der Erfolg des spiel des zentralen Planungs- instruments Plano bis 1992, in der Amtszeit eines konservativen PREZEIS und ähnlicher Initiativen hängt dem- Urbanístico“. Als Projekt- partner vorgesehen war die Bürgermeisters, fast gar nichts. In der nachfol- nach vorrangig davon ab, wie sich der Demo- NRO ARRUAR; es fand keine Zusammenarbeit im engeren genden Amtszeit von Jarbas Vasconcelos, ei- kratisierungsprozeß und die Umverteilung des Sinne statt, unterstützt wurde das Projekt von der NRO nem Mitbegründer des PREZEIS, erlebte das gesellschaftlichen Reichtums in Brasilien wei- FASE (siehe dazu auch den Programm wiederum einen Aufschwung: Ein ter entwickeln werden. Beitrag von Clóvis Roberto Zimmermann in diesem Heft). eigener Haushalt wurde eingerichtet, die er-

T r i a l o g 5 9 / 1 9 9 8 39 Ein Urbanisierungsprojekt für die ZEIS Campo Grande in Recife

INGO KNOTH

An Urbanisation Project for In Recife leben auf nur 25% der Stadtfläche the ZEIS Campo Grande in etwa 50% der 1,4 Millionen Einwohner in Ar- Recife menvierteln. Es gibt heute etwa 400 bis 500 Favelas unterschiedlicher Größe, die über das The project, which was ganze Stadtgebiet verteilt sind. Sie sind sehr submitted as a diploma thesis unterschiedlich entwickelt; im allgemeinen ist at the faculty of architecture of das Hauptproblem aber das Fehlen einer the Bauhaus University in Basisinfrastruktur (Kanalisation und Drainage). Weimar, deals with the favela 1 Campo Grande as a part of Bis zum Ende der Militärdiktatur in Brasilien the PREZEIS urban upgrading bestand auch in Recife die gängige Praxis im programme in Recife (see the Umgang mit den Favelas im Abriß der article by Richard Rehm in Barackensiedlungen und der Vertreibung der this issue). It proposes a Bewohner in die Randgebiete der Stadt. Mit 3 resettlement of a part of the der zunehmenden Demokratisierung des Lan- population, in total 350 des änderte sich langsam auch das Verhältnis families living in a very critical zu den Armenvierteln. Die Bürgerbewegung flood area near the river. The verschaffte sich durch Massenproteste Gehör project for the new quarter is und machte medienwirksam auf die Misere based on an economic street layout, a flexible housing aufmerksam. Sie wurde in dieser Zeit haupt- typology on plots of 4 by 16 sächlich von Teilen der katholischen Kirche un- metres and the provision of terstützt. Ein frühes Ergebnis war 1983 die the necessary public and Ausweisung der ersten 27 ZEIS.1 Favelas, die communal infrastructure. zu solchen Sonderzonen erklärt werden, unter- liegen spezifischen Normen; dadurch sollen sie für die Grundstücksspekulation unattraktiv und eine Vertreibung der Bewohner verhindert wer- den. Die Verabschiedung des PREZEIS-Pro- gramms (1988) war ein weiterer Schritt zu ei- Bestandsplan der ZEIS nem Mitspracherecht der armen Bevölkerungs- 2 Campo Grande mit den drei schichten in der Stadtpolitik. Als wichtigstes Er- Freiflächen für mögliche gebnis soll für jede ZEIS ein städtebaulicher Nachverdichtungsmaß- Rahmenplan (Plano Urbanístico) erstellt wer- nahmen den. Jede ZEIS verfügt über eine COMUL,2 die aus gewählten Vertretern der Bewohner, Tech- nikern der Stadtverwaltung und einem Vertreter einer NRO besteht. Versammlungen der COMUL sind für alle Bewohner öffentlich.

Die Situation in Campo Grande wiederum ist für viele der Bewohner eine gün- 1 stige Ausgangslage, um zu den meist informel- Zonen von besonderem sozialen Interesse (siehe hierzu auch den Campo Grande ist eine der jüngsten ZEIS in len Arbeitsstätten zu gelangen. Beitrag von Richard Rehm in die- Recife. Sie befindet sich im Norden der Stadt, sem Heft) unterhalb der ausgedehnten Elendsviertel in Campo Grande besteht aus elf communi- 2 den Hügeln von Casa Amarela. Gleichzeitig dades, das sind einzelne Favelas, die z.T. un- Kommission zur Urbanisierung und Legalisierung des Grundbesit- liegt sie jedoch relativ zentrumsnah, in der terschiedlich entwickelt sind. Während der zes Nähe von Wohnvierteln der Oberschicht. Das nördliche Bereich aus einer geplanter Beset-

40 T r i a l o g 5 9 / 1 9 9 8 zung der sechziger Jahre resultiert, die von der Sanitär- und Wohnverhältnisse der gesamten damaligen linkspopulistischen Regierung un- ZEIS aufweisen. Da die Situation der Bewoh- terstützte wurde, handelt es sich beim südli- ner von der COMUL als äußerst gefährdet ein- chen Teil um eher spontane Besetzungen, die gestuft wird, wurde im Rahmen des Plano Ende der sechziger Jahre begannen und bis Urbanistico eine Umsiedlung beschlossen. Für heute andauern. Vertreter aller elf comuni- diese Umsiedlung stehen auf dem Gebiet der dades der ZEIS sind in der COMUL präsent; ZEIS drei Bereiche zur Verfügung, die aus un- daß hier einer von bislang sieben Planos terschiedlichen Gründen bislang nicht besetzt Urbanisticos von Recife aufgestellt wurde, ist worden sind. Zwei davon befanden sich in Pri- vor allem ein Ergebnis der sehr aktiven vatbesitz und wurden nach den gesetzlichen Bewohnerorganisationen und der örtlichen Grundlagen des PREZEIS-Programms, das in COMUL. ZEIS-Gebieten nur Grundstücksgrößen bis max. 200 qm zuläßt, enteignet. Die dritte Frei- Wie ein Großteil der Favelas in Recife, einer fläche ist ein mangrovenbewachsenes Sumpf- Stadt, die durch Landaufschüttungen in einem gebiet. ehemals ausgedehnten Flußdelta und Sumpf- gebiet entstanden ist, liegen auch Teile der Grundidee des Entwurfs ZEIS Campo Grande sehr niedrig, so daß sie Grundlagen des Entwurfs sind die im Plano Urbanistico vorgesehene Wegestruktur und Siedlungsflächen, mit Ausnahme des Sumpf- gebiets, das unbebaut bleiben soll. Ein überge- ordnetes Konzept bindet die ZEIS Campo Grande in die gesamtstädtische Struktur ein. In den meisten Fällen liegen die Favelas als Fremdkörper in der Stadt und werden als Orte der Gefahr und Gewalt angesehen. Der Ent- wurf sieht vor, spezifische Charaktere des Ge- biets zu erhalten, wie z.B. die Kleinteiligkeit der Bebauung, die engen Nachbarschaften, die Kleinräumlichkeit, gleichzeitig aber durch eine hierarchische räumliche Staffelung (Haus, Wohnstraße, Nachbarschaft, Stadtteil, Gesamtstadt) seine Einbindung in den größe- ren städtischen Kontext zu gewährleisten.

Ein zentrales öffentliches „Rückgrat“

Die ZEIS Campo Grande existiert bisher nur auf dem Papier, d.h. auf einer politischen Ebe- ne: Die elf communidades haben sich zusam- mengeschlossen, um ihre Schlagkraft gegen- über der Stadtverwaltung zu erhöhen, bislang mit Erfolg. Um den gewachsenen Bezug der Bewohner zu ihrem Wohnort auch räumlich deutlich zu machen, wurde zwischen dem Canal do Arruda und der parallel dazu geplan- ten zentralen Erschließungsstraße Dos Anjos, Lageplan des Entwurfsvor- welche beide die gesamte ZEIS diagonal schlags mit den neuen Wohn- durchziehen, ein „Funktionsstreifen“ von neun feldern auf zwei der bisheri- Metern Breite vorgesehen: Hier sollen öffentli- gen Freiflächen (das Sumpf- che Funktionen, wie eine Grundschule, eine gelände bleibt unbebaut) und Polizeistation, eine Gesundheitsstation, aber der Achse mit öffentlichen Funktionen parallel zum Kanal auch Räumlichkeiten für Handwerks- kooperativen sowie Bars und Kneipen am Kanalufer untergebracht werden. Die Räume zwischen den Gebäuden können bepflanzt regelmäßig durch Überschwemmungen be- werden, so daß ein öffentlicher Grünraum ent- droht sind. Mehrere Wasseradern, deren Rän- steht. der zum Teil dicht besiedelt sind, durchziehen das Gebiet. Dies trifft insbesondere auf den Wohnfelder Canal do Arruda zu, der das gesamte Gelände diagonal durchfließt. Hier drängen sich etwa Die Wohnbebauung ist in Form von vier 350 Hütten am Ufer, die extrem überschwem- „Wohnfeldern“ mit jeweils etwa 90 Wohneinhei- mungsgefährdet sind und die schlechtesten ten konzipiert, die sich mit der bestehenden

T r i a l o g 5 9 / 1 9 9 8 41 Erweiterbare und aufstock- bare Haustypen auf schmalen Parzellen von vier Metern Breite

Bebauung verzahnen. Trotz des Bezugs zur umgebenden Struktur sollen die einzelnen Fel- der wahrnehmbare Ränder aufweisen und da- mit eine Identifikation der Bewohner mit ihrer neuen communidade erleichtern und unterstüt- zen. Jedes Wohnfeld besteht aus zwei Wohnstraßen, vier Reihenhauszeilen und ei- nem gemeinschaftlichen Grünbereich.

Wohnstraßen und Nachbarschaft

Die Straßen besitzen in den Favelas auf- grund der beengten Wohnsituation eine beson- dere Bedeutung und stellen eine Erweiterung des Wohnraums dar: Hier wird gehandelt, ge- spielt, gearbeitet, erzählt und gefeiert. Nach- barschaften sind sehr wichtig. Die geplanten Wohnfelder besitzen jeweils zwei Wohn- straßen. Das gelegentliche Zurücktreten eini- ger Häuser aus den ansonsten geraden Fluchtlinien schafft Nischen und kleine Plätze, die das Straßenleben bereichern. Die beidseiti- ge Erschließung der Häuser mit vorgelagerten Perspektive einer Wohnstraße Veranden soll Kommunikation, aber auch so- in den geplanten neuen Wohn- feldern ziale Kontrolle fördern. Die beiden Wohn- straßen sind jeweils über einen gemeinschaftli- chen Grünraum verbunden.

Wohnhäuser

rechts / Detailplan eines Jede Familie erhält eine Parzelle von 4 auf Wohnfeldes mit jeweils vier 16 Metern, auf der ein Reihenhaus in Hauszeilen an zwei Wohn- Schottenbauweise erstellt wird. Die Häuser straßen sind in drei Schritten erweiter- und aufstockbar. unten / Querschnitt durch ein Diese Erweiterungen sind unabhängig von den Wohnfeld Nachbarn möglich. Selbsthilfebau soll möglich, aber nicht zwingend sein. Jedes Haus verfügt Ingo Knoth, Dipl.-Ing. Archi- tektur, hat seine Abschluß- über eine Veranda zur Straße und einen Gar- arbeit mit dem hier vorgestell- ten Entwurf 1998 an der Bau- ten nach hinten sowie einen kleinen Patio in haus-Universität in Weimar Hausmitte. Die schmalen Hausbreiten ermögli- vorgelegt. Zusammen mit Ri- chard Rehm (siehe dessen Ar- chen es, daß die etwa 90 Häuser eines Bau- tikel in diesem Heft) war er von August bis Oktober 1997 feldes kostensparend mit nur zwei Straßen zu in Recife. erschließen sind.

42 T r i a l o g 5 9 / 1 9 9 8 Strategien der sozialen Wohnraum- versorgung in den Slums von Bombay

HOLGER WICHERT

In Bombay angekommen, treffen wir als er- großer Wert gelegt. In Byculla versteht man Strategies of Social stes unsere Partnerorganisation SPARC sich eher als Vermittler, Anlaufstation und In- Housing in the Slums of (Society for the Promotion of Area Resource itiator. Hilfe zur Selbsthilfe heißt das Konzept. Bombay Centers) in ihrem Büro in Byculla, einem Stadt- Gerade wenn es um Wohnlandfragen geht und teil von Bombay. Zwei Herren der Weltbank ha- Verhandlungen mit der Stadtverwaltung unum- Bombay’s increasing ben sich angemeldet. Die Suche des Büros ge- gänglich sind, wären die Bewohner der Slums population has become one of staltete sich nicht ganz einfach, ist es doch ohne das Training und die Hilfe von SPARC, the major problems of the city. A large part of the population eine umgebaute Garage im Hinterhof eines Mahila Milan und NSDF hilflos. is completely left out of the „Community Centres“. Schnell lernen wir housing market living in slums Jockin, einen Verantwortlichen der National Mahila Milan spricht besonders Frauen an, or on the pavement. The Slum Dwellers Federation (NSDF), und Celine, die in einer ansonsten von Männern dominier- NGOs Mahila Milan, SPARC, eine Mitarbeiterin von SPARC, kennen. In dem ten Gesellschaft hier die Möglichkeit haben, and NSDF try to improve „Großraumbüro“ von ca. 15 qm sitzen zusätz- ihre Probleme auszutauschen und über eigene these living conditions of the lich noch Frauen von Mahila Milan (auf Hindi: Bedürfnisse zu sprechen. Für Jockin liegt die urban poor by supporting „Frauen zusammen“), der dritten NGO im Arbeit mit den Frauen auf der Hand: „Frauen them in a dialogue with the Bunde. sind sensibler für die Familienfürsorge, können State and the local authorities besser mit Geld umgehen und haben ein star- on matters of equity and social justice. The NGOs strive to get Der hohe Besuch scheint Jockin nicht zu be- kes Kommunikationsbedürfnis. Und gerade das people organised in order to eindrucken; er berichtet selbstbewußt von der ist wichtig, um Probleme zu lösen.“ enhance community Arbeit und der Philosophie der drei NGOs, die participation. A credit-scheme, zusammen das Büro in Byculla nutzen. Es gibt So wurden im Laufe der Jahre neben einer organised by Mahila Milan, Chai (indischen Tee) und, am Fußboden sit- „Siedlergemeinschaft“ eine Art „Bausparkasse helps the families to overcome zend, informieren sich die Herren von der Welt- für Arme“ sowie ein Kreditkonzept für Krisen- financial crises through the bank über die Arbeit der Allianz. Man verein- zeiten entwickelt. Das kann sowohl Arzt- und possibility of getting loans bart ein Treffen in unbestimmter Zeit, um einige Arzneikosten als auch eine Unterstützung für from their own community. von SPARC unterstützte Wohnbauprojekte nä- Arbeitslose oder Strafgebühren für Verkauf von Additionally saving schemes her zu betrachten. Internationale Arbeit ist eher Waren ohne Erlaubnis betreffen. Für jede Sied- for housing were introduced in order to gain legal land tenure das Tagesgeschäft im Büro in Byculla. Besuche lung ist eine Frau verantwortlich, die sich um and to provide the settlers with in Japan, Kambodscha oder Südafrika sind die Bedürfnisse ihrer Gemeinschaft kümmert their own houses. The process nichts Ungewöhnliches. Jockin hinterläßt bei und Geld für die Sparkasse einsammelt. Da die of resettlement and uns einen wahrlich bleibenden Eindruck, ist er meisten der verantwortlichen Frauen Analpha- rehabilitation, supported by doch der anscheinend gefragteste und betinnen sind, werden beim Einsammeln Sym- the NGOs, is described here vielbeschäftigste Mann in Bombay, der im Auf- bole genutzt, die für einen bestimmten Betrag in several case studies. trag der Armen ein Telefonat nach dem ande- stehen (lila = 1 Rs, gelb = 2 Rs, grün = 5 Rs).1 ren führt. Bei der Vergabe von Krediten entscheidet ein Komitee wieviel Geld geliehen werden kann. Allianz von drei NGOs Bei einem Betrag bis zu 100 Rs braucht nur ein 1 Komiteemitglied kontaktiert zu werden, bei bis 100 Rs sind ca. 5 DM. Hier in Byculla laufen die Fäden der drei zu 500 Rs drei Mitglieder und bei über 500 Rs NGOs zusammen, wobei jede ihr eigenes müssen alle elf Mitglieder zusammenkommen. Tätigkeitsfeld hat. Von der Kooperation profitie- ren jedoch alle und der Auftrag ist klar: die Im Gegensatz zu Mahila Milan wurde menschenunwürdigen Lebensverhältnisse in SPARC 1984 von einer Gruppe junger Akade- den Armensiedlungen zu bekämpfen und den miker gegründet und hat sich zum Ziel gesetzt Bewohnern zu vermitteln, ihre eigenen Proble- Basisgruppen zu organisieren, Betroffene am me zu lösen. Auf das letztere wird besonders Entwicklungsprozeß teilhaben zu lassen und

