EINE DOKUMENTATION VON WOLFGANG WIESEN BISH WA IJ TEMA Portfolio Wolfgang Wiesen

TEXT & FOTOS: WOLFGANG WIESEN

Mehrere Millionen Gläubige kom - Aussage – über 700 bis über 1.000 men im Januar zu einem der größ - Toten, das sich im September 2015 ten muslimischen Pilgertreffen in Mekka bei einer Massenpanik der Welt zusammen – und doch ereignet hat, wirft einen Schatten kennen nur wenige Nicht-Muslime auf derartige religiöse Großereig - das Bishwa Ijtema in Bangladesch. nisse. Wolfgang Wiesen weiß aber Der Fotograf Wolfgang Wiesen hat - zu berichten, dass beim Bishwa te aufgrund seiner internationalen Ijtema trotz der unvorstellbaren Kontakte die einmalige Gelegen - Ausmaße eine derartige Katastro - heit, dieses Zusammentreffen mit phe vergleichsweise unwahrschein - der Kamera festzuhalten und fühlte lich ist. Seine Fotos aus dem sich angesichts der Menschenmas - Januar 2015 dokumentieren in je - sen und der damit einhergehenden dem Fall in beeindruckender Weise Motivflut regelrecht überwältigt. ein in der westlichen Welt kaum Das tragische Unglück mit – je nach wahrgenommenes Ereignis.

Wenn Sie kein Moslem sind, haben Sie der Welt zählt, können wir uns nur Überwältigende Motivfülle wahrscheinlich noch nie davon gehört. schwer vorstellen, wie sich der kurzfristige Um es gleich vorweg zu nehmen: Für Bishwa Ijtema (Aussprache bisch-wa Zustrom von mehreren Millionen Pilgern mich als Fotograf waren all diese unge - is-tema ) ist nach dem Hadsch in Mekka in die ohnehin aus allen Nähten platzende wohnten Szenerien wie ein Traum und und dem Arab'een im Irak das größte Megacity auf das tägliche Leben ich wusste aufgrund der Fülle von Motiven jährliche Pilgertreffen von Moslems aus auswirkt. oft nicht mehr, wie ich es anstellen sollte, der ganzen Welt. Versammlungsort ist Es ist ein organisiertes Chaos, in dem er - all meine Eindrücke festzuhalten. Nie zu - jeweils im Januar das Ufer des Turag staunlicherweise alles recht friedlich und vor hatte ich so viele Menschen auf en - Flusses in , einem nördlichen Vorort irgendwie auch zielgerichtet funktioniert. gem Raum und gleichzeitig ein solches von Bangladeschs Hauptstadt Dhaka. Busse, Lastwagen, Personenautos, quirlige Konglomerat an interessanten Menschen - Millionen von Gläubigen verbringen ge - erdgasbetriebene Kleintaxis, Mofas, Fahr - typen gesehen. Fasziniert und eigentlich meinsam drei Tage mit Gebeten, Medi - räder, die allgegenwärtigen Rikschas und ungewollt wandelte ich mich zum Men - tationen und religiöser Unterrichtung. sogar Eisenbahnzüge bewegen sich durch schenfotografen. Letzteres war auch aus Bedenkt man, dass Bangladesch mit mehr dichtgedrängte Menschenmassen ihrem einem anderen Grund nahezu unum - als 150 Millionen Einwohnern auf einer Ziel entgegen. Man braucht viel Zeit, gänglich, denn spontane Porträtfotografie Fläche von etwa der Hälfte Deutschlands aber es geht. auf der Straße ist in Bangladesch im zu den am dichtesten besiedelten Staaten Gegensatz zu europäischen Ländern über -

24 / 25 haupt kein Problem. Auf eine freundliche Geste oder Frage hin lassen sich die Leute gerne fotografieren und oft wird man sogar gebeten, eine Aufnahme zu machen. Lediglich während religiöser Handlungen sollte man grundsätzlich zu - rückhaltend sein. Man merkt hier auf Schritt und Tritt, dass diese Menschen noch nicht durch Touristenströme verunsichert sind. Trotz der nicht zu übersehenden Armut und der allgegenwärtigen Umweltprobleme hatte ich den Eindruck, dass die Bevöl - kerung nicht unzufrieden ist und sich über jeden noch so kleinen Fortschritt in ihrem Land freut.

