Wulfhorst CD Romantisches N
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TTERSON MITC ULFHO © Martin Wulfhorst 1999 home DIE ROMANTISCHE MUSIKKULTUR IN NORDDEUTSCHLAND ie norddeutsche Region war im 19. Jahr• Die Gemeinsamkeiten der Komponisten D hundert eine besonders reiche Kultur• auf den beiden vorliegenden CDs gingen weit landschaft. In den Musikzentren Hamburg, über die geographische Zugehörigkeit zu ein Altona, Bremen, Lübeck, Kiel, Braunschweig, und derselben »Musiklandschaft« hinaus: Ver• Hannover und Detmold wirkte im Zeitalter der bunden waren sie durch ein Netz von persön• Romantik eine große Zahl fruchtbarer Kom• lichen und professionellen Beziehungen - ponisten, die nach der wesentlich vom Wiener Freundschaften, Schüler-Lehrer-Verhältnisse, Stil geprägten klassischen Epoche wieder einen gemeinsame Auftritte bei norddeutschen Mu• eigenständigen norddeutschen Stil schufen sikfesten und bei öffentlichen wie privaten und ihm zu breiter Geltung und historischer Konzerten. Von größter Bedeutung waren da• Bedeutung verhalfen. Im 20. Jahrhundert ge• bei die sogenannten »Musikpartien«, die sich rieten jedoch etliche der zu ihrer Zeit weithin deutlich abhoben von der modernen Hausmu• bekannten norddeutschen Komponisten in sik ebenso wie von heutigen Liederabenden Vergessenheit - oft aus Gründen, die nichts oder Kammerkonzerten. Ein breiter Kreis von mit der Qualität ihrer Musik zu tun hatten. Musikern - von fähigen Laien bis zu den be• Verantwortlich dafür waren u.a. Auflösungen sten Instrumentalvirtuosen und Opernsängern von Verlagshäusern, Veränderungen in der der Zeit - traf sich, um gemeinsam zu musl• Struktur der Konzertformen, Unterbrechung zieren, zu speisen und sich zu unterhalten. oder Behinderung der Rezeption durch na• Sänger boten Lieder und Arien dar, Instru• tionalsozialistische Kulturpolitik (sehr wahr• mentalisten Solowerke oder Kammermusik, scheinlich im Fall von Fielitz, Woyrsch und und oft schlossen sich Musiker in Besetzungen Pfohl) und schließlich die zunehmende Redu• zusammen, die heute kaum noch gepflegt zierung der romantischen Musik auf einige werden. Ein Beispiel sind die Lieder mit Vio• wenige »Große«. Erst seit einigen Jahrzehnten lin- und Klavierbegleitung aufder zweiten CD, gibt es Anstrengungen zur Wiederbelebung des die zum Teil von Geigern komponiert wurden, vielfältigen norddeutschen Repertoires der Ro• deren Frauen oder Töchter sangen (Spohr, mantik - Anstrengungen, die für die Musik Reiter, Herrmann). von Spohr, Reinecke, Woyrsch und Pfohl be• In der norddeutschen Region bildete sich reits zu Resultaten geführt haben. im 19. Jahrhundert eine durchaus eigenständige © Martin Wulfhorst 1999 Liedkultur heraus, und zwar weitgehend unab• der Braunschweiger Louis Spohr, der aus der hängig von Schubert, Schumann oder Wolf. Tonsprache der Wiener Klassik und der vor• Gemeinsam war diesen Liedern eine breite Pa• romantischen Musik der französischen Revolu• lette von Charakteren - vom Volksliedhaften tionszeit einen eigenständigen Stil schuf. Ihm bis zum Opernstil, vom Witzigen und Charman• folgte eine Reihe von Schülern, darunter ten bis zu dem, was man gemeinhin mit dem Curschmann, Herrmann, Pacius, Reiter, Bie norddeutschen Charakter