T r i a l o g 5 9 / 1 9 9 8 43 Dialog-Zentren zu schaffen, in denen Probleme Meer hinausragenden Halbinsel hat seit Be- diskutiert und gemeinsam angegangen werden ginn der Besiedlung das Wachstum der Stadt können. Die Versammlungsbereitschaft wurde vorherbestimmt. Das Wirtschafts- und uns eindrucksvoll demonstriert. Bei einem an- Dienstleistungszentrum liegt am äußersten gekündigten Besuch im Büro der Railway Slum Südzipfel der Halbinsel und führt zu täglichen Dwellers Federation (RSDF) in Mankhurd emp- Pendlerströmen, die für europäische Verhält- fingen uns ca. 20 Frauen, die uns über ihre Si- nisse undenkbar sind. Die Monozentralität des tuation berichteten. Die komplette Siedlung Stadtraums spiegelt sich in den Boden- und sollte verlegt werden, da die Eisenbahn das Wohnungspreisen wieder. Für die Ärmsten der Land für neue Bauvorhaben braucht. Im Ge- Armen ergeben sich dadurch nur wenige genzug erhielten die Siedler jedoch neues Siedlungsmöglichkeiten. Land, für dessen Bebauung eigens eine Bau- sparkasse angelegt wurde. Neben der monatli- Die Besetzung von Land am Stadtrand, ge- chen Einzahlung in die Bausparkasse beka- rade für Neuankömmlinge, hat den Nachteil, Die Siedlergemeinschaft Milan men die Siedler auch staatliche Kredite aus daß keine infrastrukturellen Einrichtungen vor- Nagar zieht um / Foto: Wichert Neu-Delhi, die allerdings nur den Frauen zuge- handen sind und hohe Kosten für das Pendeln sprochen wurden. Die Männer konnten derarti- zur Arbeitsstätte kaum aufgebracht werden ge Kredite also nur über ihre Frauen erhalten. können. So bleibt vielen nichts anderes übrig, als sich in der Nähe des Arbeitsplatzes am Wohnungsdilemma in Bombay Straßenrand niederzulassen. Lärm und Abga- se verstärken hier noch die widrigen Lebens- Wie wichtig die Arbeit der Nichtregierungs- umstände. Die Straßenrandbewohner profitie- organisationen ist, wird deutlich, wenn man die ren am allerwenigsten von staatlichen Geldern Ausmaße der Wohnungsproblematik näher be- und Wohnbauprogrammen. Eine Räumungs- trachtet: Zwischen 1960 und 1980 verdoppelte aktion führte 1986 zu einer Zwangsumsiedlung sich Bombays Bevölkerung von 4,5 auf 9 Millio- von Straßenrandbewohnern aus Süd-Bombay nen Einwohner; heute liegt die Zahl bei über 12 nach Dindoshi, ca. 30 km nördlich gelegen. Die Millionen. Mit dem Wachstum der Stadt konn- Vertriebenen fanden hier ein ungerodetes ten die Infrastruktur und die Wohnungs- Stück Land vor, ohne jegliche infrastrukturelle versorgung nicht Schritt halten. Ca. 60% der Versorgung. Hier setzte die Arbeit von Mahila Bevölkerung leben in Slums, 1,5 Millionen so- Milan an, die bei der Errichtung der Toiletten- gar auf der Straße. Besonders für die häuschen, der Versorgung mit Strom und Was- Straßenrandbewohner (pavement dwellers) ser sowie dem Bau von Häusern behilflich war. setzte sich SPARC in seiner Anfangszeit ein, da diese der Willkür der Stadtverwaltung aus- Ortstermin in Dindoshi gesetzt waren. Donnerstags um 10.30 Uhr sind wir mit Frau- Sämtliche Strategien der Stadtverwaltung en aus diesem Gebiet im Büro von Mahila Mi- konnten die Probleme aber nicht beseitigen. lan verabredet und informieren uns vor Ort Mit Räum- und Bulldozerkommandos erreichte über die Siedlung. Jede Familie erhielt 15 qm man lediglich deren Verlagerung. Illegal Sie- Grundfläche für ein Haus, der Umzug erfolgte delnde wurden mit Gewalt vertrieben. Der Er- in Gruppen von 350 Familien. Heute leben folg währte nicht lange; die Vertriebenen waren 30.000 Menschen in Dindoshi. Die Familien, bald in einem anderen Teil der Stadt wiederzu- die von der Stadt umgesiedelt wurden, müssen finden. Der Aufstand der Bürger und Betroffe- einen Betrag von 47 Rs an die Stadt entrichten Das Musterhaus von SPARC nen hat immerhin zur nachträglichen Legalisie- und bekommen dafür ein Papier, das die Lega- besteht aus einem Grundriß rung von Gebieten geführt, die vor 1990 errich- lität bescheinigt. Dindoshi dehnt sich immer von 15 qm und einem „Loft“ tet wurden: ein längst überfälliger Schritt, wie noch aus, wobei Neuankömmlinge oft bis zu von nochmals 7 qm / Foto: die meisten meinen, tragen doch auch die 20.000 Rs an Vorsteher zahlen müssen, illegal Wichert Slumbewohner durch Tätigkeiten im informel- wie sich versteht. len Sektor erheblich zur Produktivität der Stadt bei. Von Seiten der Stadt fürchtet man aller- Sehr schnell fällt einem in den verschiede- dings - bei einer zu loyalen Umgangsweise mit nen Projektgebieten von SPARC, Mahila Milan den illegalen Siedlungen - einen weiteren An- und NSDF die Gleichheit des Hausbaus auf. In stieg der Migrationsströme nach Bombay, und Mankhurd hat es die Siedlergemeinschaft Mi- das versucht man mit aller Macht zu vermei- lan Nagar geschafft, von der Stadtverwaltung den. Die knappe Ressource Boden ist das ein Stück Land zu erhalten. Milan Nagar ist wertvollste Gut der Stadtväter von Bombay, zu eine Gemeinschaft, die von Straßenrand- verschenken gibt es da nichts. Im Geschäfts- bewohnern in Byculla gegründet wurde und zentrum am Nariman Point liegen die Boden- nun nach und nach auf das neue Land um- preise ähnlich hoch wie in Tokio und London. zieht. Dabei wird auf dem zugeteilten Gelände zunächst ein sog. „Transit-Camp“ errichtet, bei Kein Platz für die Armen dem noch die Materialien der früheren Unter- kunft verwendet werden. Nach Umsiedlung in Die Lage Bombays auf einer ins Arabische das Transit-Camp wird mit dem eigentlichen

44 T r i a l o g 5 9 / 1 9 9 8 Hausbau begonnen. Auf einem Betonsockel der Nähe des Hauses unter Aufsicht der Mut- von 15 qm werden die Wände hochgezogen. ter. Die Unterschätzung solcher Aspekte bei links / In Mankhurd haben die Mit vorgefertigten Betondecken erhält der sozialen Wohnbauprogrammen führte zu eini- Siedler das Ziel des Eigenhei- Raum noch eine zweite Ebene (sog. Loft) von gen Mißerfolgen: Im Rahmen des Prime Mini- mes immer dicht vor Augen / Foto: Wichert ca. 7 qm, die über eine innere Treppe erreich- ster Grant Project (PMGP) wurden Mehrfamili- bar ist. Mit dieser Raumaufteilung ist es mög- enhäuser gebaut, ohne auf die Bedürfnisse der rechts / Erst nach der Errich- lich, ein wenig mehr Privatsphäre zu schaffen, zukünftigen Bewohner einzugehen. Geringe tung des Transit-Camps wird da eine Familie in der Regel aus fünf bis sechs Akzeptanz bei den Slumbewohnern führte zur mit dem eigentlichen Hausbau Personen besteht. Im Untergeschoß befinden Weitervermietung der Wohnungen und einer begonnen / Foto: Wichert sich im hinteren Teil des Hauses ein gemauer- Rückkehr in die Slums, in denen soziale Struk- ter Herd und eine Waschstelle. turen noch intakt waren. Solche Entwicklungen wollen SPARC, NSDF und Mahila Milan ver- Bausparkasse für Arme meiden, indem die Siedler ihr Haus nach und nach selbst bezahlen, beim Bau mithelfen und Für den Bau der Häuser sparen die Mahila gemeinsam mit ihren Nachbarn umziehen. So Milan-Mitglieder einen Betrag von 5000 Rs. Mit können soziale Strukturen erhalten bleiben und diesem Grundkapital sind sie bei der Bank kre- Mißerfolge vermieden werden. ditwürdig und können einen Betrag in Höhe von 20.000 Rs erhalten, den sie innerhalb von Umsiedlung nach Kanjur Marg zehn Jahren zurückzahlen müssen. Erst wenn dieser Kredit zurückgezahlt ist, erhalten die Bei einem geplanten Umsiedlungsprojekt in Bewohner die offiziellen Papiere für ihr Stück Kanjur Marg wird jedoch auch hier der Liebe Land. Auf diese Weise soll verhindert werden, zum ebenerdigen Wohnen ein Ende gesetzt. daß sie ihre neue Wohnung schnell wieder zu Aufgrund der geplanten hohen Einwohner- höheren Preisen verkaufen, wie das bei staatli- dichte ist eine zumindest zweistöckige Bebau- chen Programmen in der Vergangenheit der ung unumgänglich. Wer in den unbeliebten Fall war. zweiten Stock zieht, wird wahrscheinlich per Los entschieden. Doch viele nehmen das ger- In Mankhurd besuchen wir eine Familie, die ne in Kauf, denn das zu räumende Wohngebiet seit vier Jahren in der neuen SPARC-Siedlung liegt so nahe an den Schienen, daß Mütter sich lebt, welche aus 120 bunten Reihenhäusern oft nicht trauen, ihre Kinder alleine spielen zu besteht. Ihr Haus hat 23.000 Rs gekostet und lassen. Zudem ist in Kanjur Marg die Angst, konnte dank der „Baukredite“ von Mahila Milan vertrieben zu werden, gebannt, da nach Ab- errichtet werden. Der Kredit von 13.000 Rs zahlung des Kredits das Land ihr Eigentum muß in Raten von 105 Rs pro Monat zurückge- sein wird. zahlt werden. Zusätzlich kostet der Strom 200 Rs monatlich (die Familie verfügt über einen Oft führt bereits die Legalisierung von Slums Kühlschrank und einen Fernseher), und tägli- zu verbesserten Wohnverhältnissen. Lebt man che Ausgaben für Nahrung schlagen mit 50-60 in der Gefahr, jeden Tag vertrieben werden zu Rs zu Buche. Nach der Rückzahlung des Kre- können, ist die Bereitschaft, in sein Haus zu in- dits träumt die Frau jedoch von Verbesserun- vestieren, eher gering. So sind Fernsehappara- gen. Die Kochstelle würde sie lieber zur Straße te oft eine der wenigen Investitionen der Slum- hin ausrichten und den Zugang zum Loft von bewohner, da diese bei Räumungsaktionen außen ermöglichen, um auch den Söhnen ei- schnell mitgenommen werden können. Mit dem gene vier Wände zu geben. Bewußtsein, nicht vertrieben werden zu kön- nen, steigt auch die Bereitschaft, in sein Haus Das tägliche Leben findet für die Frauen zum zu investieren. größten Teil im Freien statt und nicht isoliert in den kleinen Häusern. So nehmen öffentliche Akten verschwunden Plätze eine besondere Bedeutung im Alltag der Frauen ein: Hier wird das Essen zubereitet, die Wie hart der Kampf um freies Land ist, wur- Wäsche gewaschen, und die Kinder spielen in de an den letzten Tagen unserer Projektarbeit

T r i a l o g 5 9 / 1 9 9 8 45 deutlich. Der Eigentümer des benachbarten Siedler, auf eine Strategie, die von den Behör- Grundstücks in Kanjur Marg hatte die Verträge den eingeführt wurde, nachdem staatliche zwischen SPARC und der Eisenbahngesell- Wohnbauprogramme nicht den erhofften Erfolg schaft „verschwinden“ lassen. Anscheinend erzielten. Die Schlüsselwörter zur Lösung der war er ebenfalls an dem Land interessiert. Wohnungsmisere heißen FSI und TDR. Der Doch Jockin beugte der Korruption vor und FSI (Floor Space Index), ähnlich der Geschoß- zeigte uns stolz den Ordner mit den Kopien der flächenzahl nach deutschem Planungsrecht, Verträge. gibt an, wieviel Quadratmeter Wohnfläche auf einem gegebenen Grundstück errichtet werden Die Häuser in Kanjur Marg werden von den dürfen. Durch das Slum Redevelopment Siedlern selbst errichtet: ein gewagtes Unter- Scheme (SDR) wurde der FSI für Slums auf nehmen, sollen auf das neue Areal doch 2,5 festgesetzt, d.h., auf einem Grundstück von 10.000 Menschen umgesiedelt werden. Für 10 qm dürfen 25 qm Wohnfläche geschaffen das Land hat sich SPARC eingesetzt, nachdem werden. Ein privater Investor, der sich bereit er- die Eisenbahn für den Ausbau der Bahnstrecke klärt, das Gebiet zu sanieren, kann nun die von vier auf sechs Gleise viele Slums entlang maximal erlaubte Wohnfläche auf dem Grund- Gemeinsam bereitet man den der Schienen räumen wird. Um die Kosten für stück errichten und somit mehr Wohnraum Hausbau vor / Foto: Wichert die neue Siedlung gering zu halten, erstellte schaffen als für die Unterbringung der ehemali- gen Slumbewohner nötig wäre. Diesen zusätz- lichen Wohnraum kann er dann auf dem freien Markt verkaufen und somit von dem SDR profi- tieren.

Falls der Investor nicht die maximal erlaubte Wohnfläche errichtet, ist es möglich den „übrig“ gebliebenen FSI-Anteil in einem anderen Ge- biet zu realisieren. Dieses Recht, den FSI zu transferieren, nennt man Transfer of Develop- ment Rights (TDR). Man stelle sich vor, in ei- nem Wohngebiet würde ein einstöckiges Haus gebaut, obwohl drei Stockwerke zulässig wä- ren: Diese nicht genutzten zwei Geschosse verkauft man nun an einen Investor, der damit das Recht hat, die Fläche für einen Hochhaus- bau in der Innenstadt zu nutzen. Was schwer ein zu SPARC gehörender Architekt die Pläne zu verstehen ist und gegen jegliche Ziele und für die neuen Häuser. Auch hier legte man Absichten städtischer Planung spricht, ist in großen Wert auf die Partizipation der Zielgrup- Bombay Realität. pe und versuchte, Wünsche und Ideen in die Planung einfließen zu lassen. Schwierigkeiten Für die meisten nur ein Traum haben die meisten Siedler bei der Vorstellung und Einschätzung von Maßangaben. Als Hilfs- Nach Jockins Vorstellungen soll der einge- mittel dienen hier zwei Saris (Tücher), die - zahlte Betrag der Mahila Milan-Bausparer nicht aufgefaltet und nebeneinander liegend - die für den Siedlungsbau genutzt werden. Er Grundfläche der Häuser darstellen. glaubt, daß die Bebauung weitgehend durch den Verkauf von FSI-Rechten finanziert werden Neues Land viel zu klein kann. Der angesparte Betrag kann dann für so- Literatur ziale Einrichtungen oder als persönliche Rück- C. Warning: Partizipation bei Maß- Der neue Siedlungsplatz umfaßt 21.000 qm lage genutzt werden. Seiner Zuversicht stehen nahmen der Wohnungsversorgung. Erfahrungen aus den Slums von und muß vor der Bebauung erst entwässert wir skeptisch gegenüber, hieß es doch von an- Bombay, Sozialwissenschaftliche und mit Müll aufgefüllt werden. Ursprünglich derer Seite, daß der Bedarf an TDRs auf dem Studien zu internationalen Proble- war die Fläche größer, doch mittlerweile hat die freien Markt eher rückläufig sei. Unsere men Bd. 190, Verlag für Entwicklungspolitik Breitenbach Stadt einen Teil davon für den Neubau einer Projektergebnisse, die neben der Auswertung GmbH, Saarbrücken 1994 Brücke genutzt. Einen üblen Beigeschmack hat von empirischen Daten auch ein umfangrei- S. Patel und S. Thorner (Hrsg): die Umsiedlung allerdings. Auf dem Land ha- ches Kartenwerk mit stadtplanerischen Ent- Bombay. Metaphor for Modern ben sich bereits einige Familien häuslich ein- würfen enthalten, nutzen die NGOs heute, um India, Oxford University Press, gerichtet, jedoch illegal. Eine Vertreibung will sich wieder ein Stück selbstbewußter den Be- Bombay 1996 SPARC vermeiden, aber eine Lösung ist noch hörden zu stellen. Ob die Rechnung für die zu- nicht gefunden. künftige Siedlung in Kanjur Marg aufgehen

Holger Wichert, Dipl.-Geo- wird sei dahingestellt, aber eines ist sicher: Die graph aus Mainz, war zusam- men mit Oliver Gehlen (siehe Neue Finanzierungsmöglichkeiten für Siedler haben es mit Hilfe von SPARC, Mahila auch dessen Beitrag in die- sem Heft), einem Studenten den sozialen Wohnungsbau Milan und NSDF geschafft, ein Stück Land zu der Wirtschaftswissenschaf- erhalten und bald ihr eigen nennen zu können, ten und einem Restaurator von Oktober 1997 bis Januar Für die Finanzierung der neuen Siedlung etwas, was für den Großteil der Bevölkerung 1998 in Bombay stützt man sich, neben den Ersparnissen der Bombays weiterhin ein Traum bleiben wird.

46 T r i a l o g 5 9 / 1 9 9 8 Umnutzungsvorschlag für die Cotton Textile Mill Kohinoor 1 und 2 in Bombay

OLIVER GEHLEN

Die großen Textilmühlen in Bombay waren in A Rehabilitation Project for der Vergangenheit ein wichtiger Motor der the Cotton Textile Miles in Stadtentwicklung. Im letzten Jahrhundert leg- Bombay ten sie den Grundstein für die heutige Größe und Bedeutung der Stadt. Etwa ab 1850 wurde Bombay has one of the damit begonnen, im Herzen Bombays diese highest population densities in Industrieareale anzulegen. Zu ihrer Blütezeit the world and about 13 million inhabitants. The enormous waren die über 300 Mühlen der Arbeitgeber für areas of the former cotton tex- ca. 50% der städtischen Bevölkerung. Heute tile mills in the city centre, liegen diese Fabrikareale in den Stadtteilen which at the beginning of the Dadar und Parell an einer strategisch überaus century gave work to almost günstigen Stelle: Zwischen dem neu entste- half of the urban population, henden Verwaltungsbezirk Bandra Kurla im are nowadays left unexploited Norden und den dichten traditionellen Büro- and decaying. As they are und Verwaltungsbezirken Fort Area und moving into the focus of Nariman Point im Süden stellen sie ein wichti- possible investors and ges Bindeglied dar. Die mills sind umgeben von speculators they are beginning to become a highly dichter Wohnbebauung und Gewerbe in leben- sensitive topic in public digen und aktiven Quartieren. Eine zusätzliche im Zentrum von Bombay äußerst ungünstig. discussion. The design project Bedeutung besitzen die Stadtteile Dadar und Die meisten mills sind bereits in Konkurs ge- demonstrates a possible Parell als wichtige Verkehrsknotenpunkte für gangen oder haben ihre Produktion aus der rehabilitation and reuse of the Einfallstraßen und den öffentlichen Nahverkehr Stadt in das Umland verlegt. 80.000 square metres of the der Stadt. Kohinoor Mill 1 and 2, one of Die brachliegenden Areale sind ein heikles the historic landmarks of Bom- Welche Zukunft für die Cotton Mills? Politikum. Der Wert der Grundstücke ist so bay. The concept is to give the hoch, daß Korruption beim Geschäft um die city more public spaces and Bombay hatte bis vor drei Jahren die höch- mills an der Tagesordnung ist und sich sogar leisure grounds and at the same time to offer cheap, flexi- sten Grundstückspreise der Welt, die selbst die das organisierte Verbrechen für die Grundstük- ble and centrally located living Preise in traditionell teuren Städte wie Tokio, ke interessiert. Die privaten Eigentümer, denen space for low income groups. Hongkong und London noch übertrafen. Diese ca. 50% aller Standorte gehören, streiten sich extreme Situation hat sich heute zwar ein we- mit der Stadt, den Planern und den Architekten nig entspannt, doch sind Baugrundstücke, be- um die Zukunft der Gebäude und deren Nut- dingt durch die Bodenknappheit auf der Halbin- zung. Sie wollen den Grund und Boden so teu- sel von Bombay, noch immer teure Spekula- er wie möglich an bereitstehende Investoren tionsobjekte. Deshalb lastet ein enormer Druck verkaufen; und selbst die Stadt plant, die in ih- auf den übriggebliebenen ca. 60 cotton textile rem Besitz befindlichen Mühlen langfristig zu mills. Etwa die Hälfte davon sind noch in Be- verkaufen. Davor warnen Stadtplaner und Ar- trieb, während die andere Hälfte auf teurem chitekten, die den Ausverkauf der letzten gros- Grund und Boden mit oftmals historischer Bau- sen Entwicklungspotentiale der Stadt befürch- oben / Ansicht der neuen substanz brachliegt und verfällt. ten. Der Architekt Charles Correa machte den Wohnzeile als südlichem Ab- Vorschlag der sog. „Drittel-Lösung“: Ein Drittel schluß des Geländes Auch die Zukunftsaussichten für die noch in des jeweils zum Verkauf anstehenden Grund- Betrieb befindlichen mills sind ungewiß, da in stücks solle der Stadt für Wohnbauprogramme Schwarzplan des Umnutz- der Baumwollverarbeitung die Konkurrenz aus zur Verfügung gestellt werden, ein weiteres ungsvorschlages für Kohinoor 1 und 2 mit Umgebung Fernost seit Jahrzehnten die indischen Produk- Drittel als öffentliche Flächen für die Bevölke- te verdrängt. Darüber hinaus liegt der Standort rung nutzbar sein und das letzte Drittel an In-

T r i a l o g 5 9 / 1 9 9 8 47 bay. Sie liegt günstig an einer der Haupt- verkehrsachsen, die das Zentrum von Bombay erschließen und ist von dichten Arbeitervierteln umgeben. Die im Westen angrenzende Straße ist stark belebt und dient als Einkaufsstraße und Busbahnhof. Die Kohinoor Mill 1 und 2 wurde 1896 von einem Engländer gegründet und ist heute in öffentlichem Besitz. Der Zu- stand der Gebäude variiert von sehr gut bis ab- solut baufällig. Die beiden Schornsteine, die das Erkennungszeichen der Mühlen waren, wurden leider in den letzten Jahren aus Sicher- heitsgründen abgerissen.