Einmalige fotografische Gelegenheit Diese meine Begegnung mit dem unbe - kannten Land Bangladesch war nur mög - lich, weil ich als Beauftragter der Fédé - ration Internationale de l'Art Photogra - phique (FIAP) im Deutschen Verband für Menschen sich mit allen Dingen des täg - aus zu fotografieren und es gelang auch Fotografie (DVF) im Laufe der Jahre viele lichen Lebens versorgen konnten – ein meistens an anderen guten Standorten, Kontakte zu Fotografen in nahezu aller Gedränge ohnegleichen und natürlich rechtzeitig einen idealen Platz zu finden. Welt knüpfen konnte. Durch das Foto ein Eldorado für einen Fotografen. Wäh - Die Konkurrenz mit lokalen Reportern eines Freundes aus Dhaka wurde ich auf rend der Festtage sorgt ein großes Poli - ist nämlich groß und auch viele Kollegen Bishwa Ijtema aufmerksam und wir konn - zeiaufgebot für die Sicherheit der Teil - aus anderen Ländern mit Megaausrüs - ten für Januar dieses Jahres einen Besuch nehmer und rund um das Veranstal - tungen lassen sich dieses Ereignis nicht organisieren. Bestens betreut durch meine tungsgelände sind spezielle Wachtürme entgehen. beiden Fotofreunde M. Yousuf Tushar mit Polizeiposten aufgebaut, sodass bei und Reaz Uddin von der einer eventuell entstehenden Massen - Männer überall Photographic Society (BPS) öffneten sich panik schnell Hilfe koordiniert werden Bishwa Ijtema wurde im Jahr 1946 zum für mich viele Türen zu Veranstaltungen kann. Anders als etwa in Mekka bewegen ersten Mal veranstaltet und das ursprüng - und Locations, die für Besucher norma - sich hier aber keine Menschenmassen in lich dreitägige Treffen ist inzwischen zu lerweise nur schwer oder gar nicht zu - Richtung auf ein bestimmtes Ziel zu, was einem der wichtigsten religiösen Veran - gänglich sind. Wir besuchten die riesige die Gefahr eines tragischen Ereignisses staltungen in Bangladesch und der ge- abgegrenzte Zeltstadt am Turag Fluss, wie im vergangenen September herab - samten muslimischen Welt geworden. wo hunderttausende von Gläubigen ihr setzt. Wegen des großen Besucheransturms Lager aufgeschlagen hatten. Hier wurde Die Wachtürme und hohen umstehenden wurde es 2015 in zwei aufeinander fol - tagsüber gemeinsam gekocht, gegessen, Gebäude und Brücken sind natürlich gende Veranstaltungen geteilt. Es ist getrunken, gebetet, unterrichtet und ri - auch ideale Standorte für einen Foto - mittlerweile so bekannt, dass es auch in tuelle Waschungen vorgenommen. Um - grafen, um große Ansammlungen von die moderne Literatur in Bangladesch geben ist dieses Lager von großen sani - Gläubigen zu fotografieren. Mit Hilfe Einzug gehalten hat. Shazia Omar schreibt tären Anlagen und weiträumigen Märkten meiner Freunde wurde mir tatsächlich in ihrem Roman „Like a Diamond in the in den umliegenden Straßen, wo die die Erlaubnis erteilt, von einem Wachturm Sky“ sehr treffend hierzu:

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„Als sie weitergingen, bemerkte Deen, Unvorstellbare Szenen Waggons eines Zuges auf einen anderen dass er nicht wie gewöhnlich von Neben dem großen Zeltlager mit dem zu springen. Es spielen sich Szenen ab, Leuten umgeben war, sondern nur von pulsierenden Leben am Turag Fluss und die man sich kaum erträumen kann – Männern, Männer, Männer. Männer den öffentlichen Gebeten auf den um - für uns Europäer unvorstellbar. Die Sicher - überall. Die Straße war nahezu ver - liegenden Straßen ist es am Abreisetag heitskräfte haben Mühe, den Weg für stopft mit Männern. Männer, die der Pilger ein einmaliges Erlebnis, den die heillos überfüllten abfahrenden Züge lobpriesen. Männer in langen Kleidern, Bahnhof von Tongi zu besuchen. Un - freizumachen und alles kommt zum Still - die sich nur langsam vorwärts schoben zählige Gläubige versammeln sich auf stand, wenn die Zeit für Gebete gekom - und mit religiösem Eifer den Koran dem weitläufigen Gelände und oft sieht men ist. All dies darf ohne Probleme fo - vor sich hertrugen. Ihre weißen Gewän - man vor lauter Menschen weder die tografiert werden, man muss nur zusehen, der blähten sich gespensterhaft im Gleise, noch kann man die hoffnungslos zum richtigen Zeitpunkt an der richtigen Wind. Sogar für Bangladesch war die - überfüllten Züge inmitten der Massen Stelle zu sein, was natürlich nur gelingen ses Pilgertreffen ein ungewohnt beeng - identifizieren. Für Jugendliche ist es ein kann, wenn man ortskundige Freunde tes Durcheinander.“ Riesenspaß, direkt von den Dächern der hat.

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Fotografische Aspekte genügend Ersatzakkus und Speicherkarten masken. Grundsätzlich fotografiere ich Wolfgang Wiesen (64) Um sich in dem Menschengetümmel einpacken. Andererseits ist es aber in immer im RAW-Format und wandele die … fotografiert seit frühester Jugend und kam über die wissenschaftliche noch gut fortbewegen zu können, sollte Dhaka kein Problem, diese Dinge im Not - Aufnahmen bei Bedarf in Photoshop mit Fotografie an der Universität zur künstlerischen Fotografie. Neben der man keine allzu schwere Fotoausrüstung fall in einem Supermarkt zu kaufen. Ein dem Plugin Silver Efex Pro in Schwarzweiß Porträtfotografie sind seine Arbeitsschwerpunkte heute die Natur- und Land - mitnehmen. Ich bevorzuge eine mittel - Freund oder ein Rikschafahrer weiß um. schaftsfotografie, sowie Architektur und experimentelle Fotografie, wobei große Fototasche bzw. einen Fotorucksack garantiert Rat. Größter Feind der Foto - Beste Reisezeit für Bangladesch sind er zur Verstärkung der Bildaussage oft die SW-Infrarottechnik einsetzt. und nehme eine DSLR mit zwei Objektiven ausrüstung ist nach meiner Erfahrung unsere Wintermonate bis etwa März. Viele seiner Arbeiten wurden auf nationaler und internationaler Ebene prämiert und er veröffentlicht seine Bilder regelmäßig in Fachzeitschriften. und eine kompakte Systemkamera mit der allgegenwärtige Staub, der auch für Zur Zeit des Bishwa-Festes im Januar Wolfgang Wiesen ist seit 2014 Vizepräsident des Deutschen Verbandes für einem guten Zoomobjektiv für schnelle unsere Atemwege belastend ist. Deshalb sind die Temperaturen für Europäer er - Fotografie (DVF) und dort seit 2008 Beauftragter für Angelegenheiten Porträtaufnahmen mit. Selbstverständlich sieht man in den Megacitys Asiens auch träglich mit kühlen Nächten und kaum des Weltverbandes für Fotografie Fédération Internationale de l'Art Photo - sollte man immer für eine ganze Tagestour immer mehr Menschen mit Mundschutz - Niederschlägen. graphique (FIAP). | www.wwfoto.de

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