verbindet: düster, und Bargheer. Von Spohr und seinem Schüler• ernst und handwerklich hervorragend gearbei• kreis aus führten mannigfaltige persönliche tet. Die Stimmungsparallelen zu norddeutschen und musikalische Verbindungen zu anderen Gedichten der Zeit sind stark, und es ist kein norddeutschen Komponisten der nächsten Ge• Zufall, daß viele der Komponisten bevorzugt neration, besonders zu Brahms. Brahms wie• Gedichte norddeutscher Lyriker wie Geibel, derum war der Mittelpunkt eines Kreises, dem Hoffmann von Fallersleben, Storm und Groth u.a. Marxsen, Reinecke, Kirchner und Gräde• vertonten. ner angehörten, und er wurde das große Vor• Am Anfang der norddeutschen Frühro• bild für die Generation der Spätromantiker mantik stand als bedeutendste Persönlichkeit (Woyrsch, Pfohl, Fielitz, Mandyczewski). Louis Spohr Johannes Brahms 3 © Martin Wulfhorst 1999 Friedrich (Fredrik) Paeius, 1809 Hamburg, + 1891 Helsinki, konzertierte nach seinen Studien bei Spohr in Kassel 1826-1828 als Violinvirtuose und Kammermusiker in vielen norddeutschen Städten. Anschließend an seine Tätigkeit als Orchestermusiker in Stockholm seit 1828 wurde er 1834 Musikdirektor der Universität Hel• sinki. Er wirkte als Geiger, Dirigent, Komponist und Lehrer. Besonders seine Chorwerke, darunter die finnische Nationalhymne, erlangten große Popula• rität. Pacius gilt als Vater der finnischen Musik. Auf die folgende Generation finnischer Komponisten, einschließlich Sibelius, übte sein von handwerklicher Solidität und romantischem Klassizismus geprägter Stil großen Einfluß aus. Ernst Reiter, 1814 Wertheim, t 1875 Basel, trug den Dirigier- und Kompositionsstil seines Leh• rers p ohr in die Schweiz und leistete seit 1839 einen wertvollen Beitrag zum Aufbau des Baseler Musiklebens. Als Kapellmeister der Baseler Konzert-Ge• sellschaft und Leiter des Baseler Gesangvereins leitete er die schweizerischen Erstaufführungen der Matthäuspassion, der Neunten Symphonie von Beet• hoven und des Deutschen Requiems von Brahms. Reiter erwarb sich die Hoch• achtung von Brahms, Mendelssohn und v. Bülow. Sein Schaffen umfaßt fast alle musikalischen Gattungen der Zeit von Kammermusik und Lied bis zur Oper. Mit seiner Gattin, der Sängerin Josephine Bildstein, unternahm er ausgedehnte Konzertreisen. John Boie, 1822 Altona, t 1900 Altona, war Sohn eines Gastwirts und Salonbesitzers. Nach seiner Ausbildung bei Spohr in Kassel wirkte er als Konzertmeister des Otten'schen Orchesters in Altona und seit 1861 als Konzertmeister und Leiter der Philharmonischen Gesellschaft Hamburg. In letzterer Eigenschaft sowie als eifriger Kammermusiker, Violinpädagoge, Mitbegründer der Altonaer Singakademie (1853) und seit 1878 als Königlicher Musikdirektor erwarb er sich große Verdienste um das Musikleben in Hamburg und Altona. Böie war ein Freund von Joachim und Brahms und brachte eine Reihe von Brahmsschen Kammermusikwerken in Hamburg erfolgreich zur Aufführung. 