Die Grundidee des Entwurfs besteht darin, das ca. 8 ha große Industriegelände zu öffnen, der Bevölkerung zugänglich zu machen und damit der Stadt dringend benötigte Frei- und Erholungsflächen zur Verfügung zu stellen. Wichtig war die Entscheidung, welche Gebäu- de der Gesamtanlage erhaltenswert sind. Zur Zeit stehen auf dem Gelände viele Lagerhal- len, kleine Verwaltungsschuppen, verfallene Maschinensäle und Baracken neben den ehe- maligen Produktionsgebäuden und den großen Shedhallen. Die Entscheidung fiel zugunsten der größten und ältesten Gebäude auf dem Gelände aus.

Die hohen Produktionsgebäude, die nach ei- nem früheren Teilabriß des vierten Geschos- ses ein Flachdach erhalten haben, stammen aus der Zeit um die Jahrhundertwende und da- mit den Gründungsjahren der Mühle. Durch das Öffnen des Flachdachs und das teilweise Entfernen der mittleren Gebäudeachse kann Licht in die neu ausgebildeten „Innenhöfe“ die- ser sehr tiefen „Schiffe“ fallen. Vorgesehen ist eine Umnutzung zu Büros (in den Oberge- schossen) und Läden im Erdgeschoß des westlichen Gebäudes. Die Flachdächer können als nutzbare Flächen vermietet werden: Für Veranstaltungen wie Hochzeiten, Familienfei- ern oder besondere Aktivitäten an Feiertagen sind repräsentative Orte wie diese sehr ge- fragt. oben / Fassadenausschnitt vestoren verkauft werden. Insgesamt handelt es sich bei den ca. 60 Mühlen um ein riesiges Die eingeschossigen Shedhallen sind Stahl- unten / Produktionsgebäude Flächenpotential von ca. 240 ha, für das lang- konstruktionen aus den zwanziger Jahren und mit abgerissenem viertem Ge- fristig eine Lösung gefunden werden muß. besitzen durch ihre Nordausrichtung eine gute schoß Lichtqualität. In Zukunft sollen sie verschiedene Die Cotton Mill Kohinoor 1 und 2 Nutzungen wie Kleingewerbe (im östlichen Shed) und Marktflächen (im westlichen Shed) Die für das Projekt ausgewählte Cotton Mill aufnehmen, wobei die offene Struktur der hel- Kohinoor 1 und 2 zählt zu den ältesten, größ- len und weiten Hallen weitgehend erhalten ten und am besten erhaltenen Mühlen in Bom- bleibt. Vor der westlichen Halle befindet sich

Geländeschnitt von Norden nach Süden, links die Stadt- halle, rechts die neue Wohn- zeile

48 T r i a l o g 5 9 / 1 9 9 8 Lageplan des Gesamt- projektes, im Nordwesten der Busbahnhof, im Süden die neue Wohnzeile der Busparkplatz für die Fernbusse, die von Laubengangerschließung für Büros und Woh- Bombay-Dadar aus abfahren. Zwischen den nungen in den Obergeschossen sowie Ge- Hallen spannt sich eine Fläche auf, die als schäfte im Erdgeschoß. Frei- und Erholungsraum dient. Ein Schatten spendendes Baumdach und eine Wasserfläche Die Wohnungsnot ist eines der gravierend- bestimmen diesen ruhigeren Bereich. sten Probleme der Stadt. 50 % der Bevölke- rung Bombays leben in Slums. Die durch- Die Wohnbebauung schnittliche Familiengröße beträgt sechs Per- sonen. Traditionell leben in der indischen Ge- Im Süden wird das Areal durch eine 300 Me- sellschaft die Söhne mit ihren Frauen im Haus- ter lange Neubebauung eingefaßt, welche eine halt der Eltern. Für Neubauten ist eine Min- Grenze zwischen „innen“ und „außen“ definiert. destgröße von 22,5 qm pro Wohnung vorge- Dieser Bau resultiert aus der Idee, dem Gelän- schrieben. Der Entwurf bietet in der langen de - ähnlich der Funktion von Parkmauern - ei- „Wand“ 120 Wohnungen zwischen 31 qm und nen geschützten Charakter zu geben. Dement- 63 qm für untere Einkommensschichten an. sprechend ist die Südfassade wie eine Wand Alle Wohnungen sind nach Nordwesten orien- tiert, was in Bombay die bevorzugte Ausrich- tung ist. Pro Geschoß sind immer acht Woh- nungen durch eine Treppe erschlossen. Jede der Wohnungen besitzt eine eigene Terrasse als Freifläche, was für das Leben einer indi- schen Familie von großer Bedeutung ist. Diese Shedhalle, Innenansicht Flächen werden vielfältig zum Arbeiten, Schla- fen, Trocknen, Essen usw. genutzt. Zwischen dem Neubau und dem großen Platz im Norden ist ein halbprivater Vorbereich durch Bäume abgetrennt.

Es bleibt zu hoffen, daß es in Bombay einem Architekten gelingen wird, eine mill beispielhaft gestaltet. Im Abstand von jeweils 40 Metern umzubauen, um der Stadt und der Bevölke- gibt es Durchgänge, an denen auch die Er- rung das Potential, den Wert und die Bedeu- schließung für die Obergeschosse liegt; in der tung der Textilmühlen für Bombay aufzuzeigen. Oliver Gehlen, Dipl.-Ing. Ar- Mitte befindet sich der Hauptdurchgang zur Der Entwurf möchte dazu einen Beitrag leisten chitektur, war 1997 zusam- men mit Holger Wichert (sie- großen Freifläche im Inneren des Areals. Die und die Diskussion über die Zukunft dieser Flä- he dessen Beitrag in diesem Heft) in Bombay. Aus dem Südfassade übernimmt eine Schutzfunktion chen als letzte große Entwicklungspotentiale ASA-Projekt heraus entstand seine hier dargestellte Di- gegen die Sonne und hat deshalb nur wenige, für das Zentrum Bombays anregen. plomarbeit an der TU Mün- kleine Öffnungen. Hinter ihr liegt eine chen.

T r i a l o g 5 9 / 1 9 9 8 49 Architektur und Städtebau in Bassar, einer Kleinstadt in Togo

CHRISTINE WAMSLER

Architecture and Urban Vier Monate lang wohnte ich in Bassar, einer Development in Bassar, Kleinstadt mit rund 20.000 Einwohnern im Nor- Togo den von Togo. Ein Großteil der Bevölkerung lebt von der Landwirtschaft, gut die Hälfte der Bassar is a small town in Menschen praktiziert traditionelle Religionen. northern Togo. The article Während meines Aufenthalts untersuchte ich presents its architecture and die Architektur- und Stadtentwicklung von urban development comparing Bassar und führte eine Fortbildung für die traditional and modern elements and investigating for Maurer der Handwerkergenossenschaft changes in plans, techniques GIPATO („Groupement Interprofessionel des and building technology. The Artisans du Togo“) durch. traditional round huts thatched with straw are vanishing more Architekturentwicklung and more being replaced by solid rectangular houses with In den Zentren der alten Viertel ist die Be- roofs of corrugated iron. The bauung relativ dicht. Das Bild wird von Rund- fascinating traditional hütten mit Strohdach bestimmt, kreisförmig an- craftwork of facade painting is geordnet und durch Mauern verbunden. Die so disappearing as well. Concerning the urban gebildeten Gehöfte sind der Wohnsitz von je- structure Bassar originates in weils einer Familie. Im Laufe der Zeit wurden several small villages that die traditionell geprägten Anlagen durch mo- grew together to a polycentric dernere Konstruktionen erweitert und teilweise town. Its development is rather ersetzt, so daß rechteckige Massivbauten an slow and technical die Stelle der runden Lehmhäuser traten und infrastructure still miserable. Wellblech das Strohdach ersetzte. Among other reasons, this is blechdächern geprägt, die eine lockere, offene caused by the isolated Die Umwandlung der ursprünglichen Struktu- Bebauung bilden. position of the town and by the ren begann bereits 1897 mit der Anlage von fact that the urban planning for Bassar is carried out far away neuen Straßen, was dazu führte, daß heute Gehöfte in the capital Lomé without um eine noch relativ traditionelle Bebauung knowing the local situation herum ein orthogonales Straßennetz liegt. Ein Gehöft besteht aus Hütten zum Wohnen and relevant problems. Neue Häuser übernehmen den rechtwinkligen und Kochen, Getreidespeichern und Nischen Plan und reihen sich entlang der Straßen auf. zum Duschen. Beim traditionellen Gehöft geht man durch das Eingangshaus - das Vestibül - Die Gebäude selbst bestehen aus einer hindurch und gelangt auf den zentralen Hof, Aneinanderreihung von Räumen, die von ei- der durch kreisförmige Hütten und Verbin- nem innenliegenden Hof aus erschlossen sind. dungsmauern abgegrenzt ist. Jede der mit dem In den wenigen Häusern, die sich zur Straße Besitzer des Gehöfts verheirateten Frau be- Ville de Bassar. Quelle: hin öffnen, findet man vorrangig kleine Ge- wohnt zusammen mit ihren jüngsten Kindern Diréction de l’urbanisme et de schäfte oder Kneipen. Ein eher seltener Haus- eine dieser Hütten. Oft kann man durch diese l’habitat, Lomé typ ist die moderne „Villa“, meist auf rechtwink- Rundbauten ebenfalls hindurchgehen und ligem Grundstück und nach hinten - in die Mitte stößt dann auf einen kleineren Hof, an den Parzelle - versetzt. Hier enthält das Gebäude, wiederum Hütten angegliedert sind. Hier woh- im Gegensatz zu den anderen Beispielen, nen die älteren Kinder. Durch das dichte Zu- auch sanitäre Einrichtungen. Insgesamt wird sammenbauen entsteht ein faszinierendes, Bassar heute von Rechteckbauten mit Well- labyrinthartiges Gebilde aus Häusern und Hö-

50 T r i a l o g 5 9 / 1 9 9 8 Kreisförmiges Gehöft / Foto: Christine Wamsler

Lageskizze (A) vier Zimmer, je eines für den Hausherrn und seine drei Frauen; (B) Küche; (C) Raum für Ziegen und Schlafzimmer für fünf Söhne; (D) Tierstall; (E) Schlafzimmer; (F) nicht mehr genutzte Dusche; (G) Fetischhaus, in dem alle wich- tigen Gegenstände für Zere- monien aufbewahrt werden; (H) ungenutzter Raum; (I) Du- sche; (J) Getreidespeicher; (K) Haus der ältesten Tochter; (L) Haus des ältesten Sohnes: fen. Neuere Gehöfte übernehmen nur noch teil- vor. Charakteristisch ist seine offene Struktur, (M) Getreidespeicher weise die traditionellen Strukturen. Im Über- wobei die einzelnen Gebäude durch ihre An- blick lassen sich die vorgefundenen Bauformen ordnung zwar nach wie vor einen Hof bilden, in drei Typen einteilen: aber nicht mehr mit Mauern verbunden sind und zueinander mehr Abstand halten. Nur die Das kreisförmige Gehöft Küche ist noch als Rundbau mit Strohdach ausgebildet, während die restlichen Gebäude Alle Häuser sind kreisförmig um einen zen- rechteckig und mit Wellblech gedeckt sind. tralen Hof angeordnet und teilweise durch Durch den Hof führen teilweise öffentliche Mauern verbunden. Ein Vestibül existiert nicht, Wege, so daß seine Nutzung nicht mehr aus- stattdessen muß man, um in den Hof zu gelan- schließlich privat ist. Im hier abgebildeten Ge- gen, zwischen zwei Gebäuden hindurchgehen. höft wohnen 13 Personen. 1963 wurden der er- Die Frauen besitzen keinen separaten Neben- ste Rechteckbau, die Schmiede und die Küche hof, dafür können aber verheiratete Kinder für errichtet, 1974 folgte der zweite Rechteckbau. ihre eigene Familie das Gehöft um einen zwei- ten Hof erweitern. Da eine solche Vergröße- Das moderne Gehöft rung im relativ dicht bebauten Stadtzentrum nicht mehr möglich ist, findet man diesen Typ Diese Bauform wird auch „Villa“ genannt und heute eher im städtischen Umland vor. In dem ist in Bassar bislang eher selten. Trotz der mo- dargestellten Beispiel wohnt der Besitzer mit dernen Bauweise kann man deutlich traditio- seinen drei Frauen und neun seiner 25 Kinder nelle Elemente wiederfinden: Gebäude und zusammen. Nur das Hauptgebäude (A) ist mit Verbindungsmauern formen einen Haupt- und Wellblech gedeckt. Das Gehöft wurde in Etap- einen Nebenhof, das Vestibül hat seine Funkti- pen errichtet: 1979 wurde mit dem Bau des on als Eingangshaus verloren, bleibt aber als großen Rechteckbaus begonnen, der Rest Versammlungsraum ein wichtiger Bestandteil folgte gegen den Uhrzeigersinn, bis sich der des Gehöfts, und die Wohnbereiche des Haus- Kreis schloß, und schließlich hat ein Sohn für herrn, seiner Frauen und der Kinder sind räum- seine eigene Familie die Häusergruppe um ei- lich voneinander getrennt. Das dargestellte nen Nebenhof erweitert. Wohnhaus wurde 1968 errichtet. Daneben wur- de zunächst ein kleines, strohgedecktes Vesti- Das offene Gehöft bül gebaut, das jedoch vor sechs Jahren durch das heutige große und mit Wellblech gedeckte Dieser Typ kommt in Bassar am häufigsten ersetzt wurde.

Offenes Gehöft / Foto: Christi- ne Wamsler

Lageskizze (A) vier Zimmer für verschie- dene Familienangehörige; (B) Werkstatt: (C) drei Zimmer, je eines für den Hausherrn, des- sen Frau mit zwei Kindern und den Lehrling; (D) Ziegenstall; (E) Küche

T r i a l o g 5 9 / 1 9 9 8 51 Modernes Gehöft / Foto: Chri- stine Wamsler

Modernes Gehöft EG: drei Zimmer, Dusche und WC für zwei Frauen und fünf Kinder sowie zwei leerstehen- de Räume; OG: zwei Zimmer, Dusche, WC, Wohn- und Eß- raum für den Besitzer und ei- nen Sohn sowie zwei leerste- hende Räume; Vestibül; leer- stehendes Zimmer, Dusche, WC, Terrasse sowie Carport; Küche und drei Abstellräume

Veränderungen bestehender Traditionelle und moderne traditioneller Gehöfte Bautechnologie

Im Laufe der Zeit bilden sich nicht nur, wie An den aufgezeigten Beispielen sieht man, aufgezeigt, neue Bauformen heraus, sondern daß heute rechteckige Massivkonstruktionen auch bestehende traditionelle Gehöfte verän- mit Wellblechdach gegenüber den Rundhütten dern sich in der Abfolge der Generationen. Da- mit Strohdach bevorzugt werden. Sie stehen bei werden Eingänge zugemauert und an einer für Fortschritt. Daß aber auch vieles für die tra- anderen Stelle durchgeschlagen, verfallene ditionelle Bauweise spricht, zeigen Gespräche Häuser durch neue, meist rechteckige ersetzt mit Bewohnern und Handwerkern: Ein ange- oder Gehöfte je nach Bedarf vergrößert oder nehmes Raumklima, günstige Erstellungs- verkleinert. Das hier gezeigte Gehöft des kosten, eine kurze Bauzeit u.a. sprechen für Chefs von Banjili wurde im Jahr 1989 erstmals Strohdächer und Lehmbauten, wohingegen von Hans Peter Hahn in seinem Buch „Die ma- Dauerhaftigkeit, Schutz vor Insektenbefall, hö- terielle Kultur der Bassar“ veröffentlicht. 1997 herer Brandschutz u.a. zu den Vorteilen von habe ich die zwischenzeitlich erfolgten Verän- Wellblechdächern und Zementsteinen dienen. derungen untersucht und aufgezeichnet. Durch Tatsache bleibt jedoch, daß im Laufe der Zeit den Tod von Familienangehörigen fielen ganze die traditionellen Techniken verlorengingen, so Höfe weg, Eweiterungen fanden dort statt, wo daß die jungen Leute heute meist nicht mehr die neuen Frauen der Söhne des Chefs zuzo- wissen, wie man ein Strohdach oder einen gen oder durch Kinder die Familie angewach- Lehmbau errichtet. Davon ebenso betroffen ist sen war. die traditionelle Fassadenbemalung.

Traditionelle Wandmalerei

Die Frauen malen mit der Hand auf einem rotbräunlichen Verputz horizontale, vertikale und im Zick-Zack verlaufende Bänder von ca. 30 cm Breite. Dazu verwenden sie eine Mi- schung aus schwarzem Sand und Lehm. In die noch nassen Bänder wird mit einem spitzen Metallstück ein Fischgrätmuster eingedrückt, wobei die Zick-Zack-Linien so tief eingeritzt werden, daß die rotbräunliche Farbe des Ver- putzes wieder zum Vorschein kommt. Einige Tage später wird die Fläche mit der sog. néré- Lösung bestrichen, die eine kräftige Färbung erzeugt. Es gibt unendlich viele Varianten die- Veränderungen des Gehöftes ses Musters, aber leider immer weniger Frau- in Banjili zwischen 1989 und en, welche diese Kunst noch beherrschen. 1997. Leerstehende oder ein- gestürzte Gebäude sind mit Stadtentwicklung (X) gekennzeichnet Historisch hat sich Bassar aus mehreren, zu- nächst voneinander unabhängigen, traditionel- len Dörfern gebildet. Während der Kolonialzeit

52 T r i a l o g 5 9 / 1 9 9 8 ließ sich ein deutscher Verwaltungsposten in Technische Infrastruktur der Nähe dieser Ansiedlungen nieder, aus dem sich durch die Schaffung öffentlicher Einrich- In Bassar gibt es nur eine einzige asphaltier- tungen und den Bau von Beamtenwohnungen te Straße, und die ist in keinem besonders gu- im Laufe der Zeit ein Verwaltungsviertel entwik- ten Zustand. Auf allen Wegen steht aufgrund kelte. Später wurde an der zentralen Straßen- mangelnder Straßengräben in der Regenzeit kreuzung ein großer Markt eingerichtet, um das Wasser, das teilweise auch direkt an den den herum sich ausländische Händler nieder- Häusern entlang läuft und große Bauschäden ließen und das Händlerviertel Zongo gründe- verursacht. Zur Wasserversorgung wird das ten. Die städtischen Veränderungen lösten eine Wasser mit strombetriebenen Pumpen aus verstärkte Zuwanderung einzelner Personen Tiefbrunnen in einen Wasserturm gefördert, sowie ganzer Gruppen aus, die sich in den dessen Vorrat bei Stromausfall nach drei Tagen Zwischenräumen der bestehenden Viertel an- erschöpft ist. Allerdings besitzt der größte Teil siedelten und diese nach und nach ausfüllten. der Bevölkerung keinen Anschluß und ist auf Somit läßt sich Bassar als „polyzentrische öffentliche Pumpen und Zapfstellen angewie- Stadt“ bezeichnen - ein Typ, den man in den hi- sen. Die Stromversorgung wird durch ein Kraft- storischen Städten Schwarzafrikas häufig wie- werk in Kara gewährleistet. In der Regenzeit derfindet. sind Stromausfälle zwar häufig, da es in ganz Bassar aber nur 640 Anschlüsse gibt, sind da- Probleme der Planung von nur wenige betroffen. Brachflächen inmit- ten der Stadt dienen zur Müllentsorgung und In Kleinstädten wie Bassar gibt es keine Ar- gleichzeitig als Toilette. chitekten oder Stadtplaner vor Ort, sondern nur die sog. Geometer. Ihre Arbeit konzentriert sich auf die Ausstellung offizieller Dokumente zum Grundstückserwerb, die Anfertigung von Systemplänen für die Einrichtung von Wasser- oder Stromanschlüssen und die Vermessung noch nicht registrierter Gebiete. Sie müssen mit schlechtem Arbeitsmaterial und ohne tech- nische Ausrüstung (Kopiergeräte etc.) auskom- men.

Verschiedene Faktoren hemmen eine positi- ve Entwicklung der Stadt. Da die Stadtplaner in der Hauptstadt Lomé Bassar meist nur aus ih- ren Plänen kennen, planen sie realitätsfremde Projekte und Straßen, die überhaupt nicht ge- braucht werden. Dabei fallen traditionell gebau- te Häuser der Planung eher zum Opfer als mo- derne Massivbauten, was einen Verlust der tra- ditionellen Kultur und angepaßter Technologien Traditionelle Wandmalerei im mit sich bringt. Aufgrund der Tatsache, daß der Stadtteil Banjili. Immer weni- Weg zum Erhalt „offizieller“ Grundstücks- ger Frauen beherrschen heute noch diese Technik / Foto: papiere sehr kompliziert, teuer und undurch- Wamsler sichtig ist, bauen die Menschen meist ohne of- fizielle Papiere und riskieren dabei, daß ihre Und danach... Häuser irgendwann einmal aufgrund städte- baulicher Neuplanungen abgerissen werden. Nach vier unglaublich spannenden Monaten Freie Grundstücke gibt es im Stadtzentrum in Togo fiel mir die Rückkehr sehr schwer. In zwar noch viele, da sie aber bereits von den Deutschland kam mir vieles plötzlich fremd und Alteingesessenen für ihre Nachfahren „reser- eigenartig vor. Es machte mir Spaß, die Studie viert“ wurden, ist es für Zugezogene fast un- über Bassar zu schreiben und so die gesam- möglich, eine Parzelle zu erwerben. Ein weite- melten Eindrücke in Ruhe verarbeiten zu kön- res Problem sind die „Grenzen“ zwischen den nen. Anschließend reiste ich noch ein zweites einzelnen Vierteln: Da sie nicht eindeutig defi- Mal nach Togo, um die Hauptstadt Lomé und niert sind, kommt es zwischen den Bewohnern vor allem die dortigen Märkte, die mich schon Christine Wamsler, unterschiedlicher Viertel regelmäßig zu Strei- während meines ersten Aufenthaltes fasziniert Architekturstudentin an der Universität Stuttgart, war ge- tigkeiten, und folglich findet man in den hatten, etwas genauer zu untersuchen. Auf die- meinsam mit Angelika Kurz, Tischlerin, von Juni bis Okto- Zwischenzonen viele unbebaute Grundstücke ser Grundlage werde ich Anfang 1999 mit mei- ber 1997 in Togo. Der Titel ih- res Projekts lautete: „Mitar- bzw. auch solche, die bereits mehrfach ver- ner Diplomarbeit beginnen. beit in einer handwerklichen kauft wurden. Nicht zuletzt fallen in der Stadt Genossenschaft mit dem Ziel der Kleingewerbeförderung“. die vielen halbfertigen, schon wieder verfallen- Projektpartner waren GIPATO (Groupement Interprofes- den Häuser auf; die Gründe dafür sind Fehl- sionel des Artisans du Togo) planung und Geldmangel. und Lutz Masson vom DED.

T r i a l o g 5 9 / 1 9 9 8 53 Atlas der städtischen Lebensqualität in Concepción

DALK-ASCAN BANDILLA / CHRISTOPH VOGT

Atlas of Urban Quality of Das Ziel des viermonatigen Projektes beim zunächst vorhandene Informationen aus den Life for Concepción, Chile Stadtplanungsamt von Concepción in Chile Sozialerhebungsbögen „CAS-2“ analysiert. Der war, dem Begriff der Lebensqualität im Hinblick Sozialerhebungsbogen CAS-2 soll dazu die- The aim of the four-month auf Stadtplanung und Stadtentwicklung ein nen, die „Lebensqualität aller Chilenen zu ver- project at the planning Stück näher zu kommen und die Vielschichtig- bessern“. Gemäß Definition erlaubt er, mögli- department in Concepción keit der städtischen Armut sowie die Wider- che Sozialhilfeempfänger zu ermitteln und de- was an approach to urban sprüche zwischen dem gängigen Armuts- nen Sozialunterstützung zu gewähren, die der quality of life as a goal in verständnis und unserer persönlichen subjekti- Hilfe am meisten bedürfen. Die CAS-Erhebun- urban planning and development. At the same ven Wahrnehmung der Lebensqualität in der gen erfassen zwar nur ca. ein Drittel der Bevöl- time it was the attempt to Stadt darzustellen. Das Stadtplanungsamt von kerung, nach Angaben der Provinzregierung illustrate the multitude of ur- Concepción war zum Zeitpunkt des Aufenthal- befinden sich darunter jedoch etwa 80-90% ban poverty and the tes mit der Erarbeitung eines neuen Flächen- der Armen der Stadt. Sie beinhalten Informatio- contradictions between the nutzungsplans für die Stadt beschäftigt. Die nen zu Art, Ausstattung sowie Belegung bzw. common definition of poverty vorliegende Studie sollte in diesem Rahmen Überbelegung der Unterkunft (Material der and a personal perception of ein Beitrag leisten. Mauern, der Dächer, Licht- und Wasseran- urban quality of life. At the schluß, Zahl der Personen je Schlafraum etc.), beginning the authors used Erste Erfahrungen in Concepción zu Beschäftigung, Einkommen, Vermögen und the existing information about Ausbildung. poverty from the ”CAS-2” social inquiry to localise and Das Thema brachte es mit sich, sich zu- illustrate the different quarters nächst auf die benachteiligten Stadtgebiete zu Der prozentuale Anteil der Armen bzw. der and their respective degrees konzentrieren. Schon bei ersten „Spaziergän- extrem Armen gemäß der Definition CAS-2 gibt of poverty in Concepción. But gen“ fiel auf, daß es den Bewohnern dieser Aufschluß über die Sozialstruktur in den einzel- this pure materialistic Stadtteile in materieller Hinsicht an vielem nen Nachbarschaftseinheiten. Zum Beispiel approach did not consider mangelt. Die Wohnbedingungen konnten teil- beträgt in den Quartieren Agüita de la Perdiz many aspects of what they weise nur als unzumutbar bezeichnet werden. (A) beziehungsweise Lomas de San Andres (L) perceived as qualities during Trotzdem entstand der Eindruck, daß es neben der Anteil der Armen in Bezug auf die Einwoh- their walks through the city. In allem materiellen Mangel auch gewisse Quali- nerzahl der Viertel 76,9% bzw. 3,3%, der Anteil search of a broader definition täten in diesen Vierteln gibt. So einfach es aber der extrem Armen 26,7% bzw. 0,3%. In Agüita of what urban poverty could mean, the Chilean economist war, die offensichtlichen Mängel zu beschrei- de la Perdiz sind also gut ein Drittel aller Ar- Manfred Max-Neef’s theories ben, mit denen sich die Bewohner täglich kon- men sogar extrem arm; in den Lomas de San about urban quality of life and frontiert sehen, so schwer fiel es, die Qualitä- Andrés machen die extrem Armen lediglich his pledge for including non- ten, die sichtbar wurden, konkret zu benennen. etwa ein Zehntel der Armen in diesem Stadtteil materialistic aspects in the Diese Wahrnehmungen führten zur Frage, ob aus. Im Stadtviertel Baquedano (B) betragen evaluation, as well as his das subjektive Empfinden von „Qualitäten“ in- die Werte 8,5% respektive 0,6%. proposal to speak not only of nerhalb der offensichtlich problematischen poverty but of the poverties, Wohn- und Lebenssituation der Menschen in Aufgrund dieser Verteilung läßt sich vermu- inspired them to attempt an diesen Stadtteilen möglicherweise auf einer Art ten, daß die Masse der Armen in Agüita de la approach in this sense. They verklärender „Armuts- oder Verfallsromantik“ Perdiz weiter unterhalb der Armutsgrenze oder questioned a number of households in different areas beruht. Wie war diese „Armut“ einzuschätzen, sogar der Grenze der extremen Armut lebt als of the city to find out if and to wenn sie sich so widersprüchlich darstellte? in den Lomas de San Andrés, wo aufgrund des what extent these households sehr geringen Anteils der extrem Armen die interacted with their „Traditionelle“ Armutsindikatoren meisten Armen sehr wahrscheinlich eher am surrounding neighbourhood, „oberen Armutsende“, d.h. knapp unterhalb der and to illustrate the density of Um das soziale Gefälle in der Stadt darzu- Armutsgrenze anzutreffen sein werden. Die Ar- social relations. The results of stellen und zu zeigen, welche Bereiche in wel- mut in Agüita de la Perdiz scheint also - einmal these non-representative chem Grade von Armut betroffen sind, wurden abgesehen von der Anzahl der Betroffenen -

54 T r i a l o g 5 9 / 1 9 9 8 interviews show that inferior material living conditions in the “poor areas” may contrast with objective social qualities, whereas materialistically “rich areas” may show a certain social poverty which can lead to a deterioration of their ur- ban quality of life. In the discussion about sustainable development, a sustainable net of social relations may offer an important potential. This potential should not be neglected but instead be taken into consideration in the planning process. Even with limited financial means, the development and promotion of small-scale structures, participation of the inhabitants and a leaner bureaucracy could mean an important step towards to the improvement of the quality of life. eine härtere zu sein als in den Lomas de San Begriffe genauer zu fassen, ist die Auseinan- Andrés. dersetzung mit den Thesen des chilenischen Ökonomen Manfred Max-Neef hilfreich, der Die Karte CAS-2 gibt Aufschluß darüber, sich in seinen Arbeiten auch mit der Frage der welche Viertel der Stadt - im Vergleich zur Ein- Lebensqualität in den Städten befaßt. Er plä- wohnerzahl im jeweiligen Stadtviertel - gemäß diert dafür, von Indikatoren abzurücken, die le- CAS-2 die relativ ärmsten sind bzw. in welchen diglich das quantitative Wachstum der Dinge die relativ höchste extreme Armut herrscht. erfassen und stattdessen Indikatoren des qua- litativen Wachstum für die Menschen stärker zu Die Sozialerhebung CAS ist ein Instrument, berücksichtigen. Max-Neef regt einen Kriterien- welches zahlreiche Kriterien zur Messung der katalog zur Beurteilung der „Calidad de Vida“ Armut berücksichtigt. Allerdings hat dieses In- an und legt dar, daß dieser auch Aspekte um- strument einige Schwächen, die dazu führen fassen sollte, die über das rein Materielle hin- können, daß das Bild der Armut in einzelnen ausgehen. Dazu zählt er unter anderem die Aspekten ungenau dargestellt wird. Eines der Möglichkeiten, die dem Einzelnen zur Befriedi- Hauptprobleme besteht darin, daß es Informa- gung seiner Grundbedürfnisse, wie Partizipa- Lage der untersuchten Quar- tionen nur über befragte Personen gibt. Wer tion am städtischen Leben, Möglichkeiten zur tiere innerhalb der Stadt keinen Antrag stellt, wird auch nicht erfaßt. Da- Identitätsbildung und Freizeitgestaltung gege- Concepcion mit fallen alle diejenigen aus der Sozialhilfe ben sind. Er schlägt vor, nicht von der Armut zu heraus, die gar nicht wissen, daß es Sozial- sprechen, sondern von den Armuten („las unterstützung für sie gäbe. Oder ein weiteres pobrezas“).1 Die Integration hängt nach Max- 1 Problem: Haushaltshilfen mit einem Zimmer in- Neef von den Möglichkeiten zur „Aneignung“ Max-Neef, 1996, S.27. In seinen theoretischen Ausführungen stellt nerhalb der Behausung ihrer Arbeitgeber wer- ab, die der städtische Raum den Bewohnern Manfred Max-Neef sein Verständ- den die positiven Merkmale des Haushaltes bietet. Erst wenn das städtische Umfeld als ei- nis von städtischem Zusammenle- ebenso zugerechnet als wären sie selber gener Lebensraum empfunden wird, kann man ben dar: „Wenn wir eine Stadt als System Hauptmieter oder Eigentümer. durch ihn Identität erlangen. betrachten, sind die Menschen die Elemente oder Subsysteme. Wenn Was ist städtische Armut? Methodik der Untersuchung nun eine Stadt ein System ist, das dem Bewohner menschliche Kon- takte, Wohlbefinden, Sicherheit Armut oder Mangel lassen sich zum Beispiel Am Beispiel der Indikatoren „Nutzungsvielfalt und Kultur bieten soll, dann wird als materielle Armut, Mangel an Ausbildung in der Wohnumgebung“ und „Beziehungen der das Erreichen dieser Ziele von ih- oder Gesundheitsversorgung beschreiben. Bewohner zu ihrem Wohnumfeld“ wurden im nen (den Elementen) in dem Maße abhängen, wie diese sowohl unter- Dies sind mehr oder weniger klar gefaßte Be- Rahmen des Projekts in unterschiedlichen einander in Beziehung treten als reiche, für die sich Mangel- und Armuts- Stadtteilen mittels Befragungen und Kartierun- auch mit den anderen Elementen, erscheinungen definieren lassen. Mit dieser gen Aussagen zum Grad der Aneignung des aus denen sich das System (die Stadt) zusammensetzt. (...) Betrachtungsweise allein wären aber die Quartiers durch seine Bewohner erarbeitet. Unsere Beziehung zum Raum ist Aspekte des Themas noch nicht hinreichend (...) eine Beziehung zu einer sub- berücksichtigt. Die Karten zur Nutzungsvielfalt zeigen, wel- jektiv wahrgenommenen Realität. (...) Daher kommt es, daß die che über das Wohnen hinausgehenden Nut- wahrgenommene räumliche Di- Auf der Suche nach einer Möglichkeit, die zungen der Gebäude im Untersuchungs-

T r i a l o g 5 9 / 1 9 9 8 55 mension nicht von den metrischen bereich zu finden sind. Die Funktionen sind mit te darin liegen, daß Agüita de la Perdiz ein Entfernungen, in der sich die be- unterschiedlichen Symbolen dargestellt. Stadtteil ist, der im Laufe von mehreren Jahr- trachteten Objekte zueinander be- finden, abhängt, sondern von der zehnten und unter Überwindung vieler Proble- Menge der Informationen, die der Anhand einer Umfrage wurde weiterhin die me von den Bewohnern selbst aufgebaut wor- besagte Raum dem menschlichen Bereitschaft der Bewohner untersucht, sich den ist und dabei ein dichtes Netz von Bezie- Gehirn liefert. (...) Die Menschen, die in einer Stadt leben, leben in dem öffentlichen Leben ihrer Wohnumgebung hungen der Bewohner untereinander und der einem Raum. Das gibt ihnen zwei auszusetzen. In jedem Stadtteil wurden in zehn Bewohner zu ihrer selbst gestalteten Umge- Alternativen: sich im Raum zu be- zufällig ausgewählten Haushalten die folgen- bung entwickelt hat. Die geographische Lage, finden oder sich in den Raum zu den fünf Fragen gestellt: die Agüita de la Perdiz zu einer räumlich abge- integrieren. Sich integrieren be- deutet, Teil des Raumes zu sein, - Spielen Ihre Kinder üblicherweise auf der schlossenen Einheit macht, könnte zusätzlich zu dessen Formung man als ent- Straße oder an einem anderen öffentlichen zur eigenständigen Identität des Stadtteils bei- scheidender Bestandteil beiträgt Ort in der Nähe des Hauses? tragen. und den man darum für sich selber formt.“ (Max-Neef, 1982, S. 155ff) - Haben Sie Freunde oder Verwandte, die in der Nähe ihres Hauses (nicht mehr als fünf Nach der Sozialerhebung CAS-2 ist Agüita Minuten Fußweg entfernt) wohnen? de la Perdiz im Vergleich zur Einwohnerzahl - Haben Sie gute Beziehungen zu ihren Nach- die Nachbarschaftseinheit mit der höchsten re- barn? Besuchen Sie sich hin und wieder (ca. lativen Armut bzw. extremen Armut der Stadt. einmal die Woche)? Mehr als drei Viertel der Einwohner werden - Nutzen Sie öffentliche Räume wie Straßen nach der CAS-Punkteliste als arm eingestuft, oder Grünanlagen in der Nähe ihres Hauses und über ein Viertel der Einwohner lebt sogar zur Erholung (z.B. Spaziergänge)? unterhalb der Grenze der extremen Armut. Da- - Nehmen Sie an den Aktivitäten der Nach- mit erklärt sich, warum Agüita de la Perdiz barschaftsorganisation oder an anderen über Jahrzehnte hinweg bis heute in der Stadt nachbarschaftlichen Tätigkeiten teil? einen schlechten Ruf hatte und hat. Es gilt nicht nur als Arme-Leute-Viertel, sondern über- Ziel der Fragen war es, einen Eindruck da- dies als gefährlich, weil man allgemein in der von zu bekommen, ob und in welchem Grade Stadt annimmt, daß das Viertel ein Ausgangs- die befragten Personen bzw. Haushalte mit ih- punkt von Kriminalität sei. rem Wohnumfeld in Beziehung treten. Jede Frage sollte mit „ja“ oder „nein“ beantwortet Bei der Untersuchung der Nutzungsvielfalt werden; Antworten mit „ja“ bedeuten, daß ein stellte sich heraus, daß Agüita de la Perdiz fast Bezug zum Wohnumfeld besteht, Antworten ein reines Wohngebiet ist. Das kann einerseits mit „nein“ wurden als nicht vorhandener Bezug mit der relativen Nähe zum Zentrum zusam- gewertet. menhängen, wo alles zum Leben Notwendige zu finden ist, und andererseits mit der relativ Die Ergebnisse wurden in einem Planaus- geringen Größe und isolierten Lage des Vier- schnitt (siehe rechte Seite) des Umfrage- tels, was das wirtschaftliche Überleben vieler gebietes graphisch dargestellt. Jeder befragte Geschäfte erschwert. Agüita de la Perdiz weist Haushalt wird als schwarzer Punkt markiert. einen der höchsten Werte bei den Wohnum- Ausgehend von diesem Punkt wird eine mit „ja“ feldbeziehungen der Bewohner in den unter- beantwortete Frage als kurze Linie dargestellt. suchten Gebieten auf. Für eine Antwort mit „nein“ entfällt die Linie an der entsprechenden Stelle. So entsteht für jede Beispiel Población Baquedano befragte Person ein mehr oder weniger voll- ständiger Stern, je nach Anzahl der positiven Die Población Baquedano ist in den Jahren Antworten. Durch Überlagerung der nebenein- nach dem Erdbeben von 1939 als Ersatz für ander liegenden „Sterne“ bildet sich eine Art verlorengegangenen Wohnraum errichtet wor- abstrahiertes „Spinnennetz“ im den. Sie wurde als geschlossene Siedlung ge- Untersuchungsfeld. Die Anzahl und Dichte der plant und in mehreren Bauabschnitten errich- „Netzfäden“ ist graphischer Ausdruck des tet. Sie besteht ausschließlich aus eingeschos- Beziehungsgeflechtes, das die Bewohner über sigen Reihenhäusern mit Gärten. ihren Stadtteil „spannen“. Interessant ist die Población Baquedano aus Beispiel Agüita de la Perdiz städtebaulichen Gründen. Bei der Planung der Ein Wohnweg im Stadtteil Siedlung ist offensichtlich die Problematik der Aguita de la Perdiz Die Siedlung Agüita de la Perdiz liegt in ei- relativ großen Entfernung vom Zentrum er- nem verzweigten Seitental der Küstenkor- kannt worden. Darum wurde an der Calle dillere, südlich des Zentrums von Concepción. Baquedano die Möglichkeit für die Ansiedlung Die illegale Besiedelung begann Ende der 50er von Geschäften vorgesehen. Da die Einwoh- Jahre und hielt über Jahrzehnte bis in die letz- nerzahl der Siedlung aber nicht ausgereicht ten Jahre an. hätte, um größeren Ladengeschäften eines Subzentrums das wirtschaftliche Überleben zu Bei Gesprächen mit Bewohnern stellt man sichern, wurde die Grundfläche der Läden sehr ein hohes Maß an Identifikation mit dem eige- klein gehalten, was günstige Ladenmieten und nen Stadtteil fest. Einer der Gründe dafür könn- damit die Wirtschaftlichkeit der Geschäfte si-