5 © Martin Wulfhorst 1999 Carl Louis Bargheer, 1 831 Bückeburg, t 1902 Hamburg, gehörte nach seinen Studien bei Spohr und dessen Schüler F. David seit 1860 der Hofkapelle Detmold als Konzertmeister, Solist und Quartettprimarius an. In dieser Zeit machte er Brahms mit vielen Vio• lin- und Kammermusikwerken bekannt und unternahm mit ihm Konzertreisen und • Ausflüge. Bei einer dieser Reisen im August 1878 brachte er Brahms in Kassel mit · seinem alten Lehrer Spohr zusammen. Während seiner Tätigkeit als Konzert- meister der Philharmonischen Gesellschaft Hamburg seit 1876 war Bargheer auch kammermusikalisch tätig, komponierte Lieder und Kammermusikwerke und veröf• fentlichte Analysen der letzten fünf Streichquartette Beethovens. Eduard Marxsen, 1806 Kreis Pinneberg, t 1887 Altona, wirkte nach Studien bei einem Mozart• Schüler in Wien seit 1837 als Musiklehrer in Hamburg, seit 1853 in Altona. In die Musikgeschichte ging er als erster Kompositionslehrer und musikalischer Mentor von Brahms ein. Durch ihn entdeckte Brahms das deutsche Volkslied als lnspirationsquelle: Bezeichnenderweise ließ Brahms die 100 Variationen über ein Volkslied seines Lehrers zu dessen fünfzigstem Künstlerjubiläum auf eigene Kosten drucken. Auch die Widmung seines Zweiten Klavierkonzerts an Marxsen bezeugt seine Dankbarkeit und Verehrung für seinen Lehrer, der ihn unentgeltlich unterrichtet hatte. Carl G. P. Grädener, 1812 Rostock, t 1883 Hamburg, wurde nach seiner Ausbildung in Halle und Göttingen 1835 von Pacius als Solocellist und Mitglied seines Quartetts nach Finnland geholt. Von 1838 bis 1848 wirkte er in Kiel als Universitätsmusik• direktor und königlich-dänischer Professor. Weitere Tätigkeiten als Gesangs• und Theorielehrer in Hamburg, dann in Wien und schließlich wieder in Ham• burg am neugegründeten Konservatorium schlossen sich an. Als fruchtbarer Komponist gründete er den Hamburger Tonkünstlerverein. Er erwarb sich die Achtung vieler Musiker, so auch die von Brahms. Große Bedeutung errang er durch seine Harmonielehre und seinen Einsatz für stilgerechte Bach-Aufführungen. 6 © Martin Wulfhorst 1999 Theodor Kirchner, * 1823 Chemnitz, t 1903 Hamburg, studierte auf Rat seiner Freunde Mendels• sohn und Schumann Musik in Leipzig und Dresden, bevor er 1843 als Organist in Winterthur engagiert wurde. Nach weiteren Tätigkeiten als Lehrer, Dirigent und Liedbegleiter in Zürich, Meiningen, Würzburg, Leipzig und Dresden ließ er sich, völlig verarmt, 1890 in Hamburg nieder, wo ihn eine Schülerin bis zu seinem Tode pflegte. Kirchner gehört zum Kreis der Musiker, die sich als Freunde und Interpreten besondere Verdienste um die Verbreitung der Brahmsschen Musik erwarben. Besonders seine Klavierbearbeitungen vieler Werke von Brahms trugen dazu bei. Als Komponist wurde Kirchner vor allem durch Klavierstücke und Lieder bekannt. Georg Goltermann, 1824 Hannover, # 1898 Frankfurt a.M., erhielt Cellounterricht erst bei seinem Vater, einem Organisten und Schullehrer in Hannover, dann beim Hannoveraner Solocellisten August Christian Prell, einem Schüler B. Rombergs und prominen• ten Vertreter der »Hamburger Schule« des Cellospiels. Auf zahlreichen Kon• zertreisen errang Goltermann große Erfolge als Cellovirtuose, aber er entschied sich, seiner Karriere eine andere Richtung zu geben. Nach ergänzendem Kompo• sitionsunterricht bei lgnaz Lachner in München wurde er Kapellmeister erst in Würzburg (1852), dann ein Jahr später am Frankfurter Stadttheater. Neben seinen zahlreichen Cellowerken errangen auch seine