56 T r i a l o g 5 9 / 1 9 9 8 Beispiel Aguita de la Perdiz

Beispiel Población Baquedano

Beispiel Lomas de San Andrés

jeweils links / Karte der Nutzungsvielfalt

jeweils rechts / Karte der Wohnumfeldbeziehungen

cherstellt. Verglichen mit anderen Quartieren Wert auf. Die Vermutung liegt nahe, daß dies spielt die Armutsproblematik nach CAS in mit dem Alter, aber auch mit dem gelungenen Baquedano eine eher untergeordnete Rolle. städtebaulichen Konzept der Siedlung zu tun hat. In Baquedano und seiner unmittelbaren Um- gebung ist fast alles zu finden, was die Bewoh- Beispiel Lomas de San Andrés ner der Siedlung für den täglichen Bedarf be- nötigen. Wenngleich der Einzugsbereich des Die Lomas de San Andrés sind Hügel im untergeordneten Subzentrums in der Calle Norden der Stadt. In den 80er Jahren begann Baquedano nur klein ist, bietet es doch ein hier eine intensive Bautätigkeit. Mittlerweile for- großes Spektrum an Dienstleistungen. men die Lomas ein eigenständiges Siedlungs- gebiet, das praktisch vollständig aus freiste- Bei den Wohnumfeldbeziehungen weist die henden Einfamilienhäusern hohen und höch- Población Baquedano ebenfalls einen hohen sten Standards besteht. Der öffentliche Raum

T r i a l o g 5 9 / 1 9 9 8 57 ist gepflegt; die Straßen sind gepflastert, befe- kleinräumiger sozialer Beziehungen im Stadt- stigte Gewege und Staßenbäume vorhanden. viertel kann aber ein Potential darstellen, um Es herrscht eine bemerkenswerte „Ruhe“. die defizitäre Lebenssituation der Bewohner in anderen Bereichen zu verbessern. Dafür gibt Dem hohen Ansehen der Siedlung entspre- es in Concepción verschiedene Beispiele chend fallen auch die Werte der Sozialer- (Kanalisationskampagnen in Agüita de la hebung CAS aus, wonach das Problem der Ar- Perdiz, Selbstbauprogramme in Santa Sabina), mut in den Lomas scheinbar kaum ein Rolle spielt. Trotzdem ist der Wert von 3,3 % armer Bewohner fast noch überraschend hoch. Be- Luftbild der Hauptstraße im rücksichtigt man den hohen Stellenwert, den Stadtteil Población Baque- die Wohnsituation für die Armutsbewertung bei dano CAS einnimmt, und eingedenk der Tatsache, daß die jeweiligen Wohnungsmerkmale allen Bewohnern, also auch Haushaltshilfen mit Zim- mer im Haus der Dienstherren, zugeschrieben werden, ist jedoch anzunehmen, daß der Wert vornehme Wohnhäuser im in Wahrheit noch höher als 3,3% ausfällt. Stadtteil Lomas de San Andrés Die Untersuchung der Nutzungsvielfalt macht deutlich, daß die Lomas de San Andrés Literatur weder der eigenen Bevölkerung noch dem die auf dem vorhandenen sozialen Netz auf- M. Max-Neef: „La economía Rest der Stadt städtische Dienstleistungs- bauen und dieses stärken, dabei aber leider oft mundial debe dejar de crecer“, in: funktionen anbieten. Die von der Straßenfront im Versuchsstadium steckenbleiben, weil es Gestión Nr. 203, Jg. XVII, 1992, S. zurückgesetzte und in der Regel von Mauern, den staatlichen Förderprogrammen an Mitteln 23-27 Zäunen oder Hecken umschlossene Bebauung und offensichtlich auch an politischem Willen „La Situation de la Pobreza en macht darüber hinaus deutlich, daß eine Kon- mangelt. Chile“, in: Reforma Municipal, Autonomía y Modernización de la taktaufnahme mit dem öffentlichen Raum nicht Gestión Local. Pobreza, erwünscht ist. Die Wohnumfeldbeziehungen in Die Untersuchung der Stadtviertel läßt ver- Necesidades Básicas y Desarrollo. den Lomas de San Andrés sind in den von uns muten, daß nicht nur in den allgemein bekann- V. Escuela de Temporada Otoño - Invierno, Caldera - Algarrobo - Pto. untersuchten Beispielen am wenigsten stark ten Problembereichen Defizite bestehen, son- Varras, 19-23 Junio 1995, S. 1-12 ausgeprägt. dern auch dort, wo dies nicht ohne weiteres M. Max-Neef: Economía Descalza. angenommen wird. Die Wohngegenden der Señales desde el Mundo Invisible. wohlhabenden Bevölkerungsschichten sind Colección Pensamiento Descalzo - einseitig auf das Wohnen ausgerichtet. Die Ak- 1, Coedición de CEPAUR - Centro de Alternativas de Desarrollo y tivitäten der Bewohner spielen sich - durch NORDAN - Comunidad, bajo la Mauer und Garten von der Straße abgeschirmt responsabilidad de Manfred Max- - im Haus ab. Es ist anzunehmen, daß die so- Neef y Rubén G. Prieto. Estocolmo, Buenos Aires, Montevi- zialen Kontakte oft nicht im Stadtviertel, son- deo: Nordan, 1986 dern in anderen mehr oder weniger weit ent- M. Max-Neff: Desarrollo a Escala fernten (nur mit dem PKW erreichbaren) Stadt- Humana, una Opción para el bereichen gepflegt werden. Die Vermutung liegt Futuro. Development Dialogue, nahe, daß Zeitverlust (tägliche Fahrzeiten, die Número especial, CEPAUR. Upp- sala: Santiago de Chile-Fundación Kinder werden zu den entfernten Privatschulen Dag Hammarskjöld, 1986 gebracht), Kosten (häufige Kfz-Benutzung, M. Orhansky: „Counting the Poor. Kraftstoff), Streß (Stadtverkehr, Stau) und Um- Another Look at the Poverty Profi- Schlußfolgerungen weltbelastung unbewußt erhebliche Beein- le“, in: Social Security Bulletin, Vol. trächtigungen der Lebensqualität mit sich brin- 28, July 1965 Es hat sich bestätigt, daß auch in Stadtteilen gen. F. Zeran: „Manfred Max-Neef. La economía se ha desmadrado“, in: mit großen ökonomischen Problemen objektive Los Tiempos, Jan. 18-31, 1993 Qualitäten zu finden sind. (Die hier dargestell- Damit drängt sich die Frage auf, ob die Mo- ten Beispiele sind nur eine Auswahl.) Die Ten- nostrukturen in den „guten“ Wohngegenden denz, die sie sich bei der Untersuchung der nicht eine andere Armut offenlegen, die bislang Dalk-Ascan Bandilla, Geographiestudent an der Stadtteile abzeichnet, legt die Vermutung nahe, wenig in unser Bewußtsein gedrungen ist. Kon- Universität Hamburg, Ulf Maaßen, Student der Land- daß der materiellen Armut in bestimmten zepte, wie diese Armut bekämpft werden könn- schaftsplanung an der TU Stadtsektoren „Reichtum“ auf anderen Ebenen te, existieren bislang kaum. Hier liegt eine loh- Berlin, sowie Christoph Vogt, Dipl.-Ing. Architektur aus gegenübersteht. nende Aufgabe für Stadtforscher, Architekten, Karlsruhe, waren von Sep- tember 1996 bis Januar 1997 Landschafts- und Stadtplaner. In der aktuellen in Concepcíon. Der Titel ihres Projekts lautete: „Atlas der Natürlich stellen mangelhafte Wohnbedin- Diskussion um Nachhaltigkeit und nachhaltige städtischen Lebensqualität in Concepción, Chile“. Projekt- gungen, schlechte Ernährung, unzulängliche Entwicklung geht es schließlich nicht zuletzt partner war das Stadtpla- nungsamt von Concepción hygienische Verhältnisse usw. gravierende ne- um die Einsparung von Ressourcen und die unter der Leitung von Dr. gative Faktoren dar und bedeuten für die be- Steigerung der Lebensqualität durch Bildung Sergio Baeriswyl. Adresse: Asesoria Urbana, Municipa- troffenen Menschen zweifellos eine Einschrän- und Förderung kleinräumiger Strukturen, lidad de Concepción, Caupolicán 518, Concepción, kung der Lebensqualität. Daran soll nichts be- Bürgerbeteiligung und Verbesserung sozialer Chile. schönigt werden. Ein tragfähiges Netz Qualitäten.

58 T r i a l o g 5 9 / 1 9 9 8 Der „Consejo Coordinador de Comunidades“ in San Salvador und seine Erfahrung mit dem ASA-Programm

GUADELUPE ORTIZ

Die Situation in der metropolitanen Agglome- der Bewohner in den comunidades margina- The Experience of the CCC ration von San Salvador ist von einer ungeord- les.1 Sie untersuchte die Lebensumstände in in San Salvador with ASA neten Entwicklung geprägt. Die Bevölkerung verschiedenen Siedlungen unter sozio-ökono- Projects der marginalen Stadtviertel steht vor vielfälti- mischen und rechtlichen Gesichtspunkten. Ihre gen sozialen und ökonomischen Problemen. Arbeit dient uns als Verhandlungsgrundlage The CCC is a NGO founded Diesen Problemen widmet sich unsere Organi- gegenüber offiziellen Verhandlungspartnern, so after the earthquake in 1986. sation. Der Consejo Coordinador de z.B. angesichts von Zahlungsproblemen der As a grass-root network it co- ordinates the work of the Comunidades (CCC) ist eine basisorientierte Bewohner eines von der Stadtverwaltung im juntas directivas of about 150 NRO ohne Erwerbsabsichten. Sie wurde im Rahmen der deutschen Entwicklungszusam- marginalized quarters in San Jahr 1986 nach dem verheerenden Erdbeben, menarbeit durchgeführten Wohnbauprojekts. Salvador representing 30,000 das große Teile San Salvadors zerstörte, ge- inhabitants. Its activities gründet, um zur Lösung der Wohnungsproble- Das dritte ASA-Projekt 1998 befaßte sich mit include among others the me beizutragen. Seitdem ist sie in der dem informellen Wirtschaftssektor und seiner support of the communities Kommunalarbeit tätig und betreut derzeit über Bedeutung für die arme Bevölkerung. Unter der during the legalisation 150 Siedlungen mit ca. 30.000 Einwohnern. Koordination des CCC haben die beiden Teil- process, credit schemes for Die Tätigkeitsschwerpunkte liegen in der Lega- nehmer knapp 100 informell Tätige aus ver- poor families, health and envi- lisierung von Grundstücken, der Hilfe bei Ver- schiedenen Siedlungen zu ihrer Arbeit und de- ronmental education programmes and negotiations schuldung in Wohnbauprojekten und der An- ren Voraussetzungen befragt. So haben wir in- with the local authorities. siedlung armer Familien auf öffentlichem Land, teressante Erkenntnisse über den informellen Three times already – in 1994, insbesondere entlang der stillgelegten Eisen- Sektor in San Salvador gewonnen. Mangelnde 1996 and 1998 - students of bahnstrecke und an nicht mehr genutzten fachliche Ausbildung und fehlender Kreditzu- the ASA Programme have Straßen. Darüber hinaus arbeitet der CCC mit gang sind demnach vorrangige Problemberei- been integrated into the work der Stadtverwaltung in sozialen Programmen che. Die ASA-Teilnehmer haben dabei für uns of the CCC. They contributed (z.B. zur Gesundheitserziehung) zusammen, wichtige Kontakte zu den in diesem Bereich tä- to the more practical efforts of entwickelt Gesetzesvorschläge zugunsten der tigen staatlichen und nicht-staatlichen Institu- the NGO with some fieldwork illegalen Siedlungen und ist in der Umwelter- tionen geknüpft. Die Ergebnisse waren uns ge- and theoretical studies about ziehung von Kindern und Jugendlichen tätig. meinsam der Anlaß, für das Programm des architectural and socio- economic characters of the Jahres 1999 ein Projekt zur Ausbildungs- marginalized quarters, about Bereits drei ASA-Gruppen haben ihr Projekt situation im informellen Sektor vorzuschlagen, financial and legal concepts in Zusammenarbeit mit dem CCC durchge- mit dem der Dialog zwischen den Anbietern for new housing projects and führt. Im Jahr 1994 untersuchten zwei Teilneh- von Ausbildungsprogrammen und deren Ziel- about the economy of the mer drei Wohnbauprojekte in San Salvador un- gruppe verbessert werden soll. informal sector. ter architektonischen und sozio-ökonomischen Aspekten. Sie unterstützten unsere Bemühun- Für den CCC ist die Arbeit mit dem ASA-Pro- gen, zusammen mit den Betroffenen deren In- gramm sehr wichtig. Die ASA-Teilnehmer ha- teressen zu artikulieren und ihre Rechte ge- ben unsere praxisorientierte Arbeit mit 1 genüber den Projektträgern zu vertreten. Bei problemspezifischen Untersuchungen ergänzt. Siehe den Artikel von Wagner und den Projekten, die zu weiten Teilen aus auslän- So können wir in den Verhandlungen mit der Sakowski in diesem Heft dischen Mitteln finanziert wurden, gab es ein Stadtverwaltung und entwicklungspolitischen hohes Maß an Korruption; das hatte unange- Institutionen auf eine wissenschaftliche Grund- Guadelupe Ortíz ist General- koordinatorin des Consejo messene finanzielle Beiträge für die Betroffe- lage und die Sicht neutraler ausländischer Be- Coordinador de Comuni- dades (CCC) in San Salvador. nen und eine schlechte bauliche Qualität der obachter als Argumentationshilfe zurückgrei- Adresse: 5a Calle Pte 316, San Salvador, Tel./Fax: 503- Häuser zur Folge. fen. Derzeit erwägt der CCC gemeinsam mit 221 5398. den ehemaligen ASA-Stipendiaten die Veröf- Der vorliegende Beitrag wur- de von Kristine Nienborg, Die zweite ASA-Gruppe befaßte sich 1996 fentlichung der Projektberichte, um somit deren Teilnehmerin des ASA-Pro- jekts 1998, übersetzt. mit den Möglichkeiten einer Selbstorganisation Reichweite zu erhöhen.

T r i a l o g 5 9 / 1 9 9 8 59 Neue Bücher / Book Reviews

ander, Penetration, Ineinander und S. Doshi. Dharna Vihara, Ranakpur. 63 Coincidenica. Ein Buch, das eine Alternati- S. 1995. Edition Axel Menges: Stuttgart. ve zu den selbstbefriedigenden und Dieser in der Reihe „Opus - Architecture selbstgefälligen Architekten-Monographien in individual presentations“ herausgegebe- aufzeigt und den Kunstbegriff in der Archi- ne Band ist ein Prachtstück für alle Freun- tektur ein wenig zurechtrückt - in jedem de klassischer indischer Tempelarchitektur. Fall eine anregende Lektüre, die zum Wei- Gelegen am Maghai-Fluss in Rajasthan, terdenken anregt. ist diese wenig bekannte Sonnen-Tempel- Kosta Mathéy anlage ein Kleinod in dem Kaleidoskop in- discher Tempelarchitektur, dessen Wert A.-N. Huber, T. Kleespies, P. Schmidt. der Tourismusindustrie bislang entgangen Neues Bauen in Lehm. 104 S. ISBN 3- ist. Der Tempel ist Überbleibsel einer Stadt Feuerstein / Androgynos 922964-65-6. DM 39,80. 1997. Ökobuch desselben Namens und der Überlieferung Verlag, Postfach 1126, D-79216 Staufen. nach von Rana Kumbha, einem Marwa- Architektur Das Buch, zusammengestellt von der Herrscher, errichtet worden. Das Äussere Forschergruppe Lehmbau Winterthur, glie- des Tempels ist bescheiden im Vergleich Günter Feuerstein. Androgynos. Das dert sich in drei inhaltlich wie vom Umfang zu dem Inneren dieses reich verzierten Mann-Weibliche in Kunst und Architek- her gleichberechtigte Teile: erstens neue Steinbaus mit seinen steinernen Säulen- tur. (deutsch-englisch) 240 S. ISBN 3- Forschungsergebnisse zum Wärmeschutz gängen, seinen hohen Kuppeln, offenen 930698-74-9. 1997. Edition Axel und zum Feuchteverhalten von Lehm- Höfen und detailliert ausgearbeiteten Menges, 70736 Esslingen. stoffen, zur Energie- und Schadstoffbilanz; Schreinen. Der Wechsel von bebautem Androgyne sind doppelgeschlechtliche zweitens konstruktive Regeldetails für den und unbebautem Raum ergibt ein interes- Wesen, die männliche und weibliche Lehmsteinbau, den Stampflehmbau und santes Wechselspiel von Licht und Schat- Merkmale vereinigen. In Mystik, Kunst und den Lehmleichtbau; und drittens 14 jünge- ten. In seiner Qualität ist dieses Bauwerk Literatur existieren sie seit Menschenge- re Beispiele realisierter Lehmbauten in der ohne weiteres den bekannten Tempeln von denken und zeichnen sich meistens durch Schweiz. Mount Abu, Rajasthan gleichzusetzen und Qualitäten aus, die über denen jedes ein- Wer Grundlageninformationen zum zeigt erneut, welche enorme bau- zelnen Geschlechts stehen - wenn nicht Lehmbau sucht, findet woanders sicher meisterliche Potenz in Indien existiert(e), sogar Vollkommenheit symbolisieren. Bio- fundiertere Informationen. Diese Publikati- wovon heute am Ende des 20. Jahrhun- logische Beispiele existieren z.B. in Form on ist, abgesehen von ihrem spezifisch derts viel weniger zu sehen ist - aus diver- von Zwittern, Transvestiten oder Ge- schweizerischen Lokalbezug, interessant sen Gründen, die mit der sozio-ökonomi- schlechtsumwandlungen, sind aber stati- wegen der Hinweise zu ganz aktuell an- schen und kulturellen Situation dieses von stisch selten. Während die östliche auf Yin stehenden Fragestellungen, wie z.B. der sozialen und ökonomischen Gegensätzen und Yang bezugnehmende Kultur die Integration von Zentralheizungs-Leitungs- geplagten Landes zu tun haben. gleichzeitige Existenz und das Gleichge- schlangen in Lehmwänden oder ökologi- Florian Steinberg wicht der beiden Extreme in den Vorder- schen Meßwerten. Auch die gezeigten grund stellt, symbolisiert beispielsweise Beispiele sind überzeugend und z.T. zuvor Wohnungswesen das Ur-Ei die Auflösung beider Elemente. nicht veröffentlicht. Bewußt oder unbewußt taucht das Kon- Kosta Mathéy STERN u.a.. Das Selbstbau-Modell. zept der Androgyne auch in der neuzeitli- Eine Mietergenossenschaft in chen Kunst und Architektur auf. Prenzlauer Berg. 90 S. ISBN 3-86153- Nach gut recherchierten historischen 174-7. 1998. DM 16.80. Ch. Links Verlag, Herleitungen und Begriffsdefinitionen Berlin. streift der Autor kurz das Phänomen des Das Berliner Modell der Nutzerselbst- Androgynos in der Kunst der Neuzeit, in hilfe im sozialen Wohnungsbau - insbeson- der Welt des Design und in der Literatur, dere bei den Instandsetzungen herunter- um dann das Feld der Architektur zu ver- gekommener Gründerzeitbauten - dürfte tiefen. Erotische Architektur, männliche für viele andere Stadtverwaltungen mit so- und weibliche Symbolik in der Architektur, zialem Anspruch interessant sein, auch Zueinander und Nebeneinander der Ge- wenn sich die Berliner Politiker inzwischen schlechter führen schließlich zum architek- von dem Programm verabschiedet haben. tonischen Androgynos in Form von Aufein- Huber/Kleespies/Schmidt / Neues Bauen in Lehm Der vorliegende Band hat eine besonders

60 T r i a l o g 5 9 / 1 9 9 8 erfolgreiche Initiative zur Sanierung von bekannt bleibt. Da darüber hinaus Indu- Landschaftsarchitekten in das Werk aufge- zwei Mietshäusern unter der formalen striebauten nach Ende ihrer produktiven nommen wurden - blieb es der Initiative Struktur einer Genossenschaft zum The- Nutzung typischerweise schnell und häufig der einzelnen Büros überlassen, sich ein- ma. Beschrieben werden in 17 Einzel- unbedacht abgerissen werden, ist eine zubringen? Wie dem auch sei, selbst beiträgen die Geschichte der beiden Häu- rechtzeitige wissenschaftliche Inventarisie- wenn es sich um eine „demokratische“ ser und des Stadtteils, persönliche und rung und Aufarbeitung ihrer Baugeschich- Selbst-Auswahl der Autoren handeln soll- technische Erfahrungen mit den Sanie- te angesagt, zumal die ursprünglichen te, hätte das Ergebnis nicht besser sein rungsarbeiten (einschließlich des Block- Konstruktionspläne meist nicht konserviert können und stellt einen repräsentativen heizkraftwerks) und die politisch-legalen- wurden. Querschnitt des Schaffens dieser Berufs- finanziellen Arrangements des Modells. Die vorliegende Arbeit analysiert die gruppe in Deutschland dar. Abschließend werden eine Reihe anderer Geschichte des Industriebaus am Beispiel Kosta Mathéy Häuser in Berlin vorgestellt, bei denen die der Wiener Leopoldstadt zwischen dem Genossenschaft ähnliche Sanierungen 17. und dem 20. Jahrhundert, wobei die durchzuführen beabsichtigt. evolutionären Neuerungen auch in andere Lobenswert ist die Dokumentation der europäische Länder zurückverfolgt wer- kollektiv gemachten Erfahrung, die - für den. Krönung der Arbeit ist ein Katalog Folgeprojekte nützlich - zu wertvoll ist, sich von 77 dokumentierten Fabrikgebäuden in individuellen Erinnerungen zu verlieren. im bezeichneten Untersuchungsgebiet, Die Vielzahl der Autor/inn/en bringt es al- von denen übrigens ein Teil heute schon lerdings mit sich, daß die Einzelbeiträge nicht mehr existiert. teilweise sehr oberflächlich ausgefallen Die Forschung ist insofern wegweisend, sind, wo mehr Detailinformation interes- als dem Industriebau bisher im Vergleich sant gewesen wäre. Gleichzeitig dienen ei- zur Wohn- oder Repräsentationsarchitek- nige Kapitel allein der Haus-Chronik, sind tur relativ wenig wissenschaftliche Beach- aber für andere Projekte irrelevant. Wie bei tung geschenkt worden ist. Das meiste Selbstdarstellungen häufig der Fall, wer- hier publizierte graphische Material ist ori- den die positiven Errungenschaften in den ginär. Als nächster Schritt wäre zu überle- Vordergrund gestellt, während für die In- gen, welche strategischen Wege einge- itiatoren von Folgeprojekten gerade auch schlagen werden sollten, einem weiteren die Kenntnis der Probleme - nötigenfalls in Abriß dieser Baudenkmäler entgegenzu- Form einer externen Evaluierung - minde- wirken und eine künstlerisch respektvolle stens genauso wichtig wäre. Auch wenn Umnutzung mit realistischen die Publikation, wie im Vorwort betont, ex- Finanzierungsalternativen in die Wege zu plizit keine „Fachliteratur“ sein will, hätte leiten. Doch an solchen praktischen Über- ein professioneller Herausgeber sicher ge- legungen zeigen sich Bauhistoriker/innen holfen, das zweifellos interessante Materi- weder in Österreich noch sonstwo sonder- al noch überzeugende zu präsentieren. lich interessiert - womit sie viele Chancen Kosta Mathéy möglicher Einflußnahme verschenken. Kosta Mathéy

Landschaftsarchitekten. Band I: 270 S., 1997, ISBN 3-932509-00-5. Band II: 435 Seiten. 1998. ISBN 3-932509-02-1. Verlag H.M. Nelte, Wilhelminenstr. 35, 65193 Wiesbaden. Landschaftsarchitekten In den beiden Bänden werden die Arbei- ten zeitgenössischer Landschafts- W. Rybczynski, A. Friedman, S. Ross. architekten aus Deutschland vorgestellt The Grow Home. Montreal 1990. 44 S. und zwar nach Bundesländern geordnet McGiII University, Affordable Homes und in alphabetischer Reihenfolge. Band I Program, 815 Sherbrooke Street West, ist den Ländern Bayern, Baden Württem- Montreal, PQ, Canada, H3A2K6. berg, Hessen, Rheinland-Pfalz und dem Diese Publikation enthält einige interes- Saarland gewidmet, während Band II den sante, simple Beispiele der Architektur des Arbeiten aus Berlin, Brandenburg, Ham- Kemhauses oder des „wachsenden Hau- burg, Niedersachsen, Bremen, Schleswig ses“, die vom Affordable Homes Program Georgecopol-Winischhofer / Vom Arbeits- Holstein, Mecklenburg-Vorpommern, seit Jahren propagiert werden. Die vorge- haus zur Großindustrie Sachsen, Thüringen und Nordrhein-West- stellten Beispiele sind Reihenhäuser in falen gilt. Jedes berücksichtigte Büro ist in durchweg zweigeschossiger Bauweise mit Ute Georgecopol-Winischhofer. Vom Ar- der Regel mit einer Kurzbiographie der diversen Ausbaumöglichkeiten und -alter- beitshaus zur Großindustrie. 240 S. Partner, einer Projektauswahl und einer nativen. Dabei gibt es nicht nur Grundrisse ISBN 3-85437-120-9. DM 98,30. 1998. Kurzbeschreibung der in Farbreproduk- und Ansichten, sondern auch Einheitsprei- Österreichischer Kunst- und Kultur- tionen dargestellten Projekte vertreten. se, städtebauliche und siedlungs- verlag. Postfach 17, A-1016 Wien. Interessant ist nicht nur, die Vielfalt der planerische Lagepläne und einige kon- Ausgangspunkt für die dieser Veröffentli- Ansätze in der Freiraumplanung festzustel- struktive Details. chung zugrunde liegende Forschungsar- len, sondern auch ganz unterschiedliche In einer Publikation von 1996 (mit dem beit (vermutlich eine Dissertation) ist ein Darstellungsweisen zu studieren oder Titel „The Next Home“) haben die Autoren Verständnis von Industrie-Architektur als auch die mit der Landschaftsarchitektur (Friedman et al.) auch noch weitere Typen- kulturtragende Kunstrichtung, bei der aller- verbundene Architektur zu betrachten. Kei- beispiele anhand von Demonstrationspro- dings im Vergleich zur Prachtarchitektur nerlei Aussage macht das Buch über die jekten auf dem Universitätscampus vorge- oder zur bildenden Kunst der Autor oft un- Kriterien, nach denen die dargestellten stellt: architektonisch und konstruktiv inter-

T r i a l o g 5 9 / 1 9 9 8 61 essante Arbeiten, deren Wert auch für die ven auszuarbeiten, bleibt aber ohne Ant- G. Payne. Urban Land Tenure and sog. Entwicklungsländern offensichtlich ist. wort bezüglich der Zukunft der Beziehun- Property Rights in Developing Florian Steinberg gen zwischen Zentralregierung und Ge- Countries - A Review. lTODA. London meinden. 1997. 73 S. 12,95 brit. Pfund. (Bezug: lT Anton Markus Pasing. Remote Der zweite Band behandelt schwer- Publications, 103-105 Southampton Controlled Architecture. ca. 200 S. ISBN punktmässig das Thema der institutionel- Row, London WC IB4HH, UK) 3-932509-20-X, 1998. Verlag Nelte, Wies- len Kapazitäten in verschiedenen Städten Diese kleine Studie, ursprünglich für das baden. in Argentinien, Brasilien, Guatemala und Urban Management Programme der Welt- Der Band ist als Monographie des Archi- Mexiko, dargestellt an diversen Projekt- bank verfasst, ist eine Art Kompendium tekten Pasing konzipiert, wobei alle kon- typen wie Umweltmanagement, Stadtent- der verschiedensten Bodenbesitz- und - ventionellen Präsentationsregeln über wicklungsplanung, Regionalentwicklung, nutzungsformen, die man heute in den Bord geworfen wurden: In Zeiten der Re- Dezentralisierung und Wohnungswesen. Entwicklungsländern antrifft. Die Publikati- zession im Baugewerbe hat die Berufs- Im abschliessenden Teil der Herausgebe- on ist in fünf Teile gegliedert. Einleitend gruppe das Weiterbestehen ihrer Existenz rin werden diese neuen Tendenzen vergli- werden Systeme von Bodenbesitzrechten schon immer durch professionelle Grenz- chen und in Bezug gebracht mit den glo- vorgestellt - traditionelle Bodenrechts- überschreitungen zu retten versucht. balen Zielen der Dezentralisierung und ei- systeme, das moderne Privateigentum an Wo in den 70er Jahren begonnen wur- ner Verbesserung der Kapazitäten für ein Grund und Boden, das Konzept das staat- de, nicht baubare Architekturentwürfe al- modernes Stadtmanagement. Letztendlich lichen Bodenbesitzes, religiöse Konzepte lein zum Verkauf in Kunstgalerien zu erkennt die Autorin einen erheblichen von Stiftungseigentum an Land sowie Kri- zeichnen, steht heute eine Auseinander- Ausbildungs- und Trainingsbedarf in der la- terien der Ermittlung von unterschiedli- setzung mit den elektronischen Medien teinamerikanischen Region. chen Eigentumsformen. Im zweiten Teil an. Pasing hat das Buch statt in Kapitel in Die Publikationen zeigen ein neues In- geht es um Aspekte der nationalen drei Kanäle und ein „Zapping“-Angebot teresse des UNCRD für Lateinamerika Bodenpolitik in Ländern mit Marktwirt- zergliedert. Rationale Orientierung wäre auf, das sich 1998 auch in der Gründung schaft oder noch traditionellen, teils vor- ein hoffnungsloses Unterfangen, Ausein- eines Zweigbüros in Bogotá manifestiert kapitalistischen Wirtschaftssystemen; hier- andersetzung über Architektur wird zur hat. Es ist allerdings ein bisschen ärger- bei konzentriert sich der Autor weitgehend Poesie und am Besten intuitiv erfahrbar. lich, dass man denselben Artikel zu auf angelsächsische Bodenrechtsformen Auf daß die Rezession noch ein wenig an- Cordobas strategischem Enwicklungsplan wie freehold und leasehold. Der dritte Teil halten möge! in beiden Bänden wiederfindet. behandelt die Bodenrechtssituation in Kosta Mathéy Florian Steinberg noch nicht regularisierten informellen Siedlungen: Hier geht es um Sicherheit Stadtentwicklung Peter Bosselmann. Representation of ohne Besitztitel, offizielle Anerkennung der Places. Reality and Realism in City De- Titellosigkeit, Formen der Pacht, traditio- J. S. Edralin. Local Governance and sign. 228 Seiten. ISBN 0-520-20658-4. nelle Landtitel und letztlich Instrumente Local Economic Development: 1998. £ 28,-. Berkley: University of zur Verbesserung der bodenrechtlichen Si- Capacity Building - Case Studies in California Press. Bezug: Wiley, GB- tuation durch Regularisierungsmassnah- Asia and Latin America. UNCRD Chichester PO19 1UD. men. Im vierten Teil schließlich behandelt Research Report Series No. 17. 1996. Ausgangspunkt des Buches ist die Er- der Autor die Verbesserung traditioneller 234 S. kenntnis, daß so schwerwiegende und Landbesitzarrangements durch Regie- C. Hoshino (Hrsg.). Local and Regional langfristig wirksame Entscheidungen wie rungsinterventionen oder Eingriffe des pri- Development Planning and Manage- städtebauliche Eingriffe vor der Realisie- vaten Sektors. In dem abschliessenden ment in the Context of Decentralization rung in ihrer räumlichen Wirkung auch von Kapitel wird die Regulierung des Boden- Reforms in Latin America. UNCRD Laien erkannt werden sollten, um kompe- marktes als eine zentrale Aufgabe des Ur- Research Report Series No 18. 1996. tente demokratische Entscheidungen zu ban Management charakterisiert, die dazu 198 S. (Bezug: United Nations Centre ermöglichen; denn die üblichen Zeichnun- dienen kann, mehr Kreditmittel zur Verbes- for Regional Development UNCRD, gen der Städtebauer und Architekten tau- serung der Wohn- und Infrastruktur- Nagono 1-47-1, Nakamuraku, Nagoya gen nicht notwendigerweise hierfür. situation in Umlauf zu bringen und die so- 450, Japan) An drei konkreten Projekten in den USA ziale Stellung der Armen und Ärmsten zu Die beiden Bände vereinen diverse vom wird gezeigt, wie bewegte Bilder, aufge- verbessern. Den internationalen Geber- UNCRD in Auftrag gegebene Fallstudien nommen in dreidimensionalen Modellen organisationen kommt hier eine wichtige zu den Themen der Gemeindeentwick- oder durch Computersimulation erzeugt, Verantwortung beim Anstreben von sozial- lung, welche auch auf UNCRD-Konferen- hier weiterhelfen können - zumindest im orientierten Reformen zu. zen in Manila und Sao Paolo vorgestellt Kontext sehr einfacher Volumenotrien wie Florian Steinberg wurden. Im ersten Band ist der Schwer- sie in US-amerikanischen Städten typisch punkt mehr auf die Förderung der lokalen sind. Diese Schlüsselinformation wird er- Michel Arnaud. Dynamique de Ökonomie gesetzt, und es geht um die lo- gänzt durch eine Einführung in die Wahr- l‘urbanisation de l’Afrique au Sud du kale, dezentralisierte Kapazität der Ge- nehmung von Stadtgestalt anhand eines Sahara. 182 S. 1998. Paris: Ministère meinden, die Initiativen der Wirtschaftsför- Vergleichs gleich langer Fußwege in unter- des Affaires Etrangeres. Bezug: ISTED, derung zu lenken. Die Beispiele (oder der schiedlichen Städten der Welt (im ersten La Grande Arche, Paroi Nord, F-92055 Vergleich) zwischen asiatischen (Taicang/ Teil) und durch einen philosophisch an- Paris La Defense, Cedex 04. China, Olongapo/Philippinen, Batam/ gefärbten Schlußteil mit dem Titel „Reality Der offizielle Bericht über „Verstädte- lndonesien, Johor/Malaysia, Kurenegala/ and Realism“ mit starkem Bezug auf euro- rung in Afrika südlich der Sahara“ gliedert Sri Lanka) und lateinamerikanischen Fall- päische stadträumliche Qualitäten. Der sich in eine Serie periodischer Situations- beispielen (Curitiba/Brasilien, Cordoba/Ar- Band ergänzt sicher gut die Vorlesungen berichte zur Entwicklung in den Ländern gentinien, Aguascalientes/Mexico) ist in- dieses Berkley-Professors und ist deshalb des Südens aus dem Blickwinkel teressant, erscheint aber irgendwie zufäl- nützlich für seine Student/inn/en; für euro- französicher Außenpolitik. Das „harte“ Ge- lig, da die wirtschaftliche Dynamik dieser päische Leser/innen und Kolleg/inn/en rüst der Arbeit sind nicht gerade unterhalt- Städte doch sehr verschieden ist. Der Re- könnten einige der Grafiken und Schwarz- same, aber dafür aktuelle Statistiken zu port versucht, einige grundsätzliche Prinzi- pläne von Interesse sein. dem Thema. Das Material wird zusätzlich pien und Empfehlungen für lokale Initiati- Kosta Mathéy mit einigen Vergleichen aus anderen Konti-

62 T r i a l o g 5 9 / 1 9 9 8 nenten und deskriptivem Text ansprechen- Im Kapitel zur Praxis der institutionellen eine politische Reform der Stadtsysteme der gemacht. Der Bericht ist in sieben Ab- Stärkung werden mit Bezug auf Malawis nötig ist, um bessere Bedingungen zu schnitte gegliedert: 1. Stadt als Entwick- städtische Entwicklung eine Serie von in- schaffen. lungspol; 2. Ursachen des städtischen stitutionellen Entwicklungszielen aufge- Florian Steinberg Wachstums, 3. Stadtwachstum ohne Indu- führt und im einzelnen in Bezug auf die strialisierung; 4. Komplementarität von existierenden Handlungsschwächen in der Gesellschaft und Politik Stadt und Land; 5. Sozialer Wandel in der Praxis diskutiert. Prinzipiell geht es um städtischen Gesellschaft; 6. Dezentralisie- Projektformulierung, Arbeitsergebnisse, Wolfgang Gisevius. Leitfaden durch die rung; 7. städtische Finanzen. Der Bericht Ausbildungsmassnahmen und Um- Kommunalpolitik. 160 S. ISBN 3-8012- ist sicher nicht die geeignete Quelle, neue setzungsmöglichkeiten, die zu einer inte- 0260-7. 1997. DM 16,80. Dietz Verlag, Verstädterungstheorien kennenzulernen grierten Stadtentwicklungsstrategie führen Bonn. oder Entwicklungsalternativen zu verglei- sollen. Abschliessend stellt der Autor fest, Dem Autor ist es gelungen, die von Ge- chen, aber ein guter und aktueller Über- dass es um die strategischen Aufgaben ei- meinde zu Gemeinde variierenden Arran- blick über Verstädterung in einem Konti- ner verbesserten Dienstleistungs- gements der Bürgervertretung und Verwal- nent, der gemeinhin als vorwiegend rural versorgung, um die Kapazität, Stadtent- tung auf einen Nenner zu bringen und betrachtet wird. wicklung zu planen und zu finanzieren, leicht verständlich zu erklären. Auch Wahl- Kosta Mathéy und um die Kapazität der Strategie- verfahren, Planungsrecht und die ver- formulierung geht. Die Lektüre sei nur schiedenen Arten der Besteuerung wer- hartnäckigen Spezialisten empfohlen. den in ihren Grundzügen dargelegt. Florian Steinberg Obwohl dem Autor als Zielgruppe Bür- ger vorschwebten, die ein Bedürfnis ha- E. Fernandes, A. Varley (Hrsg.). Illegal ben, in der Lokalpolitik mitzumischen und Cities - Law and Urban Change in nur nicht wissen wie, ist die Darstellung Developing Countries. 1998. 280 S. $ aber auch hilfreich bei der Erklärung der 69.95 bzw. 27.95 Paperback. London deutschen Variante dezentraler Politik ge- und New York: Zed Books, 7 Cynthia genüber Kollegen in den Ländern des Sü- Street, London N19JF, UK. dens, die sich z.T. gerade in einem politi- Dieses Buch erhebt den Anspruch, eine schen Dezentralisierungsprozeß befinden. Lücke zu füllen im Verständnis der Städte Kosta Mathéy in Entwicklungsländern. Die städtischen Armen müssen regelmässig bestehende W. Altmann, T. Fischer, K. Zimmermann, Rechtssituationen brechen, um sich Grund K. (Hrsg.). Kolumbien heute - Politik, und Boden, Haus und verschiedene Wirtschaft, Kultur. Bibliotheca Ibero- Dienstleistungen zu ermöglichen. Americana. 625 S. 1997. Vervuert Das Buch über die “illegalen Städte” un- Verlagsgesellschaft, Wielandstrasse 40, tersucht die Rolle der Gesetzgebung im D-60318 Frankfurt. städtischen Modernisierungsprozess. Am Dieser Sammelband bietet mit seinen Beispiel der Türkei werden bestehende 25 Beiträgen eine exzellente Übersicht Standards der Wohnungspolitik unter- über ein Land, von dem in Deutschland Arnaud / Dynamique de l‘urbanisation de l’Afrique au Sud du Sahara sucht, welche die informellen Siedler in kaum mehr als sein Drogenhandel, seine eine Randstellung gebracht haben. Im Fall Gewaltexzesse und sein guter Kaffee be- des Handels mit nicht offiziell dokumen- kannt sind. Den Herausgebern des Ibero- R. McGilI. Institutional Development - A tierten Bodenrechten in Jordanien, werden Amerikanischen Institutes in Berlin ist es Third World City Management die Formen des Konfliktmanagements be- gelungen, eine enorme thematische Band- Perspective. 1996. 310 S. London und schrieben, das auf historische Formen des breite abzudecken. Das Buch ist in vier New York: MacMillan Press Ltd., Besitzrechtes (Nutzrechtes) zurückgreift. Teile gegliedert: Raum und Bevölkerung, Houndmills, Basingstoke, Hampshire Der Artikel über Bangalore in Indien be- Staat und Politik, Wirtschaft und Gesell- RG2I 6XS, UK. schreibt Bodenkonflikte bei der Umsied- schaft sowie Sprache und Kultur. Im ersten Der Autor, ein Experte für institutionelle lung von squatters, um Platz zu schaffen Teil lernt der Leser die Geographie und Entwicklung mit langjähriger Erfahrung in für einen Prestige-Wohnungskomplex. Im Bevölkerungsverteilung sowie die Haupt- den Stadtverwaltungen von Lilongwe/ Falle von Caracas werden unklare Rechts- tendenzen der Stadtentwicklung kennen, Malawi und Dar-es-Salaam/Tanzania, hat verhältnisse bei Transaktionen von Häu- und es werden Aspekte der beiden Haupt- seine Erfahrungen in ein Buch umgesetzt, sern in den barrios der Armen beschrie- minoritäten Kolumbiens, der Indianer (von das leider einen sehr trockenen und aka- ben. Das Beispiel Mexikos ist ein exzellen- denen es noch einige Restgruppen gibt) demischen Charakter hat. Im ersten Kapi- ter Fall einer massiven Legalisierung von und der Schwarzen, die sich in einem tel liefert McGill einen ausgedehnten informellen Wohnsiedlungen, teils mit poli- Prozess der Selbstfindung und Artikulation Überblick der relevanten Literatur und hebt tischen Zielen, um die Stimmen der Sied- befinden, dargestellt. Im zweiten Teil wer- die Bedeutung der institutionellen Entwick- ler für die herrschende Partei zu sichern. den die politischen Konstellationen des lung für die Nachhaltigkeit von Während in Kenia die Schaffung von ille- Landes, seiner neuen Verfassung von Stadtentwicklungs- sowie anderen Ent- galen Märkten und ganzen Stadtzentren 1991, seiner Aussenpolitik, der existieren- wicklungsprojekten und -initiativen hervor. Ergebnis eines planerischen status quo den populistischen Bewegungen, der recht Technische Hilfe und Ausbildungs- ist, wurde in Südafrika Grund- und Boden- prekären Menschenrechtssituation, der ex- maßnahmen sind wesentliche Mechanis- besitz bis vor kurzem noch mit rassisti- zessiven, das Leben des gesamten Lan- men, um eine institutionelle Stärkung von schen Kriterien der Apartheid versehen. des in Atem haltenden Kriminalität und Projektpartnern zu erzielen, wie wir ja alle Die Autoren des Buches diskutieren, wie Gewalt sowie der Geschichte der Guerilla- schon wissen. Das Defizit dieses Buches Rechtssysteme und Rechtsentscheid- bewegungen behandelt. Diese Beiträge er- ist sicherlich, dass es vor der HABITAT II- ungen den Stadtentwicklungsprozess mit- möglichen es, besser zu verstehen, war- Konferenz verfasst wurde, auf der wesent- beeinflussen. „Illegalität“ wird häufig poli- um Kolumbien in solch prekärer Situation liche Beiträge zum Thema der institutionel- tisch benutzt. Als gemeinsamer Nenner ist und welche möglichen Auswege für die len Entwicklung verbreitet wurden. vereint alle Beiträge die Erwartung, dass Schaffung des Friedens bestehen können.

T r i a l o g 5 9 / 1 9 9 8 63 Der Teil zur Wirtschaft und Gesellschaft Arbeitsweise der relevanten Institutionen. Kolumbiens reflektiert einige dieser Das Buch bietet diverse Beiträge zu der schwierigen Konstellationen: Die Industria- Frage, wie die PRA-Methode auszuweiten TRIALOG lisierung im Kontext der Liberalisierung sei und wie sie zu institutionellem Wandel und Globalisierung ist dabei einer der rela- und Veränderungen der institutionellen tiven Erfolge des Landes, welcher zu einer Kultur (speziell von hierarchischen Institu- A Journal for relativen ökonomischen Stabilität beigetra- tionen) und zu einem partizipativen Planning and Building gen hat. Die Gelder des Drogenhandels Monitoring und der Evaluierung von Ent- in the Third World haben ihr übriges getan, um bestimmte wicklungsprojekten beitragen kann. Sektoren der Wirtschaft des Landes florie- Der PRA-Ansatz, so interessant er ist, ren zu lassen. Im Kontext der Modernisie- wurde bisher allerdings wenig im städti- ● A journal for architects, planners, rung werden die sich ändernde Rolle der schen Kontext angewandt (mit Ausnahme sociologists, geographers, econo- mists and development planners. katholischen Kirche (eine der konservativ- z.B. von einigen neueren Slum- sten in ganz Lateinamerika) und die sich Sanierungsprojekten der DFID in lndien). ● A journal for the exchange of rasant emanzipierenden Frauen behan- Es ist in der Tat an der Zeit, die PRA-Me- professional experience in the field of urban development in the Third delt, was sehr aufschlussreich ist für eine thoden auch bei städtischen Projekten ein- World. Gesellschaft im Umbruch. Der vierte Teil zuführen. Das Beispiel der Gemeinde- ● A journal for the presentation and behandelt (in gewisser Überdosis) die Rol- entwicklungsplanung in Bolivien ist eine discussion of new research results le der spanischen Sprache, der Indianer- erste interessante Erfahrung dieser Art. and for the discussion of recent sprachen, des kolumbianischen Romans, Florian Steinberg concepts of development policies der Lyrik, des Theaters, der bildenden for urban change. Kunst (und Architektur als Unterthema), M. Douglass, J. Friedmann (Hrsg). ● A journal of free discussions, of work der Bildungspolitik und der Massenmedi- Cities for Citizens - Planning and the reports and of documentation of en. Rise of Civil Society in a Global Age. alternative approaches. Leider fehlen in dem ansonsten hervor- 1998. 302 S. 17,99 brit. Pfund. Wiley & ragend herausgegebenen Buch Artikel Sons, Baffins Lane, Chichester, West The thematic range of TRIALOG includes über Umweltprobleme, Film und Musik so- Sussex P0191UD, UK. among other related topics: Urbanization and wie die moderne Architektur (und Dieses Buch hat das bekannte Phäno- housing policy / architecture and regional Stadtbaukunst) Kolumbiens, wie auch die men der „Zivilgesellschaft“ zum Thema cultures / ecology, technological transfer and Problematik der Städte ein separates Ka- und damit die Demokratisierung und zu- appropriate technologies / rural development pitel verdient hätte. nehmende Transparenz von Stadtplanung strategies. Florian Steinberg und -entwicklung. Die vorgestellten Fallstu- Contributions in TRIALOG are written in dien einer Bürgerbeteiligung sind breit ge- German or English, with a summary in the J. Holland, J. Blackburn. Whose Voice? - streut. Porto Alegre in Brasilien ist durch respective other language. Participatory Research and Policy sein partizipatives Gemeindebudget be- Available TRIALOG-numbers in English: Change. 254 S. 1998. 5,75 brit. Pfund. kannt geworden, das in kommunaler Kon- London. sultation erstellt wird und den Bewohnern 28 Urban Ecology Diess. Who Changes? – Institutiona- der Stadt eine einzigartige Möglichkeit zur 30 Nigeria lizing Participation in Development. 199 Beteiligung an einem Planungsvorgang 32 Urban Indonesia: New Developments 34 Plan and Reality S. 1998. 5,25 brit. Pfund. London (Be- gibt, der sonst nur den Spitzen der Ge- 36 Informal Settlers in the First World zug: lT Publications, 103-105 South- meindeverwaltung zugänglich ist. Ganz 38 District Planning in Action ampton Row, London WCIB 4HH, UK) anders das Beispiel Frankfurts, das von 39 Planning Methods Diese Bände sind zwei sehr relevante der graduellen Entwicklung einer aus- 43 Urban India Arbeiten aus dem Umfeld der britischen länderfreundlicheren lntegrationspolitik 46 Brasilien - Brazil Entwicklungszusammenarbeit. Es geht um handelt, wobei die wesentlichen Initiativen 47 Community-Based Housing Finance das Konzept des Participatory Rural von lokalen Solidaritätskomitees und - 48 Infrastructure for Sustainable Appraisal (PRA) und seiner Anwendung. gruppen ausgehen. Im Fall von Los Development PRA hat zu einer Art stillen Revolution in Angeles - der Stadt der sozialen Notstän- 49 Istanbul Habitat der Entwicklungszusammenarbeit beige- de - lernen wir die Geschichte der (teils 50 Habitat II, Crowding and Health tragen, in der es darum geht, die Armen, militanten) Umweltbewegungen kennen, 51 Tailor-made? Marginalisierten und Randgruppen bei der die beim Versuch der Schaffung einer grü- 55 Planning Local Government Konzeptionalisierung und dem Entwurf von nen Polis immer gegen die offizielle Politik 58 Urban Heritage and Cultural Tourism Entwicklungsprojekten anzuhören. PRA einer „Policing of Ecology“ stoßen. Die Forthcoming issues: stellt konventionelle, von Experten domi- Entstehung von „Weltstädten“ in Ostasien Gender and Cities nierte Methoden in Frage und trägt zu ei- ist ebenfalls von heftigen städtischen Um- Curitiba ner erhöhten Beständigkeit und Effektivität weltkonflikten gekennzeichnet. Aber gegen Subscription of TRIALOG (4 issues/year) von Projekten der bevölkerungsbezogenen die überwiegend autoritären Verwaltungs- DM 75,- / reduced subscription price: DM 50,- Entwicklung bei. und Managementstrukturen anzugehen ist for personal orders / DM 37,50 for students / single issues DM 15,- (plus postage) Whose Voice? betrachtet Erfahrungen eine sehr schwierige Aufgabe, der die Membership in the association: DM 100,- (annual von Projekten (in Nepal, Zambia, Gambia, Bürgerbewegungen kaum gewachsen fee, including the subscription of TRIALOG) Jamaika, Pakistan, lndien, Madagaskar, sind. Nichtsdestotrotz meint der Autor, Orders for subscription / Guinea, Schottland, Mosambik, Südafri- dass alles auf eine Zunahme solcher Application for membership ka), bei denen PRA angewandt wurde. Basisinitiativen hindeutet. Ähnliches kann should be addressed to: Who Changes? bietet Erfahrungen di- und muss auch im Falle Chiles gesagt TRIALOG, Gislind Budnick, Heslacher Wand 35A, verser biIateraler Entwicklungshilfe- werden, wo die Umweltinitiativen immer D-70199 Stuttgart, Germany organisationen (inkl. GTZ, DFID etc.) mit mehr einen Charakter der neuen städti- Orders for single issues der Institutionalisierung von partizipativer schen Bewegungen annehmen, die letzt- directly to the distributor: Entwicklung. Es geht um die Anwendung endlich eine bessere Ressourcen- Magazin-Verlag, Schweffelstraße 6, D-24118 Kiel, Germany von PRA-Kozenpten auf Mikro- und Ma- verteilung und allgemeine Verbesserung kro-Ebene und um die Veränderungen der der städtischen Lebensqualität zum The-

64 T r i a l o g 5 9 / 1 9 9 8 ma haben werden. der vorhandenen natürlichen Ressourcen. Im theoretischen Teil des Buches geht Um das Überleben zu sichern, müssen die es um so interessante Themen wie „Radi- reichen Nationen allerdings ihre Wirtschaf- kale Praxis für die postmoderne Gesell- ten dahin umbauen, daß exzessiver Kon- TRIALOG schaft“, „Die Frage des Konfliktes bei sum und Überproduktion erheblich weni- Habermas und Foucault“, „Rationalität, ger umweltschädigende Wirkungen haben Dialog und Lernen: Was Community- und werden. Es ist offensichtlich allein der Nor- Zeitschrift für das Umweltverhandler uns über die Praxis der den, der die führende Rolle auf dem Wege Planen und Bauen Zivilgesellschaft lehren können“ sowie ei- zu einer Lösung der bestehenden Umwelt- in der Dritten Welt nige recht stimulierende Essays über Sinn probleme einnehmen kann. und Unsinn der neuen Formel von der Die Autoren fordern die Anwendung von ● Ein Journal für Architekten, Stadt- „Zivilgesellschaft“. Gleichheits- und Gerechtigkeitsprinzipien, planer, Ökologen und Entwicklungs- In jedem Fall ein interessanter und le- um mit der Umweltfrage umzugehen. Sie planer. senswerter Sammelband, dessen Haupt- schlagen die Einführung von Umwelt- ● Ein Journal zum Austausch berufli- these von einer weltweiten Zunahme der indikatoren, von konkreten Zielen zur cher Erfahrungen im Bereich städti- Rolle der Zivilgesellschaft und ihrer Beteili- Risikobeschränkung, eine freiwillige Be- scher und ländlicher Entwicklung gung an städtischen Konflikten heute wohl schränkung von Konsum und eine Produk- der Dritten Welt. kaum noch bestritten wird. tion mit ökologischen Auswirkungen vor. In ● Ein Journal zur Aufarbeitung neuer Florian Steinberg ihrer Vision der Zukunft wird es um „intelli- Forschungsergebnisse und zur Dis- gente“ Infrastruktur und lebbare Städte, kussion entwicklungspolitischer Konzepte für die räumliche Planung. Ökologie um die Regenerierung von Landwirtschaft ● Ein Journal der freien Diskussion, und Böden, um die Etablierung von neuen der Arbeitsberichte und der Doku- UnternehmensGrün (Hrsg.). Umwelt- Parametern und Regeln gehen werden. mentation richtungsweisender An- verträglicher Industrie- und Gewerbe- Ein Umwandlungsprozeß muß einsetzen sätze. bau. 172 S. ISBN 3-928244-21-3. 1996. bei der Energieversorgung, der Industrie, Vertrieb: Ökonom, Waltherstr. 29, 80337 dem Transportsektor, der Land- und Forst- Die thematische Bandbreite von TRIALOG München. wirtschaft, mit dem Ziel einen Ausgleich umfaßt u.a.: Verstädterung und Wohnungs- politik / Architektur und regionale Kulturen / Die Diskussion über ökologisches Bau- zwischen Nord und Süd zu erzielen. Ökologie, Technologietransfer und Ange- en wird bislang geprägt vom Wohnungs- Das Buch sollte weite Verbreitung fin- paßte Technologien / Ländliche Entwick- bau und dessen architektonischer und den, denn es enthält Vorschläge, die von lungsstrategien. bautechnologischer Umsetzung. Erst lang- globaler Relevanz sind für die Nachhaltig- sam rückt der umweltverträgliche Indu- keit der Welt. Es geht um mehr als nur Lip- Die Beiträge in TRIALOG sind in Deutsch strie- und Gewerbebau in den Blickpunkt. penbekenntnisse, wenn dieses ambitiöse oder Englisch mit einer Zusammenfassung in der anderen Sprache. Die Wirtschaftlichkeit steht hier noch stär- Ziele erreicht werden soll. Diverse multila- ker als bei anderen Bauvorhaben im Vor- terale Organisationen sowie Abkommen Themen der letzten Nummern: dergrund. Für ein Unternehmen zählen des internationalen Handels und der Zu- 46 (3/95) Brasilien - Brazil vorrangig die Gesamtbetriebskosten. Die- sammenarbeit müssen auf diese Konzepte 47 (4/95) Community-Based Housing se hängen jedoch mit vielen nicht meßba- umorientiert werden, auf einen Prozeß des Finance ren Komponenten zusammen, wie innere gemeinsamen Lernens und Handelns. 48 (1/96) Infrastructure for Sustainable Atmosphäre, Firmenimage, Umweltver- Florian Steinberg Development träglichkeit des Gebäudes und des Ar- 49 (2/96) Istanbul Habitat beitsplatzes. Am Beispiel realisierter Pro- D. Osborn, T. Bigg. Earth Summit II - 50 (3/96) Habitat II Crowding and Health jekte, aber dennoch im Sinne eines „Ent- Outcomes and Analysis. 201 S. 1998. 51 (4/96) Tailor-made? Maßgeschneidert? wurfs-Leitfadens“ nach Arbeitsschritten 15,95 brit. Pfund. London. Earthscan, 52 (1/97) Gebaut in Lateinamerika und Gewerken sytematisiert, werden die 120 Pentonville Road, London NI 9BR, 53 (2/97) Hof-Häuser 54 (3/97) Wiederaufbau in Kriegsregionen Prinzipien und gemachten Erfahrungen UK. 55 (4/97) Planung kommunal fachkundig aufgeschlüsselt zu den Aspek- Dieser Band enthält auf 68 Seiten eine 56 (1/98) Altstadterneuerung in ten: Städtebau und Standortwahl, Bau- Zusammenfassung der Resultate des Südostasien technik und Gesundheit, Bautypologie und „Rio+5“-Seminars in New York 1997 sowie 57 (2/98) Lateinamerika - Wer baut die Nutzungskonzepte, Energieversorgung, etliche Sitzungsdokumente der Konferenz. Stadt? Umweltrecht, Finanzierung. Ein interes- Das Buch ist eine sehr langweilige Lektü- 58 (3/98) Urban Heritage and Cultural santes, handliches und innovatives Buch re, gut geeignet für Freunde der UN-Mate- Tourism für die Griff-Reihe im Regal, weil man es rie, deren Hobby es ist, Regierungserklä- In Vorbereitung befindliche Hefte: bestimmt immer wieder in die Hände rungen und offizielle Positions- Gender and Cities nimmt. bestimmungen nach der korrekten Position Curitiba Kosta Mathéy der i-Tüpfelchen zu untersuchen. Das Forschung und Lehre Buch zeigt mit seinen Texten auf, daß wirk- Planung und Gesundheit W. Sachs, R. Loske, M. Linz et al. lich sehr wenig Fortschritte gemacht wur- Einzelhefte bis 1995 12,- DM zzgl. Porto, Greening the North - A Post-Industrial den in den letzten Jahren. So heißt es im Einzelhefte (ab Nr. 48) 15,- DM zzgl. Porto, Blueprint for Ecology and Equity. 247 S. „Programme for the Further Implementati- Abonnementpreise (4 Hefte/Jahr): $ 65. London und New York. (Bezug: on of the Agenda 21“, wie von der Sonder- Normalabo: DM 75,- incl. Versand Abo für Privatbezieher: DM 50,- (incl.) Zed Books, 7 Cynthia Street, London sitzung der Hauptversammlung der Verein- Studentenabo: DM 37,50 (mit Bescheinigung) 19JF, UK) ten Nationen verabschiedet, daß „neue Mitgliedschaft im Herausgeberverein: 100,- DM Dieses Buch ist ein Produkt des Wup- und zusätzliche Mittel von diversen Quel- im Jahr (beinhaltet das TRIALOG-Abo) pertaler Instituts für Klima, Umwelt und len nötig seien, um die Ziele angemesse- Abo und Antrag auf Mitgliedschaft: Energie und stellt eine englische Fassung ner Wohnungsversorgung für alle und eine TRIALOG, Gislind Budnick, Heslacher Wand 35A, einer umfangreichen Studie zu den ökolo- nachhaltige Siedlungsentwicklung (...)zu D-70199 Stuttgart, Tel. 0711-6071965 gischen Bedingungen der Zukunft des erreichen. (...) Globale Ziele konnten von Einzelhefte zu beziehen über: Nordens dar. Wie bekannt, konsumieren der Kommission für Nachhaltige Entwick- Magazin-Verlag, Schweffelstraße 6, D-24118 Kiel, Tel. 0431-56 58 99 die reichen 20% der Weltbevölkerung 80% lung aufgestellt werden, um Lokale Agen-

T r i a l o g 5 9 / 1 9 9 8 65 da 21-Kampagnen zu fördern und mit den spielen aus der ganzen Welt, die zeigen, fe, ein anderer eine relativ vollständige Be- Hindernissen der Lokalen Agenda 21-In- wie die Aufgabe formal auch besser zu lö- schreibung und Abbildung vorkommender itiativen umzugehen.“ Na, wenn das mal sen ist, mitsamt einer Auswahl an Back- Bauschäden, eingeteilt nach der Natur ih- nicht ermunternd und vielversprechend rezepten. rer Ursachen. Obwohl die Schadens- klingt!? In Gegenden, wo genügend Abfall-Holz behebung nicht Thema der Arbeit ist, er- Diese traurige Publikation hätte eigent- zur Verfügung steht, erlauben diese Back- laubt die Kenntnis der Ursachen oft schon, lich bestenfalls verschenkt werden sollen, öfen eine effiziente und billige Zubereitung geeignete Maßnahmen zu Verhinderung wird aber für einen heftigen Preis verkauft. von Mahlzeiten aus nachwachsender En- weiterer Schadensbildung zu bestimmen. Voraussage: Ladenhüter der aufs Ein- ergie. Wo diese Voraussetzungen in Ent- Kompliziert wird die Angelegenheit aller- stampfen, sprich „recycling“, wartet. wicklungsländern gegeben sind, sind die dings, wenn mehrere Ursachen zusam- Florian Steinberg Backöfen ohnehin eingeführt und das menkommen, wie z.B. Durchfeuchtung Buch kann helfen, die traditionellen Model- und Rissebildung, wobei sich die Schäden Technologie le zu optimieren. In Europa dagegen wird oft gegenseitig bedingen. es wohl eher die Aussicht auf wohl- Nützlich ist das Buch in erster Linie bei Claudia Lorenz-Ladener (Hrsg.). Holz- schmeckendere Speisen sein, die zum der Sanierung älterer (einschließlich histo- backöfen im Garten. Ökobuch-Verlag Bau von Backöfen verleiten wird. rischer) Gebäude - obwohl gerade Neu- 142 S. ISBN 3-922964-69-9. 1998. DM Kosta Mathey bauten oft schneller Schäden entwickeln 30,-. Ökobuch Verlag, PF 1126, 79216 als alte Häuser. Deshalb gehört das Buch Staufen. L. Franke et al.. Schadensatlas. Klassifi- mit seiner Beschreibung der Schadensher- Das Prinzip des Holzbackofens ist ein- kation und Analyse von Schäden an gänge im Grunde genommen zuerst in die fach: Ein mit genügend Masse umgebener Ziegelmauerwerk. 165 S. ISBN 3-8167- Hände von Architekturstudenten, die so Hohlraum wird mit offenem Feuer aufge- 4701-9. 1998. IRB Verlag, Stuttgart. später im Berufsleben durch bedachte heizt, das Brennmaterial herausgenom- Das Buch ist das Ergebnis eines EG-ge- Entwurfsarbeit und richtige Ausschreibun- men, und die Restwärme reicht aus, an- förderten Forschungprojektes zur Standar- gen dazu beitragen können, die Bau- schließend Brot, Gemüse oder Fleisch zu disierung in der Beschreibung und Diagno- schäden gar nicht erst entstehen zu las- garen, wobei das unverkennbare Aroma se von Bauschäden an Ziegelbauwerken. sen. ein zusätzlicher Bonus ist. Natürlich gibt Zweck ist es, eine einheitlich und eindeuti- Kosta Mathéy es Optimierungen dieses 50.000 Jahre al- ge Beschreibung von Bauschäden auch ten Prinzips, wie z.B. simultane Beheizung mit angelernten Fachkräften (europaweit?) Antje Lübers, Günter Pfeifer, Holger und Backen in getrennten Kammern oder möglich zu machen, was sicherlich für das Reiners. Der neue Holzbau. 255 Seiten. Wärmeisolierung, die den Enegiebedarf internationale Versicherungs- und Aus- ISBN 3-7667-1281-0. 1988. DM 148,-. herabsetzen. Diese und andere Fragen schreibungswesen von großem Nutzen Callway Verlag München. werden in dem vorliegenden Band für sein dürfte. Ein neuer Holzbau-Atlas: Nach einer Selbstbauer berücksichtigt. Als Instrumente der Identifikation von Einführung über den Baustoff Holz, ver- Das Buch enthält im ersten Teil eine in- Schäden dienen einmal der Atlas - Gegen- schiedene Holzwerkstoffe und Holz- teressante historische Einführung. Es fol- stand dieser Publikation - und das verbindungen werden systematisch alle gen zwei akribische Bauanleitungen für „Masonry Damage Diagnostic System“ denkbaren Holzbau-Konstruktionssysteme Backöfen, die bei einem Kitsch-Wettbe- (MDDS), das methodisch auch dem Atlas vorgestellt. Diese Systeme werden anhand werb problemlos den ersten Preis kassie- zugrunde liegt. Ein wesentlicher Bestand- von Schnitten, (computersimulierten) Mo- ren könnten, und eine „Abrundung“ der teil des Atlas ist die Festlegung verbindli- dellen von Details und Photos von archi- Herausgeberin mit ermutigenderen Bei- cher Definitionen der verwendeten Begrif- tektonisch gelungenen Projekten illustriert.

66 T r i a l o g 5 9 / 1 9 9 8 Die am Ende hinzugefügten Aspekte der Gemeinde), als Projektberater und für be- Impressum Dachbeläge (z.B. Schindeln) und Holz- stimmte lngenieurleistungen agieren kann. Herausgeber von TRIALOG ist die Vereinigung zur verschalungen für Wände werden im Ge- Die Veröffentlichung ist eine Art Hand- wissenschaftlichen Erforschung des Planen und gensatz zu den vorangehenden Kapiteln buch, das für alle Praktiker im Bereich der Bauens in Entwicklungsländern e.V. (gemeinnützig) sehr stiefmütterlich behandelt und sind an Slum-Sanierung eine interessante Arbeits- Postadresse für Redaktion und Verein: anderer Stelle wesentlich besser beschrie- hilfe darstellt, deren Einführung aber nicht TRIALOG c/o Lehrstuhl für Städtebau und Entwer- ben. Für alle im Holzbau entwerfenden Ar- ohne den zu erwartenden Kampf gegen fen, Universität Karlsruhe, Postfach, D-76128 Karlsruhe chitekt/inn/en ein extrem nützliches Hand- Widerstand der kommunalen Verwaltun- e-mail: [email protected] buch. gen und der Bauunternehmer möglich sein Verlag und Vertrieb: Magazin Verlag, Schweffel- Kosta Mathéy wird. straße 6, D-24118 Kiel, Florian Steinberg Tel. 0431-565899, FAX 0431-577056

ISSN Nr.: 0724-6234 Nachschlagewerke V.i.S.d.P.: Michael Peterek, Stefan Thimmel Redaktion: Michael Peterek, Stefan Thimmel GTZ. Die Begriffswelt der GTZ - Satz / Layout: Ute Langendörfer deutsch/englisch. 347 Seiten. 1997. GTZ Buchrezensionen: Kosta Mathéy Veranstaltungen: Klaus Teschner Stabsstelle 02, Eschborn. Titelbild: Quartier in Bombay / Oliver Gehlen Dieses „Fremdwörterlexikon“ der Ent- Druck: Druckerei Grässer, Karlsruhe wicklungshilfe ersetzt das 1989 erschienen Die in TRIALOG veröffentlichten Artikel repräsentie- GTZ-Glossar, ist aber nicht nur aktuali- ren nicht zwingend die Meinung der Herausgeber/ siert, sondern auch wesentlich umfangrei- innen und der Redaktion. Nachdruck ist mit Angabe der Quelle und Zusendung eines Belegexemplars cher geworden. Die Schlagwörter mit rela- gestattet. Artikel, Ankündigungen und Informationen tiv umfangreicher Erklärung sind zehn Zy- bitten wir an die Adresse des Vereins oder an die klen der Projektentwicklung zugeordnet regionalen Kontaktpersonen zu richten:

und nur innerhalb dieser Kapitel alphabe- ● Kosta Mathéy (TRIALOG-Geschäftsstelle Berlin, tisch aufgelistet. Die Bereiche sind: das Buchrezensionen, Austauschabos), Winterfeldstr. 45, D-10781 Berlin, Tel./FAX 030-2167281, entwicklungpolitische Umfeld; Konzepte e-mail: [email protected] und Grundbegriffe; unternehmenspoliti- ● Jürgen Oestereich (Internationale Kooperation), Am Dickelsbach 10, D-40883 Ratingen, Tel./FAX sche Schwerpunkte der GTZ; Kunden und 02102-60740, e-mail: [email protected] Partner der GTZ; Geschäftsfelder der ● Gislind Budnick (Mitgliederverwaltung, Finan- GTZ; Organisation der GTZ; Personalwe- zen), Heslacher Wand 35A, D-70199 Stuttgart, Lübers/Pfeifer/Reiners / Der neue Holzbau Tel. 0711-6071965; FAX -6400354, e-mail: sen; Auftragsverfahren; Projektdurch- [email protected] führung; Bewertung der Projektarbeit. Au- ● Michael Peterek (TRIALOG-Geschäftsstelle), Lehrstuhl für Städtebau und Entwerfen, Universi- ßer der englischen Version sind von die- tät Karlsruhe, D-76128 Karlsruhe, Tel. 0721- Infrastruktur sem für alle, die mit der GTZ irgendwie zu 6083050 oder -378785, FAX -6083734, e-mail: tun haben, ausgesprochen nützlichen [email protected] oder [email protected] A.P. Cotton, M. Sohail, W. K. Tayler. Handbuch auch Parallelausgaben in fran- ● Klaus Teschner (Veranstaltungen, Anzeigen), Community Initiatives in Urban zösisch, spanisch und portugiesisch er- Grunewaldstr. 14, D-10823 Berlin, Tel. 030- 2151305; FAX -31421907, e-mail: Infrastructure. 99 S. 1998. Institute of hältlich. [email protected] Development Engineering, Kosta Mathéy ● Joanna Kotowski-Ziss, Dambachtal 9, D-65193 Loughborough University, Wiesbaden, Tel. 0611-526162, FAX -59211 ● Antje Wemhöner, Zwingli-Str. 4, D-10555 Berlin, Loughborough, Leicestershire LEII 3TU, Tel./FAX 030-39101525 UK. ● Hassan Ghaemi, Bessunger Str. 88d, D-64285 Darmstadt, Tel. 06151-963707/8, FAX -963709 Das Water, Engineering and ● Hans Harms, 29 South Hill Park, London NW3 Development Centre (WEDC) hat mit die- 2ST, UK, Tel./FAX -44-171-4353953 ● Florian Steinberg, c/o PEGUP, Vargas Machuca ser kleinen Publikation sehr interessantes 408, San Antonio, Miraflores, Lima 18, PERU, Neuland dokumentiert: Es geht um Tel./FAX -51-1-4468560 partizipative Partnerschaftsmodelle bei der TRIALOG 59 kostet DM 15,- zzgl. Versand Infrastrukturversorgung, speziell in armen Abopreise für 4 Ausgaben (1 Jahrgang): Wohngegenden der Entwicklungsländer. Normalabo: DM 75,- incl. Versand Erm. Abo für Privatbezieher: DM 50,- Ausgehend von der Erfahrung, daß viele Studentenabo (m. Nachweis): DM 37,50 Bauunternehmer schlechte und überteuer- Luftpostzuschlag nach Übersee: DM 12,- te Arbeit leisten, wurde vor weniger als Die Kündigung eines Abos ist dem Verein späte- zehn Jahren in Sri Lanka erstmalig der An- stens zwei Wochen nach Erhalt des letzten berech- satz des Community Contracting ausgear- neten Heftes mitzuteilen. beitet, basierend auf der Idee, daß die be- Abo und Antrag auf Mitgliedschaft im Herausgeber- troffenen Bewohner die Qualität und ande- verein: TRIALOG, Gislind Budnick, Heslacher Wand re Aspekte der Infrastrukturarbeiten über- 35a, D-70199 Stuttgart wachen sollten. Inzwischen haben briti- sche Experten auf der Basis von Erfahrun- Call for Papers gen und Experimenten in Indien und Paki- stan eine ganze Palette von Hilfsmitteln TRIALOG plant im Sommer 1999 ein ausgearbeitet: Diese reichen von Stan- Heft über „Lehre und Forschung zum dard-Modellen (mit detaillierten Erklärun- Planen und Bauen in der Dritten Welt“ gen) bis zur Ausschreibung, Vertrags- in Deutschland. Institute und Organi- vergabe, Kostenschätzungen und admini- sationen, die dazu einen Beitrag lei- sten möchten, sollten sich mit einem strativen und finanziellen Regeln für Bau- kurzen Exposé bis 15.3.1999 bei unternehmer. Zu den verschiedenen Mo- Klaus Teschner oder Michael Peterek dalitäten gehört, daß die Community als melden. Promotor (alleine oder zusammen mit der

T r i a l o g 5 9 / 1 9 9 8 67 Postvertriebsstück ISSN 0724-6234 Entgelt bezahlt C12 086 J1

Veranstaltungen / Forthcomimg Events

December 17 - 19, 1998 in London, UK Santa Clara. Inscription fee US$ 250. September 20 - 24, 1999 in Rome, Italy Cities at the Millenium Conference. Contact: Ing. Amado Gonzáles Mirabal, e- 4th International Congress on Energy, Envi- Speakers included: Saskia Sassen, Peter mail: [email protected] or Heike ronment and Technological Innovation: Marcuse et al. Organized by: Sophie Vollmann, Oficina Chichi Padrón, Kassel. „Technological Innovation and Compatible Watson, Univ. of East London / Gary Bridge, Tel. (*49 561) 804 3243, Fax (*49 561) 804 Uses of Natural Ressources“. Organized by Bristol Univ., e-mail: [email protected] 3533 La Sapienza / Roma Tre University and Universidad Central de Venezuela. January 10 - 13, 1999 in Birmingham, UK May 6 - 7, 1999 in Bradford, UK Contact: EETI 99 - Univ. Central de Vene- Conference on Solid Waste Managment Conference on „People, Projects and zuela, Facultad de Ingeniería, P.O.Box Recycle. Organizer: Development Admini- Poverty“. Organized by the Development 50656, Caracas 1050, Venezuela, Tel./ Fax stration Group (DAG), Univ. of Birmingham. and Project Planning Centre of the (*58 2 ) 605 3086, e-mail: Contact: Mr. Ian Blore, e-mail: University of Bradford. Call for papers, [email protected] homepage: [email protected] deadline April 1, 1999. Registration fee: http://www.ing.ucv.ve/ceait/eeti.htm 50 £. Contact: David Potts, DPPC, Univ.of or Prof. Gaspare Lavegas S., EETI 99 - March 11 - 13, 1999 in Venice, Italy Bradford, Bradford, West Yorkshire, HD7 Universitá degli Studi di Roma „La ESF Network 1999 Workshop on innovative 1DP. e-mail: [email protected] Sapienza“, Facolta di Ingegneria, Vía practices and emerging concepts for Eudossiana, I-18-00184 Rome, Italy, Tel. sustainable urban management in June 1 - 7, 1999 in San Francisco, Ca., (*39 6) 445 857 64 / 445 855 24, Fax (*39 developing countries - a European USA 6) 488 32 35 , e-mail: contribution: „Concepts and Paradigms of IAHS World Congress on Housing: [email protected] homepage: Urban Managment in the Context of „Housing Issues and Challenges for the http://minerva.ing.uniromal.it Developing Countries“. No registration fee. New Millenium“. Conveners: International Number of participants limited. Contact / Association for Housing Science (IAHS) / November 1999 in La Habana, Cuba registration application: ESF Workshop College of Environmental Design, Univ. of Pedagogía de la Arquitectura y el Secretariat, Prof. Marcello Balbo, Inst. California, Berkeley. Fee till March 28, ’99: Urbanismo. 3er Seminario Internacional de Universitario di Architettura di Venezia US$ 500. La Habana. Organizado por SIPAU. DAEST, Palazzo Tron, San Croce 1957, Contact: Al Borvice, Congress Co-Chair, 41 Contacto: Prof. Dr. Arq. Rubén Bancrofft H., 30135 Venezia, Italy. Sutter St. 1077, San Francisco, CA 94104 Comité Organizador, SIPAU, Facultad de Tel. (*39 41) 2572 102, Fax (*39 41) 5240 USA. Tel. (*1 415) 543 3940, Fax (*1 415) Arquitectura, Instituto Superior Politécnico 807, e-mail: [email protected] Addi- 543 3232 , e-mail: [email protected] José A. Echeverría, La Habana, Cuba. tional information: Alain Durand-Lasserve, homepage: http://www.HdCongress.com Tel. (*537) 206997,-206903. Fax (*537) 7, rue Sante Garibaldi, 33 000 Bordeaux, 277129, 272964, 271574. France. Tel. (*33 5) 5699 1584, Fax (*33 5) June 22 - 26, 1999 in Beijing, China 5699 15 851, e-mail: [email protected] 20th Congress of the International Union of June 27 - July 2, 2000 in Gävle, Sweden Architects (UIA): „Architecture in the 21th ENHR Research Conference: „Housing in March 25 - 26, 1999 in London, UK Century“. Speakers include Jean Nouvel, the 21st Century: Fragmentation and International Conference „South to South: Alvaro Siza, Kenneth Frampton, Moshe Reorientation“ Organized by the European urban-environmental policies and politics in Safdie, Rui Othake, Tadao Ando, Charles Network on Housing Research & the Institu- Brazil and South Africa“. Organized by the Correa, Philip Cox, Ken Yeang, Tay Kheng te for Housing Research, Uppsala Institute of Commonwealth Studies of the Soon. Registration fee till March 31, ’99: University. Call for papers, deadline for University of London. Contact: Ms. Imelda US$ 450, students US$ 150. abstracts March 15, 2000. McGowen, Tel. (*44 171) 862 8844, Fax Contact: Yuan Bin, XX UIA Congress ’99 Contact: Bengt Turner/ Eva Sandstedt/ Terry (*44 171) 862 8820 , e-mail: Organizing Committee, 8° Zhuzong Hartig/ Lawrence Teeland/ Urban Fransson, [email protected] Dayuan, East Beichen Rd., Chaoyang Dist., Inst. for Housing Research, Uppsala Beijing 100101, China. Tel. (*86 10) 649 University, PO Box 785, 80129 Gävle, March 29 - April 10, 1999 in Santa Clara, 24782 / 649 24791, Fax (*86 10) 649 Sweden. Tel. (*46 29) 420 6500, Fax Cuba 24722, e-mail: (*46 29) 420 6501, homepage: Curso Taller Internacional „Rehabilitación [email protected] http://ww.ibf.uu.se Arquitectónica“. Universidad de las Villas, homepage: http://www.cin.gov.on

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